Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich für meine Fraktion zu § 1 des Gesetzentwurfs spreche, so vor allem deswegen, um die eben vorgebrachten Argumente ins richtige Licht zu rücken. Frau Korspeter hat mit Recht gesagt, daß im Jahre 1949 das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz wegen Mangels an Mitteln diese Härten in sich schloß. Darüber sind war, glaube ich, einer Meinung. Aber wie froh waren wir doch damals, daß zunächst einmal diese grundsätzliche Seite geregelt wurde, indem den Invalidenversicherten das gleiche Recht wie den Angestelltenversicherten eingeräumt wurde! Das war doch ein Fortschritt, der nicht hoch genug zu werten war in Anbetracht der jahrzehntelangen Bemühungen um das gleiche Recht der Invalidenversicherten und der Angestelltenversicherten.
Es ist klar: wenn ich eine solche Neuerung einführe, ein so weitgehendes Gesetz beschließe, muß ich auch fragen, wo die Mittel herkommen sollen, die nun einmal aufgebracht werden müssen, um allen das Recht zuteil werden zu lassen. Aus diesem Mangel an Mitteln wurden damals die einschränkenden Bestimmungen in das Gesetz hineingebracht, die — wir bekennen es ruhig — auch heute eine Härte für alle Betroffenen sind, die vor dem Termin lagen. Jede Terminsetzung hat eine Härte in sich. Wir haben uns schon vor drei Jahren im Sozialpolitischen Ausschuß über diese Härte auseinandergesetzt und hätten damals schon gern einen Beschluß herbeigeführt, um sie zu beseitigen.
Nun sagen Sie, damals sei die Realisierung dieser Forderung aus Mangel an Mitteln nicht möglich gewesen. Heute liegen aber, glaube ich, fast die gleichen Bedingungen wie damals vor.
Unterdessen haben wir die Sozialversicherung nach allen Seiten hin in materieller Hinsicht weiter ausbauen müssen. Wir haben unerhörte Anstrengungen machen müssen, um die Rentensätze zu erhöhen. Wir haben nach allen Seiten den Versicherten selbst und auch dem Bund außerordentliche Opfer zugemutet, um die Sozialversicherung so weit zu bringen, wie sie heute ist.
Heute hat die Sozialversicherung wohl einen Kassenüberschuß, der eben mit 970 Millionen DM im Jahre 1952 beziffert wurde. Was ist aber ein Kassenüberschuß von 970 Millionen DM, wenn die Rentenzahlungen rund eine halbe Milliarde pro Monat ausmachen?
— Darauf komme ich noch zu sprechen. Wenn ein
Kassenüberschuß von ungefähr einer Milliarde
vorhanden ist und dieser Kassenüberschuß nur dazu dient, die Rente innerhalb von zwei Monaten auszuzahlen, so kann man wirklich nicht von einem herrlichen Stand dieser Rentenversicherung sprechen.
Die geringste Krise wäre schon in der Lage, diese Versicherung in außerordentliche Schwierigkeiten zu bringen.
Nun wird von Frau Korspeter gesagt, auf der einen Seite argumentiere man damit, daß die Kasse schlecht stehe und man die Leistungen nicht erbringen könne, während auf der anderen Seite diese Kassenüberschüsse vom Bundesminister der Finanzen beschlagnahmt würden. Ich glaube, ein solch böses Wort sollte man hier nicht sagen!
Wir haben uns darüber im Ausschuß heute morgen schon genügend unterhalten. Man sollte nicht von einer Beschlagnahme der Kassenüberschüsse sprechen.
Das gibt in der Öffentlichkeit ein unerhört schlechtes und falsches Bild.
Es handelt sich um nichts anderes als um die Zuschüsse, die der Bund auf Grund der letzten Gesetze geben mußte. Diese gibt er nun im kommenden Jahr anstatt in bar in Höhe von 170 Millionen DM in Krediten oder vielmehr in Schuldverschreibungen und muß sie verzinsen und auch amortisieren wie jede Anleihe, die sonst aufgenommen wird.
— Nein, mit 3 %, mein lieber Herr, mit 3 % und
5 % Zinsen! — Also, ich sage, man sollte nicht von
einer Beschlagnahme sprechen. Statt daß das Geld
sonstwie in die Wirtschaft fließt, fließt es nun in
Höhe von 170 Millionen DM mit den vollen Rechten
für die Versicherung auf der anderen Seite in die
Wirtschaft hinein. Es ist keine Beschlagnahme, sondern ein ganz legaler Vorgang, der sich hier abspielt. Wir müssen diese Behauptung zurückweisen.
Frau Korspeter hat gesagt, der neue Vorschlag, den sie jetzt eingebracht habe, beanspruche ja nur 105 Millionen DM. Das stimmt, soweit die Fünfzigjahresgrenze für die Witwen in Frage kommt. Es stimmt aber nicht, wenn man noch diejenigen Witwen einbezieht, die ein waisengeldberechtigtes Kind unter sechs Jahren oder zwei waisengeldberechtigte Kinder erziehen. Wenn man diese Beträge noch hinzurechnet, die man nur schätzen kann, wird die Summe ebenfalls wieder bei rund 120 Millionen DM liegen.
Ich frage Sie: Können Sie denn wirklich sagen, daß diese 120 Millionen DM greifbar sind? Wir dürfen doch auch in der Invalidenversicherung nicht nur für den Augenblick rechnen. Die Statistik besagt, daß wir schon in wenigen Jahren mit einem prozentualen Zuwachs der Rentner zu rechnen haben, der in 5 Jahren schon 15 %, in 10 Jahren 20 % und in 25 Jahren 70 % beträgt. Rechnen Sie diese 70 % Zuwachs an Rentnern bei einer gleichbleibenden Zahl von zahlenden Mitgliedern — denn diese Zahl wird sich nicht erhöhen —, dann werden Sie von
einer „glänzenden" Lage der Rentenversicherungsanstalt wirklich nicht mehr reden können. Dann ist die Rentenversicherung vielleicht in wenigen Jahren das Schmerzenskind dieses Hauses, und wir werden entweder die Beiträge ganz erheblich erhöhen müssen oder Zuschüsse in unerhörter Höhe anderweitig aus Steuermitteln zur Deckung dieser Renten heranziehen müssen. Man sollte also nicht mit falschen Zahlen operieren, sondern man sollte die sachliche Darstellung geben, daß sich tatsächlich die Lage der Rentenversicherungsanstalt in keinem rosigen Licht zeigt und daß wir alle Ursache haben, den erhöhten Rentenanspruch, der vor allem aus den erhöhten Leistungen der Versicherten kommt und der später auch realisiert werden muß — in 10 oder 15 Jahren —, zu berücksichtigen. Unter dieser Perspektive erscheint es sehr fraglich, ob die Versicherung noch das Volumen für solche Leistungen aufbringen kann; und vielleicht wird von uns allen die Bewilligung außerordentlicher Mittel erwartet werden, um die Deckung der Leistungen der Versicherung sicherzustellen.
Zweitens möchte ich sagen: Wir sehen ein, daß diese Härten in irgendeiner Form beseitigt werden müssen.
Wir sehen es ein; aber wir, können doch nicht im Augenblick, wo wir keine Möglichkeit der Deckung sehen, diese Beträge zuschießen und es der Zukunft überlassen, die Deckungsfrage zu klären. Über kurz oder lang wird doch die Reform in der Sozialversicherung Platz greifen müssen. Bei dieser Reform muß man das Problem trotz aller Schwierigkeiten der finanziellen Seite noch einmal aufgreifen.
Wir erkennen als Fraktion durchaus an, daß hier Härten liegen, die zu beseitigen unser aller Anliegen sein muß. Aber wir können im Augenblick in Anbetracht der finanziellen Lage und des nicht vorhandenen Deckungsvolumens einfach nicht ja sagen, weil wir nicht unverantwortlich handeln können. Es ist eben doch leichter, von seiten der Opposition solche Anträge zu stellen, als von der Regierungsseite solche, Wünsche zu erfüllen. Ich glaube, nur unter dieser Perspektive dürfen Sie die Sache sehen. Ich kann Ihnen sagen, wir haben uns auch gestern und vorgestern in stundenlangen Auseinandersetzungen damit befaßt, ob nicht ein Weg gefunden werden könnte, die Härten in der Form, wie wir sie vor uns sehen, zu beseitigen. Weil aber ein solcher Weg nicht gefunden wurde und weil wir diese 120 bis 130 Millionen DM im Augenblick nicht aufzubringen in der Lage sind, müssen wir auch im Interesse der Versicherten zu diesen Anträgen nein sagen, und ich möchte das Hohe Haus bitten, sich dem Ausschußbeschluß an-. zuschließen. Durch diesen Beschluß wird nun wenigstens die eine Härte bei der Invalidenrente beseitigt. Die anderen Härten werden in der nächsten Zukunft auch noch eine Lösung finden, wenn wir für die notwendige Deckung gesorgt haben, die für die Lösung einer solchen Aufgabe einfach eine notwendige Realität ist.