Meine Damen und Herren! Es hat eine Zeit gegeben, in der die Kommunisten bemüht waren, eher die Sprache der Verfolgten und der Eingekerkerten zu sprechen als die der Verfolger und der Kerkermeister.
— Frau Kollegin, ich komme gerade — Sie geben mir ein sehr willkommenes Stichwort — mit einer Bemerkung auf den Herrn Oskar Neumann, der von Ihnen zitiert wird, zu sprechen. Ich habe vor mir eine kommunistische Zeitung, den „Nachtexpreß" vom 14. April, in dem unter der großen Überschrift „191 Tage hinter Gefängnismauern" geschildert wird, wie schlimm es Ihrem politischen Freund geht, der sich nun schon eine Reihe von Monaten, wenn diese Meldung richtig ist, im Gefängnis befindet.
Jetzt geben Sie mal — wenn Sie solche Widersprüche erklären können —
eine Erklärung für dieses Doppelzünglertum, das darin besteht, daß man sich auf der einen Seite über die 191 Tage ereifert und auf der andern Seite nicht in der Lage ist, auch nur noch einen Funken von Gefühl aufzubringen, wenn jemand seiner journalistischen Tätigkeit wegen für 5475 Tage ins Zuchthaus eingesperrt worden ist!
Andererseits glaube ich, daß es den Kollegen aus der kommunistischen Gruppe ähnlich wie manchen anderen von uns, die die Dinge verfolgt haben, ergeht, wenn sie einer Verlautbarung eine gewisse Bedeutung beizumessen geneigt sind, die am 6. April in der Moskauer „Wahrheit" veröffentlicht wurde. Da ist — im Zusammenhang mit Justizfragen und bestimmten Verfolgungen der Staatssicherheitsorgane — die Rede davon, daß sich manche Elemente auf den Weg des verbrecherischen Abenteurertums begeben hätten, daß sich solche Organe der Polizei und der Justiz selbst der direkten Fälschung von Anklagematerial schuldig gemacht hätten
und daß sie „die in unserer Verfassung niedergelegten unantastbaren Rechte der Sowjetbürger" in den Schmutz träten.
— Dieses „Ganz recht" sollte eben doch manchem Veranlassung geben, sich die Frage vorzulegen, ob nicht aus Verhafteten von heute manchmal auch sehr rasch Ankläger von morgen werden können, Herr Kollege Renner!
Im übrigen doch noch folgende Bemerkung. Der Antrag, über den hier gesprochen worden ist, wirft die Frage der politischen Strafverfolgung und der Behandlung politischer Gefangener auf. Er wirft aber auch — und da möchte ich nachdrücklich das unterstreichen, was der Kollege Lemmer hier vorgetragen hat — die Frage der gemeinsamen Verantwortlichkeit der vier Besatzungsmächte für den Verkehr zwischen den verschiedenen Zonen in Deutschland und insbesondere für den Verkehr zwischen Berlin und dem westlichen Bundesgebiet auf. Ich darf hier noch einmal darauf hinweisen, daß Herbert Kluge in einem Interzonenbus verhaftet wurde und daß zwei andere journalistisch oder, genauer gesagt, auf dem Gebiete der Filmberichterstattung tätige Männer vor einiger Zeit auch an einem Zonengrenzübergang verhaftet worden sind. Die Namen sind ebenfalls in dem Verzeichnis enthalten, aus dem ich vorhin nur einige Namen vortragen konnte. Es handelt sich um einen Herrn Heinz Tochtermann und einen Herrn Siegfried Rogge, die für eine ausländische Filmgesellschaft für Wochenschauen tätig waren. Sie sind auf diese Weise verhaftet und verurteilt worden, nicht etwa nur wegen der Aufnahmen, die sie zugelassenermaßen bei Veranstaltungen im Ostsektor von Berlin gemacht haben, sondern — ich habe hier die Urteilsbegründung vorliegen — verurteilt worden sind sie auch wegen Aufnahmen, die sie in Westberlin und z. B. in Watenstedt-Salzgitter gemacht haben, weil aus solchen Aufnahmen gefolgert wird, sie hätten sich damit einer Tätigkeit gegen die sogenannte Deutsche Demokratische Republik schuldig gemacht. Das sind eben Tatbestände dieser Art, die wir im einzelnen gerne noch weiter erörtert wissen möchten und über die wir dann einen möglichst soliden Bericht haben möchten.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hinweisen, daß der Vorsitzende des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen in diesem Hause, der Kollege Wehner, in der vergangenen Woche bei dem Versuch, eine Reihe konkreter Vorschläge für eine mögliche Lösung der erstarrten Fronten in der deutschen Frage zu skizzieren, die beiden Probleme des Verkehrs und der Gefangenenbehandlung sehr klar herausgearbeitet hat, indem er formuliert hat, daß die Zonengrenzsperren, die heute den freien Personen- und Güterverkehr zwischen West- und Mitteldeutschland sowie zwischen West- und Ostberlin hindern, auf jenes Maß zurückzuführen sind, das für eine normale Kontrolle notwendig ist, solange noch der Währungsunterschied zwischen westlicher und östlicher D-Mark besteht. Was die Gefangenen angeht, so hat
der Kollege Wehner in dem fünften Punkt seiner Vorschläge gesagt, der Empfang von Lebensmitteln zumindest, von Stärkungsmitteln und Medikamenten möge für alle Gefangenen in den sowjetzonalen Strafanstalten freigegeben werden. Man mag meinen, daß das sehr maßvolle und sehr bescheidene Forderungen sind, absichtlich sehr bescheiden gefaßte Forderungen, die aber darum um so ernster genommen und von allen in Frage kommenden ausländischen Mächten als ein eindringlicher Appell betrachtet werden sollten, in dieser das ganze deutsche Volk bewegenden Frage zu Lösungen zu gelangen.
Ich kann in diesem Augenblick nur noch einmal sagen, daß uns, ausgelöst durch das Problem Kluge und der anderen verhafteten, verschleppten und zu Unrecht verurteilten Journalisten, auch in dieser Stunde das Gefühl der Verbundenheit erinnern läßt an all die anderen Gefangenen und ihre Familien, deren Leid unser Leid ist. Alle Welt möge wissen, daß die Sache dieser Menschen unser aller Sache ist und bleiben muß.