Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kunze, es tut mir außerordentlich leid, Ihnen nicht entgegenkommen zu können und heute doch noch einige Bemerkungen machen zu müssen. Ich möchte Sie daran erinnern, daß es sich bei diesem § 47 doch um das Problem der Höchstbegrenzung bei den Saldierungsschäden handelt. Sie hatten als Mitglied des Unkeler Kreises doch vor nicht allzulanger Zeit den gleichen Standpunkt eingenommen, für den heute die sozialdemokratische Fraktion noch kämpft. Es tut mir also wirklich leid, Ihnen nicht ersparen zu können, hier nun im Plenum ganz offen zu bekennen, daß die Richtlinien des Unkeler Kreises nur damals unter einer gewissen Schockwirkung zustande gekommen sind, als das Problem der Vertriebenen noch in einer etwas gefährlicheren Situation vor Ihnen stand, und daß Sie heute von diesen Richtlinien des Unkeler Kreises abrücken.
Der § 47, um den es sich handelt, ist nach unserer Auffassung von ganz besonderer Bedeutung. Erinnern wir uns an die gestrige Debatte über das Tabaksteuergesetz! Dabei erklärte der Herr Bundesfinanzminister, er könnte auf die 20 Millionen DM Einnahmeausfall durch die Steuersenkung für Zigarettenpapier nicht verzichten, weil hierdurch der ganze Etat des Bundes ins Wanken geraten könnte. Bei diesem § 47 soll aber auf 100 Millionen DM an Einnahmen für den Lastenausgleichsfonds verzichtet werden.
Wir haben bei diesem Problem als Sozialdemokraten noch einige andere Bedenken, die wir herausstellen möchten. Herr Kollege Kunz e, Sie erinnern sich, daß wir vor einigen Wochen im Lastenausgleichsausschuß die Frage diskutiert haben, ob es möglich wäre, die Kriegsschadensrente mit Rücksicht auf die im Bundestag im Dezember vorigen Jahres beschlossene Erhöhung der Rentenzuschläge von 85 DM auf 90 DM aufzubessern. Wir waren damals bereit, für den Fall, daß die für die Erhöhung auf 90 DM notwendigen Ausgaben nicht aus öffentlichen Mitteln gedeckt werden könnten, die Beträge für die Aufbesserung um 5 DM aus Mitteln des Lastenausgleichsfonds zu geben. Unser Antrag ist mit der Begründung abgelehnt worden, man könnte nicht auf der Ausgabeseite einen Posten von 65 Millionen DM beschließen, ohne damit gleichzeitig den ganzen Etat des Lastenausgleichsfonds zu erschüttern. Wir haben Ihnen damals nicht unterstellt, daß Sie die Ablehnung aus Mangel an sozialer Verantwortung vorgenommen haben, vielmehr haben wir Ihre sachlichen Gründe gewertet. Wenn wir aber daran nicht irre werden sollen, dürfen Sie sich heute nicht auf den Standpunkt stellen, daß durch einen Verzicht auf 100 Millionen DM Einnahmen der Etat des Lastenausgleichsfonds nicht ins Wanken gerate; sonst müßte man ja annehmen, Sie hätten die 65 Millionen damals nicht bewilligt, weil es sich um die Ärmsten der Geschädigten handelte. Eine solche Haltung verdiente zumindest in der Öffentlichkeit festgehalten zu werden.
Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß der Ausfall von 100 Millionen DM auf der Einnahmeseite den Etat des Lastenausgleichsfonds ernsthaft gefährdet. Von Ihrer Seite wird zwar manchmal die Ansicht vertreten, daß diese 100 Millionen gar nicht gebraucht würden. Wir glauben das nicht. Ich erinnere an das, was der Kollege Farke in der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs über den allgemeinen Lastenausgleich im Mai vorigen Jahres gesagt hat. Er hat erklärt, daß diese 100 Millionen DM unter allen Umständen ausgeschöpft werden sollen. Wenn diese Summe also in diesem einen Fall nicht gebraucht werden sollte, würden Sie mit Ihrer berühmten Novellengesetzgebung sofort wieder einsetzen und versuchen, auf anderen Wegen die Vermögensabgabe zu ermäßigen.
Als Sozialdemokraten sind wir also der Auffassung, daß es wirklich um ein ernstes Problem geht. Sie können natürlich auf Grund Ihrer Mehrheit die Ausschußüberweisung beantragen und auch durchdrücken; wir möchten aber zumindest hier vor dem Hohen Hause festgestellt wissen, mit welcher Hast Sie versuchen, diesen Antrag unter Dach und Fach zu bringen. Wir bleiben bei unserer Vermutung, daß ganz bestimmte Interessentengruppen hinter diesem Antrag stehen, die bei den Regierungsparteien leider eine Mehrheit für ihre Auffassung gefunden haben. Ich erinnere mich noch ganz deutlich an die Debatten, die hier bei der Beratung des Vertriebenengesetzes über die Auswirkungen des Gesetzes für die Landwirtschaft stattgefunden haben. Ein Teil der Grünen Front war damals nicht bereit, den totalgeschädigten Bauern eine Chance zu einem auch nur bescheidenen Besitz zu geben.
— Bei der Endabstimmung hat ein Teil der Grünen Front gegen das Gesetz gestimmt.
Hier, wo es sich darum handelt, Restvermögensbesitzer noch weiter zu begünstigen, stellen sich die Regierungsparteien plötzlich auf den Standpunkt, daß das eine Bagatelle sei. Damals, als es sich um die Totalgeschädigten handelte, haben sie diese Haltung nicht eingenommen. Heute, wo es sich um Kreise handelt, die noch Restvermögen retten konnten, wollen sie diese Begünstigung in das Gesetz hineinarbeiten.
Der Hinweis, den der Kollege Wackerzapp in der 257. Sitzung hier gegeben hat, daß aus Flüchtlingsbetrieben ein solcher Wunsch geäußert worden sei, erscheint uns unglaubwürdig. Es könnte sich höchstens um Betriebe handeln, die ihren Hauptsitz in den Ostprovinzen hatten und jetzt in der Bundesrepublik Zweigniederlassungen unterhalten. Aber die eigentlichen Flüchtlingsbetriebe können nach unserer Auffassung solche Wünsche nicht geäußert haben. Ich möchte einmal die Flüchtlingsbetriebe zählen, die am 20. Juni 1948 schon wieder ein Vermögen von 150 000 DM besessen haben.
Es sind also wirklich schwerwiegende Gründe, die die sozialdemokratische Fraktion veranlassen, darum zu bitten, trotz Ihres Drängens diesen Antrag im Ausschuß noch einmal von allen Seiten zu beleuchten. Und wir haben noch ein Fünkchen Hoffnung, daß ein Teil der Vertriebenenabgeordneten hier nicht leichtfertig die Hand dazu gibt, die Einnahmen des Lastenausgleichsfonds zu schmälern.
Weil wir aber aus grundsätzlichen Erwägungen gegen diesen Gesetzentwurf sind, bitte ich darum, die Ausschußüberweisung überhaupt abzulehnen. Aber auch die zweite und dritte Lesung sollte heute unter allen Umständen nicht stattfinden.