Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet . Nehmen Sie bitte Platz .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich . Wir setzen unsere Haushaltsberatungen – Ta-
gesordnungspunkt I – fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2016
Drucksachen 18/5500, 18/5502
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019
Drucksachen 18/5501, 18/5502, 18/6127
Bevor ich den Einzelplan 04 aufrufe, möchte ich eine
Delegation der Nationalversammlung der Republik
Korea begrüßen, die auf der Ehrentribüne Platz genom-
men hat .
Ich begrüße Sie herzlich im Namen aller Kolleginnen und
Kollegen des Bundestages, von denen Sie einige bereits
gestern in Gesprächen kennengelernt haben . Wir freuen
uns über Ihren Besuch in Berlin . Sie wissen, dass wir der
Zusammenarbeit mit Ihrem Land, insbesondere der Zu-
sammenarbeit zwischen unseren Parlamenten, besondere
Bedeutung beimessen . Alles Gute für Ihren Aufenthalt in
Deutschland und für die weitere Zusammenarbeit!
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt I .9 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
Drucksachen 18/6124, 18/6125
Berichterstatter sind die Abgeordneten Rüdiger Kruse,
Bernhard Schulte-Drüggelte, Johannes Kahrs, Gesine
Lötzsch, Tobias Lindner und Anja Hajduk .
Über den Einzelplan 04 werden wir nach Abschluss
der Debatte namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 224 Minuten vorgesehen . Die Stoppuhr
läuft .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir allestehen unter dem Eindruck der Attentate von Paris . Siehaben uns alle schockiert . Die Attentäter haben wahllosgetötet, egal ob Christen, Juden, Muslime, Ungläubige,Franzosen, US-Amerikaner, Deutsche, Künstler, Arbeits-lose oder Studierende . Wir alle sind verletzbar . Wir alleverurteilen diese barbarischen Terroranschläge .
Diese Mörder haben kein staatliches Symbol angegrif-fen, sondern den Alltag . Es wurden junge Menschen ge-troffen, die in Stadtteilen lebten, die für Weltoffenheit,Toleranz und Lebensfreude stehen . Unsere Trauer undunser Mitgefühl gelten den Opfern .In das Entsetzen über die Anschläge mischt sich aberauch Hoffnung . Viele Menschen, darunter ganz viele Ju-gendliche, haben Blumen vor Botschaften niedergelegtund Kerzen aufgestellt . Ich habe das hier in Berlin gese-hen; auch in Paris waren das sehr viele . Diese Tausendejungen Menschen stellen die Hoffnung für Europa dar .Sie wollen und werden sich ihren Alltag, ihre Freude inden Fußballstadien und bei Musik und Tanz nicht kaputt-machen lassen . Das ist die Hoffnung für Europa und dieWelt .
Diese jungen Menschen finden wir auch hier, in allenFraktionen . Deshalb muss unsere Antwort sein: mehr
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Offenheit und mehr Demokratie, mehr Leben und mehrFreiheit .
Die Feinde der offenen Gesellschaft kann man nur mitmehr Offenheit erfolgreich bekämpfen . Wir brauchenmehr Menschlichkeit, mehr Integration und Teilhabe .Wir alle spüren, dass wir uns an einem Punkt befinden,wo es sich entscheidet, wie es in Deutschland, Europaund der Welt weitergeht . Gestern das Attentat in Tunis,die Anschläge in Bamako und in Beirut und auf das rus-sische Flugzeug über dem Sinai – die Tränen, die für alleOpfer vergossen werden, sind gleich . Mit dem Anschlagin Paris ist der Terror des sogenannten „Islamischen Staa-tes“ ein weiteres Mal vor unserer Haustür angekommen .Es ist menschlich nachvollziehbar, wenn angesichtsder Toten und der schrecklichen Ereignisse Gefühlevon Ohnmacht, Wut, Verzweiflung aufkommen. Und ja,Überlegungen sind nötig, wie man den für diesen TerrorVerantwortlichen konsequent das Handwerk legen kann .Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Bomben auf Rak-ka sind keine Strategie . Terror bekämpft man nicht mitKrieg . Es gibt keine militärische Lösung für den Kampfgegen den Terror . Die Spirale der Gewalt liefert den Ter-roristen immer neue Attentäter . Jeder im Bombenhagelgetötete Zivilist bringt gegebenenfalls zehn neue Selbst-mordattentäter hervor . Deshalb sage ich Ihnen, FrauMerkel: Wenn Sie heute zu Herrn Hollande fahren, gilt:Solidarität ja, aber keine Tornados . Das ist nicht der Weg .
Haben Sie eigentlich nichts aus Afghanistan gelernt?Auch dort wird es keinen militärischen Sieg über dieTaliban und über den Terrorismus geben . Über 50 deut-sche Bundeswehrsoldaten sind gestorben, viele Milliar-den wurden dort versenkt, Tausende tote Zivilistinnenund Zivilisten sind zu beklagen – und jetzt wollen Sieden Einsatz verlängern und das Kontingent noch einmalaufstocken? Es ist doch völlig irre, wenn das AuswärtigeAmt auf der einen Seite eine Reisewarnung für Afghanis-tan herausgibt und die Regierung auf der anderen Seitezur gleichen Zeit wegen der Sicherheitslage die Anzahlder Soldaten aufstocken will und überlegt, Teile Afgha-nistans zu einem sicheren Herkunftsland zu erklären . Dasist doch absurd . Keiner weiß doch, wohin die Waffen ge-hen .
Wir müssen doch aus Afghanistan Schlussfolgerungenfür unser heutiges Agieren ziehen .Im Angesicht des Terrors muss die Politik natürlicheinen kühlen Kopf bewahren, besonnen und entschlos-sen handeln . Es ist der Kampf mittelalterlicher Barbareigegen Menschlichkeit, gegen die Zivilisation, gegen dieWerte der Aufklärung, gegen Freiheit, Gleichheit, Brü-derlichkeit . Ja, Antworten müssen wir alle geben . Dakann ein Gedanke von Nietzsche vielleicht hilfreich sein:Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass ernicht dabei zum Ungeheuer wird .Vielleich kann Norwegen für uns ein Beispiel sein . DieNorweger haben nach dem Wahnsinn des Herrn Breivikmit mehr Offenheit und mehr Liberalität agiert .
Natürlich müssen wir die Frage stellen: Warum ist dieLage so? Die Versuche der NATO-Partner, unliebsameRegierungen im Irak und in Libyen aus dem Weg zuräumen, haben zur politischen Destabilisierung in denbetroffenen Ländern beigetragen und einen fruchtbarenBoden für die Entstehung terroristischer Strukturen ge-schaffen . Noch vor wenigen Jahren war der „IslamischeStaat“ doch vergleichsweise schwach . Er ist ein direktesErgebnis des Irakkriegs der Vereinigten Staaten .
Jetzt ist der IS die mächtigste und reichste Terrororgani-sation der Welt .Was ist zu tun? Erstens muss man natürlich auf Dip-lomatie setzen, nicht bezogen auf den IS . Aber die fünfständigen Sicherheitsratsmitglieder dürfen nicht gegen-einander agieren, sondern müssen trotz aller sonst un-terschiedlichen Sichtweisen miteinander agieren . DerKonflikt zwischen dem Iran und Saudi-Arabien muss ingrundsätzlicher Art und Weise angegangen werden . Undnatürlich brauchen wir auch ein Perspektivkonzept: Wassoll mit Syrien werden? Was soll mit Irak werden? Wassoll mit den Kurdinnen und Kurden werden?
Zweitens . Wir brauchen dringend ein konsequentesWaffenembargo für die Krisenregion, vor allen Dingengegen die Unterstützerländer des IS, gegen Saudi-Arabi-en, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate . Kei-ner weiß doch, wohin die Waffen gehe .
Es ist doch völliger Irrsinn, wenn an dem Tag, an dem dieVerschärfung des Asylrechts in Deutschland beschlossenwird, Kampfpanzer Leopard 2 nach Katar exportiertwerden . Das ist doch wirklich Irrsinn . Die Schiffe, dieSie dort hinschicken, können Sie gleich da lassen, umFlüchtlinge einzusammeln; denn das wird neue Flücht-lingsströme produzieren . Das ist Irrsinn .
Wir können doch nicht zusehen, wenn damit Geld ver-dient wird . Wenn Vertragsstrafen anfallen, dann fallen sieeben an . Das muss uns der Frieden wert sein .
Drittens . Der Kampf gegen den Terror kann nur ge-lingen, wenn die Finanzierungs- und Einnahmequellendes IS trockengelegt werden . Die Ölquellen und die Öl-schmuggelwege sind doch eine der Grundlagen des IS .Dr. Dietmar Bartsch
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Täglich zieht er 2 Millionen Dollar aus dem Ölhandel .Das läuft vor allen Dingen über die Türkei . Auch die in-ternationalen Finanzströme müssen gekappt werden, unddie Konten müssen gesperrt werden .
Ein Wort zur Türkei: Die Türkei wird mit Sicherheitbei der Lösung der Flüchtlingsfrage gebraucht; aber siewar auch über Jahre ein Transitland des Terrorismus . Er-dogan agiert in seinem Land undemokratisch . Die Kur-den kämpfen gegen den IS, und die Türkei bombardiertdie Kurden . Wir müssten den Kurden für ihren Kampfgegen den IS dankbar sein . Das wäre die richtige Hal-tung . Da muss Druck auf Herrn Erdogan ausgeübt wer-den .
Der Abschuss des Flugzeuges kann die Spannungen indieser Region natürlich nur erhöhen .Zum Thema Flüchtlinge: Die Genfer Flüchtlingskon-vention von 1951 war eine Antwort der Völker auf dieverheerenden Folgen und das millionenfache menschli-che Leid im Ergebnis des von Hitler-Deutschland vomZaune gebrochenen Zweiten Weltkrieges . Wir Deutschenhaben auch 70 Jahre nach dem Ende des Krieges gegen-über flüchtenden Menschen eine besondere Verantwor-tung . Flüchtlinge sind die Botschaft der Kriege und desElends dieser Welt . Deswegen kann unsere Botschaft nurlauten: Wir helfen . – Hören Sie doch alle auf die Bot-schaften der Kirchen in Deutschland . Die sollten für unsMaßstab sein .
– Ja, Union, da müssen Sie durch . Dass ich Ihnen dassagen muss, zeigt, wie es um Sie steht .
Ich will einmal aus dem Matthäusevangelium zitieren,Herr Kauder:Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen ge-geben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinkengegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habtmich aufgenommen; . . .
Das ist menschlich . – Im Übrigen heißt das heute über-setzt: Wir schaffen das .
Ich füge hinzu: weil wir es können .Zugleich ist es natürlich überfällig, dass die Bundes-regierung endlich einmal sagt, wie sie es schaffen will .Die Herausforderungen sind lösbar . Das kostet Anstren-gungen, Geld und Geduld . Aber Sie mit Ihrem Chaos-bild werden es nicht schaffen . Dieses Fahren auf Sicht istin dieser Situation eben nicht die richtige Strategie . Wirbrauchen zuallererst eine Haltung zu der Flüchtlingsfra-ge . Diese ist Ihnen offensichtlich abhandengekommen .
Verantwortliche in den Ländern und in den Kommu-nen, viele Hilfsorganisationen, die Bundespolizei, dasTHW und Zigtausende ehrenamtliche Helferinnen undHelfer kümmern sich um die Flüchtlinge, leben eineüberzeugende Willkommenskultur . Das hat im prakti-schen Leben übrigens überhaupt nichts mit Parteizuge-hörigkeit zu tun . Mitglieder aller hier im Bundestag ver-tretenen Parteien engagieren sich dort .Ich will im Übrigen auch feststellen – das sollte klarausgesprochen werden –: Die meisten Flüchtlinge kom-men in Bayern in Deutschland an . Dort sind die Her-ausforderungen besonders groß . Von der Bevölkerungund auch von den Behörden in Bayern wird Großar-tiges geleistet . Allen, die sich in dieser Weise engagie-ren, gebührt ausdrücklich der Dank dieses Hauses undallerhöchste Würdigung . Aber in völlig inakzeptablemGegensatz dazu steht das unverantwortliche Agieren vonPolitikern der CSU .
Ich zitiere einmal Horst Seehofer – ich könnte den Restmeiner Redezeit mit CSU-Zitaten füllen –:Wir werden uns gegen Zuwanderung in deutscheSozialsysteme wehren – bis zur letzten Patrone .Er nimmt auch gerne einmal den NPD-Spruch in denMund: „Wir sind nicht das Sozialamt für die ganze Welt .“Herr Söder hat den wahnsinnigen Satz gesagt: „Seit heu-te Morgen um 9 Uhr wird geklagt .“ Meine Damen undHerren, wo leben wir eigentlich, wenn so etwas möglichist?
Wenn ich mir anschaue, wie auf dem CSU-Parteitagmit der Kanzlerin umgegangen worden ist,
muss ich sagen: Sie haben da jegliche bürgerliche An-standsform verletzt .
Ich habe mir das mit jungen Leuten angesehen . Die ha-ben gesagt: Was hat denn der Seehofer eingeworfen? Daskann doch nicht wahr sein! – Was ist eigentlich die po-litisch-moralische Geschäftsgrundlage dieser Koalition,meine Damen und Herren?
Dr. Dietmar Bartsch
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Es muss Schluss sein mit den verantwortungslosen Ge-dankenspielen und den verbalen Entgleisungen vonSeehofer und Söder!
Es ist doch niederträchtig, Flüchtlinge in die Nähe vonMörderbanden zu stellen .
Die verbalen Entgleisungen befördern Rechtspopulismusund Rechtsextremismus . Es stimmt einfach: Das Umfra-gehoch der AfD ist ohne Söder und Seehofer nicht er-klärbar .
Nötig ist entschlossenes Handeln aller politisch Ver-antwortlichen, aller Demokraten gegen Rechtsextremis-mus . Aber es ist kein Brandanschlag endaufgeklärt . Es istkein Täter zur Verantwortung gezogen worden . Ich willan den Mordanschlag auf Henriette Reker erinnern . Siesteht für die vielen, die dem rechten Alltagsterror trotzenund jeden Tag Mitmenschlichkeit zeigen .
Es ist nicht hinnehmbar, dass Rechtsextremisten, alte undneue Nazis, im Internet und auf Demos ausländerfeind-liche Parolen verbreiten, zu Mord – ob nun mit Galgenoder Guillotine – aufrufen können und keiner zur Verant-wortung gezogen wird .Ja, das Tempo und die Effizienz bei der Bearbeitungder Flüchtlingsfrage sind unzureichend . Ich will Sie anIhren Koalitionsvertrag erinnern . Da steht: drei MonateBearbeitungszeit . – Aktuell sind es fünfeinhalb . In ei-nigen Ländern dauert die Bearbeitung über ein Jahr . Inkeinem einzigen europäischen Land dauert das so lange .Wir haben in unserer Fraktion unlängst mit Kommunal-politikern, mit Oberbürgermeistern und Landräten ausWest und Ost, geredet . Sie alle haben klar gesagt: Ja, wirkönnen das hinbekommen . Aber wir brauchen geordneteVerfahren: bei der Registrierung der Flüchtlinge, bei derBearbeitung der Anträge und bei unverzüglichen Maß-nahmen zur Integration . – Wer hat denn all die Jahre zumBeispiel die Bundespolizei so heruntergespart? Wer hatdenn den unglaublichen Abbau im öffentlichen Dienst zuverantworten? Wer hat so lange gezögert, beim BAMFdie notwendigen Voraussetzungen zu schaffen?
Das waren immer Sie von der Union! Sie waren immer inder Regierungsverantwortung!
Wir brauchen ein Flüchtlingsaufnahmegesetz, dasbundesweit einheitliche Standards und Verfahren fest-legt . Ein Element muss die Übernahme aller Unterbrin-gungs- und Versorgungskosten durch den Bund für dieDauer des Asylverfahrens und eine Übergangszeit sein .Das, was Sie gemacht haben, die Anrechnung von Kos-ten für Sprach- und Integrationskurse auf das Existenz-minimum, ist ein verheerendes Signal .
Asylsuchenden muss schneller Zugang zu Sprachkursenverschafft werden . Die gezielte Eingliederung in Arbeitwird die Zukunftsaufgabe für eine erfolgreiche Integra-tion . Ich meine, auch die Attentäter von Paris sind dochErgebnis gescheiterter Integration und gescheiterter Poli-tik; auch das müssen wir aussprechen .Natürlich kann die Flüchtlingsfrage nur europäischbeantwortet werden . Europa versagt in der Flüchtlings-frage . Es mangelt an europäischer Einigung, es mangeltan europäischer Solidarität . Ich bin im Übrigen der Über-zeugung: Die Zukunft Europas entscheidet sich daran,wie Europa die Herausforderungen durch die Flüchtlingemeistert; das ist die Zukunftsfrage . Europa muss moder-nisiert und auf eine neue vertragliche Grundlage gestelltwerden . Da sollte Deutschland Führung zeigen, Führungin Menschlichkeit .Wenn ich mir anschaue, wie Sie im Haushalt zumBeispiel mit dem Thema Entwicklungspolitik umgehen,stelle ich aber fest: Seit Jahrzehnten haben wir das Ziel0,7 Prozent . Sie machen viel zu wenig . Wir liegen immernoch bei 0,4 Prozent . Die Steigerung im Verteidigungs-etat ist größer als die in der Entwicklungspolitik . Was istdenn das für eine Politik, meine Damen und Herren?
Deutschland befindet sich an einem Punkt, an demsich entscheidet, wie es in unserem Land weitergeht,welche Perspektiven wir haben . Diese Große Koalitionallerdings hat kein Konzept, wie Deutschlands Zukunftzu gestalten ist. Sie agieren hilflos, planlos und ziellos.Jeden Tag wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben . Vorallen Dingen versuchen Sie jetzt – das stört uns beson-ders –, die Schwächsten gegen die Schwachen auszu-spielen . Frau Merkel, beenden Sie endlich die unsäglicheDiskussion, ob es neue Ausnahmen beim Mindestlohngeben sollte!
Nein, wir müssen die bisherigen Ausnahmen einschrän-ken; sonst ist das das Einfallstor für prekäre Beschäfti-gung . Neben der Tatsache, dass der Mindestlohn wichtigist: Es gibt auch 2 Millionen Solo-Selbstständige, vondenen viele in der Land- und Forstwirtschaft und imKommunikations- und Informationsgewerbe tätig sind .Sie brauchen ebenfalls ein auskömmliches Einkommen .Dr. Dietmar Bartsch
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Vielleicht ist ein Mindesthonorar der richtige Weg dort-hin .
Seit Jahren driftet unsere Gesellschaft auseinander .Die Ungleichheit wächst; den wirtschaftlichen und po-litischen Eliten ist der Wertekompass abhandengekom-men . Ich will nur drei Kürzel nennen: DFB, VW, BND .
Diese Kürzel sind Synonyme für windige Geschäfte,Manipulation und offenen Betrug . Das alles ist doch garnicht denkbar gewesen . Wer hätte denn vor Jahren ge-glaubt, dass das bei einem Staatskonzern wie VW mög-lich ist? Zur selben Zeit, als die Kanzlerin sagte, unterFreunden spioniere man nicht, hat der BND Freundeohne Ende ausspioniert . Was beim DFB passiert ist, istgenauso ein Skandal . Im Übrigen: Herr Winterkorn be-kommt jetzt von VW 100 000 Euro Rente im Monat . Dasist doch absurd . Wo sind denn die Werte in diesem Landhingeraten?
Ein Land, in dem die Kinderarmut wächst, währendden Reichsten erlaubt wird, ihr Geld in Steueroasen zubunkern, wird die aktuellen Herausforderungen nicht be-wältigen . Diese Regierung erweist sich als unfähig, dieaktuellen Probleme anzupacken und das Land sozial zumodernisieren . Deutschland ist ein so reiches Land; aberSie fahren das Land seit Jahren auf Verschleiß . Ihr mani-sches Verhältnis zur schwarzen Null ist einer der Gründe,warum wir die Herausforderungen nur mühsam anpa-cken . Mit der schwarzen Null machen Sie Schulden beiden nächsten Generationen . Es ist politisches Versagen,dass in diesem Land Kinder in Armut leben müssen
und dass die Zahl der Rentnerinnen und Rentner, die inGrundsicherung leben, weiterhin steigt . Ist Ihnen eigent-lich nicht aufgefallen, wie viele alte Menschen hier inBerlin in Mülltonnen nach leeren Flaschen suchen?Ich könnte die Liste der Schäbigkeiten unendlichfortsetzen . Deswegen brauchen wir ein Investitionspro-gramm für unser Land . Deswegen sollten wir die Mittelfür die Arbeitsmarktpolitik von 3,9 Milliarden Euro auf5,6 Milliarden Euro aufstocken . Die Integration in denArbeitsmarkt ist eine Zukunftsfrage .
Daneben müssen wir ab sofort mindestens 200 000 So-zialwohnungen jährlich bauen . Das Deutsche Studen-tenwerk hat dazu aktuell eine entsprechende Forderunggestellt . Wir sollten die Länder mit 1,5 Milliarden Eurodabei unterstützen .Wenn Sie sagen, das alles sei nicht finanzierbar, dannkann ich nur sagen: Das ist ein irrer Vorwurf . Die Sche-re zwischen Arm und Reich ist in nahezu keinem LandEuropas so groß wie in unserem Land . Die 500 reichstenFamilien verfügen über ein Vermögen von 615 Milliar-den Euro .
Das ist zweimal ein Bundeshaushalt . Für diesen Irrsinngibt es vor allen Dingen einen Grund: Wie der Teufeldas Weihwasser fürchtet, sträuben Sie sich dagegen, denReichtum dieses Landes gerechter zu verteilen . Mit einergerechten Steuerpolitik könnten wir jährlich Milliardeneinnehmen .
Das geht allerdings nicht ohne eine Umverteilung vonoben nach unten .Wir fordern eine wirkliche Reform der Erbschaft-steuer . Ihr komisches Reförmchen reicht hier nicht . InGroßbritannien müssen die Superreichen sechsmal soviel berappen wie in Deutschland . In Kanada und in denUSA ist es das Fünffache . Alle diese Länder sind nichtverdächtig, den demokratischen Sozialismus einführenzu wollen . Hier wird deutlich, welche Privilegierung vonsehr Reichen wir uns leisten . Angesichts der gesellschaft-lichen Handlungsbedarfe lässt sich das überhaupt nichtrechtfertigen .
Von 2015 bis 2024 werden in Deutschland insge-samt 3,1 Billionen Euro vererbt; aber in dieser Koalitionkommt niemand auf die Idee, dort irgendetwas zur Fi-nanzierung des Gemeinwohls abzuholen . Ich sage Ihnen:Niemand von der Linken will Unternehmen gefährden;das ist überhaupt nicht der Punkt . Es geht um Privatver-mögen . Auch eine Vermögensabgabe in Form der Milli-onärssteuer auf Privatvermögen wäre eine richtige Maß-nahme . Es ist längst an der Zeit, die Milliardäre und dieMillionäre in Deutschland stärker zur Finanzierung derAufgaben des Gemeinwohls heranzuziehen .
In aller Klarheit:
Die teuersten Flüchtlinge in Deutschland sind die Steu-erflüchtlinge,
die Konzerne und die Superreichen, die mit unendlichvielen Tricks und von Finanzämtern selten kontrolliertdie öffentliche Hand in Deutschland jedes Jahr um bis zu100 Milliarden Euro prellen . Meine Damen und Herren,da sollten Sie ran! Da müssen Sie etwas tun . Es ist inunserem Land genügend Geld da, um die Herausforde-rungen, vor denen wir stehen, zu bewältigen .
Dr. Dietmar Bartsch
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Sie haben in Ihren Koalitionsvertrag geschrieben:„Deutschlands Zukunft gestalten“ . In der Realität stehtdie Große Koalition immer mehr für ein schwarzes Loch .Sie gestalten nicht, Sie verwalten nur noch . Sie sind vorallen Dingen mit sich selbst beschäftigt . Damit es denMenschen in unserem Land besser geht, braucht es einensozialen Aufbruch . Dazu brauchen wir Mut; da bedarf eseiner Haltung . Das sehe ich bei Ihnen leider nicht .Herzlichen Dank .
Das Wort erhält nun die Bundeskanzlerin, Frau
Dr . Angela Merkel .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Ta-gen, am 13 . November, mussten Menschen in Paris ei-nen Albtraum von Gewalt, Terror und Angst durchleiden .Unzählige Familien trauern um ihre Liebsten . Deutsch-land teilt mit ihnen den Schmerz .Wir alle haben sofort verstanden: Dieser unmenschli-che Angriff meint uns alle, und er trifft uns alle . Es ist einAnschlag auf unser aller Freiheit, auf unsere Werte undÜberzeugungen, ein Angriff auf all das, was uns wichtigist und wofür Generationen vor uns in Europa gestrittenund gekämpft haben: Demokratie und Menschenrechte,Gleichberechtigung und eine offene, freundliche und to-lerante Zivilgesellschaft . Wir stehen solidarisch an derSeite Frankreichs in der Trauer um die Opfer . Wir stehensolidarisch an der Seite Frankreichs im Kampf gegen denTerror .
Wir gedenken aller Opfer des Terrors . Ich denke an dieOpfer des russischen Flugzeugabsturzes, an die Opfer inBamako genauso wie an die Opfer gestern in Tunesien .Frankreich hat erstmals in der Geschichte die EU-Bei-standsklausel des Artikels 42 Absatz 7 im Lissabon-Ver-trag in Anspruch genommen . Alle EU-Staaten habenFrankreich einhellig Solidarität und vor allem auchBeistand zugesichert . Ursula von der Leyen als Vertei-digungsministerin hat bereits letzten Dienstag erstmalsmit ihrem französischen Amtskollegen über die Fragegesprochen, wie diese Solidarität mit Leben erfüllt wer-den kann . Wir sind mit unseren Soldatinnen und Soldatenim Einsatz und helfen bei der Bekämpfung des Terrors:im Irak den Peschmerga, in Mali, indem wir unser En-gagement verstärken, und in Afghanistan, indem wir un-ser Engagement verlängern . Heute Abend werde ich mitdem französischen Präsidenten François Hollande überdie Fragen sprechen, die uns gemeinsam bewegen . DerGeist dieses Gesprächs wird davon bestimmt sein, dasswir gemeinsam mit unseren Freunden handeln werden .Wenn zusätzliches Engagement notwendig ist, dann wer-den wir das nicht von vornherein ausschließen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, Polizei und Nach-richtendienste arbeiten in Deutschland mit Hochdruckan der Aufklärung der grausamen Anschläge und derAufdeckung ihrer terroristischen Strukturen . Auch inDeutschland ist die Bedrohungslage hoch . Wir gehen al-len Hinweisen nach und müssen natürlich – das habenwir letzte Woche Dienstag gesehen – immer wieder eineschwierige Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheittreffen . Ich will hier ausdrücklich – auch im Namen derganzen Bundesregierung – sagen: Wir haben Vertrauenin unsere Sicherheitsbehörden, dass sie mit Augenmaßhandeln . Sie brauchen unsere politische Unterstützung,und die haben sie auch . Denn anders können Sicherheits-behörden nicht handeln .
Zwei Dinge sind mir sehr wichtig:Erstens . Wir müssen – da möchte ich mich auch beider Mehrheit des Deutschen Bundestags bedanken –wachsam und wehrhaft sein . Deshalb war es richtig –das geschah schon vor den Anschlägen –, dass wir einepersonelle und technische Verstärkung unserer Sicher-heitsbehörden beschlossen haben . Es gibt im Jahr 2016 1 000 neue Planstellen für die Bundespolizei . Insgesamtsind bis 2018 3 000 zusätzliche Stellen vorgesehen . Beider Bundespolizei werden sogenannte robuste Einhei-ten aufgebaut, die so ausgebildet und ausgestattet seinwerden, dass sie terroristischen Lagen begegnen kön-nen und damit unsere Möglichkeiten in solchen Fällendeutlich – über das hinaus, was die Landespolizeien unddie GSG 9 heute schon können – erweitern . Wir stärkenunsere Nachrichtendienste, investieren unter anderem indie Modernisierung ihrer technischen Ausstattung . Undwir verstärken das Bundesamt für Verfassungsschutz undden Bundesnachrichtendienst personell .Zweitens . Die stärkste Antwort – und das ist ebensowichtig – an Terroristen ist, unser Leben und unsere Wer-te weiter so zu leben wie bisher, selbstbewusst und frei,mitmenschlich und engagiert .
Wir Europäer werden zeigen: Unser freies Leben ist stär-ker als jeder Terror .Ein starkes Zeichen der Einigkeit im Kampf gegenden Terrorismus ging auch vom G-20-Gipfel in Antalyaunmittelbar nach den Anschlägen von Paris aus . Für michbesonders wichtig war das hier abgegebene klare Be-kenntnis der Regierungschefs muslimischer Staaten, diegenauso wie wir dem Terrorismus ganz klar den Kampfangesagt haben . Deshalb werden wir – so haben wir es inAntalya beschlossen – trotz ganz unterschiedlicher ge-sellschaftlicher Strukturen die Zusammenarbeit bei derTerrorbekämpfung verstärken: bei der Zusammenarbeitder Nachrichtendienste, bei der Überwachung der Inter-netkommunikation von terroristischen Netzwerken und –das ist ganz wichtig – bei der Kappung der Geldflüsseder Terroristen, soweit dies möglich ist. Diese GeldflüsseDr. Dietmar Bartsch
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müssen Schritt für Schritt trockengelegt werden . Das isteine der vornehmsten Aufgaben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns im-mer wieder bewusst machen: Es ist ebendieser Terror,es sind ebensolche Krisen, vor denen Menschen in gro-ßer Zahl nach Europa – und ganz besonders auch nachDeutschland – fliehen. Sie suchen Schutz und Aufnahme.Wir haben weltweit die größte Zahl von Flüchtlingen seitdem Zweiten Weltkrieg . Deshalb ist die Frage, wie wirmit dieser Sachlage umgehen, natürlich nicht nur einenationale oder eine europäische, sondern eine globale,internationale Frage .Deutschland hat in den letzten Monaten gezeigt, wiemenschlich, leistungsfähig und flexibel wir auf allenEbenen – vom Bund über die Länder bis hin zu den Kom-munen, von der Polizei über das BAMF bis hin zu denJugendämtern – sind . Verantwortliche sowie Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter wachsen täglich über sich hinaus .Sie machen unzählige Überstunden, Nacht- und Sonder-schichten . Und es gibt durchgearbeitete Wochenenden .Es geht dabei nicht nur um die vielen Stunden, sondernauch um das Engagement, die Bereitschaft und das Herz,das sie investieren . Deshalb möchte ich mich bei ihnenallen ganz herzlich bedanken .
Das gilt in gleicher Weise für die unzähligen ehrenamt-lichen und freiwilligen Helferinnen und Helfer . Ich weißnicht, ob es schon jemals ein derartig großes, schnell auf-gebautes und gut organisiertes Netz an privaten Helfernin Deutschland gegeben hat . Auch ihnen sage ich ein ge-nauso herzliches Dankeschön .
Sie haben einen klaren Anspruch darauf, zu wissen,nach welcher Agenda, nach welchem Plan die Bundesre-gierung an der Bekämpfung der Fluchtursachen, an deneuropäischen und den nationalen Maßnahmen arbeitet .Beginnen müssen wir bei der Bekämpfung derFluchtursachen . Es herrscht in vielen Regionen Kriegund Terror . Staaten zerfallen . Viele Jahre haben wir esgelesen . Wir haben es gehört . Wir haben es im Fernsehengesehen . Aber wir haben damals noch nicht ausreichendverstanden, dass das, was in Aleppo und Mossul passiert,für Essen oder Stuttgart relevant sein kann . Damit müs-sen wir umgehen, und das wird Veränderungen in unsererPolitik mit sich bringen, zugunsten der Außenpolitik undzugunsten der Entwicklungspolitik, weil wir uns immerfragen müssen: Was bedeutet welche Maßnahme für unshier zu Hause?
Ich glaube, es ist klar, dass wir dazu einen langenAtem und Geduld brauchen . Wir brauchen vor allen Din-gen auch Partner .Ich will mit dem Syrien-Konflikt beginnen. Es ist voll-kommen klar, dass die eigentliche, wirkliche Lösung nurin einer politischen Lösung liegen kann . Natürlich hatsich gestern durch den Abschuss eines russischen Flug-zeuges durch die Türkei die Lage noch einmal verschärft,und wir müssen jetzt alles dafür tun, eine Eskalation zuvermeiden . Natürlich hat jedes Land das Recht, sein Ter-ritorium zu sichern . Aber auf der anderen Seite wissenwir, wie angespannt die Situation im Augenblick ist, inSyrien und seiner Umgebung . Ich habe gestern mit demtürkischen Ministerpräsidenten gesprochen und darumgebeten, alles zu tun, um die Situation zu deeskalieren .
Ich möchte unserem Außenminister Frank-WalterSteinmeier danken . Ich glaube, es war bei der Einbrin-gung des Haushalts, als Ihre Reisen in den Iran und nachSaudi-Arabien bevorstanden . Ich glaube, wir haben allegar nicht zu hoffen gewagt, dass es so schnell geht, dassjetzt Akteure an einem Tisch sitzen, die wichtig und ab-dingbar sind für die Lösung des Syrien-Konflikts: Russ-land, die USA, die Europäer, die arabischen Staaten, derIran und die Türkei .Es gibt durchaus hoffnungsvolle Entwicklungen, diejetzt hoffentlich nicht zu weit zurückgeworfen werdendurch das, was gestern passiert ist . Es gibt Ideen für einenpolitischen Übergangsprozess . Ich weiß, wie schwieriges ist, vor allen Dingen die Akteure in Syrien an einenTisch zu bekommen . Aber es gibt keinen anderen Weg,der uns einer dauerhaften Lösung näherbringt . Deshalbwünsche ich weiterhin allen Teilnehmern dieser Ver-handlungen allen Erfolg; wir werden sie mit aller Kraftunterstützen .
Nur so wird es möglich sein, sich auch darauf zukonzentrieren, was nach meiner Auffassung im Augen-blick nicht anders als militärisch zu lösen ist . Das ist derKampf gegen den IS . Es muss ein gemeinsamer Kampfder Weltgemeinschaft sein, um deutlich zu machen: Wirerteilen dem Terrorismus und der Brutalität solcher Or-ganisationen eine klare Absage .
Mit der Bekämpfung der Fluchtursachen hat sich auchder EU-Afrika-Gipfel, der Sondergipfel, am 12 . Novem-ber in Valletta befasst . Wir haben einen Aktionsplan mitden afrikanischen Staaten verabschiedet, bei dem es aufder einen Seite um bessere wirtschaftliche Perspektivenafrikanischer Länder und auch um bessere Möglichkei-ten legaler Migration geht . Wir zum Beispiel werden imBereich der Zurverfügungstellung von Ausbildungsplät-zen, Stipendienplätzen und anderen mehr tun .Auf der anderen Seite hat es aber auch deutliche Dis-kussionen darüber gegeben, dass die Zivilgesellschaftenin Afrika durch ihre politischen Führungen mehr Trans-Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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parenz und mehr Klarheit bekommen müssen . In Zeitendes Smartphones kann man nicht mehr so regieren, wiedas früher geschehen ist . Das gilt auch für Afrika, meineDamen und Herren .
Denn eines ist klar: Je mehr in Herkunftsländern dafürSorge getragen werden kann, dass Menschen sich nichtauf den gefährlichen Weg aus ihrer Heimat machen, umsobesser wird es gelingen, Fluchtursachen zu bekämpfen,sodass Flüchtlinge gar nicht mehr den Weg antreten .Wir haben zusätzlich zu unserer Entwicklungshilfe,die wir leisten – das sind etwa 20 Milliarden Euro sei-tens der Europäischen Union und der Mitgliedstaatender Europäischen Union –, einen Treuhandfonds von1,8 Milliarden Euro aufgelegt, um genau diese Aufgabenzu erfüllen .Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung wird seinen gesamten Etat-aufwuchs von über 850 Millionen Euro auf die akuteFluchtursachenbekämpfung konzentrieren . Die gesam-te Entwicklungszusammenarbeit mit einem Etat von7,4 Milliarden Euro im Haushaltsentwurf 2016 arbei-tet genau am Erhalt von Lebensgrundlagen und an derSchaffung von Zukunftsperspektiven .Die Bekämpfung von Fluchtursachen war auch The-ma auf dem G-20-Gipfel in Antalya . Hier ist vor allenDingen noch einmal über das humanitäre Engagementgesprochen worden . Noch haben wir es nicht geschafft,dass der UNHCR und das Welternährungsprogramm imJahr 2016 auf einen Haushalt blicken können, der aus-reicht, um die notwendigen Aufgaben zu erfüllen . Wiralle haben wieder die Warnrufe des UNHCR in diesenTagen erlebt . Ich will deutlich machen: Die Bundesregie-rung hat ihre Pflicht getan. Wir haben unsere Ansätze ge-steigert . Wir werden weiterhin bereit sein, das Notwendi-ge zu tun . Europa hat sich bewegt . Aber wir werden nichtnachlassen, hier die ganze Welt in die Verantwortung zunehmen . Es ist wirklich nicht nur eine europäische Ange-legenheit, sondern die ganze Welt ist hier verantwortlich .
Deshalb werde ich am 4 . Februar 2016 gemeinsam mitDavid Cameron, der norwegischen PremierministerinErna Solberg und dem Emir von Kuwait eine Konferenzin London durchführen, wo es genau um die humanitäreUnterstützung geht, damit wir am Ende des Jahres 2016nicht wieder so dastehen wie am Ende des Jahres 2015 .Wenn wir über internationale Anstrengungen zur Be-wältigung der Flüchtlingskrise sprechen, ist die Türkeiein Schlüsselpartner für die Europäische Union . Die Tür-kei ist unser Nachbar . Sie liegt an der anderen Seite unse-rer Außengrenze . Schauen wir uns einmal die Nachbarnder Türkei an . Das sind der Iran, der Irak und Syrien . Dassind Länder, die wir entweder dringend benötigen für dieLösung des Konflikts in Syrien oder in denen der IS be-reits Teile des Landes beherrscht . Aus diesem Grund hatdie Türkei mit mehr als 2 Millionen Flüchtlingen aus Sy-rien und Irak eine große Aufgabe zu bewältigen . Ich willan dieser Stelle allerdings Jordanien und den Libanonnicht vergessen . Was diese Länder leisten, ist bemerkens-wert und sollte uns ab und zu nachdenklich stimmen .
Ich glaube aber, gerade am Beispiel der Türkei wird klar,dass es in unserem ureigenen Interesse liegt, dass die Tür-kei die Bewältigung der Aufgabe, die Flüchtlinge zu be-herbergen, meistern kann . Wenn wir wieder zu geordne-ten und rechtlichen Verhältnissen an den Außengrenzender Europäischen Union kommen wollen, dann bedarf eseiner Kooperation mit der Türkei . Donald Tusk hat zueinem EU-Türkei-Gipfel am Sonntag eingeladen . Wirarbeiten an einer gemeinsamen Agenda, die aufbaut aufdem Gedanken guter nachbarschaftlicher Beziehungen .Da spielt natürlich die Öffnung von Kapiteln im Zusam-menhang mit dem Beitrittsprozess eine Rolle . Da spieltauch das Thema Visaliberalisierung eine Rolle . Für unsspielt es eine Rolle, dass wir ein Rückführungsabkom-men wollen, das nicht nur zum Ziel hat, dass türkischeBürger in die Türkei zurückgenommen werden, sondernuns auch in die Lage versetzt, Bürger von Drittstaaten indie Türkei zurückzuschicken . Aber wir haben hier einegemeinsame Verantwortung .Ich möchte daran erinnern: Gestern hat der NATO-Ratgetagt angesichts des Abschusses des russischen Flug-zeuges . Die Türkei und Griechenland sind NATO-Mit-gliedstaaten . Aber im Verhältnis zwischen diesen beidenPartnern innerhalb der NATO herrscht im Augenblick Il-legalität auf der Ägäis . Es kann uns alle nicht kaltlassen,dass die falschen Leute aus dem Elend und dem Leid derFlüchtlinge noch ein Geschäft machen . Deshalb müssenwir Illegalität durch Legalität ersetzen . Das liegt in unse-rem Interesse und im Interesse der Türkei .
Das heißt wirksamer Schutz in Kooperation mit der Tür-kei an der Außengrenze, Bekämpfung der Schleuserkri-minalität und Verbesserung der Perspektiven der Flücht-linge in der Türkei, was ihre Lebenssituation angeht . Daserfordert von uns Unterstützung auf materielle Art undWeise, auch durch Geld . Die Türkei hat bereits 7 Milliar-den bis 8 Milliarden Euro ausgegeben . Sie hat 700 Mil-lionen Euro als internationale Unterstützung bekommen .Die Türkei hat gesagt: Ihr als unsere Nachbarn müsst unsbei der Bewältigung dieser Aufgabe auch helfen . – Ichfinde das ist richtig. Deshalb wird das Teil der EU-Tür-kei-Migrationsagenda sein .Zweitens – auch das gehört dazu – wird es darum ge-hen, wie wir auch durch legale Kontingente einen Beitragdazu leisten können, dass die Türkei entlastet wird . Des-halb sind solche europaweit zu vereinbarende Kontin-gente ein Weg, aus Illegalität Legalität zu machen, aberauch die Prozesse besser zu ordnen und zu steuern undin Kombination mit der Bekämpfung der FluchtursachenBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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dann auch die Zahl der bei uns ankommenden Flüchtlin-ge zu reduzieren . Auch das ist unser Ziel .
Diese Aufgabe, wie ich sie jetzt dargestellt habe, erfor-dert natürlich Kraft, sie erfordert auch ein Stück Geduld,und sie erfordert Nachdruck . Das ist aber nach meinerfesten Auffassung der Weg, den wir beschreiten müssen,um die Probleme zu lösen; denn die simple Abschottungwird nicht unser Problem lösen .Dazu brauchen wir die Europäische Union als Gan-zes . Die Erscheinung Europas ist im Augenblick verbes-serungsmöglich, sage ich einmal .
Wir wissen, dass man in Europa oft einen langen Atembraucht, wir wissen, dass man oft dicke Bretter bohrenmuss, aber wir alle spüren: Wir stehen hier schon an ei-ner entscheidenden Stelle . Wir haben die internationaleFinanzkrise bewältigt,
wir haben die Euro-Krise in großen Teilen gelöst . Wirsind noch nicht ganz am Ende; die Lehren haben wirnoch nicht daraus gezogen .Jetzt ist sozusagen der zweite Pfeiler der europäischenIntegration in einer sehr schwierigen Situation . Es gehtum die Frage, wie wir mit den innereuropäischen Frei-heiten umgehen . Dafür steht der Schengen-Raum, dafürsteht, dass wir vor Jahren im Vertrauen aufeinander dieeigentlichen Grenzkontrollen an die Außengrenzen derEuropäischen Union abgegeben haben . Ähnlich wie beider Wirtschafts- und Währungsunion ist man auch beidiesem Schritt, der Schaffung des Schengen-Raums, imGrunde nicht ganz bis zum Ende dessen gegangen, wasman hätte politisch lösen müssen .Bei der Wirtschafts- und Währungsunion hat manzwar den Stabilitäts- und Wachstumspakt gemacht, aberwir haben uns nicht ausreichend darüber verständigt, inwelche Richtung sich unsere Volkswirtschaften wirklichentwickeln wollen und welche Befugnisse die Europäi-sche Kommission hat, wenn das in die falsche Richtungläuft .Bei der Schaffung des Schengen-Raums und der Ver-lagerung der Kontrollen auf die Außengrenzen hat manden letzten Schritt, nämlich sich darüber Gedanken zumachen, wie denn bei einem Bewährungsdruck, einemgroßen Druck auf die Außengrenzen, die Solidarität in-nerhalb der Europäischen Union aussieht, wie denn dieMandate aussehen, wie denn die Verteilung aussieht,nicht getan . Darüber hat man sich nicht geeinigt .Genauso wie wir für die nachhaltige Erhaltung desEuros die letzten Schritte gehen müssen, müssen wir jetztauch hier die nächsten Schritte gehen, weil sich erwie-sen hat, dass das derzeitige System allein nicht ausreicht .Deshalb ist eine solidarische Verteilung von Flüchtlingenje nach Wirtschaftskraft und Gegebenheiten, wobei dieBereitschaft zu einem permanenten Verteilungsmecha-nismus gegeben sein muss, nicht irgendeine Petitesse,sondern sie berührt die Frage, ob der Schengen-Raumauf Dauer aufrechterhalten werden kann .
Nun frage ich aber auch: Was ist unsere, die deutscheRolle? Ist die deutsche Rolle die, als Erster zu sagen:„Das geht nicht“? Oder ist die deutsche Rolle, als größ-te Volkswirtschaft in der Mitte Europas zu sagen: „Wirprobieren es immer wieder und wieder“? Wir erleben dieFlüchtlingsbewegung in dieser Dramatik noch nicht ein-mal ein halbes Jahr . Wenn wir eines Tages gefragt wer-den: „Habt ihr einen EU-Türkei-Gipfel versucht, habt ihrversucht, eure Außengrenzen zu schützen, habt ihr ver-sucht, in Libyen eine Interimsregierung aufzubauen, habtihr versucht, Hotspots aufzubauen“, und wir antworten:„Ein halbes Jahr hatten wir nicht die Kraft, ein halbesJahr lang war uns zu lang, wir haben das nicht gemacht“,dann würde ich sagen, dass wir einen Riesenfehler ge-macht haben . Das ist das, was nicht geht .
Immerhin haben wir kleine Erfolge, auf denen wiraufbauen können . 160 000 Flüchtlinge, schutzbedürfti-ge Flüchtlinge, sollen aus den Hotspots verteilt werden .Der Aufbau der Hotspots gestaltet sich schwierig, aber eswäre nicht richtig, zu sagen, es geschehe gar nichts .Wir werden von deutscher Seite, von österreichischerSeite, von schwedischer Seite hier auch noch einmalDruck machen . Wir sind im ständigen Gespräch mitder griechischen Regierung . Dafür will ich werben . Ichglaube, wir brauchen die Hotspots; ich bin überzeugt,wir brauchen sie . Sie sind inbegriffen in den Schutz derAußengrenzen .Aber wer sagt: „Ihr baut jetzt für 50 000 oder viel-leicht noch mehr Menschen Unterkünfte; ihr müsst nichtnur registrieren, sondern ihr müsst von dort aus auch dieRückführung vornehmen, wenn die Bleibewahrschein-lichkeit klein ist, und ihr müsst die Verteilung durch-führen“ – obwohl Griechenland nicht genau weiß, mitwelcher Begeisterung die anderen europäischen Mit-gliedstaaten Griechenland die Flüchtlinge abnehmen –,muss bedenken: Nur wenn die innereuropäische Solida-rität wirklich sicher ist, wird man mit Engagement undLeidenschaft solche Hotspots in seinem eigenen Landaufbauen . So hängen die Dinge eben sehr eng zusammen,und trotzdem gibt es aus meiner Sicht dazu keine ver-nünftige Alternative . Deshalb werden wir mit Hochdruckdaran arbeiten .Natürlich haben wir nationale Aufgaben . Auch damuss man im Übrigen feststellen, dass wir vieles inziemlich kurzer Zeit zustande gebracht haben . Was lei-tet uns dabei? Dabei leitet uns der Grundsatz, dass die,die bei uns Schutz bekommen müssen – nach der GenferFlüchtlingskonvention, die allerwenigsten ja nach demAsylrecht, oder nach dem subsidiären Schutz –, von unseine Bleibeperspektive bekommen, und zwar je schnel-Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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ler, umso besser, um dann auch die notwendigen Integra-tionsschritte einleiten zu können .
Aber die Bürgerinnen und Bürger sagen mit Rechtauch: Wenn wir ein Rechtsstaat sind, wenn wir ein groß-zügiges Asylrecht haben, wenn wir die Genfer Flücht-lingskonvention einhalten wollen, wenn wir subsidiärenSchutz geben, wenn wir auch noch viele Duldungenermöglichen, dann erwarten wir aber auch, dass dieje-nigen, die in einem ebenso rechtsstaatlichen Verfahrenals Bewerber auf einen Schutzstatus abgelehnt wurden,das Land wieder verlassen müssen, damit die, die Schutzbrauchen, diesen Schutz von uns bekommen .
Darum drehen sich viele unserer Maßnahmen . Denndie Menschen werden sagen: Okay, wenn schon be-stimmte rechtliche Vorschriften an der Außengrenzenicht eingehalten werden können, dann erwarten wirdoch wenigstens, dass in Deutschland das, was zur Ord-nung und Steuerung getan werden kann, getan wird .Deshalb war der Schritt richtig, dafür zu sorgen, dassHerr Weise das Bundesamt für Migration und Flüchtlin-ge zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit leitet .Das ist nicht nur deshalb richtig, weil die Bearbeitungs-prozesse jetzt beschleunigt werden können, da die Bun-desagentur für Arbeit aus der Zeit von 5 Millionen Ar-beitslosen über große Fähigkeiten und auch Erfahrungenverfügt, wie man mit einer großen Zahl von Menschensolche Prozesse vernünftig organisiert, sondern auch,weil wir damit sicherstellen, dass der Weg für die, die ei-nen Schutzstatus haben, in die Integration in den Arbeits-markt sehr gut funktionieren kann, weil wir hier keineDoppelarbeit mehr machen . Ich bin sowohl Thomas deMaizière als auch Andrea Nahles sehr dankbar, dass sieohne die üblichen Fragen „Was ist meins, was ist deins,und was könnte mir verloren gehen?“ diesem Schritt zu-gestimmt haben . Das war ein Beispiel für tolle, schnelleund wirklich effiziente Politik.
Alle unsere Maßnahmen, die wir jetzt ergriffen habenund die wir noch umsetzen werden, haben im Grunde dasZiel, eine schnellere Abarbeitung der Asylanträge zu er-möglichen . Sie haben das Ziel, Kommunen, Bund undLändern eine Verantwortungsgemeinschaft zu geben, sowie wir es jetzt mit der Übernahme von Kosten bei derUmsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes gemachthaben . Damit ist der Bund in einer völlig neuen Verant-wortung, wie er sie im Zusammenhang mit Asylbewer-bern nie hatte . Wir haben materielle Anreize verringert,die dazu beitragen könnten, dass Flüchtlinge hierbleibenund versuchen, immer wieder Gründe dafür zu finden,dass sie nicht ausreisen müssen . Wir haben deutliche Er-folge bei der Rückführung der Flüchtlinge des westlichenBalkans . Wir haben jetzt die ersten Rückführungen aufder Grundlage des Laissez-Passer-Verfahrens vorgenom-men . Das heißt, auch wenn Pässe nicht da sind, kann eineRückführung erfolgen . Die Balkanstaaten haben ihreBereitschaft zur Aufnahme erklärt . Wir haben als Bunddie Verantwortung übernommen und haben gesagt: Beiden Rückführungen der abgelehnten Asylbewerber wirdder Bund die Passangelegenheiten regeln, weil es für dieLänder zum Teil natürlich schwer ist, jeweils Pässe vonLändern wie Burkina Faso oder Bangladesch zu besor-gen . All das sind notwendige Maßnahmen, genauso wiedie Beschleunigung der Asylverfahren notwendig sind .Ich denke, nachdem Bundestag und Bundesrat dasAsylpaket I in einem ziemlich guten Tempo beschlos-sen haben, werden wir uns in den nächsten Tagen auchauf das Asylpaket II, dem wir noch einige Maßnahmenhinzufügen werden, einigen können; denn auch hiermitwerden wichtige Dinge geregelt .Wir müssen schon über diese Fragen sprechen . Esist ein Unterschied, ob man 30 000 Asylbewerber hatoder 800 000 . Es muss geklärt werden: Wer braucht denSchutz, und wer muss unser Land wieder verlassen?Meine Damen und Herren, deshalb ist noch etwasganz wichtig: Es wäre ein geradezu tolles Beispiel fö-deraler Zusammenarbeit, wenn es gelingen würde, ei-nen einheitlichen Flüchtlingsausweis zu haben, den derFlüchtling immer wieder vorzeigen kann – beim Antragin der Kommune, bei Landesangelegenheiten und beiFragen des BAMF, bei den Gerichten und bei der Bun-desagentur für Arbeit –, sodass nicht doppelt, dreifach,vierfach und fünffach Registrierungen erfolgen .
Das wäre vernünftig . Dass wir erst eine Flüchtlingskrisebrauchen, um so etwas zu schaffen, gehört auch zu denBesonderheiten Deutschlands . Da sieht man: In Krisenkönnen auch Chancen liegen . Das, glaube ich, wird unsauch später noch bewusst werden .Natürlich ist da noch das Thema der Integration . Wennin Syrien einmal Frieden wäre, dann würden viele de-rer, die heute einen Aufenthaltsstatus nach der GenferFlüchtlingskonvention haben, auch wieder zurück in ihreHeimat gehen .
Ich plädiere auch dafür, dass wir ihnen nicht einreden,dass sie das nicht tun sollten;
denn die Idee, dass man auf der Welt nur in Deutschlandgut leben kann, wird von den 7 Milliarden Weltenbürgernnicht geteilt . Das geht von ganz einfachen Fragen desKlimas bis hin zu Ausbildung, Verwandtschaft, Bekannt-schaft und Freunden – niemand verlässt leichtfertig seinLand . Wenn die Bedingungen, in dieses Land zurück-zukehren, wieder gegeben sind, dann haben wir und dieFlüchtlinge einen Riesenerfolg gemeinsam erreicht . Des-halb gilt der Aufenthaltsstatus nach der Genfer Flücht-lingskonvention auch erst einmal nur für drei Jahre . Aberwir wissen nicht, wie die Zukunft ist, und deshalb plä-diere ich dringend dafür, schnell mit der Integration zuBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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beginnen; denn alles, was man hier lernt, kann man injedem Leben nutzen – sowohl bei uns als auch in Syrien .
Ich sage ganz ausdrücklich: Wir machen Angebote zurIntegration . Gemessen an dem, was sonst auf der Weltbezüglich der Integration von Flüchtlingen passiert, kön-nen wir, würde ich mal sagen, stolz auf das sein, was wiranbieten: Integrationskurse, Sprachkurse, Einarbeitungin die Arbeitswelt, Praktika und vieles andere mehr . Ichbedanke mich auch bei der deutschen Wirtschaft, dass sieihre Bereitschaft, sich diesem Thema zu öffnen, von An-fang an ganz offen gezeigt hat .Aber wir müssen auch sagen: Wir erwarten von denMenschen, die zu uns kommen, die bei uns Schutz be-kommen, dass sie – das steht im Übrigen schon in derGenfer Flüchtlingskonvention – unsere Werteordnung,unsere gesetzliche Ordnung akzeptieren und dass sieauch ihren aktiven Beitrag dazu leisten, sich im Land zuintegrieren . Die Sprache hat dabei einen zentralen Wert .Diese Erwartung müssen und dürfen wir auch klar aus-sprechen .
Dass wir die Flüchtlingsaufgabe stemmen können,hängt auch damit zusammen, dass wir in den letzten Jah-ren gut gewirtschaftet haben . Dass es trotz einer solchenAufgabe, trotz völlig neuer Aufgaben des Bundes mög-lich ist, jetzt hier im November einen Haushalt für 2016zu beschließen, der weiterhin ein ausgeglichener Haus-halt ist, das spricht für unsere wirtschaftliche Stärke,und das spricht dafür, dass man gut wirtschaften soll, umnicht voraussehbare oder nicht vorhergesehene Aufgabenmeistern zu können .Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat gesterngesagt: Wir werden im nächsten Jahr natürlich ein Stückauf Sicht fahren . – Aber das Ziel eines ausgeglichenenHaushalts, im Übrigen keine Eintagsfliege, sondern jetztzum dritten Mal hintereinander geschafft, ist etwas, waswir nicht aufgeben sollten . Das sage ich ganz klar .
Wenn es sachliche Gründe gibt, darf man sich nie ein-mauern, aber man darf jetzt auch nicht so tun, als ob dieFlüchtlingsaufgabe ein guter Grund ist, von allen Grund-sätzen von früher abzuweichen . Das wird sicherlich nochmanche Diskussion erfordern .Wir haben eine Rekordbeschäftigung von 43,4 Milli-onen . Wir haben einen Rekord bei den sozialversiche-rungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Wir ha-ben ihn – das sage ich auch mit Blick auf meine eigenenBefürchtungen; daraus mache ich gar keinen Hehl – trotzdes Mindestlohns, und das ist eine gute Bilanz . Dass wirdie geringste Zahl von jugendlichen Arbeitslosen haben,ist auch gut .Trotzdem dürfen wir auch angesichts der Tatsache derFlüchtlinge die 2,79 Millionen Arbeitslosen in Deutsch-land nicht vergessen, und das kann uns nicht ruhen las-sen . Gerade den vielen, die unter 30 oder auch unter 35sind, können wir nicht sagen: Passt mal auf, die einzigeMöglichkeit, die wir für euch noch im Blick haben, sindviele Jahre Hartz IV . – Deshalb unterstütze ich alle Be-mühungen, auch das nicht aus dem Blick zu nehmen undimmer wieder zu schauen, wie wir Menschen helfen kön-nen, in den Arbeitsprozess zu kommen, die schon langebei uns leben .
Wir müssen jetzt natürlich auch aufpassen – das ha-ben wir oft besprochen –, dass wir nicht Konkurrenzenzwischen denen bekommen, die den Weg in den Arbeits-markt bei uns über Jahre nicht gefunden haben, und de-nen, die Flüchtlinge sind . Das ist auch ein Beitrag zumgesellschaftlichen Frieden . Deshalb müssen die Anstren-gungen bei denen, die schon viele Jahre bei uns sind, imGrunde genauso verstärkt werden, wie die Anstrengun-gen bei der Integration der Flüchtlinge .
Angesichts der großen Aufgaben, die wir haben unddie uns täglich beschäftigen, geraten Dinge, die sonstgeradezu revolutionär gewesen wären, etwas in den Hin-tergrund . Ich will an dieser Stelle nur an all die Maßnah-men erinnern, die wir im Zusammenhang mit der Pflege-versicherung unternommen haben: die beiden Gesetze,den neuen Pflegebegriff – ein jahrelanges Projekt –, dieFrage der Verbesserung der Palliativmedizin – nach derneulich sehr beeindruckenden Diskussion natürlich auchim Zusammenhang mit Sterbehilfe – und natürlich auchdie Maßnahmen, die wir im Bereich des Krankenhausesunternommen haben; also alles Dinge, die unsere sozialeAbsicherung noch einmal zukunftsfester machen und dieauf die Aufgaben aufgrund des demografischen Wandelseingehen .Erinnern will ich auch an die Beschlüsse – darüberhaben wir neulich gerade mit Herrn Gabriel im Kabinettgesprochen –, die wir zur Energie- und Klimawende ge-fasst haben . Über all diese Energiebeschlüsse hätten wirsicherlich kontrovers diskutiert . Aber sie wären sozusa-gen ein ganz anderes Thema gewesen, weil wir hier inder Tat die Wende zu einer neuen Energiepolitik, aberauch die Annäherung an marktwirtschaftliche Mechanis-men im Zusammenhang mit den erneuerbaren Energiensehr stetig, sehr beständig vollziehen . Wir werden ja imnächsten Jahr noch einmal einen schönen Kraftakt haben,wenn es um die nächste Reform des Erneuerbare-Energi-en-Gesetzes und um die Ausschreibung der zukünftigenVolumina geht . Das wird sicherlich noch eine harte Auf-gabe werden .Wir haben eine anspruchsvolle digitale Agenda, beider wir vorangekommen sind . Wir haben – allen Augu-renrufen zum Trotz – die Frequenzen versteigert . Daswar gar nicht so einfach, und es war nicht absehbar, obdas so schnell gelingt . Wir haben damit Fördermittel fürden Ausbau der Breitbandanbindung . Wenn man vor ein,anderthalb Jahren noch gefragt hat: „Wird AlexanderBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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Dobrindt es schaffen, dass wir unser Ziel, 50 MBit proSekunde bis 2018, wirklich erreichen?“, so redet manheute darüber, dass wir mehr brauchen .
Okay . Aber keiner fragt mehr, ob wir das schaffen, unddas ist doch auch einmal eine gute Botschaft .
Wir haben unser Wort gehalten bei den Ausgaben fürForschung und Entwicklung . Wir liegen mit 14,5 Milli-arden Euro in 2015 in der Spitzengruppe der Europäi-schen Union . Jeder spürt ja, dass die Entwicklung einesverlässlichen Deutschlands in der gesamten Forschungs-landschaft viele Forscher aus dem Ausland wieder zu unsgebracht hat, sowohl im außeruniversitären Bereich alsauch im universitären Bereich .An der Stelle will ich dann doch noch sagen – EckhardtRehberg hat es bei der gestrigen Debatte über den Fi-nanzhaushalt sehr ausführlich gemacht –: Unser Beitragdort, wo es notwendig ist und wo unsere Bundesziele be-troffen sind, dass zum Beispiel universitäre Forschungnicht absackt gegenüber außeruniversitärer Forschung,indem wir dann das BAföG übernommen haben, unsereBeiträge zur Unterstützung von Kommunen und Ländernsind so groß wie bei keiner Bundesregierung zuvor .Da ich weiß, dass es ja immer weitere Forderungengeben wird, will ich sagen: Wir können erst einmal stolzsein auf das, was wir machen, und sollten uns da wirklichden Schneid nicht abkaufen lassen . Es ist unglaublich,was da ging .
Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie-der eine Rückkehr zu einem globalen Thema . Am Mon-tag beginnt in Paris die Klimakonferenz . Die Frage, wiewir mit dem Klimawandel umgehen, wie wir ihn bewäl-tigen, inwieweit wir eine Hoffnung haben auf die Einhal-tung des Ziels, dass die Erderwärmung nicht größer als2 Grad ist, wird für zukünftige Generationen viel zumUmgang mit der Frage von Flucht und Fluchtursachenbeitragen .Wir haben eine Konferenz in Paris, die gut vorberei-tet ist, besser als die in Kopenhagen . Ich möchte FrauHendricks und ihrem Team danken . Wenn ich mit demfranzösischen Präsidenten spreche, wird immer wiederauch gesagt, wie gut wir hier deutsch-französische Zu-sammenarbeit ganz praktisch zeigen . Ich möchte auchdem Entwicklungsminister für seine Beiträge im Zusam-menhang mit dem Klimaschutz danken . So wird jetztauf dieser Pariser Konferenz 14 Tage lang sehr intensivdarüber gesprochen, ob es einen Pfad gibt, den wir dorteinschlagen können und der uns glaubwürdig hin zur Er-reichung des 2-Grad-Zieles führt .Wir haben Abstriche machen müssen, wenn man dasKioto-Protokoll als durchgehend völkerrechtlich ver-bindlichen Plan mit verbindlichen Reduktionszielensieht . Im Gegenzug haben wir aber doch bemerkenswerteVerpflichtungen von etwa 130 Ländern – ich kenne dieim Moment aktuelle Zahl nicht –, die jetzt ihren Bei-trag zum Klimaschutz der Öffentlichkeit präsentieren .Der bemerkenswerteste dabei ist vielleicht der chinesi-sche: Das erste Schwellenland macht hier deutlich, dasses bereit ist, seine CO2-Emissionen zu reduzieren . Daszielt auf das Jahr 2030; das ist noch lange hin . Aber im-merhin – ich denke nur einmal an die Diskussionen vorzehn Jahren, als es noch einen unglaublichen Gegensatzzwischen Industrie- und Schwellenländern gab –, sehenwir da Fortschritte . Jetzt müssen wir es schaffen, völker-rechtlich verbindlich einen Überprüfungsmechanismuszu verabreden, damit glaubwürdig vermittelt werdenkann, dass dieses Jahrhundert ein Jahrhundert der schritt-weisen Dekarbonisierung ist .
Deutschland wird sich hier intensiv einbringen . Ichhoffe auf einen Erfolg dieser Klimakonferenz . Sie könnteauch ein wunderbares Signal gegen Terror, gegen Kriegund zur Bekämpfung der Fluchtursachen sein .
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, selten haben wir so hautnah erlebt, wie unsereigenes deutsches Handeln und Tun in eine globale Welteingebettet ist . Dieses Jahr hat uns in umfänglicher Weisebewusst gemacht: Wir leben in einer gemeinsamen Welt .Wir können, wenn jeder seinen Beitrag leistet, in Zu-sammenarbeit die Probleme bewältigen . – Ich bin davonüberzeugt, oder andersherum: Wir schaffen das . Aber eswird vieler Anstrengungen bedürfen und auch eines ho-hen Maßes an neuem Denken .Herzlichen Dank .
So, liebe Kolleginnen und Kollegen, weiterer Beifall
geht auf Kosten der Debattenzeit .
Deswegen erteile ich jetzt dem Kollegen Anton Hofreiter
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bun-deskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sindtief erschüttert von den Pariser Terroranschlägen . Wirsind fassungslos über die Brutalität und die Grausamkeit,mit der so viele Menschen ermordet wurden . Ich schlie-ße mich meinen Vorrednern an, und auch ich sage fürmeine Fraktion: Wir stehen zu den Menschen in Paris .Wir stehen auch zu den Menschen in Beirut und Bamako .Wir stehen zu den Menschen in Tunis . Und wir gedenkenauch der Opfer der abgeschossenen russischen Zivilma-Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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schine . All jene, die in den letzten Tagen durch Terroris-ten ermordet wurden, sind unschuldige Menschen .
Wieder einmal müssen wir uns fragen: „Wie antwor-ten wir auf den Terror?“ – eine Frage, die wir uns in denletzten Jahren zu oft stellen mussten: nach dem 11 . Sep-tember, nach den Anschlägen von Madrid und London .Diese Serie ließe sich fortsetzen .Was wir in diesen Tagen in Brüssel sehen, ist bedrü-ckend . Wenn es den Terroristen gelingt, die westlichenMetropolen dauerhaft in Angst und Schrecken zu verset-zen, in Misstrauen und gegenseitigen Hass, dann habensie eines ihrer zentralen Ziele erreicht und haben fastgewonnen . Der Ausnahmezustand von Paris und Brüs-sel darf daher nicht zum Normalfall werden . Wir dürfenuns von den Terroristen nicht einschüchtern lassen! Wirdürfen uns unsere Freiheit und unser Leben nicht weg-nehmen lassen!
Auch wenn es sicher schwerfällt: Wir müssen beson-nen, durchdacht und mit kühlem Kopf handeln, statt hys-terisch und reflexhaft.Leider ein trauriges Musterbeispiel für eine dummeund falsche Reaktion hat wieder einmal die CSU ge-liefert . Herrn Söder fällt keine 24 Stunden nach demTerroranschlag ein, man solle jetzt sofort die Grenzenschließen für die Menschen, die vor genau dieser Art vonTerror fliehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von derCSU, so etwas ist beschämend, und Sie sollten sich ganzschnell einmal überlegen, wie Sie diesem Herrn Anstandbeibringen können .
Viele haben in den Tagen nach dem Anschlag in Parisvon Krieg gesprochen . Es ist sicher verständlich, wennman auf diesen Begriff kommt . Aber wir sollten uns fra-gen, ob die Rhetorik des Krieges angemessen und klugist . Wer bei Terror von Krieg redet, gerät in eine Logik,die mehr vernebelt als klärt . Die Kriegslogik führt zu fal-schen Fronten . ISIS führt sicher Krieg, aber dieser Kriegfindet in Syrien und im Irak statt. Die Hauptleidtragen-den des islamistischen Terrors sind die Menschen indiesen Ländern . Zehntausende von ihnen sind ihm zumOpfer gefallen . Auch ihnen sind wir Solidarität und Hilfeschuldig .
Der Kriegslogik folgt der sogenannte War on Terrorseit 14 Jahren . Klar: ISIS muss auch militärisch bekämpftwerden . Aber: Was ist denn die Bilanz des sogenanntenWar on Terror seit 14 Jahren? Wenn ich auf die Bilanzdieser 14 Jahre Terrorbekämpfung schaue, dann ist dieseBilanz wirklich ernüchternd . Die Lage ist in den vergan-genen 14 Jahren doch nicht besser geworden . Al-Qaidaist in Teilen geschwächt, aber dafür sind andere terroristi-sche Organisationen wie IS und Boko Haram deutlich ge-stärkt . Tausende junger Menschen sind aus Europa nachSyrien und in den Irak gegangen, um dort als Terroristenzu kämpfen und zu morden . Es herrscht in mehr LändernKrieg und Bürgerkrieg . Wir haben doch die Begrenztheitmilitärischer Mittel in Afghanistan erlebt . Wir haben ihreungewollten und katastrophalen Konsequenzen im Irakgesehen . Wir sehen, wenn man an den Drohnenkriegdenkt, die destabilisierende Wirkung des Drohnenkrie-ges in Pakistan . Deshalb: Besonnenheit, kühler Kopf undkluge Analyse sind das Gebot der Stunde und nicht, diealten Fehler seit 14 Jahren zu wiederholen .
Es braucht eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung desIS . Es ist richtig, dass gegen IS militärisch gekämpft wer-den muss . Aber es ist auch klar, dass er am Ende nur po-litisch besiegt werden kann . Der Abschuss des russischenKampfflugzeuges durch türkische Kampfflugzeuge hatdiesen Bemühungen einen schweren Rückschlag zuge-fügt . Aber wir müssen uns bemühen und dafür sorgen undalles daransetzen, dass es bei den Gesprächen in Wien zueiner internationalen Zusammenarbeit im Kampf gegenden IS kommt: zwischen den regionalen und den inter-nationalen Kräften, zwischen Iran und der Türkei, zwi-schen den USA und Russland . Wir müssen auch dafürsorgen, dass es gelingt, dass ein Waffenstillstand erzieltwird zwischen den Überresten des Baath-Regimes, denÜberresten der gemäßigten Rebellen und der syrischenKurden, damit eine Chance besteht, dass dieser Kampfauch erfolgreich ist . Den Terror und ISIS zu bekämpfen,ist die eine Sache; aber sie erfolgreich zu bekämpfen, istdie andere Sache . Dafür braucht es eine politische Eini-gung .Dafür braucht es auch eine Lösung für das ProblemAssad . Eines sollten wir auch nie vergessen: Assad ist dieQuelle der Ursache . Ein Großteil der in Syrien ermorde-ten Menschen ist von Assad ermordet worden . Deshalbmüssen wir uns überlegen: Wie kann es gelingen, Assadda herauszunehmen, eine Regierung der nationalen Ein-heit in Syrien zu schaffen und dann, nach der politischenEinigung, einen gemeinsamen, von der UN getragenenKampf gegen ISIS zu organisieren, damit man nicht nurmilitärisch agiert, sondern auch erfolgreich?
Besonnenheit und kluge Analyse bedeuten natürlichnicht Untätigkeit . „Krieg“ ist für das, was wir in Europahaben, in meinen Augen der falscheste Begriff . Es gehtdarum, den Terror zu bekämpfen . Wir müssen natürlichfür die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger sor-gen . Aber auch hier heißt das, nach klarer Analyse vorzu-gehen . Nach dem 11 . September wurde schon einmal imNamen des Krieges die Freiheit unverhältnismäßig ein-geschränkt . Mit welchem Ergebnis? Überall in Europaentfalteten die Geheimdienste ein Eigenleben . Wir konn-Dr. Anton Hofreiter
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ten erleben, wie Geheimdienste aus Europa die US-ame-rikanischen Geheimdienste bei Entführungen, bei Folterunterstützt haben . Guantánamo und Abu Ghuraib sinddie symbolhaften Namen für diese Fehlentwicklung .Aber es gab nicht nur schwere Menschenrechtsverletzun-gen, sondern es war auch noch massiv kontraproduktiv .Die Bilder von Abu Ghuraib haben mehr Terroristen pro-duziert als viele andere Maßnahmen . Deshalb dürfen wirdiese Fehler nicht wiederholen, erstens wegen der Men-schenrechte und zweitens wegen der kontraproduktivenWirkung .
Beim Kampf gegen den Terror brauchen wir echtePolitik, brauchen wir Maßnahmen, die wirken, und nichtreine Symbolpolitik . Wir brauchen deshalb eine gut aus-gestattete Polizei, die ausreichend Personal und Mittelhat. Wir brauchen nicht wieder den reflexhaften Ruf nacheinem Einsatz der Bundeswehr im Innern .
Die Bundeswehr kann vieles gut, aber sie ist nicht dafürausgebildet, Terror im Innern zu bekämpfen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen na-türlich eine Überwachung der Terrorverdächtigen . Wirbrauchen eine bessere Zusammenarbeit der Polizei überdie Grenzen hinweg . Aber die totale Überwachung durchdie Geheimdienste kann doch nicht die Antwort sein .Ich kann nicht erkennen, dass das irgendein Beitrag zurTerrorbekämpfung ist, wenn der BND den französischenAußenminister oder die europäischen Botschaften über-wacht .
Wenn wir unserem Inlandsgeheimdienst gestatten, allehier im Saal, alle Bürger zu überwachen, dann bekom-men wir sicherlich einen gigantischen Datenwust, mitdem am Ende nicht mehr viel anzufangen ist; aber es istganz sicher kein Beitrag zur Bekämpfung des Terrors .Man muss fokussieren und die Polizei so ausstatten, dasssie in der Lage ist, die Terrorverdächtigen zu überwa-chen – nicht uns alle hier im Saal oder alle Bürger indiesem Land .
Was wir im Kampf gegen den Terror allerdings vorallem brauchen, ist die Prävention . Wie kann es sein,dass junge Menschen, die hier bei uns aufgewachsensind, sich solchen menschenverachtenden Ideologien an-schließen und in den Dschihad ziehen? Darauf gibt es si-cherlich keine einfache und keine schnelle Antwort . Inte-grationsarbeit, Bildungsarbeit, Jugendarbeit, Sozialarbeitbilden den wichtigsten Teil der Prävention von Terror .Wir müssen unseren jungen Menschen Chancen bieten .Natürlich müssen wir auch den radikalen Hasspredigerndas Handwerk legen . Da haben wir auch in Deutschlandeinen massiven Nachholbedarf . Selbst der BKA-Präsi-dent sagt uns: Die wichtigste Maßnahme im Kampf ge-gen den Terror ist, dafür zu sorgen, dass sich junge Men-schen deradikalisieren bzw . erst gar nicht radikalisieren;denn wenn die Zahl der Gefährder so hoch bleibt, dannkönnen wir gar nicht genug Polizisten einstellen, um siealle zu überwachen . Deshalb ist gute Sozialpolitik harte,echte und wichtige Sicherheitspolitik .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen kei-ne Scheinpolitik und keine Symbolpolitik, sondern Po-litik mit Weitsicht . Eine Politik, die vorsagt, die überden Tag hinaus denkt – das wäre heute notwendig . Aberwenn ich mir anschaue, was Sie machen, wie Sie mitder fundamentalen Klimakrise, den großen Flucht- undMigrationsbewegungen, der großen Investitionslücke,die wir schließen müssen, damit unsere Gesellschaft eineZukunft hat, und mit der Zunahme rechtspopulistischerUmtriebe umgehen, dann stelle ich mir die Frage: Wasmacht eigentlich diese Regierung?Wir wissen doch: Wenn eine Regierung handlungsun-fähig und zerstritten wirkt, dann erhalten rechtsextremeund rechtspopulistische Organisationen Zulauf .
Ich nehme an, Sie wissen das auch, Herr Kauder
und Herr Oppermann, Herr de Maizière und Herr Altmaier, Herr Gabriel und Frau Merkel . Aber was fürein Schauspiel bietet uns die Große Koalition?
Da ignoriert der Innenminister de Maizière, was dieBundeskanzlerin und der Kanzleramtsminister Altmaiervorgeben, und arbeitet auf eigene Rechnung . Da redetder CSU-Vorsitzende von Notwehr gegenüber der eige-nen Bundesregierung . Da vergleicht ein Finanzministerschutzsuchende Menschen mit Naturkatastrophen unddenunziert die Kanzlerin als die Auslöserin des Ganzen .Da taumelt ein Vizekanzler auf der Suche nach Schlag-zeilen zwischen Pegida-Besuch und „Pack“-Beschimp-fung, zwischen Menschenrechten und Abschottung, bisden SPD-Beobachtern nur noch das Grausen kommt . Dastellt sich ein Ministerpräsident von der CSU hin undmaßregelt die Bundeskanzlerin auf offener Bühne, alswenn sie ein Schulmädchen wäre, und dann hat er nochnicht einmal die Größe, sich bei ihr zu entschuldigen .
Wissen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, nunkönnte man sich als Opposition darüber freuen, dass manes mit so einer zerstrittenen, so einer armseligen und soDr. Anton Hofreiter
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einer handlungsunfähigen Regierung zu tun hat . Aber da-für sind die Probleme wirklich zu ernst .
Die Probleme sind wirklich zu groß, als dass wir uns einezerstrittene Regierung leisten können . Deshalb: ReißenSie sich endlich zusammen! Machen Sie Schluss mit die-sem Theater!
Unser Land hat wirklich große Aufgaben vor sich . Wirmüssen die vielen Schutzsuchenden bei uns integrieren,und wir müssen unverzüglich damit anfangen . Ja, FrauMerkel, wir schaffen das . Aber es muss auch geklärtwerden, wie wir das schaffen, und dazu braucht es nichtnur Anregungen der Opposition, sondern dazu braucht esauch Beschlüsse der Bundesregierung . Deshalb kann ichnur sagen: Stimmen Sie unseren Anträgen zum Haushaltzu . Wie wäre es denn mit 600 Millionen Euro mehr fürIntegrationskurse, wie wir sie beantragen und gegenfi-nanzieren?
Wie wäre es denn mit 350 Millionen Euro mehr für dieJobcenter, wie wir sie beantragen und gegenfinanzieren?
Oder wie wäre es mit einem 2-Milliarden-Paket für densozialen Wohnungsbau – der sowieso dringend notwen-dig ist –, wie wir es beantragen und gegenfinanzieren?
Sie haben doch selbst gesagt: Die Randbedingungensind gut, die Zinsen sind so niedrig wie nie, und unsereSteuereinnahmen sind entsprechend gut . – Ja, darüberkann man sich freuen, aber man muss auch etwas darausmachen . Man darf keinen Haushalt vorlegen, der keinenMut hat, kein Herz und keinen Plan . Machen Sie endlichwas, und reden Sie nicht bloß!
Frau Merkel, ich gebe gerne zu: Ich freue mich wirk-lich – und wir werden oft dafür getadelt, dass wir FrauMerkel zu sehr loben –, dass Sie dem Sperrfeuer aus Ih-ren eigenen Reihen bisher standgehalten haben .
Aber wenn Sie es zulassen, dass die jüngsten Planungenfür ein neues Asylgesetz umgesetzt werden – geplantsind Schnellverfahren, die quasi jeden Flüchtling treffenkönnen, eine Aussetzung des Familiennachzugs, Ab-schiebung auch schwerkranker Flüchtlinge –, dann, FrauMerkel, zeigt Deutschland leider kein freundliches Ge-sicht mehr, sondern dann zeigt es eine hässliche Fratze .Überlegen Sie sich das also noch einmal gut, und verhin-dern Sie das .
Überlegen wir uns doch einmal, was das Aussetzendes Familiennachzugs perspektivisch bedeutet:
Das Aussetzen des Familiennachzugs bedeutet perspekti-visch, dass sich Frauen und Kinder auf den gefährlichenWeg machen, vielleicht über das Mittelmeer, und ein Teilvon ihnen unter Umständen ertrinkt . Wollen wir das ver-antworten? Ich will das nicht verantworten . Ich glaube,das kann man auch nicht verantworten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,Sie behaupten doch immer, dass Ihnen die Familie wich-tig ist . Das kann doch nicht nur für deutsche Familiengelten . Artikel 6 Grundgesetz gilt für alle Familien . Ge-ben Sie sich einen Ruck, seien Sie anständig, und sorgenSie dafür, dass Frauen und Kinder nicht auf den lebens-gefährlichen Weg über das Mittelmeer gezwungen wer-den . Das kann nicht deutsche Politik sein . Das darf nichtdeutsche Politik sein .
Während die Regierung gelähmt zu sein scheint, derKanzleramtsminister und Flüchtlingskoordinator auf dereinen Seite und der Innenminister auf der anderen Sei-te gegeneinander arbeiten, schuften draußen im LandeUnmengen Menschen . Ich muss sagen: Ich bin den Eh-renamtlichen wirklich sehr dankbar für all das, was sieleisten,
und ich bin auch den Hauptamtlichen sehr dankbar fürall das, was sie leisten; denn sie beweisen jeden Tag alldenen, die das Kippen der Stimmung herbeireden wol-len, die herbeireden wollen, dass wir das nicht schaffen:Doch, wir schaffen das; wir können das, und wir packendas .
Es ist häufig von der Bekämpfung von Fluchtursachendie Rede. Es fliehen Menschen aus vielen Ländern. Wirhaben Probleme mit dem islamistischen Terror in vielenLändern und Bürgerkriege in vielen Ländern . Schauenwir uns Mali an, wo die Bundeswehr bereits im Einsatzist . Man muss klar sagen: Die Bundeswehr gibt sich sehrviel Mühe . Wir unterstützen diese Einsätze . Ich dankeden Soldaten dafür, dass sie diese schwierige und zumTeil auch sehr gefährliche Aufgabe wahrnehmen . Es gibtauch eine ganze Reihe ziviler und ehrenamtlicher Hel-fer, die diesem Land auf die Beine helfen wollen . Ichwar vor kurzem in Mali und habe mir das angeschaut . InMali läuft vieles richtig . Was in Mali aber nicht in GangDr. Anton Hofreiter
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kommt, ist die einheimische Wirtschaft . Eines der Haupt-produkte von Mali ist Baumwolle . Des Weiteren werdendort andere landwirtschaftliche Produkte produziert .Jetzt ist es so, dass die Baumwolle und die landwirt-schaftlichen Produkte Malis nicht konkurrenzfähig sind .Warum sind sie nicht konkurrenzfähig? Dafür, dass dieBaumwolle Malis nicht konkurrenzfähig ist, sind nichtwir verantwortlich . Dafür ist nicht Europa verantwort-lich, sondern dafür sind die USA verantwortlich . DieUSA haben in den vergangenen 20 Jahren 30 MilliardenUS-Dollar an ihre Baumwollfarmer bezahlt . Dass dieanderen landwirtschaftlichen Produkte Malis nicht kon-kurrenzfähig sind, das liegt an uns, an Europa . Wir zah-len 50 Milliarden Euro Subventionen, und mit unserensubventionierten Lebensmitteln, wovon ein erheblicherAnteil exportiert wird, machen wir die Wirtschaft in Län-dern wie Mali kaputt .
Wenn wir in vielleicht 10 oder 15 Jahren hier stehenund darüber sprechen, warum der Einsatz in Mali schief-gegangen ist – das kann hoffentlich verhindert werden –,warum es nicht gelungen ist, dieses Land zu stabilisierenund zu wirtschaftlichem Wohlstand zu führen, obwohlwir doch einen Bundeswehreinsatz hatten, obwohl wirdiesen Bundeswehreinsatz ausgeweitet haben, obwohlwir viel Entwicklungshilfe gezahlt haben, obwohl wiruns doch alle Mühe gegeben haben, dann könnte manbei folgender Ursache landen: Weil man sich nicht an dieSubventionen für die industrielle Landwirtschaft bei unsund in den USA herangetraut hat . – Das ist schlichtwegein Problem . Man muss die Probleme halt an den Ursa-chen anpacken .
Wenn es in einem Land keine ökonomische Entwicklunggibt, dann kann das daran liegen, dass wir die ökonomi-sche Entwicklung in diesem Land mit subventioniertenProdukten kaputtmachen . Da können Sie von der CSUlachen und schreien; das macht es nicht besser . Es soll-te doch in unserem Interesse sein, dass es diesem Landbesser geht .
Schauen Sie sich doch einfach einmal die Tatsachen an .Dass Sie dieses Problem nicht angehen, ist aus IhrerSicht ja zu verstehen: Da muss man sich mit Lobbyistenanlegen, und es wird kurzfristig ökonomische Auseinan-dersetzungen geben .
Das mag alles lästig und schwierig sein; aber man mussdoch dafür sorgen, dass die Probleme an der Wurzel an-gepackt werden . Wir sollten nicht nur dafür sorgen, dasses einen ordentlichen Bundeswehreinsatz in Mali gibt,sondern auch dafür, dass die einheimische Wirtschaftvon Mali die Chance hat, zu funktionieren . Deswegensollten wir aufhören, diese einheimische Wirtschaft mitsubventionierten Produkten aus Europa, aus Deutschlandund aus den USA kaputtzumachen .
Ein weiteres Beispiel . Schauen wir uns den Umgangmit Saudi-Arabien an . Navid Kermani hat uns daraufhingewiesen, dass das Lehrmaterial, das in Saudi-Arabi-en verwendet wird, und das Lehrmaterial, das bei ISISverwendet wird – die haben sogar Schulen –, zu 95 Pro-zent identisch sind . In Saudi-Arabien wurden dieses Jahrschon mehr Menschen geköpft als im Territorium dessogenannten „Islamischen Staats“, den man, glaube ich,besser Da‘isch nennen sollte .
Saudi-Arabien ist das Zentrum des Wahhabismus, ei-ner islamistischen Ideologie, die von der Ideologie derTerroristen kaum zu unterscheiden ist . Aus Saudi-Arabi-en wird nach allem, was man erkennen kann, ISIS finan-ziert . In Saudi-Arabien haben Frauen fast keine Rechte .In Saudi-Arabien ist das Ausüben anderer Religionen beischwerster Strafe verboten . Menschenrechtler wie Bada-wi werden ausgepeitscht und zu barbarischen Strafenverurteilt . Saudi-Arabien exportiert diese fundamentalis-tische Ideologie in viele Länder . Saudi-Arabien führt imJemen einen barbarischen Krieg mit vielen zivilen Toten .Wenn man sich das anschaut – das ist einfach nur einenüchterne Aufzählung –, dann müsste man doch denken:Das ist ein Land, auf das die Bundesregierung, auf dasder demokratische Westen massiv Druck ausüben sollte,sein Verhalten zu ändern . – Aber was ist der Fall? DieBundesregierung behandelt Saudi-Arabien als engstenVerbündeten, liefert dorthin Waffen und kauft dort billi-ges Öl . Wenn wir diese Politik nicht verändern, die nachdiesem ganz alten und schlechten Muster „He may be abastard, but he is our bastard“ funktioniert, dann werdenwir nie in der Lage sein, die Probleme wirklich anzupa-cken .
Als allerletzten Punkt schaue ich mir an, wie Sie Kli-mapolitik machen . Ja, Sie sprechen davon, dass wir das2-Grad-Ziel einhalten müssen . Ja, wir wissen, dass wirdas 2-Grad-Ziel einhalten müssen, dass wir es dringendeinhalten müssen, weil sonst unsere eigenen Lebens-grundlagen zerstört werden . Das sagt uns die gesamteWissenschaft . Sie sagen es ja selbst, Frau Merkel . Wennich mir die Politik in der Bundesrepublik Deutschlandanschaue, muss ich sagen: Es passiert viel zu wenig imKampf gegen den Klimawandel in Deutschland . Wir ge-ben jetzt 1,6 Milliarden Euro als Subventionen für dieBraunkohle . Im Bereich des Verkehrs und der Mobilitätpassiert überhaupt nichts; das wundert einen vielleichtnicht bei diesem Minister . Im Bereich der Wärmedäm-mung kommen wir nicht voran .Dr. Anton Hofreiter
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Sie werden Ihre Ziele, die Sie sich in Ihrer ersten Ko-alition selbst gesetzt haben, ganz massiv verfehlen . Dasalles geschieht in der Bundesrepublik Deutschland, derviertgrößten Industrienation . Es hilft doch nichts, wennSie auf den großen Konferenzen immer nur nett lächeln,sich feiern lassen, sich als Klimakanzlerin darstellen, unddann, wenn Sie nach Hause kommen, von Dekarbonisie-rung und Klimaschutz nichts mehr wissen wollen . Kli-maschutz ist konkret . Klimaschutz fängt in den einzel-nen Ländern an . Handeln Sie endlich! Sorgen Sie dafür,dass wir zu einer anderen Mobilität kommen, dass wir zueiner anderen Energieversorgung kommen und dass esendlich mit der Wärmedämmung vorangeht .Vielen Dank .
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Thomas
Oppermann das Wort .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Terror-angriffe der letzten Tage und Wochen, gestern in Tunesi-en, davor in Mali, in Frankreich, auf der Sinai-Halbinsel,haben die Menschen weltweit verunsichert und ein gro-ßes Mitgefühl ausgelöst . Insbesondere die Terroranschlä-ge in Paris vor zehn Tagen haben die französische Ge-sellschaft schwer getroffen . Deshalb möchte ich gleicham Anfang meiner Rede der Bundeskanzlerin, aber auchdem Vizekanzler meinen Dank aussprechen . Sie habensofort unmissverständlich klargemacht: Wir stehen ander Seite von Frankreich . Wir haben eine tief empfunde-ne Freundschaft und Solidarität mit Frankreich . PräsidentHollande hat uns um unseren Beistand gebeten . Es istvöllig klar, dass wir unseren Beitrag dazu leisten werden .
Ich finde, es war eine besonnene Entscheidung desfranzösischen Präsidenten, sich nicht auf den Bündnisfallnach Artikel 5 des NATO-Vertrages zu berufen, sondernauf die Beistandsklausel nach dem EU-Vertrag; denn dasBündnis gegen den IS muss breiter angelegt werden alsdie NATO . Dieser Kampf kann nur erfolgreich sein, wennauch Russland, wenn auch Regionalmächte wie Iran undSaudi-Arabien eingebunden werden, es also eine breiteAllianz der internationalen Staatengemeinschaft gibt .Diese Allianz droht jetzt durch den Abschuss einesKampfflugzeuges an der syrisch-türkischen Grenze ge-fährdet zu werden . Frank-Walter Steinmeier hat nach demTerroranschlag von Paris an den Wiener Verhandlungenteilgenommen und gesagt: Nach diesem Terroranschlagist die Welt ein bisschen näher zusammengerückt . – DieAllianz gegen den IS-Terror schien in greifbarer Nähe zusein . Jetzt darf die Welt aber nicht wieder auseinander-rücken .Auch wenn es für uns alle schwer verständlich ist,wie es in einer solch angespannten Lage dazu kommenkonnte, dass trotz wiederholter Grenzverletzungen einFlugzeug abgeschossen wird, muss doch klar sein: DerStellvertreterkrieg auf syrischem Boden kann doch nurbeendet werden, wenn es jetzt nicht zu einer Auswei-tung des Konfliktes kommt, indem sich die Stellvertreterselbst gegenseitig attackieren .
Deshalb muss alles für eine Deeskalation dieses Konflik-tes getan werden . Das ist eine Chance, die auf keinen Fallvertan werden darf .
Diese Art der Terroranschläge – mit Selbstmordat-tentätern – gibt es schon lange . Aber das ist für uns inEuropa eine neue Erfahrung . Den Terroristen der RAFging es darum, die Repräsentanten des Staates zu treffen .Als al-Qaida das Attentat gegen das World Trade Centerdurchführte, ging es auch darum, ein Symbol des interna-tionalen Finanzkapitalismus zu treffen . Als der Terroran-schlag gegen Charlie Hebdo durchgeführt wurde, ging esauch darum, die Pressefreiheit und die Meinungsfreiheitzu treffen . Aber bei den Anschlägen vom 13 . Novemberdieses Jahres ging es nicht mehr um Symbole oder Ins-titutionen . Es ging darum, die Menschen direkt in ihremAlltag zu treffen: in Cafés und Restaurants, beim Fuß-ballspiel oder bei Konzertveranstaltungen . Das war eindirekter Angriff auf unsere Gesellschaft .Ich kann verstehen, wenn jetzt auch Menschen bei unsAngst haben und unsicher sind . Aber das darf nicht dazuführen, dass wir jetzt kopflos agieren; denn genau daswollen die Terroristen . Sie wollen Angst verbreiten . Dasdürfen und werden wir nicht zulassen .
Die Bilder, die uns vom vergangenen Wochenendeaus Paris erreicht haben, machen auch Mut . Die BerlinerSchaubühne hatte in den letzten Tagen ein Gastspiel inParis . Die Befürchtung, dass viele Theaterkarten zu-rückgegeben werden, traf nicht ein . Im Gegenteil: DieAnrufer wollen nicht stornieren, sondern mit ihrem Be-such ganz bewusst ein Zeichen des Widerstandes gegenden Terror setzen . Unser stärkstes Argument gegen denTerror ist es, keine Angst zu haben, hat Barack Obamagesagt . Das ist richtig . Wir müssen entschlossen handeln .Aber vor allem müssen wir besonnen bleiben .Deshalb möchte ich Ihnen, Herr de Maizière, aus-drücklich für das danken, was Sie letzte Woche bei derBKA-Tagung gesagt haben – ich zitiere sinngemäß –:Welches Extrem in der Sicherheitspolitik gerade über-wiegt, hängt von der gefühlten Bedrohungslage ab, oftauch von dem Bedürfnis nach Stimmungsmache . Ichwarne allerdings davor, von einem Extrem in das ande-re zu fallen . Egal aus welcher Richtung der Wind weht:Wir müssen Kurs halten, mit Maß und Mitte . – Herr de Maizière, ich kann mich Ihren Worten nur anschließen .Dr. Anton Hofreiter
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Wir werden unsere freiheitliche Gesellschaft entschlos-sen, aber mit Maß und Mitte verteidigen .
„Besonnen handeln“ heißt für mich: Wir dürfen dieDebatte über die innere Sicherheit nicht auf dem Rückender Flüchtlinge austragen . Natürlich kann niemand aus-schließen, dass sich auch ein Terrorist oder Kriminelleunter die Flüchtlinge mischen . Es gab ja auch den Ver-dacht . Offenkundig hat es sich aber um eine gelegte Spurgehandelt .All das rechtfertigt in keinem Fall einen Generalver-dacht gegen Flüchtlinge . Wir dürfen die Opfer, die vordem Terror zu uns fliehen, nicht zu Tätern machen.
Ein Ziel der Terroristen ist es auch, die moderaten undgemäßigten Muslime in Misskredit zu bringen . Deshalbist es richtig, dass Navid Kermani sagt: Dagegen müs-sen sich auch die Muslime zur Wehr setzen . – Er hat sieaufgefordert, dagegen aufzubegehren, dass Terroristenim Namen ihrer Religion handeln, und das tun auch diemeisten gemäßigten Muslime in diesem Lande .Im Übrigen müssen wir der Tatsache ins Auge schau-en: Der islamistische Terror ist in vielen Bereichen einhausgemachtes, ein europäisches Problem . Die Drahtzie-her der Anschläge von Paris sind in Europa geboren undaufgewachsen . 750 Deutsche sind nach Syrien gereist,um für den IS zu kämpfen . Nicht 750 Syrer sind nachDeutschland gereist, um hier Terroranschläge auszuüben,sondern umgekehrt: 750 Deutsche sind nach Syrien ge-gangen . Über 420 hochgefährliche, gewaltbereite Isla-misten leben in Deutschland . Manche von ihnen müssendie Sicherheitsbehörden rund um die Uhr im Auge haben .Das alles erfordert ein hohes Maß an Wachsamkeit .Dies ist ein Kraftakt für unsere Polizei . Wir können frohsein, dass sie es mit großem Einsatz, mit Geschick undauch mit ein bisschen Glück geschafft hat, uns bisher vorschweren Terroranschlägen zu bewahren . Dafür möchteich allen Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden ganz aus-drücklich danken .
Auch deshalb ist es richtig, dass wir jetzt 3 000 neueStellen für die Bundespolizei schaffen. Ich finde es gutund bin froh, dass die Zeit, in der die Finanzminister vonBund und Ländern bei der Polizei Stellen abbauen konn-ten, endgültig der Vergangenheit angehört .Zur Besonnenheit gehört für mich aber auch, dassnicht nach jedem Terroranschlag eine Grundsatzdebatteüber die exakt definierte Rolle der Bundeswehr in unse-rem Grundgesetz geführt wird .
Wir wollen und wir brauchen keine Militarisierung derinneren Sicherheit . Soldaten werden für ganz andere Sa-chen ausgebildet als die Polizei . Deshalb bleibt es dabei:Die Polizei ist zuständig für die innere, die Bundeswehrist zuständig für die äußere Sicherheit .
Was wir in diesen Zeiten neben einer guten Polizeidringend brauchen, sind funktionierende Nachrichten-dienste, die sich mit ihren Partnern austauschen undFundamentalisten und potenzielle Gewalttäter im Blickhaben . Dass wir starke Nachrichtendienste wollen, kannman daran sehen, dass wir im Haushalt erhebliche Mittelfür zusätzliches Personal bereitstellen .Was wir aber nicht brauchen, ist ein Bundesnachrich-tendienst, der den französischen Außenminister LaurentFabius abhört, meine Damen und Herren . Was ist das fürein grotesker Vorgang!
Einmal abgesehen davon, dass sich so etwas unter Freun-den nicht gehört: Wer so etwas macht, ist ganz offenkun-dig nicht auf die eigentlichen Gefahren fokussiert, dieunserem Gemeinwesen im Augenblick drohen .Es gibt sehr viele Mitarbeiter beim BND, die unterschwierigen Bedingungen hervorragend arbeiten und de-nen ich dafür danken möchte . Es ist aber auch im Interes-se dieser Mitarbeiter, wenn ich sage: Es muss bei diesemNachrichtendienst einiges anders werden .Ich kann die Kritik der Opposition verstehen, aber wirkönnen den BND nicht komplett neu aufbauen . Wir müs-sen die Reformen im laufenden Betrieb vornehmen . Ichbin froh, dass wir darüber eine Einigung in der Koalitionhaben . Die Fachleute haben sich geeinigt .Es ist klar: In einem demokratischen Staat habenNachrichtendienste kein Recht auf ein Eigenleben . Siedürfen nur das tun, was demokratisch legitimiert ist .Deshalb muss der BND-Präsident wissen, ob es in sei-ner Behörde Eigenmächtigkeiten gibt, und er muss sieabstellen, wenn es sie gibt . Für den Präsidenten muss eseine Aufsicht geben, die sicherstellt, dass er das auch tut .
Meine Damen und Herren, die größte Gefahr für un-sere innere Sicherheit sind ganz sicher nicht die Flücht-linge, die ins Land kommen, sondern die eigentlicheGefahr droht, wenn wir es versäumen, diese Flüchtlin-ge gut zu integrieren . Was nicht passieren darf, ist, dassjetzt weitere Parallelgesellschaften entstehen, die zu so-zialen Brennpunkten werden . Ein Molenbeek darf es inDeutschland nicht geben . Wo es das im Kleinen schongibt, müssen wir gezielt etwas dagegen unternehmen .Gut integrierte Flüchtlinge sind am besten gegen Salafis-ten und Hassprediger immunisiert .
Integration ist die große innenpolitische Herausfor-derung für ein ganzes Jahrzehnt . Sprache, Kita, Schule,Ausbildung, Arbeit, Wohnung, aber auch Werte und Re-geln, das ist das ABC der Integration . Dieses ABC mussauf jeder Stufe durchbuchstabiert werden . Wir sagenThomas Oppermann
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ganz klar: Da dürfen wir nicht kleckern, sondern da müs-sen wir klotzen .Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt .Was wir heute investieren, wird sich schon in zehn Jahrendoppelt auszahlen . Was wir heute versäumen, das lässtsich nicht mehr nachholen . Deshalb: Ran an die Sache!
Wir müssen auch mehr Anreize schaffen, damit sichIntegration lohnt. Kriegsflüchtlinge haben hier eineSchutzzeit von zunächst drei Jahren . Wir müssen ganzklar sagen: Wer es in drei Jahren schafft, unsere Sprachezu lernen, wer es schafft, eine Ausbildung zu machen,wer es schafft, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, dermuss eine dauerhafte Perspektive, unabhängig von sei-nem Flüchtlingsstatus, bekommen . Aber diejenigen, diedas nicht schaffen oder auch nicht wollen, müssen sichdarauf einstellen, dass sie gegebenenfalls in ihre Länderzurückkehren müssen, wenn dort wieder sichere Lebens-verhältnisse herrschen. Ich finde, wir brauchen auch inder Integrationspolitik klare Maximen: fördern und for-dern . Alle müssen wissen, woran sie sind . Jeder hat hiereine Chance . Das sollten wir beherzigen und es nichtwieder so machen wie beim letzten Mal .
Die Antwort auf die Frage, ob wir Flüchtlinge mitBleiberecht gut integrieren können, hängt auch davon ab,ob es uns gelingt, von den hohen Zahlen an Flüchtlin-gen herunterzukommen . Im November dieses Jahres sind180 000 Flüchtlinge gekommen . Das ist fast so viel wieim ganzen letzten Jahr . Wir müssen die Geschwindigkeitdes Zuzugs deutlich verringern .
Viele europäische Länder, ja fast alle europäischenLänder wollen sich nicht an der Aufnahme von Flücht-lingen beteiligen; die Bundeskanzlerin hat darauf hinge-wiesen . Wir müssen weiter darum kämpfen, dass es zueiner fairen Verteilung der Flüchtlinge, aber auch derVerantwortung dafür in Europa kommt . Die Länder, diebisher aufnahmebereit waren, wie Schweden, erkläreninzwischen, dass ihre Kapazität erschöpft ist . So kann esim nächsten Jahr nicht weitergehen .Deshalb müssen wir uns auf drei Dinge konzentrie-ren, die uns helfen können, das Problem an der Wurzelzu packen . Erstens: die Befriedung des syrischen Bürger-krieges durch die Verhandlungen in Wien . Daran mussnatürlich weiter gearbeitet werden, trotz des Rückschla-ges, den wir gestern erlebt haben . Zweitens: die Verbes-serung der Lage von Flüchtlingen in der Krisenregion, inden Flüchtlingslagern, wo sich im Augenblick die meis-ten Flüchtlinge aufhalten . Drittens: die Sicherung derEU-Außengrenzen, unter anderem mithilfe der Türkei .
Zur Sicherung der Außengrenzen . In der Tat spielt dieTürkei dabei eine Schlüsselrolle . Im Augenblick kom-men über 80 Prozent der Flüchtlinge über die Türkei undden Balkan nach Europa . Die türkisch-griechische Gren-ze ist praktisch offen . Die Schleuser haben dort allein dasHeft in der Hand . Das kann so nicht bleiben . Das müssenwir zwischen zwei NATO-Partnern in der Tat ändern;denn nur mit sicheren Außengrenzen können wir verhin-dern, dass es zu einer Renationalisierung der Grenzen inEuropa kommt . Schengen können wir nur verteidigen,Reisefreiheit wird es in Zukunft nur geben, wenn wir esschaffen, zu sicheren Außengrenzen zu kommen .
Wenn uns die Türkei jetzt hilft, die Außengrenzen zusichern, dann würden die Flüchtlinge zunächst in derTürkei bleiben . Dort sind sie zwar vor Bürgerkrieg ge-schützt und sicher; aber natürlich kann die Türkei alleinnicht alle Flüchtlinge aufnehmen, nur um die anderenLänder in Europa zu verschonen . Die Türkei hat schonjetzt mehr Flüchtlinge aufgenommen als alle anderenLänder in Europa zusammen . Das muss man – bei all derKritik, die immer wieder an der Türkei geäußert wird –auch einmal anerkennen . Das ist eine große Leistung, dieRespekt verdient .
Wenn also die Türkei uns hilft, die europäischen Au-ßengrenzen zu sichern, dann müssen wir der Türkei imGegenzug auch helfen, und zwar nicht nur finanziell,sondern auch, indem wir ihr einen Teil der Flüchtlingeabnehmen . Das können wir in der Tat über Kontingentenach dem Resettlement-Verfahren laufen lassen . Damitkönnen wir mehrere Probleme auf einmal lösen: Ers-tens . Wir würden die Kontrolle über die Außengrenzenzurückgewinnen . Zweitens . Die chaotische Einwande-rung von Flüchtlingen würde in ein geordnetes Verfahrenunter Beteiligung des UNHCR überführt oder dadurchersetzt . Drittens . Die Schleuserkriminalität würde ausge-schaltet . Viertens . Bei diesem Verfahren haben nicht nurkräftige junge Männer, sondern auch Frauen und Kindereine faire Chance, als Flüchtlinge in Europa aufgenom-men zu werden .Diesen Weg sollten wir verfolgen . Der könnte funk-tionieren . Die Debatte über abstrakte Obergrenzen führtüberhaupt nicht weiter . Sie führt insbesondere nicht dazu,dass ein einziger Flüchtling weniger nach Europa kommt .
Meine Damen und Herren, wir stellen in diesem Haus-halt 8 Milliarden Euro für die Aufnahme und Integrati-on von Flüchtlingen zur Verfügung . Zusätzlich werden400 Millionen Euro für humanitäre Hilfe und 800 Milli-onen Euro für wirtschaftliche Zusammenarbeit bereitge-stellt . Wir haben zusätzliche Milliarden für Investitionenin die Infrastruktur – insbesondere für den Ausbau vonschnellen Netzen sowie für den sozialen Wohnungsbau –bereitgestellt . Damit kümmern wir uns darum, dass die-ses Land auch in Zukunft stark bleiben kann .Aber wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, alsob wir damit die Probleme in Deutschland schon gelösthätten . Was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben,daran halten wir auch fest . Wir wollen, dass für FrauenThomas Oppermann
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und Männer gilt: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, undwerden entsprechende Maßnahmen ergreifen .
Wir wollen die Teilhabe behinderter Menschen . Wirwollen das überkommene Fürsorgesystem abschaffenund die Teilhabe behinderter Menschen in diesem Landverbessern . Damit wollen wir auch die UN-Konventionzum Schutz der Behinderten umsetzen, meine Damenund Herren .
Wir werden auch Leiharbeit und Werkverträge ver-nünftig regulieren .
Natürlich sind Werkverträge ein unverzichtbares Instru-ment in unserem Wirtschaftsleben . Wir wollen sie des-halb nicht abschaffen; aber wir müssen dem Missbraucheindeutige Grenzen setzen . Insbesondere in der Flei-schindustrie wie auch in einigen anderen Branchen wer-den Werkverträge benutzt, um die Schutzmechanismenunseres Arbeitsrechtes praktisch auszuhebeln . Wenn amEnde ganze Belegschaften nicht mehr auf der Basis vonArbeitsverträgen, sondern von Werkverträgen arbeiten,dann ist das mit dem eigentlichen Zweck eines Werk-vertrages nicht mehr vereinbar . Es hat damit nichts, aberauch gar nichts zu tun . Diese Werkvertragsunternehmersind in Wirklichkeit Scheinselbstständige . Das ist ein sooffenkundiger Missbrauch in unserer sozialen Markt-wirtschaft, dass wir den sofort stoppen müssen .
Auch bei der Leiharbeit gibt es Unternehmen, dieüber viele Jahre hinweg ganze Teile ihrer Produktionüber Leiharbeit fertigen . Dabei geht es nicht mehr um dieAbfederung von Auftragsspitzen – dafür ist die Leihar-beit einst eingeführt worden –, sondern nur noch darum,Löhne zu drücken und Festanstellungen zu vermeiden .Ich finde, Andrea Nahles hat hier sehr vernünftige Vor-schläge gemacht, die genügend Flexibilität für Unterneh-mer vorsehen, mit denen wir aber in der Lage sind, dieschwarzen Schafe zu stoppen .
Meine Damen und Herren, wir werden die Flücht-lingskrise nur dann gut bewältigen, wenn wir uns jetztauch um die Menschen in Deutschland kümmern . Siedürfen nicht den Eindruck bekommen, dass sie wegender Flüchtlingskrise zurückstecken müssen . Sie dürfennicht das Gefühl bekommen, dass die Lösung ihrer Prob-leme auf die lange Bank geschoben wird . Lassen Sie unsdaran gemeinsam arbeiten .Vielen Dank .
Als nächster Redner hat Volker Kauder von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bevor ich mich mit dem Haushalt und den Auswirkun-gen für unser Land beschäftige, möchte ich dem Kolle-gen Bartsch noch einen Hinweis mitgeben . Es ist sehrgut und freut mich, dass Sie offensichtlich mehr in dieBibel als in das Kapital von Karl Marx schauen . Das istdurchaus richtig .
Aber Sie müssen schon noch ein bisschen mehr machen .Ich bin bereit, Ihnen dabei zu helfen .
Denn als Sie einige Zitate gebracht haben, haben Sie einganz wichtiges vergessen, und zwar Matthäus 7,3: „Wa-rum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aberden Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?“Das ist der entscheidende Punkt, Herr Kollege Bartsch .
– Herr Hofreiter, auch für Sie habe ich einiges parat . Dassage ich Ihnen dann .
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wirführen heute die Debatte über den Bundeshaushalt, undzwar die Generaldebatte über die wesentlichen undwichtigen Festlegungen in diesem Haushalt . Ich möchtezunächst einmal dem Finanzminister und unseren Haus-haltspolitikern dafür danken, dass sie es trotz der großenHerausforderungen, die mit diesem Haushalt verbundensind, geschafft haben, an dem ausgeglichenen Haushaltfestzuhalten und dieses Ziel auch nicht aus den Augenzu verlieren .Lieber Thomas Oppermann, es ist völlig richtig, wennwir sagen: Es gibt die große Aufgabe, die Flüchtlingskri-se zu bewältigen . Aber daneben steht das Land nicht still,sondern es findet auch eine ganze Reihe anderer Din-ge statt . Vor diesem Hintergrund ist eine wichtige Bot-schaft – das ist ein zentrales Thema, das auch mit den Zu-kunftsperspektiven der jungen Generation zu tun hat –:Wir halten daran fest, dass wir alles daransetzen wollen,diesen ausgeglichenen Haushalt auch in den nächstenJahren zu erreichen .
Thomas Oppermann
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Das ist zunächst einmal unser Ziel . Ob es dann irgend-wann einmal, wenn es zu Naturkatastrophen oder an-deren großen Herausforderungen kommen sollte, eineandere Situation geben kann, ist das eine . Aber an demgroßen Ziel festzuhalten, ist das andere .Bei unserem Ziel, mit unserem Haushalt auch die Po-litik in diesem Land zu gestalten, wird deutlich, wo dieSchwerpunkte liegen . So sind Forschung und Wissen-schaft ein zentrales Thema . Aber auch die Infrastrukturist ein zentrales Thema . Ja, wir haben Mittel – das hatkeiner für möglich gehalten – für den Straßenbau zurVerfügung gestellt . Nun wünsche ich mir, dass die Mitteldort auch eingesetzt werden . Ich kenne eine ganze Reiherot-grün oder grün-rot regierter Bundesländer, die trotzder vielen Mittel bisher noch keinen einzigen Spatenstichhinbekommen haben . Dies ist natürlich nicht in Ordnung .
Wenn wir Mittel zur Verfügung stellen, müssen wir auchdafür sorgen, dass sie innerhalb der Struktur des Födera-lismus dort ankommen, wo sie ankommen sollen .Wir wollen ein anderes großes Ziel erreichen, obwohluns viele nicht zutrauen, dass uns das gelingt . Ich spre-che von der digitalen Infrastruktur . Ich bin zuversicht-lich, dass es Alexander Dobrindt gelingt, das Ziel, daswir vorgegeben haben, zu erreichen, bis 2018 bzw . bis2017 in jeden Haushalt das schnelle Internet zu bringen .Das muss jetzt vor allen Dingen angepackt werden .
– Da brauchen Sie gar nicht hineinzurufen . Auch hierbrauchen wir die Landesregierungen . Diese müssen einbisschen schneller als bisher in die Pötte kommen .
Es bleibt natürlich auch dabei, dass wir in der Wirt-schafts- und der Sozialpolitik die Dinge machen, die not-wendig sind und die wir vereinbart haben . Gerade wennman über den Haushalt und seine großen Herausforde-rungen spricht – auf das Thema Flüchtlinge komme ichgleich noch zu sprechen –, muss doch jedem klar sein:Ob wir noch 2016 und 2017 diese Aufgabe auch unter fi-nanziellen Gesichtspunkten meistern können, hängt auchdamit zusammen, dass wir gute Steuereinnahmen haben .Deswegen kann ich nur jeden davor warnen, zu glauben,dass dies ein Selbstläufer ist und dass das irgendwo fest-geschrieben ist . Wir haben alles dafür zu tun, dass dieWirtschaft auch in Zukunft so gut läuft, dass Arbeitsplät-ze erhalten werden und die Steuereinnahmen weiterhinfließen. Ich rate dringend davon ab, zu glauben, dass nunder Zeitpunkt gekommen ist, die Wirtschaft ein bisschenmehr zu testen, weil es uns jetzt gut geht . Das führt nichtzum Erfolg . Das wollen wir auch nicht, und das werdenwir auch nicht mitmachen .
Damit bin ich bei einem Thema, das bereits ThomasOppermann angesprochen hat . Ja, wir haben in den Ko-alitionsverhandlungen erkannt, dass bei Werkverträgenund Leiharbeit Handlungsbedarf besteht . Deswegenhaben wir im Koalitionsvertrag eine Vereinbarung dazugetroffen . Wir haben schon im Koalitionsvertrag sehrkonkrete Regelungen bei der Leiharbeit gefunden, die inihrer Dichte fast schon ausreichen, um einen Gesetzent-wurf vorzulegen . Dazu kann ich nur sagen: Wir werdenuns natürlich an den Koalitionsvertrag halten . Wir sindtreu im Einhalten des Koalitionsvertrages . Aber einessage ich auch: So treu wir im Einhalten des Koalitions-vertrages sind, so hart werden wir sein, wenn jemandglaubt, darüber hinausgehen zu können . Das darf auf kei-nen Fall geschehen .
Ich sage klipp und klar: Gesetzentwürfe, die über denKoalitionsvertrag hinausgehen, haben in dieser Koalitionkeine Chance .
Natürlich stehen das Flüchtlingsthema und die Fragen,wie wir mit den Flüchtlingen umgehen und welche Sor-gen und Nöte die Menschen haben, im Vordergrund . Wiralle sind betroffen von den Terrorattacken, die in unse-ren europäischen Nachbarländern, aber auch in anderenRegionen der Welt, vor allem in Nahen Osten, stattfin-den . Wir müssen uns die Frage stellen, wie das beendetwerden kann; dies ist das eine große Thema . Die andereentscheidende Frage lautet: Wie gehen wir mit den Her-ausforderungen durch die hohe Zahl der Flüchtlinge um?Wir werden zunächst einmal das Ziel, den Zuzug zureduzieren, nicht erreichen, wenn es nicht gelingt, dieTerror- und Bombenattacken in den Gebieten zu verrin-gern, aus denen Flüchtlinge kommen . Deswegen ist eszwingend notwendig, dass wir in Syrien jetzt zu Ergeb-nissen kommen . Es ist auch notwendig, dass dies schnellgeschieht . Ich weiß, wie schwer das ist . Trotzdem mussman sich das vornehmen; denn die Menschen werdennicht Monate darauf warten, dass sie nicht mehr mitFassbomben beworfen werden . Wenn das nicht aufhört,dann werden alle ins Laufen kommen . Mir haben die Bi-schöfe von Aleppo gesagt: Wir wollen, dass unsere sy-risch-orthodoxen Christen in Syrien bleiben . Wir wollenkeine christenfreien Zonen im Orient .Aber wenn es so weitergeht, dass Aleppo von beidenSeiten beschossen wird, einmal von den Truppen, dieFassbomben werfen, auf der anderen Seite vom IS, dannkann doch niemand glauben, dass die Menschen in dieserStadt bleiben .
Deswegen muss sich daran etwas ändern . Wenn vonder Linken Zwischenrufe kommen, dann kann ich nursagen: Es wäre mir hundertmal lieber gewesen, die Rus-sen hätten mit uns gemeinsam eine Aktion gemacht undVolker Kauder
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nicht alleine losgeschlagen, was den Flüchtlingsstromaus Aleppo noch einmal hat größer werden lassen .
Deswegen rate ich dringend dazu, dass keiner glaubenmöge, dass westliche oder östliche Mächte allein, auf ei-gene Faust und in Verfolgung eigener Interessen dort zueinem Erfolg kommen . Es ist notwendig – ich bin demAußenminister für seine Bemühungen dankbar –, dasswir hier zu gemeinsamen Aktionen kommen .Wir haben immer wieder auf einen Umstand – dieSituation in den Flüchtlingslagern – hingewiesen . Trotz-dem sind wir in dieser Hinsicht nicht so erfolgreich wienötig . Frau Bundeskanzlerin, ich bitte darum, wenn manjetzt wieder auf internationaler Ebene zusammenkommt,dies mit noch größerem Nachdruck zu formulieren . Einerunserer Kollegen, Tobias Zech, war mehrfach im Liba-non unterwegs . Er hat darüber einen Bericht abgeliefert .Er schreibt aus seinen Erfahrungen:All das zeigt eines: Es sind nicht irgendwelcheTweets oder Aussagen, die in Deutschland abgesetztwerden, die die Flüchtlinge zu uns bringen . Es istdie pure Not, die sie in verzweifelte Aktionen wiedie Flucht auf Schlepperbooten über das Mittelmeertreibt . Viele der Flüchtlinge sind schon einige Jahreim Libanon . Ihre Rücklagen sind aufgebraucht, undsie sehen keine Möglichkeit mehr, sich dort durch-zubringen . Sie würden – wenn dort ein lebenswürdi-ges Leben möglich wäre – gern bleiben und auf einEnde der Auseinandersetzungen in Syrien warten,um wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können .Aber so, wie es momentan aussieht, haben sie keineHoffnung . Und die Flucht in Richtung Europa ist ihrletzter Strohhalm .Da kann ich nur sagen: Genau dies muss geändert wer-den . Es darf nicht bei der Schlussfolgerung bleiben, vonder Tobias Zech spricht, sondern es muss den Menschenin den Flüchtlingslagern eine Perspektive gegeben wer-den, schneller als es bisher geschehen ist . Sonst werdenalle kommen wollen, um sich in Sicherheit zu bringen .
Die Bundeskanzlerin hat zu Recht darauf hingewiesen,dass die Lösung natürlich an den europäischen Außen-grenzen liegt und dass die Türkei dabei eine Schlüssel-rolle spielt . Viele haben gar nicht geglaubt, dass man aufdiesem Weg zu einem Erfolg kommen kann . Ich würdeschon darum bitten, dass wir bei allem, was wir machen,uns immer auch ein bisschen Zeit geben . Wir haben dasAsylpaket I verabschiedet . Kaum war es verabschiedet,hat jeder gesagt, es sei noch gar nichts passiert . Auch derKölner Dom ist nicht an einem Tag oder in einem Jahrerbaut worden . Wir stellen manchmal zeitliche Anforde-rungen, die beim besten Willen nicht einzuhalten sind .Aber jetzt, wenn wir uns die Zahl der Flüchtlinge ausdem Westbalkan anschauen, sehen wir, dass das Asylpa-ket I wirkt: 16 Flüchtlinge aus dieser Region kamen imletzten Monat, während es in den Monaten zuvor Tau-sende waren . Da können wir der Bevölkerung doch aucheinmal sagen – ganz im Gegensatz zu dem, was HerrHofreiter gesagt hat –: Wir handeln, und wir sind hand-lungsfähig . – Unser Handeln zeigt auch Erfolge, liebeKolleginnen und Kollegen .
Das sehen wir an der Zahl der Flüchtlinge aus dem West-balkan .Was das Asylpaket II angeht, hoffe ich doch, HerrSPD-Parteivorsitzender, dass die Parteivorsitzenden dasauch umsetzen, was sie miteinander vereinbart haben .
Thomas Oppermann und ich haben gesagt: Wenn jemandunser beider Hilfe braucht, sind wir gerne bereit, mitzu-helfen, damit auch das Asylpaket II auf den Weg kommtund erfolgreich wird .Aber natürlich liegt der Schlüssel in der Türkei . Ichbin sehr froh, Frau Bundeskanzlerin, wenn man daraufhinweist, dass am Sonntag der EU-Türkei-Gipfel stattfin-den soll . Gerade eben lief über die Ticker, dass Erdogangesagt hat, er werde seinen Beitrag dafür leisten, dasskeine neuen Ströme über die Türkei nach Europa kom-men, er werde seinen Beitrag dazu leisten, die Außen-grenze zu sichern . Na also, das ist doch endlich einmalein Wort, und ich hoffe, dass diesem Wort auch Tatenfolgen werden .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundes-kanzlerin hat in ihrem Beitrag auf die Aufgaben Europashingewiesen . Ich habe an diesem Pult mehrfach über denZustand geklagt, nicht über den, in dem sich Europa be-findet, sondern über den, in dem sich Europa durch dasVerhalten der Nationalstaaten befindet.
Nun muss auch in den Nationalstaaten deutlich werden:Solidarität kann es nicht nur geben, wenn es um das Geldgeht, wenn man Geld von Europa haben will, sondernSolidarität ist auch dann notwendig, wenn man einen ei-genen Beitrag dazu leisten muss .
Auch das muss man einmal klar und deutlich formu-lieren . Man muss sich jetzt sehr schnell darüber einigwerden: Wie kann die Außengrenze überhaupt gesichertwerden? Wer soll dies tun? Darüber muss sich EuropaGedanken machen .Es steht mehr auf dem Spiel, als man allgemein in derDiskussion in unseren Wahlkreisen hört . Es steht nämlichtatsächlich die Zukunftsfähigkeit Europas auf dem Spiel .Wenn ich Töne höre wie „Um jedes europäische LandVolker Kauder
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machen wir einen Zaun“, dann ist dieses Europa, das wiruns gewünscht haben, wirklich am Ende .
Deswegen muss die europäische Außengrenze gesichertwerden; nicht die Nationalstaaten müssen ihre Gren-zen sichern . Da muss jetzt eine ganze Reihe von Din-gen schnell passieren . Warum sollen wir nicht darübernachdenken, ob wir in Europa eine eigenständige Lö-sung brauchen? Günther Oettinger hat Vorschläge dazugemacht, wie die EU-Außengrenzen gemeinsam bessergeschützt werden können – zum Beispiel durch eineGrenzsicherungsagentur –; denn offenkundig kann Grie-chenland seine EU-Außengrenze nicht allein sichern .
Ich kann nur noch einmal sagen: Europa muss sich mitganzer Kraft den großen und nicht den kleinen Heraus-forderungen widmen .Wenn es nicht so ernst wäre, müsste man lachen, rich-tig laut lachen: Während wir uns darum bemühen, dasgroße Thema Flüchtlinge zu bearbeiten, kommt die Eu-ropäische Kommission rechtzeitig zu Weihnachten aufdie Idee, sich darüber Gedanken zu machen, wie hoch dieFlamme einer Kerze sein darf, und will dies regulieren .Dazu kann ich nur sagen: Da tickt es da oben bei einigenwohl nicht mehr richtig .
Insofern ist es schon richtig, wenn die Bundeskanzle-rin sagt: Wir müssen in diesen Fragen in Europa voran-kommen . Da wünsche ich viel Erfolg . Wenn dieses Euro-pa diese Aufgaben nicht lösen kann und damit das Signalin die Welt sendet: „Auf Europa braucht ihr nicht mehr zusetzen; denn die kriegen nichts hin“, dann sind Fragen derwirtschaftlichen Zukunft für unser Land ganz neu zu be-urteilen . Europa ist nämlich nicht nur Friedenssicherung,sondern Europa ist vor allem für uns und die zukünfti-gen Generationen auch die Sicherung des ökonomischenWohlstands . Auch Deutschland mit seiner Größe und mitseiner Stärke wird allein den Wettbewerb mit China undanderen asiatischen Ländern nicht bestehen .Deswegen rede ich so leidenschaftlich dafür: Gefähr-den wir Europa nicht! Aber Europa muss auch wissen,dass es jetzt eine große Aufgabe hat . Es geht um dieExistenz dieses Europas . Dafür wollen wir kämpfen,und wir wollen alles dafür tun, dass dies gelingt . FrauBundeskanzlerin, viel Kraft und Erfolg dabei, dass dieNationalstaaten endlich kapieren, dass Europa nicht nurdie Summe von Einzelinteressen, von Egoismen der Na-tionalstaaten ist, sondern ein bisschen mehr .Herzlichen Dank .
Roland Claus von der Fraktion Die Linke spricht als
nächster Redner .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauBundeskanzlerin, eine beachtliche Zahl Ihrer Aussagenhat heute auch die Zustimmung meiner Fraktion erhalten .
Aber Ihre Positionen werden doch abgewertet, wennnamhafte Vertreter der CDU genau das Gegenteil er-zählen – so wie gestern Günther Oettinger, der eine Ein-schränkung des Asylrechts per Grundgesetzänderunggefordert hat . Frau Merkel, wir müssen Sie fragen: Wasgilt denn nun?
Auf einen Makel in der Rede von Frau Bundeskanzle-rin will ich auch noch hinweisen . Sie hat es nämlich völ-lig vergessen, die vielen guten Vorschläge der FraktionDie Linke in den Haushaltsberatungen zu loben .
Deshalb muss ich auf unsere Vorschläge eingehen, aberauch auf einige Einlassungen in der Haushaltsdebatte zuPositionen der Linken .Da muss ich natürlich mit dem Kollegen VolkerKauder anfangen, der gestern überaus lautstark immerund immer wieder – ich weiß gar nicht, wie oft – denDDR-Vergleich bemüht hat . Was es eben sollte, den aus-gestreckten Zeigefinger auf meine Fraktion zu richten,wenn man Russland kritisiert, das war auch nicht ganzzu verstehen .
Ich glaube, Sie leiden da ein bisschen unter einem Phan-tomschmerz, Herr Kauder .Die Linke wird nie verleugnen, dass ein Teil ihrer Wur-zeln in der DDR liegt . Aber die DDR gibt es seit mehr als25 Jahren nicht mehr . Herr Kauder, ohne die DDR hättenSie vermutlich Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartschnicht kennengelernt . Aber ohne die DDR hätten Sie ver-mutlich auch Angela Merkel und Joachim Gauck nichtkennengelernt .
Sie würden also, Herr Kauder, ohne die DDR völlig ohneFreund- und Feindbild dastehen . Deshalb ein bisschenmehr Demut!
Die Linke hat zahlreiche Vorschläge in diese Beratungeingebracht, und es sind alle Vorschläge von dieser Welt .Volker Kauder
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Vielleicht denken Sie, es sei leicht, in der LinksfraktionHaushaltsbalance zu wahren .
Ich kann Ihnen sagen: Dem ist nicht so .
Deshalb ärgern wir uns, wenn plumpe Unterstellungenzu unseren Vorschlägen gemacht werden . Es muss dochmöglich sein, den enormen Reichtum in den Händen we-niger gerechter zu besteuern, als dies bisher der Fall ist .
Wir haben ein Zukunftsprogramm zur Integration derhier Benachteiligten und der zu uns Geflüchteten vor-geschlagen . Wir wollen damit die soziale Spaltung derGesellschaft überwinden und unsere humanistische Ver-antwortung wahrnehmen . Ja, wir wollen erreichen, dass„Armut trotz Arbeit“ überwunden wird . Ja, wir wollen,dass Kinder kein Armutsrisiko bleiben, dass Bildungs-gerechtigkeit einzieht – durch eine große BAföG-Re-form –, dass kleine und mittelständische Unternehmenfaire Chancen im wirtschaftlichen Wettbewerb bekom-men, dass endlich auskömmliche Renten in Ost und Westgezahlt werden und dass Kriege und Rüstungsexporteabgeschafft werden, meine Damen und Herren .
Dabei ist das Markenzeichen linker Haushaltspolitiknicht etwa, neue Schulden zu machen, sondern gerechteSteuern einzuführen . Das wäre an der Zeit .
Wir sagen – und weisen dies nach –, es wäre in derTat möglich, die Einnahmen des Bundes um mehr als50 Milliarden zu erhöhen und diese für soziale Gerech-tigkeit, für Bildungsaufgaben und für Friedfertigkeit ein-zusetzen .
Ich wiederhole hier: Die teuersten Flüchtlinge inDeutschland sind in der Tat die Steuerflüchtlinge.
Die Linke macht hier in den Beratungen viele Vor-schläge, mit deren Umsetzung der Einstieg in einenPolitikwechsel möglich wäre . Wir maßen uns nicht an,als Einzige zu wissen, wo es langgeht . Aber wenn SieDeutschlands Zukunft gestalten wollen, kommen Sie aneiner sozialen Modernisierung der Gesellschaft und auchan diesen Vorschlägen nicht vorbei . Nur Mut, Sie könn-ten das schaffen .
Als nächster Redner hat Johannes Kahrs von der
SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir sind ja hier in der Haushaltsdebatte . Wirhaben einen Haushalt vorliegen . Ich glaube, wenn mansich diesen Haushalt anguckt, dann wird jeder bemerken,dass er solide und vernünftig aufgestellt ist . In Kleinar-beit haben sich die Kolleginnen und Kollegen im Haus-haltsausschuss noch einmal über den Entwurf der Bun-desregierung gebeugt und haben ihn an der einen oderanderen Stelle noch einmal kampfwertgesteigert . AmEnde, glaube ich, kann sich das, was sie hier vorgelegthaben, sehen lassen . Eckhardt Rehberg, dir und deinerArbeitsgruppe, meinen Kollegen in der SPD noch ein-mal ganz herzlichen Dank . Ich glaube, es ist auf der Ar-beitsebene ein ruhiges, solides und vernünftiges Arbeitenjenseits der Irrungen und Wirrungen, die es sonst manch-mal geben mag, und das ist diesem Haushalt ganz gutbekommen . Die gute und enge Zusammenarbeit mit denFraktionen und deren Vorsitzenden hat da ebenfalls nichtgeschadet . Ich glaube, wenn wir uns diesen Haushalt an-gucken, dann merkt man, dass er den Anforderungen, diewir zurzeit haben, gerecht wird . Das ist hier heute auchschon einmal sowohl von der Frau Bundeskanzlerin alsauch von den Fraktionsvorsitzenden ausgeführt worden .Eine Anmerkung möchte ich allerdings machen . Esgibt, insbesondere wenn es um die Herausforderungengeht, die durch die Flüchtlinge vor uns stehen, den einoder anderen seltsamen Vorschlag, oder es gibt merk-würdige Vorstellungen, wie man denn diese Aufgabe fi-nanzieren sollte . Um es gleich vorweg zu sagen: Dieseetwas überflüssigen und unsoliden Vorschläge kommenaus allen Fraktionen und aus allen Ecken . Am Ende nut-zen sie allerdings nur denjenigen, die rechtsaußen oderlinks außen politisch irrlichtern und uns alle nicht wirk-lich weiterbringen .Was zum Beispiel den Vorschlag angeht, dass man imZusammenhang mit den Flüchtlingen die Steuern erhö-hen sollte, so sollte man sich einmal fragen, was das fürAuswirkungen auf die politische Diskussion hat . Wennman über einen Flüchtlingssoli redet, dann führt das auchnicht zu Begeisterungsstürmen in der Bevölkerung . Undeine Aufhebung des Mindestlohns für Flüchtlinge oderein halber Mindestlohn für Flüchtlinge führt nur dazu,dass die Deutschen, die dann keinen Job zum Mindest-lohn oder keinen Minijob mehr bekommen, nicht wirk-lich begeistert sein werden . All diese Diskussionen gehengar nicht; vielmehr geht es darum, handwerklich sauber,vernünftig und solide zu diskutieren und diesen Haushalthinzubekommen . Es ist so, dass wir in den letzten Jah-ren Vorkehrungen getroffen haben . Die eben genanntenLösungen sind nicht nur falsch, sondern sie sind auchgefährlich .
Deswegen sollten wir aufpassen, dass wir alles tun,um diesen ausgeglichenen Haushalt nicht zu gefähr-den . Frau Bundeskanzlerin hat das ja angesprochen . Ichglaube, dass alles, was wir tun können, dazugehört . Wirmüssen allerdings auch aufpassen, dass das auf Dauergelingt; denn sicher ist das alles nicht . Wir haben zurzeiteine positive Situation; das ist schon vielfach ausgeführtRoland Claus
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worden . Wir haben in der Ära Schröder unter Rot-Grünhervorragend gewirtschaftet . Wir haben reformiert, dieReformen wirken . Deswegen geht es uns gut . Wir habenein niedriges Euro-Wechselkursverhältnis . Wir habenniedrige Zinsen; das ist – das muss man auch sagen – fürden Bund gut, für die Menschen nicht unbedingt . Gleich-zeitig ist es so, dass wir in den letzten Jahren in Deutsch-land auch vernünftig gewirtschaftet haben . Wir werdenÜberschüsse aus diesem Jahr in das nächste Jahr schie-ben . Und das führt dazu, dass wir trotz der Belastungen,die wir zu schultern haben, auch das nächste Jahr lautHaushaltsentwurf ohne neue Schulden abschließen . Ichglaube, das ist wichtig .
Genauso wichtig ist es aber auch, dass in diesemLand nicht die Debattenlage entsteht, dass wir wegen derFlüchtlinge hier andere Bevölkerungsgruppen vernach-lässigen, dass wir uns nicht um Obdachlose kümmern,dass wir uns nicht um den sozialen Wohnungsbau küm-mern,
dass wir uns nicht um behinderte Menschen kümmern .Es geht einfach nicht an, dass wir uns zwar um dieFlüchtlinge kümmern, aber zugleich gesagt wird: Bei unsin den Schulen sieht es immer noch grottig aus . – Allediejenigen, die das sagen, sollten sich anschauen, was inden letzten Jahren von dieser Großen Koalition geleis-tet worden ist . Wir haben 23 Milliarden Euro gemäß denVereinbarungen des Koalitionsvertrags investiert . Wirhaben nachträglich noch einmal 10 Milliarden Euro inein Sonderinvestitionsprogramm gegeben, mit dem wirinsbesondere Verkehrswege und Infrastruktur finanzie-ren . Wir haben noch einmal 5 Milliarden Euro an dieKommunen gegeben, damit sie in die Lage versetzt wer-den, auch direkt vor Ort etwas zu tun .
Für die Bewältigung der Flüchtlingskrise investieren wirjetzt noch einmal 8 Milliarden Euro . Das alles kommtnoch obendrauf .Schließlich haben wir in der letzten Großen Koalitionund, wie gesagt, auch in dieser Ländern und Kommunendauerhaft geholfen . Das wird dazu führen, dass Landes-und Kommunalhaushalte in der Zukunft deutlich besserdastehen werden als der Bundeshaushalt . Der Bund er-wartet nämlich in den nächsten Jahren relativ eher rück-läufige Einnahmen, während diese bei den Ländern undKommunen steigen . Das liegt an den Maßnahmen, diewir alle hier beschlossen haben . Das heißt, man mussaufpassen, was man zukünftig macht .Mir geht es einfach darum, dass wir in der Flücht-lingsfrage zusammenstehen . Es reicht nämlich nicht, nurzu sagen, dass wir es schaffen, sondern man muss auchsagen, wie es gehen soll . Dieser Haushalt zeigt auf, wiees gehen soll . Wir haben viel Geld investiert, insbeson-dere im Bereich Unterstützung und Koordinierung vonEhrenamtlichen . Wir haben viel Geld für die Helfer aus-gegeben, deren Arbeit zurzeit unentbehrlich ist . Wir ha-ben viel Geld in die Bundespolizei investiert und in dasTechnische Hilfswerk, das mit seinen Ehrenamtlichenunterwegs ist .
Ich glaube, wenn man den Helfern hilft, dann hat manschon viel getan . Das ist eben auch ein Teil des Plans .Ich glaube, das kann man verteidigen und das sollte manimmer wieder so sagen .
Angesichts mancher Diskussionen über Transitzo-nen, Obergrenzen und anderer Debattenpunkte habe ichallerdings ein Problem; denn es geht doch darum, dasswir hier Lösungen finden müssen, die langfristig wirken.Wir werden zu Lösungen kommen müssen . Wir werdendie Zahl der Flüchtlinge in den nächsten Jahren deutlichsenken müssen . 2016 darf nicht so laufen wie die zweiteHälfte von 2015 . Wir würden sonst richtige Probleme indiesem Land bekommen . Das heißt, in 2016 und in 2017müssen die Zahlen der Flüchtlinge deutlich sinken; dafürbraucht es keine Scheindebatten und keine Debatten, beidenen man sagt, der eine sollte mehr von diesem und derandere mehr von jenem tun . Am Ende wird es nicht rei-chen; wir haben es heute gehört .Am Ende wird es wichtig sein, dass wir wieder mitDublin II und III die Probleme bewältigen, dass wirzusehen, dass die Außengrenzen wieder funktionieren .Selbstkritisch muss man sagen: Nicht nur Europa ist dasProblem, auch wir waren nicht in jeder Frage immer hilf-reich . Deswegen ist es wichtig, dass wir nicht nur ge-ordnete Verhältnisse an den Außengrenzen bekommen,sondern dass wir auch wieder geordnete Verhältnisse inDeutschland bekommen . Auch hierfür haben wir in die-sem Etat vieles getan . Ich glaube, das ist wichtig und daskann man gar nicht häufig genug sagen.Am Ende ist es wichtig, dass Hilfe in den Kommunenankommt, dass die Menschen, die vor Ort sind und hel-fen, dass die Bürgermeister und Landräte die Unterstüt-zung bekommen, die sie brauchen . Ich sehe das in Ham-burg: Wir beschlagnahmen inzwischen Bürogebäude,leerstehende Baumärkte . Das kann die Lösung mal füreinen Winter sein, aber das ist keine dauerhafte Lösung .Die Menschen, die hierbleiben, müssen untergebrachtwerden . Das heißt aber im Ergebnis auch, dass wir Woh-nungen bauen müssen . Uns wurde vorgeworfen, dasswir kein 2-Milliarden-Euro-Programm auflegen, umWohnungen zu bauen . Wir machen aber viel mehr . Wirgeben ohnehin 500 Millionen Euro für den Bau von So-zialwohnungen aus, und wir haben noch einmal 500 Mil-lionen Euro draufgelegt . Das wird die nächsten vier Jahrelaufen . Wir investieren insgesamt 4 Milliarden Euro inden sozialen Wohnungsbau . Das dauert; das ist so . Manbraucht B-Pläne, man muss Planungen durchführen .Aber am Ende ist es doch so, dass wir mit diesem Geld zuErgebnissen kommen werden . Es wird aber dauern . Des-wegen muss man auch die Zahl der Flüchtlinge in dennächsten zwei Jahren deutlich senken; denn wenn das soweitergeht, kommen wir mit den Wohnungsbauprogram-Johannes Kahrs
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men, die jetzt laufen, nicht weiter, und dann kommen dieKommunen in ganz andere Schwierigkeiten .Deswegen ist es gut, dass wir auf die Krise reagierthaben . Deswegen ist dieser Haushalt solide . Wir habenauch im laufenden Jahr – Eckhardt Rehberg, du weißtes – in Nachtragshaushalten schnell reagiert . Ich würdemir wünschen, dass wir es im kommenden Jahr nichtmüssen . Wir sind dazu aber bereit, wenn die Situationes erfordert . Wir haben Geld investiert und werden auchweiterhin Geld investieren, damit vor Ort vieles richtiggemacht werden kann .Gönnen Sie mir noch eine letzte Anmerkung . Wir wer-den auch weiterhin Dinge bewältigen müssen, die nichtpreiswert sind . Von meinem Fraktionsvorsitzenden istvorhin schon das Bundesteilhabegesetz angesprochenworden . Es gibt viele Aufgaben, die weiterhin bewältigtwerden müssen, wenn mit Blick auf die Bewältigungder Flüchtlingskrise in diesem Land Akzeptanz erreichtwerden soll . Denn nur dann, wenn sich die Politik nichtständig um ein einziges Problem kümmert, sondern dieMenschen das Gefühl haben, dass wir uns weiterhin umsie alle kümmern, gibt es Akzeptanz und Unterstützung .Wir brauchen die Unterstützung der Menschen inDeutschland . Aber wir brauchen auch die Unterstützungin Europa – genauso, wie wir die Türkei brauchen . DieSicherung der Außengrenzen wird nicht über Griechen-land funktionieren; sie wird nur über die Türkei funktio-nieren . Die Türkei wird nicht nur Geld fordern; sie wirdauch politische Forderungen haben . Dazu werden dieVerhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Uni-on gehören . Dann wird es um den Status eines sicherenDrittstaates gehen . Es wird um Visafreiheit gehen . AmEnde werden wir die Türkei brauchen . Man muss sichin CDU, CSU und SPD darüber im Klaren sein, dass esnichts umsonst gibt .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Gerda
Hasselfeldt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir blicken in diesen Tagen auf zehn Jahre unionsge-führte Bundesregierung zurück:
zehn Jahre Bundeskanzlerin Angela Merkel, zehn erfolg-reiche, gute Jahre für die Menschen in Deutschland,
und das trotz vieler internationaler Krisen, die jeweils zuBeginn einer Legislaturperiode nicht vorhersehbar wa-ren . Deshalb war es gut und richtig, dass immer wiedereine solide Haushaltspolitik gemacht wurde, eine Haus-haltspolitik mit Puffern für schwierige Zeiten . Genau dasbewährt sich auch in dieser Phase wieder: dass Haus-haltspuffer vorhanden sind, um schwierige, nicht vorher-sehbare Herausforderungen finanziell und politisch zumeistern .
Deshalb möchte ich bei dieser Gelegenheit dem Bun-desfinanzminister und allen Haushältern der Koalitions-fraktionen herzlich dafür danken, dass sie gerade auchbei diesem Haushalt große Anstrengungen unternommenhaben, um den Weg der soliden Haushaltspolitik weiterzu begleiten, nicht nur in diesem Jahr, sondern auch inder mittelfristigen Finanzplanung .Meine Damen und Herren, es ist schon mehrfach an-gesprochen worden: In der aktuellen Situation – nichtnur in Frankreich, aber da ist sie uns nach den letztenWochen noch besonders im Blick – offenbart sich eineneue Dimension des Terrors in Europa, die uns gemein-sam ganz besonders herausfordert . Für uns ist klar: Wirstehen an der Seite Frankreichs . Unser Mitgefühl gilt denOpfern und deren Angehörigen .Es ist aber auch klar, dass die Menschen dann Fragenstellen, dass sie uns und sich fragen: Tun wir alles für dieSicherheit der Bürger? Ich denke, diese Frage ist berech-tigt . Es sind auch Fragen berechtigt, die in die Richtunggehen: Was können wir tun, damit Menschen sich nichtradikalisieren? Was können wir in der Prävention tun?Was müssen wir tun, wenn es um die Ausstattung derSicherheitsbehörden und Sicherheitsdienste geht? Wiesteht es um die Zusammenarbeit der Sicherheitsdienstein Deutschland und in Europa? Tun wir alles in Bezugauf Ausbildung und Qualifizierung der Sicherheitskräf-te? All das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Fra-gen, die wir uns stellen müssen und auf die wir auch eineehrliche Antwort geben müssen – keine Schnellschüsse .Aber es darf auch keine Denkverbote geben, wenn wirdarüber nachdenken, wie wir unsere Bürger schützen undihre Sicherheit gewährleisten können . Das ist nämlichdie oberste Aufgabe jedes Staates .
Deshalb war es auch richtig und notwendig, dass derEntwurf eines Gesetzes zur Speicherung von Verbin-dungsdaten endlich eingebracht wurde . Deshalb war undist es auch richtig, dass wir mit diesem Haushalt erneutunter Beweis stellen: Wir lassen unsere Sicherheitsdiens-te nicht alleine . Ein deutlicher Aufwuchs sowohl im per-sonellen Bereich als auch bei der sachlichen Ausstattungder Sicherheitsdienste – Bundeskriminalamt, Bundes-polizei, Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundes-nachrichtendienst – wird mit diesem Haushalt auf denWeg gebracht . Das ist die richtige Antwort auf das, waswir zu leisten haben .
Ich würde mir allerdings auch wünschen, dass dieLänder in ihrer Kompetenz, nämlich bei der personellenJohannes Kahrs
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und sachlichen Ausstattung der Polizei, dasselbe ma-chen . Bayern ist auch hier wieder Vorbild, die gestrigeEntscheidung des Kabinetts ist allen noch im Bewusst-sein: Verbesserung der sachlichen und der personel-len Ausstattung, Aufstockung des Personals, das in derSchleierfahndung tätig ist . Meine Damen und Herren,eine solche Antwort der Länder ist notwendig . Ich wür-de mir wünschen, dass andere Länder nachziehen und sovorgehen, wie Bayern es vorgemacht hat .
Ich möchte bei der Gelegenheit meinen persönlichenDank und meine Anerkennung gegenüber denjenigenFrauen und Männern zum Ausdruck bringen, die tagtäg-lich die Arbeit für unsere Sicherheit tun, die für unsereSicherheit ihre Gesundheit, ja teilweise ihr Leben aufsSpiel setzen und sich für die Sicherheit von uns allen,der Menschen in unserem Land, voll einbringen . Dafürherzlichen Dank!
Deutschland – das spüren wir in der Heimat und auchdann, wenn wir gelegentlich im Ausland sind – ist einstarkes Land, ökonomisch stark, politisch stark, starkim sozialpolitischen Bereich . Es ist ein Land mit ho-hem Ansehen, mit einem großartigen Engagement sei-ner Bürgerinnen und Bürger, mit einer funktionierendenVerwaltung und hochmotivierten Mitarbeiterinnen undMitarbeitern . Das sehen und spüren wir insbesondere beider zweiten Herausforderung, die heute schon mehrfachangesprochen wurde, nämlich der Aufnahme der vielenFlüchtlinge .In Bayern spüren wir das in ganz besonderer Weise,noch stärker als in allen anderen Regionen des Landes:Nach wie vor kommen dort täglich zwischen 5 000 und10 000 Flüchtlinge an, die versorgt werden müssen, un-tergebracht werden müssen, teilweise weitergeleitet oderbegleitet werden müssen . All das wird erledigt von vie-len hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternder Kommunen, der Behörden, der Polizei und der Si-cherheitsdienste, aber auch von vielen ehrenamtlichenHelfern . Ihnen gebühren unser Dank und unsere Aner-kennung . Ohne die Leistung der Hauptamtlichen, ohnedie Leistung der Kommunen und ohne die Leistung derEhrenamtlichen und deren Organisationen würden wirdiese große Herausforderung nicht schultern können .
Wir spüren bei den vielen Gesprächen, die wir alle mitden vor Ort Tätigen führen, auch, dass die Grenzen derBelastbarkeit erreicht, ja manchmal überschritten sind .Wir spüren, dass die Aufnahmekapazität und die Integ-rationskraft der Bevölkerung an Grenzen stoßen, ja dieGrenze überschritten ist .
– Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen, Frau Kol-legin .
Frau Deligöz, Sie haben das Wort .
Vielen Dank . – Frau Hasselfeldt, dass es einen inhalt-
lichen Dissens gibt, das gehört zur Politik dazu . Aber
dennoch pflegen wir gewisse Umgangsformen, deren
Grenzen allerdings manchmal überschritten werden . Das
hat am Wochenende das Beispiel aus Bayern gezeigt .
Sind Sie nicht der Meinung, dass sich Herr Seehofer bei
der Kanzlerin für sein Verhalten entschuldigen müsste?
Ach, wissen Sie, Frau Kollegin: Wie sich jeder Ein-zelne von uns verhält, das ist seine persönliche Entschei-dung .
Sie können davon ausgehen, dass der Gesprächsfadennicht abreißt und das Verhältnis zwischen der Bundes-kanzlerin und dem bayerischen Ministerpräsidenten einsehr gutes, ein sehr offenes ist,
ein Verhältnis,
das dem Lande dient . Das wird auch durch das Austragenunterschiedlicher Meinungen nicht getrübt .
Angesichts der Belastungsgrenzen ist es notwendig,dass wir uns über einige Dinge im Klaren sind . Das Ersteist: Wir müssen klar unterscheiden zwischen den Schutz-bedürftigen und denen, die aus anderen Gründen zuuns kommen . Wir müssen unsere Hilfe auf die wirklichSchutz- und Hilfebedürftigen konzentrieren .Das Zweite ist: Um dieses zu erreichen, müssen wirdafür sorgen, dass die Zahl der Flüchtlinge reduziert wirdund dass wir eine Begrenzung bekommen . Das ist diezweite Botschaft .
Das Dritte ist: Wir müssen wissen, wer zu uns kommt,wo sich die Menschen in unserem Land aufhalten, werdurchreist oder wer einreist . Das heißt, die Registrierungmuss konsequent durchgeführt und unter den jeweiligenBehörden abgestimmt werden .Ein Viertes, das meines Erachtens wichtig ist: Wirmüssen wieder dahin zurückkommen, dass der Antragauf Asyl dort gestellt wird, wo die Flüchtlinge zuerst eu-ropäischen Boden betreten .
Gerda Hasselfeldt
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An all diesen Punkten müssen wir gemeinsam arbei-ten . Wir müssen um die richtige Entscheidung ringen . Esist doch ganz normal, dass die einen jenen Weg und dieanderen einen anderen Weg als zielführender betrachten .Wir ringen und wir haben gerungen, und ich sage Ihnenganz offen: Wir unterstützen die Bundeskanzlerin bei al-lem, was sie auf europäischer und internationaler Ebeneunternimmt, um die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren .Wir unterstützen genauso den Bundesentwicklungshilfe-minister bei seinen Bemühungen, die Fluchtursachen zubekämpfen . Er hat in seinem Haushalt die entsprechen-den Schwerpunkte gesetzt . Er hat den Aufwuchs in sei-nem Haushalt auf die Bekämpfung der Fluchtursachenkonzentriert . Dafür sind wir sehr dankbar .
Wir wissen aber auch, dass die Bemühungen auf eu-ropäischer und internationaler Ebene nicht schnell, nichtsofort die gewünschten Ergebnisse bringen werden . Esgeht um die Verbesserung der Situation in den Flücht-lingslagern . Das ist wahrscheinlich noch am schnellstenzu realisieren . Es geht aber auch um die Sicherung derAußengrenzen – das ist schon mehrfach angesprochenworden – und nicht zuletzt um die Einrichtung der so-genannten Hotspots, die nicht nur für die Registrierung,sondern auch für die Rückführung und für die Verteilungin Europa zuständig sein sollten . Auch darum geht es .Ich weiß, dass das dicke Bretter sind, die zu bohren sind,und ich bin dankbar, dass die Bundeskanzlerin mit ihrerRegierung diese Bretter bohrt . Wir wünschen ihr dabeiviel Erfolg .
Wir wissen, dass daneben auch nationale Maßnahmennotwendig sind . Wir haben das Asylpaket I verabschie-det, in dem es um die Einstufung weiterer Staaten alssichere Herkunftsstaaten ging . Liebe Kolleginnen undKollegen, zur Wahrheit gehört: Wir hätten Hunderttau-sende von Flüchtlingen weniger im Land, wenn es unsgelungen wäre, diese Einstufung als sichere Herkunfts-staaten schon früher zu realisieren, und zwar damals, alswir das gefordert haben .
Zur Wahrheit gehört, dass dies durch eine monatelange,fast ein Jahr lang andauernde Diskussion im Bundesratverzögert wurde, weil wir dazu auch die Zustimmung derGrünen gebraucht haben, und diese ließ lange auf sichwarten .Zu diesem Asylpaket gehört auch die Reduzierungvon Fehlanreizen, zum Beispiel dadurch, dass in denErstaufnahmeeinrichtungen nicht länger Geld-,
sondern vorrangig Sachleistungen gewährt werden sol-len . Dazu gehört, dass konsequent zurückgeführt wird,dass konsequent abgeschoben wird, und zwar ohne An-kündigung . Ich erwarte, dass die Länder das, was sieselbst mitentschieden haben, alle miteinander – nicht nurBayern – so vollziehen, wie es beschlossen wurde .
Jetzt sind wir beim Asylpaket II . Ich darf, ähnlich wieVolker Kauder, meine Hoffnung zum Ausdruck bringen,dass das, was die drei Parteivorsitzenden beschlossen ha-ben, was intensiv vorbereitet wurde und gut durchdachtist – besondere Aufnahmeeinrichtungen, Aussetzung desFamiliennachzugs für zwei Jahre bei subsidiär Schutzbe-dürftigen –, als Gesetzentwurf so eingebracht wird, wiees unter den Parteivorsitzenden verabredet ist . Da sindvielleicht noch einige Gespräche notwendig, aber ich binzuversichtlich, dass dies erreicht wird .Mit der Herausforderung, die die Aufnahme vonFlüchtlingen darstellt, ist eine doppelte Verantwortungverbunden: Wir haben die Verantwortung, denjenigen,die unsere Hilfe und unseren Schutz brauchen, wirklichzu helfen . Wir haben aber auch eine Verantwortung ge-genüber der heimischen Bevölkerung . Beides müssenwir im Auge behalten . Deshalb ist es uns so wichtig, da-rauf hinzuweisen, dass die Aufnahmekapazität, dass dieIntegrationskraft des Landes nicht unbegrenzt ist, son-dern ihre Grenzen hat, und diese müssen wir erkennen .
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt setzt Pri-oritäten . Er setzt Prioritäten bei der neuen Herausforde-rung, die ich gerade angesprochen habe, aber auch imBereich der notwendigen Investitionen . Wir setzen dasfort, was wir schon in den vergangenen Jahren gemachthaben: Wir legen einen deutlichen Schwerpunkt auf denBereich Bildung und Forschung, und wir legen einendeutlichen Schwerpunkt auf die Investitionen in denBereichen Verkehr und Breitbandausbau . Bei beidem –Verkehr und Breitbandausbau – hat der Bundesverkehrs-minister vieles nachzuholen, was in den vergangenenJahrzehnten liegen geblieben ist, und manches aufzuar-beiten, was in den Ländern an entsprechender Planungs-arbeit nicht geleistet wurde . Auch hier war Bayern üb-rigens wieder vorbildlich . Er hat aber gleichzeitig auchden Blick nach vorne zu richten . Denn das, was für dieweitere gute Entwicklung unserer Wirtschaft notwendigist, nämlich eine funktionierende Verkehrsinfrastrukturund Breitbandinfrastruktur, darf nicht einfach hintanste-hen . Es ist eine wichtige Zukunftsaufgabe für die weiterepositive Entwicklung unseres Landes .
Wir vergessen bei alldem aber nicht diejenigen, dieunsere Hilfe brauchen: die Pflegebedürftigen, die Kran-ken . Die Bundeskanzlerin hat es angesprochen . Das, waswir in den vergangenen Wochen an Verbesserungen inder Pflegeversicherung, in der Krankenhausversorgungund in der Palliativmedizin beschlossen haben, darf nichtuntergehen . Auch das ist Politik dieser Bundesregierung,von diesen Koalitionsfraktionen für die Menschen imLand .
Gerda Hasselfeldt
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So sind die Markenzeichen dieser Regierung in mei-nen Augen erstens Solidität, zweitens Solidarität, drittensStabilität und viertens Sicherheit . Das sind die Marken-zeichen dieser Regierung . Diese Markenzeichen tun demLand und seinen Menschen gut .
Als nächste Rednerin spricht die Staatsministerin
Aydan Özoğuz für die Bundesregierung.
A
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der französische Journalist Nicolas Héninwurde zehn Monate lang von den Terroristen des IS inSyrien gefangen gehalten, vom Sommer 2013 bis Ap-ril 2014 . Einer seiner Bewacher war Dschihadi John, derkürzlich bei einem Drohnenangriff getötet wurde . Vie-le Mitgefangene Hénins leben nicht mehr . Kürzlich hatHénin in einem Artikel für den Guardian geschrieben,was die IS-Kämpfer mit einem Anschlag wie in Paris be-zwecken und was sie darüber denken . Zitat: Ich kennesie . Was sie erwarten, sind Bomben . Was sie fürchten, istEinheit . – Er schreibt: Die Bilder aus Deutschland, wodie Menschen Migranten willkommen geheißen haben,werden sie gequält haben . Toleranz und Zusammenhalt,das wollen sie nicht sehen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wir kön-nen sehr stolz darauf sein, dass die Menschen in unseremLand zeigen: Wir lassen uns nicht einschüchtern, und wirstehen für etwas anderes . Wir stehen für Mitmenschlich-keit . Wir stehen für Brüderlichkeit . Genau das beweistdie Bevölkerung in Deutschland, beweisen die Menschenmit ihrem unglaublichen ehrenamtlichen Engagement .Dafür möchte ich noch einmal Danke sagen .
Deshalb ist es folgerichtig, dass dieser Bundeshaushaltvon dieser großen aktuellen Aufgabe geprägt ist: von derAufnahme und Versorgung Hunderttausender in unseremLand, die Schutz suchen vor Terror, Krieg und Gewalt .Wer wünschte sich nicht, wenn ich das einmal in Bezugauf die Vorredner sagen darf, dass es keine Flüchtlings-ströme gäbe? Ich glaube, die Flüchtlinge selbst wären dieErsten, die ihre Hand heben und sagen würden: Wir wol-len gar nicht flüchten. Gern würden wir weiter in unse-rem Land, in unseren Häusern und Wohnungen leben undnicht all die Tausenden von Kilometern zu euch kommenmüssen in der Hoffnung, dass wir überhaupt durchkom-men . – Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die aller-meisten einmal ein halbwegs normales friedliches Lebenführen konnten . Viele, gerade aus Syrien, würden, wennes auch nur den Hauch einer Friedensbotschaft gäbe, si-cherlich gern in ihre Heimat zurückkehren .Wir sind ein wohlhabendes Land . Wir sind ein starkesLand . Die Arbeitslosigkeit ist niedrig . Die Wirtschaft istrobust . Das alles ist hier schon mehrfach gesagt worden .Wir sehen die Versorgung von Flüchtlingen als eine na-tionale Aufgabe an, die Bund, Länder und Kommunennur gemeinsam bewältigen können . Johannes Kahrs hates gestern und auch heute noch einmal betont: Natürlichmuss auch der Bund bei allen Hilfen und bei aller Unter-stützung, die er den Ländern zukommen lässt – und diediese dann hoffentlich an die Kommunen weitergeben –,immer darauf achten, dass er handlungsfähig bleibt, dasser heute und in der Zukunft handlungsfähig bleibt . Des-wegen haben wir mit dem Haushalt am Ende wirklichgute Ergebnisse erzielt .
Nach vielen Gesprächen und auch Verhandlungsrun-den, beispielsweise mit den Ministerpräsidenten, zeigenwir mit 8 Milliarden Euro im Bundeshaushalt zur Ver-sorgung von Flüchtlingen – diesen Betrag sollte maneinmal deutlich nennen; das sind ungefähr 2,5 Prozentdes Gesamthaushaltes –, was wir eigentlich tun . 3 Milli-arden Euro dienen zur Entlastung der Länder und Kom-munen . Etwas ganz Besonderes ist Folgendes – auch dasmuss einmal erwähnt werden; das, was wir hier geänderthaben, ist nämlich etwas Historisches –: Der Bund ver-pflichtet sich, pro Kopf 670 Euro pro Monat und Asylbe-werber zu zahlen, bis eine Entscheidung da ist . Das warvorher nicht so . Bisher haben wir immer gesagt: Die Län-der müssen unterbringen und versorgen, und irgendwannwird der Bund entscheiden .Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, dasswir eine Entscheidung über Asylanträge innerhalb vondrei Monaten anstreben . Würden wir in jedem Fall eineEntscheidung innerhalb von fünf Monaten schaffen,wäre auch das schon ein Riesenerfolg . Langsam geht esaber in die richtige Richtung .Gleichzeitig verdoppeln wir nun die Mittel für den so-zialen Wohnungsbau . Das BAMF bekommt 4 000 neueStellen; auch bei der Bundespolizei und beim Techni-schen Hilfswerk wird aufgestockt . Alle werden jetzt einStück weit gerüstet .Hinzu kommt ein weiterer wichtiger Aspekt – daranmüssen wir heute schon denken, auch wenn wir in Wahr-heit noch gar nicht damit begonnen haben –: die Mittelfür die Integrationskurse . Man halte sich einmal vor Au-gen, welche Debatten wir in der Vergangenheit schon ge-führt haben . Die Diskussionen, in denen es um ein paarMillionen Euro mehr oder weniger bei den Integrations-kursen ging, waren hitzig . Jetzt verdoppeln wir die Mit-tel . Es geht um 559 Millionen Euro . Das ist eine unglaub-liche Zahl, die zeigt: Wir wollen, dass die Menschen, dieeine gute Bleibeperspektive haben, schnell Deutsch ler-nen, schnell zu unseren Nachbarn werden, schnell eineArbeit aufnehmen können; das ist ein riesiges Zeichen .Gleichzeitig wollen wir die Eingliederung in Arbeit vor-antreiben . Nicht zu vergessen sind natürlich auch die be-rufsbezogenen Deutschkurse, für die 179 Millionen Eurobereitgestellt werden . Dieses Paket soll heute und in dieGerda Hasselfeldt
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Zukunft wirken . So etwas haben wir in diesem Hausenoch nie gleichzeitig geschafft .
Als Beauftragte habe ich traditionell das kleinste Bud-get; ich erwähne das immer wieder . Für Bundespoliti-ker ist es extrem überschaubar . Deswegen muss ich mitmeinem kleinen, aber sehr feinen Arbeitsstab sehr genausuchen, welche Lücken sich ergeben . Wir müssen ganzgenau hinschauen und uns fragen: Was ist möglicher-weise noch nicht ganz abgedeckt? Dank der Haushälterkonnten wir in diesem Jahr schon Zehntausenden vonEhrenamtlichen helfen, die, wie wir wissen, langsam anihre Grenzen stoßen .
Wir haben nun gemeinsam mit den freien Wohlfahrts-verbänden Strukturen schaffen können, die gewährleis-ten, dass auch Ehrenamtliche geschult werden können,dass sie Ansprechpartner finden, dass Ehrenamt aufHauptamt stößt und es damit auch ein Stück weit koordi-niert wird . Unsere Partner sind AWO, Caritas, Diakonie,Paritätischer und Rotes Kreuz . Ich glaube, diese Partnersind genau die richtigen; sie haben bereits angefangen –übrigens überall in Deutschland, in allen Bundeslän-dern –, den Ehrenamtlichen zu helfen .
Aber es gibt viele Ehrenamtliche – da komme ich Ih-nen jetzt wahrscheinlich entgegen –, die nicht in Kontaktmit diesen Wohlfahrtsverbänden stehen . Auch sie brau-chen Unterstützung und gute Strukturen, die ihnen dabeihelfen, ihre Arbeit geregelter zu erledigen, statt dabei im-mer nur aufgerieben zu werden .Wir wollen auf keinen Fall riskieren, dass Ehren-amt am Ende mit Enttäuschung endet; das müssen wirverhindern . Deswegen sage ich immer wieder: Ehren-amtliche sind natürlich Menschen, die helfen . Aber siesind gleichzeitig noch etwas viel Wichtigeres: Sie sindin meinen Augen der Garant dafür, dass das Klima ge-genüber Flüchtlingen positiv bleibt . Sie sind der Garantdafür, dass wir die Geschichten der Geflüchteten hören,dass die Geflüchteten in der gesamten Gesellschaft, amArbeitsplatz, in der Nachbarschaft wieder zu Menschenund zu echten Geschichten werden . Deswegen müssenwir sie noch viel stärker unterstützen .Ich bin den Haushältern – das ist jetzt dreimal unter-strichen – extrem dankbar, dass sie auch für meinen Etat,also den der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge undIntegration, eine deutliche Mittelerhöhung eingeplant ha-ben .
Es ist wirklich deutlich zu sehen, dass die Aufgaben nichtnur groß sind, sondern dass wir sie auch angehen wollen .Vor 60 Jahren wurden in Deutschland die erstenGastarbeiter angeworben . Diesen Jahrestag werden wirin den nächsten Wochen im Kanzleramt auch noch bege-hen . Ich bin Hermann Gröhe sehr dankbar, dass wir aufdem Integrationsgipfel jetzt auch zum Thema Gesund-heit getagt haben; denn das betrifft sehr viele Rentner,die häufig von dem normalen System gar nicht richtigprofitieren können.Ich habe mir drei Schwerpunkte gesetzt, die ich jetztnur erwähnen möchte, aber nicht, ohne gesagt zu haben,dass die normalen Aufgaben ja weiterhin bestehen, wasman wirklich nicht vergessen darf:Erstens . Wir wollen das Ehrenamt weiter stärken . Dashabe ich ja schon benannt .Zweitens . Wir wollen vor allen Dingen einen Fokusauf die Situation geflüchteter Frauen legen; denn sie sindhäufig das schwächste Glied – gerade wenn sie alleineoder mit ihren Kindern geflüchtet sind. Das ist nicht nurbei uns in den Unterkünften so, sondern schon den gan-zen Weg über ist es natürlich furchtbar gefährlich für sie .Das, was sie erlebt haben, ist teilweise schrecklich . Wirmüssen uns intensiv um die Frauen kümmern, wenn sieschwanger und traumatisiert sind .Ich glaube, hier ist noch einiges zu tun, und ich binsehr glücklich, dass uns das Frauenministerium hier eineganz enge Zusammenarbeit angeboten hat, damit wir ge-nau diesen Schwerpunkt gemeinsam setzen können .
Drittens . Daneben brauchen wir auch eine stärke-re Einbindung von sogenannten – ich nenne sie immerso – Kulturdolmetschern . Wir haben sehr viele Men-schen in unserem Land, die die Sprachen beherrschen,die wir jetzt brauchen . Der Bundesverband der Dolmet-scher und Übersetzer sagte mir, dass kein Dolmetschermehr zur Verfügung steht, der Arabisch spricht . Erstenshaben sie nicht so viele, und zweitens sind die wenigen,die Arabisch sprechen, komplett ausgebucht . Das heißt,wir müssen auf unsere Bevölkerung zugehen und dieMenschen finden, die die entsprechenden Kulturen undSprachen kennen .Daneben müssen wir natürlich auch in die Moscheengehen . Wir müssen wissen, was sich dort tut, wer dorthelfen möchte und wer dort teilweise schon längstFlüchtlinge unterbringt . Ich kann aus Hamburg berich-ten, dass in der Al-Nour-Moschee – sie ist bei uns sehrbekannt – 500 Flüchtlinge untergebracht wurden, alswoanders plötzlich keine Betten mehr verfügbar waren .Sie wurden dort versorgt, und ihnen wurde ein Dach überdem Kopf und Wärme gegeben . – Ich glaube also, wirmüssen noch mehr in die Moscheen hineingehen und unsdie Arbeit der Gemeinden anschauen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnensagen: Lassen Sie es uns auch nicht zu einfach machen .Wenn wir Hasspredigten und salafistische Umtriebewirklich bekämpfen wollen, dann brauchen wir Nähe,Dialog und Vertrauen zu den Moscheen und ihren Besu-chern; denn sie wissen als Erste, wer dort falsche Dingeerzählt oder wer vielleicht an irgendeiner anderen Stelleversucht hat, junge Leute in einer Art und Weise anzu-sprechen, wie es nicht sein soll . Es muss uns in Deutsch-Staatsministerin Aydan Özoğuz
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land nach so vielen Jahrzehnten wirklich gelingen, diesesVertrauen herzustellen .
Eine letzte Botschaft . Ich bin froh, dass AngelaMerkel deutlich gemacht hat, wie wichtig dieses ständigeBohren dicker Bretter auf europäischer Bühne ist . Jedervon uns erlebt das wahrscheinlich in seinem Wahlkreis:Man möchte gerne griffige Antworten haben, etwas, wasschneller umsetzbar scheint . Meist ist es aber nicht so .Gerade wenn man auf die europäische Bühne kommt,wird es etwas schwerfällig . Man darf aber nicht nachlas-sen, auch wenn es noch so mühselig ist .In meinen Augen ist es die Bewährungsprobe der heu-tigen Zeit – das wurde vorhin ja schon richtig gesagt; ichglaube, von Herrn Kauder –, nicht in Einzelegoismen derNationalstaaten zu verfallen . Wir brauchen ein funktio-nierendes Europa – auch wenn es um Asyl- und Flücht-lingsfragen geht . Darüber sind wir uns doch einig .
Herr Kauder, mein Schlusssatz bezieht sich auf denAdvent; das passt auch wieder zu Ihnen . Ich werde abernicht aus der Bibel zitieren . Aber ich möchte, natürlichauf eine nette Art, wie ich das meistens mache, einen Ap-pell an Sie richten .Zum Advent werden viele Menschen die Kisten vonihren Dachböden und aus ihren Kellern holen und dieKrippen aufbauen und vielleicht auch die heilige Familieaufstellen. Auch ich finde das sehr schön, das ist wunder-bar . Vielleicht sollten uns jetzt, einen Monat vor Weih-nachten, die vertrauten Verse des Lukasevangeliums, dieich nicht zitieren werde, nachdenklich machen .
– Nein . – Eines wissen wir doch: Die heilige Familie hat-te es damals schwer;
sie war ohne Bleibe und ohne Unterkunft, aber sie warzusammen . Das sollte uns in unseren Debatten leiten .
Als nächster Redner spricht Rüdiger Kruse von der
CDU/CSU .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Frau Staatsministerin, auch wenn wir wissen,dass sich diese Geschichte von vor 2 000 Jahren nichtwiederholen wird, so muss man doch sagen: Wir alsDeutsche waren bereit, Hunderttausende Familien aufzu-nehmen, die in Not waren . Ich glaube, es ist gut, dass wirdas gemacht haben . Das zeigt, wie sich unser Land ent-wickelt hat . Es hätte wohl keiner vermutet, dass geradedie Deutschen das als Erste tun würden .Man fragt sich manchmal, warum andere Nationen inEuropa zögerlicher sind . Ich glaube, wir sind mit solchenAufgaben etwas vertrauter, weil wir in den letzten Jahr-zehnten mehrfach große Aufgaben bewältigen mussten .Da war die Wiedervereinigung, an die viele schon nichtmehr geglaubt hatten . Als sie dann kam, gab es die Idee,sie mit Drei-, Fünf- oder Zehn-Punkte-Plänen zu bewäl-tigen . Dann haben lange Zeit viele gesagt: Das schaffenwir nicht . – Als es dann darum ging, die Wiederverei-nigung nach 20 bzw . 25 Jahren zu feiern, war allen be-wusst: Das war doch klar, dass wir das schaffen . – So istdas eben . So ähnlich ist das auch mit der Energiewende .Wenn die Energiewende abgeschlossen ist, dann werdenwir zusammen mit der restlichen Welt sagen: Das wardoch klar, dass die Deutschen das schaffen .Dann haben wir die Wirtschaftskrise gehabt, die unsstark herausgefordert hat und in der viele gesagt haben:Das ist nun endgültig das Ende der deutschen Wohlfühl-sozialpolitik . – Es war nicht das Ende . Wir haben un-ser Sozialsystem erhalten . Wir stehen heute, wie es dieKanzlerin versprochen hat, besser da als vorher . – Dasspricht dafür, dass wir etwas sind, was wir gar nicht ver-muten: eine dynamische Nation; eine Nation, die in derLage ist, Probleme zu bewältigen, auch wenn sie an demTag, an dem das Problem auftaucht, keinen komplettenLösungsweg vorlegen kann .Politik funktioniert nicht wie eine Fahrt auf verlegtenEisenbahnschienen . Sie ist eher ein bisschen wie Segeln:Sie wissen, wohin Sie wollen . Sie sollten wissen, woNorden ist . Sie können aber den Wind nicht vorherbe-stimmen . Was Sie tun können, ist, die Segel richtig zusetzen . Aber Sie werden keinen völlig geradlinigen Kursfahren, von dem man sagen kann: Genau das ist derWeg . – Das Entscheidende ist, dass Sie dort ankommen,wo Sie es wollen . Das Faszinierende an der Politik unse-rer Bundeskanzlerin ist, dass der von ihr eingeschlageneWeg zum Ziel der beste Kurs ist, was man aber nicht zujeder Zeit sieht .Ich habe mich in dieser Debatte über zwei Beiträge –es gab viele gute Beiträge – besonders gefreut . Der eineBeitrag war von unserer Bundeskanzlerin, in dem sie sichklar hinter die schwarze Null gestellt hat . Der Architektder schwarzen Null ist der Bundesfinanzminister. Nunkann man sagen: Na ja, wenn sich nicht einmal der Fi-nanzminister hinter die schwarze Null stellt, wer dann?In der heutigen Zeit könnten viele sagen: Man kanndoch jetzt eine Ausnahme machen und das Ziel derschwarzen Null aufgeben, weil das aktuelle Problem sogroß ist . – Ralph Brinkhaus hat gestern gesagt: Natürlichstehen wir vor einem großen Problem . Aber wir könnennicht garantieren, dass die nächste Generation nicht auchsehr große Probleme haben wird . Das heißt, wir dürfenderen Ressourcen nicht verbrauchen .Der Vorteil von dem, was hier – sowohl positiv alsauch negativ – als „Auf-Sicht-Fahren“ bezeichnet wor-den ist, ist, dass man dadurch so fährt, dass man genugMöglichkeiten hat, den Kurs noch zu ändern, und dassman sich auf diese Weise nicht seiner MöglichkeitenStaatsministerin Aydan Özoğuz
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 139 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 25 . November 201513636
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beraubt, weil man glaubt: Die Schwierigkeiten, die mansieht, sind die einzigen, die man bewältigen muss .Wir hier im Parlament sind dabei, ganz normal undunaufgeregt einen Haushalt zu diskutieren, obwohl drau-ßen Terror, Flucht und Vertreibung herrschen . Terror isterschreckend; er steht aber für keine Werte . Das Böse istbanal; ihm wohnt keine Tiefe inne . Das heißt, die Aus-einandersetzung, die wir führen, ist gar nicht gegen einanderes Wertesystem gerichtet . Das wäre auch für dieLänder bzw . Kulturen beleidigend, aus denen einzelneTäter kommen . Vielmehr kämpfen wir einfach nur gegendie Banalität des Bösen . Das galt für die RAF, und es giltfür den NSU und den IS .Mörder sind Mörder . Die Antwort gibt der Rechts-staat . Wir behandeln die Täter so wie Mörder – nicht bes-ser und nicht schlechter . Deswegen ist der Kurs, den wirhier fahren, vollkommen richtig . Es ist auch richtig, nichtHunderttausende Menschen irgendwie in Kollektivhaftzu nehmen; denn das Böse und das Banale treffen wirüberall an . Gleichzeitig ist es richtig, dass wir uns mitaller Kraft schützen . Das bildet dieser Bundeshaushaltauch ab .Der zweite Beitrag, der mich sehr gefreut hat, kamvon meinem Fraktionsvorsitzenden . Er hat gesagt, wo-rum es wirklich geht . Es geht darum, dass in einer Kriseeben nicht jedes Land in Europa für sich national undegoistisch reagieren darf, sondern dass wir dieses Prob-lem gemeinschaftlich angehen und damit auch die StärkeEuropas zeigen . Und es geht darum, dass Europa gegen-über jedem System, jeder Macht und jedem Einzeltäter,der sich nicht gemäß einer freiheitlich-demokratischenGrundordnung verhält, eine klare Grenze zieht . DieseGrenze muss deshalb gezogen werden, damit wir inner-halb Europas, also innerhalb unseres Wertesystems, freileben und jedem anderen auch diese Freiheit zugestehenkönnen . Das ist das Ziel . Es ist das, was uns eint . Genaudas ist der Kurs, den wir steuern .Die Staatsministerin hat ja auch erwähnt, dass ihr klei-ner Haushalt – bei kleinen Haushalten ist es ganz leicht,ihn bedeutend zu steigern – erhöht worden ist . Auchder Kulturetat ist gesteigert worden . Früher habe ich andieser Stelle immer gesagt: Kultur ist unsere beste Au-ßenwerbung . – Darauf verzichte ich jetzt einmal . Selbst-verständlich waren es nicht die Selfies der Kanzlerin,sondern es war ausschließlich der Neubau des Museumsder Moderne in Berlin, der Hunderttausende angezogenhat . Eigentlich wäre es schön, wenn Menschen aus ei-ner sehr alten Kulturnation oder Kulturregion wie Syrienausschließlich deswegen zu uns kämen, weil sie einmalsehen wollen, was wir hier so machen .Diese Menschen sind – das ist klar – aus anderenGründen gekommen; aber sie werden genau beobachten,was wir hier machen . Zum überwiegenden Teil werdensie wieder nach Hause gehen . Das sagen Ihnen auch jun-ge Leute, die ein Jahr lang in Australien, Amerika oderAsien waren . Natürlich kommen sie verändert wiederzurück . Obwohl sie ihrer Herkunft treu geblieben sind,bringen sie etwas Neues mit . So gern ich auch im Saar-land oder in Italien bin, ich freue mich immer, wenn ichzurück nach Hamburg komme .So geht es diesen Menschen, die zu uns kommen,auch . Gleichzeitig aber sind sie Botschafter ihres Gast-landes und für uns natürlich auch eine große Chance . Diemeisten Dinge in der eigenen Stadt lernt man dadurchrichtig kennen, wenn man sie Fremden zeigen muss . Wirtun das jetzt in einem sehr großen Umfang . Wir tun esauch, indem wir das Ehrenamt – im Ministerium heißtdas jetzt „Integrationslotsen“ – stärken und zum Beispieldie sehr vielen Menschen, die in Chören und Theater-gruppen sowie in der bildenden Kunst aktiv sind, darinbestärken, gemeinsam mit deutschen Jugendlichen undJugendlichen, die als Migranten erst seit kurzem hiersind – anders als es bei mir der Fall ist, dessen Familievor 200 Jahren aus Köln hierhergekommen ist –, etwaszu unternehmen .Es besteht, glaube ich, eine gute Chance, diese Mög-lichkeiten in unserem Land zu nutzen und gemeinsamSpaß daran zu haben, die eigene und die fremde Kulturzu erleben . Wenn die Menschen am Ende nach zwei oderdrei Jahren zurückkehren, weil wir es gemeinsam mit denwestlichen Alliierten geschafft haben, in ihren Ländernwieder Frieden herzustellen, dann werden sie ein sehr po-sitives Deutschland- und Europabild haben .Wenn wir unsere Art und Weise, zu leben, auch in derZukunft erhalten wollen, wird das nur auf europäischeArt und Weise gehen . Wir können das nur gemeinsammit unseren europäischen Partnern machen . Wir solltenuns nicht von solchen Leuten beeindrucken lassen, dieaus einer anderen Welt kommen, aber noch nicht einmalfür ihre eigenen Kulturwerte stehen . Denn wenn jemandaus Syrien kommt – viele kommen ja gar nicht von dort –und hier Terror verbreitet, dann kann er in seiner eigenenLandesgeschichte dafür keine Begründung finden. Diegibt es nicht . Es gibt keine Begründung dafür, dass manwahllos Menschen tötet . Es mag immer nachvollziehbareGründe geben, dass der eine oder andere sich so entwi-ckelt und sich verführen lassen hat – es ist auch interes-sant, dem nachzuspüren –; das ist aber keine Begründungdafür .Es ist so: Tiefe wohnt nicht dem Bösen, sondern nurdem Schönen inne. Dem sind wir auch verpflichtet, undich glaube, dass wir das in einer sehr guten und ruhigenArt abbilden, auch in unserem Haushalt .Herzlichen Dank .
Sonja Steffen von der SPD-Fraktion spricht als nächs-
te Rednerin .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren auf den Zuschau-ertribünen! Langjährige Haushälter haben mir als nochneue Haushälterin bestätigt, dass die Bereinigungssit-zung des Haushaltsausschuss für den Etat 2016 eine derRüdiger Kruse
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längsten war, die sie jemals erlebt haben . Dies ist auchkein Wunder; denn wir hatten in diesem Jahr besonderswichtige und dringende Aufgaben zu erfüllen . Ein Ge-samtetat in Höhe von 316,9 Milliarden Euro ist auf dieeinzelnen Ressorts verteilt worden . Dabei hatten wir vonder Regierungskoalition drei besonders wichtige, ambiti-onierte Ziele, die unter anderem mein Kollege JohannesKahrs und auch Carsten Schneider in seiner Rede gesternschon aufgeführt haben .Eines unserer Ziele war eine nachhaltige und sozialgerechte Finanzpolitik . Diese ist uns mit dem vorliegen-den Haushalt gelungen . Wir haben erneut einen Haushaltohne neue Schulden beschlossen, und das trotz der gro-ßen finanziellen Herausforderungen im Zusammenhangmit der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen . Da-bei helfen uns natürlich die solide Finanzpolitik der ver-gangenen Jahre sowie die gegenwärtige gute wirtschaft-liche Situation in Deutschland .Wir sind es den Nachfolgegenerationen schuldig –Herr Kruse hat vorhin ebenso wie Herr Brinkhaus gesternschon darauf hingewiesen –, dass wir ihnen keine Schul-denberge hinterlassen . Wir stehen in den nächsten Jahrenund Jahrzehnten vor immensen Herausforderungen, seies der Kampf gegen die Armut und den Hunger in derWelt oder der Kampf gegen den Klimawandel . Auch an-dere globale Aufgaben sind nur zu schaffen, wenn nach-haltig gewirtschaftet wird . Wir können es nicht unserenKindern und Enkelkindern überlassen, diese Aufgabenzu meistern . Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, keineneuen Schulden zu machen . Deshalb teile ich das Ziel,das auch die Bundeskanzlerin in ihrer Rede genannt hat:Wir dürfen den ausgeglichenen Haushalt nicht aus denAugen verlieren .
Der Haushalt 2016 beweist aber auch, dass wir die an-stehenden Aufgaben offensiv angehen . Insgesamt habenwir 7,5 Milliarden Euro für Ausgaben im Zusammenhangmit Flüchtlingen bereitgestellt, 3,3 Milliarden Euro alleinfür die Länder und Kommunen . Wir haben die Stärkungder Mittel beim BMAS, beim BMI und beim Familien-ministerium beschlossen . Wir haben 8 Milliarden Euroan Regionalisierungsmitteln für die Länder vorgesehen .An dieser Stelle darf ich als Ostabgeordnete – ich teilemir den Wahlkreis mit der Bundeskanzlerin, die leidergerade nicht anwesend ist – darauf hinweisen: Die ost-deutschen Bundesländer sind besonders auf die Regio-nalisierungsmittel angewiesen . Deshalb ist meine drin-gende Bitte an alle Anwesenden: Sorgen Sie dafür, dasses bei einem gerechten Verteilungsschlüssel bleibt, damitwir unsere Regionalbahnen im Osten nicht verlieren!Denn in den ländlichen Räumen sind wir extrem daraufangewiesen .
Ich habe mich übrigens auch besonders gefreut, als ichheute Morgen in den Nachrichten hörte, dass die 10 000neuen Stellen für den Bundesfreiwilligendienst schonzum 1 . Dezember dieses Jahres, also in ein paar Tagen,bereitstehen und die sogenannten Bufdis ihren Dienstbeginnen können . Da soll uns noch einmal jemand vor-werfen, dass wir nicht flexibel und schnell auf die gegen-wärtigen Probleme reagieren .
Meine Damen und Herren, die Krisen, vor denen dieMenschen zu uns fliehen, haben eindeutige Ursachen.Wenn wir diese nicht beseitigen und Lösungen anbieten,dann werden wir den Menschen hier wie dort nicht lang-fristig helfen können .Ein überragend wichtiges Ziel – auch darauf hat dieKanzlerin in ihrer Rede hingewiesen – ist es, dass wirmit unserer Hilfe dazu beitragen, dass die Menschen sichnicht auf den Weg machen . Man geht davon aus, dassgegenwärtig 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind .Dabei geht es nicht nur um Flucht vor Krieg, sondernauch um Flucht vor ethnischer Verfolgung sowie Fluchtvor Hunger und Seuchen . Niemand – ich will das beto-nen: niemand – verlässt freiwillig sein Land . Ich dankeHerrn Kauder, dass er einen Kollegen, der im Libanonunterwegs war, als Beispiel nannte . Sie haben gesagt: Eskommt niemand wegen Twittermeldungen vom schönenLeben hierher . – Stimmt, das ist nicht der Fall . Die Men-schen wollen nicht ihre Familie, ihre Freunde, ihr manch-mal besser empfundenes Klima und ihren Lebensmittel-punkt verlassen . Sie kommen wirklich, weil sie keinenanderen Ausweg mehr haben .Zur Bekämpfung der Fluchtursachen haben wir in die-sem Etat eine ganze Menge Geld in die Hand genommen .Allein der Etat des Bundesministeriums für wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung ist im kom-menden Jahr mit 7,4 Milliarden Euro der höchste in derbisherigen Geschichte des Ministeriums . Herr Bartsch,ich gebe Ihnen recht: Möglicherweise muss man darübernachdenken, ob dieser Etat ausreicht . Es ist schwierig,ihn mit anderen Etats zu vergleichen . Sie haben ihn mitdem Etat des Verteidigungsministeriums verglichen . Ichfinde, dass jeder Etat für sich steht und dass Vergleiche indiesem Fall sehr schwierig sind . Aber ich freue mich undbin stolz darauf, dass wir den Etat 2016 um 860 Millio-nen Euro erhöht haben .Die Unterstützung von Flüchtlingen und die Bekämp-fung von Fluchtursachen in den Herkunftsländern habenderzeit höchste Priorität . Genau diese Priorität habenwir im Haushaltsausschuss noch einmal konkretisiert . –Ich sehe gerade Volkmar Klein, meinen Kollegen vonder Union . Wir haben den Entwurf mit viel Kreativitätverändert, um ihm einen neuen Fokus zu geben und ins-besondere die beiden Titel im Einzelplan 23, aus denendirekt Mittel in die internationale Flüchtlingshilfe flie-ßen, noch einmal zu stärken . Das betrifft besonders dieBereiche Krisenbewältigung und Wiederaufbau, Infra-struktur sowie die Bereiche „Fluchtursachen bekämpfen“und „Flüchtlinge integrieren“ . Diese zusätzlichen Mittelwerden genau in die Regionen fließen, die am stärkstenvon Krisen und Kriegen betroffen sind . Die Hauptauf-nahmeländer für Flüchtlinge wie der Libanon, Jordanien,der Irak und die Türkei – dazu wurde heute schon vielgesagt – müssen dringend stärker unterstützt werden . Ichwill noch einmal darauf hinweisen: Allein im Libanon istmittlerweile jeder vierte Bewohner aus Syrien . Wir müs-Sonja Steffen
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 139 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 25 . November 201513638
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sen dafür sorgen, dass die Menschen in den Aufnahme-ländern Perspektiven haben und sich nach Kriegsende inihrer Heimat am Wiederaufbau beteiligen können .
Die allermeisten Flüchtlinge – das hört man immer wie-der in Gesprächen – wollen dies auch .Hin und wieder müssen wir uns in unseren Wahlkrei-sen Diskussionen aussetzen, in denen es darum geht, obdie Entwicklungshilfe und die Entwicklungszusammen-arbeit tatsächlich so hilfreich sind und wohin das Geldeigentlich geht . Ich habe mich vor ein paar Wochen aufeiner Reise mit der GIZ in den Südsudan davon überzeu-gen können, wie gut angelegt das Geld ist, das wir in dieEntwicklungszusammenarbeit investieren .Ich möchte den Rest meiner Redezeit nutzen, um al-len Entwicklungshelfern ein ausdrückliches Dankeschönauszusprechen, die im Moment in der ganzen Welt un-terwegs sind, die unter gefährlichen und widrigsten Um-ständen leben und gleichzeitig Botschafter für die demo-kratischen Strukturen sind . Vielen Dank an dieser Stelle .Herzlichen Dank für das Zuhören .
Als nächster Redner spricht Harald Petzold von der
Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Es istseit vielen Jahren eine gute Tradition, dass im Rahmender Generaldebatte über den Haushalt der Bundeskanz-lerin und des Bundeskanzleramtes auch der Haushalt derBeauftragten für Kultur und Medien behandelt wird . Zudiesem Teil des Haushalts möchte ich nun sprechen .Auch ich möchte meine Rede mit Frankreich beginnen,zum einen um meine Abscheu für dieses Attentat zumAusdruck zu bringen, das den Kulturbereich in Frank-reich in erheblichem Maße getroffen hat, und zum ande-ren um Frankreich – der Kollege Bartsch hat heute frühvon Hoffnung geredet – als gutes Beispiel für Deutsch-land mit Blick auf die Filmförderung und die Bewahrungdes Filmerbes zu nennen . Denn in Frankreich wird Filmgern als siebente Kultur bezeichnet . Die Filmgeschichteist Teil des Unterrichts an französischen Schulen . Daransieht man, dass die Bewahrung des Filmerbes bei un-serem Nachbarn sowohl eine gesellschaftliche als aucheine staatliche Aufgabe ist . Ich denke, daran sollte mansich orientieren, zumal wir in dieser Hinsicht um Licht-jahre von Frankreich entfernt sind .Wie ist die Situation in Deutschland? Vor fast ge-nau zwei Jahren, am 26 . November 2013, ist von über5 000 Personen aus der hiesigen Film- und Kulturszeneein Aufruf zur Sicherung des deutschen Filmerbes vor-gelegt worden . In diesem Aufruf sind wir mit der Tat-sache konfrontiert worden, dass es darum geht, über31 000 lange Filme, also richtige Spielfilme, und über137 500 Kurzfilme zu bewahren, und dass es um Gesamt-kosten in Höhe von 473,9 Millionen Euro geht .Dann gab es ein Gutachten, das die Gesamtkosten aufwenigstens 100 Millionen Euro, verteilt auf zehn Jah-re, beziffert hat . Dann wurde uns der Haushaltsentwurfvorgelegt, und darin stand eine Null . Es ist der Bereini-gungssitzung und damit den Haushälterinnen und Haus-hältern zu verdanken, dass jetzt wenigstens 1 MillionEuro im Haushalt auftauchen sollen . Dazu kann ich nursagen: Vielen Dank dafür, aber mehr als ein symbolischerBetrag ist das natürlich nicht .
Nun hat die Staatsministerin im August dieses Jahresvorgeschlagen, einen – ich zitiere – „nachhaltigen Fahr-plan für die Digitalisierung des nationalen Filmerbes zuerarbeiten …“ . Darin sollen die Bundesländer einbezo-gen werden . Auch das wird natürlich unsere Unterstüt-zung finden. Aber es kann doch nicht sein, dass sich dieStaatsministerin jetzt darauf beschränkt, 16 Flöhe in ei-nen einzigen Sack locken zu wollen . Es muss endlich ge-handelt werden . Es müssen endlich Mittel zur Verfügunggestellt werden . Wir sagen: Es sollte wenigstens diesesGutachten umgesetzt werden, und es sollten mindestens10 Millionen Euro pro Jahr für einen Digitalisierungs-prozess zur Rettung und Bewahrung des Filmerbes ein-gestellt werden .
Das Jahr 2016 wird darüber hinaus noch aus einemanderen Grund ein wichtiges Jahr für den deutschen Filmwerden . Es soll nämlich das Filmfördergesetz novelliertwerden . Die Linke hat bereits im September eine Fach-tagung dazu in Potsdam durchgeführt, auf der wir ge-meinsam mit Spitzenvertretern der Filmwirtschaft überdie Frage beraten haben, was tatsächlich an dem Gesetzverändert werden muss und wo Nachholbedarf besteht .In der vorigen Woche hat die Staatsministerin mit ei-nem zweitätigen Hearing, ebenfalls in Potsdam, nachge-zogen . Es sind aus unserer Sicht drei wichtige Bereichegenannt worden:Der erste Bereich umfasst die Gesamtausstattung derFilmförderung, die mindestens 70 Millionen Euro proJahr betragen sollte . Deswegen sagen wir: Der Stillstandin der Filmförderung muss endlich beendet werden . Wirbrauchen diese 20 Millionen Euro zusätzlich, wie dieLinke in ihrem Antrag zur nachträglichen Beschlussfas-sung fordert, zumal Sie selbst festgestellt haben, dass Sieim nächsten Jahr mindestens 11,6 Millionen Euro zusätz-lich an Verpflichtungsermächtigungen benötigen. LegenSie nach, und stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu,was die Ausstattung anbelangt .Der zweite Schwerpunkt betrifft die Frage, wie mitFrauen in der Filmwirtschaft umgegangen wird . Es istsowohl auf unserer Fachtagung als auch bei der Anhö-rung der Staatsministerin in Potsdam deutlich geworden,Sonja Steffen
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dass nur 10 Prozent der Fördermittel tatsächlich Projek-ten zugutekommen, in denen Frauen als Regisseurinnen,Drehbuchautorinnen sowie Produzentinnen beschäftigtsind oder die sich ansonsten besonderen Fraueninhaltenwidmen . Andersherum gesagt: 90 Prozent der Mittel ge-hen nur an Männer . Das ist ein Missverhältnis, das nichtlänger hingenommen werden kann .
Da ich befürchte, dass sich niemand mit den Män-nern in der Filmwirtschaft wird anlegen wollen, sage ich:20 Millionen Euro zusätzlich wären gut angelegtes Geld,weil dann wenigstens 30 Prozent der Projekte, die vonFrauen gemacht werden, gefördert werden könnten . Dasfordern wir nachdrücklich .Der letzte Schwerpunkt – damit komme ich zumEnde, Frau Präsidentin – betrifft die Frage der Prekari-sierung, die im Bereich der Kultur- und Filmschaffendeneingesetzt hat . Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion,Herr Kauder, hat heute Vormittag den Balken beklagt,den Herr Bartsch angeblich in seinem Auge nicht sehenwürde . Ich kann das Kompliment zurückgeben . HerrKollege, Sie haben doch genauso wie ich ganz viel Kon-takt mit Filmschaffenden und Kulturschaffenden . Siemüssten wissen, welche Verhältnisse dort im Bereichder Entlohnung inzwischen herrschen . Für die Betrof-fenen passen die Fördermechanismen inzwischen nichtmehr . Auch das, was im Bereich der sozialen Sicherungstattfindet, passt für die Kultur- und Filmförderung nichtmehr . Dieses Sich-von-Projekt-zu-Projekt-Hangeln istnicht kompatibel mit den Mechanismen, die wir haben .Wir brauchen hier endlich neue Lösungen, weil für dieBetroffenen die gegenwärtige Praxis im Grunde genom-men ein Absterben auf Raten bedeutet . Das wollen wirnicht länger hinnehmen .Letzter Gedanke . Filme sind sicherlich ein Wirt-schaftsgut; aber sie sind in erster Linie ein Kulturgut, undals solches sollten wir sie behandeln . Deswegen solltenwir die Filmwirtschaft besser ausstatten .Vielen Dank .
Als nächster Redner spricht Marco Wanderwitz von
der CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zunächst einmal können wir heute festhalten, dass derTeil der Generaldebatte, der sich dem Haushalt der BKM,dem Haushalt der Beauftragten der Bundesregierung fürKultur und Medien, widmet, ein Anlass zur Freude ist .Wir haben es fast mit einem Automatismus zu tun – esist kein wirklicher Automatismus –, dass es mittlerwei-le Jahr für Jahr, genau genommen seit 2005 – seit dieUnion den Kulturstaatsminister stellt –, zu Steigerungenim Haushalt kommt . Diese Steigerungen sind sowohl imRegierungsentwurf als auch in dem Haushaltsentwurf zufinden, der nach den parlamentarischen Beratungen ver-abschiedet wird .
Schon im Regierungsentwurf war eine Steigerung, lie-be Monika Grütters, um 4,55 Prozent vorgesehen . In derSumme sind das stattliche 56 Millionen Euro, was sichsehen lassen kann. Ich möchte unserem Bundesfinanzmi-nister ausdrücklich dafür danken, dass er auch in Zeiten,in denen wir richtigerweise die schwarze Null erreichenwollen, ein Augenmerk auf die Kultur legt . Deswegensind wir umso dankbarer, dass der Bund im Bereich Kul-tur und Medien nicht spart, sondern drauflegt.
– Ja, auf euch Haushälter komme ich auch noch zu spre-chen .Ich bleibe aber erst einmal beim Regierungsentwurf;er stammt vom März . Der Regierungsentwurf enthältschon einige wichtige Punkte, etwa die Steigerung umbesagte 56 Millionen Euro . Der größte Block davon,38 Millionen Euro, fließt in die Deckung der gestiegenenPersonalkosten . Davon wiederum gehen 12 MillionenEuro an die Deutsche Welle . Das war wichtig, das warrichtig; das war auch ein Stück weit überfällig . Aber eswar eben nicht selbstverständlich . Deswegen freuen wiruns, dass das für den Haushalt der BKM erreicht wordenist . Das trägt nämlich auch für die nächsten Jahre .Es gibt einen weiteren Punkt aus dem Koalitionsver-trag, den wir abarbeiten konnten, wir haben nämlich eineLücke in der Förderung der Fonds geschlossen: In derUmsetzung befindet sich die Etablierung des im Koaliti-onsvertrag angesprochenen neuen Musikfonds, der sichder Förderung zeitgenössischer Musik widmen soll . Da-für stehen 1,1 Millionen Euro zur Verfügung . Wir habenbei dieser Gelegenheit die Fonds, die an sich schon einegroße Erfolgsgeschichte sind, aus der Kulturstiftung desBundes in ein Stück mehr Selbstständigkeit überführt .Auch das war eine gute und richtige Entscheidung . ImRegierungsentwurf waren Investitionsmittel für das Bau-haus-Jubiläum angelegt, und es wurde auch der Mar-tin-Gropius-Bau hier in Berlin, in dem so viel Tollesstattfindet, in die institutionelle Förderung übernommen.Also: Schon der Regierungsentwurf kann sich mehr alssehen lassen .Nun zu den Haushältern, die mehr als 100 MillionenEuro draufgelegt haben, sodass der Haushalt nun Mittelvon rund 1,4 Milliarden Euro umfasst . Wir als Fachpo-litiker sind froh und dankbar – da spreche ich auch indeinem Namen, lieber Martin Dörmann –,
dass unsere Haushälter dies erreicht haben .
Zum einen ist die bereitstehende Summe ordentlich undstattlich . Zum anderen gilt dies für den kollegialen Um-Harald Petzold
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gang und das Verfahren, mit dem wir gemeinsam dierichtigen Schwerpunkte setzen .
Lieber Johannes Kahrs, lieber Ecki Rehberg, lieberRüdiger Kruse, herzlichen Dank!Ich möchte natürlich auch meinem Fraktionsvorsit-zenden Volker Kauder danken, der hier eben vom Kol-legen Petzold adressiert worden ist . Wie sich Haushalteentwickeln, hat immer viel damit zu tun, ob die Frak-tionsvorsitzenden einen Schwerpunkt in diesem Bereichsehen oder nicht . Volker Kauder ist ein Mann, der im Be-reich von Kultur und Medien engagiert ist, und deshalbpasst es auch .
Wenn es in unserem Land Probleme im Bereich derKultur gibt, wenn es beispielsweise eine Rote Liste desDeutschen Kulturrates gibt, auf der steht, was alles nichtfunktioniert, dann will ich an dieser Stelle klar und deut-lich sagen: Es liegt nicht am Bund . Wir machen unsereHausaufgaben seit vielen Jahren . Wir tun mittlerweileeine ganze Menge in der Fläche, obwohl wir dies nichtunbedingt müssten; trotzdem finden wir Wege, dies zutun . Ich will nur beispielsweise das erfolgreiche Denk-malschutz-Sonderprogramm nennen . Aber die Ländermüssen unserem Subsidiaritätsprinzip entsprechend ihrerAufgabe nachkommen und im Bereich von Kultur mehrtun als bisher . Sie sind vorrangig zuständig . Dass Nord-rhein-Westfalen wieder auf Platz eins der Roten Liste desKulturrats ist, das gilt es zum einen festzuhalten . Zumanderen sind die Länder, die dort Probleme haben, ge-fragt, mehr zu tun .
Ich will auch auf den Bereich Film eingehen, der schonangesprochen worden ist, weil das einer der Schwerpunk-te der Arbeit ist, vor allen Dingen, weil die Novelle desFilmförderungsgesetzes ansteht . Zunächst einmal giltes festzuhalten, dass dieser Haushalt – das hat natürlichviel mit dem Schwerpunkt zu tun, den die Haushälter ge-setzt haben – die dritte Säule der Filmförderung auf dasNiveau der beiden anderen Säulen gehoben hat . Nebender Förderung über die Filmförderungsanstalt und überden steuermittelfinanzierten Deutschen Filmförderfondssteht jetzt die kulturelle Filmförderung mit 20 MillionenEuro; das ist eine Vervierfachung . Wir werden damit demgerecht, was das Bundesverfassungsgericht uns aufgege-ben hat, nämlich Film als Wirtschaftsgut auf der einenSeite und als Kulturgut auf der anderen Seite zu sehen .Deswegen bin ich sehr froh, dass dort 15 Millionen Eurozusätzlich zur Verfügung stehen .
Herr Kollege Wanderwitz, es gibt den Wunsch nach
einer Zwischenfrage .
Grundsätzlich sage ich immer Ja . Ich habe noch nicht
gesehen, wer sie stellen möchte .
Herr Liebich .
Bitte schön .
Vielen Dank, Herr Kollege Wanderwitz, dass Sie die-
se Frage zulassen . – In meinem Wahlkreis in Pankow
befindet sich die Robert-Havemann-Gesellschaft, die in
diesem Jahr ihren 25 . Geburtstag gefeiert hat und die
bei der Aufbewahrung der Bestände der DDR-Opposi-
tion eine sehr verdienstvolle Arbeit leistet . Von unserer
Fraktion wurde im Haushaltsausschuss der Antrag ge-
stellt, endlich eine institutionelle Förderung für die Ro-
bert-Havemann-Gesellschaft zu schaffen . Den gleichen
Antrag haben wir im Abgeordnetenhaus von Berlin mit
rot-schwarzer Mehrheit gestellt . In beiden Fällen wur-
de das abgelehnt . Mich würde interessieren, was Ihr
Plan für die institutionelle Absicherung der Robert-Ha-
vemann-Gesellschaft ist .
Ich bin nicht ganz undankbar für die Frage, weil siemir die Zeit gibt, das anzusprechen . – Es ist so, dass diesesehr verdienstvolle Arbeit im Koalitionsvertrag erwähntist . An der Stelle soll mehr passieren . Es gibt intensiveGespräche, insbesondere mit dem Land Berlin; denn klarist natürlich eines: Das ist eine klassische Einrichtungvon der Art, die nicht der Bund allein finanzieren kann.Hier brauchen wir das Sitzland . Das muss mittun . In die-sem Sinne ist unsere Staatsministerin unterwegs .Klar ist aber auch: Eine institutionelle Förderungmüssen wir im Haushaltsentwurf abbilden . Das könntendie Haushälter, selbst wenn sie es wollten, nicht hinein-schreiben .
Ich bin guten Mutes, dass uns das im nächsten Jahr ge-lingt .Wir haben schon eine ganze Menge im Bereich derHavemann-Gesellschaft auf den Weg gebracht . Zum Bei-spiel hat es für die wiederaufgebaute DauerausstellungProjektmittel gegeben .Sie haben ein wichtiges Thema angesprochen, und ichbin optimistisch, dass wir das hinbekommen .
Marco Wanderwitz
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Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen, weiler mir am Herzen liegt und weil wir hier natürlich nichtnur über Kultur, sondern auch über Medien sprechen,und das ist die Deutsche Welle . Die Deutsche Welle, dergrößte Ausgabenposten im BKM-Haushalt, ist auf demWeg, noch ein Stück weit mehr als bisher, zu einer Er-folgsgeschichte . Der neue englischsprachige TV-Kanal,der in der neuen Aufgabenplanung, die wir mehrheitlichauf den Weg gebracht haben, angelegt ist, etabliert sichsehr gut . Es gibt gute Quoten . Es gibt sehr viel Lob .Bei dieser Gelegenheit möchte ich ausdrücklich sa-gen: Mich hat die Berichterstattung der Deutschen Wel-le zu den furchtbaren Terroranschlägen in Paris, sowohlwas die Aktualität als auch was die Sensibilität betrifft,sehr überzeugt . Das hat nicht bei jedem so hundertpro-zentig funktioniert; bei der Deutschen Welle jedenfallshat es funktioniert .
Die neue Deutsche-Welle-App ist bereits über800 000-mal downgeloadet worden . In 22 Ländern istsie in den Top Ten der jeweiligen App Stores . Die Zahlder wöchentlichen Nutzerkontakte ist von 101 Millionenvor zwei Jahren auf 118 Millionen angestiegen . Vor allenDingen gibt es Aufwüchse im Bereich der Onlineange-bote der Deutschen Welle . Deswegen bin ich froh unddankbar, dass es uns gelungen ist, beispielsweise im Be-reich des arabischsprachigen Programms, beispielsweiseim Konfliktfeld des russischen und des ukrainischen Pro-gramms das, was wir dort in den letzten Jahren geschaf-fen haben, fortzuführen und die Deutsche Welle so aus-zustatten, dass sie in der Lage ist, den Aufgaben gerechtzu werden, deren Erfüllung wir uns wünschen . Da habenwir in den nächsten Jahren noch ein bisschen mehr zutun . Aber wir können erst einmal festhalten: Wir habenschon viel erreicht .Hier und da diskutieren wir ja darüber: Brauchen wirso etwas wie einen öffentlich-rechtlichen Flüchtlingska-nal? Ich glaube, der Hinweis, dass an der Stelle Bedarfbesteht, ist richtig . Aber es ist bei der Deutschen Wellenicht sehr viel Ausbau an dieser Stelle erforderlich; damithaben wir unseren öffentlich-rechtlichen Flüchtlingska-nal, der vor allen Dingen auch in den Herkunftsländernein realistisches Bild von der Situation in Deutschlandvermittelt . Das ist ebenfalls sehr wichtig . Ansonsten,glaube ich, tun wir gut daran, uns an so einem Tag wieheute einfach zu freuen, dass der Haushalt der BKM soist, wie er ist, dass er wieder gelungen ist, und wir arbei-ten im nächsten Jahr weiter daran .
Als nächste Rednerin hat Tabea Rößner von der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Lieber Harald Petzold und liebe Frau StaatsministerinGrütters! Nach all den Verweisen auf die Bibel in derheutigen Debatte ist man ja als Kulturpolitikerin fast ge-neigt, die Ode an die Freude anzustimmen;
denn der Bundestag hat in der Tat gute Arbeit für denFilm geleistet . Auch auf Forderung von uns Grünen hinwurde die kulturelle Filmförderung deutlich aufgestockt,und der DFFF muss nicht mit einem Minus ins neue Jahrstarten . Das ist eine gute Nachricht – angesichts des mo-natelangen Gezerres sozusagen in letzter Sekunde .
Etwas mehr Planungssicherheit für 2016 – das habendie Filmschaffenden tatsächlich verdient . Wir täten gutdaran, sie für ihre eigensinnigen, kritischen, bereichern-den Filme besser auszustatten,
und zwar nicht nur mit Geld und Anerkennung, sondernvor allen Dingen mit der wichtigsten Währung über-haupt, nämlich mit Unabhängigkeit und Freiheit;
denn Filmschaffende sind dann am besten, wenn wirihnen nicht vorschreiben, wie ihre Filme zu sein haben .Das geschieht leider viel zu oft, weil bei der Filmförde-rung viel zu viele mitreden, noch bevor die erste Klappefällt .Liebe Kolleginnen und Kollegen, das deutsche Kinoist außer Puste . Filmschaffende rennen gegen so vie-le Wände an, dass sie ihren eigenen Ansprüchen kaumgerecht werden können . Wir brauchen ein System, daskünstlerische Freiheit fördert und ermöglicht und nichtverhindert .
Dafür braucht es Mut und Risiko . Das gilt im Übrigenauch für die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien .Ich verstehe Sie ja . In der Filmbranche gibt es etliche Ak-teure, die um alles ein Geheimnis machen . Wenn man einSystem will, das künstlerische Freiheit befördert, dannbesteht natürlich auch die Gefahr des Missbrauchs . Aber:Statt alle unter Generalverdacht zu stellen, verordnen Sieder Branche doch einfach mal Transparenz . Dann kannsich Vertrauen auch tatsächlich entwickeln .Probieren Sie es mal mit einer echten Auskunftspflichtim Filmförderungsgesetz . Wie es mit Verträgen, Arbeits-bedingungen, Erfolgen und Rückflüssen aussieht, geht janicht nur die Buchhalter der Filmförderungsanstalt etwasan . Es geht hier schließlich um Gelder, die die Zuschauerzahlen . Deshalb hat auch die Öffentlichkeit ein berech-tigtes Interesse daran, wie diese Gelder verwendet wer-den . Gehen Sie also mit gutem Beispiel voran! Und: HerMarco Wanderwitz
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mit den Zahlen! Dann müsste vielleicht auch das Frage-recht der Abgeordneten nicht so oft bemüht werden .
Also: Schenken Sie den Kreativen Vertrauen . Dannwird es schon bald eine ganz andere Antragslage geben,und Frauen würden per Gesetz nicht nur in Gremien sit-zen, sondern vermehrt auch als Regisseurinnen arbeiten .Ich habe Sie immer so verstanden, Frau Grütters, dassdas auch ein wichtiges Anliegen von Ihrer Seite ist . Ja,dann tun Sie auch was dafür!
Überhaupt: Es wird Zeit, dass Sie sich mehr der Öf-fentlichkeit stellen, zum Beispiel auch bei der ominösenBund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz, dieseit Monaten über die zukünftige Medienordnung berät,allerdings wieder in den Hinterzimmern .Fünf Arbeitsgruppen beraten über zentrale Themender Zukunft, über Vielfaltssicherung, über Plattform-regulierung, über Intermediäre . Aber was da diskutiertwird, welche Sachverständigen eingeladen oder welcheVorschläge gemacht wurden – das alles scheint eineVerschlusssache zu sein . Bisher keine Antwort aus demKanzleramt .
Es geht dabei um einen wesentlichen Pfeiler unserer De-mokratie, und das Parlament bleibt außen vor . Alle re-den davon, Google, Facebook und Co . an die Kandarezu nehmen . Aber wo bleiben die Vorschläge, wie das er-folgen soll? Wir brauchen dringend eine öffentliche De-batte zu diesen Themen . Und da müssen Sie mutig nachdraußen gehen .
Auch an anderer Stelle erwarte ich eine klare Ansage:Wie setzt sich die Bundesregierung eigentlich für Presse-freiheit ein? In Deutschland geraten immer mehr Journa-listen unter Druck, gewalttätige Übergriffe mehren sich .Das macht mir große Sorge . Doch von der Kulturstaats-ministerin hört man:
nichts .
Dabei müssen wir doch dieser Gewalt und diesem Hassvon rechts entgegentreten . Journalisten müssen geschütztwerden .
Wenn Medien aus Angst vor Gewalt nicht mehr berich-ten, dann laufen wir Gefahr, eine tragende Säule unsererDemokratie zu verlieren .
Es stellt sich auch die Frage, ob Journalisten bei Ver-dächtigungen auf Landesverrat nicht besser geschütztwerden müssen . Justizminister Maas hat angekündigt,das rechtlich zu prüfen . Schau‘n wir mal! In der ganzenAffäre um netzpolitik .org hat man jedenfalls von derStaatsministerin für Kultur und Medien nichts gehört .
Auch auf rechtlicher Seite tun Sie nichts für Journalis-ten . Wer als Journalist beim BND oder bei den Bundes-ministerien recherchieren möchte, dem wird weiterhindie Tür vor der Nase zugeschlagen . Darum brauchen wirein Presseauskunftsgesetz auch auf Bundesebene .
Frau Grütters, Sie haben noch knapp zwei Jahre . Zeitgenug, mehr Mut und mehr Risikobereitschaft zu bewei-sen .Vielen Dank .
Als nächster Redner spricht Martin Dörmann von der
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Generaldebatte heute hat gezeigt: Wir alle stehennoch unter dem Eindruck der jüngsten Terroranschlä-ge von Paris . Sie und der Anschlag auf Charlie Hebdorichten sich ganz gezielt gegen unsere kulturellen Wer-te, gegen unser demokratisches Verständnis einer offe-nen Gesellschaft und gegen die Freiheit von Medien undMeinungen . Uns alle eint: Europa muss sich auf seinefreiheitliche Kultur und auf seine gemeinsamen Wertebesinnen und solidarisch handeln . Unser Signal an dieTerroristen ist deshalb eindeutig: Wir werden uns vonFanatikern und Mördern nicht einschüchtern lassen, son-dern stehen an der Seite unserer französischen Freunde .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer Kultur und Me-dien stärkt, stärkt die Freiheit . Auch deshalb bin ich sehrfroh über das Ergebnis der Haushaltsberatungen . Es istTabea Rößner
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uns in dieser Wahlperiode bereits zum dritten Mal in Fol-ge gelungen, den Etatansatz der Beauftragten für Kulturund Medien noch einmal deutlich zu steigern . Ich willhier ausdrücklich die zuständigen Haushälter der Koali-tion nennen und mich bei den Kollegen Johannes Kahrsund Rüdiger Kruse sehr herzlich bedanken . Erneut unter-stützen sie uns dabei, wichtige kultur- und medienpoliti-sche Vorhaben des Koalitionsvertrages umzusetzen .
Insgesamt werden nämlich in den kommenden Jahren zu-sätzlich zum Regierungsentwurf weitere 740 MillionenEuro für Kultur und Medien zur Verfügung stehen, davonallein knapp 120 Millionen Euro im nächsten Jahr, so-dass der Etat der BKM auf stattliche 1,4 Milliarden Eurosteigt . Das ist ein klares Bekenntnis für eine langfristigangelegte Kulturpolitik des Bundes .Neben zentralen Vorhaben der Hauptstadtkultur wer-den auch in anderen Teilen Deutschlands und sparten-übergreifend viele wichtige Projekte und Institutionenunterstützt .
Sie alle tragen zum Erhalt der kulturellen Vielfalt unseresLandes und damit zu einer bunten und offenen Gesell-schaft bei – übrigens nicht in Konkurrenz zur Kultur-politik von Ländern und Kommunen, sondern in einemwohlverstandenen, gegenseitig unterstützenden Kul-turföderalismus .Gerade ist das Stichwort „NRW“ gefallen, leider ineinem völlig schiefen Zusammenhang .
Ansonsten stimme ich dem Kollegen Marco Wanderwitzin allen Punkten zu . Aber da ist er aus meiner Sicht inder Pointierung ein bisschen danebengetreten . Ich willdaran erinnern, dass es die NRW-Landesregierung war,die das erste Kulturfördergesetz in dieser Bundesrepu-blik auf den Weg gebracht hat . Ich bin ganz zuversicht-lich, dass die neue Kultusministerin in NRW, ChristinaKampmann, unsere frühere Kollegin, dieses sehr positivweiterführen wird .
An NRW können sich manche ein Beispiel nehmen .Zu unserem Haushalt zurück . Wir haben ihn gestärkt .Dazu gehören beispielsweise mehr Geld für den Tanzdurch die Finanzierung eines Bündnisses internationalerProduktionshäuser
ebenso wie zusätzliche Gelder für die kulturelle Filmför-derung und das mit 20 Millionen Euro wieder aufgelegteDenkmalschutz-Sonderprogramm . Besonders erwähntseien auch der Ausbau des Künstlerarchivs in Brauweilersowie der Umbau des Schauspielhauses Wuppertal zu ei-nem „Internationalen Tanzzentrum Pina Bausch“ . All dassind Projekte, die die kulturelle Vielfalt unseres Landesbelegen; sie gilt es zu pflegen und zu stärken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, „stärken“ ist einwichtiges Stichwort, das auch für den medienpolitischenTeil der Beschlüsse zum Bundeshaushalt gilt, namentlichfür die Deutsche Welle . Unser Auslandssender prägt diemediale Präsenz Deutschlands in der Welt . Wir alle spü-ren es täglich: Die Bedeutung globaler Kommunikationfür politische Entwicklungen steigt . Zudem haben inter-nationale Krisen zunehmend direkte Auswirkungen aufdeutsche und europäische Politik . Das haben zuletzt derUkraine-Konflikt, der Syrien-Krieg und auch die derzei-tige Flüchtlingskrise nachdrücklich belegt . Heute habenin der Debatte die Bundeskanzlerin, aber auch ThomasOppermann darauf in besonderer Weise hingewiesen .Zwei Trends kommen noch hinzu: zum einen die ge-wachsene internationale Verantwortung Deutschlandsals eines sehr wichtigen europäischen Partners und zumanderen der verstärkte globale Wettbewerb um Informa-tionen und mediale Aufmerksamkeit in einer zunehmendvernetzten Welt . Vor diesem Hintergrund ist es wichtigerdenn je, unseren Auslandssender Deutsche Welle zu stär-ken und aufgabengerecht zu finanzieren. Darauf habenwir uns übrigens im Koalitionsvertrag verständigt, unddas werden wir jetzt Schritt für Schritt umsetzen .
Das ist keine Zukunftsmusik, sondern wir habenschon geliefert . Wir haben die parlamentarischen Haus-haltsberatungen der letzten zwei Jahre dazu genutzt, dieFinanzierung der Deutschen Welle auf ein nachhaltigesFundament zu stellen . Kollege Wanderwitz hat daraufbereits hingewiesen . Wir werden es in diesem Haushaltschaffen, dass wir zusätzlich zur Erhöhung des Plafonds,die wir dauerhaft sichern müssen, 15,9 Millionen Eurofür Investitionen in zusätzliche Programme, insbesonde-re für die Sonderberichterstattung in den Krisenregionen,bereitstellen .
Diesen Weg gilt es in den kommenden Jahren fortzuset-zen und, wenn möglich, noch auszubauen .Zum Schluss dieser Debatte noch ein Wunsch, nach-dem wir sehr viel Positives gehört haben – aber: nachdem Haushalt ist vor dem Haushalt –: Wir brauchen fürdie Deutsche Welle eine noch stärkere Planungssicher-heit . Es darf nicht nur von den Bereinigungssitzungenabhängig sein, wie hoch der Etat ist . Es muss geplantwerden . Es sind Arbeitsverträge geschlossen worden .Deshalb – mit Blick auf Frau Staatsministerin –: LiebeMonika Grütters, wir sind auch im Gespräch . Es wäreschön, wenn wir schon im Haushaltsansatz der Bundes-regierung für 2017 die Beträge für die Deutsche Welleabbilden könnten, die auch tatsächlich notwendig sind .Ich glaube, darin sind wir mit den Haushältern einig,auch mit den Kollegen der Union . Wir sind im Gespräch,und wir arbeiten daran .
Martin Dörmann
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, in derKultur- und Medienpolitik schreiben wir weiter an ei-ner Erfolgsgeschichte in dieser Koalition; denn mit demvorliegenden Haushalt setzen wir erneut ein deutlichesZeichen für Vielfalt und für Freiheit .Lassen Sie mich zum Schluss ein Wort des Dankesaussprechen; denn Kultur und Medien können immernur so stark und so frei sein wie die Menschen, die da-für Verantwortung tragen . Das sind in erster Linie dieKulturschaffenden und die Medienvertreter . Die Kultur-schaffenden leisten oft unter schwierigen ökonomischenVerhältnissen ihren Beitrag, leben ihre Kreativität aus .Damit sie das können, müssen wir die entsprechendenRahmenbedingungen schaffen .Ich danke auch den Journalistinnen und Journalisten,die unter erschwerten Bedingungen, sowohl national alsauch international, arbeiten . International werden Jour-nalisten von Mord und Folter bedroht . National – wirhaben gerade eine Diskussion mit dem ARD-Vorsitzen-den und beispielsweise Anne Will geführt – ist es so,dass Journalisten und Journalistinnen mittlerweile bei Pegida-Demonstrationen und anderen Gelegenheiten tät-lich angegriffen werden . Ich glaube, es ist ganz klar, dasswir nicht nur im Ausland, sondern auch im Inland dafürsorgen müssen, dass Medien frei sind, dass die kulturelleVielfalt gewahrt wird . Insofern geht von diesem Haushalteine sehr positive Botschaft aus . Danke an alle, die daranmitgewirkt haben!Vielen Dank .
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Ulle Schauws
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, wirklich jetzt
die Gespräche für vier Minuten einzustellen . Das schafft
jeder .
Dann können nämlich alle die Kollegin verstehen . Da-
nach geht es zur namentlichen Abstimmung . – Sie haben
das Wort .
Frau Präsidentin, vielen Dank . – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Liebe Gäste! Kultur braucht eine solidefinanzielle Grundlage. 1,4 Milliarden Euro für das kom-mende Jahr – das klingt zunächst gut, aber das Geld al-lein macht eben noch keine gute Kulturpolitik aus .
Frau Kulturstaatsministerin, in Ihrer letzten Haus-haltsrede haben Sie das Thema Flucht selbst in den Mit-telpunkt gestellt: Kultur sei Brückenbauerin und Türöff-nerin, die aktuelle Situation sei nicht nur eine politische,sondern vor allen Dingen auch eine kulturpolitische He-rausforderung . – So weit, so gut . Einverstanden! Umsounverständlicher ist es aber, dass Sie unsere Initiativenfür wichtige Projekte und Maßnahmen zur kulturellenTeilhabe von Geflüchteten abgelehnt haben. Notwendigezusätzliche Mittel für kurz- und langfristige Projekte sindso auf der Strecke geblieben .Vor allem fehlen auch Antworten auf die Frage: Wieermöglichen wir, nachdem die erste Nothilfe geleistet ist,eine nachhaltige kulturelle Teilhabe für alle Geflüchteten,
und zwar nicht nur für diejenigen, die aktuell zu unskommen, sondern für alle, die viele Jahre oder sogarJahrzehnte bei uns leben? Frau Grütters, hier fehlen mirentsprechende Konzepte und außerdem ausreichendeMittel aus Ihrem Haus . Hier reichen die zur Verfügungstehenden Mittel für die Kulturförderfonds allein nichtaus . Es braucht statt vieler schöner Worte vorausschau-ende Konzepte .
Die von uns geforderte und längst überfällige finanzielleStärkung der Bundesvereinigung Soziokultureller Zen-tren geht zwar in die richtige Richtung . Das ist aber nurein erster, kleiner Schritt .Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Liste der feh-lenden Taten und Antworten ist noch nicht zu Ende . DieStiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung hat bereits seiteinem Jahr keine Direktorin bzw . keinen Direktor mehr .Aus dem Kreis der wissenschaftlichen Berater hagelt esRücktritte . Anfang November erreichte uns die Nach-richt, dass Professor Winfrid Halder nun doch nicht mehrfür diesen Posten zur Verfügung steht .Ich sage Ihnen: Gerade angesichts der aktuellen welt-weiten Krisen und der Flüchtlingssituation – vor allemderjenigen, die nach Europa flüchten – ist es umso wich-tiger, die Stiftung als Chance zu verstehen und die Aktu-alität ihres Themas zu erkennen . Gerade jetzt könnte dieStiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ein wichtigerOrt des Dialogs und der Aufklärung sein .
Dafür darf sie allerdings keine nationale Nabelschau be-treiben, sondern muss Flucht und Vertreibung als univer-selles Phänomen verstehen . Erinnerung kann ein Schlüs-sel zu Empathie sein . Dafür braucht es allerdings eineernstgemeinte konzeptionelle Aufstellung und keine Be-setzungsquerelen, die Ihnen und Ihrem Haus wiederholtaus dem Ruder laufen, Frau Grütters .
Martin Dörmann
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 139 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 25 . November 2015 13645
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Zu TTIP und dem wichtigen Schutz der kulturellenVielfalt nur so viel: Wenn Sie schon zusammen mit Mi-nister Gabriel ein Positionspapier zu TTIP verfassen, dannpacken Sie es nicht mit Versprechungen voll, die nicht un-termauert sind . Wir können erwarten, dass Sie sich mitKommissarin Malmström abstimmen und uns hier keinePlacebos vorsetzen . Hier brauchen wir endlich ein ernst-gemeintes Handeln der gesamten Bundesregierung .
Zu guter Letzt haben Sie das Ende der Taskforce„Schwabinger Kunstfund“ verkündet, Frau Grütters; aberaufgeklärt ist noch längst nicht alles . Nur zwei Gemäldeaus der umstrittenen Kunstsammlung konnten bislangihren rechtmäßigen Besitzerinnen und Besitzern zurück-gegeben werden . In Hunderten Fällen ist die Recherchenoch nicht abgeschlossen . Noch immer liegen der Task-force zahlreiche Ansprüche von möglichen Besitzerinnenund Besitzern vor .Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine verantwor-tungsvolle und vorausschauende Bundeskulturpolitiksieht anders aus . Viel verkünden, aber wenig planen – dasmüssen Sie ändern .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 04 – Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt – in
der Ausschussfassung . Wir stimmen über den Einzel-
plan 04 namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen .
Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Die Plätze
sind besetzt . Ich eröffne die Abstimmung .
Ist ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete im Raum,
der seine bzw . die ihre Stimmkarte noch nicht abgegeben
hat? – Es gibt hier auch Urnen ohne Warteschlange . – Ich
sehe, dass jetzt alle Stimmkarten eingeworfen sind . Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen . Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben .1)
Ich bitte alle Mitglieder des Hauses, der Regierung
und auch die Präsidenten, die Plätze einzunehmen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .10 auf:
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
Drucksachen 18/6105, 18/6124
1) Ergebnis Seite 13646 D
Die Berichterstattung haben die Abgeordneten Doris
Barnett, Alois Karl, Michael Leutert und Dr . Tobias
Lindner .
Zu dem Einzelplan 05 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor sowie ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke, über den wir
am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen wer-
den .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Michael Leutert, Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrter Herr Minister! So viel Geld wie nächstesJahr hat das Auswärtige Amt noch nie zur Verfügung ge-habt – 4,8 Milliarden Euro –, und in den Haushaltsver-handlungen sind noch einmal 400 Millionen Euro oben-drauf gekommen . Ein Grund zur Freude ist das allerdingsnicht, wenn man sich einmal anschaut, wofür das Geldausgegeben wird bzw . ausgegeben werden muss: Fast2 Milliarden Euro fließen in die humanitäre Hilfe, dieKonfliktbewältigung oder in UN-Friedenseinsätze.
Könnten wir dieses Geld für Auslandsschulen, für Part-nerschaftsprogramme oder für das Goethe-Institut ausge-ben, hätten wir einen Anlass zur Freude . So aber nicht .
Aufgrund der vielfältigen Konflikte, mit denen wirkonfrontiert sind, von Afghanistan über Irak, Syrien undLibyen bis Mali, sind wir gezwungen, das Geld in dieseBereiche zu lenken. Seitdem die Konflikte direkt bei unsangenommen sind – zum einen durch die vielen Men-schen, die vor Krieg und Terror flüchten, zum anderendurch die Terroristen, die ihren Terror jetzt auch in dieeuropäischen Städte tragen, und zwar den Terror, vordem diese vielen Menschen, die als Flüchtlinge zu unskommen, geflohen sind –, spätestens seitdem sprechenalle davon, Fluchtursachen zu bekämpfen .Neuerdings gibt es natürlich noch ein paar ganzSchlaue, die der Meinung sind, man könne die Grenzeneinfach dichtmachen, und damit hätte sich das Problemerledigt . Das wird derzeit auch unter dem Deckmantelder Obergrenzen diskutiert . Leute, die so argumentieren,denken, man könnte Deutschland verwalten wie ein Ho-tel: Wir sind überbucht, rufen Sie bitte nächstes Jahr nocheinmal an . – Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ins-besondere liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU,ist Traumtänzerei .
Wer dabei denkt, er könne am rechten Wählerrand fi-schen und der AfD Wähler streitig machen, der irrt sichUlle Schauws
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gewaltig . Sie werden mit dieser Argumentation der AfDdie Wähler in die Arme treiben . Sie helfen den extremRechten damit nur ins Parlament .
Besser wäre es, sich ernsthaft mit den Fluchtursachenzu beschäftigen . Zur Bekämpfung von Fluchtursachenbraucht man nicht immer viel Geld . Viel kann man auchmit Diplomatie erreichen . Eine Möglichkeit besteht zumBeispiel darin, Konflikte zu entschärfen. Nun ist die Ko-alition ja auf die Idee gekommen, dass die Türkei bei derLösung der sogenannten Flüchtlingskrise ein Schlüssel-land sein könnte . Um die Türkei dafür zu gewinnen, hatman ihren EU-Beitritt wieder ins Gespräch gebracht . Umdiesbezüglich voranzukommen, muss allerdings der tür-kisch-kurdische Konflikt gelöst werden. Dieser Konfliktwiederum ist ein Puzzlestück des Dramas, welches sichmit dem IS in Syrien und im Irak abspielt . Solange aberdie Türkei die Kurdinnen und Kurden politisch und mi-litärisch bekämpft, solange die Türkei nicht willens ist,diesen Konflikt friedlich zu lösen, so lange werden wirin der Region eine Situation haben, die dazu führt, dassMenschen von dort fliehen. Das dürfen wir nicht hinneh-men .
Schauen Sie sich bitte einmal die Wahlergebnisseder letzten Parlamentswahlen in der Türkei an . Dort hatdie HDP, also die kurdische Partei, durchgängig 50 bis85 Prozent errungen . Das sind Wahlergebnisse, von de-nen selbst die CSU in Bayern träumt .
Dann schauen Sie sich bitte das Wahlsystem der Türkeian . Dort gibt es eine 10-Prozent-Hürde . Wer weniger als10 Prozent erreicht, sitzt nicht im Parlament . Nun stellenSie sich das einmal auf Deutschland übertragen vor . Wiewäre das, wenn wir hier eine 10-Prozent-Hürde hätten?Dann wäre die CSU nicht mehr im Bundestag vertreten .
Das würde vielleicht kurzfristig einige Probleme lösen,insbesondere die Kanzlerin hätte wieder mehr Freude amTag; aber langfristig wäre dies, glaube ich, nicht vernünf-tig . Ich weiß nicht, wie sich die Bayern fühlen würden,wenn sie nicht im Bundestag vertreten wären,
wenn sie nicht über ihre Schulen, über ihre Universitätenund über die Polizei selber entscheiden dürften, wenn alldas hier in Berlin ohne sie entschieden würde und dannihrem Aufbegehren auch noch mit Polizei, Geheimdienstund Militär begegnet würde . Der gesunde Menschenver-stand sagt uns, dass dies kein sinnvoller Weg wäre .Aus diesem Grund würde ich es für sinnvoll halten,wenn Sie, Herr Außenminister, Vertreter der Türkei unddie Kurdinnen und Kurden nach Deutschland einladen,vielleicht nach Berlin oder nach München, um mit ihnengemeinsam einen friedlichen Ausweg zu finden.
Ganz klar ist: Auch die PKK muss mit am Tisch sitzen .Aber das dürfte derzeit kein Problem sein, nachdem nundie Amerikaner mit dem PKK-Ableger in Syrien militä-risch kooperieren .Das wäre ein konkreter Schritt zur Bekämpfung vonFluchtursachen, der nicht einmal viel Geld kosten würde .Alle anderen derzeit im Zusammenhang mit der Türkeidiskutierten Maßnahmen, zum Beispiel eine gemeinsameGrenzsicherung oder finanzielle Unterstützung der mo-mentanen Struktur in der Türkei, sind keine Beiträge, umFluchtursachen zu bekämpfen .
Dadurch wird das Problem nur verschoben, und zwar zu-lasten der Menschen, die vor Terror und Krieg fliehen.Das lehnen wir ab .Sie können von uns keine Zustimmung zu diesemHaushalt erhalten,
auch wenn Sie viel Geld für humanitäre Hilfe ausge-ben . Entscheidend sind die Konzepte, mit denen Sie dieUrsachen bekämpfen wollen . Mit diesen sind wir nichteinverstanden . Einen Vorschlag, wie es anders gemachtwerden könnte, habe ich Ihnen hier präsentiert .
Vielen Dank . – Bevor ich die nächste Rednerin aufru-fe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung zum Geschäftsbereich der Bundeskanz-lerin und des Bundeskanzleramts bekanntgeben: abge-gebene Stimmen 584 . Mit Ja haben gestimmt 472, mitNein haben gestimmt 112 . Der Einzelplan 04 ist damitangenommen .Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 581;davonja: 469nein: 112enthalten: 0JaCDU/CSUStephan AlbaniPeter AltmaierArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr . Andre BergheggerDr . Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr . Maria BöhmerNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael Leutert
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Michael BrandDr . Reinhard BrandlHelmut BrandtDr . Ralf BrauksiepeHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachDr . Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr . Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Axel E . Fischer
Dr . Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachDr . Astrid FreudensteinDr . Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr . Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersFritz GüntzlerChristian HaaseFlorian HahnDr . Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr . Stefan HeckDr . Matthias HeiderMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeDr . Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannThorsten Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr . Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M . HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferSylvia JörrißenDr . Franz Josef JungAndreas JungXaver JungDr . Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr . Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr . Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr . Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr . Roy KühneGünter LachDr . Karl A . LamersDr . Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerPaul LehriederDr . Katja LeikertDr . Philipp LengsfeldDr . Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr . Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr . Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr . Claudia Lücking-MichelDr . Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr . Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr . Michael MeisterDr . Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr . h .c . Hans MichelbachDr . Mathias MiddelbergDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerVolker MosblechElisabeth MotschmannDr . Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr . Philipp MurmannDr . Andreas NickMichaela NollHelmut NowakJulia ObermeierWilfried OellersFlorian OßnerDr . Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr . Martin PätzoldUlrich PetzoldDr . Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr . Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr . Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr . Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr . Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Ronja SchmittNadine Schön
Dr . Ole SchröderDr . Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr . Klaus-Peter SchulzeUwe SchummerArmin Schuster
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr . Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr . Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert Stegemann
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Peter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeChristian Frhr . von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr . Sabine Sütterlin-WaackDr . Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr . Hans-Peter UhlDr . Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr . Johann WadephulMarco WanderwitzKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr . Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G . WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr . Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr . Katarina BarleyDoris BarnettDr . Matthias BartkeSören BartolBärbel BasLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr . Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr . Daniela De RidderDr . Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr . h .c . Gernot ErlerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr . Fritz FelgentreuElke FernerDr . Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr . Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterIris GleickeAngelika GlöcknerUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr . Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr . Eva HöglMatthias IlgenFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr . Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr . Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr . Birgit Malecha-NissenCaren MarksHilde MattheisDr . Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr . Rolf MützenichDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr . Wilhelm PriesmeierDr . Sascha RaabeDr . Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr . Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixPetra Rode-BosseDennis RohdeDr . Martin RosemannRené RöspelDr . Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelSarah RyglewskiJohann SaathoffAnnette SawadeDr . Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr . Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr . Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr . Frank-Walter SteinmeierKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr . Karin ThissenFranz Thönnes
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Carsten TrägerDirk VöpelGabi WeberDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr . Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesNeinDIE LINKEJan van AkenDr . Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W . BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr . Diether DehmWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr . Andre HahnHeike HänselDr . Rosemarie HeinSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr . Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzCornelia MöhringNiema MovassatNorbert Müller
Dr . Alexander S . NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr . Petra SitteKersten SteinkeDr . Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr . Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerDr . Sahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Agnieszka BruggerEkin DeligözKatharina DrögeHarald EbnerDr . Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr . Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekKatja KeulMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr . Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr . Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinUlle SchauwsDr . Gerhard SchickDr . Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr . Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr . Harald TerpeMarkus TresselDr . Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr . Valerie WilmsAls Nächstes hat für die SPD-Fraktion die KolleginDoris Barnett das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Lieber Kollege Leutert, die Welt ist nun ein-mal nicht so, wie wir sie uns wünschen .
Aber ich denke, wir gehen den richtigen Weg . UnserLand übernimmt Verantwortung . Wir reagieren auf dasWeltgeschehen, das Millionen Menschen zu Flüchtlingenmacht . Natürlich versuchen wir, die Terrorregime vor Ortzu bekämpfen . Aber das alleine reicht nicht; das wissenwir alle . Hunderttausende, ja Millionen Menschen ren-nen um ihr nacktes Leben . Wer hier jetzt Hilfe versagt,der hat nicht nur kein Herz, sondern auch keinen Ver-stand und erst recht kein Geschichtsbewusstsein undkann nur beten, dass er nie in eine solche Lage kommt .Ich möchte zunächst einmal Ihnen, meinen lieben Kol-legen Mitberichterstattern, danken, dass wir es geschaffthaben, dem Auswärtigen Amt mit genügend Geld zu hel-fen, vor Ort wirksam handeln zu können . Ich danke auchunseren Mitarbeitern, die hier mit eine Hauptlast tragenund dafür sorgen, dass wir vernünftig arbeiten können .Ich danke dem Ministerium und vor allem dem Minister,der sich nicht zu schade war, auf Betteltour zu gehen, umdem Flüchtlingshochkommissar und der Welthungerhilfedas Geld zu besorgen, das gebraucht wird, um den aufder Flucht befindlichen Menschen ausreichend Hilfe zugeben, damit sie durch den Winter und ins nächste Jahrkommen .
Mit unserem Haushalt, der immerhin 4,8 MilliardenEuro umfasst, legen wir viel Geld auf den Tisch, um denFlüchtlingen vor Ort nahe ihrer Heimat zu helfen . Umnahezu 400 Millionen Euro werden die Mittel für huma-nitäre Hilfe und Krisenprävention erhöht, also auf insge-samt fast 1 Milliarde Euro . Damit helfen wir sicherlichauch, die Fluchtursachen zu bekämpfen . Wenn wir die
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Menschen vor Ort vernünftig versorgen und ihnen einePerspektive bieten, dann müssen sie sich nicht auf denlangen Marsch nach Norden, nach Europa, begeben, undsie können in der Nähe ihrer Heimat bleiben .Perspektiven bieten auch unsere Bildungseinrich-tungen im Ausland, die wir mit über 40 Millionen Eurozusätzlich ausstatten; die Mittel hierfür halten wir mitinsgesamt rund 863 Millionen Euro auf hohem Ni-veau . Dazu gehören Auslandsschulen, Partnerschulen, Goethe-Institute, der DAAD, Deutsches Archäologi-sches Institut und die AvH . Auch sie leisten humanitäreHilfe, wenn auch in einer etwas anderen Art; denn mitihnen zusammen machen wir Bildung zu unserer Waffeund unserer Gegenwehr . Bildung ist hochgefährlich fürall diejenigen, die ihre Autorität auf der Unwissenheitihrer Anhänger aufbauen wie der IS, Boko Haram undwie sie alle heißen; denn Bildung ist Freiheit, Freiheit imDenken, Freiheit in der Entscheidung zu einem selbstbe-stimmten Leben . An dieser Stelle auch ein Dankeschönan all die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bil-dungseinrichtungen und internationalen Hilfsorganisati-onen, die insbesondere jetzt helfen, den Menschen überdas Lernen, also über Bildung, wieder eine Perspektivezu geben .
Wir – damit meine ich meinen lieben Kollegen AloisKarl und mich – haben uns einmal angesehen, wie dieHilfsgelder, die wir in erheblichem Umfang über unsereUN-Beiträge leisten, ausgegeben werden, und zwar imLager Saatari in Jordanien . Das war schon beachtlich:80 000 Menschen leben dort in einem Camp, das weitaußerhalb von Amman zunächst ohne jede Infrastruk-tur – einfach so auf dem platten Boden – errichtet wordenist . Auch mit Unterstützung der KfW konnten wir dortdie Wasserversorgung gewährleisten . Die Menschen indem Lager haben einen täglichen Bedarf von 3,5 Millio-nen Litern Wasser, und das kommt ja nicht von ungefähr .Wer einmal dort war, der weiß, dass das Leben in diesemCamp nichts mit der Romantik eines Campingurlaubs zutun hat . Es geht dort ums nackte Überleben, wenn auchnahe der Heimat . Es glaube hier bloß keiner, dass die ho-hen Flüchtlingszahlen nicht auch in diesen Ländern eineBelastung für die einheimische Bevölkerung darstellten!Ein Problem in den Lagern ist natürlich – wie hier –: Esgibt keine Arbeitsmöglichkeiten . Auch dort kommt esvor, dass die Menschen gar keine Arbeitserlaubnis ha-ben . Also gehen sie in die Illegalität und bieten sich dannbilliger an als die Einheimischen, die arbeiten . Dort gibtes also ein ähnliches Problem mit dem Mindestlohn wiehier, nur auf einem etwas niedrigeren Niveau .Beschäftigung ist für den Menschen wichtig . Deswe-gen habe ich mich sehr gefreut, dass ich mit dem Be-rufsbildungswerk in Rheinland-Pfalz sprechen konnte .Dort könnte man sich sogar vorstellen, in diese Lager zugehen, um den Menschen in Sachen Bildung und Aus-bildung zu helfen, damit sie etwas haben, was sie nachder Rückkehr in ihre Heimat nutzen können . Allerdingsmüssen wir uns im Klaren sein: Wenn der Krieg in Sy-rien morgen zu Ende wäre – nehmen wir einmal an, erwäre morgen zu Ende –, dann würde es mit Sicherheitnoch sechs bis sieben Jahre dauern, bis die Menschen tat-sächlich von einem Leben zu Hause reden könnten; denndort ist alles zerbombt . Die ganze Infrastruktur ist kaputt .Natürlich müssten auch die Minen aufgeräumt werden –eine, wie wir aus Jugoslawien wissen, sehr gefährlicheAufgabe .In diesen Zeiten liegt das Hauptaugenmerk des Aus-wärtigen Amtes auf den Unruheherden der Welt, den hu-manitären Katastrophen und den daraus resultierendenHerausforderungen . Aber daneben gibt es noch anderewichtige Aufgaben und Krisenherde, die nicht vergessenwerden dürfen, zum Beispiel die Ukraine-Krise . Auchwenn die Waffen in der Ostukraine derzeit schweigen,kann von Normalität nach wie vor nicht die Rede sein .Zurzeit erleben wir wieder, dass sich auf der Krim etwasNeues entwickeln könnte: im Zusammenhang mit demKappen der Stromleitungen, mit der Nichtversorgung derKrim mit Nahrungsmitteln und – im umgekehrten Fall –natürlich auch mit dem Zudrehen des Gashahns; auch dasist nicht gerade ungefährlich . Deshalb unterstützen wirdie Zivilgesellschaft im Kampf gegen Korruption und fürdemokratische Strukturen auch weiterhin mit insgesamt14 Millionen Euro, und das ist gut so . Ich weiß, dass derOffene Kanal in meinem Wahlkreis mit einer Universitätin Kiew zusammenarbeitet, um dort einen Bürgerkanalaufzubauen . Sie hoffen natürlich inständig, dass sie dieArbeit fortsetzen können .Nach dem Mauerfall schien sich die Landschaft hinterdem Eisernen Vorhang in unsere Richtung zu bewegen,weshalb wir nicht mehr das notwendige Augenmerk aufdie Osteuropa-Forschung legten . Das war keine guteIdee, wie sich heute herausstellt; denn sonst hätten wirwahrscheinlich viel früher manche Befindlichkeiten er-kannt, die zu nicht erwarteten Reaktionen führten . Die-sen Umstand werden wir jetzt schnellstens ändern . Wirwerden uns mit dem Osteuropa-Institut wieder eine eige-ne Expertise aufbauen . Die dafür notwendigen institutio-nellen Mittel von 3,6 Millionen Euro stehen bereit .Im kommenden Jahr werden wir den OSZE-Vorsitz in-nehaben, was eine große Herausforderung für unser Landist, da die Erwartungen von Ländern wie Aserbaidschan,Armenien usw . riesig sind, wenn es darum geht, was wirfür sie alles richten sollen . Dafür wurden zunächst einmalMittel in Höhe von 20 Millionen Euro bereitgestellt . Ichhoffe, dass wir damit entsprechende Gespräche, Semina-re und Veranstaltungen durchführen können .In diesem Zusammenhang setzen wir auch zusätzli-che Mittel ein, um dem wiedererstarkten Antisemitismusim OSZE-Raum zu begegnen . Zusammen mit ODIHRwollen wir mit dem Auswärtigen Amt im OSZE-Jahr einProgramm mit dem Titel „Taten statt Worte“ beginnen,das seine Arbeit aber nicht auf den Antisemitismus be-schränken sollte, sondern wegen der aktuellen Lage auchIslamophobie und christenfeindliches Verhalten untersu-chen und entsprechende Bildungsveranstaltungen anbie-ten sollte . Dafür stellen wir im kommenden Jahr 2 Milli-onen Euro bereit .In enger Abstimmung mit dem Bundesverteidigungs-ministerium unterstützt das Auswärtige Amt Friedens-missionen der Technischen Beratergruppe der Bundes-Doris Barnett
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wehr . Wir Berichterstatter für diesen Einzelplan konntenuns vor Ort überzeugen, was mit den Materialien, diedas Auswärtige Amt finanziert, passiert. Bei der Ausstat-tungshilfe geht es um Ausbildung, um dringend benötigteFähigkeiten und um Ausrüstung für Peacekeeping-Mis-sionen und humanitäre Hilfseinsätze . Dieses Programmwird das Auswärtige Amt zusammen mit dem Bundes-innenministerium um ein polizeiliches Ausbildungs- undAusstattungshilfeprogramm erweitern . Aber auch in De-mokratisierungs- und Menschenrechtsprojekte könnenwir im kommenden Jahr mehr investieren . Für all dasstehen jetzt zusätzliche 6 Millionen Euro bereit .Der Schutz von Menschen und Menschenrechten ziehtsich wie ein roter Faden durch den Einzelplan 05 . Dazugehören für mich neben dem reinen Überleben auch Bil-dung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit . Gerade dieDemokratisierungshilfe hat für das Auswärtige Amt einegroße Bedeutung . Ein wichtiges Instrument dieser Hil-fe ist die Wahlhilfe, also Materialhilfe, Wählerbildung,Ausbildung von Wahlhelfern usw . Daneben gewinntauch die Wahlbeobachtung, also die Entsendung vonWahlbeobachtern in internationale Wahlbeobachtungs-missionen, zunehmend an Bedeutung. Hier qualifiziertesFachpersonal zu finden und zu schulen, es in die Einsät-ze zu schicken und Analysen zu fertigen, ist die Aufgabedes Zentrums für Internationale Friedenseinsätze – kurzZIF genannt –, das wir mit jetzt 10 Millionen Euro soausstatten, dass es die wachsenden Anforderungen aucherfüllen kann .Dank unserer guten Haushaltslage, der stabilen Wirt-schaft in unserem Land und der guten Zahlungsmoralseiner Bürger, die ihren Beitrag zugegebenermaßen nichtimmer freiwillig leisten, können wir es uns erlauben,viele wichtige große und auch kleine Projekte besser zufördern und sie entsprechend finanziell zu unterstützen,wie zum Beispiel das deutschsprachige Schulwesen inRumänien, wofür wir die Mittel jetzt auf 1 Million Euroaufstocken . Dort wird hervorragende Arbeit geleistet .Deutsch sprechende Schüler arbeiten bei unseren Unter-nehmen vor Ort, also in Rumänien . Sie machen dort eineBerufsausbildung und sichern damit Arbeit und Einkom-men . Das ist eine der berühmten Win-win-Situationen,bei denen der rumänische Staat, die deutschen Unterneh-men, aber auch die Menschen vor Ort viel zu gewinnenhaben . Dass nebenbei die deutsche Sprache weiter ge-pflegt wird, ist auch nicht ganz unbeabsichtigt.
Das Auswärtige Amt hat neben den vielen Projekten,die es unterstützt, auch noch die Aufgabe, unser Land inder Welt zu vertreten . Dazu braucht es motivierte Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter . Ich bin froh, dass wir hiereinen großen Schatz haben, der für unser gutes Ansehenin der Welt sorgt . Dass unsere Leute gegen Gefahren zuschützen sind, versteht sich eigentlich von selbst . Aberwir brauchen die notwendigen Mittel, um die Botschaf-ten zu sichern und ihnen eine vernünftige IT-Struktur zurVerfügung zu stellen . Auch dafür haben wir Geld be-reitgestellt . So ausgestattet, werden wir weiterhin unserLand in der Welt nicht nur gut vertreten wissen, sondernwir tun auch sehr viel, um der Welt zu helfen, sie etwasbesser zu machen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat der Kollege Omid
Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! ErlaubenSie mir, mit dem aktuellen Vorfall an der türkisch-syri-schen Grenze zu beginnen . Die Rhetorik sowohl aus An-kara als auch aus Moskau nach diesem tragischen Vor-fall ist sehr erschreckend . Es ist richtig – ich glaube, daspreche ich in unser aller Namen –, an die Besonnenheitbeider Seiten zu appellieren . Das Letzte, was nicht nurSyrien und die gesamte Region, sondern auch die Weltzurzeit braucht, ist eine internationale Eskalation desKonfliktes in Syrien.
Ich bin sehr dankbar, dass der Herr Außenminister dasgestern so klar ausgesprochen hat . Vielleicht kann mananbieten, bei der Aufklärung zu helfen, um zu einer ge-meinsamen Aufklärung zu kommen und dazu, dass dietechnischen Daten so ausgewertet werden, wie sie sindund nicht wie es der jeweilige politische Wille der beidenHauptstädte in lauten und schrillen Tönen vorgibt . Wenndie Meldungen, die ich gerade gelesen habe, stimmen,dass in diesem Augenblick die türkische Botschaft inMoskau von Demonstranten angegriffen wird und dortScheiben eingeworfen werden, dann kann man nur Angsthaben und hoffen, dass sich dieses Vorgehen nicht in An-kara wiederholt .Zu diesem Aufruf zur Besonnenheit gehört aber nicht,dass gestern ein Sprecher des Pentagons sehr früh sagte:Die türkische Version ist richtig . – Präsident Obama hatdiese Aussage gestern Abend noch relativiert . Genausowenig darf es aber sein, dass ein deutscher Vizekanzlersagt: Man muss das verstehen . Es gibt nun einmal ei-nen unkalkulierbaren Spieler in der Region . Das ist dieTürkei, die Russen sind es nicht . – Das ist nicht nur inder Sache falsch, sondern das ist zum jetzigen Zeitpunktdie falsche Positionierung . Man muss versuchen, zu ver-mitteln, und darf nicht mit Schuldzuweisungen arbeiten,wie es Herr Gabriel gemacht hat . Das ist kein Beitrag zurDeeskalation der Situation .
Meine Damen und Herren, diese Regierung ist ange-treten, um mehr Verantwortung in der Welt zu überneh-men; das haben wir immer begrüßt . Mehr Verantwortunghieße auch, frühzeitiger, substanzieller und entschiedenereinzugreifen und eine entsprechende Politik zu betreiben .Wenn man sich einmal die Krisen in der Welt anschaut,Doris Barnett
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dann sieht man nirgendwo so deutlich wie in Syrien: IhrHandeln ist nicht frühzeitig, sondern reaktiv, nicht sub-stanziell, sondern kurzsichtig, nicht entschieden, sondernteilweise opportunistisch .Es ist zu begrüßen, dass im vorliegenden Haushaltmehr Geld für die Hilfsorganisationen ausgegeben wer-den soll, die in den Lagern um Syrien herum tätig sind .Das ist sehr gut und freut uns ungemein . Es war immereine Schande, zu erleben, dass das Welternährungspro-gramm bereits im Sommer ankündigte, Ende des Jahresdie Essensrationen für Kinder kürzen zu müssen, was sieauch jedes Jahr machen mussten, weil ihnen das Geldausgegangen ist . Es ist gut, dass hier ein bisschen Ab-hilfe geschaffen werden soll . Aber wenn man sich an-schaut, mit welchem Engagement wir uns alle um Syri-en bemühen, dann stellt sich, ehrlich gesagt, erstens dieFrage: Wo war eigentlich die deutsche Außenpolitik inden letzten fünf Jahren? Zweitens stellt sich die Frage,wie man den Menschen, die von dort geflohen sind, unterdie Augen treten will, wenn man ihnen sagt: Nicht die250 000 Toten, nicht die Ruinen eurer Städte und nichtdie Fassbomben sind der Grund, warum wir uns jetzt umSyrien kümmern, sondern ISIS und die vielen Tausendsehr erschöpften Flüchtlinge, die zu uns nach Deutsch-land kommen . – Das ist reaktiv und bedeutet ganz sichernicht, sich frühzeitig um einen Konflikt zu kümmern.Auch was in Wien passiert, ist kurzsichtig . In Wiensind endlich die beiden Player zusammengekommen, diean einen Tisch gehören, die Iraner und die Saudis; dasbegrüßen wir . Ich weiß, dass der deutsche Außenministersehr viel dafür getan hat . Dafür sind wir sehr dankbar .Bei diesen Verhandlungen sitzt Assad faktisch mit amTisch, und zwar über die Russen und die Iraner . Die an-dere Seite aber, die Opposition, sitzt nicht mit am Tisch .
In Gesprächen mit Oppositionellen muss man feststellen,dass sie sich mehr oder minder verraten fühlen . Die zen-trale Frage ist, was es mit den Menschen macht, derenFamilien von Assad umgebracht worden sind, wenn ih-nen jetzt gesagt wird: Es tut uns leid, wir wollten Assadnicht an der Regierung lassen . Aber jetzt müssen wir unsmit ihm fraternisieren, weil wir zusammen ISIS bekämp-fen wollen .Herr Außenminister, Sie haben gesagt, alle Kräfte inSyrien sollten sich zusammentun, um gegen Assad zukämpfen . Dieser Rat ist vielleicht gut gemeint . Aber esist eine vollkommen falsche Wahrnehmung der Situati-on in Syrien und treibt am Ende des Tages diejenigen,die gegen Assad auf die Straße gegangen sind und derenKinder nach drei Wochen Gefangenschaft ohne Finger-nägel nach Hause gekommen sind, in die falschen Arme,im schlechtesten Falle in die Arme von ISIS .Wenn man sich wirklich um ISIS kümmern will, mussman sehen, dass ISIS im Kern eindeutig eine irakischeOrganisation ist . Es gibt im Irak eine Regierung, die seitJahren darum fleht, dass man ihr politisch hilft, damit siedie Reintegration der Sunniten hinbekommen kann . Dortgibt es jetzt eine Staatlichkeit, und es gibt eine klare Frontgegen ISIS . Ich glaube, dass Irak die zentrale Baustellezu sein hat . Das muss man aber aussprechen . Und manmuss auch bereit sein, etwas zu tun . Die Amerikaner sindnicht diejenigen, die jetzt im Irak noch etwas tun können,weil ihre Glaubwürdigkeit maßgeblich zerstört ist .Ich komme zu Afghanistan . Wir reden jetzt – auch we-gen der Zahl der Flüchtlinge, die gestiegen ist – wiederüber Afghanistan . Es ist schon bedauerlich, dass wir we-gen der Blockade in der politischen Landschaft, die seit14 Monaten besteht, jetzt dort nicht mehr tun . Ich kannnur darum bitten, dass, wenn Präsident Ghani nächsteWoche in Berlin sein wird, klare Worte gesprochen wer-den . Wir erwarten, dass die beiden führenden Personen inder Regierung endlich anfangen, miteinander zu arbeiten .Es kann doch nicht sein, dass das Land 16 Monate nachder Wahl nicht einmal einen Verteidigungsminister hat .
Kollege Nouripour, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Hänsel?
Ja .
Danke schön, Frau Präsidentin . – Herr Kollege
Nouripour, ich möchte noch einmal nachfragen . Sie ha-
ben gerade so ein bisschen verklausuliert gesagt, Assad
sitze indirekt am Tisch, die Opposition aber nicht . Was
ist denn jetzt eigentlich die Position der Grünen, um in
Syrien zu einer politischen Lösung zu kommen? Jahre-
lang haben die Grünen gesagt: Mit Assad gibt es keine
Lösung . Alle anderen Gruppen sollen unterstützt wer-
den . – Jetzt sehen wir aber, dass es zu einer Katastrophe
gekommen ist . Dieses Land ist weitgehend zerstört . Also
muss man doch zu einer politischen Lösung kommen . Es
gibt aber auch andere Stimmen dazu . Tom Koenigs hat
zum Beispiel gesagt, man dürfe sich nicht von der Oppo-
sition erpressen lassen, was dazu führen würde, dass es
gar keine Verhandlungen an einem Tisch gäbe . Deshalb
möchte ich jetzt gerne einmal wissen: Was ist die Positi-
on der Grünen?
Wenn man versucht, alle an den Verhandlungstisch zu
bekommen, während sich die Opposition weigert, dann
können Sie doch nicht so hin und her manövrieren . Sind
Sie dafür, dass man unter Einbeziehung aller – auch von
Assad – verhandelt, um eine Lösung zu finden? Ist es
denn nicht das vorrangige Ziel, diesen Krieg endlich zu
beenden?
Frau Kollegin, herzlichen Dank, dass Sie mir mehrRedezeit geschenkt haben . Die Frage ist sehr komplex .Ich wusste gar nicht, dass ich so viel Redezeit bekommenwürde . Ich will sie gerne nutzen .Selbstverständlich müssen alle – das ist überhauptkeine Frage – einbezogen werden . Wenn darüber gespro-chen wurde, ob man mit Assad reden solle oder nicht,dann handelte es sich immer um eine rhetorische Figur .Omid Nouripour
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Natürlich ist mit Assad in Genf gesprochen worden . BeiGenf I und Genf II saß sein Außenminister mit am Tisch .Jetzt sitzt er mit am Tisch,
die anderen aber nicht .Wenn wir beide uns einig sind, dass alle mit am Tischsitzen müssen, muss man darüber nachdenken, welcheFormate entwickelt werden müssen, innerhalb derer dasauch passieren kann . Was passiert in Wien? Noch einmal:Es ist richtig, dass man die Saudis und die Iraner an einenTisch bekommen hat . Wir sind dafür sehr dankbar . Jetztpassiert in Wien aber Folgendes: Die einen sitzen de fac-to mit am Tisch, die anderen aber nicht .
Jetzt ist die zentrale Frage, wie man Wege, Möglichkei-ten, Foren und Plattformen schafft, mit denen man alletatsächlich an den Tisch bringt .Was ich hier sage, geht darüber aber hinaus . Selbstver-ständlich wird es so sein, dass man mit Assad redet . Manmuss auch mit ihm reden . Das passiert durchgehend –und nicht erst seit Wien . Selbstverständlich ist es so, dassauch er und seine Leute Teil einer Übergangsregierungsein müssen, die im Übrigen in Wien in den Abschluss-dokumenten nicht mehr erwähnt wird . Darin steht nichtmehr „Government“, sondern „Governance“ . Das kannauch nur Assad alleine sein . Das ist es, was die Oppositi-on so verstört . Das verstehe ich .Im Übrigen ist jetzt auch herausgestrichen worden,dass man nach einer Wahl möglicherweise noch daran ar-beiten soll, Menschen, die Verbrechen begangen haben,tatsächlich zur Rechenschaft zu ziehen . Auch das stehtnicht mehr in den Dokumenten. Das muss man, finde ich,auch gemeinsam kritisieren .Am Ende des Tages aber wird es so sein, dass, wennAssad weiterhin Präsident des Landes sein wird, er auchweiterhin die Symbolfigur für die Ruinen der Städte, dieErmordung der Kinder in diesem Land, die Fassbombenund den Einsatz von Chemiewaffen sein wird . Von da-her ist es nicht wirklich möglich, der großen Mehrheit imLande – nämlich der sunnitischen Bevölkerung, die sounglaublich hart unterdrückt worden ist – klarzumachen,dass es zu einer nationalen Aussöhnung kommen kann .Ich glaube, dass die Wiener Gespräche richtig undnotwendig sind . Man darf aber Folgendes nicht ma-chen: Man darf nicht durch kurzfristige Lösungen heutedie langfristige Lösung, die ohne nationale Aussöhnungnicht möglich sein wird, verschenken oder zerstören . Dasist das, wovor ich zurzeit Angst habe .
Ihre Restredezeit hat sich jetzt aber nicht entsprechend
verlängert, Herr Nouripour .
Davon ging ich aus, Frau Präsidentin . Herzlichen
Dank .
Ich will noch zwei letzte Punkte ansprechen . Das eine
ist: Es kann nicht sein, dass wir aus Gründen, die erst ein-
mal naheliegend erscheinen, sagen: „Wir wollen unbe-
dingt Stabilität“, wobei wir Stabilität nach der Definition
aus der Zeit vor dem Arabischen Frühling buchstabieren,
dass aber dann dem ägyptischen Präsidenten el-Sisi der
rote Teppich ausgerollt wird . Das ist ein Riesenskandal .
Es geht um ein Land, in dem die politischen Stiftungen
nicht mehr arbeiten dürfen . Stattdessen werden ihre Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter zu Haftstrafen verurteilt .
Das geht niemandem in den Kopf .
Das Zweite ist: Wir müssen höllisch aufpassen, ob wir
uns die richtigen Partner auswählen . Es gibt viele Grün-
de, warum man gegen eine strategische Partnerschaft mit
Saudi-Arabien sein sollte,
unter anderem die Finanzierung der Salafisten in unseren
Fußgängerzonen, die unsere Kinder verführen, um am
Ende bei ISIS zu landen .
Zentral ist aber, dass man wenigstens dann laut die Stim-
me erhebt, wenn Saudi-Arabien, wie es seit März die-
ses Jahres der Fall ist, Jemen in die Steinzeit bombt, in
einem unfassbaren Krieg, wie ihn die Menschheit noch
nicht gesehen hat .
Ich bitte darum, dass wenigstens einmal klar die Stimme
erhoben und benannt wird, was dort passiert .
Dort passieren Tag für Tag Kriegsverbrechen, und das
muss man deutlich sagen .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion ist der Kollege Alois Karl .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bun-destages! Ich bin der Kollegin von der Linken dankbar,dass sie nicht noch eine Nachfrage gestellt hat, HerrNouripour . Wir hätten wahrscheinlich heute Abend dieTagesthemen versäumt, so lange wie Sie durchaus nochhätten antworten können .
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Ich möchte einen herzlichen Dank an den Anfang mei-ner Rede stellen, und zwar an Sie, Herr AußenministerSteinmeier, an Frau Professorin Böhmer, Herrn Staats-minister Roth, Herrn Staatssekretär Steinlein, Herrn Kindsgrab und all die guten Leute, mit denen wir in denletzten Monaten so tüchtig zusammengearbeitet haben,um an diesem Schnittpunkt der deutschen Haushaltspo-litik und Außenpolitik gute Ergebnisse zu erzielen . DieKollegen sind schon aufgezählt worden: Frau Barnett,Herr Leutert und Herr Dr . Lindner . Wir haben, glaubeich, wie die Bürstenbinder gefeilscht und sind nach dreiMonaten zu guten Ergebnissen gekommen . Man könntedas unter der Überschrift „Ende gut, alles gut“ zusam-menfassen . In der Tat: Die Haushaltszahlen sind gut .Während der Bundeshaushalt insgesamt um 10 Milli-arden Euro erhöht worden ist, und zwar von 306,9 Milli-arden auf 316,9 Milliarden Euro und damit um 3,2 Pro-zent, erfährt der Haushalt des Bundesaußenministers eineganz andere Steigung, nämlich um 26,5 Prozent . LieberHerr Steinmeier, das ist die höchste Steigerung aller Ein-zeletats im Bundeshaushalt und auch die höchste Sum-me, die der Außenminister jemals zur Verfügung hatte .Mit diesem Pfunde werden wir wuchern müssen, wie esin der Bibel heißt . Gegenüber dem ersten Entwurf derRegierung sind das 410 Millionen Euro zusätzlich .In der letzten Nachtsitzung, nach der 15 . Verhand-lungsstunde – Sie erinnern sich sicher, liebe DorisBarnett –, haben die anderen offensichtlich schon Kon-ditionsschwierigkeiten bekommen . Wir waren noch hell-wach und haben noch 46 Millionen Euro zusätzlich fürden Bundesaußenminister herausgehandelt .
Ich danke all denen, die mitgewirkt haben . Der Bun-desaußenminister hat zwar nicht das Lied von DietrichBonhoeffer angestimmt und „Von guten Mächten wun-derbar geborgen“ gesungen
– ich habe versucht, es anzustimmen –, trotzdem sindmanche seiner Wünsche erfüllt worden .Insbesondere für die Auswärtige Kultur- und Bil-dungsarbeit und für unsere deutschen Schulen im Aus-land konnten wir viel erreichen . Herzlichen Dank in die-sem Zusammenhang auch den jeweiligen Vorsitzendenunseres Unterausschusses für Auswärtige Kultur- undBildungsarbeit, lieber Bernd Fabritius und deinem Vor-gänger Peter Gauweiler – beide von der CSU; wie solltees anders sein –, dass ihr euch in ganz besonderer Weiseweltweit für die Kultur einsetzt .
– Sie sind auch Bayerin, also eigentlich Schwäbin, aberdas gilt gerade noch; eine rote Grüne . – Wir setzen unsin der Tat für die deutschen Schulen in besonderer Weiseein, weil wir wissen, dass dies hohe Renditen erbringt .Wenn wir uns im kulturellen Bereich auf diese Art undWeise nobel darstellen können, dann ernten wir viel Re-nommee, das sich sicherlich nicht immer in Soll und Ha-ben ausdrücken lässt .
Herr Kollege Karl, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Dehm?
Dehm? – Ja . Sie habe ich schon vermisst, Herr Dehm .
Schön, dass Sie da sind .
Bitte schön, Herr Dehm .
Es wird Sie sicherlich verwundern, aber Herbert Wehner hat einst gesagt: „Ihr Lob trifft mich in kei-ner Weise .“ Dem Dank an Herrn Fabritius und HerrnDr . Gauweiler schließe ich mich in dem von Ihnen ge-nannten Zusammenhang ausdrücklich an .Ich möchte Ihnen eine Frage zu den GepflogenheitenIhrer Fraktion im Auswärtigen Ausschuss stellen . Ichbin stellvertretender Vorsitzender des Unterausschusses„Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“, den Sie ge-rade angesprochen haben . Wir haben dort – das ist nichtüblich – zu allen Anträgen von der Koalition aus CDU/CSU und SPD – teilweise sind die Grünen beigetreten –einstimmige Beschlüsse . Dann haben wir im Unteraus-schuss erwogen, dass diese einstimmig beschlossenenAnträge auch von der Linken mitgetragen werden sollen,weil es um mehr Kultur in der Auswärtigen Kultur- undBildungspolitik geht . Dann kommt par ordre du muftiaus Ihrer Fraktionsspitze der Hinweis: Mit den Linkenmacht man keine gemeinsamen Anträge!
– Ich würde gern sehen, wer gerade Beifall geklatschthat . Das war aber nur vereinzelt .Das führte zu der grotesken Situation, dass wir imUnterausschuss über sämtliche wortgetreuen und inhalts-gleichen Anträge aller Fraktionen – in diesem Fall auchder Linken – einstimmig beschlossen haben . Das hat Siewiederum dazu bewogen, alle Anträge, die die Linke ein-gebracht hat, im Auswärtigen Ausschuss auszusondernund abzulehnen .Nun lautet meine Frage an Sie: Wann hat diese Grotes-ke, sich gemeinsam in diesem Haus für Kultur einzuset-zen – das haben Sie zu Recht gelobt, und ich habe Ihnendarin beigepflichtet –, ohne die Linke einzubeziehen, einEnde, und wann versuchen wir endlich, mit gemeinsa-men Kräften die Kultur zu stärken und gemeinsame An-Alois Karl
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träge, selbst diejenigen, die die Linke gestellt hat, hier imHohen Hause einzubringen?
Lieber Herr Dehm, das kann ich Ihnen genau sagen .
Herr Dehm, Sie sind jetzt nicht mehr dran . Das Wort
hat jetzt Herr Karl .
Jetzt muss er aufpassen . – Herr Dehm, es gibt ent-sprechende Beschlüsse von der Fraktionsführung vomAnfang der Legislaturperiode . Ich glaube, dass sich dieDinge in der nächsten Legislaturperiode
– Sie werden das noch erleben, sofern Sie diesem HohenHause dann wieder angehören – möglicherweise verän-dern können . Bis dahin ist für Sie Langmut angesagt . Siewerden hinnehmen müssen, dass die CDU/CSU und dieanderen Fraktionen mit der Linken keine gemeinsamenAnträge stellen .
Herr Dehm, darf ich noch eine persönliche Bemer-kung machen, da ich Sie gerade sehe und fast vermissthabe?
Ich habe neulich einen Film im Fernsehen gesehen, indem ein ausgesprochen unsympathischer Schauspielervorkam . Er hat Ihnen sehr ähnlich gesehen .
Aber zu meinem Erschrecken habe ich hinterher fest-stellen müssen, dass er Karl hieß . Die Physiognomie desSchauspielers entsprach jedenfalls Ihrer . Das hat michdurchaus etwas aus der Bahn geworfen . – Ich glaube, ichhabe Ihre Frage hinreichend beantwortet .Kommen wir zurück auf die deutsche AuswärtigeKultur- und Bildungspolitik . Unsere mehr als 1 500 Part-nerschaften auf der Welt und unsere 140 Auslandsschu-len sind außerordentlich gute Botschafter . Diese sindim Rahmen des erwähnten Nachschlags mit mehr als20 Millionen Euro zusätzlich gut weggekommen, sodasssie in der Lage sind, die deutschen Interessen so gut wiefrüher wahrzunehmen .Wir freuen uns, dass wir die deutsche Sprache inRumänien zusätzlich fördern und in Amerika den Ger-man Marshall Fund mit 2 Millionen Euro unterstützenkönnen . Das ist ein Fonds, der auf Initiative von WillyBrandt in Erinnerung an den Marshallplan, der Ende der40er-Jahre Deutschland unendlich viel geholfen hat, ein-gerichtet worden ist .Wir danken herzlich, dass wir den Vorschlag – ichglaube, er kam von Ihnen, Herr Steinmeier – aufgreifenkonnten, das Institut für Osteuropaforschung einzurich-ten . Fast über Jahrzehnte hinweg haben wir uns keineeigene Osteuropaexpertise leisten können, weil uns dieFachleute nicht unterstützungswürdig erschienen . Jetztwerden wir ein eigenes Institut aufbauen und es mit2,5 Millionen Euro im Jahr ausstatten .Wir danken gemeinsam auch ganz herzlich den Mitt-lern unseres Kulturguts im Ausland, dem Goethe-Institutmit Herrn Professor Lehmann, der vorgestern als Prä-sident wiedergewählt worden ist, dem DAAD und derHumboldt-Stiftung für die segensreiche Arbeit, die wirmit etwa 440 Millionen Euro unterstützen .Erst gestern gab es im Auswärtigen Amt eine Veran-staltung mit dem DAAD . Es waren 271 Stipendiaten ausSyrien zu dem Thema „Keine verlorene Generation inSyrien“ eingeladen . Herr Steinmeier und ich waren dieeinzigen anwesenden Abgeordneten, aber damit warendie wichtigsten da, möchte ich fast sagen .
Die Veranstaltung hätte es verdient gehabt, dass vielevon unseren Kollegen dabei gewesen wären . Dann hättensie gesehen, mit welchem Eifer und mit welchem Einsatzjunge Syrer die Chance in Deutschland wahrnehmen,Stipendien zu bekommen, sich zu bilden und hoffentlichspäter in ihren Heimatländern ihre Kenntnisse anzuwen-den .Der Wert der deutschen Außenpolitik ist gestiegen .Wir haben eine größere Verantwortung in der Welt . Dasist gar keine Frage . Wenn die Außenpolitik Hochkon-junktur hat, dann bedeutet das zunächst einmal nichtsGutes . Das ist ein Ausspruch von Ihnen, Herr Steinmeier .Warum bedeutet das nichts Gutes? Weil es viele Konflik-te in der Welt gibt, mit denen wir uns befassen müssen .Tatsächlich hat die Außenpolitik in Deutschlandüber Jahre hinweg ein Nischendasein gefristet, aber dashat sich jetzt doch geändert . Wir sehen, dass der Russ-land-Ukraine-Konflikt durch das auch vom deutschenAußenminister vermittelte Minsker Abkommen ent-schärft worden ist . Wir sehen, dass die deutsche Außen-politik in den Verhandlungen zwischen den Westmäch-ten, Russland und dem Iran beteiligt war . Und wir sehen,dass die deutsche Außenpolitik an dem Prozess in Wienbeteiligt ist, an dem alle maßgeblichen Player mitwirken,um den Konflikt in Syrien zu befrieden. All das ist eineAuszeichnung für die deutsche Außenpolitik . Ich glaube,dass es uns wert ist, diese Außenpolitik mit den hohenSummen auszustatten .
Dr. Diether Dehm
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Über die Flüchtlingspolitik ist heute schon sehr vielgesprochen worden . Ich möchte es deshalb sehr kurz ma-chen . Mir scheint es allerdings schon so zu sein, dass dieSolidarität in Europa, die auch die Frau Bundeskanzlerinheute angesprochen hat, nicht ausreicht, um die Flücht-lingsfrage zu lösen . Sie ist für die Verteilung der Flücht-linge wichtig, aber zuerst kommen für uns die Bemühun-gen, die Konflikte vor Ort zu lösen, damit sich nicht soviele auf die Flucht machen müssen .Viele europäische Länder und Völker scheinen überden Schritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaftnicht hinausgekommen zu sein . Wir haben die Europäi-sche Gemeinschaft vor fast 60 Jahren als Wirtschaftsge-meinschaft gegründet . Heute sind wir eine Wertegemein-schaft . Diesen Schritt hin zu einer Wertegemeinschaft,der auch beinhaltet, dass man in schwierigen Zeiten Las-ten zu tragen hat, haben viele Länder noch nicht getan .Großbritannien, Polen, Ungarn oder auch die Tschechi-sche Republik seien nur wenige Beispiele dafür .Die kurzfristigen Lösungen, die wir jetzt anbieten,müssen um langfristige Lösungen ergänzt werden . Ichbin vor wenigen Wochen mit Frau Barnett zusammenin der Bekaa-Ebene im Libanon gewesen. Dort findetman eine unübersehbare Anzahl von Flüchtlingslagern .Wir waren in Jordanien im Lager Saatari, das mit 80 000Flüchtlingen das zweitgrößte Lager der Welt ist . Es istunendlich bedrückend, das Elend dort zu sehen, welcheseine sofortige Hilfe notwendig macht .Sie wissen, dass aus Syrien 6 Millionen Menschen insAusland geflohen sind. 6 Millionen Syrer sind Binnen-flüchtlinge. Die größte Last an syrischen Auslandsflücht-lingen tragen augenblicklich die Türkei mit mehr als2 Millionen Flüchtlingen und der Libanon, der 4 Millio-nen Einwohner hat, mit augenblicklich 1 Million Flücht-lingen .Wir haben bemerkt, dass die Flüchtlingslager eigent-lich gut organisiert sind. Eine sechsköpfige Familie be-kommt pro Monat einen Wertgutschein von 180 Dollar .Das entspricht pro Kopf am Tag 1 Dollar . Davon kannman gerade so überleben . Die Gemeinschaft der Geberhat ihre Beiträge in den Sommermonaten dramatisch re-duziert . Viele mussten von nur noch 50 Cent am Tag le-ben . Gnade uns Gott, wenn sich auch all die noch auf denWeg machen, um nach Deutschland zu kommen .Man wird 75 Millionen Euro brauchen, bloß um überden Winter zu kommen . Die humanitäre Hilfe ist für unsin der Tat – man kann es nicht anders sagen – eine Hilfe,die man einfach gewähren muss . Wir werden für die hu-manitäre Hilfe in Syrien, im Libanon, in Jordanien vielGeld ausgeben müssen . Wenn wir dieses viele Geld nichtausgeben, dann werden wir in Deutschland für dieselbenMenschen viel mehr Geld ausgeben müssen . Man sprichtvon einem Verhältnis von 1 : 27 . 1 Dollar, den wir fürhumanitäre Hilfe dort ausgeben, müssten wir mit 27 mul-tiplizieren, um die Höhe der Mittel für die humanitäreHilfe bei uns in Deutschland zu ermitteln .
Denken Sie bitte an die Zeit, Herr Kollege Karl .
Ich habe Ihr Signal gesehen, aber Herr Dehm hat mich
aus der Fassung gebracht .
Die Beantwortung seiner Zwischenfrage wurde auf
Ihre Redezeit nicht angerechnet . Sie hatten genügend
Redezeit .
Wir geben unendlich viel Geld für die humanitäre Hil-
fe aus . Zusammen mit den Mitteln für die Krisenpräven-
tion ist dies etwa 1 Milliarde Euro . Das ist das Fünffache
von dem, was im Haushalt 2012 veranschlagt war . Wir
machen viel . Wir hoffen, unsere Arbeit zu leisten . Wir
bieten weiterhin gute Zusammenarbeit an . Lieber Herr
Bundesaußenminister, wir sind sicher, dass wir auch in
den nächsten zwölf Monaten eine gute deutsche Außen-
politik machen, die auch gut finanziert ist.
Vielen herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die Bundesregierung hat jetzt Bun-desminister Dr . Frank-Walter Steinmeier das Wort .
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister desAuswärtigen:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sie haben es mitbekommen: Ich bin am Montag von ei-ner mehrtägigen Reise aus Ostafrika zurückgekommen .Zu lesen war auch, dass der eine oder andere gefragt hat:Darf man in diesen Zeiten, darf man während der Sy-rien-Krise, der Irak-Krise, der Ukraine-Krise, währendder Bedrohung durch terroristische Anschläge eigentlichnach Afrika fliegen? Meine Antwort ist ein klares Ja. Ichfinde, das kann und das muss der Außenminister in die-sen Tagen sogar .
Mein Verdacht ist, dass viele Probleme, die wir mitunserer südlichen Nachbarschaft, mit unserer Nachbar-schaft zu Afrika haben, daher rühren, dass wir in den letz-ten Jahren und Jahrzehnten zu oft nach Gründen gesuchthaben, warum wir nicht nach Afrika fliegen. Vieles, dasin Europa geschah, schien drängender zu sein als das,was sich in unserer südlichen Nachbarschaft ereignet hat .Eigentlich ist uns doch klar, dass die Zeit der Krisenweit weg von uns lange vorbei ist, dass auch die schein-bar fernen Krisen jedenfalls uns in Europa sehr nahe-gekommen sind, und das eben nicht nur in Gestalt vonFlüchtlingen . Deshalb muss Außenpolitik helfen – wieeben in Mosambik und Uganda, wo ich unterwegs war –,Frieden zu konsolidieren, Perspektiven für die Menschenin ihren Heimatländern zu entwickeln oder eben auch,Alois Karl
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was mir ganz wichtig war, regionale Kooperationen zufördern, wie wir es gerade mit den Staaten Ostafrikastun, damit sie in Zukunft endlich einmal in der Lage seinwerden, mit Krisen, die ja beherrschbar erscheinen, zumBeispiel die in Burundi, vor Ort fertigzuwerden .Daran, dass ich das an den Anfang meiner Rede stelle,merken Sie: Dies ist ausdrücklich kein Nebenaspekt vonAußenpolitik . Genau deshalb begrüße ich den vorliegen-den Haushaltsentwurf . Denn dieser Haushaltsentwurf,das Budget, das uns zur Verfügung stehen wird, stärktden Instrumentenkasten der Außenpolitik insgesamt,von der akuten humanitären Nothilfe bis hin zur zivilenKrisenprävention und zur Auswärtigen Kultur- und Bil-dungspolitik . Dass wir das über die Wochen und Monateso im Einverständnis miteinander verhandeln konnten,mit dem Blick sowohl auf die akuten Krisen, über diezu reden ist, wie auch mit dem Blick auf die Krisenvor-beugung von morgen, dafür gilt diesem Hohen Hauseund den Vertretern des Haushaltsausschusses vorab meinganz herzlicher Dank . Herzlichen Dank Ihnen allen!
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich lastetauf uns allen noch die Schreckensnachricht von Paris . Sieliegt uns auf der Seele . Wir erinnern uns an einen ganznormalen Nachmittag in Paris, einen fast fröhlichen Frei-tagabend – so begann er jedenfalls –: junge Menschenauf dem Weg in die Kneipe, Fußballfans auf dem Wegins Stadion, Musikfans auf dem Weg in die Konzerthal-le . Der Abend endete anders: mit 130 ermordeten Men-schen, erschossen, zerbombt, und, nicht zu vergessen,mit 340 Menschen, die verletzt wurden, 90 von ihnensehr schwer; viele von ihnen ringen bis heute noch umihr Leben .Will sagen: Der Terror des sogenannten „IslamischenStaats“ ist in Europa angekommen . Aber die ganze Wahr-heit ist: In Syrien, im Irak, in Libyen und in Nigeria wütetdiese Barbarei schon sehr viel länger als bei uns, und dortwütet sie am brutalsten und täglich . Erst gestern wiederwütete sie auch in Tunesien . Viele der Menschen, diederzeit zu uns fliehen, suchen Zuflucht vor ebendiesemTerror, den der IS in ihrer Heimat verbreitet .Zum zweiten Mal ist es Frankreich, sind es die Men-schen in Paris, die von diesem Terror heimgesucht wer-den, aber eben nicht nur sie; das sollte uns klar sein . Dasist ein Angriff auf alle, die in Freiheit und Frieden lebenwollen, ob hier in Europa oder anderswo, ob Christen,Juden, Atheisten oder Muslime . Es ist ein Angriff aufeine offene Gesellschaft, die die Fanatiker nicht ertra-gen und die sie deshalb vernichten wollen: mit Bomben,mit Gewehrkugeln, mit der Verbreitung von Angst undSchrecken . Aber eine Gesellschaft in Angst, in der sichdie Menschen zurückziehen, verliert genau das, was sieeigentlich lebenswert macht . Gerade deshalb müssen wirum sie kämpfen . Das ist die Botschaft an Tausenden Or-ten in Frankreich, wenn der Angst, dem Schrecken, derVerzweiflung, der Wut, wenn alldem trotzig die Marseil-laise entgegengesungen wird . Das ist die Botschaft, dieRegierung und Parlament hier in Berlin am Tag nach derSchreckensnacht unseren französischen Freunden ge-sandt haben: Ihr seid nicht allein . Wir lassen euch nichtallein . – Zu diesem Wort, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, stehen wir gemeinsam .
Was heißt das konkret? Was tun wir gegen den Terror?Natürlich bleibt richtig, was alle hier im Hause vermut-lich gleichlautend sagen: Am Ende ist Terrorismus nichtmilitärisch zu besiegen . – Am Ende ist das richtig . Aberrichtig ist auch: Der IS muss auch militärisch bekämpftwerden, wenn von Syrien am Ende etwas übrig bleibensoll, was wir mit unseren Bemühungen befrieden und wowir den Menschen eine neue Zukunft schaffen . Falschwäre es, uns nur auf Militärisches zu beschränken . Abernaiv wäre es, zu glauben, es ginge ganz ohne . Wir wer-den beides brauchen, und ich werde dafür streiten, mitall meiner Kraft, dass das politische Handeln und der po-litische Prozess bei dem, was wir tun, im Vordergrundstehen werden, meine Damen und Herren .
Drei Dinge sind wichtig:Erstens . Zu dem militärischen Kampf gegen ISIS, derfortgeführt werden muss – das wird sicherlich auch nocheine Weile dauern –, werden auch Luftangriffe gehören;sie werden dazugehören . Aber, ich glaube, mehr denn jewird klar: Wir müssen vor allen Dingen diejenigen stär-ken, die am Boden kämpfen . – Das haben wir eigentlichfrüher gemacht als andere, als wir uns entschlossen ha-ben, die Peschmerga im Irak mit Waffen und Ausbildungzu unterstützen . Wie richtig dieses Engagement war, beiallen Schwierigkeiten, die im Nordirak unter den Kurdenbestehen, das sehen wir vielleicht daran, dass nicht nurder Vormarsch des IS im Nordirak aufgehalten wordenist, sondern dass jetzt sogar kleinere Geländegewinne er-zielt worden sind .Das ist nicht die Blaupause dafür, dass das, was dagelungen ist, überall anders auch passiert . Aber das istder Hintergrund dafür – ich glaube, Herr Nouripour hates kritisiert –, dass ich gesagt habe: Wir sollten jeden-falls versuchen, ohne dass wir die Beteiligten zwingenkönnen, möglichst viele von den syrischen Kräften zu-sammenzubringen, die gegen IS sind und die bereit sind,gegen IS zu kämpfen – nicht mehr und nicht weniger;aber richtig bleibt es wohl, meine Damen und Herren .
Leider sind eben nicht nur Syrien und Irak Themen,um die wir uns zu kümmern haben, sondern die Kon-flikte rund um den Erdball sind noch zahlreicher, undwir werden uns nicht um alles kümmern können . Aberwir werden uns in Arbeitsteilung mit anderen engagierenmüssen . Dazu gehört auch Mali . Wir diskutieren gera-de in diesen Tagen im Kabinett darüber und werden imParlament später über Mali und die Verstärkung unseresEinsatzes bei MINUSMA diskutieren .Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Ich rufe in Erinnerung, dass es auch in Mali Frank-reich zu verdanken ist, dass Mali nicht komplett in dieHände von Islamisten gefallen ist und nicht zerstört wor-den ist . Dass dort heute überhaupt Stabilisierungsarbeitmöglich ist, hängt damit zusammen, dass Frankreich da-mals eingegriffen hat – mit all den Schwierigkeiten, diedas in der Folge hat . Aber wir sollten es nicht vergessen .Ich sage das auch deshalb, weil ich mich bei den An-gehörigen der VN-Mission und natürlich ausdrücklichauch bei den Soldaten der deutschen Bundeswehr dafürbedanken will, dass sie unter den nicht ungefährlichenUmständen in Mali ihren Dienst tun . Herzlichen Dankdafür!
Unterstützung der Peschmerga, Arbeitsteilung inMali – beides ist wichtig . Ich glaube, wir brauchen unsmit dem, was wir tun, nicht zu verstecken . Wir brauchenuns mit unseren Beiträgen nicht zu verstecken . Aberwir müssen wissen – spätestens nach den Gesprächen,die der französische Präsident mit dem amerikanischenPräsidenten und mit Cameron geführt hat, und vor denGesprächen, die er mit der Bundeskanzlerin und wenigeZeit danach mit Putin führen wird –: Frankreich will nachder Tragödie von Paris kein einfaches Weiter-so in Syri-en, sondern sie bitten ausdrücklich um Unterstützung –welche genau, das kann ich heute noch nicht sagen . Daswird sich vielleicht im Laufe des heutigen Abends undmorgen klären .Ich will auch gerne hinzufügen: Wir müssen nur ge-ben, was wir können und verantworten können . Aber dasbedeutet auch: Grundlos verweigern dürfen wir uns nicht .Sonst ist unser Versprechen, das wir gegenüber unseremengsten Nachbarn gegeben haben, eben nicht viel wert .
Glaubwürdigkeit zu bewahren, gerade wenn es schwierigist, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind wir auchuns selbst schuldig; jedenfalls ist das meine Überzeu-gung .
Zu der zweiten Dimension, zu der ich kommen will,gehört natürlich jenseits des Militärischen auch die Sta-bilisierung des gesamten Krisenbogens von Libyen bis inden Mittleren Osten . Es ist völlig klar: Nur wenn es staat-liche Institutionen gibt, wird Stabilisierung gelingen .Dann wird es gelingen, den Nährboden auszutrocknen,auf dem Extremismus und Terrorismus gedeihen, und nurdann wird es gelingen, wieder Lebensperspektiven fürdie Menschen zu entwickeln . Ich sage das deshalb, weilwir schon bei der Organisation des Auswärtigen Amtesgenau darauf einen Schwerpunkt gesetzt haben .Ich will auch ausdrücklich sagen: Ich bin froh darüber,dass dieser Haushalt den Schwerpunkt Stabilisierungsar-beit, Krisenprävention mit Geld unterstützt, gerade auchStabilisierung und humanitäre Hilfe .Zur Ehrlichkeit gehört allerdings: Wir können nichtjeden Euro umrechnen in ausbleibende Flüchtlinge odergar in ausbleibende Terroranschläge . Außenpolitik gibtes eben leider nicht mit Festverzinsung, wenn ich dasso sagen darf . Aber ich glaube schon, dass man zeigenkann, dass sich unser Engagement lohnt . So werden zumBeispiel 300 000 Menschen in Syrien durch unsere In-vestitionen in den Syria Recovery Trust Fund inzwischenwieder mit Strom versorgt, weil wir mit unseren Partne-rorganisationen Strommasten wieder aufgerichtet haben,die zerstört waren . In Tikrit stellen wir Krankenhäuser,Schulen und die Wasserversorgung wieder her, sodass dieMenschen in ihre Häuser zurückkehren . Ferner gibt es –Alois Karl hat eben davon berichtet – fast 300 Stipen-diatinnen und Stipendiaten, die gestern im AuswärtigenAmt waren und die sich jetzt darauf vorbereiten, dass siehoffentlich irgendwann in ihr Heimatland zurückkehrenund dort beim Wiederaufbau ihres Landes helfen können .Letztlich und abschließend die dritte Dimension: diepolitischen Lösungsversuche, der politische Prozess, denwir dringend brauchen . Ich will nicht wiederholen, wasandere gesagt haben . Ich bin froh darüber, dass es in Wienerstmals gelungen ist, alle an einen Tisch zu bekommen .Ich mache mir Sorgen – das habe ich gestern auch zumAusdruck gebracht –, dass der gestrige Flugzeugabschussan der syrisch-türkischen Grenze uns weit zurückwerfenkönnte . Ich bin froh, dass es möglicherweise, wie wir ge-rade eben in Tickermeldungen lesen konnten, zwischender türkischen und russischen Regierung Bemühungengibt, doch wieder zueinanderzukommen . Ich hoffe, dasssich Gerüchte bestätigen, dass es zu einem Treffen destürkischen und des russischen Außenministers kommensoll . Dann bleibt jedenfalls den Bemühungen um poli-tische Optionen, an denen wir an zwei Wochenenden inWien mühsam gearbeitet haben, eine Chance .Alle drei Dimensionen, meine Damen und Herren,über die ich gesprochen habe, sind wichtig . Auch wennwir heute noch fassungslos sind und voller Trauer überdie Opfer von Paris – wir geben uns der Verzweiflungnicht hin, wir geben uns der Ohnmacht nicht hin . Des-halb ist eben das Reden über Haushalt mehr als ein Re-den über Geld . Dieser Haushalt macht vielmehr in vielenBereichen Politik erst möglich, eine Politik, deren Ma-xime nicht Abschottung, nicht Ohnmacht ist, sondernHandeln . Und Handeln ist nötig, wenn wir diese Welt einbisschen friedlicher machen wollen, als sie ist .Vielen Dank .
Danke . – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Sevim
Dağdelen das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Verehrter Herr Minister! Es ist natürlich begrüßenswert,Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
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dass Sie die Welt sicherer machen wollen . Es ist natür-lich auch ein gutes Ziel, den IS zu bekämpfen . Aber damöchte ich Sie gerne einmal fragen, da der IS keine Waf-fenfabriken hat: Woher bekommt der „Islamische Staat“seine Waffen?
Deutschland ist einer der größten Waffenexporteu-re der Welt und beliefert Diktaturen am Golf wie Sau-di-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirateoder auch den Terrorförderer Türkei, von der man weiß,auch aus geheimdienstlichen Informationen, dass sie is-lamistische Terrormilizen in Syrien bewaffnet . Da frageich mich: Warum bewaffnen wir weiterhin Terrorunter-stützerstaaten wie diese am Golf?
Was ich Ihrer Rede auch entnehme, ist, dass Sienichts an der falschen Außenpolitik ändern wollen, diedie Bundesregierung in den letzten Jahren gemacht hat .Was in diesen Tagen droht, ist eine massive BeteiligungDeutschlands an einem neuen Krieg gegen den Terror .Heute Morgen verkündete die Bundesregierung, bis zu650 deutsche Bundeswehrsoldaten in den Krieg nachMali schicken zu wollen . Und das Auswärtige Amt er-wägt offenbar in militärischer Unterstützung Frankreichsweitere Militäreinsätze; genannt werden da vom Auswär-tigen Amt Tunesien und Libyen . Ich frage Sie deshalb, obman aus diesem furchtbaren Krieg gegen den Terror nachdem 11 . September, der gescheitert ist, nichts gelernt hat .Dieser sogenannte Krieg gegen den Terror hat aus eini-gen Hundert Terroristen hunderttausend Terroristen welt-weit gemacht, meine Damen und Herren .
Deshalb, meine Damen und Herren, ist eine solche Po-litik falsch .Mord muss überall verurteilt werden, egal von wemund egal wo er stattfindet. Auch deshalb ist diese Poli-tik falsch . NATO-Bombenangriffe auf Hochzeitsgesell-schaften, Drohnenmorde im Nahen und Mittleren Ostenzüchten den Terror und haben den Terror regelrecht ge-mästet . Deshalb sage ich Ihnen: Erst wenn auch diesesHohe Haus versteht, dass die Mütter in Pakistan, im Je-men, in Afghanistan oder im Irak genauso um ihre ver-lorenen Kinder trauern wie die Mütter in Paris und inFrankreich, werden Sie, meine Damen und Herren, ver-stehen, wie wir unsere Politik verändern müssen, um imKampf gegen den weltweiten Terror etwas zu erreichen .
Das Auswärtige Amt hat in den letzten Jahren dieRegime-Change-Politik der USA unterstützt . Im Irak-krieg 2003 war Deutschland mit dabei; nicht mit Solda-ten . Aber Deutschland engagierte sich stärker im Krieg inAfghanistan, sodass US-Truppen für den Angriff freige-setzt wurden, und stellte die Stützpunkte in Deutschlandzur Verfügung . Vor Ort in Bagdad half auch der Bun-desnachrichtendienst kräftig mit . Beim NATO-Angriffauf Libyen beließ man die deutschen Soldaten in den NATO-Kommandostrukturen . Heute herrscht dort der„Islamische Staat“ über Hunderte Kilometer Mittelmeer-küste . Ich frage mich: War dieser Bombenangriff, dieserKrieg in Libyen erfolgreich? War das wirklich von Erfolggekrönt, wenn wir jetzt einen Staat haben, der völlig zer-stört ist, völlig destabilisiert ist, und wo der IS Hundertevon Kilometern Mittelmeerküste kontrolliert? Ich glau-be, Erfolg sieht anders aus, meine Damen und Herren .
In Syrien agierte man mit Saudi-Arabien, Katar undder Türkei, die den barbarischen „Islamischen Staat“und auch die Al-Nusra-Front, also einen Ableger von al-Qaida, unterstützen . Man berichtet seitens der türkischenRegierung über Bewaffnungen islamistischer Terror-milizen. Ich finde, die verheerende Saat dieser falschenRegime-Change-Politik ist jetzt aufgegangen . Auch da-durch wurden natürlich Strukturen hervorgebracht, dieden Terror in der Region mit befördern . Deshalb sagt dieLinke: Hören Sie endlich mit dieser Politik auf, kehrenSie um . Das Völkerrecht muss die Richtschnur sein fürdas außenpolitische Handeln . Das heißt, weg von einervölkerrechtswidrigen Regime-Change-Politik .
Am Sonntag wird es mit dem türkischen Präsiden-ten Erdogan einen EU-Gipfel geben . Erdogan fordertjährlich 3 Milliarden Euro als Tribut, damit die TürkeiFlüchtlinge im Land behält, sozusagen als Grenzwächterfür die EU . Aus den Weisungen der Bundesregierung anihre Brüsseler Beamten im Vorfeld des Gipfels lese ichheraus: Die Bundesregierung ist bereit, Herrn Erdoganjährlich eine Milliardenhilfe deutscher Steuergelder zuüberweisen . – Wie wollen Sie das eigentlich vor der Be-völkerung in Deutschland rechtfertigen, dass Sie ihreSteuergelder künftig an jemanden zahlen, der Krieggegen die eigene Bevölkerung führt, der faschistischeSchlägertrupps in kritische Zeitungsredaktionen schicktund der jetzt ein russisches Kampfflugzeug abschießenlässt und en passant den Dritten Weltkrieg riskiert? Wirfinden, das darf es nicht geben. Der Pakt mit Erdogandarf so nicht stattfinden. Das wäre nämlich eine morali-sche Bankrotterklärung .
Wir sagen auch, es ist nicht in Ordnung, über diemilitärische Beistandsklausel nach Artikel 42 Absatz 7EU-Vertrag, auf dessen Grundlage der neue Krieg ge-gen den Terror laufen soll, noch nicht einmal in Brüssel,geschweige denn im Bundestag abzustimmen . Alles liefauf Zuruf . Der Bundestag wurde nicht einmal informiert,geschweige denn gefragt . Jetzt will das Auswärtige Amtnicht einmal, wie bisher, über die Ratsarbeitsgruppen ausBrüssel informieren und damit das Grundgesetz und dieUnterrichtungspflicht verletzen, um sich bei den Kriegs-vorbereitungen nicht in die Karten schauen zu lassen .Diesen Angriff des Auswärtigen Amtes auf die Parla-mentsrechte dürfen wir nicht hinnehmen . Deshalb meinAppell auch an die anderen Fraktionen im Hause: Las-sen Sie sich nicht derart entmündigen, meine Damen undHerren!
Sevim Dağdelen
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Sagen Sie Nein zu diesem neuen Krieg gegen den Terror,der schon verloren ist, bevor er überhaupt angefangenhat .Danke .
Vielen Dank . – Bevor ich dem Kollegen Dr . Franz
Josef Jung das Wort gebe, möchte ich alle nachfolgenden
Redner und Rednerinnen bitten, die vereinbarte Redezeit
einzuhalten . Diejenigen, die ein großes Kontingent an
Redezeit haben, sind meistens besonders großzügig, aber
dann kommen die nachfolgenden Kolleginnen und Kol-
legen nicht mehr zu den vorgesehenen Zeiten zu ihren
Debatten .
Der Kollege Dr . Franz Josef Jung für die CDU/
CSU-Fraktion wird uns das jetzt vorbildlich vormachen .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche
Außenpolitik ist zurzeit in besonderer Art und Weise
gefordert, wenn es um die Friedenssicherung oder die
Beseitigung der Fluchtursachen geht . Es kommt hinzu –
das haben uns die menschenverachtenden Anschläge
in Paris, aber auch der Abschuss der russischen Passa-
giermaschine auf dem Weg von Scharm al-Scheich und
die gestrigen Anschläge in Ägypten und in Tunesien ge-
zeigt –, dass die freie Welt in besonderer Art und Weise
herausgefordert ist, dass wir gemeinsam gefordert sind,
zu unseren Werten zu stehen und alle Möglichkeiten zu
nutzen, um diesem Terrorismus entgegenzutreten, auch
mit militärischen Mitteln . Denn ich glaube, dass die not-
wendige Beseitigung des Terrorismus im Irak und in Sy-
rien nur so möglich ist .
Meine Damen und Herren, dazu gehört auch, deutlich
zu machen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen, dass
auch für uns der Satz des Staatsmanns Perikles gilt, der
einmal formuliert hat:
Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Ge-
heimnis der Freiheit aber ist der Mut .
Insofern ist es richtig, wenn wir auch in dieser nicht ein-
fachen Situation mutig zusammenstehen .
Das bedeutet dann aber auch, dass die internationa-
le Gemeinschaft gemeinsam ISIS entgegentreten muss .
Deshalb sage ich im Hinblick auf die aktuelle Situation
zwischen der Türkei und Russland: Es ist dringend not-
wendig, besonnen zu reagieren . Ich will jetzt hier kei-
ne Verantwortlichkeiten im Einzelnen erörtern . Es wäre
aber klug, wenn auch die Türkei und Russland gemein-
sam mit uns gegen ISIS einträten . Ich glaube, dort gibt es
noch ein Stück weit Nachholbedarf . Dies wäre wichtig,
auch mit Blick auf die Verhinderung von Terrorangriffen,
die nachher die eigenen Länder betreffen könnten .
Meine Damen und Herren, ich will unterstreichen,
was der Außenminister gesagt hat . Letztlich werden wir
nur zum Erfolg kommen, wenn wir hier unter Einbezie-
hung politischer, diplomatischer und entwicklungspo-
litischer Mittel, aber auch militärischer Mittel, also mit
einem vernetzten Ansatz, vorgehen . Der vernetzte Ansatz
bedeutet: ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber ohne
Entwicklung auch keine Sicherheit .
Insofern ist es richtig, dass wir beispielsweise die Pe-
schmerga in Syrien unterstützen, dass hier 4 700 Kräfte
ausgebildet worden sind, dass beispielsweise 400 Jesiden
ausgebildet worden sind, damit sie sich verteidigen kön-
nen . Wer den Film Háwar – Meine Reise in den Genozid
gesehen hat, der konnte sehen, wie menschenverachtend
ISIS gegen die Jesiden vorgeht . Insofern ist es richtig und
gut, dass wir die Jesiden befähigen, sich vor Ort zu ver-
teidigen und gegen den ISIS-Terrorismus vorzugehen .
Ich glaube auch – da unterstreiche ich, was der Außen-
minister gesagt hat –, dass es richtig ist, die Angriffe aus
der Luft zu unterstützen . Aber es muss auch der Kampf
am Boden vorgenommen werden . Das ist notwendig .
Von daher teile ich die Auffassung, die der jordanische
Außenminister gegenüber unserer Fraktion geäußert
hat . Er formulierte: Wir Muslime müssen selbst diesen
Kampf gegen ISIS führen, aber ihr müsst uns dabei un-
terstützen . – Insofern ist der Weg, den wir als Bundesre-
publik Deutschland beschreiten, richtig .
Im Hinblick auf die weitere Situation kann man fest-
halten, dass Erfolge feststellbar sind . Sindschar ist zu-
rückerobert worden . Ich denke, es ist auch richtig – wir
haben jetzt die notwendigen Mittel vorgesehen –, dass
wir unser Kontingent in der Region verstärken . Derzeit
sind dort 100 Soldaten im Rahmen der Ausbildung und
Unterstützung tätig . Wir wollen die Zahl auf 150 erhö-
hen . Das ist ein richtiger, notwendiger Schritt, um dem
ISIS-Terrorismus vor Ort wirkungsvoll entgegenzutre-
ten, dort zu einer Befriedung der Situation beizutragen
und letztendlich dafür zu sorgen, dass die Menschen wie-
der friedlich in ihrer Heimat miteinander leben können .
Herr Kollege Jung, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Dehm?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Okay .Sevim Dağdelen
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Bitte schön .
Herr Kollege Jung, ich finde auch, dass das Eintreten
für Christen, für Jesiden – der Außenminister hat es auch
angesprochen – sehr stark honoriert werden muss . Ich
weiß nicht, ob Sie den Film gesehen haben – ich glaube,
er lief auf Phoenix; ich weiß nicht, ob er auch in der ARD
lief –, der zeigt, dass sich junge kurdische Frauen ausbil-
den lassen, um Jesiden, um Christen, also Andersgläubi-
ge, die nicht so denken wie sie, zu verteidigen . Aber das
betrifft nicht nur die Peschmerga-Kämpfer, wovon dieser
Film handelte, sondern auch die kurdische Arbeiterpartei
und die PYD, die bei uns allerdings auf der Terrorliste
stehen . Wann beziehen wir diese endlich in die große Al-
lianz im Kampf gegen ISIS ein? Ist es nicht widersinnig,
jene Kämpfer und Kämpferinnen, die von ISIS und Er-
dogan beschossen werden, auf der Terrorliste zu behal-
ten, die sich so tapfer für Christen und Andersdenkende
einsetzen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Dehm, ich habe den Film, den Sie erwähnen,
nicht gesehen . Ich habe den Film Háwar gesehen, den
ich gerade beschrieben habe, wo Ähnliches entsprechend
angedeutet worden ist .
Ich kann die Situation in der Türkei im Hinblick auf die
PKK im Einzelnen nicht beurteilen . Auch da ging es um
entsprechende Anschlagssituationen. Ich finde aber, dass
wir, die internationale Gemeinschaft, gerade angesichts
der Herausforderung, vor der wir durch die Anschläge
stehen – ich sage es noch einmal: Paris, Passagiermaschi-
ne, Ägypten, Tunesien –, zusammenstehen müssen . Das
bezieht auch die Türkei und Russland mit ein . Jetzt geht
es nicht darum, dass sich die Türkei speziell mit der PKK
auseinandersetzt oder wie Russland mit der einen oder
anderen Rebellensituation umgeht . Vielmehr geht es jetzt
darum, dass wir geschlossen gegen ISIS vorgehen . Das
ist meines Erachtens die Aufgabe, und dazu sollten wir
unseren Beitrag leisten .
Lassen Sie mich einen weiteren wichtigen Punkt hin-
zufügen . Ich habe gerade gesagt, dass wir die Anzahl der
Soldaten in der Ausbildungsmission von 100 auf wahr-
scheinlich 150 Soldaten erhöhen werden . Ein Soldat, der
immerhin schon in sieben Auslandseinsätzen war, hat ge-
sagt: Er ist der Auffassung, dass dies einer der sinnvolls-
ten Einsätze ist, den er bisher geleistet hat. – Ich finde,
wir sollten unseren Soldatinnen und Soldaten herzlich
danken für ihr Engagement im Einsatz, bei der Ausbil-
dung, bei der Unterstützung und bei der Ertüchtigung der
Kräfte vor Ort . Denn so kann ein wirkungsvolles Vorge-
hen gegen den Terrorismus von ISIS erfolgen .
Kollege Jung, gestatten Sie auch noch eine Zwischen-
frage des Kollegen Sarrazin, ich meine, Nouripour? Ent-
schuldigung .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zwischenfrage des Kollegen Nouripour kann ich
jetzt nicht ablehnen . – Bitte sehr .
Herzlichen Dank für die Zulassung der Zwischenfra-
ge . – Sie haben gerade gesagt, dass die Ausbildung rich-
tig ist; ich teile das . Sie haben aber vorhin auch mit uns
gelauscht, wie der Herr Außenminister gesagt hat, dass
die Waffenlieferung an die Peschmerga richtig war .
Haben Sie vor Ort einmal die Frage gestellt, mit wel-
chen Waffen die Menschen zur Ausbildung kommen?
Die Peschmerga sind ja nicht stationiert; sie kommen
morgens zur Ausbildung, und abends sind sie wieder
weg . Wir haben nicht nur MILAN geliefert, sondern auch
20 000 G3- und G36-Waffen . Die deutschen Ausbilder,
die ich vor Ort getroffen habe, haben mir gesagt: Sie ha-
ben noch nie einen gesehen, der mit eben diesen Waffen
zur Ausbildung kommt . Sie kommen im besten Falle mit
Kalaschnikows aus den 50er-Jahren aus der Tschechos-
lowakei .
Die Bundesregierung sagt – ich habe die Antwort
schriftlich bekommen –, dass sie selbst keine physische
Endverbleibskontrolle für die Waffen gewährleisten
kann . Wir wissen nicht, wo die 20 000 Gewehre geblie-
ben sind . Haben Sie schon einmal die Frage gestellt,
wo die Waffen eigentlich hingekommen sind, wenn sie
nicht aufbewahrt werden? Da wäre ja einer der weniger
schlimmen Fälle, die mir einfallen würden; Proliferation
wäre weit schlimmer . Werden die Waffen aufbewahrt für
den Fall, dass eines Tages die Peschmerga der KDP von
Herrn Barzani kämpfen wollen gegen die Peschmerga
der PUK und andere oder gegen die PKK, wie es in Sind-
schar teilweise passiert ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will Folgendes dazu sagen: Ich kenne nicht dieAntwort auf die Frage, die Sie angesprochen haben .Aber, lieber Herr Nouripour, natürlich brauchen dieKämpfer die Befähigung und Ertüchtigung, mit den Waf-fen entsprechend umzugehen . Wenn beispielsweise diePeschmerga bereits darüber nachdenken, ihre Kindernach unserer Panzerabwehrrakete MILAN zu benennen,dann zeigt das, dass die Lieferung, die wir zur Ertüch-tigung der Peschmerga vorgenommen haben, durchauserfolgreich ist .
Ich glaube, das muss man in dem Zusammenhang sehen .
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Ich glaube, es ist richtig, dass wir in der Art und Weiseunterstützen, trotz all der Probleme, die Sie angespro-chen haben .Lassen Sie mich noch einmal kurz auf Syrien zurück-kommen . Ich möchte das, was der Außenminister zu derKonferenz in Wien gesagt hat, unterstreichen . Er hat ge-sagt, dass er dafür sorgt, dass die Dinge weitergehen . InWien gab es, so will ich es einmal sagen, Zeichen derHoffnung: Saudi-Arabien und Iran saßen mit am Tisch,und man hat einen Fahrplan für den Friedensprozess ver-einbart . Nach diesem Fahrplan soll es eine Übergangsre-gierung geben; am Ende dieses Prozesses sollen Wahlenstehen; lokale Waffenruhen sollen zu einem landeswei-ten Waffenstillstand führen; der Einsatz von Fassbombenund die Raketenangriffe auf die Wohngebiete sollen –das ist etwas, was ich für ganz wichtig erachte – gestopptwerden .Ich denke, wir sollten diesen Prozess, der in Wieneingeleitet worden ist, nachdrücklich unterstützen; dennZiel muss es sein, dass der Bürgerkrieg in Syrien beendetwird, dass dort wieder Frieden herrscht . Wenn hier bean-tragt wird, Unterstützung im Rahmen einer UN-Missionzu leisten, dann sollten wir diese Unterstützung leisten .Das halte ich für richtig .Ich habe gehört, dass hier heute Morgen kritische An-merkungen zu den Aufklärungstornados, zu den „Rec-ce“-Tornados, gemacht worden sind . Ich kann nur sagen,dass ich in meiner Zeit sehr positive Erfahrungen mitdem Einsatz von Tornados zur Aufklärung in Afghanis-tan gemacht habe . Die Tornados können gegebenenfallssicherstellen, wo welche Terrortruppen tätig sind .
Dann kann man entsprechend handeln . – Dies muss nochausgehandelt werden . Was ich sagen will, ist: Wenn es zueiner derartigen Mission kommt, können wir nicht an derSeite stehen . Ich glaube, wir müssen diesen Friedenspro-zess aktiv unterstützen .
Ich glaube, das ist auch entscheidend, damit dieFlüchtlingsbewegung, die in Gang gekommen ist, wie-der reduziert werden kann . Die Menschen brauchen einePerspektive, damit sie zurückkehren . Hinzufügen möchteich: Ich halte es für richtig, dass die Mittel für die Flücht-lingscamps erheblich aufgestockt worden sind . Mankann – das muss man ehrlich sagen – eigentlich gar nichtnachvollziehen, wie es dazu kommen konnte, dass denMenschen in diesen Flüchtlingscamps nur 14 Dollar proMonat zur Verfügung stehen . Da braucht man sich nichtzu wundern, dass sie die Flucht ergriffen haben . Deshalbist es richtig und notwendig, jetzt Mittel in die Hand zunehmen, um zu gewährleisten, dass die Menschen vorOrt ein menschenwürdiges Leben führen können .
Wenn man über die Beseitigung der Fluchtursachenbzw . eine Reduzierung der Flüchtlingsentwicklungspricht, muss man auch sagen, dass es wichtig ist, dassman zu einer Vereinbarung mit der Türkei kommt . DasSignal, das Präsident Erdogan ausgesandt hat, geht in dierichtige Richtung . Ich kann nur hoffen und wünschen,dass es am Sonntag zu einer Vereinbarung kommt; dennes ist auch ein Akt der Humanität, dafür Sorge zu tragen,dass diese Menschen nicht mehr ihr Leben riskieren müs-sen, indem sie mit Schlauchbooten über das Mittelmeerkommen . Wir brauchen eine klare Regelung, nach derMenschen im Rahmen eines Kontingents nach Europakommen können . Sie müssen sicher hierhergeführt wer-den können, und diejenigen, die kein Recht haben, hierzu sein, müssen zurückgeführt werden können . Das wärenicht nur mit Blick auf die Begrenzung der Flüchtlings-ströme wichtig . Es wäre auch ein Akt der Humanität, zueiner klaren Regelung mit der Türkei zu kommen .
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu deraktuellen Entwicklung in Afghanistan noch eine Bemer-kung machen . Ich glaube, dass wir in Afghanistan vielerfolgreicher waren, als das bisher öffentlich dargestelltwurde . Aus meiner Sicht hat die Bundeswehr einen wich-tigen und notwendigen Beitrag für eine stabile Entwick-lung in Afghanistan geleistet .Viele Soldaten, auch solche, die heute in den Aufnah-melagern tätig sind, fragen, warum sie sich dort so enga-giert haben, warum dort Kameraden gefallen sind, wennjetzt trotzdem viele Afghanen den Weg nach Europa undnach Deutschland suchen . Hier muss man deutlich ma-chen: Es gibt dort keine Bürgerkriegssituation . 80 Prozentdes Gebiets im Norden von Afghanistan sind unstreitig .Wir wissen, wie die Situation dort ist . Das ist befriedetesGebiet . Deshalb halte ich es für richtig, dass wir hier überFluchtalternativen, über entsprechende Möglichkeitenfür die Menschen, dort zu leben, sprechen . Wir müssensie durch die Resolute Support Mission weiter unterstüt-zen und innerstaatliche Fluchtalternativen schaffen . Esist nicht sinnvoll und notwendig, dass eine erheblich gro-ße Anzahl Afghanen den Weg nach Europa suchen .
Ich füge hinzu: Wenn ich über die Vermeidung vonFluchtursachen spreche, gehört dazu natürlich der Blicknach Afrika . Ich halte es für richtig, dass wir nicht nurdie „Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung“umsetzen, sondern dass auch das, was auf dem EU-Af-rika-Gipfel besprochen worden ist, entsprechend in dieRealität umgesetzt wird; der Bundesaußenminister hat esgerade von diesem Pult aus gesagt . Wir müssen weiterUnterstützung leisten, und die Bemühungen, beispiels-weise in Libyen wieder zu einer stabilen Entwicklungzu kommen, müssen weiter vorangehen, damit wir auchdort die Chance und die Möglichkeit haben, zu Vereinba-rungen zu kommen, wie es jetzt beispielsweise zwischenSpanien und Marokko geschehen ist .Wir brauchen hier eine stabile Entwicklung, auch imNorden Afrikas . Deshalb ist es notwendig – das will ichim Hinblick auf die aktuelle Anschlagssituation in Tu-nesien sagen –, dass wir Tunesien unterstützen . ISISgreift Tunesien zurzeit natürlich bewusst in einer Art undWeise an, die eine demokratische, eine perspektivischeDr. Franz Josef Jung
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Entwicklung im Norden Afrikas lähmt . Deshalb müssenwir auch dieses Land im Hinblick auf seine zukünftigeEntwicklung und im Kampf gegen den ISIS-Terrorismusunterstützen .
Wenn ich über die Vermeidung von Fluchtursachenspreche, dann gehört natürlich auch dazu, dass ich einenBlick in die Ukraine werfe . Das ist richtig und notwen-dig . Der Bundesaußenminister ist hier in einer besonde-ren Art und Weise mit engagiert . Wir müssen alle An-strengungen unternehmen, um Minsk II umzusetzen . Esist zwar wahr, dass die Waffen seit einer geraumen Zeitim Wesentlichen schweigen, aber die schweren Waffensind immer noch nicht zurückgezogen worden . Der Re-formprozess, der eigentlich unter Einbeziehung der Regi-onalvertreter vorangehen sollte, geht noch nicht in dieserArt und Weise voran .Deshalb ist es, glaube ich, notwendig, dass wir einePerspektive für die Menschen dort schaffen, dass dieEuropäische Union hier noch stärker Reform- und Mo-dernisierungsanstrengungen unternimmt, um die Ukrainein eine positive Entwicklung zu führen . Denn wenn dieMenschen merken, dass es wirtschaftlich immer nur wei-ter abwärts geht, wenn es keine Perspektive gibt, dannbesteht natürlich die Gefahr, dass sie nicht Binnenflücht-linge bleiben, sondern das Land verlassen . Deshalb,glaube ich, sind wir besonders gefordert . Wir haben einEU-Assoziierungsabkommen, um in der Ukraine unse-ren entsprechenden Akzent zu setzen .Meine Damen und Herren, eine wertorientierte undnachhaltige Außenpolitik im Rahmen des vernetzten An-satzes ist die richtige Grundlage zur Friedenssicherungund zur Beseitigung von Fluchtursachen . Dieser Haus-halt sichert hierzu die finanziellen Voraussetzungen. Ichbitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung .Besten Dank .
Vielen Dank . – Jetzt kommt der Kollege Sarrazin zu
Wort für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Es ist gar kein Problem, dass Sie denKollegen Nouripour mit mir verwechselt haben . Zweiso brillante Kollegen kann man durchaus einmal mit-einander verwechseln . Das verstehen wir natürlich allegut . – Entschuldigen Sie bitte, ich muss nach der Rededes Kollegen Jung mit einer Redezeit von, ich glaube,17 Minuten versuchen, mit irgendeinem billigen WitzIhre Aufmerksamkeit wiederzugewinnen; denn ich finde,dass wir über mehr reden sollten als nur über die Zahlenim Haushalt .Dieser Etat beinhaltet ja auch das Europaministeri-um . Ich glaube, gerade die Situation, die sich an der sy-risch-türkischen Grenze abgespielt hat – sie wurde schonbenannt –, führt uns vor Augen, zu welch riskanten Si-tuationen es führt, wenn auf der einen Seite ein geopo-litisches Spiel gespielt wird, wenn gebombt wird, wennGewalt angewendet wird, nur um im Innern das Prestigezu erhöhen und in geopolitischer Hinsicht auf eine Bühnezu kommen, und wenn auf der anderen Seite schon seitvielen Jahren ganz unklar ist, wohin eigentlich die türki-sche Außenpolitik führt, wenn vielleicht sogar klar ist,dass sie nicht mehr als oberstes Ziel die Stabilität in derRegion verfolgt .
Das sollte uns darin bestärken, dass der Werteansatz,Kollege Karl, also der Ansatz, dass die Europäische Uni-on eine wertebasierte Außenpolitik macht, richtig ist unddass eine starke und geschlossene Stimme Deutschlandsganz entscheidend ist, wenn man vorangehen will .Was erleben wir jetzt? Was erleben wir in der aktuel-len Lage, in der aktuellen Krise, in der es um Flucht, Ver-treibung, Gewalt und schreckliche individuelle Schick-sale geht? Wir erleben eine Bundesregierung und eineKoalition, die sich dermaßen zerlegt, dass sogar Partner,von denen man sonst nicht unbedingt denkt, dass sie dasVernünftigste sagen, danach rufen, dass sie Orientierungbrauchen, in welche Richtung Europa und vor allem Ber-lin eigentlich gehen .Wir erleben eine Nebenaußenpolitik, die die Be-mühungen von Herrn Steinmeier konterkariert . HerrNouripour hat gerade schon ein Beispiel genannt . Esgibt noch weitere: Da gibt es diesen Parteivorsitzenden,der als Vizekanzler privat nach Moskau fährt und einenAuftritt hinlegt, den man sonst eigentlich nur ViktorOrban zutrauen würde, der einen eigenen Energie dealvorschlägt und zum Ausdruck bringt, die Sanktionengegenüber Russland seien eigentlich blöd . Das ist dochkein Auftreten einer deutschen Bundesregierung in einersolch kritischen Lage, meine Damen und Herren!
Wir erleben auf der einen Seite, dass auch ein bay-erischer Ministerpräsident Außenpolitik macht und diegesamte Union mittlerweile seit Wochen von der Schlie-ßung der Grenzen faselt . Auf der anderen Seite redenSie darüber, Fluchtursachen zu bekämpfen . Aber, meineDamen und Herren, wenn Sie die Grenzen Deutschlandsdichtmachen würden und wenn auch Österreich, Slowe-nien und Kroatien die Grenzen dichtmachen würden,dann sage ich Ihnen, wo als Nächstes Fluchtursachenentstehen, weil der Bürgerkrieg dann vorprogrammiertist, nämlich in den Erweiterungsstaaten des westlichenBalkans, die eigentlich schon viel weiter vorangekom-men sind . Die Frage ist doch: Welche sind die Werte die-ser Union?
Welche Zuversicht strahlt eine so zerstrittene Koalitionin dieser schwierigen Lage aus, in der der wichtigste sta-bilisierende Faktor, der im Moment überhaupt infragekommen könnte, doch die Europäische Union ist?Ein weiterer Aspekt der Nebenaußenpolitik: WelchesLand grenzt eigentlich an diese Region an? Griechen-land . Was haben wir im Juli dieses Jahres erlebt, als derBundesfinanzminister – so halb abgesprochen – Grie-Dr. Franz Josef Jung
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chenland plötzlich entgegen allen deutschen Interessenaus dem Euro und damit faktisch auch aus der Europäi-schen Union herausschmeißen wollte?
War das denn etwas, was mit der jetzigen Lage überhauptzu vereinbaren ist?Noch etwas . Dieser Außenminister macht etwas, wasschon lange kein deutscher Außenminister mehr gemachthat – dafür möchte ich ihn ausdrücklich loben –: Er en-gagiert sich persönlich im Rahmen der Friedensbemü-hungen auf Zypern . Sie waren dort, Herr Außenminister;auf Zypern ist das sehr gut angekommen . Wenn es unsgelingt, dort im nächsten Jahr eine Lösung hinzubekom-men, dann wäre das doch ein Signal der Stabilität, dasauch eine Ausstrahlung auf das Nachbarland, auf Syrien,haben könnte . Das könnte auch das Verhältnis zwischenRussland und der Türkei, aber auch die Situation in dergesamten Region positiv beeinflussen. Das ist Außenpo-litik, die man braucht . Man muss die Partner in Europazusammenhalten und darf sie nicht gegeneinander aus-spielen .
Meine Damen und Herren, ich glaube, Europa ist indieser Situation gefordert . Uns ist ganz klar: Die Weltum uns herum wird gefährlicher . Ich bin der festen Über-zeugung, dass mehrere Dinge notwendig sind, wenn wirmit unseren Werten durch die nächsten Jahre kommenwollen .Wir brauchen die klare Botschaft, dass man Europanicht stärkt, wenn man ein Land herausdrängt, wenn eszu einer Spaltung kommt oder wenn neue Gremien ge-gründet werden, in denen manche Mitglied sind, manchenicht .Wir müssen gleichzeitig die Wirtschafts- und Wäh-rungsunion, also das wirtschaftliche Zutrauen in dieEuropäische Union, stärken und zeigen, dass wir auchin einer ökonomischen Krise handlungsfähig sind, dassjunge Menschen Chancen in Europa haben . Wir sehendoch, dass die Jugend aus manchen unserer Nachbarlän-der flieht, weil sie dort keine Chancen hat. Es ist für diejungen Menschen auf dem Balkan, die vor Korruption,Hoffnungslosigkeit und einer grassierenden Arbeitslo-sigkeit nach Europa fliehen, keine Perspektive, wennwir uns nicht auch um die wirtschaftlichen Probleme derJugend im Süden Europas und in anderen Staaten küm-mern .Wir wissen, dass wir alle zusammenhalten müssen –alle 28 Staaten . Deshalb müssen wir auch klarmachen,dass man die Wertegrundlage der Europäischen Unionnicht infrage stellen darf . Hier wird Deutschland gefor-dert sein, gegenüber unseren Partnern in Großbritannienklare Worte zu sprechen, dass wir gemeinsam weiterar-beiten wollen, aber die Werte der Europäischen Unionnicht verhandelbar sind .
Meine Damen und Herren, gute deutsche Europapo-litik ist verlässlich . Sie ist oftmals eine Politik der Mit-te, die zwischen Ost und West und zwischen Süden undNorden ausgleicht . Das ist die Rolle, die Deutschlandwieder einnehmen muss . Sie verhindert, dass Partner he-rausgedrängt werden, aber sie bringt Partner auch dazu,sich zu verändern .Diese Koalition kann nur dann dafür sorgen, dassDeutschland ein solcher Integrationsmotor in Europaist, wenn sie zu Geschlossenheit findet und sich auf dieWerte Europas besinnt . Dazu gehört gerade in der Flücht-lingsfrage das humanitäre, christliche, abendländische,humanistische, jüdische Wertefundament .Danke .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Christian Petry,
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Behandlung des Einzelplans 05 – Auswär-tiges Amt – ist in der Haushaltsdebatte natürlich der au-ßenpolitische Schlagabtausch schlechthin . Mein Dankgilt Frank-Walter Steinmeier und Michael Roth für ihrenunermüdlichen Einsatz für die deutsche Außenpolitik mitklarer sozialdemokratischer Handschrift .
Ich möchte meinen Fokus nun auf die EU richten . Vie-le Themen wären hier aktuell . Wir könnten uns über dieZukunft Griechenlands, über die Krise in der Ukraine,über die Debatte, ob Großbritannien in der EuropäischenUnion bleibt oder nicht, über die Bankenunion, über dieKapitalmarktunion, über die Forderung nach mehr Be-schäftigung und Wachstum – das ist ganz wichtig – undüber die Ablösung der Austerität unterhalten . Diese The-men zeigen schon, dass wir ein vereintes Europa dringen-der brauchen denn je . Dabei müssen die europäischen Er-rungenschaften verteidigt werden: Freizügigkeit, offenerArbeitsmarkt, grenzüberschreitende Ausbildung . Auchdie gemeinsame Währung gehört dazu .Wenn wir heute, an diesem Tage, über Europa spre-chen, dann sprechen wir aber leider natürlich auch überden Terror – er darf in dieser Debatte natürlich nicht feh-len – und über die Anschläge in Paris . Dieser wiederholteAnschlag auf unsere französischen Nachbarn forderteviele Tote und Verletzte . Es war ein Angriff auf unseregemeinsamen Werte und auf ganz Europa . Und natürlichsprechen wir hier auch über die Toten des Flugzeugab-sturzes im Sinai und über die Toten von Tunis, Bamako,Beirut, Kabul und Bagdad . Sie alle sind Opfer des Ter-rors geworden .Als Saarländer möchte ich ein besonderes Wort an un-sere französischen Freunde richten:Chers amis français,Manuel Sarrazin
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Nous allons faire face ensemble . Les terroristes nevaincront pas .La justice vaincra . La solidarité vaincra . La liberté vaincra . La grande Nation française vaincra .Mes amis français, nous sommes avec vous dans lecamp du monde libre .Merci bien .Europa ist das Bollwerk der Menschenrechte, derFreiheit und der Demokratie . Es steht für Toleranz, Ge-genseitigkeit und Respekt sowie für das Recht eines je-den Bürgers, sein Glück zu suchen . Genau diese Wertewollen Terroristen zerstören . Unsere klare Antwort istdas Bekenntnis zu Europa .Flüchtlinge dürfen in dieser Situation nicht unter einenGeneralverdacht gestellt werden . Hierzu wäre normaler-weise mehr zu sagen, aber ich appelliere nur insbesonde-re an die CSU in Bayern: Wir sollten unsere gemeinsa-men Beschlüsse erst einmal umsetzen, bevor wir hier aufdiese Art und Weise agieren . Das hilft nur dem rechtenRand und ist nicht gut für die politische Diskussion . Die-se Art des Ausspielens untereinander sollte nicht weiterfortgeführt werden .
Zurück zu Europa: Frankreich hat mit Artikel 42 Ab-satz 7 des EU-Vertrages die Beistandsklausel aktiviert .Europa muss zusammenstehen . Es muss die Zusammen-arbeit verbessern, für einen engeren Austausch sorgen,gemeinsame Standards bei den Polizeien und den Ge-heimdiensten einführen und den Datenaustausch zwi-schen den Behörden forcieren .Vieles ist zwar schon vereinbart worden, aber hierkann auch vieles noch besser werden . Ein gemeinsa-mes politisches Handeln muss hier im Vordergrund ste-hen, und es ist natürlich sehr zu begrüßen, dass wir alsDeutschland den französischen Freunden gegenüber un-seren Beistand versichern . Zum Bundeswehreinsatz isthier schon einiges gesagt worden . Diese Einsätze gibt esin vielfältiger Weise . Ich bin froh, dass dies mit dem Par-lamentsvorbehalt versehen ist .Wir können in vielfältiger Weise helfen: Wir müssendie Zivilgesellschaften stärken . Wir müssen den Dialogund den Austausch stärken . Das stärkt auch die Sicher-heit . Und: Wir müssen den Zusammenhalt in Europa wei-ter verbessern . Dazu gehört natürlich eine Vision, die wirin diesen Krisenzeiten nicht vergessen dürfen . Die Visionist, dass Europa Reformen erfährt und dass wir Europastärken müssen . Die Vorschläge von Sigmar Gabriel undMacron zur Flüchtlingsfrage sind da durchaus hilfreich .Wir brauchen eine Reform der Institutionen . Wir brau-chen eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik .Diese könnte gegebenenfalls der Weg hin zu einem har-monisierten Asylrecht sein . Wir brauchen eine Koordina-tion in der Wirtschaftspolitik . In diesem Zusammenhangsind eine stärkere Kapitalmarkt- und Bankenunion ge-nannt worden . Auch die Steuerpolitik ist hier angespro-chen worden . Eine Harmonisierung tut not . Natürlichbrauchen wir zur Stärkung der Institutionen eine grund-legende Reform .Wir müssen den aufkeimenden Nationalismus wiederzurückdrängen . Dem aufkeimenden Nationalismus inEuropa muss durch diese Maßnahmen ein starkes undsolidarisches Europa entgegengesetzt werden .
In diesem Sinne möchte ich Frank-Walter Steinmeier,Michael Roth und alle Demokraten hier in diesem Landermuntern, diesen Weg in der Außenpolitik und in derEuropapolitik weiterzugehen . Ich hoffe, dass wir imnächsten Jahr eine Debatte unter besseren Vorzeichenführen können und dass etwas mehr Friede in der Weltherrscht .Mit diesem frommen Wunsch möchte ich schließenund danke für Ihre Aufmerksamkeit . – Glück auf!
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
die Kollegin Erika Steinbach das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Herausforderungen, vor denen die deutsche undauch die europäische Außenpolitik gegenwärtig stehen,sind gewaltig – das haben alle in ihren Beiträgen heutedeutlich gemacht –, ob in Afrika, insbesondere im NahenOsten, oder auch hier in Europa selbst .Mit großer Sorge müssen wir feststellen, dass diemulti ethnischen und multireligiösen Staaten Syrien undIrak in den letzten Jahren immer instabiler gewordensind . Wir konnten das im Menschenrechtsausschussüber die Jahre hinweg deutlich beobachten . Das ganzeProblem ist nicht vom Himmel gefallen, sondern vieleswar frühzeitig erkennbar . All das hat zum Erstarken derislamistischen Terroristen, wie des sogenannten „Islami-schen Staates“, geführt .Der IS ist in den von ihm terrorisierten Teilen Syriensund des Iraks für zahlreiche schwerste Menschenrechts-verletzungen verantwortlich, wie zum Beispiel Massen-hinrichtungen, gezielte Angriffe auf Zivilisten und aufdie zivile Infrastruktur . Ich weigere mich aber, all das,was der IS tut, als „Krieg“ zu bezeichnen; denn damiterhöht man den IS zu einem Staat . Das ist er nicht . Essind Terroristen .
Christian Petry
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IS-Kämpfer rekrutieren Kinder und scheuen nichtdavor zurück, Frauen und selbst Kinder systematisch zuvergewaltigen; das mag man sich überhaupt nicht vor-stellen . Religiöse und ethnische Minderheiten wie Jesi-den und Christen werden unterdrückt, vertrieben, ermor-det . Auch die muslimischen Glaubensrichtungen selbstterrorisieren sich untereinander . Inzwischen ist eine re-gelrechte Entführungsindustrie zu einer der wichtigstenFinanzierungsquellen der Islamisten herangewachsen .Mit Entführungen wird viel Geld verdient . Das barbari-sche Vorgehen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ mussvon der Staatengemeinschaft gezielt und mit planvollemHandeln endlich beendet werden können . Das ist eineschwierige Aufgabe .In der zweiten Zusammenkunft der Wiener Syri-en-Konferenz konnten erste Schritte auf dem Weg zurBeendigung der Gewalt vereinbart werden . HerzlichenDank, Herr Außenminister, dass Sie sich dafür so en-gagiert eingesetzt haben . Wir müssen versuchen, diesenWeg erfolgreich zu Ende zu gehen . Unser Ziel muss essein, nach politischen Lösungen zu suchen, die befrie-dend wirken und damit Syrern am Ende wieder eine Per-spektive in ihrer Heimat ermöglichen .Die zunehmende Instabilität auch in vielen anderenLändern und Regionen der Erde trägt dazu bei, dass dieZahl der Flüchtlinge beständig steigt . Zurzeit sind bei-nahe 60 Millionen Menschen – diese Zahl wurde vomFlüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen Mitte desJahres ermittelt – weltweit auf der Flucht vor Krie-gen, Konflikten, Verfolgung und auch Not. Davon sind38 Millionen Binnenflüchtlinge, also Flüchtlinge inner-halb ihres eigenen Landes . Nie zuvor hat es so viele Men-schen gegeben, die aus den unterschiedlichsten Gründenunterwegs gewesen sind .Beobachter prognostizieren – auch ich bin davonfest überzeugt –, dass das, was wir jetzt erleben, erstder Anfang ist, wenn wir uns nicht klug und rechtzeitiginsbesondere auch um den afrikanischen Kontinent küm-mern – und kümmern müssen .
Wir müssen leider erkennen, dass die Staatengemein-schaft – insbesondere auch die Europäische Union – inden vergangenen Jahren bei der Hilfe für die Menschenvor Ort sträflich versagt hat. Es darf sich nicht wieder-holen, dass das UNHCR derart unterfinanziert ist, dassdie Essensrationen in den Flüchtlingslagern der Nachbar-länder Syriens halbiert werden müssen . Alle Staaten sinddringend aufgefordert, die von ihnen eigentlich zugesag-ten finanziellen Beiträge auch zu erbringen.Deutschland hat schnell reagiert und die Mittel für dasWelternährungsprogramm noch vor dem Wintereinbruchum 75 Millionen Euro erhöht . Dafür danke ich allenHaushaltskollegen – egal aus welcher Fraktion; natür-lich, das muss ich hinzufügen, insbesondere den eige-nen – ganz herzlich .
Neben der ersten so dringend notwendigen kurzfris-tigen menschenwürdigen heimatnahen Versorgung undUnterbringung durch humanitäre Hilfe bleibt aber vor al-lem die langfristig angelegte Bekämpfung der Fluchtur-sachen unsere zentrale politische Aufgabe . Nur dannwird es gelingen, die anschwellenden globalen Migrati-onsströme auch wirklich zu beeinflussen. Vor allem müs-sen wir die afrikanischen Staaten in der Wahrnehmungihrer Eigenverantwortung bestärken . Diese müssen wirauch einfordern . Ich unterstütze ganz ausdrücklich, HerrAußenminister, dass Sie Ihren Weg nach Afrika gegan-gen sind, obwohl sich mancher fragte, warum Sie dasgetan haben . Das ist elementar nötig .Es muss angesichts nie gekannter Zahlen von Migran-ten, die nach Deutschland kommen oder sich in Deutsch-land befinden, das Ziel sein, vor allem in den Herkunfts-und Transitländern die dringend benötigte Hilfe zu leisten .Denn eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, weiß dochjeder von Ihnen, der sich vor Ort mit den Menschen undden Vertretern von Hilfsorganisationen unterhält: DasElend dieser Welt lässt sich in Deutschland nicht behe-ben . Dafür gibt es zu viel davon . Wir haben bereits jetztmit der Aufnahme von nahezu 1 Million Migranten dieGrenze dessen überschritten, was viele leisten können .Zudem ist leider erkennbar, dass damit auch die eth-nischen und die religiösen Konflikte nach Deutschlandimportiert worden sind und unser Wertesystem auf eineProbe stellen werden . Davon müssen wir ausgehen . Un-sere Städte und Gemeinden sowie die Landkreise ächzenunter der Last der Zuwanderungszahlen . Sie können nichtwarten, bis EU-Lösungen oder internationale Lösungengefunden worden sind . Dabei ist erkennbar, dass unsereeuropäischen Nachbarländer den deutschen Sonderwegnicht mitgehen wollen und nicht mitgehen werden . Daskann jeder prognostizieren, der die Verlautbarungen ausden Nachbarländern hört .
Deshalb ist es unabdingbar nötig, dass das vor Wochenspontan ausgesetzte Recht umgehend wieder angewen-det wird . Das sind wir unserem Rechtsstaat und seinenMenschen schuldig .Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht leicht:Das Spannungsverhältnis zwischen Gesinnungsethikund Verantwortungsethik beschwert nicht wenige . MaxWeber verlangte von uns Politikern, sich verantwor-tungsethisch zu verhalten . Gesinnungsethik, so MaxWeber, sei etwas für die Heiligen .
Und das sind wir nicht .
Vielen Dank . – Als letzter Redner zu diesem Geschäfts-bereich hat jetzt der Kollege Matern von Marschall dasWort .
Erika Steinbach
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Sehr verehrte Frau Präsidentin, herzlichen Dank . –Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gelegentlichangeklungen, man solle in der Haushaltsdebatte nichtüberwiegend über Geld sprechen . Eigentlich ist im We-sentlichen nicht über Geld gesprochen worden . Deswe-gen möchte ich sagen, dass die Voraussetzung all unserespolitischen Handelns ein ausgeglichener Haushalt ist,und den hat Wolfgang Schäuble vorgelegt . HerzlichenDank dafür!
Wenn wir überdies in unserem nationalen Haushalts-plan neben den Ausgaben von 316 Milliarden Euro auchdie Gesamteinnahmen sehen, die das Finanzministeri-um zurzeit auf 670 Milliarden Euro schätzt, dann ist al-lerdings auch klar, dass wir durchaus in der Lage sind,beachtliche Hilfe für die in dieses Land kommendenFlüchtlinge zu leisten . Darauf können wir stolz sein, unddamit können wir auch in der Europäischen Union alsVorbild dienen .Deswegen halte ich es für dringend erforderlich –lieber Kollege Petry, Sie haben von Austerität gespro-chen –, dass wir das, was wir in Europa vereinbart haben,nämlich dass wir solide Haushalte sicherstellen wollen,auch in Zukunft machen und dass wir nicht unter demEindruck der Belastungen, die uns die Flüchtlingskrise,aber vielleicht auch die Bekämpfung des Terrorismusjetzt auferlegen, diese Disziplin in der Haushaltsführungaufgeben . Das, meine ich, ist eine ganz wesentliche eu-ropäische Aufgabe . Denn nur solide Haushalte ermögli-chen uns, außenpolitisch und entwicklungspolitisch dieAufgaben zu bewältigen, die in Bezug auf die Bekämp-fung der Fluchtursachen schon in beachtlichem Umfanghier ausgeführt worden sind .
Ich bin sehr dankbar, dass dieser Haushalt die kurz-,mittel- und langfristigen Aufgaben, die Deutschland hatund denen im Räumlichen lokale, nationale, europäischeund globale Aufgaben entsprechen, sehr klar abbildet .Deswegen freue ich mich auch, dass die beiden zentraleneuropäischen Länder, nämlich Frankreich als Gastgeberund Deutschland ganz an der Seite Frankreichs, jetzt dieWeltklimakonferenz in Paris ausrichten, übrigens geradeauch angesichts des Terrors als ein Zeichen der Solida-rität mit Frankreich und als ein Zeichen politischer Ar-beit, die der Bekämpfung der Fluchtursachen dient . Dennauch das ist schlussendlich globaler Klimaschutz .Das ist auch ein Element der globalen Nachhaltig-keitsstrategie, zu der sich Deutschland und auch Euro-pa verpflichtet haben. Die sogenannten Sustainable De-velopment Goals wurden erst vor wenigen Wochen vonden Vereinten Nationen in New York angenommen .Mit anderen Worten – der Finanzminister hat es ges-tern mit Blick auf die Kontrolle der Finanzmärkte undauch auf die Möglichkeiten der Steuererhebung ange-sprochen –: Deutschland ist dabei, die „Bedingungendieser immer enger werdenden weltweiten Verflech-tung, die wir Globalisierung nennen“ – Zitat von HerrnSchäuble –, zu verstehen und in seiner Haushaltsführungbzw . in der Betonung dieser wichtigen internationalenAufgaben entsprechend zu reflektieren. Das ist von gro-ßer Bedeutung . Ich freue mich, dass dies gelingt .Wenn wir über Terrorismus sprechen, und das ist an-gesichts der entsetzlichen und grausamen Anschläge inParis unausweichlich – gleichwohl sie in Europa dieschrecklichsten sind, haben die Anschläge in sehr vielenanderen Ländern, etwa in der ganzen Region von Afgha-nistan bis nach Syrien, noch entsetzlichere Ausmaße –,dann halte ich es im europäischen Kontext für ganz au-ßerordentlich wichtig, dass wir die Kooperation unsererNachrichtendienste stärken . Das sollte namentlich überEuropol geschehen, und über Europol geschieht es auchjetzt schon .Es sind allerdings nur wenige Länder bereit, umfang-reich Daten einzustellen, die aber für die Aufklärungetwa der Wege, die Terroristen in Europa nehmen, vongroßer Bedeutung sind . Wenn wir das rückblickend be-trachten – etwa bei dem Gott sei Dank vereitelten An-schlag im Thalys-Zug –, konnte man a posteriori sehr gutdie Wege nachvollziehen, und man konnte auch jetzt er-kennen, wie vereinzelt Terroristen den Weg über die Bal-kan-Route gefunden haben . Hier bedarf es also nicht nureiner Stärkung ihrer Arbeit in den nationalen Haushalten,sondern auch einer außerordentlich engen Zusammen-arbeit der Nachrichtendienste, und das muss namentlichüber Europol geschehen .
Mit Blick auf die Außengrenzen der EuropäischenUnion muss ich schon sagen – ich bin davon überzeugt –:Wenn es in Griechenland nicht möglich ist, mit nationa-len Mitteln die Grenzen zu sichern, dann müssen wir –und zwar auch kurzfristig – zu einer gemeinsamen eu-ropäischen Sicherung unserer Außengrenzen gelangen .Wenn wir nicht zu einer gemeinsamen Außengrenzsi-cherung gelangen, also zu einer von allen europäischenNationen gemeinsam getragenen Grenzsicherung, dannwird natürlich der Druck steigen, eine isolierte nationa-le Lösung bei der Grenzsicherung zu finden. Das wollenwir vermeiden . Deswegen ist eine gemeinsame europäi-sche Grenzsicherung ein Schwerpunkt der unmittelbarenZukunft unserer Arbeit .
Ich komme als Berichterstatter für die Türkei auf die-ses Land, über das bereits debattiert wurde, zu sprechen .Ich will in aller Deutlichkeit sagen: Wenn man den Fort-schrittsbericht der Europäischen Kommission liest – die-ser müsste eigentlich Rückschrittsbericht heißen –, dannstellt man fest, dass die Türkei mit Blick auf die Grund-rechtskapitel in einer Lage ist, die als mehr als betrüb-lich, wenn nicht sogar als katastrophal zu bezeichnen ist .Hier sind leider keine Fortschritte, sondern Rückschrittefestzustellen .
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Herr Kollege, die Kollegin Hänsel würde gerne eine
Zwischenfrage stellen . Wollen Sie sie zulassen oder wei-
tersprechen?
Ich würde ausnahmsweise weitersprechen, um meinen
Gedanken zu Ende zu führen .
Vielleicht kann die Frage nachfolgend gestellt werden .
Ich möchte auf die Menschenrechtskapitel etwas nä-
her eingehen . Der Kabinettschef von Herrn Hahn, den
ich in der letzten Woche in Brüssel getroffen habe, hat
mir klar signalisiert, dass es kein Junktim im Zusammen-
hang mit der Unterstützung, die dazu dient, die Türkei
angesichts der Flüchtlingsbewegungen zu stabilisieren,
geben wird und dass es zu keiner Aufweichung der kla-
ren und strikten Vorgaben aus den Fortschrittsberichten,
die sich an den Kapiteln orientieren, kommen wird . Die-
se Kapitel werden also nicht mit einem Deal verknüpft;
das sollte ausdrücklich klar sein .
Die Europäische Kommission plant, die Türkei mit
3 Milliarden Euro zu unterstützen . 500 Millionen Euro
kommen aus dem Haushalt der Europäischen Union,
und 2,5 Milliarden Euro stammen aus den Haushalten der
Mitgliedstaaten, allen voran aus dem Haushalt Deutsch-
lands, das sich entsprechend dem in Europa üblichen
Gross National Income mit 22 Prozent beteiligt . Wie wir
sehen, will Deutschland die Türkei in die Lage verset-
zen, den Flüchtlingen in ihrem Land eine Perspektive zu
geben . Das wird unterstützt durch unser BMZ, das mit
Maßnahmen die mittel- und längerfristige Perspektive,
etwa die schulische Bildung, stärkt . Wir machen das so-
wohl im europäischen als auch im nationalen Kontext;
das ist wichtig . Wir werden aber eine Visa liberalisierung
nur vornehmen, wenn die Türkei bereit ist, Flüchtlinge
zurückzunehmen, die von der Türkei aus in andere Län-
der der Europäischen Union eingewandert sind . Das soll-
te deutlich gemacht werden, wenn wir der Türkei Hilfe
leisten . Das ist auch in meinem Gespräch mit dem Ka-
binettschef von Herrn Hahn einvernehmlich so ausge-
drückt worden .
Frau Hänsel, Sie dürfen jetzt gerne Ihre Zwischenfra-
ge stellen . Oder hat sie sich erledigt?
Frau Hänsel hat eine Kurzintervention angemeldet .
Sie können also entspannt zu Ende sprechen .
Dann werde ich entspannt zu Ende sprechen .
Ich will eines klarmachen: Wenn Deutschland, Frank-
reich, Großbritannien und Italien zwei Drittel der finan-
ziellen Lasten des Pakets, das nun die Europäische Union
schnürt, tragen, dann wird auch klar, dass diese Länder
maßgeblich die Zukunft der europäischen Außenpolitik
mitbestimmen müssen, solange wir keine wirkungsvolle
gemeinsame Außenpolitik haben . Da ist Bundeskanzle-
rin Merkel die Beste, die das vorantreiben kann .
Danke .
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Ab-
geordneten Hänsel, Fraktion Die Linke .
Danke schön, Herr Präsident . – Ich möchte kurz nach-
fragen, da Sie fast beiläufig gesagt haben, dass wir die Si-
cherung der Außengrenzen von Griechenland gegenüber
der Türkei übernehmen sollten . Aber wir kennen doch
alle die dramatischen Bilder von Schlauchbooten, in de-
nen Menschen, ganze Familien sitzen, die sich über die
Türkei auf die griechischen Inseln retten . Ich selbst war
wie etliche Kollegen im Sommer auf der griechischen
Insel Lesbos, wo jeden Tag bis zu 10 000 Menschen an-
kommen . Wie wollen Sie konkret die Grenzen sichern,
und was soll das für die Menschen bedeuten, die auf ho-
her See in diesen Schlauchbooten sitzen?
Wollen Sie anweisen, dass sie zurückgeschickt wer-
den, und in Kauf nehmen, dass damit noch mehr Men-
schen ertrinken? Der Bürgermeister von Mytilini auf
Lesbos, Spiros Galinos, hat einen dramatischen Hilferuf
an die internationale Gemeinschaft gerichtet und gesagt,
dass die Gräber auf der griechischen Insel Lesbos auf-
grund der ertrunkenen Menschen übervoll seien . Wollen
wir so weitermachen, indem wir jetzt in einem Satz sa-
gen: „Wir machen dort die Grenzsicherung“? Was bieten
Sie diesen Menschen auf der Flucht an?
Das ist eine Schande für Europa . In den Sätzen zuvor
wird gesagt: Wir sind eine Hochburg der Werte . – Was
sind denn die europäischen Werte, wenn sie nicht dazu
führen, diesen Menschen zu helfen? Es kann nicht sein,
dass wir in einem Satz sagen: Wir sichern dort die Gren-
zen und machen sie einfach zu .
Mögen Sie antworten? – Bitte schön .
Frau Kollegin Hänsel, ich hatte eben versucht – ers-tens –, klarzumachen, dass es unser Anliegen ist, die Tür-kei in die Lage zu versetzen, den Menschen eine Bleibe-perspektive zu bieten, sodass sie sich gar nicht erst aufdiesen gefährlichen Weg machen müssen .
Zweitens . Die europäische Außengrenzsicherung istein zentraler Aspekt der Souveränität der EuropäischenUnion . Wenn diese Außengrenzsicherung nicht gewähr-
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leistet ist – das hatte ich ausgeführt –, dann wird derDruck auf die nationalen Grenzen, nämlich die Siche-rung im nationalen Alleingang vorzunehmen, weiter zu-nehmen . Das ist alles andere als wünschenswert . KollegeSarrazin hat die Rückwärtsentwicklung einer solchenFlüchtlingswelle, die sich entlang der Balkan-Route ent-falten würde, deutlich gemacht . Das ist unser Ansatz .Wir wollen ferner die Schlepperbanden bekämpfen,sodass die Möglichkeit, mit der Flucht der Menschen vielGeld zu verdienen und die Menschen in einer lebensge-fährlichen Fahrt auf die Inseln zu bringen, unterbundenwird .Ich glaube, das ist ein gemeinschaftlicher europäischerAnsatz, der gleichzeitig auch den humanitären Prinzipi-en, denen diese Gemeinschaft verpflichtet ist, genügt.
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 05 – Auswärtiges Amt – in der Ausschussfassung .
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen .
Wer stimmt für den Änderungsantrag von Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/6799? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke abgelehnt .
Wir stimmen nun über den Einzelplan 05 – Auswär-
tiges Amt – in der Ausschussfassung ab . Wer stimmt für
den Einzelplan 05 – in der Ausschussfassung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 05
ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Lin-
ke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen somit ange-
nommen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt I .11 auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
Drucksachen 18/6113, 18/6124
Berichterstatter sind die Abgeordneten Bartholomäus
Kalb, Karin Evers-Meyer, Michael Leutert und Dr . Tobias
Lindner .
Zum Einzelplan 14 hat die Fraktion Die Linke ei-
nen Entschließungsantrag eingebracht, über den wir am
Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Abgeordneten Michael Leutert, Fraktion Die
Linke, das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Frau Ministerin! Bei den derzeit täglichstattfindenden Ereignissen ist es nicht so einfach, nurüber die Zahlen des Haushalts zu sprechen . Erst gesternhat die Türkei ein russisches Kampfflugzeug abgeschos-sen . Danach gab es eine Krisensitzung der NATO . Dassind natürlich alles keine beruhigenden Nachrichten . Dastürkische Verhalten ist ein Schritt zur weiteren Eskalationdes Konfliktes, und dafür kann und darf es von uns keineSolidarität geben .
Die Türkei ist ein aktiver Teil der Auseinandersetzungin Syrien . Sie unterstützt einerseits alles und jeden, dergegen Assad kämpft, einschließlich des IS . Damit ist sieein Gegenspieler Russlands, da Russland auf der Seitevon Assad kämpft . Andererseits bekämpft die Türkei mitallen Mitteln, auch mit militärischen, die Kurdinnen undKurden in Syrien, im Irak und im eigenen Land . Die Kur-den wiederum werden aber von den USA und auch vonDeutschland mit Waffen, Ausbildung und Informationenunterstützt. Mittendrin in diesem Konflikt sind Bundes-wehrsoldaten in der Türkei und im Irak im Einsatz .Ich habe in meiner Rede im September schon einmalauf diese komplizierte Situation hingewiesen . Leider istdie Situation seitdem nicht einfacher geworden, ganz imGegenteil . Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen,muss der Abzug der Bundeswehrsoldaten aus der Türkeibeschleunigt werden .
Vor zwölf Tagen erreichte uns eine andere schreckli-che Nachricht . Wir wurden Zeugen der brutalen Terro-ranschläge des IS in Paris mit mehr als 130 Toten undnoch viel mehr Verletzten . Nichts, aber auch gar nichtskann diese Taten rechtfertigen, und die Terroristen müs-sen verfolgt und bestraft werden . Frankreich und auchdie Menschen in Frankreich verdienen unsere Solidarität .Aber unsere solidarischen Reaktionen müssen beson-nen und weitsichtig sein . Wir dürfen mit unseren Folge-handlungen nicht dazu beitragen, dass wir in Zukunftnoch größere Probleme haben . Forderungen nach einemBundeswehreinsatz im Inneren, wie sie auch von Kabi-nettsmitgliedern in der Öffentlichkeit kundgetan wurden,gehören definitiv nicht in die Kategorie „besonnen undweitsichtig“ .
Frau Ministerin, ich bitte Sie, hier und heute klar unddeutlich zu erklären, dass es mit Ihnen auch in Zukunftkeinen Bundeswehreinsatz im Inneren geben wird .
Ein militärischer Entlastungseinsatz der Bundeswehrin Mali gehört ebenfalls nicht in die Kategorie besonne-ner und weitsichtiger Reaktionen . Der Kern des innerma-lischen Konflikts ist doch die soziale, wirtschaftliche undkulturelle Ausgrenzung der Tuareg . Diese haben sich nuninnerhalb der letzten 60 Jahre zum vierten Mal erhoben .Matern von Marschall
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Dieses Problem militärisch zu lösen, daran sind die Fran-zosen schon gescheitert, als sie noch Kolonialherren ge-wesen sind . Und nun soll die Bundeswehr es militärischlösen? Es gibt dort nur den Ausweg der friedlichen poli-tischen Lösung . Dazu muss natürlich auch die malischeRegierung bereit sein . So und nicht anders können wiretwas zur Bekämpfung von Fluchtursachen beitragen .Fluchtursachen bekämpfen ist derzeit fraktionsüber-greifender Konsens; das kann man nur begrüßen . Umsoärgerlicher ist es allerdings, wenn in Ihrem Ministerium,Frau Ministerin, Maßnahmen finanziert werden, die die-sem Ziel genau entgegenstehen . Ich meine damit das Pro-jekt TanDEM-X .Was ist TanDEM-X? Deutschland verfügt über zweiSatelliten, die seit mehreren Jahren die Erdoberfläche innie dagewesener Genauigkeit vermessen, Gesamtkostenbisher 400 Millionen Euro . Davon hat der Steuerzahlerbisher 300 Millionen Euro gezahlt . Aus den gewonne-nen Rohdaten kann man das genaueste Höhenmodell derErde errechnen, welches es bisher gibt . Man hat dann so-zusagen eine 3-D-Landkarte unseres Globus . Diese Karteist so genau, dass mittlerweile alle möglichen Geheim-dienste und Militärs daran Interesse haben .Mit gesundem Menschenverstand und mit der Logikeines Haushälters könnte man nun auf die Idee kommen:Wir berechnen das Höhenmodell selber und können dieErgebnisse an befreundete und zuverlässige Staaten ver-kaufen . Wir könnten also sozusagen noch Geld einneh-men . Aber nein, Sie wollen es genau umgekehrt machen:Wir kaufen unser eigenes, von unseren Steuergeldern be-zahltes Produkt noch einmal für weitere 360 MillionenEuro und schenken es 35 anderen sogenannten Allianz-nationen .In dem Vertrag, der abgeschlossen wird, ist ausdrück-lich festgehalten, dass diese Allianznationen das Rechthaben, das Kartenmaterial mit anderen ausländischenKoalitionspartnern zur Verfolgung eines gemeinsamensicherheitspolitischen Interesses zu teilen . Sie wollenalso ein weltweit militärisch nutzbares Höhenmodell,welches die Bundeswehr „zeitnah für bestehende undgeplante Aufklärungs-, Führungs-, Simulations-, Ein-satz- und Waffensysteme benötigt“, an 35 andere Nati-onen verschenken und ihnen das Recht einräumen, dieswiederum mit anderen zu teilen .Unter den 35 Staaten befindet sich nicht nur die Tür-kei, die derzeit aktiver Teil militärischer Auseinanderset-zungen im Irak und in Syrien ist, sondern man findet daauch die Vereinigten Arabischen Emirate . Die Emiratesind derzeit an den militärischen Auseinandersetzungenim Jemen beteiligt . Außerdem gehören die Emirate zumGolf-Kooperationsrat, welcher eine außen- und sicher-heitspolitische und damit auch eine militärische Kom-ponente hat . Alle Länder der Arabischen Halbinsel, alsoauch Saudi-Arabien, gehören diesem Zusammenschlussan – nur der Jemen nicht, und genau in diesem Land füh-ren die Länder des Golf-Kooperationsrats einen erbitter-ten Krieg . Denen schenken wir jetzt noch die genauestemilitärisch nutzbare 3-D-Weltkarte, damit sie ihre Mili-täroperationen noch besser planen und durchführen kön-nen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir solchenMaßnahmen zustimmen und bereit sind, dafür auch noch670 Millionen Euro zu bezahlen, dann können wir unsdie 250 Millionen Euro zur Krisenprävention und Frie-denserhaltung im Etat des Auswärtigen Amtes auch spa-ren . Ich kann Sie nur noch einmal auffordern, dieses Pro-jekt sofort zu stoppen . Wir brauchen das Geld dringendan anderer Stelle .Außerdem bin ich der Auffassung, dass Sie gegen gel-tendes Recht verstoßen . Sie brauchen dafür nämlich eineRüstungsexportgenehmigung . Die haben Sie aber nicht .Es wurde noch nicht mal ein Antrag gestellt . An dieserStelle kann die SPD mal helfen . Minister Gabriel, zustän-dig für Exportgenehmigungen, könnte hier als SPD-Par-teivorsitzender sein Versprechen, Rüstungsexporte zuminimieren, umsetzen . Ich hoffe, Sie tun das . Das wäreein wichtiger Beitrag zur Schaffung von Frieden .
Für die Bundesregierung erteile ich das Wort der Bun-desministerin Dr . Ursula von der Leyen .
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin derVerteidigung:Vielen Dank . – Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möch-te mit einem Dank beginnen . Ich danke insbesondere denBerichterstattern für eine sehr vertrauensvolle und guteZusammenarbeit . Das war in diesem Jahr wie in den ver-gangenen Jahren ausgesprochen angenehm zu erleben .Ich möchte an dieser Stelle auch ganz herzlich denKolleginnen und Kollegen Abgeordneten, insbesonderedem Bundestagspräsidenten, danken, nämlich dafür, dassvor zwei Wochen der 60 . Geburtstag der Bundeswehrhier so klasse gefeiert worden ist .
Wir haben am 11 . November einen Großen Zapfenstreichvor dem Reichstag erlebt . Wir haben eine tolle Debat-te am nächsten Tag hier im Hohen Hause gehabt . Daswaren ganz besondere Momente, nämlich Momente desInnehaltens auch in dieser turbulenten Zeit, Momente derAufmerksamkeit, Momente der Wertschätzung . Das hatden Menschen in der Bundeswehr richtig gutgetan . Daskann ich Ihnen nach dem sagen, was ich auch an Feed-back bekommen habe . Ich glaube, das hatten sie auchverdient .Die Glückwünsche zu unserem 60 . Geburtstag warenkaum verklungen, und die Fackeln zum Großen Zap-fenstreich waren kaum erloschen, da haben uns diesegrauenhaften Bilder aus Paris erreicht: unschuldige Men-schen, die von kaltblütigen Terroristen willkürlich hinge-richtet werden: beim Konzert, im Café, auf der Straße,mitten im Alltag, mitten in Frankreich, mitten in Euro-pa . Meine Damen und Herren, wir alle spüren in diesenTagen – das zeigen auch die Debatten in diesem HohenMichael Leutert
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Hause –, dass diese niederträchtigen Anschläge nicht nurFrankreich gegolten haben, sondern insbesondere uns al-len . Unsere offene Gesellschaft, unser Wertesystem undunsere Überzeugungen, das sollte im Kern getroffen wer-den .Deshalb sage ich auch ganz unmissverständlich: Wirstehen an der Seite Frankreichs, und zwar nicht nur inder Trauer um die Toten – die beweinen wir gemeinsammit Frankreich –, sondern vor allem in der Entschlossen-heit, den Terror zu bekämpfen . Das ist unsere ganz klareBotschaft .
Frankreich hat zum ersten Mal die Beistandsklauseldes Artikels 42 Absatz 7 des Vertrags über die EU akti-viert, die alle Mitgliedstaaten dann, wenn ein Mitglied-staat von außen angegriffen wird, zur Hilfe verpflichtet.Deshalb werden wir alles in unserer Macht Stehende tun,um unseren französischen Verbündeten und Freundennach diesem Angriff unsere Unterstützung zuzusichern .Der Artikel 42 Absatz 7 ist ein ganz starkes politischesSignal . Er hat eine starke Bindungswirkung, so wie derArtikel 5 des NATO-Vertrags, aber er hat einen viel brei-teren Instrumentenkasten, aus dem man sich bedienenkann . Das heißt, wir müssen auch darauf achten – dastun wir in diesen Tagen –, dass ein ganzes Bündel vonMaßnahmen im Kampf gegen den Terror nötig ist unddass insbesondere auch sämtliche Ressorts der Bundes-regierung gefragt sind .Frankreich erwartet Hilfe im Kampf gegen den soge-nannten „Islamischen Staat“ . Aber es erwartet auch Ent-lastung . Ich werde nicht vergessen, wie eindringlich meinKollege Jean-Yves Le Drian im Ministerrat uns um Hil-fe gebeten hat und wortwörtlich gesagt hat: Frankreichkann das alles nicht mehr alleine tragen . – Und wir wol-len helfen . Ich glaube, es zeigt sich in diesen Tagen sehrdeutlich, wie sinnvoll unsere Entscheidung vor etwasmehr als einem Jahr war, im Nordirak die Verantwortungzu übernehmen, die Peschmerga auszurüsten und aus-zubilden; denn es ist ihnen gelungen, den sogenannten„Islamischen Staat“ nicht nur zu stoppen, sondern ihnzurückzuschlagen . In diesen Tagen haben sie die StadtSindschar wiedererobert . Ja, es bedurfte natürlich desMutes der Peschmerga und der Standfestigkeit und auchdes Willens, ihre Heimat zu verteidigen . Aber es bedurfteeben auch unserer Ausrüstung und unserer Ausbildung .Das war ein wichtiger Etappensieg bis hierher, und wirmüssen ganz beharrlich diesen Weg verlässlich mit denKurden auch weitergehen .
Der sogenannte „Islamische Staat“ – ja, wir müssenihn bekämpfen . Viele Rednerinnen und Redner habendies gesagt . Wir müssen aber auch stabilisieren, und wirmüssen vor allem diejenigen stark machen, die Beute des„Islamischen Staates“ geworden sind . Im Haushalt 2016haben wir einen Ertüchtigungstitel über 100 MillionenEuro eingerichtet . Gemeinsam mit dem AuswärtigenAmt können wir ihn in Anspruch nehmen für Ausstat-tung, für Stabilisierung, für Staatsaufbau . Alleine fürden Irak sind da rund 24 Millionen Euro geplant . Dennwir wissen, auch wenn militärische Mittel im Kampf ge-gen den sogenannten „Islamischen Staat“ unumgänglichsind, die wahre Bewährungsprobe kommt erst nach die-sem Kampf . Die kommt nämlich in der Zeit, wenn Städteoder Gebiete zurückerobert worden sind . Dann müssenwir in die Stabilisierung dieser Regionen investieren .Dann müssen wir in den Aufbau und vor allen Dingen indie Versöhnung investieren .Wir haben ja in den vielen Lehren, die wir in den ver-gangenen Jahren auch in Afghanistan gezogen haben, ge-lernt, dass die Zeit nach dem Kampf die entscheidende istfür die Nachhaltigkeit des Erfolges und dass wir da dieWurzeln legen für ein friedliches Zusammenleben . Dahinein muss investiert werden .
Deshalb zieht sich dieser Krisenbogen nicht nur vonAfghanistan über das Gebiet zwischen Euphrat undTigris, sondern bis nach Westafrika hinein . Auch das istin mehreren Beiträgen angeklungen . Wir werden deshalbauch unsere Präsenz in Afrika ausweiten . In Mali, einemLand, das noch stabil ist, das mit den Terroristen ringt,die alles tun, um die Stabilität des Landes zu erschütternund es in seiner Gesamtheit zu zerstören, wird eine dau-erhafte Befriedung nur wachsen, wenn die Aussöhnungzwischen den Tuareg, den Rebellen und der Regierung –wenigstens denjenigen, die dem Friedensvertrag zuge-stimmt haben – tatsächlich eine Besserung für die Men-schen in dem Land mit sich bringt und natürlich wenn dieSicherheitsstrukturen in Mali gefestigt werden .Für den Friedensprozess ist die VN-geführte MissionMINUSMA ein unverzichtbarer Rahmen, der aber – wirhaben heute Morgen schon darüber gesprochen – so aus-gestattet sein muss, dass MINUSMA seine Funktion desBegleitens des Friedensvertrages tatsächlich ausübenkann . Die Ausstattung der VN-geführten Mission ist inganz vielen verschiedenen Beiträgen hier Dauerthemagewesen . Wir wollen substanziell zu MINUSMA beitra-gen, auch um unserer gewachsenen Verantwortung ge-recht zu werden .Das ist auch der Leitgedanke für die Grundhaltung,aus der heraus wir in der letzten Woche im Kabinett dieVerlängerung des Resolute-Support-Mandates in Af-ghanistan beschlossen haben . Wir müssen auch dem af-ghanischen Volk zeigen, dass wir an seiner Seite stehen;denn es ist ein langer beschwerlicher Weg, gerade fürdie af ghanische Regierung und die Sicherheitskräfte, bissie die Sicherheit in Afghanistan tatsächlich selber tra-gen können . Kunduz hat mehr als deutlich gezeigt, wieschwer der Weg ist und wie sehr sie noch auf unserenRat und unsere Unterstützung angewiesen sind, und wirmüssen unsere Lehren aus Kunduz ziehen .Ich finde aber vor allem wichtig, dass wir nach diesenvergangenen anderthalb Jahren Resolute Support Missi-on wegkommen von dieser monatsweisen Betrachtungdes Mandats und davon, ununterbrochen auf Rückzugs-pläne gepolt zu sein; vielmehr müssen wir unsere Hal-tung in Afghanistan ändern und viel stärker deutlich ma-Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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chen, dass wir eher in Jahren der Präsenz in Afghanistandenken, damit wir aufbauen, damit wir nach vorne den-ken . Es geht also darum, dass wir dieses Mandat tatsäch-lich auch mit Leben erfüllen und nicht permanent überden Rückzug diskutieren . Denn damit, meine Damen undHerren, senden wir vor allem der afghanischen Bevölke-rung das klare Signal, dass wir Zutrauen in die ZukunftAfghanistans haben, dass wir verlässlich sind und dasswir an ihrer Seite bleiben, bis Afghanistan es geschaffthat, selbst Stabilität herzustellen . Deswegen müssen wirlänger dort bleiben .
Wir haben uns deshalb am Montag mit 21 Verbündetenund Partnern zusammengesetzt . Es war beeindruckend zuerleben, wie sehr unsere Partner im Norden Afghanistansmit uns in diesem Grundansatz übereinstimmen, überlange Fristen zu diskutieren und nicht monatsweise, undwie sehr sie uns ihre Unterstützung zugesichert haben .Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, als ich hier Anfang September bei der erstenLesung dieses Haushaltes vor Ihnen stand, da standenwir alle noch unter dem starken Eindruck des Flücht-lingsthemas, das im Augenblick noch genauso bedeutendist, wie es damals war, aber heute überlagert wird von derDiskussion – auch diese ist wichtig – über die Bekämp-fung des Terrors . Ich möchte hier nur berichten, dass unsals Bundeswehr diese Aufgabe nach wie vor enorm for-dert, in der Amtshilfe und mittlerweile unverzichtbar .Wir haben inzwischen mit der Bundeswehr über35 000 Unterkunftsplätze für Flüchtlinge und Asylsu-chende geschaffen . Das Verteidigungsministerium hatim Bundeskabinett die Verantwortung für das ThemaUnterbringung übernommen . Und wir haben uns daraufeingerichtet, langfristig zu helfen: mit Personal und mitunserer geballten Erfahrung in Führung und Organisati-on . Das heißt, dass wir aktuell mit deutlich mehr als dop-pelt so vielen Soldatinnen und Soldaten, fast dreimal sovielen Soldatinnen und Soldaten, wie wir im Auslands-einsatz haben, per Amtshilfe in der Flüchtlingshilfe ge-bunden sind .Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich finde es beeindru-ckend, mit welchem Elan und mit wie viel Herz die Sol-datinnen und Soldaten sich da engagieren . Und das wirdwahrgenommen . Es wird wahrgenommen von den Mi-nisterpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, von denLandesinnenministern, von Bürgermeistern, Oberbür-germeistern, Landräten, aber auch vom Deutschen RotenKreuz, vom THW, von den Flüchtlingsinitiativen . Siesind voll des Lobes über die Bundeswehr .
Ich höre das immer mit ganz großer Freude und mitStolz . Ich glaube, wir können uns diesem großen Lobauch anschließen .
Das Bild, das ich eben gezeichnet habe, ist natürlich,der Kürze der Zeit geschuldet, noch unvollständig . Aberall das würdigt auch die Bevölkerung . Wir haben eineaktuelle repräsentative Umfrage in der Bevölkerungdurch unser Zentrum für Militärgeschichte und Sozial-wissenschaften der Bundeswehr – Sie kennen es; kurzZMSBw –, durchgeführt, die zeigt, dass inzwischen je-der Zweite in Deutschland für steigende Verteidigungs-ausgaben ist: 51 Prozent . Das ist der höchste Wert, derje gemessen worden ist . Im letzten Jahr lag er noch bei32 Prozent und im Jahr 2013 nur bei 19 Prozent . Wassagt uns das?Es sagt uns – bitter genug –, dass die Menschen inzwi-schen natürlich um den Ernst der Lage wissen .Es sagt uns zweitens aber auch, dass Vertrauen in dieBundeswehr herrscht und dass die Bundeswehr das vorallem durch ihre persönliche Leistung – ich betone: per-sönliche Leistung – rechtfertigt .Es zeigt aber auch, dass die Menschen wahrnehmen,dass die Truppe Aufholbedarf hat bei Material und Aus-rüstung, dass in Sicherheit investiert werden muss, wennman sie in Krisensituationen sicherstellen will .Dafür steht auch dieser Haushalt 2016 . Es ist ein guterVerteidigungshaushalt; denn er beschreibt die notwendi-ge, so lang ersehnte Trendwende nach vielen Jahren derSchrumpfkur . Die 34,3 Milliarden Euro erlauben es uns,den Pfad der Modernisierung der Bundeswehr, den wirgemeinsam eingeschlagen haben, weiterzugehen . Des-halb bitte ich Sie dafür um Zustimmung .Vielen Dank .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Dr . Tobias Lindner, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! DieserEtat ist wenige Stunden vor den Ereignissen in Paris be-raten worden . Man kann ihn – ich sage: glücklicherwei-se – auch nicht als Reaktion auf die Ereignisse in Parissehen . Aber natürlich führen wir diese Debatte nicht nurim Lichte der Ereignisse in Paris, sondern auch im Lichteder Anschläge in Beirut und Bamako, im Lichte der an-haltenden Gewalt in Syrien .Wir stehen vor vielen Herausforderungen, auf diePolitik Antwort geben soll . Ich will für meine Fraktionsagen: Am Ende wird die Antwort auf diese Herausfor-derungen nur eine politische sein können . Unser oberstesZiel muss es sein, dass das Töten endlich ein Ende findet.Die Menschen in Syrien sollen in Frieden leben können .Wir dürfen diesen Krieg nicht weiter anheizen . Wir müs-sen unser gesamtes Gewicht in die Waagschale werfen,damit die Waffen endlich zum Schweigen kommen, mei-ne Damen und Herren .
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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Ich will in Reaktion auf die Anschläge in Paris ganzdeutlich sagen: Für mich, für uns Grüne sind Besonnen-heit und Entschlossenheit kein Begriffspaar, das sich ge-genseitig ausschließt . Ich will deutlich sagen: Natürlichkann man mit dem IS – wir sollten es besser Da‘isch nen-nen – nicht politisch reden . Den IS, Da‘isch, kann mannur bekämpfen . Aber genauso müssen wir uns darübereinig sein, dass die Lösung am Ende nur in Syrien liegenund nur eine politische Lösung sein kann, liebe Kollegin-nen und Kollegen .
Frau Ministerin, Sie haben es schon angesprochen:Solange in Syrien, solange im Nahen Osten kein Frie-den herrscht, so lange werden neue Flüchtlinge nachDeutschland kommen . Bei allem Streit in der Sache, vorallem über den Verteidigungsetat, den wir heute beraten,sage ich: Meine Fraktion erkennt den signifikanten Bei-trag, den die Bundeswehr bei der Versorgung und Unter-bringung der Flüchtlinge in Deutschland leistet, an . Wirmöchten den Soldatinnen und Soldaten und den zivilenHelferinnen und Helfern für ihren Einsatz, den sie unent-wegt leisten, an dieser Stelle danken .
Kommen wir zum Verteidigungsetat . Ich habe schonvom Streit gesprochen . Frau Ministerin, ich habe denEindruck, was den Zuwachs beim Einzelplan 14 angeht,über den Sie sich freuen und wo ich Ihnen durchaus guteMedienarbeit attestiere, wollen Sie der simplen Logikfolgen: Viel hilft viel . Auf dem NATO-Gipfel in Waleshat sich die Bundesregierung noch zum 2-Prozent-Zielbekannt . Wir müssen uns klarmachen, dass die Erfüllungdieses Ziels bei dem heutigen BIP bedeuten würde, dasssich der Etat des Verteidigungshaushalts um 28 Milliar-den Euro erhöhen würde, auf ganze 62 Milliarden Euro .Das ist nicht nur überdimensioniert, liebe Kolleginnenund Kollegen, es ist völlig unrealistisch, dieses Zielüberhaupt erreichen zu wollen . Und um ehrlich zu sein:2 Prozent des BIP als politisches Ziel – nach dem Motto:Wofür das Geld ausgegeben wird, ist uns egal; wir wol-len nur festlegen, wie viel es ist – zu definieren, ist eineziemlich schlechte Zielmarke . Nein, das ist keine guteVerteidigungspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Sie selbst haben erklärt, dass Sie schon froh sind, dassder Verteidigungshaushalt auf 1,17 Prozent anwächst . Siehaben immer wieder ausgeführt, Sie wollen dieses Zielhalten . Wir haben bereits gestern in diesem Haus darübergesprochen, dass es Deutschland gut geht, und haben unsalle darüber gefreut . Wenn man sich die aktuellen Kon-junkturprognosen und Ihre aktuelle Finanzplanungslinieansieht, dann würde die Verfolgung des 2-Prozent-Zielszusätzliche Aufwüchse über die mittlere Finanzplanungbedeuten . Ich will ganz deutlich sagen: Abgesehen da-von, dass ich das nicht für sinnvoll halte, glaube ich auchnicht, dass das bei den enger werdenden Spielräumen imBundeshaushalt möglich sein wird . Meine Damen undHerren, ich habe den Eindruck, Sie fordern einfach mehrGeld und wissen gar nicht, wofür .
Verabschieden Sie sich von diesem unrealistischen Ziel!Denn Sie führen dadurch eher die Bundeswehr nach Wol-kenkuckucksheim, als dass das zu einer besseren Aus-stattung der Bundeswehr oder zu einer besseren Verteidi-gungspolitik führen würde .
Weil der Kollege Otte gerade Angst vor Märchen hat:Schauen wir uns doch einmal den Verteidigungsetat imDetail an .
Wenn Sie, Kollege Otte, hineingeschaut hätten, hättenSie erkannt, dass es dort eine sonderbare Gleichzeitigkeitvon Überfluss und Mangel gibt. Das macht die Forde-rung noch absurder .Schauen wir uns die Personalmittel an . Ich muss Sienicht darauf hinweisen, dass das eine gesetzliche Pflicht-aufgabe ist . Wir haben wahrgenommen, dass in den letz-ten Jahren die Mittel für das Personal immer unterveran-schlagt waren, und zwar nicht wegen Tarifsteigerungen,die den Soldatinnen und Soldaten zu Recht zustehen unddie sie von Herrn Schäuble bekommen: Nein, sie warensystematisch zu niedrig veranschlagt . Damit werden SieIhrer Verantwortung gegenüber der Truppe nicht gerecht,Frau von der Leyen . An der Stelle haben wir einen Man-gel .Wenn man in das Beschaffungskapitel, in den BereichRüstung, schaut, dann sieht man das absolute Gegenteil .2013 ist über 1 Milliarde Euro liegen geblieben, 2014waren es 763 Millionen Euro . Auch in diesem Jahr –Stand: Ende August – gehen Sie von mehr als einer hal-ben Milliarde Euro aus .
Da herrscht Überfluss. Sie brauchen diesen Überflusssogar, um die Personalausgaben zu finanzieren. Wie ab-surd ist es denn, einen Haushalt aufzustellen, bei dem Sieschon heute hoffen müssen, dass Sie weitere Problemeim Rüstungsbereich haben werden, damit Sie die Sol-datinnen und Soldaten am Ende des Monats finanzierenkönnen? Das sorgt weder für Klarheit noch für Wahrheitim Haushalt, noch hat es irgendetwas mit einer vernünf-tigen Planung zu tun, Frau von der Leyen .
Jetzt schauen wir uns einmal den Beschaffungsbereichim Detail an . Da könnte ich als Überschrift wählen: vie-le Berichte, einige Ansätze, die wir durchaus anerken-nen, aber vor allem wenig Verbesserung . – Auf meinemDr. Tobias Lindner
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Schreibtisch liegen ganze fünf Berichte zur Beschaffungdes G36 .
Vier weitere, nämlich die halbjährlich veröffentlich-ten Berichte zu Rüstungsangelegenheiten, gesellen sichhinzu . Das macht schon ein ganz nettes Türmchen von BMVg-Berichten .Sie haben hier in der ersten Lesung angekündigt, dassSie die Rüstungsprojekte, die Sie selbst anstoßen, in eineneue Struktur bringen wollen; ich glaube, Sie haben es„Kapsel“ genannt . Das ist etwas, worüber man durchausdiskutieren kann . Aber dann will ich Ihnen schon zuru-fen: Sie müssen auch auf die Projekte schauen, die laufenund sich in einem schweren Fahrwasser befinden;
Sie müssen auf die Schmuddelkinder gucken, auf Pro-jekte, die uns Geld kosten, die nicht in der vorgesehenenZeit, in der vorgesehenen Qualität umgesetzt werden . Siemüssen sich also um den A400M, den Eurofighter unddie Fregatte kümmern, anstatt weiterhin nur – um im Bildzu bleiben – mit den neuen Babys zu spielen und nur siefürsorglich zu behandeln .Die Probleme im Rüstungsbereich, meine Damenund Herren, bestehen auch im dritten Jahr der Amtszeitder Ministerin von der Leyen fort . Nach all den Berich-ten und Ankündigungen braucht es endlich strukturelleVeränderungen bei den bestehenden Rüstungsprojekten .Frau von der Leyen, kümmern Sie sich nicht nur um IhreBabys; Sie müssen auch mit den Schmuddelkindern spie-len .
Bei all diesem Durcheinander führt jetzt die GroßeKoalition, die sonst immer von mehr Transparenz redet,die jährliche Übertragbarkeit der Mittel für einzeln veran-schlagte Rüstungsprojekte ein . Das klingt sehr technisch;aber da geht es um die Projekte, die besonders teuer sind,besonders viel Ärger machen und unsere besondere Auf-merksamkeit benötigen . Statt wie bisher, wenn Geld ineinem Jahr liegen bleibt und Sie es im kommenden Jahrbenötigen, darüber eine Debatte im Parlament und imHaushaltsausschuss führen zu müssen, sodass wir unsdamit beschäftigen können, besteht nun die Möglichkeit,Mittel ohne Diskussion von einem Jahr auf das andere zuübertragen .Dies führt dazu, dass wir erst nach Ablauf von ein paarMonaten, wenn nicht gar erst am Ende eines Haushalts-jahres, erfahren werden, welches Projekt sich verzögertoder in einem schweren Fahrwasser ist . Sie hätten auchandere Möglichkeiten gehabt; sogar meine Fraktion hatsich vor einem Jahr, als es darum ging, Mittel von ei-nem Jahr in das andere zu transferieren – ich erinnerean den Puma –, nicht verweigert . Diese Maßnahme hilftzum einen nicht dabei, die Projekte in den Griff zu krie-gen . Zum anderen sorgt sie vor allem für weniger Trans-parenz. Ich finde, mit diesem Mechanismus werden SieIhrem eigenen Anspruch nicht gerecht . Wir fordern Sieauf: Lassen Sie das mit der Übertragbarkeit der Mittel fürgroße Rüstungsprojekte! Es schafft weniger Durchblickund nicht mehr, Frau Ministerin .
Jetzt ist es ja nicht so, dass es im Verteidigungshaus-halt keine Spielräume gäbe, um Mittel umzuschichten .Braucht die Bundeswehr wirklich mehr Geld, oder ha-ben Sie nicht vielleicht Spielräume in Ihrem Etat? Ichhabe den Eindruck, Ihnen fehlt der Mut, sich diese zuerschließen .Sie halten bei der Bundeswehr an einer längst über-holten Fähigkeit fest . Sie klammern sich fast sprichwört-lich an die Atombomben und die nukleare Teilhabe . Ichwill sagen: Auch vor dem Hintergrund einer aggressiverwerdenden Politik Russlands bleiben Szenarien, in de-nen deutsche Jagdbomber plötzlich taktische Atomwaf-fen auf gegnerische Panzerheere werfen, für mich nachwie vor ein Anachronismus des Kalten Krieges . Ich kannnicht verstehen, warum Sie an der negativen Utopie der80er-Jahre, des Kalten Krieges, festhalten wollen undwertvolles Steuergeld in die Infrastruktur und in Doppe-lungen bei Düsenflugzeugen investieren wollen.Sie müssten es eigentlich besser wissen . Vor ein paarMonaten hat sich Ashton Carter, der amerikanischeVerteidigungsminister, nur wenige Meter von hier dazugeäußert . Er hat deutlich gesagt: Auf die neuen sicher-heitspolitischen Herausforderungen des 21 . Jahrhundertswird man nicht mit dem Drehbuch des Kalten Kriegesreagieren können . Recht hat er! Wir fordern Sie auf: Sor-gen Sie dafür, dass Deutschland die nukleare Teilhabeendlich beendet!
Sie haben den Ertüchtigungstitel angesprochen . Erist im Haushalt ganz schön verklausuliert als Titel „Er-tüchtigung von Partnerstaaten im Bereich Sicherheit,Verteidigung und Stabilisierung“ aufgeführt . Aus denErläuterungen zum Haushaltsvermerk geht hervor, dassauch letale Waffen geliefert werden können sollen unddie Bewirtschaftung durch Ihr Haus und das Auswärti-ge Amt erfolgt . Dabei stehen Ihnen als Bundesregierungbereits ganz andere Strukturen zur Verfügung, mit denenSie wirklich nachhaltig zur Ertüchtigung und zur Stabili-sierung beitragen könnten .Es gibt unter anderem den Ressortkreis Zivile Krisen-prävention, an dem eben nicht nur das Auswärtige Amtund Ihr Haus teilnehmen; vielmehr liefern auch das Bun-desinnenministerium für den Bereich der Polizeiarbeitund das BMZ wichtigen Input . Wir sehen auch die Deut-sche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenar-beit aus dem BMJV als einen wichtigen Partner . Die vonIhnen veranschlagten Mittel wären in der Ausstattungdes Ressortkreises Zivile Krisenprävention besser ange-legt gewesen . Wir haben das beantragt, aber Sie haben esDr. Tobias Lindner
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abgelehnt . Ich muss sagen: Das ist eine verpasste Chan-ce, Frau Ministerin .
Mir bleibt zum Verteidigungsetat 2016 nur festzustel-len: Ihnen fehlt das Herz, um mit der Abschaffung dernuklearen Teilhabe wirklich Ernst zu machen . Ich kannkeinen Plan erkennen, wie Sie im Verteidigungsbereichdie großen offenen Baustellen angehen wollen . Ich glau-be, am Ende des Tages fehlt Ihnen der Mut, schwierigeund unbequeme Entscheidungen gerade auch gegenüberder Rüstungsindustrie zu treffen . Wir Grüne lehnen denvorliegenden Einzelplan ab . Wir haben Ihnen gezeigt,wie es besser gegangen wäre .
Schade drum! Jetzt sind Sie in der Verantwortung
für das, was in den kommenden Monaten passieren wird .Danke .
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Karin Evers-Meyer, SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Lie-be Kolleginnen und Kollegen! Vor 14 Tagen haben wirauf dem Platz vor dem Reichstag 60 Jahre Bundeswehrgefeiert und den Soldaten gedankt, die in unserer Parla-mentsarmee täglich ihren Dienst tun .
Wir haben Danke dafür gesagt, dass sie unter Einsatz ih-res Lebens bereit sind, unser Land, uns und unsere Wertezu schützen . Natürlich haben wir auch für alles andereDanke gesagt, was Soldatinnen und Soldaten der Bun-deswehr darüber hinaus bereit sind zu leisten, beispiels-weise in der Fluthilfe oder aktuell bei der Bewältigungder Flüchtlingssituation . Ich sage von hier aus auch heutenoch einmal Danke, aus voller Überzeugung und natür-lich auch im Namen meiner Fraktion .Die Koalition setzt mit dem vorliegenden Etat wich-tige Zeichen . Zum einen: Es ist uns ernst mit unseremDank und unserer Anerkennung für die Bundeswehr .Zum anderen: Wir sind bereit, das Notwendige zu tun .Lassen Sie mich dazu drei Punkte ausführen . Erstens .Die Rolle Deutschlands auf internationaler Ebene ent-wickelt sich weiter, auf ausdrücklichen Wunsch unsererFreunde und Partner auch militärisch . Unser Engagementin Afghanistan und Mali wurde bereits erwähnt . Zwei-tens . Die Einsparwut bei der Bundeswehr hat das Mili-tär an vielen Stellen an den Rand der Arbeitsfähigkeitgeführt . Drittens – auch das ist mir wichtig zu sagen –:Trotz der Krisen und trotz des sicherheitspolitischen En-thusiasmus, den man an vielen Orten im In- und Aus-land derzeit spürt, lassen wir uns nicht in einen Wettlauftreiben, der bei genauerem Hinsehen strategisch auf eherunsicheren Füßen steht .Diese drei Dinge – die internationale Rolle Deutsch-lands, die Arbeitsfähigkeit der Bundeswehr und die not-wendige Besonnenheit – bilden den Rahmen für einenVerteidigungsetat, der anpackt, der richtige Akzentesetzt, ohne dabei Maß und Sachlichkeit zu vernachlässi-gen . Für dringend notwendige Investitionen in Materialund Personal stellen wir der Bundeswehr im nächstenJahr 1,4 Milliarden Euro zur Verfügung . Diese Erhöhunggibt der Bundeswehr ein Stück Handlungsfähigkeit zu-rück . Beispielsweise ermöglicht dieser Etat zum erstenMal, dass dem geltenden Personalstrukturmodell eineentsprechende Zahl an Planstellen gegenübersteht – überalle Besoldungsgruppen hinweg . Wir werden damit denBeförderungsstau innerhalb der Bundeswehr nicht aufeinen Schlag beseitigen; aber er kann wirklich spürbarabgebaut werden, und das ist ein sehr wichtiges Signalan die Männer und Frauen in der Truppe .
Genau das meine ich, wenn ich sage: Wir meinen esernst mit unserem Dank und unserer Anerkennung; dennbei allem, was in der Bundeswehr nicht schießt, nichtfliegt und nicht schwimmt – die wichtigste Investitionbleibt die in unsere Soldaten und das zivile Personal .
Aus diesem Grund meinen wir es auch ernst mit derbesseren Vereinbarkeit von Familie und Dienst . Ich dan-ke meinen Kollegen in der Koalition, auch denen ausdem Verteidigungsausschuss, dafür, dass wir die Titel fürKinderbetreuungseinrichtungen und Telearbeitsplätzenoch einmal um 5 Millionen Euro verstärken konnten .
Wir meinen es auch ernst mit der Hilfe für die unver-schuldet in Not geratenen ehemaligen Angehörigen vonBundeswehr und NVA sowie deren Hinterbliebenen . Wirstellen noch einmal 1 Million Euro für die Härtefall-Stif-tung zur Verfügung .Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind unsin der Koalition darüber einig, dass wieder mehr Geld indie Bundeswehr fließen muss. Das ist die Voraussetzungdafür, dass wir uns weiterhin auf die Einsatzfähigkeit unddas Engagement der Truppe verlassen können . Dafür ste-hen wir, und dafür steht auch dieser Haushalt . Wenn ichdie Ministerin richtig verstanden habe, dann sind wir unsauch über eine zweite Sache einig: Uns kommt es amEnde nicht nur darauf an, was für eine Zahl auf dem Pa-pier steht, sondern auch darauf, was sich an Leistungs-fähigkeit und Einsatzbereitschaft hinter dieser Zahl ver-birgt: Was kann die Bundeswehr tatsächlich leisten? Waswill und kann sie konkret einbringen, insbesondere imRahmen internationaler Initiativen?Dr. Tobias Lindner
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Daher halte ich nicht viel von Zahlenspielen, egal obes um einstellige Prozentzahlen oder neunstellige Eu-ro-Beträge geht . Viel halte ich von Strategien und Kon-zepten für mehr Effizienz. Da gilt: Die effiziente Armeeder Zukunft kann nur eine europäische sein . Deutschlandmuss sich hier noch mehr als bisher als Zugpferd enga-gieren .
Was in diesem Bereich auf dem Tisch liegt, ist gut undrichtig, reicht aber immer noch nicht aus . Wir brauchenmehr gemeinsame Projekte, mehr Arbeitsteilung, mehrAbstimmung auf allen Ebenen, von der politischen Lei-tung über die militärischen Spitzen bis hinunter in dieEbenen der konkreten Beschaffungs- und Planungs-prozesse . Alles, was in Zukunft angepackt wird, jedesStrategiepapier, jede Vorlage sollte sich daher in einemAbschnitt der Frage widmen: Welche europäische Pers-pektive gibt es in diesem ganz konkreten Fall?Das bedeutet viel Arbeit, nicht zuletzt, weil diesesAnliegen nicht überall in Europa auf gleichermaßenoffene Ohren stößt . Es bedeutet auch viel mehr Arbeit,weil gerade mit Beschaffungsprojekten im europäischenRahmen schon genug schlechte Erfahrungen gesammeltwurden . Das bedeutet aber auf keinen Fall, dass wir aufdie europäische Ausrichtung verzichten dürfen . Wir dür-fen sie auch nicht aufschieben . Die Zusammenarbeit mitunseren Freunden und Partnern muss für uns Anspornsein, es besser zu machen . Das gilt vor dem Hintergrundder Anschläge in Paris mehr denn je, auch für das Militär .Sehr geehrte Frau Ministerin, die Koalition hat Vertrauenin die Bundeswehr, und sie hat auch ein großes StückVertrauen in die Leitung des Verteidigungsministeriums .Zumindest kann ich für meine Fraktion sagen, dass wirIhr ernsthaftes Bemühen darum, die Mängel in der Orga-nisation und in den Prozessen anzupacken, anerkennenund Sie darin unterstützen . Mit der strukturierten Beglei-tung durch den halbjährlichen Rüstungsbericht, der Neu-positionierung von drei wichtigen Großprojekten inner-halb des BAAINBw und der Konsolidierung des übrigenBeschaffungsapparates entsprechen Sie dem, was wirseit längerer Zeit fordern . Denn wir haben natürlich nichtvergessen, dass in der Vergangenheit Geld, das eigentlichda ist, nicht ausgegeben wurde . Soweit ich das überbli-cken kann, besteht zumindest die Möglichkeit, dass dasauch in diesem Jahr wieder so ist . Damit das in Zukunftbesser wird, brauchen wir Ihre Kärrnerarbeit in SachenOrganisation und Prozessoptimierung .Worin wir Sie nicht unterstützen – jedenfalls ich tuedas nicht –, ist der verständliche Wunsch nach mehr Fle-xibilität in der Haushaltsführung . Sie wissen das . Wir ha-ben uns dazu mehrfach ausgetauscht . Für mich als Haus-hälterin, deren Aufgabe es ist, bei diesem ohnehin schonin hohem Maße flexibilisierten Einzelplan den Überblickzu behalten und auf das Geld des Steuerzahlers aufzupas-sen, ist eine weitere Flexibilisierung des Einzelplans 14jedenfalls zurzeit nicht vorstellbar . Es wäre ein falscherWeg und ein falsches Signal, auch an die Industrie, nachdem Motto: Wenn es bei euch nicht klappt, kein Problem,wir machen die Haushaltsregeln für euch passend . – Ichsage das ausdrücklich mit Blick auf die Situation heute .Es geht mir nicht um haushalterische Ideologie . Ich den-ke, das wissen Sie .Vielen Dank .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Henning Otte, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diediesjährige Haushaltdebatte steht unter dem besonderenEindruck der sicherheitspolitischen Ereignisse und Rah-menbedingungen . Die Anschläge in Paris, in Bamako, inBeirut und gestern in Tunesien, die Explosion eines rus-sischen Urlaubsfliegers über dem Sinai, die höchste Ter-rorwarnstufe in Brüssel – all diese Ereignisse stehen imdirekten Zusammenhang mit dem furchtbaren IS-Terror,der das Ziel hat, die freiheitliche Grundordnung zerstö-ren zu wollen .Wir erleben diese Tage in großer Sorge und Verunsi-cherung, aber auch in fester Verbundenheit mit unserenPartnern . Wir wissen um die Verantwortung für einefriedliche Zukunft und die Sicherheit unseres Landes .Deswegen stellen wir uns entschlossen dieser Herausfor-derung, auch mit militärischen Mitteln, fein abgewogen,eng mit unseren Partnern abgestimmt und entschlossenim Handeln .Die Anschläge von Paris galten genauso unseremLand . Die Angriffe des „Islamischen Staates“ richtensich gegen eine offene Gesellschaftsform, gegen einefreiheitliche Demokratie . Dem stellen wir uns entschlos-sen gemeinsam im Verbund mit unseren Partnern entge-gen .
Es hat Frankreich nicht deswegen getroffen, weil esbereits im Kampf gegen den IS engagiert ist; das zeigtauch der Anschlag gestern Abend in Tunis . Vielmehrschlägt der IS überall dort in freien Gesellschaften zu,wo sich eine Gelegenheit dazu bietet . Dieser islamisti-sche Terrorismus darf nicht gewinnen, und ich sage: Erwird nicht gewinnen .
Wir lassen uns weder in Deutschland noch in Europaund auch nicht anderswo in der friedlichen Welt die frei-heitlichen Werte nehmen . Wir halten an diesen Wertenfür Demokratie, für Freiheit und für Offenheit fest . Dassagen wir selbstbewusst und mit Stolz . Die Generation,die Deutschland nach 1945 aufgebaut hat, hat diese Werteerstritten und gefestigt . Wir werden diese Werte und die-se Freiheit für die nächsten Generationen bewahren undweiter stärken, und zwar aktiv . Passivität wird uns nichtKarin Evers-Meyer
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schützen . Denn sicherheitspolitische Zurückhaltung wirduns nicht weniger zu einem Anschlagsziel machen, alswir es vielleicht jetzt schon sind .Insofern sollen die Anschläge von Paris auch eineWarnung für uns sein . Wir müssen den Urhebern desTerrors offensiv entgegentreten und alle entsprechendenMaßnahmen national und international entschlossen ab-stimmen . Vieles tun wir bereits . Mit der Ausbildung undden Materiallieferungen an die kurdischen Peschmer-ga und auch an die Jesiden tragen wir wesentlich zumKampf gegen den IS bei . Auch in Afghanistan und zu-nehmend in Mali sind wir engagiert, um Fluchtursachenzu bekämpfen und den Extremismus zurückzudrängen .Meine Damen und Herren, Frankreich hat die Mit-gliedstaaten der Europäischen Union nach Artikel 42Absatz 7 des EU-Vertrages aufgerufen, beizustehen . Wirwissen noch nicht genau, welche Unterstützung dies seinwird . Aber es ist selbstverständlich, dass wir unserenfranzösischen Freunden in diesen schweren Zeiten bei-stehen .Nur, eines sollte uns klar sein: Was immer wir gegenden IS unternehmen, unternehmen wir auch, um Frank-reich zu unterstützen . Wir tun dies aber in erster Liniedeswegen, um die Sicherheit unseres Landes, die Sicher-heit Deutschlands, zu stärken .
Wir tun dies auch, um den Menschen in den Regionenzu helfen, die am schlimmsten vom IS-Terror betroffensind. Viele Menschen fliehen gerade vor diesem Terrorund vor dieser Gewalt . Die Schwachen zu schützen, dasist unsere erste Aufgabe als Verteidigungspolitiker .Meine Damen und Herren, damit wir denen, diewirklich Hilfe brauchen, auch wirksam helfen können,ist es wichtig, auch in Deutschland einen Beitrag zurBewältigung dieser Herausforderungen zu leisten, alleverfügbaren Kräfte einzubinden und gleichzeitig dieFluchtursachen vor Ort zu bekämpfen . Das ist eine großeHerausforderung für unsere gesamte Gesellschaft . Wenndie Bundeswehr helfen kann, dann soll sie helfen, unddann wird sie auch helfen . Sie ist bereits jetzt sehr aktivim Einsatz, um die Situation der Flüchtlinge in Deutsch-land zu verbessern . Dafür danke ich allen Soldatinnenund Soldaten und allen Helferinnen und Helfern sowieeiner sehr engagierten Bürgerschaft hier in Deutschland .
Aber die Bundeswehr könnte noch mehr tun, zumBeispiel bei der technischen Amtshilfe . Herr Leutert hatdieses Thema ja ganz prominent als erster Redner ange-sprochen und deutlich gemacht, dass er kein Vertrauen indie Bundeswehr hat . Ich sage: Es ist rechtlich möglich,beizustehen . Das hat die Absicherung des G-8-Gipfels inHeiligendamm 2007 gezeigt .
Auch hier hat die Bundeswehr ihre Einsatzfähigkeit unterBeweis gestellt; Frau Buchholz kann sich sicherlich nochdaran erinnern .Was in Heiligendamm ging, das müsste auch im Bay-erischen Wald möglich sein .
Ich meine – unabhängig von den ideologischen Reflexen,die jetzt von den Grünen und den Linken kommen –,
in Anbetracht der sicherheitspolitischen Lage sollte manideologische Reflexe vermeiden und in Ruhe und beson-nen nachdenken, meine Damen und Herren .
Der Einsatz im Innern, verbunden mit der Übernahmehoheitlicher Aufgaben, ist davon natürlich klar zu tren-nen . Wir haben gesehen, dass in Frankreich in einer solchexponierten Situation alle Sicherheitskräfte schnell undunbürokratisch zusammenstehen .
Vielleicht sollten wir uns wirklich einmal in Ruhe da-rüber unterhalten, ob man unseren Soldatinnen und Sol-daten nach 60 Jahren erfolgreicher, zuverlässiger Arbeitnicht mehr zutrauen sollte, damit sie einen weiteren Bei-trag leisten können; denn die Sicherheit unseres Landesist für alle von großer Bedeutung . Wir sollten diese Dis-kussion besser jetzt führen als dann, wenn es zu spät ist .Meine Damen und Herren, wenn wir den Blick weiten,dann stellen wir fest, dass sich die Sicherheitslage in denletzten zwei Jahren grundsätzlich verändert hat . Durchdie offensive Außenpolitik Russlands rücken traditionel-le Bedrohungen an der Ostgrenze der NATO wieder inden Fokus . Gleichzeitig werden durch den IS-Terror unddas Vorgehen von Boko Haram im Nahen Osten und inAfrika ganze Regionen zerrüttet .Wir haben es jetzt mit einer neuen Gleichzeitigkeitunterschiedlicher Bedrohungsprofile zu tun, die so frühernicht galten . Bis 1990 hatten wir noch eine Heimatver-teidigungsarmee . Aufgrund der Anschläge von 2001 sindwir dann eher den Weg zur Infanterie gegangen, um auchin Afghanistan einen wesentlichen Beitrag zum Friedenzu leisten . Jetzt sind wir mit beiden Herausforderungengleichzeitig konfrontiert: Bündnisverteidigung einerseitsund Krisenbewältigung andererseits . Diese neue Gleich-zeitigkeit von zwei Herausforderungen wird die Anfor-derungen an die Streitkräfte erhöhen . Mit der Führungder NATO-Speerspitze VJTF leistet Deutschland einennotwendigen und wesentlichen Beitrag, der personal-und materialintensiv ist .Auslandseinsätze wie in Afghanistan, im Kosovo oderjetzt verstärkt in Mali werden uns zukünftig voraussicht-lich noch stärker in Anspruch nehmen als derzeit . Dane-ben leistet die Bundeswehr immer dann Unterstützung,wenn es darauf ankommt; genannt seien hier zum Bei-Henning Otte
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spiel die Ebolakrise oder die Betreuung von Flüchtlin-gen .Aus angespannten Sicherheitslagen kann sich aberauch schnell mehr entwickeln, und es kann Unvorher-gesehenes passieren . Deswegen müssen wir vorbe-reitet sein – egal ob im EU-Kontext, im Rahmen der NATO-Verpflichtung oder auch mit Blick auf die OSZE.In einer solchen Phase kommt zukünftig die EU-Ar-beitszeitrichtlinie hinzu, auf die sich unsere Streitkräfteeinstellen müssen . Das wird die Personallage bei derBundeswehr noch angespannter erscheinen lassen . Vordem Hintergrund der gestiegenen neuen Herausforderun-gen müssen wir prüfen, wie wir die Bundeswehr perso-nell noch stärker, flexibler und durchhaltefähiger aufstel-len können . Wir sind zwar sehr gut, aber man soll denAnspruch nicht aufgeben, immer noch besser werden zukönnen .Dazu zählt auch eine zuverlässige Ausrüstung . ZuRecht sind wir den Weg vom System des flexiblen Fä-higkeitsmanagements hin zu einer vollen Ausstattungin den Bereichen gegangen, in denen es von besondererBedeutung ist . Jetzt kommt es darauf an, dass die Bun-deswehr mit modernen Materialien in ausreichender Zahlausgestattet wird .Das Beschaffungssystem ist reformiert worden, undich kann mich nur dem uneingeschränkten Lob der SPDan unsere Ministerin Frau Dr . von der Leyen anschlie-ßen, das von Frau Evers-Meyer geäußert worden ist . FrauMinisterin, das ist ein ganz wichtiger Punkt . HerzlichenDank dafür .
Warum ist dies so enorm wichtig? Weil diese Ausrüs-tung die stärkste und wichtigste Ressource schützt, diedie Bundeswehr hat, nämlich die Soldatinnen und Solda-ten . Unser Kernauftrag, der Kernauftrag der Politik, istes, die zu schützen, die uns schützen .Das sind große Ziele . Dafür brauchen wir ausreichendFinanzmittel . Deswegen ist es gut, dass der Verteidi-gungshaushalt grundsätzlich gestärkt werden konnte unddass der Einzelplan 14 im Bundeshaushalt – ein Dankauch an die Berichterstatter – nun an zweiter Stelle steht .Ich nenne einige sehr konkrete Zahlen: Die Ausgabenim Personalbereich steigen um 4 Prozent, und der Aus-rüstungsbereich hat eine Steigerung um 9 Prozent erfah-ren . In den nächsten vier Jahren sollen 8 Milliarden Euromehr zur Verfügung stehen . Das sollte auch die Fraktionder Grünen – und insbesondere Herr Dr . Lindner – zurKenntnis nehmen .
– Ich glaube, Sie haben mit Ihren Anwürfen richtig ander Sache vorbeigezielt . Mir drängt sich wirklich derEindruck auf, dass man Ihnen einen alten Haushaltsplanzum Lesen gegeben hat, den Sie in Ihre Rede einbezogenhaben .
– Hineingucken allein reicht nicht, Frau Kollegin; manmuss ihn auch verstehen .
Deswegen ist es gut, dass wir die notwendigen Entschei-dungen treffen und unsere Bundeswehr so ausstatten, wiees notwendig ist .In der Bereinigungssitzung hat es aufgrund einer glo-balen Minderausgabe aber noch eine Kürzung gegeben .Ich sage ganz deutlich: Der Schlüssel für die Bewer-tungsgrundlage sollte die aktuelle Sicherheitslage sein .Deswegen müssen wir an dem Ziel festhalten, dass wirunsere Bundeswehr mit den notwendigen Mitteln aus-statten . Das ist unsere Aufgabe .Das ist gut investiertes Geld in die Sicherheit unseresLandes . Ohne Sicherheit ist alles nichts . Deswegen ist esunser gemeinsamer Auftrag, dies auch für die Sicherheitunseres Landes umzusetzen .Herzlichen Dank .
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Leutert .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Kollege Otte, Siehaben mich angesprochen und meinten, ich habe keinVertrauen in die Bundeswehr und sei deshalb gegen denEinsatz der Bundeswehr im Innern . Ich glaube, da habenSie etwas falsch verstanden .
Es geht nicht um mein Vertrauen, sondern es geht darum,dass sich hier eine strukturelle Frage stellt . Die Kompe-tenzverteilung ist zwar geklärt, aber wir müssen uns nocheinmal darüber unterhalten .Es gibt historische Gründe, warum die Bundeswehr inDeutschland nicht im Innern eingesetzt werden darf . Ichfinde, es ist richtig, an diesem Zustand festzuhalten, undich halte es im Übrigen für absurd, dass die Bundespo-lizei in den letzten Jahren genauso Sparmaßnahmen un-terlag wie andere Institutionen . Jetzt wird aber gesagt,sie könne bestimmte Aufgaben nicht mehr erfüllen . Des-halb wird nach der Bundeswehr gerufen . Das halte ichfür falsch . Der richtige Weg wäre, die Bundespolizei inden Zustand zu versetzen, dass sie ihre Aufgaben aucherfüllen kann .Henning Otte
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Ich finde es schade, dass die Ministerin zu dieser Fra-ge hier keine Stellung genommen hat,
da das nicht irgendeine Diskussion in der Öffentlichkeitgewesen ist, sondern weil diese Überlegungen von Ka-binettskollegen eingebracht wurden . Ansonsten hätte ichdiesen Punkt an dieser Stelle überhaupt nicht angespro-chen .
Kollege Otte, wollen Sie darauf noch antworten? –
Bitte schön .
Sehr gerne, Herr Präsident . – Ich verstehe nur bedingt
die Aufregung von Herrn Leutert, weil er nämlich fest-
stellt, dass sich die Parteiprogrammatik der Linken nicht
mehr an der Realität orientiert .
Wir haben ganz deutlich festgestellt, dass in die Si-
cherheitsinstitutionen maßgeblich investiert wird . Die
Bundespolizei erhält eine personelle wie auch eine ma-
terielle Aufstockung . Aber es geht auch darum, dafür zu
sorgen, dass sich die Sicherheitskräfte in Deutschland
untereinander austauschen; denn uns als Union ist eines
besonders wichtig: die Sicherheit unserer Bürgerinnen
und Bürger .
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Christine Buchholz, Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Terrorlässt sich nicht mit Krieg bekämpfen .
Wir Linke trauern mit den Angehörigen und Freundender Opfer von Paris . Wir sind solidarisch mit den Men-schen in Frankreich . Aber wir teilen nicht die Antwortder französischen Regierung, wenn sie meint, Terrorauch mit Krieg bekämpfen zu können .Vorgestern hat das US-Außenministerium eine globa-le Reisewarnung herausgegeben: US-Bürger sollten injedem Land dieser Erde größere Menschenansammlun-gen meiden . – Was für ein Eingeständnis des Scheiternsder militärischen Intervention . 14 Jahre nach Beginn dessogenannten Kriegs gegen den Terror erklärt Washingtondie ganze Welt für unsicher . Der sogenannte Antiterror-krieg ist keine Lösung . Er ist Teil des Problems .
Wenn Sie mir nicht glauben, dann hören Sie auf das,was Nicolas Hénin schreibt . Der französische Journalistwar 14 Monate lang Geisel des IS . Er lehnt die Bombenseiner eigenen Regierung auf Syrien ab . Er schrieb letzteWoche: Mehr Bomben sind genau das, was der IS will;denn das treibt ihm Anhänger zu . – Hénin sagt auch, wasdem IS schadet, nämlich die „Bilder aus Deutschlandvon Menschen, die Migranten willkommen hießen“ . Daswiderspricht dem Weltbild des IS, wonach Muslime undNichtmuslime nicht zusammenleben können . Rassismusund Ausgrenzung hierzulande zu bekämpfen, die Finanz-ströme des IS auszutrocknen und Waffenlieferungen zubeenden: Das sind die richtigen Antworten auf den Terrordes sogenannten „Islamischen Staats“ .
Die Bundesregierung will nun 650 deutsche Soldatennach Mali schicken und auch das Mandat für Afghanistanverlängern . Ich bin schon sehr irritiert, Frau Ministerin .Sie sprechen davon, wir seien zu sehr auf Rückzug ge-polt . Bitte sagen Sie das den Soldatinnen und Soldatenund auch der Bevölkerung ganz klar und deutlich . Das istja der Ausstieg aus dem Ausstieg, den wir jetzt erleben .Wir sollten aber Bilanz ziehen und gucken, welcheFehler in Afghanistan bereits gemacht wurden . In Af-ghanistan – das musste das Auswärtige Amt unlängsteinräumen; es ist daher zynisch, wenn aus Reihen derUnion von einem „sicheren Herkunftsland Afghanistan“gesprochen wird – kontrollieren die Taliban heute mehrGebiete als zu Beginn der Entsendung deutscher Sol-daten im Jahr 2002 . Der Grund dafür liegt doch auf derHand: Wer mit Partnern wie den US-Streitkräften agiert,die im Oktober in Kunduz mit voller Absicht ein funk-tionsfähiges Krankenhaus aus der Luft angegriffen unddabei 30 Patienten und Ärzte getötet haben, der sät Hass .Ob Afghanistan oder Mali: Der Einsatz fremder Truppentreibt den Aufständischen immer neue Anhänger zu, weildiese Truppen als Verbündete von korrupten Regierun-gen angesehen werden . An diesen Einsätzen darf sichDeutschland auf keinen Fall beteiligen .
Der Verteidigungshaushalt 2016, den der Bundestagheute beschließt, unterstreicht diese falsche Ausrichtungauf immer mehr Auslandseinsätze . Die Bundeswehr wirdpermanent aufgerüstet . Das Volumen des Verteidigungs-haushalts steigt, besonders – das haben Sie eben ganzstolz gesagt, Herr Otte – die Ausgaben für militärischeBeschaffungen .
2016 soll der Militärhaushalt bei 34,3 Milliarden Euroliegen . Das sind schon fast 2 Milliarden Euro mehr alsursprünglich geplant . Bis 2019 sieht der Finanzplan ei-nen Anstieg auf 35 Milliarden Euro vor .
Hier ein konkretes Beispiel, wie das dann aussieht .Die Bundesregierung möchte neue Militärsatelliten be-schaffen, um weltweit militärisch nutzbare Informatio-Michael Leutert
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nen zu erlangen . Für das Spähprogramm SAR-Lupe hatder deutsche Steuerzahler im vergangenen Jahr bereits430 Millionen Euro gezahlt . Für die Beschaffung weite-rer Radar- und Militärsatelliten und für die Beteiligungan dem französischen Spähprogramm fallen 2016 rund150 Millionen an . Das war aber noch nicht alles . Die ge-schätzten Gesamtkosten für diese drei Programme liegenbei rund 2 Milliarden Euro .Frau von der Leyen, Sie haben Ihre Motivation bereitsim Februar beschrieben:Unsere Interessen haben keine unverrückbare Gren-ze, weder geografisch noch qualitativ.Wir sagen: Frau von der Leyen, die Interessen, von denenSie sprechen, sind nicht die Interessen von uns allen .
Es sind die Interessen der global agierenden Konzerne,für die in die Taschen der Bevölkerung gegriffen wird .
Wir lehnen diese Aufrüstung für die globale Einsatzar-mee ab .
Aber nicht nur bei den deutschen Interessen sieht dieBundesregierung keine Grenzen, sondern offenbar auchbei den Kosten; denn viele der einzelnen Haushaltspos-ten werden weitere Kosten nach sich ziehen . Auch hierzuein kleines Beispiel: Im vorliegenden Haushaltsplan sindallein für den A400M, der deutsche Soldaten in alle Welttransportieren soll, zwei neue Umrüstungsprogrammevorgesehen . Geschätzte Gesamtkosten: 450 MillionenEuro – wohlgemerkt zusätzlich zu den 9,5 MilliardenEuro, die uns das Projekt schon jetzt kostet . Das, meineDamen und Herren, ist inakzeptabel .
Nun wird ja auch Russland wieder als Feind ange-sehen . Das Heer wird wieder aufgerüstet . Und auch dakann man sehen: Im Haushaltsjahr 2016 schlagen bei-spielsweise die Beschaffung des Transportpanzers Boxersowie die Produktverbesserung beim Spürpanzer Fuchsmit 127 Millionen Euro zu Buche . Es gibt aber auch nocheinen neuen Titel . Dabei geht es um eine ergänzende Be-schaffung von 84 Leopard-2-Panzern, die den Steuer-zahler in Zukunft insgesamt 650 Millionen Euro kostenwird . Wir sagen: Ein Mehr an Sicherheit bringt das nicht,sondern nur neue Spannungen, und das Geld fehlt an an-derer Stelle .
Zusammengefasst: Erstens . Die Bundesregierung ig-noriert, dass 15 Jahre Antiterrorkrieg nur zu mehr Terrorgeführt haben, dass dieser Terror Tausende Menschendas Leben gekostet hat und nun auch Europa unsicherermacht . Zweitens . Diese Politik ist nicht nur falsch, sie istauch teuer . Drittens . Die neue Erhöhung des Militäretatsist – so steht zu befürchten – nur der Anfang .Dieser Kurs muss gestoppt werden . Die Linke – dasist mein letzter Punkt – wird einem solchen Haushalt nie-mals zustimmen .Vielen Dank .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Rainer Arnold, SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diesicherheitspolitischen Herausforderungen sind seit derersten Lesung des Haushalts sicherlich nicht einfachergeworden . Allerdings hat sich die Welt auch nicht funda-mental neu sortiert . Die fürchterlichen Anschläge in Parisverändern, glaube ich, aber die Wahrnehmung der Men-schen, auch von uns Politikern . Sie führen auch – daskann gar nicht anders sein – zu Emotionen . Die Kunstwird darin bestehen, auf der einen Seite die Emotionen sozu artikulieren, dass Frankreich sieht, dass uns das Leidder Menschen nahegeht . Auf der anderen Seite müssenwir so besonnen bleiben, dass wir über die notwendigenund richtigen Entscheidungen sorgfältig diskutieren, be-vor wir sie treffen .Wir können die fragilen Staaten im Nahen und imMittleren Osten sowie in Afrika – das gilt aber auch fürAfghanistan – nicht ausblenden . Man kann auch nichtwegsehen in dieser kleiner gewordenen Welt .Wir reden heute über den Einzelplan 14, über denVerteidigungsetat . Wir Verteidigungspolitiker wissennatürlich, dass die sicherheitspolitischen Risiken dieserWelt nicht militärisch zu überwinden sind, sondern dasses dabei in erster Linie um eine große politische Heraus-forderung geht .Die Ministerin hat von den Beiträgen Deutschlands –von Mali bis Afghanistan – gesprochen . Wir unterstüt-zen, dass sich das Afghanistan-Mandat an der dortigenWirklichkeit orientiert und dass nicht künstlich gesetzteAbzugstermine in die Welt gesetzt werden . Die führenim Übrigen auch dazu, dass die Taliban die Geschichteerzählen können, dass sie die fremden Soldaten aus demLand getrieben hätten . Dies hätte tiefgreifende Wirkun-gen auf die afghanische Gesellschaft .Wir wissen gleichzeitig: Soldaten können in Afgha-nistan stabilisieren . Sie können aber aus Afghanistannicht ein wirklich besseres Land machen . Das wird nurgelingen, wenn in solchen Ländern die Gesellschaftenzusammenfinden und die Regierungen wieder das Ver-trauen ihrer eigenen Bürger bekommen . All dies ist in Af-ghanistan derzeit nicht gegeben . Ich will damit deutlichmachen: Wenn es in solchen Ländern schwierig ist, dannscheitern nicht die Soldaten, die man dort hinschickt,sondern es scheitern exakt dieser zivile, politische unddiplomatische Prozess und letztendlich auch die Zivilge-sellschaft in diesen Staaten .Christine Buchholz
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Die Debatte über die deutsche Verantwortung in derWelt, die vor zwei Jahren begonnen hat, ist angesichtsder Ereignisse in den letzten Wochen endgültig abge-schlossen . Es ist sichtbar, welche Rolle Deutschland inder Welt spielt und welche Verantwortung es hat, insbe-sondere durch die Aktivitäten des Außenministers . DieBürger – das zeigen neue Umfragen – sehen mit einerdurchaus deutlichen Mehrheit, dass die Risiken der Weltvon uns erfordern, dass wir eine leistungsfähige Bundes-wehr haben und dass wir sie nach sorgfältigen parlamen-tarischen Debatten notfalls auch einsetzen müssen .Es ist trotzdem etwas neu: Natürlich ist die Aktivie-rung der Beistandspflicht gemäß Artikel 42 Absatz 7EUV eine neue Ebene, mit der wir uns gegenwärtigauseinandersetzen, übrigens auch eine Chance für einevertiefte europäische Gemeinsame Sicherheits- und Ver-teidigungspolitik . Ich wünsche mir auch für Frankreicheines Tages ein Weißbuch, in dem es ähnlich wie in un-serem heißt: Frankreich wird nur noch gemeinsam mitden Partnern die Risiken der Welt bekämpfen . – Dannwird es nicht mehr den nationalstaatlichen Ansprüchenden Vorrang geben können . Darin liegen deshalb wirk-lich Chancen, wenn wir dies jetzt gut machen .Gut machen heißt auch, in Mali mehr Verantwortungzu übernehmen . Wer das Gewaltmonopol der VereintenNationen ernst nimmt und stärken will und wer die ver-tiefte europäische Verteidigungspolitik will, der mussjetzt in Mali mehr tun, insbesondere auch, um unserenengen niederländischen Partnern ein Stück weit Unter-stützung zu geben .
Lassen Sie mich auch über die schwierige Aufgabe inSyrien reden . Die Entwicklung in den letzten Jahren hatuns alle ein bisschen ratlos gemacht . Trotzdem freuenwir uns, dass es jetzt mit den Gesprächen in Wien einenHoffnungsschimmer gibt, auch wenn es aktuell wiederRückschläge gibt . Wir wissen eigentlich – und ich möch-te nicht müde werden, darauf zu hoffen –: Eigentlichmuss jeder, Russland wie die USA, die Ukraine und wirin Europa, kapieren, dass die Risiken und Bedrohungen,vor denen wir stehen, derzeit so groß sind, dass wir unseigentlich den Konflikt zwischen Russland und uns über-haupt nicht leisten können . Wir sind aufeinander ange-wiesen . Deshalb werden wir nicht müde, uns zu bemü-hen, diplomatisch voranzukommen .Die Kanzlerin wird heute Abend mit dem französi-schen Staatspräsidenten auch über Syrien reden . Ich weißnicht, was dabei herauskommt; als Verteidigungspoliti-ker habe ich aber ein paar Anmerkungen .Erstens . Wir wissen, dass Solidarität mehr ist als wär-mende Worte und dass den Worten auch Taten folgenmüssen .Zweitens . Wir werden als Verteidigungspolitikerimmer ganz genau darauf achten, ob das, was man ge-meinsam angeht, in diesem Bereich auch tatsächlich mi-litärisch sinnvoll ist und ob es gerade dann, wenn Luft-waffe eingesetzt wird, auch unter einer einheitlichen undverantwortungsvollen Führung organisiert werden kann .Das sind alles Grundvoraussetzungen .Drittens. Wir sagen immer reflexhaft: Man kann dieProbleme nicht aus der Luft bzw . durch einen Luftkampfüberwinden . Ich weiß nicht, ob das stimmt . Man kannaus der Luft Terroristen verjagen, und man konnte auchschon Regimes stürzen . Das ist mit heutiger Technikmachbar . Nicht machbar ist aber – das haben wir ge-lernt –, dass man anschließend von außen kommend eineGesellschaft aufbauen und stabilisieren kann . Dies ist nurmöglich, wenn die Staatsbürger in diesen Ländern dassehr viel stärker selbst in die Hand nehmen . Wir könnenberaten und zivile Aufbauhilfe leisten, nicht mehr, aberauch nicht weniger .In der heutigen Debatte wurde angesichts der Bedro-hung auch wieder einmal über das Thema „Äußere undinnere Sicherheit“ geredet .
Dabei schaue ich den Kollegen Henning Otte an . Es istwohl wahr: Die Trennschärfe zwischen den Risiken be-zogen auf die äußere und innere Sicherheit ist bereitsseit 9/11 nicht mehr gegeben . Die Täter von Paris warenin Syrien und haben Informationen und vielleicht auchGeld aus Syrien und vom IS erhalten . Aber die Antwortdarauf muss nicht zwangsläufig auch verschränkt sein.Wir sind doch mit unserer historisch gewachsenen Si-cherheitsarchitektur gut gefahren, nachdem wir nachArtikel 35 Grundgesetz eine Bundeswehr haben, diehelfen kann . Aber wir wollen keine Grauzone in diesemBereich. Ich finde, dass die Ministerin vor einigen Tagendas völlig Richtige dazu gesagt hat .
Wir sind uns darüber im Klaren, dass Anschläge beiuns nicht durch ein paar Soldaten mit Maschinenpistolenin der Hand auf der Straße verhindert werden können,sondern nur durch gute und mehr Polizei – da sind wirauf dem Weg -
sowie durch Geheim- und Nachrichtendienste, die sichnicht um alles Mögliche, sondern um das wirklich wich-tige Geschäft kümmern . Das wirklich wichtige Geschäftbetrifft ganz eindeutig die Sicherheit der Bürgerinnenund Bürger in Deutschland .Wenn wir über die Bundeswehr und den Etat reden,müssen wir mit Blick auf die Überwindung der Krisenzuerst über Ideologie sprechen . Ich glaube, wir braucheneine verstärkte ideologische Auseinandersetzung mitfundamental-islamistischen Ideen . Im Innern gibt es ge-rade viele Diskussionen und keine einfachen Antworten .Aber ich bekenne mich ausdrücklich dazu, dass es immerbesser ist, mit einem Staat zu reden, selbst wenn er einschwieriger Partner ist . Deshalb bin ich sehr dafür, dasswir auf diplomatischer Ebene mit den entsprechendenStaaten reden . Wenn wir aber sehen, dass Staaten, die denIS bekämpfen, in ihren Gesellschaften gleichzeitig vieleIdeen und Rechtsauffassungen des IS verbreiten und sei-ner Vorgehensweise nacheifern sowie übelste Menschen-Rainer Arnold
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rechtsverletzungen begehen, dann muss Klarheit in derideologischen Auseinandersetzung zu jeder Zeit und anjedem Ort – auch im Parlament – herrschen . Auch dar-um muss in den nächsten Jahren gerungen werden . Esgeht darum, dass bestimmte Ideen nicht in die verwirrtenKöpfe junger Menschen gelangen .Damit das alles gelingt, brauchen wir schließlich eineBundeswehr, die gut ausgestattet und leistungsfähig ist .Die Bundeswehr zeigt ihre Leistungsfähigkeit im Aus-land auf hervorragende Weise . Sie ist anerkannt . Das hatnicht nur etwas mit ihren militärischen Fähigkeiten zutun, sondern auch mit der Art und Weise, wie die Solda-ten im Ausland auftreten; das ist ganz wichtig . Deshalbbedanke ich mich besonders bei den mehr als 8 000 Sol-daten, die bei der Versorgung der Menschen, die nun beiuns Schutz suchen, mithelfen . Das ist eine großartigeLeistung .Wir dürfen nicht vergessen: Wir leisten dies alles miteiner Bundeswehr, die auf 170 000 Zeit- und Berufs-soldaten zurückgeführt wurde . Das heißt, real sind nur140 000 verfügbar . Dies müssen wir bei neuen Aufga-benstellungen beachten . Die Ministerin hat viel getan .Weniger Soldaten brauchen nicht weniger und schlech-tere Ausstattung . Weniger Soldaten brauchen vielmehreine bessere Ausstattung und insbesondere eine höhereVerlegefähigkeit . Die Veränderungen, die Sie bei denRüstungsprozessen vorgenommen haben, sind wirklichgut und werden nachhaltig Wirkung zeigen .
Herr Kollege, ich weiß nicht, ob Sie die Uhr mit Ihrem
Redemanuskript verdeckt haben . Aber Ihre Redezeit ist
schon länger vorbei .
Herr Präsident, ich komme zum Ende . – Ich sage
nur noch einen Gedanken . Knappheit macht auch klug;
darauf hoffen wir in den nächsten Jahren . Wenn wir
100 Prozent Befüllung erreichen wollen, also das Gerät,
das wir eigentlich brauchen, tatsächlich haben wollen –
das ist keine Aufrüstung, Kollegen von den Grünen –,
dann werden wir feststellen, dass das ziemlich viel Geld
kostet . Dann werden wir in Europa eine Debatte über
Priorisierung und Arbeitsteilung führen müssen . Ich bin
ziemlich sicher, dass das die nächste Stufe einer Reform
sein wird, die aber nicht alles neu macht und nicht alles
über den Haufen wirft . Frau Ministerin, dabei haben Sie
unsere Unterstützung .
Aber entscheidend bleibt am Ende, dass Soldaten je-
den Tag, wenn sie aus der Kaserne gehen, zufrieden mit
ihrem Beruf sind –
Kann es sein, dass Sie meine Zwischenbemerkung
vergessen haben?
– es tut mir leid, Herr Präsident, ich bin sofort fertig –
und ihren Familien und Freunden sagen: Es ist ein gu-
ter, ein interessanter und ein staatsbürgerlich wichtiger
Beruf . Ich kann dir, junger Mann oder junge Frau, nur
empfehlen, ebenfalls diesen Beruf zu wählen .
Das ist die richtige Antwort auf die Debatte über die
Attraktivität der Bundeswehr . Solche Soldaten brauchen
wir . Dazu hat diese Koalition wichtige Weichen gestellt .
Herzlichen Dank .
Die Koalition hat eine Masse Redezeit; auch Sie
hatten eine Menge . Daher wäre es schon gut, wenn die
Gedanken, die man loswerden will, innerhalb dieser aus-
reichenden Redezeit auch untergebracht würden . Man-
che Redner haben die Neigung, das ganz Wichtige erst
zu sagen, wenn die Uhr bereits abgelaufen ist . Es wäre
doch fair und nett im Umgang untereinander, wenn wir
auf die Einhaltung der Redezeit achten würden . – Herr
Gädechens macht es jetzt einfach besser .
Ich gebe Ihnen das Wort .
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Finale Beratungen eines Haushaltsplanes für daskommende Jahr, Einzelplan 14 – der Verteidigungsaus-schuss ist immer ein besonderer Ausschuss . In der bis-herigen, sehr sachlichen Debatte ist vielleicht zu kurzgekommen, wie viel Mühsal, wie viel Arbeit im Vorfeldsteckt . Das betrifft nicht nur die Fachpolitiker im Vertei-digungsausschuss .Mein Dank geht auch an die Haushälter, nicht nur andie Berichterstatter der Koalition, Bartholomäus Kalbund Karin Evers-Meyer, sondern auch an Tobias Lindnerund Michael Leutert . Da meine Vorredner auf die Berei-nigungssitzung des Haushaltsausschusses eingegangensind, freue ich mich besonders, dass Eckhardt Rehbergder Beratung dieses wichtigen Einzelplans beiwohnt .Ihnen allen einen herzlichen Dank für Ihre Mühe, dasswir einen sanften Aufwuchs in diesem Einzelplan habenerreichen können .
Viele hier im Saal erinnern sich an Auseinanderset-zungen über die Frage, wo und wie viel wir noch einspa-ren können und dürfen . Aber vor dem Hintergrund einerVielzahl von Krisen und wachsender kriegerischer undvor allem terroristischer Bedrohungen müssen wir unsvon der Spardebatte endgültig verabschieden, und dashaben wir auch getan .Heute geht es um ein Mehr, nicht nur um ein Mehr anAufgaben, sondern auch um ein Besserwerden hinsicht-lich der Instandsetzung, um ein Schnellerwerden bei derRainer Arnold
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Auslieferung und ein Effektiverwerden bei der Ausbil-dung . Es geht darum, unsere Streitkräfte in die Lage zuversetzen, die hier in diesem Haus beschlossenen Man-date und Einsätze, soweit es geht, geschützt und schadloszu bewältigen . Es geht darum, unsere Soldatinnen undSoldaten mit dem bestmöglichen Material auszustatten .Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist kein Selbst-zweck, sondern das sind wir den Kräften, den Män-nern und Frauen, die unser Land im Bündnis schützen,schlicht und einfach schuldig .
Wie bereits erwähnt, verzeichnen wir einen sanftenAufwuchs beim Verteidigungsetat . Dieser ist aufgrundeiner spürbar instabileren Sicherheitslage auch mehr alsgerechtfertigt . Das mag dem einen oder anderen hier imHause nicht gefallen . Wer sich allerdings der Realitätstellt, wird dieser soliden Haushaltsplanung folgen . Ichvermute nicht nur, sondern ich prognostiziere, dass derMittelansatz in den kommenden Jahren erheblich gestei-gert werden muss, damit wir all das, was jetzt im Rahmenvon Militär- und Materialhilfen, im Rahmen von Seenot-rettung und vor allem im Rahmen der Amtshilfe bei derBewältigung der Flüchtlingsunterbringung anfällt, finan-zieren können .Nicht erst seit den Anschlägen in Paris wissen wir,dass unsere Sicherheit tagtäglich durch fehlgeleitete Fa-natiker und ihren Terror bedroht ist . Dieser Gefährdungunserer aller Sicherheit müssen wir entschlossen entge-gentreten, nicht durch wohlfeile Worte, sondern durchTaten und einen auskömmlichen Finanzrahmen . Wir set-zen heute hier im Bundestag ein Zeichen und dokumen-tieren, wie viel uns unsere innere und äußere Sicherheitwert ist . Wir müssen – das stimmt – zweifellos sehr vielGeld in die Hand nehmen, um diejenigen Organe zu stär-ken, die diese Sicherheit schützen . Dazu gehört die Po-lizei, dazu gehört der Verfassungsschutz, dazu gehörendie Nachrichtendienste und selbstverständlich – darüberreden wir jetzt – unsere Bundeswehr .Nun wurde in dieser Debatte thematisiert, ob die Bun-deswehr im Gefahrenfall auch im Innern eingesetzt wer-den kann und soll . Ich weiß – das merkte man eben auchan den Reaktionen –, dass diese Diskussion von manchemhier im Hause als überflüssig abgetan wird. Ich weiß aberauch – auch wenn die Ministerin vor wenigen Tagen zudiesem Thema etwas sehr Richtiges gesagt hat –, dassuns das nicht daran hindern darf, den Blick nach vornezu richten und mit neuen Erkenntnissen auch zu neu-en Beschlüssen zu kommen . Ich weiß, dass die CDU/CSU-Fraktion hier eine pragmatische Meinung vertritt .Angesichts der aktuellen Bedrohungslagen möchte ichalle Skeptiker auffordern, erneut über die Möglichkeiteines begrenzten Einsatzes der Bundeswehr im Innernnachzudenken .
– Dann überlegen Sie noch einmal . Vielleicht kommenSie dann ja zu besseren Erkenntnissen .Jedenfalls lassen das barbarische Vorgehen derIS-Kämpfer und die aktuelle latente Terrorgefahr, auchhier in Deutschland, die wir nicht verkennen sollten,
aus meiner Sicht keinen Raum für ideologische Schein-debatten .
– Ja .Viele hier im Saal wissen, auch ich, dass die Bundes-wehr zusätzliche Aufgaben nur noch schwer verkraftenkann und dass sie für gewisse Aufgaben im Innern auchnur begrenzt einsetzbar wäre . Aber anlässlich der heu-tigen Beratung zum Verteidigungsetat halte ich es fürdurchaus geboten, diese Frage erneut auf die Tagesord-nung zu setzen .Nur damit wir uns richtig verstehen: Ich halte es fürabwegig, dass Soldaten der Bundeswehr künftig klas-sische Polizeiaufgaben übernehmen . Dafür sind unsereSoldaten nicht speziell ausgebildet und nicht anlassbe-zogen ausgerüstet . Der Schutz der inneren Sicherheitmuss auch weiterhin von unserer Polizei wahrgenommenwerden; aber unsere Soldaten der Bundeswehr könnenmeines Erachtens durchaus begrenzt und in einem klardefinierten Einsatzszenario zur Unterstützung eingesetztwerden . Was spricht dagegen, dass zum Schutz unsererWerte, unserer Demokratie und zur Sicherung unsererArt, in Freiheit zu leben, alle – alle – verfügbaren Sicher-heitskräfte Hand in Hand arbeiten, wenn die Situation eserfordert?Meine Damen und Herren, solange die Bundespolizeiund die Polizeien der Länder das alles allein bewältigenkönnen, ist das kein Thema . Aber wie schnell Leistungs-grenzen erreicht werden, zeigen uns aktuelle Großla-gen und die erhöhte Alarmbereitschaft in einer längeranhaltenden terroristischen Bedrohung . Als „helfendeHände“ wären unsere Soldatinnen und Soldaten in einerernsten Bedrohung sicherlich eine wertvolle Hilfe . Ichbenutze den Begriff „helfende Hände“ bewusst . Dennmir ist vollkommen unverständlich, warum es der Bun-deswehr im Rahmen einer Amtshilfe gestattet ist, Zelteaufzubauen, Essen für Flüchtlinge auszugeben und derenmedizinische Betreuung zu übernehmen, der bewaffneteEinsatz zum Schutz unserer Bevölkerung im Innern aberausgeschlossen sein soll .
Das verstehe ich nicht wirklich . Auch historische Hinter-gründe müssen irgendwann einmal neu bewertet werden .
Ingo Gädechens
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Meine Damen und Herren, unsere Bürgerinnen undBürger beschäftigen sich in zunehmendem Maße mit derFrage nach ihrer eigenen Sicherheit . Dies spüre ich beivielen Podiumsdiskussionen, an denen ich in den ver-gangenen Tagen und Wochen teilgenommen habe . Diebreite Bevölkerungsmehrheit weiß, dass Sicherheit auchGeld kostet . Die breite Bevölkerungsmehrheit weiß – dieMinisterin sprach von 51 Prozent –, dass die Erhöhungder Verteidigungsausgaben angesichts der zunehmendenKrisen notwendig und richtig ist .Wie bereits mehrfach dargestellt, ist der Verteidi-gungsetat ein besonderer . Denn wir entscheiden nicht nurdarüber, wie viel uns unsere Sicherheit, sondern auch da-rüber, wie viel uns der Dienst der Soldatinnen und Sol-daten wert ist . Deshalb haben wir einen ganzen Strauß anfinanziellen Verbesserungen im Besoldungsänderungs-gesetz festgelegt, welche nicht nur unseren Soldaten,sondern auch den zivilen Kräften in der Bundeswehrguttun . Viele haben schon gar nicht mehr geglaubt, dassderartige Leistungsverbesserungen möglich sind .Wir, die Mitglieder der Großen Koalition, danken alsoden Soldatinnen und Soldaten nicht nur in unseren Re-den, sondern wir tun auch etwas für sie . In diesem Sinnwünsche ich den Angehörigen der Bundeswehr, egal obin Uniform oder Zivil, weiterhin viel Kraft, Mut und Zu-versicht bei der Erfüllung ihrer oftmals schweren und ge-fährlichen Aufgabe .Herr Präsident, da ich noch 30 Sekunden Redezeithabe, stelle ich fest: Ich habe Ihren Auftrag nicht nur ver-standen, sondern ihn auch ausgeführt .Herzlichen Dank .
Das war auch die Erwartung des Hauses, lieber Herr
Kollege .
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Gabi Weber, SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegenund Kolleginnen! Zu dem Diskussionsbeitrag vom Kol-legen Gädechens komme ich gleich noch; ich will denAufbau meiner Rede nicht über den Haufen werfen . AberSie können sich darauf verlassen: Es kommt eine Erwi-derung .
Wir haben in den letzten Monaten erlebt: Deutschlandhilft . Wir konnten Zeuge werden, dass die Menschen inunserem Land ein gutes Gespür dafür haben, wenn an-dere unsere Hilfe brauchen . Viele engagieren sich in derArbeit für Geflüchtete. Ich möchte an dieser Stelle denBundeswehrangehörigen, aber auch den anderen Men-schen, allen, die in zivilen Organisationen, beim DRK,beim THW, bei der Caritas, bei der Diakonie, aber auchin vielen frei organisierten Gruppen, unterwegs sind,Flüchtlingshilfe zu leisten, meinen großen Dank ausspre-chen .
Und trotzdem: Wir könnten hier noch besser werden .Frau Ministerin, Sie haben einen Tagesbefehl zur Pra-xis der Freistellung von Bundeswehrangehörigen zurUnterstützung des BAMF und der Kommunen vor Ortausgegeben . Das wird zurzeit allerdings relativ bürokra-tisch angepackt, und das führt dazu, dass Verantwortunghin und her geschoben wird und diejenigen Soldatinnenund Soldaten, die das gern machen wollen, keine richtigeAntwort bekommen . An dieser Stelle kann das noch einStück weit entbürokratisiert werden, besser und schnellergemacht werden, um die mögliche Unterstützung nochzielgerichteter und schneller an Mann und Frau zu be-kommen . Ich habe die herzliche Bitte, noch mal genaudarauf zu gucken .Wir als sozialdemokratische Verteidigungspolitikerhaben zur Stärkung der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeitbei der Bundeswehr ergänzend ein Positionspapier ent-worfen . Ich empfehle Ihnen, sich das einmal zu Gemü-te zu führen . Wichtig ist an dieser Stelle das Stichwort„Attraktivität der Bundeswehr“ . Warum an dieser Stelle?Weil der aktuelle Leitspruch bei der Werbeoffensive derBundeswehr lautet: „Mach, was wirklich zählt .“ Sehr ge-ehrte Frau Ministerin, helfen Sie unseren Bundeswehran-gehörigen, sich unbürokratisch zu engagieren . Dies zähltdann an dieser Stelle .
Jetzt zu dem ganzen Komplex: Was tut eigentlich dieBundeswehr, und wie ist es mit dem Bundeswehreinsatzim Innern? Nur zur Erinnerung: Im Moment macht dieBundeswehr im Rahmen der Hilfe für Geflüchtete vieleDinge, zum Beispiel sind zu nennen: vorzeitige Rück-und Teilrückgabe nicht mehr benötigter Liegenschaften,temporäre Mitbenutzung von Liegenschaften – in sehrvielen Kasernen läuft das zurzeit –, weitere Unterstüt-zungsleistungen wie Zelte, sanitätsdienstliche Versor-gung, Personentransporte, organisatorische Unterstüt-zung durch helfende Hände; damit sind zurzeit bis zu4 000 Bundeswehrangehörige beschäftigt .
Darüber hinaus ist die Abstellung von 950 Angehörigendes Ministeriums direkt zum BAMF zu nennen . Da kannman doch feststellen, dass die Bundeswehr einen wichti-gen Beitrag im Innern leistet, um das zu bewältigen, waszu tun ist .Was sollte denn darüber hinaus die Bundeswehr imInnern jetzt noch machen? Für mich ist das ganz klar . Ichverwahre mich entschieden gegen den Versuch, den Ein-Ingo Gädechens
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satz der Bundeswehr im Innern herbeizureden . Warumwird das eigentlich getan? Für was eigentlich?
Jenseits der skizzierten Amtshilfe und des nationalenNotstands ist das einfach nicht angezeigt . Wir haben fürdie Fragen der inneren Sicherheit eine grundgesetzlichgarantierte Trennung der Aufgaben von Militär und Po-lizei . Ausnahmen sind die Katastrophenhilfe und der in-nere Notstand .
Beides ist zurzeit nicht angezeigt .
Wenn die Kapazitäten der Polizei nicht ausreichen, istdie Bundeswehr nicht einfach Reservepolizei, die manzur Unterstützung heranziehen kann . Hier muss man klarfeststellen: Es gilt an dieser Stelle das Grundgesetz, dasgenau diesen Einsatz verbietet .
Wir haben viele große Rüstungsbeschaffungsprojekte .Wir dürfen dabei aber die kleinen nicht vergessen . Wirkennen den alten Spruch: Kleinvieh macht auch Mist .Nur haben wir die Situation, dass der Mittelabfluss beiden kleinen Projekten durchaus beschleunigungsfähigwäre . An dieser Stelle wäre es durchaus möglich, ver-nünftige Beschaffungen für die Sicherheit unserer Sol-datinnen und Soldaten zu tätigen und es gleichzeitig hin-zubekommen, dass kleine und mittlere Unternehmen, diewir bei uns haben wollen, Sicherheit bei ihrer Planungund gute Voraussetzungen haben, um weiterhin bei unszu produzieren . Hier der Appell an Sie, Frau Ministerin,die personellen Voraussetzungen bei den Dienststellenzu schaffen, um die Verfahren wirklich beschleunigen zukönnen .Sie haben meinen großen Respekt für Ihre Entschei-dung, Frau Suder seinerzeit zu uns geholt zu haben . Ichsage ganz bewusst „zu uns“; denn Frau Suder ist einfachdiejenige, die mit Ihnen gemeinsam viele Prozesse zur-zeit energisch vorantreibt . Mit Frau Suder bin ich, geradewas die mittelständischen Unternehmen angeht, in regemAustausch . Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns insge-samt an dieser Stelle noch einmal ins Gedächtnis rufen,dass wir eine Mittelstandsbeauftragte brauchen, um denFinger wieder genauer auf diesen Punkt zu legen . Wirdürfen uns nicht nur auf die großen Dinge konzentrierenund dürfen die kleinen – auch Kleinvieh macht Mist –nicht hinten herunterfallen lassen . Daher mein Appell;ich denke, eine Mittelstandsbeauftragte wäre an dieserStelle wirklich gut .
Mir läuft die Zeit weg . – Eines will ich trotzdem nochsagen: Das Weißbuch 2016 ist heute noch nicht erwähntworden . Der diskutierte Punkt wird eine große Rolle da-bei spielen, was von diesem Weißbuch erwartet wird .Es sollte das letzte seiner Art sein; denn wir braucheneigentlich eine Friedens- und sicherheitspolitische Stra-tegie für ganz Deutschland . Der Koalitionsvertrag lie-fert an dieser Stelle viele und sehr gute Grundbausteine .Volker Kauder hat heute Vormittag bereits betont, wiewichtig für uns Koalitionäre dieser Koalitionsvertrag ist .Er könnte an dieser Stelle viel stärker genutzt werden .Das würde vieles verkürzen .
Meine letzten Worte
sind an dieser Stelle wie immer . Ich bin Entwicklungs-politikerin . Mein Appell geht noch einmal dahin, lang-fristig zu denken, wenn es um die Bekämpfung vonFluchtursachen geht, und nicht immer dieses kurzfristigeDenken zu haben: Wir machen jetzt Fluchtursachenbe-kämpfung, indem wir in den Flüchtlingslagern etwas tun,indem wir den Ländern um Syrien und den Irak herumUnterstützung anbieten . Ein absolut notwendiger Teil derFluchtursachenbekämpfung ist eine stetige Erhöhung derODA-Quote . Dafür plädiere ich an dieser Stelle noch ein-mal ausdrücklich .
Ich bitte aber auch darum – jetzt ist Herr Spahn leidernicht da –, dem Herrn Finanzminister auszurichten odernahezubringen, die Finanztransaktionsteuer nicht zu ver-gessen . Auch das Geld brauchen wir dringend für Ent-wicklungszusammenarbeit und Fluchtursachenbekämp-fung .
In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit .Sie merken, ich bin sehr dafür, diesen Verteidigungshaus-halt zu beschließen, und freue mich über Ihre Zustim-mung .
Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich das
Wort dem Abgeordneten Florian Hahn, CDU/CSU-Frak-
tion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Außen- und Sicherheitspolitik und die au-ßen- und sicherheitspolitische Lage in den letzten zweiJahren haben sich dramatisch verändert . Wir erlebennicht nur die Gleichzeitigkeit von verschiedenen Kon-flikten, sondern müssen auch auf Konflikte reagieren, diein ihrer Erscheinungsform nicht unterschiedlicher seinkönnen .Gabi Weber
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Die Ukraine-Krise und das neu zu definierende Ver-hältnis zu Russland stehen beispielhaft für eine Bedro-hung, die wir aus vergangenen Tagen kennen . Deshalb istBündnisverteidigung heute erneut unser Kerngeschäft,ohne dass wir Out-of-Area-Einsätze vernachlässigenkönnten . Diese Einsätze sind auch wichtig . Sie sind über-lebenswichtig .Lieber Kollege Leutert, ich kann nur sagen: WennSie fordern, dass wir die Unterstützung beispielsweiseder Peschmerga-Kurden im Nordirak einstellen sollen,dann frage ich Sie: Was ist die Alternative? Wollen Siedie Kurden in diesem Gebiet einfach dem IS überlassen,oder haben Sie wirklich die naive Vorstellung, dass Sie ineiner Art Stuhlkreis mit dem IS verhandeln können, dasssich dort ein friedliches Miteinander einstellt? Das kön-nen Sie vergessen . Das ist naiv . Deswegen ist es wichtig,dass wir in solchen Einsätzen sind wie beispielsweise beider Ausbildungsmission im Nordirak .
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, neben demErstarken der Mörderbanden des „Islamischen Staats“sehen wir auch die Erosion von Staatlichkeit im NahenOsten und in Nordafrika . Mit den Anschlägen von Pa-ris, kaum zwei Wochen her, ist der Terror aus Syrien undaus dem Irak ganz massiv mitten in Europa gelandet .Das fordert unser bisheriges europäisches Sicherheits-verständnis neu heraus . Die Details des europäischenBeistands nach Artikel 42 des EU-Vertrags stehen nochnicht fest . Sicher ist allerdings, dass Solidarität für unsauch Verantwortung heißt . Es wird nicht reichen, dasswir uns die französische Trikolore umhängen und für un-sere französischen Freunde, für die Opfer und ihre Fami-lien beten . Wir müssen damit rechnen, dass auch auf dieBundeswehr weitere Aufgaben zukommen, und sei es,um unsere französischen Freunde in Afrika zu entlasten .Diese neuen Herausforderungen bedeuten in der Kon-sequenz auch eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben .Ganz sachlich brachte NATO-Generalsekretär Jens Stol-tenberg das auf den Punkt: Unsere Freiheit kommt nichtumsonst . Wir müssen in unsere Sicherheit investieren . –Wir müssen also auf das sich verändernde Lagebild re-agieren, und angesichts der aktuellen Bedrohungsszena-rien war für uns die Erhöhung des Wehretats nicht mehrnur geboten, sie war eine Notwendigkeit . Bereits auf demCSU-Parteitag 2014 hat die CSU gefordert, dass eineErhöhung des Verteidigungsetats kein Tabu mehr seindürfe . Es war unsere frühe Forderung, dass wir uns ganzklar von der Mangelwirtschaft und der Unterfinanzierungverabschieden
und uns für eine Investitionswende entscheiden .Die erfolgreiche Erhöhung der Verteidigungsausga-ben in der mittelfristigen Finanzplanung um 8 MilliardenEuro bis 2019, aber auch die eingeleitete Diskussion überdie Leistungsfähigkeit der Streitkräfte sind erste Schrittein die richtige Richtung . Das ist sozusagen der Pfad derModernisierung, den Sie, Frau Ministerin, angesprochenhaben . Ich darf mich an der Stelle auch für Ihre tatkräfti-ge und erfolgreiche Arbeit bedanken und dafür, dass Siediesen Modernisierungsprozess tatsächlich angegangensind .
Ich bin auch der Meinung, lieber Herr Lindner – ichverstehe ja, dass Sie kritisieren müssen –, dass Sie schonfeststellen müssten, dass wir gerade im Bereich des Be-schaffungswesens, beispielsweise mit der neuen Trans-parenz, die gerade auch dem Parlament gegenüber an denTag gelegt wird, doch ganz neue Entwicklungen haben,die wir alle sehr begrüßen .
Herr Kollege?
Im Moment nicht, danke . – Schauen Sie sich beispiels-weise das Thema Mittelabfluss an – Sie haben es selbstbeschrieben –: Während wir vor zwei Jahren noch über1 Milliarde Euro nicht abgeflossener Mittel hatten, warenes letztes Jahr schon weniger, und dieses Jahr werden esnoch weniger sein . Auch hier sind wir also auf dem rich-tigen Weg . Dafür wollen wir auch weiterhin zusammenmit Ihnen, Frau von der Leyen, kämpfen .Trotzdem bleiben natürlich auch Engpässe . Eine Voll-ausstattung der Armee lässt sich nicht von heute auf mor-gen erwirken . Auch gefährden Kürzungen im Bereichvon Forschung und Technologie den Erhalt von techno-logischen Fähigkeiten und unserer technologischen Un-abhängigkeit . Hier müssen wir aufpassen .In diese unruhigen sicherheitspolitischen Zeiten fälltauch die Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie . Abdem 1 . Januar 2016 wird die 41-Stunden-Woche imGrundbetrieb gelten . Erstmals führen wir damit einemoderne Dienstzeitverordnung bei der Bundeswehr ein .Die Regelung ist ein klares Zeichen an die Truppe: ImDienstalltag des Grundbetriebs gelten für Soldatinnenund Soldaten geregelte Arbeitszeiten wie für andere Ar-beitnehmer auch . Trotzdem muss die Einsatzbereitschaftder Truppe weiterhin im Vordergrund stehen . Die Bun-deswehr erfüllt in zahlreichen internationalen Einsätzenfriedensschaffende und friedenswahrende Aufgaben .Daneben übersteigt der Einsatz im Inneren längst alleDimensionen, die wir aus Katastrophenhilfen vergan-gener Tage kennen . 2 700 bei Auslandseinsätzen ein-gesetzten Soldatinnen und Soldaten stehen heute rund7 600 Angehörige der Bundeswehr gegenüber, die bei derUnterstützung der Flüchtlinge eingebunden sind . Sehrgeehrter Herr Leutert, Sie haben vorhin die Ministerinaufgefordert, den Einsatz der Bundeswehr im Inneren zuunterlassen . Ich weiß gar nicht, wie das gehen soll . Ichweiß gar nicht, wie Sie denn diese 7 600 Bundeswehrsol-daten ersetzen wollen .
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Die Bundeswehr macht hier einen ganz wichtigen Job .Darauf können wir nicht verzichten .
Unabhängig davon gilt auch in anderen Bereichen,dass die komplexen Bedrohungen der Gegenwart nichtmehr allein der inneren oder äußeren Sicherheit zuge-rechnet werden können . Sie sind zunehmend voneinan-der abhängig . Vor diesem Hintergrund stellen sich zweiFragen:Zum einen: Die Sicherheit unserer Bürgerinnen undBürger sollte immer oberste Priorität haben . Viele Be-drohungen finden heute an den Schnittstellen von innererund äußerer Sicherheit statt . Wir sollten daher über diehistorisch gewachsene, aber aus meiner Sicht überlebtestrikte Trennung von Militär und anderen Sicherheitsor-ganen nachdenken . Wir sollten den Einsatz der Bundes-wehr im Inneren noch einmal in aller Ruhe prüfen . Es istnämlich schon paradox, dass die Verteilung von Essenan Flüchtlinge erlaubt ist, der Schutz der Unterbringungaber nicht . Ein abgestimmtes Zusammenwirken aller Si-cherheitskräfte kann die richtige Antwort auf die neuenHerausforderungen sein . Ein Grundmisstrauen gegen-über dem Einsatz unserer Parlamentsarmee im InnerenDeutschlands ist heute nicht mehr gerechtfertigt .
Wenn Sie noch andere Beispiele haben wollen, dannüberlegen Sie sich einmal folgendes Szenario: Eine Ost-seefähre wird von Terroristen gekapert . Wer hat über-haupt die Fähigkeiten, hier entsprechend einzugreifen,um die Menschen auf einer solchen Fähre zu schützen?Das hat nur die Bundeswehr . Jetzt können Sie sagen: Inder Logik müsste es so sein, dass wir die Bundespoli-zei besser ausstatten, damit sie diese Fähigkeiten hat . –Da kann ich nur sagen: Warum sollen wir hier doppelteStrukturen aufbauen? Das ist Geldverschwendung . Hiersollten die Sicherheitskräfte miteinander arbeiten kön-nen . Das macht Sinn .
Das Gleiche gilt im Übrigen auch für das ThemaABC-Schutz . Sie sollten sich einmal genau anschauen,wer welche Fähigkeiten hat und wer im Zweifel ge-braucht wird .Funktionalität und Einsatzbereitschaft werden immerschwerer aufrechtzuerhalten sein . Die zunehmende Ein-satzverpflichtung und die dafür notwendige Ausbildungwerden – gerade mit Blick auf die langfristig angelegteFlüchtlingshilfe – mit dem jetzigen Personalstand schwerzu bewältigen sein . Die neue EU-Arbeitszeitrichtliniewird weiteren Druck auf die Personalstruktur ausüben .Die sicherheitspolitische Lage hat sich seit 2011, demBeginn der Neuausrichtung der Bundeswehr, maßgeb-lich geändert . Es ist daher wichtig, dafür zu sorgen, dassvon den 185 000 Soldatinnen und Soldaten auch wirklich185 000 einsatzfähig sind . Das erreichen wir im Momentbei weitem nicht . Sollte das nicht ausreichen, dürfen wiruns nicht davor scheuen, über eine flexible Personalober-grenze nachzudenken .Der Präsident gibt das entscheidende Signal . – Ichwerde meine Rede verkürzen und ende mit dem Einwurfdes verteidigungspolitischen Sprechers unserer Fraktion,der vorhin gesagt hat: Gut, dass wir an der Regierungsind . – Mit Blick auf den Haushalt und auf die Entwick-lung bei der Bundeswehr kann ich das nur unterstreichen .Vielen Dank .
Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention
Dr . Lindner, der vom Redner angesprochen wurde . – Bit-
te .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Kollege Hahn,
ich bin bei Ihrer Rede hellhörig geworden, als das Stich-
wort „CSU-Parteitag“ fiel. Damit meine ich nicht die
aktuelle Entwicklung vom Wochenende . Ich habe ver-
sucht, mir vorzustellen, wie es gewesen wäre, wenn Frau
von der Leyen damals zu Gast gewesen wäre . Sie haben
dann ausgeführt, dass der besagte CSU-Parteitag bereits
2014, wenn ich mich richtig erinnere, eine Erhöhung der
Verteidigungsausgaben gefordert hat . Sie haben dann ge-
meint, Sie verstehen mich in vielen Teilen . Aber der Be-
schaffungsbereich sei jetzt in vielem besser . Ich erinnere
mich an einen Verteidigungsminister, der einmal gesagt
hat, dass der größte strategische Parameter, dem sich die
Bundeswehr unterzuordnen habe, die Schuldenbremse
sei . Er hat eine Reform mit einem Einsparvolumen von
8,3 Milliarden Euro begonnen, an dem sein Nachfolger,
Herr de Maizière, festgehalten hat .
Können Sie mir sagen, in welcher Partei Karl-Theodor
zu Guttenberg Mitglied ist?
Er kann, aber er muss nicht . – Mögen Sie antworten,
Herr Hahn?
Sehr geehrter Herr Kollege Lindner, Karl-Theodor zuGuttenberg ist meines Wissens immer noch Mitglied derCSU .
– Ich gehe auch davon aus .Karl-Theodor zu Guttenberg hat im Übrigen 2010nicht gesagt, dass er wegen des ausgeglichenen Haus-haltes die Bundeswehr reformieren will; vielmehr schienihm die Bundeswehr insgesamt reformbedürftig . Ichglaube, darin waren wir uns alle einig .Florian Hahn
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Die Situation 2015 mit der 2010, dem Beginn derDiskussion um eine Bundeswehrreform, zu vergleichen,hinkt . Sie sehen, dass sich die außen- und sicherheits-politische Lage – ich habe das zu Beginn meiner Redegesagt – dramatisch geändert hat . Wir müssen unsere Po-litik immer an die jeweilige Lage anpassen . Insofern gibtes hier keinen Dissens .
Wir sind damit am Ende unserer Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 14 – Bundesministerium der Verteidigung – in der
Ausschussfassung . Wer stimmt für den Einzelplan 14 in
der Ausschussfassung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Dann ist der Einzelplan 14 mit den Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .12 auf:
Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung
Drucksachen 18/6120, 18/6124
Berichterstatter sind die Abgeordneten Volkmar Klein,
Sonja Steffen, Michael Leutert und Anja Hajduk .
Zu dem Einzelplan 23 liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir am
Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat der
Abgeordnete Michael Leutert, Fraktion Die Linke, das
Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrter Herr Minister, Anfang September habenSie dem Parlament einen Entwurf Ihres Etats mit Aus-gaben in Höhe von 7,4 Milliarden Euro übermittelt . Die-ser Entwurf ist in einer Situation entstanden, in der unsallen schon bekannt war, mit welchen Problemen wir zutun haben . Wir wussten, welche Zustände in Afghanistanherrschen, wir wussten, dass es Bürgerkrieg im Irak, inSyrien und in Libyen gibt, wir wussten um den IS, undwir wussten um die vielen Flüchtlinge, die nach Europakommen .Heute, im November, drei Monate später, nach denHaushaltsverhandlungen, ist die Situation nicht viel bes-ser . Die Situation hinsichtlich der Flüchtlinge ist – ganzim Gegenteil – noch dramatischer geworden . Der Wintersteht vor der Tür . Wir haben Terroranschläge in Europaund in Syrien zu verzeichnen . Wie wir gestern leider wie-der im Zusammenhang mit dem Abschuss des russischenKampfflugzeuges gesehen haben, eskaliert die Situati-on weiter . Nach den Haushaltsberatungen umfasst IhrEtat wiederum gut 7,4 Milliarden Euro – ein Minus von17 Millionen Euro . Ganz im Gegenteil dazu wurde in denVerhandlungen über den Etat des Auswärtigen Amtes einAufwuchs von 400 Millionen Euro erreicht . Beim BMZsind es, wie gesagt, 17 Millionen Euro weniger gewor-den . Ich frage mich, was da in den Haushaltsverhandlun-gen schiefgelaufen ist oder ob da irgendetwas in IhremMinisterium nicht angekommen ist .
Ich habe es schon gesagt: Die Situation ist dramatisch .Ich will nur auf eine Zahl, die hier schon oft zitiert wur-de, hinweisen: Allein beim Flüchtlingsprogramm derUN, das die syrischen Flüchtlinge betrifft, gibt es derzeitein Defizit von 3,5 Milliarden Euro. Da habe ich nochnicht vom Welternährungsprogramm und vom UNHCRinsgesamt gesprochen . Auch dort sehen die Zahlen nichtbesser aus . Wie gesagt: Jetzt wird es noch schlimmer, dader Winter vor der Tür steht . Wir alle wissen: Wir brau-chen mehr Geld . Ich frage Sie, liebe Kolleginnen undKollegen: Wann, wenn nicht jetzt, wäre der Zeitpunkt,endlich unser internationales Versprechen einzulösen,0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwick-lungszusammenarbeit auszugeben?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bräuchten da-für circa 8 Milliarden Euro mehr . Es klingt jetzt erst ein-mal so, als wäre das dramatisch viel . Ich möchte aberversuchen, kurz zu skizzieren, dass das so viel nicht ist .Wir alle wissen: Wenn sich der Bundestag in bestimm-ten Fragen einig ist, dann ist er in der Lage, Geld auchin dieser Größenordnung zu mobilisieren . Ich enttäuscheSie jetzt: Ich werde nicht mit Bankenrettung und Grie-chenland-Hilfe kommen, sondern möchte zwei Beispielewählen, bei denen sich alle Fraktionen einig sind .Weil es uns wichtig war, wurde hier im Bundestagbeschlossen, das Elterngeld einzuführen . Ich möchte dieverschiedenen Maßnahmen nicht gegeneinander ausspie-len, sondern bloß deutlich machen: Wenn wir uns überetwas einig sind, dann geht es . – Das Elterngeld kostetuns im Jahr 6 Milliarden Euro, Tendenz steigend .Eine andere Sache, bei der wir uns über alle Fraktions-grenzen hinweg einig sind, ist die Entscheidung, mehrGeld für Bildung und Forschung in die Hand zu nehmen .
Es wird das Ziel ausgegeben, 3 Prozent des BIP für For-schung und Bildung auszugeben . Aus diesem Grund istder Etat des Bildungs- und Forschungsministeriums von10 Milliarden Euro im Jahre 2009 auf jetzt 16,5 Milliar-den Euro angewachsen . Es ist also möglich, insgesamt inden Jahren 6,5 Milliarden Euro mehr zu mobilisieren . ImÜbrigen hat das BMBF mehr als doppelt so viel Geld zurVerfügung wie das BMZ .Florian Hahn
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Herr Minister, Sie sagen selber – Sie werden nichtmüde, das immer wieder zu betonen –, dass es sich lohnt,Geld in die Hand zu nehmen . 1 Euro, eingesetzt in denLändern, in denen sich die Flüchtlinge derzeit aufhalten,ist so viel wert wie 30 Euro, die wir hier einsetzen bzw .im Notfall einsetzen müssen . In der Zielrichtung sind wiruns einig . Wir könnten entsprechende Maßnahmen an-gehen . Wenn wir es nicht schaffen, können wir immernoch einen Nachtragshaushalt verabschieden . Wir habenentsprechende Anträge vorgelegt . Ich bin sehr gespannt,wie Sie darauf reagieren .Nun ist bekannt, dass ich nicht jemand bin, der immernur schreit, wir brauchten mehr Geld . Wir müssen viel-mehr überlegen, wie wir das vorhandene Geld einsetzen,welche Maßnahmen wir auch ohne Geld verwirklichenkönnen und welche Maßnahmen unseren Zielen eventu-ell entgegenstehen . Ich habe mir daher im Detail ange-schaut, wie die Ressourcen verwendet werden, und mussschon sagen: Es ärgert mich enorm, dass die Gesellschaftfür Internationale Zusammenarbeit, also unsere ureige-ne Durchführungsorganisation im Bereich der Entwick-lungszusammenarbeit, etliche Programme finanziert, diein Saudi-Arabien umgesetzt werden . Wenn ich dann auchnoch sehe, dass dort im Auftrag des Innenministeriumsein Grenzschutzprogramm umgesetzt wird, im Zuge des-sen Polizisten im Übrigen auch an der Waffe ausgebildetwerden, dann muss ich sagen: Lieber Minister, das kon-terkariert Ihre Bemühungen, Fluchtursachen zu bekämp-fen . Aus diesem Grund sollten wir solche Programmejetzt beenden .
Im Übrigen – das kann man alles auf der Seite derGIZ nachlesen – ist die GIZ in allen Staaten des Golf-kooperationsrates präsent . In all diesen Staaten werdenProgramme durchgeführt, so zu den Themen Wassersi-cherheit, Stadtplanung, Berufsausbildung, Verwaltungs-effizienz usw. – alles wichtige Themen –; aber in keinemLand wird auch nur ein einziges Programm durchgeführt,bei dem es um Themen wie Menschenrechte, gute Regie-rungsführung oder Demokratisierung geht . Liebe Kolle-ginnen und Kollegen, ich halte das für falsch und auchfür eine Verschwendung von Ressourcen . Das ist einfachFakt .
– Es ist nicht falsch . Lesen Sie es bitte nach .Im Umfeld des Afrika-Gipfels, der vor kurzem stattge-funden hat, wurde eine Debatte geführt, bei der es auchum die Frage ging, ob man den Staaten, die nicht wil-lens sind, Flüchtlinge zurückzunehmen, die Mittel für dieEntwicklungszusammenarbeit streicht . Das halte ich fürabsurd .
Wir sollten eher anfangen, darüber nachzudenken, Län-der, die für Fluchtursachen sorgen – dazu gehört unteranderem Saudi-Arabien, das im Jemen Krieg führt –,nicht weiter zu hofieren und zu unterstützen, zumal sieausreichend eigenes Geld haben, um entsprechende Pro-jekte durchzuführen .Vielen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege Leutert . – Schönen guten
Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zahlreichen
Gäste auf der Tribüne seien auch herzlich willkommen .
Der nächste Redner in der Debatte: Volkmar Klein für
die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Haushaltsplan besteht zunächst aus Zah-len, aus sehr vielen Zahlen sogar . Aber am Ende desTages steht der Haushaltsplan für Politik . Ich glaube,dass der Einzelplan 23, der Haushaltsplan des Bundes-ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung, durchaus exemplarisch für den gesamtenHaushaltsplan steht . Wir können ihn mit drei Begriffencharakterisieren: zugewandt, fokussiert und nachhaltig .Lassen Sie mich, bevor ich zu den drei Begriffen et-was sage, meinen ganz herzlichen Dank aussprechen . AlsHauptberichterstatter meiner Fraktion im Haushaltsaus-schuss möchte ich den Mitberichterstatterinnen und Mit-berichterstattern danken, insbesondere Anja Hajduk undMichael Leutert, den Oppositionsberichterstattern, beidenen man schon ein bisschen den Eindruck hat, wennsie nicht in der Opposition wären, würden sie den Einzel-plan am Ende auch gut finden.
Noch viel mehr bedanke ich mich natürlich bei meinerKoalitionsberichterstatterin Sonja Steffen . Wir haben ge-meinsam dafür gesorgt, dass jetzt gute Zahlen auf demTisch liegen .
Also auch an dich noch einmal einen ganz herzlichenDank .Ich bedanke mich aber auch für all die vielen Gesprä-che mit Mitgliedern des Ausschusses für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung, und ich bedankemich bei den vielen Besuchern, die von außen kommenund uns mit Informationen versorgen . Ich bedanke michganz besonders, und zwar nicht nur für die gute Koope-ration, sondern mehr für seine gute Arbeit, beim Bundes-minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung, bei Gerd Müller . Er macht eine gute Arbeit .Ich bin sicher, dass er diese gute Arbeit in den nächstenMonaten genauso weiterführt .
Michael Leutert
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Zugewandt – mein erster Begriff . Es geht um Men-schen, und zwar nicht nur im Einzelplan 23, sondernim gesamten Bundeshaushalt: von der Bildung über dieGesundheit und die sozialen Fragen bis zur Wirtschafts-ordnung . Am Ende ist unser christliches Menschenbildder Maßstab, wofür wir Geld ausgeben . Genau das istdie Basis unserer europäischen Werteordnung . Genaudas lässt uns Verantwortung übernehmen für Menschen,auch für Menschen jenseits unserer Grenzen . Wir gebenauch für Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommensind, sehr viel Geld aus . Diese Beträge werden nicht imEinzelplan 23 etatisiert, über den wir jetzt reden . Sie sindaber zu einem ganz großen Teil ODA-Mittel . Insofernliegt die Koordinierung beim BMZ, beim Bundesminis-terium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-lung .An dieser Stelle muss man, glaube ich, einmal sagen:Es ist eine Schande, dass die richtig reichen muslimi-schen Länder am Golf sich überhaupt nicht um dieseMenschen kümmern und bisher keinen einzigen Flücht-ling aufgenommen haben . Das ist nicht in Ordnung .
Das BMZ koordiniert natürlich nicht nur dieODA-Mittel . Im Einzelplan 23 ist auch ein wirklichstark gewachsener großer Brocken etatisiert . Der Einzel-plan 23 steigt um rund 850 Millionen Euro gegenüberdem Jahr 2015; so stark ist er noch nie gestiegen . Er istso stark gestiegen, weil wir uns den Menschen, die inden Lagern im Libanon oder im Nordirak sind, zuwendenmüssen . Es geht darum, dort die Lebensmöglichkeiten zusichern . Darum kümmert sich zunächst einmal, sofern esum Lebensmittel geht, das Auswärtige Amt . Aber sobalddie Menschen länger dort sind, geht es auch darum, füreine entsprechende Infrastruktur zu sorgen . Dabei gehtes nicht nur um Wasserleitungen, sondern eben auch umBildung . Und dann ist es Aufgabe des Bundesministe-riums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-lung, den Menschen zugewandt zu helfen .Wenn wir über das Stichwort „Fluchtursachen be-kämpfen“ reden, geht es eigentlich um die gesamte Ar-beit des Ministeriums; denn bei allem, was getan wird,geht es darum, Menschen in ihren Heimatländern bessereChancen zu geben, und das führt automatisch dazu, dassFluchtursachen wegfallen .Fokussiert – das ist mein zweiter Begriff . Auch wennsich eigentlich die gesamte Arbeit des BMZ um die Be-kämpfung von Fluchtursachen und um Entwicklungdreht, also um langfristiges Denken, ist es jetzt erst ein-mal richtig, dass wir deutlich umgeschichtet haben . Wirhaben den Titel „Krisenbewältigung und Wiederaufbau,Infrastruktur“, bei dem es um die Lager in diesen Länderngeht, ganz erheblich erhöht: 130 Millionen Euro standenfür dieses Jahr im Haushaltsplan . Der Regierungsentwurffür 2016 umfasste bereits 220 Millionen Euro, und imRahmen der Haushaltsberatungen haben wir diesen Titelauf 400 Millionen Euro aufgestockt . Das Gleiche gilt fürden Titel „Sonderinitiative Fluchtursachen bekämpfen“:Für dieses Jahr standen 70 Millionen Euro im Haushalts-plan . Der Regierungsentwurf für 2016 umfasste 110 Mil-lionen Euro; jetzt stehen an dieser Stelle 300 MillionenEuro im Haushaltsplan .Fokussieren auf die Lager, das ist ganz bestimmt rich-tig . Jeder von uns hat viele Berichte von Menschen ge-hört, die im Libanon oder im Nordirak gewesen sind . Esist klar: Wir müssen mehr tun, damit die Menschen dortbleiben können und keinen Grund haben, zu uns nachEuropa zu kommen . Ein Fokussieren auf diese Lager istrichtig .Es ist aber auch wichtig, auf mehr Chancen zu fokus-sieren . Ich glaube, wir brauchen da ein bisschen Umori-entierung . Wir müssen uns in der Entwicklungszusam-menarbeit mehr als bisher daran orientieren, ob Jobsentstehen können . Es ist ganz wichtig, für Gesundheit,für sauberes Wasser und für Bildung zu sorgen . Aber amEnde des Tages werden die dann gut ausgebildeten Leutezu Hause immer noch keine Chance haben, wenn nichtauch Arbeit da ist, wenn nicht auch Jobs da sind . Des-wegen brauchen wir mehr Investitionen . Wir brauchen inden Ländern des Südens auch mehr private Investitionen,damit die Leute dort Jobs bekommen . Das wollen wirdurch Umschichtungen in unserem Haushaltsplan errei-chen . Das ist ein wichtiger Punkt, um die Chancen fürJobs und eine wirtschaftliche Entwicklung, die wirklichnachhaltig ist, zu erhöhen . Wir werden uns auch im Mainächsten Jahres in Deutschland damit befassen; denn wirsind Gastgeber der Jahrestagung der Asiatischen Ent-wicklungsbank . Dort kommen viele Menschen zusam-men, die auch private Investitionen für die Länder desSüdens mobilisieren wollen .Auch eine gestärkte kommunale Kooperation kannhelfen . Wir müssen unsere Erfahrung, dass Arbeitsplätzenicht durch staatliches Handeln, sondern durch privateInitiativen und Investitionen entstehen, weitergeben .
Wir müssen helfen, indem wir unsere Erfahrung vonNormalität in unserem Wirtschaftsablauf transportieren .Das ist, glaube ich, ein wichtiger Beitrag . Wir müssenuns fokussieren auf die Chancen, die Menschen haben .Ich würde auch sagen: Auch wenn wir eine Haushalts-debatte führen, sollten wir nicht immer nur auf Geldbe-träge schauen . Das wurde in der zurückliegenden De-batte hier und da schon deutlich . Wenn wir uns auf dasschiere Ausgeben von Geld konzentrieren und das bereitsfür einen Erfolg halten, dann kommen wir nicht weiter .Wir müssen Chancen schaffen und dürfen nicht nur darandenken, wie viele ODA-Mittel ausgegeben worden sind .Das wird im nächsten Jahr besonders deutlich werden,wenn diejenigen, die immer nur dumpf vom 0,7-Pro-zent-Ziel geredet haben und nur diese Zahl im Kopf ha-ben, im nächsten Jahr vor dem Problem stehen werden,weniger Geld fordern zu müssen . Ich bin nach dem, wasuns vorliegt, nämlich durchaus davon überzeugt, dass wirim nächsten Jahr auf über 0,7 Prozent kommen werden,Volkmar Klein
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weil sämtliche Kosten, die im Inland für Flüchtlinge an-fallen, für die ersten zwölf Monate mitgerechnet werden .
Ich rechne damit, dass unser Ziel übertroffen wird . Des-wegen sage ich immer wieder: Nur auf diese Zahl zu fo-kussieren, ist einfach falsch . Wir werden deutlich über0,7 Prozent liegen . Das bringt uns aber nicht weiter .
Mein letztes Stichwort ist die Nachhaltigkeit . Der ent-scheidende Beitrag zur Nachhaltigkeit ist ein insgesamtausgeglichener Haushalt; denn das ist ein wirklich gutesZeichen für Stabilität und Vertrauen . Dieses Signal istnotwendig, damit Private und Unternehmen in Deutsch-land weiterhin investieren und Deutschland wirtschaft-lich stark bleibt . Genau das ist die Voraussetzung dafür,dass wir auch in Zukunft helfen können, und das wollenwir . Wir wollen nicht nur helfen, sondern wir haben unsim Haushalt sogar dazu verpflichtet. Wenn man all dieVerpflichtungsermächtigungen im Einzelplan 23 zusam-menzählt, sieht man, dass wir auch in Zukunft wirtschaft-lich stark sein müssen, wenn wir auch zukünftig unsereHilfe zusagen wollen . Deswegen: Der beste Beitrag füreine langfristig erfolgreiche Entwicklungszusammenar-beit seitens Deutschlands ist ein ausgeglichener Haus-halt .
Wir müssen aber auch an mehr Nachhaltigkeit inAfrika denken und diese einfordern . In vielen Ländernist doch nicht das eigentliche Problem, dass Geld fehlt .Das Problem ist, dass miserables Regierungshandeln dieChancen der Menschen zerstört .
Ich glaube, wir müssen einfach robuster als bisher einfor-dern, dass sich das verbessert .
Ich habe das in der letzten Debatte unter dem Stichwort„Troikas für Afrika“ zusammengefasst. Das finde ichweiterhin richtig . In Südeuropa fordern wir Konditiona-lität für Zusammenarbeit ein . Wir müssen unsere Mittelkrasser und robuster einsetzen, um Korruption in Afrikaabzubauen .Das Ziel, Frieden und Demokratie zu stärken, gehtin die gleiche Richtung . Die Deutsche Afrika Stiftunghat in der letzten Woche den Deutschen Afrika-Preis anHoucine Abassi vergeben; das hat natürlich dadurch anBedeutung gewonnen, dass er in zwei Wochen auch denFriedensnobelpreis bekommt . Das ist ein gutes Beispieldafür, dass es nicht nur auf Geld ankommt, sondern auchauf Menschen, die in der Lage sind, die Menschen zu-sammenzubringen und Konflikte zu moderieren. Deswe-gen an dieser Stelle einen ganz herzlichen Glückwunschan Houcine Abassi zum Deutschen Afrika-Preis, aberauch zum Friedensnobelpreis!
Auf Menschen kommt es an . Deswegen ist es wichtig,solche Menschen zu haben . Genauso wichtig ist es aber,all die Deutschen zu haben, die in vielen Ländern arbei-ten und helfen . Dass sie es auch im Zusammenhang mitEbola gemacht haben, wissen wir in unserer schnelllebi-gen Zeit schon gar nicht mehr . Sie tun es aber auch heutein all diesen Lagern . Deswegen an dieser Stelle auch einganz herzliches Dankeschön an all diejenigen, die die-se Arbeit tun! Im Grunde ist ja ein Dank die verschärfteForm der Bitte, das auch weiterhin zu tun . Das brauchenwir, wenn wir wollen, dass Deutschland in aller Welt eingutes, erfolgreiches Bild abgibt und ein liebenswertesGesicht hat .Wenn ich ganz zu Beginn unserem Minister gedankthabe, dann verfolge ich damit natürlich die gleiche Stra-tegie . Auch das ist die verschärfte Bitte: Weitermachen!Wir brauchen ihn und seine Politik auch in den nächstenMonaten . Ich glaube, dass dieser Haushalt – den Men-schen zugewandt, auf Probleme fokussierend, gleichzei-tig aber nachhaltig im Sinne der Sicherung der eigenenKapazitäten – gut ist und die Zustimmung von allen hierim Hause verdient hat .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Kollege Klein . – Nächste Rednerin:
Anja Hajduk für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-ren! Bei aller Kollegialität, lieber Volkmar Klein: DiesemEtat können wir so nicht zustimmen, insbesondere weilder Etat für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung in den Haushaltsberatungen im Unterschied zuanderen Etats, die kräftig gewachsen sind, dreifach be-straft wurde . Das muss man bei nüchterner Betrachtungfeststellen, und das muss man hier auch laut aussprechen .
Der Kollege Leutert hat schon gesagt: Es gibt kei-nen Aufwuchs, sondern eine Kürzung um 17 MillionenEuro . – Man könnte noch sagen, das sei, gemessen amGesamtetat, vielleicht keine so hohe Summe . Aber esgeht um die nüchterne Bilanz: Was ist eigentlich währendder Haushaltsberatungen passiert, nachdem das Kabinetteinen großen Aufwuchs beschlossen hat? Ich habe Mi-nister Müller in unseren Beratungen so verstanden, dasser darum gebeten hat, der Haushaltsausschuss möge nochmehr tun, so wie dieser auch beim Etat des Innenminis-teriums und im Bereich der humanitären Hilfe dreistelli-ge Millionenbeträge draufgelegt hat . Das haben Sie hierVolkmar Klein
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nicht getan . Sie haben sich dagegen entschieden . Ich hal-te das für falsch .Zu dem, was Sie umgeschichtet haben – Sie nennendas „Fokussierung“, Herr Klein –, muss ich feststellen:Ja, es ist wichtig, bei der Krisenbewältigung und bei derInfrastruktur etwas obendrauf zu legen . Das fordern auchwir; das fordern wir auch weiterhin . Aber es ist nichtrichtig, gleichzeitig bei der Technischen Zusammenar-beit und der Finanziellen Zusammenarbeit entsprechendzu kürzen . Die Programme der KfW sind gerade sehr po-sitiv öffentlich evaluiert worden . Da kann ich Ihnen nursagen: So funktioniert das nicht . Ihr Nullsummenspielgeht in diesem Bereich nach hinten los .
Wir reden hier über einen Etat, bei dem es heute einegroße Einigkeit gab; dazu hat sich auch die Kanzleringeäußert . Es geht darum, Fluchtursachen nachhaltig zubekämpfen, Ausbildung zu fördern und Perspektiven vorOrt zu schaffen . Das tun wir insbesondere mit Projekten,die wir mit Mitteln dieses Etats fördern . Insofern ist esein schlichter Widerspruch, dass Sie hier nichts tun .Es ist aber noch schlimmer . Wir haben in der Berei-nigungssitzung – am frühen Morgen – die Entscheidunggetroffen, dass die sogenannten Verpflichtungsermächti-gungen, also nicht die Barmittel für den Haushalt 2016,sondern das, was in Zukunft in der Finanzplanperiodeverausgabt werden darf – gerade der Haushalt des BMZlebt quasi von den Verpflichtungsermächtigungen –, um7 Prozent zu kürzen sind . Davon gibt es Ausnahmen; dasBMZ gehört aber nicht dazu . Wir haben beim Finanzmi-nisterium um eine Auflistung angefragt: Nur bezogen aufdas BMZ bedeutet das eine Mittelkürzung um 500 Mil-lionen Euro in der Finanzplanperiode . – Herr Klein, estut mir leid: Nach dieser Analyse können wir nicht zu-stimmen . Die Haushaltsberatungen haben den Etat desEntwicklungsministers deutlich geschwächt .
Wir benötigen eine Stärkung der Vereinten Natio-nen und ihrer Sonderorganisationen, deren Handlungs-fähigkeit und internationale Solidarität . Es ist der Öf-fentlichkeit doch wirklich nicht vermittelbar, dass derUNO-Flüchtlingskommissar Guterres erwähnen muss,dass die Flüchtlingskrise durch den Mangel an Geldernfür humanitäre Aufgaben ausgelöst wurde, weil die Le-bensmittelrationen in Flüchtlingslagern in den Anrai-nerstaaten Syriens halbiert wurden . Die Menschen dorthaben nicht nur keine Perspektive, sondern auch Angstvor Hunger .Wir wissen, dass Deutschland seine Zusagen an dieserStelle erhöht und auch – wir haben das abgefragt – ge-halten hat .
Wenn wir aber wollen, dass sich Deutschland bei den an-deren Geberländern durchsetzen und sie dafür gewinnenkann, dass sie ihre Zusagen endlich auch erfüllen, dannwäre es doch folgerichtig, dass wir selber die VN-Orga-nisationen dauerhaft und solide finanzieren. Deswegenschlagen wir vor, unseren Zuschuss zum Welternäh-rungsprogramm gleich auf 100 Millionen Euro zu erhö-hen und nicht erst tätig zu werden, wenn wir den Mangelfeststellen . Daneben können wir auch gleich die Gesamt-finanzierung der VN – ich spreche nicht nur vom Welter-nährungsprogramm – um 150 Millionen Euro steigern .Hier hätte ich mir Ihre Fokussierung und Ihre Anträgedazu gewünscht . Die Kanzlerin hat heute Morgen selberdarauf verwiesen, dass sie nicht will, dass wir bezogenauf diese Töpfe der Vereinten Nationen in einem Jahrwieder da stehen, wo wir uns heute befinden. Hier be-steht wirklich riesiger Handlungsbedarf .
Ich komme zum nächsten Punkt .
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Frau Pfeiffer?
Ja, gerne .
Frau Pfeiffer, bitte .
Frau Kollegin Hajduk, Sie wissen genau wie ich, dass
die UN-Organisationen über das Auswärtige Amt finan-
ziert werden, und Sie wissen auch, dass wir die UN-Or-
ganisationen trotzdem auch über den BMZ-Haushalt un-
terstützen . – Das wollte ich Ihnen nur noch einmal sagen .
Es ist richtig, dass die Mittel über das Auswärtige
Amt – –
– Bleiben Sie bitte stehen .
Nein, Frau Pfeiffer kann sich hinsetzen . Sie steht aber
in Gedanken weiter . – Bitte .
Wenn die Präsidentin das sagt! Es gilt ja immer dasWort der Präsidentin . – Es ist richtig, dass die Mittel überdas Auswärtige Amt zur Verfügung gestellt werden; aberes gibt auch über das BMZ – das liegt mir ja vor – Mittel,die wir dort einzahlen . Es gibt hier einen Grundbeitrag,und diesen können wir erhöhen . Daneben haben wir einWinterprogramm, dessen Mittel wir gerade erhöht haben .Deswegen ist es ein Irrtum der Großen Koalition, die hu-manitäre Hilfe nur über den Auswärtigen Ausschuss zuerhöhen . Es wäre genauso notwendig, auch die Mittel desBMZ zu erhöhen .Anja Hajduk
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Wenn ich Ihre Frage so verstehen darf, dass Sie nocheinmal darüber nachdenken wollen,
dann wäre einiges gewonnen . Wir könnten unserem Ent-wicklungsminister an dieser Stelle mehr Mittel zur Ver-fügung stellen, und das ist auch notwendig .
Ich komme zu einem weiteren Punkt, der mir wichtigist . Wir stehen kurz vor dem Gipfel in Paris . Wir brau-chen ein starkes Signal der Bundesregierung, dass wir dieKlimaziele nicht nur in Deutschland einhalten wollen,sondern dass wir auch zu den Zusagen stehen, die wirin Kopenhagen gegeben haben . Ich bin tief davon über-zeugt, es wäre ein ganz starker Appell, wenn Deutsch-land sagen könnte: Wir legen einen Plan vor – wir Grünehaben einen solchen Aufholplan entworfen –, auf dessenGrundlage wir sowohl das 0,7-Prozent-Ziel bis 2020 er-reichen als auch die Zusage verwirklichen können, 8 bis9 Milliarden Euro für den internationalen Klimaschutzbereitzustellen . Ein solcher Aufholplan in Höhe von1,2 Milliarden Euro plus 500 Millionen Euro für den Kli-maschutz mit jährlichem Aufwuchs wäre jetzt genau dasSignal, das die Themen Fluchtursachen und globale Ver-antwortung im internationalen Kontext beschreiben undunsere Rolle, die wir wahrnehmen wollen, glaubwürdigunterstreichen würde .
Ich kann nicht verstehen, Herr Klein, dass Sie vordiesem Hintergrund erklären, weil wir zwischenzeitlichbezogen auf die ODA-Quote besser liegen werden – eskann sein, dass wir nächstes Jahr bei 0,55 Prozent liegen,aber auch nur zwischenzeitlich, nicht langfristig –, seidie Erreichung der ODA-Quote nicht mehr unser Ziel .Das können Sie in diesen Zeiten doch nicht nach außenvertreten .
– Gut, dann hat er das nicht gesagt . – Aber dann sagenSie doch, dass wir dieses Ziel erreichen wollen . Nur dannsind wir glaubwürdig . Das wäre ein starkes Signal an dieinternationale Gemeinschaft . Ich kann Ihnen nur sagen:Machen Sie sich unseren Aufholplan für das 0,7-Pro-zent-Ziel zu eigen! Machen Sie sich unseren Klimaplanfür 2020 zu eigen!
Zeigen Sie mehr Herz und mehr Mut!
Und zeigen Sie, dass die Redezeit zu Ende ist .
Ich komme zum Schluss . – Die Kanzlerin hat heute
Morgen gesagt:
Wir können, wenn jeder seinen Beitrag leistet, in
Zusammenarbeit die Probleme bewältigen .
Das waren die Worte der Kanzlerin .
Wir schaffen das . Aber es wird vieler Anstrengun-
gen bedürfen und auch eines hohen Maßes an neu-
em Denken .
Machen Sie sich das zu eigen! Machen Sie sich auf den
Weg!
Schönen Dank .
Danke, Frau Kollegin Hajduk . – Nächste Rednerin:
Dr. Bärbel Kofler für die SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Nach den Beiträgen der beiden Vorrednerhabe ich gedacht: Entweder ist im Haushalt gar nichtspassiert, oder es ist ein Wunder passiert . Meistens liegtdie Wahrheit irgendwo in der Mitte . Ich bin sehr froh – dabin ich bei Ihnen, Herr Klein –, dass dieser Haushalt imVergleich zum Haushalt 2015 um mehr als 800 MillionenEuro aufgestockt wird . Die entscheidende Frage ist ja im-mer: Was ist die Vergleichsbasis? Wo ich bei Ihnen bin,Frau Hajduk: Auch ich bin enttäuscht – ich glaube, mitmir auch viele andere Entwicklungspolitiker –, dass esuns nach Vorlage des Regierungsentwurfs nicht gelungenist, für die Entwicklungsarbeit noch einen Aufwuchs zuerreichen . Das wäre dringend nötig gewesen .
Wir Fachpolitiker der Koalition haben das gemein-sam beantragt, gefordert und, wie ich glaube, auch gutbegründet . Wir haben alle unsere Forderungen mit derFragestellung untermauert: Was ist für die Bekämpfungder Fluchtursachen relevant, aber auch zur Verbesse-rung der humanitären Situation in den Flüchtlingslagernund in deren Umgebung? Damit verbunden – auch dasmöchte ich an dieser Stelle sagen – war die Frage derMediation zwischen Geflüchteten und Flüchtenden undsomit das Thema ziviler Friedensdienst . Wir hatten einsehr gut ausgewogenes Tableau . Ich sage ganz offen: Ichhätte mir sehr gewünscht, dass an dieser Stelle unseremWunsch und – ich sehe den Minister nicken – auch demWunsch des Ministers Folge geleistet worden wäre .
Anja Hajduk
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Was ich positiv finde – das habe ich gesagt –, ist derAufwuchs im Vergleich zum Haushalt 2015 . Das ist rich-tig, und das ist wichtig . Es gibt in diesem Etat viele ver-nünftige Umschichtungen, gerade im Bereich der akutenHilfe für Flüchtlinge in den Flüchtlingscamps . Das istgut, und das ist richtig . Was mir in der Gesamtbetrach-tung ein bisschen zu kurz kommt, ist die Frage: Wohinbewegen wir uns langfristig? Wir alle kennen die mit-telfristige Finanzplanung, nach der für diesen Haushaltin den nächsten Jahren kein Aufwuchs vorgesehen ist,sondern die gleichen Zahlen veranschlagt werden . Wirwissen aber auch, und zwar nicht erst seit der Konfe-renz in Addis Abeba: Wenn wir bei der Finanzierung derNachhaltigkeitsziele vorankommen wollen, dann müssenwir – ich zitiere die Weltbank – „from Billions to Tril-lions“, wie es im Englischen heißt, also von Milliardenzu Billionen kommen .Das steht schon ein bisschen im Gegensatz zu der Auf-fassung, die auch der geschätzte Kollege Klein vertretenhat, dass es hier nur um einen 0,7-Prozent-Fetischismus –oder sonst was – geht . Vielmehr geht es um die Frage, wiewir nicht nur mit offiziellen bzw. staatlichen ODA-Mit-teln, sondern auch mit Steuern und anderen Dingen welt-weit die Mittel einwerben, um Institutionsaufbau undBekämpfung des Staatenverfalls – dabei geht es um dasThema der Fragilität – angehen zu können . Dabei geht esum Gesundheitsinstitutionen, Steuerbehörden, aber auchum Institutionen auf den Gebieten Menschenrechte undArbeitsrecht . Diese Mittel sind erforderlich, um Kapazi-täten in den entsprechenden Ländern aufzubauen .Ich glaube, wir müssen darauf ein ganz anderes Au-genmerk richten . Das bedarf, mit Verlaub, auch entspre-chender Mittel . Das kann – ich hoffe, ich habe Sie falschverstanden – nicht dadurch kompensiert werden, dassman hier im Inland Geld für Flüchtlinge ausgibt – dieseAusgaben erfolgen zu Recht – und dann über die Frageihrer ODA-Anrechnungsfähigkeit diskutiert . Damit wer-den Fluchtursachen nicht bekämpft .
Ich glaube, wir müssen uns noch einmal gemeinsamhinsetzen und wirklich darüber nachdenken, wie wir die-se langfristige Entwicklungszusammenarbeit finanzie-ren können . Da hilft auch keine Schuldzuweisung . Mankann, glaube ich, bei jeder Fraktion etwas finden, zu demman sagen kann: Da hätten wir schon besser sein können .Daran müssen wir also, glaube ich, wirklich gemeinsamarbeiten .Ich möchte die Themen des Institutionenaufbaus undder Fragilität noch einmal ansprechen . Wir haben unsvor eineinhalb Jahren um das Thema Ebola bemüht undhaben alle festgestellt, um was es geht: Es fehlen Ge-sundheitsinstitutionen, die Menschen in einer Epidemie-situation in ihrer Not auffangen und Dienstleistungen an-bieten können . Ist jetzt wirklich beim Institutionenaufbauin diesem Bereich etwas passiert? Ich behaupte einmal,dass viel zu wenig geschehen ist . Dabei handelt es sichum eine mittel- und langfristige Aufgabe auch der Ent-wicklungszusammenarbeit . Dafür brauchen wir mittel-und langfristig auch zusätzliche Gelder .
Ähnlich ist es – ich möchte fast sagen, dass das einLieblingsthema von mir ist – mit dem Thema der Steuer-politik. Ich finde es auch richtig, dass man mit der AddisTax Initiative – davon bin ich eine große Anhängerin –Mittel aufwendet, um Kapazitäten in Entwicklungslän-dern aufzubauen und um in den entsprechenden Ländernselbst Steuern generieren zu können . Dazu aber bedarfes einer ganzen Menge . Eine Verdoppelung der Mittel istein erster Schritt, den wir in dem Bereich machen . Wirgehen aber bisher von einer sehr geringen – wie heißt esbei den Steuerbehörden so schön? – Bemessungsgrund-lage aus, also von einem sehr geringen Beitrag für die-sen Bereich . Das heißt, wir müssen hier zu ganz anderenSummen kommen, um Menschen auszubilden, um Ka-pazitäten aufzubauen und um das Thema Steuergesetzge-bung in diesen Ländern begleiten zu können .Ich habe gerade gestern mit dem Menschen gespro-chen, der für die GIZ in Ghana das Thema Steuergesetz-gebung begleitet . Das ist ein hochkomplexer Prozess,der über Jahre hinweg gehen wird . Wenn wir wirklicheinen Beitrag dazu leisten wollen, dass diese Länder ausihrem Rohstoffreichtum auch einen Reichtum der Staats-kassen – und damit Mittel zur Armutsbekämpfung – ge-nerieren können, müssen wir hier wesentlich mehr alsbisher tun .
Ich komme an dieser Stelle zu einigen Aspekten, dievon Vorrednern bereits angesprochen worden sind . Esgeht natürlich nicht nur um die Frage der Gelder, son-dern auch um die Rahmenbedingungen . Ich denke schon,dass wir uns in diesem Zusammenhang auch um die The-men Steuerverschiebung, Steuervermeidung und illegaleSteuerflüsse bemühen müssen. Daneben müssen wir unsauch um unsere Handels- und Wirtschaftsverträge küm-mern, dabei geht es auch um das Thema der internationa-len Steuervermeidung .Bei der Konferenz zur Finanzierung der Entwick-lungszusammenarbeit in Addis Abeba war die Behand-lung der sogenannten Illicit Flows, also der illegitimverschobenen Gelder, ein ganz spannendes Thema . Dasist nicht nur ein Thema für die Industrieländer, sonderndas belastet auch die Haushalte der Entwicklungsländerenorm . Deshalb müssen wir da herangehen .Der Mbeki-Report der UN-Kommission für Wirt-schaft in Afrika befasst sich mit der Steuervermeidungund illegalen Steuerverschiebung . Der Bericht geht da-von aus, dass die Steuerausfälle in Afrika pro Jahr 50 bis150 Milliarden Euro – es ist ja immer schwierig, Ausfällezu beziffern – betragen . Dabei geht es nur darum, wasdurch transnationale Konzerne an Verlusten entsteht .Wenn wir an das Thema herangehen, hat das etwas mitguter Regierungsführung zu tun . Es hat aber auch durch-aus etwas mit Justiz bzw . der Durchführung von Geset-zen, mit der Einnahmesituation der entsprechenden Län-der, der Rahmensetzung für Zukunftsentwicklung undder langfristigen Bekämpfung von Armut zu tun . DasDr. Bärbel Kofler
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müssen wir angehen . Das ist ein Beispiel für die Rah-menbedingungen, bei denen wir ansetzen müssen .Ein weiteres Beispiel dafür – das möchte ich abschlie-ßend ansprechen – sind die Arbeitsplätze . Wir müssennicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern wir müssengute Arbeitsplätze schaffen . In den Ländern muss Wert-schöpfung möglich sein . Das hat viel mit Handelsverträ-gen zu tun . Die Arbeit, die auf diese Weise entsteht, mussdie Menschen dazu befähigen, von ihrer Arbeit auch le-ben zu können .
Wenn die Zahlen der ILO aus diesem Frühjahr stim-men – und daran habe ich überhaupt keinen Zweifel –, dievon weltweit knapp 900 Millionen Menschen ausgehen,die Vollzeit arbeiten und dabei weniger als 2 US-Dollaram Tag verdienen, dann haben wir auch Handlungsbe-darf, was unser handelsvertragliches Agieren anbelangt .Das ist nicht nur eine Aufgabe der Entwicklungspolitik,sondern der Politik insgesamt in Deutschland, in der EUund allen voran in den OECD-Ländern .Herzlichen Dank .
Danke schön, Frau Kollegin Kofler. – Jetzt kommt derMinister . Nächster Redner: Dr . Gerd Müller .
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung:Liebe Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen ein ho-hes Maß an neuem Denken: So formulierte es heute frühdie Bundeskanzlerin in ihrer Haushaltsrede, und sie hatrecht .Entwicklungszusammenarbeit in der heutigen Zeitstellt sich angesichts der Herausforderungen völlig neudar: Sie ist Sicherheitspolitik . Sie ist Friedenspolitik, wieFrau Kofler eben dargestellt hat. Sie ist Wirtschaftspoli-tik . Sie schafft Arbeitsplätze . Sie sichert das Überlebenund die Zukunft der Menschen in unseren Partnerländern .Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchtemich bei den Haushältern, beim Finanzminister und beiIhnen, den Kolleginnen und Kollegen, für die Unterstüt-zung meiner Politik bedanken .Auch wenn man darüber streiten kann: Ein Plus von863 Millionen Euro ist ein ganz erheblicher Aufwuchs,wie wir ihn in den letzten 30 Jahren nicht hatten . Herzli-chen Dank dafür!
Ich lasse mich auch nicht auf eine Diskussion ein . DasAuswärtige Amt hat für humanitäre Hilfe einen Zuschlagvon 440 Millionen Euro bekommen . Rechnen wir zu-sammen – wir arbeiten auch prima zusammen –: EinPlus von 1,3 Milliarden Euro kann sich sehen lassen, undzusammen mit Außenminister Steinmeier, mit dem ichglänzend zusammenarbeite, setzen wir das effektiv ein .
Alle in der deutschen Politik müssen verstehen: Wirmüssen in den Krisenländern der Welt mehr tun . Wirkönnen dort vieles effektiv tun, um zu vermeiden, dassdie Menschen aufbrechen müssen, um zu uns zu kom-men . Wir können und müssen unsere Maßnahmen gezieltweiter ausbauen . Wir tun das als BMZ ganz konsequent,und zwar nicht erst seit sechs Monaten, seit zwei Jah-ren oder seit ich im Amt bin, und nicht nur – das habenvielleicht auch bei den Haushaltsberatungen viele über-sehen – durch die Sonderinitiative „Fluchtursachen be-kämpfen“, sondern als Querschnittsaufgabe im gesamtenHaushalt .Im weiteren Sinne sind 50 Prozent des BMZ-Haus-haltes Investitionen in Krisenländern und damit auch indie Menschen, in die Zukunft und in die Bekämpfungder Fluchtursachen . Im engeren Sinne haben wir in denletzten 18 Monaten – ich möchte an dieser Stelle mei-nem Haus, der GIZ und der KfW und Tausenden vonMitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Zivilgesellschaft,die vor Ort mit uns arbeiten, herzlich danken – 180 Maß-nahmen in vielen Ländern weltweit, insbesondere in denSpannungsgebieten, und zwar nicht nur in und um Syri-en, in Jordanien, Libanon und der Türkei, sondern auchim Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik undnicht zu vergessen in Kolumbien bzw . in Südamerika,Lateinamerika und auch in Asien auf den Weg gebracht .Entwicklungspolitik ist nicht nur kurzfristige Kri-senpolitik . Auch das möchte ich heute klar sagen . Wirkönnen auch in Zukunft nicht sozusagen der Haushaltsein, der für kurzfristige Krisen herangezogen und umge-schichtet wird . Wir müssen mittel- und langfristig unsereStrategien in der ganzen Welt mit unseren Partnerländernumsetzen .
Wir müssen Zukunfts- und Bleibeperspektiven für dieMenschen schaffen . Diese schaffen wir durch Schulenfür Kinder, Ausbildung für Jugendliche und Arbeit fürErwachsene . Das machen wir im Nordirak ganz konse-quent genauso wie im Libanon, in Jordanien, in Afgha-nistan und in vielen anderen Ländern . Ich sage überall,wo ich gefragt werde: Mit mehr könnten wir viel mehrBleibeperspektiven für die Menschen dort schaffen .Viele Hunderttausende brechen nun auf in RichtungEuropa . Sie kommen nicht aus dem Granathagel Syriens,sondern aus Fluchtstrukturen, nicht unbedingt aus denFlüchtlingscamps, sondern aus Ziegenställen und ande-ren notdürftigen Unterkünften . Nach drei oder vier Jah-ren, wenn die Hilfe ausgeht und die Perspektive fehlt, sa-gen diese Menschen: Ihr helft uns nicht bei uns zu Hause .Also müssen wir zu euch kommen . – Das kostet uns einDr. Bärbel Kofler
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Vielfaches von dem, was uns eine Verstärkung der Hilfevor Ort kosten würde .
Ich denke dabei insbesondere an die vielen Kin-der . UNICEF hat gestern einen Hilferuf veröffentlicht .8,2 Millionen Kinder in und um Syrien brauchen Hil-fe . Wir erhöhen die Mittel für die Zusammenarbeit mitUNICEF um 50 Prozent auf 250 Millionen Euro . Es istaber wahr: Die Weltgemeinschaft tut entschieden zu we-nig, um den Ursachen von Flucht und Vertreibung zu be-gegnen .
Frau Kofler, Sie haben zu Recht gesagt: Deutschlandleistet seinen Beitrag . – Aber insgesamt sind die Zah-len beschämend . So weist das World Food Programmeeine Finanzierungslücke von 4,4 Milliarden Euro auf .Von 8,6 Milliarden Euro, die zugesagt wurden, sind nur4,2 Milliarden Euro finanziert. Das ist beschämend.
Wenn Sie vor Ort sind und mit Familien und Kindernsprechen – manche von uns haben diese Camps be-sucht –, dann sagen sie: Wenn ihr uns verhungern und er-frieren lasst, dann haben wir keine andere Chance, als zueuch zu flüchten. – Deshalb sage ich: Wir brauchen einenUN-Flüchtlingsfonds – das ist eine globale Aufgabe –mit einem globalen Schlüssel, mit einer Art KönigsteinerSchlüssel global für alle, für Amerikaner und Australier,die Arabische Liga und die Golfstaaten . Alle müssen sichgemäß Größe, wirtschaftlicher Stärke und Aufnahmebe-reitschaft beteiligen .
Die Europäische Union muss handlungsfähig wer-den . Dazu habe ich viele Vorschläge gemacht, die unteranderem einen europäischen Flüchtlingskommissar, eineuropäisches Hilfswerk und ein 10-Milliarden-Euro-So-fortprogramm zur Stabilisierung der Krisenregionen vor-sehen . Der europäische Haushalt wurde in diesen Tagenebenfalls verabschiedet . 4 Milliarden Euro sind für diesehistorische Herausforderung eindeutig zu wenig .
Aber auch Deutschland kann und muss noch wesentlichmehr vor Ort leisten. Deshalb, verehrte Frau Kofler, be-grüße ich außerordentlich den gestern unterbreiteten Vor-schlag des deutschen Wirtschaftsministers und Vizekanz-lers Sigmar Gabriel und seines französischen Kollegen,einen 10-Milliarden-Euro-Fonds für die Krisenregionenaufzulegen . Das wäre der Weg, die Infrastrukturen zuverbessern, Arbeitsplätze zu schaffen und Zukunftsper-spektiven zu eröffnen .Ich möchte noch ein paar Sätze zum Klimagipfel sa-gen .
Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
Zwischenbemerkung von Frau Hajduk?
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:
Gerne .
Ich möchte nur etwas fragen . Sie haben gerade auf den
Vorschlag von Herrn Gabriel und seinem französischen
Kollegen hingewiesen . Bedeutet das, dass unser Haus-
halt noch einmal verändert werden soll, um sich an die-
sem 10-Milliarden-Euro-Programm zu beteiligen?
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:
Der Bundeswirtschaftsminister hat den Vorschlag ge-
macht, einen 10-Milliarden-Euro-Fonds zusammen mit
Frankreich aufzulegen, um in und um Syrien zu inves-
tieren, um Infrastruktur und Stabilität, Zukunft und Ar-
beitsplätze zu schaffen . Ich gehe davon aus, dass dies ein
neuer qualitativer Vorschlag ist .
Wir müssen auch einmal zwei, drei Jahre voraus den-
ken . Wir hoffen und gehen davon aus, dass die Wiener
Verhandlungen dazu führen, dass dieser Krieg ein Ende
hat . Dann müssen wir in die Infrastruktur in dieser Re-
gion investieren . Deshalb liegt der Wirtschaftsminister
richtig . Denn nur dann können die Menschen wieder zu-
rück in ihre Heimat . Ich glaube, das ist der richtige Weg .
Den Gedanken sollten wir aufgreifen .
Es gäbe noch viel zu sagen, aber ich möchte zum
Schluss kommen . Wir blicken nach Paris . Vielen ist
nicht klar, dass das BMZ auch das Klimaschutzfinanzie-
rungsministerium ist . Wir haben die Mittel für den Kli-
maschutz verdoppelt, wir bringen ein großes Angebot
mit nach Paris. Wir finanzieren auch den Kampf gegen
Ebola und die Folgen dieser Krankheit sowie den Auf-
bau von Gesundheitsstrukturen . Wir schaffen eine Welt
ohne Hunger und tätigen Investitionen in Ausbildung .
Ich glaube, das ist wichtig .
Wir sind ein Zukunftsministerium . Ich bedanke mich
für die großartige Unterstützung, auch für das menschli-
che Miteinander aller Kolleginnen und Kollegen . Lassen
Sie uns weiter vorangehen . An die Arbeit!
Danke schön .
Vielen Dank, lieber Gerd Müller . – Der nächste Red-
ner in der Debatte: Niema Movassat von den Linken .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir müssenBundesminister Dr. Gerd Müller
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Fluchtursachen bekämpfen . – Der Finger zeigt dabei oftauf die Entwicklungspolitik . Die Rechnung: mehr Ent-wicklungsgelder gleich weniger Flüchtlinge . Aber ist dieRechnung wirklich so einfach? Weltweit sind 60 Millio-nen Menschen auf der Flucht, so viele wie noch nie in derGeschichte der Menschheit – und das trotz jahrzehnte-langer Entwicklungszusammenarbeit, trotz der Tatsache,dass weltweit 132 Milliarden US-Dollar für Entwick-lungsprojekte ausgegeben werden .Die Entwicklungszusammenarbeit, wie sie heute ge-macht und verstanden wird, wird die Hauptgründe vonFlucht, nämlich Krieg und Armut, nicht beenden können .Entwicklungspolitik muss als Gesamtkonzept verstandenwerden, als Ziel, menschliche Entwicklung massiv zufördern und alles zu unterlassen, was ihr schadet .
Ein Beispiel: Es bringt nichts, Entwicklungsgelder fürdie Kleinbauernförderung in Ghana auszugeben, wenndie dortigen Märkte gleichzeitig mit billigem Milchpul-ver aus Europa überschwemmt werden; denn dies zer-stört die Existenz der Bauern vor Ort, treibt sie in Armutund schafft einen Fluchtgrund . Das Beispiel zeigt, wiedie eine Hand, die Entwicklungspolitik, versucht, etwasaufzubauen, was die andere Hand, die Wirtschaftspolitik,zerstört . Damit muss Schluss sein .
Immer mehr Krisen und Kriege, immer mehr Hun-gersnöte, immer mehr Opfer des Klimawandels – langehaben wir in Deutschland verdrängt, welche Tragödiensich vor unserer Haustür abspielen . So musste das Welt-ernährungsprogramm seine Rationen für Flüchtende ausSyrien in den Flüchtlingslagern, in denen ohnehin schonPerspektivlosigkeit herrscht, auf 50 Cent pro Tag undPerson kürzen . 50 Cent pro Tag zum Essen! Warum?Weil die Weltgemeinschaft und damit auch Deutschlandnicht genug Mittel bereitstellt . Auch deshalb machen sichMenschen auf den Weg zu uns, weil sie in den Lagernschlichtweg verhungern .Die Anschläge von Paris zeigen auch dem Letzten, vorwelchem Terror viele Flüchtlinge zu uns fliehen. StellenSie sich vor: jeden Tag Paris, jeden Tag Anschläge, Ter-ror, Tod. Jeder, auch jeder von uns, würde davor fliehen.
Statt Symptome zu behandeln, müssen wir endlichgrundsätzliche Fragen stellen . Ist es gerecht, dass 1 Pro-zent der Menschheit so viel besitzt wie die restlichen99 Prozent zusammen? Wieso sind wir der viertgrößteWaffenexporteur, wenn wir wissen, dass diese Waffenriesiges Leid anrichten und Menschen zur Flucht zwin-gen? Wieso arbeiten wir mit Saudi-Arabien zusammen,das weltweit eine rückständige Auslegung des Islam mitMilliardengeldern fördert und Menschen öffentlich mitdem Krummsäbel hinrichtet?Halten Sie es für richtig, weiter auf den Krieg gegenden Terror zu setzen? Seit seinem Beginn vor 15 Jahrenhat sich die Anzahl der Terroranschläge versechsfacht .Der Terror hat mehrere Staaten destabilisiert, er hat Hun-derttausende von Unschuldigen in Afghanistan, dem Irakund anderen Staaten das Leben gekostet, und er hat Hun-derttausende zur Flucht gezwungen . Wenn wir nicht end-lich Frieden und globale Gerechtigkeit durchsetzen, dannwerden diese Probleme noch drastischer werden . Deshalbbrauchen wir dringend eine politische 180-Grad-Wende .
Die UN haben letzte Woche gewarnt: Bis Ende diesesJahres werden 700 000 Kinder in der Sahelzone verhun-gert sein . Gleichzeitig wird bei uns über Obergrenzen fürFlüchtlinge diskutiert . Aber wollen wir der Mutter, dieflieht, um ihr Kind vor dem Verhungern zu retten, wirk-lich sagen: Sorry, wir haben keinen Platz . Bleib draußenund verhungere . – Diese Antwort ist zynisch .
Zynisch war auch der Gipfel in Valletta . Die Kern-aussage der EU dort an die Länder Afrikas war: Haltetuns die Flüchtlinge vom Hals . Nehmt sie zurück . Dannbekommt ihr mehr Entwicklungsgelder . – Im Umkehr-schluss läuft das darauf hinaus, dass, wer keine Flücht-linge zurücknimmt, weniger Geld bekommt . Das wider-spricht allen Ideen der Entwicklungspolitik, und es istauch eine besonders widerliche Form der Erpressung .
Aber es wird noch schlimmer: Die EU und auch dieBundesregierung wollen bei der Flüchtlingsabwehr mitautoritären Regimen wie dem äthiopischen zusammenar-beiten, also mit Ländern, die Menschenrechte mit Füßentreten . Indem sie autoritäre Regime mit Geld zuschüt-ten, ermöglichen sie diesen, mehr Sicherheitskräfte zuhaben, die die Bevölkerung noch stärker unterdrücken .Den Menschen geht es dann noch schlechter . Es entste-hen noch mehr Fluchtgründe . Der Beschluss von Vallettaläuft darauf hinaus, Entwicklungsgelder auch an Diktatu-ren zu geben, wenn diese Flüchtlinge aufhalten . Sie be-kämpfen so die Flüchtlinge und nicht die Fluchtursachen,und das ist einfach nur pervers .
Wenn Sie Fluchtgründe wirklich bekämpfen wollen,mache ich Ihnen vier Vorschläge, dies zu tun:Erstens: sofortiger Stopp von Waffenexporten, insbe-sondere in Krisenregionen . Denn wer Waffen sät, erntetFlüchtlinge .
Zweitens . Die Bundesregierung muss aufhören, dasWohl der deutschen Wirtschaft über das ärmerer Län-der zu stellen, damit diese endlich eine Chance haben,sich zu entwickeln . Deshalb müssen die Wirtschaftspart-nerschaftsabkommen, die EPAs, mit Afrika ausgesetztwerden . Diese zwingen Afrikas Länder zu massivenMarktöffnungen und werden die Wirtschaft dort ruinie-ren .
Niema Movassat
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Drittens . Beenden Sie die außenpolitische Hörigkeitgegenüber den USA . Die USA sind verantwortlich fürdas Auseinanderbrechen des irakischen Staates, was jaden „Islamischen Staat“ erst ermöglicht hat . Zudem füh-ren die USA ihre illegalen Drohnenkriege auch von deut-schem Boden aus . Deutschland muss endlich aufhören,hier Beihilfe zu leisten, und aufhören, sich weltweit anKriegen zu beteiligen .
Viertens . Orientieren Sie die Entwicklungszusammen-arbeit an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort . FührenSie Maßnahmen durch, die Kleinbauern statt Agrokon-zerne unterstützen, die soziale Sicherungssysteme undGesundheitssysteme aufbauen und die Bildung für alleMenschen ermöglichen .Über allen Maßnahmen muss ein Grundsatz stehen .Ich zitiere den ehemaligen UN-Sonderberichterstatter fürdas Recht auf Nahrung Jean Ziegler . Er sagte:Es kommt nicht darauf an, den Menschen der Drit-ten Welt mehr zu geben, sondern, ihnen weniger zustehlen .Danke für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Kollege Movassat . – Nächster Redner in
der Debatte ist Axel Schäfer für die SPD .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Selten war eine entwicklungspolitische Debatte umHaushaltsfragen so sehr von den drängenden Problemenbestimmt, die nicht mehr nur in irgendwelchen Ländernvorhanden sind, sondern auch zu hiesigen Problemengeworden sind . Diese Debatte ist zugleich Ausdruck derAmbivalenz, in der wir uns befinden.Ich glaube, wir können hier nur ehrlich und aufrichtigdiskutieren, indem wir das mit einem Sowohl-als-auchunterlegen . Das Sowohl heißt – das muss auch von denlieben Kolleginnen und Kollegen der Opposition aner-kannt werden –, dass die Etatmittel in diesem Bereichden größten Zuwachs seit Bestehen dieses Ministeriumserfahren . Das ist nicht irgendetwas .
Selbstverständlich ist das eine wichtige Leistung, die füretwas steht, was erarbeitet und durchgesetzt worden ist,und das ist auch gut so . Mein Dank geht natürlich auchan den Minister .Es ist gut, dass der 11 . Europäische Entwicklungs-fonds, der bis 2020 läuft, über mehr als 30 MilliardenEuro verfügt . Dazu muss man nicht nur hier, sondernauch nach außen hin sagen: Ja, das ist ein wichtiger Fort-schritt, für den wir gekämpft haben und der nicht vonallein gekommen ist . Er ist neuen Erkenntnissen ausschlechten Erfahrungen geschuldet, die wir gemacht ha-ben, aus denen wir aber gemeinsam die richtigen Schlüs-se ziehen . Das ist die eine Seite, und die sollten wir hierin diesem Haus wirklich einmal als gemeinsamen Erfolgbetonen .
Jetzt reden wir über das Als-auch, über die Schwie-rigkeiten . Der Herr Minister hat vieles gesagt; das alleskann ich unterstützen . Ich will es nur an einer Zahl nocheinmal deutlich machen . Wenn dem UNHCR für diesesJahr über 4,2 Milliarden Dollar zugesagt werden und wir,Stand Ende Oktober, erst 2 Milliarden Dollar haben flie-ßen lassen, so heißt das ganz simpel zweierlei: Erstens .Viele Länder halten sich nicht an ihre Zusagen . Das istunmoralisch und in Demokratien, wo immer sie sind,unakzeptabel . Zweitens . Die Konsequenz ist ganz klar:Wir schaffen uns bestimmte Probleme selbst, die wir ver-meiden könnten . Viele Länder vermeiden sie nicht, bissie schließlich bei uns anlanden . Das ist die Konsequenz,die man offen und vor allen Dingen auch öffentlich aus-sprechen muss .
Auch eine andere Konsequenz muss klar sein, wennwir über den Zusammenhang von Problemen diskutieren,gerade wenn wir in Richtung „Klimagipfel in Paris“ bli-cken . Der Anstieg der Erderwärmung um 1 Grad mehroder weniger, das ist für viele Menschen nur eine Zahl .Eine Zahl ist nicht so dramatisch . Die dramatische Zahl,die dahintersteht, lautet, dass zum Beispiel aus Bangla-desch ganz konkret 15 Millionen mehr Menschen fliehenmüssten, weil ihnen sozusagen die Lebensgrundlage un-ter den Füßen weggeschwemmt würde . Das Land wärenicht mehr zu bewirtschaften . Da könnte man nicht mehrleben . Aber wir haben die Chance, dies mit einer Kli-mapolitik, gemeinsam in Europa, von Deutschland starkgetragen, zu verändern . Wir haben die Chance, und diesollten wir in Paris auch nutzen .
Wenn es auch wichtige Übereinstimmungen in der Ko-alition gibt, so muss man doch auf ein paar Unterschiedehinweisen . Heute Morgen hat der Kollege Kauder ge-sagt: Die rot-grün regierten Länder haben das und dasnicht gemacht . – Natürlich muss man über sein eigenesLand auch mal gut reden . Also: Nordrhein-Westfalenzum Beispiel, lange rot-grün regiert, hat es seit 1985 –da regierte die SPD allerdings noch allein – im Rahmenseines Programms „Eine-Welt-Initiative“ geschafft, dassbis heute 7 500 junge Menschen in Projekten der Ent-wicklungszusammenarbeit für Frieden und vieles andereGute mehr in über 50 Staaten gearbeitet haben . Auch dasist ein wichtiger Punkt, den wir gerade bei einer Bun-destagsdebatte nennen sollten, nicht nur deshalb, weil esNordrhein-Westfalen ist – das ist sowieso gut –,
sondern auch deshalb, weil es in fast allen Bundeslän-dern, zumindest soweit ich weiß, diese Form der Zusam-menarbeit im Rahmen eines solchen Projekts gibt; be-Niema Movassat
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sonders berührend: Rheinland-Pfalz/Ruanda . Auch dasgehört in den Bundestag . Wir sind ein Bundesstaat . Wirhaben den Bund und die Länder . Die Länder machen daeine ganze Menge, und das ist gut so . Das sollten wir indiesem Hause auch einmal ausdrücklich würdigen .
Wir wollen nicht mit Goethe sagen: „Die Botschafthör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“ . – Wir müs-sen dabei schon auch ein bisschen an die zukünftige Ent-wicklung denken, gerade was die Länder anbelangt . Wirwollen viel zur selben Zeit . Die Länder haben – wir ha-ben das gemeinsam in entsprechenden Gesetzesänderun-gen beschlossen – eine Schuldenbremse ab 2019 . Seit derFinanzminister, der bekanntlich kein Sozialdemokrat ist,gesagt hat, die oberste Priorität sei – Klammer auf: nichtmehr die schwarze Null; Klammer zu –, die Probleme zubekämpfen, die mit einer großen Zahl von Flüchtlingen,mit Wanderungsbewegungen zu tun haben, müssen wirüber ganz bestimmte Fragen hier auch ein Stück weit an-ders diskutieren .Da ist natürlich immer das taktische Problem: Wersagt was und wie? Ich habe mir gedacht, ich löse das heu-te einmal ganz elegant und nehme etwas Unverdächtiges:den Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung und FrauHöll; beide gehören sicherlich nicht zu den Linken in derSPD . Es geht um das Thema Flüchtlinge . Ich zitiere eini-ge gute Anregungen:Es stimmt, die zusätzlichen Milliarden sind Kostenfür uns alle . Für Schreckensszenarien aber bestehtkeinerlei Anlass . Im Gegenteil . Dieses Geld ist nichtnur eine notwendige, sondern auch eine gute Inves-tition, die unsere Gesellschaft stärkt und damit dieStabilität unseres Landes . Was nützen uns Schul-denbremsen und schwarze Nullen, wenn der sozialeFrieden auf die Probe gestellt wird?Weiter schreibt der Hauptkommentar in der Süddeut-schen:Bleibt die Frage, wer das bezahlen soll? Die Kom-munen, die sich in den letzten Jahren bemüht ha-ben, ihre Finanzen in Ordnung zu bringen, werdenes nicht leisten können, jedenfalls dann nicht, wennsie den Frieden vor Ort wahren wollen . Die Länderwären – übrigens auch ohne Wahrung der Schulden-bremse – überfordert . Bleibt also der Bund . Der hatnoch ein paar Reserven, darf auch nur in begrenz-tem Maß neue Schulden aufnehmen .Da sind wir uns einig .Aber wenn die Merkels und Schäubles die stren-ge Etatdisziplin nicht aufgeben wollen, können sieauch die Steuern erhöhen . Die für Spitzenverdiener,wohlgemerkt .Zu der Kategorie gehören wahrscheinlich auch Bun-destagsabgeordnete . – Das ist eine völlig richtige Aussa-ge von der Süddeutschen Zeitung .
Ich glaube – das wird wichtig sein –, gerade wenn wirüber Werte im Jahre 2015 diskutieren – dass Europa eineWertegemeinschaft ist, ist heute zu Recht auch von mei-nen geschätzten Kolleginnen und Kollegen der Unionimmer wieder unterstrichen worden –, dann werden wirauch perspektivisch über die Preise reden .Ich sage ganz offen und ganz entspannt: Ich habe alsFraktionsvize, als Erster in bestimmter Verantwortung imSeptember gesagt: Wir müssen die europäischen Außen-grenzen so dicht wie möglich machen, das heißt, kon-trollieren und sichern . – Sie können mir glauben, das hatnicht überall in der SPD nur Beifall gefunden . Ich haltedas jedoch weiterhin für richtig .Heute, nach acht Wochen, sagen alle, dass das derrichtige Weg ist . Ich bin mir deshalb auch sicher, dasswir über die Frage von Gerechtigkeit und Finanzen auchnoch ein Stück anders diskutieren werden, und zwar ohneeine bestimmte Ideologie, ohne Dogmen, weil uns ein-fach die Probleme vor neue Herausforderungen stellen,die wir vor einem Jahr oder auch vor einem halben Jahrund auch bei Abschluss des Koalitionsvertrages nochnicht so gesehen haben . Das ist meine persönliche Mei-nung . Dazu gibt es keinen Fraktionsbeschluss . Ich glaubeaber, das trifft relativ gut die Stimmung der Mitgliedermeiner Partei .Vielen Dank .
Vielen Dank, Axel Schäfer . – Nächster Redner: Peter
Meiwald für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Werter Herr Minister Müller! Ja, Kollege Schäfer, derBMZ-Etat wurde deutlich aufgestockt . Doch machen wiruns nichts vor: Das ist am Ende doch nur ein Tropfenauf den heißen Stein . Das wurde verschiedentlich auchschon gesagt . Der Aufwuchs reicht gerade einmal, umdie ODA-Quote auf dem trostlosen Niveau von ungefähr0,4 Prozent zu halten . Vergleichen Sie doch den Gesam-tetat für das BMZ mit dem Wert der Rüstungsexporte ausDeutschland in Drittländer oder gar mit dem Verteidi-gungshaushalt . Ich glaube, dann wird deutlich, wo wirhier eigentlich stehen, und das angesichts der Herausfor-derungen .
Das ist doch ein Armutszeugnis angesichts der vielenöffentlichen Deklamationen zur Bedeutung von interna-tionalem Klimaschutz, Fluchtursachenbekämpfung unddringend überfälliger Internationalisierung der ArbeitAxel Schäfer
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an den Sustainable Development Goals . Der Gipfel inNew York ist noch nicht lange her . Heute taucht das Wortüberhaupt nicht mehr auf . Ist schon vergessen, was wiruns da eigentlich in der Welt vorgenommen haben? Es istein Armutszeugnis; das muss man einfach so festhalten .Auf den Gipfeln lächeln, beim Haushalt schwächeln – istdas die Devise, die am Ende des Tages dann doch vondieser Regierung ausgeht? Wo ist das weite Herz, mitdem der Minister und auch die Kanzlerin internationalso gern auftreten?Und, liebe Haushälterinnen und Haushälter der Koa-lition, genau das haben Sie ja im zuständigen Fachaus-schuss selber erkannt . Mit viel Tamtam wurden uns dortdie Änderungsanträge mit einem Volumen in Höhe von500 Millionen Euro vorgelegt . Doch außer Spesen nichtsgewesen!Kommen wir nun zum Lieblingsschlagwort all derer,die glauben, man könne sich damit im Zusammenhangmit der Flüchtlingsfrage freikaufen: Fluchtursachenbe-kämpfung . Das haben wir heute schon an verschiedenerStelle gehört . Es ist ein wichtiges Thema, und das nichterst, seit 1 Million der weltweit etwa 60 Millionen Ge-flüchteten an unsere Tür klopfen. Erst jetzt kommt auchdiese Bundesregierung darauf, dass Entwicklungspolitikhier eine Rolle spielt .Doch wie wird das jetzt diskutiert? Entwicklungshilfeals Belohnung für Länder, die Flüchtlinge – zum Teil mitRepression – zurückhalten oder zurücknehmen? Ausge-rechnet mit autoritären Regimen, wie zum Beispiel Eri-trea, über die Rücknahme von Flüchtlingen zu verhan-deln, im Gegenzug dann zusätzliche Entwicklungsgelderanzubieten – da werden doch nicht Fluchtursachen be-kämpft, sondern Flüchtlinge .
Oder: Entwicklungshilfe als kurzfristiges Stopfen vonLöchern, damit Hungernde in Flüchtlingslagern weitabvon Europa bleiben? Natürlich ist es richtig, das Welt-ernährungsprogramm international endlich ausreichendauszustatten; das ist doch vollkommen klar . Aber das istkeine Fluchtursachenbekämpfung . Darüber müssen wiruns auch im Klaren sein .
Medienwirksam werden jetzt noch ad hoc Gelder zu-gesagt . Doch diese Zusagen bedeuten nur kostspielige-re Hilfen, als wenn man diese Dinge langfristig angeht .Und, Kollege Klein, fokussieren auf die Lager reichtnicht, wenn wir wirklich an die Wurzeln herangehenwollen .Dagegen – die Kollegin Hajduk hat es gerade schonangesprochen –: Wo ist das Engagement für die längstüberfällige Stärkung der VN-Strukturen, für eine ver-nünftige Ausstattung des World Food Programme, vonUNDP, UNEP oder auch für eine Stärkung des Weltsi-cherheitsrates? Da ist Deutschland in der öffentlichenDebatte kaum wahrnehmbar . Sieht so die Übernahmeinternationaler Verantwortung aus, wenn nicht einmalinnerhalb der Bundesregierung eine Person für die An-gelegenheiten der Vereinten Nationen zuständig ist? Dasist weder nachhaltige noch verantwortungsvolle Politik .
Und was ist eigentlich die dahinterstehende Strategieder Fluchtursachenbekämpfung? Thomas de Maizièrehat es doch auf den Punkt gebracht: Man könne dochbitte erwarten, dass die Afghanen im Land bleiben,weil schließlich so viele Entwicklungsgelder geflossenseien . – So viel Zynismus ist doch kaum zu überbietenund macht deutlich, dass diese Bundesregierung an die-sem Punkt auf allen Ebenen versagt . Hören Sie endlichauf, mit immer neuen AsylrechtsverschärfungspaketenFlüchtlinge statt Fluchtursachen zu bekämpfen . Das kannnicht der Weg sein .
Eines hat diese Koalition ganz offenbar noch nichtverstanden: Entwicklungspolitik ist eben kein isolier-tes Politikfeld, was man mal diesem oder jenem Zweckunterordnen kann, sondern Entwicklungspolitik mussinternationale Strukturpolitik sein . Und dafür brauchtes Kohärenz statt Konkurrenz zwischen den einzelnenMinisterien .
Erst wenn wir die Kohärenzfrage ehrlich angehen undunsere Rüstungs-, Handels-, Finanz-, Agrar- oder auchRohstoffpolitik an menschenrechtlichen und sozial-ökologischen Kriterien ausrichten, ist nachhaltige Ent-wicklung weltweit möglich . Und dann kann man auchFluchtursachen bekämpfen .Erst wenn wir keine Panzer mehr nach Saudi-Arabienund Katar schicken und wenn wir aufhören, mit subven-tionierten Agrarprodukten afrikanische Märkte zu zer-stören oder mit europäischen Fischtrawlern afrikanischeKüsten leerzufischen, ist friedvolle nachhaltige Entwick-lung möglich .
Erst wenn diese Regierung in den Regierungsverhand-lungen den Umstieg auf erneuerbare Energien und Ef-fizienztechnologien vor die Exportinteressen deutscherGroßkraftwerksbauer stellt, bekommen Klimaschutz undder Aufbau wirtschaftlicher Überlebensperspektiven inden Ländern des globalen Südens eine Chance .
Erst wenn die Sonderinitiative „EINEWELT ohneHunger“ nicht mehr davon geprägt ist, möglichst großeSummen über möglichst wenige große Player umzuset-zen, sondern die Menschen in den bäuerlichen und ge-nossenschaftlichen Strukturen Afrikas und Asiens zumPeter Meiwald
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Subjekt ihrer Projekte macht, besteht die Chance, Hungerals Fluchtursache wirksam und ernsthaft zu bekämpfen .
Ein Letztes noch zum Thema Kohärenz: Erst wenn„Fairhandel statt Freihandel“ zur Maxime der Politikder ganzen Bundesregierung wird – und nicht nur zu dereines einzelnen Ministers, dessen Engagement wir ja zuschätzen wissen – und wenn wir uns von den unsinnigenund schädlichen Vertragsverhandlungen zu CETA, TTIPund anderen verabschieden, werden Fluchtursachen, diedurch unfaire Handelsbeziehungen entstehen, ehrlich be-kämpft .Für diese Bundesregierung aber – das ist der Eindruck,der sich jetzt aufdrängt – bleibt Kohärenz ein Fremdwort .Das zeigt auch der Gesamthaushalt mit seinen vielen Fa-cetten . Haben Sie doch endlich den Mut, der Rüstungs-lobby wie der Agroindustrie entgegenzutreten!
Ich komme zum Schluss: Bisher müssen wir trotz deshier vorgelegten Haushaltsplanes 2016 klar zusammen-fassen: kein Herz, kein Plan und vor allen Dingen keinMut . Das Wissen ist ja da, das Bewusstsein, was getanwerden müsste, scheint ja da zu sein – Kollegin Koflerhat vieles angesprochen, der Minister hat vieles ange-sprochen –, aber es fehlt der Mut .
Zum Schluss noch: Wir legen heute noch mal einenAntrag vor, der zeigt, wie sich solide Finanzpolitik, Kli-maschutz und globale Gerechtigkeit verbinden lassen .Einem Aufwuchspfad, um bis 2020 das 0,7-Prozent-Zielzu erreichen, könnten Sie sich doch heute einmal an-schließen . Geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie zu!Vielen Dank .
Vielen Dank, Peter Meiwald . – Die nächste Rednerin:
Sabine Weiss für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! WerteKolleginnen und Kollegen! Wie die meisten Vorrednerja bereits betont haben, steht auch der Haushalt des BMZdieses Jahr ganz im Zeichen der aktuellen Flüchtlingsbe-wegung . Gerade weil dieses Thema so wichtig ist, geheich ebenfalls zentral darauf ein, aber ich versuche malein wenig, die guten Nachrichten zu verkünden, also das,was wir tatsächlich tun und auch noch tun werden .Wichtig ist erst einmal, dass mehr als jedes andereRessort das BMZ in Entwicklungsländern die Lebensbe-dingungen der Menschen vor Ort verbessert, und zwar,um ihnen zunächst einmal in ihrer Heimat eine Zukunftzu bieten . Ich wage gar nicht, darüber nachzudenken,was in dieser Welt wäre, wenn es nicht schon seit über50 Jahren diese Entwicklungszusammenarbeit gäbe . Das,was wir im BMZ tun, was im AwZ beschlossen wird, istaus meiner Sicht das Bekämpfen von Fluchtursachen .
Herr Meiwald, das betrifft langfristig wirksame Maß-nahmen in den Partnerländern – von der Grundbildungüber die saubere Energieversorgung bis zur Schaffungvon Arbeitsplätzen –, und es betrifft derzeit natürlichauch sehr umfangreiche kurzfristige Bemühungen inFlüchtlingslagern, besonders in Jordanien und im Liba-non . Das BMZ hilft dabei, diese Lager so auszubauen,dass die Flüchtlinge dort leben und überleben können;denn die meisten wollen nicht fern ihrer Heimat sein,sondern möglichst in der Nähe bleiben . Das erleichtertdie Rückkehr, wenn es die Bedingungen dann erlauben .Das BMZ fördert allein 180 Projekte in der Region .Dass dies so schnell möglich war, ist auch den drei Son-derinitiativen „EINEWELT ohne Hunger“, „Fluchtur-sachen bekämpfen – Flüchtlinge reintegrieren“ und„Stabilisierung und Entwicklung Nordafrika-Nahost“zu verdanken . Das Lob dafür gebührt zunächst unseremBundesminister Gerd Müller . Herzlichen Dank .
Er hat dafür nämlich frühzeitig – darüber hatten nochnicht viele nachgedacht – die Weichen gestellt und kannjetzt diesen so wirksamen Beitrag leisten, der Flüchtlin-gen in Jordanien zum Beispiel die Wasserversorgung ge-bracht hat und vielen Flüchtlingskindern im Libanon denSchulbesuch .Sein zweites Verdienst ist es, aus anderen Program-men über 140 Millionen Euro freigeschaufelt zu haben,um über das dafür angesetzte Haushaltsvolumen hinaus-gehen zu können .In diesem Zusammenhang ein dezenter Hinweis andie Haushälter, der erlaubt sein mag: Dies kann natürlichkeine Dauerlösung sein . Für eine langfristig wirksameEntwicklungspolitik sind auch die Maßnahmen wichtig,die jetzt aktuell gekürzt werden müssen . Vernachlässigenwir diese nämlich, tragen wir eher – auch das ist heuteschon erwähnt worden – zum Entstehen neuer Krisen bei,anstatt Flüchtlingsströmen vorzubeugen .
Die Entwicklungspolitik der letzten Jahrzehnte ist invielen Ländern erfolgreich; das muss auch einmal betontwerden . Das sieht man zunächst einmal daran, dass diegrößten Flüchtlingsströme aus Kriegsländern wie Syri-en, Irak und Afghanistan und aus Ländern mit schwe-ren Menschenrechtsverletzungen wie Eritrea kommen .Aus einigermaßen stabilen und friedlichen Ländern, dieim Vergleich zu Deutschland allerdings noch arm sind,kommen gar nicht so viele, wie in den Medien behaup-tet und vielleicht am Stammtisch auch geglaubt wird .Aus dem Senegal zum Beispiel – immer wieder pla-kativ als Hauptherkunftsland genannt – kamen letztesPeter Meiwald
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Jahr 766 Asylbewerber nach Deutschland . Bei mehr als14 Millionen Einwohnern ist das eben kein Zeichen einervölligen Perspektivlosigkeit oder einer gescheiterten Ent-wicklungspolitik in diesem Land . Nein, diese Menschenkommen tatsächlich – verständlicherweise –, weil sie inDeutschland deutlich mehr verdienen können . Das nutztihnen und ihren Familien, die zu Hause geblieben sind .Dabei müssen wir uns allerdings immer wieder klarma-chen: Auch bei guter Entwicklung im Senegal wird eswie in vielen anderen Ländern noch lange große Lohn-unterschiede zu Deutschland und Europa geben . Geradedie Entwicklungspolitik muss dazu beitragen, dass diesegroßen Unterschiede immer kleiner werden .
Parallel müssen wir die Möglichkeiten für eine be-grenzte legale Arbeitsmigration überprüfen und gege-benenfalls stärken . Beides zusammen kann dann viel-leicht der illegalen Migration zumindest ein Stück denNährboden entziehen und trägt sicherlich auch dazu bei,die unmenschlichen Flüchtlingsdramen im Mittelmeerzu verhindern . Ich begrüße deshalb die in diesem Sinnewegweisenden Beschlüsse zu einer verstärkten europä-isch-afrikanischen Partnerschaft, die vor zwei Wochenbeim Gipfeltreffen in Valletta getroffen wurden .Der Fahrplan für die globale Entwicklungspolitik –Herr Meiwald, sie wurde eben nicht vergessen –, mit demein Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen geleis-tet werden soll, ist die gerade in New York beschlosse-ne Agenda 2030 . Dass Deutschland gut aufgestellt ist,wenn es darum geht, einen signifikanten Beitrag zu ihrerUmsetzung zu leisten, hat die OECD nach der jüngstenÜberprüfung der deutschen Entwicklungspolitik klar be-stätigt .Auch deshalb ist es richtig, dass der Haushalt desBMZ 2016 den größten Zuwachs seiner Geschichteerfährt . Auch ich will es sagen: Es sind 863 MillionenEuro zusätzlich . Damit steigt der BMZ-Haushalt auf dasRekordniveau von 7,4 Milliarden Euro . Ich danke denHaushältern der Koalition dafür, dass sie dies möglichgemacht haben . Ich danke aber auch unserem Bundes-finanzminister Wolfgang Schäuble und unserer Bundes-kanzlerin Angela Merkel .
Dank ihres Engagements wurde beschlossen, in den re-levanten Ressorts bis 2019 mehr als 10 Milliarden Eurozusätzlich für die Entwicklungspolitik bereitzustellen .Das muss einmal gesagt werden . Dafür – das möchte ichbetonen – gebührt ihnen unser aller Dank .Ich bin überzeugt, lieber Gerd Müller, dass du dieseMittel als Bundesminister zusammen mit deinen Mitar-beiterinnen und Mitarbeitern sinnvoll einsetzen wirst, umdie Erreichung der Nachhaltigkeitsziele zu fördern . Siealle gemeinsam leisten damit einen Beitrag zur Bekämp-fung von Fluchtursachen – das meistgebrauchte Wortin den politischen Debatten der letzten Wochen . Unterder Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel gehtDeutschland hier den richtigen Weg, die Mittel für Ent-wicklungspolitik anzuheben .Wohin fließt nun das zusätzliche Geld? Ich habe einbisschen in den Haushalt geschaut und möchte einigeSchlaglichter nennen . Die Ausgaben für Maßnahmender drei fluchtrelevanten Sonderinitiativen verdreifachensich fast; sie steigen von 200 Millionen auf 590 Millio-nen Euro . Die Mittel im Titel „Finanzielle Zusammenar-beit mit Regionen“ steigen zum Beispiel um 27 Millio-nen Euro auf insgesamt 87 Millionen Euro an . Der eineoder andere von Ihnen mag vielleicht gar nicht wissen,was sich dahinter verbirgt . Mit dem Geld werden kleineund mittlere Unternehmen zum Beispiel in Afrika undim Nahen Osten finanziert. Dadurch entstehen in hohemMaße und ganz konkret Arbeitsplätze . Ich bin der festenÜberzeugung: Ein sicherer Arbeitsplatz, der es ermög-licht, die Familie zu ernähren, ist das beste Mittel gegenFlucht überhaupt .
Wenn die Mittel für solche Ansätze erhöht werden, dannbeugt das der Flucht ganz konkret vor .Voraussetzung für einen nachhaltigen Arbeitsplatz mitgutem Einkommen – das ist ganz logisch – ist wiederumeine gute Berufsausbildung . Daher hat das BMZ die Be-reitstellung von 40 Millionen Euro für die gerade in Val-letta verkündete Ausbildungsinitiative für Afrikaner undAfrikanerinnen angekündigt . Auch das ist ein Beitrag zurFluchtursachenbekämpfung .Dass die zivilgesellschaftlichen Träger durchwegmehr Mittel bekommen, halte ich für richtig und gut . Ichmöchte die Gelegenheit nutzen, heute einen deutlichenAppell an all diese Träger zu richten: Überprüfen Sie bit-te Ihr Portfolio auf die Relevanz für die Fluchtursachen-bekämpfung, und richten Sie es vielleicht noch stärkerals bisher darauf aus!
Ganz besonders freue ich mich – auch wenn es, rela-tiv gesehen, nur ein kleiner Betrag ist –, dass die Mittelfür die entwicklungspolitische Bildungsarbeit in unseremLand von 25 Millionen auf 35 Millionen Euro ansteigen .Es ist höchste Zeit, kann ich da nur sagen . Viele auslän-derfeindliche Parolen dieser Tage werden uns vielleichtzukünftig erspart bleiben, wenn das Wissen der Men-schen hier vor Ort über die Zusammenhänge in der Weltund über andere Kulturen schlichtweg größer wäre .
Für den Bereich Klimaschutz – auch das wurde er-wähnt – sind allein vom BMZ 1,4 Milliarden Euro fürbilaterale Maßnahmen eingeplant . Hinzu kommen mul-tilaterale Leistungen . Das ist vor der Klimakonferenzin Paris, die am Montag beginnt, ein überaus wichtigesSignal .Noch ein Hinweis – das wissen Sie wahrscheinlich,Sie sagen es nur nicht –: Die OECD lobt das besonde-re Engagement für den Klimaschutz . 28 Prozent derdeutschen bilateralen ODA-Mittel werden dafür einge-setzt; das sind 12 Prozent mehr als der Durchschnitt derSabine Weiss
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OECD-Geberländer . Das muss man einmal betonen unddarf nicht immer alles schlechtreden .
Das ist sowohl ein Markenzeichen deutscher Entwick-lungspolitik als auch ein wichtiger Beitrag zur Bekämp-fung von Fluchtursachen .Das BMZ setzt 2016 1 Milliarde Euro für ländlicheEntwicklung ein mit einem klaren regionalen Schwer-punkt auf Afrika . Erneut wird die Zusage der Bundes-kanzlerin erfüllt, 500 Millionen Euro für den Schutz derWälder und der Biodiversität einzusetzen usw . usf . DieListe der Maßnahmen ist noch deutlich länger .Ich fasse zusammen: Der BMZ-Haushalt 2016 kombi-niert in guter Weise die strukturelle, langfristige Entwick-lungspolitik mit den kurzfristig notwendigen Maßnah-men zur Stabilisierung der Krisenregionen . Entscheidendfür uns ist – ich weiß, das sagen alle Kolleginnen undKollegen in der Entwicklungspolitik –: Im Mittelpunktstehen immer die Menschen . Deren Lebensbedingungenwollen wir in ihrer Heimat oder wenigstens heimatnahdeutlich verbessern .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Sabine Weiss . – Nächster Redner:
Dr . Sascha Raabe für die SPD .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen derGrünen, Sie wollen dem Haushalt dieses Jahr nicht zu-stimmen, weil der Aufwuchs Ihrer Meinung nach zu ge-ring ist . Sie wissen, dass ich nicht zu denen gehöre, dieeinen Haushalt schönreden . Auch ich habe, obwohl ichMitglied einer Regierungsfraktion bin, den letzten bei-den Haushalten, auch dem Gesamthaushalt, nicht zuge-stimmt . Ich hatte Anfang der Legislaturperiode deutlichprotestiert, weil im Koalitionsvertrag im Mittel lediglichein Aufwuchs von 200 Millionen Euro pro Jahr vorgese-hen wurde .Jetzt wächst der Entwicklungshaushalt um knapp900 Millionen Euro, und im Bereich des Auswärti-gen Amtes ist ein Aufwuchs der ODA-Mittel von etwa800 Millionen Euro zu verzeichnen . Wir kommen alsoauf über 1,6 Milliarden Euro mehr ODA-Mittel . Einensolchen Aufwuchs hätten wir uns vor ein paar Jahrennicht träumen lassen . Deswegen sage ich: Der Aufwuchsder ODA-Mittel ist gut . Ich stimme ihm zu . Ich glaube,das wird den Ärmsten der Armen helfen .
Es ist auch kein Geheimnis – der Minister weiß das –:Es wäre besser gewesen, wenn die entsprechenden Maß-nahmen früher vereinbart worden wären . Es ist wirklichhöchste Zeit; es ist vielleicht eher fünf nach zwölf alsfünf vor zwölf, aber besser spät als nie . Ich erinneredaran: Bereits 2011 haben 372 Abgeordnete, also fast60 Prozent des Hauses, parteiübergreifend hier im Bun-destag einen entwicklungspolitischen Konsens beschlos-sen . Wir hatten vereinbart: Wir wollen pro Jahr 1,2 Mil-liarden Euro mehr an anrechnungsfähigen ODA-Mittelnzur Verfügung stellen, um bis zum Jahr 2015 auf eineQuote von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommenszu kommen . Das haben wir leider nicht geschafft . Weilwir es als Entwicklungspolitiker in den letzten Jahren oftnicht einfach hatten, in der Bevölkerung oder auch beidem einen oder anderen Spitzenpolitiker Gehör zu fin-den, sage ich: Hätte man 2011, also vor vier, fünf Jahren,auf uns gehört, dann wären uns viele Probleme und vielFlüchtlingselend erspart geblieben .
Unsere Forderung war richtig . Wir werden nun zusehen,dass wir in Zukunft die 0,7 Prozent erreichen .
Um auf die 0,7 Prozent zu kommen, brauchen wir inder Tat einen konkreten Fahrplan für die nächsten Jahre;den vermisse ich noch . Aber man kann doch nicht einenHaushalt ablehnen, weil dieser ODA-Mittel in Höhe von„nur“ 1,6 Milliarden Euro enthält, wenn man selber frü-her nur 1,2 Milliarden Euro mehr ODA-Mittel pro Jahrgefordert hat . Das ist nicht in Ordnung .Der Kollege Klein hat gesagt, dass wir bald eineODA-Quote von 0,7 Prozent erreichen, wenn wir jetztdie durch die Flüchtlingskrise entstandenen Kosten in-nerhalb der ersten zwölf Monate anrechnen . Theoretischkönnten übrigens sogar die Abschiebekosten angerechnetwerden, was wir aber nicht machen . Ich warne davor, dasüberhaupt in Betracht zu ziehen, auch wenn man so et-was laut DAC-Kriterien machen könnte . Wenn man dieKosten des Bundesinnenministeriums und der anderenRessorts für die Unterbringung von Flüchtlingen rein-rechnet – das hat nichts mit den 1,6 Milliarden Euro zutun, die ich lobe –, dann bläht man die ODA-Quote aufwie einen bunten Luftballon . Dann darf man sich nichtwundern, wenn der einem um die Ohren fliegt. Mit ei-ner ODA-Quote, die nur auf dem Papier schön aussieht,macht man niemanden satt, bringt man kein Kind mehr indie Schule, baut man kein Krankenhaus, schafft man kei-ne Arbeitsplätze und keine Perspektiven, beseitigt mankeine Fluchtursachen . Wir brauchen echtes Geld,
mehr Mittel, einen ODA-Pfad bis 2020 oder 2030, da-mit wir spätestens 2030 bei 0,7 Prozent ankommen; jeschneller, desto besser .
Wir haben heute schon viel über Fluchtursachen gere-det . Das, was zu den syrischen Flüchtlingen gesagt wur-de, will ich nicht noch einmal wiederholen . Ich möch-te den Fokus auf einen anderen Aspekt richten: SchonSabine Weiss
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bevor in Syrien die große Krise ausgebrochen ist, sindaus Afrika viele Menschen zu uns gekommen und kom-men auch immer noch viele Menschen zu uns . Die Be-völkerung dieses Kontinents wird in den nächsten 20,30 Jahren von 1 Milliarde Menschen auf 2 MilliardenMenschen anwachsen . Deswegen ist das, was der Minis-ter vorhin gesagt hat, richtig: Wir legen bei unserer Ent-wicklungszusammenarbeit den Fokus nicht nur auf dieunmittelbare humanitäre Hilfe; das macht das Auswär-tige Amt . Wir sind nicht der Feuerlöscher, sondern wirsind diejenigen, die präventiv, vorbeugend Strukturenschaffen müssen, die Perspektiven schaffen müssen, dieMenschen aus Armut herausführen und eine wirklicheZukunft für die Menschen in diesen Ländern schaffenmüssen . Deswegen ist jeder Cent, den wir im Entwick-lungshaushalt einsetzen, eine vorbeugende, präventiveMaßnahme zur Bekämpfung von Fluchtursachen . Dazukönnen wir selbstbewusst stehen .
Weil mir heute zu oft die Bekämpfung von Fluchtur-sachen als Motiv für die Erhöhung der Mittel für die Ent-wicklungszusammenarbeit angeführt wurde, sage ich: ImPeer Review des DAC wird zu Recht kritisiert, dass ausDeutschland in die Least Developed Countries, also dieärmsten Entwicklungsländer, immer noch zu wenig Geldfließt. Wir hatten dazu einen Briefwechsel, einen Aus-tausch . In den Koalitionsvertrag haben wir geschrieben,dass wir für die ärmsten Staaten, für die fragilen Staatenmehr Geld ausgeben wollen . Ich sage Ihnen ganz ehrlich:Wir können nicht weiter zulassen, dass 20 000 Menschenpro Tag an den Folgen von Hunger und Armut sterben,vor allem Kinder . Es ist egal, ob aus diesen Kindernspäter einmal ein Flüchtling wird oder nicht . Ich möch-te dieses Sterben nicht länger zulassen . Dieses Sterbenmüssen wir verhindern . Jeder Mensch hat ein Recht aufein menschenwürdiges Leben, unabhängig von der Frageder Fluchtursachenbekämpfung .
Es hat in der Tat nicht nur etwas mit Geld zu tun, obMenschen eine Zukunftsperspektive haben oder in Ar-mut leben . Im Zusammenhang mit den Handelsbezie-hungen haben wir in Brüssel jetzt zum Beispiel über dasganz heiße Thema der sogenannten Konfliktmineralienzu diskutieren. In jedem Smartphone sind Konfliktmine-ralien verarbeitet, auch in all denen, die Sie haben . ImKongo wird damit ein blutiger Bürgerkrieg finanziert:Rebellengruppen werden ausgestattet, Kinder werdenals Soldaten missbraucht oder müssen in Minen schuf-ten . Wir wissen, dass viele Flüchtlinge aus dem Kongo inUganda unterkommen . Es wurde schon zu Recht gesagt,dass 90 Prozent der Flüchtlinge aus Entwicklungsländernin benachbarten Ländern unterkommen . Wir müssen da-für sorgen, dass Konzerne nicht länger Geld mit diesenKonfliktmineralien verdienen. Nicht an unseren Händen,aber an unseren Handys klebt Blut . Deswegen sage ich:Wir wollen einen Wandel durch fairen Handel, und die-ses Ziel müssen wir schnell erreichen .
Das gilt genauso für die angesprochenen Baumwoll-subventionen der USA und für die Landwirtschaftssub-ventionen der Europäischen Union . Das gilt auch für dieSchokolade, die wir so gerne essen . Wir müssen beden-ken, dass auf den Kakaoplantagen in der Elfenbeinküsteund in Ghana 2,3 Millionen Kinder ab fünf Jahren ge-fährliche Arbeiten verrichten müssen . Dadurch, dass siemit Pestiziden in Berührung kommen und mit Machetenhantieren, gefährden sie ihr eigenes Leben . Sie habenkeine Chance, eine Bildung zu erhalten, die ihnen einePerspektive bietet, die ihnen ein menschenwürdiges Le-ben ermöglicht .Wir haben schon oft über blutige T-Shirts aus Bangla-desch geredet . Diesbezüglich sind wir mit dem Textil-bündnis auf einem guten Weg . Ich sage es an dieser Stel-le trotzdem noch einmal: Es kann nicht sein, dass eineBanane, die nicht die richtige Länge und Breite hat, nichtin die Europäische Union rein darf, aber T-Shirts undHandys, an denen Blut klebt, und Schokolade, die mitKinderarbeit hergestellt wurde, in die Europäische Unionrein dürfen . Das müssen wir ändern .
An dieser Stelle, Herr Minister, werden wir unsauch noch einmal über das Abkommen mit Westafrikaunterhalten müssen . Denn in diesem sind gerade die-se Kernarbeitsnormen, die Kinderarbeit verbieten undmenschenunwürdige Arbeit verhindern sollen, nichtenthalten . Die Freihandelsabkommen der EuropäischenUnion müssen diese Dinge enthalten .
Darüber reden wir heute aber nicht mehr .
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss .
Genau .
Lassen Sie uns die Welt ein Stück gerechter machen .
Lassen Sie uns im nächsten Jahr weiter gemeinsam für
die notwendigen Mittel sorgen, um Fluchtursachen zu
bekämpfen . Dann, aber nur dann schaffen wir das, meine
lieben Kolleginnen und Kollegen .
Vielen Dank, Sascha Raabe . – Nächster Redner:Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion .Dr. Sascha Raabe
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Vor einigen Wochen wurde die deutsche Entwicklungs-zusammenarbeit durch einen Prüfbericht der OECD un-tersucht, und ihr wurde ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt .Deutschland sei auf dem richtigen Wege, verkündete derZusammenschluss der wichtigsten Industriestaaten . DerOECD-Bericht legt dar, dass wir es in den letzten Jahren,und zwar insbesondere im Jahr 2010, geschafft haben,durch die Evaluierung eine ganze Reihe von Verbesse-rungsmaßnahmen im Bereich der Entwicklungszusam-menarbeit auf den Weg zu bringen . So wird hier insbe-sondere darauf hingewiesen, dass es eine verbesserteSteuerungsfähigkeit des zuständigen Ministeriums gege-ben hat . Es sei eine starke Präsenz der Durchführungsor-ganisationen in den Partnerländern sichergestellt worden .Die Abstimmung mit den multilateralen Akteuren sei ineiner sehr viel besseren Form erfolgt . In sämtlichen Be-reichen zeigen sich also gute Erfolge . Das ist das Urteilder Prüfkommission .Das zeigt, dass die Wirksamkeit der deutschen Ent-wicklungszusammenarbeit in den letzten Jahren schritt-weise erhöht worden ist, und das sehr konsequent . Diesgeht auch – das muss man deutlich sagen – auf die Effek-tivierungsmaßnahmen zurück, die unter der letzten Bun-desregierung auf den Weg gebracht worden sind .Unsere heutige Aussprache zum Etat des Ministeri-ums ist auch eine Fortschreibung dieses Erfolges . Es istmehrfach gesagt worden: Im kommenden Jahr werdenwir rund 7,4 Milliarden Euro für diesen Aufgabenbereichzur Verfügung stellen . Das sind 13,2 Prozent mehr als imlaufenden Jahr . Zur historischen Einordnung: Es ist derhöchste Etat des Ministeriums seit seinem Bestehen .7,4 Milliarden Euro und kontinuierliche Verbesse-rungen im Wirkungsgrad deutscher Entwicklungszu-sammenarbeit: Das zusammen eröffnet einen sehr vielgrößeren Handlungsspielraum . Das ist gerade auch auf-grund der Problematik in der Flüchtlingssituation bitternotwendig . Es ist an dieser Stelle schon mehrfach ange-sprochen worden: Die weltweite Bekämpfung und Be-seitigung von Fluchtursachen sehen Minister Müller unddie Entwicklungspolitiker in der Koalition als das Themader Stunde an . Entwicklungspolitik kann und muss ihrenBeitrag leisten, um die große Zahl von Flüchtlingen inden kommenden Jahren zu reduzieren . Entwicklungs-politik ist unsere Hilfe, unser Werkzeug für die Arbeitvor Ort . Deswegen begrüße ich den Mittelzuwachs um190 Millionen Euro auf 300 Millionen Euro für die Son-derinitiative „Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlingereintegrieren“ ausdrücklich .
Machen wir uns noch einmal die Bandbreite bewusst,in der die deutsche Entwicklungspolitik ihre Wirkungentfaltet . Das Europäische Jahr für Entwicklung 2015neigt sich dem Ende zu . Es war ein entscheidendes Jahrfür die große globale Entwicklungsagenda . Deutschlandhat diesen Prozess maßgeblich mitgestaltet . Auch hiermöchte ich der Bundeskanzlerin noch einmal ausdrück-lich Dank für ihren Einsatz im Dienste der Entwicklungs-politik aussprechen . Insbesondere auf dem G-7-Gipfelauf Schloss Elmau im Juni dieses Jahres hat sie entwick-lungspolitische Themen propagiert, vorangebracht undihnen auf diesem Gipfel eine Plattform gegeben . Dasist nicht selbstverständlich . Sie, Minister Müller, habenim Anschluss an dieses Treffen gesagt: So viel Entwick-lungspolitik war noch nie . – Das ist völlig richtig .
Einen entwicklungspolitischen Meilenstein haben wirdieses Jahr auch mit der Verabschiedung der UN-Nach-haltigkeitsziele erreicht . Die sogenannte Post-2015-Agenda wird Deutschland und die Welt in der Entwick-lungszusammenarbeit bis zum Jahr 2030 begleiten . ImRahmen zukünftiger Debatten über diesen Haushalt wirddie Finanzierung der nachhaltigen Entwicklungsziele na-türlich auch nachhaltig auf der Agenda stehen . Denn ei-nes muss deutlich kommuniziert werden: Mit den neuenEntwicklungszielen wird der Finanzierungsbedarf enormsteigen, vor allem für Infrastruktur und klimarelevanteInvestitionen .Im Juli dieses Jahres konnte ich Minister Müller aufdie Financing-for-Development-Konferenz nach AddisAbeba begleiten . Aufbauend auf den Konferenzen inMonterrey und Doha wurde dort über die Grundlagen derinternationalen Finanzarchitektur und vor allen Dingenüber die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele dis-kutiert . Von dort konnte ich, konnten wir das Ergebnismitnehmen, dass ein globaler Konsens darüber besteht,alle Möglichkeiten der Entwicklungs- und Klimafinan-zierung zu nutzen und einheitlich zu erfassen, sowohlöffentliche als auch private Ressourcen .Die Klimakonferenz in Paris wird im Gipfelkalender2015 nun den Abschluss bilden . Auch hier soll Wegwei-sendes verkündet und ein Nachfolgeabkommen für dasKioto-Protokoll beschlossen werden . Ich erinnere andieser Stelle sehr gerne daran, dass das BMZ mit einerHaushaltszuständigkeit für 90 Prozent der globalenKlimamittel Deutschlands eine wachsende Verantwor-tung trägt; auch das muss hier deutlich gesagt werden .Die Mittel im Kampf gegen die globale Erderwärmungsollen um 250 Millionen Euro steigen . Denn die Folgendes Klimawandels sind vor allem für die Menschen in denSchwellen- und Entwicklungsländern spürbar – Bangla-desch ist genannt worden –, und sie werden in absehbarerZeit viele Tausende Klimaflüchtlinge verursachen, wennwir nicht handeln, meine Damen und Herren .Aber auch in Deutschland sind wir einen guten Schrittweitergekommen; das darf ich in einer Bilanz, die im Zu-sammenhang mit dem Haushalt notwendig ist, deutlichsagen . Das von Minister Müller initiierte Bündnis fürnachhaltige Textilien hat seine Mitgliederzahl ein Jahrnach seiner Gründung verfünffacht – eine gute Entwick-lung, die uns Hoffnung gibt, dass das Bündnis auch sicht-bare Erfolge für die Verbraucher erarbeitet .Meine Damen und Herren, wie schaffen wir es nun, indiesem breiten Aufgabenfeld mit den uns zur Verfügungstehenden Finanzmitteln möglichst viel zu erreichen?Lassen Sie mich an dieser Stelle auf die von mir bereitsangesprochene strategische Ausrichtung der Entwick-
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lungspolitik eingehen . Jedem von uns investierten Euro,der in den betroffenen Ländern für die Bekämpfung vonFluchtursachen, für die Begrenzung des Klimawandelsoder zur Förderung der Gleichberechtigung von Frauenin Entwicklungsländern eingesetzt wird, steht ein Mehr-wert gegenüber, den wir nicht für die Folgen von Flucht,von Klimaschäden und zur Beseitigung von Ungleichheitaufbringen müssen . Das sind eben Investitionen in dieZukunft; das ist wichtig .
Minister Müller hat dies an einem Beispiel deutlich ge-macht: 1 Euro, den wir im Libanon investieren, kann dorteinen Nutzen von bis zu 30 Euro entfalten . Er nützt dortalso 30-mal mehr; das müssen wir sehen .Doch nicht selten steht die Entwicklungspolitik in derKritik . Ihr Nutzen wird nicht nur von Politikern, sondernauch von der Bevölkerung – wir alle wissen das – immerwieder hinterfragt . Von einem Fass ohne Boden ist dieRede . „Kommt das denn eigentlich auch unten an?“, istdie Frage . Die Entwicklungszusammenarbeit und wir alsEntwicklungspolitiker, wenn wir an unseren Ständen aufden Märkten stehen, befinden uns in einer besonderenRechtfertigungssituation und stehen unter einem beson-deren Erfolgsdruck . Denn wir geben – oder schleudern;wie auch immer – die Steuergelder ins Ausland .Die gute Nachricht ist, meine Damen und Herren:Meines Erachtens hat sich in den vergangenen Monatenin der deutschen Öffentlichkeit auch hier eine positivereEinschätzung zur Notwendig von nachhaltiger Entwick-lungszusammenarbeit verbreitet . Aus diesem Grunde istdie Politik verpflichtet, mit größter Sorgfalt zu überprü-fen, wie wir unsere entwicklungspolitischen Projektezum größtmöglichen Erfolg führen können . Jeden Tagmüssen wir aufs Neue auswerten, was gut läuft und woVerbesserungen notwendig sind . Um dem Vertrauen indie Entwicklungspolitik ein solides Fundament zu geben,ist es meines Erachtens von großer Bedeutung, aus Er-reichtem zu lernen und die richtigen Schlüsse zu ziehen .2012 haben wir deshalb das Deutsche Evaluierungs-institut der Entwicklungszusammenarbeit gegründet unddamit ein nützliches Instrument geschaffen . Es hat dasPotenzial, uns auf unsere Fehler aufmerksam zu machen,unsere Erfolge zu bewerten und die Misserfolge deutlichund transparent zu machen und sachlich zu analysieren .Das DEval kann uns durch seine Evaluierungsempfeh-lungen eine effektivere Entwicklungszusammenarbeitermöglichen und uns helfen, zukünftige Projekte auf denrichtigen Kurs zu bringen .Evaluierung erhöht den Druck auf uns, die Nachhal-tigkeit von Projekten noch ernster zu nehmen . Doch lei-der spielt das DEval nicht immer die Rolle, die man ihmbei seiner Gründung zugedacht hat . Bisher ist lediglicheine überschaubare Anzahl an Evaluierungsberichten fer-tiggestellt worden . Wir nutzen dieses Potenzial des Insti-tutes noch in einem zu geringen Umfang; das muss manauch selbstkritisch sagen .Neben dem DEval gibt es eine Reihe weiterer Orga-nisationen, zum Beispiel die KfW, die eigenständig einesehr breit angelegte Evaluation von entwicklungspoliti-schen Projekten durchführen . Wir brauchen eine stärkereVerzahnung zwischen dem DEval und diesen Organisa-tionen . Wir müssen die Kräfte besser bündeln und ko-ordinieren und einen Weg finden, aus dieser Vielzahl anEvaluationen und Erkenntnissen strategisch zu lernenund einen Mehrwert zu erzielen .Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch nocheinige Sätze zur Flüchtlingsthematik sagen . Derzeit be-schäftigen wir uns ja mit dem Thema Obergrenze unddamit, wie viele Menschen zu uns kommen und wel-che Kosten entstehen werden . Das alles ist hier schonmehrfach gesagt worden . Diese Fragen beschäftigen dieMenschen natürlich deutschlandweit, und wir müssenAntworten darauf geben . Vor allen Dingen müssen wirdie Menschen auch vor Demagogen schützen und deut-lich machen, dass sie nicht missbraucht werden dürfen .Beispiele dafür hat es in der jüngsten Zeit ja sehr vielegegeben . Nichtsdestotrotz darf unsere Unterstützung fürdiese Krisenregion nicht aus dem Fokus verschwinden .Deshalb müssen die Anliegen der Entwicklungszusam-menarbeit Gehör finden.Vergessen wir nicht: Staaten wie die Türkei, der Liba-non oder Jordanien haben Hunderttausende Flüchtlingeaus Syrien und dem Irak aufgenommen . Deshalb gehtmein Appell hier nochmals in Richtung Intensivierungder Entwicklungszusammenarbeit .Die politische Ressortabgrenzung in Deutschland gibtvor, dass das Auswärtige Amt für den gesamten Bereichder humanitären Hilfe verantwortlich ist . Der Einzel-plan 05 – Auswärtiges Amt – zeigt: Für humanitäre Hilfs-maßnahmen im Ausland sind im kommenden Jahr rund730 Millionen Euro veranschlagt . Diese Summe ist auf-grund der aktuellen Lage auch dringend notwendig . Wirmüssen versuchen, das gemeinsam mit dem AuswärtigenAmt effektiv umzusetzen und hier eine gute Synthese derbeiden Ministerien zu erreichen .Zum Schluss möchte ich noch einmal die Gelegenheitnutzen, auf die historische Steigerung im Haushaltsent-wurf hinzuweisen . Dieses Mehr an Entwicklungsmittelnbrauchen wir auch dringend, um die maßgeblichen Ver-besserungen der Lebensbedingungen der Menschen inden Krisenregionen zu bewirken . Noch einmal: Sie leis-ten einen wichtigen, wenn nicht sogar den wichtigstenBeitrag dafür, Flucht und Vertreibung abzumildern .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege Klimke . – Letzte Rednerin
in dieser Debatte: Sonja Steffen für die SPD .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Mir kommt jetzt die ehrenvolle Aufgabe derAbschlussrede zu .Jürgen Klimke
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Nachdem wir heute vieles gehört haben – der Etat istsehr gelobt und auch sehr kritisiert worden –, kann ichabschließend vielleicht auch grafisch ein bisschen mehrLicht in den Etat – also nicht ins Dunkle – bringen . Ichzeige Ihnen jetzt einmal die Entwicklung unseres Etatsseit 2005 .
Wenn Sie gute Augen haben, dann stellen Sie fest, dasswir im Jahr 2005 mit einem Etat von 3,9 Milliarden Eurogestartet sind . Dieser Etat ist bis zum Haushaltsentwurffür das Jahr 2016 fast verdoppelt worden. Ich finde, dasist sehr gut . Darüber freuen wir uns alle sehr .
Auf der Grafik kann man übrigens auch die Niebel-Delleerkennen .
Sie sieht zwar 2013 relativ klein aus . Aber immerhinwurde der Etat um 100 Millionen Euro gekürzt .Was man auch sehr schön erkennen kann – ich neh-me an, alle, die hier sitzen, werden sich erinnern –, istder Zeitpunkt, als wir in der Großen Koalition gestartetsind . Die Fachpolitiker waren damals sehr enttäuscht da-rüber – mein Kollege Herr Raabe hat das vorhin vorge-tragen –, dass damals der Finanzplan für unseren Haus-halt recht traurig aussah. Auch das ist auf der Grafik zuerkennen . Der ursprüngliche Finanzplan sah so aus, dassman fast einen waagerechten Strich hätte ziehen können .Nun sieht man aber hier, 2015, wie diese Linie stark nachoben geht . Das zeigt uns, dass wir in diesem Jahr einenenormen Aufwuchs haben . Ich denke, wir alle haben unsüber 860 Millionen Euro mehr in diesem Etat gefreut .Es ist auch schon gesagt worden: Wir haben fast400 Millionen Euro Barmittel umverteilt . An dieser Stel-le möchte ich mich übrigens beim HauptberichterstatterVolkmar Klein bedanken, nicht nur für die Umverteilung,sondern auch für die gute Unterstützung und Organisati-on der gesamten Haushaltsdebatten, besonders der Be-richterstattergespräche .Es ist richtig – Frau Hajduk hat es gesagt; ich glaube,auch Frau Weiss –: Wir haben bei den Umschichtungendie 400 Millionen Euro irgendwo wegnehmen müssen .Dieses Geld haben wir in der Tat bei der GIZ und derKfW gekürzt . Ich will einmal sagen: mit deren Einver-ständnis . Es blieb ihnen auch nichts anderes übrig .
Aber wir wissen, dass das keine dauerhafte Lösung seinkann . Insofern bin ich ganz bei Ihnen, wenn Sie sagen:Das ist keine Dauerlösung . Es kann sich nur um einekurzzeitige Umschichtung handeln, die eben den beson-deren Problemen geschuldet ist, die wir mithilfe diesesEtats – Stichwort: Fluchtursachen bekämpfen – lösenwollen . Langfristig kann also nur eine Erhöhung der Mit-tel erfolgen, damit wir auch an dieser Stelle weiterhingute Arbeit leisten können .
Es ist schon gesagt worden, dass wir die Mittel auszwei großen Titeln umgeschichtet haben . Das betrifft zumeinen die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen“und zum anderen den Titel „Krisenbewältigung und Wie-deraufbau, Infrastruktur“ . Hier ist es besonders wichtig,dass wir die Mittel bereitstellen, weil damit beispielswei-se die Krisen in den Anrainerstaaten Syriens angegangenwerden . Da ist unsere Hilfe unbedingt erforderlich .Ich möchte mich jetzt noch im Zusammenhang mitder Deutschen Welle an Sie wenden . Ich freue mich sehr,dass die Mittel für die Deutsche-Welle-Akademie auch inunserem Etat einen Aufwuchs erhalten haben . Ich haltedas für sehr wichtig; denn aus Mitteln des BMZ fördertdie Deutsche-Welle-Akademie in 25 Ländern die Mei-nungsfreiheit und den Zugang zu Informationen durchEntwicklung freier und transparenter Mediensysteme .Ich denke, das ist eine sehr wichtige Aufgabe, die dieDeutsche Welle weltweit erfüllt .
Erfreulich finde ich persönlich – der Minister weißes –, dass auch die Mittel für GPEI erhöht werden konn-ten . GPEI ist die Organisation, die sich insbesondere umdie Bekämpfung von Polio kümmert . Polio, also Kinder-lähmung, ist eine Krankheit, die man fast im Griff hatund die weltweit sehr erfolgreich bekämpft wird . Abersie ist in Pakistan wieder aufgetreten . Wir konnten es indiesem Etat ermöglichen, wieder Gelder für GPEI zurBekämpfung von Polio in Pakistan zur Verfügung zustellen . An Ihr Haus herzlichen Dank dafür, dass Sie dasso schnell umgesetzt haben .
Nun muss ich aber ein bisschen Wasser in den Weinschütten . Was ich weniger erfreulich fand, ist, dass dieWiederauffüllungskonferenz des GFATM im nächstenJahr nicht in Deutschland stattfinden wird. Vor allem wirvon der SPD-Fraktion hatten uns davon versprochen,dass wir es auf diesem Wege vielleicht ermöglichen, denTitel für GFATM, also für die Bekämpfung von Aids, Tu-berkulose und Malaria, zu erhöhen . Das ist leider nichtder Fall gewesen . Aber vielleicht kommen wir auf einemanderen Weg dorthin .Sie hatten ja schon den Titel für das Welternährungs-programm angesprochen, Herr Müller . Es hat mich sehrtraurig gestimmt, dass Sie vorhin noch einmal gesagthaben, dass wir da eine Lücke von 4,4 Milliarden Eurohaben . Sie haben auch noch UNICEF erwähnt . Die Fach-politiker der Koalition und die der Opposition ohnehinhaben sich dafür eingesetzt und Anträge geschrieben,um zu erreichen, dass die Mittel für das Welternährungs-programm erhöht werden und auch für UNICEF erhöhtwerden . Leider konnten wir das in diesem Etat nicht ver-wirklichen .
Ich glaube aber, dass das nicht das Ende der Fahnenstan-ge ist . Sie können sich also meiner Unterstützung sicherSonja Steffen
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sein, wenn es darum geht, die Mittel zu erhöhen, was,denke ich, erforderlich ist .
Zum Abschluss will ich noch etwas zur ODA-Quo-te sagen; auch mein Kollege Sascha Raabe hat vorhinschon darauf hingewiesen . Wir haben im Haushaltsaus-schuss diesmal viel darüber diskutiert . Die ODA-Quotevon 0,7 Prozent ist – das ist schon gesagt worden – nichterreicht worden . Wir haben jetzt eine leichte Steigerungauf 0,41 Prozent erreicht . Auch im Haushaltsausschussging es unter anderem darum, was denn nun anrech-nungsfähig ist . In der Tat ist es so: Es gibt viele Staaten,die auch inländisch verwandte Mittel auf die ODA-Quoteanrechnen . Das muss diskutiert werden . Einerseits ist esvielleicht richtig, dass man sagt: Wir müssen die Mittel,die wir im ersten Jahr in Deutschland für Flüchtlinge auf-wenden, auf die ODA-Quote anrechnen .Andererseits muss ich Ihnen sagen, dass ich es nichtrichtig finde, dass man beispielsweise Rückführungs-und Abschiebungskosten auch auf die ODA-Quote an-rechnet . Da wird es nun auch ein Stück weit pervers . Ichhabe gerade heute Nachmittag vor meiner Rede erfah-ren, dass in meinem Landkreis eine Albanerin mit achtKindern – acht Kindern! – abgeschoben wurde . Der Ehe-mann ist noch da . Man weiß nicht, wie es in der Praxisdazu kommt; aber so etwas gibt es. Ich finde es schonbesonders merkwürdig, wenn diese Kosten tatsächlichauf die ODA-Quote angerechnet werden könnten .
Kommen Sie bitte zum Schluss .
Ja, ich komme zum Schluss . – Ich denke, wir sollten
uns alle dafür einsetzen, dass der Etat zukünftig wei-
terhin gestärkt wird . Sie können sich der Hilfe und der
Unterstützung der SPD-Fraktion ganz gewiss sein, Herr
Minister .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin Steffen . – Damit schließe
ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 23 – Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung – in der Ausschussfas-
sung . Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstim-
men . Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 18/6805? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt
haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Abgelehnt
haben CDU/CSU und die SPD .
Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den
Einzelplan 23 in der Ausschussfassung . Wer stimmt für
den Einzelplan? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Niemand . Der Einzelplan 23 ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegenge-
stimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tags auf morgen, Donnerstag, 9 Uhr, ein .
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend .