Rede von
Dr.
Ludwig
Preller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Staatssekretär hat vorhin mit Recht ausgeführt, daß dieses Gesetz die Nachfolge und Neuauflage des alten Reichsversicherungsamts regeln solle und daß dies das Hauptanliegen des Gesetzes sei. Mir scheint, daß nicht dies allein die Hauptaufgabe ist, sondern gleichzeitig auch die Abgrenzung der Befugnisse zwischen dem Bund und den Ländern. Wenn aber das frühere Reichsversicherungsamt hier erwähnt wird, dann müssen wir uns klar machen, daß dieses Reichsversicherungsamt zwei Aufgaben hatte, nämlich in der Hauptsache, die Sozialgerichtsbarkeit durchzuführen, und erst in zweiter Linie, die Aufsicht und sonstige Verwaltungsaufgaben wahrzunehmen.
Nun finden wir den merkwürdigen Zustand vor, daß das Gesetz über die Sozialgerichtsbarkeit, auf das wir seit Jahren warten, immer noch nicht vorgelegt worden ist —
— wir haben es, aber dieses Gesetz ist vorgezogen worden, Herr Arndgen! — und daß das Gesetz über die Organisation des Bundesversicherungsamts eben vorgezogen worden ist, und das zu einem Zeitpunkt, wo die Aufsicht, die dieses Bundesversicherungsamt ausüben soll, auf eine Selbstverwaltung stößt, die in diesem Augenblick erst im Aufbau begriffen ist.
Der Gesetzentwurf muß deshalb in § 2 davon ausgehen, daß er gewisse Befugnisse des alten Reichsversicherungsamts ausschließt, eben die, die jetzt von der Sozialgerichtsbarkeit wahrgenommen werden sollen, obwohl das diesbezügliche Gesetz bei der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs überhaupt noch nicht geschaffen sein wird. Ebenso wird in der Begründung von der Notwendigkeit gesprochen, die Aufsicht über die Versicherungsträger wahrzunehmen, soweit diese „als Selbstverwaltungskörperschaften" beaufsichtigt werden müssen.
Ich sagte bereits, daß wir auf das Bundessozialgericht seit langer Zeit warten. Es liegen Tausende und aber Tausende von Berufungen vor, die von diesem Gericht endlich erledigt werden sollen. Aber statt des Bundessozialversicherungsgesetzes wird nun das Gesetz über die Errichtung des Bundesversicherungsamts vorgezogen. Wir fragen uns daher: Warum denn nun hier dieser Vorrang und sonst eine gewisse Langsamkeit und Bedächtigkeit? Wir wissen doch, daß im alten Reichsversicherungsamt die Zahl der dort mit den gerichtlichen Angelegenheiten Beschäftigten bei weitem überwog und daß diejenigen, die mit der Aufsicht und der Verwaltungsführung beauftragt waren, eine Minderheit darstellten. Warum soll für eine kleinere Zahl von Beamten jetzt das neue Amt vorgezogen werden, während die große Zahl von ihnen warten muß?
) Aber nicht nur das ist eigenartig, sondern auch eine gewisse Inkonsequenz der Verteilung der Befugnisse dieses Amts. Die bisherigen Aufgaben des Reichsversicherungsamts in der Unfallverhütung sollen weiterhin vom Bundesarbeitsministerium wahrgenommen werden. Hier hindert also die von Herrn Staatssekretär vorhin genannte Gesetzgebungsarbeit offenbar nicht, daß sich das Bundesarbeitsministerium weiter mit Unfallverhütungsmaßnahmen beschäftigt. Wir sind damit sehr einverstanden; aber das erleben wir nun auch bei dem Gesetzentwurf über die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Auch da soll die Aufsicht nicht wie früher bei diesem Bundesversicherungsamt liegen, sondern beim Bundesarbeitsministerium bleiben.
Zusammenfassend möchte ich für meine Fraktionsagen: Man könnte geneigt sein, die Notwendigkeit eines eigenen Bundesversicherungsamts überhaupt zu bezweifeln. Was wirklich erforderlich ist, ist die Abgrenzung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern. Ein solches Gesetz wäre längst erforderlich gewesen. Aber auch wenn man diese Erwägungen beiseite läßt, müssen wir sagen: Die zeitliche Reihenfolge, die den Behörden gegenüber der Sozialgerichtsbarkeit den Vorzug gibt, ist mehr als problematisch. Uns liegt im Interesse der Versicherten daran, daß in erster Linie endlich einmal die Sozialgerichtsbarkeit errichtet und die Selbstverwaltung durchgeführt wird. Aus der Erfahrung der Selbstverwaltung in der Praxis kann man dann erkennen, wo die Maßnahmen der Aufsicht erforderlich sind.
Mir kommt es so vor, als ob hier wirklich die Henne vor dem Ei geschaffen werden sollte.
— Für die Gerichtsbarkeit nicht, verehrter Herr Atzenroth! Die Gerichtsbarkeit ist notwendiger als die Aufsichtsführung.
Wir stimmen also der Ausschußüherweisung zu, aber nur deshalb, damit eine gründliche Überprüfung erfolgt und damit dieses Gesetz, das uns ein wenig eine Frühgeburt erscheint, in die richtige Ordnung gebracht wird. Wir fordern in erster Linie, daß sobald wie möglich die Sozialgerichtsbarkeit durchgeführt wird.