Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die bundeseinheitliche Ordnung der Unfallversicherung, der Rentenversicherung und der Krankenversicherung für die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge geschaffen werden. Die gleiche Regelung soll auch Tausenden von Flüchtlingen aus der sowjetischen Besatzungszone, die sich nunmehr im Bundesgebiet und im Lande Berlin eine neue Existenzgrundlage suchen müssen, zuteil werden. Wer Heimat, Hab und Gut wegen seiner Zugehörigkeit
zum Deutschtum verloren hat, kann mit gutem Recht erwarten, daß die große Versichertengemeinschaft Westdeutschlands für seine Gleichberechtigung auf dem Gebiet der Sozialversicherung eintritt. Er kann erwarten, daß die Zahlung erdienter Renten wideraufgenommen und daß erworbene Anwartschaften wiederhergestellt werden.
Die in den einzelnen Ländern und Zonen des Bundesgebiets bisher hierzu erlassenen Vorschriften waren sehr unterschiedlich und stellten eine wenig befriedigende Regelung dar; sie führten insbesondere beim Wechsel des Wohnsitzes innerhalb des Bundesgebiets zu Härten und Unzuträglichkeiten. So werden im Gebiet der britischen Besatzungszone Rentenansprüche, die gegen ausländische Versicherungsträger erworben wurden, zur Zeit überhaupt nicht berücksichtigt; dagegen werden Renten aus Ansprüchen gegenüber Versicherungsträgern aus Gebieten, in denen die Sozialversicherungsleistungen seinerzeit von der deutschen Sozialversicherung übernommen worden sind, einschließlich aller Zusatzrenten gewährt. Demgegenüber werden in der amerikanischen und französischen Besatzungszone nach den Flüchtlingsrentengesetzen der Länder zwar Rentenansprüche gegen ausländische Versicherungsträger honoriert, soweit diese an Personen im Bundesgebiet und Westberlin keine Leistungen gewähren, aber nur insoweit, als diese Ansprüche sich im Rahmen der deutschen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften halten. Auch fehlt es für die Anrechnung von Rentenanwartschaften, die bei Versicherungsträgern in der Sowjetzone erworben sind, an einer ausreichenden Rechtsgrundlage. Für die im Ausland lebenden Anspruchsberechtigten schließlich besteht ebenfalls keine befriedigende Regelung ihrer sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche.
Ein weiterer Mangel des geltenden Rechts liegt darin, daß Einheimische, die bei ausländischen Versicherungsträgern Ansprüche oder Anwartschaften erworben haben, abgesehen von den Fällen, in denen zwischenstaatliche Sozialversicherungsabkommen geschlossen worden sind, keine Leistungen erhalten. Schließlich wird auch die Finanzierung der bisher für Flüchtlings- und Fremdrenten aufgewandten Beträge im Bundesgebiet sehr unterschiedlich gehandhabt. All diesen unbefriedigenden und unzulänglichen Zwischenlösungen soll mit dem vorgelegten Entwurf des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes ein Ende bereitet und für das gesamte Bundesgebiet einheitliches Recht geschaffen werden.
Dabei war zu berücksichtigen, daß das bisherige Sozialversicherungsrecht der Heimatvertriebenen auf sehr unterschiedlichen Rechtsgrundlagen der jeweiligen Heimatgebiete beruht. Eine bundeseinheitliche Regelung bedurfte daher der Lösung außerordentlich schwieriger versicherungstechnischer, rechtlicher und finanzieller Probleme.
Die für das Gesetz erforderlichen Aufwendungen sollen vom Bund, von den Versicherungsträgern und aus dem Vermögen der stillgelegten Versicherungsträger bestritten werden. Die Bereitstellung von Mitteln des Bundes beruht auf der Erwägung, daß es sich bei den vom Bund zu übernehmenden Aufwendungen um Kriegsfolgelasten handelt, die nach Art. 120 des Grundgesetzes vom Bund getragen werden müssen.
Während den Trägern der Rentenversicherung von den Flüchtlings- und Fremdrenten im wesentlichen die nicht auf Versicherungszeiten im Bundes-
gebiet entfallenden Rententeile vom Bund erstattet werden sollen, werden die Träger der Unfallversicherung, soweit es die gewerblichen Berufsgenossenschaften betrifft, die ihnen aus diesem Gesetz erwachsenden Aufwendungen selbst tragen, soweit sie nicht aus den noch verfügbaren Vermögen der stillgelegten Berufsgenossenschaften bestritten werden können. Diese Regelung ist getroffen worden, da die Unfallversicherung allein aus Beiträgen der Unternehmer und ohne Beteiligung öffentlicher Mittel finanziert wird. Der Entwurf geht davon aus, daß den gewerblichen Unternehmern zugemutet werden kann, in einer solidarischen Haftung die Verpflichtungen aus Unfällen zu übernehmen, die in Betrieben außerhalb des Bundesgebiets entstanden sind. Bei den übrigen Unfallversicherungsträgern werden die Aufwendungen vom Bund übernommen. Hierbei handelt es sich entweder um solche Träger, deren Aufwendungen ohnehin aus Mitteln der öffentlichen Hand bestritten werden, oder um territorial gegliederte Versicherungsträger, die außerhalb des Bundesgebiets nach 1945 untergegangen sind.
Für den Bund werden nach diesem Gesetz Mehrkosten in Höhe von 305 Millionen DM jährlich entstehen, von denen 294 Millionen DM auf das Bundesgebiet und 11 Millionen DM auf das Land Berlin entfallen. Der größte Teil dieser vom Bund zu tragenden Aufwendungen konnte erst im Haushaltsjahr 1953 bereitgestellt werden. Gleichwohl sollen die im Gesetz vorgesehenen Leistungen an Personen, deren Ansprüche nach bisher geltendem Recht gar nicht oder nur teilweise anerkannt werden, bereits mit Rückwirkung vom 1. April 1952 an gewährt werden. Soweit für diese Leistungen die Aufwendungen vom Bund zu tragen sind, werden sie von ihm ebenfalls mit Wirkung vom 1. April 1952 übernommen. Diese besonderen Aufwendungen werden auf etwa 15 Millionen DM jährlich geschätzt.
Im einzelnen sieht der Entwurf vor, daß den in das Bundesgebiet und das Land Berlin zugezogenen Vertriebenen sowie Einheimischen nach gleichen Gesichtspunkten Leistungen zur Abgeltung von Ansprüchen und Anwartschaften gewährt werden, die sie bei nicht mehr bestehenden, stillgelegten oder außerhalb des Bundesgebiets und des Landes Berlin befindlichen Versicherungsträgern im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung und der Rentenversicherungen erworben haben.
Ferner werden Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung und der Rentenversicherungen an Berechtigte im Ausland unter Anpassung an die veränderten staatsrechtlichen Verhältnisse in Deutschland gewährt. Dabei sind insbesondere die nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen, die zu einer umfangreichen Auswanderung in das Ausland geführt haben, berücksichtigt. Der Gesetzentwurf sieht auch vor, daß deutsche und frühere deutsche Staatsangehörige, die sich in einem auswärtigen Staat aufhalten und Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder einer Rentenversicherung haben, bei denen diese Ansprüche jedoch nicht gegen einen bestehenden Versicherungsträger im Bundesgebiet gerichtet sind, die Möglichkeit haben, zur Vermeidung von Härten Ersatzleistungen zu erhalten, wenn sie darauf zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts für sich und ihre Familienangehörigen angewiesen sind.
Personen, die früher außerhalb des Bundesgebietes und des Landes Berlin krankenversichert
waren, sollen in die Lage versetzt werden, eine frühere Versicherung bei der gesetzlichen Krankenversicherung im Bundesgebiet oder im Lande Berlin freiwillig fortzusetzen. Es handelt sich hierbei überwiegend um Vertriebene, die infolge der unsicheren Verhältnisse in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch versäumt haben, die freiwillige Weiterversicherung in der Krankenversicherung zu beantragen. In diesem Zusammenhang wird auch durch Änderung bisheriger Vorschriften der Reichsversicherungsordnung Versicherten, die sich zur Arbeitsleistung im Ausland oder in sonstigen Gebieten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, das Recht der Weiterführung ihrer bisherigen Krankenversicherung, insbesondere zum Schutze der zurückbleibenden Familienangehörigen, gegeben.
Das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz stellt somit einen bedeutungsvollen Beitrag zur Eingliederung der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen in die Sozialgemeinschaft des Bundesgebietes und des Landes Berlin dar.