Rede von
Margot
Kalinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben in diesem Hause mehrmals die Anfrage gestellt, warum das Fremdrentengesetz noch nicht verabschiedet worden ist.
Den Weg, den dieser Gesetzentwurf bis zu seiner verzögerten Verabschiedung infolge seiner finanziellen Auswirkungen und infolge der Notwendigkeit zur Genehmigung der erforderlichen Mittel gegangen ist, haben wir als einen echten Leidensweg empfunden. So trocken auch die Materie hinsichtlich der sozialversicherungstechnischen Auseinandersetzungen hier diskutiert werden muß, so ungeheuerlich ist das Anliegen der vielen Heimatvertriebenen. Ich denke da an die sudetendeutschen Landsmannschaften und die vielen Menschen aus den Ostgebieten, die seit Monaten, ja seit Jahren. besonders da, wo noch durch keine neue Gesetzgebung und kein einheitliches Recht, nur durch Zwischenlösungen die Möglichkeit gegeben ist, daß ihre Rentenansprüche angerechnet werden, auf eine einheitliche Lösung warten.
Wir bedauern auch — darin sind wir mit dem Vorredner einig —, daß unser vom Bundestag angenommener Antrag zur Schaffung einheitlichen Rechtes in der Angestellten- und Invalidenversicherung nicht schon vorher seine Erledigung finden konnte, weil damit die Kompliziertheit dieses Gesetzes sicher weniger groß geworden wäre. Trotz allem aber meinen wir, daß die endliche Vorlage und Verabschiedung dieses Gesetzes so dringlich ist, daß trotz aller Bedenken, die auch meine Freunde teilen und die ich im einzelnen begründen werde, doch alles geschehen sollte, nicht etwa, wie es der Vorredner als Sprecher der Sozialdemokratischen Partei vorschlug, um von ganz neuen Gesichtspunkten aus Recht zu schaffen, sondern um doch mit Hilfe dieser Regierungsvorlage nun das Möglichste und Verständlichste und etwas Anwendbares zu schaffen. Neues Recht und neue Grundlagen kann man nur schaffen, wenn man unsere gesamte Sozialversicherung reformiert. Das ausgerechnet bei diesem Fremdrentengesetz zu fordern, scheint mir doch sehr abwegig. Ich möchte dabei nur mit einem Satz erwähnen, daß die vielen Sorgen und Bedenken, die sich gerade in Berlin ergeben haben, weniger groß wären, wenn wir auch dort einheitliches Recht hätten, an dessen Zerschlagung doch der Sprecher der Sozialdemokratischen Partei maßgeblich mitbeteiligt war. Die großen Schwierigkeiten, die sich mit der Trennung in eine Ost- und Westzone ergeben haben, werden wir weder mit dem Fremdrentengesetz noch mit einem anderen sozialpolitischen Änderungsgesetz beseitigen können.
Zu dem § 1 des Gesetzes, bei dem sicherlich auch im Ausschuß unterschiedliche Meinungen vorhanden sein werden, erhebt sich die Frage, ob nicht die Regelung des § 1281 der Reichsversicherungsordnung genügt hätte und ob man sie nicht entsprechend anwenden könnte.
Bei § 3 ist durch die Heranziehung der Sudeten-Verordnung — das ist auch schon von dem Vorredner gesagt worden — eine Problematik aufgetaucht, mit der wir uns im Ausschuß noch beschäftigen müssen. § 3 Abs. 2 erklärt die Sudeten-Verordnung vom Juni 1940 und die zu ihr ergangenen Durchführungs- und Ergänzungsbestimmungen auch auf die im ehemaligen Protektorat zurückgelegten Versicherungsverhältnisse für anwendbar. Eine Reihe von Fragen erhebt sich beispielsweise zum Umrechnungskurs für die reinen Protektoratsrenten. Ferner besteht die Frage, ob für die Protektoratsversicherten, die unter § 43 Abs. 2 oder 3 der Sudeten-Verordnung fallen, Steigerungsbeträge zu gewähren sind. Weiter müßte geklärt werden, ob auch für Personen, die im ehe-
maligen Protektorat Böhmen und Mähren versichert waren, der erhöhte Grundbetrag nach § 43 der Sudeten-Verordnung zu gewähren ist. Wir werden sicherlich sehr unterschiedliche Meinungen über diese Fragen, allein die Frage der Grundbetragserhöhung und der Grundbetragsgewährung, haben, Dinge, die wir bei diesem Gesetz kaum grundsätzlich werden regeln können.
Nach der Vorschrift des § 3 Abs. 4 sind die Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den eingegliederten Ostgebieten vom Dezember 1941 und die dazu erlassenen Ergänzungsund Durchführungsbestimmungen auch auf Leistungsansprüche und Anwartschaften aus Versicherungsverhältnissen in der polnischen Sozialversicherung anzuwenden, die nach dieser Verordnung nicht oder noch nicht voll auf die deutsche Sozialversicherung übergegangen waren. Jede weitere Ausdehnung der Ostgebietsverordnungen auch auf die übrigen Versicherten der polnischen Sozialversicherung, die durch die Ostgebietsverordnung nicht erfaßt waren — z. B. die Versicherten im ehemaligen Generalgouvernement —, sollte im Ausschuß sehr gründlich überlegt und diskutiert werden.
Zu prüfen ist weiter, ob etwa der in § 32 der Ostgebietsverordnung vorgesehene Grundbetrag von 840 DM auch an die Berechtigten zu zahlen ist, die durch das Fremdrentengesetz neu der Ostgebietsverordnung später unterstellt werden. Ich glaube, daß wir im Ausschuß einen Weg und eine Lösung finden werden. Endgültige Lösungen werden wir in allen diesen Fragen, die den Grundbetrag berühren, wahrscheinlich nur bei der Reform der Sozialversicherung finden können.
Mit Recht stellt die Begründung zu dem Gesetzentwurf an die Spitze, daß der Zweck dieses Gesetzes eine gleichmäßige Behandlung der Vertriebenen und der Einheimischen ist. Die Vorlage trägt dem nur zum Teil Rechnung. Es fragt sich wirklich, ob es notwendig sein wird, die alten Bestimmungen im Pauschalerlaß des Reichsversicherungsamts vom 17. März 1945 noch aufrechtzuerhalten und den für einen vorübergehenden Notstand gedachten Erlaß weiter — er ist nämlich in diesem Gesetz nicht aufgehoben — in Kraft zu lassen. Aber alle diese Fragen, die so bedeutsame Konsequenzen und Wirkungen haben, werden wir zweifelsohne im Augenblick nicht lösen können. Wir werden dafür zu sorgen haben, daß bei diesem komplizierten Gesetz — ich kann leider wegen der Kürze der Redezeit auf die vielen Probleme, die wichtig sind, nicht mehr eingehen — auch die Durchführbarkeit gewährleistet ist. Allein die Durchführung des § 18 wird z. B. für die Landesversicherungsanstalt Niedersachsen fast unmöglich sein, weil dort die Umrechnung all der vielen alten Renten, besonders auch derjenigen von Ausgebombten, deren Unterlagen genau so fehlen wie die der Heimatvertriebenen, außerordentlich schwierig, ja nahezu unmöglich sein wird.
Zum Schluß möchte ich noch der Hoffnung Ausdruck geben, daß trotz der Schwierigkeiten und trotz des bedauernswerten Tatbestandes, daß Regierungsentwürfe, die in der Form des Referentenentwurfs doch immerhin mit den Ländern beraten werden, dann hinterher so unerhörte Beanstandungen durch den Bundesrat erhalten — und wir uns im Ausschuß infolgedessen nicht nur
mit der Materie, sondern auch mit den verschiedenen Meinungen der Länder auseinandersetzen müssen —, der gute Geist und der tiefe Sinn des Gesetzes eine glückliche und möglichst schnelle Erfüllung findet, damit wir als Voraussetzung für eine echte soziale Eingliederung und eine echte gleiche Behandlung der Vertriebenen wie der Einheimischen diese Lücke in der Gesetzgebung schließen, die zu schließen wir schon lange verpflichtet sind.