Protokoll:
18139

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 139

  • date_rangeDatum: 25. November 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 18:53 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/139 Textrahmenoptionen: 16 mm Abstand oben Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 139. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 25. November 2015 Inhalt: Begrüßung einer Delegation der Nationalver- sammlung der Republik Korea . . . . . . . . . . 13605 B Tagesordnungspunkt I: (Fortsetzung) a) Zweite Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bun- deshaushaltsplans für das Haushalts- jahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016) Drucksachen 18/5500, 18/5502 . . . . . . . . . 13605 A b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung: Finanz- plan des Bundes 2015 bis 2019 Drucksachen 18/5501, 18/5502, 18/6127 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13605 B I .9 Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzler- amt Drucksachen 18/6124, 18/6125 . . . . . . . . 13605 B Dr . Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 13605 C Dr . Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 13610 A Dr . Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13616 D Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 13621 A Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 13624 C Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 13627 C Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13628 C Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13630 B Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13631 C Aydan Özoguz, Staatsministerin BK . . . . . . . 13633 A Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 13635 B Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13636 D Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 13638 B Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 13639 B Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 13640 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13641 B Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13642 D Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13644 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 13645 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13646 D I .10 Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Drucksachen 18/6105, 18/6124 . . . . . . . . 13645 B Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13645 C Doris Barnett (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13649 B Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13651 C Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13652 C Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13653 D Dr . Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . 13654 C Dr . Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13656 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13658 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 139 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 25 . November 2015II Dr . Franz Josef Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 13660 A Dr . Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . 13661 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13661 C Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13663 B Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13664 C Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 13665 D Matern von Marschall (CDU/CSU) . . . . . . . . 13667 A Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 13668 C Matern von Marschall (CDU/CSU) . . . . . . . . 13668 D I .11 Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung Drucksachen 18/6113, 18/6124 . . . . . . . . 13669 B Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13669 C Dr . Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13670 C Dr . Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13672 D Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 13675 B Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 13676 C Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13678 D Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 13679 A Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 13679 B Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13680 C Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 13682 C Gabi Weber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13684 B Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 13685 D Dr . Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13687 C Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 13687 D I .12 Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksachen 18/6120, 18/6124 . . . . . . . . 13688 A Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13688 B Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 13689 C Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13691 D Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13692 C Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13693 C Dr . Gerd Müller, Bundesminister BMZ . . . . . 13695 B Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13696 C Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 13696 D Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . 13698 B Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13699 D Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) . . . . . . . . 13701 B Dr . Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13703 B Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 13705 A Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13706 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13708 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 13709 A (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 139 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 25 . November 2015 13605 139. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 25. November 2015 Beginn: 9 .01 Uhr
  • folderAnlagen
    Sonja Steffen (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 139 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 25 . November 2015 13709 Anlage zum Stenografischen Bericht Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 25 .11 .2015 Beckmeyer, Uwe SPD 25 .11 .2015 Brantner, Dr . Franziska BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25 .11 .2015 Dörner, Katja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25 .11 .2015 Ernst, Klaus DIE LINKE 25 .11 .2015 Ernstberger, Petra SPD 25 .11 .2015 Gundelach, Dr . Herlind CDU/CSU3 25 .11 .2015 Gysi, Dr . Gregor DIE LINKE 25 .11 .2015 Hartmann, Sebastian SPD 25 .11 .2015 Heiderich, Helmut CDU/CSU 25 .11 .2015 Höger, Inge DIE LINKE 25 .11 .2015 Jarzombek, Thomas CDU/CSU 25 .11 .2015 Kekeritz, Uwe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25 .11 .2015 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25 .11 .2015 Lagosky, Uwe CDU/CSU 25 .11 .2015 Launert, Dr . Silke CDU/CSU 25 .11 .2015 Nüßlein, Dr . Georg CDU/CSU 25 .11 .2015 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25 .11 .2015 Schnieder, Patrick CDU/CSU 25 .11 .2015 Spinrath, Norbert SPD 25 .11 .2015 Strässer, Christoph SPD 25 .11 .2015 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25 .11 .2015 Warken, Nina CDU/CSU 25 .11 .2015 Westphal, Bernd SPD 25 .11 .2015 Wicklein, Andrea SPD 25 .11 .2015 Zimmermann, Pia DIE LINKE 25 .11 .2015 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 139. Sitzung Inhaltsverzeichnis EPL 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt EPL 05 Auswärtiges Amt EPL 14 Verteidigung EPL 23 Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Anlage
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813900000

Die Sitzung ist eröffnet . Nehmen Sie bitte Platz .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle

herzlich . Wir setzen unsere Haushaltsberatungen – Ta-
gesordnungspunkt I – fort:

a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016)

Drucksachen 18/5500, 18/5502

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses (8 . Ausschuss) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019
Drucksachen 18/5501, 18/5502, 18/6127

Bevor ich den Einzelplan 04 aufrufe, möchte ich eine
Delegation der Nationalversammlung der Republik
Korea begrüßen, die auf der Ehrentribüne Platz genom-
men hat .


(Beifall)

Ich begrüße Sie herzlich im Namen aller Kolleginnen und
Kollegen des Bundestages, von denen Sie einige bereits
gestern in Gesprächen kennengelernt haben . Wir freuen
uns über Ihren Besuch in Berlin . Sie wissen, dass wir der
Zusammenarbeit mit Ihrem Land, insbesondere der Zu-
sammenarbeit zwischen unseren Parlamenten, besondere
Bedeutung beimessen . Alles Gute für Ihren Aufenthalt in
Deutschland und für die weitere Zusammenarbeit!

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt I .9 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
Drucksachen 18/6124, 18/6125

Berichterstatter sind die Abgeordneten Rüdiger Kruse,
Bernhard Schulte-Drüggelte, Johannes Kahrs, Gesine
Lötzsch, Tobias Lindner und Anja Hajduk .

Über den Einzelplan 04 werden wir nach Abschluss
der Debatte namentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 224 Minuten vorgesehen . Die Stoppuhr
läuft .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813900100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle

stehen unter dem Eindruck der Attentate von Paris . Sie
haben uns alle schockiert . Die Attentäter haben wahllos
getötet, egal ob Christen, Juden, Muslime, Ungläubige,
Franzosen, US-Amerikaner, Deutsche, Künstler, Arbeits-
lose oder Studierende . Wir alle sind verletzbar . Wir alle
verurteilen diese barbarischen Terroranschläge .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Mörder haben kein staatliches Symbol angegrif-
fen, sondern den Alltag . Es wurden junge Menschen ge-
troffen, die in Stadtteilen lebten, die für Weltoffenheit,
Toleranz und Lebensfreude stehen . Unsere Trauer und
unser Mitgefühl gelten den Opfern .

In das Entsetzen über die Anschläge mischt sich aber
auch Hoffnung . Viele Menschen, darunter ganz viele Ju-
gendliche, haben Blumen vor Botschaften niedergelegt
und Kerzen aufgestellt . Ich habe das hier in Berlin gese-
hen; auch in Paris waren das sehr viele . Diese Tausende
jungen Menschen stellen die Hoffnung für Europa dar .
Sie wollen und werden sich ihren Alltag, ihre Freude in
den Fußballstadien und bei Musik und Tanz nicht kaputt-
machen lassen . Das ist die Hoffnung für Europa und die
Welt .


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese jungen Menschen finden wir auch hier, in allen
Fraktionen . Deshalb muss unsere Antwort sein: mehr






(A) (C)



(B) (D)


Offenheit und mehr Demokratie, mehr Leben und mehr
Freiheit .


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Feinde der offenen Gesellschaft kann man nur mit
mehr Offenheit erfolgreich bekämpfen . Wir brauchen
mehr Menschlichkeit, mehr Integration und Teilhabe .

Wir alle spüren, dass wir uns an einem Punkt befinden,
wo es sich entscheidet, wie es in Deutschland, Europa
und der Welt weitergeht . Gestern das Attentat in Tunis,
die Anschläge in Bamako und in Beirut und auf das rus-
sische Flugzeug über dem Sinai – die Tränen, die für alle
Opfer vergossen werden, sind gleich . Mit dem Anschlag
in Paris ist der Terror des sogenannten „Islamischen Staa-
tes“ ein weiteres Mal vor unserer Haustür angekommen .

Es ist menschlich nachvollziehbar, wenn angesichts
der Toten und der schrecklichen Ereignisse Gefühle
von Ohnmacht, Wut, Verzweiflung aufkommen. Und ja,
Überlegungen sind nötig, wie man den für diesen Terror
Verantwortlichen konsequent das Handwerk legen kann .
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Bomben auf Rak-
ka sind keine Strategie . Terror bekämpft man nicht mit
Krieg . Es gibt keine militärische Lösung für den Kampf
gegen den Terror . Die Spirale der Gewalt liefert den Ter-
roristen immer neue Attentäter . Jeder im Bombenhagel
getötete Zivilist bringt gegebenenfalls zehn neue Selbst-
mordattentäter hervor . Deshalb sage ich Ihnen, Frau
Merkel: Wenn Sie heute zu Herrn Hollande fahren, gilt:
Solidarität ja, aber keine Tornados . Das ist nicht der Weg .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Haben Sie eigentlich nichts aus Afghanistan gelernt?
Auch dort wird es keinen militärischen Sieg über die
Taliban und über den Terrorismus geben . Über 50 deut-
sche Bundeswehrsoldaten sind gestorben, viele Milliar-
den wurden dort versenkt, Tausende tote Zivilistinnen
und Zivilisten sind zu beklagen – und jetzt wollen Sie
den Einsatz verlängern und das Kontingent noch einmal
aufstocken? Es ist doch völlig irre, wenn das Auswärtige
Amt auf der einen Seite eine Reisewarnung für Afghanis-
tan herausgibt und die Regierung auf der anderen Seite
zur gleichen Zeit wegen der Sicherheitslage die Anzahl
der Soldaten aufstocken will und überlegt, Teile Afgha-
nistans zu einem sicheren Herkunftsland zu erklären . Das
ist doch absurd . Keiner weiß doch, wohin die Waffen ge-
hen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen doch aus Afghanistan Schlussfolgerungen
für unser heutiges Agieren ziehen .

Im Angesicht des Terrors muss die Politik natürlich
einen kühlen Kopf bewahren, besonnen und entschlos-
sen handeln . Es ist der Kampf mittelalterlicher Barbarei
gegen Menschlichkeit, gegen die Zivilisation, gegen die
Werte der Aufklärung, gegen Freiheit, Gleichheit, Brü-
derlichkeit . Ja, Antworten müssen wir alle geben . Da
kann ein Gedanke von Nietzsche vielleicht hilfreich sein:

Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er
nicht dabei zum Ungeheuer wird .

Vielleich kann Norwegen für uns ein Beispiel sein . Die
Norweger haben nach dem Wahnsinn des Herrn Breivik
mit mehr Offenheit und mehr Liberalität agiert .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich müssen wir die Frage stellen: Warum ist die
Lage so? Die Versuche der NATO-Partner, unliebsame
Regierungen im Irak und in Libyen aus dem Weg zu
räumen, haben zur politischen Destabilisierung in den
betroffenen Ländern beigetragen und einen fruchtbaren
Boden für die Entstehung terroristischer Strukturen ge-
schaffen . Noch vor wenigen Jahren war der „Islamische
Staat“ doch vergleichsweise schwach . Er ist ein direktes
Ergebnis des Irakkriegs der Vereinigten Staaten .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Jetzt ist der IS die mächtigste und reichste Terrororgani-
sation der Welt .

Was ist zu tun? Erstens muss man natürlich auf Dip-
lomatie setzen, nicht bezogen auf den IS . Aber die fünf
ständigen Sicherheitsratsmitglieder dürfen nicht gegen-
einander agieren, sondern müssen trotz aller sonst un-
terschiedlichen Sichtweisen miteinander agieren . Der
Konflikt zwischen dem Iran und Saudi-Arabien muss in
grundsätzlicher Art und Weise angegangen werden . Und
natürlich brauchen wir auch ein Perspektivkonzept: Was
soll mit Syrien werden? Was soll mit Irak werden? Was
soll mit den Kurdinnen und Kurden werden?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . Wir brauchen dringend ein konsequentes
Waffenembargo für die Krisenregion, vor allen Dingen
gegen die Unterstützerländer des IS, gegen Saudi-Arabi-
en, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate . Kei-
ner weiß doch, wohin die Waffen gehe .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es ist doch völliger Irrsinn, wenn an dem Tag, an dem die
Verschärfung des Asylrechts in Deutschland beschlossen
wird, Kampfpanzer Leopard 2 nach Katar exportiert
werden . Das ist doch wirklich Irrsinn . Die Schiffe, die
Sie dort hinschicken, können Sie gleich da lassen, um
Flüchtlinge einzusammeln; denn das wird neue Flücht-
lingsströme produzieren . Das ist Irrsinn .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir können doch nicht zusehen, wenn damit Geld ver-
dient wird . Wenn Vertragsstrafen anfallen, dann fallen sie
eben an . Das muss uns der Frieden wert sein .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Drittens . Der Kampf gegen den Terror kann nur ge-
lingen, wenn die Finanzierungs- und Einnahmequellen
des IS trockengelegt werden . Die Ölquellen und die Öl-
schmuggelwege sind doch eine der Grundlagen des IS .

Dr. Dietmar Bartsch






(A) (C)



(B) (D)


Täglich zieht er 2 Millionen Dollar aus dem Ölhandel .
Das läuft vor allen Dingen über die Türkei . Auch die in-
ternationalen Finanzströme müssen gekappt werden, und
die Konten müssen gesperrt werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein Wort zur Türkei: Die Türkei wird mit Sicherheit
bei der Lösung der Flüchtlingsfrage gebraucht; aber sie
war auch über Jahre ein Transitland des Terrorismus . Er-
dogan agiert in seinem Land undemokratisch . Die Kur-
den kämpfen gegen den IS, und die Türkei bombardiert
die Kurden . Wir müssten den Kurden für ihren Kampf
gegen den IS dankbar sein . Das wäre die richtige Hal-
tung . Da muss Druck auf Herrn Erdogan ausgeübt wer-
den .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Abschuss des Flugzeuges kann die Spannungen in
dieser Region natürlich nur erhöhen .

Zum Thema Flüchtlinge: Die Genfer Flüchtlingskon-
vention von 1951 war eine Antwort der Völker auf die
verheerenden Folgen und das millionenfache menschli-
che Leid im Ergebnis des von Hitler-Deutschland vom
Zaune gebrochenen Zweiten Weltkrieges . Wir Deutschen
haben auch 70 Jahre nach dem Ende des Krieges gegen-
über flüchtenden Menschen eine besondere Verantwor-
tung . Flüchtlinge sind die Botschaft der Kriege und des
Elends dieser Welt . Deswegen kann unsere Botschaft nur
lauten: Wir helfen . – Hören Sie doch alle auf die Bot-
schaften der Kirchen in Deutschland . Die sollten für uns
Maßstab sein .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)


– Ja, Union, da müssen Sie durch . Dass ich Ihnen das
sagen muss, zeigt, wie es um Sie steht .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will einmal aus dem Matthäusevangelium zitieren,
Herr Kauder:

Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen ge-
geben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken
gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt
mich aufgenommen; . . .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ach nee!)


Das ist menschlich . – Im Übrigen heißt das heute über-
setzt: Wir schaffen das .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU])


Ich füge hinzu: weil wir es können .

Zugleich ist es natürlich überfällig, dass die Bundes-
regierung endlich einmal sagt, wie sie es schaffen will .
Die Herausforderungen sind lösbar . Das kostet Anstren-
gungen, Geld und Geduld . Aber Sie mit Ihrem Chaos-

bild werden es nicht schaffen . Dieses Fahren auf Sicht ist
in dieser Situation eben nicht die richtige Strategie . Wir
brauchen zuallererst eine Haltung zu der Flüchtlingsfra-
ge . Diese ist Ihnen offensichtlich abhandengekommen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Verantwortliche in den Ländern und in den Kommu-
nen, viele Hilfsorganisationen, die Bundespolizei, das
THW und Zigtausende ehrenamtliche Helferinnen und
Helfer kümmern sich um die Flüchtlinge, leben eine
überzeugende Willkommenskultur . Das hat im prakti-
schen Leben übrigens überhaupt nichts mit Parteizuge-
hörigkeit zu tun . Mitglieder aller hier im Bundestag ver-
tretenen Parteien engagieren sich dort .

Ich will im Übrigen auch feststellen – das sollte klar
ausgesprochen werden –: Die meisten Flüchtlinge kom-
men in Bayern in Deutschland an . Dort sind die Her-
ausforderungen besonders groß . Von der Bevölkerung
und auch von den Behörden in Bayern wird Großar-
tiges geleistet . Allen, die sich in dieser Weise engagie-
ren, gebührt ausdrücklich der Dank dieses Hauses und
allerhöchste Würdigung . Aber in völlig inakzeptablem
Gegensatz dazu steht das unverantwortliche Agieren von
Politikern der CSU .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Oh!)


Ich zitiere einmal Horst Seehofer – ich könnte den Rest
meiner Redezeit mit CSU-Zitaten füllen –:

Wir werden uns gegen Zuwanderung in deutsche
Sozialsysteme wehren – bis zur letzten Patrone .

Er nimmt auch gerne einmal den NPD-Spruch in den
Mund: „Wir sind nicht das Sozialamt für die ganze Welt .“
Herr Söder hat den wahnsinnigen Satz gesagt: „Seit heu-
te Morgen um 9 Uhr wird geklagt .“ Meine Damen und
Herren, wo leben wir eigentlich, wenn so etwas möglich
ist?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn ich mir anschaue, wie auf dem CSU-Parteitag
mit der Kanzlerin umgegangen worden ist,


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


muss ich sagen: Sie haben da jegliche bürgerliche An-
standsform verletzt .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe mir das mit jungen Leuten angesehen . Die ha-
ben gesagt: Was hat denn der Seehofer eingeworfen? Das
kann doch nicht wahr sein! – Was ist eigentlich die po-
litisch-moralische Geschäftsgrundlage dieser Koalition,
meine Damen und Herren?


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kommt jetzt noch mal das Evangelium, oder was?)


Dr. Dietmar Bartsch






(A) (C)



(B) (D)


Es muss Schluss sein mit den verantwortungslosen Ge-
dankenspielen und den verbalen Entgleisungen von
Seehofer und Söder!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist doch niederträchtig, Flüchtlinge in die Nähe von
Mörderbanden zu stellen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Bartsch, im Evangelium heißt es: Du sollst demütig sein! Sei ein bisschen demütig! Aber so weit gehen die Kenntnisse wohl nicht!)


Die verbalen Entgleisungen befördern Rechtspopulismus
und Rechtsextremismus . Es stimmt einfach: Das Umfra-
gehoch der AfD ist ohne Söder und Seehofer nicht er-
klärbar .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nötig ist entschlossenes Handeln aller politisch Ver-
antwortlichen, aller Demokraten gegen Rechtsextremis-
mus . Aber es ist kein Brandanschlag endaufgeklärt . Es ist
kein Täter zur Verantwortung gezogen worden . Ich will
an den Mordanschlag auf Henriette Reker erinnern . Sie
steht für die vielen, die dem rechten Alltagsterror trotzen
und jeden Tag Mitmenschlichkeit zeigen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es ist nicht hinnehmbar, dass Rechtsextremisten, alte und
neue Nazis, im Internet und auf Demos ausländerfeind-
liche Parolen verbreiten, zu Mord – ob nun mit Galgen
oder Guillotine – aufrufen können und keiner zur Verant-
wortung gezogen wird .

Ja, das Tempo und die Effizienz bei der Bearbeitung
der Flüchtlingsfrage sind unzureichend . Ich will Sie an
Ihren Koalitionsvertrag erinnern . Da steht: drei Monate
Bearbeitungszeit . – Aktuell sind es fünfeinhalb . In ei-
nigen Ländern dauert die Bearbeitung über ein Jahr . In
keinem einzigen europäischen Land dauert das so lange .
Wir haben in unserer Fraktion unlängst mit Kommunal-
politikern, mit Oberbürgermeistern und Landräten aus
West und Ost, geredet . Sie alle haben klar gesagt: Ja, wir
können das hinbekommen . Aber wir brauchen geordnete
Verfahren: bei der Registrierung der Flüchtlinge, bei der
Bearbeitung der Anträge und bei unverzüglichen Maß-
nahmen zur Integration . – Wer hat denn all die Jahre zum
Beispiel die Bundespolizei so heruntergespart? Wer hat
denn den unglaublichen Abbau im öffentlichen Dienst zu
verantworten? Wer hat so lange gezögert, beim BAMF
die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen?


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Das waren immer Sie von der Union! Sie waren immer in
der Regierungsverantwortung!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen ein Flüchtlingsaufnahmegesetz, das
bundesweit einheitliche Standards und Verfahren fest-
legt . Ein Element muss die Übernahme aller Unterbrin-
gungs- und Versorgungskosten durch den Bund für die
Dauer des Asylverfahrens und eine Übergangszeit sein .
Das, was Sie gemacht haben, die Anrechnung von Kos-
ten für Sprach- und Integrationskurse auf das Existenz-
minimum, ist ein verheerendes Signal .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Asylsuchenden muss schneller Zugang zu Sprachkursen
verschafft werden . Die gezielte Eingliederung in Arbeit
wird die Zukunftsaufgabe für eine erfolgreiche Integra-
tion . Ich meine, auch die Attentäter von Paris sind doch
Ergebnis gescheiterter Integration und gescheiterter Poli-
tik; auch das müssen wir aussprechen .

Natürlich kann die Flüchtlingsfrage nur europäisch
beantwortet werden . Europa versagt in der Flüchtlings-
frage . Es mangelt an europäischer Einigung, es mangelt
an europäischer Solidarität . Ich bin im Übrigen der Über-
zeugung: Die Zukunft Europas entscheidet sich daran,
wie Europa die Herausforderungen durch die Flüchtlinge
meistert; das ist die Zukunftsfrage . Europa muss moder-
nisiert und auf eine neue vertragliche Grundlage gestellt
werden . Da sollte Deutschland Führung zeigen, Führung
in Menschlichkeit .

Wenn ich mir anschaue, wie Sie im Haushalt zum
Beispiel mit dem Thema Entwicklungspolitik umgehen,
stelle ich aber fest: Seit Jahrzehnten haben wir das Ziel
0,7 Prozent . Sie machen viel zu wenig . Wir liegen immer
noch bei 0,4 Prozent . Die Steigerung im Verteidigungs-
etat ist größer als die in der Entwicklungspolitik . Was ist
denn das für eine Politik, meine Damen und Herren?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Na ja, so kann man das aber nicht sagen!)


Deutschland befindet sich an einem Punkt, an dem
sich entscheidet, wie es in unserem Land weitergeht,
welche Perspektiven wir haben . Diese Große Koalition
allerdings hat kein Konzept, wie Deutschlands Zukunft
zu gestalten ist. Sie agieren hilflos, planlos und ziellos.
Jeden Tag wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben . Vor
allen Dingen versuchen Sie jetzt – das stört uns beson-
ders –, die Schwächsten gegen die Schwachen auszu-
spielen . Frau Merkel, beenden Sie endlich die unsägliche
Diskussion, ob es neue Ausnahmen beim Mindestlohn
geben sollte!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nein, wir müssen die bisherigen Ausnahmen einschrän-
ken; sonst ist das das Einfallstor für prekäre Beschäfti-
gung . Neben der Tatsache, dass der Mindestlohn wichtig
ist: Es gibt auch 2 Millionen Solo-Selbstständige, von
denen viele in der Land- und Forstwirtschaft und im
Kommunikations- und Informationsgewerbe tätig sind .
Sie brauchen ebenfalls ein auskömmliches Einkommen .

Dr. Dietmar Bartsch






(A) (C)



(B) (D)


Vielleicht ist ein Mindesthonorar der richtige Weg dort-
hin .


(Beifall bei der LINKEN)


Seit Jahren driftet unsere Gesellschaft auseinander .
Die Ungleichheit wächst; den wirtschaftlichen und po-
litischen Eliten ist der Wertekompass abhandengekom-
men . Ich will nur drei Kürzel nennen: DFB, VW, BND .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese Kürzel sind Synonyme für windige Geschäfte,
Manipulation und offenen Betrug . Das alles ist doch gar
nicht denkbar gewesen . Wer hätte denn vor Jahren ge-
glaubt, dass das bei einem Staatskonzern wie VW mög-
lich ist? Zur selben Zeit, als die Kanzlerin sagte, unter
Freunden spioniere man nicht, hat der BND Freunde
ohne Ende ausspioniert . Was beim DFB passiert ist, ist
genauso ein Skandal . Im Übrigen: Herr Winterkorn be-
kommt jetzt von VW 100 000 Euro Rente im Monat . Das
ist doch absurd . Wo sind denn die Werte in diesem Land
hingeraten?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein Land, in dem die Kinderarmut wächst, während
den Reichsten erlaubt wird, ihr Geld in Steueroasen zu
bunkern, wird die aktuellen Herausforderungen nicht be-
wältigen . Diese Regierung erweist sich als unfähig, die
aktuellen Probleme anzupacken und das Land sozial zu
modernisieren . Deutschland ist ein so reiches Land; aber
Sie fahren das Land seit Jahren auf Verschleiß . Ihr mani-
sches Verhältnis zur schwarzen Null ist einer der Gründe,
warum wir die Herausforderungen nur mühsam anpa-
cken . Mit der schwarzen Null machen Sie Schulden bei
den nächsten Generationen . Es ist politisches Versagen,
dass in diesem Land Kinder in Armut leben müssen


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und dass die Zahl der Rentnerinnen und Rentner, die in
Grundsicherung leben, weiterhin steigt . Ist Ihnen eigent-
lich nicht aufgefallen, wie viele alte Menschen hier in
Berlin in Mülltonnen nach leeren Flaschen suchen?

Ich könnte die Liste der Schäbigkeiten unendlich
fortsetzen . Deswegen brauchen wir ein Investitionspro-
gramm für unser Land . Deswegen sollten wir die Mittel
für die Arbeitsmarktpolitik von 3,9 Milliarden Euro auf
5,6 Milliarden Euro aufstocken . Die Integration in den
Arbeitsmarkt ist eine Zukunftsfrage .


(Beifall bei der LINKEN)


Daneben müssen wir ab sofort mindestens 200 000 So-
zialwohnungen jährlich bauen . Das Deutsche Studen-
tenwerk hat dazu aktuell eine entsprechende Forderung
gestellt . Wir sollten die Länder mit 1,5 Milliarden Euro
dabei unterstützen .

Wenn Sie sagen, das alles sei nicht finanzierbar, dann
kann ich nur sagen: Das ist ein irrer Vorwurf . Die Sche-
re zwischen Arm und Reich ist in nahezu keinem Land
Europas so groß wie in unserem Land . Die 500 reichsten

Familien verfügen über ein Vermögen von 615 Milliar-
den Euro .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Nummer kennen wir ja schon! – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: 10 Prozent der Deutschen zahlen 50 Prozent der Steuern!)


Das ist zweimal ein Bundeshaushalt . Für diesen Irrsinn
gibt es vor allen Dingen einen Grund: Wie der Teufel
das Weihwasser fürchtet, sträuben Sie sich dagegen, den
Reichtum dieses Landes gerechter zu verteilen . Mit einer
gerechten Steuerpolitik könnten wir jährlich Milliarden
einnehmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das geht allerdings nicht ohne eine Umverteilung von
oben nach unten .

Wir fordern eine wirkliche Reform der Erbschaft-
steuer . Ihr komisches Reförmchen reicht hier nicht . In
Großbritannien müssen die Superreichen sechsmal so
viel berappen wie in Deutschland . In Kanada und in den
USA ist es das Fünffache . Alle diese Länder sind nicht
verdächtig, den demokratischen Sozialismus einführen
zu wollen . Hier wird deutlich, welche Privilegierung von
sehr Reichen wir uns leisten . Angesichts der gesellschaft-
lichen Handlungsbedarfe lässt sich das überhaupt nicht
rechtfertigen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Von 2015 bis 2024 werden in Deutschland insge-
samt 3,1 Billionen Euro vererbt; aber in dieser Koalition
kommt niemand auf die Idee, dort irgendetwas zur Fi-
nanzierung des Gemeinwohls abzuholen . Ich sage Ihnen:
Niemand von der Linken will Unternehmen gefährden;
das ist überhaupt nicht der Punkt . Es geht um Privatver-
mögen . Auch eine Vermögensabgabe in Form der Milli-
onärssteuer auf Privatvermögen wäre eine richtige Maß-
nahme . Es ist längst an der Zeit, die Milliardäre und die
Millionäre in Deutschland stärker zur Finanzierung der
Aufgaben des Gemeinwohls heranzuziehen .


(Beifall bei der LINKEN)


In aller Klarheit:


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt aber!)


Die teuersten Flüchtlinge in Deutschland sind die Steu-
erflüchtlinge,


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


die Konzerne und die Superreichen, die mit unendlich
vielen Tricks und von Finanzämtern selten kontrolliert
die öffentliche Hand in Deutschland jedes Jahr um bis zu
100 Milliarden Euro prellen . Meine Damen und Herren,
da sollten Sie ran! Da müssen Sie etwas tun . Es ist in
unserem Land genügend Geld da, um die Herausforde-
rungen, vor denen wir stehen, zu bewältigen .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dr. Dietmar Bartsch






(A) (C)



(B) (D)


Sie haben in Ihren Koalitionsvertrag geschrieben:
„Deutschlands Zukunft gestalten“ . In der Realität steht
die Große Koalition immer mehr für ein schwarzes Loch .
Sie gestalten nicht, Sie verwalten nur noch . Sie sind vor
allen Dingen mit sich selbst beschäftigt . Damit es den
Menschen in unserem Land besser geht, braucht es einen
sozialen Aufbruch . Dazu brauchen wir Mut; da bedarf es
einer Haltung . Das sehe ich bei Ihnen leider nicht .

Herzlichen Dank .


(Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813900200

Das Wort erhält nun die Bundeskanzlerin, Frau

Dr . Angela Merkel .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1813900300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Ta-
gen, am 13 . November, mussten Menschen in Paris ei-
nen Albtraum von Gewalt, Terror und Angst durchleiden .
Unzählige Familien trauern um ihre Liebsten . Deutsch-
land teilt mit ihnen den Schmerz .

Wir alle haben sofort verstanden: Dieser unmenschli-
che Angriff meint uns alle, und er trifft uns alle . Es ist ein
Anschlag auf unser aller Freiheit, auf unsere Werte und
Überzeugungen, ein Angriff auf all das, was uns wichtig
ist und wofür Generationen vor uns in Europa gestritten
und gekämpft haben: Demokratie und Menschenrechte,
Gleichberechtigung und eine offene, freundliche und to-
lerante Zivilgesellschaft . Wir stehen solidarisch an der
Seite Frankreichs in der Trauer um die Opfer . Wir stehen
solidarisch an der Seite Frankreichs im Kampf gegen den
Terror .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir gedenken aller Opfer des Terrors . Ich denke an die
Opfer des russischen Flugzeugabsturzes, an die Opfer in
Bamako genauso wie an die Opfer gestern in Tunesien .

Frankreich hat erstmals in der Geschichte die EU-Bei-
standsklausel des Artikels 42 Absatz 7 im Lissabon-Ver-
trag in Anspruch genommen . Alle EU-Staaten haben
Frankreich einhellig Solidarität und vor allem auch
Beistand zugesichert . Ursula von der Leyen als Vertei-
digungsministerin hat bereits letzten Dienstag erstmals
mit ihrem französischen Amtskollegen über die Frage
gesprochen, wie diese Solidarität mit Leben erfüllt wer-
den kann . Wir sind mit unseren Soldatinnen und Soldaten
im Einsatz und helfen bei der Bekämpfung des Terrors:
im Irak den Peschmerga, in Mali, indem wir unser En-
gagement verstärken, und in Afghanistan, indem wir un-
ser Engagement verlängern . Heute Abend werde ich mit
dem französischen Präsidenten François Hollande über
die Fragen sprechen, die uns gemeinsam bewegen . Der
Geist dieses Gesprächs wird davon bestimmt sein, dass

wir gemeinsam mit unseren Freunden handeln werden .
Wenn zusätzliches Engagement notwendig ist, dann wer-
den wir das nicht von vornherein ausschließen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Polizei und Nach-
richtendienste arbeiten in Deutschland mit Hochdruck
an der Aufklärung der grausamen Anschläge und der
Aufdeckung ihrer terroristischen Strukturen . Auch in
Deutschland ist die Bedrohungslage hoch . Wir gehen al-
len Hinweisen nach und müssen natürlich – das haben
wir letzte Woche Dienstag gesehen – immer wieder eine
schwierige Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit
treffen . Ich will hier ausdrücklich – auch im Namen der
ganzen Bundesregierung – sagen: Wir haben Vertrauen
in unsere Sicherheitsbehörden, dass sie mit Augenmaß
handeln . Sie brauchen unsere politische Unterstützung,
und die haben sie auch . Denn anders können Sicherheits-
behörden nicht handeln .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zwei Dinge sind mir sehr wichtig:

Erstens . Wir müssen – da möchte ich mich auch bei
der Mehrheit des Deutschen Bundestags bedanken –
wachsam und wehrhaft sein . Deshalb war es richtig –
das geschah schon vor den Anschlägen –, dass wir eine
personelle und technische Verstärkung unserer Sicher-
heitsbehörden beschlossen haben . Es gibt im Jahr 2016
1 000 neue Planstellen für die Bundespolizei . Insgesamt
sind bis 2018 3 000 zusätzliche Stellen vorgesehen . Bei
der Bundespolizei werden sogenannte robuste Einhei-
ten aufgebaut, die so ausgebildet und ausgestattet sein
werden, dass sie terroristischen Lagen begegnen kön-
nen und damit unsere Möglichkeiten in solchen Fällen
deutlich – über das hinaus, was die Landespolizeien und
die GSG 9 heute schon können – erweitern . Wir stärken
unsere Nachrichtendienste, investieren unter anderem in
die Modernisierung ihrer technischen Ausstattung . Und
wir verstärken das Bundesamt für Verfassungsschutz und
den Bundesnachrichtendienst personell .

Zweitens . Die stärkste Antwort – und das ist ebenso
wichtig – an Terroristen ist, unser Leben und unsere Wer-
te weiter so zu leben wie bisher, selbstbewusst und frei,
mitmenschlich und engagiert .


(Beifall im ganzen Hause)


Wir Europäer werden zeigen: Unser freies Leben ist stär-
ker als jeder Terror .

Ein starkes Zeichen der Einigkeit im Kampf gegen
den Terrorismus ging auch vom G-20-Gipfel in Antalya
unmittelbar nach den Anschlägen von Paris aus . Für mich
besonders wichtig war das hier abgegebene klare Be-
kenntnis der Regierungschefs muslimischer Staaten, die
genauso wie wir dem Terrorismus ganz klar den Kampf
angesagt haben . Deshalb werden wir – so haben wir es in
Antalya beschlossen – trotz ganz unterschiedlicher ge-
sellschaftlicher Strukturen die Zusammenarbeit bei der
Terrorbekämpfung verstärken: bei der Zusammenarbeit
der Nachrichtendienste, bei der Überwachung der Inter-
netkommunikation von terroristischen Netzwerken und –
das ist ganz wichtig – bei der Kappung der Geldflüsse
der Terroristen, soweit dies möglich ist. Diese Geldflüsse

Dr. Dietmar Bartsch






(A) (C)



(B) (D)


müssen Schritt für Schritt trockengelegt werden . Das ist
eine der vornehmsten Aufgaben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns im-
mer wieder bewusst machen: Es ist ebendieser Terror,
es sind ebensolche Krisen, vor denen Menschen in gro-
ßer Zahl nach Europa – und ganz besonders auch nach
Deutschland – fliehen. Sie suchen Schutz und Aufnahme.
Wir haben weltweit die größte Zahl von Flüchtlingen seit
dem Zweiten Weltkrieg . Deshalb ist die Frage, wie wir
mit dieser Sachlage umgehen, natürlich nicht nur eine
nationale oder eine europäische, sondern eine globale,
internationale Frage .

Deutschland hat in den letzten Monaten gezeigt, wie
menschlich, leistungsfähig und flexibel wir auf allen
Ebenen – vom Bund über die Länder bis hin zu den Kom-
munen, von der Polizei über das BAMF bis hin zu den
Jugendämtern – sind . Verantwortliche sowie Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter wachsen täglich über sich hinaus .
Sie machen unzählige Überstunden, Nacht- und Sonder-
schichten . Und es gibt durchgearbeitete Wochenenden .
Es geht dabei nicht nur um die vielen Stunden, sondern
auch um das Engagement, die Bereitschaft und das Herz,
das sie investieren . Deshalb möchte ich mich bei ihnen
allen ganz herzlich bedanken .


(Beifall im ganzen Hause)


Das gilt in gleicher Weise für die unzähligen ehrenamt-
lichen und freiwilligen Helferinnen und Helfer . Ich weiß
nicht, ob es schon jemals ein derartig großes, schnell auf-
gebautes und gut organisiertes Netz an privaten Helfern
in Deutschland gegeben hat . Auch ihnen sage ich ein ge-
nauso herzliches Dankeschön .


(Beifall im ganzen Hause)


Sie haben einen klaren Anspruch darauf, zu wissen,
nach welcher Agenda, nach welchem Plan die Bundesre-
gierung an der Bekämpfung der Fluchtursachen, an den
europäischen und den nationalen Maßnahmen arbeitet .

Beginnen müssen wir bei der Bekämpfung der
Fluchtursachen . Es herrscht in vielen Regionen Krieg
und Terror . Staaten zerfallen . Viele Jahre haben wir es
gelesen . Wir haben es gehört . Wir haben es im Fernsehen
gesehen . Aber wir haben damals noch nicht ausreichend
verstanden, dass das, was in Aleppo und Mossul passiert,
für Essen oder Stuttgart relevant sein kann . Damit müs-
sen wir umgehen, und das wird Veränderungen in unserer
Politik mit sich bringen, zugunsten der Außenpolitik und
zugunsten der Entwicklungspolitik, weil wir uns immer
fragen müssen: Was bedeutet welche Maßnahme für uns
hier zu Hause?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich glaube, es ist klar, dass wir dazu einen langen
Atem und Geduld brauchen . Wir brauchen vor allen Din-
gen auch Partner .

Ich will mit dem Syrien-Konflikt beginnen. Es ist voll-
kommen klar, dass die eigentliche, wirkliche Lösung nur
in einer politischen Lösung liegen kann . Natürlich hat
sich gestern durch den Abschuss eines russischen Flug-
zeuges durch die Türkei die Lage noch einmal verschärft,
und wir müssen jetzt alles dafür tun, eine Eskalation zu
vermeiden . Natürlich hat jedes Land das Recht, sein Ter-
ritorium zu sichern . Aber auf der anderen Seite wissen
wir, wie angespannt die Situation im Augenblick ist, in
Syrien und seiner Umgebung . Ich habe gestern mit dem
türkischen Ministerpräsidenten gesprochen und darum
gebeten, alles zu tun, um die Situation zu deeskalieren .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte unserem Außenminister Frank-Walter
Steinmeier danken . Ich glaube, es war bei der Einbrin-
gung des Haushalts, als Ihre Reisen in den Iran und nach
Saudi-Arabien bevorstanden . Ich glaube, wir haben alle
gar nicht zu hoffen gewagt, dass es so schnell geht, dass
jetzt Akteure an einem Tisch sitzen, die wichtig und ab-
dingbar sind für die Lösung des Syrien-Konflikts: Russ-
land, die USA, die Europäer, die arabischen Staaten, der
Iran und die Türkei .

Es gibt durchaus hoffnungsvolle Entwicklungen, die
jetzt hoffentlich nicht zu weit zurückgeworfen werden
durch das, was gestern passiert ist . Es gibt Ideen für einen
politischen Übergangsprozess . Ich weiß, wie schwierig
es ist, vor allen Dingen die Akteure in Syrien an einen
Tisch zu bekommen . Aber es gibt keinen anderen Weg,
der uns einer dauerhaften Lösung näherbringt . Deshalb
wünsche ich weiterhin allen Teilnehmern dieser Ver-
handlungen allen Erfolg; wir werden sie mit aller Kraft
unterstützen .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nur so wird es möglich sein, sich auch darauf zu
konzentrieren, was nach meiner Auffassung im Augen-
blick nicht anders als militärisch zu lösen ist . Das ist der
Kampf gegen den IS . Es muss ein gemeinsamer Kampf
der Weltgemeinschaft sein, um deutlich zu machen: Wir
erteilen dem Terrorismus und der Brutalität solcher Or-
ganisationen eine klare Absage .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit der Bekämpfung der Fluchtursachen hat sich auch
der EU-Afrika-Gipfel, der Sondergipfel, am 12 . Novem-
ber in Valletta befasst . Wir haben einen Aktionsplan mit
den afrikanischen Staaten verabschiedet, bei dem es auf
der einen Seite um bessere wirtschaftliche Perspektiven
afrikanischer Länder und auch um bessere Möglichkei-
ten legaler Migration geht . Wir zum Beispiel werden im
Bereich der Zurverfügungstellung von Ausbildungsplät-
zen, Stipendienplätzen und anderen mehr tun .

Auf der anderen Seite hat es aber auch deutliche Dis-
kussionen darüber gegeben, dass die Zivilgesellschaften
in Afrika durch ihre politischen Führungen mehr Trans-

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


parenz und mehr Klarheit bekommen müssen . In Zeiten
des Smartphones kann man nicht mehr so regieren, wie
das früher geschehen ist . Das gilt auch für Afrika, meine
Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Denn eines ist klar: Je mehr in Herkunftsländern dafür
Sorge getragen werden kann, dass Menschen sich nicht
auf den gefährlichen Weg aus ihrer Heimat machen, umso
besser wird es gelingen, Fluchtursachen zu bekämpfen,
sodass Flüchtlinge gar nicht mehr den Weg antreten .

Wir haben zusätzlich zu unserer Entwicklungshilfe,
die wir leisten – das sind etwa 20 Milliarden Euro sei-
tens der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten
der Europäischen Union –, einen Treuhandfonds von
1,8 Milliarden Euro aufgelegt, um genau diese Aufgaben
zu erfüllen .

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung wird seinen gesamten Etat-
aufwuchs von über 850 Millionen Euro auf die akute
Fluchtursachenbekämpfung konzentrieren . Die gesam-
te Entwicklungszusammenarbeit mit einem Etat von
7,4 Milliarden Euro im Haushaltsentwurf 2016 arbei-
tet genau am Erhalt von Lebensgrundlagen und an der
Schaffung von Zukunftsperspektiven .

Die Bekämpfung von Fluchtursachen war auch The-
ma auf dem G-20-Gipfel in Antalya . Hier ist vor allen
Dingen noch einmal über das humanitäre Engagement
gesprochen worden . Noch haben wir es nicht geschafft,
dass der UNHCR und das Welternährungsprogramm im
Jahr 2016 auf einen Haushalt blicken können, der aus-
reicht, um die notwendigen Aufgaben zu erfüllen . Wir
alle haben wieder die Warnrufe des UNHCR in diesen
Tagen erlebt . Ich will deutlich machen: Die Bundesregie-
rung hat ihre Pflicht getan. Wir haben unsere Ansätze ge-
steigert . Wir werden weiterhin bereit sein, das Notwendi-
ge zu tun . Europa hat sich bewegt . Aber wir werden nicht
nachlassen, hier die ganze Welt in die Verantwortung zu
nehmen . Es ist wirklich nicht nur eine europäische Ange-
legenheit, sondern die ganze Welt ist hier verantwortlich .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb werde ich am 4 . Februar 2016 gemeinsam mit
David Cameron, der norwegischen Premierministerin
Erna Solberg und dem Emir von Kuwait eine Konferenz
in London durchführen, wo es genau um die humanitäre
Unterstützung geht, damit wir am Ende des Jahres 2016
nicht wieder so dastehen wie am Ende des Jahres 2015 .

Wenn wir über internationale Anstrengungen zur Be-
wältigung der Flüchtlingskrise sprechen, ist die Türkei
ein Schlüsselpartner für die Europäische Union . Die Tür-
kei ist unser Nachbar . Sie liegt an der anderen Seite unse-
rer Außengrenze . Schauen wir uns einmal die Nachbarn
der Türkei an . Das sind der Iran, der Irak und Syrien . Das
sind Länder, die wir entweder dringend benötigen für die
Lösung des Konflikts in Syrien oder in denen der IS be-
reits Teile des Landes beherrscht . Aus diesem Grund hat
die Türkei mit mehr als 2 Millionen Flüchtlingen aus Sy-

rien und Irak eine große Aufgabe zu bewältigen . Ich will
an dieser Stelle allerdings Jordanien und den Libanon
nicht vergessen . Was diese Länder leisten, ist bemerkens-
wert und sollte uns ab und zu nachdenklich stimmen .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich glaube aber, gerade am Beispiel der Türkei wird klar,
dass es in unserem ureigenen Interesse liegt, dass die Tür-
kei die Bewältigung der Aufgabe, die Flüchtlinge zu be-
herbergen, meistern kann . Wenn wir wieder zu geordne-
ten und rechtlichen Verhältnissen an den Außengrenzen
der Europäischen Union kommen wollen, dann bedarf es
einer Kooperation mit der Türkei . Donald Tusk hat zu
einem EU-Türkei-Gipfel am Sonntag eingeladen . Wir
arbeiten an einer gemeinsamen Agenda, die aufbaut auf
dem Gedanken guter nachbarschaftlicher Beziehungen .
Da spielt natürlich die Öffnung von Kapiteln im Zusam-
menhang mit dem Beitrittsprozess eine Rolle . Da spielt
auch das Thema Visaliberalisierung eine Rolle . Für uns
spielt es eine Rolle, dass wir ein Rückführungsabkom-
men wollen, das nicht nur zum Ziel hat, dass türkische
Bürger in die Türkei zurückgenommen werden, sondern
uns auch in die Lage versetzt, Bürger von Drittstaaten in
die Türkei zurückzuschicken . Aber wir haben hier eine
gemeinsame Verantwortung .

Ich möchte daran erinnern: Gestern hat der NATO-Rat
getagt angesichts des Abschusses des russischen Flug-
zeuges . Die Türkei und Griechenland sind NATO-Mit-
gliedstaaten . Aber im Verhältnis zwischen diesen beiden
Partnern innerhalb der NATO herrscht im Augenblick Il-
legalität auf der Ägäis . Es kann uns alle nicht kaltlassen,
dass die falschen Leute aus dem Elend und dem Leid der
Flüchtlinge noch ein Geschäft machen . Deshalb müssen
wir Illegalität durch Legalität ersetzen . Das liegt in unse-
rem Interesse und im Interesse der Türkei .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das heißt wirksamer Schutz in Kooperation mit der Tür-
kei an der Außengrenze, Bekämpfung der Schleuserkri-
minalität und Verbesserung der Perspektiven der Flücht-
linge in der Türkei, was ihre Lebenssituation angeht . Das
erfordert von uns Unterstützung auf materielle Art und
Weise, auch durch Geld . Die Türkei hat bereits 7 Milliar-
den bis 8 Milliarden Euro ausgegeben . Sie hat 700 Mil-
lionen Euro als internationale Unterstützung bekommen .
Die Türkei hat gesagt: Ihr als unsere Nachbarn müsst uns
bei der Bewältigung dieser Aufgabe auch helfen . – Ich
finde das ist richtig. Deshalb wird das Teil der EU-Tür-
kei-Migrationsagenda sein .

Zweitens – auch das gehört dazu – wird es darum ge-
hen, wie wir auch durch legale Kontingente einen Beitrag
dazu leisten können, dass die Türkei entlastet wird . Des-
halb sind solche europaweit zu vereinbarende Kontin-
gente ein Weg, aus Illegalität Legalität zu machen, aber
auch die Prozesse besser zu ordnen und zu steuern und
in Kombination mit der Bekämpfung der Fluchtursachen

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


dann auch die Zahl der bei uns ankommenden Flüchtlin-
ge zu reduzieren . Auch das ist unser Ziel .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Aufgabe, wie ich sie jetzt dargestellt habe, erfor-
dert natürlich Kraft, sie erfordert auch ein Stück Geduld,
und sie erfordert Nachdruck . Das ist aber nach meiner
festen Auffassung der Weg, den wir beschreiten müssen,
um die Probleme zu lösen; denn die simple Abschottung
wird nicht unser Problem lösen .

Dazu brauchen wir die Europäische Union als Gan-
zes . Die Erscheinung Europas ist im Augenblick verbes-
serungsmöglich, sage ich einmal .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Wir wissen, dass man in Europa oft einen langen Atem
braucht, wir wissen, dass man oft dicke Bretter bohren
muss, aber wir alle spüren: Wir stehen hier schon an ei-
ner entscheidenden Stelle . Wir haben die internationale
Finanzkrise bewältigt,


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


wir haben die Euro-Krise in großen Teilen gelöst . Wir
sind noch nicht ganz am Ende; die Lehren haben wir
noch nicht daraus gezogen .

Jetzt ist sozusagen der zweite Pfeiler der europäischen
Integration in einer sehr schwierigen Situation . Es geht
um die Frage, wie wir mit den innereuropäischen Frei-
heiten umgehen . Dafür steht der Schengen-Raum, dafür
steht, dass wir vor Jahren im Vertrauen aufeinander die
eigentlichen Grenzkontrollen an die Außengrenzen der
Europäischen Union abgegeben haben . Ähnlich wie bei
der Wirtschafts- und Währungsunion ist man auch bei
diesem Schritt, der Schaffung des Schengen-Raums, im
Grunde nicht ganz bis zum Ende dessen gegangen, was
man hätte politisch lösen müssen .

Bei der Wirtschafts- und Währungsunion hat man
zwar den Stabilitäts- und Wachstumspakt gemacht, aber
wir haben uns nicht ausreichend darüber verständigt, in
welche Richtung sich unsere Volkswirtschaften wirklich
entwickeln wollen und welche Befugnisse die Europäi-
sche Kommission hat, wenn das in die falsche Richtung
läuft .

Bei der Schaffung des Schengen-Raums und der Ver-
lagerung der Kontrollen auf die Außengrenzen hat man
den letzten Schritt, nämlich sich darüber Gedanken zu
machen, wie denn bei einem Bewährungsdruck, einem
großen Druck auf die Außengrenzen, die Solidarität in-
nerhalb der Europäischen Union aussieht, wie denn die
Mandate aussehen, wie denn die Verteilung aussieht,
nicht getan . Darüber hat man sich nicht geeinigt .

Genauso wie wir für die nachhaltige Erhaltung des
Euros die letzten Schritte gehen müssen, müssen wir jetzt
auch hier die nächsten Schritte gehen, weil sich erwie-
sen hat, dass das derzeitige System allein nicht ausreicht .
Deshalb ist eine solidarische Verteilung von Flüchtlingen
je nach Wirtschaftskraft und Gegebenheiten, wobei die

Bereitschaft zu einem permanenten Verteilungsmecha-
nismus gegeben sein muss, nicht irgendeine Petitesse,
sondern sie berührt die Frage, ob der Schengen-Raum
auf Dauer aufrechterhalten werden kann .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun frage ich aber auch: Was ist unsere, die deutsche
Rolle? Ist die deutsche Rolle die, als Erster zu sagen:
„Das geht nicht“? Oder ist die deutsche Rolle, als größ-
te Volkswirtschaft in der Mitte Europas zu sagen: „Wir
probieren es immer wieder und wieder“? Wir erleben die
Flüchtlingsbewegung in dieser Dramatik noch nicht ein-
mal ein halbes Jahr . Wenn wir eines Tages gefragt wer-
den: „Habt ihr einen EU-Türkei-Gipfel versucht, habt ihr
versucht, eure Außengrenzen zu schützen, habt ihr ver-
sucht, in Libyen eine Interimsregierung aufzubauen, habt
ihr versucht, Hotspots aufzubauen“, und wir antworten:
„Ein halbes Jahr hatten wir nicht die Kraft, ein halbes
Jahr lang war uns zu lang, wir haben das nicht gemacht“,
dann würde ich sagen, dass wir einen Riesenfehler ge-
macht haben . Das ist das, was nicht geht .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Immerhin haben wir kleine Erfolge, auf denen wir
aufbauen können . 160 000 Flüchtlinge, schutzbedürfti-
ge Flüchtlinge, sollen aus den Hotspots verteilt werden .
Der Aufbau der Hotspots gestaltet sich schwierig, aber es
wäre nicht richtig, zu sagen, es geschehe gar nichts .

Wir werden von deutscher Seite, von österreichischer
Seite, von schwedischer Seite hier auch noch einmal
Druck machen . Wir sind im ständigen Gespräch mit
der griechischen Regierung . Dafür will ich werben . Ich
glaube, wir brauchen die Hotspots; ich bin überzeugt,
wir brauchen sie . Sie sind inbegriffen in den Schutz der
Außengrenzen .

Aber wer sagt: „Ihr baut jetzt für 50 000 oder viel-
leicht noch mehr Menschen Unterkünfte; ihr müsst nicht
nur registrieren, sondern ihr müsst von dort aus auch die
Rückführung vornehmen, wenn die Bleibewahrschein-
lichkeit klein ist, und ihr müsst die Verteilung durch-
führen“ – obwohl Griechenland nicht genau weiß, mit
welcher Begeisterung die anderen europäischen Mit-
gliedstaaten Griechenland die Flüchtlinge abnehmen –,
muss bedenken: Nur wenn die innereuropäische Solida-
rität wirklich sicher ist, wird man mit Engagement und
Leidenschaft solche Hotspots in seinem eigenen Land
aufbauen . So hängen die Dinge eben sehr eng zusammen,
und trotzdem gibt es aus meiner Sicht dazu keine ver-
nünftige Alternative . Deshalb werden wir mit Hochdruck
daran arbeiten .

Natürlich haben wir nationale Aufgaben . Auch da
muss man im Übrigen feststellen, dass wir vieles in
ziemlich kurzer Zeit zustande gebracht haben . Was lei-
tet uns dabei? Dabei leitet uns der Grundsatz, dass die,
die bei uns Schutz bekommen müssen – nach der Genfer
Flüchtlingskonvention, die allerwenigsten ja nach dem
Asylrecht, oder nach dem subsidiären Schutz –, von uns
eine Bleibeperspektive bekommen, und zwar je schnel-

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


ler, umso besser, um dann auch die notwendigen Integra-
tionsschritte einleiten zu können .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Aber die Bürgerinnen und Bürger sagen mit Recht
auch: Wenn wir ein Rechtsstaat sind, wenn wir ein groß-
zügiges Asylrecht haben, wenn wir die Genfer Flücht-
lingskonvention einhalten wollen, wenn wir subsidiären
Schutz geben, wenn wir auch noch viele Duldungen
ermöglichen, dann erwarten wir aber auch, dass dieje-
nigen, die in einem ebenso rechtsstaatlichen Verfahren
als Bewerber auf einen Schutzstatus abgelehnt wurden,
das Land wieder verlassen müssen, damit die, die Schutz
brauchen, diesen Schutz von uns bekommen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Darum drehen sich viele unserer Maßnahmen . Denn
die Menschen werden sagen: Okay, wenn schon be-
stimmte rechtliche Vorschriften an der Außengrenze
nicht eingehalten werden können, dann erwarten wir
doch wenigstens, dass in Deutschland das, was zur Ord-
nung und Steuerung getan werden kann, getan wird .

Deshalb war der Schritt richtig, dafür zu sorgen, dass
Herr Weise das Bundesamt für Migration und Flüchtlin-
ge zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit leitet .
Das ist nicht nur deshalb richtig, weil die Bearbeitungs-
prozesse jetzt beschleunigt werden können, da die Bun-
desagentur für Arbeit aus der Zeit von 5 Millionen Ar-
beitslosen über große Fähigkeiten und auch Erfahrungen
verfügt, wie man mit einer großen Zahl von Menschen
solche Prozesse vernünftig organisiert, sondern auch,
weil wir damit sicherstellen, dass der Weg für die, die ei-
nen Schutzstatus haben, in die Integration in den Arbeits-
markt sehr gut funktionieren kann, weil wir hier keine
Doppelarbeit mehr machen . Ich bin sowohl Thomas de
Maizière als auch Andrea Nahles sehr dankbar, dass sie
ohne die üblichen Fragen „Was ist meins, was ist deins,
und was könnte mir verloren gehen?“ diesem Schritt zu-
gestimmt haben . Das war ein Beispiel für tolle, schnelle
und wirklich effiziente Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Alle unsere Maßnahmen, die wir jetzt ergriffen haben
und die wir noch umsetzen werden, haben im Grunde das
Ziel, eine schnellere Abarbeitung der Asylanträge zu er-
möglichen . Sie haben das Ziel, Kommunen, Bund und
Ländern eine Verantwortungsgemeinschaft zu geben, so
wie wir es jetzt mit der Übernahme von Kosten bei der
Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes gemacht
haben . Damit ist der Bund in einer völlig neuen Verant-
wortung, wie er sie im Zusammenhang mit Asylbewer-
bern nie hatte . Wir haben materielle Anreize verringert,
die dazu beitragen könnten, dass Flüchtlinge hierbleiben
und versuchen, immer wieder Gründe dafür zu finden,
dass sie nicht ausreisen müssen . Wir haben deutliche Er-
folge bei der Rückführung der Flüchtlinge des westlichen
Balkans . Wir haben jetzt die ersten Rückführungen auf
der Grundlage des Laissez-Passer-Verfahrens vorgenom-
men . Das heißt, auch wenn Pässe nicht da sind, kann eine
Rückführung erfolgen . Die Balkanstaaten haben ihre

Bereitschaft zur Aufnahme erklärt . Wir haben als Bund
die Verantwortung übernommen und haben gesagt: Bei
den Rückführungen der abgelehnten Asylbewerber wird
der Bund die Passangelegenheiten regeln, weil es für die
Länder zum Teil natürlich schwer ist, jeweils Pässe von
Ländern wie Burkina Faso oder Bangladesch zu besor-
gen . All das sind notwendige Maßnahmen, genauso wie
die Beschleunigung der Asylverfahren notwendig sind .

Ich denke, nachdem Bundestag und Bundesrat das
Asylpaket I in einem ziemlich guten Tempo beschlos-
sen haben, werden wir uns in den nächsten Tagen auch
auf das Asylpaket II, dem wir noch einige Maßnahmen
hinzufügen werden, einigen können; denn auch hiermit
werden wichtige Dinge geregelt .

Wir müssen schon über diese Fragen sprechen . Es
ist ein Unterschied, ob man 30 000 Asylbewerber hat
oder 800 000 . Es muss geklärt werden: Wer braucht den
Schutz, und wer muss unser Land wieder verlassen?

Meine Damen und Herren, deshalb ist noch etwas
ganz wichtig: Es wäre ein geradezu tolles Beispiel fö-
deraler Zusammenarbeit, wenn es gelingen würde, ei-
nen einheitlichen Flüchtlingsausweis zu haben, den der
Flüchtling immer wieder vorzeigen kann – beim Antrag
in der Kommune, bei Landesangelegenheiten und bei
Fragen des BAMF, bei den Gerichten und bei der Bun-
desagentur für Arbeit –, sodass nicht doppelt, dreifach,
vierfach und fünffach Registrierungen erfolgen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das wäre vernünftig . Dass wir erst eine Flüchtlingskrise
brauchen, um so etwas zu schaffen, gehört auch zu den
Besonderheiten Deutschlands . Da sieht man: In Krisen
können auch Chancen liegen . Das, glaube ich, wird uns
auch später noch bewusst werden .

Natürlich ist da noch das Thema der Integration . Wenn
in Syrien einmal Frieden wäre, dann würden viele de-
rer, die heute einen Aufenthaltsstatus nach der Genfer
Flüchtlingskonvention haben, auch wieder zurück in ihre
Heimat gehen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, richtig!)


Ich plädiere auch dafür, dass wir ihnen nicht einreden,
dass sie das nicht tun sollten;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


denn die Idee, dass man auf der Welt nur in Deutschland
gut leben kann, wird von den 7 Milliarden Weltenbürgern
nicht geteilt . Das geht von ganz einfachen Fragen des
Klimas bis hin zu Ausbildung, Verwandtschaft, Bekannt-
schaft und Freunden – niemand verlässt leichtfertig sein
Land . Wenn die Bedingungen, in dieses Land zurück-
zukehren, wieder gegeben sind, dann haben wir und die
Flüchtlinge einen Riesenerfolg gemeinsam erreicht . Des-
halb gilt der Aufenthaltsstatus nach der Genfer Flücht-
lingskonvention auch erst einmal nur für drei Jahre . Aber
wir wissen nicht, wie die Zukunft ist, und deshalb plä-
diere ich dringend dafür, schnell mit der Integration zu

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


beginnen; denn alles, was man hier lernt, kann man in
jedem Leben nutzen – sowohl bei uns als auch in Syrien .


(Beifall im ganzen Hause)


Ich sage ganz ausdrücklich: Wir machen Angebote zur
Integration . Gemessen an dem, was sonst auf der Welt
bezüglich der Integration von Flüchtlingen passiert, kön-
nen wir, würde ich mal sagen, stolz auf das sein, was wir
anbieten: Integrationskurse, Sprachkurse, Einarbeitung
in die Arbeitswelt, Praktika und vieles andere mehr . Ich
bedanke mich auch bei der deutschen Wirtschaft, dass sie
ihre Bereitschaft, sich diesem Thema zu öffnen, von An-
fang an ganz offen gezeigt hat .

Aber wir müssen auch sagen: Wir erwarten von den
Menschen, die zu uns kommen, die bei uns Schutz be-
kommen, dass sie – das steht im Übrigen schon in der
Genfer Flüchtlingskonvention – unsere Werteordnung,
unsere gesetzliche Ordnung akzeptieren und dass sie
auch ihren aktiven Beitrag dazu leisten, sich im Land zu
integrieren . Die Sprache hat dabei einen zentralen Wert .
Diese Erwartung müssen und dürfen wir auch klar aus-
sprechen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass wir die Flüchtlingsaufgabe stemmen können,
hängt auch damit zusammen, dass wir in den letzten Jah-
ren gut gewirtschaftet haben . Dass es trotz einer solchen
Aufgabe, trotz völlig neuer Aufgaben des Bundes mög-
lich ist, jetzt hier im November einen Haushalt für 2016
zu beschließen, der weiterhin ein ausgeglichener Haus-
halt ist, das spricht für unsere wirtschaftliche Stärke,
und das spricht dafür, dass man gut wirtschaften soll, um
nicht voraussehbare oder nicht vorhergesehene Aufgaben
meistern zu können .

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat gestern
gesagt: Wir werden im nächsten Jahr natürlich ein Stück
auf Sicht fahren . – Aber das Ziel eines ausgeglichenen
Haushalts, im Übrigen keine Eintagsfliege, sondern jetzt
zum dritten Mal hintereinander geschafft, ist etwas, was
wir nicht aufgeben sollten . Das sage ich ganz klar .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn es sachliche Gründe gibt, darf man sich nie ein-
mauern, aber man darf jetzt auch nicht so tun, als ob die
Flüchtlingsaufgabe ein guter Grund ist, von allen Grund-
sätzen von früher abzuweichen . Das wird sicherlich noch
manche Diskussion erfordern .

Wir haben eine Rekordbeschäftigung von 43,4 Milli-
onen . Wir haben einen Rekord bei den sozialversiche-
rungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Wir ha-
ben ihn – das sage ich auch mit Blick auf meine eigenen
Befürchtungen; daraus mache ich gar keinen Hehl – trotz
des Mindestlohns, und das ist eine gute Bilanz . Dass wir
die geringste Zahl von jugendlichen Arbeitslosen haben,
ist auch gut .

Trotzdem dürfen wir auch angesichts der Tatsache der
Flüchtlinge die 2,79 Millionen Arbeitslosen in Deutsch-
land nicht vergessen, und das kann uns nicht ruhen las-

sen . Gerade den vielen, die unter 30 oder auch unter 35
sind, können wir nicht sagen: Passt mal auf, die einzige
Möglichkeit, die wir für euch noch im Blick haben, sind
viele Jahre Hartz IV . – Deshalb unterstütze ich alle Be-
mühungen, auch das nicht aus dem Blick zu nehmen und
immer wieder zu schauen, wie wir Menschen helfen kön-
nen, in den Arbeitsprozess zu kommen, die schon lange
bei uns leben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir müssen jetzt natürlich auch aufpassen – das ha-
ben wir oft besprochen –, dass wir nicht Konkurrenzen
zwischen denen bekommen, die den Weg in den Arbeits-
markt bei uns über Jahre nicht gefunden haben, und de-
nen, die Flüchtlinge sind . Das ist auch ein Beitrag zum
gesellschaftlichen Frieden . Deshalb müssen die Anstren-
gungen bei denen, die schon viele Jahre bei uns sind, im
Grunde genauso verstärkt werden, wie die Anstrengun-
gen bei der Integration der Flüchtlinge .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Angesichts der großen Aufgaben, die wir haben und
die uns täglich beschäftigen, geraten Dinge, die sonst
geradezu revolutionär gewesen wären, etwas in den Hin-
tergrund . Ich will an dieser Stelle nur an all die Maßnah-
men erinnern, die wir im Zusammenhang mit der Pflege-
versicherung unternommen haben: die beiden Gesetze,
den neuen Pflegebegriff – ein jahrelanges Projekt –, die
Frage der Verbesserung der Palliativmedizin – nach der
neulich sehr beeindruckenden Diskussion natürlich auch
im Zusammenhang mit Sterbehilfe – und natürlich auch
die Maßnahmen, die wir im Bereich des Krankenhauses
unternommen haben; also alles Dinge, die unsere soziale
Absicherung noch einmal zukunftsfester machen und die
auf die Aufgaben aufgrund des demografischen Wandels
eingehen .

Erinnern will ich auch an die Beschlüsse – darüber
haben wir neulich gerade mit Herrn Gabriel im Kabinett
gesprochen –, die wir zur Energie- und Klimawende ge-
fasst haben . Über all diese Energiebeschlüsse hätten wir
sicherlich kontrovers diskutiert . Aber sie wären sozusa-
gen ein ganz anderes Thema gewesen, weil wir hier in
der Tat die Wende zu einer neuen Energiepolitik, aber
auch die Annäherung an marktwirtschaftliche Mechanis-
men im Zusammenhang mit den erneuerbaren Energien
sehr stetig, sehr beständig vollziehen . Wir werden ja im
nächsten Jahr noch einmal einen schönen Kraftakt haben,
wenn es um die nächste Reform des Erneuerbare-Energi-
en-Gesetzes und um die Ausschreibung der zukünftigen
Volumina geht . Das wird sicherlich noch eine harte Auf-
gabe werden .

Wir haben eine anspruchsvolle digitale Agenda, bei
der wir vorangekommen sind . Wir haben – allen Augu-
renrufen zum Trotz – die Frequenzen versteigert . Das
war gar nicht so einfach, und es war nicht absehbar, ob
das so schnell gelingt . Wir haben damit Fördermittel für
den Ausbau der Breitbandanbindung . Wenn man vor ein,
anderthalb Jahren noch gefragt hat: „Wird Alexander

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


Dobrindt es schaffen, dass wir unser Ziel, 50 MBit pro
Sekunde bis 2018, wirklich erreichen?“, so redet man
heute darüber, dass wir mehr brauchen .


(Unruhe beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Okay . Aber keiner fragt mehr, ob wir das schaffen, und
das ist doch auch einmal eine gute Botschaft .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben unser Wort gehalten bei den Ausgaben für
Forschung und Entwicklung . Wir liegen mit 14,5 Milli-
arden Euro in 2015 in der Spitzengruppe der Europäi-
schen Union . Jeder spürt ja, dass die Entwicklung eines
verlässlichen Deutschlands in der gesamten Forschungs-
landschaft viele Forscher aus dem Ausland wieder zu uns
gebracht hat, sowohl im außeruniversitären Bereich als
auch im universitären Bereich .

An der Stelle will ich dann doch noch sagen – Eckhardt
Rehberg hat es bei der gestrigen Debatte über den Fi-
nanzhaushalt sehr ausführlich gemacht –: Unser Beitrag
dort, wo es notwendig ist und wo unsere Bundesziele be-
troffen sind, dass zum Beispiel universitäre Forschung
nicht absackt gegenüber außeruniversitärer Forschung,
indem wir dann das BAföG übernommen haben, unsere
Beiträge zur Unterstützung von Kommunen und Ländern
sind so groß wie bei keiner Bundesregierung zuvor .

Da ich weiß, dass es ja immer weitere Forderungen
geben wird, will ich sagen: Wir können erst einmal stolz
sein auf das, was wir machen, und sollten uns da wirklich
den Schneid nicht abkaufen lassen . Es ist unglaublich,
was da ging .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie-
der eine Rückkehr zu einem globalen Thema . Am Mon-
tag beginnt in Paris die Klimakonferenz . Die Frage, wie
wir mit dem Klimawandel umgehen, wie wir ihn bewäl-
tigen, inwieweit wir eine Hoffnung haben auf die Einhal-
tung des Ziels, dass die Erderwärmung nicht größer als
2 Grad ist, wird für zukünftige Generationen viel zum
Umgang mit der Frage von Flucht und Fluchtursachen
beitragen .

Wir haben eine Konferenz in Paris, die gut vorberei-
tet ist, besser als die in Kopenhagen . Ich möchte Frau
Hendricks und ihrem Team danken . Wenn ich mit dem
französischen Präsidenten spreche, wird immer wieder
auch gesagt, wie gut wir hier deutsch-französische Zu-
sammenarbeit ganz praktisch zeigen . Ich möchte auch
dem Entwicklungsminister für seine Beiträge im Zusam-
menhang mit dem Klimaschutz danken . So wird jetzt
auf dieser Pariser Konferenz 14 Tage lang sehr intensiv
darüber gesprochen, ob es einen Pfad gibt, den wir dort
einschlagen können und der uns glaubwürdig hin zur Er-
reichung des 2-Grad-Zieles führt .

Wir haben Abstriche machen müssen, wenn man das
Kioto-Protokoll als durchgehend völkerrechtlich ver-
bindlichen Plan mit verbindlichen Reduktionszielen
sieht . Im Gegenzug haben wir aber doch bemerkenswerte
Verpflichtungen von etwa 130 Ländern – ich kenne die
im Moment aktuelle Zahl nicht –, die jetzt ihren Bei-

trag zum Klimaschutz der Öffentlichkeit präsentieren .
Der bemerkenswerteste dabei ist vielleicht der chinesi-
sche: Das erste Schwellenland macht hier deutlich, dass
es bereit ist, seine CO2-Emissionen zu reduzieren . Das
zielt auf das Jahr 2030; das ist noch lange hin . Aber im-
merhin – ich denke nur einmal an die Diskussionen vor
zehn Jahren, als es noch einen unglaublichen Gegensatz
zwischen Industrie- und Schwellenländern gab –, sehen
wir da Fortschritte . Jetzt müssen wir es schaffen, völker-
rechtlich verbindlich einen Überprüfungsmechanismus
zu verabreden, damit glaubwürdig vermittelt werden
kann, dass dieses Jahrhundert ein Jahrhundert der schritt-
weisen Dekarbonisierung ist .


(Beifall der Abg . Dr . Daniela De Ridder [SPD])


Deutschland wird sich hier intensiv einbringen . Ich
hoffe auf einen Erfolg dieser Klimakonferenz . Sie könnte
auch ein wunderbares Signal gegen Terror, gegen Krieg
und zur Bekämpfung der Fluchtursachen sein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, selten haben wir so hautnah erlebt, wie unser
eigenes deutsches Handeln und Tun in eine globale Welt
eingebettet ist . Dieses Jahr hat uns in umfänglicher Weise
bewusst gemacht: Wir leben in einer gemeinsamen Welt .
Wir können, wenn jeder seinen Beitrag leistet, in Zu-
sammenarbeit die Probleme bewältigen . – Ich bin davon
überzeugt, oder andersherum: Wir schaffen das . Aber es
wird vieler Anstrengungen bedürfen und auch eines ho-
hen Maßes an neuem Denken .

Herzlichen Dank .


(Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813900400


So, liebe Kolleginnen und Kollegen, weiterer Beifall
geht auf Kosten der Debattenzeit .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Vom Toni!)


Deswegen erteile ich jetzt dem Kollegen Anton Hofreiter
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813900500


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bun-
deskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind
tief erschüttert von den Pariser Terroranschlägen . Wir
sind fassungslos über die Brutalität und die Grausamkeit,
mit der so viele Menschen ermordet wurden . Ich schlie-
ße mich meinen Vorrednern an, und auch ich sage für
meine Fraktion: Wir stehen zu den Menschen in Paris .
Wir stehen auch zu den Menschen in Beirut und Bamako .
Wir stehen zu den Menschen in Tunis . Und wir gedenken
auch der Opfer der abgeschossenen russischen Zivilma-

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


schine . All jene, die in den letzten Tagen durch Terroris-
ten ermordet wurden, sind unschuldige Menschen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Wieder einmal müssen wir uns fragen: „Wie antwor-
ten wir auf den Terror?“ – eine Frage, die wir uns in den
letzten Jahren zu oft stellen mussten: nach dem 11 . Sep-
tember, nach den Anschlägen von Madrid und London .
Diese Serie ließe sich fortsetzen .

Was wir in diesen Tagen in Brüssel sehen, ist bedrü-
ckend . Wenn es den Terroristen gelingt, die westlichen
Metropolen dauerhaft in Angst und Schrecken zu verset-
zen, in Misstrauen und gegenseitigen Hass, dann haben
sie eines ihrer zentralen Ziele erreicht und haben fast
gewonnen . Der Ausnahmezustand von Paris und Brüs-
sel darf daher nicht zum Normalfall werden . Wir dürfen
uns von den Terroristen nicht einschüchtern lassen! Wir
dürfen uns unsere Freiheit und unser Leben nicht weg-
nehmen lassen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Auch wenn es sicher schwerfällt: Wir müssen beson-
nen, durchdacht und mit kühlem Kopf handeln, statt hys-
terisch und reflexhaft.

Leider ein trauriges Musterbeispiel für eine dumme
und falsche Reaktion hat wieder einmal die CSU ge-
liefert . Herrn Söder fällt keine 24 Stunden nach dem
Terroranschlag ein, man solle jetzt sofort die Grenzen
schließen für die Menschen, die vor genau dieser Art von
Terror fliehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CSU, so etwas ist beschämend, und Sie sollten sich ganz
schnell einmal überlegen, wie Sie diesem Herrn Anstand
beibringen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben sie viel zu tun!)


Viele haben in den Tagen nach dem Anschlag in Paris
von Krieg gesprochen . Es ist sicher verständlich, wenn
man auf diesen Begriff kommt . Aber wir sollten uns fra-
gen, ob die Rhetorik des Krieges angemessen und klug
ist . Wer bei Terror von Krieg redet, gerät in eine Logik,
die mehr vernebelt als klärt . Die Kriegslogik führt zu fal-
schen Fronten . ISIS führt sicher Krieg, aber dieser Krieg
findet in Syrien und im Irak statt. Die Hauptleidtragen-
den des islamistischen Terrors sind die Menschen in
diesen Ländern . Zehntausende von ihnen sind ihm zum
Opfer gefallen . Auch ihnen sind wir Solidarität und Hilfe
schuldig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg . Thomas Oppermann [SPD])


Der Kriegslogik folgt der sogenannte War on Terror
seit 14 Jahren . Klar: ISIS muss auch militärisch bekämpft
werden . Aber: Was ist denn die Bilanz des sogenannten

War on Terror seit 14 Jahren? Wenn ich auf die Bilanz
dieser 14 Jahre Terrorbekämpfung schaue, dann ist diese
Bilanz wirklich ernüchternd . Die Lage ist in den vergan-
genen 14 Jahren doch nicht besser geworden . Al-Qaida
ist in Teilen geschwächt, aber dafür sind andere terroristi-
sche Organisationen wie IS und Boko Haram deutlich ge-
stärkt . Tausende junger Menschen sind aus Europa nach
Syrien und in den Irak gegangen, um dort als Terroristen
zu kämpfen und zu morden . Es herrscht in mehr Ländern
Krieg und Bürgerkrieg . Wir haben doch die Begrenztheit
militärischer Mittel in Afghanistan erlebt . Wir haben ihre
ungewollten und katastrophalen Konsequenzen im Irak
gesehen . Wir sehen, wenn man an den Drohnenkrieg
denkt, die destabilisierende Wirkung des Drohnenkrie-
ges in Pakistan . Deshalb: Besonnenheit, kühler Kopf und
kluge Analyse sind das Gebot der Stunde und nicht, die
alten Fehler seit 14 Jahren zu wiederholen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es braucht eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung des
IS . Es ist richtig, dass gegen IS militärisch gekämpft wer-
den muss . Aber es ist auch klar, dass er am Ende nur po-
litisch besiegt werden kann . Der Abschuss des russischen
Kampfflugzeuges durch türkische Kampfflugzeuge hat
diesen Bemühungen einen schweren Rückschlag zuge-
fügt . Aber wir müssen uns bemühen und dafür sorgen und
alles daransetzen, dass es bei den Gesprächen in Wien zu
einer internationalen Zusammenarbeit im Kampf gegen
den IS kommt: zwischen den regionalen und den inter-
nationalen Kräften, zwischen Iran und der Türkei, zwi-
schen den USA und Russland . Wir müssen auch dafür
sorgen, dass es gelingt, dass ein Waffenstillstand erzielt
wird zwischen den Überresten des Baath-Regimes, den
Überresten der gemäßigten Rebellen und der syrischen
Kurden, damit eine Chance besteht, dass dieser Kampf
auch erfolgreich ist . Den Terror und ISIS zu bekämpfen,
ist die eine Sache; aber sie erfolgreich zu bekämpfen, ist
die andere Sache . Dafür braucht es eine politische Eini-
gung .

Dafür braucht es auch eine Lösung für das Problem
Assad . Eines sollten wir auch nie vergessen: Assad ist die
Quelle der Ursache . Ein Großteil der in Syrien ermorde-
ten Menschen ist von Assad ermordet worden . Deshalb
müssen wir uns überlegen: Wie kann es gelingen, Assad
da herauszunehmen, eine Regierung der nationalen Ein-
heit in Syrien zu schaffen und dann, nach der politischen
Einigung, einen gemeinsamen, von der UN getragenen
Kampf gegen ISIS zu organisieren, damit man nicht nur
militärisch agiert, sondern auch erfolgreich?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Besonnenheit und kluge Analyse bedeuten natürlich
nicht Untätigkeit . „Krieg“ ist für das, was wir in Europa
haben, in meinen Augen der falscheste Begriff . Es geht
darum, den Terror zu bekämpfen . Wir müssen natürlich
für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger sor-
gen . Aber auch hier heißt das, nach klarer Analyse vorzu-
gehen . Nach dem 11 . September wurde schon einmal im
Namen des Krieges die Freiheit unverhältnismäßig ein-
geschränkt . Mit welchem Ergebnis? Überall in Europa
entfalteten die Geheimdienste ein Eigenleben . Wir konn-

Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


ten erleben, wie Geheimdienste aus Europa die US-ame-
rikanischen Geheimdienste bei Entführungen, bei Folter
unterstützt haben . Guantánamo und Abu Ghuraib sind
die symbolhaften Namen für diese Fehlentwicklung .
Aber es gab nicht nur schwere Menschenrechtsverletzun-
gen, sondern es war auch noch massiv kontraproduktiv .
Die Bilder von Abu Ghuraib haben mehr Terroristen pro-
duziert als viele andere Maßnahmen . Deshalb dürfen wir
diese Fehler nicht wiederholen, erstens wegen der Men-
schenrechte und zweitens wegen der kontraproduktiven
Wirkung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beim Kampf gegen den Terror brauchen wir echte
Politik, brauchen wir Maßnahmen, die wirken, und nicht
reine Symbolpolitik . Wir brauchen deshalb eine gut aus-
gestattete Polizei, die ausreichend Personal und Mittel
hat. Wir brauchen nicht wieder den reflexhaften Ruf nach
einem Einsatz der Bundeswehr im Innern .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundeswehr kann vieles gut, aber sie ist nicht dafür
ausgebildet, Terror im Innern zu bekämpfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen na-
türlich eine Überwachung der Terrorverdächtigen . Wir
brauchen eine bessere Zusammenarbeit der Polizei über
die Grenzen hinweg . Aber die totale Überwachung durch
die Geheimdienste kann doch nicht die Antwort sein .
Ich kann nicht erkennen, dass das irgendein Beitrag zur
Terrorbekämpfung ist, wenn der BND den französischen
Außenminister oder die europäischen Botschaften über-
wacht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wenn wir unserem Inlandsgeheimdienst gestatten, alle
hier im Saal, alle Bürger zu überwachen, dann bekom-
men wir sicherlich einen gigantischen Datenwust, mit
dem am Ende nicht mehr viel anzufangen ist; aber es ist
ganz sicher kein Beitrag zur Bekämpfung des Terrors .
Man muss fokussieren und die Polizei so ausstatten, dass
sie in der Lage ist, die Terrorverdächtigen zu überwa-
chen – nicht uns alle hier im Saal oder alle Bürger in
diesem Land .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Das macht doch niemand, es sei denn, Sie wollen einen Terroranschlag machen!)


Was wir im Kampf gegen den Terror allerdings vor
allem brauchen, ist die Prävention . Wie kann es sein,
dass junge Menschen, die hier bei uns aufgewachsen
sind, sich solchen menschenverachtenden Ideologien an-
schließen und in den Dschihad ziehen? Darauf gibt es si-
cherlich keine einfache und keine schnelle Antwort . Inte-
grationsarbeit, Bildungsarbeit, Jugendarbeit, Sozialarbeit
bilden den wichtigsten Teil der Prävention von Terror .

Wir müssen unseren jungen Menschen Chancen bieten .
Natürlich müssen wir auch den radikalen Hasspredigern
das Handwerk legen . Da haben wir auch in Deutschland
einen massiven Nachholbedarf . Selbst der BKA-Präsi-
dent sagt uns: Die wichtigste Maßnahme im Kampf ge-
gen den Terror ist, dafür zu sorgen, dass sich junge Men-
schen deradikalisieren bzw . erst gar nicht radikalisieren;
denn wenn die Zahl der Gefährder so hoch bleibt, dann
können wir gar nicht genug Polizisten einstellen, um sie
alle zu überwachen . Deshalb ist gute Sozialpolitik harte,
echte und wichtige Sicherheitspolitik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen kei-
ne Scheinpolitik und keine Symbolpolitik, sondern Po-
litik mit Weitsicht . Eine Politik, die vorsagt, die über
den Tag hinaus denkt – das wäre heute notwendig . Aber
wenn ich mir anschaue, was Sie machen, wie Sie mit
der fundamentalen Klimakrise, den großen Flucht- und
Migrationsbewegungen, der großen Investitionslücke,
die wir schließen müssen, damit unsere Gesellschaft eine
Zukunft hat, und mit der Zunahme rechtspopulistischer
Umtriebe umgehen, dann stelle ich mir die Frage: Was
macht eigentlich diese Regierung?

Wir wissen doch: Wenn eine Regierung handlungsun-
fähig und zerstritten wirkt, dann erhalten rechtsextreme
und rechtspopulistische Organisationen Zulauf .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt!)


Ich nehme an, Sie wissen das auch, Herr Kauder


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das habe ich schon mehrfach gesagt!)


und Herr Oppermann, Herr de Maizière und Herr
Altmaier, Herr Gabriel und Frau Merkel . Aber was für
ein Schauspiel bietet uns die Große Koalition?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein großes!)


Da ignoriert der Innenminister de Maizière, was die
Bundeskanzlerin und der Kanzleramtsminister Altmaier
vorgeben, und arbeitet auf eigene Rechnung . Da redet
der CSU-Vorsitzende von Notwehr gegenüber der eige-
nen Bundesregierung . Da vergleicht ein Finanzminister
schutzsuchende Menschen mit Naturkatastrophen und
denunziert die Kanzlerin als die Auslöserin des Ganzen .
Da taumelt ein Vizekanzler auf der Suche nach Schlag-
zeilen zwischen Pegida-Besuch und „Pack“-Beschimp-
fung, zwischen Menschenrechten und Abschottung, bis
den SPD-Beobachtern nur noch das Grausen kommt . Da
stellt sich ein Ministerpräsident von der CSU hin und
maßregelt die Bundeskanzlerin auf offener Bühne, als
wenn sie ein Schulmädchen wäre, und dann hat er noch
nicht einmal die Größe, sich bei ihr zu entschuldigen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wissen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, nun
könnte man sich als Opposition darüber freuen, dass man
es mit so einer zerstrittenen, so einer armseligen und so

Dr. Anton Hofreiter






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(B) (D)


einer handlungsunfähigen Regierung zu tun hat . Aber da-
für sind die Probleme wirklich zu ernst .


(Johannes Kahrs [SPD]: Na, die Opposition ist auch nicht gerade toll!)


Die Probleme sind wirklich zu groß, als dass wir uns eine
zerstrittene Regierung leisten können . Deshalb: Reißen
Sie sich endlich zusammen! Machen Sie Schluss mit die-
sem Theater!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Unser Land hat wirklich große Aufgaben vor sich . Wir
müssen die vielen Schutzsuchenden bei uns integrieren,
und wir müssen unverzüglich damit anfangen . Ja, Frau
Merkel, wir schaffen das . Aber es muss auch geklärt
werden, wie wir das schaffen, und dazu braucht es nicht
nur Anregungen der Opposition, sondern dazu braucht es
auch Beschlüsse der Bundesregierung . Deshalb kann ich
nur sagen: Stimmen Sie unseren Anträgen zum Haushalt
zu . Wie wäre es denn mit 600 Millionen Euro mehr für
Integrationskurse, wie wir sie beantragen und gegenfi-
nanzieren?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie wäre es denn mit 350 Millionen Euro mehr für die
Jobcenter, wie wir sie beantragen und gegenfinanzieren?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Oder wie wäre es mit einem 2-Milliarden-Paket für den
sozialen Wohnungsbau – der sowieso dringend notwen-
dig ist –, wie wir es beantragen und gegenfinanzieren?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben doch selbst gesagt: Die Randbedingungen
sind gut, die Zinsen sind so niedrig wie nie, und unsere
Steuereinnahmen sind entsprechend gut . – Ja, darüber
kann man sich freuen, aber man muss auch etwas daraus
machen . Man darf keinen Haushalt vorlegen, der keinen
Mut hat, kein Herz und keinen Plan . Machen Sie endlich
was, und reden Sie nicht bloß!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das war jetzt aber sehr allgemein!)


Frau Merkel, ich gebe gerne zu: Ich freue mich wirk-
lich – und wir werden oft dafür getadelt, dass wir Frau
Merkel zu sehr loben –, dass Sie dem Sperrfeuer aus Ih-
ren eigenen Reihen bisher standgehalten haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber wenn Sie es zulassen, dass die jüngsten Planungen
für ein neues Asylgesetz umgesetzt werden – geplant
sind Schnellverfahren, die quasi jeden Flüchtling treffen
können, eine Aussetzung des Familiennachzugs, Ab-
schiebung auch schwerkranker Flüchtlinge –, dann, Frau
Merkel, zeigt Deutschland leider kein freundliches Ge-
sicht mehr, sondern dann zeigt es eine hässliche Fratze .

Überlegen Sie sich das also noch einmal gut, und verhin-
dern Sie das .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Überlegen wir uns doch einmal, was das Aussetzen
des Familiennachzugs perspektivisch bedeutet:


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das geht gar nicht!)


Das Aussetzen des Familiennachzugs bedeutet perspekti-
visch, dass sich Frauen und Kinder auf den gefährlichen
Weg machen, vielleicht über das Mittelmeer, und ein Teil
von ihnen unter Umständen ertrinkt . Wollen wir das ver-
antworten? Ich will das nicht verantworten . Ich glaube,
das kann man auch nicht verantworten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
Sie behaupten doch immer, dass Ihnen die Familie wich-
tig ist . Das kann doch nicht nur für deutsche Familien
gelten . Artikel 6 Grundgesetz gilt für alle Familien . Ge-
ben Sie sich einen Ruck, seien Sie anständig, und sorgen
Sie dafür, dass Frauen und Kinder nicht auf den lebens-
gefährlichen Weg über das Mittelmeer gezwungen wer-
den . Das kann nicht deutsche Politik sein . Das darf nicht
deutsche Politik sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Während die Regierung gelähmt zu sein scheint, der
Kanzleramtsminister und Flüchtlingskoordinator auf der
einen Seite und der Innenminister auf der anderen Sei-
te gegeneinander arbeiten, schuften draußen im Lande
Unmengen Menschen . Ich muss sagen: Ich bin den Eh-
renamtlichen wirklich sehr dankbar für all das, was sie
leisten,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir auch!)


und ich bin auch den Hauptamtlichen sehr dankbar für
all das, was sie leisten; denn sie beweisen jeden Tag all
denen, die das Kippen der Stimmung herbeireden wol-
len, die herbeireden wollen, dass wir das nicht schaffen:
Doch, wir schaffen das; wir können das, und wir packen
das .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es ist häufig von der Bekämpfung von Fluchtursachen
die Rede. Es fliehen Menschen aus vielen Ländern. Wir
haben Probleme mit dem islamistischen Terror in vielen
Ländern und Bürgerkriege in vielen Ländern . Schauen
wir uns Mali an, wo die Bundeswehr bereits im Einsatz
ist . Man muss klar sagen: Die Bundeswehr gibt sich sehr
viel Mühe . Wir unterstützen diese Einsätze . Ich danke
den Soldaten dafür, dass sie diese schwierige und zum
Teil auch sehr gefährliche Aufgabe wahrnehmen . Es gibt
auch eine ganze Reihe ziviler und ehrenamtlicher Hel-
fer, die diesem Land auf die Beine helfen wollen . Ich
war vor kurzem in Mali und habe mir das angeschaut . In
Mali läuft vieles richtig . Was in Mali aber nicht in Gang

Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


kommt, ist die einheimische Wirtschaft . Eines der Haupt-
produkte von Mali ist Baumwolle . Des Weiteren werden
dort andere landwirtschaftliche Produkte produziert .

Jetzt ist es so, dass die Baumwolle und die landwirt-
schaftlichen Produkte Malis nicht konkurrenzfähig sind .
Warum sind sie nicht konkurrenzfähig? Dafür, dass die
Baumwolle Malis nicht konkurrenzfähig ist, sind nicht
wir verantwortlich . Dafür ist nicht Europa verantwort-
lich, sondern dafür sind die USA verantwortlich . Die
USA haben in den vergangenen 20 Jahren 30 Milliarden
US-Dollar an ihre Baumwollfarmer bezahlt . Dass die
anderen landwirtschaftlichen Produkte Malis nicht kon-
kurrenzfähig sind, das liegt an uns, an Europa . Wir zah-
len 50 Milliarden Euro Subventionen, und mit unseren
subventionierten Lebensmitteln, wovon ein erheblicher
Anteil exportiert wird, machen wir die Wirtschaft in Län-
dern wie Mali kaputt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Da ist leider was dran!)


Wenn wir in vielleicht 10 oder 15 Jahren hier stehen
und darüber sprechen, warum der Einsatz in Mali schief-
gegangen ist – das kann hoffentlich verhindert werden –,
warum es nicht gelungen ist, dieses Land zu stabilisieren
und zu wirtschaftlichem Wohlstand zu führen, obwohl
wir doch einen Bundeswehreinsatz hatten, obwohl wir
diesen Bundeswehreinsatz ausgeweitet haben, obwohl
wir viel Entwicklungshilfe gezahlt haben, obwohl wir
uns doch alle Mühe gegeben haben, dann könnte man
bei folgender Ursache landen: Weil man sich nicht an die
Subventionen für die industrielle Landwirtschaft bei uns
und in den USA herangetraut hat . – Das ist schlichtweg
ein Problem . Man muss die Probleme halt an den Ursa-
chen anpacken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg . Max Straubinger [CDU/CSU])


Wenn es in einem Land keine ökonomische Entwicklung
gibt, dann kann das daran liegen, dass wir die ökonomi-
sche Entwicklung in diesem Land mit subventionierten
Produkten kaputtmachen . Da können Sie von der CSU
lachen und schreien; das macht es nicht besser . Es soll-
te doch in unserem Interesse sein, dass es diesem Land
besser geht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Schauen Sie sich doch einfach einmal die Tatsachen an .

Dass Sie dieses Problem nicht angehen, ist aus Ihrer
Sicht ja zu verstehen: Da muss man sich mit Lobbyisten
anlegen, und es wird kurzfristig ökonomische Auseinan-
dersetzungen geben .


(Zuruf des Abg . Max Straubinger [CDU/ CSU])


Das mag alles lästig und schwierig sein; aber man muss
doch dafür sorgen, dass die Probleme an der Wurzel an-
gepackt werden . Wir sollten nicht nur dafür sorgen, dass
es einen ordentlichen Bundeswehreinsatz in Mali gibt,
sondern auch dafür, dass die einheimische Wirtschaft

von Mali die Chance hat, zu funktionieren . Deswegen
sollten wir aufhören, diese einheimische Wirtschaft mit
subventionierten Produkten aus Europa, aus Deutschland
und aus den USA kaputtzumachen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nieder mit den deutschen Bauern!)


Ein weiteres Beispiel . Schauen wir uns den Umgang
mit Saudi-Arabien an . Navid Kermani hat uns darauf
hingewiesen, dass das Lehrmaterial, das in Saudi-Arabi-
en verwendet wird, und das Lehrmaterial, das bei ISIS
verwendet wird – die haben sogar Schulen –, zu 95 Pro-
zent identisch sind . In Saudi-Arabien wurden dieses Jahr
schon mehr Menschen geköpft als im Territorium des
sogenannten „Islamischen Staats“, den man, glaube ich,
besser Da‘isch nennen sollte .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Saudi-Arabien ist das Zentrum des Wahhabismus, ei-
ner islamistischen Ideologie, die von der Ideologie der
Terroristen kaum zu unterscheiden ist . Aus Saudi-Arabi-
en wird nach allem, was man erkennen kann, ISIS finan-
ziert . In Saudi-Arabien haben Frauen fast keine Rechte .
In Saudi-Arabien ist das Ausüben anderer Religionen bei
schwerster Strafe verboten . Menschenrechtler wie Bada-
wi werden ausgepeitscht und zu barbarischen Strafen
verurteilt . Saudi-Arabien exportiert diese fundamentalis-
tische Ideologie in viele Länder . Saudi-Arabien führt im
Jemen einen barbarischen Krieg mit vielen zivilen Toten .

Wenn man sich das anschaut – das ist einfach nur eine
nüchterne Aufzählung –, dann müsste man doch denken:
Das ist ein Land, auf das die Bundesregierung, auf das
der demokratische Westen massiv Druck ausüben sollte,
sein Verhalten zu ändern . – Aber was ist der Fall? Die
Bundesregierung behandelt Saudi-Arabien als engsten
Verbündeten, liefert dorthin Waffen und kauft dort billi-
ges Öl . Wenn wir diese Politik nicht verändern, die nach
diesem ganz alten und schlechten Muster „He may be a
bastard, but he is our bastard“ funktioniert, dann werden
wir nie in der Lage sein, die Probleme wirklich anzupa-
cken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Als allerletzten Punkt schaue ich mir an, wie Sie Kli-
mapolitik machen . Ja, Sie sprechen davon, dass wir das
2-Grad-Ziel einhalten müssen . Ja, wir wissen, dass wir
das 2-Grad-Ziel einhalten müssen, dass wir es dringend
einhalten müssen, weil sonst unsere eigenen Lebens-
grundlagen zerstört werden . Das sagt uns die gesamte
Wissenschaft . Sie sagen es ja selbst, Frau Merkel . Wenn
ich mir die Politik in der Bundesrepublik Deutschland
anschaue, muss ich sagen: Es passiert viel zu wenig im
Kampf gegen den Klimawandel in Deutschland . Wir ge-
ben jetzt 1,6 Milliarden Euro als Subventionen für die
Braunkohle . Im Bereich des Verkehrs und der Mobilität
passiert überhaupt nichts; das wundert einen vielleicht
nicht bei diesem Minister . Im Bereich der Wärmedäm-
mung kommen wir nicht voran .

Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


Sie werden Ihre Ziele, die Sie sich in Ihrer ersten Ko-
alition selbst gesetzt haben, ganz massiv verfehlen . Das
alles geschieht in der Bundesrepublik Deutschland, der
viertgrößten Industrienation . Es hilft doch nichts, wenn
Sie auf den großen Konferenzen immer nur nett lächeln,
sich feiern lassen, sich als Klimakanzlerin darstellen, und
dann, wenn Sie nach Hause kommen, von Dekarbonisie-
rung und Klimaschutz nichts mehr wissen wollen . Kli-
maschutz ist konkret . Klimaschutz fängt in den einzel-
nen Ländern an . Handeln Sie endlich! Sorgen Sie dafür,
dass wir zu einer anderen Mobilität kommen, dass wir zu
einer anderen Energieversorgung kommen und dass es
endlich mit der Wärmedämmung vorangeht .

Vielen Dank .


(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813900600

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Thomas

Oppermann das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1813900700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Terror-

angriffe der letzten Tage und Wochen, gestern in Tunesi-
en, davor in Mali, in Frankreich, auf der Sinai-Halbinsel,
haben die Menschen weltweit verunsichert und ein gro-
ßes Mitgefühl ausgelöst . Insbesondere die Terroranschlä-
ge in Paris vor zehn Tagen haben die französische Ge-
sellschaft schwer getroffen . Deshalb möchte ich gleich
am Anfang meiner Rede der Bundeskanzlerin, aber auch
dem Vizekanzler meinen Dank aussprechen . Sie haben
sofort unmissverständlich klargemacht: Wir stehen an
der Seite von Frankreich . Wir haben eine tief empfunde-
ne Freundschaft und Solidarität mit Frankreich . Präsident
Hollande hat uns um unseren Beistand gebeten . Es ist
völlig klar, dass wir unseren Beitrag dazu leisten werden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, es war eine besonnene Entscheidung des
französischen Präsidenten, sich nicht auf den Bündnisfall
nach Artikel 5 des NATO-Vertrages zu berufen, sondern
auf die Beistandsklausel nach dem EU-Vertrag; denn das
Bündnis gegen den IS muss breiter angelegt werden als
die NATO . Dieser Kampf kann nur erfolgreich sein, wenn
auch Russland, wenn auch Regionalmächte wie Iran und
Saudi-Arabien eingebunden werden, es also eine breite
Allianz der internationalen Staatengemeinschaft gibt .

Diese Allianz droht jetzt durch den Abschuss eines
Kampfflugzeuges an der syrisch-türkischen Grenze ge-
fährdet zu werden . Frank-Walter Steinmeier hat nach dem
Terroranschlag von Paris an den Wiener Verhandlungen
teilgenommen und gesagt: Nach diesem Terroranschlag
ist die Welt ein bisschen näher zusammengerückt . – Die
Allianz gegen den IS-Terror schien in greifbarer Nähe zu
sein . Jetzt darf die Welt aber nicht wieder auseinander-
rücken .

Auch wenn es für uns alle schwer verständlich ist,
wie es in einer solch angespannten Lage dazu kommen
konnte, dass trotz wiederholter Grenzverletzungen ein
Flugzeug abgeschossen wird, muss doch klar sein: Der
Stellvertreterkrieg auf syrischem Boden kann doch nur
beendet werden, wenn es jetzt nicht zu einer Auswei-
tung des Konfliktes kommt, indem sich die Stellvertreter
selbst gegenseitig attackieren .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb muss alles für eine Deeskalation dieses Konflik-
tes getan werden . Das ist eine Chance, die auf keinen Fall
vertan werden darf .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Art der Terroranschläge – mit Selbstmordat-
tentätern – gibt es schon lange . Aber das ist für uns in
Europa eine neue Erfahrung . Den Terroristen der RAF
ging es darum, die Repräsentanten des Staates zu treffen .
Als al-Qaida das Attentat gegen das World Trade Center
durchführte, ging es auch darum, ein Symbol des interna-
tionalen Finanzkapitalismus zu treffen . Als der Terroran-
schlag gegen Charlie Hebdo durchgeführt wurde, ging es
auch darum, die Pressefreiheit und die Meinungsfreiheit
zu treffen . Aber bei den Anschlägen vom 13 . November
dieses Jahres ging es nicht mehr um Symbole oder Ins-
titutionen . Es ging darum, die Menschen direkt in ihrem
Alltag zu treffen: in Cafés und Restaurants, beim Fuß-
ballspiel oder bei Konzertveranstaltungen . Das war ein
direkter Angriff auf unsere Gesellschaft .

Ich kann verstehen, wenn jetzt auch Menschen bei uns
Angst haben und unsicher sind . Aber das darf nicht dazu
führen, dass wir jetzt kopflos agieren; denn genau das
wollen die Terroristen . Sie wollen Angst verbreiten . Das
dürfen und werden wir nicht zulassen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bilder, die uns vom vergangenen Wochenende
aus Paris erreicht haben, machen auch Mut . Die Berliner
Schaubühne hatte in den letzten Tagen ein Gastspiel in
Paris . Die Befürchtung, dass viele Theaterkarten zu-
rückgegeben werden, traf nicht ein . Im Gegenteil: Die
Anrufer wollen nicht stornieren, sondern mit ihrem Be-
such ganz bewusst ein Zeichen des Widerstandes gegen
den Terror setzen . Unser stärkstes Argument gegen den
Terror ist es, keine Angst zu haben, hat Barack Obama
gesagt . Das ist richtig . Wir müssen entschlossen handeln .
Aber vor allem müssen wir besonnen bleiben .

Deshalb möchte ich Ihnen, Herr de Maizière, aus-
drücklich für das danken, was Sie letzte Woche bei der
BKA-Tagung gesagt haben – ich zitiere sinngemäß –:
Welches Extrem in der Sicherheitspolitik gerade über-
wiegt, hängt von der gefühlten Bedrohungslage ab, oft
auch von dem Bedürfnis nach Stimmungsmache . Ich
warne allerdings davor, von einem Extrem in das ande-
re zu fallen . Egal aus welcher Richtung der Wind weht:
Wir müssen Kurs halten, mit Maß und Mitte . – Herr de
Maizière, ich kann mich Ihren Worten nur anschließen .

Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


Wir werden unsere freiheitliche Gesellschaft entschlos-
sen, aber mit Maß und Mitte verteidigen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg . Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


„Besonnen handeln“ heißt für mich: Wir dürfen die
Debatte über die innere Sicherheit nicht auf dem Rücken
der Flüchtlinge austragen . Natürlich kann niemand aus-
schließen, dass sich auch ein Terrorist oder Kriminelle
unter die Flüchtlinge mischen . Es gab ja auch den Ver-
dacht . Offenkundig hat es sich aber um eine gelegte Spur
gehandelt .

All das rechtfertigt in keinem Fall einen Generalver-
dacht gegen Flüchtlinge . Wir dürfen die Opfer, die vor
dem Terror zu uns fliehen, nicht zu Tätern machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein Ziel der Terroristen ist es auch, die moderaten und
gemäßigten Muslime in Misskredit zu bringen . Deshalb
ist es richtig, dass Navid Kermani sagt: Dagegen müs-
sen sich auch die Muslime zur Wehr setzen . – Er hat sie
aufgefordert, dagegen aufzubegehren, dass Terroristen
im Namen ihrer Religion handeln, und das tun auch die
meisten gemäßigten Muslime in diesem Lande .

Im Übrigen müssen wir der Tatsache ins Auge schau-
en: Der islamistische Terror ist in vielen Bereichen ein
hausgemachtes, ein europäisches Problem . Die Drahtzie-
her der Anschläge von Paris sind in Europa geboren und
aufgewachsen . 750 Deutsche sind nach Syrien gereist,
um für den IS zu kämpfen . Nicht 750 Syrer sind nach
Deutschland gereist, um hier Terroranschläge auszuüben,
sondern umgekehrt: 750 Deutsche sind nach Syrien ge-
gangen . Über 420 hochgefährliche, gewaltbereite Isla-
misten leben in Deutschland . Manche von ihnen müssen
die Sicherheitsbehörden rund um die Uhr im Auge haben .

Das alles erfordert ein hohes Maß an Wachsamkeit .
Dies ist ein Kraftakt für unsere Polizei . Wir können froh
sein, dass sie es mit großem Einsatz, mit Geschick und
auch mit ein bisschen Glück geschafft hat, uns bisher vor
schweren Terroranschlägen zu bewahren . Dafür möchte
ich allen Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden ganz aus-
drücklich danken .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch deshalb ist es richtig, dass wir jetzt 3 000 neue
Stellen für die Bundespolizei schaffen. Ich finde es gut
und bin froh, dass die Zeit, in der die Finanzminister von
Bund und Ländern bei der Polizei Stellen abbauen konn-
ten, endgültig der Vergangenheit angehört .

Zur Besonnenheit gehört für mich aber auch, dass
nicht nach jedem Terroranschlag eine Grundsatzdebatte
über die exakt definierte Rolle der Bundeswehr in unse-
rem Grundgesetz geführt wird .


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen und wir brauchen keine Militarisierung der
inneren Sicherheit . Soldaten werden für ganz andere Sa-
chen ausgebildet als die Polizei . Deshalb bleibt es dabei:

Die Polizei ist zuständig für die innere, die Bundeswehr
ist zuständig für die äußere Sicherheit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was wir in diesen Zeiten neben einer guten Polizei
dringend brauchen, sind funktionierende Nachrichten-
dienste, die sich mit ihren Partnern austauschen und
Fundamentalisten und potenzielle Gewalttäter im Blick
haben . Dass wir starke Nachrichtendienste wollen, kann
man daran sehen, dass wir im Haushalt erhebliche Mittel
für zusätzliches Personal bereitstellen .

Was wir aber nicht brauchen, ist ein Bundesnachrich-
tendienst, der den französischen Außenminister Laurent
Fabius abhört, meine Damen und Herren . Was ist das für
ein grotesker Vorgang!


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Einmal abgesehen davon, dass sich so etwas unter Freun-
den nicht gehört: Wer so etwas macht, ist ganz offenkun-
dig nicht auf die eigentlichen Gefahren fokussiert, die
unserem Gemeinwesen im Augenblick drohen .

Es gibt sehr viele Mitarbeiter beim BND, die unter
schwierigen Bedingungen hervorragend arbeiten und de-
nen ich dafür danken möchte . Es ist aber auch im Interes-
se dieser Mitarbeiter, wenn ich sage: Es muss bei diesem
Nachrichtendienst einiges anders werden .

Ich kann die Kritik der Opposition verstehen, aber wir
können den BND nicht komplett neu aufbauen . Wir müs-
sen die Reformen im laufenden Betrieb vornehmen . Ich
bin froh, dass wir darüber eine Einigung in der Koalition
haben . Die Fachleute haben sich geeinigt .

Es ist klar: In einem demokratischen Staat haben
Nachrichtendienste kein Recht auf ein Eigenleben . Sie
dürfen nur das tun, was demokratisch legitimiert ist .
Deshalb muss der BND-Präsident wissen, ob es in sei-
ner Behörde Eigenmächtigkeiten gibt, und er muss sie
abstellen, wenn es sie gibt . Für den Präsidenten muss es
eine Aufsicht geben, die sicherstellt, dass er das auch tut .


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, die größte Gefahr für un-
sere innere Sicherheit sind ganz sicher nicht die Flücht-
linge, die ins Land kommen, sondern die eigentliche
Gefahr droht, wenn wir es versäumen, diese Flüchtlin-
ge gut zu integrieren . Was nicht passieren darf, ist, dass
jetzt weitere Parallelgesellschaften entstehen, die zu so-
zialen Brennpunkten werden . Ein Molenbeek darf es in
Deutschland nicht geben . Wo es das im Kleinen schon
gibt, müssen wir gezielt etwas dagegen unternehmen .
Gut integrierte Flüchtlinge sind am besten gegen Salafis-
ten und Hassprediger immunisiert .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Integration ist die große innenpolitische Herausfor-
derung für ein ganzes Jahrzehnt . Sprache, Kita, Schule,
Ausbildung, Arbeit, Wohnung, aber auch Werte und Re-
geln, das ist das ABC der Integration . Dieses ABC muss
auf jeder Stufe durchbuchstabiert werden . Wir sagen

Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


ganz klar: Da dürfen wir nicht kleckern, sondern da müs-
sen wir klotzen .

Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt .
Was wir heute investieren, wird sich schon in zehn Jahren
doppelt auszahlen . Was wir heute versäumen, das lässt
sich nicht mehr nachholen . Deshalb: Ran an die Sache!


(Beifall bei der SPD)


Wir müssen auch mehr Anreize schaffen, damit sich
Integration lohnt. Kriegsflüchtlinge haben hier eine
Schutzzeit von zunächst drei Jahren . Wir müssen ganz
klar sagen: Wer es in drei Jahren schafft, unsere Sprache
zu lernen, wer es schafft, eine Ausbildung zu machen,
wer es schafft, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, der
muss eine dauerhafte Perspektive, unabhängig von sei-
nem Flüchtlingsstatus, bekommen . Aber diejenigen, die
das nicht schaffen oder auch nicht wollen, müssen sich
darauf einstellen, dass sie gegebenenfalls in ihre Länder
zurückkehren müssen, wenn dort wieder sichere Lebens-
verhältnisse herrschen. Ich finde, wir brauchen auch in
der Integrationspolitik klare Maximen: fördern und for-
dern . Alle müssen wissen, woran sie sind . Jeder hat hier
eine Chance . Das sollten wir beherzigen und es nicht
wieder so machen wie beim letzten Mal .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Antwort auf die Frage, ob wir Flüchtlinge mit
Bleiberecht gut integrieren können, hängt auch davon ab,
ob es uns gelingt, von den hohen Zahlen an Flüchtlin-
gen herunterzukommen . Im November dieses Jahres sind
180 000 Flüchtlinge gekommen . Das ist fast so viel wie
im ganzen letzten Jahr . Wir müssen die Geschwindigkeit
des Zuzugs deutlich verringern .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Viele europäische Länder, ja fast alle europäischen
Länder wollen sich nicht an der Aufnahme von Flücht-
lingen beteiligen; die Bundeskanzlerin hat darauf hinge-
wiesen . Wir müssen weiter darum kämpfen, dass es zu
einer fairen Verteilung der Flüchtlinge, aber auch der
Verantwortung dafür in Europa kommt . Die Länder, die
bisher aufnahmebereit waren, wie Schweden, erklären
inzwischen, dass ihre Kapazität erschöpft ist . So kann es
im nächsten Jahr nicht weitergehen .

Deshalb müssen wir uns auf drei Dinge konzentrie-
ren, die uns helfen können, das Problem an der Wurzel
zu packen . Erstens: die Befriedung des syrischen Bürger-
krieges durch die Verhandlungen in Wien . Daran muss
natürlich weiter gearbeitet werden, trotz des Rückschla-
ges, den wir gestern erlebt haben . Zweitens: die Verbes-
serung der Lage von Flüchtlingen in der Krisenregion, in
den Flüchtlingslagern, wo sich im Augenblick die meis-
ten Flüchtlinge aufhalten . Drittens: die Sicherung der
EU-Außengrenzen, unter anderem mithilfe der Türkei .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zur Sicherung der Außengrenzen . In der Tat spielt die
Türkei dabei eine Schlüsselrolle . Im Augenblick kom-
men über 80 Prozent der Flüchtlinge über die Türkei und
den Balkan nach Europa . Die türkisch-griechische Gren-

ze ist praktisch offen . Die Schleuser haben dort allein das
Heft in der Hand . Das kann so nicht bleiben . Das müssen
wir zwischen zwei NATO-Partnern in der Tat ändern;
denn nur mit sicheren Außengrenzen können wir verhin-
dern, dass es zu einer Renationalisierung der Grenzen in
Europa kommt . Schengen können wir nur verteidigen,
Reisefreiheit wird es in Zukunft nur geben, wenn wir es
schaffen, zu sicheren Außengrenzen zu kommen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wenn uns die Türkei jetzt hilft, die Außengrenzen zu
sichern, dann würden die Flüchtlinge zunächst in der
Türkei bleiben . Dort sind sie zwar vor Bürgerkrieg ge-
schützt und sicher; aber natürlich kann die Türkei allein
nicht alle Flüchtlinge aufnehmen, nur um die anderen
Länder in Europa zu verschonen . Die Türkei hat schon
jetzt mehr Flüchtlinge aufgenommen als alle anderen
Länder in Europa zusammen . Das muss man – bei all der
Kritik, die immer wieder an der Türkei geäußert wird –
auch einmal anerkennen . Das ist eine große Leistung, die
Respekt verdient .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wenn also die Türkei uns hilft, die europäischen Au-
ßengrenzen zu sichern, dann müssen wir der Türkei im
Gegenzug auch helfen, und zwar nicht nur finanziell,
sondern auch, indem wir ihr einen Teil der Flüchtlinge
abnehmen . Das können wir in der Tat über Kontingente
nach dem Resettlement-Verfahren laufen lassen . Damit
können wir mehrere Probleme auf einmal lösen: Ers-
tens . Wir würden die Kontrolle über die Außengrenzen
zurückgewinnen . Zweitens . Die chaotische Einwande-
rung von Flüchtlingen würde in ein geordnetes Verfahren
unter Beteiligung des UNHCR überführt oder dadurch
ersetzt . Drittens . Die Schleuserkriminalität würde ausge-
schaltet . Viertens . Bei diesem Verfahren haben nicht nur
kräftige junge Männer, sondern auch Frauen und Kinder
eine faire Chance, als Flüchtlinge in Europa aufgenom-
men zu werden .

Diesen Weg sollten wir verfolgen . Der könnte funk-
tionieren . Die Debatte über abstrakte Obergrenzen führt
überhaupt nicht weiter . Sie führt insbesondere nicht dazu,
dass ein einziger Flüchtling weniger nach Europa kommt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir stellen in diesem Haus-
halt 8 Milliarden Euro für die Aufnahme und Integrati-
on von Flüchtlingen zur Verfügung . Zusätzlich werden
400 Millionen Euro für humanitäre Hilfe und 800 Milli-
onen Euro für wirtschaftliche Zusammenarbeit bereitge-
stellt . Wir haben zusätzliche Milliarden für Investitionen
in die Infrastruktur – insbesondere für den Ausbau von
schnellen Netzen sowie für den sozialen Wohnungsbau –
bereitgestellt . Damit kümmern wir uns darum, dass die-
ses Land auch in Zukunft stark bleiben kann .

Aber wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, als
ob wir damit die Probleme in Deutschland schon gelöst
hätten . Was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben,
daran halten wir auch fest . Wir wollen, dass für Frauen

Thomas Oppermann






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(B) (D)


und Männer gilt: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, und
werden entsprechende Maßnahmen ergreifen .


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen die Teilhabe behinderter Menschen . Wir
wollen das überkommene Fürsorgesystem abschaffen
und die Teilhabe behinderter Menschen in diesem Land
verbessern . Damit wollen wir auch die UN-Konvention
zum Schutz der Behinderten umsetzen, meine Damen
und Herren .


(Beifall bei der SPD)


Wir werden auch Leiharbeit und Werkverträge ver-
nünftig regulieren .


(Beifall bei der SPD)


Natürlich sind Werkverträge ein unverzichtbares Instru-
ment in unserem Wirtschaftsleben . Wir wollen sie des-
halb nicht abschaffen; aber wir müssen dem Missbrauch
eindeutige Grenzen setzen . Insbesondere in der Flei-
schindustrie wie auch in einigen anderen Branchen wer-
den Werkverträge benutzt, um die Schutzmechanismen
unseres Arbeitsrechtes praktisch auszuhebeln . Wenn am
Ende ganze Belegschaften nicht mehr auf der Basis von
Arbeitsverträgen, sondern von Werkverträgen arbeiten,
dann ist das mit dem eigentlichen Zweck eines Werk-
vertrages nicht mehr vereinbar . Es hat damit nichts, aber
auch gar nichts zu tun . Diese Werkvertragsunternehmer
sind in Wirklichkeit Scheinselbstständige . Das ist ein so
offenkundiger Missbrauch in unserer sozialen Markt-
wirtschaft, dass wir den sofort stoppen müssen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Machen, machen, machen! – Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wir machen mit! Wir schaffen das!)


Auch bei der Leiharbeit gibt es Unternehmen, die
über viele Jahre hinweg ganze Teile ihrer Produktion
über Leiharbeit fertigen . Dabei geht es nicht mehr um die
Abfederung von Auftragsspitzen – dafür ist die Leihar-
beit einst eingeführt worden –, sondern nur noch darum,
Löhne zu drücken und Festanstellungen zu vermeiden .
Ich finde, Andrea Nahles hat hier sehr vernünftige Vor-
schläge gemacht, die genügend Flexibilität für Unterneh-
mer vorsehen, mit denen wir aber in der Lage sind, die
schwarzen Schafe zu stoppen .


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, wir werden die Flücht-
lingskrise nur dann gut bewältigen, wenn wir uns jetzt
auch um die Menschen in Deutschland kümmern . Sie
dürfen nicht den Eindruck bekommen, dass sie wegen
der Flüchtlingskrise zurückstecken müssen . Sie dürfen
nicht das Gefühl bekommen, dass die Lösung ihrer Prob-
leme auf die lange Bank geschoben wird . Lassen Sie uns
daran gemeinsam arbeiten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813900800

Als nächster Redner hat Volker Kauder von der CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1813900900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bevor ich mich mit dem Haushalt und den Auswirkun-
gen für unser Land beschäftige, möchte ich dem Kolle-
gen Bartsch noch einen Hinweis mitgeben . Es ist sehr
gut und freut mich, dass Sie offensichtlich mehr in die
Bibel als in das Kapital von Karl Marx schauen . Das ist
durchaus richtig .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das stimmt so nicht!)


Aber Sie müssen schon noch ein bisschen mehr machen .
Ich bin bereit, Ihnen dabei zu helfen .


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn als Sie einige Zitate gebracht haben, haben Sie ein
ganz wichtiges vergessen, und zwar Matthäus 7,3: „Wa-
rum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber
den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?“
Das ist der entscheidende Punkt, Herr Kollege Bartsch .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kauder, das gilt aber für Sie auch!)


– Herr Hofreiter, auch für Sie habe ich einiges parat . Das
sage ich Ihnen dann .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaube ich Ihnen gerne, aber ich hätte gerne erläutert, wie dieses Matthäus-Zitat für Sie gilt!)


Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir
führen heute die Debatte über den Bundeshaushalt, und
zwar die Generaldebatte über die wesentlichen und
wichtigen Festlegungen in diesem Haushalt . Ich möchte
zunächst einmal dem Finanzminister und unseren Haus-
haltspolitikern dafür danken, dass sie es trotz der großen
Herausforderungen, die mit diesem Haushalt verbunden
sind, geschafft haben, an dem ausgeglichenen Haushalt
festzuhalten und dieses Ziel auch nicht aus den Augen
zu verlieren .

Lieber Thomas Oppermann, es ist völlig richtig, wenn
wir sagen: Es gibt die große Aufgabe, die Flüchtlingskri-
se zu bewältigen . Aber daneben steht das Land nicht still,
sondern es findet auch eine ganze Reihe anderer Din-
ge statt . Vor diesem Hintergrund ist eine wichtige Bot-
schaft – das ist ein zentrales Thema, das auch mit den Zu-
kunftsperspektiven der jungen Generation zu tun hat –:
Wir halten daran fest, dass wir alles daransetzen wollen,
diesen ausgeglichenen Haushalt auch in den nächsten
Jahren zu erreichen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


Das ist zunächst einmal unser Ziel . Ob es dann irgend-
wann einmal, wenn es zu Naturkatastrophen oder an-
deren großen Herausforderungen kommen sollte, eine
andere Situation geben kann, ist das eine . Aber an dem
großen Ziel festzuhalten, ist das andere .

Bei unserem Ziel, mit unserem Haushalt auch die Po-
litik in diesem Land zu gestalten, wird deutlich, wo die
Schwerpunkte liegen . So sind Forschung und Wissen-
schaft ein zentrales Thema . Aber auch die Infrastruktur
ist ein zentrales Thema . Ja, wir haben Mittel – das hat
keiner für möglich gehalten – für den Straßenbau zur
Verfügung gestellt . Nun wünsche ich mir, dass die Mittel
dort auch eingesetzt werden . Ich kenne eine ganze Reihe
rot-grün oder grün-rot regierter Bundesländer, die trotz
der vielen Mittel bisher noch keinen einzigen Spatenstich
hinbekommen haben . Dies ist natürlich nicht in Ordnung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir Mittel zur Verfügung stellen, müssen wir auch
dafür sorgen, dass sie innerhalb der Struktur des Födera-
lismus dort ankommen, wo sie ankommen sollen .

Wir wollen ein anderes großes Ziel erreichen, obwohl
uns viele nicht zutrauen, dass uns das gelingt . Ich spre-
che von der digitalen Infrastruktur . Ich bin zuversicht-
lich, dass es Alexander Dobrindt gelingt, das Ziel, das
wir vorgegeben haben, zu erreichen, bis 2018 bzw . bis
2017 in jeden Haushalt das schnelle Internet zu bringen .
Das muss jetzt vor allen Dingen angepackt werden .


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das Pfeifen im Walde!)


– Da brauchen Sie gar nicht hineinzurufen . Auch hier
brauchen wir die Landesregierungen . Diese müssen ein
bisschen schneller als bisher in die Pötte kommen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es bleibt natürlich auch dabei, dass wir in der Wirt-
schafts- und der Sozialpolitik die Dinge machen, die not-
wendig sind und die wir vereinbart haben . Gerade wenn
man über den Haushalt und seine großen Herausforde-
rungen spricht – auf das Thema Flüchtlinge komme ich
gleich noch zu sprechen –, muss doch jedem klar sein:
Ob wir noch 2016 und 2017 diese Aufgabe auch unter fi-
nanziellen Gesichtspunkten meistern können, hängt auch
damit zusammen, dass wir gute Steuereinnahmen haben .
Deswegen kann ich nur jeden davor warnen, zu glauben,
dass dies ein Selbstläufer ist und dass das irgendwo fest-
geschrieben ist . Wir haben alles dafür zu tun, dass die
Wirtschaft auch in Zukunft so gut läuft, dass Arbeitsplät-
ze erhalten werden und die Steuereinnahmen weiterhin
fließen. Ich rate dringend davon ab, zu glauben, dass nun
der Zeitpunkt gekommen ist, die Wirtschaft ein bisschen
mehr zu testen, weil es uns jetzt gut geht . Das führt nicht
zum Erfolg . Das wollen wir auch nicht, und das werden
wir auch nicht mitmachen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Damit bin ich bei einem Thema, das bereits Thomas
Oppermann angesprochen hat . Ja, wir haben in den Ko-
alitionsverhandlungen erkannt, dass bei Werkverträgen
und Leiharbeit Handlungsbedarf besteht . Deswegen

haben wir im Koalitionsvertrag eine Vereinbarung dazu
getroffen . Wir haben schon im Koalitionsvertrag sehr
konkrete Regelungen bei der Leiharbeit gefunden, die in
ihrer Dichte fast schon ausreichen, um einen Gesetzent-
wurf vorzulegen . Dazu kann ich nur sagen: Wir werden
uns natürlich an den Koalitionsvertrag halten . Wir sind
treu im Einhalten des Koalitionsvertrages . Aber eines
sage ich auch: So treu wir im Einhalten des Koalitions-
vertrages sind, so hart werden wir sein, wenn jemand
glaubt, darüber hinausgehen zu können . Das darf auf kei-
nen Fall geschehen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich sage klipp und klar: Gesetzentwürfe, die über den
Koalitionsvertrag hinausgehen, haben in dieser Koalition
keine Chance .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das weiß auch Herr Seehofer? – Gegenruf des Abg . Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das gilt für alle!)


Natürlich stehen das Flüchtlingsthema und die Fragen,
wie wir mit den Flüchtlingen umgehen und welche Sor-
gen und Nöte die Menschen haben, im Vordergrund . Wir
alle sind betroffen von den Terrorattacken, die in unse-
ren europäischen Nachbarländern, aber auch in anderen
Regionen der Welt, vor allem in Nahen Osten, stattfin-
den . Wir müssen uns die Frage stellen, wie das beendet
werden kann; dies ist das eine große Thema . Die andere
entscheidende Frage lautet: Wie gehen wir mit den Her-
ausforderungen durch die hohe Zahl der Flüchtlinge um?

Wir werden zunächst einmal das Ziel, den Zuzug zu
reduzieren, nicht erreichen, wenn es nicht gelingt, die
Terror- und Bombenattacken in den Gebieten zu verrin-
gern, aus denen Flüchtlinge kommen . Deswegen ist es
zwingend notwendig, dass wir in Syrien jetzt zu Ergeb-
nissen kommen . Es ist auch notwendig, dass dies schnell
geschieht . Ich weiß, wie schwer das ist . Trotzdem muss
man sich das vornehmen; denn die Menschen werden
nicht Monate darauf warten, dass sie nicht mehr mit
Fassbomben beworfen werden . Wenn das nicht aufhört,
dann werden alle ins Laufen kommen . Mir haben die Bi-
schöfe von Aleppo gesagt: Wir wollen, dass unsere sy-
risch-orthodoxen Christen in Syrien bleiben . Wir wollen
keine christenfreien Zonen im Orient .

Aber wenn es so weitergeht, dass Aleppo von beiden
Seiten beschossen wird, einmal von den Truppen, die
Fassbomben werfen, auf der anderen Seite vom IS, dann
kann doch niemand glauben, dass die Menschen in dieser
Stadt bleiben .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Sie haben keine Ahnung!)


Deswegen muss sich daran etwas ändern . Wenn von
der Linken Zwischenrufe kommen, dann kann ich nur
sagen: Es wäre mir hundertmal lieber gewesen, die Rus-
sen hätten mit uns gemeinsam eine Aktion gemacht und

Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)


nicht alleine losgeschlagen, was den Flüchtlingsstrom
aus Aleppo noch einmal hat größer werden lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen rate ich dringend dazu, dass keiner glauben
möge, dass westliche oder östliche Mächte allein, auf ei-
gene Faust und in Verfolgung eigener Interessen dort zu
einem Erfolg kommen . Es ist notwendig – ich bin dem
Außenminister für seine Bemühungen dankbar –, dass
wir hier zu gemeinsamen Aktionen kommen .

Wir haben immer wieder auf einen Umstand – die
Situation in den Flüchtlingslagern – hingewiesen . Trotz-
dem sind wir in dieser Hinsicht nicht so erfolgreich wie
nötig . Frau Bundeskanzlerin, ich bitte darum, wenn man
jetzt wieder auf internationaler Ebene zusammenkommt,
dies mit noch größerem Nachdruck zu formulieren . Einer
unserer Kollegen, Tobias Zech, war mehrfach im Liba-
non unterwegs . Er hat darüber einen Bericht abgeliefert .
Er schreibt aus seinen Erfahrungen:

All das zeigt eines: Es sind nicht irgendwelche
Tweets oder Aussagen, die in Deutschland abgesetzt
werden, die die Flüchtlinge zu uns bringen . Es ist
die pure Not, die sie in verzweifelte Aktionen wie
die Flucht auf Schlepperbooten über das Mittelmeer
treibt . Viele der Flüchtlinge sind schon einige Jahre
im Libanon . Ihre Rücklagen sind aufgebraucht, und
sie sehen keine Möglichkeit mehr, sich dort durch-
zubringen . Sie würden – wenn dort ein lebenswürdi-
ges Leben möglich wäre – gern bleiben und auf ein
Ende der Auseinandersetzungen in Syrien warten,
um wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können .
Aber so, wie es momentan aussieht, haben sie keine
Hoffnung . Und die Flucht in Richtung Europa ist ihr
letzter Strohhalm .

Da kann ich nur sagen: Genau dies muss geändert wer-
den . Es darf nicht bei der Schlussfolgerung bleiben, von
der Tobias Zech spricht, sondern es muss den Menschen
in den Flüchtlingslagern eine Perspektive gegeben wer-
den, schneller als es bisher geschehen ist . Sonst werden
alle kommen wollen, um sich in Sicherheit zu bringen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundeskanzlerin hat zu Recht darauf hingewiesen,
dass die Lösung natürlich an den europäischen Außen-
grenzen liegt und dass die Türkei dabei eine Schlüssel-
rolle spielt . Viele haben gar nicht geglaubt, dass man auf
diesem Weg zu einem Erfolg kommen kann . Ich würde
schon darum bitten, dass wir bei allem, was wir machen,
uns immer auch ein bisschen Zeit geben . Wir haben das
Asylpaket I verabschiedet . Kaum war es verabschiedet,
hat jeder gesagt, es sei noch gar nichts passiert . Auch der
Kölner Dom ist nicht an einem Tag oder in einem Jahr
erbaut worden . Wir stellen manchmal zeitliche Anforde-
rungen, die beim besten Willen nicht einzuhalten sind .

Aber jetzt, wenn wir uns die Zahl der Flüchtlinge aus
dem Westbalkan anschauen, sehen wir, dass das Asylpa-
ket I wirkt: 16 Flüchtlinge aus dieser Region kamen im
letzten Monat, während es in den Monaten zuvor Tau-

sende waren . Da können wir der Bevölkerung doch auch
einmal sagen – ganz im Gegensatz zu dem, was Herr
Hofreiter gesagt hat –: Wir handeln, und wir sind hand-
lungsfähig . – Unser Handeln zeigt auch Erfolge, liebe
Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welches Handeln gilt denn? Das von Kauder oder das von Schäuble?)


Das sehen wir an der Zahl der Flüchtlinge aus dem West-
balkan .

Was das Asylpaket II angeht, hoffe ich doch, Herr
SPD-Parteivorsitzender, dass die Parteivorsitzenden das
auch umsetzen, was sie miteinander vereinbart haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Thomas Oppermann und ich haben gesagt: Wenn jemand
unser beider Hilfe braucht, sind wir gerne bereit, mitzu-
helfen, damit auch das Asylpaket II auf den Weg kommt
und erfolgreich wird .

Aber natürlich liegt der Schlüssel in der Türkei . Ich
bin sehr froh, Frau Bundeskanzlerin, wenn man darauf
hinweist, dass am Sonntag der EU-Türkei-Gipfel stattfin-
den soll . Gerade eben lief über die Ticker, dass Erdogan
gesagt hat, er werde seinen Beitrag dafür leisten, dass
keine neuen Ströme über die Türkei nach Europa kom-
men, er werde seinen Beitrag dazu leisten, die Außen-
grenze zu sichern . Na also, das ist doch endlich einmal
ein Wort, und ich hoffe, dass diesem Wort auch Taten
folgen werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Thomas Oppermann [SPD])


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundes-
kanzlerin hat in ihrem Beitrag auf die Aufgaben Europas
hingewiesen . Ich habe an diesem Pult mehrfach über den
Zustand geklagt, nicht über den, in dem sich Europa be-
findet, sondern über den, in dem sich Europa durch das
Verhalten der Nationalstaaten befindet.


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Eine sehr gute Formulierung!)


Nun muss auch in den Nationalstaaten deutlich werden:
Solidarität kann es nicht nur geben, wenn es um das Geld
geht, wenn man Geld von Europa haben will, sondern
Solidarität ist auch dann notwendig, wenn man einen ei-
genen Beitrag dazu leisten muss .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch das muss man einmal klar und deutlich formu-
lieren . Man muss sich jetzt sehr schnell darüber einig
werden: Wie kann die Außengrenze überhaupt gesichert
werden? Wer soll dies tun? Darüber muss sich Europa
Gedanken machen .

Es steht mehr auf dem Spiel, als man allgemein in der
Diskussion in unseren Wahlkreisen hört . Es steht nämlich
tatsächlich die Zukunftsfähigkeit Europas auf dem Spiel .
Wenn ich Töne höre wie „Um jedes europäische Land

Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)


machen wir einen Zaun“, dann ist dieses Europa, das wir
uns gewünscht haben, wirklich am Ende .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen muss die europäische Außengrenze gesichert
werden; nicht die Nationalstaaten müssen ihre Gren-
zen sichern . Da muss jetzt eine ganze Reihe von Din-
gen schnell passieren . Warum sollen wir nicht darüber
nachdenken, ob wir in Europa eine eigenständige Lö-
sung brauchen? Günther Oettinger hat Vorschläge dazu
gemacht, wie die EU-Außengrenzen gemeinsam besser
geschützt werden können – zum Beispiel durch eine
Grenzsicherungsagentur –; denn offenkundig kann Grie-
chenland seine EU-Außengrenze nicht allein sichern .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich kann nur noch einmal sagen: Europa muss sich mit
ganzer Kraft den großen und nicht den kleinen Heraus-
forderungen widmen .

Wenn es nicht so ernst wäre, müsste man lachen, rich-
tig laut lachen: Während wir uns darum bemühen, das
große Thema Flüchtlinge zu bearbeiten, kommt die Eu-
ropäische Kommission rechtzeitig zu Weihnachten auf
die Idee, sich darüber Gedanken zu machen, wie hoch die
Flamme einer Kerze sein darf, und will dies regulieren .
Dazu kann ich nur sagen: Da tickt es da oben bei einigen
wohl nicht mehr richtig .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Insofern ist es schon richtig, wenn die Bundeskanzle-
rin sagt: Wir müssen in diesen Fragen in Europa voran-
kommen . Da wünsche ich viel Erfolg . Wenn dieses Euro-
pa diese Aufgaben nicht lösen kann und damit das Signal
in die Welt sendet: „Auf Europa braucht ihr nicht mehr zu
setzen; denn die kriegen nichts hin“, dann sind Fragen der
wirtschaftlichen Zukunft für unser Land ganz neu zu be-
urteilen . Europa ist nämlich nicht nur Friedenssicherung,
sondern Europa ist vor allem für uns und die zukünfti-
gen Generationen auch die Sicherung des ökonomischen
Wohlstands . Auch Deutschland mit seiner Größe und mit
seiner Stärke wird allein den Wettbewerb mit China und
anderen asiatischen Ländern nicht bestehen .

Deswegen rede ich so leidenschaftlich dafür: Gefähr-
den wir Europa nicht! Aber Europa muss auch wissen,
dass es jetzt eine große Aufgabe hat . Es geht um die
Existenz dieses Europas . Dafür wollen wir kämpfen,
und wir wollen alles dafür tun, dass dies gelingt . Frau
Bundeskanzlerin, viel Kraft und Erfolg dabei, dass die
Nationalstaaten endlich kapieren, dass Europa nicht nur
die Summe von Einzelinteressen, von Egoismen der Na-
tionalstaaten ist, sondern ein bisschen mehr .

Herzlichen Dank .


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813901000

Roland Claus von der Fraktion Die Linke spricht als

nächster Redner .


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813901100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Bundeskanzlerin, eine beachtliche Zahl Ihrer Aussagen
hat heute auch die Zustimmung meiner Fraktion erhalten .


(Johannes Kahrs [SPD]: Finde den Fehler!)


Aber Ihre Positionen werden doch abgewertet, wenn
namhafte Vertreter der CDU genau das Gegenteil er-
zählen – so wie gestern Günther Oettinger, der eine Ein-
schränkung des Asylrechts per Grundgesetzänderung
gefordert hat . Frau Merkel, wir müssen Sie fragen: Was
gilt denn nun?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf einen Makel in der Rede von Frau Bundeskanzle-
rin will ich auch noch hinweisen . Sie hat es nämlich völ-
lig vergessen, die vielen guten Vorschläge der Fraktion
Die Linke in den Haushaltsberatungen zu loben .


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb muss ich auf unsere Vorschläge eingehen, aber
auch auf einige Einlassungen in der Haushaltsdebatte zu
Positionen der Linken .

Da muss ich natürlich mit dem Kollegen Volker
Kauder anfangen, der gestern überaus lautstark immer
und immer wieder – ich weiß gar nicht, wie oft – den
DDR-Vergleich bemüht hat . Was es eben sollte, den aus-
gestreckten Zeigefinger auf meine Fraktion zu richten,
wenn man Russland kritisiert, das war auch nicht ganz
zu verstehen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich glaube, Sie leiden da ein bisschen unter einem Phan-
tomschmerz, Herr Kauder .

Die Linke wird nie verleugnen, dass ein Teil ihrer Wur-
zeln in der DDR liegt . Aber die DDR gibt es seit mehr als
25 Jahren nicht mehr . Herr Kauder, ohne die DDR hätten
Sie vermutlich Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch
nicht kennengelernt . Aber ohne die DDR hätten Sie ver-
mutlich auch Angela Merkel und Joachim Gauck nicht
kennengelernt .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das Letztere wäre schlecht, das Erste hätten wir verschmerzen können!)


Sie würden also, Herr Kauder, ohne die DDR völlig ohne
Freund- und Feindbild dastehen . Deshalb ein bisschen
mehr Demut!


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke hat zahlreiche Vorschläge in diese Beratung
eingebracht, und es sind alle Vorschläge von dieser Welt .

Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)


Vielleicht denken Sie, es sei leicht, in der Linksfraktion
Haushaltsbalance zu wahren .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was ist dort schon leicht?)


Ich kann Ihnen sagen: Dem ist nicht so .


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist nichts Neues!)


Deshalb ärgern wir uns, wenn plumpe Unterstellungen
zu unseren Vorschlägen gemacht werden . Es muss doch
möglich sein, den enormen Reichtum in den Händen we-
niger gerechter zu besteuern, als dies bisher der Fall ist .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben ein Zukunftsprogramm zur Integration der
hier Benachteiligten und der zu uns Geflüchteten vor-
geschlagen . Wir wollen damit die soziale Spaltung der
Gesellschaft überwinden und unsere humanistische Ver-
antwortung wahrnehmen . Ja, wir wollen erreichen, dass
„Armut trotz Arbeit“ überwunden wird . Ja, wir wollen,
dass Kinder kein Armutsrisiko bleiben, dass Bildungs-
gerechtigkeit einzieht – durch eine große BAföG-Re-
form –, dass kleine und mittelständische Unternehmen
faire Chancen im wirtschaftlichen Wettbewerb bekom-
men, dass endlich auskömmliche Renten in Ost und West
gezahlt werden und dass Kriege und Rüstungsexporte
abgeschafft werden, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Dabei ist das Markenzeichen linker Haushaltspolitik
nicht etwa, neue Schulden zu machen, sondern gerechte
Steuern einzuführen . Das wäre an der Zeit .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sagen – und weisen dies nach –, es wäre in der
Tat möglich, die Einnahmen des Bundes um mehr als
50 Milliarden zu erhöhen und diese für soziale Gerech-
tigkeit, für Bildungsaufgaben und für Friedfertigkeit ein-
zusetzen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich wiederhole hier: Die teuersten Flüchtlinge in
Deutschland sind in der Tat die Steuerflüchtlinge.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke macht hier in den Beratungen viele Vor-
schläge, mit deren Umsetzung der Einstieg in einen
Politikwechsel möglich wäre . Wir maßen uns nicht an,
als Einzige zu wissen, wo es langgeht . Aber wenn Sie
Deutschlands Zukunft gestalten wollen, kommen Sie an
einer sozialen Modernisierung der Gesellschaft und auch
an diesen Vorschlägen nicht vorbei . Nur Mut, Sie könn-
ten das schaffen .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813901200

Als nächster Redner hat Johannes Kahrs von der

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1813901300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir sind ja hier in der Haushaltsdebatte . Wir
haben einen Haushalt vorliegen . Ich glaube, wenn man
sich diesen Haushalt anguckt, dann wird jeder bemerken,
dass er solide und vernünftig aufgestellt ist . In Kleinar-
beit haben sich die Kolleginnen und Kollegen im Haus-
haltsausschuss noch einmal über den Entwurf der Bun-
desregierung gebeugt und haben ihn an der einen oder
anderen Stelle noch einmal kampfwertgesteigert . Am
Ende, glaube ich, kann sich das, was sie hier vorgelegt
haben, sehen lassen . Eckhardt Rehberg, dir und deiner
Arbeitsgruppe, meinen Kollegen in der SPD noch ein-
mal ganz herzlichen Dank . Ich glaube, es ist auf der Ar-
beitsebene ein ruhiges, solides und vernünftiges Arbeiten
jenseits der Irrungen und Wirrungen, die es sonst manch-
mal geben mag, und das ist diesem Haushalt ganz gut
bekommen . Die gute und enge Zusammenarbeit mit den
Fraktionen und deren Vorsitzenden hat da ebenfalls nicht
geschadet . Ich glaube, wenn wir uns diesen Haushalt an-
gucken, dann merkt man, dass er den Anforderungen, die
wir zurzeit haben, gerecht wird . Das ist hier heute auch
schon einmal sowohl von der Frau Bundeskanzlerin als
auch von den Fraktionsvorsitzenden ausgeführt worden .

Eine Anmerkung möchte ich allerdings machen . Es
gibt, insbesondere wenn es um die Herausforderungen
geht, die durch die Flüchtlinge vor uns stehen, den ein
oder anderen seltsamen Vorschlag, oder es gibt merk-
würdige Vorstellungen, wie man denn diese Aufgabe fi-
nanzieren sollte . Um es gleich vorweg zu sagen: Diese
etwas überflüssigen und unsoliden Vorschläge kommen
aus allen Fraktionen und aus allen Ecken . Am Ende nut-
zen sie allerdings nur denjenigen, die rechtsaußen oder
links außen politisch irrlichtern und uns alle nicht wirk-
lich weiterbringen .

Was zum Beispiel den Vorschlag angeht, dass man im
Zusammenhang mit den Flüchtlingen die Steuern erhö-
hen sollte, so sollte man sich einmal fragen, was das für
Auswirkungen auf die politische Diskussion hat . Wenn
man über einen Flüchtlingssoli redet, dann führt das auch
nicht zu Begeisterungsstürmen in der Bevölkerung . Und
eine Aufhebung des Mindestlohns für Flüchtlinge oder
ein halber Mindestlohn für Flüchtlinge führt nur dazu,
dass die Deutschen, die dann keinen Job zum Mindest-
lohn oder keinen Minijob mehr bekommen, nicht wirk-
lich begeistert sein werden . All diese Diskussionen gehen
gar nicht; vielmehr geht es darum, handwerklich sauber,
vernünftig und solide zu diskutieren und diesen Haushalt
hinzubekommen . Es ist so, dass wir in den letzten Jah-
ren Vorkehrungen getroffen haben . Die eben genannten
Lösungen sind nicht nur falsch, sondern sie sind auch
gefährlich .


(Beifall bei der SPD)


Deswegen sollten wir aufpassen, dass wir alles tun,
um diesen ausgeglichenen Haushalt nicht zu gefähr-
den . Frau Bundeskanzlerin hat das ja angesprochen . Ich
glaube, dass alles, was wir tun können, dazugehört . Wir
müssen allerdings auch aufpassen, dass das auf Dauer
gelingt; denn sicher ist das alles nicht . Wir haben zurzeit
eine positive Situation; das ist schon vielfach ausgeführt

Roland Claus






(A) (C)



(B) (D)


worden . Wir haben in der Ära Schröder unter Rot-Grün
hervorragend gewirtschaftet . Wir haben reformiert, die
Reformen wirken . Deswegen geht es uns gut . Wir haben
ein niedriges Euro-Wechselkursverhältnis . Wir haben
niedrige Zinsen; das ist – das muss man auch sagen – für
den Bund gut, für die Menschen nicht unbedingt . Gleich-
zeitig ist es so, dass wir in den letzten Jahren in Deutsch-
land auch vernünftig gewirtschaftet haben . Wir werden
Überschüsse aus diesem Jahr in das nächste Jahr schie-
ben . Und das führt dazu, dass wir trotz der Belastungen,
die wir zu schultern haben, auch das nächste Jahr laut
Haushaltsentwurf ohne neue Schulden abschließen . Ich
glaube, das ist wichtig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Genauso wichtig ist es aber auch, dass in diesem
Land nicht die Debattenlage entsteht, dass wir wegen der
Flüchtlinge hier andere Bevölkerungsgruppen vernach-
lässigen, dass wir uns nicht um Obdachlose kümmern,
dass wir uns nicht um den sozialen Wohnungsbau küm-
mern,


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Um die Landwirtschaft kümmern!)


dass wir uns nicht um behinderte Menschen kümmern .
Es geht einfach nicht an, dass wir uns zwar um die
Flüchtlinge kümmern, aber zugleich gesagt wird: Bei uns
in den Schulen sieht es immer noch grottig aus . – Alle
diejenigen, die das sagen, sollten sich anschauen, was in
den letzten Jahren von dieser Großen Koalition geleis-
tet worden ist . Wir haben 23 Milliarden Euro gemäß den
Vereinbarungen des Koalitionsvertrags investiert . Wir
haben nachträglich noch einmal 10 Milliarden Euro in
ein Sonderinvestitionsprogramm gegeben, mit dem wir
insbesondere Verkehrswege und Infrastruktur finanzie-
ren . Wir haben noch einmal 5 Milliarden Euro an die
Kommunen gegeben, damit sie in die Lage versetzt wer-
den, auch direkt vor Ort etwas zu tun .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So ist das!)


Für die Bewältigung der Flüchtlingskrise investieren wir
jetzt noch einmal 8 Milliarden Euro . Das alles kommt
noch obendrauf .

Schließlich haben wir in der letzten Großen Koalition
und, wie gesagt, auch in dieser Ländern und Kommunen
dauerhaft geholfen . Das wird dazu führen, dass Landes-
und Kommunalhaushalte in der Zukunft deutlich besser
dastehen werden als der Bundeshaushalt . Der Bund er-
wartet nämlich in den nächsten Jahren relativ eher rück-
läufige Einnahmen, während diese bei den Ländern und
Kommunen steigen . Das liegt an den Maßnahmen, die
wir alle hier beschlossen haben . Das heißt, man muss
aufpassen, was man zukünftig macht .

Mir geht es einfach darum, dass wir in der Flücht-
lingsfrage zusammenstehen . Es reicht nämlich nicht, nur
zu sagen, dass wir es schaffen, sondern man muss auch
sagen, wie es gehen soll . Dieser Haushalt zeigt auf, wie
es gehen soll . Wir haben viel Geld investiert, insbeson-
dere im Bereich Unterstützung und Koordinierung von
Ehrenamtlichen . Wir haben viel Geld für die Helfer aus-
gegeben, deren Arbeit zurzeit unentbehrlich ist . Wir ha-

ben viel Geld in die Bundespolizei investiert und in das
Technische Hilfswerk, das mit seinen Ehrenamtlichen
unterwegs ist .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube, wenn man den Helfern hilft, dann hat man
schon viel getan . Das ist eben auch ein Teil des Plans .
Ich glaube, das kann man verteidigen und das sollte man
immer wieder so sagen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Angesichts mancher Diskussionen über Transitzo-
nen, Obergrenzen und anderer Debattenpunkte habe ich
allerdings ein Problem; denn es geht doch darum, dass
wir hier Lösungen finden müssen, die langfristig wirken.
Wir werden zu Lösungen kommen müssen . Wir werden
die Zahl der Flüchtlinge in den nächsten Jahren deutlich
senken müssen . 2016 darf nicht so laufen wie die zweite
Hälfte von 2015 . Wir würden sonst richtige Probleme in
diesem Land bekommen . Das heißt, in 2016 und in 2017
müssen die Zahlen der Flüchtlinge deutlich sinken; dafür
braucht es keine Scheindebatten und keine Debatten, bei
denen man sagt, der eine sollte mehr von diesem und der
andere mehr von jenem tun . Am Ende wird es nicht rei-
chen; wir haben es heute gehört .

Am Ende wird es wichtig sein, dass wir wieder mit
Dublin II und III die Probleme bewältigen, dass wir
zusehen, dass die Außengrenzen wieder funktionieren .
Selbstkritisch muss man sagen: Nicht nur Europa ist das
Problem, auch wir waren nicht in jeder Frage immer hilf-
reich . Deswegen ist es wichtig, dass wir nicht nur ge-
ordnete Verhältnisse an den Außengrenzen bekommen,
sondern dass wir auch wieder geordnete Verhältnisse in
Deutschland bekommen . Auch hierfür haben wir in die-
sem Etat vieles getan . Ich glaube, das ist wichtig und das
kann man gar nicht häufig genug sagen.

Am Ende ist es wichtig, dass Hilfe in den Kommunen
ankommt, dass die Menschen, die vor Ort sind und hel-
fen, dass die Bürgermeister und Landräte die Unterstüt-
zung bekommen, die sie brauchen . Ich sehe das in Ham-
burg: Wir beschlagnahmen inzwischen Bürogebäude,
leerstehende Baumärkte . Das kann die Lösung mal für
einen Winter sein, aber das ist keine dauerhafte Lösung .

Die Menschen, die hierbleiben, müssen untergebracht
werden . Das heißt aber im Ergebnis auch, dass wir Woh-
nungen bauen müssen . Uns wurde vorgeworfen, dass
wir kein 2-Milliarden-Euro-Programm auflegen, um
Wohnungen zu bauen . Wir machen aber viel mehr . Wir
geben ohnehin 500 Millionen Euro für den Bau von So-
zialwohnungen aus, und wir haben noch einmal 500 Mil-
lionen Euro draufgelegt . Das wird die nächsten vier Jahre
laufen . Wir investieren insgesamt 4 Milliarden Euro in
den sozialen Wohnungsbau . Das dauert; das ist so . Man
braucht B-Pläne, man muss Planungen durchführen .
Aber am Ende ist es doch so, dass wir mit diesem Geld zu
Ergebnissen kommen werden . Es wird aber dauern . Des-
wegen muss man auch die Zahl der Flüchtlinge in den
nächsten zwei Jahren deutlich senken; denn wenn das so
weitergeht, kommen wir mit den Wohnungsbauprogram-

Johannes Kahrs






(A) (C)



(B) (D)


men, die jetzt laufen, nicht weiter, und dann kommen die
Kommunen in ganz andere Schwierigkeiten .

Deswegen ist es gut, dass wir auf die Krise reagiert
haben . Deswegen ist dieser Haushalt solide . Wir haben
auch im laufenden Jahr – Eckhardt Rehberg, du weißt
es – in Nachtragshaushalten schnell reagiert . Ich würde
mir wünschen, dass wir es im kommenden Jahr nicht
müssen . Wir sind dazu aber bereit, wenn die Situation
es erfordert . Wir haben Geld investiert und werden auch
weiterhin Geld investieren, damit vor Ort vieles richtig
gemacht werden kann .

Gönnen Sie mir noch eine letzte Anmerkung . Wir wer-
den auch weiterhin Dinge bewältigen müssen, die nicht
preiswert sind . Von meinem Fraktionsvorsitzenden ist
vorhin schon das Bundesteilhabegesetz angesprochen
worden . Es gibt viele Aufgaben, die weiterhin bewältigt
werden müssen, wenn mit Blick auf die Bewältigung
der Flüchtlingskrise in diesem Land Akzeptanz erreicht
werden soll . Denn nur dann, wenn sich die Politik nicht
ständig um ein einziges Problem kümmert, sondern die
Menschen das Gefühl haben, dass wir uns weiterhin um
sie alle kümmern, gibt es Akzeptanz und Unterstützung .

Wir brauchen die Unterstützung der Menschen in
Deutschland . Aber wir brauchen auch die Unterstützung
in Europa – genauso, wie wir die Türkei brauchen . Die
Sicherung der Außengrenzen wird nicht über Griechen-
land funktionieren; sie wird nur über die Türkei funktio-
nieren . Die Türkei wird nicht nur Geld fordern; sie wird
auch politische Forderungen haben . Dazu werden die
Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Uni-
on gehören . Dann wird es um den Status eines sicheren
Drittstaates gehen . Es wird um Visafreiheit gehen . Am
Ende werden wir die Türkei brauchen . Man muss sich
in CDU, CSU und SPD darüber im Klaren sein, dass es
nichts umsonst gibt .


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Genau! Sehr wahr!)


Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813901400

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Gerda

Hasselfeldt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1813901500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir blicken in diesen Tagen auf zehn Jahre unionsge-
führte Bundesregierung zurück:


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zehn Jahre Angela Merkel! Haben Sie das dem Seehofer schon mal gesagt?)


zehn Jahre Bundeskanzlerin Angela Merkel, zehn erfolg-
reiche, gute Jahre für die Menschen in Deutschland,


(Beifall bei der CDU/CSU)


und das trotz vieler internationaler Krisen, die jeweils zu
Beginn einer Legislaturperiode nicht vorhersehbar wa-
ren . Deshalb war es gut und richtig, dass immer wieder
eine solide Haushaltspolitik gemacht wurde, eine Haus-
haltspolitik mit Puffern für schwierige Zeiten . Genau das
bewährt sich auch in dieser Phase wieder: dass Haus-
haltspuffer vorhanden sind, um schwierige, nicht vorher-
sehbare Herausforderungen finanziell und politisch zu
meistern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb möchte ich bei dieser Gelegenheit dem Bun-
desfinanzminister und allen Haushältern der Koalitions-
fraktionen herzlich dafür danken, dass sie gerade auch
bei diesem Haushalt große Anstrengungen unternommen
haben, um den Weg der soliden Haushaltspolitik weiter
zu begleiten, nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in
der mittelfristigen Finanzplanung .

Meine Damen und Herren, es ist schon mehrfach an-
gesprochen worden: In der aktuellen Situation – nicht
nur in Frankreich, aber da ist sie uns nach den letzten
Wochen noch besonders im Blick – offenbart sich eine
neue Dimension des Terrors in Europa, die uns gemein-
sam ganz besonders herausfordert . Für uns ist klar: Wir
stehen an der Seite Frankreichs . Unser Mitgefühl gilt den
Opfern und deren Angehörigen .

Es ist aber auch klar, dass die Menschen dann Fragen
stellen, dass sie uns und sich fragen: Tun wir alles für die
Sicherheit der Bürger? Ich denke, diese Frage ist berech-
tigt . Es sind auch Fragen berechtigt, die in die Richtung
gehen: Was können wir tun, damit Menschen sich nicht
radikalisieren? Was können wir in der Prävention tun?
Was müssen wir tun, wenn es um die Ausstattung der
Sicherheitsbehörden und Sicherheitsdienste geht? Wie
steht es um die Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste
in Deutschland und in Europa? Tun wir alles in Bezug
auf Ausbildung und Qualifizierung der Sicherheitskräf-
te? All das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Fra-
gen, die wir uns stellen müssen und auf die wir auch eine
ehrliche Antwort geben müssen – keine Schnellschüsse .
Aber es darf auch keine Denkverbote geben, wenn wir
darüber nachdenken, wie wir unsere Bürger schützen und
ihre Sicherheit gewährleisten können . Das ist nämlich
die oberste Aufgabe jedes Staates .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb war es auch richtig und notwendig, dass der
Entwurf eines Gesetzes zur Speicherung von Verbin-
dungsdaten endlich eingebracht wurde . Deshalb war und
ist es auch richtig, dass wir mit diesem Haushalt erneut
unter Beweis stellen: Wir lassen unsere Sicherheitsdiens-
te nicht alleine . Ein deutlicher Aufwuchs sowohl im per-
sonellen Bereich als auch bei der sachlichen Ausstattung
der Sicherheitsdienste – Bundeskriminalamt, Bundes-
polizei, Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundes-
nachrichtendienst – wird mit diesem Haushalt auf den
Weg gebracht . Das ist die richtige Antwort auf das, was
wir zu leisten haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich würde mir allerdings auch wünschen, dass die
Länder in ihrer Kompetenz, nämlich bei der personellen

Johannes Kahrs






(A) (C)



(B) (D)


und sachlichen Ausstattung der Polizei, dasselbe ma-
chen . Bayern ist auch hier wieder Vorbild, die gestrige
Entscheidung des Kabinetts ist allen noch im Bewusst-
sein: Verbesserung der sachlichen und der personel-
len Ausstattung, Aufstockung des Personals, das in der
Schleierfahndung tätig ist . Meine Damen und Herren,
eine solche Antwort der Länder ist notwendig . Ich wür-
de mir wünschen, dass andere Länder nachziehen und so
vorgehen, wie Bayern es vorgemacht hat .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte bei der Gelegenheit meinen persönlichen
Dank und meine Anerkennung gegenüber denjenigen
Frauen und Männern zum Ausdruck bringen, die tagtäg-
lich die Arbeit für unsere Sicherheit tun, die für unsere
Sicherheit ihre Gesundheit, ja teilweise ihr Leben aufs
Spiel setzen und sich für die Sicherheit von uns allen,
der Menschen in unserem Land, voll einbringen . Dafür
herzlichen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Frank Junge [SPD])


Deutschland – das spüren wir in der Heimat und auch
dann, wenn wir gelegentlich im Ausland sind – ist ein
starkes Land, ökonomisch stark, politisch stark, stark
im sozialpolitischen Bereich . Es ist ein Land mit ho-
hem Ansehen, mit einem großartigen Engagement sei-
ner Bürgerinnen und Bürger, mit einer funktionierenden
Verwaltung und hochmotivierten Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern . Das sehen und spüren wir insbesondere bei
der zweiten Herausforderung, die heute schon mehrfach
angesprochen wurde, nämlich der Aufnahme der vielen
Flüchtlinge .

In Bayern spüren wir das in ganz besonderer Weise,
noch stärker als in allen anderen Regionen des Landes:
Nach wie vor kommen dort täglich zwischen 5 000 und
10 000 Flüchtlinge an, die versorgt werden müssen, un-
tergebracht werden müssen, teilweise weitergeleitet oder
begleitet werden müssen . All das wird erledigt von vie-
len hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der Kommunen, der Behörden, der Polizei und der Si-
cherheitsdienste, aber auch von vielen ehrenamtlichen
Helfern . Ihnen gebühren unser Dank und unsere Aner-
kennung . Ohne die Leistung der Hauptamtlichen, ohne
die Leistung der Kommunen und ohne die Leistung der
Ehrenamtlichen und deren Organisationen würden wir
diese große Herausforderung nicht schultern können .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir spüren bei den vielen Gesprächen, die wir alle mit
den vor Ort Tätigen führen, auch, dass die Grenzen der
Belastbarkeit erreicht, ja manchmal überschritten sind .
Wir spüren, dass die Aufnahmekapazität und die Integ-
rationskraft der Bevölkerung an Grenzen stoßen, ja die
Grenze überschritten ist .


(Abg . Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen, Frau Kol-
legin .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813901600

Frau Deligöz, Sie haben das Wort .


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813901700

Vielen Dank . – Frau Hasselfeldt, dass es einen inhalt-

lichen Dissens gibt, das gehört zur Politik dazu . Aber
dennoch pflegen wir gewisse Umgangsformen, deren
Grenzen allerdings manchmal überschritten werden . Das
hat am Wochenende das Beispiel aus Bayern gezeigt .
Sind Sie nicht der Meinung, dass sich Herr Seehofer bei
der Kanzlerin für sein Verhalten entschuldigen müsste?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1813901800

Ach, wissen Sie, Frau Kollegin: Wie sich jeder Ein-

zelne von uns verhält, das ist seine persönliche Entschei-
dung .


(Zuruf von der LINKEN: Nicht in so einer Position!)


Sie können davon ausgehen, dass der Gesprächsfaden
nicht abreißt und das Verhältnis zwischen der Bundes-
kanzlerin und dem bayerischen Ministerpräsidenten ein
sehr gutes, ein sehr offenes ist,


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


ein Verhältnis,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das seinesgleichen sucht!)


das dem Lande dient . Das wird auch durch das Austragen
unterschiedlicher Meinungen nicht getrübt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Angesichts der Belastungsgrenzen ist es notwendig,
dass wir uns über einige Dinge im Klaren sind . Das Erste
ist: Wir müssen klar unterscheiden zwischen den Schutz-
bedürftigen und denen, die aus anderen Gründen zu
uns kommen . Wir müssen unsere Hilfe auf die wirklich
Schutz- und Hilfebedürftigen konzentrieren .

Das Zweite ist: Um dieses zu erreichen, müssen wir
dafür sorgen, dass die Zahl der Flüchtlinge reduziert wird
und dass wir eine Begrenzung bekommen . Das ist die
zweite Botschaft .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Dritte ist: Wir müssen wissen, wer zu uns kommt,
wo sich die Menschen in unserem Land aufhalten, wer
durchreist oder wer einreist . Das heißt, die Registrierung
muss konsequent durchgeführt und unter den jeweiligen
Behörden abgestimmt werden .

Ein Viertes, das meines Erachtens wichtig ist: Wir
müssen wieder dahin zurückkommen, dass der Antrag
auf Asyl dort gestellt wird, wo die Flüchtlinge zuerst eu-
ropäischen Boden betreten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gerda Hasselfeldt






(A) (C)



(B) (D)


An all diesen Punkten müssen wir gemeinsam arbei-
ten . Wir müssen um die richtige Entscheidung ringen . Es
ist doch ganz normal, dass die einen jenen Weg und die
anderen einen anderen Weg als zielführender betrachten .
Wir ringen und wir haben gerungen, und ich sage Ihnen
ganz offen: Wir unterstützen die Bundeskanzlerin bei al-
lem, was sie auf europäischer und internationaler Ebene
unternimmt, um die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren .
Wir unterstützen genauso den Bundesentwicklungshilfe-
minister bei seinen Bemühungen, die Fluchtursachen zu
bekämpfen . Er hat in seinem Haushalt die entsprechen-
den Schwerpunkte gesetzt . Er hat den Aufwuchs in sei-
nem Haushalt auf die Bekämpfung der Fluchtursachen
konzentriert . Dafür sind wir sehr dankbar .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wissen aber auch, dass die Bemühungen auf eu-
ropäischer und internationaler Ebene nicht schnell, nicht
sofort die gewünschten Ergebnisse bringen werden . Es
geht um die Verbesserung der Situation in den Flücht-
lingslagern . Das ist wahrscheinlich noch am schnellsten
zu realisieren . Es geht aber auch um die Sicherung der
Außengrenzen – das ist schon mehrfach angesprochen
worden – und nicht zuletzt um die Einrichtung der so-
genannten Hotspots, die nicht nur für die Registrierung,
sondern auch für die Rückführung und für die Verteilung
in Europa zuständig sein sollten . Auch darum geht es .
Ich weiß, dass das dicke Bretter sind, die zu bohren sind,
und ich bin dankbar, dass die Bundeskanzlerin mit ihrer
Regierung diese Bretter bohrt . Wir wünschen ihr dabei
viel Erfolg .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wissen, dass daneben auch nationale Maßnahmen
notwendig sind . Wir haben das Asylpaket I verabschie-
det, in dem es um die Einstufung weiterer Staaten als
sichere Herkunftsstaaten ging . Liebe Kolleginnen und
Kollegen, zur Wahrheit gehört: Wir hätten Hunderttau-
sende von Flüchtlingen weniger im Land, wenn es uns
gelungen wäre, diese Einstufung als sichere Herkunfts-
staaten schon früher zu realisieren, und zwar damals, als
wir das gefordert haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zur Wahrheit gehört, dass dies durch eine monatelange,
fast ein Jahr lang andauernde Diskussion im Bundesrat
verzögert wurde, weil wir dazu auch die Zustimmung der
Grünen gebraucht haben, und diese ließ lange auf sich
warten .

Zu diesem Asylpaket gehört auch die Reduzierung
von Fehlanreizen, zum Beispiel dadurch, dass in den
Erstaufnahmeeinrichtungen nicht länger Geld-,


(René Röspel [SPD]: Deswegen kommen die alle zu uns!)


sondern vorrangig Sachleistungen gewährt werden sol-
len . Dazu gehört, dass konsequent zurückgeführt wird,
dass konsequent abgeschoben wird, und zwar ohne An-
kündigung . Ich erwarte, dass die Länder das, was sie

selbst mitentschieden haben, alle miteinander – nicht nur
Bayern – so vollziehen, wie es beschlossen wurde .


(Beifall bei der CDU/CSU – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Zu Recht!)


Jetzt sind wir beim Asylpaket II . Ich darf, ähnlich wie
Volker Kauder, meine Hoffnung zum Ausdruck bringen,
dass das, was die drei Parteivorsitzenden beschlossen ha-
ben, was intensiv vorbereitet wurde und gut durchdacht
ist – besondere Aufnahmeeinrichtungen, Aussetzung des
Familiennachzugs für zwei Jahre bei subsidiär Schutzbe-
dürftigen –, als Gesetzentwurf so eingebracht wird, wie
es unter den Parteivorsitzenden verabredet ist . Da sind
vielleicht noch einige Gespräche notwendig, aber ich bin
zuversichtlich, dass dies erreicht wird .

Mit der Herausforderung, die die Aufnahme von
Flüchtlingen darstellt, ist eine doppelte Verantwortung
verbunden: Wir haben die Verantwortung, denjenigen,
die unsere Hilfe und unseren Schutz brauchen, wirklich
zu helfen . Wir haben aber auch eine Verantwortung ge-
genüber der heimischen Bevölkerung . Beides müssen
wir im Auge behalten . Deshalb ist es uns so wichtig, da-
rauf hinzuweisen, dass die Aufnahmekapazität, dass die
Integrationskraft des Landes nicht unbegrenzt ist, son-
dern ihre Grenzen hat, und diese müssen wir erkennen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, dieser Haushalt setzt Pri-
oritäten . Er setzt Prioritäten bei der neuen Herausforde-
rung, die ich gerade angesprochen habe, aber auch im
Bereich der notwendigen Investitionen . Wir setzen das
fort, was wir schon in den vergangenen Jahren gemacht
haben: Wir legen einen deutlichen Schwerpunkt auf den
Bereich Bildung und Forschung, und wir legen einen
deutlichen Schwerpunkt auf die Investitionen in den
Bereichen Verkehr und Breitbandausbau . Bei beidem –
Verkehr und Breitbandausbau – hat der Bundesverkehrs-
minister vieles nachzuholen, was in den vergangenen
Jahrzehnten liegen geblieben ist, und manches aufzuar-
beiten, was in den Ländern an entsprechender Planungs-
arbeit nicht geleistet wurde . Auch hier war Bayern üb-
rigens wieder vorbildlich . Er hat aber gleichzeitig auch
den Blick nach vorne zu richten . Denn das, was für die
weitere gute Entwicklung unserer Wirtschaft notwendig
ist, nämlich eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur
und Breitbandinfrastruktur, darf nicht einfach hintanste-
hen . Es ist eine wichtige Zukunftsaufgabe für die weitere
positive Entwicklung unseres Landes .


(Beifall bei der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gehen wir aber den falschen Weg!)


Wir vergessen bei alldem aber nicht diejenigen, die
unsere Hilfe brauchen: die Pflegebedürftigen, die Kran-
ken . Die Bundeskanzlerin hat es angesprochen . Das, was
wir in den vergangenen Wochen an Verbesserungen in
der Pflegeversicherung, in der Krankenhausversorgung
und in der Palliativmedizin beschlossen haben, darf nicht
untergehen . Auch das ist Politik dieser Bundesregierung,
von diesen Koalitionsfraktionen für die Menschen im
Land .


(Beifall der Abg . Emmi Zeulner [CDU/CSU])


Gerda Hasselfeldt






(A) (C)



(B) (D)


So sind die Markenzeichen dieser Regierung in mei-
nen Augen erstens Solidität, zweitens Solidarität, drittens
Stabilität und viertens Sicherheit . Das sind die Marken-
zeichen dieser Regierung . Diese Markenzeichen tun dem
Land und seinen Menschen gut .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813901900

Als nächste Rednerin spricht die Staatsministerin

Aydan Özoğuz für die Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD)


A
Aydan Özoğuz (SPD):
Rede ID: ID1813902000


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der französische Journalist Nicolas Hénin
wurde zehn Monate lang von den Terroristen des IS in
Syrien gefangen gehalten, vom Sommer 2013 bis Ap-
ril 2014 . Einer seiner Bewacher war Dschihadi John, der
kürzlich bei einem Drohnenangriff getötet wurde . Vie-
le Mitgefangene Hénins leben nicht mehr . Kürzlich hat
Hénin in einem Artikel für den Guardian geschrieben,
was die IS-Kämpfer mit einem Anschlag wie in Paris be-
zwecken und was sie darüber denken . Zitat: Ich kenne
sie . Was sie erwarten, sind Bomben . Was sie fürchten, ist
Einheit . – Er schreibt: Die Bilder aus Deutschland, wo
die Menschen Migranten willkommen geheißen haben,
werden sie gequält haben . Toleranz und Zusammenhalt,
das wollen sie nicht sehen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wir kön-
nen sehr stolz darauf sein, dass die Menschen in unserem
Land zeigen: Wir lassen uns nicht einschüchtern, und wir
stehen für etwas anderes . Wir stehen für Mitmenschlich-
keit . Wir stehen für Brüderlichkeit . Genau das beweist
die Bevölkerung in Deutschland, beweisen die Menschen
mit ihrem unglaublichen ehrenamtlichen Engagement .
Dafür möchte ich noch einmal Danke sagen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb ist es folgerichtig, dass dieser Bundeshaushalt
von dieser großen aktuellen Aufgabe geprägt ist: von der
Aufnahme und Versorgung Hunderttausender in unserem
Land, die Schutz suchen vor Terror, Krieg und Gewalt .
Wer wünschte sich nicht, wenn ich das einmal in Bezug
auf die Vorredner sagen darf, dass es keine Flüchtlings-
ströme gäbe? Ich glaube, die Flüchtlinge selbst wären die
Ersten, die ihre Hand heben und sagen würden: Wir wol-
len gar nicht flüchten. Gern würden wir weiter in unse-
rem Land, in unseren Häusern und Wohnungen leben und
nicht all die Tausenden von Kilometern zu euch kommen
müssen in der Hoffnung, dass wir überhaupt durchkom-
men . – Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die aller-
meisten einmal ein halbwegs normales friedliches Leben
führen konnten . Viele, gerade aus Syrien, würden, wenn
es auch nur den Hauch einer Friedensbotschaft gäbe, si-
cherlich gern in ihre Heimat zurückkehren .

Wir sind ein wohlhabendes Land . Wir sind ein starkes
Land . Die Arbeitslosigkeit ist niedrig . Die Wirtschaft ist
robust . Das alles ist hier schon mehrfach gesagt worden .
Wir sehen die Versorgung von Flüchtlingen als eine na-
tionale Aufgabe an, die Bund, Länder und Kommunen
nur gemeinsam bewältigen können . Johannes Kahrs hat
es gestern und auch heute noch einmal betont: Natürlich
muss auch der Bund bei allen Hilfen und bei aller Unter-
stützung, die er den Ländern zukommen lässt – und die
diese dann hoffentlich an die Kommunen weitergeben –,
immer darauf achten, dass er handlungsfähig bleibt, dass
er heute und in der Zukunft handlungsfähig bleibt . Des-
wegen haben wir mit dem Haushalt am Ende wirklich
gute Ergebnisse erzielt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Nach vielen Gesprächen und auch Verhandlungsrun-
den, beispielsweise mit den Ministerpräsidenten, zeigen
wir mit 8 Milliarden Euro im Bundeshaushalt zur Ver-
sorgung von Flüchtlingen – diesen Betrag sollte man
einmal deutlich nennen; das sind ungefähr 2,5 Prozent
des Gesamthaushaltes –, was wir eigentlich tun . 3 Milli-
arden Euro dienen zur Entlastung der Länder und Kom-
munen . Etwas ganz Besonderes ist Folgendes – auch das
muss einmal erwähnt werden; das, was wir hier geändert
haben, ist nämlich etwas Historisches –: Der Bund ver-
pflichtet sich, pro Kopf 670 Euro pro Monat und Asylbe-
werber zu zahlen, bis eine Entscheidung da ist . Das war
vorher nicht so . Bisher haben wir immer gesagt: Die Län-
der müssen unterbringen und versorgen, und irgendwann
wird der Bund entscheiden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, dass
wir eine Entscheidung über Asylanträge innerhalb von
drei Monaten anstreben . Würden wir in jedem Fall eine
Entscheidung innerhalb von fünf Monaten schaffen,
wäre auch das schon ein Riesenerfolg . Langsam geht es
aber in die richtige Richtung .

Gleichzeitig verdoppeln wir nun die Mittel für den so-
zialen Wohnungsbau . Das BAMF bekommt 4 000 neue
Stellen; auch bei der Bundespolizei und beim Techni-
schen Hilfswerk wird aufgestockt . Alle werden jetzt ein
Stück weit gerüstet .

Hinzu kommt ein weiterer wichtiger Aspekt – daran
müssen wir heute schon denken, auch wenn wir in Wahr-
heit noch gar nicht damit begonnen haben –: die Mittel
für die Integrationskurse . Man halte sich einmal vor Au-
gen, welche Debatten wir in der Vergangenheit schon ge-
führt haben . Die Diskussionen, in denen es um ein paar
Millionen Euro mehr oder weniger bei den Integrations-
kursen ging, waren hitzig . Jetzt verdoppeln wir die Mit-
tel . Es geht um 559 Millionen Euro . Das ist eine unglaub-
liche Zahl, die zeigt: Wir wollen, dass die Menschen, die
eine gute Bleibeperspektive haben, schnell Deutsch ler-
nen, schnell zu unseren Nachbarn werden, schnell eine
Arbeit aufnehmen können; das ist ein riesiges Zeichen .
Gleichzeitig wollen wir die Eingliederung in Arbeit vor-
antreiben . Nicht zu vergessen sind natürlich auch die be-
rufsbezogenen Deutschkurse, für die 179 Millionen Euro
bereitgestellt werden . Dieses Paket soll heute und in die

Gerda Hasselfeldt






(A) (C)



(B) (D)


Zukunft wirken . So etwas haben wir in diesem Hause
noch nie gleichzeitig geschafft .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Als Beauftragte habe ich traditionell das kleinste Bud-
get; ich erwähne das immer wieder . Für Bundespoliti-
ker ist es extrem überschaubar . Deswegen muss ich mit
meinem kleinen, aber sehr feinen Arbeitsstab sehr genau
suchen, welche Lücken sich ergeben . Wir müssen ganz
genau hinschauen und uns fragen: Was ist möglicher-
weise noch nicht ganz abgedeckt? Dank der Haushälter
konnten wir in diesem Jahr schon Zehntausenden von
Ehrenamtlichen helfen, die, wie wir wissen, langsam an
ihre Grenzen stoßen .


(Johannes Kahrs [SPD]: So ist das!)


Wir haben nun gemeinsam mit den freien Wohlfahrts-
verbänden Strukturen schaffen können, die gewährleis-
ten, dass auch Ehrenamtliche geschult werden können,
dass sie Ansprechpartner finden, dass Ehrenamt auf
Hauptamt stößt und es damit auch ein Stück weit koordi-
niert wird . Unsere Partner sind AWO, Caritas, Diakonie,
Paritätischer und Rotes Kreuz . Ich glaube, diese Partner
sind genau die richtigen; sie haben bereits angefangen –
übrigens überall in Deutschland, in allen Bundeslän-
dern –, den Ehrenamtlichen zu helfen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Und die Volkssolidarität!)


Aber es gibt viele Ehrenamtliche – da komme ich Ih-
nen jetzt wahrscheinlich entgegen –, die nicht in Kontakt
mit diesen Wohlfahrtsverbänden stehen . Auch sie brau-
chen Unterstützung und gute Strukturen, die ihnen dabei
helfen, ihre Arbeit geregelter zu erledigen, statt dabei im-
mer nur aufgerieben zu werden .

Wir wollen auf keinen Fall riskieren, dass Ehren-
amt am Ende mit Enttäuschung endet; das müssen wir
verhindern . Deswegen sage ich immer wieder: Ehren-
amtliche sind natürlich Menschen, die helfen . Aber sie
sind gleichzeitig noch etwas viel Wichtigeres: Sie sind
in meinen Augen der Garant dafür, dass das Klima ge-
genüber Flüchtlingen positiv bleibt . Sie sind der Garant
dafür, dass wir die Geschichten der Geflüchteten hören,
dass die Geflüchteten in der gesamten Gesellschaft, am
Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft wieder zu Menschen
und zu echten Geschichten werden . Deswegen müssen
wir sie noch viel stärker unterstützen .

Ich bin den Haushältern – das ist jetzt dreimal unter-
strichen – extrem dankbar, dass sie auch für meinen Etat,
also den der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und
Integration, eine deutliche Mittelerhöhung eingeplant ha-
ben .


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: So sind wir!)


Es ist wirklich deutlich zu sehen, dass die Aufgaben nicht
nur groß sind, sondern dass wir sie auch angehen wollen .

Vor 60 Jahren wurden in Deutschland die ersten
Gastarbeiter angeworben . Diesen Jahrestag werden wir
in den nächsten Wochen im Kanzleramt auch noch bege-

hen . Ich bin Hermann Gröhe sehr dankbar, dass wir auf
dem Integrationsgipfel jetzt auch zum Thema Gesund-
heit getagt haben; denn das betrifft sehr viele Rentner,
die häufig von dem normalen System gar nicht richtig
profitieren können.

Ich habe mir drei Schwerpunkte gesetzt, die ich jetzt
nur erwähnen möchte, aber nicht, ohne gesagt zu haben,
dass die normalen Aufgaben ja weiterhin bestehen, was
man wirklich nicht vergessen darf:

Erstens . Wir wollen das Ehrenamt weiter stärken . Das
habe ich ja schon benannt .

Zweitens . Wir wollen vor allen Dingen einen Fokus
auf die Situation geflüchteter Frauen legen; denn sie sind
häufig das schwächste Glied – gerade wenn sie alleine
oder mit ihren Kindern geflüchtet sind. Das ist nicht nur
bei uns in den Unterkünften so, sondern schon den gan-
zen Weg über ist es natürlich furchtbar gefährlich für sie .
Das, was sie erlebt haben, ist teilweise schrecklich . Wir
müssen uns intensiv um die Frauen kümmern, wenn sie
schwanger und traumatisiert sind .

Ich glaube, hier ist noch einiges zu tun, und ich bin
sehr glücklich, dass uns das Frauenministerium hier eine
ganz enge Zusammenarbeit angeboten hat, damit wir ge-
nau diesen Schwerpunkt gemeinsam setzen können .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Drittens . Daneben brauchen wir auch eine stärke-
re Einbindung von sogenannten – ich nenne sie immer
so – Kulturdolmetschern . Wir haben sehr viele Men-
schen in unserem Land, die die Sprachen beherrschen,
die wir jetzt brauchen . Der Bundesverband der Dolmet-
scher und Übersetzer sagte mir, dass kein Dolmetscher
mehr zur Verfügung steht, der Arabisch spricht . Erstens
haben sie nicht so viele, und zweitens sind die wenigen,
die Arabisch sprechen, komplett ausgebucht . Das heißt,
wir müssen auf unsere Bevölkerung zugehen und die
Menschen finden, die die entsprechenden Kulturen und
Sprachen kennen .

Daneben müssen wir natürlich auch in die Moscheen
gehen . Wir müssen wissen, was sich dort tut, wer dort
helfen möchte und wer dort teilweise schon längst
Flüchtlinge unterbringt . Ich kann aus Hamburg berich-
ten, dass in der Al-Nour-Moschee – sie ist bei uns sehr
bekannt – 500 Flüchtlinge untergebracht wurden, als
woanders plötzlich keine Betten mehr verfügbar waren .
Sie wurden dort versorgt, und ihnen wurde ein Dach über
dem Kopf und Wärme gegeben . – Ich glaube also, wir
müssen noch mehr in die Moscheen hineingehen und uns
die Arbeit der Gemeinden anschauen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen
sagen: Lassen Sie es uns auch nicht zu einfach machen .
Wenn wir Hasspredigten und salafistische Umtriebe
wirklich bekämpfen wollen, dann brauchen wir Nähe,
Dialog und Vertrauen zu den Moscheen und ihren Besu-
chern; denn sie wissen als Erste, wer dort falsche Dinge
erzählt oder wer vielleicht an irgendeiner anderen Stelle
versucht hat, junge Leute in einer Art und Weise anzu-
sprechen, wie es nicht sein soll . Es muss uns in Deutsch-

Staatsministerin Aydan Özoğuz






(A) (C)



(B) (D)


land nach so vielen Jahrzehnten wirklich gelingen, dieses
Vertrauen herzustellen .


(Beifall bei der SPD)


Eine letzte Botschaft . Ich bin froh, dass Angela
Merkel deutlich gemacht hat, wie wichtig dieses ständige
Bohren dicker Bretter auf europäischer Bühne ist . Jeder
von uns erlebt das wahrscheinlich in seinem Wahlkreis:
Man möchte gerne griffige Antworten haben, etwas, was
schneller umsetzbar scheint . Meist ist es aber nicht so .
Gerade wenn man auf die europäische Bühne kommt,
wird es etwas schwerfällig . Man darf aber nicht nachlas-
sen, auch wenn es noch so mühselig ist .

In meinen Augen ist es die Bewährungsprobe der heu-
tigen Zeit – das wurde vorhin ja schon richtig gesagt; ich
glaube, von Herrn Kauder –, nicht in Einzelegoismen der
Nationalstaaten zu verfallen . Wir brauchen ein funktio-
nierendes Europa – auch wenn es um Asyl- und Flücht-
lingsfragen geht . Darüber sind wir uns doch einig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Kauder, mein Schlusssatz bezieht sich auf den
Advent; das passt auch wieder zu Ihnen . Ich werde aber
nicht aus der Bibel zitieren . Aber ich möchte, natürlich
auf eine nette Art, wie ich das meistens mache, einen Ap-
pell an Sie richten .

Zum Advent werden viele Menschen die Kisten von
ihren Dachböden und aus ihren Kellern holen und die
Krippen aufbauen und vielleicht auch die heilige Familie
aufstellen. Auch ich finde das sehr schön, das ist wunder-
bar . Vielleicht sollten uns jetzt, einen Monat vor Weih-
nachten, die vertrauten Verse des Lukasevangeliums, die
ich nicht zitieren werde, nachdenklich machen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nur zu! Doch, doch!)


– Nein . – Eines wissen wir doch: Die heilige Familie hat-
te es damals schwer;


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


sie war ohne Bleibe und ohne Unterkunft, aber sie war
zusammen . Das sollte uns in unseren Debatten leiten .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813902100

Als nächster Redner spricht Rüdiger Kruse von der

CDU/CSU .


Rüdiger Kruse (CDU):
Rede ID: ID1813902200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Frau Staatsministerin, auch wenn wir wissen,
dass sich diese Geschichte von vor 2 000 Jahren nicht
wiederholen wird, so muss man doch sagen: Wir als
Deutsche waren bereit, Hunderttausende Familien aufzu-
nehmen, die in Not waren . Ich glaube, es ist gut, dass wir
das gemacht haben . Das zeigt, wie sich unser Land ent-

wickelt hat . Es hätte wohl keiner vermutet, dass gerade
die Deutschen das als Erste tun würden .

Man fragt sich manchmal, warum andere Nationen in
Europa zögerlicher sind . Ich glaube, wir sind mit solchen
Aufgaben etwas vertrauter, weil wir in den letzten Jahr-
zehnten mehrfach große Aufgaben bewältigen mussten .
Da war die Wiedervereinigung, an die viele schon nicht
mehr geglaubt hatten . Als sie dann kam, gab es die Idee,
sie mit Drei-, Fünf- oder Zehn-Punkte-Plänen zu bewäl-
tigen . Dann haben lange Zeit viele gesagt: Das schaffen
wir nicht . – Als es dann darum ging, die Wiederverei-
nigung nach 20 bzw . 25 Jahren zu feiern, war allen be-
wusst: Das war doch klar, dass wir das schaffen . – So ist
das eben . So ähnlich ist das auch mit der Energiewende .
Wenn die Energiewende abgeschlossen ist, dann werden
wir zusammen mit der restlichen Welt sagen: Das war
doch klar, dass die Deutschen das schaffen .

Dann haben wir die Wirtschaftskrise gehabt, die uns
stark herausgefordert hat und in der viele gesagt haben:
Das ist nun endgültig das Ende der deutschen Wohlfühl-
sozialpolitik . – Es war nicht das Ende . Wir haben un-
ser Sozialsystem erhalten . Wir stehen heute, wie es die
Kanzlerin versprochen hat, besser da als vorher . – Das
spricht dafür, dass wir etwas sind, was wir gar nicht ver-
muten: eine dynamische Nation; eine Nation, die in der
Lage ist, Probleme zu bewältigen, auch wenn sie an dem
Tag, an dem das Problem auftaucht, keinen kompletten
Lösungsweg vorlegen kann .

Politik funktioniert nicht wie eine Fahrt auf verlegten
Eisenbahnschienen . Sie ist eher ein bisschen wie Segeln:
Sie wissen, wohin Sie wollen . Sie sollten wissen, wo
Norden ist . Sie können aber den Wind nicht vorherbe-
stimmen . Was Sie tun können, ist, die Segel richtig zu
setzen . Aber Sie werden keinen völlig geradlinigen Kurs
fahren, von dem man sagen kann: Genau das ist der
Weg . – Das Entscheidende ist, dass Sie dort ankommen,
wo Sie es wollen . Das Faszinierende an der Politik unse-
rer Bundeskanzlerin ist, dass der von ihr eingeschlagene
Weg zum Ziel der beste Kurs ist, was man aber nicht zu
jeder Zeit sieht .

Ich habe mich in dieser Debatte über zwei Beiträge –
es gab viele gute Beiträge – besonders gefreut . Der eine
Beitrag war von unserer Bundeskanzlerin, in dem sie sich
klar hinter die schwarze Null gestellt hat . Der Architekt
der schwarzen Null ist der Bundesfinanzminister. Nun
kann man sagen: Na ja, wenn sich nicht einmal der Fi-
nanzminister hinter die schwarze Null stellt, wer dann?

In der heutigen Zeit könnten viele sagen: Man kann
doch jetzt eine Ausnahme machen und das Ziel der
schwarzen Null aufgeben, weil das aktuelle Problem so
groß ist . – Ralph Brinkhaus hat gestern gesagt: Natürlich
stehen wir vor einem großen Problem . Aber wir können
nicht garantieren, dass die nächste Generation nicht auch
sehr große Probleme haben wird . Das heißt, wir dürfen
deren Ressourcen nicht verbrauchen .

Der Vorteil von dem, was hier – sowohl positiv als
auch negativ – als „Auf-Sicht-Fahren“ bezeichnet wor-
den ist, ist, dass man dadurch so fährt, dass man genug
Möglichkeiten hat, den Kurs noch zu ändern, und dass
man sich auf diese Weise nicht seiner Möglichkeiten

Staatsministerin Aydan Özoğuz






(A) (C)



(B) (D)


beraubt, weil man glaubt: Die Schwierigkeiten, die man
sieht, sind die einzigen, die man bewältigen muss .

Wir hier im Parlament sind dabei, ganz normal und
unaufgeregt einen Haushalt zu diskutieren, obwohl drau-
ßen Terror, Flucht und Vertreibung herrschen . Terror ist
erschreckend; er steht aber für keine Werte . Das Böse ist
banal; ihm wohnt keine Tiefe inne . Das heißt, die Aus-
einandersetzung, die wir führen, ist gar nicht gegen ein
anderes Wertesystem gerichtet . Das wäre auch für die
Länder bzw . Kulturen beleidigend, aus denen einzelne
Täter kommen . Vielmehr kämpfen wir einfach nur gegen
die Banalität des Bösen . Das galt für die RAF, und es gilt
für den NSU und den IS .

Mörder sind Mörder . Die Antwort gibt der Rechts-
staat . Wir behandeln die Täter so wie Mörder – nicht bes-
ser und nicht schlechter . Deswegen ist der Kurs, den wir
hier fahren, vollkommen richtig . Es ist auch richtig, nicht
Hunderttausende Menschen irgendwie in Kollektivhaft
zu nehmen; denn das Böse und das Banale treffen wir
überall an . Gleichzeitig ist es richtig, dass wir uns mit
aller Kraft schützen . Das bildet dieser Bundeshaushalt
auch ab .

Der zweite Beitrag, der mich sehr gefreut hat, kam
von meinem Fraktionsvorsitzenden . Er hat gesagt, wo-
rum es wirklich geht . Es geht darum, dass in einer Krise
eben nicht jedes Land in Europa für sich national und
egoistisch reagieren darf, sondern dass wir dieses Prob-
lem gemeinschaftlich angehen und damit auch die Stärke
Europas zeigen . Und es geht darum, dass Europa gegen-
über jedem System, jeder Macht und jedem Einzeltäter,
der sich nicht gemäß einer freiheitlich-demokratischen
Grundordnung verhält, eine klare Grenze zieht . Diese
Grenze muss deshalb gezogen werden, damit wir inner-
halb Europas, also innerhalb unseres Wertesystems, frei
leben und jedem anderen auch diese Freiheit zugestehen
können . Das ist das Ziel . Es ist das, was uns eint . Genau
das ist der Kurs, den wir steuern .

Die Staatsministerin hat ja auch erwähnt, dass ihr klei-
ner Haushalt – bei kleinen Haushalten ist es ganz leicht,
ihn bedeutend zu steigern – erhöht worden ist . Auch
der Kulturetat ist gesteigert worden . Früher habe ich an
dieser Stelle immer gesagt: Kultur ist unsere beste Au-
ßenwerbung . – Darauf verzichte ich jetzt einmal . Selbst-
verständlich waren es nicht die Selfies der Kanzlerin,
sondern es war ausschließlich der Neubau des Museums
der Moderne in Berlin, der Hunderttausende angezogen
hat . Eigentlich wäre es schön, wenn Menschen aus ei-
ner sehr alten Kulturnation oder Kulturregion wie Syrien
ausschließlich deswegen zu uns kämen, weil sie einmal
sehen wollen, was wir hier so machen .

Diese Menschen sind – das ist klar – aus anderen
Gründen gekommen; aber sie werden genau beobachten,
was wir hier machen . Zum überwiegenden Teil werden
sie wieder nach Hause gehen . Das sagen Ihnen auch jun-
ge Leute, die ein Jahr lang in Australien, Amerika oder
Asien waren . Natürlich kommen sie verändert wieder
zurück . Obwohl sie ihrer Herkunft treu geblieben sind,
bringen sie etwas Neues mit . So gern ich auch im Saar-
land oder in Italien bin, ich freue mich immer, wenn ich
zurück nach Hamburg komme .

So geht es diesen Menschen, die zu uns kommen,
auch . Gleichzeitig aber sind sie Botschafter ihres Gast-
landes und für uns natürlich auch eine große Chance . Die
meisten Dinge in der eigenen Stadt lernt man dadurch
richtig kennen, wenn man sie Fremden zeigen muss . Wir
tun das jetzt in einem sehr großen Umfang . Wir tun es
auch, indem wir das Ehrenamt – im Ministerium heißt
das jetzt „Integrationslotsen“ – stärken und zum Beispiel
die sehr vielen Menschen, die in Chören und Theater-
gruppen sowie in der bildenden Kunst aktiv sind, darin
bestärken, gemeinsam mit deutschen Jugendlichen und
Jugendlichen, die als Migranten erst seit kurzem hier
sind – anders als es bei mir der Fall ist, dessen Familie
vor 200 Jahren aus Köln hierhergekommen ist –, etwas
zu unternehmen .

Es besteht, glaube ich, eine gute Chance, diese Mög-
lichkeiten in unserem Land zu nutzen und gemeinsam
Spaß daran zu haben, die eigene und die fremde Kultur
zu erleben . Wenn die Menschen am Ende nach zwei oder
drei Jahren zurückkehren, weil wir es gemeinsam mit den
westlichen Alliierten geschafft haben, in ihren Ländern
wieder Frieden herzustellen, dann werden sie ein sehr po-
sitives Deutschland- und Europabild haben .

Wenn wir unsere Art und Weise, zu leben, auch in der
Zukunft erhalten wollen, wird das nur auf europäische
Art und Weise gehen . Wir können das nur gemeinsam
mit unseren europäischen Partnern machen . Wir sollten
uns nicht von solchen Leuten beeindrucken lassen, die
aus einer anderen Welt kommen, aber noch nicht einmal
für ihre eigenen Kulturwerte stehen . Denn wenn jemand
aus Syrien kommt – viele kommen ja gar nicht von dort –
und hier Terror verbreitet, dann kann er in seiner eigenen
Landesgeschichte dafür keine Begründung finden. Die
gibt es nicht . Es gibt keine Begründung dafür, dass man
wahllos Menschen tötet . Es mag immer nachvollziehbare
Gründe geben, dass der eine oder andere sich so entwi-
ckelt und sich verführen lassen hat – es ist auch interes-
sant, dem nachzuspüren –; das ist aber keine Begründung
dafür .

Es ist so: Tiefe wohnt nicht dem Bösen, sondern nur
dem Schönen inne. Dem sind wir auch verpflichtet, und
ich glaube, dass wir das in einer sehr guten und ruhigen
Art abbilden, auch in unserem Haushalt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813902300

Sonja Steffen von der SPD-Fraktion spricht als nächs-

te Rednerin .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sonja Steffen (SPD):
Rede ID: ID1813902400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Zuschau-
ertribünen! Langjährige Haushälter haben mir als noch
neue Haushälterin bestätigt, dass die Bereinigungssit-
zung des Haushaltsausschuss für den Etat 2016 eine der

Rüdiger Kruse






(A) (C)



(B) (D)


längsten war, die sie jemals erlebt haben . Dies ist auch
kein Wunder; denn wir hatten in diesem Jahr besonders
wichtige und dringende Aufgaben zu erfüllen . Ein Ge-
samtetat in Höhe von 316,9 Milliarden Euro ist auf die
einzelnen Ressorts verteilt worden . Dabei hatten wir von
der Regierungskoalition drei besonders wichtige, ambiti-
onierte Ziele, die unter anderem mein Kollege Johannes
Kahrs und auch Carsten Schneider in seiner Rede gestern
schon aufgeführt haben .

Eines unserer Ziele war eine nachhaltige und sozial
gerechte Finanzpolitik . Diese ist uns mit dem vorliegen-
den Haushalt gelungen . Wir haben erneut einen Haushalt
ohne neue Schulden beschlossen, und das trotz der gro-
ßen finanziellen Herausforderungen im Zusammenhang
mit der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen . Da-
bei helfen uns natürlich die solide Finanzpolitik der ver-
gangenen Jahre sowie die gegenwärtige gute wirtschaft-
liche Situation in Deutschland .

Wir sind es den Nachfolgegenerationen schuldig –
Herr Kruse hat vorhin ebenso wie Herr Brinkhaus gestern
schon darauf hingewiesen –, dass wir ihnen keine Schul-
denberge hinterlassen . Wir stehen in den nächsten Jahren
und Jahrzehnten vor immensen Herausforderungen, sei
es der Kampf gegen die Armut und den Hunger in der
Welt oder der Kampf gegen den Klimawandel . Auch an-
dere globale Aufgaben sind nur zu schaffen, wenn nach-
haltig gewirtschaftet wird . Wir können es nicht unseren
Kindern und Enkelkindern überlassen, diese Aufgaben
zu meistern . Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, keine
neuen Schulden zu machen . Deshalb teile ich das Ziel,
das auch die Bundeskanzlerin in ihrer Rede genannt hat:
Wir dürfen den ausgeglichenen Haushalt nicht aus den
Augen verlieren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Der Haushalt 2016 beweist aber auch, dass wir die an-
stehenden Aufgaben offensiv angehen . Insgesamt haben
wir 7,5 Milliarden Euro für Ausgaben im Zusammenhang
mit Flüchtlingen bereitgestellt, 3,3 Milliarden Euro allein
für die Länder und Kommunen . Wir haben die Stärkung
der Mittel beim BMAS, beim BMI und beim Familien-
ministerium beschlossen . Wir haben 8 Milliarden Euro
an Regionalisierungsmitteln für die Länder vorgesehen .

An dieser Stelle darf ich als Ostabgeordnete – ich teile
mir den Wahlkreis mit der Bundeskanzlerin, die leider
gerade nicht anwesend ist – darauf hinweisen: Die ost-
deutschen Bundesländer sind besonders auf die Regio-
nalisierungsmittel angewiesen . Deshalb ist meine drin-
gende Bitte an alle Anwesenden: Sorgen Sie dafür, dass
es bei einem gerechten Verteilungsschlüssel bleibt, damit
wir unsere Regionalbahnen im Osten nicht verlieren!
Denn in den ländlichen Räumen sind wir extrem darauf
angewiesen .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Ich habe mich übrigens auch besonders gefreut, als ich
heute Morgen in den Nachrichten hörte, dass die 10 000
neuen Stellen für den Bundesfreiwilligendienst schon
zum 1 . Dezember dieses Jahres, also in ein paar Tagen,
bereitstehen und die sogenannten Bufdis ihren Dienst
beginnen können . Da soll uns noch einmal jemand vor-

werfen, dass wir nicht flexibel und schnell auf die gegen-
wärtigen Probleme reagieren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die Krisen, vor denen die
Menschen zu uns fliehen, haben eindeutige Ursachen.
Wenn wir diese nicht beseitigen und Lösungen anbieten,
dann werden wir den Menschen hier wie dort nicht lang-
fristig helfen können .

Ein überragend wichtiges Ziel – auch darauf hat die
Kanzlerin in ihrer Rede hingewiesen – ist es, dass wir
mit unserer Hilfe dazu beitragen, dass die Menschen sich
nicht auf den Weg machen . Man geht davon aus, dass
gegenwärtig 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind .
Dabei geht es nicht nur um Flucht vor Krieg, sondern
auch um Flucht vor ethnischer Verfolgung sowie Flucht
vor Hunger und Seuchen . Niemand – ich will das beto-
nen: niemand – verlässt freiwillig sein Land . Ich danke
Herrn Kauder, dass er einen Kollegen, der im Libanon
unterwegs war, als Beispiel nannte . Sie haben gesagt: Es
kommt niemand wegen Twittermeldungen vom schönen
Leben hierher . – Stimmt, das ist nicht der Fall . Die Men-
schen wollen nicht ihre Familie, ihre Freunde, ihr manch-
mal besser empfundenes Klima und ihren Lebensmittel-
punkt verlassen . Sie kommen wirklich, weil sie keinen
anderen Ausweg mehr haben .

Zur Bekämpfung der Fluchtursachen haben wir in die-
sem Etat eine ganze Menge Geld in die Hand genommen .
Allein der Etat des Bundesministeriums für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung ist im kom-
menden Jahr mit 7,4 Milliarden Euro der höchste in der
bisherigen Geschichte des Ministeriums . Herr Bartsch,
ich gebe Ihnen recht: Möglicherweise muss man darüber
nachdenken, ob dieser Etat ausreicht . Es ist schwierig,
ihn mit anderen Etats zu vergleichen . Sie haben ihn mit
dem Etat des Verteidigungsministeriums verglichen . Ich
finde, dass jeder Etat für sich steht und dass Vergleiche in
diesem Fall sehr schwierig sind . Aber ich freue mich und
bin stolz darauf, dass wir den Etat 2016 um 860 Millio-
nen Euro erhöht haben .

Die Unterstützung von Flüchtlingen und die Bekämp-
fung von Fluchtursachen in den Herkunftsländern haben
derzeit höchste Priorität . Genau diese Priorität haben
wir im Haushaltsausschuss noch einmal konkretisiert . –
Ich sehe gerade Volkmar Klein, meinen Kollegen von
der Union . Wir haben den Entwurf mit viel Kreativität
verändert, um ihm einen neuen Fokus zu geben und ins-
besondere die beiden Titel im Einzelplan 23, aus denen
direkt Mittel in die internationale Flüchtlingshilfe flie-
ßen, noch einmal zu stärken . Das betrifft besonders die
Bereiche Krisenbewältigung und Wiederaufbau, Infra-
struktur sowie die Bereiche „Fluchtursachen bekämpfen“
und „Flüchtlinge integrieren“ . Diese zusätzlichen Mittel
werden genau in die Regionen fließen, die am stärksten
von Krisen und Kriegen betroffen sind . Die Hauptauf-
nahmeländer für Flüchtlinge wie der Libanon, Jordanien,
der Irak und die Türkei – dazu wurde heute schon viel
gesagt – müssen dringend stärker unterstützt werden . Ich
will noch einmal darauf hinweisen: Allein im Libanon ist
mittlerweile jeder vierte Bewohner aus Syrien . Wir müs-

Sonja Steffen






(A) (C)



(B) (D)


sen dafür sorgen, dass die Menschen in den Aufnahme-
ländern Perspektiven haben und sich nach Kriegsende in
ihrer Heimat am Wiederaufbau beteiligen können .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die allermeisten Flüchtlinge – das hört man immer wie-
der in Gesprächen – wollen dies auch .

Hin und wieder müssen wir uns in unseren Wahlkrei-
sen Diskussionen aussetzen, in denen es darum geht, ob
die Entwicklungshilfe und die Entwicklungszusammen-
arbeit tatsächlich so hilfreich sind und wohin das Geld
eigentlich geht . Ich habe mich vor ein paar Wochen auf
einer Reise mit der GIZ in den Südsudan davon überzeu-
gen können, wie gut angelegt das Geld ist, das wir in die
Entwicklungszusammenarbeit investieren .

Ich möchte den Rest meiner Redezeit nutzen, um al-
len Entwicklungshelfern ein ausdrückliches Dankeschön
auszusprechen, die im Moment in der ganzen Welt un-
terwegs sind, die unter gefährlichen und widrigsten Um-
ständen leben und gleichzeitig Botschafter für die demo-
kratischen Strukturen sind . Vielen Dank an dieser Stelle .

Herzlichen Dank für das Zuhören .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813902500

Als nächster Redner spricht Harald Petzold von der

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813902600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Es ist
seit vielen Jahren eine gute Tradition, dass im Rahmen
der Generaldebatte über den Haushalt der Bundeskanz-
lerin und des Bundeskanzleramtes auch der Haushalt der
Beauftragten für Kultur und Medien behandelt wird . Zu
diesem Teil des Haushalts möchte ich nun sprechen .

Auch ich möchte meine Rede mit Frankreich beginnen,
zum einen um meine Abscheu für dieses Attentat zum
Ausdruck zu bringen, das den Kulturbereich in Frank-
reich in erheblichem Maße getroffen hat, und zum ande-
ren um Frankreich – der Kollege Bartsch hat heute früh
von Hoffnung geredet – als gutes Beispiel für Deutsch-
land mit Blick auf die Filmförderung und die Bewahrung
des Filmerbes zu nennen . Denn in Frankreich wird Film
gern als siebente Kultur bezeichnet . Die Filmgeschichte
ist Teil des Unterrichts an französischen Schulen . Daran
sieht man, dass die Bewahrung des Filmerbes bei un-
serem Nachbarn sowohl eine gesellschaftliche als auch
eine staatliche Aufgabe ist . Ich denke, daran sollte man
sich orientieren, zumal wir in dieser Hinsicht um Licht-
jahre von Frankreich entfernt sind .

Wie ist die Situation in Deutschland? Vor fast ge-
nau zwei Jahren, am 26 . November 2013, ist von über
5 000 Personen aus der hiesigen Film- und Kulturszene
ein Aufruf zur Sicherung des deutschen Filmerbes vor-
gelegt worden . In diesem Aufruf sind wir mit der Tat-

sache konfrontiert worden, dass es darum geht, über
31 000 lange Filme, also richtige Spielfilme, und über
137 500 Kurzfilme zu bewahren, und dass es um Gesamt-
kosten in Höhe von 473,9 Millionen Euro geht .

Dann gab es ein Gutachten, das die Gesamtkosten auf
wenigstens 100 Millionen Euro, verteilt auf zehn Jah-
re, beziffert hat . Dann wurde uns der Haushaltsentwurf
vorgelegt, und darin stand eine Null . Es ist der Bereini-
gungssitzung und damit den Haushälterinnen und Haus-
hältern zu verdanken, dass jetzt wenigstens 1 Million
Euro im Haushalt auftauchen sollen . Dazu kann ich nur
sagen: Vielen Dank dafür, aber mehr als ein symbolischer
Betrag ist das natürlich nicht .


(Martin Dörmann [SPD]: Wir arbeiten an mehr!)


Nun hat die Staatsministerin im August dieses Jahres
vorgeschlagen, einen – ich zitiere – „nachhaltigen Fahr-
plan für die Digitalisierung des nationalen Filmerbes zu
erarbeiten …“ . Darin sollen die Bundesländer einbezo-
gen werden . Auch das wird natürlich unsere Unterstüt-
zung finden. Aber es kann doch nicht sein, dass sich die
Staatsministerin jetzt darauf beschränkt, 16 Flöhe in ei-
nen einzigen Sack locken zu wollen . Es muss endlich ge-
handelt werden . Es müssen endlich Mittel zur Verfügung
gestellt werden . Wir sagen: Es sollte wenigstens dieses
Gutachten umgesetzt werden, und es sollten mindestens
10 Millionen Euro pro Jahr für einen Digitalisierungs-
prozess zur Rettung und Bewahrung des Filmerbes ein-
gestellt werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das Jahr 2016 wird darüber hinaus noch aus einem
anderen Grund ein wichtiges Jahr für den deutschen Film
werden . Es soll nämlich das Filmfördergesetz novelliert
werden . Die Linke hat bereits im September eine Fach-
tagung dazu in Potsdam durchgeführt, auf der wir ge-
meinsam mit Spitzenvertretern der Filmwirtschaft über
die Frage beraten haben, was tatsächlich an dem Gesetz
verändert werden muss und wo Nachholbedarf besteht .

In der vorigen Woche hat die Staatsministerin mit ei-
nem zweitätigen Hearing, ebenfalls in Potsdam, nachge-
zogen . Es sind aus unserer Sicht drei wichtige Bereiche
genannt worden:

Der erste Bereich umfasst die Gesamtausstattung der
Filmförderung, die mindestens 70 Millionen Euro pro
Jahr betragen sollte . Deswegen sagen wir: Der Stillstand
in der Filmförderung muss endlich beendet werden . Wir
brauchen diese 20 Millionen Euro zusätzlich, wie die
Linke in ihrem Antrag zur nachträglichen Beschlussfas-
sung fordert, zumal Sie selbst festgestellt haben, dass Sie
im nächsten Jahr mindestens 11,6 Millionen Euro zusätz-
lich an Verpflichtungsermächtigungen benötigen. Legen
Sie nach, und stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu,
was die Ausstattung anbelangt .

Der zweite Schwerpunkt betrifft die Frage, wie mit
Frauen in der Filmwirtschaft umgegangen wird . Es ist
sowohl auf unserer Fachtagung als auch bei der Anhö-
rung der Staatsministerin in Potsdam deutlich geworden,

Sonja Steffen






(A) (C)



(B) (D)


dass nur 10 Prozent der Fördermittel tatsächlich Projek-
ten zugutekommen, in denen Frauen als Regisseurinnen,
Drehbuchautorinnen sowie Produzentinnen beschäftigt
sind oder die sich ansonsten besonderen Fraueninhalten
widmen . Andersherum gesagt: 90 Prozent der Mittel ge-
hen nur an Männer . Das ist ein Missverhältnis, das nicht
länger hingenommen werden kann .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU])


Da ich befürchte, dass sich niemand mit den Män-
nern in der Filmwirtschaft wird anlegen wollen, sage ich:
20 Millionen Euro zusätzlich wären gut angelegtes Geld,
weil dann wenigstens 30 Prozent der Projekte, die von
Frauen gemacht werden, gefördert werden könnten . Das
fordern wir nachdrücklich .

Der letzte Schwerpunkt – damit komme ich zum
Ende, Frau Präsidentin – betrifft die Frage der Prekari-
sierung, die im Bereich der Kultur- und Filmschaffenden
eingesetzt hat . Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion,
Herr Kauder, hat heute Vormittag den Balken beklagt,
den Herr Bartsch angeblich in seinem Auge nicht sehen
würde . Ich kann das Kompliment zurückgeben . Herr
Kollege, Sie haben doch genauso wie ich ganz viel Kon-
takt mit Filmschaffenden und Kulturschaffenden . Sie
müssten wissen, welche Verhältnisse dort im Bereich
der Entlohnung inzwischen herrschen . Für die Betrof-
fenen passen die Fördermechanismen inzwischen nicht
mehr . Auch das, was im Bereich der sozialen Sicherung
stattfindet, passt für die Kultur- und Filmförderung nicht
mehr . Dieses Sich-von-Projekt-zu-Projekt-Hangeln ist
nicht kompatibel mit den Mechanismen, die wir haben .
Wir brauchen hier endlich neue Lösungen, weil für die
Betroffenen die gegenwärtige Praxis im Grunde genom-
men ein Absterben auf Raten bedeutet . Das wollen wir
nicht länger hinnehmen .

Letzter Gedanke . Filme sind sicherlich ein Wirt-
schaftsgut; aber sie sind in erster Linie ein Kulturgut, und
als solches sollten wir sie behandeln . Deswegen sollten
wir die Filmwirtschaft besser ausstatten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813902700

Als nächster Redner spricht Marco Wanderwitz von

der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1813902800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst einmal können wir heute festhalten, dass der
Teil der Generaldebatte, der sich dem Haushalt der BKM,
dem Haushalt der Beauftragten der Bundesregierung für
Kultur und Medien, widmet, ein Anlass zur Freude ist .
Wir haben es fast mit einem Automatismus zu tun – es
ist kein wirklicher Automatismus –, dass es mittlerwei-
le Jahr für Jahr, genau genommen seit 2005 – seit die
Union den Kulturstaatsminister stellt –, zu Steigerungen

im Haushalt kommt . Diese Steigerungen sind sowohl im
Regierungsentwurf als auch in dem Haushaltsentwurf zu
finden, der nach den parlamentarischen Beratungen ver-
abschiedet wird .


(Beifall des Abg . Ulrich Petzold [CDU/CSU])


Schon im Regierungsentwurf war eine Steigerung, lie-
be Monika Grütters, um 4,55 Prozent vorgesehen . In der
Summe sind das stattliche 56 Millionen Euro, was sich
sehen lassen kann. Ich möchte unserem Bundesfinanzmi-
nister ausdrücklich dafür danken, dass er auch in Zeiten,
in denen wir richtigerweise die schwarze Null erreichen
wollen, ein Augenmerk auf die Kultur legt . Deswegen
sind wir umso dankbarer, dass der Bund im Bereich Kul-
tur und Medien nicht spart, sondern drauflegt.


(Johannes Kahrs [SPD]: Immer gern!)


– Ja, auf euch Haushälter komme ich auch noch zu spre-
chen .

Ich bleibe aber erst einmal beim Regierungsentwurf;
er stammt vom März . Der Regierungsentwurf enthält
schon einige wichtige Punkte, etwa die Steigerung um
besagte 56 Millionen Euro . Der größte Block davon,
38 Millionen Euro, fließt in die Deckung der gestiegenen
Personalkosten . Davon wiederum gehen 12 Millionen
Euro an die Deutsche Welle . Das war wichtig, das war
richtig; das war auch ein Stück weit überfällig . Aber es
war eben nicht selbstverständlich . Deswegen freuen wir
uns, dass das für den Haushalt der BKM erreicht worden
ist . Das trägt nämlich auch für die nächsten Jahre .

Es gibt einen weiteren Punkt aus dem Koalitionsver-
trag, den wir abarbeiten konnten, wir haben nämlich eine
Lücke in der Förderung der Fonds geschlossen: In der
Umsetzung befindet sich die Etablierung des im Koaliti-
onsvertrag angesprochenen neuen Musikfonds, der sich
der Förderung zeitgenössischer Musik widmen soll . Da-
für stehen 1,1 Millionen Euro zur Verfügung . Wir haben
bei dieser Gelegenheit die Fonds, die an sich schon eine
große Erfolgsgeschichte sind, aus der Kulturstiftung des
Bundes in ein Stück mehr Selbstständigkeit überführt .
Auch das war eine gute und richtige Entscheidung . Im
Regierungsentwurf waren Investitionsmittel für das Bau-
haus-Jubiläum angelegt, und es wurde auch der Mar-
tin-Gropius-Bau hier in Berlin, in dem so viel Tolles
stattfindet, in die institutionelle Förderung übernommen.
Also: Schon der Regierungsentwurf kann sich mehr als
sehen lassen .

Nun zu den Haushältern, die mehr als 100 Millionen
Euro draufgelegt haben, sodass der Haushalt nun Mittel
von rund 1,4 Milliarden Euro umfasst . Wir als Fachpo-
litiker sind froh und dankbar – da spreche ich auch in
deinem Namen, lieber Martin Dörmann –,


(Martin Dörmann [SPD]: Auf jeden Fall!)


dass unsere Haushälter dies erreicht haben .


(Beifall des Abg . Bernhard Kaster [CDU/ CSU])


Zum einen ist die bereitstehende Summe ordentlich und
stattlich . Zum anderen gilt dies für den kollegialen Um-

Harald Petzold (Havelland)







(A) (C)



(B) (D)


gang und das Verfahren, mit dem wir gemeinsam die
richtigen Schwerpunkte setzen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lieber Johannes Kahrs, lieber Ecki Rehberg, lieber
Rüdiger Kruse, herzlichen Dank!

Ich möchte natürlich auch meinem Fraktionsvorsit-
zenden Volker Kauder danken, der hier eben vom Kol-
legen Petzold adressiert worden ist . Wie sich Haushalte
entwickeln, hat immer viel damit zu tun, ob die Frak-
tionsvorsitzenden einen Schwerpunkt in diesem Bereich
sehen oder nicht . Volker Kauder ist ein Mann, der im Be-
reich von Kultur und Medien engagiert ist, und deshalb
passt es auch .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wenn es in unserem Land Probleme im Bereich der
Kultur gibt, wenn es beispielsweise eine Rote Liste des
Deutschen Kulturrates gibt, auf der steht, was alles nicht
funktioniert, dann will ich an dieser Stelle klar und deut-
lich sagen: Es liegt nicht am Bund . Wir machen unsere
Hausaufgaben seit vielen Jahren . Wir tun mittlerweile
eine ganze Menge in der Fläche, obwohl wir dies nicht
unbedingt müssten; trotzdem finden wir Wege, dies zu
tun . Ich will nur beispielsweise das erfolgreiche Denk-
malschutz-Sonderprogramm nennen . Aber die Länder
müssen unserem Subsidiaritätsprinzip entsprechend ihrer
Aufgabe nachkommen und im Bereich von Kultur mehr
tun als bisher . Sie sind vorrangig zuständig . Dass Nord-
rhein-Westfalen wieder auf Platz eins der Roten Liste des
Kulturrats ist, das gilt es zum einen festzuhalten . Zum
anderen sind die Länder, die dort Probleme haben, ge-
fragt, mehr zu tun .


(Beifall bei der Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will auch auf den Bereich Film eingehen, der schon
angesprochen worden ist, weil das einer der Schwerpunk-
te der Arbeit ist, vor allen Dingen, weil die Novelle des
Filmförderungsgesetzes ansteht . Zunächst einmal gilt
es festzuhalten, dass dieser Haushalt – das hat natürlich
viel mit dem Schwerpunkt zu tun, den die Haushälter ge-
setzt haben – die dritte Säule der Filmförderung auf das
Niveau der beiden anderen Säulen gehoben hat . Neben
der Förderung über die Filmförderungsanstalt und über
den steuermittelfinanzierten Deutschen Filmförderfonds
steht jetzt die kulturelle Filmförderung mit 20 Millionen
Euro; das ist eine Vervierfachung . Wir werden damit dem
gerecht, was das Bundesverfassungsgericht uns aufgege-
ben hat, nämlich Film als Wirtschaftsgut auf der einen
Seite und als Kulturgut auf der anderen Seite zu sehen .
Deswegen bin ich sehr froh, dass dort 15 Millionen Euro
zusätzlich zur Verfügung stehen .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813902900


Herr Kollege Wanderwitz, es gibt den Wunsch nach
einer Zwischenfrage .


Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1813903000

Grundsätzlich sage ich immer Ja . Ich habe noch nicht

gesehen, wer sie stellen möchte .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813903100

Herr Liebich .


Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1813903200

Bitte schön .


Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813903300

Vielen Dank, Herr Kollege Wanderwitz, dass Sie die-

se Frage zulassen . – In meinem Wahlkreis in Pankow
befindet sich die Robert-Havemann-Gesellschaft, die in
diesem Jahr ihren 25 . Geburtstag gefeiert hat und die
bei der Aufbewahrung der Bestände der DDR-Opposi-
tion eine sehr verdienstvolle Arbeit leistet . Von unserer
Fraktion wurde im Haushaltsausschuss der Antrag ge-
stellt, endlich eine institutionelle Förderung für die Ro-
bert-Havemann-Gesellschaft zu schaffen . Den gleichen
Antrag haben wir im Abgeordnetenhaus von Berlin mit
rot-schwarzer Mehrheit gestellt . In beiden Fällen wur-
de das abgelehnt . Mich würde interessieren, was Ihr
Plan für die institutionelle Absicherung der Robert-Ha-
vemann-Gesellschaft ist .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1813903400

Ich bin nicht ganz undankbar für die Frage, weil sie

mir die Zeit gibt, das anzusprechen . – Es ist so, dass diese
sehr verdienstvolle Arbeit im Koalitionsvertrag erwähnt
ist . An der Stelle soll mehr passieren . Es gibt intensive
Gespräche, insbesondere mit dem Land Berlin; denn klar
ist natürlich eines: Das ist eine klassische Einrichtung
von der Art, die nicht der Bund allein finanzieren kann.
Hier brauchen wir das Sitzland . Das muss mittun . In die-
sem Sinne ist unsere Staatsministerin unterwegs .

Klar ist aber auch: Eine institutionelle Förderung
müssen wir im Haushaltsentwurf abbilden . Das könnten
die Haushälter, selbst wenn sie es wollten, nicht hinein-
schreiben .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist jetzt ein Irrtum! Natürlich können die Haushälter alles beschließen!)


Ich bin guten Mutes, dass uns das im nächsten Jahr ge-
lingt .

Wir haben schon eine ganze Menge im Bereich der
Havemann-Gesellschaft auf den Weg gebracht . Zum Bei-
spiel hat es für die wiederaufgebaute Dauerausstellung
Projektmittel gegeben .

Sie haben ein wichtiges Thema angesprochen, und ich
bin optimistisch, dass wir das hinbekommen .


(Zuruf von der LINKEN: Das hat jetzt auch nicht geholfen! – Volker Kauder [CDU/CSU], an den Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE] gewandt: Setzen!)


Marco Wanderwitz






(A) (C)



(B) (D)


Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen, weil
er mir am Herzen liegt und weil wir hier natürlich nicht
nur über Kultur, sondern auch über Medien sprechen,
und das ist die Deutsche Welle . Die Deutsche Welle, der
größte Ausgabenposten im BKM-Haushalt, ist auf dem
Weg, noch ein Stück weit mehr als bisher, zu einer Er-
folgsgeschichte . Der neue englischsprachige TV-Kanal,
der in der neuen Aufgabenplanung, die wir mehrheitlich
auf den Weg gebracht haben, angelegt ist, etabliert sich
sehr gut . Es gibt gute Quoten . Es gibt sehr viel Lob .

Bei dieser Gelegenheit möchte ich ausdrücklich sa-
gen: Mich hat die Berichterstattung der Deutschen Wel-
le zu den furchtbaren Terroranschlägen in Paris, sowohl
was die Aktualität als auch was die Sensibilität betrifft,
sehr überzeugt . Das hat nicht bei jedem so hundertpro-
zentig funktioniert; bei der Deutschen Welle jedenfalls
hat es funktioniert .


(Martin Dörmann [SPD]: Das ist wahr!)


Die neue Deutsche-Welle-App ist bereits über
800 000-mal downgeloadet worden . In 22 Ländern ist
sie in den Top Ten der jeweiligen App Stores . Die Zahl
der wöchentlichen Nutzerkontakte ist von 101 Millionen
vor zwei Jahren auf 118 Millionen angestiegen . Vor allen
Dingen gibt es Aufwüchse im Bereich der Onlineange-
bote der Deutschen Welle . Deswegen bin ich froh und
dankbar, dass es uns gelungen ist, beispielsweise im Be-
reich des arabischsprachigen Programms, beispielsweise
im Konfliktfeld des russischen und des ukrainischen Pro-
gramms das, was wir dort in den letzten Jahren geschaf-
fen haben, fortzuführen und die Deutsche Welle so aus-
zustatten, dass sie in der Lage ist, den Aufgaben gerecht
zu werden, deren Erfüllung wir uns wünschen . Da haben
wir in den nächsten Jahren noch ein bisschen mehr zu
tun . Aber wir können erst einmal festhalten: Wir haben
schon viel erreicht .

Hier und da diskutieren wir ja darüber: Brauchen wir
so etwas wie einen öffentlich-rechtlichen Flüchtlingska-
nal? Ich glaube, der Hinweis, dass an der Stelle Bedarf
besteht, ist richtig . Aber es ist bei der Deutschen Welle
nicht sehr viel Ausbau an dieser Stelle erforderlich; damit
haben wir unseren öffentlich-rechtlichen Flüchtlingska-
nal, der vor allen Dingen auch in den Herkunftsländern
ein realistisches Bild von der Situation in Deutschland
vermittelt . Das ist ebenfalls sehr wichtig . Ansonsten,
glaube ich, tun wir gut daran, uns an so einem Tag wie
heute einfach zu freuen, dass der Haushalt der BKM so
ist, wie er ist, dass er wieder gelungen ist, und wir arbei-
ten im nächsten Jahr weiter daran .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813903500

Als nächste Rednerin hat Tabea Rößner von der Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])



Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813903600

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Lieber Harald Petzold und liebe Frau Staatsministerin

Grütters! Nach all den Verweisen auf die Bibel in der
heutigen Debatte ist man ja als Kulturpolitikerin fast ge-
neigt, die Ode an die Freude anzustimmen;


(Martin Dörmann [SPD]: Ja, das ist eine gute Idee!)


denn der Bundestag hat in der Tat gute Arbeit für den
Film geleistet . Auch auf Forderung von uns Grünen hin
wurde die kulturelle Filmförderung deutlich aufgestockt,
und der DFFF muss nicht mit einem Minus ins neue Jahr
starten . Das ist eine gute Nachricht – angesichts des mo-
natelangen Gezerres sozusagen in letzter Sekunde .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Martin Dörmann [SPD]: Das Ergebnis zählt!)


Etwas mehr Planungssicherheit für 2016 – das haben
die Filmschaffenden tatsächlich verdient . Wir täten gut
daran, sie für ihre eigensinnigen, kritischen, bereichern-
den Filme besser auszustatten,


(Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


und zwar nicht nur mit Geld und Anerkennung, sondern
vor allen Dingen mit der wichtigsten Währung über-
haupt, nämlich mit Unabhängigkeit und Freiheit;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


denn Filmschaffende sind dann am besten, wenn wir
ihnen nicht vorschreiben, wie ihre Filme zu sein haben .
Das geschieht leider viel zu oft, weil bei der Filmförde-
rung viel zu viele mitreden, noch bevor die erste Klappe
fällt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das deutsche Kino
ist außer Puste . Filmschaffende rennen gegen so vie-
le Wände an, dass sie ihren eigenen Ansprüchen kaum
gerecht werden können . Wir brauchen ein System, das
künstlerische Freiheit fördert und ermöglicht und nicht
verhindert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dafür braucht es Mut und Risiko . Das gilt im Übrigen
auch für die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien .
Ich verstehe Sie ja . In der Filmbranche gibt es etliche Ak-
teure, die um alles ein Geheimnis machen . Wenn man ein
System will, das künstlerische Freiheit befördert, dann
besteht natürlich auch die Gefahr des Missbrauchs . Aber:
Statt alle unter Generalverdacht zu stellen, verordnen Sie
der Branche doch einfach mal Transparenz . Dann kann
sich Vertrauen auch tatsächlich entwickeln .

Probieren Sie es mal mit einer echten Auskunftspflicht
im Filmförderungsgesetz . Wie es mit Verträgen, Arbeits-
bedingungen, Erfolgen und Rückflüssen aussieht, geht ja
nicht nur die Buchhalter der Filmförderungsanstalt etwas
an . Es geht hier schließlich um Gelder, die die Zuschauer
zahlen . Deshalb hat auch die Öffentlichkeit ein berech-
tigtes Interesse daran, wie diese Gelder verwendet wer-
den . Gehen Sie also mit gutem Beispiel voran! Und: Her

Marco Wanderwitz






(A) (C)



(B) (D)


mit den Zahlen! Dann müsste vielleicht auch das Frage-
recht der Abgeordneten nicht so oft bemüht werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Also: Schenken Sie den Kreativen Vertrauen . Dann
wird es schon bald eine ganz andere Antragslage geben,
und Frauen würden per Gesetz nicht nur in Gremien sit-
zen, sondern vermehrt auch als Regisseurinnen arbeiten .
Ich habe Sie immer so verstanden, Frau Grütters, dass
das auch ein wichtiges Anliegen von Ihrer Seite ist . Ja,
dann tun Sie auch was dafür!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Überhaupt: Es wird Zeit, dass Sie sich mehr der Öf-
fentlichkeit stellen, zum Beispiel auch bei der ominösen
Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz, die
seit Monaten über die zukünftige Medienordnung berät,
allerdings wieder in den Hinterzimmern .

Fünf Arbeitsgruppen beraten über zentrale Themen
der Zukunft, über Vielfaltssicherung, über Plattform-
regulierung, über Intermediäre . Aber was da diskutiert
wird, welche Sachverständigen eingeladen oder welche
Vorschläge gemacht wurden – das alles scheint eine
Verschlusssache zu sein . Bisher keine Antwort aus dem
Kanzleramt .


(Martin Dörmann [SPD]: Wir werden das demnächst im Ausschuss debattieren!)


Es geht dabei um einen wesentlichen Pfeiler unserer De-
mokratie, und das Parlament bleibt außen vor . Alle re-
den davon, Google, Facebook und Co . an die Kandare
zu nehmen . Aber wo bleiben die Vorschläge, wie das er-
folgen soll? Wir brauchen dringend eine öffentliche De-
batte zu diesen Themen . Und da müssen Sie mutig nach
draußen gehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch an anderer Stelle erwarte ich eine klare Ansage:
Wie setzt sich die Bundesregierung eigentlich für Presse-
freiheit ein? In Deutschland geraten immer mehr Journa-
listen unter Druck, gewalttätige Übergriffe mehren sich .
Das macht mir große Sorge . Doch von der Kulturstaats-
ministerin hört man:


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Kein Wort!)


nichts .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Kein Wort!)


Dabei müssen wir doch dieser Gewalt und diesem Hass
von rechts entgegentreten . Journalisten müssen geschützt
werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Wenn Medien aus Angst vor Gewalt nicht mehr berich-
ten, dann laufen wir Gefahr, eine tragende Säule unserer
Demokratie zu verlieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es stellt sich auch die Frage, ob Journalisten bei Ver-
dächtigungen auf Landesverrat nicht besser geschützt
werden müssen . Justizminister Maas hat angekündigt,
das rechtlich zu prüfen . Schau‘n wir mal! In der ganzen
Affäre um netzpolitik .org hat man jedenfalls von der
Staatsministerin für Kultur und Medien nichts gehört .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Kein Wort!)


Auch auf rechtlicher Seite tun Sie nichts für Journalis-
ten . Wer als Journalist beim BND oder bei den Bundes-
ministerien recherchieren möchte, dem wird weiterhin
die Tür vor der Nase zugeschlagen . Darum brauchen wir
ein Presseauskunftsgesetz auch auf Bundesebene .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Frau Grütters, Sie haben noch knapp zwei Jahre . Zeit
genug, mehr Mut und mehr Risikobereitschaft zu bewei-
sen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813903700

Als nächster Redner spricht Martin Dörmann von der

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1813903800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Generaldebatte heute hat gezeigt: Wir alle stehen
noch unter dem Eindruck der jüngsten Terroranschlä-
ge von Paris . Sie und der Anschlag auf Charlie Hebdo
richten sich ganz gezielt gegen unsere kulturellen Wer-
te, gegen unser demokratisches Verständnis einer offe-
nen Gesellschaft und gegen die Freiheit von Medien und
Meinungen . Uns alle eint: Europa muss sich auf seine
freiheitliche Kultur und auf seine gemeinsamen Werte
besinnen und solidarisch handeln . Unser Signal an die
Terroristen ist deshalb eindeutig: Wir werden uns von
Fanatikern und Mördern nicht einschüchtern lassen, son-
dern stehen an der Seite unserer französischen Freunde .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer Kultur und Me-
dien stärkt, stärkt die Freiheit . Auch deshalb bin ich sehr
froh über das Ergebnis der Haushaltsberatungen . Es ist

Tabea Rößner






(A) (C)



(B) (D)


uns in dieser Wahlperiode bereits zum dritten Mal in Fol-
ge gelungen, den Etatansatz der Beauftragten für Kultur
und Medien noch einmal deutlich zu steigern . Ich will
hier ausdrücklich die zuständigen Haushälter der Koali-
tion nennen und mich bei den Kollegen Johannes Kahrs
und Rüdiger Kruse sehr herzlich bedanken . Erneut unter-
stützen sie uns dabei, wichtige kultur- und medienpoliti-
sche Vorhaben des Koalitionsvertrages umzusetzen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Insgesamt werden nämlich in den kommenden Jahren zu-
sätzlich zum Regierungsentwurf weitere 740 Millionen
Euro für Kultur und Medien zur Verfügung stehen, davon
allein knapp 120 Millionen Euro im nächsten Jahr, so-
dass der Etat der BKM auf stattliche 1,4 Milliarden Euro
steigt . Das ist ein klares Bekenntnis für eine langfristig
angelegte Kulturpolitik des Bundes .

Neben zentralen Vorhaben der Hauptstadtkultur wer-
den auch in anderen Teilen Deutschlands und sparten-
übergreifend viele wichtige Projekte und Institutionen
unterstützt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie alle tragen zum Erhalt der kulturellen Vielfalt unseres
Landes und damit zu einer bunten und offenen Gesell-
schaft bei – übrigens nicht in Konkurrenz zur Kultur-
politik von Ländern und Kommunen, sondern in einem
wohlverstandenen, gegenseitig unterstützenden Kul-
turföderalismus .

Gerade ist das Stichwort „NRW“ gefallen, leider in
einem völlig schiefen Zusammenhang .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ansonsten stimme ich dem Kollegen Marco Wanderwitz
in allen Punkten zu . Aber da ist er aus meiner Sicht in
der Pointierung ein bisschen danebengetreten . Ich will
daran erinnern, dass es die NRW-Landesregierung war,
die das erste Kulturfördergesetz in dieser Bundesrepu-
blik auf den Weg gebracht hat . Ich bin ganz zuversicht-
lich, dass die neue Kultusministerin in NRW, Christina
Kampmann, unsere frühere Kollegin, dieses sehr positiv
weiterführen wird .


(Beifall bei der SPD)


An NRW können sich manche ein Beispiel nehmen .

Zu unserem Haushalt zurück . Wir haben ihn gestärkt .
Dazu gehören beispielsweise mehr Geld für den Tanz
durch die Finanzierung eines Bündnisses internationaler
Produktionshäuser


(Dr . Eva Högl [SPD]: Sehr gut!)


ebenso wie zusätzliche Gelder für die kulturelle Filmför-
derung und das mit 20 Millionen Euro wieder aufgelegte
Denkmalschutz-Sonderprogramm . Besonders erwähnt
seien auch der Ausbau des Künstlerarchivs in Brauweiler
sowie der Umbau des Schauspielhauses Wuppertal zu ei-
nem „Internationalen Tanzzentrum Pina Bausch“ . All das

sind Projekte, die die kulturelle Vielfalt unseres Landes
belegen; sie gilt es zu pflegen und zu stärken.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, „stärken“ ist ein
wichtiges Stichwort, das auch für den medienpolitischen
Teil der Beschlüsse zum Bundeshaushalt gilt, namentlich
für die Deutsche Welle . Unser Auslandssender prägt die
mediale Präsenz Deutschlands in der Welt . Wir alle spü-
ren es täglich: Die Bedeutung globaler Kommunikation
für politische Entwicklungen steigt . Zudem haben inter-
nationale Krisen zunehmend direkte Auswirkungen auf
deutsche und europäische Politik . Das haben zuletzt der
Ukraine-Konflikt, der Syrien-Krieg und auch die derzei-
tige Flüchtlingskrise nachdrücklich belegt . Heute haben
in der Debatte die Bundeskanzlerin, aber auch Thomas
Oppermann darauf in besonderer Weise hingewiesen .

Zwei Trends kommen noch hinzu: zum einen die ge-
wachsene internationale Verantwortung Deutschlands
als eines sehr wichtigen europäischen Partners und zum
anderen der verstärkte globale Wettbewerb um Informa-
tionen und mediale Aufmerksamkeit in einer zunehmend
vernetzten Welt . Vor diesem Hintergrund ist es wichtiger
denn je, unseren Auslandssender Deutsche Welle zu stär-
ken und aufgabengerecht zu finanzieren. Darauf haben
wir uns übrigens im Koalitionsvertrag verständigt, und
das werden wir jetzt Schritt für Schritt umsetzen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist keine Zukunftsmusik, sondern wir haben
schon geliefert . Wir haben die parlamentarischen Haus-
haltsberatungen der letzten zwei Jahre dazu genutzt, die
Finanzierung der Deutschen Welle auf ein nachhaltiges
Fundament zu stellen . Kollege Wanderwitz hat darauf
bereits hingewiesen . Wir werden es in diesem Haushalt
schaffen, dass wir zusätzlich zur Erhöhung des Plafonds,
die wir dauerhaft sichern müssen, 15,9 Millionen Euro
für Investitionen in zusätzliche Programme, insbesonde-
re für die Sonderberichterstattung in den Krisenregionen,
bereitstellen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Diesen Weg gilt es in den kommenden Jahren fortzuset-
zen und, wenn möglich, noch auszubauen .

Zum Schluss dieser Debatte noch ein Wunsch, nach-
dem wir sehr viel Positives gehört haben – aber: nach
dem Haushalt ist vor dem Haushalt –: Wir brauchen für
die Deutsche Welle eine noch stärkere Planungssicher-
heit . Es darf nicht nur von den Bereinigungssitzungen
abhängig sein, wie hoch der Etat ist . Es muss geplant
werden . Es sind Arbeitsverträge geschlossen worden .
Deshalb – mit Blick auf Frau Staatsministerin –: Liebe
Monika Grütters, wir sind auch im Gespräch . Es wäre
schön, wenn wir schon im Haushaltsansatz der Bundes-
regierung für 2017 die Beträge für die Deutsche Welle
abbilden könnten, die auch tatsächlich notwendig sind .
Ich glaube, darin sind wir mit den Haushältern einig,
auch mit den Kollegen der Union . Wir sind im Gespräch,
und wir arbeiten daran .


(Beifall bei der SPD)


Martin Dörmann






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, in der
Kultur- und Medienpolitik schreiben wir weiter an ei-
ner Erfolgsgeschichte in dieser Koalition; denn mit dem
vorliegenden Haushalt setzen wir erneut ein deutliches
Zeichen für Vielfalt und für Freiheit .

Lassen Sie mich zum Schluss ein Wort des Dankes
aussprechen; denn Kultur und Medien können immer
nur so stark und so frei sein wie die Menschen, die da-
für Verantwortung tragen . Das sind in erster Linie die
Kulturschaffenden und die Medienvertreter . Die Kultur-
schaffenden leisten oft unter schwierigen ökonomischen
Verhältnissen ihren Beitrag, leben ihre Kreativität aus .
Damit sie das können, müssen wir die entsprechenden
Rahmenbedingungen schaffen .

Ich danke auch den Journalistinnen und Journalisten,
die unter erschwerten Bedingungen, sowohl national als
auch international, arbeiten . International werden Jour-
nalisten von Mord und Folter bedroht . National – wir
haben gerade eine Diskussion mit dem ARD-Vorsitzen-
den und beispielsweise Anne Will geführt – ist es so,
dass Journalisten und Journalistinnen mittlerweile bei
Pegida-Demonstrationen und anderen Gelegenheiten tät-
lich angegriffen werden . Ich glaube, es ist ganz klar, dass
wir nicht nur im Ausland, sondern auch im Inland dafür
sorgen müssen, dass Medien frei sind, dass die kulturelle
Vielfalt gewahrt wird . Insofern geht von diesem Haushalt
eine sehr positive Botschaft aus . Danke an alle, die daran
mitgewirkt haben!

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813903900

Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Ulle Schauws

von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, wirklich jetzt
die Gespräche für vier Minuten einzustellen . Das schafft
jeder .


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Dann können nämlich alle die Kollegin verstehen . Da-
nach geht es zur namentlichen Abstimmung . – Sie haben
das Wort .


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813904000

Frau Präsidentin, vielen Dank . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Gäste! Kultur braucht eine solide
finanzielle Grundlage. 1,4 Milliarden Euro für das kom-
mende Jahr – das klingt zunächst gut, aber das Geld al-
lein macht eben noch keine gute Kulturpolitik aus .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Frau Kulturstaatsministerin, in Ihrer letzten Haus-
haltsrede haben Sie das Thema Flucht selbst in den Mit-
telpunkt gestellt: Kultur sei Brückenbauerin und Türöff-
nerin, die aktuelle Situation sei nicht nur eine politische,
sondern vor allen Dingen auch eine kulturpolitische He-

rausforderung . – So weit, so gut . Einverstanden! Umso
unverständlicher ist es aber, dass Sie unsere Initiativen
für wichtige Projekte und Maßnahmen zur kulturellen
Teilhabe von Geflüchteten abgelehnt haben. Notwendige
zusätzliche Mittel für kurz- und langfristige Projekte sind
so auf der Strecke geblieben .

Vor allem fehlen auch Antworten auf die Frage: Wie
ermöglichen wir, nachdem die erste Nothilfe geleistet ist,
eine nachhaltige kulturelle Teilhabe für alle Geflüchteten,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


und zwar nicht nur für diejenigen, die aktuell zu uns
kommen, sondern für alle, die viele Jahre oder sogar
Jahrzehnte bei uns leben? Frau Grütters, hier fehlen mir
entsprechende Konzepte und außerdem ausreichende
Mittel aus Ihrem Haus . Hier reichen die zur Verfügung
stehenden Mittel für die Kulturförderfonds allein nicht
aus . Es braucht statt vieler schöner Worte vorausschau-
ende Konzepte .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Die von uns geforderte und längst überfällige finanzielle
Stärkung der Bundesvereinigung Soziokultureller Zen-
tren geht zwar in die richtige Richtung . Das ist aber nur
ein erster, kleiner Schritt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Liste der feh-
lenden Taten und Antworten ist noch nicht zu Ende . Die
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung hat bereits seit
einem Jahr keine Direktorin bzw . keinen Direktor mehr .
Aus dem Kreis der wissenschaftlichen Berater hagelt es
Rücktritte . Anfang November erreichte uns die Nach-
richt, dass Professor Winfrid Halder nun doch nicht mehr
für diesen Posten zur Verfügung steht .

Ich sage Ihnen: Gerade angesichts der aktuellen welt-
weiten Krisen und der Flüchtlingssituation – vor allem
derjenigen, die nach Europa flüchten – ist es umso wich-
tiger, die Stiftung als Chance zu verstehen und die Aktu-
alität ihres Themas zu erkennen . Gerade jetzt könnte die
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ein wichtiger
Ort des Dialogs und der Aufklärung sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dafür darf sie allerdings keine nationale Nabelschau be-
treiben, sondern muss Flucht und Vertreibung als univer-
selles Phänomen verstehen . Erinnerung kann ein Schlüs-
sel zu Empathie sein . Dafür braucht es allerdings eine
ernstgemeinte konzeptionelle Aufstellung und keine Be-
setzungsquerelen, die Ihnen und Ihrem Haus wiederholt
aus dem Ruder laufen, Frau Grütters .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE] – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die hört ja nicht zu! – Gegenruf der Abg . Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die hört nie zu!)


Martin Dörmann






(A) (C)



(B) (D)


Zu TTIP und dem wichtigen Schutz der kulturellen
Vielfalt nur so viel: Wenn Sie schon zusammen mit Mi-
nister Gabriel ein Positionspapier zu TTIP verfassen, dann
packen Sie es nicht mit Versprechungen voll, die nicht un-
termauert sind . Wir können erwarten, dass Sie sich mit
Kommissarin Malmström abstimmen und uns hier keine
Placebos vorsetzen . Hier brauchen wir endlich ein ernst-
gemeintes Handeln der gesamten Bundesregierung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zu guter Letzt haben Sie das Ende der Taskforce
„Schwabinger Kunstfund“ verkündet, Frau Grütters; aber
aufgeklärt ist noch längst nicht alles . Nur zwei Gemälde
aus der umstrittenen Kunstsammlung konnten bislang
ihren rechtmäßigen Besitzerinnen und Besitzern zurück-
gegeben werden . In Hunderten Fällen ist die Recherche
noch nicht abgeschlossen . Noch immer liegen der Task-
force zahlreiche Ansprüche von möglichen Besitzerinnen
und Besitzern vor .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine verantwor-
tungsvolle und vorausschauende Bundeskulturpolitik
sieht anders aus . Viel verkünden, aber wenig planen – das
müssen Sie ändern .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und zuhören!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813904100

Vielen Dank . – Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 04 – Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt – in
der Ausschussfassung . Wir stimmen über den Einzel-
plan 04 namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813904200

Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Die Plätze

sind besetzt . Ich eröffne die Abstimmung .

Ist ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete im Raum,
der seine bzw . die ihre Stimmkarte noch nicht abgegeben
hat? – Es gibt hier auch Urnen ohne Warteschlange . – Ich
sehe, dass jetzt alle Stimmkarten eingeworfen sind . Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen . Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben .1)

Ich bitte alle Mitglieder des Hauses, der Regierung
und auch die Präsidenten, die Plätze einzunehmen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .10 auf:

Einzelplan 05

Auswärtiges Amt

Drucksachen 18/6105, 18/6124

1) Ergebnis Seite 13646 D

Die Berichterstattung haben die Abgeordneten Doris
Barnett, Alois Karl, Michael Leutert und Dr . Tobias
Lindner .

Zu dem Einzelplan 05 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor sowie ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke, über den wir
am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen wer-
den .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Michael Leutert, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Michael Leutert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813904300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrter Herr Minister! So viel Geld wie nächstes
Jahr hat das Auswärtige Amt noch nie zur Verfügung ge-
habt – 4,8 Milliarden Euro –, und in den Haushaltsver-
handlungen sind noch einmal 400 Millionen Euro oben-
drauf gekommen . Ein Grund zur Freude ist das allerdings
nicht, wenn man sich einmal anschaut, wofür das Geld
ausgegeben wird bzw . ausgegeben werden muss: Fast
2 Milliarden Euro fließen in die humanitäre Hilfe, die
Konfliktbewältigung oder in UN-Friedenseinsätze.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Könnten wir dieses Geld für Auslandsschulen, für Part-
nerschaftsprogramme oder für das Goethe-Institut ausge-
ben, hätten wir einen Anlass zur Freude . So aber nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Aufgrund der vielfältigen Konflikte, mit denen wir
konfrontiert sind, von Afghanistan über Irak, Syrien und
Libyen bis Mali, sind wir gezwungen, das Geld in diese
Bereiche zu lenken. Seitdem die Konflikte direkt bei uns
angenommen sind – zum einen durch die vielen Men-
schen, die vor Krieg und Terror flüchten, zum anderen
durch die Terroristen, die ihren Terror jetzt auch in die
europäischen Städte tragen, und zwar den Terror, vor
dem diese vielen Menschen, die als Flüchtlinge zu uns
kommen, geflohen sind –, spätestens seitdem sprechen
alle davon, Fluchtursachen zu bekämpfen .

Neuerdings gibt es natürlich noch ein paar ganz
Schlaue, die der Meinung sind, man könne die Grenzen
einfach dichtmachen, und damit hätte sich das Problem
erledigt . Das wird derzeit auch unter dem Deckmantel
der Obergrenzen diskutiert . Leute, die so argumentieren,
denken, man könnte Deutschland verwalten wie ein Ho-
tel: Wir sind überbucht, rufen Sie bitte nächstes Jahr noch
einmal an . – Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ins-
besondere liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU,
ist Traumtänzerei .


(Beifall bei der LINKEN – Alois Karl [CDU/ CSU]: Na, na, na!)


Wer dabei denkt, er könne am rechten Wählerrand fi-
schen und der AfD Wähler streitig machen, der irrt sich

Ulle Schauws






(A) (C)



(B) (D)


gewaltig . Sie werden mit dieser Argumentation der AfD
die Wähler in die Arme treiben . Sie helfen den extrem
Rechten damit nur ins Parlament .


(Beifall bei der LINKEN)


Besser wäre es, sich ernsthaft mit den Fluchtursachen
zu beschäftigen . Zur Bekämpfung von Fluchtursachen
braucht man nicht immer viel Geld . Viel kann man auch
mit Diplomatie erreichen . Eine Möglichkeit besteht zum
Beispiel darin, Konflikte zu entschärfen. Nun ist die Ko-
alition ja auf die Idee gekommen, dass die Türkei bei der
Lösung der sogenannten Flüchtlingskrise ein Schlüssel-
land sein könnte . Um die Türkei dafür zu gewinnen, hat
man ihren EU-Beitritt wieder ins Gespräch gebracht . Um
diesbezüglich voranzukommen, muss allerdings der tür-
kisch-kurdische Konflikt gelöst werden. Dieser Konflikt
wiederum ist ein Puzzlestück des Dramas, welches sich
mit dem IS in Syrien und im Irak abspielt . Solange aber
die Türkei die Kurdinnen und Kurden politisch und mi-
litärisch bekämpft, solange die Türkei nicht willens ist,
diesen Konflikt friedlich zu lösen, so lange werden wir
in der Region eine Situation haben, die dazu führt, dass
Menschen von dort fliehen. Das dürfen wir nicht hinneh-
men .


(Beifall bei der LINKEN)


Schauen Sie sich bitte einmal die Wahlergebnisse
der letzten Parlamentswahlen in der Türkei an . Dort hat
die HDP, also die kurdische Partei, durchgängig 50 bis
85 Prozent errungen . Das sind Wahlergebnisse, von de-
nen selbst die CSU in Bayern träumt .


(Alois Karl [CDU/CSU]: Realität!)


Dann schauen Sie sich bitte das Wahlsystem der Türkei
an . Dort gibt es eine 10-Prozent-Hürde . Wer weniger als
10 Prozent erreicht, sitzt nicht im Parlament . Nun stellen
Sie sich das einmal auf Deutschland übertragen vor . Wie
wäre das, wenn wir hier eine 10-Prozent-Hürde hätten?
Dann wäre die CSU nicht mehr im Bundestag vertreten .


(Alois Karl [CDU/CSU]: Die Linke auch nicht!)


Das würde vielleicht kurzfristig einige Probleme lösen,
insbesondere die Kanzlerin hätte wieder mehr Freude am
Tag; aber langfristig wäre dies, glaube ich, nicht vernünf-
tig . Ich weiß nicht, wie sich die Bayern fühlen würden,
wenn sie nicht im Bundestag vertreten wären,


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir sind vertreten!)


wenn sie nicht über ihre Schulen, über ihre Universitäten
und über die Polizei selber entscheiden dürften, wenn all
das hier in Berlin ohne sie entschieden würde und dann
ihrem Aufbegehren auch noch mit Polizei, Geheimdienst
und Militär begegnet würde . Der gesunde Menschenver-
stand sagt uns, dass dies kein sinnvoller Weg wäre .

Aus diesem Grund würde ich es für sinnvoll halten,
wenn Sie, Herr Außenminister, Vertreter der Türkei und
die Kurdinnen und Kurden nach Deutschland einladen,
vielleicht nach Berlin oder nach München, um mit ihnen
gemeinsam einen friedlichen Ausweg zu finden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ganz klar ist: Auch die PKK muss mit am Tisch sitzen .
Aber das dürfte derzeit kein Problem sein, nachdem nun
die Amerikaner mit dem PKK-Ableger in Syrien militä-
risch kooperieren .

Das wäre ein konkreter Schritt zur Bekämpfung von
Fluchtursachen, der nicht einmal viel Geld kosten würde .
Alle anderen derzeit im Zusammenhang mit der Türkei
diskutierten Maßnahmen, zum Beispiel eine gemeinsame
Grenzsicherung oder finanzielle Unterstützung der mo-
mentanen Struktur in der Türkei, sind keine Beiträge, um
Fluchtursachen zu bekämpfen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dadurch wird das Problem nur verschoben, und zwar zu-
lasten der Menschen, die vor Terror und Krieg fliehen.
Das lehnen wir ab .

Sie können von uns keine Zustimmung zu diesem
Haushalt erhalten,


(Alois Karl [CDU/CSU]: Schade!)


auch wenn Sie viel Geld für humanitäre Hilfe ausge-
ben . Entscheidend sind die Konzepte, mit denen Sie die
Ursachen bekämpfen wollen . Mit diesen sind wir nicht
einverstanden . Einen Vorschlag, wie es anders gemacht
werden könnte, habe ich Ihnen hier präsentiert .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813904400

Vielen Dank . – Bevor ich die nächste Rednerin aufru-

fe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung zum Geschäftsbereich der Bundeskanz-
lerin und des Bundeskanzleramts bekanntgeben: abge-
gebene Stimmen 584 . Mit Ja haben gestimmt 472, mit
Nein haben gestimmt 112 . Der Einzelplan 04 ist damit
angenommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 581;

davon

ja: 469

nein: 112

enthalten: 0

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß

Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner

Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig

Michael Leutert






(A) (C)



(B) (D)


Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E . Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer

Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla

Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Dr . Karl A . Lamers
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Dr . Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann

Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster


(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann






(A) (C)



(B) (D)


Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann


(Wackernheim)


Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt

Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes






(A) (C)



(B) (D)


Carsten Träger
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein

Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht

Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)


Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Als Nächstes hat für die SPD-Fraktion die Kollegin
Doris Barnett das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1813904500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege Leutert, die Welt ist nun ein-
mal nicht so, wie wir sie uns wünschen .


(Michael Leutert [DIE LINKE]: Deswegen müssen wir sie so machen!)


Aber ich denke, wir gehen den richtigen Weg . Unser
Land übernimmt Verantwortung . Wir reagieren auf das
Weltgeschehen, das Millionen Menschen zu Flüchtlingen
macht . Natürlich versuchen wir, die Terrorregime vor Ort
zu bekämpfen . Aber das alleine reicht nicht; das wissen
wir alle . Hunderttausende, ja Millionen Menschen ren-
nen um ihr nacktes Leben . Wer hier jetzt Hilfe versagt,
der hat nicht nur kein Herz, sondern auch keinen Ver-
stand und erst recht kein Geschichtsbewusstsein und
kann nur beten, dass er nie in eine solche Lage kommt .

Ich möchte zunächst einmal Ihnen, meinen lieben Kol-
legen Mitberichterstattern, danken, dass wir es geschafft
haben, dem Auswärtigen Amt mit genügend Geld zu hel-
fen, vor Ort wirksam handeln zu können . Ich danke auch
unseren Mitarbeitern, die hier mit eine Hauptlast tragen
und dafür sorgen, dass wir vernünftig arbeiten können .
Ich danke dem Ministerium und vor allem dem Minister,
der sich nicht zu schade war, auf Betteltour zu gehen, um
dem Flüchtlingshochkommissar und der Welthungerhilfe
das Geld zu besorgen, das gebraucht wird, um den auf
der Flucht befindlichen Menschen ausreichend Hilfe zu
geben, damit sie durch den Winter und ins nächste Jahr
kommen .


(Beifall bei der SPD)


Mit unserem Haushalt, der immerhin 4,8 Milliarden
Euro umfasst, legen wir viel Geld auf den Tisch, um den
Flüchtlingen vor Ort nahe ihrer Heimat zu helfen . Um
nahezu 400 Millionen Euro werden die Mittel für huma-
nitäre Hilfe und Krisenprävention erhöht, also auf insge-
samt fast 1 Milliarde Euro . Damit helfen wir sicherlich
auch, die Fluchtursachen zu bekämpfen . Wenn wir die






(A) (C)



(B) (D)


Menschen vor Ort vernünftig versorgen und ihnen eine
Perspektive bieten, dann müssen sie sich nicht auf den
langen Marsch nach Norden, nach Europa, begeben, und
sie können in der Nähe ihrer Heimat bleiben .

Perspektiven bieten auch unsere Bildungseinrich-
tungen im Ausland, die wir mit über 40 Millionen Euro
zusätzlich ausstatten; die Mittel hierfür halten wir mit
insgesamt rund 863 Millionen Euro auf hohem Ni-
veau . Dazu gehören Auslandsschulen, Partnerschulen,
Goethe-Institute, der DAAD, Deutsches Archäologi-
sches Institut und die AvH . Auch sie leisten humanitäre
Hilfe, wenn auch in einer etwas anderen Art; denn mit
ihnen zusammen machen wir Bildung zu unserer Waffe
und unserer Gegenwehr . Bildung ist hochgefährlich für
all diejenigen, die ihre Autorität auf der Unwissenheit
ihrer Anhänger aufbauen wie der IS, Boko Haram und
wie sie alle heißen; denn Bildung ist Freiheit, Freiheit im
Denken, Freiheit in der Entscheidung zu einem selbstbe-
stimmten Leben . An dieser Stelle auch ein Dankeschön
an all die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bil-
dungseinrichtungen und internationalen Hilfsorganisati-
onen, die insbesondere jetzt helfen, den Menschen über
das Lernen, also über Bildung, wieder eine Perspektive
zu geben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir – damit meine ich meinen lieben Kollegen Alois
Karl und mich – haben uns einmal angesehen, wie die
Hilfsgelder, die wir in erheblichem Umfang über unsere
UN-Beiträge leisten, ausgegeben werden, und zwar im
Lager Saatari in Jordanien . Das war schon beachtlich:
80 000 Menschen leben dort in einem Camp, das weit
außerhalb von Amman zunächst ohne jede Infrastruk-
tur – einfach so auf dem platten Boden – errichtet worden
ist . Auch mit Unterstützung der KfW konnten wir dort
die Wasserversorgung gewährleisten . Die Menschen in
dem Lager haben einen täglichen Bedarf von 3,5 Millio-
nen Litern Wasser, und das kommt ja nicht von ungefähr .
Wer einmal dort war, der weiß, dass das Leben in diesem
Camp nichts mit der Romantik eines Campingurlaubs zu
tun hat . Es geht dort ums nackte Überleben, wenn auch
nahe der Heimat . Es glaube hier bloß keiner, dass die ho-
hen Flüchtlingszahlen nicht auch in diesen Ländern eine
Belastung für die einheimische Bevölkerung darstellten!
Ein Problem in den Lagern ist natürlich – wie hier –: Es
gibt keine Arbeitsmöglichkeiten . Auch dort kommt es
vor, dass die Menschen gar keine Arbeitserlaubnis ha-
ben . Also gehen sie in die Illegalität und bieten sich dann
billiger an als die Einheimischen, die arbeiten . Dort gibt
es also ein ähnliches Problem mit dem Mindestlohn wie
hier, nur auf einem etwas niedrigeren Niveau .

Beschäftigung ist für den Menschen wichtig . Deswe-
gen habe ich mich sehr gefreut, dass ich mit dem Be-
rufsbildungswerk in Rheinland-Pfalz sprechen konnte .
Dort könnte man sich sogar vorstellen, in diese Lager zu
gehen, um den Menschen in Sachen Bildung und Aus-
bildung zu helfen, damit sie etwas haben, was sie nach
der Rückkehr in ihre Heimat nutzen können . Allerdings
müssen wir uns im Klaren sein: Wenn der Krieg in Sy-
rien morgen zu Ende wäre – nehmen wir einmal an, er
wäre morgen zu Ende –, dann würde es mit Sicherheit

noch sechs bis sieben Jahre dauern, bis die Menschen tat-
sächlich von einem Leben zu Hause reden könnten; denn
dort ist alles zerbombt . Die ganze Infrastruktur ist kaputt .
Natürlich müssten auch die Minen aufgeräumt werden –
eine, wie wir aus Jugoslawien wissen, sehr gefährliche
Aufgabe .

In diesen Zeiten liegt das Hauptaugenmerk des Aus-
wärtigen Amtes auf den Unruheherden der Welt, den hu-
manitären Katastrophen und den daraus resultierenden
Herausforderungen . Aber daneben gibt es noch andere
wichtige Aufgaben und Krisenherde, die nicht vergessen
werden dürfen, zum Beispiel die Ukraine-Krise . Auch
wenn die Waffen in der Ostukraine derzeit schweigen,
kann von Normalität nach wie vor nicht die Rede sein .
Zurzeit erleben wir wieder, dass sich auf der Krim etwas
Neues entwickeln könnte: im Zusammenhang mit dem
Kappen der Stromleitungen, mit der Nichtversorgung der
Krim mit Nahrungsmitteln und – im umgekehrten Fall –
natürlich auch mit dem Zudrehen des Gashahns; auch das
ist nicht gerade ungefährlich . Deshalb unterstützen wir
die Zivilgesellschaft im Kampf gegen Korruption und für
demokratische Strukturen auch weiterhin mit insgesamt
14 Millionen Euro, und das ist gut so . Ich weiß, dass der
Offene Kanal in meinem Wahlkreis mit einer Universität
in Kiew zusammenarbeitet, um dort einen Bürgerkanal
aufzubauen . Sie hoffen natürlich inständig, dass sie die
Arbeit fortsetzen können .

Nach dem Mauerfall schien sich die Landschaft hinter
dem Eisernen Vorhang in unsere Richtung zu bewegen,
weshalb wir nicht mehr das notwendige Augenmerk auf
die Osteuropa-Forschung legten . Das war keine gute
Idee, wie sich heute herausstellt; denn sonst hätten wir
wahrscheinlich viel früher manche Befindlichkeiten er-
kannt, die zu nicht erwarteten Reaktionen führten . Die-
sen Umstand werden wir jetzt schnellstens ändern . Wir
werden uns mit dem Osteuropa-Institut wieder eine eige-
ne Expertise aufbauen . Die dafür notwendigen institutio-
nellen Mittel von 3,6 Millionen Euro stehen bereit .

Im kommenden Jahr werden wir den OSZE-Vorsitz in-
nehaben, was eine große Herausforderung für unser Land
ist, da die Erwartungen von Ländern wie Aserbaidschan,
Armenien usw . riesig sind, wenn es darum geht, was wir
für sie alles richten sollen . Dafür wurden zunächst einmal
Mittel in Höhe von 20 Millionen Euro bereitgestellt . Ich
hoffe, dass wir damit entsprechende Gespräche, Semina-
re und Veranstaltungen durchführen können .

In diesem Zusammenhang setzen wir auch zusätzli-
che Mittel ein, um dem wiedererstarkten Antisemitismus
im OSZE-Raum zu begegnen . Zusammen mit ODIHR
wollen wir mit dem Auswärtigen Amt im OSZE-Jahr ein
Programm mit dem Titel „Taten statt Worte“ beginnen,
das seine Arbeit aber nicht auf den Antisemitismus be-
schränken sollte, sondern wegen der aktuellen Lage auch
Islamophobie und christenfeindliches Verhalten untersu-
chen und entsprechende Bildungsveranstaltungen anbie-
ten sollte . Dafür stellen wir im kommenden Jahr 2 Milli-
onen Euro bereit .

In enger Abstimmung mit dem Bundesverteidigungs-
ministerium unterstützt das Auswärtige Amt Friedens-
missionen der Technischen Beratergruppe der Bundes-

Doris Barnett






(A) (C)



(B) (D)


wehr . Wir Berichterstatter für diesen Einzelplan konnten
uns vor Ort überzeugen, was mit den Materialien, die
das Auswärtige Amt finanziert, passiert. Bei der Ausstat-
tungshilfe geht es um Ausbildung, um dringend benötigte
Fähigkeiten und um Ausrüstung für Peacekeeping-Mis-
sionen und humanitäre Hilfseinsätze . Dieses Programm
wird das Auswärtige Amt zusammen mit dem Bundes-
innenministerium um ein polizeiliches Ausbildungs- und
Ausstattungshilfeprogramm erweitern . Aber auch in De-
mokratisierungs- und Menschenrechtsprojekte können
wir im kommenden Jahr mehr investieren . Für all das
stehen jetzt zusätzliche 6 Millionen Euro bereit .

Der Schutz von Menschen und Menschenrechten zieht
sich wie ein roter Faden durch den Einzelplan 05 . Dazu
gehören für mich neben dem reinen Überleben auch Bil-
dung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit . Gerade die
Demokratisierungshilfe hat für das Auswärtige Amt eine
große Bedeutung . Ein wichtiges Instrument dieser Hil-
fe ist die Wahlhilfe, also Materialhilfe, Wählerbildung,
Ausbildung von Wahlhelfern usw . Daneben gewinnt
auch die Wahlbeobachtung, also die Entsendung von
Wahlbeobachtern in internationale Wahlbeobachtungs-
missionen, zunehmend an Bedeutung. Hier qualifiziertes
Fachpersonal zu finden und zu schulen, es in die Einsät-
ze zu schicken und Analysen zu fertigen, ist die Aufgabe
des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze – kurz
ZIF genannt –, das wir mit jetzt 10 Millionen Euro so
ausstatten, dass es die wachsenden Anforderungen auch
erfüllen kann .

Dank unserer guten Haushaltslage, der stabilen Wirt-
schaft in unserem Land und der guten Zahlungsmoral
seiner Bürger, die ihren Beitrag zugegebenermaßen nicht
immer freiwillig leisten, können wir es uns erlauben,
viele wichtige große und auch kleine Projekte besser zu
fördern und sie entsprechend finanziell zu unterstützen,
wie zum Beispiel das deutschsprachige Schulwesen in
Rumänien, wofür wir die Mittel jetzt auf 1 Million Euro
aufstocken . Dort wird hervorragende Arbeit geleistet .
Deutsch sprechende Schüler arbeiten bei unseren Unter-
nehmen vor Ort, also in Rumänien . Sie machen dort eine
Berufsausbildung und sichern damit Arbeit und Einkom-
men . Das ist eine der berühmten Win-win-Situationen,
bei denen der rumänische Staat, die deutschen Unterneh-
men, aber auch die Menschen vor Ort viel zu gewinnen
haben . Dass nebenbei die deutsche Sprache weiter ge-
pflegt wird, ist auch nicht ganz unbeabsichtigt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Auswärtige Amt hat neben den vielen Projekten,
die es unterstützt, auch noch die Aufgabe, unser Land in
der Welt zu vertreten . Dazu braucht es motivierte Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter . Ich bin froh, dass wir hier
einen großen Schatz haben, der für unser gutes Ansehen
in der Welt sorgt . Dass unsere Leute gegen Gefahren zu
schützen sind, versteht sich eigentlich von selbst . Aber
wir brauchen die notwendigen Mittel, um die Botschaf-
ten zu sichern und ihnen eine vernünftige IT-Struktur zur
Verfügung zu stellen . Auch dafür haben wir Geld be-
reitgestellt . So ausgestattet, werden wir weiterhin unser
Land in der Welt nicht nur gut vertreten wissen, sondern

wir tun auch sehr viel, um der Welt zu helfen, sie etwas
besser zu machen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813904600

Vielen Dank . – Als Nächstes hat der Kollege Omid

Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813904700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlauben

Sie mir, mit dem aktuellen Vorfall an der türkisch-syri-
schen Grenze zu beginnen . Die Rhetorik sowohl aus An-
kara als auch aus Moskau nach diesem tragischen Vor-
fall ist sehr erschreckend . Es ist richtig – ich glaube, da
spreche ich in unser aller Namen –, an die Besonnenheit
beider Seiten zu appellieren . Das Letzte, was nicht nur
Syrien und die gesamte Region, sondern auch die Welt
zurzeit braucht, ist eine internationale Eskalation des
Konfliktes in Syrien.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE])


Ich bin sehr dankbar, dass der Herr Außenminister das
gestern so klar ausgesprochen hat . Vielleicht kann man
anbieten, bei der Aufklärung zu helfen, um zu einer ge-
meinsamen Aufklärung zu kommen und dazu, dass die
technischen Daten so ausgewertet werden, wie sie sind
und nicht wie es der jeweilige politische Wille der beiden
Hauptstädte in lauten und schrillen Tönen vorgibt . Wenn
die Meldungen, die ich gerade gelesen habe, stimmen,
dass in diesem Augenblick die türkische Botschaft in
Moskau von Demonstranten angegriffen wird und dort
Scheiben eingeworfen werden, dann kann man nur Angst
haben und hoffen, dass sich dieses Vorgehen nicht in An-
kara wiederholt .

Zu diesem Aufruf zur Besonnenheit gehört aber nicht,
dass gestern ein Sprecher des Pentagons sehr früh sagte:
Die türkische Version ist richtig . – Präsident Obama hat
diese Aussage gestern Abend noch relativiert . Genauso
wenig darf es aber sein, dass ein deutscher Vizekanzler
sagt: Man muss das verstehen . Es gibt nun einmal ei-
nen unkalkulierbaren Spieler in der Region . Das ist die
Türkei, die Russen sind es nicht . – Das ist nicht nur in
der Sache falsch, sondern das ist zum jetzigen Zeitpunkt
die falsche Positionierung . Man muss versuchen, zu ver-
mitteln, und darf nicht mit Schuldzuweisungen arbeiten,
wie es Herr Gabriel gemacht hat . Das ist kein Beitrag zur
Deeskalation der Situation .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, diese Regierung ist ange-
treten, um mehr Verantwortung in der Welt zu überneh-
men; das haben wir immer begrüßt . Mehr Verantwortung
hieße auch, frühzeitiger, substanzieller und entschiedener
einzugreifen und eine entsprechende Politik zu betreiben .
Wenn man sich einmal die Krisen in der Welt anschaut,

Doris Barnett






(A) (C)



(B) (D)


dann sieht man nirgendwo so deutlich wie in Syrien: Ihr
Handeln ist nicht frühzeitig, sondern reaktiv, nicht sub-
stanziell, sondern kurzsichtig, nicht entschieden, sondern
teilweise opportunistisch .

Es ist zu begrüßen, dass im vorliegenden Haushalt
mehr Geld für die Hilfsorganisationen ausgegeben wer-
den soll, die in den Lagern um Syrien herum tätig sind .
Das ist sehr gut und freut uns ungemein . Es war immer
eine Schande, zu erleben, dass das Welternährungspro-
gramm bereits im Sommer ankündigte, Ende des Jahres
die Essensrationen für Kinder kürzen zu müssen, was sie
auch jedes Jahr machen mussten, weil ihnen das Geld
ausgegangen ist . Es ist gut, dass hier ein bisschen Ab-
hilfe geschaffen werden soll . Aber wenn man sich an-
schaut, mit welchem Engagement wir uns alle um Syri-
en bemühen, dann stellt sich, ehrlich gesagt, erstens die
Frage: Wo war eigentlich die deutsche Außenpolitik in
den letzten fünf Jahren? Zweitens stellt sich die Frage,
wie man den Menschen, die von dort geflohen sind, unter
die Augen treten will, wenn man ihnen sagt: Nicht die
250 000 Toten, nicht die Ruinen eurer Städte und nicht
die Fassbomben sind der Grund, warum wir uns jetzt um
Syrien kümmern, sondern ISIS und die vielen Tausend
sehr erschöpften Flüchtlinge, die zu uns nach Deutsch-
land kommen . – Das ist reaktiv und bedeutet ganz sicher
nicht, sich frühzeitig um einen Konflikt zu kümmern.

Auch was in Wien passiert, ist kurzsichtig . In Wien
sind endlich die beiden Player zusammengekommen, die
an einen Tisch gehören, die Iraner und die Saudis; das
begrüßen wir . Ich weiß, dass der deutsche Außenminister
sehr viel dafür getan hat . Dafür sind wir sehr dankbar .
Bei diesen Verhandlungen sitzt Assad faktisch mit am
Tisch, und zwar über die Russen und die Iraner . Die an-
dere Seite aber, die Opposition, sitzt nicht mit am Tisch .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Die wollten nicht!)


In Gesprächen mit Oppositionellen muss man feststellen,
dass sie sich mehr oder minder verraten fühlen . Die zen-
trale Frage ist, was es mit den Menschen macht, deren
Familien von Assad umgebracht worden sind, wenn ih-
nen jetzt gesagt wird: Es tut uns leid, wir wollten Assad
nicht an der Regierung lassen . Aber jetzt müssen wir uns
mit ihm fraternisieren, weil wir zusammen ISIS bekämp-
fen wollen .

Herr Außenminister, Sie haben gesagt, alle Kräfte in
Syrien sollten sich zusammentun, um gegen Assad zu
kämpfen . Dieser Rat ist vielleicht gut gemeint . Aber es
ist eine vollkommen falsche Wahrnehmung der Situati-
on in Syrien und treibt am Ende des Tages diejenigen,
die gegen Assad auf die Straße gegangen sind und deren
Kinder nach drei Wochen Gefangenschaft ohne Finger-
nägel nach Hause gekommen sind, in die falschen Arme,
im schlechtesten Falle in die Arme von ISIS .

Wenn man sich wirklich um ISIS kümmern will, muss
man sehen, dass ISIS im Kern eindeutig eine irakische
Organisation ist . Es gibt im Irak eine Regierung, die seit
Jahren darum fleht, dass man ihr politisch hilft, damit sie
die Reintegration der Sunniten hinbekommen kann . Dort
gibt es jetzt eine Staatlichkeit, und es gibt eine klare Front
gegen ISIS . Ich glaube, dass Irak die zentrale Baustelle

zu sein hat . Das muss man aber aussprechen . Und man
muss auch bereit sein, etwas zu tun . Die Amerikaner sind
nicht diejenigen, die jetzt im Irak noch etwas tun können,
weil ihre Glaubwürdigkeit maßgeblich zerstört ist .

Ich komme zu Afghanistan . Wir reden jetzt – auch we-
gen der Zahl der Flüchtlinge, die gestiegen ist – wieder
über Afghanistan . Es ist schon bedauerlich, dass wir we-
gen der Blockade in der politischen Landschaft, die seit
14 Monaten besteht, jetzt dort nicht mehr tun . Ich kann
nur darum bitten, dass, wenn Präsident Ghani nächste
Woche in Berlin sein wird, klare Worte gesprochen wer-
den . Wir erwarten, dass die beiden führenden Personen in
der Regierung endlich anfangen, miteinander zu arbeiten .
Es kann doch nicht sein, dass das Land 16 Monate nach
der Wahl nicht einmal einen Verteidigungsminister hat .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813904800

Kollege Nouripour, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Hänsel?


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813904900

Ja .


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813905000

Danke schön, Frau Präsidentin . – Herr Kollege

Nouripour, ich möchte noch einmal nachfragen . Sie ha-
ben gerade so ein bisschen verklausuliert gesagt, Assad
sitze indirekt am Tisch, die Opposition aber nicht . Was
ist denn jetzt eigentlich die Position der Grünen, um in
Syrien zu einer politischen Lösung zu kommen? Jahre-
lang haben die Grünen gesagt: Mit Assad gibt es keine
Lösung . Alle anderen Gruppen sollen unterstützt wer-
den . – Jetzt sehen wir aber, dass es zu einer Katastrophe
gekommen ist . Dieses Land ist weitgehend zerstört . Also
muss man doch zu einer politischen Lösung kommen . Es
gibt aber auch andere Stimmen dazu . Tom Koenigs hat
zum Beispiel gesagt, man dürfe sich nicht von der Oppo-
sition erpressen lassen, was dazu führen würde, dass es
gar keine Verhandlungen an einem Tisch gäbe . Deshalb
möchte ich jetzt gerne einmal wissen: Was ist die Positi-
on der Grünen?

Wenn man versucht, alle an den Verhandlungstisch zu
bekommen, während sich die Opposition weigert, dann
können Sie doch nicht so hin und her manövrieren . Sind
Sie dafür, dass man unter Einbeziehung aller – auch von
Assad – verhandelt, um eine Lösung zu finden? Ist es
denn nicht das vorrangige Ziel, diesen Krieg endlich zu
beenden?


(Beifall bei der LINKEN)



Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813905100

Frau Kollegin, herzlichen Dank, dass Sie mir mehr

Redezeit geschenkt haben . Die Frage ist sehr komplex .
Ich wusste gar nicht, dass ich so viel Redezeit bekommen
würde . Ich will sie gerne nutzen .

Selbstverständlich müssen alle – das ist überhaupt
keine Frage – einbezogen werden . Wenn darüber gespro-
chen wurde, ob man mit Assad reden solle oder nicht,
dann handelte es sich immer um eine rhetorische Figur .

Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)


Natürlich ist mit Assad in Genf gesprochen worden . Bei
Genf I und Genf II saß sein Außenminister mit am Tisch .
Jetzt sitzt er mit am Tisch,


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: War Genf richtig?)


die anderen aber nicht .

Wenn wir beide uns einig sind, dass alle mit am Tisch
sitzen müssen, muss man darüber nachdenken, welche
Formate entwickelt werden müssen, innerhalb derer das
auch passieren kann . Was passiert in Wien? Noch einmal:
Es ist richtig, dass man die Saudis und die Iraner an einen
Tisch bekommen hat . Wir sind dafür sehr dankbar . Jetzt
passiert in Wien aber Folgendes: Die einen sitzen de fac-
to mit am Tisch, die anderen aber nicht .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Weil die anderen nicht wollten!)


Jetzt ist die zentrale Frage, wie man Wege, Möglichkei-
ten, Foren und Plattformen schafft, mit denen man alle
tatsächlich an den Tisch bringt .

Was ich hier sage, geht darüber aber hinaus . Selbstver-
ständlich wird es so sein, dass man mit Assad redet . Man
muss auch mit ihm reden . Das passiert durchgehend –
und nicht erst seit Wien . Selbstverständlich ist es so, dass
auch er und seine Leute Teil einer Übergangsregierung
sein müssen, die im Übrigen in Wien in den Abschluss-
dokumenten nicht mehr erwähnt wird . Darin steht nicht
mehr „Government“, sondern „Governance“ . Das kann
auch nur Assad alleine sein . Das ist es, was die Oppositi-
on so verstört . Das verstehe ich .

Im Übrigen ist jetzt auch herausgestrichen worden,
dass man nach einer Wahl möglicherweise noch daran ar-
beiten soll, Menschen, die Verbrechen begangen haben,
tatsächlich zur Rechenschaft zu ziehen . Auch das steht
nicht mehr in den Dokumenten. Das muss man, finde ich,
auch gemeinsam kritisieren .

Am Ende des Tages aber wird es so sein, dass, wenn
Assad weiterhin Präsident des Landes sein wird, er auch
weiterhin die Symbolfigur für die Ruinen der Städte, die
Ermordung der Kinder in diesem Land, die Fassbomben
und den Einsatz von Chemiewaffen sein wird . Von da-
her ist es nicht wirklich möglich, der großen Mehrheit im
Lande – nämlich der sunnitischen Bevölkerung, die so
unglaublich hart unterdrückt worden ist – klarzumachen,
dass es zu einer nationalen Aussöhnung kommen kann .

Ich glaube, dass die Wiener Gespräche richtig und
notwendig sind . Man darf aber Folgendes nicht ma-
chen: Man darf nicht durch kurzfristige Lösungen heute
die langfristige Lösung, die ohne nationale Aussöhnung
nicht möglich sein wird, verschenken oder zerstören . Das
ist das, wovor ich zurzeit Angst habe .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813905200

Ihre Restredezeit hat sich jetzt aber nicht entsprechend

verlängert, Herr Nouripour .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813905300

Davon ging ich aus, Frau Präsidentin . Herzlichen

Dank .

Ich will noch zwei letzte Punkte ansprechen . Das eine
ist: Es kann nicht sein, dass wir aus Gründen, die erst ein-
mal naheliegend erscheinen, sagen: „Wir wollen unbe-
dingt Stabilität“, wobei wir Stabilität nach der Definition
aus der Zeit vor dem Arabischen Frühling buchstabieren,
dass aber dann dem ägyptischen Präsidenten el-Sisi der
rote Teppich ausgerollt wird . Das ist ein Riesenskandal .
Es geht um ein Land, in dem die politischen Stiftungen
nicht mehr arbeiten dürfen . Stattdessen werden ihre Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter zu Haftstrafen verurteilt .
Das geht niemandem in den Kopf .

Das Zweite ist: Wir müssen höllisch aufpassen, ob wir
uns die richtigen Partner auswählen . Es gibt viele Grün-
de, warum man gegen eine strategische Partnerschaft mit
Saudi-Arabien sein sollte,


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Richtig!)


unter anderem die Finanzierung der Salafisten in unseren
Fußgängerzonen, die unsere Kinder verführen, um am
Ende bei ISIS zu landen .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Richtig!)


Zentral ist aber, dass man wenigstens dann laut die Stim-
me erhebt, wenn Saudi-Arabien, wie es seit März die-
ses Jahres der Fall ist, Jemen in die Steinzeit bombt, in
einem unfassbaren Krieg, wie ihn die Menschheit noch
nicht gesehen hat .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Richtig!)


Ich bitte darum, dass wenigstens einmal klar die Stimme
erhoben und benannt wird, was dort passiert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Dort passieren Tag für Tag Kriegsverbrechen, und das
muss man deutlich sagen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813905400

Vielen Dank . – Nächster Redner für die CDU/

CSU-Fraktion ist der Kollege Alois Karl .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1813905500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bun-
destages! Ich bin der Kollegin von der Linken dankbar,
dass sie nicht noch eine Nachfrage gestellt hat, Herr
Nouripour . Wir hätten wahrscheinlich heute Abend die
Tagesthemen versäumt, so lange wie Sie durchaus noch
hätten antworten können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Omid Nouripour NEN]: Sie hätten etwas Besseres geboten bekommen!)





(A) (C)


(B) (D)


Ich möchte einen herzlichen Dank an den Anfang mei-
ner Rede stellen, und zwar an Sie, Herr Außenminister
Steinmeier, an Frau Professorin Böhmer, Herrn Staats-
minister Roth, Herrn Staatssekretär Steinlein, Herrn
Kindsgrab und all die guten Leute, mit denen wir in den
letzten Monaten so tüchtig zusammengearbeitet haben,
um an diesem Schnittpunkt der deutschen Haushaltspo-
litik und Außenpolitik gute Ergebnisse zu erzielen . Die
Kollegen sind schon aufgezählt worden: Frau Barnett,
Herr Leutert und Herr Dr . Lindner . Wir haben, glaube
ich, wie die Bürstenbinder gefeilscht und sind nach drei
Monaten zu guten Ergebnissen gekommen . Man könnte
das unter der Überschrift „Ende gut, alles gut“ zusam-
menfassen . In der Tat: Die Haushaltszahlen sind gut .

Während der Bundeshaushalt insgesamt um 10 Milli-
arden Euro erhöht worden ist, und zwar von 306,9 Milli-
arden auf 316,9 Milliarden Euro und damit um 3,2 Pro-
zent, erfährt der Haushalt des Bundesaußenministers eine
ganz andere Steigung, nämlich um 26,5 Prozent . Lieber
Herr Steinmeier, das ist die höchste Steigerung aller Ein-
zeletats im Bundeshaushalt und auch die höchste Sum-
me, die der Außenminister jemals zur Verfügung hatte .
Mit diesem Pfunde werden wir wuchern müssen, wie es
in der Bibel heißt . Gegenüber dem ersten Entwurf der
Regierung sind das 410 Millionen Euro zusätzlich .

In der letzten Nachtsitzung, nach der 15 . Verhand-
lungsstunde – Sie erinnern sich sicher, liebe Doris
Barnett –, haben die anderen offensichtlich schon Kon-
ditionsschwierigkeiten bekommen . Wir waren noch hell-
wach und haben noch 46 Millionen Euro zusätzlich für
den Bundesaußenminister herausgehandelt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich danke all denen, die mitgewirkt haben . Der Bun-
desaußenminister hat zwar nicht das Lied von Dietrich
Bonhoeffer angestimmt und „Von guten Mächten wun-
derbar geborgen“ gesungen


(Dr . Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister: Aber du!)


– ich habe versucht, es anzustimmen –, trotzdem sind
manche seiner Wünsche erfüllt worden .

Insbesondere für die Auswärtige Kultur- und Bil-
dungsarbeit und für unsere deutschen Schulen im Aus-
land konnten wir viel erreichen . Herzlichen Dank in die-
sem Zusammenhang auch den jeweiligen Vorsitzenden
unseres Unterausschusses für Auswärtige Kultur- und
Bildungsarbeit, lieber Bernd Fabritius und deinem Vor-
gänger Peter Gauweiler – beide von der CSU; wie sollte
es anders sein –, dass ihr euch in ganz besonderer Weise
weltweit für die Kultur einsetzt .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das haben wir am Samstag in München gesehen!)


– Sie sind auch Bayerin, also eigentlich Schwäbin, aber
das gilt gerade noch; eine rote Grüne . – Wir setzen uns
in der Tat für die deutschen Schulen in besonderer Weise
ein, weil wir wissen, dass dies hohe Renditen erbringt .

Wenn wir uns im kulturellen Bereich auf diese Art und
Weise nobel darstellen können, dann ernten wir viel Re-
nommee, das sich sicherlich nicht immer in Soll und Ha-
ben ausdrücken lässt .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813905600

Herr Kollege Karl, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Dehm?


Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1813905700

Dehm? – Ja . Sie habe ich schon vermisst, Herr Dehm .

Schön, dass Sie da sind .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813905800

Bitte schön, Herr Dehm .


Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813905900

Es wird Sie sicherlich verwundern, aber Herbert

Wehner hat einst gesagt: „Ihr Lob trifft mich in kei-
ner Weise .“ Dem Dank an Herrn Fabritius und Herrn
Dr . Gauweiler schließe ich mich in dem von Ihnen ge-
nannten Zusammenhang ausdrücklich an .

Ich möchte Ihnen eine Frage zu den Gepflogenheiten
Ihrer Fraktion im Auswärtigen Ausschuss stellen . Ich
bin stellvertretender Vorsitzender des Unterausschusses
„Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“, den Sie ge-
rade angesprochen haben . Wir haben dort – das ist nicht
üblich – zu allen Anträgen von der Koalition aus CDU/
CSU und SPD – teilweise sind die Grünen beigetreten –
einstimmige Beschlüsse . Dann haben wir im Unteraus-
schuss erwogen, dass diese einstimmig beschlossenen
Anträge auch von der Linken mitgetragen werden sollen,
weil es um mehr Kultur in der Auswärtigen Kultur- und
Bildungspolitik geht . Dann kommt par ordre du mufti
aus Ihrer Fraktionsspitze der Hinweis: Mit den Linken
macht man keine gemeinsamen Anträge!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Gauweiler nie unterstützt, er war immer dagegen!)


– Ich würde gern sehen, wer gerade Beifall geklatscht
hat . Das war aber nur vereinzelt .

Das führte zu der grotesken Situation, dass wir im
Unterausschuss über sämtliche wortgetreuen und inhalts-
gleichen Anträge aller Fraktionen – in diesem Fall auch
der Linken – einstimmig beschlossen haben . Das hat Sie
wiederum dazu bewogen, alle Anträge, die die Linke ein-
gebracht hat, im Auswärtigen Ausschuss auszusondern
und abzulehnen .

Nun lautet meine Frage an Sie: Wann hat diese Grotes-
ke, sich gemeinsam in diesem Haus für Kultur einzuset-
zen – das haben Sie zu Recht gelobt, und ich habe Ihnen
darin beigepflichtet –, ohne die Linke einzubeziehen, ein
Ende, und wann versuchen wir endlich, mit gemeinsa-
men Kräften die Kultur zu stärken und gemeinsame An-

Alois Karl






(A) (C)



(B) (D)


träge, selbst diejenigen, die die Linke gestellt hat, hier im
Hohen Hause einzubringen?


(Beifall des Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE])



Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1813906000

Lieber Herr Dehm, das kann ich Ihnen genau sagen .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Die Verwirrung in meiner eigenen Fraktion führte nur zu einem einzigen Klatscher!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813906100

Herr Dehm, Sie sind jetzt nicht mehr dran . Das Wort

hat jetzt Herr Karl .


Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1813906200

Jetzt muss er aufpassen . – Herr Dehm, es gibt ent-

sprechende Beschlüsse von der Fraktionsführung vom
Anfang der Legislaturperiode . Ich glaube, dass sich die
Dinge in der nächsten Legislaturperiode


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann gibt es eine andere Spitze!)


– Sie werden das noch erleben, sofern Sie diesem Hohen
Hause dann wieder angehören – möglicherweise verän-
dern können . Bis dahin ist für Sie Langmut angesagt . Sie
werden hinnehmen müssen, dass die CDU/CSU und die
anderen Fraktionen mit der Linken keine gemeinsamen
Anträge stellen .


(Zurufe von der CDU/CSU: Alois, was ist los mit dir? Alois, du bist ein Linkenfreund! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Denken Sie an die tagesthemen!)


Herr Dehm, darf ich noch eine persönliche Bemer-
kung machen, da ich Sie gerade sehe und fast vermisst
habe?


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Ich habe neulich einen Film im Fernsehen gesehen, in
dem ein ausgesprochen unsympathischer Schauspieler
vorkam . Er hat Ihnen sehr ähnlich gesehen .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das war ich nicht! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt reicht es aber!)


Aber zu meinem Erschrecken habe ich hinterher fest-
stellen müssen, dass er Karl hieß . Die Physiognomie des
Schauspielers entsprach jedenfalls Ihrer . Das hat mich
durchaus etwas aus der Bahn geworfen . – Ich glaube, ich
habe Ihre Frage hinreichend beantwortet .

Kommen wir zurück auf die deutsche Auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik . Unsere mehr als 1 500 Part-
nerschaften auf der Welt und unsere 140 Auslandsschu-
len sind außerordentlich gute Botschafter . Diese sind
im Rahmen des erwähnten Nachschlags mit mehr als
20 Millionen Euro zusätzlich gut weggekommen, sodass
sie in der Lage sind, die deutschen Interessen so gut wie
früher wahrzunehmen .

Wir freuen uns, dass wir die deutsche Sprache in
Rumänien zusätzlich fördern und in Amerika den Ger-
man Marshall Fund mit 2 Millionen Euro unterstützen
können . Das ist ein Fonds, der auf Initiative von Willy
Brandt in Erinnerung an den Marshallplan, der Ende der
40er-Jahre Deutschland unendlich viel geholfen hat, ein-
gerichtet worden ist .

Wir danken herzlich, dass wir den Vorschlag – ich
glaube, er kam von Ihnen, Herr Steinmeier – aufgreifen
konnten, das Institut für Osteuropaforschung einzurich-
ten . Fast über Jahrzehnte hinweg haben wir uns keine
eigene Osteuropaexpertise leisten können, weil uns die
Fachleute nicht unterstützungswürdig erschienen . Jetzt
werden wir ein eigenes Institut aufbauen und es mit
2,5 Millionen Euro im Jahr ausstatten .

Wir danken gemeinsam auch ganz herzlich den Mitt-
lern unseres Kulturguts im Ausland, dem Goethe-Institut
mit Herrn Professor Lehmann, der vorgestern als Prä-
sident wiedergewählt worden ist, dem DAAD und der
Humboldt-Stiftung für die segensreiche Arbeit, die wir
mit etwa 440 Millionen Euro unterstützen .

Erst gestern gab es im Auswärtigen Amt eine Veran-
staltung mit dem DAAD . Es waren 271 Stipendiaten aus
Syrien zu dem Thema „Keine verlorene Generation in
Syrien“ eingeladen . Herr Steinmeier und ich waren die
einzigen anwesenden Abgeordneten, aber damit waren
die wichtigsten da, möchte ich fast sagen .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Die Veranstaltung hätte es verdient gehabt, dass viele
von unseren Kollegen dabei gewesen wären . Dann hätten
sie gesehen, mit welchem Eifer und mit welchem Einsatz
junge Syrer die Chance in Deutschland wahrnehmen,
Stipendien zu bekommen, sich zu bilden und hoffentlich
später in ihren Heimatländern ihre Kenntnisse anzuwen-
den .

Der Wert der deutschen Außenpolitik ist gestiegen .
Wir haben eine größere Verantwortung in der Welt . Das
ist gar keine Frage . Wenn die Außenpolitik Hochkon-
junktur hat, dann bedeutet das zunächst einmal nichts
Gutes . Das ist ein Ausspruch von Ihnen, Herr Steinmeier .
Warum bedeutet das nichts Gutes? Weil es viele Konflik-
te in der Welt gibt, mit denen wir uns befassen müssen .

Tatsächlich hat die Außenpolitik in Deutschland
über Jahre hinweg ein Nischendasein gefristet, aber das
hat sich jetzt doch geändert . Wir sehen, dass der Russ-
land-Ukraine-Konflikt durch das auch vom deutschen
Außenminister vermittelte Minsker Abkommen ent-
schärft worden ist . Wir sehen, dass die deutsche Außen-
politik in den Verhandlungen zwischen den Westmäch-
ten, Russland und dem Iran beteiligt war . Und wir sehen,
dass die deutsche Außenpolitik an dem Prozess in Wien
beteiligt ist, an dem alle maßgeblichen Player mitwirken,
um den Konflikt in Syrien zu befrieden. All das ist eine
Auszeichnung für die deutsche Außenpolitik . Ich glaube,
dass es uns wert ist, diese Außenpolitik mit den hohen
Summen auszustatten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Diether Dehm






(A) (C)



(B) (D)


Über die Flüchtlingspolitik ist heute schon sehr viel
gesprochen worden . Ich möchte es deshalb sehr kurz ma-
chen . Mir scheint es allerdings schon so zu sein, dass die
Solidarität in Europa, die auch die Frau Bundeskanzlerin
heute angesprochen hat, nicht ausreicht, um die Flücht-
lingsfrage zu lösen . Sie ist für die Verteilung der Flücht-
linge wichtig, aber zuerst kommen für uns die Bemühun-
gen, die Konflikte vor Ort zu lösen, damit sich nicht so
viele auf die Flucht machen müssen .

Viele europäische Länder und Völker scheinen über
den Schritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
nicht hinausgekommen zu sein . Wir haben die Europäi-
sche Gemeinschaft vor fast 60 Jahren als Wirtschaftsge-
meinschaft gegründet . Heute sind wir eine Wertegemein-
schaft . Diesen Schritt hin zu einer Wertegemeinschaft,
der auch beinhaltet, dass man in schwierigen Zeiten Las-
ten zu tragen hat, haben viele Länder noch nicht getan .
Großbritannien, Polen, Ungarn oder auch die Tschechi-
sche Republik seien nur wenige Beispiele dafür .

Die kurzfristigen Lösungen, die wir jetzt anbieten,
müssen um langfristige Lösungen ergänzt werden . Ich
bin vor wenigen Wochen mit Frau Barnett zusammen
in der Bekaa-Ebene im Libanon gewesen. Dort findet
man eine unübersehbare Anzahl von Flüchtlingslagern .
Wir waren in Jordanien im Lager Saatari, das mit 80 000
Flüchtlingen das zweitgrößte Lager der Welt ist . Es ist
unendlich bedrückend, das Elend dort zu sehen, welches
eine sofortige Hilfe notwendig macht .

Sie wissen, dass aus Syrien 6 Millionen Menschen ins
Ausland geflohen sind. 6 Millionen Syrer sind Binnen-
flüchtlinge. Die größte Last an syrischen Auslandsflücht-
lingen tragen augenblicklich die Türkei mit mehr als
2 Millionen Flüchtlingen und der Libanon, der 4 Millio-
nen Einwohner hat, mit augenblicklich 1 Million Flücht-
lingen .

Wir haben bemerkt, dass die Flüchtlingslager eigent-
lich gut organisiert sind. Eine sechsköpfige Familie be-
kommt pro Monat einen Wertgutschein von 180 Dollar .
Das entspricht pro Kopf am Tag 1 Dollar . Davon kann
man gerade so überleben . Die Gemeinschaft der Geber
hat ihre Beiträge in den Sommermonaten dramatisch re-
duziert . Viele mussten von nur noch 50 Cent am Tag le-
ben . Gnade uns Gott, wenn sich auch all die noch auf den
Weg machen, um nach Deutschland zu kommen .

Man wird 75 Millionen Euro brauchen, bloß um über
den Winter zu kommen . Die humanitäre Hilfe ist für uns
in der Tat – man kann es nicht anders sagen – eine Hilfe,
die man einfach gewähren muss . Wir werden für die hu-
manitäre Hilfe in Syrien, im Libanon, in Jordanien viel
Geld ausgeben müssen . Wenn wir dieses viele Geld nicht
ausgeben, dann werden wir in Deutschland für dieselben
Menschen viel mehr Geld ausgeben müssen . Man spricht
von einem Verhältnis von 1 : 27 . 1 Dollar, den wir für
humanitäre Hilfe dort ausgeben, müssten wir mit 27 mul-
tiplizieren, um die Höhe der Mittel für die humanitäre
Hilfe bei uns in Deutschland zu ermitteln .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813906300

Denken Sie bitte an die Zeit, Herr Kollege Karl .


Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1813906400

Ich habe Ihr Signal gesehen, aber Herr Dehm hat mich

aus der Fassung gebracht .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813906500

Die Beantwortung seiner Zwischenfrage wurde auf

Ihre Redezeit nicht angerechnet . Sie hatten genügend
Redezeit .


Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1813906600

Wir geben unendlich viel Geld für die humanitäre Hil-

fe aus . Zusammen mit den Mitteln für die Krisenpräven-
tion ist dies etwa 1 Milliarde Euro . Das ist das Fünffache
von dem, was im Haushalt 2012 veranschlagt war . Wir
machen viel . Wir hoffen, unsere Arbeit zu leisten . Wir
bieten weiterhin gute Zusammenarbeit an . Lieber Herr
Bundesaußenminister, wir sind sicher, dass wir auch in
den nächsten zwölf Monaten eine gute deutsche Außen-
politik machen, die auch gut finanziert ist.

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813906700

Vielen Dank . – Für die Bundesregierung hat jetzt Bun-

desminister Dr . Frank-Walter Steinmeier das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sie haben es mitbekommen: Ich bin am Montag von ei-
ner mehrtägigen Reise aus Ostafrika zurückgekommen .
Zu lesen war auch, dass der eine oder andere gefragt hat:
Darf man in diesen Zeiten, darf man während der Sy-
rien-Krise, der Irak-Krise, der Ukraine-Krise, während
der Bedrohung durch terroristische Anschläge eigentlich
nach Afrika fliegen? Meine Antwort ist ein klares Ja. Ich
finde, das kann und das muss der Außenminister in die-
sen Tagen sogar .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Mein Verdacht ist, dass viele Probleme, die wir mit
unserer südlichen Nachbarschaft, mit unserer Nachbar-
schaft zu Afrika haben, daher rühren, dass wir in den letz-
ten Jahren und Jahrzehnten zu oft nach Gründen gesucht
haben, warum wir nicht nach Afrika fliegen. Vieles, das
in Europa geschah, schien drängender zu sein als das,
was sich in unserer südlichen Nachbarschaft ereignet hat .

Eigentlich ist uns doch klar, dass die Zeit der Krisen
weit weg von uns lange vorbei ist, dass auch die schein-
bar fernen Krisen jedenfalls uns in Europa sehr nahe-
gekommen sind, und das eben nicht nur in Gestalt von
Flüchtlingen . Deshalb muss Außenpolitik helfen – wie
eben in Mosambik und Uganda, wo ich unterwegs war –,
Frieden zu konsolidieren, Perspektiven für die Menschen
in ihren Heimatländern zu entwickeln oder eben auch,

Alois Karl






(A) (C)



(B) (D)


was mir ganz wichtig war, regionale Kooperationen zu
fördern, wie wir es gerade mit den Staaten Ostafrikas
tun, damit sie in Zukunft endlich einmal in der Lage sein
werden, mit Krisen, die ja beherrschbar erscheinen, zum
Beispiel die in Burundi, vor Ort fertigzuwerden .

Daran, dass ich das an den Anfang meiner Rede stelle,
merken Sie: Dies ist ausdrücklich kein Nebenaspekt von
Außenpolitik . Genau deshalb begrüße ich den vorliegen-
den Haushaltsentwurf . Denn dieser Haushaltsentwurf,
das Budget, das uns zur Verfügung stehen wird, stärkt
den Instrumentenkasten der Außenpolitik insgesamt,
von der akuten humanitären Nothilfe bis hin zur zivilen
Krisenprävention und zur Auswärtigen Kultur- und Bil-
dungspolitik . Dass wir das über die Wochen und Monate
so im Einverständnis miteinander verhandeln konnten,
mit dem Blick sowohl auf die akuten Krisen, über die
zu reden ist, wie auch mit dem Blick auf die Krisenvor-
beugung von morgen, dafür gilt diesem Hohen Hause
und den Vertretern des Haushaltsausschusses vorab mein
ganz herzlicher Dank . Herzlichen Dank Ihnen allen!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich lastet
auf uns allen noch die Schreckensnachricht von Paris . Sie
liegt uns auf der Seele . Wir erinnern uns an einen ganz
normalen Nachmittag in Paris, einen fast fröhlichen Frei-
tagabend – so begann er jedenfalls –: junge Menschen
auf dem Weg in die Kneipe, Fußballfans auf dem Weg
ins Stadion, Musikfans auf dem Weg in die Konzerthal-
le . Der Abend endete anders: mit 130 ermordeten Men-
schen, erschossen, zerbombt, und, nicht zu vergessen,
mit 340 Menschen, die verletzt wurden, 90 von ihnen
sehr schwer; viele von ihnen ringen bis heute noch um
ihr Leben .

Will sagen: Der Terror des sogenannten „Islamischen
Staats“ ist in Europa angekommen . Aber die ganze Wahr-
heit ist: In Syrien, im Irak, in Libyen und in Nigeria wütet
diese Barbarei schon sehr viel länger als bei uns, und dort
wütet sie am brutalsten und täglich . Erst gestern wieder
wütete sie auch in Tunesien . Viele der Menschen, die
derzeit zu uns fliehen, suchen Zuflucht vor ebendiesem
Terror, den der IS in ihrer Heimat verbreitet .

Zum zweiten Mal ist es Frankreich, sind es die Men-
schen in Paris, die von diesem Terror heimgesucht wer-
den, aber eben nicht nur sie; das sollte uns klar sein . Das
ist ein Angriff auf alle, die in Freiheit und Frieden leben
wollen, ob hier in Europa oder anderswo, ob Christen,
Juden, Atheisten oder Muslime . Es ist ein Angriff auf
eine offene Gesellschaft, die die Fanatiker nicht ertra-
gen und die sie deshalb vernichten wollen: mit Bomben,
mit Gewehrkugeln, mit der Verbreitung von Angst und
Schrecken . Aber eine Gesellschaft in Angst, in der sich
die Menschen zurückziehen, verliert genau das, was sie
eigentlich lebenswert macht . Gerade deshalb müssen wir
um sie kämpfen . Das ist die Botschaft an Tausenden Or-
ten in Frankreich, wenn der Angst, dem Schrecken, der
Verzweiflung, der Wut, wenn alldem trotzig die Marseil-
laise entgegengesungen wird . Das ist die Botschaft, die
Regierung und Parlament hier in Berlin am Tag nach der

Schreckensnacht unseren französischen Freunden ge-
sandt haben: Ihr seid nicht allein . Wir lassen euch nicht
allein . – Zu diesem Wort, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, stehen wir gemeinsam .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was heißt das konkret? Was tun wir gegen den Terror?
Natürlich bleibt richtig, was alle hier im Hause vermut-
lich gleichlautend sagen: Am Ende ist Terrorismus nicht
militärisch zu besiegen . – Am Ende ist das richtig . Aber
richtig ist auch: Der IS muss auch militärisch bekämpft
werden, wenn von Syrien am Ende etwas übrig bleiben
soll, was wir mit unseren Bemühungen befrieden und wo
wir den Menschen eine neue Zukunft schaffen . Falsch
wäre es, uns nur auf Militärisches zu beschränken . Aber
naiv wäre es, zu glauben, es ginge ganz ohne . Wir wer-
den beides brauchen, und ich werde dafür streiten, mit
all meiner Kraft, dass das politische Handeln und der po-
litische Prozess bei dem, was wir tun, im Vordergrund
stehen werden, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drei Dinge sind wichtig:

Erstens . Zu dem militärischen Kampf gegen ISIS, der
fortgeführt werden muss – das wird sicherlich auch noch
eine Weile dauern –, werden auch Luftangriffe gehören;
sie werden dazugehören . Aber, ich glaube, mehr denn je
wird klar: Wir müssen vor allen Dingen diejenigen stär-
ken, die am Boden kämpfen . – Das haben wir eigentlich
früher gemacht als andere, als wir uns entschlossen ha-
ben, die Peschmerga im Irak mit Waffen und Ausbildung
zu unterstützen . Wie richtig dieses Engagement war, bei
allen Schwierigkeiten, die im Nordirak unter den Kurden
bestehen, das sehen wir vielleicht daran, dass nicht nur
der Vormarsch des IS im Nordirak aufgehalten worden
ist, sondern dass jetzt sogar kleinere Geländegewinne er-
zielt worden sind .

Das ist nicht die Blaupause dafür, dass das, was da
gelungen ist, überall anders auch passiert . Aber das ist
der Hintergrund dafür – ich glaube, Herr Nouripour hat
es kritisiert –, dass ich gesagt habe: Wir sollten jeden-
falls versuchen, ohne dass wir die Beteiligten zwingen
können, möglichst viele von den syrischen Kräften zu-
sammenzubringen, die gegen IS sind und die bereit sind,
gegen IS zu kämpfen – nicht mehr und nicht weniger;
aber richtig bleibt es wohl, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Auch die PKK?)


Leider sind eben nicht nur Syrien und Irak Themen,
um die wir uns zu kümmern haben, sondern die Kon-
flikte rund um den Erdball sind noch zahlreicher, und
wir werden uns nicht um alles kümmern können . Aber
wir werden uns in Arbeitsteilung mit anderen engagieren
müssen . Dazu gehört auch Mali . Wir diskutieren gera-
de in diesen Tagen im Kabinett darüber und werden im
Parlament später über Mali und die Verstärkung unseres
Einsatzes bei MINUSMA diskutieren .

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe in Erinnerung, dass es auch in Mali Frank-
reich zu verdanken ist, dass Mali nicht komplett in die
Hände von Islamisten gefallen ist und nicht zerstört wor-
den ist . Dass dort heute überhaupt Stabilisierungsarbeit
möglich ist, hängt damit zusammen, dass Frankreich da-
mals eingegriffen hat – mit all den Schwierigkeiten, die
das in der Folge hat . Aber wir sollten es nicht vergessen .

Ich sage das auch deshalb, weil ich mich bei den An-
gehörigen der VN-Mission und natürlich ausdrücklich
auch bei den Soldaten der deutschen Bundeswehr dafür
bedanken will, dass sie unter den nicht ungefährlichen
Umständen in Mali ihren Dienst tun . Herzlichen Dank
dafür!


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unterstützung der Peschmerga, Arbeitsteilung in
Mali – beides ist wichtig . Ich glaube, wir brauchen uns
mit dem, was wir tun, nicht zu verstecken . Wir brauchen
uns mit unseren Beiträgen nicht zu verstecken . Aber
wir müssen wissen – spätestens nach den Gesprächen,
die der französische Präsident mit dem amerikanischen
Präsidenten und mit Cameron geführt hat, und vor den
Gesprächen, die er mit der Bundeskanzlerin und wenige
Zeit danach mit Putin führen wird –: Frankreich will nach
der Tragödie von Paris kein einfaches Weiter-so in Syri-
en, sondern sie bitten ausdrücklich um Unterstützung –
welche genau, das kann ich heute noch nicht sagen . Das
wird sich vielleicht im Laufe des heutigen Abends und
morgen klären .

Ich will auch gerne hinzufügen: Wir müssen nur ge-
ben, was wir können und verantworten können . Aber das
bedeutet auch: Grundlos verweigern dürfen wir uns nicht .
Sonst ist unser Versprechen, das wir gegenüber unserem
engsten Nachbarn gegeben haben, eben nicht viel wert .


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: So ist es!)


Glaubwürdigkeit zu bewahren, gerade wenn es schwierig
ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind wir auch
uns selbst schuldig; jedenfalls ist das meine Überzeu-
gung .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu der zweiten Dimension, zu der ich kommen will,
gehört natürlich jenseits des Militärischen auch die Sta-
bilisierung des gesamten Krisenbogens von Libyen bis in
den Mittleren Osten . Es ist völlig klar: Nur wenn es staat-
liche Institutionen gibt, wird Stabilisierung gelingen .
Dann wird es gelingen, den Nährboden auszutrocknen,
auf dem Extremismus und Terrorismus gedeihen, und nur
dann wird es gelingen, wieder Lebensperspektiven für
die Menschen zu entwickeln . Ich sage das deshalb, weil
wir schon bei der Organisation des Auswärtigen Amtes
genau darauf einen Schwerpunkt gesetzt haben .

Ich will auch ausdrücklich sagen: Ich bin froh darüber,
dass dieser Haushalt den Schwerpunkt Stabilisierungsar-
beit, Krisenprävention mit Geld unterstützt, gerade auch
Stabilisierung und humanitäre Hilfe .

Zur Ehrlichkeit gehört allerdings: Wir können nicht
jeden Euro umrechnen in ausbleibende Flüchtlinge oder
gar in ausbleibende Terroranschläge . Außenpolitik gibt
es eben leider nicht mit Festverzinsung, wenn ich das
so sagen darf . Aber ich glaube schon, dass man zeigen
kann, dass sich unser Engagement lohnt . So werden zum
Beispiel 300 000 Menschen in Syrien durch unsere In-
vestitionen in den Syria Recovery Trust Fund inzwischen
wieder mit Strom versorgt, weil wir mit unseren Partne-
rorganisationen Strommasten wieder aufgerichtet haben,
die zerstört waren . In Tikrit stellen wir Krankenhäuser,
Schulen und die Wasserversorgung wieder her, sodass die
Menschen in ihre Häuser zurückkehren . Ferner gibt es –
Alois Karl hat eben davon berichtet – fast 300 Stipen-
diatinnen und Stipendiaten, die gestern im Auswärtigen
Amt waren und die sich jetzt darauf vorbereiten, dass sie
hoffentlich irgendwann in ihr Heimatland zurückkehren
und dort beim Wiederaufbau ihres Landes helfen können .

Letztlich und abschließend die dritte Dimension: die
politischen Lösungsversuche, der politische Prozess, den
wir dringend brauchen . Ich will nicht wiederholen, was
andere gesagt haben . Ich bin froh darüber, dass es in Wien
erstmals gelungen ist, alle an einen Tisch zu bekommen .
Ich mache mir Sorgen – das habe ich gestern auch zum
Ausdruck gebracht –, dass der gestrige Flugzeugabschuss
an der syrisch-türkischen Grenze uns weit zurückwerfen
könnte . Ich bin froh, dass es möglicherweise, wie wir ge-
rade eben in Tickermeldungen lesen konnten, zwischen
der türkischen und russischen Regierung Bemühungen
gibt, doch wieder zueinanderzukommen . Ich hoffe, dass
sich Gerüchte bestätigen, dass es zu einem Treffen des
türkischen und des russischen Außenministers kommen
soll . Dann bleibt jedenfalls den Bemühungen um poli-
tische Optionen, an denen wir an zwei Wochenenden in
Wien mühsam gearbeitet haben, eine Chance .

Alle drei Dimensionen, meine Damen und Herren,
über die ich gesprochen habe, sind wichtig . Auch wenn
wir heute noch fassungslos sind und voller Trauer über
die Opfer von Paris – wir geben uns der Verzweiflung
nicht hin, wir geben uns der Ohnmacht nicht hin . Des-
halb ist eben das Reden über Haushalt mehr als ein Re-
den über Geld . Dieser Haushalt macht vielmehr in vielen
Bereichen Politik erst möglich, eine Politik, deren Ma-
xime nicht Abschottung, nicht Ohnmacht ist, sondern
Handeln . Und Handeln ist nötig, wenn wir diese Welt ein
bisschen friedlicher machen wollen, als sie ist .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813906800

Danke . – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Sevim

Dağdelen das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813906900

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Verehrter Herr Minister! Es ist natürlich begrüßenswert,

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier






(A) (C)



(B) (D)


dass Sie die Welt sicherer machen wollen . Es ist natür-
lich auch ein gutes Ziel, den IS zu bekämpfen . Aber da
möchte ich Sie gerne einmal fragen, da der IS keine Waf-
fenfabriken hat: Woher bekommt der „Islamische Staat“
seine Waffen?


(Beifall bei der LINKEN)


Deutschland ist einer der größten Waffenexporteu-
re der Welt und beliefert Diktaturen am Golf wie Sau-
di-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate
oder auch den Terrorförderer Türkei, von der man weiß,
auch aus geheimdienstlichen Informationen, dass sie is-
lamistische Terrormilizen in Syrien bewaffnet . Da frage
ich mich: Warum bewaffnen wir weiterhin Terrorunter-
stützerstaaten wie diese am Golf?


(Beifall bei der LINKEN)


Was ich Ihrer Rede auch entnehme, ist, dass Sie
nichts an der falschen Außenpolitik ändern wollen, die
die Bundesregierung in den letzten Jahren gemacht hat .
Was in diesen Tagen droht, ist eine massive Beteiligung
Deutschlands an einem neuen Krieg gegen den Terror .
Heute Morgen verkündete die Bundesregierung, bis zu
650 deutsche Bundeswehrsoldaten in den Krieg nach
Mali schicken zu wollen . Und das Auswärtige Amt er-
wägt offenbar in militärischer Unterstützung Frankreichs
weitere Militäreinsätze; genannt werden da vom Auswär-
tigen Amt Tunesien und Libyen . Ich frage Sie deshalb, ob
man aus diesem furchtbaren Krieg gegen den Terror nach
dem 11 . September, der gescheitert ist, nichts gelernt hat .
Dieser sogenannte Krieg gegen den Terror hat aus eini-
gen Hundert Terroristen hunderttausend Terroristen welt-
weit gemacht, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb, meine Damen und Herren, ist eine solche Po-
litik falsch .

Mord muss überall verurteilt werden, egal von wem
und egal wo er stattfindet. Auch deshalb ist diese Poli-
tik falsch . NATO-Bombenangriffe auf Hochzeitsgesell-
schaften, Drohnenmorde im Nahen und Mittleren Osten
züchten den Terror und haben den Terror regelrecht ge-
mästet . Deshalb sage ich Ihnen: Erst wenn auch dieses
Hohe Haus versteht, dass die Mütter in Pakistan, im Je-
men, in Afghanistan oder im Irak genauso um ihre ver-
lorenen Kinder trauern wie die Mütter in Paris und in
Frankreich, werden Sie, meine Damen und Herren, ver-
stehen, wie wir unsere Politik verändern müssen, um im
Kampf gegen den weltweiten Terror etwas zu erreichen .


(Beifall bei der LINKEN)


Das Auswärtige Amt hat in den letzten Jahren die
Regime-Change-Politik der USA unterstützt . Im Irak-
krieg 2003 war Deutschland mit dabei; nicht mit Solda-
ten . Aber Deutschland engagierte sich stärker im Krieg in
Afghanistan, sodass US-Truppen für den Angriff freige-
setzt wurden, und stellte die Stützpunkte in Deutschland
zur Verfügung . Vor Ort in Bagdad half auch der Bun-
desnachrichtendienst kräftig mit . Beim NATO-Angriff
auf Libyen beließ man die deutschen Soldaten in den
NATO-Kommandostrukturen . Heute herrscht dort der
„Islamische Staat“ über Hunderte Kilometer Mittelmeer-

küste . Ich frage mich: War dieser Bombenangriff, dieser
Krieg in Libyen erfolgreich? War das wirklich von Erfolg
gekrönt, wenn wir jetzt einen Staat haben, der völlig zer-
stört ist, völlig destabilisiert ist, und wo der IS Hunderte
von Kilometern Mittelmeerküste kontrolliert? Ich glau-
be, Erfolg sieht anders aus, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


In Syrien agierte man mit Saudi-Arabien, Katar und
der Türkei, die den barbarischen „Islamischen Staat“
und auch die Al-Nusra-Front, also einen Ableger von al-
Qaida, unterstützen . Man berichtet seitens der türkischen
Regierung über Bewaffnungen islamistischer Terror-
milizen. Ich finde, die verheerende Saat dieser falschen
Regime-Change-Politik ist jetzt aufgegangen . Auch da-
durch wurden natürlich Strukturen hervorgebracht, die
den Terror in der Region mit befördern . Deshalb sagt die
Linke: Hören Sie endlich mit dieser Politik auf, kehren
Sie um . Das Völkerrecht muss die Richtschnur sein für
das außenpolitische Handeln . Das heißt, weg von einer
völkerrechtswidrigen Regime-Change-Politik .


(Beifall bei der LINKEN)


Am Sonntag wird es mit dem türkischen Präsiden-
ten Erdogan einen EU-Gipfel geben . Erdogan fordert
jährlich 3 Milliarden Euro als Tribut, damit die Türkei
Flüchtlinge im Land behält, sozusagen als Grenzwächter
für die EU . Aus den Weisungen der Bundesregierung an
ihre Brüsseler Beamten im Vorfeld des Gipfels lese ich
heraus: Die Bundesregierung ist bereit, Herrn Erdogan
jährlich eine Milliardenhilfe deutscher Steuergelder zu
überweisen . – Wie wollen Sie das eigentlich vor der Be-
völkerung in Deutschland rechtfertigen, dass Sie ihre
Steuergelder künftig an jemanden zahlen, der Krieg
gegen die eigene Bevölkerung führt, der faschistische
Schlägertrupps in kritische Zeitungsredaktionen schickt
und der jetzt ein russisches Kampfflugzeug abschießen
lässt und en passant den Dritten Weltkrieg riskiert? Wir
finden, das darf es nicht geben. Der Pakt mit Erdogan
darf so nicht stattfinden. Das wäre nämlich eine morali-
sche Bankrotterklärung .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sagen auch, es ist nicht in Ordnung, über die
militärische Beistandsklausel nach Artikel 42 Absatz 7
EU-Vertrag, auf dessen Grundlage der neue Krieg ge-
gen den Terror laufen soll, noch nicht einmal in Brüssel,
geschweige denn im Bundestag abzustimmen . Alles lief
auf Zuruf . Der Bundestag wurde nicht einmal informiert,
geschweige denn gefragt . Jetzt will das Auswärtige Amt
nicht einmal, wie bisher, über die Ratsarbeitsgruppen aus
Brüssel informieren und damit das Grundgesetz und die
Unterrichtungspflicht verletzen, um sich bei den Kriegs-
vorbereitungen nicht in die Karten schauen zu lassen .

Diesen Angriff des Auswärtigen Amtes auf die Parla-
mentsrechte dürfen wir nicht hinnehmen . Deshalb mein
Appell auch an die anderen Fraktionen im Hause: Las-
sen Sie sich nicht derart entmündigen, meine Damen und
Herren!


(Beifall bei der LINKEN)


Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


Sagen Sie Nein zu diesem neuen Krieg gegen den Terror,
der schon verloren ist, bevor er überhaupt angefangen
hat .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813907000

Vielen Dank . – Bevor ich dem Kollegen Dr . Franz

Josef Jung das Wort gebe, möchte ich alle nachfolgenden
Redner und Rednerinnen bitten, die vereinbarte Redezeit
einzuhalten . Diejenigen, die ein großes Kontingent an
Redezeit haben, sind meistens besonders großzügig, aber
dann kommen die nachfolgenden Kolleginnen und Kol-
legen nicht mehr zu den vorgesehenen Zeiten zu ihren
Debatten .

Der Kollege Dr . Franz Josef Jung für die CDU/
CSU-Fraktion wird uns das jetzt vorbildlich vormachen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1813907100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche
Außenpolitik ist zurzeit in besonderer Art und Weise
gefordert, wenn es um die Friedenssicherung oder die
Beseitigung der Fluchtursachen geht . Es kommt hinzu –
das haben uns die menschenverachtenden Anschläge
in Paris, aber auch der Abschuss der russischen Passa-
giermaschine auf dem Weg von Scharm al-Scheich und
die gestrigen Anschläge in Ägypten und in Tunesien ge-
zeigt –, dass die freie Welt in besonderer Art und Weise
herausgefordert ist, dass wir gemeinsam gefordert sind,
zu unseren Werten zu stehen und alle Möglichkeiten zu
nutzen, um diesem Terrorismus entgegenzutreten, auch
mit militärischen Mitteln . Denn ich glaube, dass die not-
wendige Beseitigung des Terrorismus im Irak und in Sy-
rien nur so möglich ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, dazu gehört auch, deutlich
zu machen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen, dass
auch für uns der Satz des Staatsmanns Perikles gilt, der
einmal formuliert hat:

Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Ge-
heimnis der Freiheit aber ist der Mut .

Insofern ist es richtig, wenn wir auch in dieser nicht ein-
fachen Situation mutig zusammenstehen .

Das bedeutet dann aber auch, dass die internationa-
le Gemeinschaft gemeinsam ISIS entgegentreten muss .
Deshalb sage ich im Hinblick auf die aktuelle Situation
zwischen der Türkei und Russland: Es ist dringend not-
wendig, besonnen zu reagieren . Ich will jetzt hier kei-
ne Verantwortlichkeiten im Einzelnen erörtern . Es wäre
aber klug, wenn auch die Türkei und Russland gemein-
sam mit uns gegen ISIS einträten . Ich glaube, dort gibt es
noch ein Stück weit Nachholbedarf . Dies wäre wichtig,

auch mit Blick auf die Verhinderung von Terrorangriffen,
die nachher die eigenen Länder betreffen könnten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine Damen und Herren, ich will unterstreichen,
was der Außenminister gesagt hat . Letztlich werden wir
nur zum Erfolg kommen, wenn wir hier unter Einbezie-
hung politischer, diplomatischer und entwicklungspo-
litischer Mittel, aber auch militärischer Mittel, also mit
einem vernetzten Ansatz, vorgehen . Der vernetzte Ansatz
bedeutet: ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber ohne
Entwicklung auch keine Sicherheit .

Insofern ist es richtig, dass wir beispielsweise die Pe-
schmerga in Syrien unterstützen, dass hier 4 700 Kräfte
ausgebildet worden sind, dass beispielsweise 400 Jesiden
ausgebildet worden sind, damit sie sich verteidigen kön-
nen . Wer den Film Háwar – Meine Reise in den Genozid
gesehen hat, der konnte sehen, wie menschenverachtend
ISIS gegen die Jesiden vorgeht . Insofern ist es richtig und
gut, dass wir die Jesiden befähigen, sich vor Ort zu ver-
teidigen und gegen den ISIS-Terrorismus vorzugehen .

Ich glaube auch – da unterstreiche ich, was der Außen-
minister gesagt hat –, dass es richtig ist, die Angriffe aus
der Luft zu unterstützen . Aber es muss auch der Kampf
am Boden vorgenommen werden . Das ist notwendig .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Aha!)


Von daher teile ich die Auffassung, die der jordanische
Außenminister gegenüber unserer Fraktion geäußert
hat . Er formulierte: Wir Muslime müssen selbst diesen
Kampf gegen ISIS führen, aber ihr müsst uns dabei un-
terstützen . – Insofern ist der Weg, den wir als Bundesre-
publik Deutschland beschreiten, richtig .

Im Hinblick auf die weitere Situation kann man fest-
halten, dass Erfolge feststellbar sind . Sindschar ist zu-
rückerobert worden . Ich denke, es ist auch richtig – wir
haben jetzt die notwendigen Mittel vorgesehen –, dass
wir unser Kontingent in der Region verstärken . Derzeit
sind dort 100 Soldaten im Rahmen der Ausbildung und
Unterstützung tätig . Wir wollen die Zahl auf 150 erhö-
hen . Das ist ein richtiger, notwendiger Schritt, um dem
ISIS-Terrorismus vor Ort wirkungsvoll entgegenzutre-
ten, dort zu einer Befriedung der Situation beizutragen


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Keine Waffenexporte in die Region!)


und letztendlich dafür zu sorgen, dass die Menschen wie-
der friedlich in ihrer Heimat miteinander leben können .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813907200

Herr Kollege Jung, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Dehm?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1813907300

Okay .

Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813907400

Bitte schön .


Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813907500

Herr Kollege Jung, ich finde auch, dass das Eintreten

für Christen, für Jesiden – der Außenminister hat es auch
angesprochen – sehr stark honoriert werden muss . Ich
weiß nicht, ob Sie den Film gesehen haben – ich glaube,
er lief auf Phoenix; ich weiß nicht, ob er auch in der ARD
lief –, der zeigt, dass sich junge kurdische Frauen ausbil-
den lassen, um Jesiden, um Christen, also Andersgläubi-
ge, die nicht so denken wie sie, zu verteidigen . Aber das
betrifft nicht nur die Peschmerga-Kämpfer, wovon dieser
Film handelte, sondern auch die kurdische Arbeiterpartei
und die PYD, die bei uns allerdings auf der Terrorliste
stehen . Wann beziehen wir diese endlich in die große Al-
lianz im Kampf gegen ISIS ein? Ist es nicht widersinnig,
jene Kämpfer und Kämpferinnen, die von ISIS und Er-
dogan beschossen werden, auf der Terrorliste zu behal-
ten, die sich so tapfer für Christen und Andersdenkende
einsetzen?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1813907600

Herr Dehm, ich habe den Film, den Sie erwähnen,

nicht gesehen . Ich habe den Film Háwar gesehen, den
ich gerade beschrieben habe, wo Ähnliches entsprechend
angedeutet worden ist .

Ich kann die Situation in der Türkei im Hinblick auf die
PKK im Einzelnen nicht beurteilen . Auch da ging es um
entsprechende Anschlagssituationen. Ich finde aber, dass
wir, die internationale Gemeinschaft, gerade angesichts
der Herausforderung, vor der wir durch die Anschläge
stehen – ich sage es noch einmal: Paris, Passagiermaschi-
ne, Ägypten, Tunesien –, zusammenstehen müssen . Das
bezieht auch die Türkei und Russland mit ein . Jetzt geht
es nicht darum, dass sich die Türkei speziell mit der PKK
auseinandersetzt oder wie Russland mit der einen oder
anderen Rebellensituation umgeht . Vielmehr geht es jetzt
darum, dass wir geschlossen gegen ISIS vorgehen . Das
ist meines Erachtens die Aufgabe, und dazu sollten wir
unseren Beitrag leisten .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Danke!)


Lassen Sie mich einen weiteren wichtigen Punkt hin-
zufügen . Ich habe gerade gesagt, dass wir die Anzahl der
Soldaten in der Ausbildungsmission von 100 auf wahr-
scheinlich 150 Soldaten erhöhen werden . Ein Soldat, der
immerhin schon in sieben Auslandseinsätzen war, hat ge-
sagt: Er ist der Auffassung, dass dies einer der sinnvolls-
ten Einsätze ist, den er bisher geleistet hat. – Ich finde,
wir sollten unseren Soldatinnen und Soldaten herzlich
danken für ihr Engagement im Einsatz, bei der Ausbil-
dung, bei der Unterstützung und bei der Ertüchtigung der
Kräfte vor Ort . Denn so kann ein wirkungsvolles Vorge-
hen gegen den Terrorismus von ISIS erfolgen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Abg . Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813907700

Kollege Jung, gestatten Sie auch noch eine Zwischen-

frage des Kollegen Sarrazin, ich meine, Nouripour? Ent-
schuldigung .


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1813907800

Eine Zwischenfrage des Kollegen Nouripour kann ich

jetzt nicht ablehnen . – Bitte sehr .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813907900

Herzlichen Dank für die Zulassung der Zwischenfra-

ge . – Sie haben gerade gesagt, dass die Ausbildung rich-
tig ist; ich teile das . Sie haben aber vorhin auch mit uns
gelauscht, wie der Herr Außenminister gesagt hat, dass
die Waffenlieferung an die Peschmerga richtig war .

Haben Sie vor Ort einmal die Frage gestellt, mit wel-
chen Waffen die Menschen zur Ausbildung kommen?
Die Peschmerga sind ja nicht stationiert; sie kommen
morgens zur Ausbildung, und abends sind sie wieder
weg . Wir haben nicht nur MILAN geliefert, sondern auch
20 000 G3- und G36-Waffen . Die deutschen Ausbilder,
die ich vor Ort getroffen habe, haben mir gesagt: Sie ha-
ben noch nie einen gesehen, der mit eben diesen Waffen
zur Ausbildung kommt . Sie kommen im besten Falle mit
Kalaschnikows aus den 50er-Jahren aus der Tschechos-
lowakei .

Die Bundesregierung sagt – ich habe die Antwort
schriftlich bekommen –, dass sie selbst keine physische
Endverbleibskontrolle für die Waffen gewährleisten
kann . Wir wissen nicht, wo die 20 000 Gewehre geblie-
ben sind . Haben Sie schon einmal die Frage gestellt,
wo die Waffen eigentlich hingekommen sind, wenn sie
nicht aufbewahrt werden? Da wäre ja einer der weniger
schlimmen Fälle, die mir einfallen würden; Proliferation
wäre weit schlimmer . Werden die Waffen aufbewahrt für
den Fall, dass eines Tages die Peschmerga der KDP von
Herrn Barzani kämpfen wollen gegen die Peschmerga
der PUK und andere oder gegen die PKK, wie es in Sind-
schar teilweise passiert ist?


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Oder dem IS überlassen?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1813908000

Ich will Folgendes dazu sagen: Ich kenne nicht die

Antwort auf die Frage, die Sie angesprochen haben .
Aber, lieber Herr Nouripour, natürlich brauchen die
Kämpfer die Befähigung und Ertüchtigung, mit den Waf-
fen entsprechend umzugehen . Wenn beispielsweise die
Peschmerga bereits darüber nachdenken, ihre Kinder
nach unserer Panzerabwehrrakete MILAN zu benennen,
dann zeigt das, dass die Lieferung, die wir zur Ertüch-
tigung der Peschmerga vorgenommen haben, durchaus
erfolgreich ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, das muss man in dem Zusammenhang sehen .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kollege, Sie heißen übrigens Franz Josef!)







(A) (C)



(B) (D)


Ich glaube, es ist richtig, dass wir in der Art und Weise
unterstützen, trotz all der Probleme, die Sie angespro-
chen haben .

Lassen Sie mich noch einmal kurz auf Syrien zurück-
kommen . Ich möchte das, was der Außenminister zu der
Konferenz in Wien gesagt hat, unterstreichen . Er hat ge-
sagt, dass er dafür sorgt, dass die Dinge weitergehen . In
Wien gab es, so will ich es einmal sagen, Zeichen der
Hoffnung: Saudi-Arabien und Iran saßen mit am Tisch,
und man hat einen Fahrplan für den Friedensprozess ver-
einbart . Nach diesem Fahrplan soll es eine Übergangsre-
gierung geben; am Ende dieses Prozesses sollen Wahlen
stehen; lokale Waffenruhen sollen zu einem landeswei-
ten Waffenstillstand führen; der Einsatz von Fassbomben
und die Raketenangriffe auf die Wohngebiete sollen –
das ist etwas, was ich für ganz wichtig erachte – gestoppt
werden .

Ich denke, wir sollten diesen Prozess, der in Wien
eingeleitet worden ist, nachdrücklich unterstützen; denn
Ziel muss es sein, dass der Bürgerkrieg in Syrien beendet
wird, dass dort wieder Frieden herrscht . Wenn hier bean-
tragt wird, Unterstützung im Rahmen einer UN-Mission
zu leisten, dann sollten wir diese Unterstützung leisten .
Das halte ich für richtig .

Ich habe gehört, dass hier heute Morgen kritische An-
merkungen zu den Aufklärungstornados, zu den „Rec-
ce“-Tornados, gemacht worden sind . Ich kann nur sagen,
dass ich in meiner Zeit sehr positive Erfahrungen mit
dem Einsatz von Tornados zur Aufklärung in Afghanis-
tan gemacht habe . Die Tornados können gegebenenfalls
sicherstellen, wo welche Terrortruppen tätig sind .


(Beifall des Abg . Roderich Kiesewetter [CDU/ CSU] – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das Ergebnis sehen wir aber jetzt!)


Dann kann man entsprechend handeln . – Dies muss noch
ausgehandelt werden . Was ich sagen will, ist: Wenn es zu
einer derartigen Mission kommt, können wir nicht an der
Seite stehen . Ich glaube, wir müssen diesen Friedenspro-
zess aktiv unterstützen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, das ist auch entscheidend, damit die
Flüchtlingsbewegung, die in Gang gekommen ist, wie-
der reduziert werden kann . Die Menschen brauchen eine
Perspektive, damit sie zurückkehren . Hinzufügen möchte
ich: Ich halte es für richtig, dass die Mittel für die Flücht-
lingscamps erheblich aufgestockt worden sind . Man
kann – das muss man ehrlich sagen – eigentlich gar nicht
nachvollziehen, wie es dazu kommen konnte, dass den
Menschen in diesen Flüchtlingscamps nur 14 Dollar pro
Monat zur Verfügung stehen . Da braucht man sich nicht
zu wundern, dass sie die Flucht ergriffen haben . Deshalb
ist es richtig und notwendig, jetzt Mittel in die Hand zu
nehmen, um zu gewährleisten, dass die Menschen vor
Ort ein menschenwürdiges Leben führen können .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn man über die Beseitigung der Fluchtursachen
bzw . eine Reduzierung der Flüchtlingsentwicklung
spricht, muss man auch sagen, dass es wichtig ist, dass

man zu einer Vereinbarung mit der Türkei kommt . Das
Signal, das Präsident Erdogan ausgesandt hat, geht in die
richtige Richtung . Ich kann nur hoffen und wünschen,
dass es am Sonntag zu einer Vereinbarung kommt; denn
es ist auch ein Akt der Humanität, dafür Sorge zu tragen,
dass diese Menschen nicht mehr ihr Leben riskieren müs-
sen, indem sie mit Schlauchbooten über das Mittelmeer
kommen . Wir brauchen eine klare Regelung, nach der
Menschen im Rahmen eines Kontingents nach Europa
kommen können . Sie müssen sicher hierhergeführt wer-
den können, und diejenigen, die kein Recht haben, hier
zu sein, müssen zurückgeführt werden können . Das wäre
nicht nur mit Blick auf die Begrenzung der Flüchtlings-
ströme wichtig . Es wäre auch ein Akt der Humanität, zu
einer klaren Regelung mit der Türkei zu kommen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu der
aktuellen Entwicklung in Afghanistan noch eine Bemer-
kung machen . Ich glaube, dass wir in Afghanistan viel
erfolgreicher waren, als das bisher öffentlich dargestellt
wurde . Aus meiner Sicht hat die Bundeswehr einen wich-
tigen und notwendigen Beitrag für eine stabile Entwick-
lung in Afghanistan geleistet .

Viele Soldaten, auch solche, die heute in den Aufnah-
melagern tätig sind, fragen, warum sie sich dort so enga-
giert haben, warum dort Kameraden gefallen sind, wenn
jetzt trotzdem viele Afghanen den Weg nach Europa und
nach Deutschland suchen . Hier muss man deutlich ma-
chen: Es gibt dort keine Bürgerkriegssituation . 80 Prozent
des Gebiets im Norden von Afghanistan sind unstreitig .
Wir wissen, wie die Situation dort ist . Das ist befriedetes
Gebiet . Deshalb halte ich es für richtig, dass wir hier über
Fluchtalternativen, über entsprechende Möglichkeiten
für die Menschen, dort zu leben, sprechen . Wir müssen
sie durch die Resolute Support Mission weiter unterstüt-
zen und innerstaatliche Fluchtalternativen schaffen . Es
ist nicht sinnvoll und notwendig, dass eine erheblich gro-
ße Anzahl Afghanen den Weg nach Europa suchen .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Ich füge hinzu: Wenn ich über die Vermeidung von
Fluchtursachen spreche, gehört dazu natürlich der Blick
nach Afrika . Ich halte es für richtig, dass wir nicht nur
die „Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung“
umsetzen, sondern dass auch das, was auf dem EU-Af-
rika-Gipfel besprochen worden ist, entsprechend in die
Realität umgesetzt wird; der Bundesaußenminister hat es
gerade von diesem Pult aus gesagt . Wir müssen weiter
Unterstützung leisten, und die Bemühungen, beispiels-
weise in Libyen wieder zu einer stabilen Entwicklung
zu kommen, müssen weiter vorangehen, damit wir auch
dort die Chance und die Möglichkeit haben, zu Vereinba-
rungen zu kommen, wie es jetzt beispielsweise zwischen
Spanien und Marokko geschehen ist .

Wir brauchen hier eine stabile Entwicklung, auch im
Norden Afrikas . Deshalb ist es notwendig – das will ich
im Hinblick auf die aktuelle Anschlagssituation in Tu-
nesien sagen –, dass wir Tunesien unterstützen . ISIS
greift Tunesien zurzeit natürlich bewusst in einer Art und
Weise an, die eine demokratische, eine perspektivische

Dr. Franz Josef Jung






(A) (C)



(B) (D)


Entwicklung im Norden Afrikas lähmt . Deshalb müssen
wir auch dieses Land im Hinblick auf seine zukünftige
Entwicklung und im Kampf gegen den ISIS-Terrorismus
unterstützen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn ich über die Vermeidung von Fluchtursachen
spreche, dann gehört natürlich auch dazu, dass ich einen
Blick in die Ukraine werfe . Das ist richtig und notwen-
dig . Der Bundesaußenminister ist hier in einer besonde-
ren Art und Weise mit engagiert . Wir müssen alle An-
strengungen unternehmen, um Minsk II umzusetzen . Es
ist zwar wahr, dass die Waffen seit einer geraumen Zeit
im Wesentlichen schweigen, aber die schweren Waffen
sind immer noch nicht zurückgezogen worden . Der Re-
formprozess, der eigentlich unter Einbeziehung der Regi-
onalvertreter vorangehen sollte, geht noch nicht in dieser
Art und Weise voran .

Deshalb ist es, glaube ich, notwendig, dass wir eine
Perspektive für die Menschen dort schaffen, dass die
Europäische Union hier noch stärker Reform- und Mo-
dernisierungsanstrengungen unternimmt, um die Ukraine
in eine positive Entwicklung zu führen . Denn wenn die
Menschen merken, dass es wirtschaftlich immer nur wei-
ter abwärts geht, wenn es keine Perspektive gibt, dann
besteht natürlich die Gefahr, dass sie nicht Binnenflücht-
linge bleiben, sondern das Land verlassen . Deshalb,
glaube ich, sind wir besonders gefordert . Wir haben ein
EU-Assoziierungsabkommen, um in der Ukraine unse-
ren entsprechenden Akzent zu setzen .

Meine Damen und Herren, eine wertorientierte und
nachhaltige Außenpolitik im Rahmen des vernetzten An-
satzes ist die richtige Grundlage zur Friedenssicherung
und zur Beseitigung von Fluchtursachen . Dieser Haus-
halt sichert hierzu die finanziellen Voraussetzungen. Ich
bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung .

Besten Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813908100

Vielen Dank . – Jetzt kommt der Kollege Sarrazin zu

Wort für Bündnis 90/Die Grünen .


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813908200

Frau Präsidentin! Es ist gar kein Problem, dass Sie den

Kollegen Nouripour mit mir verwechselt haben . Zwei
so brillante Kollegen kann man durchaus einmal mit-
einander verwechseln . Das verstehen wir natürlich alle
gut . – Entschuldigen Sie bitte, ich muss nach der Rede
des Kollegen Jung mit einer Redezeit von, ich glaube,
17 Minuten versuchen, mit irgendeinem billigen Witz
Ihre Aufmerksamkeit wiederzugewinnen; denn ich finde,
dass wir über mehr reden sollten als nur über die Zahlen
im Haushalt .

Dieser Etat beinhaltet ja auch das Europaministeri-
um . Ich glaube, gerade die Situation, die sich an der sy-
risch-türkischen Grenze abgespielt hat – sie wurde schon
benannt –, führt uns vor Augen, zu welch riskanten Si-
tuationen es führt, wenn auf der einen Seite ein geopo-

litisches Spiel gespielt wird, wenn gebombt wird, wenn
Gewalt angewendet wird, nur um im Innern das Prestige
zu erhöhen und in geopolitischer Hinsicht auf eine Bühne
zu kommen, und wenn auf der anderen Seite schon seit
vielen Jahren ganz unklar ist, wohin eigentlich die türki-
sche Außenpolitik führt, wenn vielleicht sogar klar ist,
dass sie nicht mehr als oberstes Ziel die Stabilität in der
Region verfolgt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das sollte uns darin bestärken, dass der Werteansatz,
Kollege Karl, also der Ansatz, dass die Europäische Uni-
on eine wertebasierte Außenpolitik macht, richtig ist und
dass eine starke und geschlossene Stimme Deutschlands
ganz entscheidend ist, wenn man vorangehen will .

Was erleben wir jetzt? Was erleben wir in der aktuel-
len Lage, in der aktuellen Krise, in der es um Flucht, Ver-
treibung, Gewalt und schreckliche individuelle Schick-
sale geht? Wir erleben eine Bundesregierung und eine
Koalition, die sich dermaßen zerlegt, dass sogar Partner,
von denen man sonst nicht unbedingt denkt, dass sie das
Vernünftigste sagen, danach rufen, dass sie Orientierung
brauchen, in welche Richtung Europa und vor allem Ber-
lin eigentlich gehen .

Wir erleben eine Nebenaußenpolitik, die die Be-
mühungen von Herrn Steinmeier konterkariert . Herr
Nouripour hat gerade schon ein Beispiel genannt . Es
gibt noch weitere: Da gibt es diesen Parteivorsitzenden,
der als Vizekanzler privat nach Moskau fährt und einen
Auftritt hinlegt, den man sonst eigentlich nur Viktor
Orban zutrauen würde, der einen eigenen Energie deal
vorschlägt und zum Ausdruck bringt, die Sanktionen
gegenüber Russland seien eigentlich blöd . Das ist doch
kein Auftreten einer deutschen Bundesregierung in einer
solch kritischen Lage, meine Damen und Herren!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir erleben auf der einen Seite, dass auch ein bay-
erischer Ministerpräsident Außenpolitik macht und die
gesamte Union mittlerweile seit Wochen von der Schlie-
ßung der Grenzen faselt . Auf der anderen Seite reden
Sie darüber, Fluchtursachen zu bekämpfen . Aber, meine
Damen und Herren, wenn Sie die Grenzen Deutschlands
dichtmachen würden und wenn auch Österreich, Slowe-
nien und Kroatien die Grenzen dichtmachen würden,
dann sage ich Ihnen, wo als Nächstes Fluchtursachen
entstehen, weil der Bürgerkrieg dann vorprogrammiert
ist, nämlich in den Erweiterungsstaaten des westlichen
Balkans, die eigentlich schon viel weiter vorangekom-
men sind . Die Frage ist doch: Welche sind die Werte die-
ser Union?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Welche Zuversicht strahlt eine so zerstrittene Koalition
in dieser schwierigen Lage aus, in der der wichtigste sta-
bilisierende Faktor, der im Moment überhaupt infrage
kommen könnte, doch die Europäische Union ist?

Ein weiterer Aspekt der Nebenaußenpolitik: Welches
Land grenzt eigentlich an diese Region an? Griechen-
land . Was haben wir im Juli dieses Jahres erlebt, als der
Bundesfinanzminister – so halb abgesprochen – Grie-

Dr. Franz Josef Jung






(A) (C)



(B) (D)


chenland plötzlich entgegen allen deutschen Interessen
aus dem Euro und damit faktisch auch aus der Europäi-
schen Union herausschmeißen wollte?


(Zuruf von der CDU/CSU: Ach, Quatsch! Sie verstehen so etwas nicht!)


War das denn etwas, was mit der jetzigen Lage überhaupt
zu vereinbaren ist?

Noch etwas . Dieser Außenminister macht etwas, was
schon lange kein deutscher Außenminister mehr gemacht
hat – dafür möchte ich ihn ausdrücklich loben –: Er en-
gagiert sich persönlich im Rahmen der Friedensbemü-
hungen auf Zypern . Sie waren dort, Herr Außenminister;
auf Zypern ist das sehr gut angekommen . Wenn es uns
gelingt, dort im nächsten Jahr eine Lösung hinzubekom-
men, dann wäre das doch ein Signal der Stabilität, das
auch eine Ausstrahlung auf das Nachbarland, auf Syrien,
haben könnte . Das könnte auch das Verhältnis zwischen
Russland und der Türkei, aber auch die Situation in der
gesamten Region positiv beeinflussen. Das ist Außenpo-
litik, die man braucht . Man muss die Partner in Europa
zusammenhalten und darf sie nicht gegeneinander aus-
spielen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, ich glaube, Europa ist in
dieser Situation gefordert . Uns ist ganz klar: Die Welt
um uns herum wird gefährlicher . Ich bin der festen Über-
zeugung, dass mehrere Dinge notwendig sind, wenn wir
mit unseren Werten durch die nächsten Jahre kommen
wollen .

Wir brauchen die klare Botschaft, dass man Europa
nicht stärkt, wenn man ein Land herausdrängt, wenn es
zu einer Spaltung kommt oder wenn neue Gremien ge-
gründet werden, in denen manche Mitglied sind, manche
nicht .

Wir müssen gleichzeitig die Wirtschafts- und Wäh-
rungsunion, also das wirtschaftliche Zutrauen in die
Europäische Union, stärken und zeigen, dass wir auch
in einer ökonomischen Krise handlungsfähig sind, dass
junge Menschen Chancen in Europa haben . Wir sehen
doch, dass die Jugend aus manchen unserer Nachbarlän-
der flieht, weil sie dort keine Chancen hat. Es ist für die
jungen Menschen auf dem Balkan, die vor Korruption,
Hoffnungslosigkeit und einer grassierenden Arbeitslo-
sigkeit nach Europa fliehen, keine Perspektive, wenn
wir uns nicht auch um die wirtschaftlichen Probleme der
Jugend im Süden Europas und in anderen Staaten küm-
mern .

Wir wissen, dass wir alle zusammenhalten müssen –
alle 28 Staaten . Deshalb müssen wir auch klarmachen,
dass man die Wertegrundlage der Europäischen Union
nicht infrage stellen darf . Hier wird Deutschland gefor-
dert sein, gegenüber unseren Partnern in Großbritannien
klare Worte zu sprechen, dass wir gemeinsam weiterar-
beiten wollen, aber die Werte der Europäischen Union
nicht verhandelbar sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, gute deutsche Europapo-
litik ist verlässlich . Sie ist oftmals eine Politik der Mit-
te, die zwischen Ost und West und zwischen Süden und
Norden ausgleicht . Das ist die Rolle, die Deutschland
wieder einnehmen muss . Sie verhindert, dass Partner he-
rausgedrängt werden, aber sie bringt Partner auch dazu,
sich zu verändern .

Diese Koalition kann nur dann dafür sorgen, dass
Deutschland ein solcher Integrationsmotor in Europa
ist, wenn sie zu Geschlossenheit findet und sich auf die
Werte Europas besinnt . Dazu gehört gerade in der Flücht-
lingsfrage das humanitäre, christliche, abendländische,
humanistische, jüdische Wertefundament .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813908300

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Christian Petry,

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1813908400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Behandlung des Einzelplans 05 – Auswär-
tiges Amt – ist in der Haushaltsdebatte natürlich der au-
ßenpolitische Schlagabtausch schlechthin . Mein Dank
gilt Frank-Walter Steinmeier und Michael Roth für ihren
unermüdlichen Einsatz für die deutsche Außenpolitik mit
klarer sozialdemokratischer Handschrift .


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte meinen Fokus nun auf die EU richten . Vie-
le Themen wären hier aktuell . Wir könnten uns über die
Zukunft Griechenlands, über die Krise in der Ukraine,
über die Debatte, ob Großbritannien in der Europäischen
Union bleibt oder nicht, über die Bankenunion, über die
Kapitalmarktunion, über die Forderung nach mehr Be-
schäftigung und Wachstum – das ist ganz wichtig – und
über die Ablösung der Austerität unterhalten . Diese The-
men zeigen schon, dass wir ein vereintes Europa dringen-
der brauchen denn je . Dabei müssen die europäischen Er-
rungenschaften verteidigt werden: Freizügigkeit, offener
Arbeitsmarkt, grenzüberschreitende Ausbildung . Auch
die gemeinsame Währung gehört dazu .

Wenn wir heute, an diesem Tage, über Europa spre-
chen, dann sprechen wir aber leider natürlich auch über
den Terror – er darf in dieser Debatte natürlich nicht feh-
len – und über die Anschläge in Paris . Dieser wiederholte
Anschlag auf unsere französischen Nachbarn forderte
viele Tote und Verletzte . Es war ein Angriff auf unsere
gemeinsamen Werte und auf ganz Europa . Und natürlich
sprechen wir hier auch über die Toten des Flugzeugab-
sturzes im Sinai und über die Toten von Tunis, Bamako,
Beirut, Kabul und Bagdad . Sie alle sind Opfer des Ter-
rors geworden .

Als Saarländer möchte ich ein besonderes Wort an un-
sere französischen Freunde richten:

Chers amis français,

Manuel Sarrazin






(A) (C)



(B) (D)


Nous allons faire face ensemble . Les terroristes ne
vaincront pas .

La justice vaincra .
La solidarité vaincra .
La liberté vaincra .

La grande Nation française vaincra .

Mes amis français, nous sommes avec vous dans le
camp du monde libre .

Merci bien .

Europa ist das Bollwerk der Menschenrechte, der
Freiheit und der Demokratie . Es steht für Toleranz, Ge-
genseitigkeit und Respekt sowie für das Recht eines je-
den Bürgers, sein Glück zu suchen . Genau diese Werte
wollen Terroristen zerstören . Unsere klare Antwort ist
das Bekenntnis zu Europa .

Flüchtlinge dürfen in dieser Situation nicht unter einen
Generalverdacht gestellt werden . Hierzu wäre normaler-
weise mehr zu sagen, aber ich appelliere nur insbesonde-
re an die CSU in Bayern: Wir sollten unsere gemeinsa-
men Beschlüsse erst einmal umsetzen, bevor wir hier auf
diese Art und Weise agieren . Das hilft nur dem rechten
Rand und ist nicht gut für die politische Diskussion . Die-
se Art des Ausspielens untereinander sollte nicht weiter
fortgeführt werden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Zurück zu Europa: Frankreich hat mit Artikel 42 Ab-
satz 7 des EU-Vertrages die Beistandsklausel aktiviert .
Europa muss zusammenstehen . Es muss die Zusammen-
arbeit verbessern, für einen engeren Austausch sorgen,
gemeinsame Standards bei den Polizeien und den Ge-
heimdiensten einführen und den Datenaustausch zwi-
schen den Behörden forcieren .

Vieles ist zwar schon vereinbart worden, aber hier
kann auch vieles noch besser werden . Ein gemeinsa-
mes politisches Handeln muss hier im Vordergrund ste-
hen, und es ist natürlich sehr zu begrüßen, dass wir als
Deutschland den französischen Freunden gegenüber un-
seren Beistand versichern . Zum Bundeswehreinsatz ist
hier schon einiges gesagt worden . Diese Einsätze gibt es
in vielfältiger Weise . Ich bin froh, dass dies mit dem Par-
lamentsvorbehalt versehen ist .

Wir können in vielfältiger Weise helfen: Wir müssen
die Zivilgesellschaften stärken . Wir müssen den Dialog
und den Austausch stärken . Das stärkt auch die Sicher-
heit . Und: Wir müssen den Zusammenhalt in Europa wei-
ter verbessern . Dazu gehört natürlich eine Vision, die wir
in diesen Krisenzeiten nicht vergessen dürfen . Die Vision
ist, dass Europa Reformen erfährt und dass wir Europa
stärken müssen . Die Vorschläge von Sigmar Gabriel und
Macron zur Flüchtlingsfrage sind da durchaus hilfreich .

Wir brauchen eine Reform der Institutionen . Wir brau-
chen eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik .
Diese könnte gegebenenfalls der Weg hin zu einem har-
monisierten Asylrecht sein . Wir brauchen eine Koordina-
tion in der Wirtschaftspolitik . In diesem Zusammenhang
sind eine stärkere Kapitalmarkt- und Bankenunion ge-

nannt worden . Auch die Steuerpolitik ist hier angespro-
chen worden . Eine Harmonisierung tut not . Natürlich
brauchen wir zur Stärkung der Institutionen eine grund-
legende Reform .

Wir müssen den aufkeimenden Nationalismus wieder
zurückdrängen . Dem aufkeimenden Nationalismus in
Europa muss durch diese Maßnahmen ein starkes und
solidarisches Europa entgegengesetzt werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das haben Sie ja bei Griechenland gezeigt, wie das geht!)


In diesem Sinne möchte ich Frank-Walter Steinmeier,
Michael Roth und alle Demokraten hier in diesem Land
ermuntern, diesen Weg in der Außenpolitik und in der
Europapolitik weiterzugehen . Ich hoffe, dass wir im
nächsten Jahr eine Debatte unter besseren Vorzeichen
führen können und dass etwas mehr Friede in der Welt
herrscht .

Mit diesem frommen Wunsch möchte ich schließen
und danke für Ihre Aufmerksamkeit . – Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813908500

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt

die Kollegin Erika Steinbach das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1813908600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Herausforderungen, vor denen die deutsche und
auch die europäische Außenpolitik gegenwärtig stehen,
sind gewaltig – das haben alle in ihren Beiträgen heute
deutlich gemacht –, ob in Afrika, insbesondere im Nahen
Osten, oder auch hier in Europa selbst .

Mit großer Sorge müssen wir feststellen, dass die
multi ethnischen und multireligiösen Staaten Syrien und
Irak in den letzten Jahren immer instabiler geworden
sind . Wir konnten das im Menschenrechtsausschuss
über die Jahre hinweg deutlich beobachten . Das ganze
Problem ist nicht vom Himmel gefallen, sondern vieles
war frühzeitig erkennbar . All das hat zum Erstarken der
islamistischen Terroristen, wie des sogenannten „Islami-
schen Staates“, geführt .

Der IS ist in den von ihm terrorisierten Teilen Syriens
und des Iraks für zahlreiche schwerste Menschenrechts-
verletzungen verantwortlich, wie zum Beispiel Massen-
hinrichtungen, gezielte Angriffe auf Zivilisten und auf
die zivile Infrastruktur . Ich weigere mich aber, all das,
was der IS tut, als „Krieg“ zu bezeichnen; denn damit
erhöht man den IS zu einem Staat . Das ist er nicht . Es
sind Terroristen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD] – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Richtig, es ist kein bewaffneter Angriff, sondern es ist ein Terroranschlag!)


Christian Petry






(A) (C)



(B) (D)


IS-Kämpfer rekrutieren Kinder und scheuen nicht
davor zurück, Frauen und selbst Kinder systematisch zu
vergewaltigen; das mag man sich überhaupt nicht vor-
stellen . Religiöse und ethnische Minderheiten wie Jesi-
den und Christen werden unterdrückt, vertrieben, ermor-
det . Auch die muslimischen Glaubensrichtungen selbst
terrorisieren sich untereinander . Inzwischen ist eine re-
gelrechte Entführungsindustrie zu einer der wichtigsten
Finanzierungsquellen der Islamisten herangewachsen .
Mit Entführungen wird viel Geld verdient . Das barbari-
sche Vorgehen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ muss
von der Staatengemeinschaft gezielt und mit planvollem
Handeln endlich beendet werden können . Das ist eine
schwierige Aufgabe .

In der zweiten Zusammenkunft der Wiener Syri-
en-Konferenz konnten erste Schritte auf dem Weg zur
Beendigung der Gewalt vereinbart werden . Herzlichen
Dank, Herr Außenminister, dass Sie sich dafür so en-
gagiert eingesetzt haben . Wir müssen versuchen, diesen
Weg erfolgreich zu Ende zu gehen . Unser Ziel muss es
sein, nach politischen Lösungen zu suchen, die befrie-
dend wirken und damit Syrern am Ende wieder eine Per-
spektive in ihrer Heimat ermöglichen .

Die zunehmende Instabilität auch in vielen anderen
Ländern und Regionen der Erde trägt dazu bei, dass die
Zahl der Flüchtlinge beständig steigt . Zurzeit sind bei-
nahe 60 Millionen Menschen – diese Zahl wurde vom
Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen Mitte des
Jahres ermittelt – weltweit auf der Flucht vor Krie-
gen, Konflikten, Verfolgung und auch Not. Davon sind
38 Millionen Binnenflüchtlinge, also Flüchtlinge inner-
halb ihres eigenen Landes . Nie zuvor hat es so viele Men-
schen gegeben, die aus den unterschiedlichsten Gründen
unterwegs gewesen sind .

Beobachter prognostizieren – auch ich bin davon
fest überzeugt –, dass das, was wir jetzt erleben, erst
der Anfang ist, wenn wir uns nicht klug und rechtzeitig
insbesondere auch um den afrikanischen Kontinent küm-
mern – und kümmern müssen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen leider erkennen, dass die Staatengemein-
schaft – insbesondere auch die Europäische Union – in
den vergangenen Jahren bei der Hilfe für die Menschen
vor Ort sträflich versagt hat. Es darf sich nicht wieder-
holen, dass das UNHCR derart unterfinanziert ist, dass
die Essensrationen in den Flüchtlingslagern der Nachbar-
länder Syriens halbiert werden müssen . Alle Staaten sind
dringend aufgefordert, die von ihnen eigentlich zugesag-
ten finanziellen Beiträge auch zu erbringen.

Deutschland hat schnell reagiert und die Mittel für das
Welternährungsprogramm noch vor dem Wintereinbruch
um 75 Millionen Euro erhöht . Dafür danke ich allen
Haushaltskollegen – egal aus welcher Fraktion; natür-
lich, das muss ich hinzufügen, insbesondere den eige-
nen – ganz herzlich .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Neben der ersten so dringend notwendigen kurzfris-
tigen menschenwürdigen heimatnahen Versorgung und
Unterbringung durch humanitäre Hilfe bleibt aber vor al-

lem die langfristig angelegte Bekämpfung der Fluchtur-
sachen unsere zentrale politische Aufgabe . Nur dann
wird es gelingen, die anschwellenden globalen Migrati-
onsströme auch wirklich zu beeinflussen. Vor allem müs-
sen wir die afrikanischen Staaten in der Wahrnehmung
ihrer Eigenverantwortung bestärken . Diese müssen wir
auch einfordern . Ich unterstütze ganz ausdrücklich, Herr
Außenminister, dass Sie Ihren Weg nach Afrika gegan-
gen sind, obwohl sich mancher fragte, warum Sie das
getan haben . Das ist elementar nötig .

Es muss angesichts nie gekannter Zahlen von Migran-
ten, die nach Deutschland kommen oder sich in Deutsch-
land befinden, das Ziel sein, vor allem in den Herkunfts-
und Transitländern die dringend benötigte Hilfe zu leisten .
Denn eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, weiß doch
jeder von Ihnen, der sich vor Ort mit den Menschen und
den Vertretern von Hilfsorganisationen unterhält: Das
Elend dieser Welt lässt sich in Deutschland nicht behe-
ben . Dafür gibt es zu viel davon . Wir haben bereits jetzt
mit der Aufnahme von nahezu 1 Million Migranten die
Grenze dessen überschritten, was viele leisten können .

Zudem ist leider erkennbar, dass damit auch die eth-
nischen und die religiösen Konflikte nach Deutschland
importiert worden sind und unser Wertesystem auf eine
Probe stellen werden . Davon müssen wir ausgehen . Un-
sere Städte und Gemeinden sowie die Landkreise ächzen
unter der Last der Zuwanderungszahlen . Sie können nicht
warten, bis EU-Lösungen oder internationale Lösungen
gefunden worden sind . Dabei ist erkennbar, dass unsere
europäischen Nachbarländer den deutschen Sonderweg
nicht mitgehen wollen und nicht mitgehen werden . Das
kann jeder prognostizieren, der die Verlautbarungen aus
den Nachbarländern hört .


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Zum Glück entscheiden Sie nicht! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie sind doch Auslaufmodell, Frau Steinbach! Auslaufmodell!)


Deshalb ist es unabdingbar nötig, dass das vor Wochen
spontan ausgesetzte Recht umgehend wieder angewen-
det wird . Das sind wir unserem Rechtsstaat und seinen
Menschen schuldig .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht leicht:
Das Spannungsverhältnis zwischen Gesinnungsethik
und Verantwortungsethik beschwert nicht wenige . Max
Weber verlangte von uns Politikern, sich verantwor-
tungsethisch zu verhalten . Gesinnungsethik, so Max
Weber, sei etwas für die Heiligen .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Da sind Sie die Richtige!)


Und das sind wir nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813908700

Vielen Dank . – Als letzter Redner zu diesem Geschäfts-

bereich hat jetzt der Kollege Matern von Marschall das
Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Erika Steinbach






(A) (C)



(B) (D)



Matern von Marschall von Bieberstein (CDU):
Rede ID: ID1813908800

Sehr verehrte Frau Präsidentin, herzlichen Dank . –

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gelegentlich
angeklungen, man solle in der Haushaltsdebatte nicht
überwiegend über Geld sprechen . Eigentlich ist im We-
sentlichen nicht über Geld gesprochen worden . Deswe-
gen möchte ich sagen, dass die Voraussetzung all unseres
politischen Handelns ein ausgeglichener Haushalt ist,
und den hat Wolfgang Schäuble vorgelegt . Herzlichen
Dank dafür!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir überdies in unserem nationalen Haushalts-
plan neben den Ausgaben von 316 Milliarden Euro auch
die Gesamteinnahmen sehen, die das Finanzministeri-
um zurzeit auf 670 Milliarden Euro schätzt, dann ist al-
lerdings auch klar, dass wir durchaus in der Lage sind,
beachtliche Hilfe für die in dieses Land kommenden
Flüchtlinge zu leisten . Darauf können wir stolz sein, und
damit können wir auch in der Europäischen Union als
Vorbild dienen .

Deswegen halte ich es für dringend erforderlich –
lieber Kollege Petry, Sie haben von Austerität gespro-
chen –, dass wir das, was wir in Europa vereinbart haben,
nämlich dass wir solide Haushalte sicherstellen wollen,
auch in Zukunft machen und dass wir nicht unter dem
Eindruck der Belastungen, die uns die Flüchtlingskrise,
aber vielleicht auch die Bekämpfung des Terrorismus
jetzt auferlegen, diese Disziplin in der Haushaltsführung
aufgeben . Das, meine ich, ist eine ganz wesentliche eu-
ropäische Aufgabe . Denn nur solide Haushalte ermögli-
chen uns, außenpolitisch und entwicklungspolitisch die
Aufgaben zu bewältigen, die in Bezug auf die Bekämp-
fung der Fluchtursachen schon in beachtlichem Umfang
hier ausgeführt worden sind .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin sehr dankbar, dass dieser Haushalt die kurz-,
mittel- und langfristigen Aufgaben, die Deutschland hat
und denen im Räumlichen lokale, nationale, europäische
und globale Aufgaben entsprechen, sehr klar abbildet .
Deswegen freue ich mich auch, dass die beiden zentralen
europäischen Länder, nämlich Frankreich als Gastgeber
und Deutschland ganz an der Seite Frankreichs, jetzt die
Weltklimakonferenz in Paris ausrichten, übrigens gerade
auch angesichts des Terrors als ein Zeichen der Solida-
rität mit Frankreich und als ein Zeichen politischer Ar-
beit, die der Bekämpfung der Fluchtursachen dient . Denn
auch das ist schlussendlich globaler Klimaschutz .

Das ist auch ein Element der globalen Nachhaltig-
keitsstrategie, zu der sich Deutschland und auch Euro-
pa verpflichtet haben. Die sogenannten Sustainable De-
velopment Goals wurden erst vor wenigen Wochen von
den Vereinten Nationen in New York angenommen .

Mit anderen Worten – der Finanzminister hat es ges-
tern mit Blick auf die Kontrolle der Finanzmärkte und
auch auf die Möglichkeiten der Steuererhebung ange-
sprochen –: Deutschland ist dabei, die „Bedingungen
dieser immer enger werdenden weltweiten Verflech-
tung, die wir Globalisierung nennen“ – Zitat von Herrn
Schäuble –, zu verstehen und in seiner Haushaltsführung

bzw . in der Betonung dieser wichtigen internationalen
Aufgaben entsprechend zu reflektieren. Das ist von gro-
ßer Bedeutung . Ich freue mich, dass dies gelingt .

Wenn wir über Terrorismus sprechen, und das ist an-
gesichts der entsetzlichen und grausamen Anschläge in
Paris unausweichlich – gleichwohl sie in Europa die
schrecklichsten sind, haben die Anschläge in sehr vielen
anderen Ländern, etwa in der ganzen Region von Afgha-
nistan bis nach Syrien, noch entsetzlichere Ausmaße –,
dann halte ich es im europäischen Kontext für ganz au-
ßerordentlich wichtig, dass wir die Kooperation unserer
Nachrichtendienste stärken . Das sollte namentlich über
Europol geschehen, und über Europol geschieht es auch
jetzt schon .

Es sind allerdings nur wenige Länder bereit, umfang-
reich Daten einzustellen, die aber für die Aufklärung
etwa der Wege, die Terroristen in Europa nehmen, von
großer Bedeutung sind . Wenn wir das rückblickend be-
trachten – etwa bei dem Gott sei Dank vereitelten An-
schlag im Thalys-Zug –, konnte man a posteriori sehr gut
die Wege nachvollziehen, und man konnte auch jetzt er-
kennen, wie vereinzelt Terroristen den Weg über die Bal-
kan-Route gefunden haben . Hier bedarf es also nicht nur
einer Stärkung ihrer Arbeit in den nationalen Haushalten,
sondern auch einer außerordentlich engen Zusammen-
arbeit der Nachrichtendienste, und das muss namentlich
über Europol geschehen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit Blick auf die Außengrenzen der Europäischen
Union muss ich schon sagen – ich bin davon überzeugt –:
Wenn es in Griechenland nicht möglich ist, mit nationa-
len Mitteln die Grenzen zu sichern, dann müssen wir –
und zwar auch kurzfristig – zu einer gemeinsamen eu-
ropäischen Sicherung unserer Außengrenzen gelangen .
Wenn wir nicht zu einer gemeinsamen Außengrenzsi-
cherung gelangen, also zu einer von allen europäischen
Nationen gemeinsam getragenen Grenzsicherung, dann
wird natürlich der Druck steigen, eine isolierte nationa-
le Lösung bei der Grenzsicherung zu finden. Das wollen
wir vermeiden . Deswegen ist eine gemeinsame europäi-
sche Grenzsicherung ein Schwerpunkt der unmittelbaren
Zukunft unserer Arbeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich komme als Berichterstatter für die Türkei auf die-
ses Land, über das bereits debattiert wurde, zu sprechen .
Ich will in aller Deutlichkeit sagen: Wenn man den Fort-
schrittsbericht der Europäischen Kommission liest – die-
ser müsste eigentlich Rückschrittsbericht heißen –, dann
stellt man fest, dass die Türkei mit Blick auf die Grund-
rechtskapitel in einer Lage ist, die als mehr als betrüb-
lich, wenn nicht sogar als katastrophal zu bezeichnen ist .
Hier sind leider keine Fortschritte, sondern Rückschritte
festzustellen .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb macht die Bundeskanzlerin dort Wahlkampf!)







(A) (C)



(B) (D)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813908900

Herr Kollege, die Kollegin Hänsel würde gerne eine

Zwischenfrage stellen . Wollen Sie sie zulassen oder wei-
tersprechen?


Matern von Marschall von Bieberstein (CDU):
Rede ID: ID1813909000

Ich würde ausnahmsweise weitersprechen, um meinen

Gedanken zu Ende zu führen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vielleicht kann die Frage nachfolgend gestellt werden .

Ich möchte auf die Menschenrechtskapitel etwas nä-
her eingehen . Der Kabinettschef von Herrn Hahn, den
ich in der letzten Woche in Brüssel getroffen habe, hat
mir klar signalisiert, dass es kein Junktim im Zusammen-
hang mit der Unterstützung, die dazu dient, die Türkei
angesichts der Flüchtlingsbewegungen zu stabilisieren,
geben wird und dass es zu keiner Aufweichung der kla-
ren und strikten Vorgaben aus den Fortschrittsberichten,
die sich an den Kapiteln orientieren, kommen wird . Die-
se Kapitel werden also nicht mit einem Deal verknüpft;
das sollte ausdrücklich klar sein .

Die Europäische Kommission plant, die Türkei mit
3 Milliarden Euro zu unterstützen . 500 Millionen Euro
kommen aus dem Haushalt der Europäischen Union,


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: 1 Milliarde wegen Russland-Embargo!)


und 2,5 Milliarden Euro stammen aus den Haushalten der
Mitgliedstaaten, allen voran aus dem Haushalt Deutsch-
lands, das sich entsprechend dem in Europa üblichen
Gross National Income mit 22 Prozent beteiligt . Wie wir
sehen, will Deutschland die Türkei in die Lage verset-
zen, den Flüchtlingen in ihrem Land eine Perspektive zu
geben . Das wird unterstützt durch unser BMZ, das mit
Maßnahmen die mittel- und längerfristige Perspektive,
etwa die schulische Bildung, stärkt . Wir machen das so-
wohl im europäischen als auch im nationalen Kontext;
das ist wichtig . Wir werden aber eine Visa liberalisierung
nur vornehmen, wenn die Türkei bereit ist, Flüchtlinge
zurückzunehmen, die von der Türkei aus in andere Län-
der der Europäischen Union eingewandert sind . Das soll-
te deutlich gemacht werden, wenn wir der Türkei Hilfe
leisten . Das ist auch in meinem Gespräch mit dem Ka-
binettschef von Herrn Hahn einvernehmlich so ausge-
drückt worden .

Frau Hänsel, Sie dürfen jetzt gerne Ihre Zwischenfra-
ge stellen . Oder hat sie sich erledigt?


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813909100

Frau Hänsel hat eine Kurzintervention angemeldet .

Sie können also entspannt zu Ende sprechen .


Matern von Marschall von Bieberstein (CDU):
Rede ID: ID1813909200

Dann werde ich entspannt zu Ende sprechen .

Ich will eines klarmachen: Wenn Deutschland, Frank-
reich, Großbritannien und Italien zwei Drittel der finan-
ziellen Lasten des Pakets, das nun die Europäische Union
schnürt, tragen, dann wird auch klar, dass diese Länder

maßgeblich die Zukunft der europäischen Außenpolitik
mitbestimmen müssen, solange wir keine wirkungsvolle
gemeinsame Außenpolitik haben . Da ist Bundeskanzle-
rin Merkel die Beste, die das vorantreiben kann .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813909300

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Ab-

geordneten Hänsel, Fraktion Die Linke .


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813909400

Danke schön, Herr Präsident . – Ich möchte kurz nach-

fragen, da Sie fast beiläufig gesagt haben, dass wir die Si-
cherung der Außengrenzen von Griechenland gegenüber
der Türkei übernehmen sollten . Aber wir kennen doch
alle die dramatischen Bilder von Schlauchbooten, in de-
nen Menschen, ganze Familien sitzen, die sich über die
Türkei auf die griechischen Inseln retten . Ich selbst war
wie etliche Kollegen im Sommer auf der griechischen
Insel Lesbos, wo jeden Tag bis zu 10 000 Menschen an-
kommen . Wie wollen Sie konkret die Grenzen sichern,
und was soll das für die Menschen bedeuten, die auf ho-
her See in diesen Schlauchbooten sitzen?

Wollen Sie anweisen, dass sie zurückgeschickt wer-
den, und in Kauf nehmen, dass damit noch mehr Men-
schen ertrinken? Der Bürgermeister von Mytilini auf
Lesbos, Spiros Galinos, hat einen dramatischen Hilferuf
an die internationale Gemeinschaft gerichtet und gesagt,
dass die Gräber auf der griechischen Insel Lesbos auf-
grund der ertrunkenen Menschen übervoll seien . Wollen
wir so weitermachen, indem wir jetzt in einem Satz sa-
gen: „Wir machen dort die Grenzsicherung“? Was bieten
Sie diesen Menschen auf der Flucht an?

Das ist eine Schande für Europa . In den Sätzen zuvor
wird gesagt: Wir sind eine Hochburg der Werte . – Was
sind denn die europäischen Werte, wenn sie nicht dazu
führen, diesen Menschen zu helfen? Es kann nicht sein,
dass wir in einem Satz sagen: Wir sichern dort die Gren-
zen und machen sie einfach zu .


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813909500

Mögen Sie antworten? – Bitte schön .


Matern von Marschall von Bieberstein (CDU):
Rede ID: ID1813909600

Frau Kollegin Hänsel, ich hatte eben versucht – ers-

tens –, klarzumachen, dass es unser Anliegen ist, die Tür-
kei in die Lage zu versetzen, den Menschen eine Bleibe-
perspektive zu bieten, sodass sie sich gar nicht erst auf
diesen gefährlichen Weg machen müssen .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wie denn? Die dürfen nicht in die Schule! Die dürfen das alles nicht!)


Zweitens . Die europäische Außengrenzsicherung ist
ein zentraler Aspekt der Souveränität der Europäischen
Union . Wenn diese Außengrenzsicherung nicht gewähr-






(A) (C)



(B) (D)


leistet ist – das hatte ich ausgeführt –, dann wird der
Druck auf die nationalen Grenzen, nämlich die Siche-
rung im nationalen Alleingang vorzunehmen, weiter zu-
nehmen . Das ist alles andere als wünschenswert . Kollege
Sarrazin hat die Rückwärtsentwicklung einer solchen
Flüchtlingswelle, die sich entlang der Balkan-Route ent-
falten würde, deutlich gemacht . Das ist unser Ansatz .

Wir wollen ferner die Schlepperbanden bekämpfen,
sodass die Möglichkeit, mit der Flucht der Menschen viel
Geld zu verdienen und die Menschen in einer lebensge-
fährlichen Fahrt auf die Inseln zu bringen, unterbunden
wird .

Ich glaube, das ist ein gemeinschaftlicher europäischer
Ansatz, der gleichzeitig auch den humanitären Prinzipi-
en, denen diese Gemeinschaft verpflichtet ist, genügt.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813909700

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 05 – Auswärtiges Amt – in der Ausschussfassung .
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen .
Wer stimmt für den Änderungsantrag von Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/6799? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke abgelehnt .

Wir stimmen nun über den Einzelplan 05 – Auswär-
tiges Amt – in der Ausschussfassung ab . Wer stimmt für
den Einzelplan 05 – in der Ausschussfassung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 05
ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Lin-
ke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen somit ange-
nommen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt I .11 auf:

Einzelplan 14

Bundesministerium der Verteidigung

Drucksachen 18/6113, 18/6124

Berichterstatter sind die Abgeordneten Bartholomäus
Kalb, Karin Evers-Meyer, Michael Leutert und Dr . Tobias
Lindner .

Zum Einzelplan 14 hat die Fraktion Die Linke ei-
nen Entschließungsantrag eingebracht, über den wir am
Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Abgeordneten Michael Leutert, Fraktion Die
Linke, das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Michael Leutert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813909800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Frau Ministerin! Bei den derzeit täglich
stattfindenden Ereignissen ist es nicht so einfach, nur
über die Zahlen des Haushalts zu sprechen . Erst gestern
hat die Türkei ein russisches Kampfflugzeug abgeschos-
sen . Danach gab es eine Krisensitzung der NATO . Das
sind natürlich alles keine beruhigenden Nachrichten . Das
türkische Verhalten ist ein Schritt zur weiteren Eskalation
des Konfliktes, und dafür kann und darf es von uns keine
Solidarität geben .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Türkei ist ein aktiver Teil der Auseinandersetzung
in Syrien . Sie unterstützt einerseits alles und jeden, der
gegen Assad kämpft, einschließlich des IS . Damit ist sie
ein Gegenspieler Russlands, da Russland auf der Seite
von Assad kämpft . Andererseits bekämpft die Türkei mit
allen Mitteln, auch mit militärischen, die Kurdinnen und
Kurden in Syrien, im Irak und im eigenen Land . Die Kur-
den wiederum werden aber von den USA und auch von
Deutschland mit Waffen, Ausbildung und Informationen
unterstützt. Mittendrin in diesem Konflikt sind Bundes-
wehrsoldaten in der Türkei und im Irak im Einsatz .

Ich habe in meiner Rede im September schon einmal
auf diese komplizierte Situation hingewiesen . Leider ist
die Situation seitdem nicht einfacher geworden, ganz im
Gegenteil . Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen,
muss der Abzug der Bundeswehrsoldaten aus der Türkei
beschleunigt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Vor zwölf Tagen erreichte uns eine andere schreckli-
che Nachricht . Wir wurden Zeugen der brutalen Terro-
ranschläge des IS in Paris mit mehr als 130 Toten und
noch viel mehr Verletzten . Nichts, aber auch gar nichts
kann diese Taten rechtfertigen, und die Terroristen müs-
sen verfolgt und bestraft werden . Frankreich und auch
die Menschen in Frankreich verdienen unsere Solidarität .

Aber unsere solidarischen Reaktionen müssen beson-
nen und weitsichtig sein . Wir dürfen mit unseren Folge-
handlungen nicht dazu beitragen, dass wir in Zukunft
noch größere Probleme haben . Forderungen nach einem
Bundeswehreinsatz im Inneren, wie sie auch von Kabi-
nettsmitgliedern in der Öffentlichkeit kundgetan wurden,
gehören definitiv nicht in die Kategorie „besonnen und
weitsichtig“ .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das sehe ich anders!)


Frau Ministerin, ich bitte Sie, hier und heute klar und
deutlich zu erklären, dass es mit Ihnen auch in Zukunft
keinen Bundeswehreinsatz im Inneren geben wird .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein militärischer Entlastungseinsatz der Bundeswehr
in Mali gehört ebenfalls nicht in die Kategorie besonne-
ner und weitsichtiger Reaktionen . Der Kern des innerma-
lischen Konflikts ist doch die soziale, wirtschaftliche und
kulturelle Ausgrenzung der Tuareg . Diese haben sich nun
innerhalb der letzten 60 Jahre zum vierten Mal erhoben .

Matern von Marschall






(A) (C)



(B) (D)


Dieses Problem militärisch zu lösen, daran sind die Fran-
zosen schon gescheitert, als sie noch Kolonialherren ge-
wesen sind . Und nun soll die Bundeswehr es militärisch
lösen? Es gibt dort nur den Ausweg der friedlichen poli-
tischen Lösung . Dazu muss natürlich auch die malische
Regierung bereit sein . So und nicht anders können wir
etwas zur Bekämpfung von Fluchtursachen beitragen .

Fluchtursachen bekämpfen ist derzeit fraktionsüber-
greifender Konsens; das kann man nur begrüßen . Umso
ärgerlicher ist es allerdings, wenn in Ihrem Ministerium,
Frau Ministerin, Maßnahmen finanziert werden, die die-
sem Ziel genau entgegenstehen . Ich meine damit das Pro-
jekt TanDEM-X .

Was ist TanDEM-X? Deutschland verfügt über zwei
Satelliten, die seit mehreren Jahren die Erdoberfläche in
nie dagewesener Genauigkeit vermessen, Gesamtkosten
bisher 400 Millionen Euro . Davon hat der Steuerzahler
bisher 300 Millionen Euro gezahlt . Aus den gewonne-
nen Rohdaten kann man das genaueste Höhenmodell der
Erde errechnen, welches es bisher gibt . Man hat dann so-
zusagen eine 3-D-Landkarte unseres Globus . Diese Karte
ist so genau, dass mittlerweile alle möglichen Geheim-
dienste und Militärs daran Interesse haben .

Mit gesundem Menschenverstand und mit der Logik
eines Haushälters könnte man nun auf die Idee kommen:
Wir berechnen das Höhenmodell selber und können die
Ergebnisse an befreundete und zuverlässige Staaten ver-
kaufen . Wir könnten also sozusagen noch Geld einneh-
men . Aber nein, Sie wollen es genau umgekehrt machen:
Wir kaufen unser eigenes, von unseren Steuergeldern be-
zahltes Produkt noch einmal für weitere 360 Millionen
Euro und schenken es 35 anderen sogenannten Allianz-
nationen .

In dem Vertrag, der abgeschlossen wird, ist ausdrück-
lich festgehalten, dass diese Allianznationen das Recht
haben, das Kartenmaterial mit anderen ausländischen
Koalitionspartnern zur Verfolgung eines gemeinsamen
sicherheitspolitischen Interesses zu teilen . Sie wollen
also ein weltweit militärisch nutzbares Höhenmodell,
welches die Bundeswehr „zeitnah für bestehende und
geplante Aufklärungs-, Führungs-, Simulations-, Ein-
satz- und Waffensysteme benötigt“, an 35 andere Nati-
onen verschenken und ihnen das Recht einräumen, dies
wiederum mit anderen zu teilen .

Unter den 35 Staaten befindet sich nicht nur die Tür-
kei, die derzeit aktiver Teil militärischer Auseinanderset-
zungen im Irak und in Syrien ist, sondern man findet da
auch die Vereinigten Arabischen Emirate . Die Emirate
sind derzeit an den militärischen Auseinandersetzungen
im Jemen beteiligt . Außerdem gehören die Emirate zum
Golf-Kooperationsrat, welcher eine außen- und sicher-
heitspolitische und damit auch eine militärische Kom-
ponente hat . Alle Länder der Arabischen Halbinsel, also
auch Saudi-Arabien, gehören diesem Zusammenschluss
an – nur der Jemen nicht, und genau in diesem Land füh-
ren die Länder des Golf-Kooperationsrats einen erbitter-
ten Krieg . Denen schenken wir jetzt noch die genaueste
militärisch nutzbare 3-D-Weltkarte, damit sie ihre Mili-
täroperationen noch besser planen und durchführen kön-
nen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir solchen
Maßnahmen zustimmen und bereit sind, dafür auch noch
670 Millionen Euro zu bezahlen, dann können wir uns
die 250 Millionen Euro zur Krisenprävention und Frie-
denserhaltung im Etat des Auswärtigen Amtes auch spa-
ren . Ich kann Sie nur noch einmal auffordern, dieses Pro-
jekt sofort zu stoppen . Wir brauchen das Geld dringend
an anderer Stelle .

Außerdem bin ich der Auffassung, dass Sie gegen gel-
tendes Recht verstoßen . Sie brauchen dafür nämlich eine
Rüstungsexportgenehmigung . Die haben Sie aber nicht .
Es wurde noch nicht mal ein Antrag gestellt . An dieser
Stelle kann die SPD mal helfen . Minister Gabriel, zustän-
dig für Exportgenehmigungen, könnte hier als SPD-Par-
teivorsitzender sein Versprechen, Rüstungsexporte zu
minimieren, umsetzen . Ich hoffe, Sie tun das . Das wäre
ein wichtiger Beitrag zur Schaffung von Frieden .


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813909900

Für die Bundesregierung erteile ich das Wort der Bun-

desministerin Dr . Ursula von der Leyen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der
Verteidigung:

Vielen Dank . – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möch-
te mit einem Dank beginnen . Ich danke insbesondere den
Berichterstattern für eine sehr vertrauensvolle und gute
Zusammenarbeit . Das war in diesem Jahr wie in den ver-
gangenen Jahren ausgesprochen angenehm zu erleben .

Ich möchte an dieser Stelle auch ganz herzlich den
Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten, insbesondere
dem Bundestagspräsidenten, danken, nämlich dafür, dass
vor zwei Wochen der 60 . Geburtstag der Bundeswehr
hier so klasse gefeiert worden ist .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben am 11 . November einen Großen Zapfenstreich
vor dem Reichstag erlebt . Wir haben eine tolle Debat-
te am nächsten Tag hier im Hohen Hause gehabt . Das
waren ganz besondere Momente, nämlich Momente des
Innehaltens auch in dieser turbulenten Zeit, Momente der
Aufmerksamkeit, Momente der Wertschätzung . Das hat
den Menschen in der Bundeswehr richtig gutgetan . Das
kann ich Ihnen nach dem sagen, was ich auch an Feed-
back bekommen habe . Ich glaube, das hatten sie auch
verdient .

Die Glückwünsche zu unserem 60 . Geburtstag waren
kaum verklungen, und die Fackeln zum Großen Zap-
fenstreich waren kaum erloschen, da haben uns diese
grauenhaften Bilder aus Paris erreicht: unschuldige Men-
schen, die von kaltblütigen Terroristen willkürlich hinge-
richtet werden: beim Konzert, im Café, auf der Straße,
mitten im Alltag, mitten in Frankreich, mitten in Euro-
pa . Meine Damen und Herren, wir alle spüren in diesen
Tagen – das zeigen auch die Debatten in diesem Hohen

Michael Leutert






(A) (C)



(B) (D)


Hause –, dass diese niederträchtigen Anschläge nicht nur
Frankreich gegolten haben, sondern insbesondere uns al-
len . Unsere offene Gesellschaft, unser Wertesystem und
unsere Überzeugungen, das sollte im Kern getroffen wer-
den .

Deshalb sage ich auch ganz unmissverständlich: Wir
stehen an der Seite Frankreichs, und zwar nicht nur in
der Trauer um die Toten – die beweinen wir gemeinsam
mit Frankreich –, sondern vor allem in der Entschlossen-
heit, den Terror zu bekämpfen . Das ist unsere ganz klare
Botschaft .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Frankreich hat zum ersten Mal die Beistandsklausel
des Artikels 42 Absatz 7 des Vertrags über die EU akti-
viert, die alle Mitgliedstaaten dann, wenn ein Mitglied-
staat von außen angegriffen wird, zur Hilfe verpflichtet.
Deshalb werden wir alles in unserer Macht Stehende tun,
um unseren französischen Verbündeten und Freunden
nach diesem Angriff unsere Unterstützung zuzusichern .

Der Artikel 42 Absatz 7 ist ein ganz starkes politisches
Signal . Er hat eine starke Bindungswirkung, so wie der
Artikel 5 des NATO-Vertrags, aber er hat einen viel brei-
teren Instrumentenkasten, aus dem man sich bedienen
kann . Das heißt, wir müssen auch darauf achten – das
tun wir in diesen Tagen –, dass ein ganzes Bündel von
Maßnahmen im Kampf gegen den Terror nötig ist und
dass insbesondere auch sämtliche Ressorts der Bundes-
regierung gefragt sind .

Frankreich erwartet Hilfe im Kampf gegen den soge-
nannten „Islamischen Staat“ . Aber es erwartet auch Ent-
lastung . Ich werde nicht vergessen, wie eindringlich mein
Kollege Jean-Yves Le Drian im Ministerrat uns um Hil-
fe gebeten hat und wortwörtlich gesagt hat: Frankreich
kann das alles nicht mehr alleine tragen . – Und wir wol-
len helfen . Ich glaube, es zeigt sich in diesen Tagen sehr
deutlich, wie sinnvoll unsere Entscheidung vor etwas
mehr als einem Jahr war, im Nordirak die Verantwortung
zu übernehmen, die Peschmerga auszurüsten und aus-
zubilden; denn es ist ihnen gelungen, den sogenannten
„Islamischen Staat“ nicht nur zu stoppen, sondern ihn
zurückzuschlagen . In diesen Tagen haben sie die Stadt
Sindschar wiedererobert . Ja, es bedurfte natürlich des
Mutes der Peschmerga und der Standfestigkeit und auch
des Willens, ihre Heimat zu verteidigen . Aber es bedurfte
eben auch unserer Ausrüstung und unserer Ausbildung .
Das war ein wichtiger Etappensieg bis hierher, und wir
müssen ganz beharrlich diesen Weg verlässlich mit den
Kurden auch weitergehen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der sogenannte „Islamische Staat“ – ja, wir müssen
ihn bekämpfen . Viele Rednerinnen und Redner haben
dies gesagt . Wir müssen aber auch stabilisieren, und wir
müssen vor allem diejenigen stark machen, die Beute des
„Islamischen Staates“ geworden sind . Im Haushalt 2016
haben wir einen Ertüchtigungstitel über 100 Millionen
Euro eingerichtet . Gemeinsam mit dem Auswärtigen
Amt können wir ihn in Anspruch nehmen für Ausstat-

tung, für Stabilisierung, für Staatsaufbau . Alleine für
den Irak sind da rund 24 Millionen Euro geplant . Denn
wir wissen, auch wenn militärische Mittel im Kampf ge-
gen den sogenannten „Islamischen Staat“ unumgänglich
sind, die wahre Bewährungsprobe kommt erst nach die-
sem Kampf . Die kommt nämlich in der Zeit, wenn Städte
oder Gebiete zurückerobert worden sind . Dann müssen
wir in die Stabilisierung dieser Regionen investieren .
Dann müssen wir in den Aufbau und vor allen Dingen in
die Versöhnung investieren .

Wir haben ja in den vielen Lehren, die wir in den ver-
gangenen Jahren auch in Afghanistan gezogen haben, ge-
lernt, dass die Zeit nach dem Kampf die entscheidende ist
für die Nachhaltigkeit des Erfolges und dass wir da die
Wurzeln legen für ein friedliches Zusammenleben . Da
hinein muss investiert werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb zieht sich dieser Krisenbogen nicht nur von
Afghanistan über das Gebiet zwischen Euphrat und
Tigris, sondern bis nach Westafrika hinein . Auch das ist
in mehreren Beiträgen angeklungen . Wir werden deshalb
auch unsere Präsenz in Afrika ausweiten . In Mali, einem
Land, das noch stabil ist, das mit den Terroristen ringt,
die alles tun, um die Stabilität des Landes zu erschüttern
und es in seiner Gesamtheit zu zerstören, wird eine dau-
erhafte Befriedung nur wachsen, wenn die Aussöhnung
zwischen den Tuareg, den Rebellen und der Regierung –
wenigstens denjenigen, die dem Friedensvertrag zuge-
stimmt haben – tatsächlich eine Besserung für die Men-
schen in dem Land mit sich bringt und natürlich wenn die
Sicherheitsstrukturen in Mali gefestigt werden .

Für den Friedensprozess ist die VN-geführte Mission
MINUSMA ein unverzichtbarer Rahmen, der aber – wir
haben heute Morgen schon darüber gesprochen – so aus-
gestattet sein muss, dass MINUSMA seine Funktion des
Begleitens des Friedensvertrages tatsächlich ausüben
kann . Die Ausstattung der VN-geführten Mission ist in
ganz vielen verschiedenen Beiträgen hier Dauerthema
gewesen . Wir wollen substanziell zu MINUSMA beitra-
gen, auch um unserer gewachsenen Verantwortung ge-
recht zu werden .

Das ist auch der Leitgedanke für die Grundhaltung,
aus der heraus wir in der letzten Woche im Kabinett die
Verlängerung des Resolute-Support-Mandates in Af-
ghanistan beschlossen haben . Wir müssen auch dem af-
ghanischen Volk zeigen, dass wir an seiner Seite stehen;
denn es ist ein langer beschwerlicher Weg, gerade für
die af ghanische Regierung und die Sicherheitskräfte, bis
sie die Sicherheit in Afghanistan tatsächlich selber tra-
gen können . Kunduz hat mehr als deutlich gezeigt, wie
schwer der Weg ist und wie sehr sie noch auf unseren
Rat und unsere Unterstützung angewiesen sind, und wir
müssen unsere Lehren aus Kunduz ziehen .

Ich finde aber vor allem wichtig, dass wir nach diesen
vergangenen anderthalb Jahren Resolute Support Missi-
on wegkommen von dieser monatsweisen Betrachtung
des Mandats und davon, ununterbrochen auf Rückzugs-
pläne gepolt zu sein; vielmehr müssen wir unsere Hal-
tung in Afghanistan ändern und viel stärker deutlich ma-

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen






(A) (C)



(B) (D)


chen, dass wir eher in Jahren der Präsenz in Afghanistan
denken, damit wir aufbauen, damit wir nach vorne den-
ken . Es geht also darum, dass wir dieses Mandat tatsäch-
lich auch mit Leben erfüllen und nicht permanent über
den Rückzug diskutieren . Denn damit, meine Damen und
Herren, senden wir vor allem der afghanischen Bevölke-
rung das klare Signal, dass wir Zutrauen in die Zukunft
Afghanistans haben, dass wir verlässlich sind und dass
wir an ihrer Seite bleiben, bis Afghanistan es geschafft
hat, selbst Stabilität herzustellen . Deswegen müssen wir
länger dort bleiben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben uns deshalb am Montag mit 21 Verbündeten
und Partnern zusammengesetzt . Es war beeindruckend zu
erleben, wie sehr unsere Partner im Norden Afghanistans
mit uns in diesem Grundansatz übereinstimmen, über
lange Fristen zu diskutieren und nicht monatsweise, und
wie sehr sie uns ihre Unterstützung zugesichert haben .

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, als ich hier Anfang September bei der ersten
Lesung dieses Haushaltes vor Ihnen stand, da standen
wir alle noch unter dem starken Eindruck des Flücht-
lingsthemas, das im Augenblick noch genauso bedeutend
ist, wie es damals war, aber heute überlagert wird von der
Diskussion – auch diese ist wichtig – über die Bekämp-
fung des Terrors . Ich möchte hier nur berichten, dass uns
als Bundeswehr diese Aufgabe nach wie vor enorm for-
dert, in der Amtshilfe und mittlerweile unverzichtbar .

Wir haben inzwischen mit der Bundeswehr über
35 000 Unterkunftsplätze für Flüchtlinge und Asylsu-
chende geschaffen . Das Verteidigungsministerium hat
im Bundeskabinett die Verantwortung für das Thema
Unterbringung übernommen . Und wir haben uns darauf
eingerichtet, langfristig zu helfen: mit Personal und mit
unserer geballten Erfahrung in Führung und Organisati-
on . Das heißt, dass wir aktuell mit deutlich mehr als dop-
pelt so vielen Soldatinnen und Soldaten, fast dreimal so
vielen Soldatinnen und Soldaten, wie wir im Auslands-
einsatz haben, per Amtshilfe in der Flüchtlingshilfe ge-
bunden sind .

Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich finde es beeindru-
ckend, mit welchem Elan und mit wie viel Herz die Sol-
datinnen und Soldaten sich da engagieren . Und das wird
wahrgenommen . Es wird wahrgenommen von den Mi-
nisterpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, von den
Landesinnenministern, von Bürgermeistern, Oberbür-
germeistern, Landräten, aber auch vom Deutschen Roten
Kreuz, vom THW, von den Flüchtlingsinitiativen . Sie
sind voll des Lobes über die Bundeswehr .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: In Passau!)


Ich höre das immer mit ganz großer Freude und mit
Stolz . Ich glaube, wir können uns diesem großen Lob
auch anschließen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Bild, das ich eben gezeichnet habe, ist natürlich,
der Kürze der Zeit geschuldet, noch unvollständig . Aber

all das würdigt auch die Bevölkerung . Wir haben eine
aktuelle repräsentative Umfrage in der Bevölkerung
durch unser Zentrum für Militärgeschichte und Sozial-
wissenschaften der Bundeswehr – Sie kennen es; kurz
ZMSBw –, durchgeführt, die zeigt, dass inzwischen je-
der Zweite in Deutschland für steigende Verteidigungs-
ausgaben ist: 51 Prozent . Das ist der höchste Wert, der
je gemessen worden ist . Im letzten Jahr lag er noch bei
32 Prozent und im Jahr 2013 nur bei 19 Prozent . Was
sagt uns das?

Es sagt uns – bitter genug –, dass die Menschen inzwi-
schen natürlich um den Ernst der Lage wissen .

Es sagt uns zweitens aber auch, dass Vertrauen in die
Bundeswehr herrscht und dass die Bundeswehr das vor
allem durch ihre persönliche Leistung – ich betone: per-
sönliche Leistung – rechtfertigt .

Es zeigt aber auch, dass die Menschen wahrnehmen,
dass die Truppe Aufholbedarf hat bei Material und Aus-
rüstung, dass in Sicherheit investiert werden muss, wenn
man sie in Krisensituationen sicherstellen will .

Dafür steht auch dieser Haushalt 2016 . Es ist ein guter
Verteidigungshaushalt; denn er beschreibt die notwendi-
ge, so lang ersehnte Trendwende nach vielen Jahren der
Schrumpfkur . Die 34,3 Milliarden Euro erlauben es uns,
den Pfad der Modernisierung der Bundeswehr, den wir
gemeinsam eingeschlagen haben, weiterzugehen . Des-
halb bitte ich Sie dafür um Zustimmung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813910000

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Dr . Tobias Lindner, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen .


Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813910100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser

Etat ist wenige Stunden vor den Ereignissen in Paris be-
raten worden . Man kann ihn – ich sage: glücklicherwei-
se – auch nicht als Reaktion auf die Ereignisse in Paris
sehen . Aber natürlich führen wir diese Debatte nicht nur
im Lichte der Ereignisse in Paris, sondern auch im Lichte
der Anschläge in Beirut und Bamako, im Lichte der an-
haltenden Gewalt in Syrien .

Wir stehen vor vielen Herausforderungen, auf die
Politik Antwort geben soll . Ich will für meine Fraktion
sagen: Am Ende wird die Antwort auf diese Herausfor-
derungen nur eine politische sein können . Unser oberstes
Ziel muss es sein, dass das Töten endlich ein Ende findet.
Die Menschen in Syrien sollen in Frieden leben können .
Wir dürfen diesen Krieg nicht weiter anheizen . Wir müs-
sen unser gesamtes Gewicht in die Waagschale werfen,
damit die Waffen endlich zum Schweigen kommen, mei-
ne Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Michael Leutert [DIE LINKE])


Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen






(A) (C)



(B) (D)


Ich will in Reaktion auf die Anschläge in Paris ganz
deutlich sagen: Für mich, für uns Grüne sind Besonnen-
heit und Entschlossenheit kein Begriffspaar, das sich ge-
genseitig ausschließt . Ich will deutlich sagen: Natürlich
kann man mit dem IS – wir sollten es besser Da‘isch nen-
nen – nicht politisch reden . Den IS, Da‘isch, kann man
nur bekämpfen . Aber genauso müssen wir uns darüber
einig sein, dass die Lösung am Ende nur in Syrien liegen
und nur eine politische Lösung sein kann, liebe Kollegin-
nen und Kollegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Ministerin, Sie haben es schon angesprochen:
Solange in Syrien, solange im Nahen Osten kein Frie-
den herrscht, so lange werden neue Flüchtlinge nach
Deutschland kommen . Bei allem Streit in der Sache, vor
allem über den Verteidigungsetat, den wir heute beraten,
sage ich: Meine Fraktion erkennt den signifikanten Bei-
trag, den die Bundeswehr bei der Versorgung und Unter-
bringung der Flüchtlinge in Deutschland leistet, an . Wir
möchten den Soldatinnen und Soldaten und den zivilen
Helferinnen und Helfern für ihren Einsatz, den sie unent-
wegt leisten, an dieser Stelle danken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Kommen wir zum Verteidigungsetat . Ich habe schon
vom Streit gesprochen . Frau Ministerin, ich habe den
Eindruck, was den Zuwachs beim Einzelplan 14 angeht,
über den Sie sich freuen und wo ich Ihnen durchaus gute
Medienarbeit attestiere, wollen Sie der simplen Logik
folgen: Viel hilft viel . Auf dem NATO-Gipfel in Wales
hat sich die Bundesregierung noch zum 2-Prozent-Ziel
bekannt . Wir müssen uns klarmachen, dass die Erfüllung
dieses Ziels bei dem heutigen BIP bedeuten würde, dass
sich der Etat des Verteidigungshaushalts um 28 Milliar-
den Euro erhöhen würde, auf ganze 62 Milliarden Euro .
Das ist nicht nur überdimensioniert, liebe Kolleginnen
und Kollegen, es ist völlig unrealistisch, dieses Ziel
überhaupt erreichen zu wollen . Und um ehrlich zu sein:
2 Prozent des BIP als politisches Ziel – nach dem Motto:
Wofür das Geld ausgegeben wird, ist uns egal; wir wol-
len nur festlegen, wie viel es ist – zu definieren, ist eine
ziemlich schlechte Zielmarke . Nein, das ist keine gute
Verteidigungspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie selbst haben erklärt, dass Sie schon froh sind, dass
der Verteidigungshaushalt auf 1,17 Prozent anwächst . Sie
haben immer wieder ausgeführt, Sie wollen dieses Ziel
halten . Wir haben bereits gestern in diesem Haus darüber
gesprochen, dass es Deutschland gut geht, und haben uns
alle darüber gefreut . Wenn man sich die aktuellen Kon-
junkturprognosen und Ihre aktuelle Finanzplanungslinie
ansieht, dann würde die Verfolgung des 2-Prozent-Ziels
zusätzliche Aufwüchse über die mittlere Finanzplanung
bedeuten . Ich will ganz deutlich sagen: Abgesehen da-
von, dass ich das nicht für sinnvoll halte, glaube ich auch
nicht, dass das bei den enger werdenden Spielräumen im
Bundeshaushalt möglich sein wird . Meine Damen und

Herren, ich habe den Eindruck, Sie fordern einfach mehr
Geld und wissen gar nicht, wofür .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wer fordert das?)


Verabschieden Sie sich von diesem unrealistischen Ziel!
Denn Sie führen dadurch eher die Bundeswehr nach Wol-
kenkuckucksheim, als dass das zu einer besseren Aus-
stattung der Bundeswehr oder zu einer besseren Verteidi-
gungspolitik führen würde .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/ CSU]: Das ist eine Märchenrede!)


Weil der Kollege Otte gerade Angst vor Märchen hat:
Schauen wir uns doch einmal den Verteidigungsetat im
Detail an .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Gerne!)


Wenn Sie, Kollege Otte, hineingeschaut hätten, hätten
Sie erkannt, dass es dort eine sonderbare Gleichzeitigkeit
von Überfluss und Mangel gibt. Das macht die Forde-
rung noch absurder .

Schauen wir uns die Personalmittel an . Ich muss Sie
nicht darauf hinweisen, dass das eine gesetzliche Pflicht-
aufgabe ist . Wir haben wahrgenommen, dass in den letz-
ten Jahren die Mittel für das Personal immer unterveran-
schlagt waren, und zwar nicht wegen Tarifsteigerungen,
die den Soldatinnen und Soldaten zu Recht zustehen und
die sie von Herrn Schäuble bekommen: Nein, sie waren
systematisch zu niedrig veranschlagt . Damit werden Sie
Ihrer Verantwortung gegenüber der Truppe nicht gerecht,
Frau von der Leyen . An der Stelle haben wir einen Man-
gel .

Wenn man in das Beschaffungskapitel, in den Bereich
Rüstung, schaut, dann sieht man das absolute Gegenteil .
2013 ist über 1 Milliarde Euro liegen geblieben, 2014
waren es 763 Millionen Euro . Auch in diesem Jahr –
Stand: Ende August – gehen Sie von mehr als einer hal-
ben Milliarde Euro aus .


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Es wird immer weniger! Das ist eine gute Entwicklung!)


Da herrscht Überfluss. Sie brauchen diesen Überfluss
sogar, um die Personalausgaben zu finanzieren. Wie ab-
surd ist es denn, einen Haushalt aufzustellen, bei dem Sie
schon heute hoffen müssen, dass Sie weitere Probleme
im Rüstungsbereich haben werden, damit Sie die Sol-
datinnen und Soldaten am Ende des Monats finanzieren
können? Das sorgt weder für Klarheit noch für Wahrheit
im Haushalt, noch hat es irgendetwas mit einer vernünf-
tigen Planung zu tun, Frau von der Leyen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist grüne Logik, oder was?)


Jetzt schauen wir uns einmal den Beschaffungsbereich
im Detail an . Da könnte ich als Überschrift wählen: vie-
le Berichte, einige Ansätze, die wir durchaus anerken-
nen, aber vor allem wenig Verbesserung . – Auf meinem

Dr. Tobias Lindner






(A) (C)



(B) (D)


Schreibtisch liegen ganze fünf Berichte zur Beschaffung
des G36 .


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Fünf Kopien?)


Vier weitere, nämlich die halbjährlich veröffentlich-
ten Berichte zu Rüstungsangelegenheiten, gesellen sich
hinzu . Das macht schon ein ganz nettes Türmchen von
BMVg-Berichten .

Sie haben hier in der ersten Lesung angekündigt, dass
Sie die Rüstungsprojekte, die Sie selbst anstoßen, in eine
neue Struktur bringen wollen; ich glaube, Sie haben es
„Kapsel“ genannt . Das ist etwas, worüber man durchaus
diskutieren kann . Aber dann will ich Ihnen schon zuru-
fen: Sie müssen auch auf die Projekte schauen, die laufen
und sich in einem schweren Fahrwasser befinden;


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Das wird doch systematisch gemacht!)


Sie müssen auf die Schmuddelkinder gucken, auf Pro-
jekte, die uns Geld kosten, die nicht in der vorgesehenen
Zeit, in der vorgesehenen Qualität umgesetzt werden . Sie
müssen sich also um den A400M, den Eurofighter und
die Fregatte kümmern, anstatt weiterhin nur – um im Bild
zu bleiben – mit den neuen Babys zu spielen und nur sie
fürsorglich zu behandeln .

Die Probleme im Rüstungsbereich, meine Damen
und Herren, bestehen auch im dritten Jahr der Amtszeit
der Ministerin von der Leyen fort . Nach all den Berich-
ten und Ankündigungen braucht es endlich strukturelle
Veränderungen bei den bestehenden Rüstungsprojekten .
Frau von der Leyen, kümmern Sie sich nicht nur um Ihre
Babys; Sie müssen auch mit den Schmuddelkindern spie-
len .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Verhaltener Beifall bei den Grünen!)


Bei all diesem Durcheinander führt jetzt die Große
Koalition, die sonst immer von mehr Transparenz redet,
die jährliche Übertragbarkeit der Mittel für einzeln veran-
schlagte Rüstungsprojekte ein . Das klingt sehr technisch;
aber da geht es um die Projekte, die besonders teuer sind,
besonders viel Ärger machen und unsere besondere Auf-
merksamkeit benötigen . Statt wie bisher, wenn Geld in
einem Jahr liegen bleibt und Sie es im kommenden Jahr
benötigen, darüber eine Debatte im Parlament und im
Haushaltsausschuss führen zu müssen, sodass wir uns
damit beschäftigen können, besteht nun die Möglichkeit,
Mittel ohne Diskussion von einem Jahr auf das andere zu
übertragen .

Dies führt dazu, dass wir erst nach Ablauf von ein paar
Monaten, wenn nicht gar erst am Ende eines Haushalts-
jahres, erfahren werden, welches Projekt sich verzögert
oder in einem schweren Fahrwasser ist . Sie hätten auch
andere Möglichkeiten gehabt; sogar meine Fraktion hat
sich vor einem Jahr, als es darum ging, Mittel von ei-
nem Jahr in das andere zu transferieren – ich erinnere
an den Puma –, nicht verweigert . Diese Maßnahme hilft
zum einen nicht dabei, die Projekte in den Griff zu krie-
gen . Zum anderen sorgt sie vor allem für weniger Trans-
parenz. Ich finde, mit diesem Mechanismus werden Sie

Ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht . Wir fordern Sie
auf: Lassen Sie das mit der Übertragbarkeit der Mittel für
große Rüstungsprojekte! Es schafft weniger Durchblick
und nicht mehr, Frau Ministerin .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Das glauben Sie!)


Jetzt ist es ja nicht so, dass es im Verteidigungshaus-
halt keine Spielräume gäbe, um Mittel umzuschichten .
Braucht die Bundeswehr wirklich mehr Geld, oder ha-
ben Sie nicht vielleicht Spielräume in Ihrem Etat? Ich
habe den Eindruck, Ihnen fehlt der Mut, sich diese zu
erschließen .

Sie halten bei der Bundeswehr an einer längst über-
holten Fähigkeit fest . Sie klammern sich fast sprichwört-
lich an die Atombomben und die nukleare Teilhabe . Ich
will sagen: Auch vor dem Hintergrund einer aggressiver
werdenden Politik Russlands bleiben Szenarien, in de-
nen deutsche Jagdbomber plötzlich taktische Atomwaf-
fen auf gegnerische Panzerheere werfen, für mich nach
wie vor ein Anachronismus des Kalten Krieges . Ich kann
nicht verstehen, warum Sie an der negativen Utopie der
80er-Jahre, des Kalten Krieges, festhalten wollen und
wertvolles Steuergeld in die Infrastruktur und in Doppe-
lungen bei Düsenflugzeugen investieren wollen.

Sie müssten es eigentlich besser wissen . Vor ein paar
Monaten hat sich Ashton Carter, der amerikanische
Verteidigungsminister, nur wenige Meter von hier dazu
geäußert . Er hat deutlich gesagt: Auf die neuen sicher-
heitspolitischen Herausforderungen des 21 . Jahrhunderts
wird man nicht mit dem Drehbuch des Kalten Krieges
reagieren können . Recht hat er! Wir fordern Sie auf: Sor-
gen Sie dafür, dass Deutschland die nukleare Teilhabe
endlich beendet!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Michael Leutert [DIE LINKE] – Henning Otte [CDU/CSU]: Gut, dass wir regieren!)


Sie haben den Ertüchtigungstitel angesprochen . Er
ist im Haushalt ganz schön verklausuliert als Titel „Er-
tüchtigung von Partnerstaaten im Bereich Sicherheit,
Verteidigung und Stabilisierung“ aufgeführt . Aus den
Erläuterungen zum Haushaltsvermerk geht hervor, dass
auch letale Waffen geliefert werden können sollen und
die Bewirtschaftung durch Ihr Haus und das Auswärti-
ge Amt erfolgt . Dabei stehen Ihnen als Bundesregierung
bereits ganz andere Strukturen zur Verfügung, mit denen
Sie wirklich nachhaltig zur Ertüchtigung und zur Stabili-
sierung beitragen könnten .

Es gibt unter anderem den Ressortkreis Zivile Krisen-
prävention, an dem eben nicht nur das Auswärtige Amt
und Ihr Haus teilnehmen; vielmehr liefern auch das Bun-
desinnenministerium für den Bereich der Polizeiarbeit
und das BMZ wichtigen Input . Wir sehen auch die Deut-
sche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenar-
beit aus dem BMJV als einen wichtigen Partner . Die von
Ihnen veranschlagten Mittel wären in der Ausstattung
des Ressortkreises Zivile Krisenprävention besser ange-
legt gewesen . Wir haben das beantragt, aber Sie haben es

Dr. Tobias Lindner






(A) (C)



(B) (D)


abgelehnt . Ich muss sagen: Das ist eine verpasste Chan-
ce, Frau Ministerin .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mir bleibt zum Verteidigungsetat 2016 nur festzustel-
len: Ihnen fehlt das Herz, um mit der Abschaffung der
nuklearen Teilhabe wirklich Ernst zu machen . Ich kann
keinen Plan erkennen, wie Sie im Verteidigungsbereich
die großen offenen Baustellen angehen wollen . Ich glau-
be, am Ende des Tages fehlt Ihnen der Mut, schwierige
und unbequeme Entscheidungen gerade auch gegenüber
der Rüstungsindustrie zu treffen . Wir Grüne lehnen den
vorliegenden Einzelplan ab . Wir haben Ihnen gezeigt,
wie es besser gegangen wäre .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Da täuschen Sie sich mal nicht!)


Schade drum! Jetzt sind Sie in der Verantwortung


(Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist gut für unser Land!)


für das, was in den kommenden Monaten passieren wird .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813910200

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Karin Evers-Meyer, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Bernd Siebert [CDU/CSU])



Karin Evers-Meyer (SPD):
Rede ID: ID1813910300

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Lie-

be Kolleginnen und Kollegen! Vor 14 Tagen haben wir
auf dem Platz vor dem Reichstag 60 Jahre Bundeswehr
gefeiert und den Soldaten gedankt, die in unserer Parla-
mentsarmee täglich ihren Dienst tun .


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Und den Zivilisten auch!)


Wir haben Danke dafür gesagt, dass sie unter Einsatz ih-
res Lebens bereit sind, unser Land, uns und unsere Werte
zu schützen . Natürlich haben wir auch für alles andere
Danke gesagt, was Soldatinnen und Soldaten der Bun-
deswehr darüber hinaus bereit sind zu leisten, beispiels-
weise in der Fluthilfe oder aktuell bei der Bewältigung
der Flüchtlingssituation . Ich sage von hier aus auch heute
noch einmal Danke, aus voller Überzeugung und natür-
lich auch im Namen meiner Fraktion .

Die Koalition setzt mit dem vorliegenden Etat wich-
tige Zeichen . Zum einen: Es ist uns ernst mit unserem
Dank und unserer Anerkennung für die Bundeswehr .
Zum anderen: Wir sind bereit, das Notwendige zu tun .

Lassen Sie mich dazu drei Punkte ausführen . Erstens .
Die Rolle Deutschlands auf internationaler Ebene ent-
wickelt sich weiter, auf ausdrücklichen Wunsch unserer
Freunde und Partner auch militärisch . Unser Engagement
in Afghanistan und Mali wurde bereits erwähnt . Zwei-
tens . Die Einsparwut bei der Bundeswehr hat das Mili-

tär an vielen Stellen an den Rand der Arbeitsfähigkeit
geführt . Drittens – auch das ist mir wichtig zu sagen –:
Trotz der Krisen und trotz des sicherheitspolitischen En-
thusiasmus, den man an vielen Orten im In- und Aus-
land derzeit spürt, lassen wir uns nicht in einen Wettlauf
treiben, der bei genauerem Hinsehen strategisch auf eher
unsicheren Füßen steht .

Diese drei Dinge – die internationale Rolle Deutsch-
lands, die Arbeitsfähigkeit der Bundeswehr und die not-
wendige Besonnenheit – bilden den Rahmen für einen
Verteidigungsetat, der anpackt, der richtige Akzente
setzt, ohne dabei Maß und Sachlichkeit zu vernachlässi-
gen . Für dringend notwendige Investitionen in Material
und Personal stellen wir der Bundeswehr im nächsten
Jahr 1,4 Milliarden Euro zur Verfügung . Diese Erhöhung
gibt der Bundeswehr ein Stück Handlungsfähigkeit zu-
rück . Beispielsweise ermöglicht dieser Etat zum ersten
Mal, dass dem geltenden Personalstrukturmodell eine
entsprechende Zahl an Planstellen gegenübersteht – über
alle Besoldungsgruppen hinweg . Wir werden damit den
Beförderungsstau innerhalb der Bundeswehr nicht auf
einen Schlag beseitigen; aber er kann wirklich spürbar
abgebaut werden, und das ist ein sehr wichtiges Signal
an die Männer und Frauen in der Truppe .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Genau das meine ich, wenn ich sage: Wir meinen es
ernst mit unserem Dank und unserer Anerkennung; denn
bei allem, was in der Bundeswehr nicht schießt, nicht
fliegt und nicht schwimmt – die wichtigste Investition
bleibt die in unsere Soldaten und das zivile Personal .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Aus diesem Grund meinen wir es auch ernst mit der
besseren Vereinbarkeit von Familie und Dienst . Ich dan-
ke meinen Kollegen in der Koalition, auch denen aus
dem Verteidigungsausschuss, dafür, dass wir die Titel für
Kinderbetreuungseinrichtungen und Telearbeitsplätze
noch einmal um 5 Millionen Euro verstärken konnten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir meinen es auch ernst mit der Hilfe für die unver-
schuldet in Not geratenen ehemaligen Angehörigen von
Bundeswehr und NVA sowie deren Hinterbliebenen . Wir
stellen noch einmal 1 Million Euro für die Härtefall-Stif-
tung zur Verfügung .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind uns
in der Koalition darüber einig, dass wieder mehr Geld in
die Bundeswehr fließen muss. Das ist die Voraussetzung
dafür, dass wir uns weiterhin auf die Einsatzfähigkeit und
das Engagement der Truppe verlassen können . Dafür ste-
hen wir, und dafür steht auch dieser Haushalt . Wenn ich
die Ministerin richtig verstanden habe, dann sind wir uns
auch über eine zweite Sache einig: Uns kommt es am
Ende nicht nur darauf an, was für eine Zahl auf dem Pa-
pier steht, sondern auch darauf, was sich an Leistungs-
fähigkeit und Einsatzbereitschaft hinter dieser Zahl ver-
birgt: Was kann die Bundeswehr tatsächlich leisten? Was
will und kann sie konkret einbringen, insbesondere im
Rahmen internationaler Initiativen?

Dr. Tobias Lindner






(A) (C)



(B) (D)


Daher halte ich nicht viel von Zahlenspielen, egal ob
es um einstellige Prozentzahlen oder neunstellige Eu-
ro-Beträge geht . Viel halte ich von Strategien und Kon-
zepten für mehr Effizienz. Da gilt: Die effiziente Armee
der Zukunft kann nur eine europäische sein . Deutschland
muss sich hier noch mehr als bisher als Zugpferd enga-
gieren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Was in diesem Bereich auf dem Tisch liegt, ist gut und
richtig, reicht aber immer noch nicht aus . Wir brauchen
mehr gemeinsame Projekte, mehr Arbeitsteilung, mehr
Abstimmung auf allen Ebenen, von der politischen Lei-
tung über die militärischen Spitzen bis hinunter in die
Ebenen der konkreten Beschaffungs- und Planungs-
prozesse . Alles, was in Zukunft angepackt wird, jedes
Strategiepapier, jede Vorlage sollte sich daher in einem
Abschnitt der Frage widmen: Welche europäische Pers-
pektive gibt es in diesem ganz konkreten Fall?

Das bedeutet viel Arbeit, nicht zuletzt, weil dieses
Anliegen nicht überall in Europa auf gleichermaßen
offene Ohren stößt . Es bedeutet auch viel mehr Arbeit,
weil gerade mit Beschaffungsprojekten im europäischen
Rahmen schon genug schlechte Erfahrungen gesammelt
wurden . Das bedeutet aber auf keinen Fall, dass wir auf
die europäische Ausrichtung verzichten dürfen . Wir dür-
fen sie auch nicht aufschieben . Die Zusammenarbeit mit
unseren Freunden und Partnern muss für uns Ansporn
sein, es besser zu machen . Das gilt vor dem Hintergrund
der Anschläge in Paris mehr denn je, auch für das Militär .

Sehr geehrte Frau Ministerin, die Koalition hat Vertrauen
in die Bundeswehr, und sie hat auch ein großes Stück
Vertrauen in die Leitung des Verteidigungsministeriums .
Zumindest kann ich für meine Fraktion sagen, dass wir
Ihr ernsthaftes Bemühen darum, die Mängel in der Orga-
nisation und in den Prozessen anzupacken, anerkennen
und Sie darin unterstützen . Mit der strukturierten Beglei-
tung durch den halbjährlichen Rüstungsbericht, der Neu-
positionierung von drei wichtigen Großprojekten inner-
halb des BAAINBw und der Konsolidierung des übrigen
Beschaffungsapparates entsprechen Sie dem, was wir
seit längerer Zeit fordern . Denn wir haben natürlich nicht
vergessen, dass in der Vergangenheit Geld, das eigentlich
da ist, nicht ausgegeben wurde . Soweit ich das überbli-
cken kann, besteht zumindest die Möglichkeit, dass das
auch in diesem Jahr wieder so ist . Damit das in Zukunft
besser wird, brauchen wir Ihre Kärrnerarbeit in Sachen
Organisation und Prozessoptimierung .

Worin wir Sie nicht unterstützen – jedenfalls ich tue
das nicht –, ist der verständliche Wunsch nach mehr Fle-
xibilität in der Haushaltsführung . Sie wissen das . Wir ha-
ben uns dazu mehrfach ausgetauscht . Für mich als Haus-
hälterin, deren Aufgabe es ist, bei diesem ohnehin schon
in hohem Maße flexibilisierten Einzelplan den Überblick
zu behalten und auf das Geld des Steuerzahlers aufzupas-
sen, ist eine weitere Flexibilisierung des Einzelplans 14
jedenfalls zurzeit nicht vorstellbar . Es wäre ein falscher
Weg und ein falsches Signal, auch an die Industrie, nach
dem Motto: Wenn es bei euch nicht klappt, kein Problem,
wir machen die Haushaltsregeln für euch passend . – Ich
sage das ausdrücklich mit Blick auf die Situation heute .

Es geht mir nicht um haushalterische Ideologie . Ich den-
ke, das wissen Sie .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813910400

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Henning Otte, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1813910500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
diesjährige Haushaltdebatte steht unter dem besonderen
Eindruck der sicherheitspolitischen Ereignisse und Rah-
menbedingungen . Die Anschläge in Paris, in Bamako, in
Beirut und gestern in Tunesien, die Explosion eines rus-
sischen Urlaubsfliegers über dem Sinai, die höchste Ter-
rorwarnstufe in Brüssel – all diese Ereignisse stehen im
direkten Zusammenhang mit dem furchtbaren IS-Terror,
der das Ziel hat, die freiheitliche Grundordnung zerstö-
ren zu wollen .

Wir erleben diese Tage in großer Sorge und Verunsi-
cherung, aber auch in fester Verbundenheit mit unseren
Partnern . Wir wissen um die Verantwortung für eine
friedliche Zukunft und die Sicherheit unseres Landes .
Deswegen stellen wir uns entschlossen dieser Herausfor-
derung, auch mit militärischen Mitteln, fein abgewogen,
eng mit unseren Partnern abgestimmt und entschlossen
im Handeln .

Die Anschläge von Paris galten genauso unserem
Land . Die Angriffe des „Islamischen Staates“ richten
sich gegen eine offene Gesellschaftsform, gegen eine
freiheitliche Demokratie . Dem stellen wir uns entschlos-
sen gemeinsam im Verbund mit unseren Partnern entge-
gen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es hat Frankreich nicht deswegen getroffen, weil es
bereits im Kampf gegen den IS engagiert ist; das zeigt
auch der Anschlag gestern Abend in Tunis . Vielmehr
schlägt der IS überall dort in freien Gesellschaften zu,
wo sich eine Gelegenheit dazu bietet . Dieser islamisti-
sche Terrorismus darf nicht gewinnen, und ich sage: Er
wird nicht gewinnen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir lassen uns weder in Deutschland noch in Europa
und auch nicht anderswo in der friedlichen Welt die frei-
heitlichen Werte nehmen . Wir halten an diesen Werten
für Demokratie, für Freiheit und für Offenheit fest . Das
sagen wir selbstbewusst und mit Stolz . Die Generation,
die Deutschland nach 1945 aufgebaut hat, hat diese Werte
erstritten und gefestigt . Wir werden diese Werte und die-
se Freiheit für die nächsten Generationen bewahren und
weiter stärken, und zwar aktiv . Passivität wird uns nicht

Karin Evers-Meyer






(A) (C)



(B) (D)


schützen . Denn sicherheitspolitische Zurückhaltung wird
uns nicht weniger zu einem Anschlagsziel machen, als
wir es vielleicht jetzt schon sind .

Insofern sollen die Anschläge von Paris auch eine
Warnung für uns sein . Wir müssen den Urhebern des
Terrors offensiv entgegentreten und alle entsprechenden
Maßnahmen national und international entschlossen ab-
stimmen . Vieles tun wir bereits . Mit der Ausbildung und
den Materiallieferungen an die kurdischen Peschmer-
ga und auch an die Jesiden tragen wir wesentlich zum
Kampf gegen den IS bei . Auch in Afghanistan und zu-
nehmend in Mali sind wir engagiert, um Fluchtursachen
zu bekämpfen und den Extremismus zurückzudrängen .

Meine Damen und Herren, Frankreich hat die Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union nach Artikel 42
Absatz 7 des EU-Vertrages aufgerufen, beizustehen . Wir
wissen noch nicht genau, welche Unterstützung dies sein
wird . Aber es ist selbstverständlich, dass wir unseren
französischen Freunden in diesen schweren Zeiten bei-
stehen .

Nur, eines sollte uns klar sein: Was immer wir gegen
den IS unternehmen, unternehmen wir auch, um Frank-
reich zu unterstützen . Wir tun dies aber in erster Linie
deswegen, um die Sicherheit unseres Landes, die Sicher-
heit Deutschlands, zu stärken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Heidtrud Henn [SPD])


Wir tun dies auch, um den Menschen in den Regionen
zu helfen, die am schlimmsten vom IS-Terror betroffen
sind. Viele Menschen fliehen gerade vor diesem Terror
und vor dieser Gewalt . Die Schwachen zu schützen, das
ist unsere erste Aufgabe als Verteidigungspolitiker .

Meine Damen und Herren, damit wir denen, die
wirklich Hilfe brauchen, auch wirksam helfen können,
ist es wichtig, auch in Deutschland einen Beitrag zur
Bewältigung dieser Herausforderungen zu leisten, alle
verfügbaren Kräfte einzubinden und gleichzeitig die
Fluchtursachen vor Ort zu bekämpfen . Das ist eine große
Herausforderung für unsere gesamte Gesellschaft . Wenn
die Bundeswehr helfen kann, dann soll sie helfen, und
dann wird sie auch helfen . Sie ist bereits jetzt sehr aktiv
im Einsatz, um die Situation der Flüchtlinge in Deutsch-
land zu verbessern . Dafür danke ich allen Soldatinnen
und Soldaten und allen Helferinnen und Helfern sowie
einer sehr engagierten Bürgerschaft hier in Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber die Bundeswehr könnte noch mehr tun, zum
Beispiel bei der technischen Amtshilfe . Herr Leutert hat
dieses Thema ja ganz prominent als erster Redner ange-
sprochen und deutlich gemacht, dass er kein Vertrauen in
die Bundeswehr hat . Ich sage: Es ist rechtlich möglich,
beizustehen . Das hat die Absicherung des G-8-Gipfels in
Heiligendamm 2007 gezeigt .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn für ein Beispiel? Da wollen wir nicht wieder hin!)


Auch hier hat die Bundeswehr ihre Einsatzfähigkeit unter
Beweis gestellt; Frau Buchholz kann sich sicherlich noch
daran erinnern .

Was in Heiligendamm ging, das müsste auch im Bay-
erischen Wald möglich sein .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sollten Sie aber erst mal die Verteidigungsministerin fragen!)


Ich meine – unabhängig von den ideologischen Reflexen,
die jetzt von den Grünen und den Linken kommen –,


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist los? Das sind keine Reflexe! Es geht ums Grundgesetz!)


in Anbetracht der sicherheitspolitischen Lage sollte man
ideologische Reflexe vermeiden und in Ruhe und beson-
nen nachdenken, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Einsatz im Innern, verbunden mit der Übernahme
hoheitlicher Aufgaben, ist davon natürlich klar zu tren-
nen . Wir haben gesehen, dass in Frankreich in einer solch
exponierten Situation alle Sicherheitskräfte schnell und
unbürokratisch zusammenstehen .


(Florian Hahn [CDU/CSU]: So ist es!)


Vielleicht sollten wir uns wirklich einmal in Ruhe da-
rüber unterhalten, ob man unseren Soldatinnen und Sol-
daten nach 60 Jahren erfolgreicher, zuverlässiger Arbeit
nicht mehr zutrauen sollte, damit sie einen weiteren Bei-
trag leisten können; denn die Sicherheit unseres Landes
ist für alle von großer Bedeutung . Wir sollten diese Dis-
kussion besser jetzt führen als dann, wenn es zu spät ist .

Meine Damen und Herren, wenn wir den Blick weiten,
dann stellen wir fest, dass sich die Sicherheitslage in den
letzten zwei Jahren grundsätzlich verändert hat . Durch
die offensive Außenpolitik Russlands rücken traditionel-
le Bedrohungen an der Ostgrenze der NATO wieder in
den Fokus . Gleichzeitig werden durch den IS-Terror und
das Vorgehen von Boko Haram im Nahen Osten und in
Afrika ganze Regionen zerrüttet .

Wir haben es jetzt mit einer neuen Gleichzeitigkeit
unterschiedlicher Bedrohungsprofile zu tun, die so früher
nicht galten . Bis 1990 hatten wir noch eine Heimatver-
teidigungsarmee . Aufgrund der Anschläge von 2001 sind
wir dann eher den Weg zur Infanterie gegangen, um auch
in Afghanistan einen wesentlichen Beitrag zum Frieden
zu leisten . Jetzt sind wir mit beiden Herausforderungen
gleichzeitig konfrontiert: Bündnisverteidigung einerseits
und Krisenbewältigung andererseits . Diese neue Gleich-
zeitigkeit von zwei Herausforderungen wird die Anfor-
derungen an die Streitkräfte erhöhen . Mit der Führung
der NATO-Speerspitze VJTF leistet Deutschland einen
notwendigen und wesentlichen Beitrag, der personal-
und materialintensiv ist .

Auslandseinsätze wie in Afghanistan, im Kosovo oder
jetzt verstärkt in Mali werden uns zukünftig voraussicht-
lich noch stärker in Anspruch nehmen als derzeit . Dane-
ben leistet die Bundeswehr immer dann Unterstützung,
wenn es darauf ankommt; genannt seien hier zum Bei-

Henning Otte






(A) (C)



(B) (D)


spiel die Ebolakrise oder die Betreuung von Flüchtlin-
gen .

Aus angespannten Sicherheitslagen kann sich aber
auch schnell mehr entwickeln, und es kann Unvorher-
gesehenes passieren . Deswegen müssen wir vorbe-
reitet sein – egal ob im EU-Kontext, im Rahmen der
NATO-Verpflichtung oder auch mit Blick auf die OSZE.

In einer solchen Phase kommt zukünftig die EU-Ar-
beitszeitrichtlinie hinzu, auf die sich unsere Streitkräfte
einstellen müssen . Das wird die Personallage bei der
Bundeswehr noch angespannter erscheinen lassen . Vor
dem Hintergrund der gestiegenen neuen Herausforderun-
gen müssen wir prüfen, wie wir die Bundeswehr perso-
nell noch stärker, flexibler und durchhaltefähiger aufstel-
len können . Wir sind zwar sehr gut, aber man soll den
Anspruch nicht aufgeben, immer noch besser werden zu
können .

Dazu zählt auch eine zuverlässige Ausrüstung . Zu
Recht sind wir den Weg vom System des flexiblen Fä-
higkeitsmanagements hin zu einer vollen Ausstattung
in den Bereichen gegangen, in denen es von besonderer
Bedeutung ist . Jetzt kommt es darauf an, dass die Bun-
deswehr mit modernen Materialien in ausreichender Zahl
ausgestattet wird .

Das Beschaffungssystem ist reformiert worden, und
ich kann mich nur dem uneingeschränkten Lob der SPD
an unsere Ministerin Frau Dr . von der Leyen anschlie-
ßen, das von Frau Evers-Meyer geäußert worden ist . Frau
Ministerin, das ist ein ganz wichtiger Punkt . Herzlichen
Dank dafür .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Warum ist dies so enorm wichtig? Weil diese Ausrüs-
tung die stärkste und wichtigste Ressource schützt, die
die Bundeswehr hat, nämlich die Soldatinnen und Solda-
ten . Unser Kernauftrag, der Kernauftrag der Politik, ist
es, die zu schützen, die uns schützen .

Das sind große Ziele . Dafür brauchen wir ausreichend
Finanzmittel . Deswegen ist es gut, dass der Verteidi-
gungshaushalt grundsätzlich gestärkt werden konnte und
dass der Einzelplan 14 im Bundeshaushalt – ein Dank
auch an die Berichterstatter – nun an zweiter Stelle steht .

Ich nenne einige sehr konkrete Zahlen: Die Ausgaben
im Personalbereich steigen um 4 Prozent, und der Aus-
rüstungsbereich hat eine Steigerung um 9 Prozent erfah-
ren . In den nächsten vier Jahren sollen 8 Milliarden Euro
mehr zur Verfügung stehen . Das sollte auch die Fraktion
der Grünen – und insbesondere Herr Dr . Lindner – zur
Kenntnis nehmen .


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann lesen!)


– Ich glaube, Sie haben mit Ihren Anwürfen richtig an
der Sache vorbeigezielt . Mir drängt sich wirklich der
Eindruck auf, dass man Ihnen einen alten Haushaltsplan

zum Lesen gegeben hat, den Sie in Ihre Rede einbezogen
haben .


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder Sie! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Otte, die Frage ist: Wer hat hineingeguckt?)


– Hineingucken allein reicht nicht, Frau Kollegin; man
muss ihn auch verstehen .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen die Richtigen! – Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie zu Recht!)


Deswegen ist es gut, dass wir die notwendigen Entschei-
dungen treffen und unsere Bundeswehr so ausstatten, wie
es notwendig ist .

In der Bereinigungssitzung hat es aufgrund einer glo-
balen Minderausgabe aber noch eine Kürzung gegeben .
Ich sage ganz deutlich: Der Schlüssel für die Bewer-
tungsgrundlage sollte die aktuelle Sicherheitslage sein .
Deswegen müssen wir an dem Ziel festhalten, dass wir
unsere Bundeswehr mit den notwendigen Mitteln aus-
statten . Das ist unsere Aufgabe .

Das ist gut investiertes Geld in die Sicherheit unseres
Landes . Ohne Sicherheit ist alles nichts . Deswegen ist es
unser gemeinsamer Auftrag, dies auch für die Sicherheit
unseres Landes umzusetzen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813910600

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem

Kollegen Leutert .


Michael Leutert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813910700

Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Kollege Otte, Sie

haben mich angesprochen und meinten, ich habe kein
Vertrauen in die Bundeswehr und sei deshalb gegen den
Einsatz der Bundeswehr im Innern . Ich glaube, da haben
Sie etwas falsch verstanden .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nein!)


Es geht nicht um mein Vertrauen, sondern es geht darum,
dass sich hier eine strukturelle Frage stellt . Die Kompe-
tenzverteilung ist zwar geklärt, aber wir müssen uns noch
einmal darüber unterhalten .

Es gibt historische Gründe, warum die Bundeswehr in
Deutschland nicht im Innern eingesetzt werden darf . Ich
finde, es ist richtig, an diesem Zustand festzuhalten, und
ich halte es im Übrigen für absurd, dass die Bundespo-
lizei in den letzten Jahren genauso Sparmaßnahmen un-
terlag wie andere Institutionen . Jetzt wird aber gesagt,
sie könne bestimmte Aufgaben nicht mehr erfüllen . Des-
halb wird nach der Bundeswehr gerufen . Das halte ich
für falsch . Der richtige Weg wäre, die Bundespolizei in
den Zustand zu versetzen, dass sie ihre Aufgaben auch
erfüllen kann .

Henning Otte






(A) (C)



(B) (D)


Ich finde es schade, dass die Ministerin zu dieser Fra-
ge hier keine Stellung genommen hat,


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Sie stand im Widerspruch zu Herrn Otte!)


da das nicht irgendeine Diskussion in der Öffentlichkeit
gewesen ist, sondern weil diese Überlegungen von Ka-
binettskollegen eingebracht wurden . Ansonsten hätte ich
diesen Punkt an dieser Stelle überhaupt nicht angespro-
chen .


(Beifall bei der LINKEN – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wir denken eben zuerst und reden erst dann!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813910800

Kollege Otte, wollen Sie darauf noch antworten? –

Bitte schön .


Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1813910900

Sehr gerne, Herr Präsident . – Ich verstehe nur bedingt

die Aufregung von Herrn Leutert, weil er nämlich fest-
stellt, dass sich die Parteiprogrammatik der Linken nicht
mehr an der Realität orientiert .

Wir haben ganz deutlich festgestellt, dass in die Si-
cherheitsinstitutionen maßgeblich investiert wird . Die
Bundespolizei erhält eine personelle wie auch eine ma-
terielle Aufstockung . Aber es geht auch darum, dafür zu
sorgen, dass sich die Sicherheitskräfte in Deutschland
untereinander austauschen; denn uns als Union ist eines
besonders wichtig: die Sicherheit unserer Bürgerinnen
und Bürger .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813911000

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Christine Buchholz, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813911100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Terror

lässt sich nicht mit Krieg bekämpfen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir Linke trauern mit den Angehörigen und Freunden
der Opfer von Paris . Wir sind solidarisch mit den Men-
schen in Frankreich . Aber wir teilen nicht die Antwort
der französischen Regierung, wenn sie meint, Terror
auch mit Krieg bekämpfen zu können .

Vorgestern hat das US-Außenministerium eine globa-
le Reisewarnung herausgegeben: US-Bürger sollten in
jedem Land dieser Erde größere Menschenansammlun-
gen meiden . – Was für ein Eingeständnis des Scheiterns
der militärischen Intervention . 14 Jahre nach Beginn des
sogenannten Kriegs gegen den Terror erklärt Washington
die ganze Welt für unsicher . Der sogenannte Antiterror-
krieg ist keine Lösung . Er ist Teil des Problems .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie mir nicht glauben, dann hören Sie auf das,
was Nicolas Hénin schreibt . Der französische Journalist
war 14 Monate lang Geisel des IS . Er lehnt die Bomben
seiner eigenen Regierung auf Syrien ab . Er schrieb letzte
Woche: Mehr Bomben sind genau das, was der IS will;
denn das treibt ihm Anhänger zu . – Hénin sagt auch, was
dem IS schadet, nämlich die „Bilder aus Deutschland
von Menschen, die Migranten willkommen hießen“ . Das
widerspricht dem Weltbild des IS, wonach Muslime und
Nichtmuslime nicht zusammenleben können . Rassismus
und Ausgrenzung hierzulande zu bekämpfen, die Finanz-
ströme des IS auszutrocknen und Waffenlieferungen zu
beenden: Das sind die richtigen Antworten auf den Terror
des sogenannten „Islamischen Staats“ .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung will nun 650 deutsche Soldaten
nach Mali schicken und auch das Mandat für Afghanistan
verlängern . Ich bin schon sehr irritiert, Frau Ministerin .
Sie sprechen davon, wir seien zu sehr auf Rückzug ge-
polt . Bitte sagen Sie das den Soldatinnen und Soldaten
und auch der Bevölkerung ganz klar und deutlich . Das ist
ja der Ausstieg aus dem Ausstieg, den wir jetzt erleben .

Wir sollten aber Bilanz ziehen und gucken, welche
Fehler in Afghanistan bereits gemacht wurden . In Af-
ghanistan – das musste das Auswärtige Amt unlängst
einräumen; es ist daher zynisch, wenn aus Reihen der
Union von einem „sicheren Herkunftsland Afghanistan“
gesprochen wird – kontrollieren die Taliban heute mehr
Gebiete als zu Beginn der Entsendung deutscher Sol-
daten im Jahr 2002 . Der Grund dafür liegt doch auf der
Hand: Wer mit Partnern wie den US-Streitkräften agiert,
die im Oktober in Kunduz mit voller Absicht ein funk-
tionsfähiges Krankenhaus aus der Luft angegriffen und
dabei 30 Patienten und Ärzte getötet haben, der sät Hass .
Ob Afghanistan oder Mali: Der Einsatz fremder Truppen
treibt den Aufständischen immer neue Anhänger zu, weil
diese Truppen als Verbündete von korrupten Regierun-
gen angesehen werden . An diesen Einsätzen darf sich
Deutschland auf keinen Fall beteiligen .


(Beifall bei der LINKEN)


Der Verteidigungshaushalt 2016, den der Bundestag
heute beschließt, unterstreicht diese falsche Ausrichtung
auf immer mehr Auslandseinsätze . Die Bundeswehr wird
permanent aufgerüstet . Das Volumen des Verteidigungs-
haushalts steigt, besonders – das haben Sie eben ganz
stolz gesagt, Herr Otte – die Ausgaben für militärische
Beschaffungen .


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Ausrüstung für unsere Soldaten! Das ist wichtig!)


2016 soll der Militärhaushalt bei 34,3 Milliarden Euro
liegen . Das sind schon fast 2 Milliarden Euro mehr als
ursprünglich geplant . Bis 2019 sieht der Finanzplan ei-
nen Anstieg auf 35 Milliarden Euro vor .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist Ausdruck von Fürsorge!)


Hier ein konkretes Beispiel, wie das dann aussieht .
Die Bundesregierung möchte neue Militärsatelliten be-
schaffen, um weltweit militärisch nutzbare Informatio-

Michael Leutert






(A) (C)



(B) (D)


nen zu erlangen . Für das Spähprogramm SAR-Lupe hat
der deutsche Steuerzahler im vergangenen Jahr bereits
430 Millionen Euro gezahlt . Für die Beschaffung weite-
rer Radar- und Militärsatelliten und für die Beteiligung
an dem französischen Spähprogramm fallen 2016 rund
150 Millionen an . Das war aber noch nicht alles . Die ge-
schätzten Gesamtkosten für diese drei Programme liegen
bei rund 2 Milliarden Euro .

Frau von der Leyen, Sie haben Ihre Motivation bereits
im Februar beschrieben:

Unsere Interessen haben keine unverrückbare Gren-
ze, weder geografisch noch qualitativ.

Wir sagen: Frau von der Leyen, die Interessen, von denen
Sie sprechen, sind nicht die Interessen von uns allen .


(Beifall bei der LINKEN)


Es sind die Interessen der global agierenden Konzerne,
für die in die Taschen der Bevölkerung gegriffen wird .


(Unruhe bei Abgeordneten der CDU/CSU und SPD)


Wir lehnen diese Aufrüstung für die globale Einsatzar-
mee ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber nicht nur bei den deutschen Interessen sieht die
Bundesregierung keine Grenzen, sondern offenbar auch
bei den Kosten; denn viele der einzelnen Haushaltspos-
ten werden weitere Kosten nach sich ziehen . Auch hierzu
ein kleines Beispiel: Im vorliegenden Haushaltsplan sind
allein für den A400M, der deutsche Soldaten in alle Welt
transportieren soll, zwei neue Umrüstungsprogramme
vorgesehen . Geschätzte Gesamtkosten: 450 Millionen
Euro – wohlgemerkt zusätzlich zu den 9,5 Milliarden
Euro, die uns das Projekt schon jetzt kostet . Das, meine
Damen und Herren, ist inakzeptabel .


(Beifall bei der LINKEN)


Nun wird ja auch Russland wieder als Feind ange-
sehen . Das Heer wird wieder aufgerüstet . Und auch da
kann man sehen: Im Haushaltsjahr 2016 schlagen bei-
spielsweise die Beschaffung des Transportpanzers Boxer
sowie die Produktverbesserung beim Spürpanzer Fuchs
mit 127 Millionen Euro zu Buche . Es gibt aber auch noch
einen neuen Titel . Dabei geht es um eine ergänzende Be-
schaffung von 84 Leopard-2-Panzern, die den Steuer-
zahler in Zukunft insgesamt 650 Millionen Euro kosten
wird . Wir sagen: Ein Mehr an Sicherheit bringt das nicht,
sondern nur neue Spannungen, und das Geld fehlt an an-
derer Stelle .


(Beifall bei der LINKEN)


Zusammengefasst: Erstens . Die Bundesregierung ig-
noriert, dass 15 Jahre Antiterrorkrieg nur zu mehr Terror
geführt haben, dass dieser Terror Tausende Menschen
das Leben gekostet hat und nun auch Europa unsicherer
macht . Zweitens . Diese Politik ist nicht nur falsch, sie ist
auch teuer . Drittens . Die neue Erhöhung des Militäretats
ist – so steht zu befürchten – nur der Anfang .

Dieser Kurs muss gestoppt werden . Die Linke – das
ist mein letzter Punkt – wird einem solchen Haushalt nie-
mals zustimmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813911200

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Rainer Arnold, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1813911300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

sicherheitspolitischen Herausforderungen sind seit der
ersten Lesung des Haushalts sicherlich nicht einfacher
geworden . Allerdings hat sich die Welt auch nicht funda-
mental neu sortiert . Die fürchterlichen Anschläge in Paris
verändern, glaube ich, aber die Wahrnehmung der Men-
schen, auch von uns Politikern . Sie führen auch – das
kann gar nicht anders sein – zu Emotionen . Die Kunst
wird darin bestehen, auf der einen Seite die Emotionen so
zu artikulieren, dass Frankreich sieht, dass uns das Leid
der Menschen nahegeht . Auf der anderen Seite müssen
wir so besonnen bleiben, dass wir über die notwendigen
und richtigen Entscheidungen sorgfältig diskutieren, be-
vor wir sie treffen .

Wir können die fragilen Staaten im Nahen und im
Mittleren Osten sowie in Afrika – das gilt aber auch für
Afghanistan – nicht ausblenden . Man kann auch nicht
wegsehen in dieser kleiner gewordenen Welt .

Wir reden heute über den Einzelplan 14, über den
Verteidigungsetat . Wir Verteidigungspolitiker wissen
natürlich, dass die sicherheitspolitischen Risiken dieser
Welt nicht militärisch zu überwinden sind, sondern dass
es dabei in erster Linie um eine große politische Heraus-
forderung geht .

Die Ministerin hat von den Beiträgen Deutschlands –
von Mali bis Afghanistan – gesprochen . Wir unterstüt-
zen, dass sich das Afghanistan-Mandat an der dortigen
Wirklichkeit orientiert und dass nicht künstlich gesetzte
Abzugstermine in die Welt gesetzt werden . Die führen
im Übrigen auch dazu, dass die Taliban die Geschichte
erzählen können, dass sie die fremden Soldaten aus dem
Land getrieben hätten . Dies hätte tiefgreifende Wirkun-
gen auf die afghanische Gesellschaft .

Wir wissen gleichzeitig: Soldaten können in Afgha-
nistan stabilisieren . Sie können aber aus Afghanistan
nicht ein wirklich besseres Land machen . Das wird nur
gelingen, wenn in solchen Ländern die Gesellschaften
zusammenfinden und die Regierungen wieder das Ver-
trauen ihrer eigenen Bürger bekommen . All dies ist in Af-
ghanistan derzeit nicht gegeben . Ich will damit deutlich
machen: Wenn es in solchen Ländern schwierig ist, dann
scheitern nicht die Soldaten, die man dort hinschickt,
sondern es scheitern exakt dieser zivile, politische und
diplomatische Prozess und letztendlich auch die Zivilge-
sellschaft in diesen Staaten .

Christine Buchholz






(A) (C)



(B) (D)


Die Debatte über die deutsche Verantwortung in der
Welt, die vor zwei Jahren begonnen hat, ist angesichts
der Ereignisse in den letzten Wochen endgültig abge-
schlossen . Es ist sichtbar, welche Rolle Deutschland in
der Welt spielt und welche Verantwortung es hat, insbe-
sondere durch die Aktivitäten des Außenministers . Die
Bürger – das zeigen neue Umfragen – sehen mit einer
durchaus deutlichen Mehrheit, dass die Risiken der Welt
von uns erfordern, dass wir eine leistungsfähige Bundes-
wehr haben und dass wir sie nach sorgfältigen parlamen-
tarischen Debatten notfalls auch einsetzen müssen .

Es ist trotzdem etwas neu: Natürlich ist die Aktivie-
rung der Beistandspflicht gemäß Artikel 42 Absatz 7
EUV eine neue Ebene, mit der wir uns gegenwärtig
auseinandersetzen, übrigens auch eine Chance für eine
vertiefte europäische Gemeinsame Sicherheits- und Ver-
teidigungspolitik . Ich wünsche mir auch für Frankreich
eines Tages ein Weißbuch, in dem es ähnlich wie in un-
serem heißt: Frankreich wird nur noch gemeinsam mit
den Partnern die Risiken der Welt bekämpfen . – Dann
wird es nicht mehr den nationalstaatlichen Ansprüchen
den Vorrang geben können . Darin liegen deshalb wirk-
lich Chancen, wenn wir dies jetzt gut machen .

Gut machen heißt auch, in Mali mehr Verantwortung
zu übernehmen . Wer das Gewaltmonopol der Vereinten
Nationen ernst nimmt und stärken will und wer die ver-
tiefte europäische Verteidigungspolitik will, der muss
jetzt in Mali mehr tun, insbesondere auch, um unseren
engen niederländischen Partnern ein Stück weit Unter-
stützung zu geben .


(Beifall bei der SPD)


Lassen Sie mich auch über die schwierige Aufgabe in
Syrien reden . Die Entwicklung in den letzten Jahren hat
uns alle ein bisschen ratlos gemacht . Trotzdem freuen
wir uns, dass es jetzt mit den Gesprächen in Wien einen
Hoffnungsschimmer gibt, auch wenn es aktuell wieder
Rückschläge gibt . Wir wissen eigentlich – und ich möch-
te nicht müde werden, darauf zu hoffen –: Eigentlich
muss jeder, Russland wie die USA, die Ukraine und wir
in Europa, kapieren, dass die Risiken und Bedrohungen,
vor denen wir stehen, derzeit so groß sind, dass wir uns
eigentlich den Konflikt zwischen Russland und uns über-
haupt nicht leisten können . Wir sind aufeinander ange-
wiesen . Deshalb werden wir nicht müde, uns zu bemü-
hen, diplomatisch voranzukommen .

Die Kanzlerin wird heute Abend mit dem französi-
schen Staatspräsidenten auch über Syrien reden . Ich weiß
nicht, was dabei herauskommt; als Verteidigungspoliti-
ker habe ich aber ein paar Anmerkungen .

Erstens . Wir wissen, dass Solidarität mehr ist als wär-
mende Worte und dass den Worten auch Taten folgen
müssen .

Zweitens . Wir werden als Verteidigungspolitiker
immer ganz genau darauf achten, ob das, was man ge-
meinsam angeht, in diesem Bereich auch tatsächlich mi-
litärisch sinnvoll ist und ob es gerade dann, wenn Luft-
waffe eingesetzt wird, auch unter einer einheitlichen und
verantwortungsvollen Führung organisiert werden kann .
Das sind alles Grundvoraussetzungen .

Drittens. Wir sagen immer reflexhaft: Man kann die
Probleme nicht aus der Luft bzw . durch einen Luftkampf
überwinden . Ich weiß nicht, ob das stimmt . Man kann
aus der Luft Terroristen verjagen, und man konnte auch
schon Regimes stürzen . Das ist mit heutiger Technik
machbar . Nicht machbar ist aber – das haben wir ge-
lernt –, dass man anschließend von außen kommend eine
Gesellschaft aufbauen und stabilisieren kann . Dies ist nur
möglich, wenn die Staatsbürger in diesen Ländern das
sehr viel stärker selbst in die Hand nehmen . Wir können
beraten und zivile Aufbauhilfe leisten, nicht mehr, aber
auch nicht weniger .

In der heutigen Debatte wurde angesichts der Bedro-
hung auch wieder einmal über das Thema „Äußere und
innere Sicherheit“ geredet .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Was sagt eigentlich die SPD dazu?)


Dabei schaue ich den Kollegen Henning Otte an . Es ist
wohl wahr: Die Trennschärfe zwischen den Risiken be-
zogen auf die äußere und innere Sicherheit ist bereits
seit 9/11 nicht mehr gegeben . Die Täter von Paris waren
in Syrien und haben Informationen und vielleicht auch
Geld aus Syrien und vom IS erhalten . Aber die Antwort
darauf muss nicht zwangsläufig auch verschränkt sein.
Wir sind doch mit unserer historisch gewachsenen Si-
cherheitsarchitektur gut gefahren, nachdem wir nach
Artikel 35 Grundgesetz eine Bundeswehr haben, die
helfen kann . Aber wir wollen keine Grauzone in diesem
Bereich. Ich finde, dass die Ministerin vor einigen Tagen
das völlig Richtige dazu gesagt hat .


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Wir sind uns darüber im Klaren, dass Anschläge bei
uns nicht durch ein paar Soldaten mit Maschinenpistolen
in der Hand auf der Straße verhindert werden können,
sondern nur durch gute und mehr Polizei – da sind wir
auf dem Weg -


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


sowie durch Geheim- und Nachrichtendienste, die sich
nicht um alles Mögliche, sondern um das wirklich wich-
tige Geschäft kümmern . Das wirklich wichtige Geschäft
betrifft ganz eindeutig die Sicherheit der Bürgerinnen
und Bürger in Deutschland .

Wenn wir über die Bundeswehr und den Etat reden,
müssen wir mit Blick auf die Überwindung der Krisen
zuerst über Ideologie sprechen . Ich glaube, wir brauchen
eine verstärkte ideologische Auseinandersetzung mit
fundamental-islamistischen Ideen . Im Innern gibt es ge-
rade viele Diskussionen und keine einfachen Antworten .
Aber ich bekenne mich ausdrücklich dazu, dass es immer
besser ist, mit einem Staat zu reden, selbst wenn er ein
schwieriger Partner ist . Deshalb bin ich sehr dafür, dass
wir auf diplomatischer Ebene mit den entsprechenden
Staaten reden . Wenn wir aber sehen, dass Staaten, die den
IS bekämpfen, in ihren Gesellschaften gleichzeitig viele
Ideen und Rechtsauffassungen des IS verbreiten und sei-
ner Vorgehensweise nacheifern sowie übelste Menschen-

Rainer Arnold






(A) (C)



(B) (D)


rechtsverletzungen begehen, dann muss Klarheit in der
ideologischen Auseinandersetzung zu jeder Zeit und an
jedem Ort – auch im Parlament – herrschen . Auch dar-
um muss in den nächsten Jahren gerungen werden . Es
geht darum, dass bestimmte Ideen nicht in die verwirrten
Köpfe junger Menschen gelangen .

Damit das alles gelingt, brauchen wir schließlich eine
Bundeswehr, die gut ausgestattet und leistungsfähig ist .
Die Bundeswehr zeigt ihre Leistungsfähigkeit im Aus-
land auf hervorragende Weise . Sie ist anerkannt . Das hat
nicht nur etwas mit ihren militärischen Fähigkeiten zu
tun, sondern auch mit der Art und Weise, wie die Solda-
ten im Ausland auftreten; das ist ganz wichtig . Deshalb
bedanke ich mich besonders bei den mehr als 8 000 Sol-
daten, die bei der Versorgung der Menschen, die nun bei
uns Schutz suchen, mithelfen . Das ist eine großartige
Leistung .

Wir dürfen nicht vergessen: Wir leisten dies alles mit
einer Bundeswehr, die auf 170 000 Zeit- und Berufs-
soldaten zurückgeführt wurde . Das heißt, real sind nur
140 000 verfügbar . Dies müssen wir bei neuen Aufga-
benstellungen beachten . Die Ministerin hat viel getan .
Weniger Soldaten brauchen nicht weniger und schlech-
tere Ausstattung . Weniger Soldaten brauchen vielmehr
eine bessere Ausstattung und insbesondere eine höhere
Verlegefähigkeit . Die Veränderungen, die Sie bei den
Rüstungsprozessen vorgenommen haben, sind wirklich
gut und werden nachhaltig Wirkung zeigen .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813911400


Herr Kollege, ich weiß nicht, ob Sie die Uhr mit Ihrem
Redemanuskript verdeckt haben . Aber Ihre Redezeit ist
schon länger vorbei .


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1813911500


Herr Präsident, ich komme zum Ende . – Ich sage
nur noch einen Gedanken . Knappheit macht auch klug;
darauf hoffen wir in den nächsten Jahren . Wenn wir
100 Prozent Befüllung erreichen wollen, also das Gerät,
das wir eigentlich brauchen, tatsächlich haben wollen –
das ist keine Aufrüstung, Kollegen von den Grünen –,
dann werden wir feststellen, dass das ziemlich viel Geld
kostet . Dann werden wir in Europa eine Debatte über
Priorisierung und Arbeitsteilung führen müssen . Ich bin
ziemlich sicher, dass das die nächste Stufe einer Reform
sein wird, die aber nicht alles neu macht und nicht alles
über den Haufen wirft . Frau Ministerin, dabei haben Sie
unsere Unterstützung .

Aber entscheidend bleibt am Ende, dass Soldaten je-
den Tag, wenn sie aus der Kaserne gehen, zufrieden mit
ihrem Beruf sind –


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813911600


Kann es sein, dass Sie meine Zwischenbemerkung
vergessen haben?


(Heiterkeit)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1813911700

– es tut mir leid, Herr Präsident, ich bin sofort fertig –
und ihren Familien und Freunden sagen: Es ist ein gu-
ter, ein interessanter und ein staatsbürgerlich wichtiger
Beruf . Ich kann dir, junger Mann oder junge Frau, nur
empfehlen, ebenfalls diesen Beruf zu wählen .

Das ist die richtige Antwort auf die Debatte über die
Attraktivität der Bundeswehr . Solche Soldaten brauchen
wir . Dazu hat diese Koalition wichtige Weichen gestellt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813911800

Die Koalition hat eine Masse Redezeit; auch Sie

hatten eine Menge . Daher wäre es schon gut, wenn die
Gedanken, die man loswerden will, innerhalb dieser aus-
reichenden Redezeit auch untergebracht würden . Man-
che Redner haben die Neigung, das ganz Wichtige erst
zu sagen, wenn die Uhr bereits abgelaufen ist . Es wäre
doch fair und nett im Umgang untereinander, wenn wir
auf die Einhaltung der Redezeit achten würden . – Herr
Gädechens macht es jetzt einfach besser .


(Heiterkeit)


Ich gebe Ihnen das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingo Gädechens (CDU):
Rede ID: ID1813911900

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Finale Beratungen eines Haushaltsplanes für das
kommende Jahr, Einzelplan 14 – der Verteidigungsaus-
schuss ist immer ein besonderer Ausschuss . In der bis-
herigen, sehr sachlichen Debatte ist vielleicht zu kurz
gekommen, wie viel Mühsal, wie viel Arbeit im Vorfeld
steckt . Das betrifft nicht nur die Fachpolitiker im Vertei-
digungsausschuss .

Mein Dank geht auch an die Haushälter, nicht nur an
die Berichterstatter der Koalition, Bartholomäus Kalb
und Karin Evers-Meyer, sondern auch an Tobias Lindner
und Michael Leutert . Da meine Vorredner auf die Berei-
nigungssitzung des Haushaltsausschusses eingegangen
sind, freue ich mich besonders, dass Eckhardt Rehberg
der Beratung dieses wichtigen Einzelplans beiwohnt .
Ihnen allen einen herzlichen Dank für Ihre Mühe, dass
wir einen sanften Aufwuchs in diesem Einzelplan haben
erreichen können .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Viele hier im Saal erinnern sich an Auseinanderset-
zungen über die Frage, wo und wie viel wir noch einspa-
ren können und dürfen . Aber vor dem Hintergrund einer
Vielzahl von Krisen und wachsender kriegerischer und
vor allem terroristischer Bedrohungen müssen wir uns
von der Spardebatte endgültig verabschieden, und das
haben wir auch getan .

Heute geht es um ein Mehr, nicht nur um ein Mehr an
Aufgaben, sondern auch um ein Besserwerden hinsicht-
lich der Instandsetzung, um ein Schnellerwerden bei der

Rainer Arnold






(A) (C)



(B) (D)


Auslieferung und ein Effektiverwerden bei der Ausbil-
dung . Es geht darum, unsere Streitkräfte in die Lage zu
versetzen, die hier in diesem Haus beschlossenen Man-
date und Einsätze, soweit es geht, geschützt und schadlos
zu bewältigen . Es geht darum, unsere Soldatinnen und
Soldaten mit dem bestmöglichen Material auszustatten .
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist kein Selbst-
zweck, sondern das sind wir den Kräften, den Män-
nern und Frauen, die unser Land im Bündnis schützen,
schlicht und einfach schuldig .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie bereits erwähnt, verzeichnen wir einen sanften
Aufwuchs beim Verteidigungsetat . Dieser ist aufgrund
einer spürbar instabileren Sicherheitslage auch mehr als
gerechtfertigt . Das mag dem einen oder anderen hier im
Hause nicht gefallen . Wer sich allerdings der Realität
stellt, wird dieser soliden Haushaltsplanung folgen . Ich
vermute nicht nur, sondern ich prognostiziere, dass der
Mittelansatz in den kommenden Jahren erheblich gestei-
gert werden muss, damit wir all das, was jetzt im Rahmen
von Militär- und Materialhilfen, im Rahmen von Seenot-
rettung und vor allem im Rahmen der Amtshilfe bei der
Bewältigung der Flüchtlingsunterbringung anfällt, finan-
zieren können .

Nicht erst seit den Anschlägen in Paris wissen wir,
dass unsere Sicherheit tagtäglich durch fehlgeleitete Fa-
natiker und ihren Terror bedroht ist . Dieser Gefährdung
unserer aller Sicherheit müssen wir entschlossen entge-
gentreten, nicht durch wohlfeile Worte, sondern durch
Taten und einen auskömmlichen Finanzrahmen . Wir set-
zen heute hier im Bundestag ein Zeichen und dokumen-
tieren, wie viel uns unsere innere und äußere Sicherheit
wert ist . Wir müssen – das stimmt – zweifellos sehr viel
Geld in die Hand nehmen, um diejenigen Organe zu stär-
ken, die diese Sicherheit schützen . Dazu gehört die Po-
lizei, dazu gehört der Verfassungsschutz, dazu gehören
die Nachrichtendienste und selbstverständlich – darüber
reden wir jetzt – unsere Bundeswehr .

Nun wurde in dieser Debatte thematisiert, ob die Bun-
deswehr im Gefahrenfall auch im Innern eingesetzt wer-
den kann und soll . Ich weiß – das merkte man eben auch
an den Reaktionen –, dass diese Diskussion von manchem
hier im Hause als überflüssig abgetan wird. Ich weiß aber
auch – auch wenn die Ministerin vor wenigen Tagen zu
diesem Thema etwas sehr Richtiges gesagt hat –, dass
uns das nicht daran hindern darf, den Blick nach vorne
zu richten und mit neuen Erkenntnissen auch zu neu-
en Beschlüssen zu kommen . Ich weiß, dass die CDU/
CSU-Fraktion hier eine pragmatische Meinung vertritt .
Angesichts der aktuellen Bedrohungslagen möchte ich
alle Skeptiker auffordern, erneut über die Möglichkeit
eines begrenzten Einsatzes der Bundeswehr im Innern
nachzudenken .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rainer Arnold [SPD]: Was heißt „begrenzt“? Was heißt „Einsatz“? – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Was heißt denn das? – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir schon getan!)


– Dann überlegen Sie noch einmal . Vielleicht kommen
Sie dann ja zu besseren Erkenntnissen .

Jedenfalls lassen das barbarische Vorgehen der
IS-Kämpfer und die aktuelle latente Terrorgefahr, auch
hier in Deutschland, die wir nicht verkennen sollten,


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Die können Sie nicht zum Vorwand für alles nehmen!)


aus meiner Sicht keinen Raum für ideologische Schein-
debatten .


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Ideologie heißt Grundgesetz!)


– Ja .

Viele hier im Saal wissen, auch ich, dass die Bundes-
wehr zusätzliche Aufgaben nur noch schwer verkraften
kann und dass sie für gewisse Aufgaben im Innern auch
nur begrenzt einsetzbar wäre . Aber anlässlich der heu-
tigen Beratung zum Verteidigungsetat halte ich es für
durchaus geboten, diese Frage erneut auf die Tagesord-
nung zu setzen .

Nur damit wir uns richtig verstehen: Ich halte es für
abwegig, dass Soldaten der Bundeswehr künftig klas-
sische Polizeiaufgaben übernehmen . Dafür sind unsere
Soldaten nicht speziell ausgebildet und nicht anlassbe-
zogen ausgerüstet . Der Schutz der inneren Sicherheit
muss auch weiterhin von unserer Polizei wahrgenommen
werden; aber unsere Soldaten der Bundeswehr können
meines Erachtens durchaus begrenzt und in einem klar
definierten Einsatzszenario zur Unterstützung eingesetzt
werden . Was spricht dagegen, dass zum Schutz unserer
Werte, unserer Demokratie und zur Sicherung unserer
Art, in Freiheit zu leben, alle – alle – verfügbaren Sicher-
heitskräfte Hand in Hand arbeiten, wenn die Situation es
erfordert?

Meine Damen und Herren, solange die Bundespolizei
und die Polizeien der Länder das alles allein bewältigen
können, ist das kein Thema . Aber wie schnell Leistungs-
grenzen erreicht werden, zeigen uns aktuelle Großla-
gen und die erhöhte Alarmbereitschaft in einer länger
anhaltenden terroristischen Bedrohung . Als „helfende
Hände“ wären unsere Soldatinnen und Soldaten in einer
ernsten Bedrohung sicherlich eine wertvolle Hilfe . Ich
benutze den Begriff „helfende Hände“ bewusst . Denn
mir ist vollkommen unverständlich, warum es der Bun-
deswehr im Rahmen einer Amtshilfe gestattet ist, Zelte
aufzubauen, Essen für Flüchtlinge auszugeben und deren
medizinische Betreuung zu übernehmen, der bewaffnete
Einsatz zum Schutz unserer Bevölkerung im Innern aber
ausgeschlossen sein soll .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das hat historische Gründe, Herr Kollege! Zeitgeschichte!)


Das verstehe ich nicht wirklich . Auch historische Hinter-
gründe müssen irgendwann einmal neu bewertet werden .


(Karin Evers-Meyer [SPD]: Da gibt es doch ein paar historische Gründe!)


Ingo Gädechens






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, unsere Bürgerinnen und
Bürger beschäftigen sich in zunehmendem Maße mit der
Frage nach ihrer eigenen Sicherheit . Dies spüre ich bei
vielen Podiumsdiskussionen, an denen ich in den ver-
gangenen Tagen und Wochen teilgenommen habe . Die
breite Bevölkerungsmehrheit weiß, dass Sicherheit auch
Geld kostet . Die breite Bevölkerungsmehrheit weiß – die
Ministerin sprach von 51 Prozent –, dass die Erhöhung
der Verteidigungsausgaben angesichts der zunehmenden
Krisen notwendig und richtig ist .

Wie bereits mehrfach dargestellt, ist der Verteidi-
gungsetat ein besonderer . Denn wir entscheiden nicht nur
darüber, wie viel uns unsere Sicherheit, sondern auch da-
rüber, wie viel uns der Dienst der Soldatinnen und Sol-
daten wert ist . Deshalb haben wir einen ganzen Strauß an
finanziellen Verbesserungen im Besoldungsänderungs-
gesetz festgelegt, welche nicht nur unseren Soldaten,
sondern auch den zivilen Kräften in der Bundeswehr
guttun . Viele haben schon gar nicht mehr geglaubt, dass
derartige Leistungsverbesserungen möglich sind .

Wir, die Mitglieder der Großen Koalition, danken also
den Soldatinnen und Soldaten nicht nur in unseren Re-
den, sondern wir tun auch etwas für sie . In diesem Sinn
wünsche ich den Angehörigen der Bundeswehr, egal ob
in Uniform oder Zivil, weiterhin viel Kraft, Mut und Zu-
versicht bei der Erfüllung ihrer oftmals schweren und ge-
fährlichen Aufgabe .

Herr Präsident, da ich noch 30 Sekunden Redezeit
habe, stelle ich fest: Ich habe Ihren Auftrag nicht nur ver-
standen, sondern ihn auch ausgeführt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813912000

Das war auch die Erwartung des Hauses, lieber Herr

Kollege .

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Gabi Weber, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gabi Weber (SPD):
Rede ID: ID1813912100

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen

und Kolleginnen! Zu dem Diskussionsbeitrag vom Kol-
legen Gädechens komme ich gleich noch; ich will den
Aufbau meiner Rede nicht über den Haufen werfen . Aber
Sie können sich darauf verlassen: Es kommt eine Erwi-
derung .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist lieb!)


Wir haben in den letzten Monaten erlebt: Deutschland
hilft . Wir konnten Zeuge werden, dass die Menschen in
unserem Land ein gutes Gespür dafür haben, wenn an-
dere unsere Hilfe brauchen . Viele engagieren sich in der
Arbeit für Geflüchtete. Ich möchte an dieser Stelle den
Bundeswehrangehörigen, aber auch den anderen Men-
schen, allen, die in zivilen Organisationen, beim DRK,

beim THW, bei der Caritas, bei der Diakonie, aber auch
in vielen frei organisierten Gruppen, unterwegs sind,
Flüchtlingshilfe zu leisten, meinen großen Dank ausspre-
chen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Und trotzdem: Wir könnten hier noch besser werden .
Frau Ministerin, Sie haben einen Tagesbefehl zur Pra-
xis der Freistellung von Bundeswehrangehörigen zur
Unterstützung des BAMF und der Kommunen vor Ort
ausgegeben . Das wird zurzeit allerdings relativ bürokra-
tisch angepackt, und das führt dazu, dass Verantwortung
hin und her geschoben wird und diejenigen Soldatinnen
und Soldaten, die das gern machen wollen, keine richtige
Antwort bekommen . An dieser Stelle kann das noch ein
Stück weit entbürokratisiert werden, besser und schneller
gemacht werden, um die mögliche Unterstützung noch
zielgerichteter und schneller an Mann und Frau zu be-
kommen . Ich habe die herzliche Bitte, noch mal genau
darauf zu gucken .

Wir als sozialdemokratische Verteidigungspolitiker
haben zur Stärkung der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit
bei der Bundeswehr ergänzend ein Positionspapier ent-
worfen . Ich empfehle Ihnen, sich das einmal zu Gemü-
te zu führen . Wichtig ist an dieser Stelle das Stichwort
„Attraktivität der Bundeswehr“ . Warum an dieser Stelle?
Weil der aktuelle Leitspruch bei der Werbeoffensive der
Bundeswehr lautet: „Mach, was wirklich zählt .“ Sehr ge-
ehrte Frau Ministerin, helfen Sie unseren Bundeswehran-
gehörigen, sich unbürokratisch zu engagieren . Dies zählt
dann an dieser Stelle .


(Beifall bei der SPD)


Jetzt zu dem ganzen Komplex: Was tut eigentlich die
Bundeswehr, und wie ist es mit dem Bundeswehreinsatz
im Innern? Nur zur Erinnerung: Im Moment macht die
Bundeswehr im Rahmen der Hilfe für Geflüchtete viele
Dinge, zum Beispiel sind zu nennen: vorzeitige Rück-
und Teilrückgabe nicht mehr benötigter Liegenschaften,
temporäre Mitbenutzung von Liegenschaften – in sehr
vielen Kasernen läuft das zurzeit –, weitere Unterstüt-
zungsleistungen wie Zelte, sanitätsdienstliche Versor-
gung, Personentransporte, organisatorische Unterstüt-
zung durch helfende Hände; damit sind zurzeit bis zu
4 000 Bundeswehrangehörige beschäftigt .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Bis 8 000 sind es mittlerweile!)


Darüber hinaus ist die Abstellung von 950 Angehörigen
des Ministeriums direkt zum BAMF zu nennen . Da kann
man doch feststellen, dass die Bundeswehr einen wichti-
gen Beitrag im Innern leistet, um das zu bewältigen, was
zu tun ist .

Was sollte denn darüber hinaus die Bundeswehr im
Innern jetzt noch machen? Für mich ist das ganz klar . Ich
verwahre mich entschieden gegen den Versuch, den Ein-

Ingo Gädechens






(A) (C)



(B) (D)


satz der Bundeswehr im Innern herbeizureden . Warum
wird das eigentlich getan? Für was eigentlich?


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jenseits der skizzierten Amtshilfe und des nationalen
Notstands ist das einfach nicht angezeigt . Wir haben für
die Fragen der inneren Sicherheit eine grundgesetzlich
garantierte Trennung der Aufgaben von Militär und Po-
lizei . Ausnahmen sind die Katastrophenhilfe und der in-
nere Notstand .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nehmen wir die Terrorgefahr noch dazu, dann ist das komplett!)


Beides ist zurzeit nicht angezeigt .


(Beifall bei der SPD)


Wenn die Kapazitäten der Polizei nicht ausreichen, ist
die Bundeswehr nicht einfach Reservepolizei, die man
zur Unterstützung heranziehen kann . Hier muss man klar
feststellen: Es gilt an dieser Stelle das Grundgesetz, das
genau diesen Einsatz verbietet .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben viele große Rüstungsbeschaffungsprojekte .
Wir dürfen dabei aber die kleinen nicht vergessen . Wir
kennen den alten Spruch: Kleinvieh macht auch Mist .
Nur haben wir die Situation, dass der Mittelabfluss bei
den kleinen Projekten durchaus beschleunigungsfähig
wäre . An dieser Stelle wäre es durchaus möglich, ver-
nünftige Beschaffungen für die Sicherheit unserer Sol-
datinnen und Soldaten zu tätigen und es gleichzeitig hin-
zubekommen, dass kleine und mittlere Unternehmen, die
wir bei uns haben wollen, Sicherheit bei ihrer Planung
und gute Voraussetzungen haben, um weiterhin bei uns
zu produzieren . Hier der Appell an Sie, Frau Ministerin,
die personellen Voraussetzungen bei den Dienststellen
zu schaffen, um die Verfahren wirklich beschleunigen zu
können .

Sie haben meinen großen Respekt für Ihre Entschei-
dung, Frau Suder seinerzeit zu uns geholt zu haben . Ich
sage ganz bewusst „zu uns“; denn Frau Suder ist einfach
diejenige, die mit Ihnen gemeinsam viele Prozesse zur-
zeit energisch vorantreibt . Mit Frau Suder bin ich, gerade
was die mittelständischen Unternehmen angeht, in regem
Austausch . Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns insge-
samt an dieser Stelle noch einmal ins Gedächtnis rufen,
dass wir eine Mittelstandsbeauftragte brauchen, um den
Finger wieder genauer auf diesen Punkt zu legen . Wir
dürfen uns nicht nur auf die großen Dinge konzentrieren
und dürfen die kleinen – auch Kleinvieh macht Mist –
nicht hinten herunterfallen lassen . Daher mein Appell;
ich denke, eine Mittelstandsbeauftragte wäre an dieser
Stelle wirklich gut .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Kann es auch ein Beauftragter sein?)


Mir läuft die Zeit weg . – Eines will ich trotzdem noch
sagen: Das Weißbuch 2016 ist heute noch nicht erwähnt
worden . Der diskutierte Punkt wird eine große Rolle da-

bei spielen, was von diesem Weißbuch erwartet wird .
Es sollte das letzte seiner Art sein; denn wir brauchen
eigentlich eine Friedens- und sicherheitspolitische Stra-
tegie für ganz Deutschland . Der Koalitionsvertrag lie-
fert an dieser Stelle viele und sehr gute Grundbausteine .
Volker Kauder hat heute Vormittag bereits betont, wie
wichtig für uns Koalitionäre dieser Koalitionsvertrag ist .
Er könnte an dieser Stelle viel stärker genutzt werden .
Das würde vieles verkürzen .


(Beifall bei der SPD)


Meine letzten Worte


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: An dieser Stelle! – Heiterkeit)


sind an dieser Stelle wie immer . Ich bin Entwicklungs-
politikerin . Mein Appell geht noch einmal dahin, lang-
fristig zu denken, wenn es um die Bekämpfung von
Fluchtursachen geht, und nicht immer dieses kurzfristige
Denken zu haben: Wir machen jetzt Fluchtursachenbe-
kämpfung, indem wir in den Flüchtlingslagern etwas tun,
indem wir den Ländern um Syrien und den Irak herum
Unterstützung anbieten . Ein absolut notwendiger Teil der
Fluchtursachenbekämpfung ist eine stetige Erhöhung der
ODA-Quote . Dafür plädiere ich an dieser Stelle noch ein-
mal ausdrücklich .


(Beifall bei der SPD)


Ich bitte aber auch darum – jetzt ist Herr Spahn leider
nicht da –, dem Herrn Finanzminister auszurichten oder
nahezubringen, die Finanztransaktionsteuer nicht zu ver-
gessen . Auch das Geld brauchen wir dringend für Ent-
wicklungszusammenarbeit und Fluchtursachenbekämp-
fung .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie brauchen Finanzminister Schäuble keinen Nachhilfeunterricht zu geben!)


In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit .
Sie merken, ich bin sehr dafür, diesen Verteidigungshaus-
halt zu beschließen, und freue mich über Ihre Zustim-
mung .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Ingo Gädechens [CDU/CSU])



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813912200

Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich das

Wort dem Abgeordneten Florian Hahn, CDU/CSU-Frak-
tion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1813912300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Außen- und Sicherheitspolitik und die au-
ßen- und sicherheitspolitische Lage in den letzten zwei
Jahren haben sich dramatisch verändert . Wir erleben
nicht nur die Gleichzeitigkeit von verschiedenen Kon-
flikten, sondern müssen auch auf Konflikte reagieren, die
in ihrer Erscheinungsform nicht unterschiedlicher sein
können .

Gabi Weber






(A) (C)



(B) (D)


Die Ukraine-Krise und das neu zu definierende Ver-
hältnis zu Russland stehen beispielhaft für eine Bedro-
hung, die wir aus vergangenen Tagen kennen . Deshalb ist
Bündnisverteidigung heute erneut unser Kerngeschäft,
ohne dass wir Out-of-Area-Einsätze vernachlässigen
könnten . Diese Einsätze sind auch wichtig . Sie sind über-
lebenswichtig .

Lieber Kollege Leutert, ich kann nur sagen: Wenn
Sie fordern, dass wir die Unterstützung beispielsweise
der Peschmerga-Kurden im Nordirak einstellen sollen,
dann frage ich Sie: Was ist die Alternative? Wollen Sie
die Kurden in diesem Gebiet einfach dem IS überlassen,
oder haben Sie wirklich die naive Vorstellung, dass Sie in
einer Art Stuhlkreis mit dem IS verhandeln können, dass
sich dort ein friedliches Miteinander einstellt? Das kön-
nen Sie vergessen . Das ist naiv . Deswegen ist es wichtig,
dass wir in solchen Einsätzen sind wie beispielsweise bei
der Ausbildungsmission im Nordirak .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, neben dem
Erstarken der Mörderbanden des „Islamischen Staats“
sehen wir auch die Erosion von Staatlichkeit im Nahen
Osten und in Nordafrika . Mit den Anschlägen von Pa-
ris, kaum zwei Wochen her, ist der Terror aus Syrien und
aus dem Irak ganz massiv mitten in Europa gelandet .
Das fordert unser bisheriges europäisches Sicherheits-
verständnis neu heraus . Die Details des europäischen
Beistands nach Artikel 42 des EU-Vertrags stehen noch
nicht fest . Sicher ist allerdings, dass Solidarität für uns
auch Verantwortung heißt . Es wird nicht reichen, dass
wir uns die französische Trikolore umhängen und für un-
sere französischen Freunde, für die Opfer und ihre Fami-
lien beten . Wir müssen damit rechnen, dass auch auf die
Bundeswehr weitere Aufgaben zukommen, und sei es,
um unsere französischen Freunde in Afrika zu entlasten .

Diese neuen Herausforderungen bedeuten in der Kon-
sequenz auch eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben .
Ganz sachlich brachte NATO-Generalsekretär Jens Stol-
tenberg das auf den Punkt: Unsere Freiheit kommt nicht
umsonst . Wir müssen in unsere Sicherheit investieren . –
Wir müssen also auf das sich verändernde Lagebild re-
agieren, und angesichts der aktuellen Bedrohungsszena-
rien war für uns die Erhöhung des Wehretats nicht mehr
nur geboten, sie war eine Notwendigkeit . Bereits auf dem
CSU-Parteitag 2014 hat die CSU gefordert, dass eine
Erhöhung des Verteidigungsetats kein Tabu mehr sein
dürfe . Es war unsere frühe Forderung, dass wir uns ganz
klar von der Mangelwirtschaft und der Unterfinanzierung
verabschieden


(Rainer Arnold [SPD]: Das hat euer Minister aber auch nicht gemacht!)


und uns für eine Investitionswende entscheiden .

Die erfolgreiche Erhöhung der Verteidigungsausga-
ben in der mittelfristigen Finanzplanung um 8 Milliarden
Euro bis 2019, aber auch die eingeleitete Diskussion über
die Leistungsfähigkeit der Streitkräfte sind erste Schritte
in die richtige Richtung . Das ist sozusagen der Pfad der
Modernisierung, den Sie, Frau Ministerin, angesprochen
haben . Ich darf mich an der Stelle auch für Ihre tatkräfti-

ge und erfolgreiche Arbeit bedanken und dafür, dass Sie
diesen Modernisierungsprozess tatsächlich angegangen
sind .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin auch der Meinung, lieber Herr Lindner – ich
verstehe ja, dass Sie kritisieren müssen –, dass Sie schon
feststellen müssten, dass wir gerade im Bereich des Be-
schaffungswesens, beispielsweise mit der neuen Trans-
parenz, die gerade auch dem Parlament gegenüber an den
Tag gelegt wird, doch ganz neue Entwicklungen haben,
die wir alle sehr begrüßen .


(Abg . Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813912400

Herr Kollege?


Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1813912500

Im Moment nicht, danke . – Schauen Sie sich beispiels-

weise das Thema Mittelabfluss an – Sie haben es selbst
beschrieben –: Während wir vor zwei Jahren noch über
1 Milliarde Euro nicht abgeflossener Mittel hatten, waren
es letztes Jahr schon weniger, und dieses Jahr werden es
noch weniger sein . Auch hier sind wir also auf dem rich-
tigen Weg . Dafür wollen wir auch weiterhin zusammen
mit Ihnen, Frau von der Leyen, kämpfen .

Trotzdem bleiben natürlich auch Engpässe . Eine Voll-
ausstattung der Armee lässt sich nicht von heute auf mor-
gen erwirken . Auch gefährden Kürzungen im Bereich
von Forschung und Technologie den Erhalt von techno-
logischen Fähigkeiten und unserer technologischen Un-
abhängigkeit . Hier müssen wir aufpassen .

In diese unruhigen sicherheitspolitischen Zeiten fällt
auch die Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie . Ab
dem 1 . Januar 2016 wird die 41-Stunden-Woche im
Grundbetrieb gelten . Erstmals führen wir damit eine
moderne Dienstzeitverordnung bei der Bundeswehr ein .
Die Regelung ist ein klares Zeichen an die Truppe: Im
Dienstalltag des Grundbetriebs gelten für Soldatinnen
und Soldaten geregelte Arbeitszeiten wie für andere Ar-
beitnehmer auch . Trotzdem muss die Einsatzbereitschaft
der Truppe weiterhin im Vordergrund stehen . Die Bun-
deswehr erfüllt in zahlreichen internationalen Einsätzen
friedensschaffende und friedenswahrende Aufgaben .

Daneben übersteigt der Einsatz im Inneren längst alle
Dimensionen, die wir aus Katastrophenhilfen vergan-
gener Tage kennen . 2 700 bei Auslandseinsätzen ein-
gesetzten Soldatinnen und Soldaten stehen heute rund
7 600 Angehörige der Bundeswehr gegenüber, die bei der
Unterstützung der Flüchtlinge eingebunden sind . Sehr
geehrter Herr Leutert, Sie haben vorhin die Ministerin
aufgefordert, den Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu
unterlassen . Ich weiß gar nicht, wie das gehen soll . Ich
weiß gar nicht, wie Sie denn diese 7 600 Bundeswehrsol-
daten ersetzen wollen .


(Karin Binder [DIE LINKE]: Indem Sie die anderen Behörden und Einrichtungen bes Florian Hahn ser ausstatten! – Weiterer Zuruf des Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE])





(A) (C)


(B) (D)


Die Bundeswehr macht hier einen ganz wichtigen Job .
Darauf können wir nicht verzichten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Gabi Weber [SPD])


Unabhängig davon gilt auch in anderen Bereichen,
dass die komplexen Bedrohungen der Gegenwart nicht
mehr allein der inneren oder äußeren Sicherheit zuge-
rechnet werden können . Sie sind zunehmend voneinan-
der abhängig . Vor diesem Hintergrund stellen sich zwei
Fragen:

Zum einen: Die Sicherheit unserer Bürgerinnen und
Bürger sollte immer oberste Priorität haben . Viele Be-
drohungen finden heute an den Schnittstellen von innerer
und äußerer Sicherheit statt . Wir sollten daher über die
historisch gewachsene, aber aus meiner Sicht überlebte
strikte Trennung von Militär und anderen Sicherheitsor-
ganen nachdenken . Wir sollten den Einsatz der Bundes-
wehr im Inneren noch einmal in aller Ruhe prüfen . Es ist
nämlich schon paradox, dass die Verteilung von Essen
an Flüchtlinge erlaubt ist, der Schutz der Unterbringung
aber nicht . Ein abgestimmtes Zusammenwirken aller Si-
cherheitskräfte kann die richtige Antwort auf die neuen
Herausforderungen sein . Ein Grundmisstrauen gegen-
über dem Einsatz unserer Parlamentsarmee im Inneren
Deutschlands ist heute nicht mehr gerechtfertigt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn Sie noch andere Beispiele haben wollen, dann
überlegen Sie sich einmal folgendes Szenario: Eine Ost-
seefähre wird von Terroristen gekapert . Wer hat über-
haupt die Fähigkeiten, hier entsprechend einzugreifen,
um die Menschen auf einer solchen Fähre zu schützen?
Das hat nur die Bundeswehr . Jetzt können Sie sagen: In
der Logik müsste es so sein, dass wir die Bundespoli-
zei besser ausstatten, damit sie diese Fähigkeiten hat . –
Da kann ich nur sagen: Warum sollen wir hier doppelte
Strukturen aufbauen? Das ist Geldverschwendung . Hier
sollten die Sicherheitskräfte miteinander arbeiten kön-
nen . Das macht Sinn .


(Beifall bei der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Das eine ist doch Verbrechensbekämpfung und das andere nicht! Das ist ein kleiner Unterschied!)


Das Gleiche gilt im Übrigen auch für das Thema
ABC-Schutz . Sie sollten sich einmal genau anschauen,
wer welche Fähigkeiten hat und wer im Zweifel ge-
braucht wird .

Funktionalität und Einsatzbereitschaft werden immer
schwerer aufrechtzuerhalten sein . Die zunehmende Ein-
satzverpflichtung und die dafür notwendige Ausbildung
werden – gerade mit Blick auf die langfristig angelegte
Flüchtlingshilfe – mit dem jetzigen Personalstand schwer
zu bewältigen sein . Die neue EU-Arbeitszeitrichtlinie
wird weiteren Druck auf die Personalstruktur ausüben .

Die sicherheitspolitische Lage hat sich seit 2011, dem
Beginn der Neuausrichtung der Bundeswehr, maßgeb-
lich geändert . Es ist daher wichtig, dafür zu sorgen, dass

von den 185 000 Soldatinnen und Soldaten auch wirklich
185 000 einsatzfähig sind . Das erreichen wir im Moment
bei weitem nicht . Sollte das nicht ausreichen, dürfen wir
uns nicht davor scheuen, über eine flexible Personalober-
grenze nachzudenken .

Der Präsident gibt das entscheidende Signal . – Ich
werde meine Rede verkürzen und ende mit dem Einwurf
des verteidigungspolitischen Sprechers unserer Fraktion,
der vorhin gesagt hat: Gut, dass wir an der Regierung
sind . – Mit Blick auf den Haushalt und auf die Entwick-
lung bei der Bundeswehr kann ich das nur unterstreichen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813912600

Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention

Dr . Lindner, der vom Redner angesprochen wurde . – Bit-
te .


Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813912700

Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Kollege Hahn,

ich bin bei Ihrer Rede hellhörig geworden, als das Stich-
wort „CSU-Parteitag“ fiel. Damit meine ich nicht die
aktuelle Entwicklung vom Wochenende . Ich habe ver-
sucht, mir vorzustellen, wie es gewesen wäre, wenn Frau
von der Leyen damals zu Gast gewesen wäre . Sie haben
dann ausgeführt, dass der besagte CSU-Parteitag bereits
2014, wenn ich mich richtig erinnere, eine Erhöhung der
Verteidigungsausgaben gefordert hat . Sie haben dann ge-
meint, Sie verstehen mich in vielen Teilen . Aber der Be-
schaffungsbereich sei jetzt in vielem besser . Ich erinnere
mich an einen Verteidigungsminister, der einmal gesagt
hat, dass der größte strategische Parameter, dem sich die
Bundeswehr unterzuordnen habe, die Schuldenbremse
sei . Er hat eine Reform mit einem Einsparvolumen von
8,3 Milliarden Euro begonnen, an dem sein Nachfolger,
Herr de Maizière, festgehalten hat .

Können Sie mir sagen, in welcher Partei Karl-Theodor
zu Guttenberg Mitglied ist?


(Heiterkeit)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813912800

Er kann, aber er muss nicht . – Mögen Sie antworten,

Herr Hahn?


Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1813912900

Sehr geehrter Herr Kollege Lindner, Karl-Theodor zu

Guttenberg ist meines Wissens immer noch Mitglied der
CSU .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Hört! Hört!)


– Ich gehe auch davon aus .

Karl-Theodor zu Guttenberg hat im Übrigen 2010
nicht gesagt, dass er wegen des ausgeglichenen Haus-
haltes die Bundeswehr reformieren will; vielmehr schien
ihm die Bundeswehr insgesamt reformbedürftig . Ich
glaube, darin waren wir uns alle einig .

Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)


Die Situation 2015 mit der 2010, dem Beginn der
Diskussion um eine Bundeswehrreform, zu vergleichen,
hinkt . Sie sehen, dass sich die außen- und sicherheits-
politische Lage – ich habe das zu Beginn meiner Rede
gesagt – dramatisch geändert hat . Wir müssen unsere Po-
litik immer an die jeweilige Lage anpassen . Insofern gibt
es hier keinen Dissens .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813913000

Wir sind damit am Ende unserer Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 14 – Bundesministerium der Verteidigung – in der
Ausschussfassung . Wer stimmt für den Einzelplan 14 in
der Ausschussfassung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Dann ist der Einzelplan 14 mit den Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .12 auf:

Einzelplan 23

Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung

Drucksachen 18/6120, 18/6124

Berichterstatter sind die Abgeordneten Volkmar Klein,
Sonja Steffen, Michael Leutert und Anja Hajduk .

Zu dem Einzelplan 23 liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir am
Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat der
Abgeordnete Michael Leutert, Fraktion Die Linke, das
Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Michael Leutert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813913100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrter Herr Minister, Anfang September haben
Sie dem Parlament einen Entwurf Ihres Etats mit Aus-
gaben in Höhe von 7,4 Milliarden Euro übermittelt . Die-
ser Entwurf ist in einer Situation entstanden, in der uns
allen schon bekannt war, mit welchen Problemen wir zu
tun haben . Wir wussten, welche Zustände in Afghanistan
herrschen, wir wussten, dass es Bürgerkrieg im Irak, in
Syrien und in Libyen gibt, wir wussten um den IS, und
wir wussten um die vielen Flüchtlinge, die nach Europa
kommen .

Heute, im November, drei Monate später, nach den
Haushaltsverhandlungen, ist die Situation nicht viel bes-
ser . Die Situation hinsichtlich der Flüchtlinge ist – ganz
im Gegenteil – noch dramatischer geworden . Der Winter
steht vor der Tür . Wir haben Terroranschläge in Europa
und in Syrien zu verzeichnen . Wie wir gestern leider wie-

der im Zusammenhang mit dem Abschuss des russischen
Kampfflugzeuges gesehen haben, eskaliert die Situati-
on weiter . Nach den Haushaltsberatungen umfasst Ihr
Etat wiederum gut 7,4 Milliarden Euro – ein Minus von
17 Millionen Euro . Ganz im Gegenteil dazu wurde in den
Verhandlungen über den Etat des Auswärtigen Amtes ein
Aufwuchs von 400 Millionen Euro erreicht . Beim BMZ
sind es, wie gesagt, 17 Millionen Euro weniger gewor-
den . Ich frage mich, was da in den Haushaltsverhandlun-
gen schiefgelaufen ist oder ob da irgendetwas in Ihrem
Ministerium nicht angekommen ist .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe es schon gesagt: Die Situation ist dramatisch .
Ich will nur auf eine Zahl, die hier schon oft zitiert wur-
de, hinweisen: Allein beim Flüchtlingsprogramm der
UN, das die syrischen Flüchtlinge betrifft, gibt es derzeit
ein Defizit von 3,5 Milliarden Euro. Da habe ich noch
nicht vom Welternährungsprogramm und vom UNHCR
insgesamt gesprochen . Auch dort sehen die Zahlen nicht
besser aus . Wie gesagt: Jetzt wird es noch schlimmer, da
der Winter vor der Tür steht . Wir alle wissen: Wir brau-
chen mehr Geld . Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen: Wann, wenn nicht jetzt, wäre der Zeitpunkt,
endlich unser internationales Versprechen einzulösen,
0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwick-
lungszusammenarbeit auszugeben?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Dr . Sascha Raabe [SPD])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bräuchten da-
für circa 8 Milliarden Euro mehr . Es klingt jetzt erst ein-
mal so, als wäre das dramatisch viel . Ich möchte aber
versuchen, kurz zu skizzieren, dass das so viel nicht ist .
Wir alle wissen: Wenn sich der Bundestag in bestimm-
ten Fragen einig ist, dann ist er in der Lage, Geld auch
in dieser Größenordnung zu mobilisieren . Ich enttäusche
Sie jetzt: Ich werde nicht mit Bankenrettung und Grie-
chenland-Hilfe kommen, sondern möchte zwei Beispiele
wählen, bei denen sich alle Fraktionen einig sind .

Weil es uns wichtig war, wurde hier im Bundestag
beschlossen, das Elterngeld einzuführen . Ich möchte die
verschiedenen Maßnahmen nicht gegeneinander ausspie-
len, sondern bloß deutlich machen: Wenn wir uns über
etwas einig sind, dann geht es . – Das Elterngeld kostet
uns im Jahr 6 Milliarden Euro, Tendenz steigend .

Eine andere Sache, bei der wir uns über alle Fraktions-
grenzen hinweg einig sind, ist die Entscheidung, mehr
Geld für Bildung und Forschung in die Hand zu nehmen .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ist doch gut so!)


Es wird das Ziel ausgegeben, 3 Prozent des BIP für For-
schung und Bildung auszugeben . Aus diesem Grund ist
der Etat des Bildungs- und Forschungsministeriums von
10 Milliarden Euro im Jahre 2009 auf jetzt 16,5 Milliar-
den Euro angewachsen . Es ist also möglich, insgesamt in
den Jahren 6,5 Milliarden Euro mehr zu mobilisieren . Im
Übrigen hat das BMBF mehr als doppelt so viel Geld zur
Verfügung wie das BMZ .

Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)


Herr Minister, Sie sagen selber – Sie werden nicht
müde, das immer wieder zu betonen –, dass es sich lohnt,
Geld in die Hand zu nehmen . 1 Euro, eingesetzt in den
Ländern, in denen sich die Flüchtlinge derzeit aufhalten,
ist so viel wert wie 30 Euro, die wir hier einsetzen bzw .
im Notfall einsetzen müssen . In der Zielrichtung sind wir
uns einig . Wir könnten entsprechende Maßnahmen an-
gehen . Wenn wir es nicht schaffen, können wir immer
noch einen Nachtragshaushalt verabschieden . Wir haben
entsprechende Anträge vorgelegt . Ich bin sehr gespannt,
wie Sie darauf reagieren .

Nun ist bekannt, dass ich nicht jemand bin, der immer
nur schreit, wir brauchten mehr Geld . Wir müssen viel-
mehr überlegen, wie wir das vorhandene Geld einsetzen,
welche Maßnahmen wir auch ohne Geld verwirklichen
können und welche Maßnahmen unseren Zielen eventu-
ell entgegenstehen . Ich habe mir daher im Detail ange-
schaut, wie die Ressourcen verwendet werden, und muss
schon sagen: Es ärgert mich enorm, dass die Gesellschaft
für Internationale Zusammenarbeit, also unsere ureige-
ne Durchführungsorganisation im Bereich der Entwick-
lungszusammenarbeit, etliche Programme finanziert, die
in Saudi-Arabien umgesetzt werden . Wenn ich dann auch
noch sehe, dass dort im Auftrag des Innenministeriums
ein Grenzschutzprogramm umgesetzt wird, im Zuge des-
sen Polizisten im Übrigen auch an der Waffe ausgebildet
werden, dann muss ich sagen: Lieber Minister, das kon-
terkariert Ihre Bemühungen, Fluchtursachen zu bekämp-
fen . Aus diesem Grund sollten wir solche Programme
jetzt beenden .


(Beifall bei der LINKEN)


Im Übrigen – das kann man alles auf der Seite der
GIZ nachlesen – ist die GIZ in allen Staaten des Golf-
kooperationsrates präsent . In all diesen Staaten werden
Programme durchgeführt, so zu den Themen Wassersi-
cherheit, Stadtplanung, Berufsausbildung, Verwaltungs-
effizienz usw. – alles wichtige Themen –; aber in keinem
Land wird auch nur ein einziges Programm durchgeführt,
bei dem es um Themen wie Menschenrechte, gute Regie-
rungsführung oder Demokratisierung geht . Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, ich halte das für falsch und auch
für eine Verschwendung von Ressourcen . Das ist einfach
Fakt .


(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das ist einfach falsch! – Dr . Sascha Raabe [SPD]: Es ist falsch, was Sie sagen!)


– Es ist nicht falsch . Lesen Sie es bitte nach .

Im Umfeld des Afrika-Gipfels, der vor kurzem stattge-
funden hat, wurde eine Debatte geführt, bei der es auch
um die Frage ging, ob man den Staaten, die nicht wil-
lens sind, Flüchtlinge zurückzunehmen, die Mittel für die
Entwicklungszusammenarbeit streicht . Das halte ich für
absurd .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sollten eher anfangen, darüber nachzudenken, Län-
der, die für Fluchtursachen sorgen – dazu gehört unter
anderem Saudi-Arabien, das im Jemen Krieg führt –,
nicht weiter zu hofieren und zu unterstützen, zumal sie

ausreichend eigenes Geld haben, um entsprechende Pro-
jekte durchzuführen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813913200

Vielen Dank, Herr Kollege Leutert . – Schönen guten

Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zahlreichen
Gäste auf der Tribüne seien auch herzlich willkommen .

Der nächste Redner in der Debatte: Volkmar Klein für
die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Volkmar Klein (CDU):
Rede ID: ID1813913300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Haushaltsplan besteht zunächst aus Zah-
len, aus sehr vielen Zahlen sogar . Aber am Ende des
Tages steht der Haushaltsplan für Politik . Ich glaube,
dass der Einzelplan 23, der Haushaltsplan des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung, durchaus exemplarisch für den gesamten
Haushaltsplan steht . Wir können ihn mit drei Begriffen
charakterisieren: zugewandt, fokussiert und nachhaltig .

Lassen Sie mich, bevor ich zu den drei Begriffen et-
was sage, meinen ganz herzlichen Dank aussprechen . Als
Hauptberichterstatter meiner Fraktion im Haushaltsaus-
schuss möchte ich den Mitberichterstatterinnen und Mit-
berichterstattern danken, insbesondere Anja Hajduk und
Michael Leutert, den Oppositionsberichterstattern, bei
denen man schon ein bisschen den Eindruck hat, wenn
sie nicht in der Opposition wären, würden sie den Einzel-
plan am Ende auch gut finden.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Michael Leutert [DIE LINKE]: Du willst mir schaden, ja?)


Noch viel mehr bedanke ich mich natürlich bei meiner
Koalitionsberichterstatterin Sonja Steffen . Wir haben ge-
meinsam dafür gesorgt, dass jetzt gute Zahlen auf dem
Tisch liegen .


(Beifall des Abg . Martin Gerster [SPD])


Also auch an dich noch einmal einen ganz herzlichen
Dank .

Ich bedanke mich aber auch für all die vielen Gesprä-
che mit Mitgliedern des Ausschusses für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, und ich bedanke
mich bei den vielen Besuchern, die von außen kommen
und uns mit Informationen versorgen . Ich bedanke mich
ganz besonders, und zwar nicht nur für die gute Koope-
ration, sondern mehr für seine gute Arbeit, beim Bundes-
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung, bei Gerd Müller . Er macht eine gute Arbeit .
Ich bin sicher, dass er diese gute Arbeit in den nächsten
Monaten genauso weiterführt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Michael Leutert






(A) (C)



(B) (D)


Zugewandt – mein erster Begriff . Es geht um Men-
schen, und zwar nicht nur im Einzelplan 23, sondern
im gesamten Bundeshaushalt: von der Bildung über die
Gesundheit und die sozialen Fragen bis zur Wirtschafts-
ordnung . Am Ende ist unser christliches Menschenbild
der Maßstab, wofür wir Geld ausgeben . Genau das ist
die Basis unserer europäischen Werteordnung . Genau
das lässt uns Verantwortung übernehmen für Menschen,
auch für Menschen jenseits unserer Grenzen . Wir geben
auch für Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen
sind, sehr viel Geld aus . Diese Beträge werden nicht im
Einzelplan 23 etatisiert, über den wir jetzt reden . Sie sind
aber zu einem ganz großen Teil ODA-Mittel . Insofern
liegt die Koordinierung beim BMZ, beim Bundesminis-
terium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung .

An dieser Stelle muss man, glaube ich, einmal sagen:
Es ist eine Schande, dass die richtig reichen muslimi-
schen Länder am Golf sich überhaupt nicht um diese
Menschen kümmern und bisher keinen einzigen Flücht-
ling aufgenommen haben . Das ist nicht in Ordnung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das BMZ koordiniert natürlich nicht nur die
ODA-Mittel . Im Einzelplan 23 ist auch ein wirklich
stark gewachsener großer Brocken etatisiert . Der Einzel-
plan 23 steigt um rund 850 Millionen Euro gegenüber
dem Jahr 2015; so stark ist er noch nie gestiegen . Er ist
so stark gestiegen, weil wir uns den Menschen, die in
den Lagern im Libanon oder im Nordirak sind, zuwenden
müssen . Es geht darum, dort die Lebensmöglichkeiten zu
sichern . Darum kümmert sich zunächst einmal, sofern es
um Lebensmittel geht, das Auswärtige Amt . Aber sobald
die Menschen länger dort sind, geht es auch darum, für
eine entsprechende Infrastruktur zu sorgen . Dabei geht
es nicht nur um Wasserleitungen, sondern eben auch um
Bildung . Und dann ist es Aufgabe des Bundesministe-
riums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung, den Menschen zugewandt zu helfen .

Wenn wir über das Stichwort „Fluchtursachen be-
kämpfen“ reden, geht es eigentlich um die gesamte Ar-
beit des Ministeriums; denn bei allem, was getan wird,
geht es darum, Menschen in ihren Heimatländern bessere
Chancen zu geben, und das führt automatisch dazu, dass
Fluchtursachen wegfallen .

Fokussiert – das ist mein zweiter Begriff . Auch wenn
sich eigentlich die gesamte Arbeit des BMZ um die Be-
kämpfung von Fluchtursachen und um Entwicklung
dreht, also um langfristiges Denken, ist es jetzt erst ein-
mal richtig, dass wir deutlich umgeschichtet haben . Wir
haben den Titel „Krisenbewältigung und Wiederaufbau,
Infrastruktur“, bei dem es um die Lager in diesen Ländern
geht, ganz erheblich erhöht: 130 Millionen Euro standen
für dieses Jahr im Haushaltsplan . Der Regierungsentwurf
für 2016 umfasste bereits 220 Millionen Euro, und im
Rahmen der Haushaltsberatungen haben wir diesen Titel
auf 400 Millionen Euro aufgestockt . Das Gleiche gilt für
den Titel „Sonderinitiative Fluchtursachen bekämpfen“:
Für dieses Jahr standen 70 Millionen Euro im Haushalts-

plan . Der Regierungsentwurf für 2016 umfasste 110 Mil-
lionen Euro; jetzt stehen an dieser Stelle 300 Millionen
Euro im Haushaltsplan .

Fokussieren auf die Lager, das ist ganz bestimmt rich-
tig . Jeder von uns hat viele Berichte von Menschen ge-
hört, die im Libanon oder im Nordirak gewesen sind . Es
ist klar: Wir müssen mehr tun, damit die Menschen dort
bleiben können und keinen Grund haben, zu uns nach
Europa zu kommen . Ein Fokussieren auf diese Lager ist
richtig .

Es ist aber auch wichtig, auf mehr Chancen zu fokus-
sieren . Ich glaube, wir brauchen da ein bisschen Umori-
entierung . Wir müssen uns in der Entwicklungszusam-
menarbeit mehr als bisher daran orientieren, ob Jobs
entstehen können . Es ist ganz wichtig, für Gesundheit,
für sauberes Wasser und für Bildung zu sorgen . Aber am
Ende des Tages werden die dann gut ausgebildeten Leute
zu Hause immer noch keine Chance haben, wenn nicht
auch Arbeit da ist, wenn nicht auch Jobs da sind . Des-
wegen brauchen wir mehr Investitionen . Wir brauchen in
den Ländern des Südens auch mehr private Investitionen,
damit die Leute dort Jobs bekommen . Das wollen wir
durch Umschichtungen in unserem Haushaltsplan errei-
chen . Das ist ein wichtiger Punkt, um die Chancen für
Jobs und eine wirtschaftliche Entwicklung, die wirklich
nachhaltig ist, zu erhöhen . Wir werden uns auch im Mai
nächsten Jahres in Deutschland damit befassen; denn wir
sind Gastgeber der Jahrestagung der Asiatischen Ent-
wicklungsbank . Dort kommen viele Menschen zusam-
men, die auch private Investitionen für die Länder des
Südens mobilisieren wollen .

Auch eine gestärkte kommunale Kooperation kann
helfen . Wir müssen unsere Erfahrung, dass Arbeitsplätze
nicht durch staatliches Handeln, sondern durch private
Initiativen und Investitionen entstehen, weitergeben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen helfen, indem wir unsere Erfahrung von
Normalität in unserem Wirtschaftsablauf transportieren .
Das ist, glaube ich, ein wichtiger Beitrag . Wir müssen
uns fokussieren auf die Chancen, die Menschen haben .

Ich würde auch sagen: Auch wenn wir eine Haushalts-
debatte führen, sollten wir nicht immer nur auf Geldbe-
träge schauen . Das wurde in der zurückliegenden De-
batte hier und da schon deutlich . Wenn wir uns auf das
schiere Ausgeben von Geld konzentrieren und das bereits
für einen Erfolg halten, dann kommen wir nicht weiter .
Wir müssen Chancen schaffen und dürfen nicht nur daran
denken, wie viele ODA-Mittel ausgegeben worden sind .
Das wird im nächsten Jahr besonders deutlich werden,
wenn diejenigen, die immer nur dumpf vom 0,7-Pro-
zent-Ziel geredet haben und nur diese Zahl im Kopf ha-
ben, im nächsten Jahr vor dem Problem stehen werden,
weniger Geld fordern zu müssen . Ich bin nach dem, was
uns vorliegt, nämlich durchaus davon überzeugt, dass wir
im nächsten Jahr auf über 0,7 Prozent kommen werden,

Volkmar Klein






(A) (C)



(B) (D)


weil sämtliche Kosten, die im Inland für Flüchtlinge an-
fallen, für die ersten zwölf Monate mitgerechnet werden .


(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Aber, lieber Kollege, das bekämpft Fluchtursachen nicht!)


Ich rechne damit, dass unser Ziel übertroffen wird . Des-
wegen sage ich immer wieder: Nur auf diese Zahl zu fo-
kussieren, ist einfach falsch . Wir werden deutlich über
0,7 Prozent liegen . Das bringt uns aber nicht weiter .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mein letztes Stichwort ist die Nachhaltigkeit . Der ent-
scheidende Beitrag zur Nachhaltigkeit ist ein insgesamt
ausgeglichener Haushalt; denn das ist ein wirklich gutes
Zeichen für Stabilität und Vertrauen . Dieses Signal ist
notwendig, damit Private und Unternehmen in Deutsch-
land weiterhin investieren und Deutschland wirtschaft-
lich stark bleibt . Genau das ist die Voraussetzung dafür,
dass wir auch in Zukunft helfen können, und das wollen
wir . Wir wollen nicht nur helfen, sondern wir haben uns
im Haushalt sogar dazu verpflichtet. Wenn man all die
Verpflichtungsermächtigungen im Einzelplan 23 zusam-
menzählt, sieht man, dass wir auch in Zukunft wirtschaft-
lich stark sein müssen, wenn wir auch zukünftig unsere
Hilfe zusagen wollen . Deswegen: Der beste Beitrag für
eine langfristig erfolgreiche Entwicklungszusammenar-
beit seitens Deutschlands ist ein ausgeglichener Haus-
halt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Sonja Steffen [SPD])


Wir müssen aber auch an mehr Nachhaltigkeit in
Afrika denken und diese einfordern . In vielen Ländern
ist doch nicht das eigentliche Problem, dass Geld fehlt .
Das Problem ist, dass miserables Regierungshandeln die
Chancen der Menschen zerstört .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, wir müssen einfach robuster als bisher einfor-
dern, dass sich das verbessert .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe das in der letzten Debatte unter dem Stichwort
„Troikas für Afrika“ zusammengefasst. Das finde ich
weiterhin richtig . In Südeuropa fordern wir Konditiona-
lität für Zusammenarbeit ein . Wir müssen unsere Mittel
krasser und robuster einsetzen, um Korruption in Afrika
abzubauen .

Das Ziel, Frieden und Demokratie zu stärken, geht
in die gleiche Richtung . Die Deutsche Afrika Stiftung
hat in der letzten Woche den Deutschen Afrika-Preis an
Houcine Abassi vergeben; das hat natürlich dadurch an
Bedeutung gewonnen, dass er in zwei Wochen auch den
Friedensnobelpreis bekommt . Das ist ein gutes Beispiel
dafür, dass es nicht nur auf Geld ankommt, sondern auch
auf Menschen, die in der Lage sind, die Menschen zu-
sammenzubringen und Konflikte zu moderieren. Deswe-
gen an dieser Stelle einen ganz herzlichen Glückwunsch

an Houcine Abassi zum Deutschen Afrika-Preis, aber
auch zum Friedensnobelpreis!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Auf Menschen kommt es an . Deswegen ist es wichtig,
solche Menschen zu haben . Genauso wichtig ist es aber,
all die Deutschen zu haben, die in vielen Ländern arbei-
ten und helfen . Dass sie es auch im Zusammenhang mit
Ebola gemacht haben, wissen wir in unserer schnelllebi-
gen Zeit schon gar nicht mehr . Sie tun es aber auch heute
in all diesen Lagern . Deswegen an dieser Stelle auch ein
ganz herzliches Dankeschön an all diejenigen, die die-
se Arbeit tun! Im Grunde ist ja ein Dank die verschärfte
Form der Bitte, das auch weiterhin zu tun . Das brauchen
wir, wenn wir wollen, dass Deutschland in aller Welt ein
gutes, erfolgreiches Bild abgibt und ein liebenswertes
Gesicht hat .

Wenn ich ganz zu Beginn unserem Minister gedankt
habe, dann verfolge ich damit natürlich die gleiche Stra-
tegie . Auch das ist die verschärfte Bitte: Weitermachen!
Wir brauchen ihn und seine Politik auch in den nächsten
Monaten . Ich glaube, dass dieser Haushalt – den Men-
schen zugewandt, auf Probleme fokussierend, gleichzei-
tig aber nachhaltig im Sinne der Sicherung der eigenen
Kapazitäten – gut ist und die Zustimmung von allen hier
im Hause verdient hat .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813913400

Vielen Dank, Kollege Klein . – Nächste Rednerin:

Anja Hajduk für Bündnis 90/Die Grünen .


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813913500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-

ren! Bei aller Kollegialität, lieber Volkmar Klein: Diesem
Etat können wir so nicht zustimmen, insbesondere weil
der Etat für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung in den Haushaltsberatungen im Unterschied zu
anderen Etats, die kräftig gewachsen sind, dreifach be-
straft wurde . Das muss man bei nüchterner Betrachtung
feststellen, und das muss man hier auch laut aussprechen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der Kollege Leutert hat schon gesagt: Es gibt kei-
nen Aufwuchs, sondern eine Kürzung um 17 Millionen
Euro . – Man könnte noch sagen, das sei, gemessen am
Gesamtetat, vielleicht keine so hohe Summe . Aber es
geht um die nüchterne Bilanz: Was ist eigentlich während
der Haushaltsberatungen passiert, nachdem das Kabinett
einen großen Aufwuchs beschlossen hat? Ich habe Mi-
nister Müller in unseren Beratungen so verstanden, dass
er darum gebeten hat, der Haushaltsausschuss möge noch
mehr tun, so wie dieser auch beim Etat des Innenminis-
teriums und im Bereich der humanitären Hilfe dreistelli-
ge Millionenbeträge draufgelegt hat . Das haben Sie hier

Volkmar Klein






(A) (C)



(B) (D)


nicht getan . Sie haben sich dagegen entschieden . Ich hal-
te das für falsch .

Zu dem, was Sie umgeschichtet haben – Sie nennen
das „Fokussierung“, Herr Klein –, muss ich feststellen:
Ja, es ist wichtig, bei der Krisenbewältigung und bei der
Infrastruktur etwas obendrauf zu legen . Das fordern auch
wir; das fordern wir auch weiterhin . Aber es ist nicht
richtig, gleichzeitig bei der Technischen Zusammenar-
beit und der Finanziellen Zusammenarbeit entsprechend
zu kürzen . Die Programme der KfW sind gerade sehr po-
sitiv öffentlich evaluiert worden . Da kann ich Ihnen nur
sagen: So funktioniert das nicht . Ihr Nullsummenspiel
geht in diesem Bereich nach hinten los .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir reden hier über einen Etat, bei dem es heute eine
große Einigkeit gab; dazu hat sich auch die Kanzlerin
geäußert . Es geht darum, Fluchtursachen nachhaltig zu
bekämpfen, Ausbildung zu fördern und Perspektiven vor
Ort zu schaffen . Das tun wir insbesondere mit Projekten,
die wir mit Mitteln dieses Etats fördern . Insofern ist es
ein schlichter Widerspruch, dass Sie hier nichts tun .

Es ist aber noch schlimmer . Wir haben in der Berei-
nigungssitzung – am frühen Morgen – die Entscheidung
getroffen, dass die sogenannten Verpflichtungsermächti-
gungen, also nicht die Barmittel für den Haushalt 2016,
sondern das, was in Zukunft in der Finanzplanperiode
verausgabt werden darf – gerade der Haushalt des BMZ
lebt quasi von den Verpflichtungsermächtigungen –, um
7 Prozent zu kürzen sind . Davon gibt es Ausnahmen; das
BMZ gehört aber nicht dazu . Wir haben beim Finanzmi-
nisterium um eine Auflistung angefragt: Nur bezogen auf
das BMZ bedeutet das eine Mittelkürzung um 500 Mil-
lionen Euro in der Finanzplanperiode . – Herr Klein, es
tut mir leid: Nach dieser Analyse können wir nicht zu-
stimmen . Die Haushaltsberatungen haben den Etat des
Entwicklungsministers deutlich geschwächt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Michael Leutert [DIE LINKE])


Wir benötigen eine Stärkung der Vereinten Natio-
nen und ihrer Sonderorganisationen, deren Handlungs-
fähigkeit und internationale Solidarität . Es ist der Öf-
fentlichkeit doch wirklich nicht vermittelbar, dass der
UNO-Flüchtlingskommissar Guterres erwähnen muss,
dass die Flüchtlingskrise durch den Mangel an Geldern
für humanitäre Aufgaben ausgelöst wurde, weil die Le-
bensmittelrationen in Flüchtlingslagern in den Anrai-
nerstaaten Syriens halbiert wurden . Die Menschen dort
haben nicht nur keine Perspektive, sondern auch Angst
vor Hunger .

Wir wissen, dass Deutschland seine Zusagen an dieser
Stelle erhöht und auch – wir haben das abgefragt – ge-
halten hat .


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: So ist das!)


Wenn wir aber wollen, dass sich Deutschland bei den an-
deren Geberländern durchsetzen und sie dafür gewinnen
kann, dass sie ihre Zusagen endlich auch erfüllen, dann

wäre es doch folgerichtig, dass wir selber die VN-Orga-
nisationen dauerhaft und solide finanzieren. Deswegen
schlagen wir vor, unseren Zuschuss zum Welternäh-
rungsprogramm gleich auf 100 Millionen Euro zu erhö-
hen und nicht erst tätig zu werden, wenn wir den Mangel
feststellen . Daneben können wir auch gleich die Gesamt-
finanzierung der VN – ich spreche nicht nur vom Welter-
nährungsprogramm – um 150 Millionen Euro steigern .
Hier hätte ich mir Ihre Fokussierung und Ihre Anträge
dazu gewünscht . Die Kanzlerin hat heute Morgen selber
darauf verwiesen, dass sie nicht will, dass wir bezogen
auf diese Töpfe der Vereinten Nationen in einem Jahr
wieder da stehen, wo wir uns heute befinden. Hier be-
steht wirklich riesiger Handlungsbedarf .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich komme zum nächsten Punkt .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813913600

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung von Frau Pfeiffer?


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813913700

Ja, gerne .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813913800

Frau Pfeiffer, bitte .


Sibylle Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1813913900

Frau Kollegin Hajduk, Sie wissen genau wie ich, dass

die UN-Organisationen über das Auswärtige Amt finan-
ziert werden, und Sie wissen auch, dass wir die UN-Or-
ganisationen trotzdem auch über den BMZ-Haushalt un-
terstützen . – Das wollte ich Ihnen nur noch einmal sagen .


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813914000

Es ist richtig, dass die Mittel über das Auswärtige

Amt – –


(Abg . Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU] nimmt wieder Platz)


– Bleiben Sie bitte stehen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813914100

Nein, Frau Pfeiffer kann sich hinsetzen . Sie steht aber

in Gedanken weiter . – Bitte .


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813914200

Wenn die Präsidentin das sagt! Es gilt ja immer das

Wort der Präsidentin . – Es ist richtig, dass die Mittel über
das Auswärtige Amt zur Verfügung gestellt werden; aber
es gibt auch über das BMZ – das liegt mir ja vor – Mittel,
die wir dort einzahlen . Es gibt hier einen Grundbeitrag,
und diesen können wir erhöhen . Daneben haben wir ein
Winterprogramm, dessen Mittel wir gerade erhöht haben .
Deswegen ist es ein Irrtum der Großen Koalition, die hu-
manitäre Hilfe nur über den Auswärtigen Ausschuss zu
erhöhen . Es wäre genauso notwendig, auch die Mittel des
BMZ zu erhöhen .

Anja Hajduk






(A) (C)



(B) (D)


Wenn ich Ihre Frage so verstehen darf, dass Sie noch
einmal darüber nachdenken wollen,


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das war keine Frage!)


dann wäre einiges gewonnen . Wir könnten unserem Ent-
wicklungsminister an dieser Stelle mehr Mittel zur Ver-
fügung stellen, und das ist auch notwendig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das war eine Feststellung, keine Frage!)


Ich komme zu einem weiteren Punkt, der mir wichtig
ist . Wir stehen kurz vor dem Gipfel in Paris . Wir brau-
chen ein starkes Signal der Bundesregierung, dass wir die
Klimaziele nicht nur in Deutschland einhalten wollen,
sondern dass wir auch zu den Zusagen stehen, die wir
in Kopenhagen gegeben haben . Ich bin tief davon über-
zeugt, es wäre ein ganz starker Appell, wenn Deutsch-
land sagen könnte: Wir legen einen Plan vor – wir Grüne
haben einen solchen Aufholplan entworfen –, auf dessen
Grundlage wir sowohl das 0,7-Prozent-Ziel bis 2020 er-
reichen als auch die Zusage verwirklichen können, 8 bis
9 Milliarden Euro für den internationalen Klimaschutz
bereitzustellen . Ein solcher Aufholplan in Höhe von
1,2 Milliarden Euro plus 500 Millionen Euro für den Kli-
maschutz mit jährlichem Aufwuchs wäre jetzt genau das
Signal, das die Themen Fluchtursachen und globale Ver-
antwortung im internationalen Kontext beschreiben und
unsere Rolle, die wir wahrnehmen wollen, glaubwürdig
unterstreichen würde .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich kann nicht verstehen, Herr Klein, dass Sie vor
diesem Hintergrund erklären, weil wir zwischenzeitlich
bezogen auf die ODA-Quote besser liegen werden – es
kann sein, dass wir nächstes Jahr bei 0,55 Prozent liegen,
aber auch nur zwischenzeitlich, nicht langfristig –, sei
die Erreichung der ODA-Quote nicht mehr unser Ziel .
Das können Sie in diesen Zeiten doch nicht nach außen
vertreten .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das hat er doch gar nicht gesagt!)


– Gut, dann hat er das nicht gesagt . – Aber dann sagen
Sie doch, dass wir dieses Ziel erreichen wollen . Nur dann
sind wir glaubwürdig . Das wäre ein starkes Signal an die
internationale Gemeinschaft . Ich kann Ihnen nur sagen:
Machen Sie sich unseren Aufholplan für das 0,7-Pro-
zent-Ziel zu eigen! Machen Sie sich unseren Klimaplan
für 2020 zu eigen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zeigen Sie mehr Herz und mehr Mut!


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813914300

Und zeigen Sie, dass die Redezeit zu Ende ist .


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813914400

Ich komme zum Schluss . – Die Kanzlerin hat heute

Morgen gesagt:

Wir können, wenn jeder seinen Beitrag leistet, in
Zusammenarbeit die Probleme bewältigen .

Das waren die Worte der Kanzlerin .

Wir schaffen das . Aber es wird vieler Anstrengun-
gen bedürfen und auch eines hohen Maßes an neu-
em Denken .

Machen Sie sich das zu eigen! Machen Sie sich auf den
Weg!

Schönen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813914500

Danke, Frau Kollegin Hajduk . – Nächste Rednerin:

Dr. Bärbel Kofler für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1813914600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Nach den Beiträgen der beiden Vorredner
habe ich gedacht: Entweder ist im Haushalt gar nichts
passiert, oder es ist ein Wunder passiert . Meistens liegt
die Wahrheit irgendwo in der Mitte . Ich bin sehr froh – da
bin ich bei Ihnen, Herr Klein –, dass dieser Haushalt im
Vergleich zum Haushalt 2015 um mehr als 800 Millionen
Euro aufgestockt wird . Die entscheidende Frage ist ja im-
mer: Was ist die Vergleichsbasis? Wo ich bei Ihnen bin,
Frau Hajduk: Auch ich bin enttäuscht – ich glaube, mit
mir auch viele andere Entwicklungspolitiker –, dass es
uns nach Vorlage des Regierungsentwurfs nicht gelungen
ist, für die Entwicklungsarbeit noch einen Aufwuchs zu
erreichen . Das wäre dringend nötig gewesen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Wir Fachpolitiker der Koalition haben das gemein-
sam beantragt, gefordert und, wie ich glaube, auch gut
begründet . Wir haben alle unsere Forderungen mit der
Fragestellung untermauert: Was ist für die Bekämpfung
der Fluchtursachen relevant, aber auch zur Verbesse-
rung der humanitären Situation in den Flüchtlingslagern
und in deren Umgebung? Damit verbunden – auch das
möchte ich an dieser Stelle sagen – war die Frage der
Mediation zwischen Geflüchteten und Flüchtenden und
somit das Thema ziviler Friedensdienst . Wir hatten ein
sehr gut ausgewogenes Tableau . Ich sage ganz offen: Ich
hätte mir sehr gewünscht, dass an dieser Stelle unserem
Wunsch und – ich sehe den Minister nicken – auch dem
Wunsch des Ministers Folge geleistet worden wäre .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Anja Hajduk






(A) (C)



(B) (D)


Was ich positiv finde – das habe ich gesagt –, ist der
Aufwuchs im Vergleich zum Haushalt 2015 . Das ist rich-
tig, und das ist wichtig . Es gibt in diesem Etat viele ver-
nünftige Umschichtungen, gerade im Bereich der akuten
Hilfe für Flüchtlinge in den Flüchtlingscamps . Das ist
gut, und das ist richtig . Was mir in der Gesamtbetrach-
tung ein bisschen zu kurz kommt, ist die Frage: Wohin
bewegen wir uns langfristig? Wir alle kennen die mit-
telfristige Finanzplanung, nach der für diesen Haushalt
in den nächsten Jahren kein Aufwuchs vorgesehen ist,
sondern die gleichen Zahlen veranschlagt werden . Wir
wissen aber auch, und zwar nicht erst seit der Konfe-
renz in Addis Abeba: Wenn wir bei der Finanzierung der
Nachhaltigkeitsziele vorankommen wollen, dann müssen
wir – ich zitiere die Weltbank – „from Billions to Tril-
lions“, wie es im Englischen heißt, also von Milliarden
zu Billionen kommen .

Das steht schon ein bisschen im Gegensatz zu der Auf-
fassung, die auch der geschätzte Kollege Klein vertreten
hat, dass es hier nur um einen 0,7-Prozent-Fetischismus –
oder sonst was – geht . Vielmehr geht es um die Frage, wie
wir nicht nur mit offiziellen bzw. staatlichen ODA-Mit-
teln, sondern auch mit Steuern und anderen Dingen welt-
weit die Mittel einwerben, um Institutionsaufbau und
Bekämpfung des Staatenverfalls – dabei geht es um das
Thema der Fragilität – angehen zu können . Dabei geht es
um Gesundheitsinstitutionen, Steuerbehörden, aber auch
um Institutionen auf den Gebieten Menschenrechte und
Arbeitsrecht . Diese Mittel sind erforderlich, um Kapazi-
täten in den entsprechenden Ländern aufzubauen .

Ich glaube, wir müssen darauf ein ganz anderes Au-
genmerk richten . Das bedarf, mit Verlaub, auch entspre-
chender Mittel . Das kann – ich hoffe, ich habe Sie falsch
verstanden – nicht dadurch kompensiert werden, dass
man hier im Inland Geld für Flüchtlinge ausgibt – diese
Ausgaben erfolgen zu Recht – und dann über die Frage
ihrer ODA-Anrechnungsfähigkeit diskutiert . Damit wer-
den Fluchtursachen nicht bekämpft .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, wir müssen uns noch einmal gemeinsam
hinsetzen und wirklich darüber nachdenken, wie wir die-
se langfristige Entwicklungszusammenarbeit finanzie-
ren können . Da hilft auch keine Schuldzuweisung . Man
kann, glaube ich, bei jeder Fraktion etwas finden, zu dem
man sagen kann: Da hätten wir schon besser sein können .
Daran müssen wir also, glaube ich, wirklich gemeinsam
arbeiten .

Ich möchte die Themen des Institutionenaufbaus und
der Fragilität noch einmal ansprechen . Wir haben uns
vor eineinhalb Jahren um das Thema Ebola bemüht und
haben alle festgestellt, um was es geht: Es fehlen Ge-
sundheitsinstitutionen, die Menschen in einer Epidemie-
situation in ihrer Not auffangen und Dienstleistungen an-
bieten können . Ist jetzt wirklich beim Institutionenaufbau
in diesem Bereich etwas passiert? Ich behaupte einmal,
dass viel zu wenig geschehen ist . Dabei handelt es sich
um eine mittel- und langfristige Aufgabe auch der Ent-

wicklungszusammenarbeit . Dafür brauchen wir mittel-
und langfristig auch zusätzliche Gelder .


(Beifall bei der SPD)


Ähnlich ist es – ich möchte fast sagen, dass das ein
Lieblingsthema von mir ist – mit dem Thema der Steuer-
politik. Ich finde es auch richtig, dass man mit der Addis
Tax Initiative – davon bin ich eine große Anhängerin –
Mittel aufwendet, um Kapazitäten in Entwicklungslän-
dern aufzubauen und um in den entsprechenden Ländern
selbst Steuern generieren zu können . Dazu aber bedarf
es einer ganzen Menge . Eine Verdoppelung der Mittel ist
ein erster Schritt, den wir in dem Bereich machen . Wir
gehen aber bisher von einer sehr geringen – wie heißt es
bei den Steuerbehörden so schön? – Bemessungsgrund-
lage aus, also von einem sehr geringen Beitrag für die-
sen Bereich . Das heißt, wir müssen hier zu ganz anderen
Summen kommen, um Menschen auszubilden, um Ka-
pazitäten aufzubauen und um das Thema Steuergesetzge-
bung in diesen Ländern begleiten zu können .

Ich habe gerade gestern mit dem Menschen gespro-
chen, der für die GIZ in Ghana das Thema Steuergesetz-
gebung begleitet . Das ist ein hochkomplexer Prozess,
der über Jahre hinweg gehen wird . Wenn wir wirklich
einen Beitrag dazu leisten wollen, dass diese Länder aus
ihrem Rohstoffreichtum auch einen Reichtum der Staats-
kassen – und damit Mittel zur Armutsbekämpfung – ge-
nerieren können, müssen wir hier wesentlich mehr als
bisher tun .


(Beifall bei der SPD)


Ich komme an dieser Stelle zu einigen Aspekten, die
von Vorrednern bereits angesprochen worden sind . Es
geht natürlich nicht nur um die Frage der Gelder, son-
dern auch um die Rahmenbedingungen . Ich denke schon,
dass wir uns in diesem Zusammenhang auch um die The-
men Steuerverschiebung, Steuervermeidung und illegale
Steuerflüsse bemühen müssen. Daneben müssen wir uns
auch um unsere Handels- und Wirtschaftsverträge küm-
mern, dabei geht es auch um das Thema der internationa-
len Steuervermeidung .

Bei der Konferenz zur Finanzierung der Entwick-
lungszusammenarbeit in Addis Abeba war die Behand-
lung der sogenannten Illicit Flows, also der illegitim
verschobenen Gelder, ein ganz spannendes Thema . Das
ist nicht nur ein Thema für die Industrieländer, sondern
das belastet auch die Haushalte der Entwicklungsländer
enorm . Deshalb müssen wir da herangehen .

Der Mbeki-Report der UN-Kommission für Wirt-
schaft in Afrika befasst sich mit der Steuervermeidung
und illegalen Steuerverschiebung . Der Bericht geht da-
von aus, dass die Steuerausfälle in Afrika pro Jahr 50 bis
150 Milliarden Euro – es ist ja immer schwierig, Ausfälle
zu beziffern – betragen . Dabei geht es nur darum, was
durch transnationale Konzerne an Verlusten entsteht .

Wenn wir an das Thema herangehen, hat das etwas mit
guter Regierungsführung zu tun . Es hat aber auch durch-
aus etwas mit Justiz bzw . der Durchführung von Geset-
zen, mit der Einnahmesituation der entsprechenden Län-
der, der Rahmensetzung für Zukunftsentwicklung und
der langfristigen Bekämpfung von Armut zu tun . Das

Dr. Bärbel Kofler






(A) (C)



(B) (D)


müssen wir angehen . Das ist ein Beispiel für die Rah-
menbedingungen, bei denen wir ansetzen müssen .

Ein weiteres Beispiel dafür – das möchte ich abschlie-
ßend ansprechen – sind die Arbeitsplätze . Wir müssen
nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern wir müssen
gute Arbeitsplätze schaffen . In den Ländern muss Wert-
schöpfung möglich sein . Das hat viel mit Handelsverträ-
gen zu tun . Die Arbeit, die auf diese Weise entsteht, muss
die Menschen dazu befähigen, von ihrer Arbeit auch le-
ben zu können .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn die Zahlen der ILO aus diesem Frühjahr stim-
men – und daran habe ich überhaupt keinen Zweifel –, die
von weltweit knapp 900 Millionen Menschen ausgehen,
die Vollzeit arbeiten und dabei weniger als 2 US-Dollar
am Tag verdienen, dann haben wir auch Handlungsbe-
darf, was unser handelsvertragliches Agieren anbelangt .
Das ist nicht nur eine Aufgabe der Entwicklungspolitik,
sondern der Politik insgesamt in Deutschland, in der EU
und allen voran in den OECD-Ländern .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813914700

Danke schön, Frau Kollegin Kofler. – Jetzt kommt der

Minister . Nächster Redner: Dr . Gerd Müller .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:

Liebe Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen ein ho-
hes Maß an neuem Denken: So formulierte es heute früh
die Bundeskanzlerin in ihrer Haushaltsrede, und sie hat
recht .

Entwicklungszusammenarbeit in der heutigen Zeit
stellt sich angesichts der Herausforderungen völlig neu
dar: Sie ist Sicherheitspolitik . Sie ist Friedenspolitik, wie
Frau Kofler eben dargestellt hat. Sie ist Wirtschaftspoli-
tik . Sie schafft Arbeitsplätze . Sie sichert das Überleben
und die Zukunft der Menschen in unseren Partnerländern .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
mich bei den Haushältern, beim Finanzminister und bei
Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen, für die Unterstüt-
zung meiner Politik bedanken .

Auch wenn man darüber streiten kann: Ein Plus von
863 Millionen Euro ist ein ganz erheblicher Aufwuchs,
wie wir ihn in den letzten 30 Jahren nicht hatten . Herzli-
chen Dank dafür!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich lasse mich auch nicht auf eine Diskussion ein . Das
Auswärtige Amt hat für humanitäre Hilfe einen Zuschlag

von 440 Millionen Euro bekommen . Rechnen wir zu-
sammen – wir arbeiten auch prima zusammen –: Ein
Plus von 1,3 Milliarden Euro kann sich sehen lassen, und
zusammen mit Außenminister Steinmeier, mit dem ich
glänzend zusammenarbeite, setzen wir das effektiv ein .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Alle in der deutschen Politik müssen verstehen: Wir
müssen in den Krisenländern der Welt mehr tun . Wir
können dort vieles effektiv tun, um zu vermeiden, dass
die Menschen aufbrechen müssen, um zu uns zu kom-
men . Wir können und müssen unsere Maßnahmen gezielt
weiter ausbauen . Wir tun das als BMZ ganz konsequent,
und zwar nicht erst seit sechs Monaten, seit zwei Jah-
ren oder seit ich im Amt bin, und nicht nur – das haben
vielleicht auch bei den Haushaltsberatungen viele über-
sehen – durch die Sonderinitiative „Fluchtursachen be-
kämpfen“, sondern als Querschnittsaufgabe im gesamten
Haushalt .

Im weiteren Sinne sind 50 Prozent des BMZ-Haus-
haltes Investitionen in Krisenländern und damit auch in
die Menschen, in die Zukunft und in die Bekämpfung
der Fluchtursachen . Im engeren Sinne haben wir in den
letzten 18 Monaten – ich möchte an dieser Stelle mei-
nem Haus, der GIZ und der KfW und Tausenden von
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Zivilgesellschaft,
die vor Ort mit uns arbeiten, herzlich danken – 180 Maß-
nahmen in vielen Ländern weltweit, insbesondere in den
Spannungsgebieten, und zwar nicht nur in und um Syri-
en, in Jordanien, Libanon und der Türkei, sondern auch
im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik und
nicht zu vergessen in Kolumbien bzw . in Südamerika,
Lateinamerika und auch in Asien auf den Weg gebracht .

Entwicklungspolitik ist nicht nur kurzfristige Kri-
senpolitik . Auch das möchte ich heute klar sagen . Wir
können auch in Zukunft nicht sozusagen der Haushalt
sein, der für kurzfristige Krisen herangezogen und umge-
schichtet wird . Wir müssen mittel- und langfristig unsere
Strategien in der ganzen Welt mit unseren Partnerländern
umsetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir müssen Zukunfts- und Bleibeperspektiven für die
Menschen schaffen . Diese schaffen wir durch Schulen
für Kinder, Ausbildung für Jugendliche und Arbeit für
Erwachsene . Das machen wir im Nordirak ganz konse-
quent genauso wie im Libanon, in Jordanien, in Afgha-
nistan und in vielen anderen Ländern . Ich sage überall,
wo ich gefragt werde: Mit mehr könnten wir viel mehr
Bleibeperspektiven für die Menschen dort schaffen .

Viele Hunderttausende brechen nun auf in Richtung
Europa . Sie kommen nicht aus dem Granathagel Syriens,
sondern aus Fluchtstrukturen, nicht unbedingt aus den
Flüchtlingscamps, sondern aus Ziegenställen und ande-
ren notdürftigen Unterkünften . Nach drei oder vier Jah-
ren, wenn die Hilfe ausgeht und die Perspektive fehlt, sa-
gen diese Menschen: Ihr helft uns nicht bei uns zu Hause .
Also müssen wir zu euch kommen . – Das kostet uns ein

Dr. Bärbel Kofler






(A) (C)



(B) (D)


Vielfaches von dem, was uns eine Verstärkung der Hilfe
vor Ort kosten würde .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich denke dabei insbesondere an die vielen Kin-
der . UNICEF hat gestern einen Hilferuf veröffentlicht .
8,2 Millionen Kinder in und um Syrien brauchen Hil-
fe . Wir erhöhen die Mittel für die Zusammenarbeit mit
UNICEF um 50 Prozent auf 250 Millionen Euro . Es ist
aber wahr: Die Weltgemeinschaft tut entschieden zu we-
nig, um den Ursachen von Flucht und Vertreibung zu be-
gegnen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Kofler, Sie haben zu Recht gesagt: Deutschland
leistet seinen Beitrag . – Aber insgesamt sind die Zah-
len beschämend . So weist das World Food Programme
eine Finanzierungslücke von 4,4 Milliarden Euro auf .
Von 8,6 Milliarden Euro, die zugesagt wurden, sind nur
4,2 Milliarden Euro finanziert. Das ist beschämend.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Michael Leutert [DIE LINKE])


Wenn Sie vor Ort sind und mit Familien und Kindern
sprechen – manche von uns haben diese Camps be-
sucht –, dann sagen sie: Wenn ihr uns verhungern und er-
frieren lasst, dann haben wir keine andere Chance, als zu
euch zu flüchten. – Deshalb sage ich: Wir brauchen einen
UN-Flüchtlingsfonds – das ist eine globale Aufgabe –
mit einem globalen Schlüssel, mit einer Art Königsteiner
Schlüssel global für alle, für Amerikaner und Australier,
die Arabische Liga und die Golfstaaten . Alle müssen sich
gemäß Größe, wirtschaftlicher Stärke und Aufnahmebe-
reitschaft beteiligen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Europäische Union muss handlungsfähig wer-
den . Dazu habe ich viele Vorschläge gemacht, die unter
anderem einen europäischen Flüchtlingskommissar, ein
europäisches Hilfswerk und ein 10-Milliarden-Euro-So-
fortprogramm zur Stabilisierung der Krisenregionen vor-
sehen . Der europäische Haushalt wurde in diesen Tagen
ebenfalls verabschiedet . 4 Milliarden Euro sind für diese
historische Herausforderung eindeutig zu wenig .


(Beifall im ganzen Hause)


Aber auch Deutschland kann und muss noch wesentlich
mehr vor Ort leisten. Deshalb, verehrte Frau Kofler, be-
grüße ich außerordentlich den gestern unterbreiteten Vor-
schlag des deutschen Wirtschaftsministers und Vizekanz-
lers Sigmar Gabriel und seines französischen Kollegen,
einen 10-Milliarden-Euro-Fonds für die Krisenregionen
aufzulegen . Das wäre der Weg, die Infrastrukturen zu
verbessern, Arbeitsplätze zu schaffen und Zukunftsper-
spektiven zu eröffnen .

Ich möchte noch ein paar Sätze zum Klimagipfel sa-
gen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813914800

Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

Zwischenbemerkung von Frau Hajduk?

Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:

Gerne .


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813914900

Ich möchte nur etwas fragen . Sie haben gerade auf den

Vorschlag von Herrn Gabriel und seinem französischen
Kollegen hingewiesen . Bedeutet das, dass unser Haus-
halt noch einmal verändert werden soll, um sich an die-
sem 10-Milliarden-Euro-Programm zu beteiligen?

Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:

Der Bundeswirtschaftsminister hat den Vorschlag ge-
macht, einen 10-Milliarden-Euro-Fonds zusammen mit
Frankreich aufzulegen, um in und um Syrien zu inves-
tieren, um Infrastruktur und Stabilität, Zukunft und Ar-
beitsplätze zu schaffen . Ich gehe davon aus, dass dies ein
neuer qualitativer Vorschlag ist .

Wir müssen auch einmal zwei, drei Jahre voraus den-
ken . Wir hoffen und gehen davon aus, dass die Wiener
Verhandlungen dazu führen, dass dieser Krieg ein Ende
hat . Dann müssen wir in die Infrastruktur in dieser Re-
gion investieren . Deshalb liegt der Wirtschaftsminister
richtig . Denn nur dann können die Menschen wieder zu-
rück in ihre Heimat . Ich glaube, das ist der richtige Weg .
Den Gedanken sollten wir aufgreifen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es gäbe noch viel zu sagen, aber ich möchte zum
Schluss kommen . Wir blicken nach Paris . Vielen ist
nicht klar, dass das BMZ auch das Klimaschutzfinanzie-
rungsministerium ist . Wir haben die Mittel für den Kli-
maschutz verdoppelt, wir bringen ein großes Angebot
mit nach Paris. Wir finanzieren auch den Kampf gegen
Ebola und die Folgen dieser Krankheit sowie den Auf-
bau von Gesundheitsstrukturen . Wir schaffen eine Welt
ohne Hunger und tätigen Investitionen in Ausbildung .
Ich glaube, das ist wichtig .

Wir sind ein Zukunftsministerium . Ich bedanke mich
für die großartige Unterstützung, auch für das menschli-
che Miteinander aller Kolleginnen und Kollegen . Lassen
Sie uns weiter vorangehen . An die Arbeit!

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813915000

Vielen Dank, lieber Gerd Müller . – Der nächste Red-

ner in der Debatte: Niema Movassat von den Linken .


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813915100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1813915200
Wir müssen

Bundesminister Dr. Gerd Müller






(A) (C)



(B) (D)


Fluchtursachen bekämpfen . – Der Finger zeigt dabei oft
auf die Entwicklungspolitik . Die Rechnung: mehr Ent-
wicklungsgelder gleich weniger Flüchtlinge . Aber ist die
Rechnung wirklich so einfach? Weltweit sind 60 Millio-
nen Menschen auf der Flucht, so viele wie noch nie in der
Geschichte der Menschheit – und das trotz jahrzehnte-
langer Entwicklungszusammenarbeit, trotz der Tatsache,
dass weltweit 132 Milliarden US-Dollar für Entwick-
lungsprojekte ausgegeben werden .

Die Entwicklungszusammenarbeit, wie sie heute ge-
macht und verstanden wird, wird die Hauptgründe von
Flucht, nämlich Krieg und Armut, nicht beenden können .
Entwicklungspolitik muss als Gesamtkonzept verstanden
werden, als Ziel, menschliche Entwicklung massiv zu
fördern und alles zu unterlassen, was ihr schadet .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein Beispiel: Es bringt nichts, Entwicklungsgelder für
die Kleinbauernförderung in Ghana auszugeben, wenn
die dortigen Märkte gleichzeitig mit billigem Milchpul-
ver aus Europa überschwemmt werden; denn dies zer-
stört die Existenz der Bauern vor Ort, treibt sie in Armut
und schafft einen Fluchtgrund . Das Beispiel zeigt, wie
die eine Hand, die Entwicklungspolitik, versucht, etwas
aufzubauen, was die andere Hand, die Wirtschaftspolitik,
zerstört . Damit muss Schluss sein .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Immer mehr Krisen und Kriege, immer mehr Hun-
gersnöte, immer mehr Opfer des Klimawandels – lange
haben wir in Deutschland verdrängt, welche Tragödien
sich vor unserer Haustür abspielen . So musste das Welt-
ernährungsprogramm seine Rationen für Flüchtende aus
Syrien in den Flüchtlingslagern, in denen ohnehin schon
Perspektivlosigkeit herrscht, auf 50 Cent pro Tag und
Person kürzen . 50 Cent pro Tag zum Essen! Warum?
Weil die Weltgemeinschaft und damit auch Deutschland
nicht genug Mittel bereitstellt . Auch deshalb machen sich
Menschen auf den Weg zu uns, weil sie in den Lagern
schlichtweg verhungern .

Die Anschläge von Paris zeigen auch dem Letzten, vor
welchem Terror viele Flüchtlinge zu uns fliehen. Stellen
Sie sich vor: jeden Tag Paris, jeden Tag Anschläge, Ter-
ror, Tod. Jeder, auch jeder von uns, würde davor fliehen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Statt Symptome zu behandeln, müssen wir endlich
grundsätzliche Fragen stellen . Ist es gerecht, dass 1 Pro-
zent der Menschheit so viel besitzt wie die restlichen
99 Prozent zusammen? Wieso sind wir der viertgrößte
Waffenexporteur, wenn wir wissen, dass diese Waffen
riesiges Leid anrichten und Menschen zur Flucht zwin-
gen? Wieso arbeiten wir mit Saudi-Arabien zusammen,
das weltweit eine rückständige Auslegung des Islam mit
Milliardengeldern fördert und Menschen öffentlich mit
dem Krummsäbel hinrichtet?

Halten Sie es für richtig, weiter auf den Krieg gegen
den Terror zu setzen? Seit seinem Beginn vor 15 Jahren

hat sich die Anzahl der Terroranschläge versechsfacht .
Der Terror hat mehrere Staaten destabilisiert, er hat Hun-
derttausende von Unschuldigen in Afghanistan, dem Irak
und anderen Staaten das Leben gekostet, und er hat Hun-
derttausende zur Flucht gezwungen . Wenn wir nicht end-
lich Frieden und globale Gerechtigkeit durchsetzen, dann
werden diese Probleme noch drastischer werden . Deshalb
brauchen wir dringend eine politische 180-Grad-Wende .


(Beifall bei der LINKEN)


Die UN haben letzte Woche gewarnt: Bis Ende dieses
Jahres werden 700 000 Kinder in der Sahelzone verhun-
gert sein . Gleichzeitig wird bei uns über Obergrenzen für
Flüchtlinge diskutiert . Aber wollen wir der Mutter, die
flieht, um ihr Kind vor dem Verhungern zu retten, wirk-
lich sagen: Sorry, wir haben keinen Platz . Bleib draußen
und verhungere . – Diese Antwort ist zynisch .


(Beifall bei der LINKEN)


Zynisch war auch der Gipfel in Valletta . Die Kern-
aussage der EU dort an die Länder Afrikas war: Haltet
uns die Flüchtlinge vom Hals . Nehmt sie zurück . Dann
bekommt ihr mehr Entwicklungsgelder . – Im Umkehr-
schluss läuft das darauf hinaus, dass, wer keine Flücht-
linge zurücknimmt, weniger Geld bekommt . Das wider-
spricht allen Ideen der Entwicklungspolitik, und es ist
auch eine besonders widerliche Form der Erpressung .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber es wird noch schlimmer: Die EU und auch die
Bundesregierung wollen bei der Flüchtlingsabwehr mit
autoritären Regimen wie dem äthiopischen zusammenar-
beiten, also mit Ländern, die Menschenrechte mit Füßen
treten . Indem sie autoritäre Regime mit Geld zuschüt-
ten, ermöglichen sie diesen, mehr Sicherheitskräfte zu
haben, die die Bevölkerung noch stärker unterdrücken .
Den Menschen geht es dann noch schlechter . Es entste-
hen noch mehr Fluchtgründe . Der Beschluss von Valletta
läuft darauf hinaus, Entwicklungsgelder auch an Diktatu-
ren zu geben, wenn diese Flüchtlinge aufhalten . Sie be-
kämpfen so die Flüchtlinge und nicht die Fluchtursachen,
und das ist einfach nur pervers .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie Fluchtgründe wirklich bekämpfen wollen,
mache ich Ihnen vier Vorschläge, dies zu tun:

Erstens: sofortiger Stopp von Waffenexporten, insbe-
sondere in Krisenregionen . Denn wer Waffen sät, erntet
Flüchtlinge .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zweitens . Die Bundesregierung muss aufhören, das
Wohl der deutschen Wirtschaft über das ärmerer Län-
der zu stellen, damit diese endlich eine Chance haben,
sich zu entwickeln . Deshalb müssen die Wirtschaftspart-
nerschaftsabkommen, die EPAs, mit Afrika ausgesetzt
werden . Diese zwingen Afrikas Länder zu massiven
Marktöffnungen und werden die Wirtschaft dort ruinie-
ren .


(Beifall bei der LINKEN)


Niema Movassat






(A) (C)



(B) (D)


Drittens . Beenden Sie die außenpolitische Hörigkeit
gegenüber den USA . Die USA sind verantwortlich für
das Auseinanderbrechen des irakischen Staates, was ja
den „Islamischen Staat“ erst ermöglicht hat . Zudem füh-
ren die USA ihre illegalen Drohnenkriege auch von deut-
schem Boden aus . Deutschland muss endlich aufhören,
hier Beihilfe zu leisten, und aufhören, sich weltweit an
Kriegen zu beteiligen .


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens . Orientieren Sie die Entwicklungszusammen-
arbeit an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort . Führen
Sie Maßnahmen durch, die Kleinbauern statt Agrokon-
zerne unterstützen, die soziale Sicherungssysteme und
Gesundheitssysteme aufbauen und die Bildung für alle
Menschen ermöglichen .

Über allen Maßnahmen muss ein Grundsatz stehen .
Ich zitiere den ehemaligen UN-Sonderberichterstatter für
das Recht auf Nahrung Jean Ziegler . Er sagte:

Es kommt nicht darauf an, den Menschen der Drit-
ten Welt mehr zu geben, sondern, ihnen weniger zu
stehlen .

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813915300

Vielen Dank, Kollege Movassat . – Nächster Redner in

der Debatte ist Axel Schäfer für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Axel Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1813915400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Selten war eine entwicklungspolitische Debatte um
Haushaltsfragen so sehr von den drängenden Problemen
bestimmt, die nicht mehr nur in irgendwelchen Ländern
vorhanden sind, sondern auch zu hiesigen Problemen
geworden sind . Diese Debatte ist zugleich Ausdruck der
Ambivalenz, in der wir uns befinden.

Ich glaube, wir können hier nur ehrlich und aufrichtig
diskutieren, indem wir das mit einem Sowohl-als-auch
unterlegen . Das Sowohl heißt – das muss auch von den
lieben Kolleginnen und Kollegen der Opposition aner-
kannt werden –, dass die Etatmittel in diesem Bereich
den größten Zuwachs seit Bestehen dieses Ministeriums
erfahren . Das ist nicht irgendetwas .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Selbstverständlich ist das eine wichtige Leistung, die für
etwas steht, was erarbeitet und durchgesetzt worden ist,
und das ist auch gut so . Mein Dank geht natürlich auch
an den Minister .

Es ist gut, dass der 11 . Europäische Entwicklungs-
fonds, der bis 2020 läuft, über mehr als 30 Milliarden
Euro verfügt . Dazu muss man nicht nur hier, sondern
auch nach außen hin sagen: Ja, das ist ein wichtiger Fort-
schritt, für den wir gekämpft haben und der nicht von

allein gekommen ist . Er ist neuen Erkenntnissen aus
schlechten Erfahrungen geschuldet, die wir gemacht ha-
ben, aus denen wir aber gemeinsam die richtigen Schlüs-
se ziehen . Das ist die eine Seite, und die sollten wir hier
in diesem Haus wirklich einmal als gemeinsamen Erfolg
betonen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Jetzt reden wir über das Als-auch, über die Schwie-
rigkeiten . Der Herr Minister hat vieles gesagt; das alles
kann ich unterstützen . Ich will es nur an einer Zahl noch
einmal deutlich machen . Wenn dem UNHCR für dieses
Jahr über 4,2 Milliarden Dollar zugesagt werden und wir,
Stand Ende Oktober, erst 2 Milliarden Dollar haben flie-
ßen lassen, so heißt das ganz simpel zweierlei: Erstens .
Viele Länder halten sich nicht an ihre Zusagen . Das ist
unmoralisch und in Demokratien, wo immer sie sind,
unakzeptabel . Zweitens . Die Konsequenz ist ganz klar:
Wir schaffen uns bestimmte Probleme selbst, die wir ver-
meiden könnten . Viele Länder vermeiden sie nicht, bis
sie schließlich bei uns anlanden . Das ist die Konsequenz,
die man offen und vor allen Dingen auch öffentlich aus-
sprechen muss .


(Beifall bei der SPD)


Auch eine andere Konsequenz muss klar sein, wenn
wir über den Zusammenhang von Problemen diskutieren,
gerade wenn wir in Richtung „Klimagipfel in Paris“ bli-
cken . Der Anstieg der Erderwärmung um 1 Grad mehr
oder weniger, das ist für viele Menschen nur eine Zahl .
Eine Zahl ist nicht so dramatisch . Die dramatische Zahl,
die dahintersteht, lautet, dass zum Beispiel aus Bangla-
desch ganz konkret 15 Millionen mehr Menschen fliehen
müssten, weil ihnen sozusagen die Lebensgrundlage un-
ter den Füßen weggeschwemmt würde . Das Land wäre
nicht mehr zu bewirtschaften . Da könnte man nicht mehr
leben . Aber wir haben die Chance, dies mit einer Kli-
mapolitik, gemeinsam in Europa, von Deutschland stark
getragen, zu verändern . Wir haben die Chance, und die
sollten wir in Paris auch nutzen .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn es auch wichtige Übereinstimmungen in der Ko-
alition gibt, so muss man doch auf ein paar Unterschiede
hinweisen . Heute Morgen hat der Kollege Kauder ge-
sagt: Die rot-grün regierten Länder haben das und das
nicht gemacht . – Natürlich muss man über sein eigenes
Land auch mal gut reden . Also: Nordrhein-Westfalen
zum Beispiel, lange rot-grün regiert, hat es seit 1985 –
da regierte die SPD allerdings noch allein – im Rahmen
seines Programms „Eine-Welt-Initiative“ geschafft, dass
bis heute 7 500 junge Menschen in Projekten der Ent-
wicklungszusammenarbeit für Frieden und vieles andere
Gute mehr in über 50 Staaten gearbeitet haben . Auch das
ist ein wichtiger Punkt, den wir gerade bei einer Bun-
destagsdebatte nennen sollten, nicht nur deshalb, weil es
Nordrhein-Westfalen ist – das ist sowieso gut –,


(Beifall bei der SPD)


sondern auch deshalb, weil es in fast allen Bundeslän-
dern, zumindest soweit ich weiß, diese Form der Zusam-
menarbeit im Rahmen eines solchen Projekts gibt; be-

Niema Movassat






(A) (C)



(B) (D)


sonders berührend: Rheinland-Pfalz/Ruanda . Auch das
gehört in den Bundestag . Wir sind ein Bundesstaat . Wir
haben den Bund und die Länder . Die Länder machen da
eine ganze Menge, und das ist gut so . Das sollten wir in
diesem Hause auch einmal ausdrücklich würdigen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen nicht mit Goethe sagen: „Die Botschaft
hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“ . – Wir müs-
sen dabei schon auch ein bisschen an die zukünftige Ent-
wicklung denken, gerade was die Länder anbelangt . Wir
wollen viel zur selben Zeit . Die Länder haben – wir ha-
ben das gemeinsam in entsprechenden Gesetzesänderun-
gen beschlossen – eine Schuldenbremse ab 2019 . Seit der
Finanzminister, der bekanntlich kein Sozialdemokrat ist,
gesagt hat, die oberste Priorität sei – Klammer auf: nicht
mehr die schwarze Null; Klammer zu –, die Probleme zu
bekämpfen, die mit einer großen Zahl von Flüchtlingen,
mit Wanderungsbewegungen zu tun haben, müssen wir
über ganz bestimmte Fragen hier auch ein Stück weit an-
ders diskutieren .

Da ist natürlich immer das taktische Problem: Wer
sagt was und wie? Ich habe mir gedacht, ich löse das heu-
te einmal ganz elegant und nehme etwas Unverdächtiges:
den Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung und Frau
Höll; beide gehören sicherlich nicht zu den Linken in der
SPD . Es geht um das Thema Flüchtlinge . Ich zitiere eini-
ge gute Anregungen:

Es stimmt, die zusätzlichen Milliarden sind Kosten
für uns alle . Für Schreckensszenarien aber besteht
keinerlei Anlass . Im Gegenteil . Dieses Geld ist nicht
nur eine notwendige, sondern auch eine gute Inves-
tition, die unsere Gesellschaft stärkt und damit die
Stabilität unseres Landes . Was nützen uns Schul-
denbremsen und schwarze Nullen, wenn der soziale
Frieden auf die Probe gestellt wird?

Weiter schreibt der Hauptkommentar in der Süddeut-
schen:

Bleibt die Frage, wer das bezahlen soll? Die Kom-
munen, die sich in den letzten Jahren bemüht ha-
ben, ihre Finanzen in Ordnung zu bringen, werden
es nicht leisten können, jedenfalls dann nicht, wenn
sie den Frieden vor Ort wahren wollen . Die Länder
wären – übrigens auch ohne Wahrung der Schulden-
bremse – überfordert . Bleibt also der Bund . Der hat
noch ein paar Reserven, darf auch nur in begrenz-
tem Maß neue Schulden aufnehmen .

Da sind wir uns einig .

Aber wenn die Merkels und Schäubles die stren-
ge Etatdisziplin nicht aufgeben wollen, können sie
auch die Steuern erhöhen . Die für Spitzenverdiener,
wohlgemerkt .

Zu der Kategorie gehören wahrscheinlich auch Bun-
destagsabgeordnete . – Das ist eine völlig richtige Aussa-
ge von der Süddeutschen Zeitung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube – das wird wichtig sein –, gerade wenn wir
über Werte im Jahre 2015 diskutieren – dass Europa eine
Wertegemeinschaft ist, ist heute zu Recht auch von mei-
nen geschätzten Kolleginnen und Kollegen der Union
immer wieder unterstrichen worden –, dann werden wir
auch perspektivisch über die Preise reden .

Ich sage ganz offen und ganz entspannt: Ich habe als
Fraktionsvize, als Erster in bestimmter Verantwortung im
September gesagt: Wir müssen die europäischen Außen-
grenzen so dicht wie möglich machen, das heißt, kon-
trollieren und sichern . – Sie können mir glauben, das hat
nicht überall in der SPD nur Beifall gefunden . Ich halte
das jedoch weiterhin für richtig .

Heute, nach acht Wochen, sagen alle, dass das der
richtige Weg ist . Ich bin mir deshalb auch sicher, dass
wir über die Frage von Gerechtigkeit und Finanzen auch
noch ein Stück anders diskutieren werden, und zwar ohne
eine bestimmte Ideologie, ohne Dogmen, weil uns ein-
fach die Probleme vor neue Herausforderungen stellen,
die wir vor einem Jahr oder auch vor einem halben Jahr
und auch bei Abschluss des Koalitionsvertrages noch
nicht so gesehen haben . Das ist meine persönliche Mei-
nung . Dazu gibt es keinen Fraktionsbeschluss . Ich glaube
aber, das trifft relativ gut die Stimmung der Mitglieder
meiner Partei .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813915500

Vielen Dank, Axel Schäfer . – Nächster Redner: Peter

Meiwald für Bündnis 90/Die Grünen .


Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813915600

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Werter Herr Minister Müller! Ja, Kollege Schäfer, der
BMZ-Etat wurde deutlich aufgestockt . Doch machen wir
uns nichts vor: Das ist am Ende doch nur ein Tropfen
auf den heißen Stein . Das wurde verschiedentlich auch
schon gesagt . Der Aufwuchs reicht gerade einmal, um
die ODA-Quote auf dem trostlosen Niveau von ungefähr
0,4 Prozent zu halten . Vergleichen Sie doch den Gesam-
tetat für das BMZ mit dem Wert der Rüstungsexporte aus
Deutschland in Drittländer oder gar mit dem Verteidi-
gungshaushalt . Ich glaube, dann wird deutlich, wo wir
hier eigentlich stehen, und das angesichts der Herausfor-
derungen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist doch ein Armutszeugnis angesichts der vielen
öffentlichen Deklamationen zur Bedeutung von interna-
tionalem Klimaschutz, Fluchtursachenbekämpfung und
dringend überfälliger Internationalisierung der Arbeit

Axel Schäfer (Bochum)







(A) (C)



(B) (D)


an den Sustainable Development Goals . Der Gipfel in
New York ist noch nicht lange her . Heute taucht das Wort
überhaupt nicht mehr auf . Ist schon vergessen, was wir
uns da eigentlich in der Welt vorgenommen haben? Es ist
ein Armutszeugnis; das muss man einfach so festhalten .
Auf den Gipfeln lächeln, beim Haushalt schwächeln – ist
das die Devise, die am Ende des Tages dann doch von
dieser Regierung ausgeht? Wo ist das weite Herz, mit
dem der Minister und auch die Kanzlerin international
so gern auftreten?

Und, liebe Haushälterinnen und Haushälter der Koa-
lition, genau das haben Sie ja im zuständigen Fachaus-
schuss selber erkannt . Mit viel Tamtam wurden uns dort
die Änderungsanträge mit einem Volumen in Höhe von
500 Millionen Euro vorgelegt . Doch außer Spesen nichts
gewesen!

Kommen wir nun zum Lieblingsschlagwort all derer,
die glauben, man könne sich damit im Zusammenhang
mit der Flüchtlingsfrage freikaufen: Fluchtursachenbe-
kämpfung . Das haben wir heute schon an verschiedener
Stelle gehört . Es ist ein wichtiges Thema, und das nicht
erst, seit 1 Million der weltweit etwa 60 Millionen Ge-
flüchteten an unsere Tür klopfen. Erst jetzt kommt auch
diese Bundesregierung darauf, dass Entwicklungspolitik
hier eine Rolle spielt .

Doch wie wird das jetzt diskutiert? Entwicklungshilfe
als Belohnung für Länder, die Flüchtlinge – zum Teil mit
Repression – zurückhalten oder zurücknehmen? Ausge-
rechnet mit autoritären Regimen, wie zum Beispiel Eri-
trea, über die Rücknahme von Flüchtlingen zu verhan-
deln, im Gegenzug dann zusätzliche Entwicklungsgelder
anzubieten – da werden doch nicht Fluchtursachen be-
kämpft, sondern Flüchtlinge .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Oder: Entwicklungshilfe als kurzfristiges Stopfen von
Löchern, damit Hungernde in Flüchtlingslagern weitab
von Europa bleiben? Natürlich ist es richtig, das Welt-
ernährungsprogramm international endlich ausreichend
auszustatten; das ist doch vollkommen klar . Aber das ist
keine Fluchtursachenbekämpfung . Darüber müssen wir
uns auch im Klaren sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE])


Medienwirksam werden jetzt noch ad hoc Gelder zu-
gesagt . Doch diese Zusagen bedeuten nur kostspielige-
re Hilfen, als wenn man diese Dinge langfristig angeht .
Und, Kollege Klein, fokussieren auf die Lager reicht
nicht, wenn wir wirklich an die Wurzeln herangehen
wollen .

Dagegen – die Kollegin Hajduk hat es gerade schon
angesprochen –: Wo ist das Engagement für die längst
überfällige Stärkung der VN-Strukturen, für eine ver-
nünftige Ausstattung des World Food Programme, von
UNDP, UNEP oder auch für eine Stärkung des Weltsi-
cherheitsrates? Da ist Deutschland in der öffentlichen
Debatte kaum wahrnehmbar . Sieht so die Übernahme
internationaler Verantwortung aus, wenn nicht einmal

innerhalb der Bundesregierung eine Person für die An-
gelegenheiten der Vereinten Nationen zuständig ist? Das
ist weder nachhaltige noch verantwortungsvolle Politik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Michael Leutert [DIE LINKE])


Und was ist eigentlich die dahinterstehende Strategie
der Fluchtursachenbekämpfung? Thomas de Maizière
hat es doch auf den Punkt gebracht: Man könne doch
bitte erwarten, dass die Afghanen im Land bleiben,
weil schließlich so viele Entwicklungsgelder geflossen
seien . – So viel Zynismus ist doch kaum zu überbieten
und macht deutlich, dass diese Bundesregierung an die-
sem Punkt auf allen Ebenen versagt . Hören Sie endlich
auf, mit immer neuen Asylrechtsverschärfungspaketen
Flüchtlinge statt Fluchtursachen zu bekämpfen . Das kann
nicht der Weg sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Eines hat diese Koalition ganz offenbar noch nicht
verstanden: Entwicklungspolitik ist eben kein isolier-
tes Politikfeld, was man mal diesem oder jenem Zweck
unterordnen kann, sondern Entwicklungspolitik muss
internationale Strukturpolitik sein . Und dafür braucht
es Kohärenz statt Konkurrenz zwischen den einzelnen
Ministerien .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Michael Leutert [DIE LINKE])


Erst wenn wir die Kohärenzfrage ehrlich angehen und
unsere Rüstungs-, Handels-, Finanz-, Agrar- oder auch
Rohstoffpolitik an menschenrechtlichen und sozial-
ökologischen Kriterien ausrichten, ist nachhaltige Ent-
wicklung weltweit möglich . Und dann kann man auch
Fluchtursachen bekämpfen .

Erst wenn wir keine Panzer mehr nach Saudi-Arabien
und Katar schicken und wenn wir aufhören, mit subven-
tionierten Agrarprodukten afrikanische Märkte zu zer-
stören oder mit europäischen Fischtrawlern afrikanische
Küsten leerzufischen, ist friedvolle nachhaltige Entwick-
lung möglich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Erst wenn diese Regierung in den Regierungsverhand-
lungen den Umstieg auf erneuerbare Energien und Ef-
fizienztechnologien vor die Exportinteressen deutscher
Großkraftwerksbauer stellt, bekommen Klimaschutz und
der Aufbau wirtschaftlicher Überlebensperspektiven in
den Ländern des globalen Südens eine Chance .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Erst wenn die Sonderinitiative „EINEWELT ohne
Hunger“ nicht mehr davon geprägt ist, möglichst große
Summen über möglichst wenige große Player umzuset-
zen, sondern die Menschen in den bäuerlichen und ge-
nossenschaftlichen Strukturen Afrikas und Asiens zum

Peter Meiwald






(A) (C)



(B) (D)


Subjekt ihrer Projekte macht, besteht die Chance, Hunger
als Fluchtursache wirksam und ernsthaft zu bekämpfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ein Letztes noch zum Thema Kohärenz: Erst wenn
„Fairhandel statt Freihandel“ zur Maxime der Politik
der ganzen Bundesregierung wird – und nicht nur zu der
eines einzelnen Ministers, dessen Engagement wir ja zu
schätzen wissen – und wenn wir uns von den unsinnigen
und schädlichen Vertragsverhandlungen zu CETA, TTIP
und anderen verabschieden, werden Fluchtursachen, die
durch unfaire Handelsbeziehungen entstehen, ehrlich be-
kämpft .

Für diese Bundesregierung aber – das ist der Eindruck,
der sich jetzt aufdrängt – bleibt Kohärenz ein Fremdwort .
Das zeigt auch der Gesamthaushalt mit seinen vielen Fa-
cetten . Haben Sie doch endlich den Mut, der Rüstungs-
lobby wie der Agroindustrie entgegenzutreten!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich komme zum Schluss: Bisher müssen wir trotz des
hier vorgelegten Haushaltsplanes 2016 klar zusammen-
fassen: kein Herz, kein Plan und vor allen Dingen kein
Mut . Das Wissen ist ja da, das Bewusstsein, was getan
werden müsste, scheint ja da zu sein – Kollegin Kofler
hat vieles angesprochen, der Minister hat vieles ange-
sprochen –, aber es fehlt der Mut .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Schluss noch: Wir legen heute noch mal einen
Antrag vor, der zeigt, wie sich solide Finanzpolitik, Kli-
maschutz und globale Gerechtigkeit verbinden lassen .
Einem Aufwuchspfad, um bis 2020 das 0,7-Prozent-Ziel
zu erreichen, könnten Sie sich doch heute einmal an-
schließen . Geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie zu!

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813915700

Vielen Dank, Peter Meiwald . – Die nächste Rednerin:

Sabine Weiss für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sabine Weiss (CDU):
Rede ID: ID1813915800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte

Kolleginnen und Kollegen! Wie die meisten Vorredner
ja bereits betont haben, steht auch der Haushalt des BMZ
dieses Jahr ganz im Zeichen der aktuellen Flüchtlingsbe-
wegung . Gerade weil dieses Thema so wichtig ist, gehe
ich ebenfalls zentral darauf ein, aber ich versuche mal
ein wenig, die guten Nachrichten zu verkünden, also das,
was wir tatsächlich tun und auch noch tun werden .

Wichtig ist erst einmal, dass mehr als jedes andere
Ressort das BMZ in Entwicklungsländern die Lebensbe-
dingungen der Menschen vor Ort verbessert, und zwar,
um ihnen zunächst einmal in ihrer Heimat eine Zukunft
zu bieten . Ich wage gar nicht, darüber nachzudenken,

was in dieser Welt wäre, wenn es nicht schon seit über
50 Jahren diese Entwicklungszusammenarbeit gäbe . Das,
was wir im BMZ tun, was im AwZ beschlossen wird, ist
aus meiner Sicht das Bekämpfen von Fluchtursachen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Herr Meiwald, das betrifft langfristig wirksame Maß-
nahmen in den Partnerländern – von der Grundbildung
über die saubere Energieversorgung bis zur Schaffung
von Arbeitsplätzen –, und es betrifft derzeit natürlich
auch sehr umfangreiche kurzfristige Bemühungen in
Flüchtlingslagern, besonders in Jordanien und im Liba-
non . Das BMZ hilft dabei, diese Lager so auszubauen,
dass die Flüchtlinge dort leben und überleben können;
denn die meisten wollen nicht fern ihrer Heimat sein,
sondern möglichst in der Nähe bleiben . Das erleichtert
die Rückkehr, wenn es die Bedingungen dann erlauben .

Das BMZ fördert allein 180 Projekte in der Region .
Dass dies so schnell möglich war, ist auch den drei Son-
derinitiativen „EINEWELT ohne Hunger“, „Fluchtur-
sachen bekämpfen – Flüchtlinge reintegrieren“ und
„Stabilisierung und Entwicklung Nordafrika-Nahost“
zu verdanken . Das Lob dafür gebührt zunächst unserem
Bundesminister Gerd Müller . Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Er hat dafür nämlich frühzeitig – darüber hatten noch
nicht viele nachgedacht – die Weichen gestellt und kann
jetzt diesen so wirksamen Beitrag leisten, der Flüchtlin-
gen in Jordanien zum Beispiel die Wasserversorgung ge-
bracht hat und vielen Flüchtlingskindern im Libanon den
Schulbesuch .

Sein zweites Verdienst ist es, aus anderen Program-
men über 140 Millionen Euro freigeschaufelt zu haben,
um über das dafür angesetzte Haushaltsvolumen hinaus-
gehen zu können .

In diesem Zusammenhang ein dezenter Hinweis an
die Haushälter, der erlaubt sein mag: Dies kann natürlich
keine Dauerlösung sein . Für eine langfristig wirksame
Entwicklungspolitik sind auch die Maßnahmen wichtig,
die jetzt aktuell gekürzt werden müssen . Vernachlässigen
wir diese nämlich, tragen wir eher – auch das ist heute
schon erwähnt worden – zum Entstehen neuer Krisen bei,
anstatt Flüchtlingsströmen vorzubeugen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Entwicklungspolitik der letzten Jahrzehnte ist in
vielen Ländern erfolgreich; das muss auch einmal betont
werden . Das sieht man zunächst einmal daran, dass die
größten Flüchtlingsströme aus Kriegsländern wie Syri-
en, Irak und Afghanistan und aus Ländern mit schwe-
ren Menschenrechtsverletzungen wie Eritrea kommen .
Aus einigermaßen stabilen und friedlichen Ländern, die
im Vergleich zu Deutschland allerdings noch arm sind,
kommen gar nicht so viele, wie in den Medien behaup-
tet und vielleicht am Stammtisch auch geglaubt wird .
Aus dem Senegal zum Beispiel – immer wieder pla-
kativ als Hauptherkunftsland genannt – kamen letztes

Peter Meiwald






(A) (C)



(B) (D)


Jahr 766 Asylbewerber nach Deutschland . Bei mehr als
14 Millionen Einwohnern ist das eben kein Zeichen einer
völligen Perspektivlosigkeit oder einer gescheiterten Ent-
wicklungspolitik in diesem Land . Nein, diese Menschen
kommen tatsächlich – verständlicherweise –, weil sie in
Deutschland deutlich mehr verdienen können . Das nutzt
ihnen und ihren Familien, die zu Hause geblieben sind .
Dabei müssen wir uns allerdings immer wieder klarma-
chen: Auch bei guter Entwicklung im Senegal wird es
wie in vielen anderen Ländern noch lange große Lohn-
unterschiede zu Deutschland und Europa geben . Gerade
die Entwicklungspolitik muss dazu beitragen, dass diese
großen Unterschiede immer kleiner werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Parallel müssen wir die Möglichkeiten für eine be-
grenzte legale Arbeitsmigration überprüfen und gege-
benenfalls stärken . Beides zusammen kann dann viel-
leicht der illegalen Migration zumindest ein Stück den
Nährboden entziehen und trägt sicherlich auch dazu bei,
die unmenschlichen Flüchtlingsdramen im Mittelmeer
zu verhindern . Ich begrüße deshalb die in diesem Sinne
wegweisenden Beschlüsse zu einer verstärkten europä-
isch-afrikanischen Partnerschaft, die vor zwei Wochen
beim Gipfeltreffen in Valletta getroffen wurden .

Der Fahrplan für die globale Entwicklungspolitik –
Herr Meiwald, sie wurde eben nicht vergessen –, mit dem
ein Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen geleis-
tet werden soll, ist die gerade in New York beschlosse-
ne Agenda 2030 . Dass Deutschland gut aufgestellt ist,
wenn es darum geht, einen signifikanten Beitrag zu ihrer
Umsetzung zu leisten, hat die OECD nach der jüngsten
Überprüfung der deutschen Entwicklungspolitik klar be-
stätigt .

Auch deshalb ist es richtig, dass der Haushalt des
BMZ 2016 den größten Zuwachs seiner Geschichte
erfährt . Auch ich will es sagen: Es sind 863 Millionen
Euro zusätzlich . Damit steigt der BMZ-Haushalt auf das
Rekordniveau von 7,4 Milliarden Euro . Ich danke den
Haushältern der Koalition dafür, dass sie dies möglich
gemacht haben . Ich danke aber auch unserem Bundes-
finanzminister Wolfgang Schäuble und unserer Bundes-
kanzlerin Angela Merkel .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dank ihres Engagements wurde beschlossen, in den re-
levanten Ressorts bis 2019 mehr als 10 Milliarden Euro
zusätzlich für die Entwicklungspolitik bereitzustellen .
Das muss einmal gesagt werden . Dafür – das möchte ich
betonen – gebührt ihnen unser aller Dank .

Ich bin überzeugt, lieber Gerd Müller, dass du diese
Mittel als Bundesminister zusammen mit deinen Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern sinnvoll einsetzen wirst, um
die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele zu fördern . Sie
alle gemeinsam leisten damit einen Beitrag zur Bekämp-
fung von Fluchtursachen – das meistgebrauchte Wort
in den politischen Debatten der letzten Wochen . Unter
der Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel geht
Deutschland hier den richtigen Weg, die Mittel für Ent-
wicklungspolitik anzuheben .

Wohin fließt nun das zusätzliche Geld? Ich habe ein
bisschen in den Haushalt geschaut und möchte einige
Schlaglichter nennen . Die Ausgaben für Maßnahmen
der drei fluchtrelevanten Sonderinitiativen verdreifachen
sich fast; sie steigen von 200 Millionen auf 590 Millio-
nen Euro . Die Mittel im Titel „Finanzielle Zusammenar-
beit mit Regionen“ steigen zum Beispiel um 27 Millio-
nen Euro auf insgesamt 87 Millionen Euro an . Der eine
oder andere von Ihnen mag vielleicht gar nicht wissen,
was sich dahinter verbirgt . Mit dem Geld werden kleine
und mittlere Unternehmen zum Beispiel in Afrika und
im Nahen Osten finanziert. Dadurch entstehen in hohem
Maße und ganz konkret Arbeitsplätze . Ich bin der festen
Überzeugung: Ein sicherer Arbeitsplatz, der es ermög-
licht, die Familie zu ernähren, ist das beste Mittel gegen
Flucht überhaupt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dr. Bärbel Kofler [SPD])


Wenn die Mittel für solche Ansätze erhöht werden, dann
beugt das der Flucht ganz konkret vor .

Voraussetzung für einen nachhaltigen Arbeitsplatz mit
gutem Einkommen – das ist ganz logisch – ist wiederum
eine gute Berufsausbildung . Daher hat das BMZ die Be-
reitstellung von 40 Millionen Euro für die gerade in Val-
letta verkündete Ausbildungsinitiative für Afrikaner und
Afrikanerinnen angekündigt . Auch das ist ein Beitrag zur
Fluchtursachenbekämpfung .

Dass die zivilgesellschaftlichen Träger durchweg
mehr Mittel bekommen, halte ich für richtig und gut . Ich
möchte die Gelegenheit nutzen, heute einen deutlichen
Appell an all diese Träger zu richten: Überprüfen Sie bit-
te Ihr Portfolio auf die Relevanz für die Fluchtursachen-
bekämpfung, und richten Sie es vielleicht noch stärker
als bisher darauf aus!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Sonja Steffen [SPD])


Ganz besonders freue ich mich – auch wenn es, rela-
tiv gesehen, nur ein kleiner Betrag ist –, dass die Mittel
für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit in unserem
Land von 25 Millionen auf 35 Millionen Euro ansteigen .
Es ist höchste Zeit, kann ich da nur sagen . Viele auslän-
derfeindliche Parolen dieser Tage werden uns vielleicht
zukünftig erspart bleiben, wenn das Wissen der Men-
schen hier vor Ort über die Zusammenhänge in der Welt
und über andere Kulturen schlichtweg größer wäre .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Für den Bereich Klimaschutz – auch das wurde er-
wähnt – sind allein vom BMZ 1,4 Milliarden Euro für
bilaterale Maßnahmen eingeplant . Hinzu kommen mul-
tilaterale Leistungen . Das ist vor der Klimakonferenz
in Paris, die am Montag beginnt, ein überaus wichtiges
Signal .

Noch ein Hinweis – das wissen Sie wahrscheinlich,
Sie sagen es nur nicht –: Die OECD lobt das besonde-
re Engagement für den Klimaschutz . 28 Prozent der
deutschen bilateralen ODA-Mittel werden dafür einge-
setzt; das sind 12 Prozent mehr als der Durchschnitt der

Sabine Weiss (Wesel I)







(A) (C)



(B) (D)


OECD-Geberländer . Das muss man einmal betonen und
darf nicht immer alles schlechtreden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist sowohl ein Markenzeichen deutscher Entwick-
lungspolitik als auch ein wichtiger Beitrag zur Bekämp-
fung von Fluchtursachen .

Das BMZ setzt 2016 1 Milliarde Euro für ländliche
Entwicklung ein mit einem klaren regionalen Schwer-
punkt auf Afrika . Erneut wird die Zusage der Bundes-
kanzlerin erfüllt, 500 Millionen Euro für den Schutz der
Wälder und der Biodiversität einzusetzen usw . usf . Die
Liste der Maßnahmen ist noch deutlich länger .

Ich fasse zusammen: Der BMZ-Haushalt 2016 kombi-
niert in guter Weise die strukturelle, langfristige Entwick-
lungspolitik mit den kurzfristig notwendigen Maßnah-
men zur Stabilisierung der Krisenregionen . Entscheidend
für uns ist – ich weiß, das sagen alle Kolleginnen und
Kollegen in der Entwicklungspolitik –: Im Mittelpunkt
stehen immer die Menschen . Deren Lebensbedingungen
wollen wir in ihrer Heimat oder wenigstens heimatnah
deutlich verbessern .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813915900

Vielen Dank, Sabine Weiss . – Nächster Redner:

Dr . Sascha Raabe für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1813916000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der
Grünen, Sie wollen dem Haushalt dieses Jahr nicht zu-
stimmen, weil der Aufwuchs Ihrer Meinung nach zu ge-
ring ist . Sie wissen, dass ich nicht zu denen gehöre, die
einen Haushalt schönreden . Auch ich habe, obwohl ich
Mitglied einer Regierungsfraktion bin, den letzten bei-
den Haushalten, auch dem Gesamthaushalt, nicht zuge-
stimmt . Ich hatte Anfang der Legislaturperiode deutlich
protestiert, weil im Koalitionsvertrag im Mittel lediglich
ein Aufwuchs von 200 Millionen Euro pro Jahr vorgese-
hen wurde .

Jetzt wächst der Entwicklungshaushalt um knapp
900 Millionen Euro, und im Bereich des Auswärti-
gen Amtes ist ein Aufwuchs der ODA-Mittel von etwa
800 Millionen Euro zu verzeichnen . Wir kommen also
auf über 1,6 Milliarden Euro mehr ODA-Mittel . Einen
solchen Aufwuchs hätten wir uns vor ein paar Jahren
nicht träumen lassen . Deswegen sage ich: Der Aufwuchs
der ODA-Mittel ist gut . Ich stimme ihm zu . Ich glaube,
das wird den Ärmsten der Armen helfen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es ist auch kein Geheimnis – der Minister weiß das –:
Es wäre besser gewesen, wenn die entsprechenden Maß-
nahmen früher vereinbart worden wären . Es ist wirklich
höchste Zeit; es ist vielleicht eher fünf nach zwölf als

fünf vor zwölf, aber besser spät als nie . Ich erinnere
daran: Bereits 2011 haben 372 Abgeordnete, also fast
60 Prozent des Hauses, parteiübergreifend hier im Bun-
destag einen entwicklungspolitischen Konsens beschlos-
sen . Wir hatten vereinbart: Wir wollen pro Jahr 1,2 Mil-
liarden Euro mehr an anrechnungsfähigen ODA-Mitteln
zur Verfügung stellen, um bis zum Jahr 2015 auf eine
Quote von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens
zu kommen . Das haben wir leider nicht geschafft . Weil
wir es als Entwicklungspolitiker in den letzten Jahren oft
nicht einfach hatten, in der Bevölkerung oder auch bei
dem einen oder anderen Spitzenpolitiker Gehör zu fin-
den, sage ich: Hätte man 2011, also vor vier, fünf Jahren,
auf uns gehört, dann wären uns viele Probleme und viel
Flüchtlingselend erspart geblieben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Forderung war richtig . Wir werden nun zusehen,
dass wir in Zukunft die 0,7 Prozent erreichen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Um auf die 0,7 Prozent zu kommen, brauchen wir in
der Tat einen konkreten Fahrplan für die nächsten Jahre;
den vermisse ich noch . Aber man kann doch nicht einen
Haushalt ablehnen, weil dieser ODA-Mittel in Höhe von
„nur“ 1,6 Milliarden Euro enthält, wenn man selber frü-
her nur 1,2 Milliarden Euro mehr ODA-Mittel pro Jahr
gefordert hat . Das ist nicht in Ordnung .

Der Kollege Klein hat gesagt, dass wir bald eine
ODA-Quote von 0,7 Prozent erreichen, wenn wir jetzt
die durch die Flüchtlingskrise entstandenen Kosten in-
nerhalb der ersten zwölf Monate anrechnen . Theoretisch
könnten übrigens sogar die Abschiebekosten angerechnet
werden, was wir aber nicht machen . Ich warne davor, das
überhaupt in Betracht zu ziehen, auch wenn man so et-
was laut DAC-Kriterien machen könnte . Wenn man die
Kosten des Bundesinnenministeriums und der anderen
Ressorts für die Unterbringung von Flüchtlingen rein-
rechnet – das hat nichts mit den 1,6 Milliarden Euro zu
tun, die ich lobe –, dann bläht man die ODA-Quote auf
wie einen bunten Luftballon . Dann darf man sich nicht
wundern, wenn der einem um die Ohren fliegt. Mit ei-
ner ODA-Quote, die nur auf dem Papier schön aussieht,
macht man niemanden satt, bringt man kein Kind mehr in
die Schule, baut man kein Krankenhaus, schafft man kei-
ne Arbeitsplätze und keine Perspektiven, beseitigt man
keine Fluchtursachen . Wir brauchen echtes Geld,


(Beifall der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD])


mehr Mittel, einen ODA-Pfad bis 2020 oder 2030, da-
mit wir spätestens 2030 bei 0,7 Prozent ankommen; je
schneller, desto besser .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben heute schon viel über Fluchtursachen gere-
det . Das, was zu den syrischen Flüchtlingen gesagt wur-
de, will ich nicht noch einmal wiederholen . Ich möch-
te den Fokus auf einen anderen Aspekt richten: Schon

Sabine Weiss (Wesel I)







(A) (C)



(B) (D)


bevor in Syrien die große Krise ausgebrochen ist, sind
aus Afrika viele Menschen zu uns gekommen und kom-
men auch immer noch viele Menschen zu uns . Die Be-
völkerung dieses Kontinents wird in den nächsten 20,
30 Jahren von 1 Milliarde Menschen auf 2 Milliarden
Menschen anwachsen . Deswegen ist das, was der Minis-
ter vorhin gesagt hat, richtig: Wir legen bei unserer Ent-
wicklungszusammenarbeit den Fokus nicht nur auf die
unmittelbare humanitäre Hilfe; das macht das Auswär-
tige Amt . Wir sind nicht der Feuerlöscher, sondern wir
sind diejenigen, die präventiv, vorbeugend Strukturen
schaffen müssen, die Perspektiven schaffen müssen, die
Menschen aus Armut herausführen und eine wirkliche
Zukunft für die Menschen in diesen Ländern schaffen
müssen . Deswegen ist jeder Cent, den wir im Entwick-
lungshaushalt einsetzen, eine vorbeugende, präventive
Maßnahme zur Bekämpfung von Fluchtursachen . Dazu
können wir selbstbewusst stehen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weil mir heute zu oft die Bekämpfung von Fluchtur-
sachen als Motiv für die Erhöhung der Mittel für die Ent-
wicklungszusammenarbeit angeführt wurde, sage ich: Im
Peer Review des DAC wird zu Recht kritisiert, dass aus
Deutschland in die Least Developed Countries, also die
ärmsten Entwicklungsländer, immer noch zu wenig Geld
fließt. Wir hatten dazu einen Briefwechsel, einen Aus-
tausch . In den Koalitionsvertrag haben wir geschrieben,
dass wir für die ärmsten Staaten, für die fragilen Staaten
mehr Geld ausgeben wollen . Ich sage Ihnen ganz ehrlich:
Wir können nicht weiter zulassen, dass 20 000 Menschen
pro Tag an den Folgen von Hunger und Armut sterben,
vor allem Kinder . Es ist egal, ob aus diesen Kindern
später einmal ein Flüchtling wird oder nicht . Ich möch-
te dieses Sterben nicht länger zulassen . Dieses Sterben
müssen wir verhindern . Jeder Mensch hat ein Recht auf
ein menschenwürdiges Leben, unabhängig von der Frage
der Fluchtursachenbekämpfung .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es hat in der Tat nicht nur etwas mit Geld zu tun, ob
Menschen eine Zukunftsperspektive haben oder in Ar-
mut leben . Im Zusammenhang mit den Handelsbezie-
hungen haben wir in Brüssel jetzt zum Beispiel über das
ganz heiße Thema der sogenannten Konfliktmineralien
zu diskutieren. In jedem Smartphone sind Konfliktmine-
ralien verarbeitet, auch in all denen, die Sie haben . Im
Kongo wird damit ein blutiger Bürgerkrieg finanziert:
Rebellengruppen werden ausgestattet, Kinder werden
als Soldaten missbraucht oder müssen in Minen schuf-
ten . Wir wissen, dass viele Flüchtlinge aus dem Kongo in
Uganda unterkommen . Es wurde schon zu Recht gesagt,
dass 90 Prozent der Flüchtlinge aus Entwicklungsländern
in benachbarten Ländern unterkommen . Wir müssen da-
für sorgen, dass Konzerne nicht länger Geld mit diesen
Konfliktmineralien verdienen. Nicht an unseren Händen,
aber an unseren Handys klebt Blut . Deswegen sage ich:

Wir wollen einen Wandel durch fairen Handel, und die-
ses Ziel müssen wir schnell erreichen .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . HansJoachim Fuchtel [CDU/CSU] und Michael Leutert [DIE LINKE])


Das gilt genauso für die angesprochenen Baumwoll-
subventionen der USA und für die Landwirtschaftssub-
ventionen der Europäischen Union . Das gilt auch für die
Schokolade, die wir so gerne essen . Wir müssen beden-
ken, dass auf den Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste
und in Ghana 2,3 Millionen Kinder ab fünf Jahren ge-
fährliche Arbeiten verrichten müssen . Dadurch, dass sie
mit Pestiziden in Berührung kommen und mit Macheten
hantieren, gefährden sie ihr eigenes Leben . Sie haben
keine Chance, eine Bildung zu erhalten, die ihnen eine
Perspektive bietet, die ihnen ein menschenwürdiges Le-
ben ermöglicht .

Wir haben schon oft über blutige T-Shirts aus Bangla-
desch geredet . Diesbezüglich sind wir mit dem Textil-
bündnis auf einem guten Weg . Ich sage es an dieser Stel-
le trotzdem noch einmal: Es kann nicht sein, dass eine
Banane, die nicht die richtige Länge und Breite hat, nicht
in die Europäische Union rein darf, aber T-Shirts und
Handys, an denen Blut klebt, und Schokolade, die mit
Kinderarbeit hergestellt wurde, in die Europäische Union
rein dürfen . Das müssen wir ändern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle, Herr Minister, werden wir uns
auch noch einmal über das Abkommen mit Westafrika
unterhalten müssen . Denn in diesem sind gerade die-
se Kernarbeitsnormen, die Kinderarbeit verbieten und
menschenunwürdige Arbeit verhindern sollen, nicht
enthalten . Die Freihandelsabkommen der Europäischen
Union müssen diese Dinge enthalten .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813916100

Darüber reden wir heute aber nicht mehr .


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1813916200

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813916300

Genau .


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1813916400

Lassen Sie uns die Welt ein Stück gerechter machen .

Lassen Sie uns im nächsten Jahr weiter gemeinsam für
die notwendigen Mittel sorgen, um Fluchtursachen zu
bekämpfen . Dann, aber nur dann schaffen wir das, meine
lieben Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813916500

Vielen Dank, Sascha Raabe . – Nächster Redner:

Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion .

Dr. Sascha Raabe






(A) (C)



(B) (D)



Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1813916600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vor einigen Wochen wurde die deutsche Entwicklungs-
zusammenarbeit durch einen Prüfbericht der OECD un-
tersucht, und ihr wurde ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt .
Deutschland sei auf dem richtigen Wege, verkündete der
Zusammenschluss der wichtigsten Industriestaaten . Der
OECD-Bericht legt dar, dass wir es in den letzten Jahren,
und zwar insbesondere im Jahr 2010, geschafft haben,
durch die Evaluierung eine ganze Reihe von Verbesse-
rungsmaßnahmen im Bereich der Entwicklungszusam-
menarbeit auf den Weg zu bringen . So wird hier insbe-
sondere darauf hingewiesen, dass es eine verbesserte
Steuerungsfähigkeit des zuständigen Ministeriums gege-
ben hat . Es sei eine starke Präsenz der Durchführungsor-
ganisationen in den Partnerländern sichergestellt worden .
Die Abstimmung mit den multilateralen Akteuren sei in
einer sehr viel besseren Form erfolgt . In sämtlichen Be-
reichen zeigen sich also gute Erfolge . Das ist das Urteil
der Prüfkommission .

Das zeigt, dass die Wirksamkeit der deutschen Ent-
wicklungszusammenarbeit in den letzten Jahren schritt-
weise erhöht worden ist, und das sehr konsequent . Dies
geht auch – das muss man deutlich sagen – auf die Effek-
tivierungsmaßnahmen zurück, die unter der letzten Bun-
desregierung auf den Weg gebracht worden sind .

Unsere heutige Aussprache zum Etat des Ministeri-
ums ist auch eine Fortschreibung dieses Erfolges . Es ist
mehrfach gesagt worden: Im kommenden Jahr werden
wir rund 7,4 Milliarden Euro für diesen Aufgabenbereich
zur Verfügung stellen . Das sind 13,2 Prozent mehr als im
laufenden Jahr . Zur historischen Einordnung: Es ist der
höchste Etat des Ministeriums seit seinem Bestehen .

7,4 Milliarden Euro und kontinuierliche Verbesse-
rungen im Wirkungsgrad deutscher Entwicklungszu-
sammenarbeit: Das zusammen eröffnet einen sehr viel
größeren Handlungsspielraum . Das ist gerade auch auf-
grund der Problematik in der Flüchtlingssituation bitter
notwendig . Es ist an dieser Stelle schon mehrfach ange-
sprochen worden: Die weltweite Bekämpfung und Be-
seitigung von Fluchtursachen sehen Minister Müller und
die Entwicklungspolitiker in der Koalition als das Thema
der Stunde an . Entwicklungspolitik kann und muss ihren
Beitrag leisten, um die große Zahl von Flüchtlingen in
den kommenden Jahren zu reduzieren . Entwicklungs-
politik ist unsere Hilfe, unser Werkzeug für die Arbeit
vor Ort . Deswegen begrüße ich den Mittelzuwachs um
190 Millionen Euro auf 300 Millionen Euro für die Son-
derinitiative „Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge
reintegrieren“ ausdrücklich .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Sonja Steffen [SPD])


Machen wir uns noch einmal die Bandbreite bewusst,
in der die deutsche Entwicklungspolitik ihre Wirkung
entfaltet . Das Europäische Jahr für Entwicklung 2015
neigt sich dem Ende zu . Es war ein entscheidendes Jahr
für die große globale Entwicklungsagenda . Deutschland
hat diesen Prozess maßgeblich mitgestaltet . Auch hier
möchte ich der Bundeskanzlerin noch einmal ausdrück-
lich Dank für ihren Einsatz im Dienste der Entwicklungs-

politik aussprechen . Insbesondere auf dem G-7-Gipfel
auf Schloss Elmau im Juni dieses Jahres hat sie entwick-
lungspolitische Themen propagiert, vorangebracht und
ihnen auf diesem Gipfel eine Plattform gegeben . Das
ist nicht selbstverständlich . Sie, Minister Müller, haben
im Anschluss an dieses Treffen gesagt: So viel Entwick-
lungspolitik war noch nie . – Das ist völlig richtig .


(Beifall der Abg . Sibylle Pfeiffer [CDU/ CSU])


Einen entwicklungspolitischen Meilenstein haben wir
dieses Jahr auch mit der Verabschiedung der UN-Nach-
haltigkeitsziele erreicht . Die sogenannte Post-2015-
Agenda wird Deutschland und die Welt in der Entwick-
lungszusammenarbeit bis zum Jahr 2030 begleiten . Im
Rahmen zukünftiger Debatten über diesen Haushalt wird
die Finanzierung der nachhaltigen Entwicklungsziele na-
türlich auch nachhaltig auf der Agenda stehen . Denn ei-
nes muss deutlich kommuniziert werden: Mit den neuen
Entwicklungszielen wird der Finanzierungsbedarf enorm
steigen, vor allem für Infrastruktur und klimarelevante
Investitionen .

Im Juli dieses Jahres konnte ich Minister Müller auf
die Financing-for-Development-Konferenz nach Addis
Abeba begleiten . Aufbauend auf den Konferenzen in
Monterrey und Doha wurde dort über die Grundlagen der
internationalen Finanzarchitektur und vor allen Dingen
über die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele dis-
kutiert . Von dort konnte ich, konnten wir das Ergebnis
mitnehmen, dass ein globaler Konsens darüber besteht,
alle Möglichkeiten der Entwicklungs- und Klimafinan-
zierung zu nutzen und einheitlich zu erfassen, sowohl
öffentliche als auch private Ressourcen .

Die Klimakonferenz in Paris wird im Gipfelkalender
2015 nun den Abschluss bilden . Auch hier soll Wegwei-
sendes verkündet und ein Nachfolgeabkommen für das
Kioto-Protokoll beschlossen werden . Ich erinnere an
dieser Stelle sehr gerne daran, dass das BMZ mit einer
Haushaltszuständigkeit für 90 Prozent der globalen
Klimamittel Deutschlands eine wachsende Verantwor-
tung trägt; auch das muss hier deutlich gesagt werden .
Die Mittel im Kampf gegen die globale Erderwärmung
sollen um 250 Millionen Euro steigen . Denn die Folgen
des Klimawandels sind vor allem für die Menschen in den
Schwellen- und Entwicklungsländern spürbar – Bangla-
desch ist genannt worden –, und sie werden in absehbarer
Zeit viele Tausende Klimaflüchtlinge verursachen, wenn
wir nicht handeln, meine Damen und Herren .

Aber auch in Deutschland sind wir einen guten Schritt
weitergekommen; das darf ich in einer Bilanz, die im Zu-
sammenhang mit dem Haushalt notwendig ist, deutlich
sagen . Das von Minister Müller initiierte Bündnis für
nachhaltige Textilien hat seine Mitgliederzahl ein Jahr
nach seiner Gründung verfünffacht – eine gute Entwick-
lung, die uns Hoffnung gibt, dass das Bündnis auch sicht-
bare Erfolge für die Verbraucher erarbeitet .

Meine Damen und Herren, wie schaffen wir es nun, in
diesem breiten Aufgabenfeld mit den uns zur Verfügung
stehenden Finanzmitteln möglichst viel zu erreichen?
Lassen Sie mich an dieser Stelle auf die von mir bereits
angesprochene strategische Ausrichtung der Entwick-






(A) (C)



(B) (D)


lungspolitik eingehen . Jedem von uns investierten Euro,
der in den betroffenen Ländern für die Bekämpfung von
Fluchtursachen, für die Begrenzung des Klimawandels
oder zur Förderung der Gleichberechtigung von Frauen
in Entwicklungsländern eingesetzt wird, steht ein Mehr-
wert gegenüber, den wir nicht für die Folgen von Flucht,
von Klimaschäden und zur Beseitigung von Ungleichheit
aufbringen müssen . Das sind eben Investitionen in die
Zukunft; das ist wichtig .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Minister Müller hat dies an einem Beispiel deutlich ge-
macht: 1 Euro, den wir im Libanon investieren, kann dort
einen Nutzen von bis zu 30 Euro entfalten . Er nützt dort
also 30-mal mehr; das müssen wir sehen .

Doch nicht selten steht die Entwicklungspolitik in der
Kritik . Ihr Nutzen wird nicht nur von Politikern, sondern
auch von der Bevölkerung – wir alle wissen das – immer
wieder hinterfragt . Von einem Fass ohne Boden ist die
Rede . „Kommt das denn eigentlich auch unten an?“, ist
die Frage . Die Entwicklungszusammenarbeit und wir als
Entwicklungspolitiker, wenn wir an unseren Ständen auf
den Märkten stehen, befinden uns in einer besonderen
Rechtfertigungssituation und stehen unter einem beson-
deren Erfolgsdruck . Denn wir geben – oder schleudern;
wie auch immer – die Steuergelder ins Ausland .

Die gute Nachricht ist, meine Damen und Herren:
Meines Erachtens hat sich in den vergangenen Monaten
in der deutschen Öffentlichkeit auch hier eine positivere
Einschätzung zur Notwendig von nachhaltiger Entwick-
lungszusammenarbeit verbreitet . Aus diesem Grunde ist
die Politik verpflichtet, mit größter Sorgfalt zu überprü-
fen, wie wir unsere entwicklungspolitischen Projekte
zum größtmöglichen Erfolg führen können . Jeden Tag
müssen wir aufs Neue auswerten, was gut läuft und wo
Verbesserungen notwendig sind . Um dem Vertrauen in
die Entwicklungspolitik ein solides Fundament zu geben,
ist es meines Erachtens von großer Bedeutung, aus Er-
reichtem zu lernen und die richtigen Schlüsse zu ziehen .

2012 haben wir deshalb das Deutsche Evaluierungs-
institut der Entwicklungszusammenarbeit gegründet und
damit ein nützliches Instrument geschaffen . Es hat das
Potenzial, uns auf unsere Fehler aufmerksam zu machen,
unsere Erfolge zu bewerten und die Misserfolge deutlich
und transparent zu machen und sachlich zu analysieren .
Das DEval kann uns durch seine Evaluierungsempfeh-
lungen eine effektivere Entwicklungszusammenarbeit
ermöglichen und uns helfen, zukünftige Projekte auf den
richtigen Kurs zu bringen .

Evaluierung erhöht den Druck auf uns, die Nachhal-
tigkeit von Projekten noch ernster zu nehmen . Doch lei-
der spielt das DEval nicht immer die Rolle, die man ihm
bei seiner Gründung zugedacht hat . Bisher ist lediglich
eine überschaubare Anzahl an Evaluierungsberichten fer-
tiggestellt worden . Wir nutzen dieses Potenzial des Insti-
tutes noch in einem zu geringen Umfang; das muss man
auch selbstkritisch sagen .

Neben dem DEval gibt es eine Reihe weiterer Orga-
nisationen, zum Beispiel die KfW, die eigenständig eine

sehr breit angelegte Evaluation von entwicklungspoliti-
schen Projekten durchführen . Wir brauchen eine stärkere
Verzahnung zwischen dem DEval und diesen Organisa-
tionen . Wir müssen die Kräfte besser bündeln und ko-
ordinieren und einen Weg finden, aus dieser Vielzahl an
Evaluationen und Erkenntnissen strategisch zu lernen
und einen Mehrwert zu erzielen .

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch noch
einige Sätze zur Flüchtlingsthematik sagen . Derzeit be-
schäftigen wir uns ja mit dem Thema Obergrenze und
damit, wie viele Menschen zu uns kommen und wel-
che Kosten entstehen werden . Das alles ist hier schon
mehrfach gesagt worden . Diese Fragen beschäftigen die
Menschen natürlich deutschlandweit, und wir müssen
Antworten darauf geben . Vor allen Dingen müssen wir
die Menschen auch vor Demagogen schützen und deut-
lich machen, dass sie nicht missbraucht werden dürfen .
Beispiele dafür hat es in der jüngsten Zeit ja sehr viele
gegeben . Nichtsdestotrotz darf unsere Unterstützung für
diese Krisenregion nicht aus dem Fokus verschwinden .
Deshalb müssen die Anliegen der Entwicklungszusam-
menarbeit Gehör finden.

Vergessen wir nicht: Staaten wie die Türkei, der Liba-
non oder Jordanien haben Hunderttausende Flüchtlinge
aus Syrien und dem Irak aufgenommen . Deshalb geht
mein Appell hier nochmals in Richtung Intensivierung
der Entwicklungszusammenarbeit .

Die politische Ressortabgrenzung in Deutschland gibt
vor, dass das Auswärtige Amt für den gesamten Bereich
der humanitären Hilfe verantwortlich ist . Der Einzel-
plan 05 – Auswärtiges Amt – zeigt: Für humanitäre Hilfs-
maßnahmen im Ausland sind im kommenden Jahr rund
730 Millionen Euro veranschlagt . Diese Summe ist auf-
grund der aktuellen Lage auch dringend notwendig . Wir
müssen versuchen, das gemeinsam mit dem Auswärtigen
Amt effektiv umzusetzen und hier eine gute Synthese der
beiden Ministerien zu erreichen .

Zum Schluss möchte ich noch einmal die Gelegenheit
nutzen, auf die historische Steigerung im Haushaltsent-
wurf hinzuweisen . Dieses Mehr an Entwicklungsmitteln
brauchen wir auch dringend, um die maßgeblichen Ver-
besserungen der Lebensbedingungen der Menschen in
den Krisenregionen zu bewirken . Noch einmal: Sie leis-
ten einen wichtigen, wenn nicht sogar den wichtigsten
Beitrag dafür, Flucht und Vertreibung abzumildern .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813916700

Vielen Dank, Herr Kollege Klimke . – Letzte Rednerin

in dieser Debatte: Sonja Steffen für die SPD .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Sonja Steffen (SPD):
Rede ID: ID1813916800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mir kommt jetzt die ehrenvolle Aufgabe der
Abschlussrede zu .

Jürgen Klimke






(A) (C)



(B) (D)


Nachdem wir heute vieles gehört haben – der Etat ist
sehr gelobt und auch sehr kritisiert worden –, kann ich
abschließend vielleicht auch grafisch ein bisschen mehr
Licht in den Etat – also nicht ins Dunkle – bringen . Ich
zeige Ihnen jetzt einmal die Entwicklung unseres Etats
seit 2005 .


(Die Rednerin hält ein Schaubild hoch)


Wenn Sie gute Augen haben, dann stellen Sie fest, dass
wir im Jahr 2005 mit einem Etat von 3,9 Milliarden Euro
gestartet sind . Dieser Etat ist bis zum Haushaltsentwurf
für das Jahr 2016 fast verdoppelt worden. Ich finde, das
ist sehr gut . Darüber freuen wir uns alle sehr .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auf der Grafik kann man übrigens auch die Niebel-Delle
erkennen .


(Heiterkeit)


Sie sieht zwar 2013 relativ klein aus . Aber immerhin
wurde der Etat um 100 Millionen Euro gekürzt .

Was man auch sehr schön erkennen kann – ich neh-
me an, alle, die hier sitzen, werden sich erinnern –, ist
der Zeitpunkt, als wir in der Großen Koalition gestartet
sind . Die Fachpolitiker waren damals sehr enttäuscht da-
rüber – mein Kollege Herr Raabe hat das vorhin vorge-
tragen –, dass damals der Finanzplan für unseren Haus-
halt recht traurig aussah. Auch das ist auf der Grafik zu
erkennen . Der ursprüngliche Finanzplan sah so aus, dass
man fast einen waagerechten Strich hätte ziehen können .
Nun sieht man aber hier, 2015, wie diese Linie stark nach
oben geht . Das zeigt uns, dass wir in diesem Jahr einen
enormen Aufwuchs haben . Ich denke, wir alle haben uns
über 860 Millionen Euro mehr in diesem Etat gefreut .

Es ist auch schon gesagt worden: Wir haben fast
400 Millionen Euro Barmittel umverteilt . An dieser Stel-
le möchte ich mich übrigens beim Hauptberichterstatter
Volkmar Klein bedanken, nicht nur für die Umverteilung,
sondern auch für die gute Unterstützung und Organisati-
on der gesamten Haushaltsdebatten, besonders der Be-
richterstattergespräche .

Es ist richtig – Frau Hajduk hat es gesagt; ich glaube,
auch Frau Weiss –: Wir haben bei den Umschichtungen
die 400 Millionen Euro irgendwo wegnehmen müssen .
Dieses Geld haben wir in der Tat bei der GIZ und der
KfW gekürzt . Ich will einmal sagen: mit deren Einver-
ständnis . Es blieb ihnen auch nichts anderes übrig .


(Heiterkeit)


Aber wir wissen, dass das keine dauerhafte Lösung sein
kann . Insofern bin ich ganz bei Ihnen, wenn Sie sagen:
Das ist keine Dauerlösung . Es kann sich nur um eine
kurzzeitige Umschichtung handeln, die eben den beson-
deren Problemen geschuldet ist, die wir mithilfe dieses
Etats – Stichwort: Fluchtursachen bekämpfen – lösen
wollen . Langfristig kann also nur eine Erhöhung der Mit-
tel erfolgen, damit wir auch an dieser Stelle weiterhin
gute Arbeit leisten können .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es ist schon gesagt worden, dass wir die Mittel aus
zwei großen Titeln umgeschichtet haben . Das betrifft zum
einen die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen“
und zum anderen den Titel „Krisenbewältigung und Wie-
deraufbau, Infrastruktur“ . Hier ist es besonders wichtig,
dass wir die Mittel bereitstellen, weil damit beispielswei-
se die Krisen in den Anrainerstaaten Syriens angegangen
werden . Da ist unsere Hilfe unbedingt erforderlich .

Ich möchte mich jetzt noch im Zusammenhang mit
der Deutschen Welle an Sie wenden . Ich freue mich sehr,
dass die Mittel für die Deutsche-Welle-Akademie auch in
unserem Etat einen Aufwuchs erhalten haben . Ich halte
das für sehr wichtig; denn aus Mitteln des BMZ fördert
die Deutsche-Welle-Akademie in 25 Ländern die Mei-
nungsfreiheit und den Zugang zu Informationen durch
Entwicklung freier und transparenter Mediensysteme .
Ich denke, das ist eine sehr wichtige Aufgabe, die die
Deutsche Welle weltweit erfüllt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Erfreulich finde ich persönlich – der Minister weiß
es –, dass auch die Mittel für GPEI erhöht werden konn-
ten . GPEI ist die Organisation, die sich insbesondere um
die Bekämpfung von Polio kümmert . Polio, also Kinder-
lähmung, ist eine Krankheit, die man fast im Griff hat
und die weltweit sehr erfolgreich bekämpft wird . Aber
sie ist in Pakistan wieder aufgetreten . Wir konnten es in
diesem Etat ermöglichen, wieder Gelder für GPEI zur
Bekämpfung von Polio in Pakistan zur Verfügung zu
stellen . An Ihr Haus herzlichen Dank dafür, dass Sie das
so schnell umgesetzt haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Nun muss ich aber ein bisschen Wasser in den Wein
schütten . Was ich weniger erfreulich fand, ist, dass die
Wiederauffüllungskonferenz des GFATM im nächsten
Jahr nicht in Deutschland stattfinden wird. Vor allem wir
von der SPD-Fraktion hatten uns davon versprochen,
dass wir es auf diesem Wege vielleicht ermöglichen, den
Titel für GFATM, also für die Bekämpfung von Aids, Tu-
berkulose und Malaria, zu erhöhen . Das ist leider nicht
der Fall gewesen . Aber vielleicht kommen wir auf einem
anderen Weg dorthin .

Sie hatten ja schon den Titel für das Welternährungs-
programm angesprochen, Herr Müller . Es hat mich sehr
traurig gestimmt, dass Sie vorhin noch einmal gesagt
haben, dass wir da eine Lücke von 4,4 Milliarden Euro
haben . Sie haben auch noch UNICEF erwähnt . Die Fach-
politiker der Koalition und die der Opposition ohnehin
haben sich dafür eingesetzt und Anträge geschrieben,
um zu erreichen, dass die Mittel für das Welternährungs-
programm erhöht werden und auch für UNICEF erhöht
werden . Leider konnten wir das in diesem Etat nicht ver-
wirklichen .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre aber die richtige Priorität gewesen!)


Ich glaube aber, dass das nicht das Ende der Fahnenstan-
ge ist . Sie können sich also meiner Unterstützung sicher

Sonja Steffen






(A) (C)



(B) (D)


sein, wenn es darum geht, die Mittel zu erhöhen, was,
denke ich, erforderlich ist .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum Abschluss will ich noch etwas zur ODA-Quo-
te sagen; auch mein Kollege Sascha Raabe hat vorhin
schon darauf hingewiesen . Wir haben im Haushaltsaus-
schuss diesmal viel darüber diskutiert . Die ODA-Quote
von 0,7 Prozent ist – das ist schon gesagt worden – nicht
erreicht worden . Wir haben jetzt eine leichte Steigerung
auf 0,41 Prozent erreicht . Auch im Haushaltsausschuss
ging es unter anderem darum, was denn nun anrech-
nungsfähig ist . In der Tat ist es so: Es gibt viele Staaten,
die auch inländisch verwandte Mittel auf die ODA-Quote
anrechnen . Das muss diskutiert werden . Einerseits ist es
vielleicht richtig, dass man sagt: Wir müssen die Mittel,
die wir im ersten Jahr in Deutschland für Flüchtlinge auf-
wenden, auf die ODA-Quote anrechnen .

Andererseits muss ich Ihnen sagen, dass ich es nicht
richtig finde, dass man beispielsweise Rückführungs-
und Abschiebungskosten auch auf die ODA-Quote an-
rechnet . Da wird es nun auch ein Stück weit pervers . Ich
habe gerade heute Nachmittag vor meiner Rede erfah-
ren, dass in meinem Landkreis eine Albanerin mit acht
Kindern – acht Kindern! – abgeschoben wurde . Der Ehe-
mann ist noch da . Man weiß nicht, wie es in der Praxis
dazu kommt; aber so etwas gibt es. Ich finde es schon
besonders merkwürdig, wenn diese Kosten tatsächlich
auf die ODA-Quote angerechnet werden könnten .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813916900

Kommen Sie bitte zum Schluss .


Sonja Steffen (SPD):
Rede ID: ID1813917000

Ja, ich komme zum Schluss . – Ich denke, wir sollten

uns alle dafür einsetzen, dass der Etat zukünftig wei-

terhin gestärkt wird . Sie können sich der Hilfe und der
Unterstützung der SPD-Fraktion ganz gewiss sein, Herr
Minister .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813917100

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffen . – Damit schließe

ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 23 – Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung – in der Ausschussfas-
sung . Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstim-
men . Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 18/6805? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt
haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Abgelehnt
haben CDU/CSU und die SPD .

Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den
Einzelplan 23 in der Ausschussfassung . Wer stimmt für
den Einzelplan? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Niemand . Der Einzelplan 23 ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegenge-
stimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tags auf morgen, Donnerstag, 9 Uhr, ein .

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend .