Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Grundgesetz hat in Art. 98 dem Bund zur Pflicht gemacht, die Rechtsstellung der Bundesrichter durch eine besonderes Bundesgesetz zu regeln, und den Bund ermächtigt, Rahmenvorschriften auch für die Richter in den Ländern zu erlassen. Die Legislaturperiode des ersten Bundestages eilt ihrem Ende zu, — leider ohne daß auch nur die Ansätze zu dem Richtergesetz sichtbar geworden wären, das zu den vordringlichen Aufgaben der Bundesgesetzgebung gehört. Sicherlich ist in diesem Bundestag ein außerordentliches Maß an Arbeit, vielleicht sogar ein Unmaß geleistet worden. Auch hat sich dieser Bundestag seinen Aufgaben mit Eifer und Ernst gewidmet. Ebenso wird nicht verkannt werden dürfen, daß auch die erste Bundesregierung mit einem Übermaß an Aufgaben belastet war. Ob es aber dem ersten deutschen Parlament nach 1945 — jedenfalls im Zusammenwirken zwischen der von ihm berufenen Bundesregierung und seiner Mehrheit — gelungen ist, einen unserer Zeit eigenen Stil der Gesetzgebung zu entwickeln und für die Tradition von morgen den Grund zu legen, das wird die Zukunft noch erweisen müssen. Ich zweifle, daß ihr Spruch die Grundzüge der gesetzgeberischen Arbeiten gutheißen wird. Zu oft sind in den Kernfragen Versäumnisse durch bloße Aushilfen überdeckt worden.
Versäumt ist der rechtzeitige Beginn einer großen und grundsätzlichen Besoldungsreform, auf die alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes warten. Der Bundesrat hätte sich gewiß zu dem außergewöhnlichen Schritt dieses von ihm eingebrachten Gesetzentwurfs nicht entschlossen, wenn die fällige Besoldungsreform nicht immer noch auf sich warten ließe.
In der Fülle der Vorlagen, die man uns unterbreitete, hat auch das Richtergesetz gefehlt. Von dieser Aufgabe ist einstweilen nichts übriggeblieben als die bescheidene Gebärde einer Gehaltsaufbesserung, — denn mehr als eine Gebärde kann man diesen Gesetzentwurf nicht nennen, der auch nicht einmal der Bundesregierung, sondern einem Landesminister der Justiz, Herrn Dr. Amelunxen, seine Entstehung verdankt.. Bedauerlich ist, daß die Bundesregierung nicht nur diesem Gesetz widerspricht, sondern daß sie ihre Gegnerschaft sogar in einer höchst anfechtbaren Weise begründet. Sie macht geltend, daß nur im Rahmen der in Aussicht genommenen Gesamtreform die Erfordernisse der verschiedenen Zweige innerhalb des öffentlichen Dienstes so berücksichtigt werden können, daß Störungen des Rechts- und Arbeitsfriedens vermieden werden. Wir können dieses Mißtrauen nicht teilen. Wir sind überzeugt, daß sich alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes miteinander und mit dem Staat so verbunden wissen, um die Verderblichkeit einer Mißgunst klar zu erkennen. Keine Gruppe im öffentlichen Dienst braucht daher zu besorgen, in ihren berechtigten Erwartungen verkürzt zu werden, wenn wegen des beklagenswerten Ausbleibens der umfassenden Besoldungsreform die Zuflucht zu Aushilfen in dem einen oder anderen besonderen Notfalle genommen werden muß. Dieser Gesetzentwurf muß von uns und muß von allen Angehörigen des öffentlichen Dienstes als ein Anfang, als ein Auftakt verstanden werden, so daß für keine Gruppe Anlaß zur Enttäuschung geschaffen, sondern für alle der Grund zur Hoffnung gelegt wird.
Erst recht können wir der Bundesregierung nicht in der Auffassung folgen, daß es zur Zeit nicht möglich sei, Besoldungserhöhungen gesondert für einzelne Gruppen des öffentlichen Dienstes vorzunehmen. Im Dritten Besoldungsänderungsgesetz ist eine ähnliche Ermächtigung, wie sie hier den Ländern erteilt werden soll, aus zwingenden Gründen schon zugunsten der Lehrer vorgenommen. Bereits damals hätte der Bundestag sich zu einer solchen Ermächtigung auch zugunsten der Richter und Staatsanwälte entschlossen, falls nicht bekanntgewesen wäre, daß dieses Initiativgesetz des Bundesrats zu erwarten stand. Die Behauptung, man könne nicht einer einzelnen Gruppe des öffentlichen Dienstes besonders helfen, widerstreitet auch — worauf Herr Minister Amelunxen bereits hinwies — dem Geist der Verfassung; denn sie läßt außer acht, daß ein besonderes Richtergesetz verfassungskräftig. uns zur Pflicht gemacht ist und daß Richter nicht mehr im hergebrachten und engeren Sinn Beamte sind, sondern im Namen des Volkes ermächtigte Organe der rechtsprechenden Gewalt. Um dieses Wesen eines demokratischen Richtertums neu und klar zu begründen, hat das Grundgesetz in Art. 92 an die Spitze seiner Vorschriften über die Rechtsprechung den Satz gestellt: „Die rechtsprechende Gewalt ist
den Richtern anvertraut." Die Ausübung des richterlichen Mandats, die rechtsprechende Repräsentation des als Urheber aller Staatsgewalt sich selbst regierenden Volkes, ist also ihrem Wesen nach andersartig als der öffentliche Dienst in der abhängigen Verwaltung, so daß es einer inneren Rechtfertigung nicht entbehrt, die Rechtsstellung der Richter besonders zu gestalten, wenn es auch sinnvoller gewesen wäre und für die Zukunft notwendig bleibt, hierbei die Verbindung mit einer großen Justizreform zu wahren.
Was augenblicklich geschehen kann, aber auch getan werden muß, ist nichts als das Flickwerk einer Notmaßnahme. Ich will das Erfordernis dieser Notmaßnahme nicht mit dem üblichen Loblied auf unsere Richterschaft begründen. Dazu bestimmen mich zwei Erwägungen. Dem Konformismus unserer restaurativen Gegenwart, der nur eine Lobpreisung alles Überkommenen und Bestehenden zu hören wünscht, vermag ich nicht zu huldigen und muß mich deshalb weigern, das beliebte Idealbild des Richters und des Staatsanwalts kritiklos nachzuzeichnen. Andererseits aber sollten es gerade die stille Rechtschaffenheit und die selbstlose Hingabe als wertvollste Tugenden unserer Richterschaft sein, die es uns verbieten, diese Opfer und diesen Adel mit einer Gehaltszulage zu entlohnen.
Daß die Notmaßnahme der Ermächtigung zur Gewährung einer ruhegehaltsfähigen Zulage unerläßlich erscheint, findet in anderen und besondersartigen Zusammenhängen seine Begründung. Ich spreche von der Benachteiligung des geistigen Arbeiters, die sich kennzeichnend in der Bedrängnis gerade der Richter und der Erzieher ausgeprägt hat. Die wirtschafts- und finanzpolitischen Prinzipien der Bundesregierung haben in erschrekkendem Ausmaß die Kriegsfolgelasten und die dadurch bedingten Entbehrungen unbillig und unverhältnismäßig den Menschen aufgebürdet, deren Anteil am sogenannten Sozialprodukt rein nennbetragsmäßig in Geld bemessen wird, sei es aus Gehalt, Lohn oder Rente, sei es aus selbständiger Geistesarbeit ohne Einsatz von Kapital. Während die Kreise, die sich als „die Wirtschaft" zu bezeichnen pflegen und die von der materiellen Denkweise der Regierungspolitik begünstigt wurden, in Kapital zu rechnen für selbstverständlich halten, wird vielfach gegenüber den Empfängern von geldlichen Nennbeträgen, die ziffernmäßig festgelegt sind, noch immer so getan, als hätte es keine wesentlichen Wertänderungen gegeben.
Mehr oder minder offen verbrämt wird diese Zurücksetzung durch die Ideologie, die insbesondere dem geistig Schaffenden, etwa dem Richter oder Lehrer, aber weit darüber hinaus der ganzen Zahl sowohl der intellektuellen Selbständigen als auch der beamtet oder angestellt Abhängigen nur eine mittelbare oder mindere Mitwirkung an der Produktion, an der Gütererzeugung, zuerkannt. Als ob in äußerst arbeitsgeteilten Gesellschaften irgendein Glied weniger wichtig für die Produktivität des Ganzen sein könnte! Vor allem ist diese Produktivität doch keineswegs nur eine materielle, sondern in unteilbarer Einheit zugleich stets auch eine ideelle und geistige.
Vom Volksganzen her und zum Nutzen eines Staatsneuaufbaus gesehen ist es deshalb ein Gebot der Stunde, wenigstens einen ersten, wenn auch fast nur symbolischen Schritt zu tun, der das Bewußtsein wecken soll, daß die Gemeinschaft nicht ungestraft auf die Dauer d i e Kräfte vernachlässigen darf, deren Arbeit vorwiegend geistig bestimmt ist. Und es kann in einem zukunftsgerichteten Gemeinwesen keine Kräfte geben, die gerade für diese Leistung repräsentativer sein sollen als die Frauen und Männer, die der Rechtsprechung zu dienen berufen sind.
Man sagt, daß Wert und Kraft eines guten Gesetzes sich erst an den Enkeln erweisen. Wir müssen daher gerade diese Frage nicht unter dem Gesichtswinkel des Augenblicks, sondern der Zukunft sehen. Die Benachteiligung gewisser Gruppen und Kräfte in unserem Volke, insbesondere des ohne Kapital schaffenden geistigen Arbeiters hat zu solchen Mißverhältnissen geführt, daß weitgehend der Nachwuchs für Berufe zu versiegen droht, deren Leistungen schlechthin für ein Volk lebenswichtig sind.
Der Mangel an Junglehrern ist bekannt. Um aus der Vielzahl noch ein anderes Beispiel zu nennen: auch der staatlichen Bergverwaltung fehlen die Nachwuchskräfte, die sie braucht, da sie den Wettbewerb mit der freien Wirtschaft nicht mehr aushält. Heute morgen haben wir im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht gehört, daß in zunehmendem Maße Rechtsanwälte im Falle ihres Todes nicht einmal für die Deckung der Beerdigungskosten genügend hinterlassen.
Besonders erschreckend ist es, wie wenig sich junge Menschen heute davon versprechen, sich einmal dem Dienst an der Rechtsprechung als Richter oder Staatsanwalt zu widmen. Fahren wir so fort, dann werden entweder nur noch die sich um diesen Dienst bewerben, die sonst der eigenen Tüchtigkeit nicht vertrauen und daher kein anderes Unterkommen finden, oder wir werden eine die Demokratie gefährdende Auslese negativer Art nach dem Geldbeutel erleben, die es dem Bewerber erlaubt, auch ohne eine zureichende Besoldung auszukommen.
Diese Gründe zwingen zu einer Notmaßnahme, solange die Gesamtreform des Besoldungswesens und solange das mit einer großen Justizreform zusammenhängende Richtergesetz noch auf sich warten lassen. Ich betone nochmals, daß wir in diesem Gesetz nur ein Provisorium sehen können. Auch soll es keineswegs andere Gruppen des öffentlichen Dienstes zurücksetzen, sondern für alle ein Signal des Wandels sein. Aus diesen Gründen findet der Gesetzentwurf, dessen Verabschiedung wir für dringlich halten, unsere volle Zustimmung.