Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir bedauern sehr, daß sich im Ausschuß nur eine Mehrheit für die Ziffer 1 des § 1 unseres Gesetzentwurfs Drucksache Nr. 3959 gefunden hat, während die Ziffer 2 dieses Paragraphen abgelehnt wurde, da die Auswirkungen dieser Ziffer 2 sozialpolitisch von ganz besonderer Bedeutung sind.
Es handelt sich um die Frage, ob wir die sozialpolitischen Härten und Ungerechtigkeiten, die durch den Stichtag im Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz für die Witwen in der Invalidenversicherung entstanden sind, deren Männer bereits vor dem 31. Mai 1949 verstorben sind, bestehen lassen wollen oder nicht. Wir stehen mit anderen Worten vor der Frage, ob für die gleichen Beiträge auch die gleichen Leistungen gewährt werden sollen oder ob weiterhin — wie es bisher geschah — gegenteilig verfahren werden soll. Bereits bei der Verabschiedung des Sozialversicherungs - Anpassungsgesetzes im Frankfurter Wirtschaftsrat haben wir um eine Beseitigung dieser Härten gekämpft. Es ist uns damals leider nur in einem ganz bescheidenen Umfang gelungen, die Härten, die durch die Festlegung dieses Stichtages entstanden, abzumildern. Wir erreichten damals lediglich, daß die Witwen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben und deren Männer bereits vor dem 31. Mai 1949 verstorben waren, die unbedingte Witwenrente erhalten. Wir wissen alle, daß diese Sondervorschrift über den Stichtag, die das Recht und den Anspruch der Witwen, deren Männer in der Invalidenversicherung versichert waren, so weitgehend einschränkt, damals nur getroffen wurde, weil eine schlechte Finanzlage der Rentenversicherungsträger vorlag. Nur aus dieser Situation heraus ist die damalige Regelung überhaupt zu verstehen. Es handelte sich also im Frankfurter Wirtschaftsrat keineswegs um eine grundsätzliche Regelung.
Wir stehen heute angesichts der Verabschiedung dieses Gesetzes vor der Frage, ob wir eine Regelung, die aus einer finanziellen Zwangssituation entstanden ist, noch bestehen lassen wollen, obgleich sich die Voraussetzungen geändert haben. Wir wissen alle, daß sich die Finanzlage der Rentenversicherungsträger gebessert hat. Wir wissen alle, daß im vergangenen Jahre bei den Rentenversicherungsträgern ein Kassenüberschuß von 970 Millionen DM gemacht werden konnte. So lag schließlich nichts näher, als vorzuschlagen, eine der härtesten Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Ich
möchte auch ganz offen sagen, daß wir angesichts der günstigeren finanziellen Lage der Rentenversicherungsträger eigentlich mit der Zustimmung der Regierungskoalition gerechnet hatten. Wir bedauern — ich möchte das noch einmal sagen —, daß sich im Ausschuß keine Mehrheit für unseren Antrag finden konnte.
Da es nur finanzielle Bedenken waren, die die Regierungskoalition veranlaßten, im Ausschuß die Ziffer 2 abzulehnen, möchte ich noch eines sagen. Ich glaube, wir können bei dem von dieser Regelung betroffenen Personenkreis kein Verständnis dafür erwarten, daß die Regierung mit Hilfe der Koalition in die Lage versetzt werden soll, die Kassenüberschüsse der Rentenversicherungsträger durch ein Gesetz zu beschlagnahmen, das wir heute im Sozialpolitischen Ausschuß beraten haben,
und sie nun anderen Zwecken zuzuführen. Nach wie vor sind wir der Meinung, daß mit einem solchen Vorgehen eine Verbesserung der Leistungen blockiert wird. Das liegt nicht im Interesse der Versicherten.
In unserem Gesetzentwurf waren wir durch unseren Vorschlag, erst den Witwen, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, die unbedingte Witwenrente zu geben, bereits den Weg des Kompromisses gegangen. Wir hofften, Sie damit für unseren Antrag zu gewinnen. Da sie ihn aus finanziellen Gründen im Ausschuß abgelehnt haben, legen wir Ihnen mit Umdruck Nr. 869 einen neuen Antrag zu § 1 vor, der wesentlich geringere finanzielle Auswirkungen hat. Er sieht vor, daß für Ehefrauen von Versicherten, die vor dem 1. Juni 1949 Witwen geworden sind, die Einschränkung nicht gelten soll, sobald sie das 50. Lebensjahr vollendet haben oder mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind unter 6 Jahren oder zwei waisenrentenberechtigte Kinder erziehen. Die finanziellen Auswirkungen werden schätzungsweise bei 105 Millionen DM liegen, von denen der Bund ungefähr 30 Millionen DM zu tragen hätte, während der Rest von den Rentenversicherungsträgern aufgebracht werden müßte. Ich möchte betonen, daß sich Herr Präsident Ostermayer, der Vertreter des Verbandes der Rentenversicherungsträger dazu bereit erklärt hat.
Wir bitten deshalb, unserem Antrag zuzustimmen, weil wir dann wenigstens auf dem Wege zu einer weiteren Milderung der Auswirkungen dieses unseligen Stichtags wären. Wir müssen uns darüber klar sein, daß man aus Gründen der Gerechtigkeit nicht an einer Regelung festhalten kann, die damals aus einer Zwangssituation heraus getroffen werden mußte, für die aber heute die Voraussetzungen in dem Maße nicht mehr vorhanden sind.