Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 260. Sitzung des Deutschen Bundestages. Vor Eintritt in die Tagesordnung bitte ich den Herrn Schriftführer, die Namen der abwesenden und entschuldigten Kollegen bekanntzugeben.
Es sucht für längere Zeit um Urlaub nach der Abgeordnete Meyer
für zwei Wochen ab 15. April wegen dienstlicher Inanspruchnahme.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Fricke, Dr. Schneider, Pelster, Dr. Miessner, Mauk, Bromme, Dr. Koch, Karpf, Paul , Agatz, Dr. Handschumacher, Naegel, Wönner, Dr. Mommer und Dr. Besold.
Ich danke dem Herrn Schriftführer.
Mit Schreiben vom 13. April dieses Jahres hat der Herr Stellvertreter des Herrn Bundeskanzlers mitgeteilt, daß die Deutsch-Atlantische Telegraphengesellschaft zu Köln den Herrn Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen in ihren Aufsichtsrat gewählt hat. Gemäß Art. 66 des Grundgesetzes ist dazu die Zustimmung des Bundestages erforderlich. Um diese Zustimmung wird gebeten. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann kann ich annehmen, daß der Bundestag zustimmt.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 13. April 1953 die Kleine Anfrage Nr. 329 der Fraktion der SPD betreffend Finanzlage der Deutschen Bundesbahn — Drucksache Nr. 4232 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4259 vervielfältigt.
Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 10. April 1953 einen Zwischenbescheid über die Schritte der Bundesregierung zu dem Beschluß des Bundestages in seiner 185. Sitzung betreffend Europäischer Post- und Fernmeldeverein gegeben, der als Drucksache Nr. 4264 vervielfältigt wird.
Der Herr Bundeskanzler hat unter dein 13. April 1953 unter Bezugnahme auf den Beschluß des Bundestages in seiner 178. Sitzung über den Wiederaufbau der Werften an der Unterweser und am Jadebusen berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4265 vervielfältigt.
Die heutige Tagesordnung ist zu erweitern durch die Erledigung der gestern nicht mehr behandelten Punkte 9, 11 und 12 der gestrigen Tagesordnung. Ich schlage Ihnen vor, daß wir die heutige Sitzung mit den Punkten 11 und 12 der gestrigen Tagesordnung beginnen, daß wir dann mit Punkt 1 der heutigen gedruckten Tagesordnung fortfahren und nach Punkt 1 den Punkt 9 der gestrigen Tagesordnung behandeln.
Außerdem habe ich das Haus zu bitten, damit einverstanden zu sein, daß als Punkt 7 nur die zweite Lesung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, FU eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen zur Förderung der deutschen Wirtschaft stattfinden soll. — Das Haus ist einverstanden. Dann ist die Tagesordnung so wie vorgeschlagen genehmigt.
Ich rufe auf Punkt 11 der gestrigen Tagesordnung als Punkt 1 der heutigen:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
betreffend Verurteilung des Berliner Journalisten Herbert Kluge in der sowjetischen
Besatzungszone .
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 7. März dieses Jahres hat die Hauptversammlung des Deutschen Journalistenverbandes eine Entschließung angenommen, die ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten hier verlesen darf:
Der Deutsche Journalistenverband hat mit Entrüstung von der Verurteilung des Journalisten Herbert Kluge zu 15 Jahren Zuchthaus in der sowjetischen Besatzungszone Kenntnis genommen. Dieses Urteil hat mit Recht und Gesetz nichts zu tun. Kluge wurde ins Zuchthaus gebracht, weil er in der Bundesrepublik und in Berlin über die Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone berichtet hatte. Jeder Journalist, der dasselbe tut, hat mit der gleichen Gefahr zu rechnen. Das ist ein unerträglicher Zustand, der jede freie Berichterstattung unmöglich macht. Der Deutsche Journalistenverband wendet sich deshalb an den Deutschen Bundestag und fordert die Abgeordneten auf, alle Maßnahmen zu treffen, um Kluge zu befreien und die freie journalistische Tätigkeit auf deutschem Boden zu sichern.
Meine Fraktion hat sich die Forderung der deutschen Journalisten zu eigen gemacht. Man mag vielleicht die Frage stellen, welche Veranlassung für den Deutschen Bundestag besteht, sich mit einem Einzelfall der sowjetzonalen Justizverfolgung zu befassen. Wir haben das in früheren Fällen getan und wir meinten, es heute wiederum tun zu sollen, nicht um eine bestimmte Person hervorzuheben und dabei andere zu übergehen — erst heute wieder melden die Zeitungen aus Leipzig ein Todesurteil und eine Reihe von Verurteilungen zu langjährigen Zuchthausstrafen —, sondern weil durch den Einzelfall die Aufmerksamkeit auf das tragische Schicksal der Vielen gelenkt werden muß und weil das, was durch die Statistik nicht ausgedrückt werden kann, durch das menschliche Einzelschicksal anschaulich gemacht werden muß.
Aber es geht hier noch um ein zweites: Der Fall Kluge hat seine besondere Bedeutung deswegen, weil hier ein Mann der Presse zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden ist. Ich stelle dabei ausdrücklich fest, daß das Berufungsverfahren vor dem obersten Gericht der Sowjetzone noch aussteht. Er ist also in erster Instanz zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden, weil er für westdeutsche Zeitungen über Verhältnisse in der Sowjetzone berichtet hat. Es geht in diesem Zusammenhang jetzt gar nicht darum, wie es mit der in der Verfassung der sogenannten DDR verankerten Pressefreiheit aussieht, es geht vielmehr darum, daß die Machthaber der Sowjetzone einen deutschen Bürger außerhalb des Gebiets der Sowjetzone verfolgen, weil sich dieser Bürger der in unserem Grundgesetz und in den Grundsätzen der Vereinten Nationen gesicherten Pressefreiheit bedient hat.
Der 52jährige Herbert Kluge war vor 1933 Berichterstatter für das „Berliner Tageblatt" in Lon-
don und Rom. Er wurde nach 1933 von der Berufsliste gestrichen. Nach seiner Rückkehr aus englischer Gefangenschaft war er 1947 kurze Zeit bei der „Berliner Zeitung" und später Mitarbeiter westdeutscher Blätter. Bis zuletzt war er auch als Berichterstatter bei den Ostberliner Stellen registriert. Am 19. Juni des vergangenen Jahres fuhr Kluge mit einem Interzonenautobus, dem sogenannten „Bayern-Expreß" aus Berlin ab. Er wurde in Stuttgart erwartet, wo seine einige Monate zuvor begonnene Mitarbeit beim Südfunk in festere Formen gebracht werden sollte. Aber er kam nicht so weit. Am Kontrollpunkt Juchhöh-Toepen wurde Kluge festgenommen. In seiner Aktentasche befanden sich Ausschnitte aus Tageszeitungen und Bewerbungsunterlagen, die dann im sogenannten Gerichtsverfahren gegen ihn verwandt wurden.
Am 23. August des vergangenen Jahres hat ein Beauftragter des Generals Tschuikow, der wahrscheinlich von den sowjetzonalen Stellen falsch unterrichtet worden ist, gegenüber dem amtierenden Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten behauptet, Kluge sei von den Behörden der DDR — ich zitiere — „wegen begangener Verbrechen auf diesem Territorium und wegen umstürzlerischer Bestrebungen, die gegen die Republik gerichtet sind", in Haft genommen. Das damals noch nicht aufgelöste sowjetzonale Informationsamt und der Generalstaatsanwalt in Ostberlin erklärten öffentlich und übereinstimmend, Kluge solle wegen angeblicher Spionage belangt werden, nicht wegen seiner journalistischen Tätigkeit in Westberlin oder in Westdeutschland. Die Anklage stützte sich auf den schwammigen Begriff der Boykotthetze, von der in Art. 6 der DDR-Verfassung die Rede ist, und sie stützte sich weiter auf Art. III A III der Kontrollratsdirektive Nr. 38.
Die Hauptverhandlung, die dann am 6. Februar dieses Jahres in Gera stattgefunden hat, ergab entgegen den früheren Behauptungen, daß die Vorwürfe gegen Kluge ausschließlich auf dessen journalistischer Tätigkeit beruhten. Ein auch nur andeutungsweise erfolgreicher Beweis für irgendwelche Spionagehandlungen konnte nicht geführt werden.
Kluge ist trotzdem unter effektiver Rechtsbeugung zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden.
Er hat mannhaft vor Gericht erklärt, daß er dieses Terrorurteil niemals annehmen werde.
Das vorliegende Material, vor allem auch die eingangs von mir zitierte Entschließung des Deutschen Journalistenverbandes, erscheint uns ausreichend, die Forderung auf sofortige Freilassung von Kluge zu erheben und, wie wir es in unserem Antrag tun, die Bundesregierung aufzufordern, die Alliierte Hohe Kommission um geeignete Schritte bei der Sowjetischen Kontrollkommission zu ersuchen. Wir möchten darüber hinaus, wie wir das in Punkt 3 unseres Antrags ausführen, daß sich der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen über die näheren Umstände dieses Falles und über das Schicksal anderer in die Zone verschleppter oder dort verurteilter Journalisten informiert und dem Bundestag schriftlich Bericht erstattet.
Vor mir liegt eine Liste, die der Presseverband Berlin vor einigen Monaten herausgegeben hat.
Auf dieser Liste befinden sich die Namen von 32 verschwundenen und verhafteten Journalisten.
Ich nenne aus dieser Liste vier Namen: Dieter Friede, Mitarbeiter des „Abend"; in den sowjetischen Sektor gelockt; zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt. Wolfgang Hansske, Mitarbeiter des „Tagesspiegel"; beim kommunistischen Putsch im September 1948 im Neuen Stadthaus in der Parochialstraße verhaftet, damals 21 Jahre alt, vom Militärtribunal in Potsdam zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt.
Die Strafe soll dann auf 15 Jahre herabgesetzt worden sein. Ich nenne Horst Vollrath, redaktioneller Mitarbeiter beim damaligen „Sozialdemokrat" in Berlin. Im Alter von 21 Jahren 1949 in der Wohnung seiner Mutter in Friedrichshagen verhaftet. Durch sowjetisches Militärtribunal zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt. Ich nenne Alfred Weiland, Journalist und Dozent an der Volkshochschule Schöneberg; im Alter von 44 Jahren im November 1950 in einem Kraftwagen in den Ostsektor verschleppt und seitdem verschollen.
Heute steht der Willkürakt gegen Herbert Kluge auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestags. Aber der Name von Kluge steht heute für all die vielen unschuldigen Opfer der Gewaltherrschaft. Wir sind ihnen allen verpflichtet: den Kriegs- und den Zivilgefangenen in den Gefängnissen der Sowjetzone und in den Lagern, die weiter im Osten zu suchen sind. Die Zeitungen waren in den vergangenen Tagen und Wochen voll von Meldungen darüber, daß möglicherweise neue Signale in der internationalen Politik zu vernehmen seien. Ich darf dazu folgendes bemerken: Meine politischen Freunde und ich wünschen nichts mehr, als daß sich Möglichkeiten einer Entspannung der internationalen Lage bieten möchten, und wir meinen, die deutsche Politik müßte aktiv und initiativ bestrebt sein, auf solche Möglichkeiten einzuwirken, unter der einen unabdingbaren Voraussetzung, daß es sich um Lösungsmöglichkeiten auf der Basis von Freiheit und Menschlichkeit handeln muß.
Lassen Sie mich diese Begründung damit schließen, daß ich sage: Es gäbe für diejenigen, die es angeht, kein geeigneteres Gebiet, die Bereitschaft zu einer neuen Deutschland-Politik ernsthaft zu erkennen zu geben, als das Gebiet der Polizei, der Justiz und der Gefangenenbehandlung.
Wer ein friedliches Zusammenleben der Völker will, der möge zumindest und zuerst den unschuldig Verurteilten und Festgehaltenen die Kerkertüren öffnen.
Ich bitte Sie namens meiner Fraktion um die Annahme des Antrags gemäß Drucksache Nr. 4194.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die
Redezeit auf 60 Minuten zu begrenzen. — Das Haus ist einverstanden.
Das Wort hat Bundesminister Kaiser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt den Antrag der Fraktion der SPD, der die Freilassung des von einem sowjetzonalen Gericht zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilten Westberliner Journalisten Herbert Kluge fordert. Seine Richter in Gera hatten ihm im Grunde nichts anderes vorzuwerfen, als daß er 1948 aus dem Bereich der Sowjetzone nach Westberlin gegangen war. Von Westberlin aus arbeitete Kluge für Zeitungen in der Bundesrepublik und für den Süddeutschen Rundfunk. Kluge hat sich weder als „Agent" noch als „Saboteur" betätigt. Aber, meine Damen und Herren, das sind ja immer wieder die Vorwürfe in sowjetzonalen Anklagen gegen alle diejenigen, die man als Gegner des sowjetzonalen Regimes verfolgt. Kluge hat lediglich von seinem ihm als Staatsbürger zustehenden Recht der freien Meinungsäußerung Gebrauch gemacht. Das bedeutet aber im Sinne der sowjetzonalen Rechtsprechung offensichtlich bereits „Boykotthetze", „Kriegshetze" und „Verbreitung von Völkerhaß". Auf Grund dieser von den Kommunisten völlig willkürlich ausgelegten Begriffe werden Tag für Tag in der Sowjetzone Unschuldige zu hohen Zuchthausstrafen oder gar zum Tode verurteilt. Wir haben es eben schon von Kollegen Brandt gehört: Gestern erst wurde in Leipzig ein Handwerksmeister unter anderem wegen angeblicher Boykotthetze zum Tode verurteilt, und sieben weitere Bürger erhielten langjährige Zuchthausstrafen.
Gegenüber der Willkür der Gerichte der Sowjetzone erscheint es aber beinahe sinnlos, die Frage nach Gesetz und Recht überhaupt zu stellen.
Die Verurteilung Kluges durch das Bezirksgericht in Gera zu 15 Jahren Zuchthaus ist nur e i n Willkürakt unter vielen, die für alle freien Menschen unfaßbar sind. Die Bundesregierung stellt fest: Das Urteil gegen Kluge ist ein erneuter Bruch des in der Sowjetzone verkündeten Rechtes. Kluge hat nicht in der Sowjetzone, sondern ausschließlich in West-Berlin und im Bundesgebiet gelebt und gearbeitet. Er ist auf dem Wege einer von West-Berlin aus unternommenen Fahrt nach Süddeutschland in der Sowjetzone aus dem Autobus herausgeholt und ins Gefängnis verbracht worden. Er ist auf Grund seiner Tätigkeit im freien Deutschland verurteilt worden. Es ist unwahr, meine Damen und Herren, daß Kluge gegen die sogenannte Deutsche Demokratische Republik gehetzt habe. Aber davon ganz abgesehen; es war auf jeden Fall krasseste Willkür, Kluge auf Grund von Gesetzen unter Anklage zu stellen, deren Geltungsbereich sich nur auf die sowjetische Besatzungszone erstreckt. Die Verteidigung von Kluge hat gegen das Urteil des Bezirksgerichts Gera Berufung eingelegt. Diese Berufung schwebt noch.
Die Bundesregierung wird den Hohen Kommissaren die Forderung des Bundestages auf Freilassung von Kluge unterbreiten und sie bitten, bei der Sowjetischen Kontrollkommission geeignete Schritte zu unternehmen. Die Bundesregierung wird dem Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen die näheren Umstände der Verhaftung und der Verurteilung Kluges mitteilen. Sie wird den Ausschuß über das Schicksal der übrigen in der sowjetischen Besatzungszone festgehaltenen Journalisten unterrichten, soweit sie auf Grund des ihr vorliegenden Materials dazu in der Lage ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Lemmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der sozialdemokratische Antrag findet selbstverständlich die volle Unterstützung meiner politischen Freunde. Er hat das Verdienst, dieses Einzelschicksal, wie es Kollege Brandt schon bezeichnete, hier in ein breiteres Licht der Öffentlichkeit zu rücken, weil es um einen grundsätzlichen Vorgang geht, nicht nur deshalb, weil es sich um einen in unserm Gebiet lebenden Journalisten handelt, der nichts anderes getan hat, als seinen beruflichen Pflichten nachgegangen zu sein. Es handelt sich — um das zweideutige Wort „berichtet" hier zu erläutern — nicht darum, daß sich dieser Journalist irgendwelche Nachrichten beschafft hätte, um sie an irgendwelche Stellen weiterzuleiten, sondern er hat als Journalist über das berichtet, was öffentlich zu berichten gewesen ist.
Aber . unter einem anderen Gesichtspunkt verdient dieser Vorgang ernsteste Beachtung. Ich darf darauf hinweisen, daß der Journalist Kluge mit einem ordentlich von einer Besatzungsmacht ausgestellten Interzonenpaß auf einem für den Interzonenverkehr von Berlin nach dem Westen vorgeschriebenen Wege gereist ist.
Ich kann nicht umhin, doch auch die Mitverantwortung aller Besatzungsmächte in diesem Augenblick einmal festzustellen, wenn sie es sich gefallen lassen, daß die von ihnen gestempelten und auf Grund von Vereinbarungen mit der Sowjetunion ausgestellten und unterzeichneten Interzonenpässe wie Fetzen Papier behandelt werden.
Ich meine deshalb, daß im Zeichen der Bemühungen, die zur Zeit in Berlin in verschiedenen Quartieren der vier Sektoren abwechselnd über die Ordnung des Luftkorridors stattfinden, die Verhandlungen der Westmächte mit der Sowjetunion mit dem Ziel, für die Zukunft Zwischenfälle auszuschalten, erweitert werden sollten, sobald sie im Speziellen zu einem Resultat gekommen sein sollten, um auch in den Landkorridorverkehr zwischen Berlin und dem Bundesgebiet Ordnung hineinzubringen.
Es muß aufhören, daß an der Schwelle des neunten Nachkriegsjahrs unschuldige und ehrliche Menschen aus rein politischen Gründen nach Willkür verhaftet und für Jahrzehnte ihrer Freiheit beraubt werden. Aus diesem Grunde möchte ich also
wiederholen und unterstreichen, daß der gegenwärtige Ost-West-Kontakt in Fragen des Luftkorridors zum Anlaß genommen werden sollte, den Verbindungsweg des westlichen Berlin nach dem Westen so zu sichern, wie es modernen Verkehrs-und Rechtsbedürfnissen entsprechen dürfte.
Lassen Sie mich ein letztes Wort sagen. Wenn wir Wert darauf legen müssen, daß dieser Fall Kluge — ich wiederhole alles das nicht, was vom Herrn Minister und von meinem Kollegen Brandt richtig gesagt worden ist — zum Anlaß genommen werden sollte, Maßnahmen zu erwirken, die eine Wiederholung solcher Fälle für die Zukunft ausschließen, dann, glaube ich, dürfen wir Deutsche noch ein allgemeines Wort daran knüpfen. Ich sprach von der Schwelle des neunten Nachkriegsjahrs. Man sollte meinen, daß es allerdings im neunten Nachkriegsjahr deutschen Menschen möglich sein sollte, sich in ihrer eigenen Heimat frei und sicher zu bewegen.
Wir haben geradezu das Menschenrecht zu vertreten, wenn wir auf die Unmöglichkeit der Zustände hinweisen, die seit 1945 in immer verschärfter Form eingetreten sind, so daß beispielsweise Kinder aus der Sowjetzone, wenn sie nicht zu den politisch Privilegierten gehören, keine Möglichkeit haben, etwa zum sterbenden Vater oder zur sterbenden Mutter in das Bundesgebiet zu reisen, weil ihnen der Interzonenpaß vorenthalten wird, während es umgekehrt, wenn Eltern im Bundesgebiet nun nach Jahren ihre Kinder in der Sowjetzone besuchen wollen, nur ein Zufall wäre, wenn sie das Glück haben sollten, nach monatelangem Warten ein Interzonenpapier zu erhalten. Ich finde, daß es unerträglich ist, wenn nun schon acht Jahre lang der Bruder nicht zur Schwester, das Kind nicht zum Vater, die Mutter nicht zur Tochter innerhalb des deutschen Gebietes fahren kann. Dagegen erheben wir in Verbindung mit dem Fall Kluge vor der Öffentlichkeit dieses Hohen Hauses feierlichen Protest.
Dieser Protest kann nicht mit politischen Einwänden zurückgewiesen werden. Wir kennen den tragischen Zwiespalt der Teilung unseres Vaterlandes in der Nachkriegssituation und die Entwicklung, die gefolgt ist. Aber dieser politische Zwiespalt rechtfertigt es nicht, daß es von Bonn aus leichter ist, die Möglichkeit zur Reise nach Buenos Aires zu erhalten als etwa von Braunschweig nach Magdeburg. Das sind unerträgliche Zustände. Wir wünschen, dieses furchtbare Urteil gegen den Berufsjournalisten Herbert Kluge möge dazu beitragen, die Aufmerksamkeit auf solche Zustände hinzulenken. Denken wir auch daran, daß erst vor vier Tagen ein 18jähriger Junge bei dem Versuch, illegal die Demarkationslinie bei Helmstedt zu überschreiten, erschossen worden ist.
Dieser Junge wollte vielleicht zu seinen Eltern und hatte nicht die Möglichkeit, einen Interzonenpaß zu bekommen. Gewiß hat er sich des Versuchs einer Gesetzesübertretung schuldig gemacht, indem er illegal die Grenze zu überschreiten suchte. Sorgen wir aber dafür, daß selbst Kinder nicht mehr
gezwungen sind, über solche Wege ihre natürlichen Menschenrechte wahrnehmen zu wollen!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Henn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion schließt sich dem Antrag, die Freilassung des Westberliner Journalisten Herbert Kluge zu fordern, vollinhaltlich und mit allem Nachdruck an. Wir sind auf das tiefste erschüttert über die Umstände, die zu Kluges Verhaftung und Verurteilung führten, wenn auch zahlreiche vorangegangene Fälle schon eindeutig den Weg bezeichneten, auf dem sich die sowjetische und in ihrem Gefolge die sowjetzonale Strafjustiz auf deutschem Boden zu bewegen gedenkt. Das Verfahren gegen Kluge ist auf Grund von Tatbeständen erfolgt, die wir nie und nimmer als Straftatbestände anerkennen können und anerkennen werden. Letzten Endes liegt ja der ganzen Aktion nichts anderes zugrunde als eine geradezu krankhafte Furcht vor jeder Form der öffentlichen Berichterstattung. Was müssen die Stellen, was muß das System alles zu vertuschen und zu verbergen haben, das derartige Gesichtspunkte zu einem wichtigen Faktor seines Denkens und seines Handelns macht. Wir haben schon keinerlei Verständnis dafür, wenn die sowjetischen Stellen in ihrem eigenen Lande dem selbstverständlichen Anspruch der Bevölkerung auf umfassende Unterrichtung schroff ablehnend gegenüberstehen. Was schlecht ist, muß auch als schlecht kritisiert werden können. Es ist geradezu grotesk, hieraus den Tatbestand der Spionage und Boykotthetze ableiten zu wollen. Wir müssen uns aber auf das schärfste dagegen verwahren, daß derartige Gesichtspunkte der sowjetischen Justiz unter Durchbrechung des Territorialprinzips auf deutsches Gebiet übertragen werden. Und wir haben nur Verachtung für die sowjetzonalen Dienststellen und Menschen, die sich willfährig zu Dienern dieses fremdländischen Rechtsempfindens machen. Es sind schon vor Kluge zahllose deutsche Menschen von den Sowjets und ihren sowjetzonalen Helfern ohne rechten Grund verhaftet und zu unmenschlich harten Strafen und langjähriger Haft verurteilt worden. Dieses Schicksal hat insbesondere eine ganze Anzahl Journalisten betroffen. Wir fordern für sie alle aus Anlaß des Falles Kluge eine Überprüfung der gegen sie ausgesprochenen Urteile. Wir fordern vor allem aber mit allem Nachdruck auch die Durchführung ordentlicher Gerichtsverfahren in allen Fällen, wo das nicht geschehen ist, und in diesem Zusammenhang die Nachprüfung der erhobenen Beschuldigungen. Wir fordern weiterhin dann auch als ein Mindestmaß von Menschlichkeit, daß die Angehörigen von Verhafteten und Verurteilten eine Nachricht, überhaupt eine Nachricht, über den Verbleib und das Schicksal der Verhafteten bzw. Verurteilten erhalten.
Es war vorhin davon die Rede, daß die sowjetischen Stellen ihre angebliche neuerliche Bereitschaft dokumentieren möchten. Solche Akte anderswo selbstverständlicher Humanität wären geeignete Sofortmaßnahmen.
Mit dem vorliegenden Antrag ist ein umfassender Komplex von Fragen angeschnitten, der dringend einer eingehenden Klärung bedarf. Meine Fraktion schließt sich deshalb auch der Forderung des Antrags an, daß dem Ausschuß für gesamt-
deutsche Fragen ein eingehender Bericht über das gesamte vorliegende Material erstattet wird.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Das Wort hat Herr Abgeordneter Fisch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst einige Bemerkungen zum Tatbestand.
Es steht fest, daß der Journalist Kluge in einem ordentlichen Gerichtsverfahren zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden ist. Offensichtlich aber bestehen unter den Initianten des vorliegenden Antrags Meinungsverschiedenheiten über die Gründe, die zu dieser Verurteilung geführt haben. Wer die Reden des Herrn Brandt und des Herrn Minister Kaiser aufmerksam verfolgt hat, konnte feststellen, daß beide ganz verschiedenartige „Begründungen" angegeben haben.
Ausgerechnet Herrn Kaiser blieb es vorbehalten,
zu behaupten, die Verurteilung sei erfolgt, weil Herr Kluge im Jahre 1948 nach West-Berlin gegangen sei. Niemand anders könnte es besser wissen als Herr Kaiser, wie falsch diese Behauptung ist. Herr Kaiser weiß nicht nur, daß jede Woche Hunderte von Menschen, die aus der Deutschen Demokratischen Republik geflüchtet sind, dorthin zurückkehren und keine Strafe erhalten.
Herr Kaiser weiß ebenso genau, daß das von ihm zitierte Urteil von Leipzig nicht wegen Boykotthetze erfolgt ist, sondern darum, weil hier in ausländischem Auftrag und mit ausländischen Mitteln große Mengen Lebensmittelkarten gefälscht und in Umlauf gebracht wurden, um die Versorgung der Bevölkerung zu gefährden. Herr Kaiser weiß nicht nur das alles sehr genau, er weiß auch sehr genau, daß die Verurteilung des Herrn Kluge nachgewiesenermaßen wegen Spionage für die westlichen Spionagedienste erfolgt ist.
Meine Damen und Herren,
es ist überall üblich, daß Spione verurteilt werden, wenn sie gefaßt werden. Wenn gewisse Regierungen daran interessiert sind, die von ihnen angestellten Spione, die hereingefallen sind, freizubekommen, geschieht das im allgemeinen auf andere Weise als auf eine solche marktschreierische Art, wie das hier versucht wird. Man bedient sich eines ruhigen, anständigen Tones, weil man weiß, daß der Spion ja schließlich nicht zu Unrecht verurteilt worden ist.
Aber, meine Damen und Herren, es ist doch offensichtlich: hier geht es gar nicht um den Fall Kluge, sondern darum, einen neuen Anlaß auszunützen, um eine Atmosphäre der Verhetzung, eine Atmosphäre des Hasses zu schaffen, um auf jeden Fall und von vornherein alle Versuche, zu einer Verständigung zu gelangen, mögen sie kommen, woher auch immer, zu stören und zur Unwirksamkeit zu verurteilen.
Zum Schluß noch ein Wort an den Herrn Kollegen Lemmer. Mir scheint, Herr Kollege Lemmer, Sie kommen nicht oft genug in die Bundesrepublik; Sie hätten sonst etwas anders sprechen müssen. Ich gehe mit Ihnen durchaus einig, wenn Sie darüber klagen, daß man so allerlei Schwierigkeiten über sich ergehen lassen muß, wenn man von Braunschweig nach Magdeburg fahren will. Sie sind aber offensichtlich nicht genügend über die Praxis hinsichtlich der Interzonenpässe auf der Seite des, wie Sie sagen, „freien Deutschlands" orientiert.
Andernfalls müßten Sie wissen, daß Tausenden von Menschen die Ausstellung von Interzonenpässen verweigert wird und daß ein Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, der im Besitze eines Interzonenpasses ist, in dem sogenannten freien Deutschland keineswegs vor der Verhaftung geschützt ist.
Sie mögen einmal Herrn Kaiser oder Herrn Lehr fragen, in wie vielen Fällen Besitzer eines ordnungsmäßigen Interzonenpasses auf dem Boden des sogenannten freien Deutschlands verhaftet worden sind.
Noch etwas. Sie sagen, es sei eine Schande, daß auf einen achtzehnjährigen Jungen geschossen worden sei. Wissen Sie denn nicht, Herr Lemmer, daß im Jahre 1951 der Grenzschutz und die Bereitschaftspolizei auf höchsten Befehl dieser Regierung in Hunderten von Fällen auf Jugendliche und Kinder geschossen haben, die den Versuch zur Überschreitung der Zonengrenze gemacht haben,
um an den Weltjugendfestspielen in Berlin teilzunehmen?
Kommen Sie zum Schluß!
Ein letztes, meine Damen und Herren. Sie sagen, man sollte, wenn man Beweise für die Verständigungsbereitschaft erbringen wolle, bei der Justiz und bei der Praxis der Polizei beginnen. Hier habe ich den Wortlaut eines Haftbefehls, der vom Amtsgericht München am 12. März dieses Jahres gegen einen wirklichen Journalisten, der keine Spionage betrieben hat, nämlich gegen den Journalisten Schumacher ergangen ist, der bei allen Behörden seit Jahren offiziell als Korrespondent für den Deutschen Demokratischen Rundfunk anerkannt und tätig ist. Er ist verhaftet worden als „dringend verdächtig", wie es heißt, „eines Vergehens, einen verfassungsverräterischen Nachrichtendienst und Beziehungen zu einer Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Strafgesetzbuches unterhalten zu haben". In der Begründung heißt es u. a.: „Schumacher hat Tonbandaufnahmen zur Verbringung an den so-
wjetzonalen Rundfunk versandt, die bestimmt und ihrem Inhalt nach geeignet sind, die Bundesrepublik als undemokratisch, freiheitsfeindlich und unsozial hinzustellen."
Meine Damen und Herren, hier wird nicht einmal, wie bei der bekannten Aktion „Vulkan" der Versuch gemacht, einen anständigen Menschen als Spion zu diffamieren; hier wird zugegeben: der Mann ist nichts anderes als ein ordentlicher Journalist. Er wird zugegebenermaßen deswegen verhaftet und unter die Anklage des Hochverrats gestellt.
Sehen Sie, Herr Lemmer, wenn Ihnen an der Bereinigung der Atmosphäre wirklich gelegen ist, wenn Sie dazu helfen wollen, aus der Welt zu schaffen, was einer Verständigung im Wege liegt, so beginnen Sie hier, wo Ihre Kompetenz sehr weitreichend ist. Sie können damit der Sache der Verständigung der Deutschen einen besseren Dienst tun, als wenn Sie sich derartigen Aktionen anschließen, die keinen anderen Zweck verfolgen, als Deutsche gegen Deutsche zu hetzen und Vorspanndienste für die amerikanische Politik zu leisten.
Das Wort hat der Abgeordnete Walter.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Zu dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion braucht kein Wort mehr gesagt zu werden. Es dürfte in diesem Hause niemanden außer den Heloten des Kremls geben,
der auch nur einen Augenblick daran denken könnte, einen solch berechtigten Antrag abzulehnen. Wir unterstützen ihn mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln und werden auch dafür sorgen, daß das, was hier gefordert wird, in die Tat umgesetzt wird.
Nun zu dem, was sich der Kommunist Fisch hier zu sagen erlaubte.
Da er für seine Auftraggeber gesprochen hat, mußte er versuchen, das zu verteidigen, was. sich drüben zeigt und was sich uns täglich durch unsere Flüchtlinge offenbart.
Zum Teil verteidigt er sich selbst mit; denn er weiß sehr gut, daß es nicht sehr lange zu dauern braucht, bis er auch dort sitzt. wo heute Herr Merker, Herr Dertinger und alle die Herren sitzen,
die für dieses System noch arbeiten und sich dafür einsetzen.
Wir haben im Laufe der wenigen Monate dieses
Jahres bereits weit über hunderttausend unserer
Brüder und Schwestern von drüben aufgenommen,
die das Leben drüben nicht mehr für lebenswert hielten. Die weit über hunderttausend Menschen fordern jeden Tag von uns, daß die Herren, die sich hier als Wortführer des dortigen Regimes aufführen, nach drüben geschickt werden,
daß sie dahin geschickt werden, wohin sie gehören.
Sie haben zumindest kein Recht,
von irgendeiner deutschen Tribüne aus zu deutschen Menschen sprechen zu dürfen.
Diese Herren haben dazu kein Recht.
Sie verraten jeden Tag, zu jeder Stunde und jeder Minute nicht nur die deutschen Interessen, sondern ihre eigenen deutschen Brüder.
Wenn sie noch etwas von Brüderlichkeit verstehen, — —
— Der kann sagen, was er will; solche Elemente können mich nicht beleidigen.
Diese Herrschaften erlauben sich bei jeder Gelegenheit, als die Verteidiger des Rechtes, als die Verteidiger der Menschlichkeit aufzutreten. Wo bleibt denn das Recht und die Menschlichkeit von dieser Seite her?
Wir brauchen gar nicht nach drüben zu gehen, um das System kennenzulernen.
Wir brauchen uns nur die Handlungen der Heloten dieses Systems hier anzusehen, die Sabotageakte und alles, was damit zusammenhängt,
um uns zu fragen, wie lange wir es uns noch gefallen lassen wollen, daß solche Heloten im Auftrage einer fremden Macht sich das Recht herausnehmen, an deutsche Menschen, an deutsche Arbeiter zu appellieren, die mit ihnen gar nichts zu tun haben wollen.
Wir sind daher der Meinung, daß es höchste Zeit ist, daß wir uns endlich zu dem bekennen, was die Vertriebenen jeden Tag fordern. Wir müssen auch von dieser Stelle aus die Verachtung gegenüber jenen Elementen zum Ausdruck bringen und müssen fordern, daß die Herrschaften drüben nicht nur täglich Phrasen dreschen, sondern ihre Hal-
tung durch Taten beweisen. Das, was sie als neue politische Richtung in die Welt hinausposaunen, können sie am besten durch die Tat beweisen, indem sie das wahrmachen, was hier gefordert wird: Freilassung unserer drüben zu Unrecht verurteilten Menschen und Anerkennung der Menschenrechte.
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Meine Damen und Herren! Es hat eine Zeit gegeben, in der die Kommunisten bemüht waren, eher die Sprache der Verfolgten und der Eingekerkerten zu sprechen als die der Verfolger und der Kerkermeister.
— Frau Kollegin, ich komme gerade — Sie geben mir ein sehr willkommenes Stichwort — mit einer Bemerkung auf den Herrn Oskar Neumann, der von Ihnen zitiert wird, zu sprechen. Ich habe vor mir eine kommunistische Zeitung, den „Nachtexpreß" vom 14. April, in dem unter der großen Überschrift „191 Tage hinter Gefängnismauern" geschildert wird, wie schlimm es Ihrem politischen Freund geht, der sich nun schon eine Reihe von Monaten, wenn diese Meldung richtig ist, im Gefängnis befindet.
Jetzt geben Sie mal — wenn Sie solche Widersprüche erklären können —
eine Erklärung für dieses Doppelzünglertum, das darin besteht, daß man sich auf der einen Seite über die 191 Tage ereifert und auf der andern Seite nicht in der Lage ist, auch nur noch einen Funken von Gefühl aufzubringen, wenn jemand seiner journalistischen Tätigkeit wegen für 5475 Tage ins Zuchthaus eingesperrt worden ist!
Andererseits glaube ich, daß es den Kollegen aus der kommunistischen Gruppe ähnlich wie manchen anderen von uns, die die Dinge verfolgt haben, ergeht, wenn sie einer Verlautbarung eine gewisse Bedeutung beizumessen geneigt sind, die am 6. April in der Moskauer „Wahrheit" veröffentlicht wurde. Da ist — im Zusammenhang mit Justizfragen und bestimmten Verfolgungen der Staatssicherheitsorgane — die Rede davon, daß sich manche Elemente auf den Weg des verbrecherischen Abenteurertums begeben hätten, daß sich solche Organe der Polizei und der Justiz selbst der direkten Fälschung von Anklagematerial schuldig gemacht hätten
und daß sie „die in unserer Verfassung niedergelegten unantastbaren Rechte der Sowjetbürger" in den Schmutz träten.
— Dieses „Ganz recht" sollte eben doch manchem Veranlassung geben, sich die Frage vorzulegen, ob nicht aus Verhafteten von heute manchmal auch sehr rasch Ankläger von morgen werden können, Herr Kollege Renner!
Im übrigen doch noch folgende Bemerkung. Der Antrag, über den hier gesprochen worden ist, wirft die Frage der politischen Strafverfolgung und der Behandlung politischer Gefangener auf. Er wirft aber auch — und da möchte ich nachdrücklich das unterstreichen, was der Kollege Lemmer hier vorgetragen hat — die Frage der gemeinsamen Verantwortlichkeit der vier Besatzungsmächte für den Verkehr zwischen den verschiedenen Zonen in Deutschland und insbesondere für den Verkehr zwischen Berlin und dem westlichen Bundesgebiet auf. Ich darf hier noch einmal darauf hinweisen, daß Herbert Kluge in einem Interzonenbus verhaftet wurde und daß zwei andere journalistisch oder, genauer gesagt, auf dem Gebiete der Filmberichterstattung tätige Männer vor einiger Zeit auch an einem Zonengrenzübergang verhaftet worden sind. Die Namen sind ebenfalls in dem Verzeichnis enthalten, aus dem ich vorhin nur einige Namen vortragen konnte. Es handelt sich um einen Herrn Heinz Tochtermann und einen Herrn Siegfried Rogge, die für eine ausländische Filmgesellschaft für Wochenschauen tätig waren. Sie sind auf diese Weise verhaftet und verurteilt worden, nicht etwa nur wegen der Aufnahmen, die sie zugelassenermaßen bei Veranstaltungen im Ostsektor von Berlin gemacht haben, sondern — ich habe hier die Urteilsbegründung vorliegen — verurteilt worden sind sie auch wegen Aufnahmen, die sie in Westberlin und z. B. in Watenstedt-Salzgitter gemacht haben, weil aus solchen Aufnahmen gefolgert wird, sie hätten sich damit einer Tätigkeit gegen die sogenannte Deutsche Demokratische Republik schuldig gemacht. Das sind eben Tatbestände dieser Art, die wir im einzelnen gerne noch weiter erörtert wissen möchten und über die wir dann einen möglichst soliden Bericht haben möchten.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hinweisen, daß der Vorsitzende des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen in diesem Hause, der Kollege Wehner, in der vergangenen Woche bei dem Versuch, eine Reihe konkreter Vorschläge für eine mögliche Lösung der erstarrten Fronten in der deutschen Frage zu skizzieren, die beiden Probleme des Verkehrs und der Gefangenenbehandlung sehr klar herausgearbeitet hat, indem er formuliert hat, daß die Zonengrenzsperren, die heute den freien Personen- und Güterverkehr zwischen West- und Mitteldeutschland sowie zwischen West- und Ostberlin hindern, auf jenes Maß zurückzuführen sind, das für eine normale Kontrolle notwendig ist, solange noch der Währungsunterschied zwischen westlicher und östlicher D-Mark besteht. Was die Gefangenen angeht, so hat
der Kollege Wehner in dem fünften Punkt seiner Vorschläge gesagt, der Empfang von Lebensmitteln zumindest, von Stärkungsmitteln und Medikamenten möge für alle Gefangenen in den sowjetzonalen Strafanstalten freigegeben werden. Man mag meinen, daß das sehr maßvolle und sehr bescheidene Forderungen sind, absichtlich sehr bescheiden gefaßte Forderungen, die aber darum um so ernster genommen und von allen in Frage kommenden ausländischen Mächten als ein eindringlicher Appell betrachtet werden sollten, in dieser das ganze deutsche Volk bewegenden Frage zu Lösungen zu gelangen.
Ich kann in diesem Augenblick nur noch einmal sagen, daß uns, ausgelöst durch das Problem Kluge und der anderen verhafteten, verschleppten und zu Unrecht verurteilten Journalisten, auch in dieser Stunde das Gefühl der Verbundenheit erinnern läßt an all die anderen Gefangenen und ihre Familien, deren Leid unser Leid ist. Alle Welt möge wissen, daß die Sache dieser Menschen unser aller Sache ist und bleiben muß.
Das Wort hat der Abgeordnete Neumann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns in diesem Hause ja schon des öfteren mit dem Problem der politischen Gefangenen zu beschäftigen gehabt. Aber sicher werden die Kolleginnen und Kollegen, die bei diesen Debatten anwesend waren, mit mir das Gefühl haben, daß Herr Fisch sich selten so unsicher auf dieser Tribüne bewegt hat, wie am heutigen Tag.
Es ist wohl doch sehr unangenehm, hier etwas vertreten zu müssen, was vom ganzen deutschen Volk als schlecht angesehen werden muß. Herr Kollege Renner, Sie glaubten durch Ihre Zwischenrufe feststellen zu müssen, wie schön es doch bei Ihnen in der Deutschen Demokratischen Republik ist und wie schlecht die Freiheit hier gewahrt wird. Der Herr Kollege Fisch hat ja darauf hingewiesen, und die Kollegin Strohbach hat auf Jupp Angenfort und die anderen Kämpfer hingewiesen, die in der Bundesrepublik in den Gefängnissen schmachten müssen. Ein deutliches Beispiel, meine Herren von den Kommunisten, möchte ich Ihnen doch nennen. Wir reden hier um den Journalisten Kluge, der in einem Geheimverfahren zu 15 Jahren — —
— Darauf möchte ich Ihnen gleich etwas sagen, Herr Kollege Renner. Sie hätten den Zwischenruf nicht machen sollen. — Hier reden wir um den Journalisten Kluge, der zu 15 Jahren verurteilt worden ist.
— Ja, sehen Sie, ich weiß es leider nicht. Ich habe zum erstenmal von Herrn Kollegen Fisch etwas absolut Positives erfahren, der sagte, daß er nachgewiesenermaßen wegen Spionage verurteilt worden sei.
— Ja, was in den Zeitungen steht! — Herr Kollege Fisch, vielleicht werden Sie uns einmal hier mitteilen, wo denn dieser Nachweis bisher geführt worden ist.
— Herr Renner, solche dummen Zwischenrufe müssen Sie doch nicht bei einem Menschen machen, der sich mit den Dingen etwas beschäftigt. Sie sind eben auch so unsicher. Sonst würden Sie nicht in dieser Form etwas sagen.
Gestatten Sie mir, einmal eines zu sagen — und damit will ich den Unterschied zwischen der Bundesrepublik und der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik aufzeigen —: In der „Deutschen Demokratischen Republik" ist der Journalist Kluge zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. In der Bundesrepublik sitzt der Journalist Gers t dort oben und kann seine Schmähartikel gegen uns loslassen.
Meine Herren von den Kommunisten, ich möchte Ihnen noch eines sagen. Wir mußten uns hier vor drei Jahren mit einem kommunistischen Antrag wegen der Freilassung des Landtagsabgeordneten Lehmann beschäftigen. Sie hatten bekanntlich einen Antrag eingebracht, der wunderbare Grundsätze über die Immunität der Abgeordneten enthielt. Damals ist der Abgeordnete Lehmann nach einer Woche aus britischer Haft entlassen worden. Damals, vor mehr als drei Jahren, hat der Herr Abgeordnete Fisch erklärt, daß er sich um das Schicksal des Berliner Abgeordneten Rüdiger sofort bemühen und mir Kenntnis geben würde, warum er verhaftet sei.
Bis zum heutigen Tage haben Sie in dieser Hinsicht noch nichts gesagt.
Meine Damen und Herren, ich möchte Herrn Fisch hier von der Tribüne des Bundestages an dieses Versprechen erinnern. Herr Lehmann ist damals nach einer Woche von den Briten entlassen worden.
Herr Rüdiger ist seit mehr als vier Jahren in Ihrer Haft, und er hat wegen des Besitzes einer Zeitung 25 Jahre bekommen.
Ich möchte zu dem Angebot, das die Kollegin Strohbach gestern an den Bundestag richtete,
die Bundestagskommission möchte doch in die DDR reisen, an folgendes erinnern. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat am 17. Oktober 1951 den Antrag einstimmig angenommen, den Berliner Abgeordneten Werner Rüdiger aus Anlaß seines 50. Geburtstages in Waldheim besuchen zu dürfen. Bisher ist — seit eineinhalb Jahren — immer nur die eine Antwort da, nämlich die, die Sie im „Neuen Deutschland" vom 20. Oktober 1951 nachlesen können:
Die Zuchthauszellen für Präsident Dr. Suhr und die Abordnung des Abgeordnetenhauses sind reserviert. Sie mögen nur kommen!
— Aber Frau Kollegin Strohbach, Sie sagen: „Das ist nicht wahr!" Gehen Sie in die Bibliothek des Deutschen Bundestages! Auf der Seite 2 links unten in der genannten Zeitung — ich habe es hier schon einmal zitiert — können Sie das feststellen, was ich soeben gesagt habe.
— Frau Kollegin Strohbach, reden Sie nicht solche unvorsichtigen Sachen! Ich bin bereit, aus dem gleichen „Neuen Deutschland" nachzuweisen,
daß, als Ihr Fraktionsvorsitzender Reimann inhaftiert wurde, seine Frau und die Delegationen ihn bereits am ersten Tage der Haft im Gefängnis besuchen konnten. Es besteht wohl ein kleiner Unterschied zwischen dieser Praxis und der der DDR, wo die Gefangenen seit Jahren ohne jeden Besuch sind.
Darf ich Ihnen noch etwas sagen, und diese Worte möchte ich gerade an den Kollegen Fisch richten. Nachdem wir hier die Debatte über Werner Rüdiger gehabt hatten, kam eine Kommission hoher Offiziere nach Waldheim und vernahm Werner Rüdiger erneut. Und Werner Rüdiger hat dann monatelang im Keller sitzen müssen!
Das ist die Praxis in der sogenannten „Demokratischen Republik".
Und nun noch ein Letztes. Herr Kollege Fisch, Sie haben mit der Feststellung geschlossen, daß hier eine „Atmosphäre der Verhetzung" geschaffen werden solle, um jede sich bietende Gesprächsmöglichkeit stören zu können. Herr Kollege Fisch und meine Herren von den Kommunisten, ich darf Ihnen, wie ich glaube, nicht nur im Namen der Sozialdemokraten sagen, daß wir wirklich in uns die Verpflichtung haben, uns immer wieder der politischen Gefangenen zu erinnern und immer wieder darauf hinzuweisen, daß diese armen Menschen zu uns zurückkommen müssen. Wenn Sie immer von Frieden reden, dann merken Sie sich: Friede wird erst sein, wenn Dieter Friebe, Kluge, Rüdiger und die anderen politischen Gefangenen wieder unter uns weilen können.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse abstimmen über den Antrag Drucksache Nr. 4194. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe angenommen.
Ich rufe auf Punkt 12 der gestrigen Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Solleder und Genossen betreffend Beschleunigung der wohnlichen Unterbringung der Sowjetzonenflüchtlinge durch Auftragsvergebung von Fertighäusern an die notleidende holzverarbeitende Industrie Ostbayerns .
Ich frage das Haus und die Antragsteller, ob nicht auf eine mündliche Begründung verzichtet werden kann.
Wird auf die mündliche Begründung verzichtet?
- Die Antragsteller verzichten; das Haus ist einverstanden. Ich frage das Haus weiter, ob es damit einverstanden ist, daß ohne Aussprache ein Beschluß gefaßt wird?
— Dann eröffne ich die Aussprache. Ich bitte um Wortmeldungen. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Redezeit auf 40 Minuten zu begrenzen. — Kein Widerspruch; das Haus ist einig.
Herr Abgeordneter Solleder, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin deshalb nicht von vornherein mit der Überweisung an einen Ausschuß einverstanden, weil ich mir vorstellen könnte, daß dieser Antrag allenfalls von dem Hohen Hause ohne weiteres angenommen werden könnte. Es handelt sich nämlich bei diesem Antrag um zwei außerordentlich wichtige politische Probleme: erstens darum, daß die neu einströmenden Sowjetzonenflüchtlinge möglichst bald wohnlich untergebracht werden sollen, und zweitens darum, daß diese Beschleunigung durch die Erstellung von Fertighäusern ermöglicht und herbeigeführt werden soll. Die Auftragsvergebung soll an die notleidende Holzwirtschaft Ostbayerns erfolgen. Beide Gesichtspunkte sind von den beiden zuständigen Ministerien, dem Bundeswohnungsbauministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium, bereits in Rundbriefen herausgestellt worden. Der Bundeswohnungsbauminister hat mit Rundbrief vom 24. Februar dieses Jahres etwa an die beteiligten Ressorts und an die Länder auf die Möglichkeit hingewiesen, die Beschleunigung der Unterbringung dieser Sowjetzonenflüchtlinge dadurch zu ermöglichen, daß auf die Erstellung von Fertighäusern zurückgegriffen wird. Bei der derzeitigen Wohnungsnot in der Bundesrepublik wäre damit zu rechnen, daß die in dieser Not in Massenquartieren untergebrachten Flüchtlinge noch für unabsehbare Zeit dort verweilen müßten. Es muß also ein politisches Bestreben sein, hier einen Weg zu schaffen, der es ermöglicht, diesen Leuten möglichst bald ein familiengerechtes Wohnen zu erlauben. Das sind diese Fertighäuser, die ja nach den heutigen Anforderungen zeitgemäß erstellt, dem Städte- und Landschaftsbild angepaßt werden können und mindestens eine Lebensdauer von 70 bis 80 Jahren haben. Nur so kann außerhalb des allgemeinen Wohnungsbauprogramms diese Möglichkeit verwirklicht werden. Ich glaube, daß
es daher angebracht ist, diese Bestrebungen des Wohnungsbauministers auch durch das Hohe Haus zu unterstützen.
Der zweite Gesichtspunkt, nämlich die Auftragsvergebung in die östlichen Grenzgebiete, ist in einem Runderlaß des Bundeswirtschaftsministers von Ende März ebenfalls zum Ausdruck gebracht warden. Darin heißt es, daß bei Vergebung öffentlicher Aufträge in erster Linie diese Gebiete an der Sowjetzonen- und an der tschechischen Grenze berücksichtigt werden sollen. Die Gründe sind klar. Sie wissen ja, daß durch den hermetischen Abschluß des Eisernen Vorhangs dort Handel und Wandel mehr oder weniger zum Stillstand gebracht worden sind, daß durch Verlagerung von Standorten ganz andere Wirtschafts- und Wettbewerbsbedingungen geschaffen wurden, daß dort teilweise neuralgische Punkte entstanden sind, die sich nicht etwa nur auf die unmittelbaren Grenzgebiete beziehen, sondern sich eben auf diesen ganzen Raum erstrecken, wo überall strukturelle Arbeitslosigkeit besteht, und daß hier von seiten des Bundes etwas geschehen muß.
In den verschiedensten Anträgen ist ja dieser Gesichtspunkt eingehend erörtert worden und dem Hause daher bekannt. Ich bitte deshalb zu erwägen, ob diese Bestrebungen der beiden Minister, die hier in diesem Antrag niedergelegt wurden, nicht auch ohne weiteres gleich vom Hohen Haus durch eine entsprechende Bewilligung des Antrags unterstützt werden könnten, damit nicht durch eine etwas langwierige Beratung in den Ausschüssen der Zweck dieses Antrages, nämlich die beschleunigte Durchführung der Unterbringung der Sowjetzonenflüchtlinge, vereitelt wird.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Wandersleb.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie die Antragsteller bereits in ihrem Antrag erwähnt haben, und wie der Herr Vorredner ja auch ausführte, hat der Bundesminister für Wohnungsbau in seinen Einsatzrichtlinien vom 28. Februar dieses Jahres, in denen die Bestimmungen über den Einsatz der Mittel zum Bau von Wohnungen für Sowjetzonenflüchtlinge niedergelegt sind, auf die Erstellung von Fertighäusern für diesen Zweck besonders hingewiesen, soweit solche Häuser kurzfristig lieferbar sind. Wir haben dann auch anschließend mit den Ländern darüber verhandelt, um die vielfachen Hemmnisse und Schwierigkeiten, die dem stärkeren Einsatz von Fertighäusern aus mancherlei Gründen entgegenstehen, ausräumen zu helfen. Wir haben weiter den vorliegenden Antrag bereits zum Anlaß genommen, die Länder noch einmal in diesem Sinne anzuschreiben.
Die Notlage der holzverarbeitenden Industrie in Ostbayern ist uns bekannt. Der Herr Vorredner hat ja auch bereits darauf hingewiesen, daß auf Beschluß der Bundesregierung der Bayerische Wald zum Notstandsgebiet erklärt worden ist. Die öffentlichen Aufträge sind bevorzugt in solche Gebiete zu geben. Wir haben auch die entsprechenden Beschlüsse der Bundesregierung den Erlassen, in denen die Mittel für die Sowjetzonenflüchtlinge an die Länder verteilt worden sind, wieder in Erinnerung gerufen und diese Bestimmungen den Erlassen im Wortlaut beigefügt.
Der Antrag auf Drucksache 4211 liegt somit ganz auf der Linie der Maßnahmen, die die Bundesregierung von sich aus eingeleitet hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Soweit dieser Antrag das Ziel hat, den Sowjetzonenflüchtlingen schnell und in erhöhtem Maße Unterkünfte zu beschaffen, stimmen wir ihm in vollem Umfang zu. Wir dürfen dieses Ziel aber nicht mit anderen Absichten verknüpfen, wie sie am Schluß dieses Antrags vorgebracht werden. Wenn wir das erste Ziel wirklich erreichen wollen, dürfen wir bei der Auswahl der Wohnungsbauten nur nach Zweckmäßigkeitsgründen vorgehen. Wir müssen in schärfster Form darauf sehen, daß wir nur diejenigen Häuser beschaffen, die mit den geringsten Mitteln den größtmöglichen Erfolg erbringen, wobei die Schnelligkeit der Beschaffung durchaus berücksichtigt werden soll. Insofern würde ich auch zustimmen, wenn ein erhöhter Einsatz von Holz-Fertighäusern in Frage kommen soll; aber immer nur dann, wenn dadurch nicht die Gesamtzahl der zu erstellenden Wohnungen beeinträchtigt wird.
Ich möchte aber noch auf den letzten Absatz Ihres Antrags zurückkommen. Die gesamte Holzhausindustrie in Deutschland ist notleidend aus gewissen Gründen, die vielleicht in der Unrentabilität solcher Häuser liegen. Infolgedessen können wir uns hier nicht auf die Einschränkung auf gewisse Gebiete einlassen. Vielmehr müssen wir, wenn wir innerhalb der Holzhausindustrie solche Häuser beschaffen wollen, darauf sehen, daß wir die zweckmäßigsten und günstigsten Angebote heranziehen. Die Hilfe für die besonders notleidende Industrie in Ostbayern muß dann auf anderem Wege gesucht werden, aber nicht auf Kosten der Beschaffung von Wohnungen für die Sowjetzonenflüchtlinge.
Ich bin deswegen der Meinung, daß wir diesen Antrag zunächst dem Ausschuß für Wohnungsbau überweisen, aber auch den Ausschuß für Wirtschaftspolitik mitbeteiligen sollten. Ich stelle die entsprechenden Anträge.
Das Wort hat der Abgeordnete Behrisch.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir stimmen dem Antrag selbstverständlich zu, weil er uns geeignet erscheint, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Hier bestünde tatsächlich die Möglichkeit, schnell wohnliche Unterkünfte zu schaffen, schneller noch, als es bei Steinbauten überhaupt der Fall sein kann; denn es handelt sich — das möchte ich betonen — nicht um eine Industrie, die Baracken erstellt. Wir wünschen keine Baracken für die Menschen; wir haben davon genug gehabt. Vielmehr handelt es sich um eine Industrie, die, etwa nach dem Vorbild der Schweden und Finnen, durchaus in der Lage ist, Wohnhäuser zu liefern, die serienmäßig hergestellt und rasch montiert werden können und infolgedessen auch schnell bezugsfertig sind.
Wir stimmen diesem Antrag, wie gesagt, zu, geben aber den Antragstellern eines zu bedenken. Der Herr Bundesminister für die Vertriebenen hat dem Kollegen Pohle auf eine Anfrage, die sich in
gleicher Richtung bewegte, am 2. März 1953 folgendes geantwortet:
Die Unterbringung in Notunterkünften und Wohnungen ist grundsätzlich Angelegenheit der Länder. Der Bund leistet Hilfe, indem er die Rechtsgrundlage für die Heranziehung von Grundstücken für die Benutzung von Notunterkünften bietet und einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung zusätzlicher Wohnungen leistet.
Im Schreiben des Herrn Bundesministers für die Vertriebenen wird also ausdrücklich betont, daß es sich hier um eine Angelegenheit der Länder handelt. Nun, dann wird der Herr Bundesvertriebenenminister — darum bitte ich — das an die rechte Adresse weitergeben, Herr Kollege Dr. Solleder.
Es wird gesagt: einen wesentlichen Teil des Geldes, und Sie sagen ja nun im Antrag, die Bundesregierung würde darauf hinwirken. Wir haben nichts dagegen, daß darauf hingewirkt wird; ich möchte aber die Bedenken meines Vorredners doch insofern im Hinblick auf die notwendige Fairneß so ausgelegt wissen, daß man tatsächlich berücksichtigen sollte, ob man nicht der gesamten holzverarbeitenden Industrie, ganz gleich, wo sie ihren Standort hat, hier einmal zu einem kräftigen Auftrag verhelfen könnte und ob hier nicht die Chance besteht, dieser ganzen Industrie im Bundesgebiet etwas Luft unter die Flügel zu schaffen.
Das Wort hat der 3) Abgeordnete Gerstenmaier.
— Er verzichtet. Das Wort hat der Abgeordnete Solleder.
Soweit dem Antrag nicht ohne weiteres stattgegeben werden sollte, bitte ich, ihn allenfalls lediglich an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß zu überweisen.
Wollen Sie das Wort haben? Dann begründen Sie es bitte von der Tribüne aus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, dem Antrag des Vorredners von der FDP stattzugeben, den Antrag federführend dem Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen und zur Mitberatung dem Wirtschaftsausschuß zu überweisen.
Herr Gerstenmaier!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin mir bewußt, daß es sich hier nicht nur um ein bayerisches Problem handelt. Ich widerspreche meinem verehrten Kollegen Solleder nicht, wenn ich der Meinung Ausdruck gebe, daß hier ein Probelm angeschnitten wird, das über Bayern hinaus der ernsten Beachtung dieses Hauses wirklich wert ist.
Meine Damen und Herren, ich erlaube mir, nur zwei Zahlen in Ihre Erinnerung zu rufen. Wir haben bis zu diesem Augenblick rund 400 000 sogenannte Altflüchtlinge in den alten Massenlagern sitzen. Von diesen sind vielleicht 30- bis 40 000 sogenannte DPs. Es ist des Schweißes der Edlen wert, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie diese Massenlager endlich einmal aufgeräumt werden können.
Ich weiß, daß das nicht sehr aktuell ist in einer Zeit, in der man immerhin noch täglich tausend Neuzugänge an Ostzonenflüchtlingen hat. Trotzdem, das Problem steht, und ich bin der Meinung, daß wir nunmehr so weit sind, daß wir uns den Kopf darüber zerbrechen sollten, mit welchen Mitteln neben dem Ersten Wohnungsbaugesetz dieser Situation, die auf die Dauer unhaltbar ist, zu Leibe gerückt werden kann. Ich sehe in dem Antrag des Herrn Kollegen Solleder einen Hinweis, wie es geschehen könnte, und ich möchte jedenfalls insoweit, als der erste Teil des Antrags zur Debatte steht — nämlich die Herstellung von Fertighäusern —, diesem Antrag zustimmen.
Hinsichtlich der besonderen Anregung bezüglich Ostbayerns bin ich der Meinung, daß man dem Antrag insoweit folgen sollte, als da ein besonderer Notstand besteht. Ich könnte mir allerdings denken, daß das, was der Herr Kollege von der Sozialdemokratie hier dargelegt hat, auch für einige andere Teile des Bundeslandes gilt und daß man diese auch entsprechend berücksichtigen sollte.
Ich glaube, daß das ganze Problem im Rahmen des Flüchtlingsproblems gesehen werden muß. Ich bin sonst in diesem Hause nicht für Komplikationen. In diesem Fall empfehle ich jedoch, den Antrag auch an den Flüchtlingsausschuß mit zu überweisen. Ich glaube, daß das Problem im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsproblem diskutiert werden muß. Ich beantrage deshalb, daß der Antrag nicht nur an den Wiederaufbauausschuß und den Wirtschaftsausschuß, sondern auch an den Flüchtlingsausschuß überwiesen wird.
— Ich korrigiere mich selber, nehme die Korrektur meines Freundes Schoettle auf und sage: Ausschuß für Heimatvertriebene.
Meine Damen und und Herren, ich glaube, wir können nunmehr abstimmen. Einverständnis besteht wohl darüber, daß, wenn an mehrere Ausschüsse überwiesen werden sollte, der Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen federführend sein sollte.
— Kein Zweifel darüber.
Ebenfalls besteht Einverständnis darüber, nehme ich an, daß der Antrag an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik verwiesen wird.
Zweifel bestehen darüber, ob außerdem an den Ausschuß für Heimatvertriebene verwiesen werden
soll. Darüber müssen wir abstimmen. Wer für Verweisung auch an diesen dritten Ausschuß ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Letzteres ist ohne Zweifel die Mehrheit; der Antrag ist also insoweit abgelehnt. Der Antrag ist damit an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als mitberatenden Ausschuß überwiesen.
Damit können wir in die heutige Tagesordnung eintreten, und zwar in die gedruckte Tagesordnung von heute. Ich rufe auf Punkt 1:
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Aufhebung von Preisvorschriften auf dem Gebiete des Grundstücksverkehrs .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, für die Begründung 15 Minuten vorzusehen und die allgemeine Aussprache auf 60 Minuten zu beschränken.
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage hat der Abgeordnete Jacobi.
Jacobi , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der SPD-Fraktion, die Ihnen als Drucksache Nr. 4192 vorliegt, will die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses auf bereits eingeleitete und beabsichtigte weitere Maßnahmen des Bundeswirtschaftsministeriums hinlenken, die die Tendenz haben, die Preisbindungen für Grundstücke aufzuheben oder wesentlich zu lockern, ohne das Parlament an derartigen Entscheidungen zu beteiligen. In diesem Hause, das sich zu unzähligen Malen mit Fragen des Wohnungsneu- und -wiederaufbaues beschäftigt hat, bedarf es wohl nur eines kurzen Hinweises darauf, von welcher Bedeutung die Bodenpreise für die Weiterführung besonders des sozialen Wohnungsbaues sind. Andererseits kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Mittel und Wege gesucht werden müssen, um zu einer wirklichkeitsnahen Auflockerung allzu starrer Preisbindungen zu kommen.
Die Ausschüsse, die dieses Haus für Wiederaufbaufragen und für Fragen des Bau- und Bodenrechts eingesetzt hat, haben sich bei den verschiedensten Beratungen Mühe gegeben, die Problematik, die mit dem Preisstopp verbunden ist, zu erkennen. Demnächst wird sich bei der Vorlage des Baulandbeschaffungsgesetzes zeigen, daß die erwähnten Ausschüsse diesen Fragen ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben; denn bei diesem Baulandbeschaffungsgesetz bildet naturgemäß die Entschädigungsregelung einen wesentlichen Punkt.
Die Tatsache aber, daß dieses Gesetz das Plenum demnächst beschäftigen wird, ist mit ein Grund für meine Fraktion gewesen, die Große Anfrage zu stellen; denn das erwähnte Gesetz bietet die Möglichkeit, die mit der Preisbindung im Zusammenhang stehenden Fragen im Parlament zu erörtern und einer Lösung entgegenzuführen, ein Weg, der bei der Bedeutung der Materie sicherlich wünschenswerter und rechtsstaatlich erfreulicher als eine Verordnungsregelung ist.
Die Bundesregierung ist bisher unter Umgehung des Parlaments den zweiten Weg gegangen. Dies ist unter anderem bei der Preisrechtsverordnung Nr. '75/52 vom 12. Dezember 1952 geschehen, durch die unter anderem die Preisvorschriften für den Verkehr mit bebauten und Trümmergrundstücken aufgehoben worden sind. Dabei hat sich die Bundesregierung, wie ein Jahr vorher bei der Preisrechtsverordnung Nr. 71, auf den Standpunkt gestellt, daß sie ermächtigt sei, derart weitgehende Maßnahmen im Verordnungswege zu treffen.
Ich habe seinerzeit, in der 180. Sitzung des Bundestags auf die rechtliche Bedenklichkeit dieser Auffassung bereits hingewiesen. Die von mir damals vorgetragenen Argumente sind in sich bis in diese Tage hinziehenden Betrachtungen in Rechtslehre und Rechtsprechung vertieft worden. Die Zweifel an der Rechtsgültigkeit der erwähnten Verordnungen wurden dabei in keiner Weise ausgeräumt, sie sind vielmehr verstärkt aufgetreten. Die Bundesregierung stützt ihre Verordnungspraxis in den hier berührten Fällen auf das Preisgesetz. Demgegenüber ist festzustellen, daß die im Preisgesetz ausgesprochene Ermächtigung keineswegs die Änderung bestehender Gesetze oder gesetzesvertretender Verordnungen im Verordnungswege gestattet. Die Verordnung PR Nr. 75/52' aber ändert drei Verordnungen, die materiell und formell gesetzesvertretende Verordnungen sind, nämlich die Preisstoppverordnung, die Geboteverordnung und die Verordnung über die Rechtsfolgen von Preisverstößen im Grundstücksverkehr. Wenn es stimmt, daß eine neue Verordnung erwogen wird — und wir haben Grund zu dieser Annahme —, die weitere Lockerungen der Grundstückspreise vorsieht, dann würde auch hier das an rechtlichen Bedenken gegenüber einer solchen Verordnung geltend gemacht werden müssen, was gegenüber der Verordnung Nr. 75 von uns erklärt werden muß.
Eine Regierungsverordnung ist nicht möglich, die in dieser Weise gesetzesvertretende Verordnungen aufhebt oder ändert. Dies gilt, gleich wie man das Preisgesetz beurteilt.
Es gibt einen Standpunkt — er mag vertretbar sein —, der dartut, daß das Preisgesetz trotz seiner mehrfachen Verlängerungen durch den Bundestag als vorkonstitutionelles Gesetz zu behandeln ist und daß demgemäß die Ermächtigung aus Art. 129 Abs. 3 des Grundgesetzes als erloschen gilt.
Der wohl zutreffende Standpunkt ist, daß das Preisgesetz wegen seiner mehrfachen Verlängerungen durch den Bundestag als nachkonstitutionelles Gesetz behandelt werden muß. Dann aber folgt die Unwirksamkeit der Ermächtigung unmittelbar aus Art. 80 des Grundgesetzes. Selbst wenn aber die im Preisgesetz enthaltene Ermächtigung als mit den genannten Artikeln, also Art. 80 und 129 des Grundgesetzes, vereinbar angesehen werden sollte, so ist die Ermächtigung insoweit beschränkt, als die Mitwirkung des Bundestags als' des Rechtsnachfolgers des Wirtschaftsrats erforderlich ist, wenn die getroffene Regelung eine grundlegende Bedeutung für den gesamten Preisstand hat. Dies aber ist der Fall.
Durch die Zusammenhänge zwischen der Preisbildung für Baugrundstücke und den zum Teil freigegebenen Mieten wird sich bereits die Verordnung Nr. 75/52 in jedem Fall, wenn auch nicht
schlagartig, so doch bald erkennbar auf den allgemeinen Preisstand auswirken. Diese Auswirkungen werden sich im Falle der beabsichtigten neuen Verordnungen erheblich verschärfen; denn alsdann ist das ganze bisherige Gefüge der Bodenpreise ausgehöhlt. Im Schnitt werden alsdann diese Bodenpreise eine Steigerung von mindestens 50 % erfahren. Daß dies nicht ohne Einfluß auf den gesamten Preisstand sein wird, bedarf keiner besonderen Hervorhebung. Solche Maßnahmen aber müssen wegen ihrer Bedeutung dem Parlament überlassen bleiben; zumindest aber muß, wenn der Verordnungsweg gewählt wird, die Zustimmung des Parlaments eingeholt werden. Dies sei in rechtlicher Hinsicht zur Begründung der Ziffern 1 und 2 der Großen Anfrage ausgeführt.
Nun ist über das inzwischen Verordnete hinaus einiges mehr geschehen. So hat das Bundeswirtschaftsministerium u. a. durch einen Erlaß vom 19. Februar 1953 die Preisbehörden ermuntert, auch für unbebaute Grundstücke Preiszuschläge bis zu 50010 zuzulassen. Die Preisbehörden werden veranlaßt, Ausnahmeregelungen gleichsam zum Regelfall zu machen. Das aber ist ein klarer Gesetzesverstoß, denn eine Ausnahmegenehmigung kann niemals dahin gehen, daß sie allgemein und für alle Fälle geltendes Recht schafft. So kann nicht im Wege der Ausnahmegenehmigung für alle Grundstücke festgelegt werden, daß die heutige Widmung an die Stelle der gesetzlich festgelegten Verbindlichkeit der Widmung zum Stichtage gesetzt wird. Daß diese Auslegung — mag man innerlich zu ihr stehen, wie immer man will — nicht im Wege der Ausnahmegenehmigung Rechtens praktiziert werden kann, geht übrigens auch aus dem Eingeständnis hervor, daß das Bundeswirtschaftsministerium den Erlaß einer den Tatbestand regelnden Verordnung für erforderlich hält.
Das Bedenklichste an der durch das Bundeswirtschaftsministerium geförderten Praxis aber ist, daß auf diese Weise bereits jetzt ein Zustand geschaffen werden soll, dem dann schließlich eines Tages die Rechtsregelung nur noch als die Legalisierung einer durch die Verwaltung längst verwirklichten Tatsache folgen kann. Hier liegt ein Fall vor, der nicht ernst genug betrachtet werden kann. Es zeigt sich wieder einmal, daß sich Regierung und Verwaltung bemühen, eine bestimmte der Volksvertretung zustehende Entscheidung nicht nur vorwegzunehmen, sondern schließlich dem Parlament aufzuzwingen. Regierung und Verwaltung aber sind gehalten, die Gesetze zu vollziehen. Eigenes Ermessen steht ihnen nur dort zu, wo es gesetzlich gestattet ist.
Das sind rechtliche Bedenken. Es kommen aber auch tatsächliche hinzu, die ich ganz kurz hier darlegen muß. Die beabsichtigte Regelung ist in höchstem Maße unzweckmäßig. Was die soziale und wirtschaftspolitische Auswirkung auf den allgemeinen Preisstand anlangt, so ist darauf bereits hingewiesen worden. Ergänzend ist zu sagen, daß die Bodensperre durch die Monopolstellung des Grundbesitzers nun wieder voll zum Tragen kommen wird.
Ein weiterer, sehr ernster Gesichtspunkt ergibt sich aus den mit Sicherheit vorauszusehenden Steigerungen der Gesamtkosten im sozialen Wohnungsbau. Im Falle der Realisierung der bekanntgewordenen Absichten des Bundeswirtschaftsministeriums wird im übrigen das jetzt seit Jahren beratene und demnächst hier in zweiter und dritter Lesung anstehende Baulandbeschaffungsgesetz immer problematischer. Die Bemühungen, eine im Interesse des Wohnungsbaues tragbare Entschädigungsregelung zu finden, werden möglicherweise gegenstandslos. Der Anknüpfungspunkt für eine wohl von allen Parteien angestrebte Abschöpfung des unverdienten Wertzuwachses wird vernichtet. Dabei ist — um Mißverständnisse auszuschalten! — auch unsererseits nicht daran gedacht, die unechte nominale Wertsteigerung durch die Veränderung des inneren Währungswertes abzuschöpfen. Wohl aber müssen die Veränderungen erfaßt werden, die sich aus den Widmungsänderungen ergeben. Ich brauche dazu im Augenblick keine besonderen Ausführungen zu machen. Wir werden demnächst bei der Beratung des Baulandbeschaffungsgesetzes auf die Problematik und Bedeutung dieser Frage noch eingehend zu sprechen kommen.
Es sind also ernste Bedenken, die meine Fraktion veranlaßt haben, die Große Anfrage einzubringen. Wir sind gespannt darauf, was der Herr Bundeswirtschaftsminister uns als Antwort zugedacht hat. Zu wirtschaftspolitischen Fragen, die damit in Verbindung stehen, werden wir in der Aussprache im einzelnen noch Stellung nehmen.
Zur Beantwortung der Großen Anfrage hat das Wort der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der SPD wegen Aufhebung von Preisvorschriften auf dem Gebiete des Grundstücksverkehrs beantworte ich wie folgt:
Die Frage 1 lautet:
Woraus leitet die Bundesregierung die Ermächtigung her, bestehende Gesetze oder gesetzesvertretende Verordnungen, wie dies im Falle der Preisverordnung 75/52 geschehen ist, im Verordnungswege zu ändern?
Die Verordnung 75/52 greift in bestehende Gesetze überhaupt nicht ein. Sie greift aber auch nicht in Verordnungen ein, die als gesetzesvertretend bezeichnet werden können. Sie beseitigt das Preiserhöhungsverbot für bebaute und Trümmergrundstücke und schränkt damit die Preisstoppverordnung ein. Daß die Preisstoppverordnung keine gesetzesvertretende Rechtsverordnung ist, ist bereits obergerichtlich entschieden worden. Das gleiche gilt für den durch die Verordnung 75/52 geänderten § 1 der Verordnung vom 7. Juli 1942, da dieser lediglich der Sicherung des Preiserhöhungsverbots diente. Das darin bestimmte Verfahren zur Erlangung einer preisrechtlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung kann nach der Freigabe der Preise für bebaute Grundstücke und Trümmergrundstücke auf diese nicht mehr angewandt werden. Dem § 4 der Verordnung kommt daher keine materielle, sondern nur eine klarstellende Bedeutung zu. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob und inwieweit auf Grund alter Ermächtigungen Abänderungen von sogenannten gesetzesvertretenden Verordnungen möglich sind.
Die zweite Frage lautet:
Besteht die Absicht, durch eine Rechtsverordnung den Preisstopp auch für unbebaute Grundstücke zu lockern oder aufzuheben?
Ich nehme dazu wie folgt Stellung. Eine Aufhebung des Preisstopps für unbebaute Grundstücke ist für den gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in Aussicht genommen. Sobald das Baulandbeschaffungsgesetz verkündet sein wird, werde ich erneut prüfen, ob und in welcher Form eine Auflockerung des Preiserhöhungsverbots erfolgen kann.
Wie ich bereits bei der Beantwortung der mündlichen Anfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Becker in der 235. Sitzung des Deutschen Bundestages am 23. Oktober 1952 ausgeführt habe, wird eine Auflockerung der Preisvorschriften für Bauland davon abhängig zu machen sein, daß Erschwernisse des Wohnungsbaus, insbesondere des sozialen Wohnungsbaus, nicht eintreten dürfen. Ich habe des weiteren in der gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse für Wiederaufbau und Wohnungswesen und für Bau- und Bodenrecht am 8. Januar 1953 dargelegt, daß eine Freigabe der Preise für unbebaute Grundstücke nicht beabsichtigt sei. Nach der Freigabe der Preise für bebaute Grundstücke und Trümmergrundstücke durch die Verordnung PR Nr. 75/52 vom 28. November 1952 habe ich daher zunächst ein wissenschaftliches Forschungsinstitut damit beauftragt, periodisch die Entwicklung der Verhältnisse auf dem Grundstücksmarkt zu ermitteln. Eine weitere Auflockerung der Preisvorschriften wird von dem Ergebnis dieser Untersuchung abhängig zu machen sein.
Nach § 7 des Entwurfs eines Baulandbeschaffungsgesetzes in der Fassung vom 17. Februar 1953 ist zwar bei der Ermittlung des Wertes eines von der Enteignung betroffenen Grundstücks von den Wertverhältnissen am 17. Oktober 1936 auszugehen; jedoch sind die seitdem eingetretenen Änderungen in den Wertverhältnissen zu berücksichtigen, soweit es sich nicht um Werterhöhungen infolge einer Änderung der Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks handelt. Damit haben die Ausschüsse für Wiederaufbau und Wohnungswesen und für Bau- und Bodenrecht des Deutschen Bundestags für das Gebiet der Enteignungsentschädigung bereits grundsätzlich anerkannt, daß Wertveränderungen infolge einer Änderung der Kaufkraft seit dem 17. Oktober 1936 zu berücksichtigen seien.
In der Begründung zu § 7 des Entwurfs in der Fassung vom 1. März 1952 wird wörtlich ausgeführt:
Die Änderung der Wertverhältnisse bei Grundstücken gegenüber dem Stande vom 17. Oktober 1936 kann neben Umständen, die sich auf das Grundstück selbst beziehen, in erster Linie auf Änderung der inneren Kaufkraft des Geldes beruhen, während Werterhöhungen infolge von Änderungen der Nutzungsmöglichkeiten nicht berücksichtigt werden sollen.
Für die Berücksichtigung der allgemeinen Wertveränderungen liegen eindeutige Maßstäbe nicht vor. Ein Preisindex für Güter und Leistungen der gewerblichen Wirtschaft oder der Ernährungs- und Landwirtschaft kommt als solcher nicht in Betracht. Auch von den Kostensteigerungen kann nicht ausgegangen werden, weil solche bei Grundstücken in nennenswertem Umfang nicht eingetreten sind. Es kann aber die Veränderung der Wechselkurse der Mark im Verhältnis zum Dollar seit 1936 in Betracht gezogen und die durchschnittliche Erhöhung der Stopppreise für Grundstücke berücksichtigt werden.
Auch die Anfragenden haben durch einen Vorschlag zu § 7 des Baulandbeschaffungsgesetzes laut Kurzprotokoll über die Sitzung selbst zu erkennen gegeben, daß sie Kaufkraftzuschlägen zustimmen würden, indem sie für § 2 Abs. 2 folgende Formulierung vorgeschlagen haben — ich zitiere wörtlich —:
Zu diesem Betrag ist ein durch Rechtsverordnung allgemein festzulegender Zuschlag zu gewähren, der der Veränderung der Kaufkraft der Währungseinheit im Verhältnis zwischen dem Zeitpunkt der steuerlichen Grundstücksbewertung und der Enteignung entspricht. Dieser Zuschlag darf x vom Hundert nicht überschreiten.
Wenn ich auch das Ausmaß solcher Erhöhungen, das in den Ausschüssen mit etwa 662/3% angegeben wurde, noch nicht für genügend geklärt halte, so beabsichtige ich jedenfalls, im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Baulandbeschaffungsgesetzes dieser Frage auch für den normalen Grundstücksverkehr näherzutreten. Es wird dazu einer Rechtsverordnung bedürfen. Ich gehe hierbei davon aus, daß mit einer Verabschiedung des Baulanabeschaffungsgesetzes in absehbarer Zeit zu rechnen ist.
Frage 3 der Anfrage:
Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß die allgemeine Zulassung von Übschreitungen der Stopppreise für Bauland gesetzwidrig ist?
Die Antwort lautet: Die allgemeine Zulassung der Überschreitung von Stopppreisen ist nicht gesetzwidrig, wenn sie durch Rechtsverordnung erfolgt. Das ergibt sich aus der Beantwortung zu Frage 1. Die Anfrage ist aber nicht so abstrakt gemeint, sondern hat zwei konkrete Maßnahmen zum Gegenstand, einmal die Berücksichtigung von Werterhöhungen infolge von Veränderungen der Nutzungsmöglichkeiten seit dem 17. Oktober 1936, den sogenannten Widmungsänderungen, und den eingangs der Anfrage zitierten Erlaß vom 19. Februar 1953. Beide Maßnahmen stellen aber überhaupt keine allgemeine Zulassung von Überschreitungen der Stopppreise für Bauland dar.
Die Berücksichtigung sogenannter Widmungsänderungen, d. h. von Veränderungen der Nutzungsmöglichkeiten, z. B. infolge einer Änderung der baulichen Ausnutzbarkeit eines Grundstücks seit dem 17. Oktober 1936, ist keine Auflockerung des Preiserhöhungsverbots. Der Begriff des Stopppreises bei Grundstücken hat vielmehr von jeher auch das Verhältnis von Preishöhe und jeweiliger Nutzungsmöglichkeit eines Grundstücks zum Inhalt. In dieser Weise ist der Begriff des Stopppreises bereits in Zeiten der vollständigen Preisbindung verstanden worden. Ich bin in der Lage, an Hand zahlreicher früherer amtlicher Verlautbarungen nachzuweisen, daß solche Widmungsänderungen seit jeher berücksichtigt worden sind. Es handelt sich daher nicht um eine Auflockerung des Preiserhöhungsverbots für unbebaute Grundstücke, sondern um die richtige Anwendung des Stopppreisbegriffes.
Sinn, Zweck und Inhalt des Erlasses meines Hauses vom 19. Februar 1953 sind von den Anfragenden gründlich mißverstanden worden. Dieser Erlaß ist an die Preisbildungsstellen der Länder ge-
richtet und befaßt sich mit der Zusammenarbeit der Grundstückspreisbehörden mit den Finanzämtern in Zusammenhang mit der künftigen steuerlichen Einheitsbewertung des Grundvermögens, hat also mit der derzeitigen Grundstückspreispolitik nichts zu tun. Er stellt überdies nur eine Empfehlung an die zuständigen obersten Landesbehörden dar, beinhaltet jedoch nicht eine übrigens mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarende Weisung.
Im einzelnen ist zu dem Erlaß folgendes zu bemerken:
a) Ebenso wie die Finanzämter durch den Bundesfinanzminister angehalten werden, zur Vorbereitung der Einheitsbewertung Richtpreiskarteien für die Grundstücke aufzustellen, wird den unteren Verwaltungsbehörden, den Grundstückspreisbehörden, im Rahmen dieser Zusammenarbeit mit den Finanzämtern empfohlen, zur Vorbereitung der in Aussicht genommenen Neuregelung der Preisbildung für Grundstücke für den internen Verwaltungsbereich auch dort Richtpreispläne aufzustellen, wo diese bisher nicht vorhanden waren. Es handelt sich daher zunächst nur um eine vorbereitende Maßnahme für den Fall einer künftigen Neuregelung der Grundstückspreise.
b) In diesen Richtpreisplänen, die sich also auf die derzeitige Grundstückspreisbildung nicht auswirken, sollen die Widmungsänderungen seit dem 17. Oktober 1936 berücksichtigt werden.
c) Soweit in dem Erlaß weiter noch zum Ausdruck kommt, daß die Absicht bestehe, im Rahmen der Neuregelung auch allgemeine Preiszuschläge für Bauland zuzulassen, verweise ich auf meine Antwort zur Frage 2. Hiernach sind derartige Maßnahmen erst für einen Zeitpunkt nach der Verkündung des Baulandbeschaffungsgesetzes in Aussicht genommen.
d) Eine Empfehlung an die Preisbehörden, einen allgemeinen Zuschlag in bestimmter Höhe bereits jetzt für Bauland zuzulassen, ist nicht ausgesprochen worden. Bei der Aufstellung der Richtpreispläne zur Vorbereitung zu einer künftigen Regelung — und nur hierauf bezieht sich die von den Anfragenden mißverstandene Empfehlung in Ziffer 2 des Erlasses vom 19. Februar 1953 — sollen allgemeine Zuschläge vielmehr nur Berücksichtigung finden, soweit sie bisher von den Preisbehörden zugelassen worden sind und nicht über 50 % hinausgehen. Hierin liegt demnach, wie sich aus dem Wortlaut des Erlasses ergibt, keineswegs eine Aufforderung an die Preisbehörden, solche Zuschläge bis zu 50 % allgemein zuzulassen. Es wird vielmehr den Preisbehörden weiterhin bis zu einer allgemeinen Regelung überlassen bleiben, welche Zuschläge sie im einzelnen Falle zulassen wollen.
Die letzte Frage lautet:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die administrativ eingeleitete rechtswidrige Handhabung der Preisbestimmungen seitens der für die Preisbildung und -überwachung zuständigen Stellen rückgängig zu machen und zu verhindern?
Eine rechtswidrige Handhabung von Preisvorschriften durch die für die Preisbildung und Preisüberwachung zuständigen Stellen ist mir nicht bekannt. Falls die Anfragenden etwa auf den Erlaß meines Hauses vom 19. Februar 1953 abzielen, darf ich auf die Beantwortung der vorigen Frage verweisen.
Die Interpellation ist beantwortet. Ich frage das Haus, ob eine Aussprache gewünscht wird. — Ich nehme an, daß dazu eine ausreichende Mehrheit vorhanden ist. Für die Aussprache schlage ich eine Gesamtredezeit — —
— Dann bitte ich diejenigen, die eine Aussprache wünschen, die Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die ausreichende Zahl. Entsprechend dem Vorschlag des Ältestenrates schlage ich eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vor. Ich nehme die Zustimmung des Hauses an.
Das Wort hat der Abgeordnete Lücke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ordnung des Bodenrechts in Deutschland stellt zweifellos die schwierigste Aufgabe dar, die noch der Lösung harrt. Der Bundestag hat diese Frage bisher noch nicht lösen können. Das Baulandbeschaffungsgesetz, das uns in den beiden Ausschüssen seit nunmehr drei Jahren befaßt, steht vor der Verabschiedung. Es stellt den ersten Schritt auf dem Wege zu dieser Lösung dar. Eines der wesentlichen Ziele dieses Gesetzes ist es, jeder Familie den Zugang zu Grund und Boden zu ermöglichen.
Es ist heute nicht Zeit rind Gelegenheit, die Grundsätze des neuen Bodenrechts zu diskutieren. Ich darf daher für meine Freunde und mich auf folgende Grundsätze verweisen, die die Meinung der CDU zu dieser Frage darstellen.
In der Erkenntnis, daß eine breite Eigentumsbildung im Wohnungsbau auf die Dauer nur durch Schaffung eines geordneten Bodenrechts möglich ist, wird die baldige Verabschiedung des Baulandbeschaffungsgesetzes bejaht und gefordert. Wesentlich im Baulandbeschaffungsgesetz ist die Regelung der Entschädigung, die auch der Interpellation zugrunde liegt und ebenfalls von Herrn Bundesminister Erhard angeschnitten worden ist. Sie wird im Baulandbeschaffungsgesetz in dem bedeutenden § 7 geregelt.
Zur endgültigen Regelung der Bodenbewertungsfrage bedarf es jedoch der Verabschiedung eines Bodenbewertungsgesetzes. Um diese Forderung zu verwirklichen, bemühen sich ein Teil meiner Freunde und ich darum, ein Bodenbewertungsgesetz zu erarbeiten, das der Bodenspekulation wirksam begegnet. Sinn eines derartigen Bodenbewertungsgesetzes ist, daß gerechte Bodenpreise geschaffen, vor allem aber — ich wiederhole es —, daß der Bodenspekulation begegnet werden kann.
Man wird mich fragen, ob denn die Bodenspekulation heute noch eine derartige Bedeutung habe. Dazu, meine Damen und Herren, ließe sich eine Menge sagen und ließe sich eine Reihe Beispiele anführen. Wir können zur Beantwortung dieser Frage schon im Raume von Bonn verbleiben. Dadurch, daß Bonn Bundeshauptstadt wurde, ist hier eine Unordnung im Bodenrecht eingetreten — selbst in weit von Bonn entfernt gelegenen Gebieten —, die man immerhin zu einem großen Teil als Bodenspekulation ansehen muß. In dem von uns vorgesehenen Entwurf eines Bodenbewertungsgesetzes soll vor allem sichergestellt werden, daß nach Aufhebung des Preisstopps vom Jahre 1936,
) der die längst überholte Preisentwicklung nur noch trügerisch überdeckt, alle nicht auf Arbeits- und Kapitaleinsatz beruhenden Wertsteigerungen zugunsten der Allgemeinheit abgeschöpft werden.
Mit diesen Grundsätzen bekennt sich die CDU zu der Sozialverpflichtung, die auf dem Grund und Boden beruht. Sie bekennt sich damit weiter zu dem Grundsatz, daß nur über ein geordnetes Bodenrecht möglichst viele der entwurzelten Menschen, vor allem der Vertriebenen, der Ausgebombten und der jungen Familien, wieder mit Grund und Boden versehen werden können. Nur so wird es auf die Dauer möglich sein, diese entwurzelten Menschen wieder mit dem Heimatboden zu verwurzeln.
Ich brauche nicht — soweit Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, Kenntnis von der Schwierigkeit dieser Materie besitzen— zu betonen, daß die richtige Lösung dieser Frage vielleicht zu dem Schwierigsten gehört, was es auf innerpolischem Gebiet zu lösen gibt. Es geht — um es ganz einfach zu sagen — darum, die Sozialhypothek — so nennt man das —, die auf dem Grund und Boden ruht, durch Gesetz sichtbar zu machen. Diese Sozialhypothek wird stündlich und täglich erhöht, je mehr Menschen in dieses Gebiet einströmen. Die 10 Millionen Vertriebenen und die aus der Sowjetzone verjagten Menschen bedürfen der Ansiedlung und der Unterbringung. Darum drängt und brennt diese Frage und schreit förmlich nach einer Lösung. In keinem Lande Europas ist die Frage nach einem geordneten Bodenrecht so brennend wie in der Bundesrepublik.
Ich sagte bereits: wir lehnen den Preisstopp als überholt ab, können jedoch im Augenblick einer Aufhebung des Preisstopps für unbebaute Grundstücke nicht zustimmen, da er das gesamte Preisgefüge im Bodenrecht erschüttern würde. Deshalb haben meine Freunde und ich den interfraktionellen Antrag, der Ihnen vorliegt, mit unterstützt, der die Bundesregierung ersucht, bis zum Inkrafttreten des Baulandbeschaffungsgesetzes keine weiteren Auflockerungen von Preisvorschriften vorzunehmen.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat erklärt, daß es nicht die Absicht der Bundesregierung ist und war, den Preisstopp für unbebaute Grundstücke aufzuheben. Ich darf, um die Bedeutung dieser Frage für die Allgemeinheit hervorzuheben, auf zwei Eingaben in dieser Angelegenheit verweisen. Zunächst ein Schreiben des Erzbischofs von Köln als Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, das ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten auszugsweise verlesen darf. Dieses Schreiben an den Herrn Minister, von dem eine Abschrift meinem Ausschuß zugegangen ist, lautet:
Durch Ihre Verordnung vom 28. November 1952 sind die für den Verkehr mit bebauten Grundstücken geltenden Preisvorschriften aufgehoben worden. Wie ich erfahren habe, wird zur Zeit in Ihrem Ministerium erwogen, ob auch der Verkehr mit unbebauten Grundstücken von den Preisvorschriften befreit werden soll.
Ich bitte, zu überlegen, ob nicht die Aufhebung der noch geltenden Vorschriften zu einer Steigerung der Preise für unbebaute Grundstücke führen wird, so daß die bisher so günstige Entwicklung im Wohnungsbau einen ernsten Rückschlag erfahren könnte.
Im Interesse der sozialen Befriedung innerhalb unseres Volkes müßte meines Erachtens Vorsorge getroffen werden, daß
a) jede Spekulation mit dem Boden und jede Preistreiberei verhindert wird,
b) die Erzielung ungerechtfertigten Gewinns aus Grundbesitz durch den einzelnen unterbleibt,
c) jeder Bauwillige die Möglichkeit zum Erwerb von Grund und Boden zu billigem Preis erhält.
Der Vorsitzende des Rats der evangelischen Kirche in Deutschland, Herr Bischof Dr. Dibelius, schreibt unter anderem:
Unter den zahlreichen Schwierigkeiten, die die Herstellung von Wohnraum hemmen, spielt die Beschaffung billigen Baulandes eine besondere Rolle. Durch Preissteigerung von Grund und Boden wird der Wohnungsbau so verteuert, daß für viele die Hoffnung, zu einem Heim zu kommen, vollends dahinschwindet.
Der vorhandene und praktisch kaum vermehrbare Boden ist ein Gut, das in besonderer Weise der Gemeinschaft zu dienen hat. Darum muß darüber gewacht werden, daß der Preis des Baulandes sozial erträglich bleibt.
Wir sehen deshalb eine vordringliche Aufgabe der Gesetzgebung darin, mit durchgreifenden Maßnahmen ungerechtfertigtem Bodengewinn zu wehren. Wenn ungerechtfertigte Gewinne aus Bauland entstehen, sollen sie zur entsprechenden Entschädigung für im Werte gemindertes Land und zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus verwendet werden. Damit wäre auch die Möglichkeit geschaffen, nach dem Wunsch der Wohnbedürftigen Wohnungen als Siedlerstellen, Heimstätten und Eigenheime zu erstellen.
Neben diesen Schreiben des Bischofs Dr. Dibelius und des Erzbischofs Dr. Frings sind eine Menge anderer Schreiben von Organisationen, des Deutschen Volksheimstättenwerks insbesondere, beim Ausschuß eingegangen mit der Bitte, zu verhindern, daß unser Preisgefüge für Grundstücke noch mehr durcheinandergebracht wird. Darum freuen wir uns — ich kann das hier feststellen —, daß es nicht die Absicht der Bundesregierung war — das hat der Herr Bundeswirtschaftsminister noch einmal nachdrücklich betont —, den Preisstopp für unbebaute Grundstücke aufzuheben, bevor durch gesetzliche Regelung sichergestellt ist, daß alle nicht auf Arbeits- und Kapitaleinsatz beruhenden Wertsteigerungen abgeschöpft werden. Ohne dieses Regulativ ist die Lösung der Bodenbewertung nicht möglich. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang, um nicht mißverstanden zu werden, noch einmal darauf hinweisen, daß diese Frage sehr schwer zu regeln ist und daß das in Kürze — wir hoffen, im Monat Mai — zur Verabschiedung anstehende Baulandbeschaffungsgesetz zumindest eine weitergehende Regelung bringt, als sie bis jetzt möglich ist.
Ich fühle mich verpflichtet, in diesem Zusammenhang noch auf eine Sorge hinzuweisen, die meine Freunde bei dieser Gelegenheit ausgesprochen haben möchten. Es handelt sich um das Land der öffentlichen Hand, der Gemeinden, der Städte, des Landes und des Bundes. In der Beratung in der Fraktion wurden von unseren Freunden eine Menge Beispiele gebracht, in denen manchmal auch für öffentliche Grundstücke Preise gefordert werden, die nichts mehr mit dem Preisstopp und mit einem gerechten Bodenpreis zu tun haben. Wir sind des-
halb der Meinung, daß die Bewertung der Grundstücke der öffentlichen Hand beispielhaft zu sein hat und daß die öffentliche Hand — in einzelnen Fällen hat es auch der Bund getan — keine Bodenspekulation betreiben und Schwarzmarktpreise fordern darf. Ich erinnere an den Wiederaufbau der zerstörten Stadt Wesel und an andere Stellen. Wir werden deshalb bei der gesetzlichen Regelung dieser Frage sehr große Sorgfalt darauf verwenden, dafür zu sorgen, daß auch die öffentliche Hand sich an den Grundsatz hält, daß der Boden keine Ware ist und daß ihm eine soziale Hypothek auferlegt ist, die jeder um der höheren Gerechtigkeit willen zu respektieren hat.
Zum Schluß darf ich den bereits erwähnten Antrag auf Umdruck Nr. 859 noch einmal offiziell verlesen, den alle Fraktionen zu dieser Großen Anfrage gestellt und unterschrieben haben, bis auf, glaube ich, die kommunistische Fraktion.
Der Antrag lautet:
Die Bundesregierung wird ersucht, bis zum Inkrafttreten des Baulandbeschaffungsgesetzes keine weitere Auflockerung oder Aufhebung von Preisvorschriften für den Verkehr mit Grundstücken zuzulassen.
Diesem Antrag — und das ist wohl die Begründung, die ich dazu zu geben habe — wurde bereits in der Beantwortung der Interpellation von Herrn Bundesminister Erhard im Inhalt zugestimmt.
Damit ist die Sorge beseitigt, die in weiten Kreisen der Bevölkerung herrscht, daß nunmehr, nachdem der Preisstopp für bebaute Grundstücke und Trümmergrundstücke aufgehoben worden ist, die Aufhebung für unbebaute Grundstücke folgt. Das ist ausgeschlossen, bis die Verabschiedung des Baulandbeschaffungsgesetzes oder weiterer Gesetze erfolgen kann.
Ich darf Sie, meine Damen und Herren, wegen der Bedeutung dieser Frage bitten, diesem interfraktionellen Antrag ohne Ausschußberatung zuzustimmen, damit wir Sicherheit haben, daß keine weiteren Pannen passieren können, wenigstens nicht soweit sie befürchtet wurden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wirths.
Meine Damen und Herren! Es wäre nach den Ausführungen von Herrn Minister Erhard sicher nicht notwendig gewesen, eine breite Debatte zu entfachen. Aber ich glaube, daß wenigstens einiges zu den Ausführungen unseres Kollegen Jacobi gesagt werden muß, weil eine Auffassung vorgetragen worden ist, die mit der Wirklichkeit nun weiß Gott nicht übereinstimmt. Herr Kollege Jacobi hat erklärt — und Herr Lücke ist ihm insoweit gefolgt —, eine Aufhebung des Preisstopps für unbebaute Grundstücke brächte den Preisstand auf dem Grundstücksmarkt durcheinander.
Ja, meine Damen und Herren, er i s t ja durcheinander! Er ist ja durch den viel zu langen Preisstopp ins Durcheinander gekommen.
Es ist festzustellen, daß sowohl in der Stadt wie auf dem Land kaum noch ein Grundstück zum Stopppreis verkauft wird. Die Leute machen schwarze Preise. Leider Gottes haben wir ja in RheinlandPfalz den berühmten Fall, in dem ein Notar bei einem Verkauf durch die öffentliche Hand auf Zahlung seiner wirklichen Gebühren geklagt hat und damit durchgekommen ist.
Nun ein zweites. Herr Jacobi hat erklärt, daß die Freigabe der Preise für unbebaute Grundstücke notwendigerweise zu einer Erhöhung — er sprach von 500/o — führen müsse und daß sich das dann auf die Höhe der Baukosten, auf die Miete und damit auf den Lebensstandard auswirken werde. Auch das ist unrichtig. Wir haben festzustellen, daß seit Jahrzehnten der prozentuale Anteil der Grundstückskosten an den Gesamtbaukosten immer geringer geworden ist.
Das liegt daran, daß wir seit Jahrzehnten eine gestoppte und keine richtige Miete haben. Wenn man nun der Aufhebung des Preisstopps zustimmt, — das wird die Praxis ergeben —, so glaube ich nicht, daß eine wesentliche Steigerung der Preise eintreten wird. Aber wenn sie käme, wenn man das akzeptieren müßte, so ist dazu zu sagen, daß doch im ganzen Rahmen des sozialen Wohnungsbausektors die Miete eine Richtsatzmiete ist, die festgelegt wird, und daß es wirklich kaum Einfluß auf die Miete hätte, wenn sich die Gesamtbaukosten des Hauses etwa um Bruchteile von Prozenten erhöhten. Das hätte gar keinen Einfluß auf die Miete, höchstens auf die Verzinsung der Landesdarlehen. Man kann also nicht damit operieren, daß etwa durch eine Erhöhung der Baulandpreise die Mieten automatisch höher gingen.
Weiter muß auch folgendes berücksichtigt werden. Wir haben heute den Preisstopp. Wenn er umgangen wird, dann kriegt der Mann das Grundstück, das er haben will. Aber wenn einer, der das Grundstück etwa geerbt hat oder seit langem in Besitz hat, es an einen Mann verkaufen will, der Geld hat und sich ein Einfamilienhaus von 100 000 DM bauen will, dann soll der Mann auch mehr für das Grundstück bezahlen.
Nun das große Problem des Zuwachses, `von dem Herr Kollege Lücke gesprochen hat. Wir wollen über das angekündigte Bodenbewertungsgesetz heute nicht sprechen; aber in dieser Materie sind auch einige reichlich problematische Fragen enthalten. Wenn man sich beispielsweise überlegt, daß wir — im groben Durchschnitt — bei den landwirtschaftlichen Grundstücken pro Quadratmeter einen Preis von etwa 50-70 Pf haben
— nun schön, gehen Sid auch auf 80 Pf; im Schnitt haben Sie kaum landwirtschaftliche Grundstücke, bei denen der Wert etwa gleich 1 DM ist, also 2500 DM pro Morgen —, und wenn der Landwirt, damit er sich etwa neue Maschinen kaufen kann, jetzt gezwungen wird, Grundstücke als Bauland abzustoßen, diesen Boden zum alten Stopppreis abzugeben, dann ist das praktisch eine Enteignung, weil er ja für seine neuen Maschinen den zwei- oder dreifachen Preis von 1936 zahlen muß.
Nun,. noch das berühmte, aber, ich möchte sagen, überlebte Gespenst der Bodenspekulation.
— Überlebt, es ist nicht mehr da! Es ist ja nur noch in den Erinnerungen.
Es ist doch ein wirtschaftlicher Wahnsinn, wenn ein Geldmann heute hergeht und Boden kauft.
— Es geschieht, ja. Schön. Im großen und ganzen ist es Wahnsinn, weil der Mann ja für das investierte Geld in anderen Sektoren mindestens eine Verzinsung von 7 bis 9 oder 10% kriegt. Dann soll er doch lieber die Schäfferschen Schatzanweisungen kaufen, da hat er mehr und hat sein Geld möglicherweise genau so sicher. Solange man im sozialen Wohnungsbau nur 4% Verzinsung des Eigenkapitals bekommt, ist eine Bodenspekulation nicht möglich.
Ich glaube, man sollte sich keinen großen Hoffnungen hingeben, wenn man etwa an die Abschöpfung des Zuwachses denkt. Das wird nicht viel bringen, Herr Kollege Lücke. Ich bin durchaus gegen eine Bodenspekulation und ich bin gegen einen Preiswucher beim Boden. Möglicherweise wird es, wenn die Preise, was ich im Prinzip durchaus wünsche und begrüße, freigegeben werden, vollkommen ausreichen, ein Gesetz zu machen, das die Bodenspekulation und den Preiswucher ausschließt. Ich glaube aber, das würde genügen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort des Herrn Bundeswirtschaftsministers hat uns nur insoweit zu befriedigen vermocht, als er uns die Zusicherung gab, daß weitere Maßnahmen der Bundesregierung nicht erfolgen würden, bevor nicht das Baulandbeschaffungsgesetz dem Plenum wieder vorgelegt und von ihm verabschiedet worden sei, woran er allerdings die Bemerkung knüpfte, dies setze voraus, daß das Baulandbeschaffungsgesetz alsbald verabschiedet werde.
— Die Verabschiedung ist eine positive Regelung, Herr Kollege Lücke. Was die positive Einstellung des Herrn Ministers Erhard zu den Fragen, die wir im Baulandbeschaffungsgesetz regeln wollen, anbelangt, so sollten wir allerdings abwarten, wie sie aussieht. Denn seine heutigen Ausführungen haben eine Haltung erkennen lassen, die ich nur deshalb entschuldigen möchte, weil er von seinem Referenten offenbar nicht in allen Punkten eindeutig informiert worden ist. Hätte er nämlich völlig klare Informationen erhalten, dann hätte er seine Ausführungen nicht so sehr auf die Frage abgestellt, ob eine Rechtsverordnung beabsichtigt sei, die diese oder jene Regelung treffen wolle, sondern dann hätte er Kenntnis von einem Protokoll erhalten, das in seinem Ministerium vorhanden ist und das, wenn ich nicht irre, das Datum vom 10. Februar dieses Jahres trägt. Dieses Protokoll hätte ihm, wenn er es gelesen hätte, darüber Auskunft gegeben, daß
in der Tat Absichten bestanden und möglicherweise noch bestehen, auch ohne Rechtsverordnung die Entwicklung weiter voranzutreiben, die trotz der Bemerkungen des Herrn Kollegen Wirths, den ich im Augenblick hier nicht sehe, so aussieht, daß eine erhebliche Preissteigerung und in einigen Orten sogar spekulative Tendenzen bei der Bodenpreisbewertung heute bereits wieder erkennbar sind. In diesem Protokoll ist zu finden, daß das Bundeswirtschaftsministerium, mindestens sein Referent, eine Haltung einnimmt, die sich damit abfindet, daß ein Teil der Preisbehörden in den einzelnen Ländern bereits jetzt und ohne jede rechtliche Grundlage bemüht ist — ich zitiere wörtlich —, „den in der Zwischenzeit erfolgten internen Wertverlagerungen im Zusammenhang mit einer Veränderung der städtischen Baupläne und der Bauordnung besonders in den von Kriegsschäden betroffenen Gebieten Rechnung zu tragen".
„Teilweise", so heißt es wörtlich in dem Protokoll, „sind auch allgemeine Zuschläge auf die Stopppreise vom 17. Oktober 1936 genehmigt worden." Nachdem diese Tatsache feststeht, gewinnt der Erlaß, der vom Herrn Bundeswirtschaftsminister hier erwähnt wurde, eine besondere Bedeutung. In diesem Erlaß wird nämlich an einer Stelle zum Ausdruck gebracht — und das hat nichts mehr mit der eventuellen Entwicklung und der Neufestsetzung in Zukunft zu tun —:
Soweit bisher bereits allgemeine Zuschläge zu den Stichtagpreisen vom 17. Oktober 1936 zugelassen worden sind, ist nunmehr zu berücksichtigen, daß auf die berichtigten Stichtagwerte der Richtpreispläne ein allgemeiner Zuschlag von höchstens 50% erhoben werden darf, durch den der Veränderung der Kaufkraftverhältnisse Rechnung getragen werden soll.
Usw. usw. Damit wird also eine Praxis „legalisiert" — es wird hier der Segen durch ein Ministerium gegeben —, die klar gegen die gesetzliche Regelung verstößt.
Dann heißt es in dem Protokoll: „Um die Baulandpreisbildung im Rahmen des Möglichen aufzulockern, soll eine Reihe von Maßnahmen in Aussicht genommen werden." Es wird dann auf die Ausnahmegenehmigung nach § 3 der Preisstoppverordnung hingewiesen, und es werden im einzelnen Ausführungen gemacht, die erkennen lassen, daß der Bundeswirtschaftsminister die Praxis einzelner Preisbildungsstellen, die sich schon seit längerer Zeit über die gesetzlichen Preisstoppvorschriften hinweggesetzt haben, nicht nur kennt, sondern ausdrücklich billigt. Es sieht so aus, als sollten die Preisbildungsvorschriften für Bauland zum großen Teil nicht mehr beachtet werden, ohne daß man im Bundeswirtschaftsministerium — jedenfalls nach diesem Protokoll — gewillt ist, die angekündigte gesetzliche Auflockerung abzuwarten.
Was übrigens die Frage der Gesetzwidrigkeit anbelangt, so nimmt vielleicht der Herr Bundeswirtschaftsminister Gelegenheit, meine Ausführungen im einzelnen nachzulesen und sich dabei Gedanken darüber zu machen, ob es — unabhängig von den übrigen rechtlichen Streitfragen — möglich ist, derart weitgehende Rechtsverordnungen ohne Befassung des Parlaments zu verabschieden. Ich darf auf eine Zusage des verstor-
benen Bundeswohnungsbauministers Wildermuth hinweisen, der in einem ähnlichen Fall ausdrücklich erklärt hat, die Bundesregierung denke nicht daran, derartige Verordnungen zu erlassen, ohne dem Parlament ein Mitspracherecht zu geben. Zumindest der Bundesrat dürfte einen Anspruch darauf haben, von solchen Verordnungen rechtzeitig Kenntnis zu erhalten, um die Möglichkeit zu haben, zu ihnen Stellung zu nehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehr als der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sein Koalitionskollege Wirths Gelegenheit genommen, die inzwischen eingetretenen Zustände zu harmonisieren. Er hat dargetan, und das ist natürlich etwas, was durchaus den Tatsachen entspricht, daß der Stopppreis heute weitgehend nicht mehr eingehalten werde. Ich habe eingangs meiner Ausführungen keinen Zweifel darüber gelassen, daß auch wir diese Situation kennen und uns klar darüber sind, daß Maßnahmen getroffen werden müssen, um hier eine vernünftige Regelung herbeizuführen. Der Unterschied der Auffassungen liegt lediglich darin, ob man dem Ministerium, der Bundesregierung, das Recht zubilligen soll, der- artige Maßnahmen von sich aus zu treffen, oder ob nicht dieses Parlament berufen ist, in solchen Fragen Stellung zu nehmen und aus seiner Verantwortung Entscheidungen zu treffen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Frage der Bodenpreise auch eine Frage des Lebensstandards ist und daß die Bodenpreise in irgendeiner Form Auswirkungen auf die Kosten beim Bauen haben. Auch für den sozialen Wohnungsbau sind es keine Bagatellen, die hier in Rede stehen. Kollege Wirths sollte doch einmal daran denken, was es bei Eigenhennen und bei der Kleinsiedlung bedeutet, eine ) auch nur geringfügige Erhöhung der Baulandkosten in Kauf nehmen zu müssen. Das wirkt sich doch bereits aus. Auch sonst ist es so, daß die Baulandpreise keinesfalls ohne Bedeutung sind.
Es ist aber etwas schon heute Feststellbares passiert, was Bedenken auslösen muß. Wir haben uns wiederholt in diesem Hause über die Notwendigkeit unterhalten, Entscheidendes zu tun, um in den zerstörten Stadtkernen zu einem verstärkten Wiederaufbau zu kommen. In diesen zerstörten Stadtkernen wirkt sich schon jetzt die von mir kritisierte Preisrechtsverordnung Nr. 75 zum Teil so aus, daß erhebliche Bodenpreissteigerungen eingetreten sind, die eindeutig spekulativen Charakter tragen. Mir liegen eine Fülle von Berichten vor — besonders aus Städten, die zerstört waren —, die den Beweis dafür erbringen, daß z. B. Grundstückseigentümer, deren Grundstücke nicht an einem Umlegungsverfahren beteiligt waren, am Tage nach der Verkündung der Verordnung Nr. 75 Forderungen gestellt haben, die zum Teil eine Steigerung um 500 % darstellen.
— Gegenteilige? Es gibt allerdings in einer Reihe von Orten die Feststellung, daß keine wesent1ichen Steigerungen eingetreten sind.
— Herr Kollege Lücke, Sie dürfen mir nach einer großen Rundfrage eine Übersicht über diese Dinge zugestehen. Die Steigerungen liege bei Trümmergrundstücken bisher bei 10 bis 20 %. Das ist eine absolut vertretbare Größenordnung. In den
Fällen der Umlegung aber — ich will Ihnen gern die Unterlagen zeigen — erweist sich, daß unter Umständen zwei Grundstückseigentümer nicht bereit sind, das Opfer für die Allgemeinheit aufzubringen und zu einer freiwilligen Vereinbarung zu kommen, sondern sich sperren und sich auf eine Kaufpreisforderung stützen, die den unverdienten Mehrwert mit beinhaltet. Durch die Aufschließung, durch den Wiederaufbau der umliegenden Grundstücke und durch die Umlegung ist natürlich der Wert ihrer Grundstücke gestiegen, und sie berufen sich nun auf die Preisrechtsverordnung Nr. 75; sie kommen mit Forderungen, die zum Teil horrend sind. Ich habe hier aus einer solchen Stadt den Lageplan einer Verwaltung. Der Oberstadtdirektor, der Ihnen, Herr Kollege Lücke, politisch sehr nahesteht, bezeichnet die Auswirkungen dieser Verordnung Nr. 75 für seine Stadt als eine Katastrophe, weil er die Anforderungen in keiner Weise erfüllen kann.
Man kann also die Dinge nicht bagatellisieren, sondern muß sie im Zusammenhang sehen und im Zusammenhang lösen. Deshalb ist die isolierte Lösung von Einzelfragen durch Verordnungen bei dieser Komplexität der Dinge in jedem Fall zu bedauern. Wir haben ja nun diesen interfraktionellen Antrag, und wir werden sehen, wie wir in Zukunft verfahren können. Am guten Willen, den Verhältnissen Rechnung zu tragen, wird es uns allen nicht fehlen. Aber eines möchte ich dem Herrn Kollegen Wirths, der offenbar fluchtartig das Lokal verlassen hat, doch sagen.
— Nein, nicht aus Furcht vor mir, Frau Kollegin Weber; so eingebildet bin ich nicht, daß ich glaubte, daß er vor mir flüchten würde. — Herr Kollege Wirths glaubte in seinen Darlegungen zum Ausdruck bringen zu müssen, daß beispielsweise dem Bauern, der, um eine Maschine erwerben zu können, ein Grundstück verkaufen muß, ein Preis zugestanden werden müsse, der den veränderten Kaufpreisverhältnissen und anderen Umständen, vor allem den Forderungen, die ihm selbst gestellt würden, wenn er als Käufer auftrete, in etwa entspreche. Nun, er hat eine neue Figur in die Debatte gestellt. Ich glaube, sie kommt sehr selten vor. Ein Bauer, der eine Maschine kauft, wird sich sehr überlegen, ob er, um sie zu erwerben, ein Grundstück anbietet. Das ist schließlich die letzte Entscheidung, die ein Bauer trifft. Wenn er sie treffen muß, wird er allerdings in der Zwangslage sein, darauf zu achten, daß er einen möglichst gerechten Erlös erzielt; der steht ihm zu. Aber alles in allem besteht keine Veranlassung, alle diese Fragen als im Grunde genommen sekundärer Art zu betrachten. Das, was Herr Kollege Wirths in der kritischen Stellungnahme zu den Bemerkungen des Kollegen Lücke in bezug auf die Abschöpfung des unverdienten Mehrwerts angeführt hat, gehört, glaube ich, zu jenen Versuchen, eine sehr entscheidende Frage, eine Frage, die wir lösen müssen, zu bagatellisieren.
Es ist kein Zufall — und wenn es der Kollege Lücke nicht gesagt hätte, dann hätte ich es gesagt —, daß sowohl der Kardinal Frings als auch der Bischof Dibelius, veranlaßt durch die Verordnung Nr. 75/52, jene beiden Briefe an den Bundeswirtschaftsminister geschrieben haben. Die Sorge, die hier zum Ausdruck gekommen ist, ist die Sorge all derer, die bemüht sind, einem unserer größten Notstände zu begegnen, den Woh-
' nungsbau zu forcieren und zu einer Bereitstellung von Bauland für jeden Bauwilligen zu kommen. In dieser Grundtendenz sind wir uns einig. Wenn wir aber zu praktischen Erfolgen kommen wollen, dann müssen wir uns bemühen, die Problematik der Fragen, die uns hier beschäftigen, zu sehen, und dann geht es nicht an, die Gedanken der freien Marktwirtschaft bei der Erörterung und Lösung der Baulandpreisgestaltung ohne jede Abwandlung zu praktizieren. Wir werden uns vorbehalten müssen, die Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers, wenn sie schriftlich vorliegen, sorgfältig zu prüfen. Wir nehmen noch einmal zur Kenntnis, daß vorerst keine Änderungen beabsichtigt sind. Wir machen aber darauf aufmerksam, daß der interfraktionelle Antrag nicht nur vorsieht, daß die Bundesregierung ersucht wird, bis zum Inkrafttreten des Baulandbeschaffungsgesetzes keine weitere Auflockerung oder Aufhebung von Preisvorschriften für den Verkehr mit Grundstücken zu betreiben, sondern daß es dort auch heißt, daß die Bundesregierung derartige Tendenzen nicht zulassen soll. Das bedeutet eine Überprüfung ihres eigenen Erlasses, der mehrfach erwähnt worden ist, und eine Überdenkung der Praxis, die wir bisher beim Bundeswirtschaftsministerium vermißt haben.
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Jacobi hat ein Protokoll des Wirtschaftsministeriums zitiert. Er sagte wörtlich: es heißt darin: Um die Baulandpreisbildung im Rahmen des Möglichen aufzulockern und gleichzeitig eine Vereinheitlichung des Verfahrens durchzuführen, sollen folgende Maßnahmen in Aussicht genommen werden. De facto steht aber darin: „sollen folgende Maßnahmen durch Rechtsverordnung auf Grund des Preisgesetzes in Aussicht genommen werden". Damit ist also festgelegt, daß die Bundesregierung nicht daran denkt — und damit auch nicht das Bundeswirtschaftsministerium —, von sich aus selbstherrlich hier Änderungen vorzunehmen. Es bleibt bei der Erklärung, die ich vorhin abgegeben habe.
Von Herrn Abgeordneten Jacobi ist ferner darauf hingewiesen worden, daß die unteren Verwaltungsbehörden in einer Dienstbesprechung der Grundstückspreisreferenten der Länder am 4. Februar 1953 aufgefordert worden sind, schon in der Zwischenzeit bei der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen nach den dargestellten Grundsätzen zu verfahren, d. h. also Widmungsänderungen und gewisse Kaufkraftzuschläge anzuerkennen. Wörtlich lautet das Protokoll über diese Sitzung wie folgt:
Nach der Auffassung aller beteiligten Ländervertreter sollen die unteren Verwaltungsbehörden schon in der Zwischenzeit nach den dargestellten Grundsätzen bei der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen verfahren. Die Preisbildungsstellen der Länder werden die unteren Verwaltungsbehörden dementsprechend anweisen.
Ich stelle also fest, daß in der Wiedergabe einer
Auffassung der Ländervertreter keine Empfehlung
oder Einwirkung des Bundeswirtschaftsministeriums
liegt, sondern daß die Länder auf diesem Gebiet im Rahmen ihrer eigenen Zuständigkeit tätig werden.
Zur Entwicklung des Grundstücksmarkts sowie der Preisfreigabe möchte ich auf einige Tatbestände hinweisen. Wir haben im Ministerium selbstverständlich Beobachtungen darüber angestellt, die ich Ihnen doch nicht vorenthalten möchte. Wie die mir vorliegenden Berichte der Länder erkennen lassen, hat die Freigabe der Preise für bebaute Grundstücke einschließlich der Trümmergrundstücke bisher keine spürbaren Auswirkungen gehabt. Aus den Großstädten Nürnberg und Fürth sowie von einer Reihe mittelgroßer Städte und Landkreise dieses Bezirks wird mir berichtet, daß bei bebauten Grundstücken der Ertragswert, der bisher schon im wesentlichen die Maßgabe für die preisrechtliche Beurteilung gewesen war, auch bei den wirtschaftlichen Überlegungen der Käufer im Rahmen ihrer freien Vereinbarungen die entscheidende Rolle spielt.
Zweitens. Von der Grundstücksbörse in Köln wird berichtet, daß durch die Freigabe der Preise für Trümmergrundstücke die sinkende Preistendenz nicht aufgehalten worden ist.
Die Stopppreise für Trümmergrundstücke werden nach wie vor nur in Ausnahmefällen erreicht.
Schließlich berichtet die gesamte Wirtschaftspresse, soweit man sie verfolgen kann, daß Preissteigerungen durch diese Freigabe nicht in Erscheinung getreten sind.
Eine besondere Kennzeichnung der Situation gibt unser Kollege Dresbach im ,.Rheinischen Merkur", wenn er ausführt, daß durch die Verordnung Nr. 75/52 die jedem Landrat bekannten — ich zitiere wörtlich — Schwarzgeschäfte auf dem Grundstücksmarkt jetzt auf die unbebauten Grundstücke beschränkt bleiben. Herr Dr. Dresbach gebraucht in diesem Zusammenhang den sehr starken Ausdruck: „eine Belügung der unteren Verwaltungsbehörden".
Meine Damen und Herren, ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jacobi.
Meine Damen und Herren! Nur wenige Bemerkungen, die ausgelöst worden sind durch die Erklärung des Herrn Bundeswirtschaftsministers, nach den Berichten, die seinem Ministerium vorlägen, sei von einer wesentlichen Erhöhung der Preise keine Rede. Er nannte Köln. Ich habe hier einen Bericht der Stadtverwaltung Köln, Herr Bundeswirtschaftsminister, in dem es heißt — die Erhebung stammt von Ende Februar; Sie müßten feststellen, von wann Ihre Mitteilung ist —:
Eine allgemeine Tendenz in der Entwicklung
der Preise für bebaute und Trümmergrundstücke läßt sich zur Zeit noch nicht feststellen.
— Warten Sie doch ab, Herr Kollege! Halten Sie mich doch nicht für so dumm, daß ich etwas zitiere, mit dem ich mich selbst schlage! —
Es sind aber in einzelnen Fällen Preise bis zum Doppelten des Stopppreises gezahlt worden,
wovon in zwei Fällen voraussichtlich auch eine
Ausnahmegenehmigung, wenn auch nicht in
der erforderlichen Höhe, erteilt worden wäre.
Es ist von anderen Städten eine steigende Tendenz berichtet worden. Mir liegen hier Berichte vor aus Bremen, Mannheim, München, Köln, Stuttgart, Augsburg usw. Im übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Natürlich wird es einige Zeit brauchen, bis die Dinge sich klar zeigen. Aber es gibt eine ganze Reihe von Fällen, in denen bestimmte Grundstückseigentümer am Tage danach schon sehr wohl wußten, wie man sich jetzt rangieren kann.
Mir ist soeben mitgeteilt worden, daß z. B. das Bundesinnenministerium, das vorhatte, in Köln ein Grundstück zu kaufen, seine ganzen Pläne umwerfen mußte, weil die neue Forderung, gestützt auf die Preisrechtsverordnung 75/52, es unmöglich machte, aus den bis dahin zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln ein Grundstück zu erwerben.
Lassen Sie mich noch einen letzten Fall nennen, der in einer süddeutschen Zeitung, in den „Göppinger Kreisnachrichten", unter der bezeichnenden Überschrift „Behörden unter sich" veröffentlicht worden ist. Da hatte die Absicht bestanden, zur Abrundung des Areals eines Kreiskrankenhauses das alte Arbeitsamtsgebäude zu erwerben. Man hatte sich auf einen Kaufpreis von 80 000 DM geeinigt. Wenige Tage darauf kam die Preisrechtsverordnung 75 heraus, und nunmehr — Behörden unter sich, meine Damen und Herren! — verlangte das Arbeitsamt, also die Bundesanstalt, an Stelle der bisher geforderten Summe von 80 000 DM einen Betrag von 200 000 DM.
Ich glaube, daß nicht nur Behörden unter sich, sondern auch Private unter sich und Private gegenüber Behörden in ähnlicher Weise versuchen werden, Kaufpreise zu erzielen, die doch wohl einer Nachprüfung bedürfen, und sie können sich nach den Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers auf sein Agreement stützen.
Vizepräsident Dr. Schäfer; Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Die Große Anfrage ist beantwortet. Es ist aber dazu eingebracht auf Umdruck Nr. 859 ein Antrag aller Fraktionen mit Ausnahme der KPD. Ich bitte diejenigen, die dem Antrage zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Wir kommen jetzt zurück auf den noch unerledigten Punkt der Tagesordnung des gestrigen Tages:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP, FU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Lastenausgleich (Nr. 4243 der Drucksachen).
Der Ältestenrat hat eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an.
Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Kunze.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 257. Sitzung ist dieser Punkt bereits Gegenstand der Verhandlung in der zweiten Lesung gewesen. Durch eine Zufallsmehrheit ist der Beschluß, den der Lastenausgleichsausschuß mit den Stimmen aller Fraktionen mit Ausnahme der sozialdemokratischen Fraktion gefaßt hatte, hier im Plenum nicht durchgegangen. Die damals den Antrag stellenden Parteien und Fraktionen haben daher den Antrag wiederholt und den Zusatzantrag, der in der dritten Lesung zur Verhandlung und Abstimmung kommen sollte, jetzt bei der neuen Vorlage aus Gründen der Vereinfachung der Beratung bereits eingebaut. Die Drucksache Nr. 4243 liegt Ihnen vor.
Ich bin an sich der Meinung, daß es nicht erforderlich wäre, diesen Antrag erneut zu begründen, nachdem in der Sitzung vom 25. März, die ich soeben ansprach, mein Kollege Farke die Begründung gegeben hat und nachdem die Angelegenheit bereits Gegenstand einer Aussprache im Hohen Hause gewesen ist. Ich möchte mich daher als Sprecher der antragstellenden Fraktionen mit einem Hinweis auf das Protokoll der Plenarsitzung vom 25. März begnügen. Es scheint mir auch, meine Damen und Herren — da das Ergebnis der Entscheidung dieses Hauses doch klar sichtbar sein muß, wenn alle Fraktionen mit Ausnahme der sozialdemokratischen Fraktion diesen Antrag gestellt haben — zweckmäßig zu sein, die erste Lesung sofort durch die zweite und dritte Lesung zu ergänzen. Mir haben zwar die Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion gestern erklärt, sie könnten dem nicht zustimmen. Aber ich wäre doch sehr dankbar, wenn Sie sich das überlegen würden. Es bedeutet doch praktisch nichts anderes, als daß Sie die zweite und dritte Lesung um 14 Tage hinausschieben, ohne daß irgend etwas Materielles geändert werden wird. Das dürfen Sie uns zutrauen, daß wir diese Zufallsmehrheit, die zur Ablehnung in der zweiten Lesung führte, Ihnen nicht noch einmal gönnen wollen.
— Herr Kollege Mellies, Sie haben mir gestern abend den Zuruf gemacht. Der Herr Präsident hatte leider meiner Bitte versehentlich nicht Folge geleistet und nicht darauf hingewiesen, daß ein großer Teil der Mitglieder der Koalitionsparteien von 20 Uhr ab in wichtigen anderen Sitzungen und Besprechungen gebunden waren.
Sonst hätten Sie schon verstanden, daß es ein rein sachlich begründetes Argument war.
Im übrigen ist über die ganze materielle Seite hier im Plenum und im Ausschuß gesprochen worden, und ich darf Herrn Kollegen Ohlig lediglich daran erinnern, daß nach Annahme des Vorschlages des Vermittlungsausschusses der Vorsitzende meiner Fraktion ausdrücklich in einer Erklärung darauf hingewiesen hat, daß wir den damaligen § 38, der der heutige § 47 ist, so bald wie möglich wieder in der vom Plenum angenommenen Fassung herzustellen gewillt seien.
Ich will auf eine weitere Begründung verzichten. Sollte die Opposition auf eine Aussprache Wert legen, werde ich dann noch Gelegenheit haben, das Nötige dazu zu sagen.
Ich möchte also bitten, den Antrag anzunehmen und die zweite und dritte Lesung doch noch heute zu halten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ohlig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kunze, es tut mir außerordentlich leid, Ihnen nicht entgegenkommen zu können und heute doch noch einige Bemerkungen machen zu müssen. Ich möchte Sie daran erinnern, daß es sich bei diesem § 47 doch um das Problem der Höchstbegrenzung bei den Saldierungsschäden handelt. Sie hatten als Mitglied des Unkeler Kreises doch vor nicht allzulanger Zeit den gleichen Standpunkt eingenommen, für den heute die sozialdemokratische Fraktion noch kämpft. Es tut mir also wirklich leid, Ihnen nicht ersparen zu können, hier nun im Plenum ganz offen zu bekennen, daß die Richtlinien des Unkeler Kreises nur damals unter einer gewissen Schockwirkung zustande gekommen sind, als das Problem der Vertriebenen noch in einer etwas gefährlicheren Situation vor Ihnen stand, und daß Sie heute von diesen Richtlinien des Unkeler Kreises abrücken.
Der § 47, um den es sich handelt, ist nach unserer Auffassung von ganz besonderer Bedeutung. Erinnern wir uns an die gestrige Debatte über das Tabaksteuergesetz! Dabei erklärte der Herr Bundesfinanzminister, er könnte auf die 20 Millionen DM Einnahmeausfall durch die Steuersenkung für Zigarettenpapier nicht verzichten, weil hierdurch der ganze Etat des Bundes ins Wanken geraten könnte. Bei diesem § 47 soll aber auf 100 Millionen DM an Einnahmen für den Lastenausgleichsfonds verzichtet werden.
Wir haben bei diesem Problem als Sozialdemokraten noch einige andere Bedenken, die wir herausstellen möchten. Herr Kollege Kunz e, Sie erinnern sich, daß wir vor einigen Wochen im Lastenausgleichsausschuß die Frage diskutiert haben, ob es möglich wäre, die Kriegsschadensrente mit Rücksicht auf die im Bundestag im Dezember vorigen Jahres beschlossene Erhöhung der Rentenzuschläge von 85 DM auf 90 DM aufzubessern. Wir waren damals bereit, für den Fall, daß die für die Erhöhung auf 90 DM notwendigen Ausgaben nicht aus öffentlichen Mitteln gedeckt werden könnten, die Beträge für die Aufbesserung um 5 DM aus Mitteln des Lastenausgleichsfonds zu geben. Unser Antrag ist mit der Begründung abgelehnt worden, man könnte nicht auf der Ausgabeseite einen Posten von 65 Millionen DM beschließen, ohne damit gleichzeitig den ganzen Etat des Lastenausgleichsfonds zu erschüttern. Wir haben Ihnen damals nicht unterstellt, daß Sie die Ablehnung aus Mangel an sozialer Verantwortung vorgenommen haben, vielmehr haben wir Ihre sachlichen Gründe gewertet. Wenn wir aber daran nicht irre werden sollen, dürfen Sie sich heute nicht auf den Standpunkt stellen, daß durch einen Verzicht auf 100 Millionen DM Einnahmen der Etat des Lastenausgleichsfonds nicht ins Wanken gerate; sonst müßte man ja annehmen, Sie hätten die 65 Millionen damals nicht bewilligt, weil es sich um die Ärmsten der Geschädigten handelte. Eine solche Haltung verdiente zumindest in der Öffentlichkeit festgehalten zu werden.
Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß der Ausfall von 100 Millionen DM auf der Einnahmeseite den Etat des Lastenausgleichsfonds ernsthaft gefährdet. Von Ihrer Seite wird zwar manchmal die Ansicht vertreten, daß diese 100 Millionen gar nicht gebraucht würden. Wir glauben das nicht. Ich erinnere an das, was der Kollege Farke in der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs über den allgemeinen Lastenausgleich im Mai vorigen Jahres gesagt hat. Er hat erklärt, daß diese 100 Millionen DM unter allen Umständen ausgeschöpft werden sollen. Wenn diese Summe also in diesem einen Fall nicht gebraucht werden sollte, würden Sie mit Ihrer berühmten Novellengesetzgebung sofort wieder einsetzen und versuchen, auf anderen Wegen die Vermögensabgabe zu ermäßigen.
Als Sozialdemokraten sind wir also der Auffassung, daß es wirklich um ein ernstes Problem geht. Sie können natürlich auf Grund Ihrer Mehrheit die Ausschußüberweisung beantragen und auch durchdrücken; wir möchten aber zumindest hier vor dem Hohen Hause festgestellt wissen, mit welcher Hast Sie versuchen, diesen Antrag unter Dach und Fach zu bringen. Wir bleiben bei unserer Vermutung, daß ganz bestimmte Interessentengruppen hinter diesem Antrag stehen, die bei den Regierungsparteien leider eine Mehrheit für ihre Auffassung gefunden haben. Ich erinnere mich noch ganz deutlich an die Debatten, die hier bei der Beratung des Vertriebenengesetzes über die Auswirkungen des Gesetzes für die Landwirtschaft stattgefunden haben. Ein Teil der Grünen Front war damals nicht bereit, den totalgeschädigten Bauern eine Chance zu einem auch nur bescheidenen Besitz zu geben.
— Bei der Endabstimmung hat ein Teil der Grünen Front gegen das Gesetz gestimmt.
Hier, wo es sich darum handelt, Restvermögensbesitzer noch weiter zu begünstigen, stellen sich die Regierungsparteien plötzlich auf den Standpunkt, daß das eine Bagatelle sei. Damals, als es sich um die Totalgeschädigten handelte, haben sie diese Haltung nicht eingenommen. Heute, wo es sich um Kreise handelt, die noch Restvermögen retten konnten, wollen sie diese Begünstigung in das Gesetz hineinarbeiten.
Der Hinweis, den der Kollege Wackerzapp in der 257. Sitzung hier gegeben hat, daß aus Flüchtlingsbetrieben ein solcher Wunsch geäußert worden sei, erscheint uns unglaubwürdig. Es könnte sich höchstens um Betriebe handeln, die ihren Hauptsitz in den Ostprovinzen hatten und jetzt in der Bundesrepublik Zweigniederlassungen unterhalten. Aber die eigentlichen Flüchtlingsbetriebe können nach unserer Auffassung solche Wünsche nicht geäußert haben. Ich möchte einmal die Flüchtlingsbetriebe zählen, die am 20. Juni 1948 schon wieder ein Vermögen von 150 000 DM besessen haben.
Es sind also wirklich schwerwiegende Gründe, die die sozialdemokratische Fraktion veranlassen, darum zu bitten, trotz Ihres Drängens diesen Antrag im Ausschuß noch einmal von allen Seiten zu beleuchten. Und wir haben noch ein Fünkchen Hoffnung, daß ein Teil der Vertriebenenabgeordneten hier nicht leichtfertig die Hand dazu gibt, die Einnahmen des Lastenausgleichsfonds zu schmälern.
Weil wir aber aus grundsätzlichen Erwägungen gegen diesen Gesetzentwurf sind, bitte ich darum, die Ausschußüberweisung überhaupt abzulehnen. Aber auch die zweite und dritte Lesung sollte heute unter allen Umständen nicht stattfinden.
Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine eigenartige Methode, die hier Platz gegriffen hat, daß man einen Gesetzentwurf, wenn er, wie Herr Kunze sagt, durch eine Zufallsmehrheit noch nicht einmal in den Ausschuß verwiesen werden konnte, nun einfach wieder auf die Tagesordnung einer der nächsten Sitzungen setzt. Aber da die Tatsache nun einmal vorhanden ist, erscheint es uns immerhin notwendig, zu dem sachlichen Inhalt dieses Antrags noch einige Worte zu sagen, obgleich wir bereits das letzte Mal unsere ablehnende Stellung damit begründet haben, daß dieser Gesetzentwurf eindeutig eine Begünstigung der großen Vermögen darstellt.
Die unbeschränkte Anrechnung von Kriegsschäden in dem vorgesehenen Maße würde das Aufkommen für den Lastenausgleich um jährlich zirka 160 Millionen DM schmälern. Diese Zahl stützt sich auf Berechnungen des Flüchtlingsministeriums, das feststellte, daß der mit dem Gesetzentwurf verbundene Wegfall der Begrenzung das Aufkommen um diesen Betrag vermindert. Dabei ist es absolut unwesentlich, daß man — unter Anwendung eines finanztechnischen Tricks — erklärt, daß der Ermäßigungstarif zu senken sei, wenn der Ausfall den Betrag von 100 Millionen DM jährlich übersteige. Man kann in diesem Fall sogar die Meinung des Herrn Bundesfinanzministers mit heranziehen, der feststellt, daß die Höhe der Ausfälle sich in frühestens drei Jahren abschätzen lasse. Somit ist in der entscheidenden Anlaufszeit die Berechnung des Lastenausgleichs praktisch gar nicht möglich. Man soll dieser Schonungspolitik gegenüber auch die Veröffentlichung des Statistischen Bundesamts mit heranziehen, da es sich ja hier in der Hauptsache um die Schonung der Betriebe handelt. Das Statistische Bundesamt stellt fest, daß bis Ende des Jahres 1951 allein 2329 Aktiengesellschaften ihr Grundkapital in einem durchschnittlichen Verhältnis von 10 zu 8,5 umgestellt haben. Jede 100 RM-Aktie hat also heute bereits wieder einen Wert von 85 DM. Aber darüber hinaus haben sich die Verhältnisse bis zur Jetztzeit zugunsten der hier in Frage kommenden Abgabepflichtigen noch bedeutend verbessert. Da die Anrechnung der Kriegsschäden in voller Höhe zum großen Teil Betriebe betrifft, ist die Feststellung des Umstellungsverhältnisses im Zusammenhang mit diesem Gesetz politisch besonders wertvoll. Wir stellen deshalb noch einmal fest, daß mit dieser ersten Novelle, die von der Regierungskoalition eingebracht worden ist und von der Sie so viel gesprochen haben, die weitere Entwicklung der Lastenausgleichsgesetzgebung entsprechend dem Willen dieser Mehrheit sich immer mehr zu einer weiteren Schonung des Besitzes und zu einer Belastung der Anspruchsberechtigten entwickelt. Die Hast, die Sie dabei an den Tag gelegt haben, ist absolut verständlich, wenn man weiß, daß die Bundestagswahlen vor der Tür stehen und die Geldgeber Ihrer Parteien auch im Bundestag die
entsprechenden Taten verlangen. Die Einbringung dieses Gesetzes ist eine dieser Taten. Dafür werden Sie von Ihren Geldgebern bezahlt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Wir haben mit dem Kollegen Ohlig drei Jahre lang im Lastenausgleichsausschuß zusammengearbeitet. Ich bin aus diesem Grunde außerordentlich überrascht über die Schärfe, mit der er hier Ausführungen gemacht hat, die doch zum Teil absolut und objektiv unrichtig sind. Aus seinen Darstellungen muß der mit der Materie nicht Vertraute entnehmen, es handele sich hier darum, dem Lastenausgleichsfonds 100 Millionen DM zu entziehen.
Das ist doch nicht wahr, Herr Ohlig! Sie wissen ganz genau, daß der Tatbestand folgender ist. Bei der Kalkulation, die die Bundesregierung schon vor der Einbringung des Lastenausgleichsgesetzes aufgemacht hat, hat sie damit gerechnet, daß durch die Anrechnung selbsterlittener Schäden ein Ausfall von 100 Millionen entstehen würde. Dieser Ausfall entsteht nicht durch das Gesetz, das wir hier machen, sondern er war von vornherein in die ganze Berechnung der Grundlage, auf der dieses Gesetz aufbaut, einkalkuliert. In dem Gesetz, das hier vorgeschlagen wird, wird nur gefordert, daß über den Kreis hinaus, der schon jetzt befreit ist, eine gewisse Befreiung gewährt wird, die zum Teil nur 2 % ausmacht. Der Druck zu dieser Forderung ist nach der Tagung des Unkeler Kreises entstanden, als wir erkennen mußten, wie sich diese Dinge in der Wirtschaft auswirken.
Gehen Sie einmal ins Bundesfinanzministerium! Sie werden finden, daß heute schon Tausende von Anträgen vorliegen, die sich auf den § 131 der Abgabenordnung berufen und die auf diesem Wege zu dem Erlaß kommen, — ob wir das Gesetz machen oder nicht. Ein großer Teil, und zwar der größte Teil wird also zum Zuge kommen, — ob . wir das Gesetz hier beschließen oder nicht. Infolgedessen handelt es sich hier um verhältnismäßig geringe Beträge, die etwa noch zusätzlich in Frage kommen. Nach den neuesten Berechnungen, die das Bundesfinanzministerium aufgemacht hat, wird die gesamte Minderung des Aufkommens die 100 Millionen überhaupt nicht erreichen, so daß also auch die Folgerungen, die Sie für eine etwaige neue Novelle vorgetragen haben, nicht in Frage kommen. Ich bitte doch, diese Dinge rein sachlich zu behandeln. Es handelt sich um Kreise, die selber einen großen Teil ihres Vermögens, bis zu 80 %, ja bis zu 90 % verloren haben und die von dem erhaltengebliebenen Teil von 20 oder 10 % die Hälfte abgeben sollen. Daß darin eine Ungerechtigkeit liegt, wenn diese Personen nicht einen Pfennig angerechnet bekommen, muß doch jedem einleuchten. Daß diese Minderung auf ihre eigenen Schadensansprüche angerechnet wird, steht in dem Gesetz. Auch damit ist doch allen Forderungen nach Gerechtigkeit Genüge geschehen. Alle Vorwürfe, die von der Seite der SPD vorgetragen worden sind, sind unberechtigt. Ich bitte Sie, den Antrag dem Ausschuß für den Lastenausgleich zu überweisen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kunze.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Kollege Ohlig die Aussprache eröffnet hat, bin ich natürlich gezwungen — und ich will mich dem Zwang gern fügen —, zu seinen Ausführungen Stellung zu nehmen. Ich kann zunächst anknüpfen und bestätigen, was Kollege Atzenroth entwickelte. Ferner darf ich auf etwas hinweisen was vollkommen vergessen wird. Als wir in Unkel — ich habe ja die Ehre gehabt, dem sogenannten Unkeler Kreis vorzusitzen —über diese ganzen Themata eingehend berieten, standen wir vor der Tatsache, daß auch bei der Entschädigung für die Vertriebenen eine bestimmte Obergrenze da war und daß wir darum die Relationen feststellen wollten. Dann haben wir diese Obergrenze auf Wunsch und Bitten der Vertriebenen im Plenum fallenlassen. Da wir das wußten, haben wir unsererseits diese Obergrenze, die im Regierungsentwurf mit 150 000 Mark gesetzt war, auch gestrichen und sind zu der Lösung gekommen, wie Sie sie jetzt in § 47 als Vorschlag vorfinden.
Es ist gesagt worden, daß wir einmal wieder das große Kapital schonen wollten, und daß wir wieder die kleinen Vermögen vernachlässigten. Das spricht sich alles so leicht aus. Man sollte etwas vorsichtiger bei solchen Zahlen sein. Ich darf ein paar Zahlen nennen: Ich habe mal ausgerechnet, wenn jemand am Stichtag ein Vermögen von 20 000 Mark hatte und einen Schaden von 10 000 DM, also ein Drittel, gehabt hat, dann kommt er nach dem jetzt geltenden Recht in den Genuß einer Senkung seiner Abgabe von 7500 DM um 975 DM, nach unserer Vorlage um 1000 DM. Hat jemand ein Vermögen von 40 000 Mark gehabt, hat die Hälfte verloren und hatte am Stichtag 20 000 Mark Vermögen, dann erhält er nach dem jetzt geltenden Recht 1875 DM Senkung seiner Abgabe durch die in § 47 vorgesehene Ermäßigung, nach unserer Vorlage bekommt er 3500 DM Senkung. Das will also praktisch bedeuten, daß ich dem Betreffenden bei 20 000 Mark Vermögen immerhin noch 4000 Mark, also 25 %, abnehme, nachdem er schon 50 % verloren hatte. Nun will ich Ihnen die Zahlen weiter geben. Wenn ich jetzt hingehe — die Dinge sind ja doch in Tausenden von Fällen existent — und folgendes Beispiel nehme: Jemand hat am Stichtag noch ein abgabepflichtiges Vermögen von 20 000 Mark — er hatte 40 000 Mark —, dann würde er nach heute geltendem Recht eine Abgabe von 7500 Mark zu zahlen haben, und davon wird ihm die Hälfte, nämlich 50 %, erlassen. Er zahlt also 3750 Mark, d. h. er hat bereits vorweg zwei Drittel seines Vermögens verloren. Nun sind wir allerdings der Meinung, daß man ihm dann wirklich nicht noch einmal die Hälfte oder drei Viertel abnehmen darf.
Wenn ich in die größeren Vermögen gehe, da Wird die Sache interessant, weil sich in dieser Tonart, Kollege Ohlig, so leicht nach draußen reden läßt. Was sind denn die „großen Vermögen"? Die großen Vermögen sind doch nicht Geldvermögen, sondern Betriebsvermögen. Sind Sie denn ein einziges Mal — ich will ein Beispiel nennen — in dem ungeheuer zerstörten Düren gewesen und haben die riesengroßen Papierfabriken gesehen, bei denen die Schädigung — ich habe eine besichtigt und mich eingehend über diese Fragen orientiert — bei etwa 8 bis 10 Millionen liegt und das vorhandene Vermögen noch 2 Millionen beträgt? Die Folge ist, daß die Maschinen nicht mehr angeschafft werden können, daß von dieser Firma heute Hunderte von Arbeitern nicht beschäftigt werden können, weil die Beschäftigungsgrundlage, das Betriebsvermögen nicht da ist. Nun wollen Sie dem noch, statt ihm zu helfen, von den zwei Millionen Werten, die er behalten hat, also von den 20% seines Ausgangsvermögens, wieder eine Million ab-. nehmen! Zu deutsch: wir nehmen ihm 90 v. H. ab und geben ihm keine Chance, wieder aufzubauen und die Arbeitsplätze zu schaffen, um seine Arbeiter unterzubringen.
Ich brauche nicht weiter auf die Behauptung einzugehen, es bestehe eine Diskrepanz zwischen unserer ablehnenden Haltung zur Erhöhung der Unterhaltshilfe und unserer jetzigen Stellungnahme. Wer im Lastenausgleichsausschuß dieses Thema mit verhandelt hat, der weiß doch: Maßgebend für die Entscheidung, daß wir die Unterhaltshilfe nicht erhöhen konnten, war nicht die Frage der Aufbringung der Mittel, sondern die Erkenntnis: Wir müssen einmal mit einer falschen Sozialpolitik aufhören. Als im Dezember 1952 die Sozialrenten erhöht wurden, geschah das in Anpassung an vorherige Entwicklungen der Preissteigerung in der Lebenshaltung. Als wir die Teuerungszuschläge zur Unterhaltshilfe beschlossen, war die Teuerungswelle bereits abgeschlossen, nämlich ein Jahr später als die Erhöhung der Sozialrenten. Wir haben also bei den Sozialrenten nur etwas nachgeholt, was wir bei der Unterhaltshilfe durch das Teuerungs'zulagengesetz, das wir alle miteinander einstimmig angenommen haben, bereits vorweggenommen hatten.
Und das Letzte. Ich begnüge mich mit dem Hinweis auf die Tatsache, die Kollege Atzenroth nannte. Was ist denn in Wirklichkeit geschehen? In Wirklichkeit ist die Einnahme des Lastenausgleichsfonds wesentlich höher, Gott sei Dank wesentlich höher, als eine gewissenhafte und vorsichtige Schätzung des Bundesfinanzministeriums ergab. Was haben wir miteinander getan? Ich erinnere Frau Kollegin Krahnstöver an unsere Verhandlungen in Homburg. Wir haben gesagt, wir müssen jetzt dafür sorgen, daß die Mittel, die mehr kommen, möglichst schnell herausgehen. Wir haben miteinander überlegt, wie wir das tun können. Wir werden in kurzer Frist im Kontrollausschuß die entsprechende Vorlage zu beschließen haben, deren Ziel einzig und allein ist, den Geschädigten besser und schneller zu helfen. Wir versündigen uns also nicht an den Geschädigten; wir möchten aber auch ein Stück sozialer Gerechtigkeit für jene, die durch die Kriegseinwirkung schon außerordentliche Schäden erlitten haben, deren Berücksichtigung wir jetzt für unsere Pflicht halten. Wir werden damit unserer Gesamtkonzeption nicht untreu; denn das haben wir bereits, wie ich bei meiner Begründung sagte, am Schluß der Beratungen über die Annahme des Gesetzes gemäß dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses hier im Hause feierlich erklärt.
Nun noch zum Anwurf des Kollegen Kohl. „Dafür werden Sie ja bezahlt". Herr Kollege Kohl, erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß ich es für unter meiner Würde halte, Ihnen auf einen solchen Vorwurf eine Antwort zu geben.
Da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, ist die Aussprache geschlossen. Herr Abgeordneter Kunze, Sie hatten bei Ihrer ersten Begründung gewünscht, daß die zweite und dritte Beratung angeschlossen wird.
Das ist geschäftsordnungsmäßig nicht möglich. (Abg. Kunze: Weil widersprochen worden ist!)
— Nein, es wäre auch sonst nicht möglich. Da hier nur die erste Beratung auf der Tagesordnung steht, kann ein solcher Antrag nur bei Feststellung der Tagesordnung gestellt werden. Sie hätten also gleich zu Anfang der Sitzung einen entsprechenden Antrag stellen müssen. Ich kann also darüber überhaupt nicht abstimmen lassen. Es bleibt nur bei dem einen Antrag auf 'Überweisung an den Ausschuß für Lastenausgleich. Darüber stimmen wir jetzt ab. Ich bitte diejenigen, die. für die Überweisung sind, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, es ist keine einheitliche Meinung über das Stimmenverhältnis möglich. Wir müssen auszählen.
— Ich bitte, die Entrüstung den Kollegen gegenüber auszudrücken, die nicht da sind. Darf ich bitten, den Saal so schnell wie möglich zu räumen.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Die Auszählung ist beendet. Ich bitte, die Türen zu schließen.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Abstimmung: mit Ja haben gestimmt 179, mit Nein 123 Abgeordnete.
Keine Enthaltungen.
Ich bitte, die Plätze einzunehmen. Wir fahren in unserer heutigen Tagesordnung fort, und zwar mit dem Punkt 2:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Fremdrenten der Sozialversicherung an Berechtigte im Bundesgebiet und im Lande Berlin, über Leistungen der Sozialversicherung an Berechtigte im Ausland sowie über freiwillige Sozialversicherung (Nr. 4201 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt dazu eine Redezeit von 90 Minuten vor. Ich nehme Ihre Zustimmung hierzu an.
Zur Einbringung hat das Wort Herr Staatssekretär Sauerborn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die bundeseinheitliche Ordnung der Unfallversicherung, der Rentenversicherung und der Krankenversicherung für die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge geschaffen werden. Die gleiche Regelung soll auch Tausenden von Flüchtlingen aus der sowjetischen Besatzungszone, die sich nunmehr im Bundesgebiet und im Lande Berlin eine neue Existenzgrundlage suchen müssen, zuteil werden. Wer Heimat, Hab und Gut wegen seiner Zugehörigkeit
zum Deutschtum verloren hat, kann mit gutem Recht erwarten, daß die große Versichertengemeinschaft Westdeutschlands für seine Gleichberechtigung auf dem Gebiet der Sozialversicherung eintritt. Er kann erwarten, daß die Zahlung erdienter Renten wideraufgenommen und daß erworbene Anwartschaften wiederhergestellt werden.
Die in den einzelnen Ländern und Zonen des Bundesgebiets bisher hierzu erlassenen Vorschriften waren sehr unterschiedlich und stellten eine wenig befriedigende Regelung dar; sie führten insbesondere beim Wechsel des Wohnsitzes innerhalb des Bundesgebiets zu Härten und Unzuträglichkeiten. So werden im Gebiet der britischen Besatzungszone Rentenansprüche, die gegen ausländische Versicherungsträger erworben wurden, zur Zeit überhaupt nicht berücksichtigt; dagegen werden Renten aus Ansprüchen gegenüber Versicherungsträgern aus Gebieten, in denen die Sozialversicherungsleistungen seinerzeit von der deutschen Sozialversicherung übernommen worden sind, einschließlich aller Zusatzrenten gewährt. Demgegenüber werden in der amerikanischen und französischen Besatzungszone nach den Flüchtlingsrentengesetzen der Länder zwar Rentenansprüche gegen ausländische Versicherungsträger honoriert, soweit diese an Personen im Bundesgebiet und Westberlin keine Leistungen gewähren, aber nur insoweit, als diese Ansprüche sich im Rahmen der deutschen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften halten. Auch fehlt es für die Anrechnung von Rentenanwartschaften, die bei Versicherungsträgern in der Sowjetzone erworben sind, an einer ausreichenden Rechtsgrundlage. Für die im Ausland lebenden Anspruchsberechtigten schließlich besteht ebenfalls keine befriedigende Regelung ihrer sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche.
Ein weiterer Mangel des geltenden Rechts liegt darin, daß Einheimische, die bei ausländischen Versicherungsträgern Ansprüche oder Anwartschaften erworben haben, abgesehen von den Fällen, in denen zwischenstaatliche Sozialversicherungsabkommen geschlossen worden sind, keine Leistungen erhalten. Schließlich wird auch die Finanzierung der bisher für Flüchtlings- und Fremdrenten aufgewandten Beträge im Bundesgebiet sehr unterschiedlich gehandhabt. All diesen unbefriedigenden und unzulänglichen Zwischenlösungen soll mit dem vorgelegten Entwurf des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes ein Ende bereitet und für das gesamte Bundesgebiet einheitliches Recht geschaffen werden.
Dabei war zu berücksichtigen, daß das bisherige Sozialversicherungsrecht der Heimatvertriebenen auf sehr unterschiedlichen Rechtsgrundlagen der jeweiligen Heimatgebiete beruht. Eine bundeseinheitliche Regelung bedurfte daher der Lösung außerordentlich schwieriger versicherungstechnischer, rechtlicher und finanzieller Probleme.
Die für das Gesetz erforderlichen Aufwendungen sollen vom Bund, von den Versicherungsträgern und aus dem Vermögen der stillgelegten Versicherungsträger bestritten werden. Die Bereitstellung von Mitteln des Bundes beruht auf der Erwägung, daß es sich bei den vom Bund zu übernehmenden Aufwendungen um Kriegsfolgelasten handelt, die nach Art. 120 des Grundgesetzes vom Bund getragen werden müssen.
Während den Trägern der Rentenversicherung von den Flüchtlings- und Fremdrenten im wesentlichen die nicht auf Versicherungszeiten im Bundes-
gebiet entfallenden Rententeile vom Bund erstattet werden sollen, werden die Träger der Unfallversicherung, soweit es die gewerblichen Berufsgenossenschaften betrifft, die ihnen aus diesem Gesetz erwachsenden Aufwendungen selbst tragen, soweit sie nicht aus den noch verfügbaren Vermögen der stillgelegten Berufsgenossenschaften bestritten werden können. Diese Regelung ist getroffen worden, da die Unfallversicherung allein aus Beiträgen der Unternehmer und ohne Beteiligung öffentlicher Mittel finanziert wird. Der Entwurf geht davon aus, daß den gewerblichen Unternehmern zugemutet werden kann, in einer solidarischen Haftung die Verpflichtungen aus Unfällen zu übernehmen, die in Betrieben außerhalb des Bundesgebiets entstanden sind. Bei den übrigen Unfallversicherungsträgern werden die Aufwendungen vom Bund übernommen. Hierbei handelt es sich entweder um solche Träger, deren Aufwendungen ohnehin aus Mitteln der öffentlichen Hand bestritten werden, oder um territorial gegliederte Versicherungsträger, die außerhalb des Bundesgebiets nach 1945 untergegangen sind.
Für den Bund werden nach diesem Gesetz Mehrkosten in Höhe von 305 Millionen DM jährlich entstehen, von denen 294 Millionen DM auf das Bundesgebiet und 11 Millionen DM auf das Land Berlin entfallen. Der größte Teil dieser vom Bund zu tragenden Aufwendungen konnte erst im Haushaltsjahr 1953 bereitgestellt werden. Gleichwohl sollen die im Gesetz vorgesehenen Leistungen an Personen, deren Ansprüche nach bisher geltendem Recht gar nicht oder nur teilweise anerkannt werden, bereits mit Rückwirkung vom 1. April 1952 an gewährt werden. Soweit für diese Leistungen die Aufwendungen vom Bund zu tragen sind, werden sie von ihm ebenfalls mit Wirkung vom 1. April 1952 übernommen. Diese besonderen Aufwendungen werden auf etwa 15 Millionen DM jährlich geschätzt.
Im einzelnen sieht der Entwurf vor, daß den in das Bundesgebiet und das Land Berlin zugezogenen Vertriebenen sowie Einheimischen nach gleichen Gesichtspunkten Leistungen zur Abgeltung von Ansprüchen und Anwartschaften gewährt werden, die sie bei nicht mehr bestehenden, stillgelegten oder außerhalb des Bundesgebiets und des Landes Berlin befindlichen Versicherungsträgern im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung und der Rentenversicherungen erworben haben.
Ferner werden Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung und der Rentenversicherungen an Berechtigte im Ausland unter Anpassung an die veränderten staatsrechtlichen Verhältnisse in Deutschland gewährt. Dabei sind insbesondere die nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen, die zu einer umfangreichen Auswanderung in das Ausland geführt haben, berücksichtigt. Der Gesetzentwurf sieht auch vor, daß deutsche und frühere deutsche Staatsangehörige, die sich in einem auswärtigen Staat aufhalten und Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder einer Rentenversicherung haben, bei denen diese Ansprüche jedoch nicht gegen einen bestehenden Versicherungsträger im Bundesgebiet gerichtet sind, die Möglichkeit haben, zur Vermeidung von Härten Ersatzleistungen zu erhalten, wenn sie darauf zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts für sich und ihre Familienangehörigen angewiesen sind.
Personen, die früher außerhalb des Bundesgebietes und des Landes Berlin krankenversichert
waren, sollen in die Lage versetzt werden, eine frühere Versicherung bei der gesetzlichen Krankenversicherung im Bundesgebiet oder im Lande Berlin freiwillig fortzusetzen. Es handelt sich hierbei überwiegend um Vertriebene, die infolge der unsicheren Verhältnisse in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch versäumt haben, die freiwillige Weiterversicherung in der Krankenversicherung zu beantragen. In diesem Zusammenhang wird auch durch Änderung bisheriger Vorschriften der Reichsversicherungsordnung Versicherten, die sich zur Arbeitsleistung im Ausland oder in sonstigen Gebieten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, das Recht der Weiterführung ihrer bisherigen Krankenversicherung, insbesondere zum Schutze der zurückbleibenden Familienangehörigen, gegeben.
Das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz stellt somit einen bedeutungsvollen Beitrag zur Eingliederung der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen in die Sozialgemeinschaft des Bundesgebietes und des Landes Berlin dar.
Damit ist die Vorlage eingebracht.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache zur ersten Beratung. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt es, daß nunmehr der Entwurf des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vorliegt, weil die stark voneinander abweichenden landesrechtlichen und zonenrechtlichen Regelungen zu vielfachen Härten und Ungerechtigkeiten geführt haben, die durch eine bundeseinheitliche Regelung beseitigt werden müssen. Die sozialdemokratische Fraktion bedauert aber, daß der Gesetzentwurf erst heute vorgelegt wird; dies um so mehr, als fast alle Bestimmungen dieses Gesetzes bereits mit Wirkung vom 1. April 1952 in Kraft treten sollen. Es ist nach Auffassung meiner Fraktion höchst unerfreulich, daß ein sozialpolitisch so bedeutsames Gesetz mit rückwirkender Kraft über ein Jahr hinaus beschlossen werden soll.
Der Gesetzentwurf gehört zu den kompliziertesten sozialpolitischen Vorlagen. Das liegt zum Teil daran, daß die Materie, die geregelt werden muß, außerordentlich schwierig ist. Schon das deutsche Rentenrecht ist bekanntlich so kompliziert, daß bisher noch kein einheitliches Bundesrecht geschaffen wurde. Das Hohe Haus hat sich mehrfach mit dieser Frage beschäftigt und zuletzt am 26. November 1952 einstimmig die Bundesregierung beauftragt, baldigst einen Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des deutschen Rentenrechts vorzulegen. Bisher ist das aber noch nicht geschehen, offenbar deswegen, weil die Materie zu kompliziert ist. Bei dieser Sachlage ist es erklärlich, daß sich bei den Fremd- und Auslandsrenten noch eine schwierigere Materie ergibt.
Erschwerend kommt hinzu, daß der Gesetzentwurf in einer Reihe von Punkten, z. B. hinsichtlich der Finanzierungsfrage, über die sachlichen Bedürfnisse hinaus noch komplizierter gestaltet wurde, als dies auf Grund der Materie notwendig ist. Infolgedessen liegt jetzt ein Gesetzentwurf vor, der so kompliziert ist, daß selbst die ausführenden Stellen größte Mühe haben werden, danach zu arbeiten. Für die Versicherten aber, für die dieses Gesetz Rechte begründet, wird das Gesetz, wenn
es bei der vorliegenden Fassung verbleibt, ein Buch mit sieben Siegeln sein. Ein solcher Tatbestand ist gerade bei einem sozialpolitischen Gesetz sehr unbefriedigend.
Nun zum Gesetzentwurf im einzelnen, und zwar zuerst zu den Fremdrenten. Selbstverständlich bejaht meine Fraktion, daß nunmehr die Rentenansprüche von Heimatvertriebenen und von allen anderen im Bundesgebiet lebenden Personen, die Rentenansprüche gegen nicht mehr bestehende, stillgelegte oder ausländische Versicherungsträger haben, auf das geltende Bundesrecht umgestellt werden. Der Gesetzentwurf sieht aber bei dieser Anpassung eine Reihe von Ausnahmen vor. Die während des Krieges erlassenen Verordnungen über die Sozialversicherung in den sogenannten eingegliederten Gebieten der Tschechoslowakei, den sogenannten eingegliederten Ostgebieten und in Österreich sollen nämlich grundsätzlich weiterhin gelten. Es muß doch als sehr bedenklich bezeichnet werden, dieses unter ganz anderen Perspektiven geschaffene Verordnungsrecht jetzt noch ausdrücklich in ein neues Gesetz aufzunehmen, das zu einem Zeitpunkt, in dem doch auch das deutsche Kriegs- und Besatzungsrecht nach Möglichkeit liquidiert werden soll.
Abgesehen von diesen grundsätzlichen Bedenken werden sich auch für die Praxis außerordentliche Schwierigkeiten ergeben, weil das Besatzungsrecht durch vielfache Ergänzungs- und Durchführungsbestimmungen erläutert worden ist, die sehr verstreut sind, so daß sich auch ein Sachbearbeiter nur sehr schwer durch diese Materie hindurchfinden kann.
Bei den Ausschußberatungen sollte also eingehend geprüft werden, ob nicht zur Sicherung der Ansprüche der Heimatvertriebenen andere Wege gefunden werden können, die dem Sinn des Gesetzes, einen Übergang vom Rentenrecht der Heimatgebiete der Vertriebenen zum gegenwärtig geltenden Recht zu finden, entsprechen. Dabei müssen selbstverständlich die erworbenen Rentenansprüche der Heimatvertriebenen und aller anderen Berechtigten voll gewahrt bleiben. Meine Fraktion wird bei den Ausschußberatungen hierzu Anträge stellen.
Auch mit anderen Leistungsfragen auf dem Gebiet der Fremdrenten wird sich der Ausschuß zu beschäftigen haben. Nach dem Gesetzentwurf sollen Ansprüche gegen die Versicherungsträger, die in den unter polnischer und sowjetischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten neu errichtet wurden, ausgeschlossen werden. In diesen Gebieten. z. B. in Oberschlesien, mußten nach dem 8. Mai 1945 noch zahlreiche Deutsche beispielsweise im Bergbau arbeiten. Es ist völlig ungerechtfertigt, diesen Menschen, die bis zu ihrer Ausweisung unter schwersten Bedingungen tätig sein mußten, für diese Zeit keine Leistungsansprüche zu gewähren.
Ferner sollen politische Flüchtlinge nach dem Gesetzentwurf u. a. nur Leistungen erhalten, wenn sich der Berechtigte, wie es im Gesetzentwurf heißt, befugt im Bundesgebiet oder im Lande Berlin aufhält. Bei der gegenwärtigen Lage muß der Gesetzgeber naturgemäß aus finanzwirtschaftlichen Gründen Vorsorge dagegen treffen, daß in der Sozialversicherung Währungsunterschiede ausgenützt werden. Aber dennoch muß der Begriff „befugter Aufenthalt" zu Bedenken führen. Die Bundesregierung ist leider der Empfehlung des Bundesrats, den Begriff „befugter Aufenthalt" im Gesetz näher festzulegen, nicht gefolgt. Sie will sich das für später vorbehalten. Offenbar bestehen in dieser Hinsicht noch zwischen den einzelnen Ressorts, wie auch bei Beratungen im Gesamtdeutschen Ausschuß früher einmal zum Ausdruck gebracht wurde, noch sehr unterschiedliche Auffassungen.
Meine Fraktion ist deshalb der Ansicht, daß vom Gesetzgeber für das gesamte Bundesgebiet einschließlich Berlin klargestellt werden muß, wer eigentlich Anspruch auf die Renten nach dem vorliegenden Gesetz hat. Das ist für viele alte und arbeitsunfähige Menschen eine dringende Notwendigkeit.
Unbedingt ist im Gesetz sicherzustellen, daß nicht etwa Renten, die bereits von Versicherungsträgern des Bundesgebietes oder Berlins gewährt werden, wegen Einführung des Begriffs „befugter Aufenthalt" nun wieder entzogen werden.
Das ist sozialpolitisch sehr bedeutsam; denn vielfach haben Versicherungsträger bis jetzt Renten bei Aufenthalt im Bundesgebiet oder in Berlin auch dann gezahlt, wenn dieser dauernde Aufenthalt vielleicht nicht im Rechtssinne befugt war. Zu denken ist dabei insbesondere an die Fälle, in denen Rentner aus der Ostzone oder aus dem Ostsektor in die Bundesrepublik oder nach Westberlin zu Angehörigen gezogen sind und dort Renten erhalten. Meine Fraktion muß sich deshalb vorbehalten, bei den Beratungen im Ausschuß zu der Frage des sogenannten „befugten Aufenthalts" Anträge zu stellen.
Nach dem Gesetzentwurf soll ferner die Rentengewährung an die Voraussetzung gebunden werden, daß die Berechtigten von dem Versicherungsträger, bei dem das Versicherungsverhältnis bestanden hat, wegen ihres Aufenthalts oder, wie es heißt, wegen nachweislicher Gefährdung ihrer Person bei der Verwirklichung ihres Anspruchs keine Leistung erhalten können. Die Vorschrift über nachweisbare Gefährdung bei Verwirklichung des Anspruchs soll sich laut Begründung des Gesetzentwurfs auf die besonderen Verhältnisse in Berlin beziehen. Damit ist aber leider den Berliner Bedürfnissen nicht ausreichend Rechnung getragen.
Ich darf das an dem Beispiel der Berliner Eisenbahner erläutern, weil in der Begründung zum Gesetzentwurf besonders auf diese Frage eingegangen worden ist. Da die Eisenbahn in Berlin unter ostzonaler Verwaltung steht, sind alle Eisenbahner, auch diejenigen, die in Westberlin tätig sind und dort wohnen, bei einem ostzonalen Versicherungsträger versichert. Etwa 14 000 Eisenbahnrentner erhalten gegenwärtig von dem ostzonalen Versicherungsträger Renten in Ostmark, die erst im Wege eines besonderen Umtauschverfahrens bis zu einer gewissen Grenze in Westmark umgetauscht werden können. Diese 14 000 Rentner erhalten auch Leistungen der Rentnerkrankenversicherung nur in Ostmark. Beispielweise erhält der Arzt für die Behandlung des Eisenbahnrentners, obwohl er in Westberlin einen in Westberlin wohnenden Menschen behandelt, nur ein Honorar in Ostmark. Ein Krankenhausaufenthalt findet, abgesehen von dringender Lebensgefahr, nur gegen Ostmark und damit in einem Ostkrankenhaus statt. Als Arzneien werden nur Ostarzneien gewährt. Darin sehen wir eine Benachteiligung der in Westberlin wohnenden Eisenbahnrentner. Wir sind der Auffassung, daß
sich der Ausschuß mit der Beseitigung solcher Schwierigkeiten sehr ernsthaft zu beschäftigen haben wird. Ich freue mich sehr, daß Herr Bundesminister Kaiser offenbar dieser Auffassung zustimmt.
Nach dem Entwurf soll an dem gegenwärtigen, sehr bedenklichen Zustand grundsätzlich nichts geändert werden, abgesehen von den Fällen sogenannter persönlicher Gefährdung. Ich darf aber darauf aufmerksam machen, daß eine persönliche Gefährdung für jemanden, der seit vielen Jahren in Westberlin wohnt, nicht dokumentarisch, etwa durch ein besonderes Verfahren, wie etwa bei Flüchtlingen, nachgewiesen werden kann. Deshalb entspricht die im Gesetzentwurf vorgesehene Sonderregelung, wenn man sich mit der Materie im einzelnen beschäftigt, in keiner Weise den Berliner Bedürfnissen.
Schwierigkeiten ergeben sich auch für alle anderen in Westberlin wohnenden Personen, die bei einem Träger der Sozialversicherung der Ostzone oder Ostberlins versichert sind, weil sie dort arbeiten. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf ist nur im Ausnahmefall für die in Westberlin lebenden Menschen der Versicherungsträger Westberlins zuständig. Das wird mit versicherungstechnischen Argumenten begründet. Ein solches versicherungstechnisches Prinzip mag für den Normalfall richtig und notwendig sein; es wird aber in keiner Weise der gegenwärtigen Lage gerecht.
Grundsätzlich müssen wir deshalb die Forderung aufstellen, daß alle Menschen, die im Lande Berlin wohnen oder arbeiten, leistungsmäßig zum Versicherungsträger Westberlins gehören und auch Leistungen in West-Mark erhalten, wie das für die Bundesrepublik selbstverständlich ist. Naturgemäß ergeben sich aus einer solchen Forderung — darüber bin ich mir als Berliner durchaus im klaren — eine Reihe von schwierigen Fragen, die im Ausschuß eingehend behandelt werden müssen. Dabei sind wir uns darüber im klaren, daß es zur Regelung dieser Probleme keine Patentlösung gibt. Entscheidend ist aber für meine Fraktion, daß die im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung durch eine bessere ersetzt werden muß.
Nun zur Frage der Auslandsrenten. Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt es, daß nach dem vorliegenden Gesetzentwurf Leistungen an Berechtigte im Ausland wieder gewährt werden sollen, soweit dies nicht durch Gegenseitigkeitsabkommen, deren Abschluß wir immer bejaht haben, gewährleistet ist. Mit Befriedigung nimmt die sozialdemokratische Fraktion weiter davon Kenntnis, daß nach dem Gesetzentwurf auch der Auslandsaufenthalt von Berechtigten, die wegen ihrer politischen Haltung, ihres Glaubens, ihrer Weltanschauung oder Rasse geflüchtet sind, als unfreiwilliger Aufenthalt gilt und somit kein Ruhen von Rentenansprüchen eintritt.
Leider konnte sich die Bundesregierung nicht dazu entschließen, uneingeschränkt sämtliche Auslandsverpflichtungen der ehemaligen gesamtstaatlichen deutschen Sozialversicherung anzuerkennen. Nach dem Gesetzentwurf sollen Leistungen nur gewährt werden, wenn während der Versicherungszeit ein Zusammenhang mit dem Bundesgebiet oder dem Lande Berlin bestanden hat. Selbstverständlich hat meine Fraktion für die finanzwirtschaftlichen Erwägungen, die zu einer solchen Regelung führen sollen, Verständnis. Es ist aber zu bedenken, daß der Aufwand für Auslandsverpflichtungen der gesamtdeutschen Sozialversicherung in der Begründung insgesamt mit 9 bis 10 Millionen DM angegeben wird Dieser Betrag ist im Verhältnis zum Gesamtaufwand nach dem Gesetzentwurf über Fremdrenten mit insgesamt über 400 Millionen DM relativ geringfügig. Es sollte deshalb im Ausschuß überlegt werden, ob sich nicht doch eine andere Regelung finden läßt. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß ohnehin nicht alle Auslandsverpflichtungen erfüllt werden sollen, sondern nur die Verpflichtungen in ausländischen Staaten mit amtlicher deutscher Vertretung.
Bei den Ausschußberatungen wird weiter überlegt werden müssen, ob die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Regelung richtig ist, wonach im Ausland lebende Deutsche, die beispielsweise gegen stillgelegte Versicherungsträger, etwa die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, Rentenansprüche haben, keinen Rechtsanspruch auf Leistungen erhalten sollen. Diesen Versicherten soll nach dem Entwurfe lediglich eine Ersatzleistung im Falle der Bedürftigkeit gewährt werden. Eine solche Methode der Bedürftigkeitsprüfung entspricht nicht dem gegenwärtigen System der deutschen Sozialversicherung.
Im Gesetzentwurf finden sich auch Vorschriften über die freiwillige Sozialversicherung. Dem Grundsatz nach bejaht meine Fraktion die im Gesetzentwurf vorgesehene Erweiterung der freiwilligen Sozialversicherung bei Auslandsaufenthalt. Allerdings zeigt sich auch bei den Vorschriften über die freiwillige Versicherung, wie bedauerlich es ist, daß der Gesetzentwurf erst mit so großer Verspätung vorgelegt wird. Wenn im Gesetzentwurf u. a. die Möglichkeit für eine freiwillige Versicherung früherer Krankenversicherter geboten wird, die sich im Jahre 1944 außerhalb des Bundesgebiets befunden haben und inzwischen zurückgekehrt sind, und wenn eine solche Versicherung zudem noch von einer ärztlichen Nachuntersuchung abhängig gemacht wird, dann ist die vorgesehene freiwillige Sozialversicherung wenig attraktiv. Die betreffenden Personen werden nämlich entweder, weil sie inzwischen längst in Arbeit stehen, ohnehin sozialversichert sein, oder sie werden Rente erhalten und damit aus den Leistungen der Rentnerkrankenversicherung versorgt sein, oder sie werden so krank sein, daß sie einer ärztlichen Nachuntersuchung nicht genügen und von der freiwilligen Versicherung abgelehnt werden. Wir bedauern also auch im Hinblick auf die freiwillige Versicherung, daß die Vorlage des Gesetzentwurfs erst jetzt erfolgt.
Nun zu den Finanzfragen. Bei den Fremd- und Auslandsrenten handelt es sich fast ausschließlich um Leistungsverpflichtungen, die Kriegsfolgelasten darstellen. Gemäß Art. 120 des Grundgesetzes hat der Bund derartige Aufwendungen zu tragen. Mit Recht wird deshalb in der Begründung hervorgehoben, daß die Tragung derartiger Aufwendungen durch die Rentenversicherung, statt die Steuerkraft des gesamten Volkes in Anspruch zu nehmen, eine unzulässige Belastung der Beitragszahler darstellt. Es muß allerdings festgestellt werden, daß, abgesehen von der amerikanischen Zone, in den letzten Jahren tatsächlich eine solche unzulässige Aufbürdung von Kriegsfolgelasten auf die Rentenversicherung, und zwar in einer Höhe von jährlich
rund 300 Millionen DM, stattgefunden hat. Bei dieser Sachlage ist es sehr bedauerlich, daß die Inkraftsetzung der Vorschriften über die Erstattung der Aufwendungen für Fremd- und Auslandsrenten im Gegensatz zu dem allgemeinen Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. April 1952 aus staatsrechtlichen Gründen grundsätzlich erst zum 1. April 1953 erfolgen soll.
Nach dem Gesetzentwurf sollen die Mehraufwendungen aus drei Quellen gedeckt werden, erstens aus Bundesmitteln, zweitens aus Mitteln der stillgelegten Versicherungsträger und drittens aus Mitteln der aktiven Versicherungsträger. Mit der Deckung aus diesen drei Quellen ist ein außerordentlich kompliziertes Verfahren verbunden. Zum Teil sollen die Aufwendungen für ein und dieselbe Rente aus mehreren Quellen gedeckt werden; desgleichen sollen die Aufwendungen für die Rentnerkrankenversicherung auf mehrere Kostenträger aufgeteilt werden. Das praktische Ergebnis dieses komplizierten Verfahrens besteht aber — sofern man die Unfallversicherung außer Betracht läßt, für deren Abrechnung wir dem vorgeschlagenen Verfahren zustimmen würden — darin, daß bei einem Gesamtaufwand von rund 400 Millionen DM nur 3 Millionen DM, d. h. etwa 1 %, von den stillgelegten und aktiven Versicherungsträgern aufgebracht werden sollen. Es ist sehr fraglich, ob sich bei einem derartigen Ergebnis ein solch kompliziertes Abrechnungsverfahren lohnt. Wir sind deshalb der Ansicht, daß sich der Ausschuß mit dieser Frage' noch näher beschäftigen sollte.
Die nach dem Gesetzentwurf zu gewährenden Erstattungen für die Kriegsfolgelasten sollen — und das ist sozialpolitisch und finanzpolitisch sehr interessant — den Rentenversicherungsträgern offenbar nur mittelbar zufließen. Jedenfalls wurde bei der Beratung des Gesetzentwurfes über die Deckung der Rentenzulagen von Regierungsseite erklärt, daß die Finanzierung des Fremd- und Auslandsrentengesetzes davon abhängt, daß von den Rentenzulagen jährlich 555 Millionen DM anstatt in Barmitteln durch Schuldverschreibungen gewährt werden. Es würde sich also nach den Absichten der Regierung durch das vorliegende Gesetz kein Zuwachs an Barmitteln für die Rentenversicherung ergeben.
Die Höhe der Leistungen, die nach diesem Gesetzentwurf neu an Versicherte gewährt werden sollen, läßt sich aus der Begründung leider nicht direkt feststellen. Insgesamt wird sich wohl für die Versicherten eine Mehrleistung von 20 Millionen DM ergeben, was im Vergleich zu dem Gesamtaufwand dieses Gesetzes von rund 400 Millionen DM — davon 300 Millionen DM neu — relativ geringfügig ist. Wenn auch dieser neue Leistungsaufwand nur einen Bruchteil der Gesamtkosten des Gesetzentwurfes ausmacht, so ist er doch so hoch, daß auch im Interesse der Versicherten die alsbaldige Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs unbedingt dringlich ist. Dabei muß aber in den Ausschußberatungen noch eine Reihe von Mängeln des Gesetzentwurfs beseitigt werden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben in diesem Hause mehrmals die Anfrage gestellt, warum das Fremdrentengesetz noch nicht verabschiedet worden ist.
Den Weg, den dieser Gesetzentwurf bis zu seiner verzögerten Verabschiedung infolge seiner finanziellen Auswirkungen und infolge der Notwendigkeit zur Genehmigung der erforderlichen Mittel gegangen ist, haben wir als einen echten Leidensweg empfunden. So trocken auch die Materie hinsichtlich der sozialversicherungstechnischen Auseinandersetzungen hier diskutiert werden muß, so ungeheuerlich ist das Anliegen der vielen Heimatvertriebenen. Ich denke da an die sudetendeutschen Landsmannschaften und die vielen Menschen aus den Ostgebieten, die seit Monaten, ja seit Jahren. besonders da, wo noch durch keine neue Gesetzgebung und kein einheitliches Recht, nur durch Zwischenlösungen die Möglichkeit gegeben ist, daß ihre Rentenansprüche angerechnet werden, auf eine einheitliche Lösung warten.
Wir bedauern auch — darin sind wir mit dem Vorredner einig —, daß unser vom Bundestag angenommener Antrag zur Schaffung einheitlichen Rechtes in der Angestellten- und Invalidenversicherung nicht schon vorher seine Erledigung finden konnte, weil damit die Kompliziertheit dieses Gesetzes sicher weniger groß geworden wäre. Trotz allem aber meinen wir, daß die endliche Vorlage und Verabschiedung dieses Gesetzes so dringlich ist, daß trotz aller Bedenken, die auch meine Freunde teilen und die ich im einzelnen begründen werde, doch alles geschehen sollte, nicht etwa, wie es der Vorredner als Sprecher der Sozialdemokratischen Partei vorschlug, um von ganz neuen Gesichtspunkten aus Recht zu schaffen, sondern um doch mit Hilfe dieser Regierungsvorlage nun das Möglichste und Verständlichste und etwas Anwendbares zu schaffen. Neues Recht und neue Grundlagen kann man nur schaffen, wenn man unsere gesamte Sozialversicherung reformiert. Das ausgerechnet bei diesem Fremdrentengesetz zu fordern, scheint mir doch sehr abwegig. Ich möchte dabei nur mit einem Satz erwähnen, daß die vielen Sorgen und Bedenken, die sich gerade in Berlin ergeben haben, weniger groß wären, wenn wir auch dort einheitliches Recht hätten, an dessen Zerschlagung doch der Sprecher der Sozialdemokratischen Partei maßgeblich mitbeteiligt war. Die großen Schwierigkeiten, die sich mit der Trennung in eine Ost- und Westzone ergeben haben, werden wir weder mit dem Fremdrentengesetz noch mit einem anderen sozialpolitischen Änderungsgesetz beseitigen können.
Zu dem § 1 des Gesetzes, bei dem sicherlich auch im Ausschuß unterschiedliche Meinungen vorhanden sein werden, erhebt sich die Frage, ob nicht die Regelung des § 1281 der Reichsversicherungsordnung genügt hätte und ob man sie nicht entsprechend anwenden könnte.
Bei § 3 ist durch die Heranziehung der Sudeten-Verordnung — das ist auch schon von dem Vorredner gesagt worden — eine Problematik aufgetaucht, mit der wir uns im Ausschuß noch beschäftigen müssen. § 3 Abs. 2 erklärt die Sudeten-Verordnung vom Juni 1940 und die zu ihr ergangenen Durchführungs- und Ergänzungsbestimmungen auch auf die im ehemaligen Protektorat zurückgelegten Versicherungsverhältnisse für anwendbar. Eine Reihe von Fragen erhebt sich beispielsweise zum Umrechnungskurs für die reinen Protektoratsrenten. Ferner besteht die Frage, ob für die Protektoratsversicherten, die unter § 43 Abs. 2 oder 3 der Sudeten-Verordnung fallen, Steigerungsbeträge zu gewähren sind. Weiter müßte geklärt werden, ob auch für Personen, die im ehe-
maligen Protektorat Böhmen und Mähren versichert waren, der erhöhte Grundbetrag nach § 43 der Sudeten-Verordnung zu gewähren ist. Wir werden sicherlich sehr unterschiedliche Meinungen über diese Fragen, allein die Frage der Grundbetragserhöhung und der Grundbetragsgewährung, haben, Dinge, die wir bei diesem Gesetz kaum grundsätzlich werden regeln können.
Nach der Vorschrift des § 3 Abs. 4 sind die Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den eingegliederten Ostgebieten vom Dezember 1941 und die dazu erlassenen Ergänzungsund Durchführungsbestimmungen auch auf Leistungsansprüche und Anwartschaften aus Versicherungsverhältnissen in der polnischen Sozialversicherung anzuwenden, die nach dieser Verordnung nicht oder noch nicht voll auf die deutsche Sozialversicherung übergegangen waren. Jede weitere Ausdehnung der Ostgebietsverordnungen auch auf die übrigen Versicherten der polnischen Sozialversicherung, die durch die Ostgebietsverordnung nicht erfaßt waren — z. B. die Versicherten im ehemaligen Generalgouvernement —, sollte im Ausschuß sehr gründlich überlegt und diskutiert werden.
Zu prüfen ist weiter, ob etwa der in § 32 der Ostgebietsverordnung vorgesehene Grundbetrag von 840 DM auch an die Berechtigten zu zahlen ist, die durch das Fremdrentengesetz neu der Ostgebietsverordnung später unterstellt werden. Ich glaube, daß wir im Ausschuß einen Weg und eine Lösung finden werden. Endgültige Lösungen werden wir in allen diesen Fragen, die den Grundbetrag berühren, wahrscheinlich nur bei der Reform der Sozialversicherung finden können.
Mit Recht stellt die Begründung zu dem Gesetzentwurf an die Spitze, daß der Zweck dieses Gesetzes eine gleichmäßige Behandlung der Vertriebenen und der Einheimischen ist. Die Vorlage trägt dem nur zum Teil Rechnung. Es fragt sich wirklich, ob es notwendig sein wird, die alten Bestimmungen im Pauschalerlaß des Reichsversicherungsamts vom 17. März 1945 noch aufrechtzuerhalten und den für einen vorübergehenden Notstand gedachten Erlaß weiter — er ist nämlich in diesem Gesetz nicht aufgehoben — in Kraft zu lassen. Aber alle diese Fragen, die so bedeutsame Konsequenzen und Wirkungen haben, werden wir zweifelsohne im Augenblick nicht lösen können. Wir werden dafür zu sorgen haben, daß bei diesem komplizierten Gesetz — ich kann leider wegen der Kürze der Redezeit auf die vielen Probleme, die wichtig sind, nicht mehr eingehen — auch die Durchführbarkeit gewährleistet ist. Allein die Durchführung des § 18 wird z. B. für die Landesversicherungsanstalt Niedersachsen fast unmöglich sein, weil dort die Umrechnung all der vielen alten Renten, besonders auch derjenigen von Ausgebombten, deren Unterlagen genau so fehlen wie die der Heimatvertriebenen, außerordentlich schwierig, ja nahezu unmöglich sein wird.
Zum Schluß möchte ich noch der Hoffnung Ausdruck geben, daß trotz der Schwierigkeiten und trotz des bedauernswerten Tatbestandes, daß Regierungsentwürfe, die in der Form des Referentenentwurfs doch immerhin mit den Ländern beraten werden, dann hinterher so unerhörte Beanstandungen durch den Bundesrat erhalten — und wir uns im Ausschuß infolgedessen nicht nur
mit der Materie, sondern auch mit den verschiedenen Meinungen der Länder auseinandersetzen müssen —, der gute Geist und der tiefe Sinn des Gesetzes eine glückliche und möglichst schnelle Erfüllung findet, damit wir als Voraussetzung für eine echte soziale Eingliederung und eine echte gleiche Behandlung der Vertriebenen wie der Einheimischen diese Lücke in der Gesetzgebung schließen, die zu schließen wir schon lange verpflichtet sind.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Schellenberg hat, wie ich gerne zugebe, in durchaus sachlicher Weise eine Reihe von Einzelfragen angesprochen, die dieser Gesetzentwurf beinhaltet, oder auch solche, deren Behandlung vermißt wird. Jedenfalls hat er damit die Kompliziertheit des Gesetzentwurfs und die schwierige Aufgabe, vor der der Ausschuß steht, sehr deutlich illustriert. Auch meine Frau Vorrednerin ist auf einzelne Paragraphen des Gesetzentwurfs eingegangen, und sie hat bedauert, daß es ihr wegen der knappen Redezeit nicht möglich sei, das in ausführlicher Weise zu tun. Ich werde trotz der mir zur Verfügung stehenden etwas längere Redezeit bewußt der Versuchung widerstehen, mich schon hier in gewisse Einzelbesprechunger des Gesetzentwurfs einzulassen, da es sich ja hier um die Einbringung der Vorlage handelt und wir alle diese Einzelfragen im Ausschuß ausreichend diskutieren müssen.
Ich möchte nur ganz kurz und knapp erklären, daß wir uns mit allen übrigen Teilen des Hohen Hauses darüber freuen, daß der Gesetzentwurf nun endlich zur Vorlage gekommen ist. Auch wir bedauern, daß das erst jetzt möglich wurde. Aber ich glaube, daß die Bundesregierung eben wegen der Kompliziertheit der Materie einige mildernde Umstände für sich geltend machen kann, die die Vorlage erst jetzt ermöglicht haben. Mein Bedauern über diese späte Vorlage des Gesetzes wird aber noch verstärkt durch die Tatsache, daß wir uns mit dem Entwurf so kurz vor Toresschluß zu beschäftigen haben. Der Sozialpolitische Ausschuß hat noch eine Fülle von Arbeit vor sich, Gesetzentwürfe wichtigster Art, die unter allen Umständen noch erledigt werden müssen. Je mehr sich das häuft — erst recht bei so komplizierten und schwierigen Materien —, um so größer wird die Gefahr, daß die Gesetzentwürfe nicht mit der genügenden Gründlichkeit und auch nicht in der eigentlich dafür notwendigen Zeit beraten werden können. Das ist eigentlich das stärkste Bedauern, das ich bei dieser Vorlage empfinde. Auch wir haben die Hoffnung, daß wir trotz all dieser Schwierigkeiten diese bundeseinheitliche Regelung, auf die insbesondere auch unsere Heimatvertriebenen schon so lange warten, noch in einer vernünftigen Form verabschieden können, damit das Gesetz alsbald verkündet werden und zu dem angegebenen Termin in Kraft treten kann.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Ja, zu den Überweisungen komme ich jetzt.
Zunächst einmal ist die Aussprache geschlossen.
— Es liegt vor ein Antrag auf Überweisung der Vorlage an den Ausschuß für Sozialpolitik. Wollten Sie einen anderen Vorschlag machen?
Das Wort hat Herr Abgeordneter Horn.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, es dient wirklich nicht der Sache und der notwendigen Beschleunigung, wenn wir den Entwurf außer an den Sozialpolitischen Ausschuß auch noch an den Ausschuß für Heimatvertriebene verweisen. Ich würde es für möglich halten, daß der Ausschuß für Heimatvertriebene zu den Beratungen des Sozialpolitischen Ausschusses einige Abgeordnete delegiert, so daß wir die Beratungen dann durchaus in gegenseitiger Übereinstimmung führen können.
Ja, meine Damen und Herren, da bestehen also verschiedene Auffassungen. Zunächst besteht, glaube ich, übereinstimmend die Auffassung, daß der Ausschuß für Sozialpolitik federführend zu sein hat. Dann nehme ich die Zustimmung des Hauses dazu an.
Zum zweiten ist der Antrag gestellt, den Ausschuß für Heimatvertriebene als mitberatenden Ausschuß zu bestimmen. Da bestehen Meinungsverschiedenheiten. Wir stimmen also ab. Ich bitte diejenigen, die für die Mitbeteiligung des Ausschusses für Heimatvertriebene sind, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist zweifellos die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
— Das sind ja Fragen der Vereinbarung, die zwischen den Ausschüssen oder innerhalb der Ausschüsse geklärt werden können. Die brauchen oder können wir hier gar nicht beschließen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung des Bundesversicherungsamtes, die Aufsicht über die Versicherungsträger und Regelung der Zuständigkeiten der Behörden des Bundes und der Länder in der Sozialversicherung .
Der Ältestenrat schlägt für die Aussprache eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vor. Das Wort zur Einbringung hat Herr Staatssekretär Sauerborn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie aus der Überschrift des Gesetzentwurfs hervorgeht, soll das Gesetz in erster Linie die Grundlage für die Errichtung eines Bundesversicherungsamtes schaffen. Schon der Name dieses Amtes läßt erkennen, daß es eine Nachfolgebehörde des früheren Reichsversicherungsamtes sein soll, jener
Institution, die aus der Geschichte der deutschen I Sozialversicherung nicht wegzudenken ist und deren Name weit über die Grenzen Deutschlands hinaus einen guten Klang hatte.
Deutschland hat mit den in der Kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 angekündigten Sozialversicherungsgesetzen, die vom Jahre 1883 an ergingen, sozialpolitisches Neuland betreten. Wenn der schwierige Weg in dieses Neuland von den Anfängen bis zum heutigen Stand mit seinen umfassenden Leistungen zu Erfolgen geführt hat, die man in der Welt anerkannt hat, so hatte das Reichsversicherungsamt hieran einen sehr bedeutenden Anteil. Bereits durch das Unfallversicherungsgesetz von 1884 geschaffen, hat es durch seine Tätigkeit als oberste Spruch-, Beschluß- und Aufsichtsbehörde der Sozialversicherung nicht nur die Auslegung der Sozialversicherungsgesetze und ihre Handhabung maßgeblich gesteuert, sondern auch durch seinen aus reichen Erfahrungen fließenden Rat die Fortentwicklung der Gesetzgebung in gutem Sinne beeinflußt. Mustergültig war die Führung der dem Reichsversicherungsamt übertragenen großen Verwaltungsaufgaben, insbesondere die Führung der Aufsicht über die Versicherungsträger, die Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Betriebsunfällen und Berufskrankheiten, der Maßnahmen im Hinblick auf die vorbeugende Gesundheitsfürsorge und für die Ausgestaltung des Heilverfahrens, die Durchführung der umfangreichen und unentbehrlichen Statistik und die Abwicklung des Gemeinlastverfahrens in der Rentenversicherung. Die guten Ergebnisse dieser bedeutsamen Verwaltungsarbeit wirken sich heute noch aus.
Nach dem Zusammenbruch wurde das Reichsversicherungsamt stillgelegt. Damit fiel es sowohl als oberste Instanz in der Rechtsprechung aus, als auch konnten die ihm gesetzlich zugewiesenen mannigfachen Aufgaben der Verwaltung, insbesondere der Aufsichtsführung über die Sozialversicherungsträger, nicht mehr wahrgenommen werden. Nur das Land Bayern und das frühere Land Württemberg-Baden haben diesem fühlbaren Mangel durch die Errichtung von Landesversicherungsämtern abgeholfen, denen die Aufgaben und Befugnisse des Reichsversicherungsamts für das Gebiet des Landes übertragen wurden.
Neben der bevorstehenden Neuordnung der Rechtsprechung durch das Sozialgerichtsgesetz ist daher die Lücke zu schließen, die durch die Stilllegung des Reichsversicherungsamts auf dem umfangreichen Gebiet der Beaufsichtigung und Verwaltung der Sozialversicherung entstanden ist. Dies kann der Natur der Sache nach nur durch Errichtung eines an die Stelle des Reichsversicherungsamts tretenden Bundesversicherungsamts geschehen.
Der Gesetzentwurf sieht allerdings nicht vor, daß der Aufsicht des Bundesversicherungsamts all die Versicherungsträger unterstehen, die unter der Aufsicht des Reichsversicherungsamts gestanden haben. Dem föderalistischen Aufbau des Bundes entsprechend sollen nur die bundesunmittelbaren Versicherungsträger der Aufsicht des Bundesversicherungsamts unterliegen. Damit wird immerhin ein Mittelpunkt der Aufsicht, die jetzt von den Ländern und dementsprechend unter verschiedenen Gesichtspunkten ausgeübt wird, geschaffen, und von diesem Mittelpunkt aus wird es, wie zu hoffen ist, möglich sein, bei voller Wahrung der Rechte
der Länder auf die anzustrebende Einheitlichkeit in der Handhabung der Aufsicht hinzuwirken.
Das Bundesversicherungsamt soll auch das Bundesarbeitsministerium entlasten. Dieses hat zwar bisher die dem Bund zustehenden Aufsichtsrechte im wesentlichen den Ländern zur Wahrnehmung übertragen; jedoch hat es besonders auf den Gebieten der Haushalts- und Rechnungsführung, der Statistik und der betrieblichen Altersfürsorge sich umfangreicher Aufgaben annehmen müssen, deren Verrichtung es in seiner eigentlichen Hauptaufgabe, der Mitwirkung bei der Gesetzgebung, behindert hat.
Die Sozialversicherungsgesetzgebung des Bundes war bisher wegen der notwendigen Anpassung an die geänderten Lebensbedingungen in erster Linie darauf gerichtet, die Versicherungsleistungen zu erhöhen. Die Erfolge, die hierbei erzielt worden sind, sind noch immer viel zu wenig bekannt. Sie haben dazu geführt, daß z. B. der Durchschnittsbetrag aller heute laufenden Invalidenrenten seit dem Jahre 1949 von 43,55 DM im Monat auf 78,30 DM im Monat, also um rund 80 v. H., erhöht worden ist, der Durchschnittsbetrag aller heute laufenden Ruhegelder aus der Angestelltenversicherung in der gleichen Zeit von 77,65 DM im Monat auf 121,15 DM im Monat, also um rund 56 v. H., gestiegen ist.
— Das kommt sofort. Das werden Sie sofort hören, was das damit zu tun hat. — Die Behandlung der organisatorischen Fragen der Sozialversicherung mußte wegen dieser Dinge in der Gesetzgebung des Bundes bisher zurückstehen. Hier ist deswegen noch Wichtiges nachzuholen, und damit macht der vorliegende Gesetzentwurf den Anfang.
Im einzelnen ist zu dem Gesetzentwurf noch zu bemerken: Als Sitz des Bundesversicherungsamts ist der Sitz des Bundesarbeitsministeriums vorgesehen, weil nur so die beste und engste Zusammenarbeit zwischen beiden Behörden gewährleistet ist, die im Interesse der Sache notwendig ist.
Die Kernfrage des Entwurfs ist jedoch die Verteilung der Verwaltungsaufgaben des früheren Reichsversicherungsamts auf das künftige Bundesversicherungsamt einerseits und die Behörden der Länder andererseits. Der ursprüngliche Entwurf der Bundesregierung sah grundsätzlich folgende Verteilung vor:
a) Die Aufsicht über die bundesunmittelbaren Versicherungsträger, d. h. die Versicherungsträger, deren Bereich sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt, steht dem Bundesversicherungsamt zu, die Aufsicht über die landesunmittelbaren Versicherungsträger, d. h. die Versicherungsträger, deren Bereich sich nicht über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt, steht den Behörden der Länder zu.
b) Die sonstigen Verwaltungsaufgaben des früheren Reichsversicherungsamts gehen grundsätzlich auf das Bundesversicherungsamt über und stehen den Behörden der Länder nur insoweit zu, als es sich um landesunmittelbare Versicherungsträger handelt und die Aufgaben in dem Katalog des § 3 Abs. 3 aufgezählt sind.
Dieser Verteilung lag die Absicht zugrunde, die überregionale Regelung derjenigen Angelegenheiten, die überregional zu regeln notwendig oder doch zweckmäßig ist, weitgehend zu sichern.
Der Bundesrat hat geglaubt, gegen diese Verteilung der sonstigen Verwaltungsaufgaben rechtliche Bedenken erheben zu müssen. Nach seiner Auffassung stellt es eine verfassungsrechtlich unzulässige Mischverwaltung dar, wenn dem Bundesversicherungsamt die Verwaltungsbefugnisse des früheren Reichsversicherungsamts auch insoweit, als es sich um landesunmittelbare Versicherungsträger handelt, grundsätzlich übertragen werden und den Behörden der Länder nur die in einem Katalog aufgeführten Befugnisse verbleiben. Er hat deshalb vorgeschlagen, die sonstigen Verwaltungsaufgaben des früheren Reichsversicherungsamts dem Bundesversicherungsamt insoweit zu übertragen, als es sich um bundesunmittelbare Versicherungsträger handelt, dagegen den Behörden der Länder insoweit, als es sich um landesunmittelbare Versicherungsträger handelt und diese Aufgaben dem Bundesversicherungsamt nicht ausdrücklich übertragen werden.
Obwohl die Bundesregierung die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesrats nicht in vollem Umfange zu teilen vermag, hat sie doch geglaubt, ihnen soweit als möglich Rechnung tragen zu sollen. Sie hat deshalb an ihrem ursprünglichen Entwurf nicht festgehalten. Sie muß aber andererseits nach wie vor entscheidendes Gewicht darauf legen, daß bei denjenigen Verwaltungsaufgaben des früheren Reichsversicherungsamts, die nicht danach aufgeteilt werden können, ob es sich um bundesunmittelbare oder landesunmittelbare Versicherungsträger handelt, deren überregionale Regelung vielmehr unbedingt notwendig ist, die Regelung durch das Bundesversicherungsamt sichergestellt ist. Sie hat deshalb in ihrer Stellungnahme zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrats zum Ausdruck gebracht, die Verteilung der Verwaltungsaufgaben des früheren Reichsversicherungsamts außerhalb der Aufsichtsführung soll in der Weise vorgenommen werden, daß sie dem Bundesversicherungsamt übertragen werden, soweit es sich bei ihnen nicht nur um landesunmittelbare Versicherungsträger handelt. Hierbei spielte auch die Erwägung eine Rolle, daß es nicht möglich sein wird, die Befugnisse, deren überregionale Ausübung unbedingt notwendig ist, wirklich erschöpfend einzeln aufzuzählen.
Das neue Bundesversicherungsamt wird, wenn der Gesetzentwurf zustande kommt und wenn es der Tradition seines großen Vorgängers, des Reichsversicherungsamts, folgen wird, wesentlich zu einem weiteren erfolgreichen Ausbau der deutschen Sozialversicherung beitragen.
Ich eröffne die Aussprache zur ersten Beratung. Wortmeldungen? — Das Wort hat Herr Abgeordneter Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle fest, daß für dieses Gesetz das gleiche Urteil zutrifft, das Herr Kollege Schellenberg für das vorhergehende Gesetz geprägt hat, daß nämlich dieses Gesetz längst fällig gewesen ist. Nach meiner festen Überzeugung hätte es auch ohne Schwierigkeiten von seiten des Bundesarbeitsministeriums diesem Bundestag längst vorgelegt werden können; denn es ist doch unbestritten, daß es in seinem Gesamtaufbau nur in wenigen Punkten von dem früheren Reichsversicherungsamt abweicht. Das Vorbild war also zweifellos gegeben. Es wäre aber nach meiner Überzeugung eine Frage der Zweckmäßigkeit ge-
Wesen, zu gleicher Zeit mit diesem Gesetz auch die Frage der Errichtung von Sozialgerichten zu erledigen, da zweifelsohne die Schaffung einer Aufsichtsbehörde und die klare Abgrenzung ihres Tätigkeitsgebiets mit der Sozialgerichtsbarkeit eng verbunden ist. Wer aber den vorliegenden Entwurf der Bundesregierung kennt, wer sich über die Gründe der Zurückhaltung eines solchen Gesetzes im klaren ist — man versucht auch dort, ähnlich wie in der gesamten Arbeitsgerichtsbarkeit, den Berufsrichtern den Vorrang gegenüber den alten und erfahrenen Sozialpraktikern zu geben —, der wird verstehen, daß dieser Entwurf nicht zur gleichen Zeit dem Bundestag vorgelegt wurde. Die Einfügung der Sozialgerichtsbarkeit in die allgemeine Gerichtsbarkeit wird — darüber müssen Sie sich im klaren sein — mit Recht zu heftigen Auseinandersetzungen führen.
Man muß zu diesem Gesetzentwurf, obschon man ihn bejaht, trotzdem einige kritische Bemerkungen machen, weil auch hier eine Tendenz vorhanden ist, die in ihrem wesentlichsten Kern nicht als fortschrittlich, sondern als rückschrittlich anzusprechen ist. Ich führe das besonders charakteristische Beispiel des § 5 an, der sich mit der Änderung einiger Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung beschäftigt. Das gilt beispielsweise von § 878, der sich mit der Zuständigkeit der Aufsichtsbeamten beschäftigt, in dem gewisse Voraussetzungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit gesetzlich geregelt werden.
Diese Änderungen erscheinen uns nach zwei verschiedenen Gesichtspunkten hin als politisch so wertvoll, daß man einiges dazu sagen muß. Die alte Bestimmung der Reichsversicherungsordnung spricht in ihrem § 878 ausdrücklich davon, daß — neben dem Recht der Prüfung des Betriebes — auch während der Betriebszeit den Prüfungsbeamten Bücher und Listen zur Einsicht vorzulegen sind. Ich weiß aus Erfahrung, daß gerade diese Bestimmung der Reichsversicherungsordnung von den Unternehmern immer auf das schärfste bekämpft worden ist, weil gerade durch die Einsichtnahme Mißstände aufgedeckt werden konnten, deren Verschleierung nach dem jetzt vorliegenden Entwurf nun endgültig möglich ist. Die Unternehmer wünschen im Betrieb keine Einsichtnahme. Sie wünschen allein Herr im Hause zu sein.
Daß diese Regierung dem Unternehmer in einer solch entscheidenden Frage entgegenkommt, entspricht ihrer gesamten politischen Willensbildung. Bei der zweiten Lesung wird die Möglichkeit bestehen, einige Änderungen dazu zu verlangen.
Man geht sogar noch weiter und verlangt die Streichung des Abs. 2, der die Strafbestimmungen für die Verweigerung der Einsichtnahme enthält, so daß den Unternehmern Tür und Tor geöffnet ist, in ihren Betrieben die Aufsichtsbehörden hinter das Licht zu führen.
Wir sind der Meinung, daß sogar eine Änderung der Bestimmung des § 878 im fortschrittlichen Sinne dahingehend am Platz gewesen wäre, den Betriebsrat mit einzuschalten, der zweifelsohne die Verhältnisse im Betrieb am besten und genauesten kennt und zu dem die Arbeiter bei Nichtbeachtung der geltenden Unfallverhütungsvorschriften in erster Linie kommen. Weder im Betriebsverfassungsgesetz, das ja von Ihnen so gelobt wird, noch in anderen Gesetzen ist dieses Recht des Betriebsrats ausdrücklich festgelegt. Wir werden auch hier
Gelegenheit nehmen, bei der zweiten Lesung dieses Gesetzes einen dementsprechenden Antrag einzureichen.
Wir wünschen aber auch — das möchte ich abschließend sagen — bei diesem Gesetz weitestgehende Aufrechterhaltung der ländermäßigen Bedingungen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Preller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Staatssekretär hat vorhin mit Recht ausgeführt, daß dieses Gesetz die Nachfolge und Neuauflage des alten Reichsversicherungsamts regeln solle und daß dies das Hauptanliegen des Gesetzes sei. Mir scheint, daß nicht dies allein die Hauptaufgabe ist, sondern gleichzeitig auch die Abgrenzung der Befugnisse zwischen dem Bund und den Ländern. Wenn aber das frühere Reichsversicherungsamt hier erwähnt wird, dann müssen wir uns klar machen, daß dieses Reichsversicherungsamt zwei Aufgaben hatte, nämlich in der Hauptsache, die Sozialgerichtsbarkeit durchzuführen, und erst in zweiter Linie, die Aufsicht und sonstige Verwaltungsaufgaben wahrzunehmen.
Nun finden wir den merkwürdigen Zustand vor, daß das Gesetz über die Sozialgerichtsbarkeit, auf das wir seit Jahren warten, immer noch nicht vorgelegt worden ist —
— wir haben es, aber dieses Gesetz ist vorgezogen worden, Herr Arndgen! — und daß das Gesetz über die Organisation des Bundesversicherungsamts eben vorgezogen worden ist, und das zu einem Zeitpunkt, wo die Aufsicht, die dieses Bundesversicherungsamt ausüben soll, auf eine Selbstverwaltung stößt, die in diesem Augenblick erst im Aufbau begriffen ist.
Der Gesetzentwurf muß deshalb in § 2 davon ausgehen, daß er gewisse Befugnisse des alten Reichsversicherungsamts ausschließt, eben die, die jetzt von der Sozialgerichtsbarkeit wahrgenommen werden sollen, obwohl das diesbezügliche Gesetz bei der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs überhaupt noch nicht geschaffen sein wird. Ebenso wird in der Begründung von der Notwendigkeit gesprochen, die Aufsicht über die Versicherungsträger wahrzunehmen, soweit diese „als Selbstverwaltungskörperschaften" beaufsichtigt werden müssen.
Ich sagte bereits, daß wir auf das Bundessozialgericht seit langer Zeit warten. Es liegen Tausende und aber Tausende von Berufungen vor, die von diesem Gericht endlich erledigt werden sollen. Aber statt des Bundessozialversicherungsgesetzes wird nun das Gesetz über die Errichtung des Bundesversicherungsamts vorgezogen. Wir fragen uns daher: Warum denn nun hier dieser Vorrang und sonst eine gewisse Langsamkeit und Bedächtigkeit? Wir wissen doch, daß im alten Reichsversicherungsamt die Zahl der dort mit den gerichtlichen Angelegenheiten Beschäftigten bei weitem überwog und daß diejenigen, die mit der Aufsicht und der Verwaltungsführung beauftragt waren, eine Minderheit darstellten. Warum soll für eine kleinere Zahl von Beamten jetzt das neue Amt vorgezogen werden, während die große Zahl von ihnen warten muß?
) Aber nicht nur das ist eigenartig, sondern auch eine gewisse Inkonsequenz der Verteilung der Befugnisse dieses Amts. Die bisherigen Aufgaben des Reichsversicherungsamts in der Unfallverhütung sollen weiterhin vom Bundesarbeitsministerium wahrgenommen werden. Hier hindert also die von Herrn Staatssekretär vorhin genannte Gesetzgebungsarbeit offenbar nicht, daß sich das Bundesarbeitsministerium weiter mit Unfallverhütungsmaßnahmen beschäftigt. Wir sind damit sehr einverstanden; aber das erleben wir nun auch bei dem Gesetzentwurf über die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Auch da soll die Aufsicht nicht wie früher bei diesem Bundesversicherungsamt liegen, sondern beim Bundesarbeitsministerium bleiben.
Zusammenfassend möchte ich für meine Fraktionsagen: Man könnte geneigt sein, die Notwendigkeit eines eigenen Bundesversicherungsamts überhaupt zu bezweifeln. Was wirklich erforderlich ist, ist die Abgrenzung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern. Ein solches Gesetz wäre längst erforderlich gewesen. Aber auch wenn man diese Erwägungen beiseite läßt, müssen wir sagen: Die zeitliche Reihenfolge, die den Behörden gegenüber der Sozialgerichtsbarkeit den Vorzug gibt, ist mehr als problematisch. Uns liegt im Interesse der Versicherten daran, daß in erster Linie endlich einmal die Sozialgerichtsbarkeit errichtet und die Selbstverwaltung durchgeführt wird. Aus der Erfahrung der Selbstverwaltung in der Praxis kann man dann erkennen, wo die Maßnahmen der Aufsicht erforderlich sind.
Mir kommt es so vor, als ob hier wirklich die Henne vor dem Ei geschaffen werden sollte.
— Für die Gerichtsbarkeit nicht, verehrter Herr Atzenroth! Die Gerichtsbarkeit ist notwendiger als die Aufsichtsführung.
Wir stimmen also der Ausschußüherweisung zu, aber nur deshalb, damit eine gründliche Überprüfung erfolgt und damit dieses Gesetz, das uns ein wenig eine Frühgeburt erscheint, in die richtige Ordnung gebracht wird. Wir fordern in erster Linie, daß sobald wie möglich die Sozialgerichtsbarkeit durchgeführt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind es im Verlaufe der letzten Jahre gewohnt, daß, wenn die Regierung, auch das Arbeitsministerium, ein Gesetz einbringt, von der Opposition irgendwie Kritik geübt wird, auch dann, wenn diese Kritik weit hergeholt werden muß. Der Herr Kollege Preller hat davon gesprochen, daß der Entwurf über die Bildung eines Sozialgerichts vordringlicher sei als ein Entwurf über ein Bundesversicherungsamt. Er braucht nur in seinem Fach nachzusehen, dann wird er den Entwurf für ein Bundessozialgericht finden. Außerdem ist es uns im Ausschuß für Sozialpolitik, Herr Kollege Preller, unbenommen, zu überlegen, welchen Gesetzentwurf wir zuerst beraten wollen. Es wird schon so kommen, meine Damen und Herren, daß, wenn im Ausschuß für Sozialpolitik ernstlich an die Arbeit gegangen wird, beide Gesetze gleichzeitig verabschiedet werden können.
Nun noch ein ganz kurzes Wort zu der allgemeinen Kritik, die über die verspätete Einbringung dieses Gesetzes hier vorgetragen worden ist. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht zu über-
schlagen, wieviel Gesetze wir nun in den paar Jahren, in denen wir hier tätig sind, verabschiedet haben, die sich mit Sozialpolitik beschäftigen. Dabei habe ich festgestellt, daß wir in den letzten Jahren über 50 sozialpolitische Gesetze verabschiedet haben und daß das Bundesarbeitsministerium in der gleichen Zeit noch weitere 30 Verordnungen erlassen hat.
Diese Gesetzesverabschiedungen sind mit Vorbereitungen verbunden gewesen. Ich möchte in diesem Zusammenhang feststellen, daß wir sehr gut und vorbildlich vom Bundesarbeitsministerium unterstützt worden sind, um diese Gesetzesarbeiten zu erledigen.
— Ich weiß nicht, Herr Kollege Richter, ob dann, wenn Sie in der Verantwortung gesessen hätten, soviel Gesetze erledigt worden wären und ob dann die Arbeit in der Form möglich gewesen wäre, wie es jetzt der Fall ist.
Ich meine daher, daß wir dem Bundesarbeitsministerium Dank schuldig sind, daß es uns trotz der Arbeiten, die vordringlich geleistet werden mußten, jetzt auch dieses Gesetz im Entwurf vorgelegt hat und daß wir in der Lage sind, in Kürze dieses Gesetz weiterzuberaten und der Entscheidung zuzuführen.
Ich beantrage, den Entwurf dem Ausschuß für Sozialpolitik zur weiteren Beratung zuzuweisen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt die Vorlage dieses Gesetzes. Ich stimme aber ebenso mit Herrn Kollegen Preller überein, daß wir dringend nach dem Gesetz über die Sozialgerichtsbarkeit verlangen und daß wir die Durchführung der Selbstverwaltung beschleunigen möchten. Darin befinden wir uns mit Ihnen in voller Übereinstimmung.
Ich habe mich hier auch nur zu Wort gemeldet, um in der ersten Lesung auf einen Punkt besonders hinzuweisen. Der Regierungsentwurf nimmt in seinem § 5 Nr. 1 mit vollem Bewußtsein Rücksicht auf das Gesetz über die Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung; denn er sagt in der Begründung, und zwar mit Recht:
Entsprechend der heutigen Anschauung über die Selbstverwaltung und ihre freie Entfaltung werden die Befugnisse der Aufsichtsbehörden . . . neu geregelt.
Und das müssen sie auch!
Nur der Bundesrat scheint von dieser neuen Auffassung der Selbstverwaltung wenig mitbekommen zu haben; denn sonst hätte er seine Änderungsanträge nicht in dieser Form gestellt. Der Staat hat seine Einflußnahme auf die Sozialversicherungsträger zu beschränken. Er darf sein Aufsichtsrecht nur auf die Beachtung von Gesetz und Satzungen erstrecken, wie es der Regierungsentwurf auch vorsieht. Den Bestrebungen des Bundesrats, das Prüfungswesen an sich zu ziehen, muß entgegengetreten werden. Ich glaube, daß wir darüber hier im Hause Einstimmigkeit haben, so daß
wir uns bei den Ausschußberatungen mit dieser
Frage nicht mehr zu befassen brauchen.
Keine weiteren Wortmeldungen. — Ich schließe die Besprechung.
Es ist beantragt worden, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Gegen die Überweisung keine Bedenken? — Die Überweisung ist erfolgt.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Nr. 4208 der Drucksachen)
;
b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Knappschaftsversicherungs-Anpassungsgesetzes ; Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (21. Ausschuß) (Nr. 4209 der Drucksachen)
;
c) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Umstellung von knappschaftlichen Renten auf das nach dem 31. Dezember 1942 geltende Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Nr. 4164 der Drucksachen)
.
Berichterstatter ist zunächst Herr Abgeordneter Schüttler. Ich darf ihn bitten, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der SPD Drucksache Nr. 3959, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes, wurde in der 246. Sitzung des Deutschen Bundestages behandelt und dem Sozialpolitischen Ausschuß zur Beratung überwiesen. Der Ausschuß hat sich in den Sitzungen am 5., 10., 12. und 19. März mit diesem Entwurf befaßt. Er hat dieser Frage die größte Aufmerksamkeit zugewandt und auch mit Sachverständigen der Sozialversicherung gemeinsam erwogen, inwieweit man die von allen erkannten Härten in diesem damaligen Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz beseitigen könnte.
Durch das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz wurde in der Invalidenversicherung die Invalidität von 662/3 auf 50 % herabgesetzt. Des weiteren wurde die Witwenrente obligatorisch beim Tode des Versicherten eingeführt, ohne an das Alter oder den Gesundheitszustand gebunden zu sein. Hiermit wurde der Rechtszustand in der Invalidenversicherung mit dem in der Angestelltenversicherung in Einklang gebracht, was ja seit Jahrzehnten immer
wieder aus Gleichheitsgründen gefordert wurde. Die finanziellen Auswirkungen zwangen aber schon damals den Gesetzgeber, in § 21 Abs. 4 und § 21 Abs. 5 Einschränkungen dahingehend vorzunehmen, daß diese Weiterungen nur für die kommenden Fälle Anwendung finden sollten. Somit kam ein Versicherter, der vor dem 1. Juni 1949 Antrag auf Invalidenrente gestellt hatte, damals aber noch nicht 662/3 % invalide war, nach diesem Termin auch erst mit 662/3 % Invalidität in den Genuß der Rente. Ebenso erhielt die Witwe, deren Mann vor dem 1. Juni 1949 gestorben war, vor dem 60. Lebensjahr keine Rente, während alle übrigen Witwen, deren Männer nach diesem Termin verstarben, ohne Rücksicht auf Alter und Gesundheitszustand ihre Witwenrente erhielten. Hierin liegt unbestreitbar eine außerordentliche Härte, die von den Betroffenen sehr schwer verstanden wird.
Bei den Beratungen im Ausschuß wurde festgestellt, daß die Beseitigung des § 21 Abs. 4, wo es um die Gleichstellung der Versicherten bei 50%iger Invalidität geht, der Mehraufwand rund 12 Millionen DM jährlich für die Rentenanstalten und rund 7 Millionen DM für den Bundeshaushalt betragen würde. In Anbetracht dieser doch sehr bescheidenen Beträge beschloß der Ausschuß mit Mehrheit die Annahme dieses Antrages.
Dagegen würde bei Beseitigung des § 21 Abs. 5 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes, die der Antrag zum Gegenstand hat, der Mehraufwand für die Versicherungsanstalten rund 120 Millionen DM und für den Bund aus Steuermitteln rund 90 Millionen DM betragen. Die Mehrheit des Ausschusses glaubte, diesem Antrag nicht zustimmen zu können, da die Versicherungsanstalt diese Mittel im Hinblick auf die Entwicklung der nächsten Jahre ohne Beitragserhöhung kaum aufbringen könne und auch kein Deckungsvorschlag für den Bundeshaushalt in Höhe von ca. 90 Millionen DM gemacht werden konnte. Es wurde auch auf die dringend gewordene Sozialversicherungsreform allgemein hingewiesen, die bei dieser Gelegenheit auch bei diesem Problem ernstlich einen Weg suchen und finden müsse, um eine Bereinigung vorzunehmen. Aus diesen Gründen wurde der Antrag, den § 21 Abs. 5 zu streichen, vom Ausschuß mit Mehrheit abgelehnt.
Weiter wurde § 3 einstimmig vom Ausschuß gestrichen, nachdem man sich davon überzeugt hatte, daß das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz vom Jahre 1949 auf Berlin keine Anwendung fand und nun auch diese Änderungen und Streichungen von Bestimmungen dort keinen Platz finden können.
Im Namen des Ausschusses für Sozialpolitik stelle ich daher folgenden Antrag:
Der Bundestag wolle beschließen,
dem Gesetzentwurf — Nr. 3959 der Drucksachen — mit den Änderungen, daß § 1 Nr. 2 sowie § 3 zu streichen sind, im übrigen unverändert nach der Vorlage zuzustimmen.
Der Ausschuß bittet das Hohe Haus, sich diesem Antrag anzuschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Zu dem Gesetzentwurf zur Änderung des Knappschaftsversicherungs-Anpassungsgesetzes ist Berichterstatter Abgeordneter Willenberg. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 146. Sitzung hat sich das Hohe Haus mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Knappschaftsversicherungs-Anpassungsgesetzes beschäftigt und die Vorlage dem Sozialpolitischen Ausschuß zur weiteren Beratung überwiesen. Der Inhalt des Antrages ist im wesentlichen der gleiche wie in der Drucksache Nr. 3959; nur bezieht sich der vorliegende Entwurf Drucksache Nr. 3960 auf die besonderen Verhältnisse in der Knappschaftsversicherung.
Der Sozialpolitische Ausschuß hat in mehreren Sitzungen zu dem Gesetzentwurf Stellung genommen und einen Sachverständigen aus der knappschaftlichen Rentenversicherung zugezogen. Der Herr Sachverständige ist der Auffassung, daß eine Reform des Knappschaftsversicherungs - Anpassungsgesetzes notwendig sei, um die bestehenden Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Von der im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelung würden etwa 37 000 Witwen betroffen. Die Knappschaftsversicherung hätte schon bei den Beratungen des Gesetzes im Jahre 1949 die unterschiedliche Behandlung außerordentlich bedauert; man wäre froh, wenn diese nun endlich beseitigt würde.
Der Ausschuß ist zu dem Entschluß gekommen, dem vorliegenden Gesetzentwurf mit Ausnahme von § 1 Nr. 2 zuzustimmen. Ein großer Teil der Mitglieder des Ausschusses war grundsätzlich bereit, auch den § 1 Nr. 2 zu bejahen, hatte aber wegen der finanziellen Belastungen, die daraus entstünden, doch Bedenken.
Der Ausschuß beantragt, das Hohe Haus möge dem Gesetzentwurf mit der Änderung, daß § 1 Nr. 2 zu streichen ist, zustimmen.
Sie erstatten auch gleich den Bericht über den nächsten Gesetzentwurf, Herr Abgeordneter?
Ja.
Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus hat in seiner 246. Sitzung zu dem vorliegenden Gesetzesantrag Stellung genommen und ihn ebenfalls dem Sozialpolitischen Ausschuß zur weiteren Beratung überwiesen.
Der Antrag bezweckt die Beseitigung eines Unrechts an den Bergleuten, die vor dem 31. Dezember 1942 pensioniert wurden. Bis dahin setzte sich die Rente aus einem Grundbetrag, dem Steigerungsbetrag und einem eventuellen Kinderzuschlag zusammen. Mit einer Verordnung vom 3. Oktober 1942 wurde die Rentenversicherung im Bergbau völlig neu gestaltet. Die Rente besteht nunmehr seit dem 1. Januar 1943 aus einem erhöhten Steigerungsbetrag und einem Leistungszuschlag. Für alle Bergleute, die seit dem 1. Januar 1943 pensioniert wurden, bedeutete das immerhin eine erhebliche Verbesserung ihrer Rentenbezüge. Die Verordnung brachte aber unglücklicherweise auch zweierlei Recht und schuf eine Erregung unter den Bergleuten; diese sind bis heute noch nicht zur Ruhe gekommen und erwarten die Beseitigung des ihnen angetanen Unrechts. Es werden zur Zeit etwa 50 000 pensionierte Bergleute und 30 000 Bergmannswitwen davon betroffen.
Der Ausschuß hat sich in seiner Sitzung vom 6. März mit dem Antrag Drucksache Nr. 3961 befaßt. Der Sachverständige der Knappschaftsversicherung äußerte sich dahin, daß die unterschiedliche Berechnung der Knappschaftsrenten ein Un-
recht sei, das unbedingt beseitigt werden müsse. Er wünschte, daß das Hohe Haus dem vorliegenden Antrag stattgeben möge.
Der Ausschuß hat sich damit beschäftigt und ist zu dem Beschluß gekommen, das Hohe Haus möge dem Gesetzentwurf Drucksache Nr. 3961 unverändert nach der Vorlage zustimmen.
Ich danke auch diesem Herrn Berichterstatter.
Ich komme zunächst zur Einzelberatung der Drucksache Nr. 3959, dem Gesetzentwurf zur Änderung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes, in Verbindung mit dem Ausschußbericht Drucksache Nr. 4208.
Ich rufe § 1 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 869 vor. Frau Abgeordnete Korspeter wünscht dazu das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir bedauern sehr, daß sich im Ausschuß nur eine Mehrheit für die Ziffer 1 des § 1 unseres Gesetzentwurfs Drucksache Nr. 3959 gefunden hat, während die Ziffer 2 dieses Paragraphen abgelehnt wurde, da die Auswirkungen dieser Ziffer 2 sozialpolitisch von ganz besonderer Bedeutung sind.
Es handelt sich um die Frage, ob wir die sozialpolitischen Härten und Ungerechtigkeiten, die durch den Stichtag im Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz für die Witwen in der Invalidenversicherung entstanden sind, deren Männer bereits vor dem 31. Mai 1949 verstorben sind, bestehen lassen wollen oder nicht. Wir stehen mit anderen Worten vor der Frage, ob für die gleichen Beiträge auch die gleichen Leistungen gewährt werden sollen oder ob weiterhin — wie es bisher geschah — gegenteilig verfahren werden soll. Bereits bei der Verabschiedung des Sozialversicherungs - Anpassungsgesetzes im Frankfurter Wirtschaftsrat haben wir um eine Beseitigung dieser Härten gekämpft. Es ist uns damals leider nur in einem ganz bescheidenen Umfang gelungen, die Härten, die durch die Festlegung dieses Stichtages entstanden, abzumildern. Wir erreichten damals lediglich, daß die Witwen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben und deren Männer bereits vor dem 31. Mai 1949 verstorben waren, die unbedingte Witwenrente erhalten. Wir wissen alle, daß diese Sondervorschrift über den Stichtag, die das Recht und den Anspruch der Witwen, deren Männer in der Invalidenversicherung versichert waren, so weitgehend einschränkt, damals nur getroffen wurde, weil eine schlechte Finanzlage der Rentenversicherungsträger vorlag. Nur aus dieser Situation heraus ist die damalige Regelung überhaupt zu verstehen. Es handelte sich also im Frankfurter Wirtschaftsrat keineswegs um eine grundsätzliche Regelung.
Wir stehen heute angesichts der Verabschiedung dieses Gesetzes vor der Frage, ob wir eine Regelung, die aus einer finanziellen Zwangssituation entstanden ist, noch bestehen lassen wollen, obgleich sich die Voraussetzungen geändert haben. Wir wissen alle, daß sich die Finanzlage der Rentenversicherungsträger gebessert hat. Wir wissen alle, daß im vergangenen Jahre bei den Rentenversicherungsträgern ein Kassenüberschuß von 970 Millionen DM gemacht werden konnte. So lag schließlich nichts näher, als vorzuschlagen, eine der härtesten Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Ich
möchte auch ganz offen sagen, daß wir angesichts der günstigeren finanziellen Lage der Rentenversicherungsträger eigentlich mit der Zustimmung der Regierungskoalition gerechnet hatten. Wir bedauern — ich möchte das noch einmal sagen —, daß sich im Ausschuß keine Mehrheit für unseren Antrag finden konnte.
Da es nur finanzielle Bedenken waren, die die Regierungskoalition veranlaßten, im Ausschuß die Ziffer 2 abzulehnen, möchte ich noch eines sagen. Ich glaube, wir können bei dem von dieser Regelung betroffenen Personenkreis kein Verständnis dafür erwarten, daß die Regierung mit Hilfe der Koalition in die Lage versetzt werden soll, die Kassenüberschüsse der Rentenversicherungsträger durch ein Gesetz zu beschlagnahmen, das wir heute im Sozialpolitischen Ausschuß beraten haben,
und sie nun anderen Zwecken zuzuführen. Nach wie vor sind wir der Meinung, daß mit einem solchen Vorgehen eine Verbesserung der Leistungen blockiert wird. Das liegt nicht im Interesse der Versicherten.
In unserem Gesetzentwurf waren wir durch unseren Vorschlag, erst den Witwen, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, die unbedingte Witwenrente zu geben, bereits den Weg des Kompromisses gegangen. Wir hofften, Sie damit für unseren Antrag zu gewinnen. Da sie ihn aus finanziellen Gründen im Ausschuß abgelehnt haben, legen wir Ihnen mit Umdruck Nr. 869 einen neuen Antrag zu § 1 vor, der wesentlich geringere finanzielle Auswirkungen hat. Er sieht vor, daß für Ehefrauen von Versicherten, die vor dem 1. Juni 1949 Witwen geworden sind, die Einschränkung nicht gelten soll, sobald sie das 50. Lebensjahr vollendet haben oder mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind unter 6 Jahren oder zwei waisenrentenberechtigte Kinder erziehen. Die finanziellen Auswirkungen werden schätzungsweise bei 105 Millionen DM liegen, von denen der Bund ungefähr 30 Millionen DM zu tragen hätte, während der Rest von den Rentenversicherungsträgern aufgebracht werden müßte. Ich möchte betonen, daß sich Herr Präsident Ostermayer, der Vertreter des Verbandes der Rentenversicherungsträger dazu bereit erklärt hat.
Wir bitten deshalb, unserem Antrag zuzustimmen, weil wir dann wenigstens auf dem Wege zu einer weiteren Milderung der Auswirkungen dieses unseligen Stichtags wären. Wir müssen uns darüber klar sein, daß man aus Gründen der Gerechtigkeit nicht an einer Regelung festhalten kann, die damals aus einer Zwangssituation heraus getroffen werden mußte, für die aber heute die Voraussetzungen in dem Maße nicht mehr vorhanden sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Vorschlag des zuständigen Ausschusses zu Drucksache Nr. 3961, wie er in dem Mündlichen Bericht in Drucksache Nr. 4164 formuliert ist, zu. Es handelt sich um den Entwurf eines Gesetzes über die Umstellung von knappschaftlichen Renten auf das nach dem 31. Dezember 1942 geltende Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung.
Herr Abgeordneter Renner, wir sind augenblicklich bei § 1 des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes!
Entschuldigung, ich dachte, die drei Berichte seien zur allgemeinen Aussprache gestellt.
Nein, wir haben keine allgemeine Aussprache. Wir sind bei der Einzelberatung, und zwar über § 1.
Kann ich das als dazu gesprochen ansehen?
Jawohl, das Haus hat das zur Kenntnis genommen.
Nun zu der Drucksache Nr. 3959 und zu der Drucksache Nr. 4208, die dieselbe Materie betrifft. Worum geht es? Die sozialdemokratische Fraktion hat in den beiden Anträgen gefordert, daß der § 21 Abs. 5 Satz 2 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes eine Änderung dahin erfährt, daß auch den Frauen, die vor dem 1. Juni 1949 Witwen geworden sind, die Vorteile des § 2 dieses Gesetzes zugute kommen.
Nun ist heute gesagt worden, daß, was die Sozialversicherung angeht, im damaligen Wirtschaftsrat die Regelung deshalb so erfolgt sei, weil keine Mittel vorhanden gewesen seien. Heute hat die Sprecherin der sozialdemokratischen Fraktion zu Recht darauf hingewiesen, daß sich die Kassenlage der Sozialversicherungsträger erheblich verbessert hat, so daß von der Seite aus — sie hat sich ausdrücklich auf Ostermayer berufen — einer derartigen Regelung keine Schwierigkeiten gemacht würden. Die Beseitigung des Unrechts an diesem Personenkreis scheitert also einmal mehr ausschließlich an der Bundesregierung selber. Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß die Bundesregierung ja an der, wie sie sagt, „schlechten" Kassenlage der Versicherungsträger ursächlich dadurch beteiligt ist, daß sie, wie wir das alle wissen, durchgedrückt hat, die Zuschüsse, die der Bund anteilmäßig in einer Höhe von 555 Millionen DM zu zahlen hat, für die Dauer von drei Jahren nicht in barem Geld. sondern in Bundesschuldverschreibungen abführen zu können.
— Das stimmt schon, leider stimmt es. Wenn das aber so ist, verehrte Sprecherin von der SPD, daß die Kassenlage der Sozialversicherungsträger eine derart wünschenswerte und gerechtfertigte Regelung absolut zuläßt, dann verstehe ich nicht den zweiten Umfall, den Sie heute mit den Änderungsanträgen Umdruck Nr. . 869 bzw. 870 vornehmen. Da kommt mir ein Wort in Erinnerung, das Ihr Kollege Schellenberg am 11. Dezember zur Frage der Grundbeträge der Invalidenversicherung gesprochen hat, als er sagte: Wir waren ja damals gar nicht so stur, wir haben j a im Ausschuß bereits einen Kompromißantrag gestellt.
Was hier von der SPD gefordert wird, ist etwas, worauf dieser Personenkreis einen absoluten Rechtsanspruch hat. Es ist zudem auch die Forderung der Gewerkschaften. Wo wollen Sie denn mit Ihrer ewigen Kompromißpolitik hinkommen? Wenn Sie die Stärke, die hinter Ihnen steht, tatsächlich mobil machten, wäre der Herr Finanzminister nicht in der Lage, eine derartige berechtigte Forderung abzuweisen. Deshalb bedaure ich es, daß Sie Ihrem ersten Kompromiß diesen zweiten Kompromiß haben folgen lassen. Ich bedaure das aufrichtig. Wir sind angesichts der Lage natürlich gezwungen, für Ihren zweiten Kompromiß zu stimmen, da Sie Ihren ersten selber heute gar nicht mehr zum Antrag erhoben haben.
Das ist unsere Auffassung zu diesen beiden Punkten der Tagesordnung.
Das Wort hat der Abgeordnete Schüttler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich für meine Fraktion zu § 1 des Gesetzentwurfs spreche, so vor allem deswegen, um die eben vorgebrachten Argumente ins richtige Licht zu rücken. Frau Korspeter hat mit Recht gesagt, daß im Jahre 1949 das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz wegen Mangels an Mitteln diese Härten in sich schloß. Darüber sind war, glaube ich, einer Meinung. Aber wie froh waren wir doch damals, daß zunächst einmal diese grundsätzliche Seite geregelt wurde, indem den Invalidenversicherten das gleiche Recht wie den Angestelltenversicherten eingeräumt wurde! Das war doch ein Fortschritt, der nicht hoch genug zu werten war in Anbetracht der jahrzehntelangen Bemühungen um das gleiche Recht der Invalidenversicherten und der Angestelltenversicherten.
Es ist klar: wenn ich eine solche Neuerung einführe, ein so weitgehendes Gesetz beschließe, muß ich auch fragen, wo die Mittel herkommen sollen, die nun einmal aufgebracht werden müssen, um allen das Recht zuteil werden zu lassen. Aus diesem Mangel an Mitteln wurden damals die einschränkenden Bestimmungen in das Gesetz hineingebracht, die — wir bekennen es ruhig — auch heute eine Härte für alle Betroffenen sind, die vor dem Termin lagen. Jede Terminsetzung hat eine Härte in sich. Wir haben uns schon vor drei Jahren im Sozialpolitischen Ausschuß über diese Härte auseinandergesetzt und hätten damals schon gern einen Beschluß herbeigeführt, um sie zu beseitigen.
Nun sagen Sie, damals sei die Realisierung dieser Forderung aus Mangel an Mitteln nicht möglich gewesen. Heute liegen aber, glaube ich, fast die gleichen Bedingungen wie damals vor.
Unterdessen haben wir die Sozialversicherung nach allen Seiten hin in materieller Hinsicht weiter ausbauen müssen. Wir haben unerhörte Anstrengungen machen müssen, um die Rentensätze zu erhöhen. Wir haben nach allen Seiten den Versicherten selbst und auch dem Bund außerordentliche Opfer zugemutet, um die Sozialversicherung so weit zu bringen, wie sie heute ist.
Heute hat die Sozialversicherung wohl einen Kassenüberschuß, der eben mit 970 Millionen DM im Jahre 1952 beziffert wurde. Was ist aber ein Kassenüberschuß von 970 Millionen DM, wenn die Rentenzahlungen rund eine halbe Milliarde pro Monat ausmachen?
— Darauf komme ich noch zu sprechen. Wenn ein
Kassenüberschuß von ungefähr einer Milliarde
vorhanden ist und dieser Kassenüberschuß nur dazu dient, die Rente innerhalb von zwei Monaten auszuzahlen, so kann man wirklich nicht von einem herrlichen Stand dieser Rentenversicherung sprechen.
Die geringste Krise wäre schon in der Lage, diese Versicherung in außerordentliche Schwierigkeiten zu bringen.
Nun wird von Frau Korspeter gesagt, auf der einen Seite argumentiere man damit, daß die Kasse schlecht stehe und man die Leistungen nicht erbringen könne, während auf der anderen Seite diese Kassenüberschüsse vom Bundesminister der Finanzen beschlagnahmt würden. Ich glaube, ein solch böses Wort sollte man hier nicht sagen!
Wir haben uns darüber im Ausschuß heute morgen schon genügend unterhalten. Man sollte nicht von einer Beschlagnahme der Kassenüberschüsse sprechen.
Das gibt in der Öffentlichkeit ein unerhört schlechtes und falsches Bild.
Es handelt sich um nichts anderes als um die Zuschüsse, die der Bund auf Grund der letzten Gesetze geben mußte. Diese gibt er nun im kommenden Jahr anstatt in bar in Höhe von 170 Millionen DM in Krediten oder vielmehr in Schuldverschreibungen und muß sie verzinsen und auch amortisieren wie jede Anleihe, die sonst aufgenommen wird.
— Nein, mit 3 %, mein lieber Herr, mit 3 % und
5 % Zinsen! — Also, ich sage, man sollte nicht von
einer Beschlagnahme sprechen. Statt daß das Geld
sonstwie in die Wirtschaft fließt, fließt es nun in
Höhe von 170 Millionen DM mit den vollen Rechten
für die Versicherung auf der anderen Seite in die
Wirtschaft hinein. Es ist keine Beschlagnahme, sondern ein ganz legaler Vorgang, der sich hier abspielt. Wir müssen diese Behauptung zurückweisen.
Frau Korspeter hat gesagt, der neue Vorschlag, den sie jetzt eingebracht habe, beanspruche ja nur 105 Millionen DM. Das stimmt, soweit die Fünfzigjahresgrenze für die Witwen in Frage kommt. Es stimmt aber nicht, wenn man noch diejenigen Witwen einbezieht, die ein waisengeldberechtigtes Kind unter sechs Jahren oder zwei waisengeldberechtigte Kinder erziehen. Wenn man diese Beträge noch hinzurechnet, die man nur schätzen kann, wird die Summe ebenfalls wieder bei rund 120 Millionen DM liegen.
Ich frage Sie: Können Sie denn wirklich sagen, daß diese 120 Millionen DM greifbar sind? Wir dürfen doch auch in der Invalidenversicherung nicht nur für den Augenblick rechnen. Die Statistik besagt, daß wir schon in wenigen Jahren mit einem prozentualen Zuwachs der Rentner zu rechnen haben, der in 5 Jahren schon 15 %, in 10 Jahren 20 % und in 25 Jahren 70 % beträgt. Rechnen Sie diese 70 % Zuwachs an Rentnern bei einer gleichbleibenden Zahl von zahlenden Mitgliedern — denn diese Zahl wird sich nicht erhöhen —, dann werden Sie von
einer „glänzenden" Lage der Rentenversicherungsanstalt wirklich nicht mehr reden können. Dann ist die Rentenversicherung vielleicht in wenigen Jahren das Schmerzenskind dieses Hauses, und wir werden entweder die Beiträge ganz erheblich erhöhen müssen oder Zuschüsse in unerhörter Höhe anderweitig aus Steuermitteln zur Deckung dieser Renten heranziehen müssen. Man sollte also nicht mit falschen Zahlen operieren, sondern man sollte die sachliche Darstellung geben, daß sich tatsächlich die Lage der Rentenversicherungsanstalt in keinem rosigen Licht zeigt und daß wir alle Ursache haben, den erhöhten Rentenanspruch, der vor allem aus den erhöhten Leistungen der Versicherten kommt und der später auch realisiert werden muß — in 10 oder 15 Jahren —, zu berücksichtigen. Unter dieser Perspektive erscheint es sehr fraglich, ob die Versicherung noch das Volumen für solche Leistungen aufbringen kann; und vielleicht wird von uns allen die Bewilligung außerordentlicher Mittel erwartet werden, um die Deckung der Leistungen der Versicherung sicherzustellen.
Zweitens möchte ich sagen: Wir sehen ein, daß diese Härten in irgendeiner Form beseitigt werden müssen.
Wir sehen es ein; aber wir, können doch nicht im Augenblick, wo wir keine Möglichkeit der Deckung sehen, diese Beträge zuschießen und es der Zukunft überlassen, die Deckungsfrage zu klären. Über kurz oder lang wird doch die Reform in der Sozialversicherung Platz greifen müssen. Bei dieser Reform muß man das Problem trotz aller Schwierigkeiten der finanziellen Seite noch einmal aufgreifen.
Wir erkennen als Fraktion durchaus an, daß hier Härten liegen, die zu beseitigen unser aller Anliegen sein muß. Aber wir können im Augenblick in Anbetracht der finanziellen Lage und des nicht vorhandenen Deckungsvolumens einfach nicht ja sagen, weil wir nicht unverantwortlich handeln können. Es ist eben doch leichter, von seiten der Opposition solche Anträge zu stellen, als von der Regierungsseite solche, Wünsche zu erfüllen. Ich glaube, nur unter dieser Perspektive dürfen Sie die Sache sehen. Ich kann Ihnen sagen, wir haben uns auch gestern und vorgestern in stundenlangen Auseinandersetzungen damit befaßt, ob nicht ein Weg gefunden werden könnte, die Härten in der Form, wie wir sie vor uns sehen, zu beseitigen. Weil aber ein solcher Weg nicht gefunden wurde und weil wir diese 120 bis 130 Millionen DM im Augenblick nicht aufzubringen in der Lage sind, müssen wir auch im Interesse der Versicherten zu diesen Anträgen nein sagen, und ich möchte das Hohe Haus bitten, sich dem Ausschußbeschluß an-. zuschließen. Durch diesen Beschluß wird nun wenigstens die eine Härte bei der Invalidenrente beseitigt. Die anderen Härten werden in der nächsten Zukunft auch noch eine Lösung finden, wenn wir für die notwendige Deckung gesorgt haben, die für die Lösung einer solchen Aufgabe einfach eine notwendige Realität ist.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Als wir den Antrag mit der Nr. 35 zur Überprüfung des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes stellten, waren alle diejenigen, die jetzt schon gesprochen haben und noch sprechen werden, im Ausschuß der Meinung, daß das ein Problem sei, das man bis zur Reform der Sozialversicherung zurückstellen sollte.
Und als ich in der 238. und 246. Sitzung hier alle die Dinge aufgezeigt habe, die Frau Korspeter heute noch einmal wiederholte — Sie können es in den Protokollen von 1950 bis 1952 immer wieder nachlesen —, da waren die Töne, die angeschlagen wurden, noch ein wenig temperierter. Aber da lag der Wahlkampf in weiterer Ferne.
Die Reform des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes ist uns ein besonders dringliches Anliegen, weil hier die Gesetzgebung im Hinblick auf die Frage der sozialen Gerechtigkeit in besonderer Weise revidiert werden muß. Unser Anliegen ist aber nicht nur auf die Reform des § 21 gerichtet. Die Anwendung des Gesetzes hat in ihren praktischen Ergebnissen nicht nur seine Fehler und seine Mängel, sondern auch seine sozialen Ungerechtigkeiten, an denen wir uns nicht schuldig fühlen, leider mit einer bemerkenswerten Deutlichkeit gezeigt. Frau Korspeter hat heute die Frage gestellt, „ob wir dem zustimmen wollen oder nicht". Nein, Frau Kollegin Korspeter, wir glauben nicht, daß es sozialpolitisch, aber noch viel weniger sittlich verantwortbar ist,
Versprechungen zu machen, von denen man nicht weiß, ob man sie halten kann und ob man diese Rente auch in der Zukunft allen 50jährigen in Deutschland — nicht nur den 50jährigen Frauen, sondern auch den 50jährigen Männern, denn wir kämpfen doch gemeinsam für die Gleichberechtigung —
geben. kann.
Sie haben hier einige Dinge über die Finanzlage gesagt. Als ich im Ausschuß dem Herrn Präsidenten Ostermayer einige Fragen stellte, Fragen mit dem Ziele, die Fehler des Anpassungsgesetzes endlich zu beseitigen, waren die Antworten ein wenig anders, als sie heute durch den sozialdemokratischen Blätterwald — von den Gewerkschaften bis zum Reichsbund — rauschen und als sie uns heute gegeben werden.
Frau Korspeter hat hier auch vom gleichen Beitrag und dem gleichen Rechtsanspruch gesprochen. Nur zum Steuer der Wahrheit: Der Beitrag der invalidenversicherten Arbeiter war 5,6 %; er wurde nach dem Anpassungsgesetz auf 10 % erhöht. Das ist aber eine Frage, die sie anscheinend als nebensächlich betrachtet. Für uns gehört zum gleichen Recht bei gleichem Beitrag und gleicher Leistung noch einiges mehr, nämlich die Reform der Steigerungsbeträge, das gleiche Recht, wenn Sie wollen, auch beim Grundbetrag. dann das gleiche Recht, wenn Sie wollen, in der Angestellten- und Invalidenversicherung. Wir wollen es auch nach dem Bundesversorgungsgesetz für alle Witwen, die jetzt noch nicht die unbedingte Witwenrente bekommen, das gleiche Recht dann aber für die vielen älteren Angestellten, Männer und Frauen, die gleich den Invalidenwitwen in derselben ja sehr schwierigen Situation sind. Und weil
wir das wollen, weil es uns wirklich ernst ist mit der Verwirklichung, Herr Richter, und wir nicht nur Wahlparolen meinen, deshalb möchten wir über die finanziellen Auswirkungen ein wenig mehr hören, vielleicht von einem Mitglied Ihrer Fraktion, das im Haushaltsausschuß sitzt.
Ihrem Änderungsantrag in dieser Form können wir schon deshalb nicht zustimmen, weil wir das Sozialversicherungsanpassungsgesetz — hier bin ich einmal ausnahmsweise mit dem Kollegen Renner einig —
grundsätzlich geändert haben wollen. Wir wollen nämlich tatsächlich eine ehrliche Verbesserung haben! Dieses Gesetz können wir aber nur ändern, unter Berücksichtigung auch der sozialen Wirklichkeit, im Hinblick auf die bevölkerungspolitischen Konsequenzen, auf die soziale Struktur, auf die Situation unseres Sozialhaushalts und nicht zuletzt in bezug auf die Konsequenzen, die sich aus der Überalterung und aus dem Anspruch der jetzt Beitrag zahlenden Versicherten an die Selbstverwaltung und die Versicherungsträger morgen und in aller Zukunft ergeben werden. Wir können es uns einfach nicht leisten, angesichts bevorstehender Wahlen sozialpolitische Lösungen für einen Teil zu finden, wenn wir nicht garantieren können — und dieses Versprechen, diese Garantie erwarte ich noch in dieser Stunde von Ihnen —, daß wir diese Leistung an alle 50jährigen in Deutschland, die einen Anspruch auf Leistungen aus der Rentenversicherung haben, auch geben werden. Wenn Sie uns diese Garantie geben können, dann sind wir begeistert bereit, Ihrem Antrag zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung zu § 1.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Umdruck Nr. 869. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Das zweite ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. — Herr Abgeordneter Renner, wenn Sie Präsident sind, werden Sie diese Feststellungen treffen.
Ich komme zur Abstimmung über § 1, nachdem dieser Änderungsantrag abgelehnt ist. Ich bitte die Damen und Herren, die § 1 in der vom Ausschuß vorgelegten Fassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. § 1 ist angenommen.
Ich rufe auf § 2, — den § 4, der § 3 werden müßte —, Einleitung und Überschrift. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; es ist angenommen.
Ich komme zum zweiten Gesetz, zum Gesetz zur Änderung des Knappschaftsversicherungs-Anpassungsgesetzes. Darf ich unterstellen, daß der inhaltlich gleiche Antrag nicht noch einmal besonders begründet wird oder doch?
Herr Abgeordneter Dannebom zur Begründung des Änderungsantrags Umdruck Nr. 870! — Meine
Damen und Herren, ich appelliere nur an Sie, daß wir den Versuch machen, möglichst viel von unserer heutigen Tagesordnung noch zu erledigen. — Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter hat schon darauf hingewiesen, daß Ziffer 2 des § 1 unserer Drucksache 3960 auf Antrag des Sozialpolitischen Ausschusses gestrichen werden soll. Meine Fraktion hat aus den Gedankengängen, die vorhin Frau Kollegin Korspeter Ihnen vorgetragen hat, im Umdruck Nr. 870 gewünscht, Ziffer 2 des § 1 solle in der Weise geändert werden, daß für Ehefrauen von Versicherten, die vor dem 1. Juni 1949 Witwen geworden sind, diese Einschränkung nicht gelten soll, sobald sie das 50. Lebensjahr vollendet haben oder mindestens ein waisenberechtigtes Kind unter sechs Jahren oder zwei waisenberechtigte Kinder zu erziehen haben. Das ist dasselbe Problem, das vorhin schon behandelt worden ist. Aber gestatten Sie mir noch eine kurze Bemerkung.
Die Streichung des § 9 des Gesetzentwurfs ist vom Ausschuß beschlossen worden. Aber dieser § 9 hat in Wirklichkeit keine große Bedeutung im Knappschaftsversicherungs-Anpassungsgesetz. Und warum nicht? Weil eben die Lohnregelung im Bergbau so ist, daß der größte Teil der Invaliden des Bergbaues nicht die Möglichkeit hat, den Antrag auf Knappschaftsvollrente zu stellen, weil der niedrigste Lohn im Bergbau 50 % des Hauerdurchschnittslohns übersteigt. Das liegt eben an der Lohngestaltung im Bergbau. Aus den Gründen hat die Anerkennung dieses § 9 eben keine erhebliche Bedeutung.
Entscheidend kommt es uns darauf an, wie ebenfalls vorhin schon zum Witwenproblem bemerkt wur .e, daß § 10 Abs. 1 nun die Fassung erhalten soll die wir in unserem Änderungsantrag gewünscht haben. Gestatten Sie mir einmal ein ganz offenes Wort. Ich bewundere eigentlich den Herrn Kollegen Schüttler, der, wie es seine Freunde auch schon während der Ausschußberatungen getan haben, vorhin wiederum erklärt hat, daß man sich im Grundsatz für die Regelung dieser Frage einsetzen würde und daß man die Ungerechtigkeit, die in dieser unterschiedlichen Behandlung liegt, nach allgemeiner Auffassung des Ausschusses — das ist auch hier ausgesprochen worden — zu ändern gewillt und bereit wäre. Aber man darf doch vor diesem Hohen Hause kein Lippenbekenntnis zum besten geben. Wir haben in diesem Hohen Hause schon sehr viele Gesetze, die auch mit finanziellen Aufwendungen verbunden waren, beschlossen, wenn wir der Überzeugung waren, daß dadurch ein bestehendes Unrecht beseitigt werden soll. Das haben wir in sehr vielen Fällen getan. Und in diesem Falle, wo es sich bei der Knappschaft um 37 000 Witwen handelt — wenn Sie unseren Anderungsantrag annehmen, sind es nicht einmal so viele —, müssen Sie bei einigem guten Willen — den setze ich voraus — in der Lage sein, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Ich glaube, ganz entschieden muß die Äußerung der Frau Kollegin Kalinke zurückgewiesen werden, wir stellten unsere Anträge aus wahltaktischen oder unsittlichen Gedankengängen heraus. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Herr Kollege Lenz, auch Sie als Abgeordneter der CDU und als Gewerkschaftler
haben sich doch in sehr vielen Gewerkschaftsversammlungen mit diesem Problem zu beschäftigen gehabt. Auch Sie haben in diesen Versammlungen mit uns gemeinsam die Auffassung vertreten, daß es notwendig sei, dieses Problem zu regeln. Heute sagen Sie dasselbe, bis es darauf ankommt, sich dafür einzusetzen. Sagen Sie doch nicht, Herr Winkelheide, die finanzielle Frage sei allein bei Ihrer Ablehnung entscheidend. Ich habe Ihnen vorhin schon gesagt, daß es in sehr vielen Fällen, in denen auch finanzielle Mittel zur Durchführung der Gesetze erforderlich waren, trotzdem in diesem Hause von Ihnen beschlossen worden ist, und zwar auch gemeinsam mit uns. Deshalb glaube ich, daß man hier kein Lippenbekenntnis abgeben darf, indem man die Dringlichkeit einer Regelung anerkennt, in der letzten Konsequenz aber nicht den Mut hat, mit Ja zu stimmen. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, meine Damen und Herren, unserem Änderungsantrag Umdruck Nr. 870 Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Willenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein verehrter Herr Kollege Dann e-b o m hat soeben ausgeführt, ich hätte in meinem Bericht zum Ausdruck gebracht, daß der gesamte Ausschuß die Ziffer 2 des § 1 abgelehnt habe. Ich glaube, ich habe ausdrücklich betont, daß ein Teil des Ausschusses diesen Antrag aus finanziellen Gründen abgelehnt hat. Ich möchte das hier richtigstellen.
Nun zur Sache selbst noch etwas. In diesen Gesetzen liegt ein Unrecht, das beseitigt werden muß, ein Unrecht, das vor allen Dingen unseren Witwen in der Invalidenversicherung und in der Knappschaftsversicherung angetan wird. Wir haben den Zustand, daß die Witwen, die den Antrag auf Witwenrente bis zum 31. Mai 1949 gestellt haben, eine Erwerbsminderung von 662/3 % haben mußten. Die ärztlichen Untersuchungen ergaben in vielen Fällen eine Erwerbsminderung von 55 oder 60 %. Für die Witwen dagegen, die ihren Antrag vom 1. Juni 1949 an gestellt haben, hat eine Erwerbsminderung von 50 % genügt, um in den Besitz der Witwenrente aus der Invaliden- oder der Knappschaftsversicherung zu kommen. So ergibt sich in vielen Fällen, daß in ein und demselben Hause, ja auf ein und derselben Etage zwei Witwen wohnen und die eine ab 1. Juni 1949 mit 50 % Erwerbsminderung die Rente bekommt, während für die andere Witwe eine Minderung von 55 oder 60 % nicht genügt. Meine Damen und Herren, das ist doch ein Unrecht, und wir sind meines Erachtens dazu berufen, dieses Unrecht, das man diesen Frauen bisher angetan hat, zu beseitigen. Ich möchte daher dringend bitten, daß Sie dieser Vorlage zustimmen.
Keine weiteren Wortmeldungen; ich schließe die Besprechung.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 870. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 1 in der Ausschußfassung. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Ich rufe auf § 2, — § 3, — § 4, — Einleitung und Überschrift. — Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Ich komme zur Drucksache Nr. 3961 in Verbindung mit der Drucksache Nr. 4164: Umstellung von knappschaftlichen Renten auf das nach dem 31. Dezember 1942 geltende Recht. Ich rufe auf § 1, —§ 2, — § 3, — § 4, — Einleitung und Überschrift. — Keine Wortmeldungen.
Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen Paragraphen, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Die zweite Beratung der drei Gesetze ist damit beendet. Ich komme zur
dritten Beratung,
zur allgemeinen Besprechung. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Renner!
Ich darf Ihnen vorschlagen, meine Damen und Herren, entsprechend einem Vorschlag des Ältestenrats die Redezeit auf 60 Minuten insgesamt zu begrenzen. — Sie sind damit einverstanden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frau Kollegin Kalinke hat hier vor dem ganzen Haus erklärt, daß sie „einmal mit mir einig gehe".
ten habe mich daraufhin innerlich schnell überprüft, kann aber nicht sehen, worin sich die Einigkeit ausdrücken soll. Ich bitte die Frau Kalinke ganz ernstlich, mir das doch nicht anzutun, daß sie mich noch einmal hier öffentlich in der Weise anspricht, als ginge sie mit mir einig.
Aber zu Ihren sachlichen Äußerungen, Frau Kalinke. Ich verstehe nicht ganz, woher Sie die Kühnheit nehmen, solche Worte, wie Sie sie heute wieder gebraucht haben, auszusprechen. Sie sagen, es sei „sittlich nicht vertretbar", daß man einer Witwe mit Vollendung des 50. Lebensjahres oder einer Witwe mit einem waisenrentenberechtigten Kind unter sechs Jahren oder mit zwei waisenrentenberechtigten Kindern diesen ihnen doch zustehenden Rechtsanspruch endlich einräumt. Da Sie in einem Rechtsstaat zu leben vorgeben, wäre das doch eine Selbstverständlichkeit, zumal Sie ja selber von einem „Unrecht", von einer „Härte" sprechen, die in Ihrer heutigen Regelung noch liegt. Nun, Sie bedauern die Härte, aber Sie nehmen sie hin. Sie machen hier schöne Worte und berufen sich auf frühere Erklärungen. Mit Ihren schönen leeren Worten und mit den Protokollen des Bundestags können aber diese Witwen ihre Waisenkinder nicht ernähren. Das ist die Situation, wie sie in Wirklichkeit draußen ist.
Herr Schüttler, der hier sagte, er gebe zu, daß diese Regelung noch eine Härte sei, sprach wieder einmal von der bedrohlichen Kassenlage. Er mußte zugeben, daß der Kassenstand Ende 1952 beinahe die Höhe von einer Milliarde erreicht hatte. Wenn man aber hier ausspricht, Herr Schüttler, daß trotzdem die Sozialversicherungsträger durch das Anwachsen der Zahl der Rentenbezieher in der Zukunft bedroht seien, wie kann man dann gleichzeitig die Politik des Bundesfinanzministers mitmachen, diesen angeblich so bedrohten Sozialversicherungsträgern den Bundesanteil statt in barem Geld in diesen wertlosen
Schuldverschreibungen zuzuführen? Wie kann man das denn verantworten?! Das eine ist doch mit dem anderen nicht vereinbar.
Hier wird die Frage der Deckung gestellt. Bei anderen Gelegenheiten sind Sie doch so großzügig, Milliarden zum Fenster hinauszuwerfen. Warum greifen Sie nicht auf die 13,9 Milliarden DM zurück, die Sie der von Ihnen vorbereitete kommende Krieg im laufenden Jahr kostet? Warum greifen Sie darauf nicht zurück?
Sie vertrösten die Witwen auf eine vielleicht einmal am Sankt-Nimmerleins-Tag kommende Regelung der Beseitigung dieses Unrechts. Sie kalkulieren: bis dahin werden soundso viel berechtigte Witwen und Waisen durch Tod oder durch Erreichung der Altersgrenze sowieso ausscheiden; also sparen wir das Geld; jeden Pfennig, den wir in der Sozialversicherung sparen, haben wir frei für die Finanzierung des Krieges!
Herr Abgeordneter Richter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure außerordentlich, daß die Mehrheit dieses Hauses die beiden Anträge meiner Fraktion zu dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz und dem Knappschaftsversicherungs-Anpassungsgesetz abgelehnt hat. Bei diesen Anträgen hat es sich lediglich darum gehandelt, daß der Witwe eines Arbeiters, der in der Invalidenversicherung die gleichen Beiträge entsprechend seinem Lohn jahraus und jahrein gezahlt hat, auch die gleichen Leistungen gewährt werden wie der Witwe eines Angestellten und der Witwe eines Beamten. Sie haben wiederum diese in der Sozialpolitik selbstverständliche Forderung nach sozialer Gerechtigkeit abgelehnt.
Herr Abgeordneter Arndgen!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur dritten Lesung des Gesetzes über die Umstellung von knappschaftlichen Renten auf das nach dem 31. Dezember 1942 geltende Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung habe ich vor der Abstimmung folgende Erklärung für meine Fraktion abzugeben:
Wir hatten die Absicht, dieses Gesetz an den Ausschuß für Sozialpolitik zurückzuverweisen, und zwar aus folgenden Gründen: Dieses Gesetz läßt sich in der Form, wie es in der zweiten Lesung beschlossen worden ist, nicht durchführen, weil die Akten von einer Reihe Knappschaften nicht mehr vorhanden sind, so daß die Renten dieser Knappschaften nicht nach dem Gesetz umgerechnet werden können. Da nun aber das Gesetz in der zweiten Lesung angenommen wurde, werden meine Freunde gegen dieses Gesetz stimmen, damit es nicht Rechtens wird und wir im Ausschuß für Sozialpolitik die Möglichkeit bekommen, nach einer neuen Eingabe das Gesetz so zu ordnen, daß es auch tatsächlich all den Rentnern dasjenige bringt, was mit diesem Gesetz beabsichtigt ist.
Meine Damen und Herren! Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. — Oh, Frau Abgeordnete Kalinke, bitte schön.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Nicht weil es der Herr Renner gesagt hat, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen, weil solche Dinge draußen sehr leicht entstellt wiedergegeben werden können, nehme ich dazu Stellung. Ich pflege im allgemeinen keine Reden vorzulesen; aber diese Formulierung habe ich mir zufällig aufgeschrieben, und für diejenigen, die es nicht klar verstanden haben sollten, habe ich Frau Kollegin Korspeter geantwortet. Ich habe ihr ganz eindeutig gesagt, daß ich es weder für sittlich vertretbar noch für sozialpolitisch verantwortlich halte, Versprechungen zu machen, wenn man nicht in der Lage ist, sie zu realisieren. Ich glaube, daß das etwas ganz anderes ist,
als was Herr Kollege Renner hier festzustellen beliebt. Ich möchte mich gegen die von ihm gemachten Unterstellungen ganz ausdrücklich verwahren.
Es ist nur bedauerlich, daß einem großen Teil dieses Hauses und leider auch der deutschen Öffetitlichkeit die echten Zusammenhänge der Sozialgesetzgebung und die Auswirkungen dieses schwierigen Gesetzes genau so wenig bekannt sind wie manches andere. Sonst wäre es nicht möglich, daß hier der Abgeordnete Richter von der Sozialdemokratischen Partei Erklärungen abgibt wie die, daß die Regierung die soziale Ungerechtigkeit deshalb begünstige, weil sie Arbeiter, Angestellte und Beamte nicht gleichsetze. Noch haben wir in Deutschland kein gleiches Recht für Arbeiter, Angestellte und Beamte!
Wenn Sie diesmal das Beamtenrecht beseitigen wollen und sagen, daß die Beamtenwitwe, die Angestellen- und die Invalidenwitwe nach dem gleichen Gesetz behandelt werden sollen,
dann haben wir, glaube ich, bei dieser Beratung nicht den Anlaß, uns darüber mit Ihnen auseinanderzusetzen. Es ist sachlich falsch und absolut polemisch,
wenn Sie unterstellen, daß bei der Beratung zur Änderung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes die Grundlagen der Sozialpolitik nicht nach dem Grundsatz sozialer Gerechtigkeit behandelt worden seien. Im Gegenteil!
Ich habe Ihnen am 22. Januar laut Protokoll ausdrücklich gesagt, daß Sie bei unseren Anträgen zur Überprüfung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes der Auffassung waren — das ist noch gar nicht so lange her, man kann es nachlesen, und vielleicht sind Sie auch nicht so vergeßlich —, daß das Zeit habe bis zur Reform der Sozialpolitik. Der Antrag kam aber von der Deutschen Partei und nicht von der KPD oder SPD; wäre er von dort gekommen, hätte es keine Zeit gehabt bis zum nächsten Wahlkampf!
Meine Herren und Damen, wir werden uns bei diesem Tatbestand und nach Ihrer Erklärung bei der Abstimmung über Ihren Antrag der Stimme enthalten.
Herr Abgeordneter Richter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich nicht zum Wort gemeldet, um auf die Ausführungen von Frau Kalinke einzugehen. Daran denke ich schon monatelang nicht mehr, weil ich davon überzeugt bin, es ist ein hoffnungsloser Fall.
Ich habe mich zum Wort gemeldet, um zu den Ausführungen meines verehrten Kollegen Arndgen einiges zu sagen, weil ich überzeugt bin: sie beruhen auf einem Irrtum. Verehrter Kollege Arndgen, die Dinge liegen doch so. Unser Antrag wurde am 10. Dezember 1952 gestellt. Wir bezwecken damit lediglich, daß die Altrentner aus der Knappschaft ihre Renten nach dem gleichen Recht berechnet und gewährt erhalten sollen wie die jetzigen Rentner. Es handelt sich hier um die Durchführung der Verordnung vom 4. Oktober 1942, die die Überschrift trägt: Besserstellung der langdienenden Bergleute und namentlich der Hauptberufsgruppe im Bergbau, der Hauer. Meine Damen und Herren, es ist noch nicht so lange her, daß einer von uns vergessen haben könnte, wie wir die Bergleute gebeten haben, wie wir sie gezwungen haben, möchte ich fast sagen, das Letzte herzugeben an Fleiß und an Bereitschaft, um das notwendige Rohgut, die Kohle, aus der Erde zu fördern. Um diese Berufsgruppe der Hauer, um den langdienenden Bergmann, um die Besserstellung des alten Hauers, der vor 1942 schon pensioniert wurde, der damals bereits auf Grund der Schwere und der Gefahr seines Berufes Gesundheitsschädigungen hatte, Invalide war, um den handelt es sich, um sonst niemand. Es sind hierfür 8 bis 10 Millionen DM im ganzen Jahr erforderlich. Diese Summe wird sich nach den Mitteilungen der Sachverständigen und der Vertreter der Bundesregierung von Jahr zu Jahr verringern und in einigen Jahren durch das Ableben dieser alten Kumpels praktisch aufhören.
In der Sitzung des Ausschusses, in der wir die Sache eingehend beraten haben und zu der wir als Sachverständige den Direktor der Ruhrknappschaft geladen hatten, der uns einwandfreies Material unterbreitete, das von den Vertretern der Bundesregierung auch als richtig anerkannt wurde, hat es von Ihrer Seite geheißen, Sie seien deshalb gegen diesen Antrag der SPD, weil eine Deckung nicht vorhanden sei. Heute wurde hier erklärt, Sie seien gegen dieses Gesetz, weil es undurchführbar sei. Der Vertreter der Arbeitsgemeinschaft aller Knappschaften, der Direktor der größten Knappschaft, der Ruhrknappschaft, hat uns, wie Sie in dem Protokoll über die 173. Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses nachlesen können, eingehende Ausführungen darüber gemacht, wie die Knappschaften diese Frage lösen können. Er hat auch darauf hingewiesen, daß die Durchführung der Umrechnung der Renten für die alten Kumpels bei der Aachener Knappschaft am schwierigsten wäre, weil dort von den Nazis alles Aktenmaterial mutwillig zerstört worden sei. Ich habe mich in den letzten Tagen nochmals bei dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Knappschaften erkundigt. Der Betreffende ist nach Aachen gefahren, hat dort Feststellungen getroffen und mir gestern telefonisch durchgesagt, daß die Verwaltung der Aachener Knappschaft der Auffassung sei, die von dem Vertreter der Arbeits-
Deutscher Bunde tag — 260. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 16. April 1953 12679
gemeinschaft im Ausschuß vorgetragene Regelung sei auch bei der Aachener Knappschaft durchführbar. Seit 1945 seien bei der Knappschaft in Aachen wiederholt Umrechnungen durchgeführt worden. Deshalb seien die notwendigsten Unterlagen zur Durchführung auch dieses Umrechnungsgesetzes vorhanden.
Es liegt also kein Grund für eine Ablehnung dieses Gesetzes vor. Ich beantrage deshalb namentliche Abstimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Richter muß ich noch einmal darauf verweisen, daß das Gesetz in der Form, wie es von diesem Hause in der zweiten Lesung angenommen wurde, nicht in allen Knappschaften durchgeführt werden kann. Es kann in der Aachener Knappschaft nicht angewandt werden. Von dieser Knappschaft liegt uns ein Schreiben an die Arbeitsgemeinschaft der Knappschaften vor, in dem ausdrücklich darauf verwiesen ist, daß dieses Gesetz in der Aachener Knappschaft nicht durchgeführt werden kann. Das gleiche gilt für die Rentner, die den früheren Knappschaften in Schlesien, in Mitteldeutschland usw. angehört haben. Wenn wir allen Rentnern, die von dem Gesetz betroffen werden, das gleiche Recht sichern wollen, müssen wir es ändern. Wir sind der Meinung, daß wir uns im Sozialpolitischen Ausschuß erneut damit beschäftigen müßten, um Formulierungen zu finden, die allen in Frage kommenden Rentnern gleiche Rechte sichern. Aus diesem Grunde stimmen meine Freunde gegen das Gesetz.
Herr Abgeordneter Lenz.
Meine Damen und Herren! Ich widerspreche der dritten Lesung.
Erstens, Herr Abgeordneter Lenz, sind wir bereits in der dritten Lesung,
zweitens gibt es gar keine Möglichkeit, ihr zu widersprechen, da Änderungsanträge in der zweiten Beratung nicht angenommen sind.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Ich schließe die allgemeine Besprechung.
Ich komme zur Schlußabstimmung, da die Einzelberatung mangels Änderungsanträge entfällt, zunächst zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des SozialversicherungsAnpassungsgesetzes, Drucksache Nr. 3959 in Verbindung mit Drucksache Nr. 4208. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Gesetzentwurf in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Wenn ich recht sehe, bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Knappschaftsversicherungs-Anpassungsgesetzes, Drucksache Nr. 3960 in Verbindung mit Drucksache Nr. 4209. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Gesetz-
entwurf in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Für den Gesetzentwurf über die Umstellung von knappschaftlichen Renten auf das nach dem 31. Dezember 1942 geltende Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung, Drucksache Nr. 3961, ist — ich unterstelle, für die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei; also hinreichend unterstützt — namentliche Abstimmung beantragt worden. Ich bitte die Schriftführer, für die Schlußabstimmung die Stimmzettel einzusammeln.
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß das Einsammeln der Stimmzettel im wesentlichen beendet ist. Ich darf Sie freundlichst bitten, Ihre Plätze wieder einzunehmen. Ich schlage Ihnen vor, daß wir während der Auszählung bereits in der Erledigung der Tagesordnung fortfahren.
Ich rufe Punkt 5 der heutigen Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der DF/DPB und des von der Fraktion der SPD eingebrachten. Entwurfs eines Gesetzes über die Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge .
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Nr. 4166 der Drucksachen; Anträge Umdruck Nrn. 851, zu 851, 856 [neu]).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Becker (Pirmasens). Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie freundlichst, Ihre Plätze einzunehmen; es kostet das gleiche Geld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Angelegenheit, über die ich Ihnen im Auftrage des Ausschusses für Arbeit zu berichten habe, wurde dem Ausschuß in der 238. Plenarsitzung zur Behandlung überwiesen. Ich darf daran erinnern, daß in dieser Plenarsitzung die Antragsteller alle drei Lesungen am selben Tage durchführen wollten und daß die Ausschußüberweisung erst in der zweiten Lesung erfolgt ist. Gleichzeitig wurden der Ausschuß für Sozialpolitik sowie der Ausschuß für Kriegsopferfragen mit der Mitberatung beauftragt. Es handelt sich um zwei gleichlautende Anträge der Fraktion der Deutschen Partei auf Drucksache Nr. 3837 und der Fraktion der SPD auf Drucksache Nr. 3845. Beide Anträge haben zum Inhalt, daß erstens Grundrenten für Beschädigte nach § 31 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges auf die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung nicht anzurechnen und zweitens gesetzliche Unfallrenten in der gleichen Höhe wie die Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz von der Anrechnung auf die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung auszunehmen sind.
Bei der Behandlung im Ausschuß für Arbeit wurde anerkannt, daß eine einheitliche Regelung für das gesamte Bundesgebiet wünschenswert und notwendig ist, da die Frage der Anrechnung bzw.
der Freigrenze in der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung in den einzelnen Ländern des Bundesgebiets unterschiedlich behandelt wird. Die Vertreter der antragstellenden Fraktionen machten geltend, daß Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz und auch Renten der gesetzlichen Unfallversicherung nicht als Einkommen im üblichen Sinne, sondern vielmehr als Ausgleich für erlittenen Körperschaden und sich daraus ergebende notwendige Mehraufwendungen angesehen werden müßten. Im Ausschuß wurden Bedenken laut, daß es bei einer generellen und so weitgehenden Befreiung, wie sie die Anträge vorsehen, unter Umständen dazu führen könnte, daß anrechnungsfreier Betrag plus Unterstützung in allzu große Nähe des Arbeitseinkommens zu liegen kämen, was im Interesse der Aufrechterhaltung der Arbeitsfreudigkeit nicht gerade wünschenswert sei. Auch sei es im Interesse der Aufrechterhaltung des Versicherungscharakters bedenklich, wenn Arbeitslosenfürsorgeunterstützung plus Rente eventuell höher als Arbeitslosenunterstützung plus Rente lägen, zumal bisher in, der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung allgemein ein anrechnungsfreier Betrag von 26 Mark monatlich gewährt worden sei. Eine den Mitgliedern des Ausschusses übergebene Übersicht zeigte die Auswirkungen bei der Anrechnung und Nichtanrechnung der Beträge aus Grundrente plus bisherigem Freibetrag in der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung. Die Abstimmung im Ausschuß für Arbeit ergab eine einheitliche Meinung bei drei Stimmenthaltungen.
Bezüglich des Abs. 2 der vorliegenden Anträge betreffend die Nichtanrechnung der gesetzlichen Unfallrenten wurde im Ausschuß für Arbeit kein echtes Bedürfnis für eine Sonderregelung festgestellt, zumal auf diesem Gebiet bisher auch keine Komplikationen bekanntgeworden seien. Es wurde darauf hingewiesen, daß im Falle einer Sonderregelung für Unfallverletzte eventuell auch andere Personengruppen, z. B. aus der Privatversicherung, diese beanspruchen könnten.
Im Ausschuß für Sozialpolitik, der für die Frage der Freistellung der Unfallrenten mitberatend tätig war, stimmte die Deutsche Partei zu, die Frage der Nichtanrechnung der Unfallrente vorerst zurückzustellen. In der dann beantragten Abstimmung über Abs. 2 der vorgelegten Anträge wurde Abs. 2 mit 10 gegen 7 Stimmen abgelehnt. Der § 1 Satz 1 wurde einstimmig, der Satz 2 des gleichen Paragraphen gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Fraktion angenommen. Im übrigen ist der Beschluß des Ausschusses für Arbeit unverändert angenommen worden.
Der Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen hatte in einem eigens eingesetzten Unterausschuß ein Arbeitsergebnis erarbeitet, das in § 1 von dem Beschluß abwich, wie ihn der federführende Ausschuß für Arbeit bereits gefaßt hatte. Um zu einer Übereinkunft zu kommen, hat der Ausschuß für Arbeit in Änderung seines Beschlusses vom 14. Januar 1953 einen neuen Vorschlag eingebracht und am 13. Februar 1953 angenommen. Das Ergebnis liegt Ihnen in Drucksache Nr. 4166 vor. In § 1 wurde eine Fassung gefunden, wonach die Freistellung der Grundrente nicht dazu führt, daß die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung unter Umständen höher ist als die Unterstützung aus der Arbeitslosenversicherung.
Der § 2 enthält die übliche Berlin-Klausel. Der § 3 regelt erstens das Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes und zweitens die Handhabung nach
Inkrafttreten des Gesetzes für die laufenden Unterstützungsfälle. Ich darf hier von Wiederholungen absehen und ausdrücklich auf den Text der drei Paragraphen in der vorliegenden Drucksache Nr. 4166 hinweisen.
Abschließend darf ich noch erwähnen, daß im Ausschuß Übereinstimmung darüber bestand, daß die Gewährung von Teuerungszulagen durch dieses Gesetz nicht berührt wird.
Ich darf Sie im Namen des federführenden Ausschusses für Arbeit um Annahme der Ihnen vorliegenden Beschlüsse bitten.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Bevor ich in die Einzelberatung eintrete, frage ich, ob noch Abgeordnete vorhanden sind, die zur namentlichen Abstimmung der vorigen Ziffer der Tagesordnung ihre Stimme abzugeben wünschen. — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die namentliche Abstimmung.
Ich rufe auf § 1, dazu Änderungsantrag der Gruppe der KPD, Umdruck Nr. 856 Ziffer 1. Herr Abgeordneter Renner zu Begründung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ausgangspunkt des heute zur Entscheidung stehenden Ausschußberichts — das ist hier schon festgestellt worden — sind zwei gleichlautende Anträge der SPD und der DP. Letzterer trägt die Unterschriften der Frau Kalinke und des Herrn Dr. Mühlenfeld. Im Ausschuß, haben wir soeben gehört, hat die Deutsche Partei ihren ursprünglichen Antrag, auch die gesetzliche Unfallrente in einer bestimmten Höhe nicht als Einkommen bei der Bewilligung der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung anzurechnen, preisgegeben. Das ist also die Ausgangsbasis.
Nun ist heute von dem Herrn Berichterstatter sinngemäß gesagt worden, daß die Rente nicht außer Berücksichtigung bleiben könne, da sie doch ein „Einkommen" darstelle. Ich glaube, man muß diese Begründung scharf zurückweisen. Die Rente eines Kriegsbeschädigten schlechthin als ein Einkommen im Sinne des üblichen Inhalts dieses Begriffs darzustellen, geht doch wirklich auch am Gedanken des Gesetzgebers vorbei. Die Grundrente sollte doch nach dem Willen des Gesetzgebers kein Einkommen darstellen, sondern der Ersatz sein für die Auswirkungen der Beschädigung, die der Betreffende erlitten hat. Sie sollte ein Ersatz für die Mehraufwendungen geldlicher und auch körperlicher, physischer Natur sein, zu denen der Schwerbeschädigte auf Grund seiner Beschädigung nun einmal genötigt ist.
Die Unfallrente wird nach denselben Prinzipien gegeben. Sie ist nicht etwa ein Ersatz nur für den Lohnausfall, der dem Unfallbeschädigten je nach dem prozentualen Grad seiner Beschädigung erwächst, sondern sie ist auch ein Ersatz für die körperliche Behinderung und für die materiellen Mehraufwendungen, die der Unfallbeschädigte auf Grund seines erlittenen Unfalls machen muß. Deshalb ist es unserer Auffassung nach unlogisch, die Grundrente des Schwerbeschädigten aus dem Bundesversorgungsgesetz anders anzusehen als die Unfallrente.
Wir haben deshalb den von uns ursprünglich für die zweite Beratung vorbereiteten Antrag heute noch einmal eingebracht, der besagt, daß dem § 2 ein § 2 a angefügt werden soll:
Gesetzliche Unfallrenten sind nicht auf die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung anzurechnen. Weiter sind wir der Auffassung, daß das Gesetz mit Wirkung vom 1. Januar 1953, also rückwirkend, in Kraft treten soll.
Der Ausschuß hat außerdem gegenüber den beiden Anträgen eine weitere Verschlechterung in der Form vorgenommen, daß er hier empfiehlt, zu bestimmen, die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung dürfe zusammen mit der Grundrente und der Ausgleichsrente nach § 32 des Bundesversorgungsgesetzes den Betrag nicht übersteigen, der beim Vorliegen der Voraussetzungen an Arbeitslosenunterstützung zuzüglich Grund- und Ausgleichsrente zu gewähren wäre. Wenn man schon im Prinzip wenigstens zur Hälfte anerkennt, daß ein Bestandteil der Kriegsopferrente nicht angerechnet werden soll, dann verstehe ich nicht, warum man diesen Grundsatz selber dadurch durchbricht, daß man diese zusätzliche Bestimmung in den Gesetzentwurf aufnimmt.
Wir bedauern also, daß sich der Ausschuß mit dieser Stimmenmehrheit, mit den Stimmen der Regierungskoalition, der Sozialreaktion also,
nicht bewogen gefühlt hat, diesen beiden Anträgen in der ursprünglichen Formulierung stattzugeben. Aber diese Regierung und diese Koalition betreiben nach innen und außen eine Klassenpolitik. Daß diese Regierung nach innen eine unsoziale Politik betreibt, das ist keine Entdeckung nur von mir; das hat ja sogar der verstorbene Dr. Kurt Schumacher bereits in seinem Vorwort zum Tätigkeitsbericht der SPD für 1952 offen ausgesprochen. Und da Sie gelegentlich das Urteil dieses Mannes doch auch auswerten, wenn es Ihnen in Ihre Politik hineinpaßt, so sollten Sie sich bei dieser Gelegenheit auch einmal etwas aus seinen Feststellungen sagen lassen, auch wenn es in Ihre Politik und in Ihre Linie, die Sie dem Volk gegenüber in ihrer Propaganda verfolgen, nicht hineinpaßt. Nur deshalb habe ich diesmal auf Dr. Schumacher als Kronzeugen berufen, auch wenn er aus seiner Erkenntnis keine Konsequenzen gezogen hat. Er hat recht, wenn er den Inhalt Ihrer Politik so charakterisiert: Klassenpolitik nach innen und außen und unsoziale Politik nach innen.
Herr Abgeordneter Renner, ich unterstelle, daß Sie liebenswürdigerweise Ihren Beitrag zur allgemeinen Aussprache bereits vorweggenommen haben.
Meine Damen und Herren, bevor ich Herrn Abgeordneten Freidhof das Wort gebe, gebe ich das vorläufige Ergebnis *) der namentlichen Abstimmung bekannt. Für das Gesetz über die Umstellung von knappschaftlichen Renten auf das nach dem 31. Dezember 1942 geltende Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung haben gestimmt 158 Abgeordnete, dagegen 123, bei 17 Enthaltungen. Von den 15 an der Abstimmung teilnehmenden Berliner Abgeordneten haben mit Ja 9, mit Nein 5 gestimmt; 1 Abgeordneter hat sich der Stimme enthalten. Das Gesetz ist damit in der Schlußabstimmung angenommen.
Zur Begründung des Änderungsantrags der Fraktion der SPD zu § 1 Abs. 2 des Gesetzentwurfs
*) Vergl. das endgültige Ergebnis Seite 12697
über die Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge Herr Abgeordneter Freidhof, bitte.
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion ersucht in Umdruck Nr. 851 das Hohe Haus, dem § 1 des Entwurfs eines Gesetzes über die Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge einen Abs. 2 mit folgendem Wortlaut anzufügen..
Herr Abgeordneter Freidhof, darf ich einen Augenblick nur zur Klärung einer technischen Frage unterbrechen. Ich habe auf ausgesprochene Bitte des Herrn Abgeordneten Meyer den Umdruck zu Nr. 851 vervielfältigen lassen, und zwar entgegen der Übung des Hauses, weil mir mitgeteilt worden ist, eine mündliche Begründung würde dann nicht erforderlich sein.
Ich möchte noch einige Bemerkungen dazu machen.
Aber ich bitte grundsätzlich freundlichst, den Wunsch nach einer schriftlichen Wiedergabe der Begründung nur dann zu äußern, wenn wir auch wirklich eine Arbeitserleichterung damit erzielen.
Ich habe den Wunsch nicht geäußert. Ich habe den Auftrag von meiner Fraktion, den Antrag zu begründen. — Wir wünschen, daß dem § 1 ein Abs. 2 angefügt wird, der folgenden Wortlaut hat:
Gesetzliche Unfallrenten sind bis zur Höhe des
Betrages, der in der Kriegsopferversorgung
bei gleicher Minderung der Erwerbsfähigkeit
als Grundrente gewährt werden würde, nicht
auf die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung anzurechnen. Der Rest der Unfallrente ist unter
Berücksichtigung der geltenden Freibeträge als
Einkommen des Arbeitslosen anzurechnen. Mit diesem Antrag möchten wir erreichen, daß für die Bezieher von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung, die daneben noch eine Unfallrente erhalten, eine Freigrenze geschaffen wird, so wie das jetzt durch dieses Gesetz bei der Grundrente der Beschädigten nach § 31 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges geregelt wird.*)
Im übrigen will ich mich auf die schriftliche Erklärung, die mein Kollege Meyer gegeben hat, beziehen. Ich hoffe, daß seine Begründung in das Protokoll aufgenommen wird.
Ich möchte mich nur noch mit aller Entschiedenheit gegen Ausführungen wenden, die der Herr
Kollege Sabel bei der ersten Lesung dieses Gesetzes in der 238. Sitzung am 26. November 1952
gemacht hat. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten will ich die folgenden Ausführungen vorlesen, um dazu Stellung zu nehmen. Der Herr Kollege Sabel hat in der ersten Lesung bei der Aus
sprache über dieses Gesetz folgendes gesagt: Würde den Anträgen entsprochen, dann würde das bedeuten, daß die anrechnungsfreien Beträge zwischen 31 und 101 DM im Monat lägen. Ich glaube, es wird notwendig sein, zu prüfen, ob nicht eine so weitgehende Befreiung unter Umständen dazu führen kann, daß wir mit dem anrechnungsfreien Betrag plus Unterstützung in allzu große Nähe des wirklichen Lohnes kommen. Über die Auswirkungen müssen wir uns klar sein.
*) Siehe Anlage Seite 12692
Die sozialdemokratische Fraktion ist sich über die Auswirkungen ihres Antrags im klaren.
Sie ist sich darüber im klaren — das müßten Sie, Herr Kollege Sabel, als Leiter eines Arbeitsamts wissen —, daß ein erheblicher Prozentsatz unfallgeschädigter Menschen einen niedrigeren Lohn als gesunde Menschen bezieht. Ich erinnere nur daran: wenn jemand ein Auge oder eine Hand verloren hat oder sonstwie in jungen Jahren eine Beschädigung erlitten hat, ist er in seinen Aufstiegsmöglichkeiten für die Zukunft außerordentlich gehemmt. Wenn jemand ein tüchtiger Schlosser ist, aber seine Hand verloren hat, dann besteht keine Möglichkeit., daß er Werkmeister wird. Er bezieht also dauernd einen niedrigeren Lohn und wird, wenn er arbeitslos wird — Sie wissen es selbst, Herr Kollege Sabel, daß sehr viele Unfallgeschädigte arbeitslos sind und sehr schlecht zu vermitteln sind —, eine niedrigere Unterstützung beziehen. Wir wünschen aus diesem Grunde, daß der § 2 so, wie wir ihn vorgeschlagen haben, aufgenommen wird. Ich hoffe auch, daß Frau Kollegin Kalinke, die im November einen gleichlautenden Antrag gestellt hat, mit dem gleichen Temperament, mit dem sie vorhin gegen unsere Anträge gesprochen hat, jetzt ihren eigenen Antrag begründen wird. Ich ersuche das Hohe Haus, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Becker .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage, sowohl die Änderungsanträge der SPD als auch die der KP abzulehnen. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß im Ausschuß für Arbeit der gesamte Fragenkomplex eingehend beraten und überlegt wurde. Ich habe auf die Schwierigkeiten verwiesen, die im Ausschuß erkannt wurden. Das Bundesarbeitsministerium hat uns eine Übersicht über die Schwierigkeiten vorgelegt, die sich ergeben könnten, wenn man den Anträgen so wie sie gestellt sind, stattgeben würde. Dieser so haben sich ja auch die Kollegen, die die Anträge gestellt haben — wenigstens die vom Ausschuß für Arbeit —, nicht verschließen können. Ich sagte schon, daß das Gesetz im Ausschuß für Arbeit bei drei Stimmenthaltungen angenommen wurde.
Meine Damen und Herren, Schwierigkeiten bei der Unfallrente wurden bisher nicht bekannt, weil ja, wie ich vorhin schon einmal sagte, 26 DM monatlich sowieso anrechnungsfrei bleiben. Wenn wir diesen Änderungsantrag annehmen, besteht die Gefahr, daß auch andere Gruppen, beispielsweise die Privatversicherten, mit dem gleichen Rechtsanspruch kommen könnten.
— Sagen Sie das nicht.
Wir müssen uns hier unbedingt die Frage stellen, wo ist die Grenze in der Sozialversicherung, wo ist sie allgemein, und wo ist die Grenze zwischen Versicherung und Fürsorge?
Wir haben heute ein ganzes Bukett von Wünschen auf sozialpolitische Verbesserungen bekommen. Wir sind überzeugt davon, daß es nicht die letzten Wünsche in dieser Legislaturperiode sind.
Ich gebe zu, daß sie im einzelnen etwas für sich haben mögen; aber auch die Antragsteller selbst wissen genau, daß sie im Augenblick nicht durchführbar sind. Wir sollten uns in aller Öffentlichkeit hüten und nicht so tun, als ob das ganze Kapitel Sozialpolitik lediglich ein Verteilungsproblem wäre, bei dem nur die böse Bundesregierung und die Mitglieder der Koalitionsparteien sich als die Unsozialen hinstellen und meinetwegen wie die Gralshüter auf dem Geldsack der Sozialversicherung sitzen. Ich möchte meinen, daß Sozialpolitik weitgehend ein Aufbringungsproblem darstellt.
Viele von Ihnen, meine Damen und Herren, auch von der Opposition, die als Kenner der Sozialversicherung gelten, teilen mit uns die Sorge um die Zukunft der deutschen Sozialversicherung. Solche Anträge, wie sie heute und vielleicht auch in naher Zukunft noch gestellt werden, vermehren nur unsere Sorgen. Es liegt nicht im Interesse der deutschen Arbeitnehmer und Sozialrentner, daß die Sozialversicherung immer weiter ausgehählt und so für den Einheitstopf reif gemacht wird und immer mehr in die finanzielle Abhängigkeit des Staates gerät. Denn dadurch kommen sowohl Arbeitnehmer, Versicherung und Versicherte als auch die Rentner immer mehr in die Abhängigkeit vom Staat, ja sie kommen in die Abhängigkeit von Funktionären und Managern; und das wollen wir ganz bewußt nicht.
Im vorliegenden Fall darf ich wohl sagen, daß wir einen Unterschied zwischen den Kriegsopfern und den Unfallrentnern gemacht haben. Ich möchte bestimmt keinen Gegensatz zwischen Kriegsgeschädigten und Unfallgeschädigten heraufbeschwören. Aber ich glaube doch sagen zu müssen, daß die Vorausleistungen doch eine unterschiedliche Behandlung von beiden Gruppen rechtfertigen. Diesen Standpunkt vertreten wir nicht, weil wir den Betroffenen die paar Mark, die eine Verbesserung bringen könnte, nicht geben wollten — obwohl hier kein echtes Bedürfnis vorliegt —, sondern die echte Sorge um die Abgrenzung und Erhaltung unserer einst als klassisch bezeichneten Sozialversicherung bewegt uns, das Hohe Haus zu bitten, die gestellten Änderungsanträge abzulehnen.
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Besprechung.
— Ja, Frau Kalinke, Sie melden sich immer, wenn ich —
— Herr Abgeordneter Kunze, Sie übernehmen die Gewähr, daß Frau Abgeordnete Kalinke nur einen Satz spricht?
Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich spreche ohne Komma mit Punkt am Ende meines Satzes.
Im Sozialpolitischen Ausschuß hat meine Fraktion, die auf Anregung des Landes Niedersachsen und auch unserer Freunde im Landtag Niedersachsen den Antrag gestellt hatte, um einheitliches Recht bei der Anrechnung der Grundrente des Bundesversorgungsgesetzes zu schaffen, erkannt, daß die Aufstellungen, hinsichtlich der Anrechnung der Unfallrenten, die uns das Arbeitsministerium vorgelegt hat, und die hier vom Berichterstatter gegebene Erklärung
hinsichtlich der Zusammenrechnung anrechnungsfreier Beträge, Unterstützungen, Grundbeträge in ihrer Relation zum Lohn tatsächlich so überzeugend waren, daß bei Sozialbezügen — die bei der Tabelle von 150 bis 250 DM gehen, in einer Relation zum Nettolohn von 215 DM — Tatsachen sprachen, bei denen ich ausdrücklich erklären möchte, daß meine Fraktion zu den politischen Parteien gehört — Komma! —,
die durch gute Argumente durchaus zu überzeugen sind und die nicht demagogisch — Komma! —, selbst wenn es sich um Irrtümer handelte — Komma! —, darauf bestehen würden;
weshalb wir — aber im Gegensatz zu der Berichterstattung hier, und das ist sicherlich nur ein Irrtum — im Ausschuß zu Protokoll gegeben haben, daß wir im Interesse der Schaffung einheitlichen Rechts und der bevorzugten Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs den Punkt 2 zurückzustellen beabsichtigen, um ihn dann aufzugreifen, wenn uns von den Gegnern dieser Auffassung bewiesen wird, daß in der Unfallversicherung die Übersichten und Darstellungen des Arbeitsministeriums tatsächlich nicht stimmen und die Wirklichkeit dieser Aufstellung nicht entspricht.
Herr Abgeordneter Kunze, ich warne Sie, eine solche Gewähr noch einmal zu übernehmen.
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Besprechung.
Zunächst die Abstimmung über den weitergehenden Änderungsantrag der Gruppe der KP auf Umdruck Nr. 856 Ziffer 1 betreffend die Neufassung des § 1. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Es bedarf keiner Gegenprobe; der Antrag ist gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 851. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem § 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; § 1 ist angenommen.
Ich rufe auf § 2. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Den Änderungsantrag der Gruppe der KP auf Umdruck Nr. 856 Ziffer 2 hat der Abgeordnete Renner bereits bei der Begründung von Ziffer 1 mit begründet. Ich komme zur Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag der KP zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Der Antrag ist gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 3, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die überwiegende Mehrheit; angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Wird zur allgemeinen Aussprache das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Besprechung. Einzelbesprechung entfällt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz über die Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge in der Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Das Gesetz ist in der Schlußabstimmung einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 6:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verordnung über Zolländerungen vom 13. September 1938 (Nr. 3973 der Drucksachen);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Nr. 4218 der Drucksachen)
;
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Aussprache im Rahmen der hoffentlich nicht voll ausgenutzten Redezeit von 60 Minuten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kleindinst.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Begründung dieses Gesetzentwurfs ist von zwei Gesichtspunkten ausgegangen, einmal von einer Erhöhung der Be-
zöge — unbeschadet der Verbesserungen der allgemeinen Bezüge durch das dritte Besoldungsänderungsgesetz — und zweitens von der Stellung der Richter, die ihnen nach dem Grundgesetz zukommt und auf die der Herr Vertreter des Bundesrats bereits hingewiesen hat.
Die Richterverbände selbst haben ausschlaggebendes Gewicht darauf gelegt, daß in einem Gesetz die für die Richter im Grundgesetz anerkannte besondere Stellung und die Heraushebung der ihnen übertragenen rechtsprechenden Gewalt anerkannt werden soll. Die Bundesregierung hat darauf hingewiesen, daß das ein Vorgriff gegenüber der allgemeinen Besoldungsreform wäre. Das läßt sich im allgemeinen nicht abstreiten. Die Konferenz der Justizminister der Länder hat sich aber dafür ausgesprochen, daß bereits in Verfolg des jetzigen Gesetzentwurfs die Anerkennung dieser im Grundgesetz festgelegten Stellung der Richter anerkannt werden solle. Wir können an dieser Stellungnahme der Länderjustizminister nicht vorbeigehen. Die Tatsachen, die dazu veranlassen, der Richterbesoldung ein besonderes Augenmerk zuzuwenden, sind von dem Herrn Vertreter des Bundesrats auch den Mitgliedern des Bundestags, die die Begründung der Gesetzentwürfe und die verschiedenen Denkschriften nicht gelesen haben, zusammengestellt und vermittelt worden. Ich brauche darauf nicht einzugehen.
Die Bedeutung der Richter und die Bedeutung der Rechtsprechung an sich und in bezug auf die Stellung im Grundgesetz veranlassen uns, dem Antrag zuzustimmen, daß diese Frage im Ausschuß für Beamtenrecht eingehend geprüft und bald zu einer Entscheidung gebracht wird. Ich schließe mich dem Antrag an, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Beamtenrecht zu überweisen. Wir werden mit Überzeugung den richtigen Weg finden, der den Absichten dieses Gesetzentwurfs entsprechen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Grundgesetz hat in Art. 98 dem Bund zur Pflicht gemacht, die Rechtsstellung der Bundesrichter durch eine besonderes Bundesgesetz zu regeln, und den Bund ermächtigt, Rahmenvorschriften auch für die Richter in den Ländern zu erlassen. Die Legislaturperiode des ersten Bundestages eilt ihrem Ende zu, — leider ohne daß auch nur die Ansätze zu dem Richtergesetz sichtbar geworden wären, das zu den vordringlichen Aufgaben der Bundesgesetzgebung gehört. Sicherlich ist in diesem Bundestag ein außerordentliches Maß an Arbeit, vielleicht sogar ein Unmaß geleistet worden. Auch hat sich dieser Bundestag seinen Aufgaben mit Eifer und Ernst gewidmet. Ebenso wird nicht verkannt werden dürfen, daß auch die erste Bundesregierung mit einem Übermaß an Aufgaben belastet war. Ob es aber dem ersten deutschen Parlament nach 1945 — jedenfalls im Zusammenwirken zwischen der von ihm berufenen Bundesregierung und seiner Mehrheit — gelungen ist, einen unserer Zeit eigenen Stil der Gesetzgebung zu entwickeln und für die Tradition von morgen den Grund zu legen, das wird die Zukunft noch erweisen müssen. Ich zweifle, daß ihr Spruch die Grundzüge der gesetzgeberischen Arbeiten gutheißen wird. Zu oft sind in den Kernfragen Versäumnisse durch bloße Aushilfen überdeckt worden.
Versäumt ist der rechtzeitige Beginn einer großen und grundsätzlichen Besoldungsreform, auf die alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes warten. Der Bundesrat hätte sich gewiß zu dem außergewöhnlichen Schritt dieses von ihm eingebrachten Gesetzentwurfs nicht entschlossen, wenn die fällige Besoldungsreform nicht immer noch auf sich warten ließe.
In der Fülle der Vorlagen, die man uns unterbreitete, hat auch das Richtergesetz gefehlt. Von dieser Aufgabe ist einstweilen nichts übriggeblieben als die bescheidene Gebärde einer Gehaltsaufbesserung, — denn mehr als eine Gebärde kann man diesen Gesetzentwurf nicht nennen, der auch nicht einmal der Bundesregierung, sondern einem Landesminister der Justiz, Herrn Dr. Amelunxen, seine Entstehung verdankt.. Bedauerlich ist, daß die Bundesregierung nicht nur diesem Gesetz widerspricht, sondern daß sie ihre Gegnerschaft sogar in einer höchst anfechtbaren Weise begründet. Sie macht geltend, daß nur im Rahmen der in Aussicht genommenen Gesamtreform die Erfordernisse der verschiedenen Zweige innerhalb des öffentlichen Dienstes so berücksichtigt werden können, daß Störungen des Rechts- und Arbeitsfriedens vermieden werden. Wir können dieses Mißtrauen nicht teilen. Wir sind überzeugt, daß sich alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes miteinander und mit dem Staat so verbunden wissen, um die Verderblichkeit einer Mißgunst klar zu erkennen. Keine Gruppe im öffentlichen Dienst braucht daher zu besorgen, in ihren berechtigten Erwartungen verkürzt zu werden, wenn wegen des beklagenswerten Ausbleibens der umfassenden Besoldungsreform die Zuflucht zu Aushilfen in dem einen oder anderen besonderen Notfalle genommen werden muß. Dieser Gesetzentwurf muß von uns und muß von allen Angehörigen des öffentlichen Dienstes als ein Anfang, als ein Auftakt verstanden werden, so daß für keine Gruppe Anlaß zur Enttäuschung geschaffen, sondern für alle der Grund zur Hoffnung gelegt wird.
Erst recht können wir der Bundesregierung nicht in der Auffassung folgen, daß es zur Zeit nicht möglich sei, Besoldungserhöhungen gesondert für einzelne Gruppen des öffentlichen Dienstes vorzunehmen. Im Dritten Besoldungsänderungsgesetz ist eine ähnliche Ermächtigung, wie sie hier den Ländern erteilt werden soll, aus zwingenden Gründen schon zugunsten der Lehrer vorgenommen. Bereits damals hätte der Bundestag sich zu einer solchen Ermächtigung auch zugunsten der Richter und Staatsanwälte entschlossen, falls nicht bekanntgewesen wäre, daß dieses Initiativgesetz des Bundesrats zu erwarten stand. Die Behauptung, man könne nicht einer einzelnen Gruppe des öffentlichen Dienstes besonders helfen, widerstreitet auch — worauf Herr Minister Amelunxen bereits hinwies — dem Geist der Verfassung; denn sie läßt außer acht, daß ein besonderes Richtergesetz verfassungskräftig. uns zur Pflicht gemacht ist und daß Richter nicht mehr im hergebrachten und engeren Sinn Beamte sind, sondern im Namen des Volkes ermächtigte Organe der rechtsprechenden Gewalt. Um dieses Wesen eines demokratischen Richtertums neu und klar zu begründen, hat das Grundgesetz in Art. 92 an die Spitze seiner Vorschriften über die Rechtsprechung den Satz gestellt: „Die rechtsprechende Gewalt ist
den Richtern anvertraut." Die Ausübung des richterlichen Mandats, die rechtsprechende Repräsentation des als Urheber aller Staatsgewalt sich selbst regierenden Volkes, ist also ihrem Wesen nach andersartig als der öffentliche Dienst in der abhängigen Verwaltung, so daß es einer inneren Rechtfertigung nicht entbehrt, die Rechtsstellung der Richter besonders zu gestalten, wenn es auch sinnvoller gewesen wäre und für die Zukunft notwendig bleibt, hierbei die Verbindung mit einer großen Justizreform zu wahren.
Was augenblicklich geschehen kann, aber auch getan werden muß, ist nichts als das Flickwerk einer Notmaßnahme. Ich will das Erfordernis dieser Notmaßnahme nicht mit dem üblichen Loblied auf unsere Richterschaft begründen. Dazu bestimmen mich zwei Erwägungen. Dem Konformismus unserer restaurativen Gegenwart, der nur eine Lobpreisung alles Überkommenen und Bestehenden zu hören wünscht, vermag ich nicht zu huldigen und muß mich deshalb weigern, das beliebte Idealbild des Richters und des Staatsanwalts kritiklos nachzuzeichnen. Andererseits aber sollten es gerade die stille Rechtschaffenheit und die selbstlose Hingabe als wertvollste Tugenden unserer Richterschaft sein, die es uns verbieten, diese Opfer und diesen Adel mit einer Gehaltszulage zu entlohnen.
Daß die Notmaßnahme der Ermächtigung zur Gewährung einer ruhegehaltsfähigen Zulage unerläßlich erscheint, findet in anderen und besondersartigen Zusammenhängen seine Begründung. Ich spreche von der Benachteiligung des geistigen Arbeiters, die sich kennzeichnend in der Bedrängnis gerade der Richter und der Erzieher ausgeprägt hat. Die wirtschafts- und finanzpolitischen Prinzipien der Bundesregierung haben in erschrekkendem Ausmaß die Kriegsfolgelasten und die dadurch bedingten Entbehrungen unbillig und unverhältnismäßig den Menschen aufgebürdet, deren Anteil am sogenannten Sozialprodukt rein nennbetragsmäßig in Geld bemessen wird, sei es aus Gehalt, Lohn oder Rente, sei es aus selbständiger Geistesarbeit ohne Einsatz von Kapital. Während die Kreise, die sich als „die Wirtschaft" zu bezeichnen pflegen und die von der materiellen Denkweise der Regierungspolitik begünstigt wurden, in Kapital zu rechnen für selbstverständlich halten, wird vielfach gegenüber den Empfängern von geldlichen Nennbeträgen, die ziffernmäßig festgelegt sind, noch immer so getan, als hätte es keine wesentlichen Wertänderungen gegeben.
Mehr oder minder offen verbrämt wird diese Zurücksetzung durch die Ideologie, die insbesondere dem geistig Schaffenden, etwa dem Richter oder Lehrer, aber weit darüber hinaus der ganzen Zahl sowohl der intellektuellen Selbständigen als auch der beamtet oder angestellt Abhängigen nur eine mittelbare oder mindere Mitwirkung an der Produktion, an der Gütererzeugung, zuerkannt. Als ob in äußerst arbeitsgeteilten Gesellschaften irgendein Glied weniger wichtig für die Produktivität des Ganzen sein könnte! Vor allem ist diese Produktivität doch keineswegs nur eine materielle, sondern in unteilbarer Einheit zugleich stets auch eine ideelle und geistige.
Vom Volksganzen her und zum Nutzen eines Staatsneuaufbaus gesehen ist es deshalb ein Gebot der Stunde, wenigstens einen ersten, wenn auch fast nur symbolischen Schritt zu tun, der das Bewußtsein wecken soll, daß die Gemeinschaft nicht ungestraft auf die Dauer d i e Kräfte vernachlässigen darf, deren Arbeit vorwiegend geistig bestimmt ist. Und es kann in einem zukunftsgerichteten Gemeinwesen keine Kräfte geben, die gerade für diese Leistung repräsentativer sein sollen als die Frauen und Männer, die der Rechtsprechung zu dienen berufen sind.
Man sagt, daß Wert und Kraft eines guten Gesetzes sich erst an den Enkeln erweisen. Wir müssen daher gerade diese Frage nicht unter dem Gesichtswinkel des Augenblicks, sondern der Zukunft sehen. Die Benachteiligung gewisser Gruppen und Kräfte in unserem Volke, insbesondere des ohne Kapital schaffenden geistigen Arbeiters hat zu solchen Mißverhältnissen geführt, daß weitgehend der Nachwuchs für Berufe zu versiegen droht, deren Leistungen schlechthin für ein Volk lebenswichtig sind.
Der Mangel an Junglehrern ist bekannt. Um aus der Vielzahl noch ein anderes Beispiel zu nennen: auch der staatlichen Bergverwaltung fehlen die Nachwuchskräfte, die sie braucht, da sie den Wettbewerb mit der freien Wirtschaft nicht mehr aushält. Heute morgen haben wir im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht gehört, daß in zunehmendem Maße Rechtsanwälte im Falle ihres Todes nicht einmal für die Deckung der Beerdigungskosten genügend hinterlassen.
Besonders erschreckend ist es, wie wenig sich junge Menschen heute davon versprechen, sich einmal dem Dienst an der Rechtsprechung als Richter oder Staatsanwalt zu widmen. Fahren wir so fort, dann werden entweder nur noch die sich um diesen Dienst bewerben, die sonst der eigenen Tüchtigkeit nicht vertrauen und daher kein anderes Unterkommen finden, oder wir werden eine die Demokratie gefährdende Auslese negativer Art nach dem Geldbeutel erleben, die es dem Bewerber erlaubt, auch ohne eine zureichende Besoldung auszukommen.
Diese Gründe zwingen zu einer Notmaßnahme, solange die Gesamtreform des Besoldungswesens und solange das mit einer großen Justizreform zusammenhängende Richtergesetz noch auf sich warten lassen. Ich betone nochmals, daß wir in diesem Gesetz nur ein Provisorium sehen können. Auch soll es keineswegs andere Gruppen des öffentlichen Dienstes zurücksetzen, sondern für alle ein Signal des Wandels sein. Aus diesen Gründen findet der Gesetzentwurf, dessen Verabschiedung wir für dringlich halten, unsere volle Zustimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reismann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Föderalistische Union stimmt dem Antrag, der Ihnen auf der Drucksache Nr. 4193 vorliegt, in seinem vollen Inhalt zu. Ich begrüße die Ausführungen, die namentlich Herr Kollege Arndt soeben gemacht hat. Wir möchten aus dem, was Herr Minister Amelunxen zur Begründung vorgetragen hat, eins besonders hervorheben. Es handelt sich hier nicht schlechthin um das Problem der Verbesserung der Bewertung der geistigen Arbeit und nicht um ein Teilproblem der Besoldungsreform, sondern darum, daß hier der Richterstand aus der Reihe der staatlichen Bediensteten herausgehoben werden soll. Ihm steht nach der Verfassung, aber auch im Bewußtsein des Volkes eine andere Rolle als dem Verwaltungs-
beamten zu. Er ist als Staatsorgan direkt berufen, das Recht anzuwenden, und deswegen ist er auch befugt, in seiner gehaltlichen Stellung bevorzugt zu werden.
Es darf auch nicht bloß der Umstand die Begründung für eine Besserstellung der Richter abgeben, daß es sonst an Nachwuchs fehlen könnte. Das kann auch bei anderen Berufen so sein. Aber gerade die besondere Stellung des Richters im Bewußtsein des Volkes, aber auch als direktes Staatsorgan verlangt, das er aus der Reihe der sonstigen Beamten herausgehoben wird.
Es ist kein Zufall, daß die Anregung dazu von einem Zentrumsminister ausgegangen ist. Es ist schon eine gewisse Tradition darin, und ich erinnere an eine Rede, die Windthorst vor vielen Jahren gehalten hat,
in der er gesagt hat, die Richter verdienten aus den von mir angegebenen Gründen eine besondere Behandlung auch hinsichtlich ihrer Besoldung wegen ihres hohen Amtes. Und er hat damals — mutatis mutandis könnte man ähnliches auch heute denken — hinzugefügt: Und das müßte man tun auf die Gefahr hin, daß der Heeresetat herabgesetzt würde und die Gehälter der Generäle gesenkt würden. — Wir haben zur Zeit noch keine Generäle; aber wenn wir uns den Etat unseres Bundes mit seinen rund 25 Milliarden DM ansehen und wenn wir bedenken, was davon für bestimmte Zwecke vorgesehen ist, die zur Zeit durch Herrn Blank repräsentiert werden, dann ist klar, daß die geringe Summe, die hier aufgewendet werden soll, nicht abschrecken darf, einen so wichtigen Zweck zu fördern, wie er das Anliegen des vorliegenden Antrags ist.
Etwas verwunderlich ist es, daß die Bundesregierung in diesem Zusammenhang nur eines sieht, nämlich die gesamte Besoldungsordnung. An dem Kernproblem, nämlich an der Heraushebung des Richterstandes, wie er uns nach Art. 98 des Grundgesetzes vorgeschrieben ist, sieht die Stellungnahme der Bundesregierung völlig vorbei. Um dieses Kernproblem geht es im vorliegenden Fall, und deswegen unterstützen wir diesen Antrag.
Herr Abgeordneter Gaul.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der ersten Lesung des dritten Änderungsgesetzes des Besoldungsrechts im November des vergangenen Jahres hat der Sprecher meiner Fraktion aus der großen Schar der Beamtenschaft zwei besondere Gruppen herausgehoben. Das waren die Erzieher und die Richter. Er hat damals gefordert, daß man wegen der Vorbildung dieser beiden Beamtengruppen, der besonderen Art ihrer Tätigkeit und der Verantwortung in diesen Ämtern die unzureichende Besoldung aufbessern solle. Wir stimmen daher diesem Entwurf des Bundesrats in der Tendenz zu.
Wenn in der Erziehung, in der Schule sich die Folgen einer unzulänglichen Besoldung der Lehrer in einer schlechten Erziehung der Kinder zeigen, so ist diese Tatsache einem großen Teil der Öffentlichkeit bekannt. Vater und Mutter wissen, ob ihr Kind in einer überfüllten Klasse sitzt, und sie wissen, daß, wenn der Lehrer krank ist, keine oder nur eine unzureichende Vertretung gestellt werden kann. Die Folge ist, daß die Erziehung unter diesen Verhältnissen leidet, und dann kümmern sich viel mehr Menschen in der Allgemeinheit um diese Dinge.
Bei den Richtern ist das aber nicht so. Unsere Richter — das kann man zu ihrem Ruhm doch sagen — haben in der Vertretung ihrer eigenen Belange — auch der finanziellen Belange — in Anbetracht der Bedeutung ihres Amtes in der Öffentlichkeit stets eine betonte Zurückhaltung gezeigt. Ich habe kürzlich in einem Bericht über eine im Oktober 1952 in Bonn abgehaltene Tagung erschütternde Beispiele gelesen, so z. B., daß in einem Bezirk Nordrhein-Westfalens, der 603 Richter umfaßt, innerhalb von 6 Monaten 108 Beamte erkrankten, für die kaum Vertreter gestellt werden konnten. In Köln sind für 33 infolge ihrer Überbelastung erkrankte Richter ganze 2 Vertretungen zugebilligt worden. Ich habe weiter in den Berichten über die Bonner Versammlung gelesen, daß beim Amtsgericht in Hannover im August des vergangenen Jahres über 2200 Schöffengerichtssachen nicht erledigt werden konnten, weil die Leute fehlten.
Ich wiederhole deshalb, daß für die Richter etwas getan werden muß. Ich bin allerdings mit der Konsequenz, die der Bundesratsentwurf zieht, nicht ganz einverstanden. Es scheint mir, verehrter Herr Minister Amelunxen, nur ein Teil einer Teilaufbesserung zu sein, denn wenn hier davon geredet wird, daß der qualifizierte Nachwuchs fehlt, dann müßte man doch — vielleicht geschieht das in unserem Beamtenrechtsausschuß — einmal prüfen, ob man nicht ähnlich wie bei den Lehrern auch für die jungen Leute, für die Bewerber und für die Anfänger etwas mehr tun muß.
Meine Damen und Herren., in dem Bericht aus Bonn habe ich gelesen — ich glaube, es war unser hochverehrter Herr Bundesjustizminister, der den Satz gesprochen hat —: Die Richter sind die schlechtest-bezahlten Verteidiger der Demokratie. Ich möchte, daß diesem Satz die Berechtigung genommen wird. Meine Kollegen werden in den Ausschüssen mitarbeiten. Wir wollen dafür sorgen, daß den Richtern ihre besondere Arbeit und ihre hohe Verantwortung, die ihnen ab 1. April noch in einem erheblichen Umfange zugewachsen ist, weil die Lücke in der Gesetzgebung hinsichtlich der Artikel 3 und 117 entstanden ist, dadurch etwas leichter gemacht wird, daß ihnen ein Teil der wirtschaftlichen Sorgen abgenommen wird. Ich bin der Überzeugung, daß der Beamtenrechtsausschuß in wohlwollender und ernster Weise den Entwurf sehr bald erledigen wird.
Herr Abgeordneter Gundelach.
Meine Damen und Herren! Bei Kenntnisnahme des vorliegenden Gesetzentwurfs betreffend Gewährung einer ruhegehaltsfähigen Zulage von 1200 DM jährlich an Richter und Staatsanwälte kam mir plötzlich die Gehaltserhöhung in Erinnerung, die von einzelnen Ländern in der letzten Zeit für die Herren Minister dieser Länder vorgenommen worden ist, eine Erhöhung von 5- bis 8000 DM für die hohen Herren, die bereits schon Gehälter von 18- bis 24 000 DM haben. Weshalb führe ich das an? Offenbar ist diese Tatsache mit ein Grund dafür gewesen, daß ausgerechnet der Bundesrat nun für Richter und
Staatsanwälte eine Erhöhung ihrer Bezüge von 1200 DM jährlich fordert. Interessant ist, daß auch die Begründung,
die für diese Ausnahmeregelung gegeben wird, fast derjenigen gleichlautend ist, die für die Notwendigkeit der Erhöhung der Ministergehälter in den betreffenden Ländern angeführt wurde.- Es wird von der Gefahr der Abwanderung in die Privatwirtschaft und von der Verantwortung gesprochen, als wenn nur Richter und Staatsanwälte eine Verantwortung hätten und die übrige Beamtenschaft nicht! Wir haben bei den verschiedensten Beamtendebatten hier immer wieder davon gesprochen, mit welch hoher Verantwortung die Beamten belastet sind, und dann festgestellt, daß sie ein Anrecht auf anständige Bezahlung haben. Selbstverständlich sind auch wir der Meinung, daß die, die als Richter und Staatsanwälte im Dienste stehen, anständig bezahlt werden müssen. Aber wir sind nicht der Meinung, daß es auf diesem Wege geschehen soll. Wenn schon eine Sonderregelung außerhalb der grundlegenden Beamtenbesoldungsänderung vorgenommen werden soll, dann sind wir der Meinung, daß insbesondere der große Kreis der unteren und mittleren Beamtenschaft durch eine Sonderregelung zu einem Existenzminimum kommen muß. Denn es ist doch eine nicht bestreitbare Tatsache, daß ein ganz großer Teil besonders der unteren Beamtenschaft heute nicht einmal das amtlich festgesetzte Existenzminimum hat. Wir Kommunisten haben immer wieder von dieser Stelle aus erklärt, daß mit der Flickarbeit an dem Besoldungsgesetz vom Jahre 1927 Schluß gemacht und schleunigst eine grundlegende Neuregelung der Besoldung für alle im öffentlichen Dienste tätigen Personen erfolgen muß, eine Neuregelung, die die Existenz aller im öffentlichen Dienst Beschäftigten auch sicherstellt.
Herr Abgeordneter Farke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Partei ist sich der Bedeutung des Richterstandes in einem Rechtsstaat bewußt. Demgemäß wünscht sie besonders für die Richter und Staatsanwälte eine Höherwertung im Besoldungsrecht. Sie ist also bereit, zuzustimmen, daß der Gesetzentwurf dem Beamtenrechtsausschuß überwiesen wird, und wird dort gewissenhaft prüfen, wie weit und in welcher Form der Entwurf durchgeführt werden kann.
Als letzter Herr Abgeordneter Dr. Etzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat in der Begründung des von ihm beschlossenen Initiativentwurfs vornehmlich vier Gründe: die besondere Bedeutung und Aufgabe der Richter und Staatsanwälte im demokratischen Rechtsstaat, die Verminderung der Möglichkeit ihrer Teilnahme am gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben, die zunehmende Verschuldung und die Schwierigkeiten bei der Gewinnung hochqualifizierter Nachwuchskräfte — geltend gemacht und außerdem vergleichend auf ausländische Regelungen hingewiesen.
Die Bundesregierung läßt in ihrer ablehnenden Stellungnahme ein näheres Eingehen auf die Begründung des Bundesrates vermissen; sie verzichtet bedauerlicherweise auch auf jene bedeutende rechtspolitische Gesamtschau, die in dem von dem seinerzeitigen Frankfurter Oberbürgermeister Adickes geprägten hohen Begriff des „Königlichen Richtertums" ihren sinngemäßen Ausdruck ge- f unden hat.
Die Einwendungen der Bundesregierung sind schon deshalb wenig überzeugend, weil sie selbst in dem Entwurf eines Dritten Besoldungsänderungsgesetzes zur Verbesserung der Lehrerbesoldung eine Sonderregelung in Form der Gewährung von ruhegehaltsfähigen unwiderruflichen Stellenzulagen in Höhe von 500 bis 800 DM für ein Sechstel der Volksschullehrer bei Bewährung nach Erreichen des Endgrundgehalts vorgesehen hatte. Der Bundestag hat sich dann allerdings diese Lösung nicht zu eigen gemacht, sondern bei der Verabschiedung in der Plenarsitzung am 24. März die Länder ermächtigt, in Abweichung von den Sperrvorschriften des Ersten Besoldungsänderungsgesetzes bestimmte Vorschriften zur Verbesserung der Lehrerbesoldung zu erlassen.
Es ist zuzugeben, daß sich die Voraussetzungen und Bedingungen für den vom Bundesrat eingebrachten Initiativentwurf infolge der allgemeinen weiteren 20%igen Aufbesserung der Grundgehälter der Beamten geändert haben, aber eben nur die Voraussetzungen und Bedingungen für die Art und Weise, wie der Gesetzentwurf weiter behandelt und verabschiedet wird, nicht hinsichtlich der allgemein anerkannten Vordringlichkeit der besonderen Besoldungsregelung für Richter und Staatsanwälte. Ich bin der Meinung, daß die Lösung, soweit die Hauptmasse der Richter und Staatsanwälte, nämlich die der Länder, in Frage kommt, zweckmäßig auf dem Wege der Aufhebung der Sperrklausel für eine neue Besoldungsregelung durch die Länder erfolgen sollte. Die Länder werden dann wohl die einheitlichen Grundlagen vereinbaren können, auf denen diese Regelung vorgenommen wird, und es dürfte unschwer möglich sein, daß der Bund auch für seine Richter und Staatsanwälte eine entsprechende und übereinstimmende Regelung trifft.
Ich schließe die allgemeine Besprechung in der ersten Beratung. Es ist beantragt worden, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Beamtenrecht zu überweisen. Ich -unterstelle, daß das Haus damit einverstanden ist.
Ich rufe auf Punkt 9:
Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofes vom 13. März 1953 betreffend Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Rechnungsjahr 1950 (Nr. 4214 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Rechnungsjahr 1950 ohne Aussprache dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Das Haus ist damit einverstanden.
Zu Punkt 10:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Landwirtschaftliche Rentenbank ,
verweist die Regierung auf die schriftliche Begründung. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine
Aussprache zu verzichten. Ich schlage Ihnen vor,
diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen
— und dem Ausschuß für Geld und Kredit, federführend der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Das Haus ist damit einverstanden.
Ich rufe auf Punkt 11:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zur Zeugenvernehmung der Abgeordneten Dr. Oesterle und Aumer gemäß Schreiben des Landgerichts Würzburg — Strafkammer — vom 9. März 1953 (Az. KLs 2/53) (Nr. 4256 der Drucksachen).
Berichterstatter Herr Abgeordneter Ritzel. Bitte Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Strafkammer des Landgerichts Würzburg hat beantragt, daß der Bundestag die Genehmigung zur Zeugenvernehmung der Herren Abgeordneten Dr. Oesterle und Aumer in einem Strafprozeß erteilen möge. Diese Vernehmung soll am 4. Mai erfolgen.
Der Ausschuß beantragt einstimmig, der Bundestag wolle die Genehmigung zu dieser Vernehmung gewähren.
Ich danke dem Herren Berichterstatter.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses Drucksache Nr. 4256 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Zu einer persönlichen Erklärung wünscht Herr Abgeordneter Neumann das Wort.
Meine Damen und Herren! Bei der Beratung des sozialdemokratischen Antrags wegen der Verurteilung des Berliner Journalisten Herbert Kluge habe ich unter anderm folgendes ausgeführt:
Ich möchte — Herr Kollege Fisch — zu dem Angebot von Frau Strohbach, die Bundestagskommission möchte doch in die DDR reisen, an folgendes erinnern. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat am 17. Oktober 1951 den Antrag einstimmig angenommen, den Berliner Abgeordneten Werner Rüdiger aus Anlaß seines 50. Geburtstages in Waldheim besuchen zu
dürfen. Bisher ist — seit eineinhalb Jahren — immer nur die eine Antwort da, nämlich die, die Sie im „Neuen Deutschland" vom 20. Oktober 1951 nachlesen können:
Die Zuchthauszellen für Präsident Dr. Suhr und die Abordnung des Abgeordnetenhauses sind reserviert. Sie mögen nur kommen!
Das Protokoll verzeichnet an dieser Stelle den Zuruf der Abgeordneten Frau Strohbach: „Das ist nicht wahr!"
Ich habe sofort die Frau Abgeordnete Str oh-bach gebeten, sich aus dem Archiv das „Neue Deutschland" zu besorgen. Ich habe es hier vor mir liegen. Ich muß sagen, die Frau Abgeordnete Strohbach hat Glück gehabt. Ich habe in einem geirrt: nicht am 20., sondern am 21. Oktober, in der Nr. 245, ist unter der Überschrift „Suhr will nach Waldheim" folgendes nachzulesen:
Der Stadtverordnetenvorsteher des westberSpalterparlaments, Dr. Suhr, hat bei dem Direktor des Zuchthauses Waldheim eine Besuchserlaubnis für den kommenden Sonntag beantragt.
Selbst bei den Kriegshetzern im Schöneberger Rathaus sollte es bekannt sein, daß derartige Genehmigungen nur der Minister des Innern der Deutschen Demokratischen Republik erteilt.
— Das — in Klammern — ist allerdings für mich etwas neu. Nur in einem Zuchthausstaat wird wahrscheinlich der Minister des Innern sich mit derartigen Dingen zu befassen haben. — Klammer zu! —
Wir wollen der Entscheidung des Ministers in dieser Frage auch keinesfalls vorgreifen, befürworten allerdings sehr, daß dem Herrn Suhr ein Platz im Zuchthaus Waldheim eingeräumt wird — und zwar für ständig.
Bei der Wahrheitsliebe der Abgeordneten Frau Strohbach ist sicher umgehend eine Korrektur ihres Zwischenrufs zu erwarten.
Meine Damen und Herren! Ich schlage Ihnen vor, daß wir die Debatte über das Irren heute abend nicht noch anfangen.
Wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die 261. Sitzung des Deutschen Bundestags auf Dienstag, den 28. April 1953, 13 Uhr 30, und schließe die 260. Sitzung des Deutschen Bundestags.