Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie aus der Überschrift des Gesetzentwurfs hervorgeht, soll das Gesetz in erster Linie die Grundlage für die Errichtung eines Bundesversicherungsamtes schaffen. Schon der Name dieses Amtes läßt erkennen, daß es eine Nachfolgebehörde des früheren Reichsversicherungsamtes sein soll, jener
Institution, die aus der Geschichte der deutschen I Sozialversicherung nicht wegzudenken ist und deren Name weit über die Grenzen Deutschlands hinaus einen guten Klang hatte.
Deutschland hat mit den in der Kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 angekündigten Sozialversicherungsgesetzen, die vom Jahre 1883 an ergingen, sozialpolitisches Neuland betreten. Wenn der schwierige Weg in dieses Neuland von den Anfängen bis zum heutigen Stand mit seinen umfassenden Leistungen zu Erfolgen geführt hat, die man in der Welt anerkannt hat, so hatte das Reichsversicherungsamt hieran einen sehr bedeutenden Anteil. Bereits durch das Unfallversicherungsgesetz von 1884 geschaffen, hat es durch seine Tätigkeit als oberste Spruch-, Beschluß- und Aufsichtsbehörde der Sozialversicherung nicht nur die Auslegung der Sozialversicherungsgesetze und ihre Handhabung maßgeblich gesteuert, sondern auch durch seinen aus reichen Erfahrungen fließenden Rat die Fortentwicklung der Gesetzgebung in gutem Sinne beeinflußt. Mustergültig war die Führung der dem Reichsversicherungsamt übertragenen großen Verwaltungsaufgaben, insbesondere die Führung der Aufsicht über die Versicherungsträger, die Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Betriebsunfällen und Berufskrankheiten, der Maßnahmen im Hinblick auf die vorbeugende Gesundheitsfürsorge und für die Ausgestaltung des Heilverfahrens, die Durchführung der umfangreichen und unentbehrlichen Statistik und die Abwicklung des Gemeinlastverfahrens in der Rentenversicherung. Die guten Ergebnisse dieser bedeutsamen Verwaltungsarbeit wirken sich heute noch aus.
Nach dem Zusammenbruch wurde das Reichsversicherungsamt stillgelegt. Damit fiel es sowohl als oberste Instanz in der Rechtsprechung aus, als auch konnten die ihm gesetzlich zugewiesenen mannigfachen Aufgaben der Verwaltung, insbesondere der Aufsichtsführung über die Sozialversicherungsträger, nicht mehr wahrgenommen werden. Nur das Land Bayern und das frühere Land Württemberg-Baden haben diesem fühlbaren Mangel durch die Errichtung von Landesversicherungsämtern abgeholfen, denen die Aufgaben und Befugnisse des Reichsversicherungsamts für das Gebiet des Landes übertragen wurden.
Neben der bevorstehenden Neuordnung der Rechtsprechung durch das Sozialgerichtsgesetz ist daher die Lücke zu schließen, die durch die Stilllegung des Reichsversicherungsamts auf dem umfangreichen Gebiet der Beaufsichtigung und Verwaltung der Sozialversicherung entstanden ist. Dies kann der Natur der Sache nach nur durch Errichtung eines an die Stelle des Reichsversicherungsamts tretenden Bundesversicherungsamts geschehen.
Der Gesetzentwurf sieht allerdings nicht vor, daß der Aufsicht des Bundesversicherungsamts all die Versicherungsträger unterstehen, die unter der Aufsicht des Reichsversicherungsamts gestanden haben. Dem föderalistischen Aufbau des Bundes entsprechend sollen nur die bundesunmittelbaren Versicherungsträger der Aufsicht des Bundesversicherungsamts unterliegen. Damit wird immerhin ein Mittelpunkt der Aufsicht, die jetzt von den Ländern und dementsprechend unter verschiedenen Gesichtspunkten ausgeübt wird, geschaffen, und von diesem Mittelpunkt aus wird es, wie zu hoffen ist, möglich sein, bei voller Wahrung der Rechte
der Länder auf die anzustrebende Einheitlichkeit in der Handhabung der Aufsicht hinzuwirken.
Das Bundesversicherungsamt soll auch das Bundesarbeitsministerium entlasten. Dieses hat zwar bisher die dem Bund zustehenden Aufsichtsrechte im wesentlichen den Ländern zur Wahrnehmung übertragen; jedoch hat es besonders auf den Gebieten der Haushalts- und Rechnungsführung, der Statistik und der betrieblichen Altersfürsorge sich umfangreicher Aufgaben annehmen müssen, deren Verrichtung es in seiner eigentlichen Hauptaufgabe, der Mitwirkung bei der Gesetzgebung, behindert hat.
Die Sozialversicherungsgesetzgebung des Bundes war bisher wegen der notwendigen Anpassung an die geänderten Lebensbedingungen in erster Linie darauf gerichtet, die Versicherungsleistungen zu erhöhen. Die Erfolge, die hierbei erzielt worden sind, sind noch immer viel zu wenig bekannt. Sie haben dazu geführt, daß z. B. der Durchschnittsbetrag aller heute laufenden Invalidenrenten seit dem Jahre 1949 von 43,55 DM im Monat auf 78,30 DM im Monat, also um rund 80 v. H., erhöht worden ist, der Durchschnittsbetrag aller heute laufenden Ruhegelder aus der Angestelltenversicherung in der gleichen Zeit von 77,65 DM im Monat auf 121,15 DM im Monat, also um rund 56 v. H., gestiegen ist.
— Das kommt sofort. Das werden Sie sofort hören, was das damit zu tun hat. — Die Behandlung der organisatorischen Fragen der Sozialversicherung mußte wegen dieser Dinge in der Gesetzgebung des Bundes bisher zurückstehen. Hier ist deswegen noch Wichtiges nachzuholen, und damit macht der vorliegende Gesetzentwurf den Anfang.
Im einzelnen ist zu dem Gesetzentwurf noch zu bemerken: Als Sitz des Bundesversicherungsamts ist der Sitz des Bundesarbeitsministeriums vorgesehen, weil nur so die beste und engste Zusammenarbeit zwischen beiden Behörden gewährleistet ist, die im Interesse der Sache notwendig ist.
Die Kernfrage des Entwurfs ist jedoch die Verteilung der Verwaltungsaufgaben des früheren Reichsversicherungsamts auf das künftige Bundesversicherungsamt einerseits und die Behörden der Länder andererseits. Der ursprüngliche Entwurf der Bundesregierung sah grundsätzlich folgende Verteilung vor:
a) Die Aufsicht über die bundesunmittelbaren Versicherungsträger, d. h. die Versicherungsträger, deren Bereich sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt, steht dem Bundesversicherungsamt zu, die Aufsicht über die landesunmittelbaren Versicherungsträger, d. h. die Versicherungsträger, deren Bereich sich nicht über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt, steht den Behörden der Länder zu.
b) Die sonstigen Verwaltungsaufgaben des früheren Reichsversicherungsamts gehen grundsätzlich auf das Bundesversicherungsamt über und stehen den Behörden der Länder nur insoweit zu, als es sich um landesunmittelbare Versicherungsträger handelt und die Aufgaben in dem Katalog des § 3 Abs. 3 aufgezählt sind.
Dieser Verteilung lag die Absicht zugrunde, die überregionale Regelung derjenigen Angelegenheiten, die überregional zu regeln notwendig oder doch zweckmäßig ist, weitgehend zu sichern.
Der Bundesrat hat geglaubt, gegen diese Verteilung der sonstigen Verwaltungsaufgaben rechtliche Bedenken erheben zu müssen. Nach seiner Auffassung stellt es eine verfassungsrechtlich unzulässige Mischverwaltung dar, wenn dem Bundesversicherungsamt die Verwaltungsbefugnisse des früheren Reichsversicherungsamts auch insoweit, als es sich um landesunmittelbare Versicherungsträger handelt, grundsätzlich übertragen werden und den Behörden der Länder nur die in einem Katalog aufgeführten Befugnisse verbleiben. Er hat deshalb vorgeschlagen, die sonstigen Verwaltungsaufgaben des früheren Reichsversicherungsamts dem Bundesversicherungsamt insoweit zu übertragen, als es sich um bundesunmittelbare Versicherungsträger handelt, dagegen den Behörden der Länder insoweit, als es sich um landesunmittelbare Versicherungsträger handelt und diese Aufgaben dem Bundesversicherungsamt nicht ausdrücklich übertragen werden.
Obwohl die Bundesregierung die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesrats nicht in vollem Umfange zu teilen vermag, hat sie doch geglaubt, ihnen soweit als möglich Rechnung tragen zu sollen. Sie hat deshalb an ihrem ursprünglichen Entwurf nicht festgehalten. Sie muß aber andererseits nach wie vor entscheidendes Gewicht darauf legen, daß bei denjenigen Verwaltungsaufgaben des früheren Reichsversicherungsamts, die nicht danach aufgeteilt werden können, ob es sich um bundesunmittelbare oder landesunmittelbare Versicherungsträger handelt, deren überregionale Regelung vielmehr unbedingt notwendig ist, die Regelung durch das Bundesversicherungsamt sichergestellt ist. Sie hat deshalb in ihrer Stellungnahme zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrats zum Ausdruck gebracht, die Verteilung der Verwaltungsaufgaben des früheren Reichsversicherungsamts außerhalb der Aufsichtsführung soll in der Weise vorgenommen werden, daß sie dem Bundesversicherungsamt übertragen werden, soweit es sich bei ihnen nicht nur um landesunmittelbare Versicherungsträger handelt. Hierbei spielte auch die Erwägung eine Rolle, daß es nicht möglich sein wird, die Befugnisse, deren überregionale Ausübung unbedingt notwendig ist, wirklich erschöpfend einzeln aufzuzählen.
Das neue Bundesversicherungsamt wird, wenn der Gesetzentwurf zustande kommt und wenn es der Tradition seines großen Vorgängers, des Reichsversicherungsamts, folgen wird, wesentlich zu einem weiteren erfolgreichen Ausbau der deutschen Sozialversicherung beitragen.