Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, aus dem Gemeinsamen Ausschuß nach § 53 a des Grundgesetzes sind zahlreiche Kollegen der CDU/CSU-Fraktion ausgeschieden, und zwar die Mitglieder Dr. Barzel, Dr. Jenninger, Dr. Mertes , Rawe, Dr. Wörner, Dr. Zimmermann und die Stellvertreter Dr. Kohl, Vogel (Ennepetal), Franke, Würzbach, Weiskirch (Olpe) und Windelen.
Die Fraktion der CDU/CSU schlägt vor, als neue Mitglieder die Kollegen Müller , Rühe, Dr. Schäuble, Dr. Waigel, Weiskirch (Olpe) und Windelen und als neue Stellvertreter die Kollegen Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Langner, Straßmeir, Reddemann, Francke (Hamburg) und Petersen zu bestimmen.
Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Damit sind die genannten Abgeordneten als neue Mitglieder oder stellvertretende Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses bestimmt.
Nach § 5 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses treten die Stellvertreter in der Reihenfolge ein, in der sie von der Fraktion vorgeschlagen sind. Zur Protokollierung stelle ich fest, daß dies unter Einbeziehung der in ihrem Amt verbliebenen Stellvertreter folgende Reihenfolge ergibt: Erhard , Dr. Langner, Haase (Kassel), Dr. Mikat, Dr. Althammer, Dr. Abelein, Straßmeir, Reddemann, Francke (Hamburg), Petersen.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine
Aktuelle Stunde
zum Thema „Kohlevorrangpolitik" verlangt. Die Aktuelle Stunde ist fristgerecht entsprechend der Nr. 2 b der Richtlinien verlangt worden.
Interfraktionell wurde vereinbart, die Aktuelle Stunde jetzt durchzuführen. Ich eröffne die Aussprache dazu. Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Diese Aktuelle Stunde ist nach Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion notwendig, weil wir größte Sorge haben, ob die bisher erfolgreiche Energiepolitik in diesem Lande fortgesetzt wird. Wir befürchten das Gegenteil.
In den Steinkohlenrevieren an der Ruhr, im Aachener Revier, im Saarland hat es mehr als ein Jahrzehnt Ruhe und Vertrauen in unsere Energiepolitik gegeben. Die von den Sozialdemokraten konzipierte und durchgesetzte Kohlevorrangpolitik war erfolgreich. Sie hat den deutschen Steinkohlenbergbau technologisch in eine Spitzenposition gebracht. Die Lagerstätten wurden einheitlich bewirtschaftet, enorme Produktivitätssteigerungen waren zu verzeichnen, und — was das Wichtigste ist — die Bergleute hatten Vertrauen in die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze.
Wie nie zuvor erhielt der deutsche Steinkohlenbergbau deutschen jugendlichen Nachwuchs. Unsere Bergleute und unser Bergbau bewiesen, daß der deutsche Steinkohlenbergbau in der Lage ist, seinen optimalen Versorgungsbeitrag zur Sicherung der Energieversorgung zu leisten. Unsere Volkswirtschaft profitierte davon. Kohle ist heute billiger als Öl. Wer hätte das vor Jahren wahrhaben wollen? Die Schere zwischen der Importkohle und den deutschen Preisen hat sich eine ganze Zeitlang beachtlich geschlossen. Sie ist wegen der Dollarparität und aus anderen Gründen leider wieder auseinandergegangen. Die Bergbaureviere profitierten von der guten Lage des Bergbaus. Die Bergbauzulieferindustrie hatte ihre Vorteile, und auch alle anderen Bereiche haben davon profitiert. Das war das Ergebnis unserer Politik.Das alles, meine Damen und Herren, ist heute gefährdet. Die neue Bundesregierung aus CDU/ CSU und FDP bietet nicht die Gewähr, daß sie die Kontinuität unserer bisherigen Kohlepolitik fortzusetzen bereit ist.
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7644 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
Wolfram
— Das werden Sie gleich hören, Herr Minister, wenn Sie mir in Ruhe zuhören.
— Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Herr Minister.
Fahren Sie bitte fort. Die fünf Minuten sind schnell um, Herr Kollege.
Fahren Sie bitte fort. Die fünf Minuten sind schnell um.
Ich weiß, aber es ist ein Akt der Höflichkeit, zu warten. Die Zeit wird mir doch wohl zugegeben.
Meine Damen und Herren, die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers Kohl in seiner Regierungserklärung zur Energiepolitik waren mehr als dürftig und unverbindlich.
Zur Kohle verkündete er in einem einzigen Satz eine Binsenwahrheit, nämlich mit seiner Feststellung: Vorrangiger heimischer Energieträger bleibt die deutsche Kohle. Das ist doch selbstverständlich. Als ob es bei uns einen anderen vorrangigen Energieträger als die Kohle gäbe.
Bundeskanzler Kohl hat mit diesem Satz nicht die bisherige Kohlevorrangpolitik bestätigt. Das konnte er offensichtlich auch nicht; denn der bayerische Ministerpräsident Strauß sitzt ihm auch in dieser Frage im Nacken.
Im Juli dieses Jahres — hören Sie zu; Originalton Strauß — hat Herr Dr. Strauß in einem Schreiben, das mir vorliegt, erklärt — ich zitiere mit der Genehmigung der Frau Präsidentin —:
daß die Bayerische Staatsregierung es insbesondere für unerträglich hält, daß die Bundesregierung
— gemeint war die von Helmut Schmidt —
der Kohle einen deutlichen Vorrang einräumt.
Und an anderer Stelle führt Herr Strauß wörtlich aus — ich zitiere wieder mit Genehmigung der Frau Präsidentin —:
Die Bayerische Staatsregierung hat deshalb die Bundesregierung aufgefordert, durch eine Aufgabe der Kohlevorrangpolitik die Hindernisse für einen verstärkten Einsatz der Kernenergie zum Ersatz fossiler Energieträger zu beseitigen.
Was gilt nun: Herr Kohl, Herr Lambsdorff oder Herr Strauß?
Im übrigen hat Herr Strauß vor zwei Jahren, 1980, im Wahlkampf im Ruhrgebiet erklärt, er sei schon immer gegen Zechenstillegungen gewesen, er habe sich nur nicht gegen Herrn Erhard durchsetzen können. Sehr bemerkenswert. Wir werden ihn daran erinnern, wenn es in die nächste Runde geht. Was Herr Strauß von der alten Regierung gefordert hat, setzt er offenbar bei der neuen Regierung Kohl/Genscher/Lambsdorff als selbstverständlich voraus.
Das verbale Bekenntnis des Herrn Bundesministers, die neue Bundesregierung halte an der bisher festgelegten Kohlepolitik fest, ist falsch und unglaubwürdig. Der Minister selbst spricht j a von der Anpassung der Förderung an den Absatz. Dabei kommt ihm sicherlich die derzeit schwierige Absatzlage zupaß. Aber er läßt außer acht, daß es sehr schnell wieder zur nächsten Ölkrise kommen und Kohle wieder sehr schnell gefragt sein kann.
Ich weiß — und das ist das Erschreckende — im Bundeswirtschaftsministerium wird die Auffassung vertreten, daß wir bis zu 10 Millionen Tonnen Steinkohlenkapazität stillegen müßten. Wenn ich etwas Falsches sage, können Sie, Herr Bundesminister, mich gleich korrigieren. Der Einstieg soll mit der Stillegung der Zeche Erin in Castrop-Rauxel gemacht werden. Hier wird ein Schwarzer-Peter-Spiel getrieben. Ich kann nur sagen: Das ist verwerflich und falsch. Diese Bundesregierung schafft nicht die Voraussetzungen dafür, daß eine neue Fördersohle errichtet wird, daß neue Investitionen erfolgen, daß die Förderung zumindest so lange aufrechterhalten bleibt, bis die erschlossenen Vorräte abgebaut sind.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist um. Wir müssen uns ganz strikt an die fünf Minuten halten. Es tut mir furchtbar leid, aber in diesem Fall muß das streng gehandhabt werden.
Ich bitte, den letzten Satz zu sagen.
Frau Präsidentin, ich hatte gehofft, daß Sie mir wegen des Vorgangs eine Minute zusätzlich einräumen. Aber dann stelle ich fest: Diese Bundesregierung bietet nicht die Gewähr, die Arbeitsplätze im Bergbau zu erhalten, sondern sie gefährdet Arbeitsplätze in Bergbauregionen und sie gefährdet damit die Sicherung der zukünftigen Energieversorgung. Da machen wir Sozialdemokraten nicht mit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Spies von Büllesheim.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wolfram, es stimmt, daß wir alle Sorge um die Kohle haben. Aber die Begründung stimmt nicht. Wir müssen um die Kohle nicht etwa wegen der neuen Bundesregierung Sorge haben, sondern wir müssen Sorge haben wegen der Situa-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7645
Dr. Freiherr Spies von Büllesheimtion, die die alte Bundesregierung hinterlassen hat. Das ist der wahre Tatbestand.
— Herr Kollege Roth, Sie können soviel dazwischenrufen, wie Sie wollen, an diesem Faden beißen Sie überhaupt nichts ab. Das ist die Situation.
Ich verstehe den Kollegen Wolfram insbesondere deshalb, weil die Zeche Erin, die heute in Frage steht und deren Fortbestand gefährdet ist, in seinem Wahlkreis liegt. Herr Kollege Wolfram, ich bin selbst in einer Bergarbeitergemeinde aufgewachsen. Ich weiß, wie der Bergmann mit seinem Pütt verbunden ist: in anderer Weise als das sonst der Fall ist,
weil Gefahr und notwendige Kameradschaft und das alles den Bergmann mit seinem Unternehmen, mit seinem Pütt besonders zusammenschweißt. Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, wie es bei mir wäre, wenn etwa unsere Zeche, wenn unser Pütt von der Schließung bedroht wäre.
Ich stimme völlig mit ihm überein.Ich glaube, daß diese Aktuelle Stunde, die wir heute führen, sicherlich auch damit zusammenhängt, daß es, Herr Kollege Wolfram, Ihr Wahlkreis ist, in dem diese Zeche gefährdet ist, und daß mit dieser Debatte irgendwie auch Ihre energie- und kohlepolitische Arbeit gewürdigt wird.Ich bedaure Ihre Situation; aber dieses Problem Erin ist doch nicht etwa neu. Wir reden von dem Problem Erin schon seit langem, und wir wissen, daß die Grube Erin leider eine besonders kostenungünstige Grube ist. Wir wissen von der steilen Lagerung.
— Sie sagen, es stimme nicht, Herr Kollege Wolfram. Auch Sie kennen das Schreiben des Bundeswirtschaftsministers vom 3. November 1982 an den Minister Jochimsen in Nordrhein-Westfalen, das bisher unwidersprochen geblieben ist und in dem er feststellt, daß Risiken in Höhe von 500 Millionen DM darin liegen, wenn diese Grube fortgeführt wird.
Einer von Ihnen kann j a gleich dazu Stellung nehmen. Ich habe bisher von Nordrhein-Westfalen noch nichts dagegen gehört. Das ist ein bedauerlicher Tatbestand. Aber wir wissen auch, daß der EBV gesagt hat, um den Fortbestand des Gesamtunternehmens zu sichern: Wir müssen eine volle Absatzgarantie haben, und wir müssen eine volle Ertragsgarantie, Kostengarantie haben. Nur dann können wir die Grube Erin fortführen. Das ist die Wahrheit; vor dieser Situation stehen wir.Herr Kollege Wolfram, wenn Sie hier die falsche Flagge aufzupflanzen versuchen: Kaum haben wir eine CDU/CSU-geführte Regierung, dann werden die ersten Zechen geschlossen — das versuchen Sie doch, das haben Sie nicht gesagt, aber das ist doch die Flagge, die Sie aufpflanzen —,
dann muß man Sie doch an Ihre Kohlepolitik erinnern, die Sie für so erfolgreich gehalten haben.
Herr Kollege Wolfram und meine Herren von der SPD-Fraktion, es war doch die SPD-geführte Bundesregierung, die den Kohletitel von 1981 auf 1982 um 800 Millionen DM gesenkt hat. Es war doch die SPD-Regierung, die die Kokskohlenhilfe so gekürzt hat, daß ein Selbstbehalt von 14 DM je Tonne gegeben war. Wenn wir heute über Selbstbehalt reden, dann sind das entweder vier bis sechs DM oder sogar null DM je Tonne. Bei Ihnen ist das auf dem Stand von 14 DM gewesen. Es war doch unter der SPD-Regierung — das wissen Sie genau —, daß der deutsche Bergbau als Ergebnis der unglücklichen Diskussion über den Schwantag-Preis 500 bis 600 Millionen DM hat zurückzahlen müssen. Das alles ist unter Ihrer Regierung geschehen.
Es war doch unter der von der SPD geführten Regierung, daß der Stahlverbrauch so zurückgegangen ist, daß es zu diesem Absatzeinbruch gekommen ist.
Sie sollten nicht von einer erfolgreichen Kohlepolitik reden! Ich greife das alles ja nicht an, Herr Wolfram,
ich zeige nur auf, was unter Ihrer Regierung passiert ist, und das ist doch mit ein Grund dafür, daß sich der Kohlebereich, gerade die Kokskohlenzechen, heute in einer so schweren Lage befindet.Was haben wir zu tun? Was wollen wir fordern? Die erste Forderung ist, daß, wenn Erin geschlossen werden muß, selbstverständlich das Anpassungsgeld für die Bergleute weiter gewährt wird. Was haben wir kohlepolitisch zu fordern? Wir haben kohlepolitisch zu fordern, daß die auslaufende Regelung für die nationale Kohlenreserve — jetzt Rückkaufsverpflichtung 1984 — verlängert wird.
Ich bitte, zum Schluß zu kommen.
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7646 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jawohl, ich komme zum Schluß.
Wir haben zu fordern, daß der Selbstbehalt bei der Kokskohle nicht in der bisherigen Höhe bleibt.
Ich bitte, sofort zum Schluß zu kommen, Herr Kollege, es tut mir furchtbar leid.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Der Bergbau braucht sich keine Sorge zu machen. Die Kohlepolitik der CDU/CSU wird erfolgreich sein und die Arbeitsplätze sichern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Bereits in der letzten Sitzungswoche haben wir ausführlich über die Situation des Stahlmarktes debattiert. Die heutige Aktuelle Stunde bezieht sich auf den Bereich der Kohle. Beides sind Themen, die in den Kohle- und Stahlrevieren unseres Landes sehr aufmerksam und sensibel verfolgt werden.Mit übler Stimmungsmache, Herr Kollege Wolfram, und mit Unterstellungen ist den Menschen dort nicht gedient.
Was wir von Ihnen hier gehört haben, war noch nicht einmal eine Wahlkampfrede für den 6. März, sondern eher eine Wahlkreisrede zur erneuten Nominierung in Ihrem Wahlkreis. So kann man mit den Menschen dort nicht umgehen.
Kohle und Stahl, meine Damen und Herren, das ist ein Begriffspaar, das seit Jahrzehnten mit der Wirtschaftskraft unseres Landes aufs engste verbunden ist und das auch gleichzeitig eine wechselseitige Abhängigkeit ausdrückt.In der Stahldebatte der letzten Woche ist die Notwendigkeit der Anpassung der Stahlkapazitäten an die Nachfrage mehrfach angesprochen worden. Nichts anderes bedeutet jetzt die Bereitstellung von 40 Millionen DM an Umstrukturierungsmitteln im Nachtragshaushalt 1982 für den Eschweiler Bergwerks-Verein zum vorzeitigen Auslaufen der Förderung des Bergbaubetriebs Erin. Diese Zeche gehört eben — und darauf hat der Herr Kollege von Spies schon hingewiesen — auf Grund ihrer schwierigen geologischen Bedingungen zu den am kostenungünstigsten fördernden des Reviers. Das Kernproblem liegt in der nahezu völligen Abhängigkeit des Absatzes ihrer Kohle an die Stahlindustrie.Die Grundaussage, meine Damen und Herren, zur deutschen Kohlepolitik, daß die heimische Steinkohle Vorrang in der Energieversorgung genieße, wurde in der Dritten Fortschreibung des Energieprogramms bestätigt und von der neuen Koalition der Mitte bekräftigt.
Die FDP-Fraktion bekennt sich nachdrücklich zu dieser Aussage.
Der Steinkohlenabsatz hat trotz eines rückläufigen Primärenergieverbrauchs in einigen Absatzbereichen eine erfreuliche Entwicklung zu verzeichnen. So nahm in den ersten neun Monaten dieses Jahres die Elektrizitätswirtschaft fast 6 % mehr Steinkohle ab als im Vorjahreszeitraum. Sie erfüllt damit auch ihre Verpflichtungen aus dem Fünfzehnjahresvertrag. Die Lieferungen an den inländischen Wärmemarkt haben sich stabilisiert.Allein die Entwicklung auf dem Stahlsektor ruft die dramatische Entwicklung hervor, der wir uns gegenübersehen, sowohl was den Verbrauch im Inland als auch was den Export betrifft. In den ersten neun Monaten dieses Jahres, meine Damen und Herren, hat die inländische Stahlindustrie 9,6 % weniger Kokskohle als im Vorjahr abgenommen. Die Ausfuhr in die anderen EG-Staaten ist sogar um 32,1 % zurückgegangen. Das ist der Hauptgrund für die existentiellen Schwierigkeiten, denen wir uns bei Erin gegenübersehen, und nicht eine vermeintliche Vernachlässigung der Kohlepolitik durch diese Regierung. Das muß man hier einmal klar feststellen.Nun können konjunkturelle und strukturelle Bedarfsänderungen der Stahlindustrie nicht der Maßstab für eine langfristige Energiepolitik sein, bestimmte Förderziele unter allen Umständen durchzuhalten.
Insofern wird die von der Bundesregierung verfolgte Kohlepolitik durch das vorzeitige Auslaufen der kostenungünstigen Förderung von Erin nicht in Frage gestellt. Das ist vielmehr ein Beitrag zur Optimierung der Förderung des deutschen Steinkohlenbergbaus, da die verfügbaren Haushaltsmittel auch im Interesse langfristig sicherer Arbeitsplätze im Bergbau auf kostengünstig fördernde Gruben konzentriert werden müssen.Selbstverständlich sind alle Möglichkeiten geprüft worden, die Grube Erin bis zum Ende der 80er Jahre weiter fördern zu lassen.
Aber die hierbei erkennbar gewordenen Risiken sind schwer quantifizierbar. Sie könnten zu einer weiteren Belastung des öffentlichen Haushalts bis 1989 in Höhe von 500 Millionen DM führen. Deshalb haben sowohl die Treuarbeit als auch der Bundesfinanzminister als auch das Land Nordrhein-Westfalen das vorzeitige Auslaufen von Erin entsprechend
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7647
Beckmanndem Votum des Unternehmens für unumgänglich und die Sonderhilfe für erforderlich gehalten.
— Ich verbitte mir die Unterstellung, Herr Kollege Reuschenbach.
Einen Augenblick! Sie kriegen einen Ordnungsruf für diese Bemerkung „Sie lügen", Herr Abgeordneter Reuschenbach.
Die Belegschaften und ihre Vertretung, meine Damen und Herren, haben in diesem Fall ein hohes Maß an Vernunft gezeigt. Sie waren kooperativ und haben sich insbesondere bei den Personalanpassungsmaßnahmen außerordentlich vernünftig verhalten.
Die Schwierigkeiten bei Erin sind doch nun wirklich seit langem bekannt. Niemand sollte sie zum Anlaß nehmen, die in der Regierungserklärung ausgedrückte Kontinuität der Kohlepolitik in Zweifel zu ziehen. — Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Jens.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß zunächst einmal feststellen: Es geht in der heutigen Debatte nicht nur um die Zeche Erin,
sondern es geht um die Kohlepolitik überhaupt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Vorwurf von Herrn Spies von Büllesheim ist mehr als unberechtigt, denn bisher war es doch so, daß die Kohlepolitik einvernehmlich zwischen allen Fraktionen in diesem Hause konzipiert war.
Sie wurde auch von der kohleproduzierenden Wirtschaft einvernehmlich mitgetragen. Wenn einer die Weichen auf diesem Felde gestellt hat, dann war es vor allem Graf Lambsdorff.
Nein, Herr Spies von Büllesheim, die Weichen werden im Haushalt 1983 von dieser neuen Koalition und ihrer Rechtsregierung falsch und in eine neue Richtung gestellt. Das ist der entscheidende Punkt.
— Die Kokskohlensubventionen — gucken Sie essich doch in dem neuen Nachtragshaushalt an —werden drastisch nach unten geführt. Die Investitionshilfen werden wesentlich stärker gekürzt, als es unseren Interessen entspricht.
Die Zuschüsse im Einzelplan 09 für Kohleheizkraftwerke und für Fernwärmeausbau werden ebenfalls halbiert.
Das ist das Entscheidende. Das können wir von der Opposition nicht mitmachen, meine Damen und Herren.
Ich will Ihnen ehrlich sagen: Ich kann es sehr gut verstehen, daß man staatliche Gelder laufend auf ihre Berechtigung hin überprüfen muß. Das ist unser aller Anliegen. Die jetzt im Haushalt konzipierte Politik gegen die Kohle ist aber völlig unakzeptabel. Sie ist auch volkswirtschaftlich absolut falsch.
Ich kann auch verstehen, daß z. B. die Bayern oder die Schleswig-Holsteiner mit Argusaugen auf die Kohlehilfe achten. Sie sind dabei aber leider sehr kurzsichtig. Die deutsche Steinkohle ist die einzige heimische Energiequelle, die wir in größeren Mengen zur Verfügung haben. Die Halden wachsen zur Zeit in dramatischem Tempo. Sie sind bisher Gott sei Dank immer abgebaut worden, und sie werden auch in Zukunft abgebaut. Meine Damen und Herren, wenn wir diese Energiereserven nicht sichern, werden uns die Ölscheichs mit Sicherheit bei nächster Gelegenheit das Fell erst richtig über die Ohren ziehen. Deshalb gilt es, die Kohle zu sichern und die entsprechenden Hilfen für die Kohle zur Verfügung zu stellen, Graf Lambsdorff.
Deshalb darf es auch nicht zu Zechenstillegungen kommen.Für mich ist auch dies völlig unverständlich. Kein seriöser Unternehmer würde beim heutigen Stand der Kenntnisse noch eine Mark z. B. in den Schnellen Brüter hineinstecken, weil dieser Reaktor aus wirtschaftlichen Gründen keine Zukunft hat. Die neue Regierung will aber weitere Milliarden für den Bau zur Verfügung stellen und gleichzeitig bei der Kohle kürzen. Das ist eine gesamtwirtschaftlich unverantwortliche Strategie.
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7648 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
Dr. JensMeine Damen und Herren, da werden ferner etwa 10 Millionen t an Kohle — die Gelehrten streiten sich noch — in die Bundesrepublik importiert. Gleichzeitig bemüht sich die Ruhrkohle um etwas mehr Export ihrer Förderung. Ich fordere die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, daß die geplanten Importe gleich ins Ausland gehen. Sie sollte auf Importeure und Importkohleverbraucher einwirken, daß diese freiwillig mehr deutsche Ruhrkohle verbrauchen. Aber leider zeigt sich an allen Ecken und Kanten — nicht nur bei diesem Thema, über das wir hier heute diskutieren —: Diese neue Regierung denkt nur an die Interessen der Elektrizitätsunternehmen und an die Interessen der deutschen Wirtschaft, aber nicht an die Menschen in der Wirtschaft.
Das ist der grundlegende Fehler Ihrer gesamten Politik. Diesen Fehler werden wir in der Öffentlichkeit immer wieder herausstellen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lampersbach.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich freue mich, daß wir heute morgen Gelegenheit haben, über ein Thema zu sprechen, das gerade von Herrn Kollegen Dr. Jens noch einmal als ein Thema in Erinnerung gerufen wurde, daß das gesamte Haus bisher in Einmütigkeit beschäftigt hat. Ich muß jetzt allerdings feststellen, daß hier, von Herrn Wolfram initiiert, ein Ton hereingebracht worden ist, der mehr als makaber ist. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, versuchen, nachdem Sie die Wirtschaft fast an den Rand des Konkurses gebracht haben,
den Konkursverwalter für das verantwortlich zu machen, was Sie ihm eingebrockt haben.
Wenn hier von Kürzung der Mittel gesprochen wird, dann können wir doch nur feststellen, daß Sie alles daran gesetzt haben, daß die notwendigen und erforderlichen Mittel für eine Sanierung nicht in dem Umfang zur Verfügung stehen, wie wir alle das sicherlich gerne hätten.Herr Kollege Wolfram, am 19. Juli haben Sie über die Zeitung eine Meldung verbreitet, wonach 180 Millionen DM für die Erschließung der siebten Sohle bereitstünden, einmütig beschlossen von Ihrer Fraktion, obwohl hier nicht ein Pfennig im Haushalt ausgewiesen ist.
Ich halte das für einen Taschenspielertrick mit üblen Folgen. Er muß natürlich bei den Bergleuten den Eindruck erwecken, daß auf ihrem Rücken eine Schaukelpolitik betrieben wird, die wir von der CDU/CSU und auch unser Koalitionspartner FDP nicht gutheißen können.
Herr Dr. Jens, wenn wir feststellen, daß die wirtschaftliche Entwicklung, die Sie gerade beklagt haben, insgesamt dazu führt, daß der Absatz der Kohle plötzlich nicht mehr in dem Umfang gewährleistet ist, wie er nach der Förderung eigentlich sein müßte, daß hier eine Reihe von Dingen hinzukommen, die wir im Jahre 1966 seinerzeit festgestellt haben, nämlich plötzlich sehr viel höhere Förderleistungen, geringere Abwesenheit und damit höhere Leistung pro Schicht und Mann, dann bedeutet das natürlich nicht, daß hier die Politik außerhalb des Obligos wäre. Nehmen wir die Zahlen aus der Gesamtwirtschaft zusammen, so müssen wir auch hier feststellen, daß wir insgesamt einen gewaltigen Rückgang haben — sowohl in der Großindustrie, die hier mit erheblichen Teilen als Abnehmer aufträte, als auch im gesamten mittelständischen Bereich, bei dem wir in diesem Jahr die schreckliche Zahl von mehr als 12 000 Insolvenzen, Konkursen, Ausscheiden von Gewerbebetrieben zu verzeichnen haben werden. Das alles ist ja eine Hinterlassenschaft — —
— Ach Gott, wissen Sie, denken muß man natürlich können.
Daß Ihnen das Schwierigkeiten bereitet, haben wir verschiedentlich festgestellt.
Ich finde das, was Sie sagen, nicht einmal witzig.
Es ist mehr als traurig, aber es entspricht durchaus Ihrem gesamten Habitus.
— Ach, Sie sind doch ohnehin bekannt; nicht einmal Ihre Zwischenrufe sind gut — bedauerlicherweise.Wenn wir hier feststellen, daß wir uns mit einer Insolvenzwelle auseinanderzusetzen haben — —
— Herr Wolfram, das ist genau der Punkt. Hier beginnt die Tragik für die Kohle. Wir haben nicht
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7649
Lampersbachmehr die Absatzmöglichkeiten auf Grund der komischen Politik, die Sie in den letzten Jahren betrieben haben.
Das wissen Sie doch, Herr Zeitler. Lesen Sie einmal die alten Protokolle nach, was Dr. Barzel damals auf die Regierungserklärung Ihres Traumkanzlers Brandt mit den großen Versprechungen gesagt hat, was seinerzeit gewesen ist.
Hier, meine Damen und Herren, stellt sich die Frage: Wie kommen wir aus diesem Teufelskreis des rückläufigen Absatzes heraus?
Meine Fraktion ist mit der Regierung einig,
daß wir nach einer Stabilisierung der Verhältnisse dringend darangehen müssen, das wieder zu installieren, was notwendig ist, nämlich Absatzwege für die heimische Kohle zu schaffen, damit wir die 32 Millionen Tonnen einschließlich der sogenannten nationalen Reserve wieder in den Verkehrsfluß bringen können, um damit die Schäden zu heilen, die bis jetzt eingetreten sind.
Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege. Ich bitte, die Rede zu beenden.
Ich glaube daher, daß die im Etat ausgewiesenen Maßnahmen zur Kohleveredelung und für weitere Demonstrationsanlagen absolut der richtige Weg sind.
Danke schön. — Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft, Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß in der Tat sagen — erlauben Sie mir das bitte sowohl an die Adresse der Opposition als auch an die Adresse der CDU/CSU zu sagen —: Haben wir uns nicht jahrelang darum bemüht, eine gemeinsame Basis gerade für die Kohlepolitik zu finden? Haben wir sie nicht gefunden? Was soll eigentlich eine so geführte Debatte in diesem Stil angesichts der gegebenen Probleme?
Herr Kollege Wolfram, ich möchte Ihnen sagen, Sie müssen doch der neuen Regierung wenigstens Zeit lassen, um neue Fehler zu machen,
wenn Sie sich nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen wollen, daß es noch die alten sind.Es hat sich an der Energiepolitik, Herr Wolfram, meine Damen und Herren, jedenfalls in diesem Bereich — es gibt ja noch andere Bereiche der Energiepolitik, die früher kontroverser waren — nichts geändert, und es bleibt beim Vorrang der Steinkohle. Die Formulierung „Vorrangiger heimischer Energieträger bleibt die deutsche Steinkohle", wie sie der Bundeskanzler gewählt hat, ist doch völlig zutreffend, ist doch völlig in Ordnung und nimmt nichts von dem weg, was bisher gemeinsame Grundlage der Energiepolitik in diesem Bereich gewesen ist. Sie können es auch nicht wegnehmen, Herr Wolfram, auch wenn Sie es gerne würden. Ich kann Ihnen hier für die Bundesregierung nur sagen: Es ist nicht der Fall.Wie drückt sich denn der Vorrang der deutschen Steinkohle aus? Es nutzt j a nichts, mit Schlagworten und Formeln zu operieren. Er drückt sich mit dem Vertrag zwischen dem deutschen Steinkohlebergbau und der Elektrizitätswirtschaft vom April 1980 aus. Darin und damit ist der Vorrang der deutschen Steinkohle bei der Stromversorgung festgelegt. Oder sind wir darin nicht einig?
— Dies, Herr Wolfram, haben Sie in der Debatte am 12. Juni 1980 bei der Verabschiedung des Dritten Verstromungsgesetzes ausdrücklich festgestellt. Damit verwirklichen wir — damals waren wir noch in einer Regierung — das Prinzip „Vorrang der Kohle". Nun haben sich zwar die Koalitionen geändert, aber deswegen können sich doch die Sachprobleme nicht in ihrer Richtigkeit ändern.
— Nein, ich zitiere Sie nicht unvollständig. Ich zitiere die dritte Fortschreibung, die wir alle miteinander getragen haben, und zwar alle drei Fraktionen — in diesem Punkte alle drei Fraktionen!Meine Damen und Herren, es bleibt aber dabei, daß eines nicht zu schaffen ist. Sie können einen garantierten Absatz für die deutsche Steinkohle im Bereich der Stromversorgung schaffen. Dies ist geschehen. Zu diesem „Jahrhundertvertrag", wie er genannt worden ist, stehen wir nach wie vor. Herr Jens, es ist schon ein Stück Rücksichtslosigkeit gegenüber den EVUs, ihnen vorzuwerfen, sie betrieben nur ihre Interessenpolitik. Der Vertrag geht so weit, daß sie die Steinkohle für die Stromversorgung sogar abnehmen müssen, wenn sie sie gar nicht brauchen können. Selbst das ist in dem Vertrag, den wir miteinander durchgesetzt haben, unterschrieben worden.
Was sollen die Publikumsbeschimpfungen von dieser Stelle?
— Das ist die Frage, ob sie mehr tun könnten. Jedenfalls können sie doch eines nicht: Wenn die Stahlindustrie auf der Nase liegt und wenn die Stahlproduktion auf der Nase liegt, dann ist es schon — entschuldigen Sie, Herr Wolfram — einigermaßen niederträchtig, zu sagen: „Die schlechte
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7650 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffAbsatzlage kommt ihnen zupaß". So haben Sie hier eben formuliert: „Zupaß". Dies ist eine niederträchtige Bemerkung.
Deswegen, Herr Kollege Wolfram, bin ich sehr einverstanden, wenn Herr Beckmann sagt, daß Sie hier mehr eine Wahlkreisversammlung zur Wiederaufstellung bestreiten, als daß Sie eine ernsthafte Debatte führen.
Meine Damen und Herren, wir können doch an der Absatzlage von Kokskohle in der Stahlindustrie nichts kraft Regierungsukas ändern. Wir konnten mit dem Jahrhundertvertrag bei den EVUs etwas ändern, aber auch dies doch nur mit der Verstromungsabgabe, mit dem sogenannten Kohlepfennig. Jeder, Herr Jens, weiß, daß die Zustimmung der revierfernen Länder zum Dritten Verstromungsgesetz im Bundesrat nicht zuletzt darauf beruht, daß man ihnen eine einigermaßen entgegenkommende Importkohlenregelung gegeben hat. Wenn Sie die Importkohlenregelung in Frage stellen, stellen Sie den Jahrhundertvertrag und damit die Verstromungsgrundlage in Frage und erweisen dem deutschen Steinkohlebergbau einen Bärendienst.
So einfach kann man doch die Zusammenhänge nicht auflösen wollen. Der Zusammenhang ist aber so, denn Sie brauchen die Zustimmung der Bundesländer.
— Aber ich bitte Sie, wir haben doch mit denen gesprochen. Sie haben ihre revierfernen Interessen. Die revierfernen Interessen heißen: Wir brauchen ein Strompreisniveau, mit dem wir leben können, wir brauchen ein Strompreisniveau, das zum Teil auf Importkohle basiert. Will eigentlich irgend jemand von Ihnen hingehen und von heute auf morgen die Importkohleverträge mit der Volksrepublik Polen kündigen? Meine Damen und Herren, „Butter bei die Fische", die Konsequenzen diskutieren, die Sie hier alle nur andeuten!
— Wenn Sie es nicht von heute auf morgen machen, dann müssen wir eben darüber reden, daß sich Bergbaukapazitäten in der bestehenden schwierigen Absatzlage dieser gegebenen Situation anpassen müssen, und es ist jedermann klar, daß wir um Kurzarbeit, um Wochenendblöcke und ähnliche Dinge leider nicht herumkommen werden.
— Verehrter Herr Wolfram, die Stillegung der Zeche „Erin" ist von der Zeche im Mai beschlossen worden! Im Mai haben die Gespräche mit uns angefangen. Wir sind mit der nordrhein-westfälischen Regierung darüber einig, daß die Stillegung nicht vermeidbar ist.
— Das werden wir j a sehen! Wir haben j a die Gespräche — —
— Nein! Wir wissen ganz genau, daß die Zeche „Erin" zu 90 % ihrer Förderung Kokskohle fördert, die nicht absetzbar ist, die man nicht verkaufen kann, daß das Aufrechterhalten und Weiterbetreiben der Zeche „Erin" in den nächsten Jahren bis zu 500 Millionen DM kosten würde, daß der Vorstand von uns eine Absatz- und Erlösgarantie verlangt und daß wir uns deswegen darum bemüht haben, in Übereinstimmung mit dem Ruhrbergbau, also mit der Ruhrkohle Aktiengesellschaft, die Sie ja kennen, und mit dem EBV dafür zu sorgen, daß die Belegschaften, die dabei freigesetzt werden, Arbeitsplätze finden und nicht ins Leere fallen.
Aber eine Aufrechterhaltung einer derart kostenungünstigen Zeche, die ihre Produkte nicht absetzen kann,
und eine Gefährdung aller anderen Anlagen beim EBV ist wohl auch von Ihnen nicht zu vertreten und ist nicht möglich.
Ich sage Ihnen noch einmal: Die ersten Gespräche haben im Mai begonnen, und auch die Gespräche mit Nordrhein-Westfalen, mit der IG Bergbau und mit dem Unternehmensverband fanden lange vor dem Regierungswechsel statt. So schnell entwickeln sich doch solche Sachen nicht; das wissen Sie wie ich.
Die letzte Bemerkung an Herrn Jens — ich will versuchen, es so kurz wie möglich zu machen, um die Debatte nicht zu verlängern —: Sie sagten, der Haushalt 1983 stelle die Weichen falsch. Er stellt aber die Weichen genauso wie der Entwurf vom Sommer, wobei es eine Ausnahme gibt: 160 Millionen DM weniger bei der Kokskohlenbeihilfe. Warum? Weil die Absatzmengen bei der Kokskohle niedriger und damit die Ansprüche niedriger sind und weil der Dollarkurs sich anders entwickelt hat; und jeder, meine Damen und Herren, weiß,
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7651
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffdaß bei der Kokskohlenbeihilfe immer eine riesige Unsicherheit gegeben ist, daß es hier gelegentlich Nachbesserungen und Nachtragshaushalte, gelegentlich aber auch Ausgabenersparnis gegeben hat.Der zweite Punkt, Herr Jens, ist, daß die Investitionshilfenkürzung seinerzeit zwischen uns vereinbart worden ist. — Aha, jetzt wird das zugegeben, aber von hier oben wird getönt und behauptet, wir würden die Investitionshilfen streichen!
Meine Damen und Herren, bei der Fernwärme und bei den Heizkraftwerken wird der Ansatz gegenüber dem Haushalt 1982 um genau 100 % aufgestockt. Es ist richtig, daß wir im Sommer im ersten Ansatz 200 Millionen DM hatten und daß wir jetzt noch 100 Millionen DM haben. Warum? Weil die Länder uns haben wissen lassen, daß sie mit einem Betrag, der über zusätzliche 50 Millionen DM, also insgesamt 100 Millionen DM, hinausgeht, jetzt nichts anfangen können. Alle Projekte, die auf der Rampe sind, können mit dem jetzigen Ansatz finanziert werden.Meine Damen und Herren, ich hoffe zuversichtlich, daß wir diese wichtigen Gespräche — die Kohle-Runde steht j a an — in einer anderen Atmosphäre, als sie hier gegeben ist, werden führen können. Und ich schöpfe meine Hoffnung daraus, daß der Kollege Adolf Schmidt an dieser Debatte heute in dieser Form nicht teilnimmt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuschenbach.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst muß ich den Versuch zurückweisen, die nordrhein-westfälische Landesregierung für Taten und Maßnahmen der derzeitigen Bundesregierung in Anspruch zu nehmen.
Dieser Versuch ist deshalb unzulässig, weil er darauf basiert, einen Brief des Bundeswirtschaftsministers selbst dafür als Zeugnis, als Wahrheitsbeweis in Anspruch zu nehmen; und nicht einmal das, was darin steht, ist geeignet, die Landesregierung ins Obligo zu nehmen.Das, was dort zu Papier gebracht worden ist, lautet: Der Vorstand eines Unternehmens beziffert ein Risiko auf 500 Millionen DM. Diese Risiken — so Lambsdorff — kann die öffentliche Hand nicht übernehmen; hierüber besteht Einvernehmen mit dem Minister der Landesregierung.Verzeihen Sie, wenn man bezüglich der Größe eines Risikos einvernehmlich mit jemandem auseinandergeht, kann man ihn ja nicht gleichzeitig dafür in Anspruch nehmen, daß in einer bestimmten Situation nicht alternative Konsequenzen gezogen werden. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen wird sich äußern, und sie ist zur Zeit nicht für das in Anspruch zu nehmen, was an Zechenstillegungen aus den Beschlüssen der derzeitigen Bundesregierung folgt.
Man kann den Sozialdemokraten eine ganze Menge vorhalten; nur gibt es in dem Punkt kein „Grüß Gott", daß sich über die letzten zehn Jahre hinweg die beiden anderen Fraktionen eher zögernd, eher bremsend, eher abwehrend verhalten haben, wenn es darum ging, der Kohle eine sichere Position zu geben.
Selbst wenn sich der Bundeswirtschaftsminister, was in Ordnung ist, heute zu früheren gemeinsamen Beschlüssen bekennt, so muß doch gesagt werden: Sie sind im Kern fast alle gegen den hinhaltenden Widerstand des Bundeswirtschaftsministeriums durchgesetzt worden. Wir mußten eher anheizen, Ihnen eher auf die Sprünge helfen, als daß Sie in dieser Bewegung, in dieser Energie- und Kohlepolitik die Führenden gewesen wären.
In Wirklichkeit ist es im Augenblick so, daß eiskalt und mit schönen Worten vernebelt die Wende in der Energie- und Kohlepolitik eingeläutet ist. Das ist keine Unterstellung, Herr Minister. Da gibt es ja dem guten Satz: An den Taten sollt ihr sie erkennen, nicht an den schönen Worten.Was im Haushalt 1983 für die Kohle- und Energiepolitik vorgesehen ist, und zwar auf Grund von Beschlüssen, die Sie gefaßt haben, ist die klare Wende. Es handelt sich erstens um eine klare Streichung in dramatischer Größenordnung bei allen Titeln der Kohlepolitik,
zweitens um eine in diesem Zusammenhang unverantwortliche Erhöhung der Ausgaben für die fortgeschrittenen Reaktorlinien.
Sie wissen ganz genau, daß ich in dem Punkt in meiner Fraktion nicht so ganz unumstritten war und bin und daß ich mich zusammen mit anderen und auch gegen andere in der Enquetekommission „Zukünftige Kernenergiepolitik" für die Verantwortbarkeit der Inbetriebnahme des Schnellen Brüters eingesetzt habe. Aber ich muß Ihnen sagen: Der Punkt ist gekommen, wo diese Solidität einer ausgewogenen Kohle- und Kernenergiepolitik überstrapaziert wird, dann nämlich, wenn in dieses Faß ohne Boden 500 Millionen DM neu hineingeschüttet werden, während 100 bzw. 150 Millionen DM bei der Kokskohlebeihilfe gestrichen werden, was beim Eschweiler Bergwerksverein natürlich zu weiteren Schwierigkeiten führen muß.
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ReuschenbachWas sich hier niederschlägt, ist aus der Sicht der neuen Regierung logisch. Die Regierung sagt: Mehr Markt, mehr Markt überall, auch bei der Energiepolitik! Daraus folgt für sie natürlich völlig logisch, daß der Bergbau dem Markt überantwortet wird. Dann soll er eben sehen, wie er im Makt zu Rande kommt. — Das ist Ihre Logik. Zu dieser sollten Sie sich wenigstens bekennen. Sie sollten den Mut haben, die Konsequenzen aus Ihrer Theorie „mehr Markt für die Energiepolitik" zu ziehen. Allerdings müssen diese Konsequenzen Sie verantworten.
Jedermann weist natürlich zu Recht darauf hin, daß der Absatz zur Zeit nicht so toll ist. Aber wenn das ein Grund gewesen wäre, den Bergbau im Sturzflug zu Boden gehen zu lassen, dann wäre er in der Bundesrepublik schon längst nicht mehr existent. Diese Kurzsichtigkeit war in Ihrer Politik schon einmal Mitte der 60er Jahre vorhanden, als Herr Erhard aus dem Ruhrkohlehaus in Essen hinauslief und sagte: Meine Herren vom Bergbau, Sie werden das alles noch bitter bereuen! — In der Tat, da begann eine Phase des Bereuens.
Die Sozialdemokraten haben Stetigkeit in die Energie- und Kohlepolitik hineingebracht und nicht kurzatmig auf die Tagesabsatzzahlen geschielt.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende, und zwar sofort.
Das sollten Sie auch für die Zukunft mit uns gemeinsam beherzigen.
Wir sind bereit zur Zusammenarbeit, wenn es bei dem alten Kurs bleibt. Alles spricht aber dafür, daß Sie den Kurs in Richtung Sturzflug zu Lasten der Steinkohle eingeläutet haben. Aber Sie wagen noch nicht, sich dazu zu bekennen. — Danke.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Prangenberg.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Helmut Kohl hat in der Regierungserklärung gesagt: Vorrangiger heimischer Energieträger bleibt die deutsche Steinkohle.
Zu diesem klaren Bekenntnis zur Kohlevorrangpolitik steht auch die CDU/CSU-Fraktion in diesem Hause uneingeschränkt.
Natürlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, wissen wir um die Schwierigkeiten im deutschen Steinkohlebergbau.
Diese Schwierigkeiten gibt es seit gut einem Jahr. Dennoch möchte ich Sie gerade daran erinnern, daß es die alte Bundesregierung war, die in Erkenntnis der zunehmenden Probleme bei der Kokskohlebeihilfe und bei den Investitionsbeihilfen gekürzt hat. Herr Kollege Reuschenbach, wo blieb denn da Ihr öffentlicher Protest, und wo bleibt denn da der öffentliche Protest der SPD-Fraktion? Auch diese Frage müssen wir hier einmal kurz aufwerfen.
Um so mehr — der Bundeswirtschaftsminister hat es j a schon gesagt — begrüßen wir es, daß in wenigen Tagen Vertreter des Kohlebergbaus, der IG Bergbau und Energie und der Kohleländer sich an einem Tisch zusammensetzen und über Lösungsmöglichkeiten nachdenken. Dies halten wir für sicher sinnvoller, als parlamentarisch, Herr Kollege Wolfram, aus der hohlen Hand allein für Wahlkampfzwecke Emotionen anzuheizen.
Aber wir sagen auch: Kohlepolitik darf sich langfristig nicht darin erschöpfen, finanzielle Mittel ohne irgendwelche Zukunftsperspektiven zur Verfügung zu stellen. Wir müssen festhalten: Die EVUs haben ihre Verpflichtungen aus dem Jahrhundertvertrag voll erfüllt. Die Importkohle, so wie sich das 1982 abspielt, beeinträchtigt den Absatz der heimischen Kohle nicht. Wir wissen weiter, daß wir den Hüttenvertrag verlängern müssen.Diese Kenntnisse erfordern eine realistische Einschätzung des Kohleabsatzes in den 80er Jahren. Deshalb müssen wir einmal darüber nachdenken, welche Chancen wir der Kohle langfristig im Wärmemarkt und in der Kombination mit fortschrittlichen Technologien geben.Hier können sich Chancen eröffnen,
allerdings, Herr Kollege Stahl, auch Konflikte.
Deshalb bin ich sehr gespannt z. B. darauf, wie sich die SPD-Kollegen in Anbetracht der grünen Anbiederungsstrategie vor Ort verhalten, wenn es darum geht, unserer heimischen Kohle in Zukunft Absatzmärkte zu sichern.
Die Beratungen über die TA Luft in wenigen Monaten werden es schon deutlich zeigen.Bei aller Kritik — lassen Sie mich das als letztes anführen — gab es im Deutschen Bundestag so etwas wie eine Gemeinsamkeit des Parlaments in den Grundlagen der Kohlepolitik, Herr Kollege Jens.
Diese grundlegende Gemeinsamkeit hat sich in den 70er Jahren durchaus bewährt. Sie jetzt allein aus Wahlkampfgründen aufzukündigen,
halten wir für kurzsichtig
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Prangenberg
und für letztlich auch nicht im Interesse der Arbeitnehmer des deutschen Steinkohlebergbaus.
Wer die Grundlagen einer letztlich gemeinsamen Kohlepolitik aufkündigen will und wer meint — und dies ist heute leider deutlich geworden —, in der Kohlepolitik einen Hebel gegen die neue Bundesregierung ansetzen zu müssen, wird der politischen Verantwortung gegenüber dem Steinkohlebergbau und den Bergleuten in den Steinkohlerevieren nicht gerecht. Darüber sollten Sie einmal in Ruhe nachdenken.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Berschkeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten wissen, daß man auf längere Sicht keine Kohle fördern kann, um sie auf Halde zu schütten. Wir sind aber entschieden dagegen, in die Politik der CDU/CSU der 60er Jahre zurückzufallen, als wegen mangelnder politischer Intelligenz der damaligen Regierungen Zechenschließungen als Politik angesehen wurden.
Bloße Bekundungen, die Kohlevorrangpolitik fortzuführen, genügen uns nicht. Jüngst war in der Presse zu lesen, daß die deutsche Stromwirtschaft mit Engpässen in der Stromversorgung um die Jahrtausendwende für den Fall droht,
— Sie können mich nicht aus der Ruhe bringen —, daß der zügige Ausbau der Kernenergie nicht ermöglicht wird.
Das ist eine mehr als eigenartige Aussage, wenn man weiß, daß im Aachener Revier ein 750-Megawatt-Kraftwerk in Siersdorf, dessen Bau vor ca. zwei Jahren ohne einen einzigen Widerspruch genehmigt wurde, bis heute nicht gebaut werden kann,
weil die deutsche Stromwirtschaft keine Abnahmegarantie für den dort erzeugten Strom gibt. Dieses Kraftwerk würde je nach Auslastung einen Kohle-verbrauch von dreiviertel bis 1 Million Tonnen im Jahr haben. Es würde also rund ein Drittel der Jahresförderung der beiden Zechen Sophia Jacoba und des Eschweiler Bergwerksvereins sichern. Da der Eschweiler Bergwerksverein aber einen Kokskohleanteil von rund 35 bis 40% hat, ist dieses Kraftwerk beim derzeitigen und weiterem Rückgang des Koksverbrauchs für das Aachener Revier lebenswichtig.
Offensichtlich vertraut aber die deutsche Stromwirtschaft darauf, daß die neue Bundesregierung dem Ausbau der Kernenergie so eindeutig den Vorrang gibt, daß auf das Steinkohlenkraftwerk verzichtet werden soll. Die fast bedingungslose Zusage, die Inbetriebnahme der beiden umstrittenen Forschungsreaktoren zu ermöglichen, läßt von dieser Bundesregierung für den deutschen Steinkohlenbergbau Schlimmes fürchten.Aber nicht nur für den Steinkohlenbergbau, sondern auch für die sehr billige Braunkohle. Denn nach einem Bericht der „Westdeutschen Zeitung" vom 30. August 1982 erklärte der damalige CDU- Vorsitzende und heutige Übergangskanzler Dr. Kohl in Krefeld,
er werde nicht zulassen — jetzt hören Sie zu —, daß durch den Braunkohlenabbau die Landschaft verhunzt werde;
er werde den Ausbau der Kernenergie betreiben. Sie, Herr Dr. Spies, tönen in Erkelenz nicht anders;
die hiesigen Zeitungen bekunden das. Das ist eine beängstigende, wahrlich beängstigende Aussage für unsere Volkswirtschaft.Wir sollten durch die Ölschocks der letzten Jahre gewarnt sein. Unsere Kohle ist unser einziger nennenswerter Rohstoff. Er muß auch im Interesse späterer Generationen verwertet werden. Das Verhalten der derzeitigen Regierung birgt eine mehr als beängstigende Zukunft für den deutschen Steinkohlenbergbau in sich
sowie ein herz- und liebloses Spiel mit den Arbeitsplätzen und somit mit dem Schicksal Zigtausender Kumpels
an Rhein, Ruhr, im Aachener Revier und an der Saar durch diese Rechtskoalition.
Dadurch werden Pressemeldungen, wonach dieseRegierung den Rückgang der Kohleförderung von
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Berschkeitderzeit 92 Millionen auf 60 oder gar 56 Millionen Tonnen hinnehmen will
— doch! — bestätigt. Im Interesse der deutschen Volkswirtschaft, aber vor allem auch im Interesse der Menschen warnen wir diese Übergangsregierung, auch in der Kohlepolitik eine Wende nach vorgestern vorzunehmen. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will noch einmal den Versuch machen, daß wir hier trotz bevorstehender Wahlkämpfe zur Gemeinsamkeit in der Kohlepolitik zurückkommen,
so wie es schon vom Kollegen Prangenberg angesprochen worden ist und wie es auch der Herr Bundeswirtschaftsminister angesprochen hat.
Herr Wolfram, Sie haben von dem Vertrauen der Bergleute gesprochen. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt. Herr Jens, Sie haben die gute Zusammenarbeit in der Vergangenheit zwischen den Unternehmen und allen Fraktionen des Deutschen Bundestages hervorgehoben. Auch das ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt. Begehen wir doch um Himmels willen nicht den Fehler, eben dieses Vertrauen zu zerstören, Herr Wolfram, und die Zusammenarbeit in dieser Situation aufzukündigen, die nun unbestritten eine schwierige Situation ist, weil die Stahlkrise über die Absatzeinbußen bei der Kokskohle dorthin durchschlägt.
Ich meine, wir sollten dieses Einvernehmen nicht aufgeben.
Wenn ich höre, daß es Geheimstudien gibt — mein Vorredner hat gesagt, da solle in Kauf genommen werden, daß die Produktion bis auf 60 Millionen Tonnen heruntergefahren wird —, und dann Versuche, den Spuren nachzugehen, woher denn diese Zeitungsmeldungen kommen, auf die man sich jetzt beruft, dann stelle ich fest, daß die von Ihnen selbst kommen, meine Damen und Herren.
So kann man natürlich Verunsicherung schaffen, die von der Sache her nicht geboten ist.
Herr Jens, Sie haben gemeint, die Bundesregierung sollte bei der Importkohle weitere Restriktionen vornehmen, um von daher Lösungen zu schaffen.
— Freiwillig, gut. — Aber Sie wissen doch ganz genau, daß die Importe in diesem Jahr z. B. sogar leicht rückläufig sind. Sie wissen auch, daß Verstromungskohle nicht unbedingt dasselbe ist wie Kokskohle. Das heißt, was in dieser Richtung von der Sache her vernünftigerweise getan werden kann, das wird auch gemacht.
Herr Reuschenbach, Sie haben sich dagegen gewehrt, daß die Landesregierung Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit der Zeche Erin dafür in Anspruch genommen wird, daß im Zweifel nach allen Überlegungen betriebswirtschaftlicher Logik diese Anlage, so weh uns das tut, über kurz oder lang vorzeitig geschlossen werden muß. Nachdem Sie das so vehement zurückgewiesen haben, warte ich nun gespannt darauf, welche Vorschläge die Landesregierung Nordrhein-Westfalen machen wird, ob sie bereit ist, die Absatzgarantien für Erin zu geben, ob sie bereit ist, die Selbstbehaltkosten bei der Kokskohle für Erin zu übernehmen usw. Ich glaube allerdings, daß wir auf solche Angebote der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen vergeblich warten. Sie wären ja auch im Zweifel von der Sache her nicht richtig.
Herr Reuschenbach, Sie haben dann gesagt, die Wende in der Kohlepolitik sei eingeleitet worden. Sie leiten das ab aus den 160 Millionen DM Minderansatz bei der Kokskohlebeihilfe und aus dem geringfügigen Minderansatz bei dem Fernwärmeausbau.
Der Bundeswirtschaftsminister hat Ihnen dazu sehr klar und dezidiert gesagt, warum diese Absenkungen erfolgt sind, nämlich schlicht und ergreifend deshalb: Wenn weniger Kokskohleabsatz da ist, braucht man auch weniger Beihilfen, und wenn der Dollarkurs sich ändert, braucht man etwas weniger. Nichts anderes ist mit diesem Haushaltsansatz gemeint.
Wenn Sie, Herr Reuschenbach, das als „Wende" bezeichnen, dann verstehe ich allerdings, warum es so schwierig war, daß wir mit Ihnen zusammen eine Wende in anderen Politikbereichen erzielen konnten. Wenn es in vielen Politikbereichen eine Wende gibt, in der Kohlepolitik werden wir darauf achten, daß strikte Kontinuität gewahrt bleibt.
Das Wort hat Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Reuschenbach hat gemeint, wir wollten das Land Nordrhein-Westfalen in eine Verantwortung nehmen, die so nicht beste-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffhe. Ich sehe, daß das Land Nordrhein-Westfalen auf der Bundesratsbank vertreten ist. Ich würde es dankbar begrüßen, Herr Haak, wenn Sie Ihre Position darlegen würden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lammert.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, Sie nehmen mich als Übergangsredner bis zu den Ausführungen des Bundesratsministers von Nordrhein-Westfalen in Kauf.
Es ist leider allemal einfacher, in fünfminütigen Redebeiträgen Verwirrung und Verunsicherung zu erzeugen, als in gleichlangen Beiträgen die Klarheit und den Zustand wiederherzustellen, den wir jedenfalls vor dieser Debatte hatten, nämlich eine nahezu nahtlose Übereinstimmung in der Kohlepolitik durch alle Fraktionen dieses Hauses.Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist natürlich allemal leichter, vollmundige Erklärungen, Zusagen und Ankündigungen zu machen, wenn das Risiko gering ist, sie anschließend einlösen zu müssen. Auch das muß an dieser Stelle gesagt werden.Ich will die Eckpunkte der Kohlepolitik dieser Regierung noch einmal in einigen wenigen Punkten zusammenfassen. Erstens. Bundesregierung und Koalition halten unverändert an der Kohlepolitik fest, die in der Dritten Fortschreibung des Energieprogramms festgelegt worden ist. Die Sorge, die Herr Wolfram gleich zu Beginn in diesem Punkt ausgedrückt hat, ist schon deswegen vollständig abwegig, weil das Gezeter, Herr Wolfram, um das Zustandekommen dieses Energieprogramms doch nicht an den Meinungsverschiedenheiten zwischen der Regierung und der damaligen Opposition CDU gelegen hat, sondern eine weitgehende Übereinstimmung zwischen der Regierung Schmidt und der CDU schon damals bestanden hat, die selbstverständlich auch nach Verabschiedung dieses Programms in der neuen Koalition fortdauert.
— Ich sehe, daß der Kollege Wolfram jetzt völlig damit ausgelastet ist, den Bundesratsminister von der Notwendigkeit eines Beitrags zu überzeugen.
Zweitens. Die Lage des Steinkohlebergbaus hat sich in der Tat seit Beginn dieses Jahres dramatisch verschlechtert. Nur, meine Damen und Herren von der Opposition: Es ist natürlich schlichter Unfug, so zu tun, als habe diese Verschlechterung der Lage etwas mit dem Regierungswechsel zu tun. Sie hat ohne Frage etwas zu tun mit den dramatischen Einbrüchen im Bereich der Stahlindustrie. Darüber brauchen wir hier doch nicht zu streiten.Drittens. Die von der alten Regierung zugesagten Kohlehilfen werden in der im Energieprogramm dargelegten Weise fortgeführt.
Viertens. Wenn es überhaupt, Herr Reuschenbach, so etwas wie eine Wende in der Kohlepolitik gibt, dann hat sie in den Jahren 1981/82 stattgefunden, als unter Ihrer Verantwortung 800 Millionen DM aus dem Kohletitel des Bundeshaushalts herausgestrichen wurden.
Fünftens. Weitere Beschränkungen der Kohleimporte sind weder möglich noch notwendig. Sie sind deswegen nicht notwendig, weil die Kontingente für Importkohle im Augenblick gar nicht ausgenutzt werden und weil eine Steigerung der Kohleimporte in diesem Jahr gar nicht stattfindet.Sie sind aber sechstens überhaupt nicht möglich, weil damit zum einen der Jahrhundertvertrag mit der Elektrizitätswirtschaft gefährdet würde und zum anderen auch die Investitionen von Industrieunternehmen obsolet würden, die wegen dieser bestehenden Regelung den Verbrauch von 01 durch den Verbrauch von Kohle ersetzt haben. Es ist schlicht Unfug, nun Effekte zu erzeugen, die die mittel- und langfristigen Absatzchancen der deutschen Kohleindustrie nicht verbessern, sondern weiter verschlechtern würden.
Siebtens. Die deutsche Steinkohle muß in der Tat ihre Förderung an die konjunkturellen und insbesondere an die strukturellen Veränderungen anpassen. Den Betroffenen anderes zu erzählen, wäre schlicht unredlich.
Die Bundesregierung kann und wird die in diesem Zusammenhang notwendigen Maßnahmen im Rahmen der bestehenden Regelungen und der haushaltspolitischen Grenzen flankieren.
Achtens. Die Bundesregierung — Herr Wolfram, es ist Ihnen offensichtlich höchst unangenehm, an die Politik erinnert zu werden, die Sie selbst bis vor wenigen Monaten in diesem Hause verfolgt haben — kann schon deshalb keine Fördergarantien geben, weil sie auch keine Absatzgarantien geben kann. Deshalb hat auch in dem Energieprogramm, das Sie hier vorgelegt haben, eine solche Förderoder Absatzgarantie nicht gestanden, es sei denn, der Bundeswirtschaftsminister hätte einen zusätzlichen Bedarf an Kohle, um der Opposition weiteres Feuer unter den Stühlen zu machen.Neuntens. Wir sind allerdings der Meinung, daß im Interesse einer sicheren Energieversorgung die wesentliche Erhaltung von Förderkapazitäten stattfinden muß, weil dies im nationalen Interesse liegt.
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Dr. LammertZehntens. Der Vorrang für die Kohlepolitik — Herr Wolfram, auch das will ich hinzufügen — darf aber nicht ein bequemes Alibi für Entscheidungsunfähigkeit im Bereich der Kernenergiepolitik sein. Wir halten daran fest, daß im Interesse unserer Energieversorgung der Verbund von Kohle und Kernkraft aufrechterhalten bleiben muß. Wir wissen, daß wir bei Ihnen und manchen Ihrer Kollegen, aber eben nicht bei allen, damit offene Türen einrennen. Nun danken Sie dem Himmel, daß wir endlich eine Regierung haben, die das auch machen kann, was Sie selber für richtig halten!
Das Wort hat der Abgeordnete Fischer .
Frau Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit ist mitgeteilt worden, daß ich meine fünf Minuten Redezeit nicht voll ausschöpfen kann. Deshalb werde ich mich kurz fassen.
Herr Minister, wenn man Sie heute morgen hier gehört und Ihr Interview gelesen hat, das in der Mittwochsausgabe der in Dortmund erscheinenden „Westfälischen Rundschau" steht, kann man einen eklatanten Dissens feststellen. Deshalb sollten Sie hier vor diesem Hause sagen, was Sie in Wirklichkeit wollen.
In dem Interview fordern Sie eine Drosselung der Kohleförderung. Sie sagen in dem Interview, daß eine Garantie für eine Jahresförderung in Höhe von 90 Millionen t nicht gegeben werden kann. Sagen Sie hier ganz offen: Was wollen Sie überhaupt? Von welcher Zahl gehen Sie aus?
Sagen Sie auch, wie Sie sich bezüglich der Importkohle verhalten wollen, welche Maßnahmen Sie in diesem Zusammenhang treffen wollen.
Ich rede hier als jemand, der aus einem gebeutelten Land kommt, nämlich aus dem Saarland, in dem seit Jahren Monostrukturen von Kohle und Stahl herrschen. Eine Situation, die für den Stahlbereich eine Krise bedeutet, hat zur logischen Konsequenz, daß natürlich auch bei uns im Bereich der Steinkohle eine Krise gegeben ist.
Der saarländische Bergbau hat kurzfristig drastische Anpassungsmaßnahmen durchführen müssen, nämlich Kürzungen und Verschiebung von Investitionsvorhaben, Einstellungsstopp und Personalabbau. Ich habe eine Schätzung des Bundeswirtschaftsministeriums von 1980. Damals ging man von folgender Zahl aus: inländische Kohlenachfrage 108 Millionen Tonnen. Aus heutiger Sicht — auch wieder BMWi — geht man davon aus, daß um 15 Millionen Tonnen heruntergefahren werden muß. Die Kürzungen erfolgen danach in folgenden Bereichen: 4 Millionen Tonnen auf dem Wärmemarkt — man geht davon aus, daß sich der Olsubstitutionsprozeß verlangsamt —, 3 Millionen Tonnen im Stahlbereich und — jetzt kommt es — 8 Millionen Tonnen im Kohleveredelungsbereich. Daran wird exakt klar, wo man die Prioritäten setzt.
Ich möchte hinzufügen: Wer den Ausbau der Kernenergie ohne Wenn und Aber fordert, wie Sie, meine Kollegen von der CDU/CSU
: Wer tut das
denn?)
— wir haben einen Katalog; ich kann Ihnen diesen Katalog zuschicken —, führt einen Krieg gegen die Kohle.
Und wer gegen die Kohle Krieg führt, führt einen Krieg gegen Nordrhein-Westfalen und gegen die Saar.
Als Saarländer sage ich Ihnen: Wir werden uns gegen diejenigen wehren, die gegen Saarländer und saarländische Arbeitnehmerinteressen Krieg führen. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren!
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Kohle und Stahl bilden gerade im Saarland seit Jahrhunderten eine Einheit. Damit sind auch die Probleme beider miteinander verwoben.Wir haben in der vergangenen Sitzungswoche über die Stahlkrise debattiert. Durch die Beschlüsse der Bundesregierung in der vergangenen Woche ist ja wohl zunächst einmal das Schlimmste für das Unternehmen Arbed Saarstahl GmbH abgewendet worden. Dafür will ich mich bei der Bundesregierung ausdrücklich bedanken.Es ist die schlimmste Krise, die die Stahlindustrie an der Saar bisher mitgemacht hat. Die Saarbergwerke und ihre 25 247 Bergarbeiter haben schon die Befürchtung, daß die Krise des Saarstahls auch auf den saarländischen Bergbau überspringt. Woran das alles liegt, haben wir ja in der vergangenen Sitzungswoche in der Stahldebatte ausgeführt.An der Saar liegen derzeit neben der nationalen Steinkohlenreserve 2,2 Millionen Tonnen Kohle auf Halde. Das bedeutet fast eine halbe Milliarde Mark Lagerkosten jährlich. Das ist zwar besorgniserregend, aber zur Hoffnungslosigkeit besteht kein Anlaß; denn wir sind zuversichtlich, daß es in der Kontinuität der Kohlepolitik weitergeht. Das gilt insbesondere nach der Regierungserklärung unseres Bundeskanzlers.
— Wir haben allen Anlaß, auch weiterhin optimistisch zu sein.Der Bund und das Saarland sind Anteilseigner bei den Saarbergwerken. Von 1959 bis 1980 sind ins-
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Müller
gesamt 1 800 Millionen DM seitens des Bundes an Kapitalleistungen und Hilfsmaßnahmen geflossen. Auf den saarländischen Steinkohlenbergbau sind in dieser Zeit 624 Millionen DM an Hilfsmaßnahmen und Kapitalleistungen entfallen. Angesichts der enormen Belastungen für dieses kleine Bundesland wirbt das Saarland um Verständnis auch für die gewährten Hilfen im Stahlbereich; denn das wird doch jeder zugeben: Die eben aufgezeigte Belastung ist überproportional, bezogen auf die Größe dieses Bundeslandes. Letztlich ist das aber der Preis für eine größere Unabhängigkeit in der Energiewirtschaft, den wir alle zahlen müssen.So habe ich, meine verehrten Kollegen von der SPD, auch persönlich den Eindruck, daß die Meinungsverschiedenheiten, die heute morgen zum Ausdruck gekommen sind, im Kern überhaupt gar nicht so groß sind. In den Reden, die Sie in den letzten Jahren sowohl im Ausschuß als auch im Plenum in Sachen Kohlepolitik gehalten haben, waren — wenn ich einmal von den polemischen Tönen absehe — so gravierende Unterschiede gar nicht festzustellen.Herr Kollege Wolfram, Sie haben zu Beginn des letzten Jahres einmal hier von diesem Platz aus ausgeführt, Sie hätten den Bergbau nicht vor die Hunde gehen lassen, sondern Sie hätten dafür gesorgt, daß er eine neue Zukunft vor sich habe.
Man kann doch wohl ernsthafterweise nicht sagen, daß wir von der Union etwas anderes gemacht hätten.
Es gab in all diesen Jahren eine gemeinsame Kohlefront, auch zwischen den Landesregierungen, sowohl im Saarland als auch in Nordrhein-Westfalen, und zwar trotz unterschiedlicher Parteizugehörigkeit. Ich meine, daß wir diese Gemeinsamkeiten aufrechterhalten sollten; denn wir brauchen diese Gemeinsamkeit auch in der Zukunft, etwa bei der Überlegung, wie wir die Mittel des Forschungsministers so leiten können, daß neue Absatzmöglichkeiten für die Kohle gefunden werden.
Wir müssen uns auch gemeinsam Gedanken darüber machen, wie es mit der Kohleverflüssigung weitergeht. Je nachdem, wie man die Energiepreisentwicklung hochrechnet, ist doch bereits eine Wirtschaftlichkeitsschwelle für Kohlebenzin im Bereich des Möglichen, selbst wenn man die sogenannte Hydrierpräferenz nicht ganz in Anspruch nimmt.
Hier fließen doch bei den Pilotprojekten die Mittel auch unter der neuen Bundesregierung genauso weiter, damit wir diese industriepolitisch so wichtigen Neuentwicklungen, die wir eines Tages auchexportieren wollen, weiter vorantreiben können, um dann auch bald Großanlagen bauen zu können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bergmann an der Saar, auch der in Ensdorf, mit der höchsten Mann-Schicht-Leistung in ganz Europa, hat Vertrauen in unsere Politik und auch Vertrauen in die Politik der Bundesregierung.
Helmut Kohl, unser neuer Bundeskanzler,
war am letzten Freitag zu einem offiziellen Besuch bei der saarländischen Landesregierung, um auch die saarländische Landesregierung in ihrer bisherigen Energiepolitik zu unterstützen. Wir haben überhaupt keinen Anlaß anzunehmen, daß sich an der Politik der Bundesregierung etwas ändern wird.Der hochmoderne Bergbau, die Bergleute, ein Berufsstand mit großer Tradition, die in schwieriger Zeit wirklich mehr als ihre Pflicht getan haben, wie viele sich erinnern, sind gesichert. An der Ruhr und an der Saar weiß der Bergmann, daß er sich weiterhin auf diese Bundesregierung verlassen kann und daß er auch eine Zukunft hat.
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Weitere Wortmeldungen von Abgeordneten können jetzt nicht mehr zugelassen werden.
— Der Herr Minister Haak hatte sich noch zur Aussprache gemeldet; da aber die Aktuelle Stunde zu Ende ist, erlaubt es die Geschäftsordnung nicht, daß ich jetzt eine neue Debatte einleite. Deswegen bitte ich, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Aktuelle Stunde zu Ende ist.
Ich unterbreche die Sitzung bis 11 Uhr. Wir fahren dann fort mit der Einbringung des Haushalts.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich dem Herrn Abgeordneten Hoppe zu seinem 60. Geburtstag meine herzlichsten Glückwünsche und die Glückwünsche des Hauses aussprechen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne haben der Präsident der Knes-
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7658 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
Präsident Stücklenset des Staates Israel, Herr Menachem Savidor, und Mitglieder der Knesset Platz genommen.
Ich habe die Ehre, Sie im Deutschen Bundestag im Namen des ganzen Hauses sehr herzlich zu begrüßen. Ihr Besuch gibt uns Gelegenheit, die bestehenden engen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Staat Israel und der Bundesrepublik Deutschland, zwischen der Knesset und dem Deutschen Bundestag weiter zu festigen und zu vertiefen. Ich wünsche Ihnen einen guten Verlauf dieser Gespräche im Deutschen Bundestag und mit der Bundesregierung und damit einen erfolgreichen und angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Wir treten in die Tagesordnung ein.Ich rufe die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung auf:Beratung der von der Bundesregierung beschlossenen Ergänzung zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1983
— Drucksache 9/2050 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußErste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1982
— Drucksache 9/2049 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußDas Wort zur Einbringung hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein sozialdemokratischer Vorgänger, Bundesminister Lahnstein, hat am 15. September 1982, also vor weniger als zwei Monaten, einen Etatentwurf für den Bundeshaushalt 1983 hier begründet. Er ging für das kommende Jahr von einem realen Wirtschaftswachstum von 3 % und einer durchschnittlichen Arbeitslosenzahl von 1,85 Millionen aus.Zu jenem Zeitpunkt war schon bekannt, daß diese Daten völlig überholt waren. Auftragseingänge, Investitionen und Industrieproduktion gingen seit Monaten deutlich zurück. Die Arbeitslosenzahl war damals, saisonbereinigt, bereits auf mehr als 2 Millionen angestiegen. Die erkennbaren Steuereinnahmen betrugen gegenüber den Einnahmeschätzungen im Bundeshaushalt 1982 in der Zuwachsrate nur noch die Hälfte der der Etatansätze.So war es nach dem 1. Oktober die erste und dringendste Aufgabe der neuen Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen, die erforderlichen haushalts- und finanzpolitischen Entscheidungen herbeizuführen. In knapp drei Wochen haben wir Beschlüsse gefaßt, die durch einen zweiten Nachtragshaushalt die ordnungsgemäße Abwicklung des Bundeshaushalts 1982 gewährleisten sollen, die den Haushaltsentwurf 1983 auf eine neue, realistische — das heißt leider: drastisch verschlechterte — Grundlage stellen und die durch weitergehende Einsparungen wie auch durch steuerpolitische Vorschläge den verlorengegangenen Handlungsspielraum in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik wiedergewinnen sollen. Jetzt hat der Deutsche Bundestag zu entscheiden.Nach meiner Überzeugung müssen wir aber eines klar erkennen: Die Erwartungen und Hoffnungen der meisten Bürger richten sich vor allem darauf, daß endlich erste, bald wirksam werdende Schritte zur Beseitigung der Wirtschaftskrise, zum Abbremsen der schrecklichen Welle der Konkurse und Betriebsschließungen und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erfolgen.
Diesem Maßstab müssen wir uns alle in diesem Hause über die Grenzen der Parteien hinweg stellen; das gilt aber auch für die lautstarke Kritik aus manchen Verbänden und Gewerkschaften an Einzelelementen unseres Gesamtkonzepts.
Ich möchte deshalb zunächst auf die schweren ökonomischen Probleme eingehen. Die jüngsten Daten bestätigen die Einschätzung des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung vom 13. Oktober, daß die wirtschaftliche Talfahrt ihren Tiefpunkt noch nicht erreicht hat. Seit dem Sommer geht das reale Bruttosozialprodukt zurück. Wir müssen nach den Zahlen von Ende Oktober davon ausgehen, daß noch in diesem Monat — ohne Saisonbereinigung — die Grenze von 2 Millionen Arbeitslosen überschritten wird. Eine Quelle für den Anstieg der Arbeitslosigkeit ist mittlerweile die beispiellose Konkurswelle, die fast täglich neue Hiobsmeldungen bringt.Die erneute Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage nach einer bereits zweijährigen Phase der Rezession und Stagnation findet ihren Ausdruck in den rückläufigen Auftragseingängen der letzten Monate. Vor allem aber werden jetzt schwerwiegende strukturelle Belastungen der deutschen Wirtschaft sichtbar, die sich über längere Zeiträume ergeben haben.Nationale Fehlentwicklungen und weltweite Krisenerscheinungen kommen zusammen. Natürlich haben uns die internationale Wachstumsschwäche im Gefolge von zwei Ölpreisexplosionen und die Veränderung der weltweiten Arbeitsteilung, also die zunehmende Konkurrenz aus Entwicklungs- und Schwellenländern, einen erheblichen Anpassungsbedarf gebracht. Wer wollte übersehen, daß die Ölrechnung der Bundesrepublik Deutschland heute achtmal so hoch ist wie 1972, obwohl wir weniger Erdöl verbrauchen als damals? Wer darf sich darüber wundern, daß die Entwicklungsländer und
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Bundesminister Dr. StoltenbergSchwellenländer mit den Maschinen, die wir ihnen geliefert haben, nunmehr Waren herstellen, die unseren heimischen Produkten Konkurrenz machen und sie wegen der niedrigen Lohnkosten und Lohnnebenkosten zum Teil auch verdrängen?Dabei möchte ich ausdrücklich betonen: Wir bejahen den internationalen Wettbewerb und nehmen die Anpassung an veränderte Rohstoff- und Energiepreise als Herausforderung an, denn nur so können die weltweiten Knappheitsprobleme — auch die Armut in der Dritten Welt, die Energie-, Rohstoff- und Umweltprobleme bei uns — überwunden werden. Tatsächlich liegen hier j a auch Chancen für wirtschaftliches Wachstum und für Arbeitsplätze, die vor allem demjenigen zufallen, der im internationalen Wettbewerb die Nase vorn hat.Eine Ursache für den erneuten konjunkturellen Rückschlag seit dem zweiten Quartal 1982 ist sicher der Rückgang der Auftragseingänge aus dem Ausland. Das kann aber schon deshalb keine befriedigende Antwort nach den Ursachen der gegenwärtigen Wachstumsschwäche sein, weil die deutsche Exportwirtschaft vom Frühsommer 1981 bis zum März dieses Jahres bei den Auftragseingängen Zuwachsraten verbuchte, wie sie in der Vergangenheit nur in Zeiten einer ausgeprägten Hochkonjunktur üblich waren. Die Frage ist aber, warum der Funke, wie es früheren Erfahrungen entsprach, nicht auf die Binnenkonjunktur übersprang. Die Antwort auf diese Frage führt zu den hausgemachten Problemen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise und damit auch zur Verantwortung der früheren Bundesregierung.
Wirtschaftliches Wachstum vollzieht sich vor allem in einem Prozeß des Sparens und Investierens. Dieser Prozeß ist bei uns seit langem in seinen natürlichen Grundlagen erschüttert.Meine Damen und Herren, während die Anlageinvestitionen in der Bundesrepublik Deutschland von 1970 bis 1982 real nur noch um rund 6 % gestiegen sind, wuchs der private Verbrauch im gleichen Zeitraum um gut 32 %, der öffentliche Verbrauch sogar um rund 45 %. Der Anteil der zukunftssichernden Investitionen am realen Bruttosozialprodukt ist entsprechend von über 24 % auf unter 20 % gesunken. Das sind gewaltige Einbußen an Arbeitsplätzen, an Leistungskraft und Wettbewerbsfähigkeit, die niemand dem Ausland anlasten kann, deren Ursachen wir im eigenen Land zu suchen haben.
Die Deutsche Bundesbank hat errechnet, daß die Eigenkapitalquote der deutschen Unternehmen von über 30 % im Jahre 1967 auf rund 21 % Ende 1981 gesunken ist. Die Folge dieser Entwicklung läßt sich vor allem an den dramatischen Unternehmenszusammenbrüchen ablesen. Der Substanzverlust hat viele Betriebe anfällig gemacht. Was während der guten Konjunktur noch verdeckt werden konnte, erweist sich in einer Zeit der Krise als tödliche Gefahr für zahlreiche Unternehmen und Arbeitsplätze. Gestiegene Investitionsrisiken und zu hohe Fremdfinanzierungskosten haben auch bei vielen Selbständigen und Managern zu einem betonten Sicherheitsdenken geführt. In letzter Zeit wurden manchmal auch Investitionen unterlassen, die eine vorausschauende Unternehmenspolitik erfordern würde.Beanspruchte der Staat in den 60er Jahren im Durchschnitt noch weniger als 13 % des gesamtwirtschaftlichen Vermögensbildungsgeldes, so liegt diese Quote heute bei knapp 40 %. Der Anteil der Investitionsausgaben an den öffentlichen Ausgaben ging von 24 1/2 % im Jahre 1970 auf 161/2 % in diesem Jahr zurück. Das heißt, der Staat hat in den letzten Jahren immer mehr Sparkapital im Wege der Verschuldung konsumtiven Verwendungszwekken zugeführt und die vielbeschworenen öffentlichen Investitionen in wichtigen Bereichen vernachlässigt.
Die zahlreichen neuen Aufgabengesetze und die starke Ausdehnung staatlicher Tätigkeiten wurden zunächst von vielen Bürgern verständlicherweise als Wohltat empfunden. Aber heute erkennen die meisten Menschen, daß wir alle einen zu hohen Preis dafür bezahlt haben: Vernachlässigung der Zukunftsvorsorge, Erschütterung der finanziellen Grundlagen des Staates und der Sozialversicherung, viel zu hohe Verschuldung in wirtschaftlich guten Jahren. Das bedeutet zunächst und vor allem: Leben auf Kosten der kommenden Generation — eine sittlich nicht verantwortbare Praxis.
Der Anteil der Steuern und Sozialabgaben am Bruttosozialprodukt ist von 361/2 % im Jahre 1970 auf 42 1/2 % im Jahre 1982 angestiegen. Von jeder zusätzlich verdienten Mark müssen die Arbeitnehmer heute über 60 Pfennig an Staat und Sozialversicherung abliefern. Das bedeutet nicht nur, daß die Arbeitnehmer die vom Staat empfangenen Leistungen in großem Umfang selbst finanzieren müssen, es ist mittlerweile auch unbestritten, daß zwischen der Abgabenbelastung und der Steuermoral sowie den vielfältigen Erscheinungen der Schattenwirtschaft ein erkennbarer Zusammenhang besteht. Die Betriebe müssen heute zusätzlich zu 100 Mark Bruttolohn etwa 76 Mark Lohnnebenkosten tragen. Der Arbeitnehmer erhält aber von den 100 Mark Bruttolohn im Durchschnitt nur 70 Mark ausgezahlt. Das sind knapp 40 % der tatsächlichen Lohnkosten der Betriebe. Dies ist, wenn wir die bedrängte Lage großer Wirtschaftszweige, der Stahlindustrie, der Schiffbauindustrie und der anderen Bereiche, die uns größte Sorge bereiten, sehen, eine so starke Schwächung in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, daß wir eine Kursänderung einleiten müssen.
Diese Fehlentwicklungen sind übrigens in den letzten zwei Jahren seit 1980 gelegentlich auch sehr offen von einigen namhaften sozialdemokratischen Politikern angesprochen worden. Ich hebe das hervor, weil wir mit dem Näherkommen des Termins der Bundestagswahl zunehmend schrille Töne der
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Bundesminister Dr. StoltenbergKonfrontation und leider auch des Klassenkampfes hören. So hat der langjährige Bundesminister der Finanzen, Hans Matthöfer, in seiner Abschiedsrede im April dieses Jahres die Frage aufgeworfen, ob die Gesamtheit der öffentlichen Ausgaben und die Struktur der öffentlichen Einnahmen „unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen produktiv genug ist, um die Höhe der Kreditaufnahme und ihre Folgelasten für die Zukunft zu rechtfertigen". Seine eigene Antwort auf diese Frage ist im Kern ein klares Nein, und ich möchte hier seinen Kernsatz bzw. seine Kernsätze gerne zitieren. Herr Kollege Matthöfer sagte:Wenn man es überzeichnet formulieren wollte, so könnte man sagen, daß in einer Zeit, in der alles vom Vorrang der Zukunftsvorsorge und der Schaffung neuer Arbeitsplätze spricht, die direkten Steuern und die Sozialabgaben den aktiv Beschäftigten und der Wirtschaft immer mehr Geld entziehen, um es in einer immer höheren Weise in unproduktive Verwendungen zu lenken.
Ich kann diese Beurteilung nur voll im Zusammenhang meiner eigenen Gedanken unterstreichen.Es lohnt sich übrigens, aus dieser bemerkenswerten Rede hier noch einen weiteren Satz zu verlesen:Eine weithin noch zuwenig beachtete, aber gerade in unserer gegenwärtigen Lage vielleicht fatale Folge von Sozialsystemen, die immer mehr Menschen erfassen, ist, daß sie vielleicht diese Menschen davon abhalten, ihre eigenen Kräfte so zur Entfaltung zu bringen, wie es ihnen eigentlich möglich wäre.
Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt hat diese Probleme und diesen Zielkonflikt übrigens am 30. Juni 1982 in einer Auseinandersetzung vor der SPD-Bundestagsfraktion noch härter angesprochen. Er sagte nach der veröffentlichten Niederschrift zu seinen Genossen wörtlich:Einige haben bemängelt, daß in diesem Paket nicht genug getan werde zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich sage denen: dies ist leider wahr. Wer mehr tun will, muß in die Geld- und Sozialleistungen tiefer hineinschneiden, als es in dem Kompromißpaket von mir vorgeschlagen worden ist.Von den beiden theoretischen Möglichkeiten — so erklärte Schmidt —scheitert die eine, es nämlich durch höhere Kreditaufnahme zu finanzieren, an mir. Ich könnte das nicht verantworten. Die zweite Möglichkeit scheitert an Euch: Denn wer mehr für die beschäftigungswirksamen Ausgaben des Staates tun will, muß noch viel tiefer als hier vorgeschlagen in die Sozialleistungen reinschneiden.
Schließlich, meine Damen und Herren: Ralf Dahrendorf, 1969 ja einer der geistigen und politischen Wegbereiter der alten Koalition, hat im vergangenen Jahr bemerkt:Wir haben die absurde Situation, daß, was immer passiert, ob Naturkatastrophen oder persönliche Tragödien, die Menschen glauben, daß die Regierung etwas tun müsse. Diese Form der Überlastung führt mit Notwendigkeit zur Enttäuschung bei denen, die vom Staate erwarten, daß er seine Probleme löst, und diese Enttäuschung schlägt sich nieder in einem Widerstand gegen den maximalen Staat... Diese Entwicklung stellt— so sagte Dahrendorf —die Regierbarkeit zunehmend in Frage.Meine Damen und Herren, ich erwarte schon, daß unsere lautstarken Kritiker aus der Opposition in Zukunft nicht an diesen Urteilen über Folgen ihrer eigenen Politik und damit ihrer Hinterlassenschaft vorbeigehen werden.
Einige wichtige Folgerungen aus dieser Analyse sind: Die Gesundung der Wirtschaft, die Sanierung der öffentlichen Finanzen und der sozialen Sicherungssysteme, die Lösung der Arbeitsmarktprobleme können nur in einer großen, über Jahre wirksamen Gemeinschaftsleistung erreicht werden. Patentrezepte gibt es nicht, und manche Einzelschritte werden in einer offenen demokratischen Gesellschaft immer kontrovers bleiben.Aber unbestreitbar ist, daß eine Umverteilung zugunsten der Arbeitsplätze schaffenden und sichernden Investitionen zu den vordringlichsten Aufgaben gehört. „Umverteilung" war ja ein Schlüsselwort in vielen ideologischen politischen und sozialen Auseinandersetzungen der letzten 13 Jahre!
Wir wollen mit einer neuen Politik jene Umverteilung beenden, die aus immer mehr berufstätigen Mitbürgern Arbeitslose gemacht hat,
die uns zur größten Pleitewelle der Nachkriegszeit führte und die Hoffnungen ebenso wie Illusionen der vergangenen Jahre bei vielen in Pessimismus und Zukunftsangst umschlagen ließ. Dies und nicht die in törichten Reden unterstellte sogenannte Umverteilung von unten nach oben
ist unser Ziel.
Meine Damen und Herren, wir sagen unseren Mitbürgern offen, daß dieses Ziel harte Arbeit und zunächst auch manche Einschränkungen erfordert.
Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit setzt voraus,daß mehr Produktivkräfte für investive Zwecke
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Bundesminister Dr. Stoltenbergfreigesetzt werden. Seit zwei Jahren schon gehen ja die Realeinkommen der meisten Menschen ebenso zurück wie bis jetzt auch die privaten Investitionen. Durch bessere Rahmenbedingungen für die Betriebe und für das Ergebnis der beruflichen Leistung der Arbeitnehmer müssen wir zunächst die Trendwende bei den Investitionen erreichen. Dann werden bald wieder eine Stabilisierung der Realeinkommen und, was noch wichtiger ist, die Schaffung neuer Arbeitsplätze für heute Erwerbslose und für die geburtenstarken jungen Jahrgänge möglich sein. Wer jetzt jede Entscheidung zur Gesundung der Wirtschaft und zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation nur an einer kurzfristigen Verteilungsgerechtigkeit auf Mark und Pfennig hin messen will, wird das gemeinsame entscheidende Ziel völlig verfehlen.
Es genügt auch nicht, in Festreden die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als sozialpolitische Aufgabe Nummer eins zu bezeichnen. Man muß auch bereit sein, in eigenen Ansprüchen zurückzustekken und diese große Aufgabe vorbehaltlos anzuerkennen.
Zu dem Thema Investitionen gibt es ja auch manche kritische Betrachtung. Jeder weiß, daß bestimmte Rationalisierungsinvestitionen kurzfristig auch Arbeitsplätze kosten; das ist wahr. Aber durch den erwähnten massiven Kostenanstieg der letzten zwölf Jahre hat sich der Rationalisierungsdruck weiter verschärft. Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben und einen Verlust von noch mehr Arbeitsplätzen zu vermeiden, müssen Betriebe rationalisieren. Nur mit einem modernen, kostengünstigen Stand der Produktionstechnik können wir die Voraussetzungen für mehr Erweiterungsinvestitionen und mehr Betriebsgründungen als Schlüssel für die schrittweise Lösung der Arbeitsmarktprobleme schaffen. Es ist für uns alle, meine Damen und Herren, notwendig, diese Wechselwirkungen bewußter zu machen, statt die Folgen des technischen Fortschritts, wie es manche tun, mit Anwandlungen eines neuen Kulturpessimismus nur noch zu dämonisieren.
Schließlich muß der Strukturwandel als Wachstumschance erkannt und genutzt werden. Unentbehrlich hierfür sind Schaffensfreude, Phantasie und Tüchtigkeit der berufstätigen Menschen. Aber den erhofften Erfolg für den einzelnen und die Gemeinschaft werden sie nur bringen, wenn Leistungsvermögen, Anpassungsfähigkeit und schöpferische Kraft wieder allgemein als bewegende Elemente Sozialer Marktwirtschaft anerkannt werden.
Die heute als sogenannte Alternativen angebotenen Lösungen sind kein wirklicher Ausweg, sondern oft nur Fluchtbewegungen, weil sie lediglich Alternativen für subventionierte Minderheiten bilden. Für unsere Industriegesellschaft gibt es weder ein Zurück zu vergangenen Lebens- und Arbeitsformen, noch hat es nach den Erfahrungen der 70er Jahre Sinn, Wirtschaft und Gesellschaft noch stärker als bisher verplanen und lenken zu wollen.Diese Überlegungen, meine Damen und Herren, sind bestimmende Gesichtspunkte auch für die Neugestaltung des Bundeshaushalts 1983 und die Begleitgesetze. Die Bestandsaufnahme hat hier zweierlei ergeben:Erstens. Im Bundeshaushalt ist in den letzten Jahren ein gewaltiges und auf Dauer untragbares strukturelles Defizit entstanden. Zwischen dem nur unzureichend gebremsten Wachstum der konsumtiven Ausgaben und den Einnahmen hat sich schon in besseren Jahren eine besorgniserregende Schere aufgetan, die nur noch über rasch ansteigende Nettokreditaufnahme mit all ihren schädlichen Folgen für die Zinsentwicklung und die Investitionsfähigkeit der Wirtschaft überbrückt werden konnte.Zweitens. Die frühere Bundesregierung hat die gesamtwirtschaftliche Entwicklung seit Jahren immer wieder zu optimistisch eingeschätzt.
Zu den Folgen gehört ein erschreckendes Auseinanderkiaffen von Ansprüchen an den Staat und staatlichem Leistungsvermögen. Zweifellos wurden nach 1980 — nach der Bundestagswahl — mit dem Subventionsabbaugesetz, dem Zweiten Haushaltsstrukturgesetz und einigen Beschlüssen zum Haushaltsentwurf 1983 erste Konsolidierungsbeiträge geleistet. Aber die Ergebnisse blieben, wie die aktuellen Zahlen deutlich machen, unzureichend.Wie drückend die immer stärker gewordene Zinslast für den Bundeshaushalt in den letzten zwölf Jahren geworden ist, zeigt sich an folgendem Vergleich. 1970 hatte der Bund an Zinsen für seine Kredite so viel zu zahlen wie die Ausgaben für Entwicklungshilfe: 2,3 Milliarden DM. 1980 hatte der Bund an Zinsen so viel zu leisten wie die Ausgaben für Entwicklungshilfe, Wohnungsbau, Bildung und Wissenschaft zusammen: 14 Milliarden DM.
1983 muß der Bund an Zinsen so viel zahlen wie die Ausgaben für Entwicklungshilfe, Wohnungsbau, Bildung, Wissenschaft, Forschung und Entwicklung sowie Wirtschaft zusammen: 28 Milliarden DM.
Jeder wird doch heute zugeben, daß dies so nicht weitergehen kann.
Zunächst mußten wir allerdings für 1982 einen zweiten Nachtragshaushalt vorlegen, damit die gesetzlichen und vertraglichen Leistungen des Bundes überhaupt noch in diesem Jahr wenigstens durch Kredit bezahlt werden können. Nach der neuesten Steuerschätzung fehlen uns 1982 4,4 Milliarden DM bei den Steuern. — Mir scheint das, was ich hier als Erblast vortrage, gerade aus der Sicht
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Bundesminister Dr. Stoltenbergeines besonders verantwortlichen sozialdemokratischen Abgeordneten kein Anlaß zur Erheiterung.
Dazu kommt der Wegfall der sogenannten Kindergeldmilliarde, die eine Ausgleichszahlung an den Bund darstellte für die mittlerweile rückgängig gemachte Erhöhung der Kindergeldsätze aus dem Jahre 1981.Mehrausgaben ergeben sich bei der Arbeitslosenhilfe und vor allem der Finanzierung der beiden Kernreaktoren in Kalkar und Schmehausen. Hier hatte sich unter der vorigen Bundesregierung — genauer gesagt: unter den verantwortlichen Bundesforschungsministern — die Praxis herausgebildet, durch Banken Bewilligungsbescheide für die kommenden Jahre vorfinanzieren zu lassen und so die Begleichung fälliger Rechnungen trotz fehlender Baransätze im Haushalt zu ermöglichen.
Dieses unmögliche Verfahren kann selbstverständlich nicht fortgesetzt werden.
Deshalb haben wir zur ordnungsgemäßen Abwicklung fälliger Verpflichtungen des Bundes in den Entwurf des zweiten Nachtragshaushalts 600 Millionen DM für die Reaktorfinanzierung einsetzen müssen.Es wird notwendig sein — ich sage das im Einvernehmen mit Herrn Kollegen Riesenhuber —, bis zum Frühjahr mit der Industrie über einen erhöhten Beitrag zu verhandeln und dann eine Grundsatzentscheidung zu treffen. Aus heutiger Sicht ergibt sich allein für diese beiden Vorhaben eine in der Finanzplanung nicht gedeckte Lücke in den nächsten Jahren von rund zwei Milliarden DM. Das ist eine der vielen schweren Hypotheken für die Zukunft, die wir von unseren Vorgängern übernommen haben.
— Man soll es sich mit Zwischenrufen nicht so leichtmachen, vor allem nicht bei Entscheidungen, die von Ihren eigenen verantwortlichen Kollegen nicht getroffen wurden.
Ich erwähne nur ergänzend: Auch im Bereich der Entwicklungspolitik zeichnet sich auf Grund fehlerhafter Planungen im Bereich der finanziellen Zusammenarbeit jetzt über den Finanzplan der alten Regierung hinaus ein Mehrbedarf in Höhe von 2,3 Milliarden DM für die kommenden zehn Jahre ab.
Bundesminister Lahnstein hat seinen Haushaltsentwurf und Finanzplan vor acht Wochen als stocksolide bezeichnet.
Diese beiden Beispiele — ich könnte die Liste verlängern — begründen, weshalb ich dieses Urteil nach der Prüfung der Hinterlassenschaft nicht übernehmen kann.
Die Ausgaben des Bundes erhöhen sich so für 1982 insgesamt um 640 Millionen DM auf 246,6 Milliarden DM. Die Nettokreditaufnahme 1982 steigt damit um 6 Milliarden DM auf fast 40 Milliarden DM. Jeder weiß, daß sich diese Mehrbelastungen 60 Tage vor Ende des Jahres nicht mehr durch weitere Sparbemühungen ausgleichen ließen. Die Mitarbeiter des Finanzministeriums hatten und haben ohnehin die schwierige Aufgabe, die globale Minderausgabe für dieses Jahr von 600 Millionen DM noch zu erwirtschaften.Für 1983 legt die Bundesregierung der Form nach eine Ergänzungsvorlage zum Haushaltsentwurf der früheren Bundesregierung vor. Lieber wäre mir eine völlige Neufassung des Etats gewesen. Aber das ließ sich aus Zeitgründen nicht verwirklichen. Dennoch hat die ungewöhnliche und pragmatische Form durchaus auch ihre Vorzüge: Sie dokumentiert die politische Mitverantwortung der Opposition für die Haushaltsteile, die wir bewußt übernommen haben oder unter dem Zwang des Kalenders und der Probleme übernehmen mußten, und wir haben einiges übernommen, was nicht unseren eigenen Vorstellungen entspricht. Weshalb soll man das hier nicht offen einräumen?
— Überrascht Sie das wirklich, Herr Linde? Angesichts der hier vorgetragenen Zahlen und Termine, die wir hatten, kann es Sie nicht überraschen. —
Wichtiger als die Form aber ist der Inhalt der vorgelegten Beratungsunterlagen.Der neue Bundeshaushalt für 1983 muß — und da liegt schon eine Begründung — gegenüber dem erwähnten Entwurf der Regierung Schmidt von 10,4 Milliarden DM weniger Steuereinnahmen und nach geltendem Recht zunächst von fast 8 Milliarden DM erhöhten Ausgaben für Arbeitslose ausgehen. Wir unterstellen damit für 1983 im Jahresdurchschnitt — nicht im Jahresverlauf — „Nullwachstum" und eine durchschnittliche Arbeitslosenzahl von 2,35 Millionen.Wie dramatisch übrigens die Lage ist, zeigt ein weiterer kurzer Zahlenvergleich: Der auf viel zu optimistischen Annahmen aufgebaute Entwurf unserer Vorgänger
sah für 1983 ein Wachstum der gesamten Bundesausgaben von 4,5 Milliarden DM und in diesem Rahmen eine Zunahme allein der Zinslasten von 4,8 Milliarden DM vor. Es fehlte also, wie diese beiden Eckdaten deutlich machen, jeder Spielraum für eine konkrete, gestaltende Politik zur Belebung der Wirtschaft und zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit.
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Bundesminister Dr. StoltenbergSo waren uns, meine Damen und Herren, nach dem Neubeginn am 1. Oktober finanzpolitisch drei vorrangige Aufgaben gestellt:Erstens. Einnahmen und Ausgaben müssen den neuen, verschlechterten Bedingungen angepaßt werden. Dabei ist eine erhebliche Erhöhung der Nettoverschuldung für 1983 über die im Sommer geplanten 28,5 Milliarden DM hinaus unvermeidbar geworden.Zweitens. Durch weitere Einsparungen von mehr als 5,6 Milliarden DM gilt es, sowohl Raum für zusätzliche investive Maßnahmen zu schaffen als auch die überhöhte Neuverschuldung in vorübergehend noch gerade vertretbaren Grenzen zu halten.Drittens. Durch die erwähnten Kürzungen und zusätzliche Einnahmen sollen Sofortprogramme für die Förderung des Wohnungsbaus und die Entlastung der gewerblichen Wirtschaft ermöglicht werden.Die neuen Annahmen für den Bundeshaushalt 1983 kann man sicher nicht als betont optimistisch bezeichnen. Der Sachverständigenrat erwartet im Jahresdurchschnitt etwas niedrigere Erwerbslosenzahlen und ein leichtes Wachstum. Es bleibt natürlich eine gewisse Bandbreite der Unsicherheit, der Ungewißheit in beiden Richtungen. So würden 100 000 Arbeitslose weniger die Haushaltssituation des Bundes um 1,4 Milliarden DM verbessern — das wünschen wir uns alle, natürlich nicht nur aus fiskalischen Gründen — und eine niedrigere Kreditaufnahme ermöglichen, 100 000 mehr aber zu entsprechenden Mehrbelastungen führen.Wir haben bei den neuen Eckdaten des Haushalts bereits die Entlastung durch noch vom Kabinett Schmidt im Bundestag eingebrachte Begleitgesetze einbezogen. Es ging bei diesen Vorlagen, wie Sie wissen, um Ausgabenkürzungen und Steuer- und Abgabenerhöhungen von mehr als 8 Milliarden DM.Nicht übernommen haben wir die geplante Verschlechterung der steuerlichen Regelungen für Betriebspensionen — auch im Interesse der Arbeitnehmer, die hier Rechtssicherheit brauchen —,
und nicht übernommen haben wir die sogenannte „Kappung beim Ehegatten-Splitting". Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt in einer stark beachteten Entscheidung unsere Haltung zu dem letzten Punkt grundsätzlich bestätigt. Ich komme auf dieses Urteil noch zurück.
Aber selbst nach Übernahme der meisten Punkte der früheren Bundesregierung, der Veranschlagung des voraussichtlichen Bundesbankgewinns von 11 Milliarden DM auf der Einnahmenseite und den erwähnten Kürzungen von 5,62 Milliarden DM bleibt eine Nettokreditaufnahme von 41,5 Milliarden DM leider unabweisbar. Ohne eine Verabschiedung des neugefaßten Begleitgesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts würde die Neuverschuldung auf 55 Milliarden DM im nächsten Jahr ansteigen.
Das neue Gesetz verbindet die Beschlüsse der Bundesregierung mit den genannten wesentlichen Punkten der Begleitgesetze der vorigen Koalition.An diesen Zahlen wird ganz deutlich, daß wir uns mit den jetzt erreichten Einsparungen nicht zufriedengeben können. In der neuen Wahlperiode müssen weitere Sparbeschlüsse folgen, um das immer noch weit überhöhte strukturelle Defizit stärker zurückzuführen.Jetzt geht es um folgende Maßnahmen. Zunächst wird der Bundeshaushalt vor allem in folgenden Bereichen entlastet. Die Direktsubventionen werden um 500 Millionen DM gekürzt. Im öffentlichen Dienst sind Einsparungen in Höhe von 750 Millionen durch eine Begrenzung des Besoldungsanstiegs 1983 und durch Einschränkungen bei der Beihilfe vorgesehen.Die Kindergeldsätze werden für Höherverdienende mit zwei oder mehr Kindern vermindert. Die Kürzungen greifen aber erst mit einem jährlichen Nettoeinkommen von über 42 000 DM, was in etwa einem Bruttoeinkommen von 62 000 DM jährlich entspricht. Wir unterscheiden uns in dieser sozialen Komponente, meine Damen und Herren der SPD, von Ihrer Praxis. Sie haben das Kindergeld bei der Witwe mit 800 DM Einkommen genauso gekürzt wie bei dem vielzitierten „Besserverdienenden".
Wir führen hier — natürlich auch mit gewissen Problemen für die Verwaltung — bewußt ein soziales Element ein, das Sie haben vermissen lassen. Ich sage das auch einigen der großen Redner auf den Marktplätzen,
die diese Entscheidung immer noch nicht richtig verstanden haben. Das Erstkindergeld bleibt in seiner jetzigen Höhe für alle erhalten. Diese Maßnahme bringt für den Bundeshaushalt eine Entlastung von 980 Millionen DM.Weitere wesentliche Einsparungen von zusammen 260 Millionen DM ergeben sich aus den beabsichtigten Änderungen beim BAföG und beim Wohngeld. Diese Maßnahmen werden erst 1984 voll wirksam und bewirken dann Minderausgaben von insgesamt 750 Milionen DM.Im Haushaltsverfahren werden über 1,1 Milliarden DM an Einsparungen erzielt. Davon entfallen 450 Millionen DM auf eine Globalkürzung konsumtiver Ausgaben auf Grund einer haushaltsgesetzlich zu verankernden Vorschrift.Die Zuschüsse an die Nürnberger Bundesanstalt sind um 1,9 Milliarden DM gekürzt worden. Dabei wird der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit vor allem in den folgenden Punkten entlastet. Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung an die Versi-
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Bundesminister Dr. Stoltenbergcherten werden mehr als bisher nach der Dauer der Beitragsleistung gestaffelt. Die Fördersätze für Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation werden im nächsten Jahr von bisher 90 bzw. 75 % auf 80 bzw. 70 °A) herabgesetzt. Die Beiträge der Bundesanstalt für Arbeit für ihre Leistungsempfänger an die Rentenversicherung werden vom 1. Januar nächsten Jahres an nur noch nach der Höhe der Lohnersatzleistung entrichtet. Der Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen wird eingegrenzt. Die Fördersätze für Deutschunterricht für Aussiedler, für Asylberechtigte und Kontingentflüchtlinge werden neu bemessen.Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wird zum 1. Januar 1983 um 0,1 % stärker angehoben, als von der früheren Bundesregierung vorgesehen war. Dieser nicht leichte Schritt war im Zusammenhang mit der drastischen Verschlechterung der Finanzlage sowohl der Bundesanstalt als auch der Rentenversicherung erforderlich. Demgegenüber — hier gibt es einen Zusammenhang — wird der Bundeszuschuß an die Rentenversicherung nur um 0,9 Milliarden DM statt um 1,3 Milliarden DM, die von der letzten Bundesregierung beschlossen waren, gekürzt.
Die Verschiebung der Rentenanpassung um ein halbes Jahr wirkt sich auch in anderen Sozialleistungsbereichen aus, so bei der Altershilfe für Landwirte, der gesetzlichen Unfallversicherung, der Kriegsopferversorgung und beim Lastenausgleich.Ebenso tritt die von der früheren Bundesregierung vorgesehene Beteiligung der Rentner an den Kosten ihrer Krankenversicherung ein halbes Jahr später in Kraft. Die 1981 bereits gesetzlich beschlossene Beitragsanhebung zur Rentenversicherung auf 18,5 % zum 1. Januar 1984 soll auf den 1. September 1983 vorgezogen werden.Schließlich zahlt die Rentenversicherung im nächsten Jahr 1,2 Milliarden DM weniger an die Krankenversicherung im Vorgriff auf eine beabsichtigte Neuregelung ab 1984. Damit ist ein Belastungsausgleich unter den Krankenkassen nicht mehr erforderlich — eine sehr bedeutsame ordnungs- und grundsatzpolitische Weichenstellung.
Meine Damen und Herren, insgesamt wird die Finanzlage der Rentenversicherungsträger durch die vorgesehenen Maßnahmen um 2,6 Milliarden DM im Jahre 1983 gegenüber der alten Beschlußlage verbessert, so daß ihre Liquidität trotz der verschlechterten Wirtschaftslage gesichert bleibt. Hierauf sollen sich auch in Zukunft die Rentner verlassen können.
Zur Entlastung der Krankenversicherung hatte bereits die frühere Bundesregierung ein Bündel von Maßnahmen vorgesehen, das in einigen Punkten modifiziert, ergänzt und erweitert wird.Meine Damen und Herren, die Vielzahl dieser komplizierten Einzelschritte war notwendig, um die Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherung auch in schwierigen Zeiten zu gewährleisten, um stärkere Elemente der zumutbaren Eigenbeteiligung und der Selbstverantwortung einzuführen sowie systematische Strukturverbesserungen wie die stärkere Berücksichtigung von Lohnersatzzeiten in ersten Schritten zu verwirklichen. Die Sozialausgaben bleiben nach wie vor der größte Ausgabenblock im Bundeshaushalt.Wir bejahen die Verantwortung des Bundesgesetzgebers für den Gesamtstaat. So sind unsere Vorschläge darauf angelegt, auch die Haushalte der anderen Gebietskörperschaften zu entlasten. Insgesamt gesehen führt der Entwurf allein auf der Ausgabenseite 1983 zu Verbesserungen der Haushalte von Ländern und Gemeinden von über 3 Milliarden DM.Hinzu kommen die bereits erwähnte Entscheidung des Bundes, auf die Kindergeldmilliarde ab 1982 zu verzichten, und das Angebot, ab 1983 den Ländern fast 1 Milliarde DM im Bereich der Mehrwertsteuerverteilung zu übertragen. Wir erwarten, daß dieser wichtige Beitrag des Bundes die Talfahrt der öffentlichen Investitionen bei Ländern und Gemeinden abbremsen hilft und ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Investitionsquote wieder zu erhöhen.
Ein besonderer Schwerpunkt unseres Sofortprogramms zur Wiederbelebung der Wirtschaft und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist der Wohnungsbau. 1983 und 1984 wollen wir das Aufkommen der Investitionshilfeabgabe in Höhe von 2,5 Milliarden DM für zusätzliche Förderungsvorhaben in diesem wichtigen Schlüsselbereich einsetzen. 2 Milliarden DM sollen dem sozialen Wohnungsbau zufließen, 500 Millionen DM einem Programm zur Bauzwischenfinanzierung. Diese Vorhaben werden insbesondere der Schaffung neuen selbstgenutzten Wohnraums und dem Mietwohnungsbau in Ballungsgebieten dienen. Darüber hinaus wird die steuerliche Förderung des Wohnungsbaus durch einen für die Dauer von drei Jahren geltenden, um 10 000 DM erweiterten Schuldzinsenabzug für selbstgenutzte Häuser und Eigentumswohnungen verbessert. Wir erwarten von diesen Programmen im Baubereich nachhaltige Wirkungen auch für andere Wirtschaftszweige und ihre Arbeitsplätze.Den Kritikern möchte ich sagen, daß wir in einer Zeit der raschen ökonomischen Talfahrt schnell wirksame Gegenmaßnahmen in einem Schlüsselbereich der Wirtschaft benötigen. Natürlich kann der jetzige Umfang der Förderung nur befristet gelten. Aber wir erhoffen uns von ihm einen kräftigen und breiten Impuls.Das ist auch die Begründung für die von manchen — aus recht verschiedenen, teilweise gegensätzlichen Positionen — in Frage gestellte Investitionshilfeabgabe gewesen. Wir haben uns auf einen Solidarbeitrag verständigt, den es unter der alten sozialdemokratisch geführten Bundesregierung in dieser Form überhaupt nicht gab.
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Bundesminister Dr. StoltenbergDas sollten alle bedenken, die jetzt, von welcher Position aus auch immer, immer noch mehr fordern.Dauerhafte Entlastungen sind bei der Gewerbesteuer vorgesehen; für 1983 im Umfang von 1,5 Milliarden DM, für 1984 von 1,7 bis 1,8 Milliarden DM. Der Ausgleich für die Gemeinden erfolgt über eine Neugestaltung der Gewerbesteuerumlage. 1983 fließt den Kommunen sogar fast eine halbe Milliarde DM mehr auf Grund dieser Regelung zu, als ihnen an Gewerbesteuer ausfällt. Später saldiert sich dieser Betrag.Weitere wirtschaftliche Förderungsmaßnahmen von besonderer Bedeutung sind: Für die Übernahme gefährdeter Unternehmen wird ein steuerlicher Anreiz für die mittelständische Wirtschaft geschaffen, um Produktionsstätten und Arbeitsplätze zu erhalten. Für die Eigenkapitalhilfen zur Förderung der Gründung selbständiger Existenzen werden die Mittel aufgestockt und die Bedingungen der Inanspruchnahme erweitert; ferner werden die Beratungshilfen für Mitbürger verbessert, die Existenzen schaffen wollen.Diese verschiedenen Sofortmaßnahmen im Interesse von Wirtschaft und Beschäftigung sind die einzige Begründung für die Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt zum 1. Juli 1983. Im Gegensatz zu verschiedenen Initiativen der Regierung Schmidt zur Erhöhung dieser Steuer wollen wir das Mehraufkommen zeitgleich und dauerhaft den Bürgern und Betrieben zurückgeben.Wir verstärken auch im Verantwortungsbereich des Bundes die öffentlichen Investitionen. So werden 1983 500 Millionen DM zusätzlich für die großen Gemeinschaftsaufgaben eingesetzt: im Hochschulbau, wo die vorige Bundesregierung den Ländern in den nächsten Jahren fast eine Milliarde DM für vereinbarte Vorhaben schuldig geblieben wäre; bei der regionalen Wirtschaftsförderung; für Agrarstruktur, Küstenschutz, Stadterneuerung und Krankenhausneubau. Besonders hervorzuheben ist schließlich die Entscheidung des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen, die Mittel für die Breitbandverkabelung bereits 1983 von 400 Millionen DM auf 1 Milliarde DM aufzustocken. Privaten Investoren wird Zusammenarbeit für einen weitergehenden Netzausbau angeboten. Damit soll ein zentraler Bereich künftigen Wachstums, starker Innovation endlich von politischen und administrativen Blockaden befreit werden.
Der Haushalt 1983 sieht mit 253,8 Milliarden DM einen Ausgabenzuwachs von jetzt 2,9 % vor. Nach dem Entwurf der alten Bundesregierung wären die Ausgaben um 1,8 % gestiegen. Dies und die Höhe des Finanzierungsdefizits lassen den Vorwurf des „Kaputtsparens" völlig ins Leere gehen.
Er sollte vor allem von jenen nicht mehr gebrauchtwerden, die in der Opposition noch ein Stück aufihre eigene öffentliche finanzpolitische Reputationachten; denn die Gesamtheit der von der neuen Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen zielt darauf ab, einen überzeugenden ersten Beitrag zum Abbau des strukturellen Defizits zu leisten, die gesamtwirtschaftliche Nachfrageentwicklung zu stützen und die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Wende zu verbessern.Meine Damen und Herren, ich habe als einen zentralen Punkt unserer mittelfristigen Politik bereits die Rückführung der Finanzierungsdefizite hervorgehoben. Sie kann auf Dauer nur erreicht werden, wenn es gelingt, die Struktur der Ausgaben und Einnahmen so zu verändern, daß sich wieder eine natürliche Wachstumsdynamik der Gesamtwirtschaft entfalten kann. So kann das Dringlichkeitsprogramm zum Bundeshaushalt 1983 nur ein Zwischenschritt und eine erste Weichenstellung für die Neuordnung der Staatsfinanzen sein. Die Bundesregierung wird ihre Vorstellungen in Verbindung mit dem Haushaltsentwurf 1984 und dem neuen Finanzplan, der dann bis 1987 gilt, im einzelnen darstellen. In der Kürze der Zeit war es, wie jeder begreifen wird, nicht möglich, jetzt einen neuen Finanzplan vorzulegen.
— Es war nicht möglich, Herr Ehmke. In 17 Tagen haben wir dies alles erarbeitet, was ich Ihnen hier vortrage. Ich will zu der Arbeitsleistung auch der beteiligten Beamten hier kein weiteres Wort als das eines wirklichen Dankes für das sagen, was hier getan wurde.
Für die weiteren Entscheidungen gelten die folgenden Grundsätze:Erstens. Der Ausgaberahmen muß mittelfristig für den Bundeshaushalt deutlich unter dem Anstieg des nominalen Bruttosozialprodukts liegen.Zweitens. Vorrangig sind zukunftsweisende, zukunftswirksame Ausgaben mit beschäftigungs- und investionsfördernden Effekten. Einschränken müssen wir dagegen die konsumtive, ausschließlich die Gegenwart begünstigende Mittelverwendung, auch durch weitere gesetzliche Eingriffe.Drittens. Hierzu gehört auch eine investitions- und leistungsfördernde Ausgestaltung der Steuerpolitik. Die vorrangigen Ansatzpunkte hierfür sind: die Verbesserung der Möglichkeiten zur Eigenkapitalbildung in den Betrieben und der Abbau der leistungshemmenden Wirkung des Zusammentreffens von Geldentwertung und Progression bei der Lohn- und Einkommensteuer.Viertens. Die stärkere Einbeziehung der Situation der Länder, der Gemeinden und der Sozialversicherungsträger in die finanzpolitischen Entscheidungen des Bundes. Ich habe die ersten Schritte in diesem Zusammenhang für 1983 bereits erläutern können.Besonders hervorzuheben ist: Die Lösung der genannten Steuerstrukturprobleme kann nur in einem zeitlichen Stufenplan erfolgen. Für die erste Stufe haben wir vor allem mit den zum 1. Januar 1983 wirksam werdenden Steuererleichterungen
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Bundesminister Dr. Stoltenbergfür die gewerbliche Wirtschaft, der vorgezogenen Entlastung beim Wohnungsbau und der Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. Juli 1983 konkrete Vorschläge gemacht. In der zweiten Stufe wollen wir mit Wirkung vom 1. Januar 1984 weitere Entlastungen für die gewerbliche Wirtschaft ermöglichen und die Rahmenbedingungen für die Vermögensbildung der Arbeitnehmer deutlich verbessern.
Die notwendige Neugestaltung des Lohn- und Einkommensteuertarifs kann in einer dritten Stufe dann beschlossen werden, wenn wesentliche Fortschritte bei der Gesundung der öffentlichen Finanzen erzielt sind.Lassen Sie mich noch in dieser mittelfristigen Perspektive einige kurze Bemerkungen zu großen Ausgabenblöcken machen. Ein vorrangiges Ziel unserer Politik muß es sein, die finanzielle Stabilität und die Leistungsfähigkeit unserer sozialen Sicherung auch dauerhaft, über das nächste Jahr hinaus zu gewährleisten. Unbestritten ist die Notwendigkeit, dieses System an die veränderten Wachstumserwartungen anzupassen. Dazu gehören allerdings auch eine Stärkung des Kostenbewußtseins und der zumutbaren Eigenverantwortung.
Insbesondere, meine Damen und Herren, müssen wir alle in Zukunft aber mehr Phantasie, mehr schöpferische Kraft entwickeln, freiwillige soziale Initiativen von Bürgern zu wecken, zu fördern und zu sichern.
Dies entspricht auch unserem Grundverständnis, daß der Mensch aufgefordert ist, in verantworteter Freiheit sein Leben zu gestalten.Mit der Entscheidung, den Krankenversicherungsbeitrag der Rentner 1984 auf 3 % und 1985 auf 5 % anzuheben, ist bereits jetzt ein wichtiger Beitrag zur mittelfristigen Festigung der Rentenversicherung geleistet. Weitere Schritte für die Rentenversicherung können sich als notwendig erweisen.Nach der jetzt vorgesehenen Umwandlung des Kinderbetreuungsbetrages in einen allgemeinen Kinderfreibetrag von 432 DM wollen wir in der nächsten Wahlperiode des Ehegatten-Splitting in ein Familien-Splitting umwandeln. Das schon erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt fest, daß die seit Jahren geltende Besteuerung berufstätiger alleinstehender Personen mit Kindern nicht verfassungsgemäß ist. Die wirtschaftliche Belastung durch die Unterhaltsverpflichtung gegenüber den Kindern wird bei diesem Personenkreis danach steuerlich nicht angemessen berücksichtigt. Seine weiterführenden Bemerkungen beziehen natürlich auch die Familien insgesamt in diese Frage mit ein. Wir werden die steuerpolitischen Folgerungen aus diesem Urteil sofort und sehr sorgfältig prüfen. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis Ende 1984 eine Regelung zu treffen, die den Grundsätzen des Urteils entspricht.Ich möchte die Kollegen der SPD-Fraktion noch einmal ausdrücklich auf diese Entscheidung des höchsten Gerichtes hinweisen. Ihre mir zunächst aus der Presse bekanntgewordenen Überlegungen, für ein Investitionsprogramm den Kinderbetreuungsbetrag ersatzlos abzuschaffen und an der Kappung des Ehegatten-Splittings festzuhalten, könnten Sie sehr leicht auf einen Kollisionskurs mit diesem neuesten Urteil des höchsten deutschen Gerichtes bringen.
— Ich bitte, das noch einmal sehr genau zu prüfen, Herr Kollege Westphal, bevor Sie sich endgültig dazu äußern.
— Nein, das ist nach dem Urteil der Ihnen doch gut vertrauten, hervorragenden Beamten der Bundesregierung nicht zu befürchten.Zu den mittelfristigen Entscheidungen im Bereich der Investitionen möchte ich folgendes betonen.Der Strukturwandel muß in erster Linie von den privaten Investitionen getragen werden. Aber ein hoher, in wichtigen Einzelbereichen verstärkter Beitrag der öffentlichen Investitionen behält auch in Zukunft seine Bedeutung. Manche großen Aufgaben, wie z. B. der Schulbau in den Ländern und Gemeinden, sind praktisch abgeschlossen; in anderen Bereichen, wie bei den Umweltschutzinvestitionen und in der Kommunikationstechnik, müssen wir in den nächsten Jahren im öffentlichen Gesamthaushalt noch erheblich mehr Mittel mobilisieren.Die Bundesregierung wird die Subventionen auch in den kommenden Jahren weiter mit dem Ziel des Abbaus überprüfen. Sie sieht darin mehr eine ordnungspolitische als eine haushaltspolitische Aufgabe. Der Grundsatz der Degressivität und zeitlichen Befristung von Subventionen sollte wieder stärker Beachtung finden.
Andererseits muß man offen sagen — auch ich habe das gelernt —, daß Subventionsabbau in der Zeit der Wirtschaftskrise und dramatisch zunehmender Firmenzusammenbrüche ein besonders schweres Geschäft ist.
Für 1983 haben wir zunächst weitere 500 Millionen DM in diesem Bereich gekürzt, und wir werden auf diesem Wege weiter vorangehen.Auf der anderen Seite haben wir aber auch einige Subventionen bewußt verstärkt. Das gilt besonders für die genannten Gemeinschaftsaufgaben, für das erwähnte Existenzgründungsprogramm, für den sozialen Wohnungsbau, also Bereiche, die wir jetzt stärken müssen, wenn wir mehr Beschäftigung wollen.Meine Damen und Herren, unverändert stellt sich auch die Aufgabe, den Anteil der Personalkosten im öffentlichen Gesamthaushalt schrittweise wieder zu verringern. Dabei sehen wir den Zusammenhang zwischen Aufgabenüberprüfung und Ver-
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Bundesminister Dr. Stoltenberg waltungsvereinfachung einerseits und Einsparungen bei Planstellen andererseits sehr wohl.
Unsere Mitarbeiter im öffentlichen Dienst erwarten zu Recht die Anerkennung ihrer Arbeit für den Staat und die Gemeinschaft, auch in grundlegenden Besoldungsregelungen.
Angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftskrise und steigender Erwerbslosigkeit erwarten aber viele Mitbürger auch von ihnen und ihren Verbänden, daß sie bei sicheren Arbeitsplätzen ihre aktuellen Einkommensansprüche mit betonter Zurückhaltung formulieren. Wir werden ja im Frühjahr auf dieses Thema zurückkommen.Ich möchte schließlich den engen Zusammenhang zwischen der Finanzpolitik und der Geld- und Kreditpolitik für die Lösung der uns gestellten großen Aufgaben besonders hervorheben. Mit der jüngsten Senkung des Diskont- und Lombardsatzes um 1 % hat die Bundesbank ihren Kurs bekräftigt, den vorhandenen Spielraum für geldpolitische Entscheidungen auszuschöpfen. Dies ist nicht nur für die Betriebe, sondern auch für die verfügbaren Einkommen von Millionen Bürgern von großer Bedeutung. Die Entwicklung des Diskont- und Lombardsatzes ist keine abstrakte Entwicklung, die an den Menschen vorbeigeht. So haben Sachverständige des Finanzministeriums errechnet, daß ein typischer Bauherr, der in den letzten Jahren ein Familienheim für 350 000 DM erstellen ließ, durch den Rückgang der Hypothekenzinsen eine Verbesserung seines monatlich verfügbaren Familieneinkommens um rund 200 DM erfährt.Wir erkennen den stetigen und beharrlichen Kurs der Bundesbank an. Sie hat damit nach innen und außen deutlich gemacht, daß die Deutsche Mark auch in Zukunft nicht zu den labilen, den weichen Währungen gehören soll.
Ein weiterer Rückgang unseres Zinsniveaus ist sehr wünschenswert. Zinssenkungen müssen jedoch auch im nationalen Bereich verdient werden, z. B. durch eine strengere Ausgabendisziplin des Staates und eine Kostenentwicklung, die zur Wettbewerbsfestigung der Betriebe beiträgt. Genau dies ist, wie ich im einzelnen begründen konnte, Ziel unserer Finanzpolitik und übrigens auch ein wesentliches Element unserer einkommens- und vermögenspolitischen Empfehlungen und Absichten.In diesem Jahr haben Finanzkrisen wichtiger Länder der Dritten Welt sowie des Ostblocks die schweren Risiken offengelegt, die sich in Jahren überschneller Verschuldung und aufgeschobener wirtschaftlicher Strukturanpassung auch außerhalb unserer Grenzen angesammelt haben. Die unerwartet lange weltwirtschaftliche Stagnation und sehr hohe internationale Zinsen haben auch dort die Folgen binnenwirtschaftlicher Fehler verschärft. Die internationalen Finanzmärkte sind auf eine harte Probe gestellt worden. Es hat sich wieder gezeigt, daß auch Volkswirtschaften nicht dauernd auf Pump leben können und daß letztlich kein Weg daran vorbeiführt, das Gleichgewicht der Zahlungsbilanz zu wahren oder — wenn es verlorengegangen ist — wiederherzustellen.
Die jüngsten Erfahrungen zeigen allerdings auch, daß Finanzkrisen bewältigt werden können. Das internationale Finanzsystem hat sich unter schweren Anspannungen als robust und flexibel erwiesen. Ein dichtes Netz internationaler Zusammenarbeit von Regierungen, Zentralbanken und Finanzierungsinstitutionen hat dazu beigetragen, die finanziellen Schadensfälle zu begrenzen und das System funktionsfähig zu halten. Aber es gibt noch schwerwiegende ungelöste Probleme. Die Bundesregierung unterstützt weiterhin eine aktive Rolle insbesondere des Internationalen Währungsfonds und tritt für eine Erweiterung seiner Handlungsmöglichkeiten ein.Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, es ging mir nicht nur darum, die wichtigsten Entscheidungen für den neu gefaßten Bundeshaushalt 1983 und das neue Begleitgesetz zu begründen; in vielen unserer Einzelbeschlüsse sind auch die weiterreichenden Ziele der Finanz-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik erkennbar. Natürlich bedarf manches der Ergänzung, der Präzisierung und Ausformung. Wenige Wochen nach der Begründung der neuen Koalition und der Bildung der neuen Bundesregierung sind nach meiner Überzeugung aber bereits erste wichtige Beiträge auch für die Bewältigung dieser mittelfristigen Aufgaben über das kommende Jahr hinaus geleistet worden.Die Hypotheken der Vergangenheit sind groß. Der Wendekreis einer neuen Finanzpolitik ist unter der aktuellen Last der Wirtschaftskrise sicher nicht in Monaten, sondern in Jahren zu bemessen. Aber wir gehen mit Zuversicht an die Arbeit. In einer freien und offenen Gesellschaft sind wir auf den solidarischen Beitrag aller sozialen Gruppen und aller Bürger angewiesen. Solidarität darf nicht an der Grenze der Mitgliedschaft der einzelnen Verbände und Organisationen enden.
Sie muß vor allem jenen gelten, deren Sorgen am größten sind: den Arbeitslosen, den in Existenznot befindlichen Selbständigen, den jungen Menschen, die Ausbildungs- und Arbeitsplätze unter härteren Bedingungen suchen, den älteren Mitbürgern, deren Renten sicher bleiben sollen.Mit dem Appell zur Solidarität wollen wir keine unvermeidbaren Auseinandersetzungen in Frage stellen oder gar unterdrücken. Aber es wird sich jeder daran messen lassen müssen, ob er bereit ist, die vorrangigen Gemeinschaftsaufgaben bei seinen eigenen Forderungen zu beachten. Das gilt auch für den sensiblen Bereich der Einkommenspolitik. Mein Kollege Norbert Blüm hat an die großen sozialen Gruppen, nicht nur an die Gewerkschaften, appelliert, eine begrenzte Pause für Einkommenserhöhungen ins Auge zu fassen. Seine erbitterten Kritiker möchte ich an eine Solidarleistung erin-
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Bundesminister Dr. Stoltenbergnern, die vor 15 Jahren bei einer vergleichsweise schwächeren Rezession und niedrigeren Arbeitslosenzahlen freiwillig erbracht wurde: Ende 1967 wurden durch eine Vereinbarung zwischen der Industriegewerkschaft Metall und den Arbeitgebern die Tarifverträge für die Metallindustrie mit kostenneutralen Tarif- und Lohnrahmenänderungen um neun Monate verlängert.Im Sommer 1967 wurde in einer Vereinbarung zwischen der Gewerkschaft ÖTV und den öffentlichen Arbeitgebern abgesprochen, einen neuen Tarifvertrag erst sechs Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist mit Wirkung vom 1. Januar 1968 abzuschließen. Ähnliche Vereinbarungen gab es im Baugewerbe und in der Textilindustrie mit einer Lohnerhöhungspause von drei bzw. sieben Monaten.Was damals von bedeutenden Gewerkschaftsführern wie Otto Brenner und anderen im Interesse der Wirtschaftsbelebung und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit für richtig gehalten wurde, kann heute von ihren Nachfolgern nicht glaubwürdig als angeblicher Anschlag gegen die Lebensinteressen der Arbeitnehmer verdammt werden.
Dabei ist völlig klar: Die Tarifhoheit bleibt unbestritten. Über die Angemessenheit identischer Lösungen unter den Bedingungen unserer Zeit, Herr Kollege Ehmke, mag man ja sachlich diskutieren.
— In den Reden, die wir auf den Marktplätzen hören oder die das deutsche Fernsehen ständig überträgt, ist doch von sachlicher Diskussion nicht die Rede, meine Damen und Herren!
Wer hat es denn bis jetzt für richtig gehalten, auf einer dieser Kundgebungen einmal an die Entscheidung Otto Brenners, Heinz Klunckers und der anderen zu erinnern, die ich hier einmal in die öffentliche Diskussion einführe als einen Maßstab?
— Aber Herr Ehmke!Ich glaube, diese Erinnerung an eine Zeit, in der wir ja auch enger zusammengearbeitet haben, spricht für sich selbst. Sie wird hoffentlich dazu beitragen, die Diskussionen auch außerhalb dieses Hauses ein Stück zu versachlichen.
Denn niemand kann sich der Mitverantwortung für die Überwindung der Krise entziehen, weder Arbeitgeber noch Gewerkschaften noch freie Berufe noch andere und am wenigsten natürlich wir, die wir als Politiker ein direktes Mandat der Wähler haben.Die Finanzpolitik des Bundes soll — das wollte ich heute deutlich machen — unter schwierigen Bedingungen ihren Beitrag leisten.
Meine Damen und Herren, gemäß einer Vereinbarung des Ältestenrats unterbreche ich die Sitzung bis 14 Uhr.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet.Zusätzlich zu den bereits aufgerufenen Tagesordnungspunkten 2 — Ergänzung zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1983, Drucksache 9/2050 — und 3 — Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 1982, Drucksache 9/2049 — rufe ich die Punkte 4 bis 7 der Tagesordnung auf:4. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts
— Drucksache 9/2074 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
InnenausschußFinanzausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung VerteidigungsausschußAusschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung und Wissenschaft5. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen— Drucksache 9/2079 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau6. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer
— Drucksache 9/2016 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO7. Beratung des Sondergutachtens des Sachverständigenrates zur Begutachtung der ge-
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Vizepräsident Dr. h. c. Lebersamtwirtschaftlichen Entwicklung zur wirtschaftlichen Lage im Oktober 1982— Drucksache 9/2027 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft HaushaltsausschußMeine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 2 bis 7 vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist entsprechend beschlossen.Wird das Wort zur Begründung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 9/2074, 9/2079 und 9/ 2016 gewünscht? — Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Als erster Redner hat der Abgeordnete Walther das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, ich möchte mit einem Dank an Sie beginnen. Ich bedanke mich sehr dafür, daß Sie, der Tradition Ihrer sozialdemokratischen Vorgänger folgend, mir Ihre Rede vorab zur Verfügung gestellt haben. Ich möchte diesen guten Stil ausdrücklich loben.
In der Sache kann ich Ihnen, Herr Bundesfinanzminster, so viel Lob leider nicht aussprechen.
Herr Bundesfinanzminister, Sie sind ja mit vielen Vorschußlorbeeren aus Kiel hierhergekommen, und Sie gelten als eine Art Exot in diesem Kabinett, das im übrigen seinen Sachverstand erst noch nachweisen muß.
Aber als Bundesfinanzminster, Herr Dr. Stoltenberg, sind Sie für alles verantwortlich, was in dieser Regierung in den ersten sechs Wochen Ihrer Amtszeit auf dem Gebiet der Finanzpolitik getan worden ist, für alles, was sich die Regierung geleistet hat.
Zunächst will ich ein paar Bemerkungen zum analytischen Teil Ihrer Rede machen, Herr Dr. Stoltenberg; wir werden darauf im Verlauf der Debatte noch ausführlich zurückkommen. Viele Einzelelemente der Analyse, die Sie hier heute gegeben haben, stimmen ja weitgehend mit dem überein, was Ihre sozialdemokratischen Vorgänger hier vorgetragen haben. Wir haben keinen Grund, das zu kritisieren. Insbesondere stellen wir mit großer Freude fest, daß Sie jetzt nicht mehr wie früher die exorbitanten außenwirtschaftlichen Einflüsse leugnen. Wenn Sie dies hier heute zugeben und Ihre Lernfähigkeit damit auch auf diesem Gebiet unter Beweis stellen, dann haben wir das nicht zu kritisieren, Herr Bundesfinanzminister.
Ich komme auf eine Passage am Schluß Ihrer Rede zurück. Sie brachten den Hinweis, daß Sie Wert legen auf internationale Zusammenarbeit von Regierungen, von Zentralbanken und Finanzierungsinstitutionen. Sie haben auch vom Internationalen Währungsfonds gesprochen. Damit unterstützen Sie das, was Ihre Vorgänger getan haben. Wenn Sie auf dieser Linie bleiben, werden Sie unsere Kritik jedenfalls an dieser Stelle nicht finden.Aber es kann niemandem entgehen, daß eine Lücke, teilweise auch ein Widerspruch besteht zwischen dem, was Sie an allgemeinen Problembeschreibungen geben, und dem, was Sie an konkreten Maßnahmen vorschlagen. In der allgemeinen Beschreibung beklagen Sie z. B. eine steigende Abgabenbelastung, während Sie im Maßnahmenteil ungerührt weitere Abgabenerhöhungen vorschlagen. Sie sagen, es müßten mehr Produktivkräfte für investive Zwecke freigemacht werden. Als ob das umstritten wäre, Herr Bundesfinanzminster!Die entscheidende Frage ist doch, auf welchem Wege man das am besten erreicht. Da argumentieren Sie gar nicht mehr. Sie gehen stillschweigend davon aus, daß man es dadurch am besten erreicht, daß man Unternehmungen, Unternehmern und Besserverdienenden mehr Steuervergünstigungen gibt. Ich komme auf den Punkt noch zurück, weil ich glaube, daß gerade er einer sehr intensiven Diskussion bedarf.Aber in Ihrer Rede, Herr Bundesfinanzminister, fehlen die zusammenhängende Begründung der Einzelmaßnahmen und ihre Ableitung aus der Analyse. Eine klare Konzeption ist nicht erkennbar, abgesehen davon, daß die meisten Maßnahmen im Zweifel eine soziale Schlagseite haben. Dieses unzureichende Konzept läßt sich in einer wohlgesetzten Haushaltsrede zwar etwas kaschieren, aber in der öffentlichen Diskussion der vergangenen Wochen konnte niemand entgangen sein, daß die neue Rechtsregierung mit einer Serie von Fehlstarts begonnen hat, auf die wir heute mindestens teilweise zurückkommen müssen.
Meine Damen und Herren, ich sage: Noch nie in der Geschichte unseres Landes hat eine Regierung derart unvorbereitet ihr Amt übernommen wie diese.
Unzulänglichen Koalitionsvereinbarungen sind ebenso unzulängliche Haushaltsbeschlüsse gefolgt. Bis zur letzten Kabinettssitzung mußten sie nachgebessert oder, besser gesagt, nachverschlechtert werden, ohne dadurch schlüssiger geworden zu sein.Vizepräsient Dr. h. c. Leber: Herr Abgeordneter Walther, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
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7670 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
Verehrter Herr Kollege Walther, die neue Regierung ist knapp einen Monat im Amt, und Sie klagen sie schon an.
Hätten Sie denn nicht die Güte, uns wenigstens etwas Zeit zu lassen, Fehler machen zu dürfen?
Lieber Herr Haase, genau auf diesen Teil komme ich zurück. Ihre Frage hat das vorweggenommen, was ich jetzt ausführen will. Herr Dr. Stoltenberg hat diesen Vorgang nämlich als einen kleinen Schritt in großer Eile bezeichnet.Wieso eigentlich „in großer Eile", Herr Dr. Stoltenberg? Sie hatten doch als Union das Angebot von Bundeskanzler Schmidt, die sofortige Durchführung von Neuwahlen zu ermöglichen. Sie haben es mit der Begründung abgelehnt, Sie müßten hier erst einen ordentlichen Haushalt durchbringen. Aber wenn das so ist, dann können wir doch verlangen, daß hier heute ein ordentlicher Haushalt vorgelegt wird.
Sie haben sich doch die Zeitvorgabe gegeben, nicht wir.Nun, meine Damen und Herren, ich sage Ihnen, Herr Dr. Stoltenberg: Wenn dies die Begründung für die Verschiebung des Wahltermins war und Sie diesen Haushalt vorlegen, dann ist das eine weitere Lebenslüge dieser Koalition.
Ich frage noch einmal: Wieso „in großer Eile"? Da hat es doch einen Koalitionspartner gegeben, der jetzt bei Ihnen mit an Deck ist. Die Herren Genscher, Graf Lambsdorff und Mischnick haben bei allen Koalitionsverhandlungen der sozialliberalen Regierung gesessen. Ihr Sachverstand hätte ausreichen müssen, um zusammengestoppelte Koalitionsvereinbarungen in dieser Rechtskoalition verhindern zu helfen.
Herr Dr. Kohl wußte doch spätestens seit Sommer vorigen Jahres, daß Herr Genscher nur auf die erstbeste Gelegenheit wartete, um das Koalitionsbett zu wechseln. Spätestens seit der abstrus begründeten Koalitionsaussage der FDP in Hessen war klar, daß, wenn die hessischen Wähler das Experiment des Koalitionswechsels honorieren würden, spätestens am 27. September hier in Bonn die Verhandlungen über eine neue Regierung stattfinden sollten. Das hatte der Herr Genscher Ihnen, Herr Bundeskanzler, mehrmals deutlich zu verstehen gegeben.Wir haben in diesem Haus die damalige Opposition unzählige Male aufgefordert, sie möge doch nun endlich an Deck kommen und ihre Konzepte, ihre Rezepte, ihre Alternativen vorlegen. Auch den damaligen Oppositionsführer, der jetzt dort sitzt, habe ich mehrmals und namentlich aufgefordert, hierher noch vorn zu kommen.Sie hätten doch Zeit gehabt, sich auf solche Koalitionsvereinbarungen vorzubereiten. Darin — das gebe ich zu — hatten auch wir uns getäuscht. Wir hatten doch im Ernst geglaubt, Sie hätten Rezepte, Sie hätten ein Konzept, Sie würden es uns aus opportunistischen Gründen nur nicht verraten. Aber in Wahrheit hatte Sie das Sonthofener Konzept so eingeholt, daß Sie sich selber Denkverbot auferlegt hatten.
Herr Dr. Kohl, Sie sind doch mit leeren Händen in die Gespräche mit der Mehrheit der FDP gegangen.
Hätten Sie sich doch wenigstens des Sachverstands Ihrer Kollegen aus der Bundestagsfraktion, z. B. der Haushaltspolitiker, bedient. Die hatten doch Sachverstand, auch wenn sie in vielen Fällen anderer Meinung als wir waren. Aber, wie ich gehört habe, haben Sie nicht einmal die bei Ihren Koaltionsverhandlungen beigezogen. Das geht j a bei Ihnen nach der Methode: Sachverstand hindert nur am vorschnellen Urteil.
Es ist ein grober Unfug, zu behaupten, Sie hätten immer neue Haushaltslöcher entdeckt oder Ihr Informationsstand sei unterentwickelt gewesen.
Die Union hatte den gleichen Informationsstand wie wir.
Dafür haben j a auch einige sehr ehrenwerte Herren im Bundesrat gesessen. Ihre Unterhändler hätten ihn nur abrufen müssen.
— Herr Kollege Haase, wenn Sie schon lachen: Sie wissen doch genauso gut wie wir, daß Sie bei den Koalitionsverhandlungen überhaupt nicht gefragt worden sind.
Herr Dr. Stoltenberg, Ihre Fehlleistungen werden mit der Überschrift über die heutige Haushaltsvorlage besonders signifikant. Dort heißt es nämlich zu Recht: Ergänzungshaushalt. Die Vorlage eines Ergänzungshaushalts steht aber deutlich im Widerspruch zu Ihren vollmundigen Ankündigungen. Sie hatten nämlich wiederholt erklärt, Sie wollten den Haushaltsentwurf 1983 der sozialliberalen Regierung zurückziehen und einen völlig neuen Entwurf einbringen.Unsere Einschätzung war von vornherein: Sie würden das nicht durchhalten. Sie haben sich ja von uns auf den Pfad der haushaltsrechtlichen Tugend zurückführen lassen müssen. Wir kritisieren das nicht. Nur, wir sagen: Hätten Sie sich von Anfang an unserer damals richtigen Einschätzung angeschlossen, bräuchten wir diese Beratungsfarce in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages, insonderheit im Haushaltsausschuß, nicht zu vollziehen.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7671
WaltherIch sage Ihnen einmal, Herr Dr. Stoltenberg, weil Sie das wahrscheinlich nicht wissen können: Als Ihr Vorgänger hier den Etat eingebracht hat, haben Ihre Kollegen im Haushaltsausschuß — es war Mitte September — auf einer Beratungszeit bis Mitte 1983 bestanden. Dadurch, daß Sie die Beratungen verhindert haben, soll dieser Haushalt mit zweiter und dritter Lesung in vier Wochen durchgepeitscht werden. Hier werden ernsthafte Beratungen durch Handauflegen auf die Einzelpläne ersetzt. Ich sage mit einem Lieblingswort des Herrn Bundeskanzlers: Das ist ganz und gar unerträglich, Herr Bundesfinanzminister.
Aber wir werden uns an den Beratungen beteiligen, weil wir Ihnen keinen Vorwand liefern wollen, den von Ihnen versprochenen Neuwahlen auszuweichen.
Ich komme darauf noch zurück, Herr Bundeskanzler. Das Thema bleibt Ihnen nicht erspart.Was Ihre Eingangsbemerkung, Herr Dr. Stoltenberg, anlangt, die Vorlage von Finanzminister Lahnstein beruhe auf damals falschen Daten, sage ich nur folgendes: Die Daten stammen von Graf Lambsdorff, der ja neben Ihnen auf der Regierungsbank sitzt. Sie selber haben die gleichen Daten für Ihren Landeshaushalt in Schleswig-Holstein verwendet.
Zurück zum Verfahren. Wir Sozialdemokraten beteiligen uns unter Protest an dieser Farce. Aber wir werden keine windigen Operationen mitmachen. Die Beachtung der haushaltsrechtlichen Bestimmungen muß gewährleistet sein. Wir werden intensiv und konstruktiv mitarbeiten. Aber ich sage Ihnen noch einmal: Wir werden Ihnen keinen Grund dafür liefern, den versprochenen Neuwahlen aus dem Weg zu gehen.
Damit kein Zweifel aufkommt, Herr Dr. Stoltenberg: Unsere Aussage, die dritte Lesung des Haushalts 1983 noch im Dezember durchzuführen, steht und fällt mit der Klarstellung, daß Bundestagsneuwahlen am 6. März 1983 stattfinden
und auf welchem Weg sie herbeigeführt werden sollen. Seit Ende September wird von dem jetzigen Bundeskanzler der 6. März als Neuwahltermin genannt.
In seiner Regierungserklärung vom 13. Oktober, also vor etwa vier Wochen, hat er Gespräche mit Fraktions- und Parteivorsitzenden angekündigt.
Immer wieder werden diese Gespräche, Herr Dr. Kohl, von Ihnen hinausgezögert.
Der Bundeskanzler vermeidet eindeutige Festlegungen über den Weg zu Neuwahlen. Das schafft täglich neue Unsicherheit in der Bevölkerung, aber auch in der Wirtschaft, Herr Dr. Kohl.
Am besten wäre es, wenn Sie noch die Gelegenheit dieser Haushaltsdebatte wahrnehmen, hier herkommen und sagen würden, wann Sie zurücktreten wollen und damit den Weg für Neuwahlen freimachen.
Dann gäbe es Klarheit und Sicherheit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich zitiere den Herrn Bundesfinanzminister:Der Bürger als Steuerzahler sollte Gewißheit haben, daß seine Steuern und Abgaben sparsam, sorgfältig und überprüfbar für die Staatsaufgaben, d. h. für die großen Gemeinschaftsaufgaben unseres Volkes, verwandt werden.Sehr gut; das sind Worte, die man nur unterstützen kann. Aber Sie müssen sich gefallen lassen, daß wir Sie an Ihren Worten messen, Herr Bundesfinanzminister.Steht es z. B. mit diesen Worten im Einklang, wenn diese Regierung aus Gründen des Parteiproporzes vier zusätzliche Parlamentarische Staatssekretäre oder Staatsminister einstellt? — Herr Bundeskanzler, wenn Sie den Kopf schütteln, dann muß ich Ihnen sagen: Auf dem Stuhl saß früher Hans-Jürgen Wischnewski; jetzt haben Sie da drei sitzen. Das sagt über die Qualität der Herren, die da sitzen, mehr aus als alle Worte.
Diese Regierung hat 40 qualifizierte Beamte zu Spaziergängern gemacht und sie durch andere ersetzt, die ihre Qualifikation noch beweisen müssen, obwohl diese Regierung nach eigenem Verständnis nur bis zum 6. März amtieren will.Ein weiteres gravierendes Beispiel, Herr Bundeskanzler, für den sorgsamen Umgang mit Steuergeldern: Die neue Regierung beschäftigt einen Teilzeitarbeiter — er ist im Moment nicht da; tut mir leid — bei vollem Gehalt. Ich meine den Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Herrn Dr. Heinrich Geißler, der eine besondere Art von Job-sharing praktiziert.
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7672 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
WaltherIn seinem Ministerium wird er nur ein paar Stunden in der Woche gesehen; in praxi hält er sich die meiste Zeit im Adenauerhaus auf, wo er als Polemiker vom Dienst sein Amt als Generalsekretär der CDU versieht.
Anders gesagt, meine Damen und Herren: Der Steuerzahler bezahlt den CDU-Generalsekretär.
Dabei hat er doch geschworen, er wolle seine ganze Kraft dem deutschen Volk widmen und nicht eine Teilkraft der CDU sein, Herr Bundeskanzler.
Wir fordern Sie, Herr Bundeskanzler, deshalb auf, Herrn Dr. Heinrich Geißler ohne Verzögerung aus seinem Amt zu entlassen, weil er dem Ministeramt nicht zur Verfügung steht, wenn Sie dem schwerwiegenden Vorwurf der Verfilzung von Staats- und Parteiinteressen entgegenwirken wollen.
Wenn Sie dabei sind, Herr Bundeskanzler, sich Ihr Kabinett anzuschauen, vergessen Sie Herrn Schwarz-Schilling nicht.
Einige Veröffentlichungen der letzten Tage erwekken zumindest den Eindruck, daß ein enger Zusammenhang zwischen seinen Forderungen als Minister und seinen privaten Interessen besteht. Dieser Verdacht muß ausgeräumt werden.
Herr Abgeordneter Walther, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kohl?
Herr Kollege, halten Sie es für richtig, daß Sie hier vor dem Plenum des Deutschen Bundestages einen Abgeordneten dieses Hauses, der jetzt Mitglied der Bundesregierung ist und der unserem Land in vielen Funktionen gedient hat, auf Grund einer Magazinveröffentlichung, die längst widerlegt worden ist, in dieser Form ansprechen?
Herr Bundeskanzler, wenn dies widerlegt sein sollte, haben Sie die Pflicht, dies öffentlich aufzuklären. Wenn Sie dies hier heute tun, so habe ich dagegen nichts einzuwenden. Ich kann jedenfalls nicht finden, daß die in der Öffentlichkeit aufgetretenen Gerüchte bisher widerlegt worden sind.
Herr Abgeordneter Walther, erlauben Sie eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl? — Bitte.
Herr Abgeordneter, ich frage Sie noch einmal: Halten Sie es — auch nach dieser Antwort — für richtig,
solche völlig ungeprüften Vorwürfe vor dem Forum des Bundestages zu erheben und dann auf diese Art meine Frage zu beantworten?
Herr Bundeskanzler, ich kann nicht finden, daß dies bisher widerlegt worden ist. Wenn Sie das tun — Sie haben heute hier Gelegenheit, Sie können an dieses Pult treten, und es widerlegen —, bin ich der letzte, der Ihnen nicht Genugtuung widerfahren lassen will. Aber hier muß deutlich werden, ob das, was in der Öffentlichkeit vermutet wird, ausgeräumt ist oder nicht. Ich kann es bisher jedenfalls nicht finden.
Herr Abgeordneter Walther, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Heyenn?
Bitte schön.
Herr Kollege Walther, sehen Sie nicht auch einen Widerspruch darin, daß sich der Herr Bundeskanzler verwahrt gegen die Vorwürfe, die Sie gegenüber dem neuen Bundespostminister ergeben, aber kein Wort ausführt zu den Vorwürfen, die Sie gegenüber dem Generalsekretär der CDU, Herrn Dr. Geißler, gemacht haben?
Herr Kollege, daß er sich dazu nicht geäußert hat, spricht für sich. Ich denke, er stimmt meiner Beurteilung zu.
Nun zu Ihnen, Herr Bundesfinanzminister. Gegenüber Ihren eigenen Wählern, Herr Dr. Stoltenberg, ist dieser Haushalt ein Dokument des Wortbruchs, der Prinzipienlosigkeit, und gegenüber den breiten Schichten unseres Volkes ein Dokument des Zynismus.
Früher, vor dem Regierungswechsel, haben Sie zu einer Reihe wichtiger Eckpunkte der sozialliberalen Haushaltspolitik folgendes gesagt: Aus Zeitgründen muß ich mich auf ganz wenige Zitate beschränken. Der Herr Dr. Häfele braucht keine Angst zu haben. Wenn ich alle seine Zitate hier vorlesen würde, würde der ganze Nachmittag nicht reichen.
Sie haben z. B. gesagt: Steuern und Abgaben dürfen nicht erhöht werden. Dazu sagen Sie am 16. Februar 1982, Dr. Stoltenberg: Steuer- und Abgabenerhöhung belasten die Bürger und Betriebe, geben der Wirtschaft nicht die Impulse, die wir zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit brauchen; sie sind
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7673
Waltherzudem in der Form der Mehrwertsteuererhöhung eine besondere Belastung für die sozial schwächeren Bürger. Sie sagen noch, sie erschweren die Tarifverhandlungen.Am 2. Juli sagen Sie im Westdeutschen Rundfunk: Prinzipielle Bedenken gibt es gegen jede Form der direkten und indirekten Steuererhöhung. Der Herr Häfele sagt im Deutschland-Union-Dienst — einmal muß er doch drankommen —: Die CDU/ CSU lehnt die Erhöhung der Mehrwertsteuer ohne Wenn und Aber ab, weil sie ein sozial- und wirtschaftspolitischer Fehler wäre.
Weiter, Herr Dr. Stoltenberg: Einer Mehrwertsteuererhöhung, haben Sie im Bundesrat gesagt, können Sie nur zustimmen, wenn diese zur Entlastung im Lohn- und Einkommensteuerbereich verwandt würde. Aus Ihren Vorlagen, Herr Dr. Stoltenberg, kann ich überhaupt nicht erkennen, wie Sie diesem von Ihnen damals selbst gestellten Anspruch gerecht werden.Subventionen, haben Sie gefordert, müßten linear gekürzt werden — um 5 %, 8 %, der Herr Bundeskanzler hat sogar gesagt: 10 %. Wir haben dies immer für groben Unfug gehalten.Jetzt kommen auch Sie selbst zu dem Ergebnis, daß das nicht geht. Herr Dr. Stoltenberg, die von Ihnen vorgesehene Subventionskürzung um 500 Millionen DM steht auf tönernen Füßen. Oder glauben Sie ernsthaft, Sie halten die Kürzung der Subventionen im Stahl- und Kohlebereich durch? Glauben Sie dies ernsthaft angesichts der Debatten, die wir heute morgen und letzte Woche hier hatten?Der Bundesbankgewinn, so haben Sie gefordert, solle zur Tilgung bestehender Schulden verwandt werden. Er, so sagte Herr Dr. Häfele am 15. September hier an diesem Pult, sei haushaltspolitisch sogar schlimmer als eine Neuverschuldung und werde eine immer größere Gefahr. Meine Damen und Herren, so groß kann die Gefahr nun auch wieder nicht gewesen sein. Denn der Herr Dr. Stoltenberg will jetzt keine 10 Milliarden DM, er will sogar 11 Milliarden DM an Bundesbankgewinn in den Haushalt 1983 einstellen. Übrigens, Herr Dr. Stoltenberg: Wir tragen das mit!
— Ja, so wird man von der Vergangenheit eingeholt. — Dann haben Herr Dr. Kohl und Herr Dr. Zimmermann, die sitzen j a auch da, weiter behauptet — und jetzt wird es dramatisch —: Die öffentliche Verschuldung sei zu hoch und verstoße gegen Art. 115 des Grundgesetzes. Jetzt schlagen Sie eine massive Erhöhung der Nettokreditaufnahme vor. Jetzt bin ich doch wirklich einmal gespannt, Herr Bundeskanzler, wie Sie als Regierungschef Ihre eigene Klage in Karlsruhe beantworten werden.
Damit kein Zweifel aufkommt: Wir tragen die ausKonjunkturgründen notwendige Erhöhung derNettokreditaufnahme mit. Wir haben keinen Nachholbedarf an Lernfähigkeit.
Wenn ich allerdings Sie betrachte, Herr Dr. Stoltenberg, wie Sie alle Ihre hehren Grundsätze aus der Oppositionszeit über Bord geworfen haben, kann ich nur feststellen: Ihre Lernfähigkeit ist nur noch in Schallgeschwindigkeitseinheiten zu messen.
Allerdings, meine Damen und Herren, hätten wir bei Ihrer Lernfähigkeit schon vorgewarnt sein müssen; denn Sie standen ja bis vor kurzem einer Landesregierung vor, die dafür gesorgt hat, daß Schleswig-Holstein nach dem Saarland die höchste ProKopf-Verschuldung unter allen Bundesländern aufweist.Nun könnten Sie sagen: Das waren Oppositionssprüche. Herr Dr. Zimmermann hat ja einmal im „Spiegel" gesagt: In der Opposition reden wir anders als in der Regierung. Das war eine reife rhetorische Meisterleistung.
Nur, meine Damen und Herren: In der Regierung muß man sich mit den Sachfragen ernsthaft auseinandersetzen. Dabei stellt sich heraus, daß die sozialliberale Regierung mit dem Bundesbankgewinn, der Nettokreditaufnahme und den Subventionskürzungen gar nicht so falsch gelegen hat.Diese Politik der Doppelzüngigkeit wird leider fortgesetzt. Der verehrte Herr Bundeskanzler hat kürzlich in einer sehr bedeutsamen Frauenzeitschrift ein Interview gegeben, in dem er meinte, er müsse öffentlich eine sogenannte Hausfrauenrente ankündigen. Herr Geißler — er ist immer noch nicht da —
kündigte sogar an, das Mutterschaftsgeld zu einem Erziehungsgeld auszuweiten.Herr Bundeskanzler, in allem Ernst: Dies geschah zu einem Zeitpunkt, da breite Schichten unseres Volkes von Ihnen zur Kasse gebeten werden. Ich frage mich, ob das die politische Führung ist, die Sie, Herr Bundeskanzler, dieser Republik versprochen haben.
Ich muß auch den Herrn Vizekanzler und die Mehrheit der FDP fragen, wo eigentlich ihr Widerstand geblieben ist, den sie während der Zeit der sozialliberalen Koalition geleistet haben gegen jede weitere Art der Erhöhung von Steuern und Abgaben, gegen jede weitere Ausweitung der Nettokreditaufnahme. Wenn Sie all das, was Sie uns verwei-
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Walthergert haben, jetzt mit der Union machen, wo liegt denn dann der eigentliche Grund für Ihre systematisch vorangetriebenen Koalitionsbrüche?Diese Politik ließe sich wohl eher unter dem Begriff der Wendigkeit als unter dem Begriff der Glaubwürdigkeit einordnen.
Der Ergänzungshaushalt, meine Damen und Herren, ist deshalb ein Dokument des Zynismus, weil er auf brutale Art und Weise eine Umverteilung von unten nach oben bewirkt.
Das ist keine törichte Bemerkung und keine törichte Behauptung, Herr Dr. Stoltenberg, wie Sie in Ihrer Rede gesagt haben. Ich komme gleich auf den Herrn Bundeskanzler zurück, den seine Vergangenheit ja auch einholt, hat er doch noch als Oppositionsführer dem Deutschen Gewerkschaftsbund mitgeteilt, daß die Beschlüsse der sozialliberalen Koalition völlig unsozial seien und er die Verschiebungen unter den Sozialversicherungsträgern nicht billigen könne. Jetzt verantwortet der Herr Bundeskanzler Beschlüsse, die das Prinzip der sozialen Ausgewogenheit völlig unter die Räder geraten lassen
und den Verschiebebahnhof unter den Sozialversicherungsträgern so verknäueln, daß kein vernünftiger Mensch mehr genau weiß, was aus welchem Grund wohin kommt.
Meine Damen und Herren, meinen Vorwurf der Umverteilung von unten nach oben begründe ich so: Da, wo Besserverdienende durch die bisherige sozialliberale Regierung getroffen worden wären, wird das zurückgenommen. Wo Besserverdienende dennoch geringfügig belastet werden könnten, wird die Belastung durch eine Rückzahlung wieder aufgehoben. Demgegenüber werden die Lasten für Arbeitnehmer, für Renter, für Kranke, für Mieter, für Schüler, für Studenten und für Sozialhilfeempfänger erheblich verschärft wie z. B. durch die Erhöhung des Arbeitslosenbeitrags, durch die vorgezogene Erhöhung der Beiträge zur Rentenversicherung, durch die Einkommensverluste der Rentner und Kriegsopfer, durch die Einführung eines Krankenversicherungsbeitrags bis zu 5 % für Rentner, durch das „Eintrittsgeld" in das Krankenhaus und das Sanatorium in Höhe von 5 bis 10 DM, durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer, durch den Kahlschlag beim BAföG.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie wird den Kahlschlag bei der Bildung bewirken. Sie wird als „Bildungskillerin" in die Geschichte eingehen.
Es wird dann wieder nach der Methode gehen: Nur reiche Eltern können sich dumme Kinder leisten.
Es wird höhere Mieten geben bei gleichzeitiger Kürzung des Wohngelds und bei einer realen Kürzung der Sozialhilfe.Vieles von dem, Herr Bundesfinanzminister, wird sich kumulieren, so daß es nicht übertrieben ist zu behaupten, daß in vielen solchen Familien — es ist ernst; Sie brauchen nicht zu lachen — wieder die pure Not einkehren wird.Es ist schon ein starkes Stück, als eine Maßnahme zur Herstellung der sozialen Ausgewogenheit die bürokratische Zwangsanleihe vorzuschlagen.
Sie stellt keine echte Belastung dar, sondern bringt lediglich einen geringfügigen Zinsverlust. Im übrigen sage ich noch einmal: Jeder Phantasiebegabte kann sich leicht davon befreien.Im übrigen, Herr Bundesfinanzminister, rate ich Ihnen, einmal nachzuprüfen, ob die Zwangsanleihe überhaupt rechtlichen Bedenken standhält. Wenn Sie sagen, Sie hätten sich auf einen Solidarbeitrag verständigt, den es unter der alten sozialliberalen Regierung nicht gab, so muß ich Sie fragen, ob Sie denn nicht in derselben Regierung wie Graf Lambsdorff sitzen. Der hat uns doch jeden Solidarbeitrag verweigert. Aber wenn es Ihnen schon um einen echten Solidarbeitrag geht — ich weiß, in Ihrer Fraktion gibt es gleichlautende Stimmen —, dann schließen Sie sich unserem Gesetzentwurf über die Ergänzungsabgabe — eine saubere und ordentliche Sache — an. Dann haben wir einen Streitpunkt weniger.
Bei aller Hilflosigkeit derjenigen, die ökonomische Prognosen abgeben, wird übereinstimmend die Auffassung vertreten: Der eigentliche aktuelle Pferdefuß der Konjunkturentwicklung ist die drastisch zurückgehende Inlandsnachfrage. Und das wird noch schlimmer werden, Herr Bundesfinanzminister. Wir haben nie bestritten, daß die Investitionstätigkeit der Unternehmen gestärkt werden muß. Wir haben deshalb ja auch in der sozialliberalen Regierungszeit Entlastungen bei der Unternehmensbesteuerung beschlossen wie keine Bundesregierung zuvor. Trotzdem ist doch nicht erkennbar, wie dadurch allein jetzt zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden sollen; denn das ist doch eine Binsenweisheit: Kein Unternehmer investiert, wenn er die Produkte, die er produziert, nicht verkaufen kann.Ich habe noch im Ohr, wie Herr Riedl, Herr Waigel — und wer sonst immer hier vorn gestanden hat; die Unionsredner sind scharenweise hier aufgetreten — behauptet haben, das beste Beschäftigungsprogramm sei ein Regierungswechsel.
Nun hat Herr Genscher den Regierungswechsel geschafft. Aber steigende Arbeitslosenzahlen und sich
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Waltherverschlechternde Prognosen widerlegen diese Beschäftigungstheorie.
Daß Unternehmer eine Regierung wie diese, die ihre Privilegien schützt, lieber mögen, wissen wir. Aber daß sie so unvernünftig sind, angesichts der Politik dieser Regierung wirklich etwas zu unternehmen, wäre auch von ihnen zuviel verlangt, auch wenn der Bundeskanzler, wie der Herr Regierungssprecher letzte Woche gesagt hat, jetzt seine ganze Autorität einsetzen will.
— Ja, welche? Aber darauf will ich jetzt nicht eingehen; ich bin jetzt höflich gegenüber dem Bundeskanzler.Wer jetzt Kaufkraft in Milliardenhöhe vernichtet, vergrößert das Übel, das er vorgibt bekämpfen zu wollen. Er verursacht weitere Wachstumsschwäche, steigende Arbeitslosigkeit und zusätzliche Belastungen der öffentlichen Haushalte in Form von Steuerausfällen und Mehrausgaben für die Arbeitslosigkeit. Und wenn sich der Herr Bundesarbeitsminister — er ist Gott sei Dank da — mit seinem Pausengerede durchsetzen sollte, würde alles noch viel schlimmer werden. Mach mal Pause — lieber Herr Bundesarbeitsminister, das mag für Coca-Cola-Werbung ausreichend sein. Für Sie ist das ein Armutszeugnis.
Wenn der Herr Bundesfinanzminister heute am Schluß seiner Rede auf einen Vorgang aus dem Jahr 1967 zurückgekommen ist, dann muß ich Ihnen, Herr Dr. Stoltenberg — Sie wissen das auch —, vorhalten, daß wir damals ganz andere Verhältnisse, eine ganz andere Situation als heute hatten.
Sicher sind Löhne auch Kosten, aber von Löhnen werden auch Beiträge gezahlt. Löhne sind Einkommen, sind Kaufkraft. Wir Soziakdemokraten werden deshalb die Sozialpartner nicht bevormunden. Wir halten die dauernden Mahnungen an die Adresse der Gewerkschaften zur lohnpolitischen Zurückhaltung für überflüssig. Die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahren wirklich genug an gesamtwirtschaftlicher Verantwortung gezeigt.
Es ist doch wirklich ein Hohn, wenn dem Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen heute der angebliche Einkommensverzicht von Ärzten als Vorbild hingestellt werden soll. Übrigens ist interessant: Aus der ganzen Diskussion wissen wir, daß weder Herr Blüm noch Herr Strauß politische Päpste seien. Herr Kollege Blüm, das habe ich auch schon vorher gewußt.
— Ja, der hat jetzt gerade seine Polemik-Arbeit im Adenauerhaus verlassen und ist hierher gekommen.
Ich freue mich, daß er endlich da ist.Ich sage Ihnen voraus, daß die deflatorische Politik dieser Regierung, wenn sie so umgesetzt werden sollte wie angekündigt, mindestens 300 000 zusätzliche Arbeitslose produzieren wird. Das hat verheerende volkswirtschaftliche und soziale Folgen. Das wird weitere Löcher in die Sozialversicherungskassen, aber auch in den Bundeshaushalt reißen. Ich sage Ihnen, Herr Bundesfinanzminister: Löcher im Haushalt, die durch Ihre Politik entstehen, werden wir nicht bereit sein zu stopfen.Auch die von Ihnen geforderte Umstrukturierung des Haushaltes ist nicht gelungen. Nach Ihren Beschlüssen fällt der Investitionsanteil ja sogar hinter das zurück, was Graf Lambsdorff — jedenfalls in seinem berüchtigten Papier — gefordert hat. Sie wollen zwar auf der einen Seite 1,1 Milliarden DM mehr ausgeben, streichen aber auf der anderen mindestens 600 Millionen DM. Von den 1,1 Milliarden DM sind auch eine ganze Reihe windschief: Die Bürgschaften sind in Wahrheit gar keine Investitionen, die Hochschulbaumittel sind Abgeltungen von Vorauszahlungen. Ich sage Ihnen voraus: Auch die globalen Minderausgaben von 800 Millionen DM werden Sie bestenfalls bei der Investitionskürzung erwirtschaften, so daß unter dem Strich nichts übrig bleiben wird. Ich halte es übrigens wirklich für makaber, daß Sie ausgerechnet bei den Bundesbahninvestitionen und bei der Fernwärme kürzen.
Ich sage Ihnen weiter voraus: Sie werden auch die Einsparungen von 5,6 Milliarden DM nicht erbringen. Ich sage Ihnen voraus, daß das höchstens 3 Milliarden DM werden. Alles andere ist Reich-rechnen. Strukturell kommt auch nicht viel dabei heraus. Sie selber haben im Haushaltsausschuß erhebliche Risiken in Milliardenhöhe eingeräumt. Darin waren die Folgen Ihrer Politik noch gar nicht enthalten. Deshalb leuchtet es mir sehr ein, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie auf die Vorlage der mittelfristigen Finanzplanung verzichten oder sie zumindest verzögern. Ich gebe zu, daß Ihre Beamten belastet waren. Aber Sie müssen heute noch sagen, wann Sie die mittelfristige Finanzplanung nachreichen werden; denn wir wollen heute oder zumindest noch vor der Neuwahl wissen, was Sie nach dem 6. März vorhaben. Das können wir nämlich aus der mittelfristigen Finanzplanung ablesen.
Nachtragshaushalte sind im übrigen schon angekündigt. Herr Dr. Wörner hat es für seinen Etat schon verlangt. Den muß ich übrigens fragen, wie das damals gewesen ist, als er behauptet hat, unter unserer Regierung sei bei knappen Haushaltsansätzen der Nato-Auftrag gefährdet gewesen. Jetzt kriegt er 100 Millionen DM weniger, und nun ist gar keine Gefährdung mehr da. Auch diesen Widerspruch muß der Herr Dr. Wörner hier aufklären.
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WaltherDie Einnahmen aus der bürokratischen Zwangsanleihe setzen Sie mit 1 Milliarde DM an. Das ist optimistisch. Ich sage Ihnen voraus, Herr Dr. Stoltenberg, bei der Fülle der Umgehungsmöglichkeiten werden Sie diesen Betrag nicht einnehmen.Noch witziger ist, daß Sie behaupten, Sie wollten das Aufkommen aus der Zwangsanleihe für das Wohnungsbauprogramm verwenden. Ich sehe von Ihrem Wohnungsbauprogramm nur knapp 100 Millionen DM in Ihrem Haushalt bei Gegenrechnung. 1 Milliarde DM stellen Sie aber in die Einnahme ein, d. h. Sie haben schon 900 Millionen DM Vorbelastung für die kommenden Jahre, oder in Wahrheit ist schon jetzt die Nettokreditaufnahme um 900 Millionen DM höher, als Sie sie jetzt ausgewiesen haben.
— Herr Kollege Löffler, Ihr Zwischenruf veranlaßt mich zu dem Hinweis, daß der clevere Herr Bundesfinanzminister ganz vergessen hat, die Mehrbelastung des Bundeshaushalts aus der Mehrwertsteuererhöhung in Höhe von 250 Millionen DM in seinen Haushalt einzustellen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich komme auf meine Feststellung zurück, daß dieser Bundeshaushalt, was die Nachfrageseite der öffentlichen Investitionen anlangt, keine beschäftigungswirksamen Auswirkungen hat, daß Sie nicht erkennbar gegensteuern. Ich kündige Ihnen heute noch einmal in diesem Haus an, was leider gestern schon in der Presse gestanden hat, daß wir Sie in aller Kürze mit unserem eigenen Beschäftigungshaushalt konfrontieren werden. Wir werden unsere eigenen Vorschläge machen, und wir werden Ihnen dafür auch seriöse Finanzierungsvorschläge machen. Diejenigen, wie der Herr Kiechle, der gesagt hat, das sei alles sozialistisch, ohne es gesehen zu haben, werden eines Besseren belehrt werden.
Ich sage Ihnen zum Schluß: Uns geht es hier heute nicht um Rechthaberei, uns geht es darum, daß wir diese große Herausforderung gemeinsam bestehen. Das, was wir Ihnen in der übernächsten Woche hier in diesem Plenum anbieten werden, ist auch ein Angebot an die Regierungskoalition. Wir brauchen eine große gesamtgesellschaftliche Anstrengung, um die wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Herausforderungen bewältigen zu können.
Herr Bundeskanzler, Sie haben in dem „Welt"-Interview von letzter Woche gesagt: „Wir müssen alle zusammenrücken." Jawohl! Aber dann sorgen Sie bitte auch für einen echten Solidarbeitrag derer, die von Ihnen nicht belastet werden.
Wenn Sie dies schaffen, wenn Sie sich unserer großen beschäftigungspolitischen Initiative anschließen, dann — da bin ich ganz sicher — wird von Ihnen manches leichter zu tragen sein als das, was Sie heute vorhaben. Deshalb sage ich Ihnen zum Schluß folgendes, indem ich Sie zitiere, Herr Bundesfinanzminister. Sie haben gesagt:Für unsere Industrienation gibt es weder ein Zurück zu vergangenen Lebens- und Arbeitsformen, noch hat es nach den Erfahrungen der 70er Jahre Sinn, Wirtschaft und Gesellschaft noch stärker als bisher verplanen und lenken zu wollen.Ich sage Ihnen dazu: Eine Wende zurück in die 50er Jahre, Herr Bundesfinanzminister, ist für uns erst recht keine Alternative.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.
Herr Kollege Walther, Sie haben hier eben in Ihrer Rede den Vorwurf eines Nachrichtenmagazins wiederholt, der gegen mich wegen Verfilzung meines heutigen Amtes als Postminister mit der Tätigkeit, die ich bis zu dieser Zeit ausgeübt habe, erhoben wurde. Der Vorwurf besteht aus zwei Teilen.
Der erste Vorwurf bezieht sich darauf, daß ich im Jahre 1980 an der Gründung einer Kabel-Gesellschaft beteiligt gewesen bin.
— Sicher. Vielleicht lassen Sie mich aussprechen. Ich glaubte, daß gerade bei Ihnen ein Informationsbedürfnis besteht. Dem möchte ich hier nachkommen.
Dazu möchte ich folgendes sagen: Durch die restriktive Politik der Deutschen Bundespost war es verschiedenen Bundesländern nicht möglich, daß ihre Verkabelungswünsche durch die Bundespost erfüllt worden sind. Nach § 2 des Anlagengesetzes ist dann, wenn sich die Deutsche Bundespost nicht in der Lage sieht, Verkabelungen durchzuführen, dies von Dritten möglich zu machen. Da diese Unternehmungen, lauter kleine mittelständische Handwerksbetriebe,
nicht in der Lage gewesen sind, den juristischen und technischen Sachverstand zu mobilisieren, um diese gesetzliche Möglichkeit auszunutzen, diese Unternehmen aber in ihrer Existenz bedroht waren, habe ich, nachdem sie sich an mich gewandt hatten,
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Bundesminister Dr. Schwarz-Schillinggesagt: Dann schließt euch zusammen. Ich habe an dieser Gründungsversammlung teilgenommen und mich mit einem Anteil von 5% — damit ich nicht nur ein Redner bin, sondern auch etwas tue — an dieser Gesellschaft beteiligt.
Diese Gesellschaft hat einen Beirat, dem angehören: Vertreter des Deutschen Industrie- und Handelstages, der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer, des Deutschen Handwerkstages — weil dies ein allgemeines Interesse gewesen ist, damit die Wirtschaft überhaupt wieder in die Lage käme, eine solche Aufgabe durchführen zu können.
Ich habe, um allen Verdächtigungen, die in irgendeiner Weise kommen könnten, schon im Ansatz unmöglich zu machen, diesen Anteil, bevor ich das Amt des Bundespostministers übernommen habe, an eine dritte Firma verkauft. Dieser Anteil hat nichts mehr mit mir zu tun.
— Der Verkauf hat genau das gebracht, was ich eingebracht hatte, nämlich 50 000 DM. Ich habe in der Zwischenzeit aber keine Verzinsung gehabt; denn diese Gesellschaft war leider, auf Grund der Schwierigkeiten, die wir bisher in der Bundesrepublik gehabt haben, nicht mit einer einzigen Mark profitabel. Nur damit Sie das wissen: keine Mark mehr.Ich möchte nur noch betonen, daß nach Bundesgesetz für Bundesminister der Verkauf von irgendwelchen Gesellschaftsanteilen nicht vorgeschrieben ist. Ich habe es dennoch getan, um jedem Verdacht auszuweichen. Die Folge haben Sie eben gehört.
Herr Bundespostminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Scheer?
Ich möchte zunächst meine Begründung geben.
Bitte sehr.
Der zweite Vorwurf richtet sich gegen die Firma, die ich seit 25 Jahren zusammen mit meiner Frau als Familienbetrieb leite. Ich bin Geschäftsführer der „Accumulatorenfabrik Sonnenschein" gewesen. Ich war unternehmerisch tätig. Ich habe das Unternehmen von 1957 bis 1982 geleitet.
Diese Geschäftsführertätigkeit dürfte jedem bekannt gewesen sein. Ich wüßte auch nicht, daß es in
der Bundesrepublik Deutschland als freiem Land verboten ist, sich als Unternehmer zu betätigen.
Ich wüßte auch nicht, daß man als jemand, der unternehmerisch tätig gewesen ist, dann, wenn man sich politisch betätigt und ein Amt übernimmt und das, was das Bundesgesetz vorschreibt, tut, nämlich seine Geschäftsführertätigkeit niederlegt, offensichtlich dennoch als nicht geeignet angesehen wird, ein Amt in der Bundesrepublik Deutschland zu übernehmen. Ich wüßte nicht, worauf das zurückzuführen ist.
Ich habe dies getan und folgerichtig mein Amt als Geschäftsführer niedergelegt.
Es wird jetzt gesagt: Diese Firma hat auch Beziehungen zur Deutschen Bundespost. Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen eines sagen. Ein Unternehmen wie die Deutsche Bundespost, das auf allen Gebieten tätig ist, hat vielfältigste Beziehungen zu verschiedensten Firmen. So hat auch die Firma „Sonnenschein" seit 20 Jahren einen bestimmten Anteil, der heute 5% ihres Umsatzes ausmacht, an die Deutsche Bundespost geliefert. Diese Aufträge werden in einem jährlichen Einkaufswettbewerb in der ganzen Branche ausgeschrieben; dann erteilt die Bundespost ihre Aufträge. Dieses Ausschreibungsverfahren ist bisher einwandfrei gelaufen. Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen: Ich hatte auch damals, als die SPD den Postminister stellte, und ich die Politik der Bundesregierung angegriffen hatte, keinen Anlaß, Sorge zu haben, daß die Beamten der Deutschen Bundespost ihrer' Pflicht nicht genügten und die Ausschreibungen etwa nicht ausschließlich nach Preis und Qualität beurteilten. Es wird wohl auch in Zukunft so sein, daß die Beamten das gleiche tun, was sie bisher getan haben, nämlich ohne Rücksicht auf politische Stellungnahmen des Bundespostministers oder anderer dieser ihrer Aufgabe zu genügen.
Ich möchte Sie also bitten, zum einen zu sagen, ob nach dem Gesetz in irgendeiner Weise etwas falsch gelaufen ist, so daß ich etwas versäumt hätte, und zum zweiten etwas dazu zu sagen, ob es in diesem Lande etwa nicht mehr erlaubt ist, als Unternehmer erfolgreich tätig zu sein, Arbeitsplätze zu schaffen, Steuern zu zahlen und später im Gefolge politischer Tätigkeit als Postminister ein Amt zu übernehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Paterna.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der ,,Spiegel"-Artikel scheint doch eine beachtliche Wirkung erzeugt zu haben, wenn der Herr Bundeskanzler sich hier extra um zwei Zwischen-
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Paternafragen bemüht, um dem neuen Postminister zu Hilfe zu eilen.
Nun fällt es mir etwas schwer, Herr Kollege Schwarz-Schilling,
hier über diese Vorgänge zu diskutieren, wo natürlich die Gefahr besteht, einen politischen Gegner an seiner persönlichen Glaubwürdigkeit anzukratzen.
— Herr Bundeskanzler, ich komme gleich darauf. Ich habe hier u. a. die Verhaltensregeln des Deutschen Bundestages in der Hand. Daraus werde ich Ihnen gleich einmal etwas zitieren. Natürlich darf in einem freien Land jemand als Unternehmer tätig sein. Wenn er als Unternehmer tätig war, darf er auch Regierungsgeschäfte übernehmen. Ob er natürlich so nahtlos von der „Projektgesellschaft Kabelkommunikation" ausgerechnet in das Postministerium gehen muß — wir hätten ja nichts gesagt, wenn er Familienminister geworden wäre —, ist schon eine andere Frage.
Mir scheint weniger die Betätigung in der Firma mit dem so außerordentlich alternativen Namen „Sonnenschein" als die Betätigung in der „Projektgesellschaft Kabelkommunikation" von Interesse zu sein.
— Nun würde ich doch empfehlen, Herr Kollege Haase, einen Augenblick zuzuhören,
weil ich Ihnen jetzt nämlich etwas sage, was Sie noch nicht wissen. Vielleicht nehmen Sie dann dazu Stellung.Der Herr Kollege Schwarz-Schilling war Vorsitzender der Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken". Bei der Durchsicht meiner Unterlagen stellte ich verblüfft fest, daß als sogenannte Sachverständige genau diese PKK — mit einer ordentlichen Kommissionsdrucksachennummer versehen — in der Kommission meinungsbildend tätig gewesen ist, ohne daß ich als Stellvertreter von dieser doch immerhin interessanten Verquickung unternehmerischer und politischer Tätigkeit irgend etwas gewußt habe.
Ich finde, das ist durchaus ein beachtenswerter Fall. Daß es dem Ansehen des Parlaments sehr dienlich ist, wenn Technologiefolgeabschätzungen, die gerade in diesem Punkte in einer höchst verantwortlichen Weise geleistet werden müssen, von Abgeordneten durchgeführt werden, die am Ergebniseiner solchen Untersuchung ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse haben, wird man doch zumindest bezweifeln dürfen.
Dann muß ich Sie auf einen anderen Punkt aufmerksam machen. Ich war auf diese Debatte nicht vorbereitet, ich habe also jetzt überhaupt keine Unterlagen bei mir,
aber wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, dann ist es hilfreich, einmal die Protokolle des Wirtschaftsausschusses aus dem Jahre 1981 und von Mai 1982 nachzulesen. Da gibt es nämlich auch einen interessanten Vorgang. Der Wirtschaftsausschuß hat das Monopolgutachten, das Sondergutachten zur Rolle der Deutschen Bundespost in Anwesenheit des Professors Kanzenbach erörtert. Wenn man dann einmal eines der Protokolle durchguckt, wer sich an dieser Debatte beteiligt hat, dann stellt man fest, daß es drei Personen sind: der Abgeordnete Schwarz-Schilling sechsmal und die beiden anderen zusammen dreimal.
Wenn ich all das aufliste, was er dort von der Bundesregierung über die Unternehmenspolitik der Deutschen Bundespost — Offenlegung der kurzfristigen Verkabelungspläne, Offenlegung der langfristigen Verkabelungspläne — hat wissen wollen, dann habe ich im Licht der neuen „Spiegel"-Erkenntnisse gedacht: Wenn ich Mitglied der PKK wäre, dann wüßte ich wahrlich auch sehr gerne, was der Abgeordnete Schwarz-Schilling im Wirtschaftsausschuß alles aus der Bundesregierung herausgefragt hat.
Wenn dann der gleiche Abgeordnete Schwarz-Schilling höchstpersönlich auch noch einen langen Antrag in diesem Wirtschaftsausschuß einbringt,
in dem die Bundesregierung zur Offenlegung all dieser Planungen und zu Überprüfungen ihrer bisherigen Genehmigungspraxis aufgefordert wird, dann, meine Damen und Herren, scheint mir dies schon beachtlich zu sein.Jetzt möchte ich Ihnen zu dem, was ich Ihnen berichtet habe, einmal aus den Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages — mit Genehmigung des Präsidenten — zitieren:
1. Jedes Mitglied des Bundestages hat seinen Beruf einschließlich der Personen, Firmen, Institutionen oder Vereinigungen, für die es beruflich tätig ist, genau anzugeben.— Wenn wir diese Debatte schon führen, dann wüßte ich gern, ob das in diesem Punkte geschehen ist. — In Nr. 9 heißt es:
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PaternaJedes Mitglied des Bundestages, das beruflich oder auf Honorarbasis mit einem Gegenstand beschäftigt ist,— hören Sie gut zu —der in einem Ausschuß des Bundestages zur Beratung ansteht, hat als Mitglied dieses Ausschusses vor der Beratung— vor der Beratung! —seine Interessenverknüpfung offenzulegen, soweit sie nicht aus den Angaben nach Nummer 1 ersichtlich ist.
Damit es keine Interpretationsschwierigkeiten gibt, haben die klugen Väter dieser Verhaltensregeln auch noch eine Nr. 11 geschaffen. Dort heißt es:In Zweifelsfragen ist das Mitglied des Bundestages verpflichtet, durch Rückfragen beim Präsidenten bzw. beim Präsidium sich über die Auslegung der Bestimmungen zu vergewissern.Ob hier nicht zumindest Zweifelsfragen sicher sind, meine Damen und Herren: Ich glaube, daß wir in diesem Punkte gar nicht einmal verschiedener Meinung sein müssen.
Wenn es also schon der Regierungssprecher für angebracht hält, die unternehmenspolitischen Aktivitäten des neuen Bundespostministers
zu bewerten, dann muß das natürlich auf dem Hintergrund der Kombination unternehmerische Tätigkeit und Abgeordneter des Deutschen Bundestages, die er hier in den zurückliegenden Jahren entfaltet hat, geschehen. Dann ist eben diese Geschichte Enquete-Kommission und Wirtschaftsausschuß in Kombination mit den Anteilen an der Projektgesellschaft Kabelkommunikation sehr interessant.Dann fällt ja auch auf — das soll mein letzter Hinweis sein —, daß dieser Minister eine enorme Öffentlichkeitsarbeit entfaltet hat.
In allen Zeitungsartikeln kommen eigentlich immer nur zwei Punkte vor, nämlich Kabel und Medienpolitik. Kabel ist klar, warum. Medienpolitik ist nicht klar, denn dafür haben wir hier überhaupt keine Zuständigkeit. Ich bin sehr gespannt, was die Länder der neuen Bundesregierung an Nachhilfeunterricht über politische Zuständigkeiten in diesem Lande erteilen. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Paterna, ich will zunächst Ihre Frage beantworten, warum ich mich vom Platz aus als Abgeordneter gemeldet habe, und ich will auch gleich sagen, warum ich jetzt hier spreche.Ich halte es für völlig unerträglich,
daß die Ehre eines Kollegen aus der Bundesregierung und meiner Fraktion hier angegriffen wird, ohne daß ich mich zu diesem Kollegen stelle.
Meine Damen und Herren, ich kann sehr wohl verstehen, daß die erste Aussprache über den neuen Haushalt — und das ist selbstverständlich das Recht der Opposition, ja, die Pflicht der Opposition — auch in Kritik und scharfen Angriffen auf die Regierung besteht. Nur, meine Damen und Herren, wenn dieser Auftakt bedeuten soll, daß Sie statt Kritik persönlich Kollegen,
die in diesem Hause durch viele Jahre ihre Pflicht getan haben, in ihrer Ehre treffen wollen, werden wir darauf zu antworten wissen.
Ich stelle folgendes fest:
Erstens. Der Kollege Christian Schwarz-Schilling hat vor seiner Ernennung und Berufung in das Amt des Bundespostministers mir über das Bericht erstattet, was heute hier Gegenstand der Debatte ist, auch Gegenstand seiner Erklärung. Er hat darauf hingewiesen, daß er in diesem Bereich unternehmerisch tätig war. Im übrigen brauchte ich diese Erklärung nicht. Ich weiß von seinem Tätigsein in diesem Bereich seit vielen Jahren, und jeder Kollege in diesem Haus, der sich auf diesem Feld bewegt hat, weiß das natürlich auch.
Zweitens. Der Bundesminister Christian SchwarzSchilling hat völlig korrekt gehandelt, indem er sich aus seiner Firma zurückgezogen hat. Ich kann keinen Hinderungsgrund für die Berufung eines Bundesministers darin erkennen, daß er 25 Jahre hindurch unternehmerisch erfolgreich tätig war.
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, meine Damen und Herren in der SPD — und das sage ich Ihnen nun als Vorsitzender der CDU Deutschlands —: Solange es uns in der Bundesrepublik gibt, werden wir nicht zulassen, daß Sie darüber entscheiden, ob jemand aus dem freien Beruf und aus unternehmerischer Tätigkeit Politik treiben kann.
Drittens. Ich stelle fest, daß der Bundesminister Christian Schwarz-Schilling sich, ohne durch die ge-
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Bundeskanzler Dr. Kohlsetzlichen Regelungen dazu gezwungen zu sein, von seinem 5 %igen Anteil an dieser Gesellschaft vor seiner Berufung getrennt hat.Meine Damen und Herren, wer nach einem solchen Sachverhalt in einer solchen Weise hier spricht,
wie es eben hier durch zwei Kollegen der SPD geschehen ist, dessen Ziel ist es nicht, daß er der Wahrheit und der Sauberkeit im öffentlichen Leben dienen will, sondern er will die Ehre des politisch Andersdenkenden treffen, und dagegen wehre ich mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, ich glaube nicht, daß Sie Ihrer Regierung oder dem Kollegen Schwarz-Schilling durch diese erregte Äußerung einen Dienst erwiesen haben.
Ich muß Ihnen sagen, hier hat der Kollege Paterna in völliger Ruhe eine Frage aufgeworfen,
die Frage nämlich, ob ein Konflikt zwischen wirtschaftlicher Tätigkeit und Politik, wie er immer wieder vorkommen kann
— es gibt überhaupt keinen Grund, das zu dramatisieren, wie Sie das mit Ihren Zwischenfragen und mit Ihrer Rede getan haben —,
entsprechend den Regeln des Bundestages gelöst worden ist. Nun wollen wir das doch einmal in Ruhe dem Präsidium, nachdem ihm das zur Kenntnis gekommen ist, überlassen. Dabei schauen wir auch noch einmal ins Ministergesetz. Jedenfalls können Sie dieser Prüfung nicht dadurch aus dem Wege gehen — damit täten Sie dem Kollegen Schwarz-Schilling auch gar keinen Gefallen —, daß Sie sich hier hinstellen und als Kanzler herunterdonnern, die Opposition dürfe diese Frage nicht stellen. So geht es mit dieser Opposition nicht!
— Ich weiß bereits, daß Sie gegenüber personalpolitischer Kritik sehr empfindlich sind, selbst dann,
wenn es um hohe Maßstäbe, wie etwa den Eid, geht.
Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, vielleicht würden Sie verstehen, daß wir diese Frage hier stellen,
wenn Sie sich selbst einmal die Frage beantworten, was wohl in solchen Fällen wie denen, die wir bei dieser Regierung beanstandet haben, los wäre, wenn es sich um Sozialdemokraten handelte.
Was alles haben Sie da an Maßstäben angelegt!
Darum weise ich das, was Sie, Herr Bundeskanzler, hier gemacht haben, zurück. So geht das im Umgang mit der Opposition nicht! Im übrigen bin ich der Meinung, wir lassen das Präsidium die Frage prüfen und kehren jetzt zur Haushaltsdebatte zurück. — Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, dies war die Hervorhebung eines Punktes, der sich aus der Debatte ergeben hatte. Ich habe nach der Geschäftsordnung Redner und Gegenredner dazu das Wort erteilt. Ich denke, wir können jetzt zur Aussprache zurückkehren.
Bevor ich aber das Wort weitergebe, erteile ich dem Kollegen Sick einen Ordnungsruf, weil er eben, für mich vernehmbar, dem Redner das Wort „Heuchler" zugerufen hat.
Als nächster Redner hat — —
— Meine Damen und Herren, wollen Sie den Ordnungsruf kritisieren? — Offenbar nicht; dann erteile ich als nächstem Redner dem Abgeordneten Hauser das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was wir hier gerade erlebt haben, ist für mich als mittelständischer Unternehmer in besonderer Weise bedrückend. Ich habe hier zur Kenntnis nehmen müssen, daß jeder, der in diesem Staat politische Verantwortung übernimmt, in der Gefahr steht, von den Sozialisten diffamiert zu werden, wenn er nicht Funktionär gewesen ist
oder nicht direkt von der Hochschule, ohne sonst etwas Gescheites getan zu haben, in die Politik einsteigt.
Deswegen werde ich nicht versäumen, in Zukunft bei jeder sich bietenden Gelegenheit meinen mittelständischen Kollegen diese Szenerie, die sich hier heute ergeben hat, zur Kenntnis zu bringen.
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Hauser
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Walther sollte ja zum Haushalt sprechen
und hat einen ersten Vorgeschmack auf das gegeben, was an Diffamierungspotential heute bereits bei den Sozialisten für den kommenden Wahlkampf angesammelt wird.
Das, was hier an polemischen Diffamierungen und an Dreckschleuder vorgeführt worden ist, hat mit der Haushaltsberatung überhaupt nichts zu tun.
— Ich weiß, daß Ihnen das nicht paßt. Ich weiß auch, daß es Ihnen nicht paßt, wenn wir in dieser Haushaltsberatung zunächst einmal klarstellen, auf welchem Hintergrund und aus welcher Vergangenheit dieser Haushalt hier heute beraten werden muß.
— Daß Sie anderer Ansicht sind als wir, ist an sich nicht erstaunlich. Aber daß Sie nicht bereit sind, einmal das geistige und materielle Trümmerfeld, das Sie uns hinterlassen haben, mit uns zu diskutieren,
und nicht bereit sind, über Soll und Haben und über Kosten und Ertrag Ihrer 13jährigen Politik hier zu diskutieren, entlarvt Sie als diejenigen, die offenbar immer noch nicht begriffen haben, was sie diesem Staat angetan haben und was sie seinen Bürgern schuldig waren.
Sie sind auf dem Weg zurück in Ihre bekannte Neinsagehaltung aus den 50er Jahren. Sie mögen mit dieser Methode Randgruppen, Systemveränderer und andere überzeugen können, aber den Bürger in unserem Staat überzeugen Sie damit nicht.
Sie haben unseren Bürgern zu Beginn Ihrer Regierungstätigkeit einen Garten Eden versprochen. Aber Sie haben ein gesellschafts- und sozialpolitisches, ein wirtschafts- und finanzpolitisches Trümmerfeld hinterlassen.
Herr Kollege Hauser, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth?
Sie haben gerade vom wirtschaftspolitischen Trümmerfeld gesprochen.
Können Sie mir erklären, warum Sie den Architekten des wirtschaftspolitischen Trümmerfeldes, Graf
Lambsdorff, in die neue Regierung übernommen haben?
Herr Kollege Roth, diese Frage hat mir schon ein anderer Kollege Ihrer Fraktion bei der Aussprache über die Regierungserklärung gestellt. Das scheint bei Ihnen eine stereotype Frage zu sein, die Sie immer wieder anbringen, wenn Ihnen nichts Besseres einfällt.
— Ich habe gesagt, das scheint bei Ihnen eine stereotype Frage zu sein, die Sie immer wieder anbringen, wenn Ihnen nichts Besseres einfällt.
Ich habe Ihnen schon letztens gesagt, daß Minister Graf Lambsdorff noch in den letzten Monaten versucht hat, das Schlimmste zu verhindern,
aber durch Sie daran gehindert worden ist.
Herr Kollege Hauser, entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie wieder frage; nach der Geschäftsordnung muß ich das tun. Erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Löffler?
Herr Präsident, da ich eine beschränkte Redezeit habe, habe ich nicht vor, auf weitere Zwischenfragen zu antworten.
— Sehr freundlich. Ich will Ihnen mal etwas sagen: Wenn Sie so viele freie Reden halten wollten, wie ich es tue, dann müßten Sie noch viel dazulernen. Merken Sie sich das.
Meine Damen und Herren, Ihre Politik hat in der Bundesrepublik Deutschland eine tiefe Depression hinterlassen. Dieses Resultat stellt sich heute in 2 Millionen Arbeitslosen dar. 1969 hatten wir noch 0,9 %, heute jedoch 7,9 % Arbeitslose. Die öffentlichen Finanzen sind zerrüttet. Ein finanzpolitischer Kollaps stand beim Regierungswechsel unmittelbar bevor. Sie haben es geschafft, die Staatsschuld von 45,4 auf über 300 Milliarden DM zu erhöhen.Meine Damen und Herren, weil Sie das Geld vertan haben, ist der soziale Friede in Gefahr. Rückschritt, Verwirrung und Mutlosigkeit traten an die Stelle von Wachstum und Zuversicht.2 500 Konkurse gab es im Jahr 1971. Im Jahr 1981 hatten wir im Vergleich dazu über 12 000 Konkurse. In diesem Jahr sind leider 15 000 zu erwarten. Allein durch diese Konkurswelle sind in einem Jahr 300 000 Arbeitsplätze durch Ihre Politik unwiederbringlich verlorengegangen.
Ihr Versagen hat unseren einst grundsoliden Staat zutiefst erschüttert.
Als 1969 Willy Brandt mit der propagandistischen Verheißung „Wir schaffen das moderne Deutsch-
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land" sich an die Wähler wandte, tat er es in einer Art und Weise, daß mancher Unbefangener hätte meinen können, die Bürger dieses Staates hätten nach 1945 aus den Trümmern ein unmodernes, ein veraltetes Deutschland aufgebaut, ein Deutschland, das nur darauf wartete, von Ihnen umgestülpt und endlich zu den hehren Fleischtöpfen geführt zu werden. Es war kein falsch und veraltet aufgebautes Deutschland, sondern es war ein gesundes, ein soziales Land, das Sie 1969 übernommen haben. Aber heute zeigt sich, daß Politik, die auf Täuschung aufbaut, zur Enttäuschung führen muß.
Die euphorisch gefeierte Reformpolitik Willy Brandts hatte eine verheerende Verschlechterung der Rahmenbedingungen unserer Volkswirtschaft zur Folge. Ihre Umverteilungsideologie, geboren aus einer Mischung von sozialistischem Sendungsbewußtsein und schlichtem Neid, war die Grundlage dieser Politik.
Konsum statt Investition — dieses Konzept hat sich als Irrglaube entlarvt.
Unsere Volkswirtschaft bezahlte dies mit einem schweren Substanzverlust, der sie gegenüber den weltwirtschaftlichen Verwerfungen der Ölpreisexplosion und den Folgen der Inflationsbekämpfung in den USA schwächer werden ließ. Was jeder vernünftige Hausvater tut: Vorsorge für schlechte Zeiten treffen — die SPD hat es verhindert. Der Auszehrungsprozeß begann in den Betrieben, dann in den Staatskassen, und schließlich traf er den Bürger. Seit 1980 nehmen die Realverdienste ab; wir leben seitdem von der Substanz.
Herr Kollege Hauser, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Löffler?
Ich habe schon gesagt, daß ich meine Redezeit ausnutzen möchte.
Gilt das generell für Ihre Rede?
Das gilt generell; ja.
Danke sehr.
Es gibt sichtbare Wegmarken dieser Fehlentwicklung. 1971 bejubelte der Steuerparteitag der SPD die Forderung, die Belastbarkeit der Wirtschaft zu testen. Die öffentliche Armut sollte zu Lasten des privaten Reichtums beseitigt, der öffentliche Korridor sollte erweitert werden. Umfangreiche Steuererhöhungen waren geplant.Ich sage hier der Fairneß halber, daß es zwei Verantwortliche gab, die den verhängnisvollen Weg erkannt und persönliche Konsequenzen gezogen haben, nämlich Alex Möller und Karl Schiller. In demBuch des Bundesfinanzministers „Genosse Generaldirektor" heißt es:Mein Rücktritt soll ein Signal zur Besinnung sein. Ich wollte, daß Solidität und Stabilität als die beiden Grundforderungen deutscher Innenpolitik beachtet werden.Ein Jahr später sagte Prof. Dr. Karl Schiller bei seinem Rücktritt:Ich bin nicht bereit, eine Politik zu unterstützen, die nach außen den Eindruck erweckt, die Regierung lebe nach dem Motto: Nach uns die Sintflut.
Genau dies haben Sie getan, und heute steht uns die Sintflut bis zum Hals.
Aber diese beiden Männer hatten gegen den Wind gesprochen. Helmut Schmidt als damaliger Vorsitzender der SPD-Langzeitkommission erhob die Forderung, den Staatsanteil 1985 auf 45 % anzuheben, eine Forderung, die wir im „Orientierungsrahmen '85" der SPD wiederfinden. Aber auch hier hat die prophetische Gabe des früheren Bundeskanzlers versagt.
Denn in Wirklichkeit schaffte er es, diesen Staatsanteil bis 1981 auf 49 % ansteigen zu lassen. Meine Damen und Herren, lieber Kollege Löffler, alle, die da sagten, daß wir hier einen falschen Weg gingen,
wurden von Ihnen als Panikmacher diffamiert — bis in den letzten Bundestagswahlkampf hinein.
Meine Damen und Herren, rückläufige Konjunktur und ansteigende Schulden führten zum bekannten Dauerstreit in der alten Koalition. Ich höre noch die Warnungen unseres Kollegen Hoppe vor der tickenden Zeitbombe
und die beschwörenden Appelle der Kollegen Genscher und Lambsdorff.Die SPD jedoch war nicht bereit, ihre Politik zu ändern. Als vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung muß der hier auch in einem anderen Zusammenhang schon einmal erwähnte Münchener Parteitag vom Frühjahr dieses Jahres angesehen werden. Meine Damen und Herren, er stellt die logische Folge einer Entwicklung dar, die mit der Gummiformulierung des Godesberger Grundsatzprogramms 1959 beginnt, die da lautet: So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig. Dies zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Politik. Mehr Staat, Umverteilung und Umgestaltung unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung — das sind die beherr-
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schenden Ziele im Orientierungsrahmen '85, im Langzeitprogramm von 1976. Programme zur Strukturpolitik und zur Investitionslenkung von 1977 und 1979 sind ebenfalls Ausdruck dieser Haltung. Meine Damen und Herren, die Marschierer in die Systemveränderung waren alle immer auf dem Marsch. Daß sie ihr Ziel noch nicht erreicht haben, liegt daran, daß auch in unserer Bevölkerung inzwischen deutlich geworden ist, daß dies ein Weg in die falsche Richtung ist.
Wir werden dazu beitragen, daß diese Erkenntnis im Bewußtsein unserer Bürger nie verlorengeht.
Auf diesem Parteitag in München haben Sie Investitionsmeldestellen, Investitionsauflagen, Strukturräte und Strukturfonds beschlossen. Um das alles etwas zu verniedlichen, sagen Sie jetzt, daß Sie dies noch einmal überprüfen wollten. Was heißt denn hier: überprüfen wollen? Der Parteivorstand hat diesen Beschluß, der in Wirklichkeit gar nicht ernst zu nehmen ist, lediglich im Blick auf den damaligen Koalitionspartner gefaßt. Sie haben doch gar nichts zu überprüfen. Denn der Parteitag hat das als die politische Zielmarke der Sozialdemokraten beschlossen. Das ist nach einer langen Diskussion unter Einschluß all derer geschehen, die hier in diesem Hause ständig das Gegenteil behaupten, einschließlich des früheren Bundeskanzlers.
Meine Damen und Herren, Ihre Antwort auf volkswirtschaftliche Probleme lautet nicht: mehr Leistung; Ihre Antwort lautet: mehr Staat und mehr Umverteilung. Dies wird auch in Ihren öffentlichen Kampagnen der letzten Jahre deutlich. Sie haben Kernbereiche unserer sozialen Marktwirtschaft durch bewußte Begriffsverwirrung in Frage gestellt. Aus Leistung wurde Ellenbogengesellschaft, aus Unternehmern wurden Ausbeuter, aus Gewinn wurde Profit, aus Verbrauch wurde Konsumterror, Eigentum wurde zum kleinbürgerlichen Vorurteil abgestempelt, und aus Sparsamkeit wurde Kaputt- und Totsparen gemacht.
Als die deutsche Wirtschaft auf diese Kampagnen verunsichert reagierte, zeigten Sie sich erstaunt. Eigentlich hätten Sie wissen müssen, was aus einer solchen Politik an Früchten erwachsen kann. Sie haben bis heute nicht erkannt, daß Sie für die geistigen Ursachen dieser Krise verantwortlich sind. Deshalb stehen wir heute hier an einem Scheidewege, wenn wir den Staat als Gemeinwesen unserer Bürger nicht weiter vergiften wollen. Der Beschluß des SPD-Parteivorstandes vor wenigen Wochen erst zeigt deutlich, daß Sie Ihre alte Masche, die semantische Verfälschung, unbeirrt fortsetzen, wenn Sie feststellen: Setzen sich dagegen die neokonservativen Strategien der CDU-geführten Bundesregierung durch, beginnt der Marsch in die Depression.Meine Damen und Herren, Sie haben damit schon wieder eine Falschmeldung in die Welt gesetzt. Denn es geht nicht um die Frage, ob wir einen Marsch in die Depression antreten. Wir sind durch Sie mitten in die Depression hineingebracht worden.
Unsere Aufgabe hier und heute ist, diesen Staat wieder aus der Depression herauszuführen in eine vernünftige und gesunde Zukunft.
Meine Damen und Herren, volkswirtschaftliche Daten zeigen das Ausmaß der Krise. Von 1970 bis 1981 nahm das Bruttosozialprodukt um 128,1 % zu. Das Steueraufkommen erhöhte sich um 131 % und die Staatsausgaben um 191,3%. Es gibt seit 1970 kein Jahr, in dem die Ausgaben des Staates nicht erheblich über den Einnahmen lagen. Sie schlossen diese Differenz jeweils durch eine neue Verschuldung. Zugleich stieg der Staatsanteil bei Einnahmen und Ausgaben. Die Hälfte des Bruttosozialprodukts läuft heute durch die Staatskasse und wird dort umverteilt. Die Hauptlast trifft die Lohnsteuerzahler, weil ihr Anteil am Gesamtsteueraufkommen inzwischen auf 32 % angestiegen ist.
Meine Damen und Herren, ergiebig sprudelnde Steuerquellen und vielfache Steuererhöhungen reichten nicht aus, um die Lücken zu schließen, die Sie aufgerissen haben. Das Schuldenrad drehte sich immer schneller. Mit Helmut Schmidt ging der Marsch in die Schulden erst richtig los. Heute muß der Bund täglich über 200 Millionen DM Kredite aufnehmen. Davon könnten tagtäglich 666 Eigenheime à 300 000 DM gebaut werden.
Meine Damen und Herren, wir haben diese Entwicklung unaufhörlich kritisiert, haben vor den Folgen gewarnt. Dafür sind wir von Ihnen verlacht worden. Aber vielleicht sind Sie bereit, einem unverdächtigen Zeugen zuzustimmen. Professor Schmölders hat 1978 gesagt: Niemand braucht den Gürtel von heute auf morgen radikal enger zu schnallen, um Wirtschaft und Verwaltung gesundschrumpfen zu lassen; aber die nächsten Jahre ein wenig mäßiger zu schwelgen und den langsamer gewordenen Zuwachs geduldig abzuwarten, ehe man ihn heißhungrig verfrühstückt, scheint mir ein guter Rat an alle Beteiligten. Meine Damen und Herren, hätten Sie diesen Rat damals, 1978, befolgt, stünden wir heute wahrscheinlich in einer besseren Ausgangslage bei der Beratung des Haushalts 1983.Meine Damen und Herren, in unserer Volkswirtschaft überwiegt die Privatwirtschaft. Deswegen muß zunächst auch nach den Regeln gefragt werden, die für private Investoren gelten und nach denen sie sich richten. Für Investoren gibt es in der Marktwirtschaft Belohnung und Strafe, Chance und Risiko. Sind die Risiken für Investitionen ungleich größer als die Erfolgschancen, so unterbleiben die
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Investitionen. Statt dessen werden hochverzinsliche und risikolose Geldanlagen vorgezogen. Aber kein Wirtschaftssystem — weder im Osten noch im Westen — kommt ohne Anreiz für gute ökonomische Leistungen aus. Denn der Gewinn eines Unternehmens — und das haben Sie bis heute offenbar nicht begriffen — ist das allen anderen Systemen überlegene Mittel, um sparsamen Einsatz von Produktionsfaktoren und Kostengütern zu erzwingen. Er regt zu besseren Leistungen an. Er zwingt zum Wagnis auf neuen Märkten. Er veranlaßt auch zu unverzüglichen Maßnahmen gegenüber besonders erfolgreichen Wettbewerbern. Dadurch unterliegen die Gewinne einer ständigen Einebnung. Ökonomisches und technisches Wissen werden rasch verbreitet. Das ist das Geheimnis der hohen Effizienz und der Dynamik der Marktwirtschaft. Die wettbewerblich kontrollierten Gewinne sind es, die zu beispielhaften Vorteilen und zu Freiheit für alle führen. Das gibt der von uns gewollten sozial verfaßten Marktwirtschaft ihre eigentliche Existenzberechtigung.
Meine Damen und Herren, Sie haben eine völlig andere Politik verfolgt.
Sie haben die Unternehmen ständig stärker belastet und die Einkommen zunehmend nivelliert. Ihr Motiv war die Umverteilung. Aber Umverteilung motiviert niemanden zu besonderer Leistung.
Erst Leistung erzeugt ein ausreichendes Sozialprodukt, aus dem dann verteilt werden kann, was zuvor produziert worden ist. Deswegen muß sich Leistung wieder lohnen.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie meinen, Sie könnten mit staatlichen Beschäftigungsprogrammen die geistigen Ursachen für unsere Krise beseitigen: Ursachen übrigens, die Helmut Schmidt einmal gegenüber den Jungsozialisten als „Krise im Hirn" bezeichnet hat. 16 Konjunktur- und Wachstumsprogramme haben wir hinter uns. Trotz eines ungeheuren Aufwands von über 45 Milliarden DM allein beim Bund ist das entscheidende Ziel all dieser Programme nicht erreicht worden. Wir haben heute nicht mehr, sondern weniger Arbeitsplätze; unsere Volkswirtschaft wächst nicht, sondern sie schrumpft.Deshalb kann nur die Stärkung der Produktionskraft der gesamten Volkswirtschaft im privaten und im öffentlichen Bereich helfen. Ein weiterer Ausbau der Staatsverwaltung wirkt ebenso wie überzogene soziale Schutzmaßnahmen und Forderungen in vielen Bereichen hinderlich. Darunter mögen sinnvolle und begrüßenswerte Vorhaben sein. Sie alle aber können nicht darüber hinwegtäuschen, daß zunächst einmal die gegenwärtige Investitions- und Strukturkrise beseitigt werden muß. Dies hat Vorrang vor allem anderen.Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich den Versuch des Kollegen Glombig bei der Anpassung der Sozialpolitik an die geänderten Grunddaten würdigen, wenn er sagte:Es ist nicht zu bestreiten, daß in einer Zeit, in der mit hoher Arbeitslosigkeit und auf Dauer verringertem Wirtschaftswachstum gerechnet werden muß, die Sozialpolitik sich in neue Rahmenbedingungen einzufügen hat. Das geht nicht, wenn starrsinnig an alten Besitzständen festgehalten wird.Manche Spitzenfunktionäre in den Gewerkschaften haben diesen Erkenntnisstand offenbar noch nicht, obwohl selbst der SPD-Parteivorstand vor wenigen Wochen festgestellt hat, daß wir mittelfristig unsere Systeme der sozialen Sicherung an die veränderten Bedingungen der Weltwirtschaftsstruktur und der Altersstruktur in unserer eigenen Gesellschaft anpassen müssen.
Meine Damen und Herren, was heißt hier „mittelfristig"? Verehrte Frau Kollegin, wie lange soll denn eigentlich die deutsche Volkswirtschaft noch unter staatlicher Entschlußlosigkeit dahinvegetieren? Es muß jetzt und nicht erst mittelfristig gehandelt werden! Dazu hat die neue Bundesregierung die ersten Schritte eingeleitet, die wir in dieser Debatte heute zu beraten haben.
Der Sachverständigenrat hat festgestellt, daß man nicht auf Dauer auf Kredit leben kann. Man kann auch nicht einen immer weiter wachsenden Anteil am Volkseinkommen einem immer weiter wachsenden Teil der Bevölkerung zuteilen, der das Volkseinkommen nicht erwirtschaftet, ohne die Anreize zu ersticken, die zur Entstehung des Volkseinkommens notwendig sind.Deshalb, meine Damen und Herren, ist es falsch und unsinnig, wenn Sie unter der Anwendung der Kaufkrafttheorie behaupten, das von uns vorgelegte Gesetzeswerk verursache einen Nachfrageausfall von 15 Milliarden DM. Nicht die Kaufkraft löst unser Problem, sondern die Investitionskraft, und die ist nun einmal mit Kaufkraft allein nicht herzustellen.
Unstrittig ist, daß die Finanzpolitik der letzten Jahre keinen Beitrag mehr zur Stabilität, zum Wachstum und zur Beschäftigung geleistet hat. Der Sachverständigenrat stellt dazu richtig fest: Zwist und Verwirrung bestimmen in diesem Jahr das Bild der Finanzpolitik.Wir haben die verschiedenen Theateraufführungen des Sommers 1981 und des Sommers 1982 noch frisch in Erinnerung. Im Kern ging es darum, daß Sie die ökonomischen Fakten bis heute nicht richtig bewerten und deshalb die falsche Politik betrieben haben. Man muß Sie ernstlich fragen, was geschehen wäre, wenn wir Sie hätten weiterregieren lassen.
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Herr Kollege Walther, Sie haben vorhin die große Eile beklagt, mit der diese Beratungen durchgeführt würden.
Ich will Ihnen dazu sagen, da Sie das mit dem Angebot in Zusammenhang gebracht haben, daß wir sofort hätten wählen können:
Wir waren der festen Überzeugung — wir werden darin von der Mehrheit unserer Bürger bestätigt —, daß jeder Tag länger, den die alte Koalition regiert hätte, ein Tag zuviel für unsere Bürger und für unsere Volkswirtschaft gewesen wäre.
Deswegen müssen wir den Weg gehen, der jetzt vorgeschlagen wird: schnellstmöglich mit den ersten Reparaturarbeiten an dem Scherbenhaufen zu beginnen, den Sie hinterlassen haben.
Meine Damen und Herren, Sie haben in den zurückliegenden Jahren immer wieder versucht, die Öffentlichkeit mit geschönten Zahlen zu täuschen.
Ich räume ein, daß Sie uns in der irreführenden Semantik überlegen sind.
Aber man muß sehr vorsichtig sein; denn schneller, als man sich das gedacht, hat man sich lächerlich gemacht.
Wenn ich jetzt die blumenreichen Wortblasen von einst noch einmal zitiere, frage ich Sie: Wie klingt das wohl heute in Ihren Ohren?Der Bundeshaushalt 1972 wurde vom damaligen Minister Schiller als ein Beitrag zur Wiedergewinnung unserer Stabilität bezeichnet. 1973 hielt sein Nachfolger Helmut Schmidt einen neuen Täufling über das Becken, und er sagte: Die Finanzen des Bundes sind in Ordnung, und die Bürger unseres Landes können sich darauf verlassen, daß dies so bleibt.
1975 — damals lag die Neuverschuldung schon bei 29,5 Milliarden DM — besaß Ihr damaliger Finanzminister Apel die Stirn, das als Chance und Herausforderung zugleich zu bezeichnen. Die Dreistigkeit wurde sicherlich noch übertroffen, als der letzte Finanzminister Ihrer Regierung sein 83er-Werk als „stocksolide" bezeichnet hat.
Mit all diesen Wortspielen, mit diesem Politkitsch haben Sie nur ein Ziel verfolgt:
Die wirklichen Probleme sollten verschleiert werden. Ich stelle mir mit großem Genuß Ihre Reaktion vor, sollten Sie jemals einen deutschen Unternehmer bei einer vergleichbaren Bilanzverschleierung erwischen. Ich wüßte gerne, was Sie dann dazu sagen würden.Die neue Bundesregierung hat in nur drei Wochen ein Werk fertiggestellt, zu dem Sie nicht mehr die politische Kraft besaßen. In nicht enden wollendem Streit haben Sie viele Monate benötigt, ohne ein Ergebnis zu erzielen, das auch nur annähernd seriös genannt werden kann. Namens meiner Fraktion möchte ich der Bundesregierung
und den beteiligten Mitarbeitern für die Leistung — und für den Arbeitsaufwand, der damit verbunden war — danken, daß wir heute den zweiten Nachtragshaushalt 1982, den Bundeshaushalt 1983 und die Begleitgesetze beraten können.
Wir unterstützen die Zielsetzung der vorliegenden Gesetzeswerke und auch die darin vorgeschlagenen einzelnen Maßnahmen.Jeder weiß — auch Sie in der SPD-Fraktion —, daß die Hypothek der Vergangenheit kurzfristig nicht zu tilgen ist. Wir wissen auch, daß der Tiefpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung noch vor uns liegen kann. Weil das so ist, müssen die Weichen sofort auf eine Erneuerung unserer Wirtschaftskraft gestellt werden. Diese Zielsetzung der Bundesregierung findet die volle Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und aus Zeitgründen beschränke ich mich auf einige Kernpunkte des Programms,
damit die nach mir sprechenden Kollegen meiner Fraktion auf die Einzelheiten näher eingehen können.Wir wollen die Belebung der Wirtschaft, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Dazu müssen die Investitionen gefördert und der staatliche Konsum eingeschränkt werden. Die Neuverschuldung des Staates ist schrittweise kräftig zu reduzieren,
die Sozialleistungen sind an volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Veränderungen in der Altersstruktur der Bevölkerung anzupassen, die Subventionen sind abzubauen. Die heimlichen Steuererhöhungen müssen beseitigt werden, sobald hierzu die Möglichkeit besteht, und wir bauen schrittweise das Ungleichgewicht zwischen direkten und indirekten Steuern ab. Dieser Zielsetzung entspricht das hier vorgelegte Regierungsprogramm, und deshalb unterstützen wir es in allen seinen Teilen.Meine Damen und Herren, in seiner Abschiedsrede vor der SPD-Fraktion hat Helmut Schmidt sechs Streitpunkte in seiner eigenen Fraktion auf-
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geführt, von denen allein vier unmittelbare wirtschaftliche Auswirkungen haben: 1. der Streit um die Wirtschafts- und Finanzpolitik, 2. der Streit um die Sozialpolitik, 3. der Streit um die Kernenergie, 4. der Streit um den Umweltschutz. Sie haben jedoch nicht die politische Kraft, um diesen Streit zu beenden. Sie waren zum Schaden des deutschen Volkes über Monate hinweg handlungsunfähig.
Ihre Schlußbilanz von 13 Jahren hat uns tiefrote Zahlen beschert. Sie haben der deutschen Wirtschaft und unseren Bürgern schweren Schaden zugefügt.
Jahrelang konnten Sie das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern vortragen; aber angesichts von zwei Millionen Arbeitslosen und der unerträglichen Schuldenlast des Staates sind den Bürgern die Augen aufgegangen, und Ihr Versuch, die Schuld zu leugnen, zieht nicht mehr. Sie sollten weniger mit Funktionären, dafür mehr mit dem Mann am Schraubstock sprechen, um die Auffassung der Menschen kennenzulernen.
Leider scheinen Sie keine andere Antwort auf unsere Probleme zu wissen, als die Rückkehr zu Ihren alten politischen Wurzeln — der Ablehnung der Sozialen Marktwirtschaft —, die wir gegen Ihre Auffassung durchsetzen mußten.
Mit Ihrer Politik können die 80er Jahre nicht gestaltet werden. Die intellektuellen Konstrukteure, die das moderne Deutschland bauen wollten, haben versagt. Wir werden in solider Handwerksarbeit das Fundament für eine Zukunft erneuern, die unserem Volk zum Segen gereicht. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Gärtner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie wir gesehen haben, ist eine Haushaltsdebatte eine offene Debatte; aber, Herr Kollege Hauser, alles kann man nicht unwidersprochen hier stehenlassen.
Sie fangen bei dem Unternehmen Scherbenhaufen und Trümmerfeld an. Wenn man wirklich einmal genau nachsieht, stellt man fest, daß das, was wir in der neuen Koalition an Gesetzentwürfen von der alten Koalition übernommen haben — wir werden das, wenn ich das richtig sehe, wohl quer durch dieses Parlament einstimmig verabschieden — mindestens der Hinweis darauf ist, daß ein guter Teil Bausteine vorhanden ist, und da ist das, meine ich, mitdem Trümmerfeld und dem Scherbenhaufen auch nicht so toll.
— Vielleicht kann man sich einmal daran gewöhnen, daß man hier eine Haushaltsdebatte führt, die nicht eine verhinderte Wahlkampfauseinandersetzung ist, wie das in Teilen vorher war.
Der Bundesfinanzminister hat heute morgen zutreffend gesagt — diesen Satz haben alle beklatscht —, daß es keine Patentrezepte gibt. Die Arbeit, Herr Kollege Hauser, hört nicht hier im Plenum auf, sie geht da oben im 25. Stock im Haushaltsausschuß weiter, und es wird die Frage sein, wer dann noch bereit ist, bei dieser Operation mit Rat und Tat mitzumachen.
Herr Kollege Walther, ich wäre dankbar, wenn auch Sie in Ihrer neuen Funktion bereit wären, bei diesem Unternehmen mitzumachen, weil ich finde, daß es hier um die Aufgabe, das Recht des Parlamentes geht. Die Regierung kann Entwürfe machen. Sie hat auch in der Vergangenheit Entwürfe gemacht, Herr Kollege Walther; und, wie wir wissen, waren die auch in der Vergangenheit nicht immer vollständig.
Ich will auch ein Wort zu der Behauptung sagen, in den letzten 13 Jahren habe man in diesem Lande sozusagen nichts hinbekommen. Das kann man schon deshalb nicht sagen, weil jeder ausländische Betrachter das genaue Gegenteil behaupten wird.
Ich finde, das einzuräumen, wäre auch ein Stück gemeinsamer Ehrlichkeit, die wir brauchen — auch wenn man heute feststellen muß, daß bestimmte Positionen aus der Vergangenheit zu überprüfen sind. Für alle Parteien muß gelten, daß sie ihre Tabu-Kataloge aus der Vergangenheit nicht fortschreiben, sondern offen und ehrlich bereit sein sollten, alle Positionen im Hinblick auf das zu überprüfen, was in den 80er Jahren vor uns steht.Ich wehre mich ein bißchen dagegen, daß man so den Eindruck vermittelt, als ob man nur etwas anderes sagen müsse, damit sich irgend etwas ändert. Ich sage vielmehr: Da muß man eine Menge ganz anderes tun. Vielfach gibt es einen Unterschied zwischen dem, was man sagt, und dem, was man tut.Herr Kollege Hauser, wenn Sie davon sprechen — auch der Herr Finanzminster hat das heute morgen getan —, daß Insolvenzen ein so großes Problem seien, sage ich Ihnen: Natürlich ist ein Konkurs kein angenehmes Verfahren. Aber ich wehre
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Gärtnermich dagegen, daß alle Konkurse beim Staat „abgegeben" werden. Es gehört zu dem System der Marktwirtschaft, daß eben auch Konkurse möglich sind.
Wenn ich höre, daß man von Revitalisierung der Marktkräfte spricht, aber die Beispiele AEG und Stahlbranche vor Augen habe, werde ich, so muß ich sagen, mindestens etwas zweifelnd hinsichtlich dessen, was zwischen Sprache, Worten und Taten, gelegentlich festzustellen ist.Das, was der Herr Finanzminister heute morgen am Ende seiner Rede gesagt hat, nämlich daß wir uns in einem schwierigen weltwirtschaftlichen System befinden, ist auch ein Ausweis der Kontinuität, Herr Kollege Westphal. Man könnte sagen, daß der Bundeskanzler früher mit diesen Sätzen begonnen habe, Sie aber nun damit geendet hätten. Sie haben damit das Feld zum — wenn man so sagen darf — finanzpolitischen Kosmos geöffnet.
Ich finde, daß das so auch ganz richtig ist, weil ich meine: Wer heute der Auffassung ist, daß die Bundesrepublik Deutschland in der Lage wäre, völlig alleine aus diesen Problemen der Welt herauszukommen, der hat auch das, was der Sachverständigenrat im Oktober vorgelegt hat, nicht vollständig verstanden bzw. nicht komplett gelesen. Ich glaube, daß man das auch nach draußen sagen muß, weil sonst der Eindruck entsteht, als ob man in diesem Lande alles allein lösen könnte ohne Rücksicht darauf, was draußen passiert.
— Man kann intern, Herr Kollege Kolb, sehr viel lösen. Aber man kann das gerade nicht in einem Industrieland wie der Bundesrepublik Deutschland machen, das seinen Wohlstand nicht aus dem Naturaltausch im Inland erzielt, sondern dadurch, daß es seine Produkte — mit sehr viel Aufschlag — nach draußen verkauft. Das geht insbesondere dann nicht, wenn es draußen in der Welt für Länder Schwierigkeiten gibt, die wir traditionell als Vorbilder hatten.Kollege Dregger, Sie haben seinerzeit von dieser Stelle das Musterland Japan erwähnt. Just zu dem Augenblick, als Sie hier sprachen, kam von drüben schon die Hiobsbotschaft, daß die Japaner nicht mehr in der Lage wären, ihren öffentlichen Dienst sozusagen im alten Stil weiterzufinanzieren. Und die Kreditfinanzierungsprobleme des japanischen Haushalts sind — ich werfe das niemandem vor — —
— Ich weiß nicht, ob es dort alles in allem noch besser ist — vielleicht im Augenblick. Aber wenn Japan, das in verschiedenen Bereichen sehr exportorientiert ist, das aber eine Kreditfinanzierung benötigt hat, um diese Branchen aufzubauen, in dieser Welt keine Abnehmer mehr findet, wird es Renditeprobleme geben. Die werden, behaupte ich, in dieser Lage in ähnliche Schwierigkeiten kommen, wie auch wir sie zum Teil haben.Wenn man in diesem Land über Finanzpolitik redet, muß es zu denken geben, daß z. B. unser Nachbarland Frankreich Schwierigkeiten hat, seine Auslandsverschuldung zu finanzieren,
daß wir im Augenblick in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen täglich Meldungen über Länder lesen, in denen mehr über Umschuldungen als die Probleme, die sie mit ihren Haushalten bewältigen, gesprochen wird. Ich nenne Lateinamerika und Mexiko; in Osteuropa ist es ähnlich. Ich meine, darüber müsen wir in unserem Lande — nicht: in diesem unserem Lande —
öfter und offener reden, weil ich glaube, daß es das Notwendigste ist, den Leuten hier den Eindruck zu vermitteln, daß die Probleme, über die wir gelegentlich klagen — Probleme im Zusammenhang mit Kürzungen und Einsparungen —, im Verhältnis zu dem, was sonst auf dieser Welt passiert, kleine Probleme sind.
— Das hat mit „Problemchen" nichts zu tun, Herr Kollege Dregger. Ich sage das auch Leuten — auch Kollegen aus der Sozialdemokratischen Partei —, die mir vorhalten, daß man bei den Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz nichts kürzen dürfe. Ich kann dazu nur sagen: Wer die Probleme der Industrienationen auf diese Punkte herunterdefiniert, liegt an dieser Stelle weit neben dem, was notwendigerweise die Diskussion bei uns mitbestimmen muß.
Ich meine auch, man wird mit nationalem Egoismus nicht weiterkommen, genausowenig, wie mit Protektionismus oder mit Embargopolitik. Man wird dieser Welt mit ihren Schwierigkeiten nicht helfen, wenn die Industrienationen z. B. nicht bereit sind, auf die Länder des Südens zuzugehen. Ich behaupte, dies wird im Interesse der Industrieländer notwendig sein.
Wir werden, um unser eigenes Überleben in Frieden und Freiheit zu sichern, nicht umhinkönnen, allen Ländern auf dieser Welt die Möglichkeit einer friedlichen, ökonomischen, selbständigen Perspektive zu geben. Wer das in der Industriegesellschaft des Nordens nicht leistet, wird in 20 Jahren von den anderen gefragt werden, ob er nicht zur rechten Zeit die richtigen Maßnahmen getroffen hat oder eben vor dem eigentlichen Problem davongelaufen ist.Deshalb werden wir uns vielleicht sehr viel stärker als in der Vergangenheit damit befassen müs-
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Gärtnersen, wie wir — es geht dabei nicht darum, bei uns auf alles zu verzichten — eine gerechte Verteilung zwischen Nord und Süd auf den Weg bringen. Das gilt für alle Länder im Süden. Ich bin dagegen, daß man Länder des Südens sozusagen qualifiziert und klassifiziert. Armut, Hunger und Not stellen eben ein Problem dar, das unteilbar ist. Ich meine, daß uns das im Grunde auch gemeinsam bewegen müßte. Auch dann, wenn man aus einem weltumspannenden Glaubensbekenntnis kommt, wird das meines Erachtens fast selbstverständlich sein.Ein Haushaltsentwurf, eine Nachschiebeliste oder ein Ergänzungshaushalt — wie immer man es bezeichnet; ein solches Werk liegt uns jetzt vor — verdient eine kritische Prüfung, insbesondere dann, wenn wir etwas weniger Zeit haben. Die Problematik der Zeitperspektive ist ja heute schon angesprochen worden. Wir sollten nicht nur in Schnelligkeit machen, sondern wir sollten versuchen, auch dann vernünftig und langsam über Fragen zu beraten, wenn sich hier schon gewissermaßen bestimmte Selbstverständlichkeiten abzeichnen. Man wird die Arbeit im Ausschuß nicht einstellen können, insbesondere dann nicht, wenn man auch den Investitionsbegriff in einigen Positionen vielleicht noch einmal überprüfen muß. Ich höre ja gerne, daß alle Leute sagen: Man muß investieren. Auch die Kommunen sollen investieren.
Jeder soll investieren. Es ist nur die Frage: Welche rentablen Investitionen gibt es denn eigentlich in diesem Lande, die dann auch eine solche Nettokreditaufnahme, wie wir sie heute im Haushaltsentwurf stehen haben, vertretbar machen? Zur Nettokreditaufnahme kann man ja nun wirklich sagen: In dieser Höhe hat sie viele neue Freunde gefunden.
In früheren Jahren war das immer etwas komplizierter.
— Herr Kollege Walther, es gab auch unter der früheren Regierung Leute, die gesagt haben: Sie muß deutlich unter 30 Milliarden DM liegen.
— Ich weiß gar nicht, warum man in einem Parlament nicht auf allen Seiten ein gewisses Ausmaß von Lernfähigkeit feststellen darf.
Ich will zu dem Unternehmen „Investitionen" deshalb etwas sagen, weil ich finde, daß es notwendig ist, darüber zu reden, um nicht den falschen Eindruck zu erwecken, als ob alles in diesem Lande nur über Investitionen machbar wäre. Wir selbst als Freie Demokraten haben zu dem Thema der Gemeinschaftsaufgaben, die nach dem Regierungsentwurf verstärkt werden sollen, eine etwas gespalteneHaltung, weil wir im Prinzip gegen dieses Unternehmen „Gemeinschaftsaufgaben" sind.
— Das ist leider feststellbar, Herr Kühbacher. Ich würde aber vorsichtig sein. Es fragt sich, wie lange Sie noch überall Verantwortung tragen.Man muß sich wirklich die Frage stellen, ob wir nur einfach erhöhen, also irgendeinen Betrag drauflegen sollen, oder ob wir uns als Parlament nicht gemeinsam daranmachen sollten zu überlegen, wie man dieses Instrument, wenn wir es schon nicht abschaffen können — weil offenbar die SPD wie die CDU das ablehnt —, wenigstens vernünftig parlamentarisieren kann. Ich jedenfalls bin der Meinung: Es kann nicht sein, daß die größten Brocken im Haushalt — insbesondere wenn sie zur Investitionsförderung angelegt sind — alleiniges Privileg der Verwaltung sind.
Das sollte uns alle gemeinsam dazu bringen, nicht dafür zu sorgen, daß es eine Neuauflage der Gießkanne alten Stils gibt.Ich sage auch: Das Parlament muß sich bei den Investitionsfeldern, die im Haushalt stecken, fragen, ob das in allen Teilen und in allen Größenordnungen auch machbar ist. Ich will dazu ein paar ausgewählte Beispiele nennen: die Arbeit im Detail wird ja noch kommen.Ich nenne beispielsweise das, was im Haushalt zu dem Thema Stahl steht. Es wird ja nicht nur etwas gekürzt, sondern es wird auch etwas draufgelegt. Vielleicht wird ja bis zum Ende der Haushaltsberatungen gerade aus einer Region, die sehr am Rande der Bundesrepublik Deutschland liegt, noch einiges an Nachholbedarf auf den Haushalt zukommen. Man weiß das nicht genau, aber man kann relativ sicher sein. Wenn man die Stahl-Debatte nachgelesen hat und sich das anschaut, was jetzt das saarländische Kabinett schon beschlossen hat, sieht man, meine ich, schon einen Nachbesserungsvorschlag auf uns zukommen.Wir werden uns — um ein zweites Feld zu nennen — nach diesen Haushaltsberatungen einmal entscheiden müssen, was wir mit den fortgeschrittenen Reaktorlinien machen.
Wir müssen uns auch weiterhin fragen, ob wir, wenn wir kreditfinanzierte öffentliche Investitionen auf den Weg bringen, alles, was an Investitionen möglich ist, gemeinsam, sozusagen gleichzeitig finanzieren. Man kann ja nicht hingehen und die Stahlbranche bis zum Geht-nicht-mehr finanzieren oder z. B. fortgeschrittene Reaktorlinien, den Rhein-Main-Donau-Kanal im übrigen auch noch, und beispielsweise auch noch ein Unternehmen wie Airbus Industries. Ich sage das deshalb, weil es nach meinem Eindruck vier ganz entscheidende in ihrer Rentabilität in Teilen fragwürdige Investitionsfelder sind.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7689
GärtnerEs scheint mir notwendig zu sein, daß man sich entscheidet. Das heißt ja nicht, daß ich aus Prinzip gegen den Rest wäre, wenn ich mich für eines entscheide. Aber ich muß doch fairerweise und ehrlicherweise sagen, ob ich sie alle gleichzeitig finanzieren kann. Nach meinem Eindruck scheint es nicht möglich zu sein, alle genannten Felder gleichzeitig auf den Weg zu bringen. Ich meine aber, daß wir als Parlament uns entscheiden müssen. Es darf keine Investitionsbugwelle geben, weil das Parlament nicht bereit ist, sich in irgendeinem Punkt zu entscheiden.
Man kann nicht sagen, man wolle Airbus haben und alles andere auch noch. Wenn man das so sagt, kriegt man eben nichts mehr durch. Deshalb meine ich, es ist notwendig, an dieser Stelle im Parlament eine Entscheidung zu treffen. Diese Entscheidung muß Prioritäten setzen, weil alles andere nach meinem Verständnis nicht machbar ist.
Herr Kollege Gärtner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hoffmann?
Gerne.
Bitte sehr.
Herr Kollege Gärtner, da Sie sehr viel Nachahmenswertes und Zustimmenswertes gesagt und einige Projekte genannt haben: Sind Sie dann auch in der Lage, für die FDP-Fraktion zu erklären, wie Sie zu dem Investitionsprojekt Rhein-Main-Donau-Kanal stehen?
Man könnte fast sagen: Wer Ohren hat, der höre. — Damit das klar ist: Ich kann einer Investitionsentscheidung, die sich von vornherein nicht rechnet, nicht zustimmen.
Wenn da eine DM eingesetzt wird und 50 Pfennig kommen heraus, dann muß ich sagen: Da haben wir mit Zitronen gehandelt. Macht das also nicht!
Aber ich sage: Das soll für jeden gelten, Herr Kollege Hoffmann; ich hoffe, daß das dann auch für Ihre bayerischen SPD-Kollegen gilt. Die haben ja bisher bei diesem Projekt einen Ausbund von Rückgrat bewiesen, was einen in der Bewertung der Sozialdemokratischen Partei fast schwankend macht.
Gegen Ende dessen, was man in einem kürzeren Beitrag zum Aufgalopp der Haushaltsdebatte sagen sollte — morgen soll das ja einen größeren Rahmen bekommen und länger dauern —, will ich nur noch folgendes zu dem Thema investive und konsumtive Ausgaben sagen. Für die draußen am Fernsehen oder Radio Zuhörenden ist das ja das beliebteste Schlagwort, was wohl aber langsam niemand mehr versteht.
Konsumtiv heißt verbrauchsorientiert; Personalausgaben gehören dazu. Jetzt muß ich sagen: Der erste Ansatz zu Personaleinsparungen ist der neuen Regierung — das sage ich ganz selbstkritisch — offenbar nicht so gut gelungen. Ich hoffe, daß es dem Haushaltsausschuß gelingt, dort noch ein bißchen zu korrigieren. Denn wenn man schon einmal sagt, man wolle von komsumtiv auf investiv umschichten, muß man an die Personalausgaben herangehen.
— Ich sage ja, das muß der Haushaltsausschuß übernehmen. Wir sind ja, Herr Kollege Gerster, für solche Sachen offenbar doch notwendig. Ich sage, das war auch schon in der Vergangenheit so. Daher ist das auch ein Ausweis von Kontinuität, wie auch immer man das sonst sehen will.
Herr Kollege Gärtner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Walther?
Gern, bitte.
Herr Kollege Gärtner, da wir in der früheren Koalition in Personalfragen sehr gut zusammengearbeitet haben, darf ich Sie fragen, ob Sie dann auch bereit sind, mit uns zusammen die Streichung der vier überflüssigen Stellen von Parlamentarischen Staatssekretären und Staatsministern zu beschließen.
Herr Kollege Walther, die Streichung eines Parlamentarischen Staatssekretärs oder eines Staatsministers alleine halte ich zwar für einen glänzenden demagogischen und deklamatorischen Akt,
ich wäre allerdings eher dazu bereit, wenn Sie bereit wären, bei sonstigen Personaleinsparungen in der Zahl etwas drastischer zuzuschlagen, und meine, daß es dann viel sinnvoller wäre, sich an diesen Fragen zu bestätigen. Und ich sage, was mir auch nicht paßt: Na klar, das war nicht eine besondere Erleichterung für jemanden, das als Sparprogramm zu verkaufen. Ich muß aber sagen, man muß bei so einer Entscheidung auch einmal verlieren können.
— Ich weiß gar nicht: ihr tut immer so, als ob ihr euch in eurer Partei immer nur durchgesetzt habt.
Bei dem Unternehmen Personalkosten werden wir ein Operationsfeld betreten, das wir früher gemeinsam bearbeitet haben. Ich hoffe, daß es da am Ende nicht nur um die Quantität, d. h. um die Stellenzahl geht. Ich meine, daß dieses Parlament sich über die mittelfristige Finanzierung der Besoldungs- und Vergütungsstrukturen in der näheren Zukunft verständigen muß. Man kann nicht beispielsweise nur bei den Renten sagen, daß nur noch eine nettolohnbezogene Anpassung möglich sei,
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Gärtnerweil man keine Wachstumsraten wie in den 50er und 60er Jahren mehr zur Verfügung habe, einen anderen Teil aber völlig aussparen. Ich glaube, das geht nicht. Der Kollege Remmers hat in einem Beispielfall zu Recht darauf hingewiesen. Nichts gegen Lehrer und mehr Lehrer! Aber wenn das insgesamt in Zukunft etwas preiswerter wäre, wäre das der Sache nach meinem Eindruck dienlicher.
Ich meine, in dieser Richtung sollte das Unternehmen weiterentwickelt werden. Das hat alles mit Freude und mit viel Zustimmung nicht viel zu tun. Ich glaube aber, das ist notwendig, wenn man in den nächsten Jahren politisch handlungsfähig bleiben will.Dazu gehört dann auch, wie der Bundesfinanzminister das heute angekündigt hat, daß man beim Subventionsabbau weitermacht, und zwar auch in schwierigen Zeiten. In der Vergangenheit habe ich genau das Gegenteil erlebt. Solange es gut ging, war keiner bereit, auch nur irgendeine Subvention zu streichen. Wenn es überhaupt möglich ist, eine Subvention zu streichen, dann im Augenblick. Aber auch da habe ich festgestellt, daß es zunehmend schwieriger wird. Die Berlin-Subvention ist offenbar ein Thema, über das man fast nicht reden darf. Ich muß schon sagen, es ist erheiternd, wenn an den 23 Millionen D-Mark sozusagen Berlin aufgehängt wird. Obwohl 23 Millionen DM mehr als 1979 für die Berlin-Flugpreissubvention ausgegeben werden, ist das Fluggastaufkommen um 7 % zurückgegangen. Ich wäre also ganz dankbar, wenn man diese Frage noch einmal aufnehmen könnte, damit das, ohne daß es gleich zu Beschädigungen kommt, auf den Weg kommt.Ich will am Ende noch eine kurze Bemerkung zum Thema Steuerlastquote machen. Es wird nachher noch eine Steuerrunde geben. Der Finanzminister hat angedeutet, daß er in der Frage der Entlastungen und der Umstrukturierungen so vorgehen will, wie das auch in der Vergangenheit gemacht worden ist. Ich frage nur, ob das auf die Dauer so weitergehen kann. Ich weiß, daß ich damit bei uns in der Partei und Fraktion eine ganz abweichende Position habe, frage mich aber immer, ob dieses Thema der Steuerlastquote von uns so, manche sagen: ideologisiert, manche sagen: dämonisiert werden soll. Ich bin nicht ganz sicher, ob wir beim Thema Steuerlastquote mit der Fixierung auf einen Prozentsatz X wirklich das tun, was wir in den nächsten Jahren brauchen.
Es ist natürlich leicht, jetzt das eine wie das andere als Patentrezept zu verkünden. Ich meine nur, wir sollten über dieses Thema vorurteilsfrei diskutieren können, und zwar nicht deshalb, weil es für die Zukunft eine düstere Perspektive gibt, sondern weil in den nächsten Jahren gemeinsame und schwierige Anstrengungen notwendig sind, die ein Abschiednehmen von bestimmten Tabuvorstellungen wohl für alle notwendig machen. Die Arbeit, die vor uns liegt, sollte an so einer Stelle nicht behindert werden. Die Arbeit im Ausschuß soll und kann beweisen, daß man auch kritische Positionen in die Regierungsarbeit und in die Parlamentsarbeit einbringen kann. Im Interesse meines Mandats werde ich das tun. Ich hoffe auf die Unterstützung vieler, auch aller, die das bisher gemacht haben, und freue mich insoweit auf die Arbeit, die im Haushaltsausschuß weitergeht. — Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Wieczorek .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Gärtner hat heute in wunderschöner Offenheit bewiesen, daß die Haushaltsdiskussion immer eine sehr offene Debatte ist, und er hat mir einen großen Teil dessen weggenommen, was ich gern dem Herrn Hauser geantwortet hätte. Es ist nämlich sehr wenig, was man aus der Rede von Herrn Hauser herausgreifen kann, um sich damit sachlich auseinanderzusetzen.
Herr Hauser hat nämlich den Weg zurück angetreten,
teilweise den Weg zurück im Zorn. Temperament ist in einer Debatte sicherlich gefragt, aber das Temperament sollte, Herr Kollege Hauser, nicht von Fanatismus überlagert werden,
und insofern würde ich Ihnen den Rat geben, bei Herrn Dr. Stoltenberg eine Anleihe zu machen, der mit unterkühltem Charme die Dinge anders darstellt als Sie und damit trotzdem Erfolg hat. Sie reizen einfach, und ich möchte gern die Reizworte, die Sie, Herr Hauser, gebracht haben, aufnehmen. Ich meine nämlich, daß man Politik mit Geist machen sollte, nicht mit Galle,
und bei Ihnen ist leider die Galle etwas übergelaufen.Herr Hauser, ich würde auch sagen — aber damit will ich dies schon gleich beenden —, man muß leider bei Ihnen feststellen, daß das Wechseln der Bank bei Ihnen gleichzeitig auch die Persönlichkeit verändert. Das Sein verändert hier wohl das Bewußtsein, und von daher sage ich, Herr Hauser, daß etwas mehr Sachlichkeit der Sache dienlich gewesen wäre. Denn ich hätte von Ihnen eigentlich erwartet, daß Sie auch zum Haushalt etwas sagen, zu diesem Haushalt, den der Bundesfinanzminister eingebracht hat, zu diesem Haushalt, der ja gar kein neuer Haushalt ist. Das ist eine bestimmte
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Wieczorek
Delikatesse, die man sich auf der Zunge zergehen lassen sollte.
Der Herr Bundesfinanzminister hat ja den Haushalt der Bundesregierung Schmidt übernommen, hat darauf aufgebaut und hat uns hier nur einen Ergänzungshaushalt vorgelegt.Nun mögen Sie darauf hinweisen, das Einbringen eines Ergänzungshaushalts sei eine leere Formfrage. Doch Sie wie ich wissen, daß sich hinter solchen Formfragen auch eine politische Zeichensetzung verbirgt.Herr Dr. Kohl, es war doch sicher auch bei Ihnen keine leere Formfrage, daß Sie bei der Vereidigung durch den Bundespräsidenten zum alten Cut zurückgekehrt sind.
Sie wollten doch sicherlich auch hierbei deutlich machen, daß Sie einen neuen gesellschaftlichen Anfang in dieser Republik dokumentieren wollen.
Allerdings war der Anfang, den Sie setzten, eine Erinnerung an die 50er Jahre, und für uns wird hiermit ein etwas lauer Aufguß spätkonservativer Gesinnung dokumentiert. Aber ich bin sicher: die gesellschaftlichen Gruppen in diesem unserem Lande — ich nehme diesen Terminus sehr gern auf — wollen nicht mit Ihnen die Ergebnisse von 30 Jahren gemeinsam erarbeiteter Gesellschaftspolitik rückschreitend durchleben. So wenig, wie man mit 50 Jahren bei der Entwicklungsstufe seiner Pubertät neu beginnen kann, kann man 1982 die Gesellschaft in die Zeit Adenauers transformieren.Was Sie jedoch bei der Kleiderordnung zustande gebracht haben, ist Ihnen bei der Durchsetzung des ersten Punktes Ihrer Koalitionsvereinbarung leider nicht gelungen. Es bleibt nämlich festzuhalten: Mit der Einbringung des Ergänzungshaushalts hat die neue Bundesregierung den von ihr als Opposition verteufelten Haushaltsentwurf der sozialliberalen Koalition als Beratungsgrundlage akzeptiert und sich damit zu eigen gemacht.Im übrigen — rein haushaltstechnisch gesehen — hat die neue Bundesregierung nicht allzuviel bewegt. Von 7 000 Einzelpositionen wurden überhaupt nur knapp 130 verändert. Das ist wesentlich weniger als das, was der Haushaltsausschuß bei seiner Normalarbeit macht; das werden Ihnen die Kollegen vom Haushaltsausschuß bestätigen.Läßt man aber die Frage des Verfahrensweges einmal außer acht, dann stellt sich heraus, was Sie mit dem eingebrachten Ergänzungshaushalt geändert haben und was hervorzuheben ist. Der Bundeshaushaltsentwurf wurde wie in allen anderen Jahren zuvor an den im letzten Quartal des Jahres vorliegenden volkswirtschaftlichen Daten orientiert.Darüber hinaus wurde versucht, die auf die Schnelle zusammengeschusterten Koalitionsbeschlüsse im Haushalt 1983 umzusetzen. DieserHaushaltsentwurf ist ein zusammengebastelter Krüppelhaushalt, aber keine seriöse Beratungsgrundlage.
— Zusammengebastelt, Herr Kollege! Sie haben schlechte Dinge auf eine gute Basis aufgesattelt und wußten noch nicht einmal recht, wo Sie sie eigentlich unterbringen sollten.Ich würde jetzt gern noch etwas näher auf die einzelnen Punkte eingehen. Dabei möchte ich ganz kurz das Verfahren der Haushaltsaufstellung beleuchten. Allerdings können Sie beruhigt sein: Ich gehe dabei nicht sehr weit zurück.Jeweils zur Mitte des laufenden Jahres werden ja, Herr Kollege Haase, die Eckdaten für den Haushaltsentwurf des kommenden Jahres von der Bundesregierung verabschiedet. Grundlage für diesen Beschluß sind die in der Verantwortung des Bundeswirtschaftsministers erarbeiteten volkswirtschaftlichen Schätzdaten für das kommende Jahr. Jeweils im letzten Quartal des laufenden Jahres wird nochmals eine gesamtwirtschaftliche Vorausschätzung vorgenommen und anschließend der Entwurf des Bundeshaushalts an diese zeitlich jüngsten Prognosedaten angepaßt.Wie in all den Jahren ist es auch in diesem Jahr gewesen: Der Entwurf des Bundeshaushalts 1983 wurde zur Mitte dieses Jahres unter Annahme eines dreiprozentigen realen Wirtschaftswachstums und eines um 6,5 % gestiegenen nominalen Wirtschaftswachstums aufgestellt.Mit diesem Hinweis soll keine Schuldzuweisung an den Bundeswirtschaftsminister stattfinden. Denn die Prognosedaten nationaler und internationaler Institutionen wiesen bis zum Juli 1982 weitaus günstigere Vorausschätzungen für das Jahr 1983 aus. Ohne auf diese Prognosedaten im einzelnen einzugehen, ist jedoch festzuhalten, daß sich die Prognosen in einer Bandbreite von 3,5 bis 1,5 % bewegten. 1,5 % waren die niedrigste Schätzung, wenn Sie so wollen: mit Exotencharakter.Im übrigen läßt sich zur Prognosefähigkeit von Wirtschaftsinstituten einiges sagen. Als Beispiel will ich einmal das Jahr 1975, das in der Rückschau eigentlich ein harmloses Jahr war, beleuchten. Für dieses Jahr schätzten die Institute einen Anstieg von 2,5 %. Der Sachverständigenrat schätzte auf 2 %, die Bundesregierung auf rund 2,8 %. Nach dem Ergebnis des Statistischen Bundesamts war jedoch nur ein Anstieg von minus 1,8 % zu verzeichnen.Ausdrücklich bleibt jedoch festzuhalten, daß die Mitte des Jahres vom Wirtschaftsministerium ermittelte Schätzung nicht stimmte.In diesem Zusammenhang muß man wohl auch erhellen, wie hier Legendenbildung betrieben wird. Herr Stoltenberg sagte heute — ich zitiere wörtlich —: „der auf viel zu optimistischen Annahmen aufgebaute Entwurf unserer Vorgänger". Gemeint war der Haushaltsentwurf. Herr Dr. Stoltenberg, bitte, formulieren Sie doch um, damit Sie Ihrem gepflegten Image der Seriosität treu bleiben. Ich würde folgende Formulierung vorschlagen: „der auf
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den vom alten und neuen Wirtschaftsminister vertretenen, viel zu optimistischen Annahmen aufgebaute Entwurf unserer Vorgänger". Damit hätten Sie eine seriöse Ausdrucksweise für das, was Sie wirklich meinen.
Ich muß sagen: Falsches wird auch durch eine betont seriöse Verkündigung nicht richtig.
Im letzten Quartal dieses Jahres geht man von einem realen Wirtschaftswachstum von 0 % aus. Das führt zu der gewaltigen Anpassungsdifferenz von mehr als 17 Milliarden DM. Dieses Anpassungsvolumen als Erblast zu bezeichnen, ist eine bewußte Irreführung der Bevölkerung. Für den Wirtschaftsminister, der seit Jahren, ohne sich untreu zu werden, kontinuierliche Wirtschaftspolitik betreibt, ist es beschämend, sich nach dem Motto zu verhalten: Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe.Auf die dramatisch verschlechterten Daten reagiert der Bundesfinanzminister mit einer deutlichen Nettokreditaufnahme. Dies tragen wir mit. Denn es entspricht unserer bisher immer wieder betonten und vertretenen Auffassung. Wir haben immer die Auffassung geäußert, daß konjunkturbedingte Steuermindereinnahmen und Mehrausgaben wie beim Arbeitslosengeld in dieser Zeit über Kreditaufnahme finanziert werden müssen. Wir werden jedoch nicht mittragen die von Ihnen angesprochenen, im Ergänzungshaushalt vorgelegten Begleitgesetze. Diese wirken sich unter dem Strich gesehen kontraproduktiv aus und werden nicht aus der Wirtschaftskrise führen, sondern sie noch verstärken.
Ich bitte Sie ganz herzlich, bei Ihrer Gesamtbeurteilung der vorigen Regierung zu beachten, daß wir in der Welt immer noch den dritten Platz einnehmen. Meine Freunde und ich werden ganz besonders darauf achten, wie sich Ihre Wirtschaftspolitik im internationalen Spiel der Kräfte auswirkt, ob Sie es halten können, diesen dritten Platz in der Weltwirtschaft weiterhin zu belegen.Wie sich Ihre Begleitgesetze, meine Damen und Herren von der neuen Koalition, auswirken, will ich hier nur an den damit beabsichtigten Verstümmelungen der Gewerbesteuer und den damit verbundenen Auswirkungen auf der Einnahmeseite des Haushalts einer einzigen Stadt darstellen. Ich will zur Problematik gar nichts sagen; das werden meine Freunde aus dem Steuerbereich tun. Bei der Stadt, aus der ich komme — das wird vielleicht auch für die Frau Staatssekretärin Karwatzki wichtig sein —, wird netto unter dem Strich die Mindereinnahme im Stadtsäckel 25 Millionen DM im ersten Jahr betragen. Hochgerechnet auf das Ruhrgebiet, um das Sie ja im Augenblick so sehr kämpfen, ist das eine Steuermindereinnahme von rund 200 Millionen DM, ohne daß Sie auch nur im entferntesten ein Rezept dafür ankündigen können, wie Sie mit dieser Problematik fertig werden wollen. Ich glaube, daß sich der Bundeswirtschaftsminister hier mit seiner Auffassung von der Steuergrundlage wieder einmal durchgesetzt hat, und muß leider wieder, genauso wie am 15. September, an die verheerenden Folgen der Lohnsummensteuer erinnern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Aber gern!
Herr Kollege Wieczorek, wenn Sie hier über die betrüblichen Steuermindereinnahmen sprechen, die aus einer solchen Regelung für die Stadt, aus der Sie kommen — das ist Duisburg —, zu erwarten sind, möchte ich fragen: Ist es richtig, daß die Steuermindereinnahmen, die jetzt entstehen könnten, bisher im wesentlichen von solchen Unternehmen erhoben worden sind, die entweder keinen oder einen ganz geringen Gewinn machen; und ist das eigentlich eine sinnvolle Form der Besteuerung?
So lange Sie klatschen, meine Herren, habe ich Zeit, nachzudenken.
— Das war der Punkt für Ehrlichkeit, gelt?
Abgeordneter Graf Lambsdorff, ich bin der Auffassung, daß hier die Steuer, die zu zahlen ist, immer gezahlt werden muß. Ob nun im Moment als zu besteuernder Teil der unternehmerischen Betätigung der Gewinn oder die Gesamtbetätigung im Vordergrund steht, ist ein Unterschied in der Auffassung, die wir beide davon wahrscheinlich haben.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Bitte schön.
Herr Kollege Wieczorek, glauben Sie, daß bei einer solchen Philosophie und einer solchen Praxis, nämlich daß jedwede Steuer ohne Rücksicht auf Gewinn zu bezahlen sei, die von Ihnen so behandelten Unternehmen noch sehr lang Arbeitsplätze zur Verfügung stellen werden?
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Graf Lambsdorff, Sie wissen genau, wie hoch die Steuerquote dieser Unternehmen überhaupt ist. Der Anteil an der Steuerquote, der durch die Gewerbesteuer herbeigeführt wird, ist, bezogen auf die Gesamtbesteuerung des Unternehmens, ein äußerst geringer. Ich würde Ihnen gerne einige Beispiele dafür anführen, wieweit das durchschlägt. Auf den Stahlpreis bezogen, ist es ein Satz, der weit unter der 0,1 %-Marke liegt.
Ich glaube, daß das im Sinne der Allgemeinheit liegt und durchaus verkraftbar ist.
— Herr Kollege, ich würde mich hinsichtlich der Besteuerung von Arbeitsdirektoren jetzt mit Ihnen gern auseinandersetzen.
— Ganz genau; die Löhne auch, Herr Kollege. Denn auch die Mitarbeiter der Unternehmen bezahlen von ihren Löhnen ihre Steuern, und zwar sehr ehrlich und sehr sauber, ohne daß sie die Möglichkeit haben, irgendwo eine versteckte Abschreibung vorzunehmen. —
Meine Damen und Herren, nach diesem Intermezzo würde ich gern wieder zum Bundeshaushalt zurückkommen und mich mit dem Gesichtspunkt beschäftigen, der hier eigentlich im Mittelpunkt stehen müßte, nämlich die Frage, wie die finanzpolitischen Anpassungsstrukturen hier dargestellt werden sollen. Wie Sie mittel- und langfristig die öffentlichen Defizite abbauen wollen, ist mir nach den bisherigen Ausführungen des Finanzministers und auch in den Diskussionsbeiträgen nicht klargeworden. Wie Sie mittel- und langfristig auch Subventionen abbauen wollen, ist mir ebenfalls nicht klargeworden. Wie Sie mittel- und langfristig — bei möglicherweise schlecht bleibender oder noch schlechter werdender Wirtschaftskonjunktur — das Problem der Dynamik der Sozialtöpfe, nämlich Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Rentenversicherung usw., lösen wollen, ist mir ebenfalls nicht klar. Ich habe heute morgen die Anmerkung dazu gehört, daß man sich dann auch noch über die Renten unterhalten sollte. Ich will das hier nur noch einmal in aller Klarheit verdeutlichen, weil gleich hinterher die Bemerkung kam, die Regierung wolle dafür sorgen, daß die Renten so blieben und sich der Rentner darauf verlassen könne. Meine Damen und Herren, den Äußerungen des Bundesfinanzministers konnte ich entnehmen, daß er der Auffassung ist, daß bei den Rentnern noch einiges getan werden müßte; wir werden darauf sehr achten.Wir werden auch darauf achten, Herr Bundesfinanzminister, wie Sie es mit der mittelfristigen Finanzplanung halten. Das Instrument der mittelfristigen Finanzplanung wird von Ihnen nicht gefüllt.Ich halte es für unseriös, wenn Sie davon ausgehen, daß in Ihrem Hause zu wenig Arbeitskapazität vorhanden ist, um dieses Problem zu lösen. Diese Probleme sind nicht von zwei oder drei Mitarbeitern zu lösen. Vielmehr haben Sie ein großes Ministerium, ein funktionierendes Haus geerbt, das in einem vernünftigen Zustand ist.
Sie haben die Möglichkeiten, die in diesem Hause stecken, nicht genutzt. Im übrigen glaube ich, daß Sie sie gar nicht nutzen wollten, weil Sie sich auf der Grundlage dieses Haushalts nicht trauen, dem deutschen Volk hier eine mittelfristige Finanzplanung vorzulegen, damit man sich daran orientieren kann. Ich glaube, Sie wollen sich über den 6. März hinaustaktieren, um erst dann zu sagen, was Sie wirklich wollen. Denn für mich — und wohl auch für Sie — ist immer noch das Papier des Wirtschaftsministers Graf Lambsdorff der eigentliche Handlungsrahmen für Ihre parlamentarische Arbeit. Wenn man richtig lesen kann, dann kommt es auch bei Ihnen immer wieder durch. Ich glaube, Sie betreiben eine Verschleierungspolitik. Es könnte sein, daß Sie eine mittel- und langfristige Konzeption zwar schon haben, aber uns daran nicht beteiligen wollen.Es könnte natürlich auch sein — vieles spricht dafür; mein Kollege Walther ist darauf eingegangen —, daß Sie hier womöglich gar keine Konzeption vorlegen können, daß die Sonthofener Strategie Sie daran gehindert hat, in Ihren Kreisen überhaupt ein Konzept zu erarbeiten. Denn die Erarbeitung eines Konzepts, meine Damen und Herren, bringt die unterschiedlichsten Interessengruppen einer Partei und einer Fraktion natürlicherweise in gegenseitigen Meinungsaustausch und damit auch in eine Form des gegenseitigen Schlagabtausches. Ein solcher Schlagabtausch bleibt sicherlich nicht ungehört. Wahrscheinlich, so nehme ich an, wollten Sie verhindern, daß in der Öffentlichkeit überhaupt darüber geredet wurde, daß Sie eventuell an der einen oder anderen Stelle keine Einigkeit erzielt hätten. Sie haben ja lange genug in dem Zwiespalt zwischen der CDU und der CSU gelebt, so daß Sie, Herr Dr. Kohl, sicherlich eine Phase der absoluten Ruhe, der Friedhofsruhe, brauchten, um nach draußen ein geschlossenes, einheitliches Bild herbeizuführen. Aber jetzt, nachdem die Regierung von Ihnen gebildet worden ist und Ihre Mitstreiter alle über die Möglichkeit verfügen, ihr eigenes Image aufzupolieren, kann man auf einmal sehr deutlich erkennen, wie wenig geschlossen die CDU und die CSU in ihrer Meinungsbildung sind.Ich könnte Ihnen einige Beispiele nennen. Ich will mich auf zwei oder drei beschränken. Ganz besonders interessant war für mich natürlich der Beitrag der Berliner Schulsenatorin, Frau Dr. Hanna Laurien. Sie warnt nämlich vor einem Kahlschlag in der BAföG-Förderung. Sie schrieb an die Bundesbildungsministerin und an den Bundesfinanzminister — ich zitiere wörtlich —, es dürfe nicht dazu kommen, daß nur Kindern reicher Eltern der Weg zum Abitur bliebe und Kindern armer
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Leute nur der Weg in die Berufsausbildung gewiesen werde. Wie wahr, wie wahr, gnädige Frau! Herr Dr. Geißler sagte in einem Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung" zu den Leistungskürzungen — ich zitiere —, insbesondere die vorgesehenen Kürzungen des Sozialhilferegelsatzes auf 2% habe er — Geißler — nolens volens nur geschluckt, weil er an der entsprechenden Koalitionsvereinbarung als nachträglich ernannter Minister nichts hätte ändern können.Nicht nur Kritik wird frisch und frei durch den Medienwald geblasen, auch die Konzeptionslosigkeit führt dazu, daß jeder der Regierungsmitglieder sein eigenes Programm und sein eigenes Konzept entwickelt. Herr Dr. Kohl möchte eine Hausfrauenrente, Herr Dr. Geißler möchte das Mutterschaftsgeld zu einem Erziehungsgeld umwandeln usw.
Bei der Gelegenheit fällt mir gerade ein, Herr Bundeskanzler, weil Sie mir so gegenübersitzen: Ihr vehementer Ausflug zur Ehrenrettung Ihres Kollegen Schwarz-Schilling veranlaßt mich zu fragen, ob Sie die Fragen zu Herrn Geißler nur vergessen haben oder ob Sie mit dem Verschweigen betonen wollten,
daß Sie es unterstützen. Aber das sollte nur ein kleiner Sidestep sein, weil es mir gerade so in den Kopf kam.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal ganz klar betonen, daß Sie den Bürger doch wohl im unklaren lassen wollen, mit welchen empfindlichen Einbußen der Arbeitnehmer und Rentner noch zu rechnen hat. Da wird wohl noch einiges in Form von Abzügen auf ihn zukommen.
Der Bundeskanzler gibt dies bisweilen zu, wenn auch nur verdeckt. Ein Beispiel: Der Bundeskanzler gibt auf einem Abendessen mit führenden Repräsentanten der deutschen Wirtschaft im Bundeskanzleramt bekannt — wahrscheinlich zwischen Dessert und Mokka —: Nach dem 6. März gibt es weitere Schritte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Belebung der Wirtschaft.
Warum eigentlich, Herr Bundeskanzler, warten Sie bis zum 6. März? Die Menschen in diesem Land haben doch Anspruch darauf, daß sofort gehandelt wird.
Der BDI, Herr Bundeskanzler, wird wohl gerufen haben: Das ist so recht nach unserem Geschmack!
Meine Damen und Herren, das bedeutet doch wohl unter den herrschenden weltwirtschaftlichen Bedingungen, die nach eigenem Bekunden des Finanzministers mittlerweile auch Eingang in seine Gedankenwelt gefunden haben, bei anhaltender Konjunkturflaute und somit konjunkturellen Steuermindereinnahmen und Mehrausgaben höhere Steuern und Abgaben für den Arbeitnehmer. Es zeigt weiterhin, daß die eigentlichen Wirtschafts- und Beschäftigungsprobleme immer noch nicht verstanden sind. Mit Beschäftigungsprogrammen haben wir in den letzten Jahren immerhin erreicht, daß Hunderttausende von Menschen Arbeit behielten und Arbeit bekamen.
Beschäftigungsprogramme haben keine Arbeitsplätze vernichtet. Anders verhält es sich mit den Investitionsprogrammen. Alle Investitionsprogramme, die gestartet wurden, haben im Endeffekt den Unternehmer dazu gebracht, Rationalisierungsinvestitionen vorzuziehen, weil die Wirtschaft es nicht fertiggebracht hat, diese Programme gleichzeitig in Nachfrage umzusetzen. Bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik geht es darum, zwischen den konjunkturellen und den strukturellen Einbrüchen zu trennen. Für die konjunkturellen Einbrüche ist ein Arbeitsbeschaffungsprogramm im Sinne eines öffentlichen Investitionsprogramms dringend geboten, um im nachhinein die Voraussetzungen zu schaffen, daß ein Investitionsprogramm aus den Unternehmen selbst heraus finanziert werden kann. Ich glaube, daß wir bei Erweiterungsinvestitionen in dieser Zeit nicht damit rechnen können, daß eine erhöhte Beschäftigung herbeigeführt wird.
— Herr Kollege, meine Zeit ist zu Ende; ich komme zum Schlußsatz.
Darum erübrigt sich Ihre Zwischenfrage.Die Zeche für alle Maßnahmen, die die Regierung jetzt einleitet, zahlt der kleine Mann durch eine höhere Mehrwertsteuer, durch Ausgabenerhöhungen in jeder Form und durch einen Abbau des sozialen Netzes.
Das wollen Sie ihm so deutlich nicht sagen. Daswollen Sie wohl auch den deutschen Gewerkschaften nicht zwischen Eiscreme und Mokka erläutern.Meine Damen und Herren von der Regierungsbank, trotz des pessimistisch ausgefallenen Versuchs, eine Antwort auf Ihre Handlungsweise zu finden, möchte ich Sie zum Abschluß nochmals eindringlich bitten: Nachdem Sie den ersten Punkt Ih-
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rer Regierungskoalition, nämlich einen neuen Haushalt vorzulegen, nicht verwirklichen konnten, sollten Sie in den nächsten Tagen zumindest ein mittel- und langfristiges Konzept Ihrer Finanzpolitik vorlegen. Sonst zerstören Sie die Verwirklichung des Anspruchs auf Wahrheit und Klarheit, den der Wähler in diesem unserem Lande Ihnen gegenüber hat. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Carstens .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat heute ihr haushaltspolitisches Dringlichkeitsprogramm auf den parlamentarischen Weg gebracht. Ich möchte damit beginnen, daß ich der Bundesregierung bescheinige, in wirklich kurzer Zeit gute Arbeit geleistet zu haben, wofür wir ihr dankbar sein sollten, ganz besonders dem Bundesfinanzminister Dr. Gerhard Stoltenberg.
Dieser Haushalt ist haushaltsrechtlich zwar ein Ergänzungshaushalt; politisch und in Wirklichkeit aber ist er ein erster Schritt einer neuen Finanz- und Haushaltspolitik, die unser Land langsam, aber sicher aus der miserablen Lage herausführen soll und, wie ich betone, herausführen wird.Durch diesen ersten Schritt wird deutlich gemacht, daß der zukünftige finanzpolitische Kurs in Deutschland endlich wieder als seriös, als solide und als glaubwürdig bezeichnet werden kann. Diese Vorlagen legen ehrlich und nüchtern das ganze Ausmaß der katastrophalen Lage der Staatsfinanzen offen und geben ein realistisches Bild von der wirtschaftlichen Entwicklung.Aber nicht nur dies; sie sind auch eine angemessene und ausgewogene erste Reaktion auf die finanziellen und wirtschaftlichen Probleme unseres Landes. Ich sage mit gewissem Stolz, daß diese Vorlagen deutlich die Handschrift der neuen Bundesregierung der christlich-liberalen Koalition unter der Kanzlerschaft von Helmut Kohl zeigen.Der eingeschlagene Kurs, meine Damen und Herren, ist ein mittlerer Weg des Ausgleichs, auf dem die Finanzierung der öffentlichen Haushalte und der sozialen Sicherungssysteme gewährleistet wird und erste Schritte für eine wirtschaftliche Gesundung unseres Landes eingeleitet werden. Obwohl Zeitdruck, politische Umstände und vor allem die zusätzlichen Milliardenlöcher zu raschen Entscheidungen drängten, wurde in Ruhe und Besonnenheit entschieden. So manches Stück, das in der Öffentlichkeit voreilig zerrissen wurde, findet mittlerweile breite Zustimmung. Das trifft insbesondere auch für die Bereiche Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung und Krankenversicherung zu. Hier ist ein besonders schwieriges Stück Arbeit zu leisten gewesen. Hier ist eine besonders sachbezogene Arbeit geleistet worden, wofür ich ganz besonders unserem Sozial- und Arbeitsminister Norbert Blüm Dank sagen möchte.
Unsere Maßnahmen finden in der Bevölkerung immer mehr Verständnis.
Die Bevölkerung weiß, daß die Wirtschaft zunächst nachhaltig gesunden muß, um dadurch die schlimme Arbeitslosigkeit zu beseitigen.
Sie ist bereit, auf unserem Wege mitzugehen. Das ist nicht leicht, und es geht auch nicht von heute auf morgen. Wir sind uns darüber im klaren, daß wir hierfür die Hilfe der gesamten Bevölkerung nötig haben, auch die Hilfe jener, die uns nicht gewählt haben. Ich betone: die Hilfe jener, die uns noch nicht gewählt haben.
Wir müssen die gesamte Bevölkerung bitten, unseren Weg mitzugehen. Aber dann wird dieser Weg auch erfolgreich sein.
Die Bevölkerung möchte ich bitten, mitzumachen. Die SPD aber fordere ich auf, diese Entwicklung nicht lamentierend und kritisierend zu behindern, sondern sie sollte dazu beitragen, das wieder in Ordnung zu bringen, was sie durch ihre eigene Politik in Unordnung gebracht hat.
Was wir heute und in den letzten Wochen von den sozialdemokratischen Kollegen gehört haben, ist schon unverständlich und fast als unerträglich zu bezeichnen. Sie versuchen, den Eindruck zu erwekken, als hätten Sie mit der gesamten Entwicklung, der Haushaltsmisere und der Verschuldung, überhaupt nichts zu tun. Darf ich Sie freundlich darauf aufmerksam machen, daß nicht wir, sondern daß Sie die Bundesrepublik Deutschland 13 Jahre lang regiert haben?
Ihre Reden sind Ausdruck eines bemerkenswerten Verdrängungsprozesses. Sie versuchen, die Spuren Ihrer persönlichen Verantwortlichkeit wie auch der Verantwortlichkeit der Partei zu verwischenAber glauben Sie nicht, Sie könnten die deutsche Bevölkerung irreführen. Alle in Deutschland wissen, daß Sie damals eine blühende Wirtschaft und solide Staatsfinanzen übernehmen konnten. Die Wörter Kurzarbeit und Arbeitslose waren in unserem Lande geradezu ein Fremdwort. Nun, nach 13 Jahren, ist unser Land verschuldet. Wir haben 2 Millionen Arbeitslose — bald werden es mehr sein —, und unsere Sozialeinrichtungen können
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Carstens
nicht mehr finanziert werden — auf Grund Ihrer Politik der letzten 13 Jahre.
Der Bund zahlt allein im Jahre 1983 28 Milliarden DM an Zinsen.
Das ist fünfmal mehr als das, was wir in unseren Haushaltspaketen an Kürzungen vorsehen und worüber Sie sich beklagen. Wenn diese Zinslast nicht vorhanden wäre, brauchten wir über dieses Kürzungspaket überhaupt gar nicht zu reden, das Sie verursacht haben.
Die Folgen Ihrer Politik, meine Damen und Herren von der Opposition, haben ihren Höhepunkt leider immer noch nicht erreicht. Ich mache unsere Bevölkerung schon jetzt darauf aufmerksam, daß wir Ende dieses Monats etwa 2 Millionen Arbeitslose haben werden,
daß es aber im Januar/Februar 1983 mit großer Wahrscheinlichkeit 2,5 Millionen sein werden. Hinzu kommen 1 Million Kurzarbeiter, so daß wir um diese Zeit in der Bundesrepublik Deutschland — es ist kaum vorstellbar — 3,5 Millionen Arbeitslose und Kurzarbeiter haben werden. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, und wir müssen nun mit der Hilfe des Volkes diese Versäumnisse und Fehler nachholen bzw. korrigieren. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.
Wir stellen uns dieser Aufgabe, wobei wir wissen, daß niemand die blühende Wirtschaft von 1969 von heute auf morgen wieder herbeizaubern kann. Aber unser Programm ist vernünftig und sachbezogen, und, wie gesagt, es wird Erfolg haben. Sicherlich nicht sofort, aber ich mache darauf aufmerksam, daß es schon jetzt erste Erfolge aufweist.
Die Zinssenkung der Bundesbank
wäre nie und nimmer möglich gewesen, wenn sie sich nicht auf die solide Finanzpolitik der neuen Bundesregierung hätte verlassen können.
Viele Familien in Deutschland, die vor fünf, sechs, sieben Jahren ein Haus gebaut haben, nicht mehr in der Zinsbindung sind, zwischenzeitlich hohe Zinsen bezahlt haben, wissen das zu schätzen, was hier bewirkt wurde.
Viele einzelne Privatpersonen, viele Familien beginnen mittlerweile mit der Planung für ihr neuesHaus, welches sie im Jahre 1983 bauen wollen. Vielemittelständische Unternehmer spüren, daß der Würgegriff seitens des Staates dadurch gelockert wird, daß die Zinsen heruntergehen
und daß die Steuern zumindest ansatzweise gestrichen und eingeschränkt werden. Aber Sie von der SPD schimpfen, kritisieren und meckern. Die Bevölkerung ist längst an Ihnen vorbeigelaufen,
die Bevölkerung stellt sich längst auf diese neue Entwicklung ein.
Ich möchte auch einmal alle Bürger im Lande bitten, sich nicht von dem Gerede irremachen zu lassen, welches jetzt durch die Medien geht.
Jeder einzelne Bürger, jede einzelne Familie mag im Januar/Februar 1983 genau überprüfen, welche Solidaritätsopfer wir diesen Familien zumuten. Dann kann jeder genau erkennen, wie er betroffen ist und wie wir glauben, daß er bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen mithelfen soll.
Ich habe in den letzten Tagen und Wochen genau wie Sie viele Gespräche im Lande geführt. Ich weiß, daß es z. B. bei den Beamten nicht nur Regierungsdirektoren und Ministerialräte gibt. Es gibt auch den einfachen und den mittleren Dienst. Wenn Sie mit diesen Beamten sprechen und ihnen sagen: Dürfen wir Ihnen zumuten, einmal ein oder zwei Jahre mit nur 2 % Lohnerhöhung, Gehaltserhöhung auszukommen?,
dann finden Sie viel Verständnis in der großen Breite der deutschen Beamtenschaft.
Wenn Sie mit Rentnern in Deutschland sprechen, denen nichts genommen wird, denen nichts gekürzt wird, sondern denen für einen gewissen Zeitraum die volle Erhöhung erst nach sechs Monaten gegeben werden soll,
sehen Sie, daß es zwar Bedenken gibt, weil sie auf Grund der verwirrten Lage gar nicht genau erkennen, was alles auf sie zukommt, aber daß sie bereit sind, dieses Opfer mitzutragen. Wie gesagt, die deutsche Bevölkerung ist schon viel weiter als Sie. Das werden Sie auch am 6. März bei den Bundestagswahlen feststellen.
Wir haben gar keine Freude an diesen Kürzungen. Wir sind doch nicht die Partei des sozialen Rückschritts. Wenn Sie sich die Historie der deut-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7697
Carstens
schen Bundesrepublik ansehen, dann stellen Sie fest, daß unter unserer Regierung, zeitweise mit der FDP, dieses Land aufgebaut wurde. Noch vor 10, 15 Jahren waren in der ganzen Welt die Worte Leistung, Erfolg, Stabilität mit dem Wort Bundesrepublik Deutschland gleichzusetzen.
Wir haben dieses Land aufgebaut, hier hat es sozialen Fortschritt gegeben, und Sie sind die Partei, die das in diesen 13 Jahren wieder zunichte gemacht hat.
Jetzt geht es wieder an den Aufbau dieses Landes.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bindig?
Ja.
Da Sie von Opfern sprechen, möchte ich Sie fragen: Welches Opfer verlangen Sie denn echt jemandem ab, der im Jahr 160 000 DM verdient?
Wir haben unsere Maßnahmen bewußt darauf angelegt, daß z. B. beim Kindergeld nicht die Familien mit normalem Einkommen, sondern nur die Familien betroffen werden, die ein höheres Einkommen haben,
womit wir deutlich machen wollen, daß wir nicht in die Familien der Normalverdiener unsozial einschneiden wollen.
Wir nehmen die Investitionszulage nur von jenen, die in diesen Einkommensgrößen liegen.
Wir haben Wert darauf gelegt, daß wir sozial angemessen und abgewogen in die Ausgaben des Staates hineingehen, was durch diese zwei Beispiele, wie ich meine, bestens belegt ist.
Wir haben in der Zeit des Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland durch die Soziale Marktwirtschaft nicht nur dafür gesorgt, daß es nur einigen wenigen im Lande gut geht, daß nur einige wenige reich werden, sondern durch die Politik der Sozialen Marktwirtschaft ist es gelungen, die große Breite der Bevölkerung an der wirtschaftlichen Entwicklung und an dem Wohlstand teilhaben zu lassen.
Nirgendwo in der Welt sind in dieser Nachkriegszeit mehr Einfamilienhäuser gebaut worden, nirgendwo haben gerade die Arbeitnehmer mehr an der Entwicklung der Wirtschaft und an dem Erfolg des ganzen Volkes teilgenommen. Und von daher brauchen wir uns nicht vorwerfen zu lassen, wir würden mit Lust, mit Freude kürzen. Nein, wir wollen den Weg beschreiten, der eine Zukunft verheißt, der dafür sorgt, daß es in Deutschland demnächst wieder aufwärts geht, daß die Arbeitslosigkeit abgebaut wird,
daß die Arbeitnehmer keine Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes zu haben brauchen, daß die mittelständischen Unternehmen nicht Angst haben müssen, in Konkurs zu gehen, daß wir wieder mit Erfolg in die Zukunft gehen. Dies ist der erste Schritt in dieser Politik. Er wurde durch die neue Bundesregierung bewirkt.
Aber, wie gesagt, meine Damen und Herren, keine Politik ist in der Lage, die verheerende Erblast, die die neue Bundesregierung vorgefunden hat, kurzfristig abzutragen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Löffler?
Nein, ich möchte jetzt vortragen. Lieber Kollege Löffler, es tut mir leid. Ich habe nur noch zehn Minuten Zeit.
Wenn uns nun der Vorwurf gemacht wird, daß es durch den Haushalt 1983 zu einem Nachfrageausfall käme, und von „Kaputt-Sparen" gesprochen wird, möchte ich Ihnen hierauf mit einem Beispiel antworten, welches den Haushalt 1982 betrifft; das scheint mit ein gutes Gegenargument zu sein. Der Haushalt 1982 wird mit einem Zuwachs gegenüber 1981 in Höhe von 5,9% abgeschlossen werden. Dieser Haushalt wird mit etwa 40 Milliarden DM Schulden finanziert werden. Von Nachfrageausfall und Kaputt-Sparen kann da überhaupt nicht die Rede sein.
Aber genau in diesem Jahr, mit diesem Haushalt steigt die Jahresdurchschnittsarbeitslosenzahl um über 500 000 an. Da müssen doch Sie in der SPD merken, daß Sie den falschen Weg eingeschlagen haben.
Ich weiß gar nicht, woher Sie die Kraft nehmen, diese Töne hier in den Bundestag zu bringen.
Oder Sie haben von „Umverteilung von unten nach oben" gesprochen: Meine Damen und Herren, in Deutschland ist nie mehr umverteilt worden als in den letzten vier, fünf, sechs Jahren.
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7698 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
Carstens
Durch die hohen Zinsen, die der kleine Mann für sein Häuschen aufbringen mußte und die der, der Geld hatte, kassiert hat, ist es zu Umverteilung von unten nach oben gekommen.
Oder Sie sagten: Steuergeschenke an die Unternehmer. Mit der Reduzierung der Gewerbesteuer lockern wir den Würgegriff für viele mittelständische Betriebe. Wenn jährlich 15 000 Unternehmungen Bankrott machen und dabei über 300 000 Arbeitsplätze auf Dauer verlorengehen, können Sie doch nicht von „Steuergeschenken an Unternehmungen" sprechen. Es muß in unserem Lande endlich die Zeit wieder einkehren, in der nicht Klassenkampfparolen verkauft werden, sondern von Partnerschaft gesprochen wird. Wir müssen endlich wieder deutlich machen, daß es den Unternehmungen gutgehen muß, wenn es den Arbeitnehmern gutgehen soll,
daß die Unternehmen Geld verdienen müssen, daß sei eine starke Nachfrage nach Arbeitskräften entwickeln müssen, wenn der Arbeitnehmer stark sein, einen gerechten Lohn bekommen und keine Angst davor haben soll, arbeitslos zu werden.Meine Damen und Herren, ich will auf Ihre Vorwürfe nicht weiter eingehen, sondern lieber für unser Programm der Vernunft in der Bevölkerung werben, damit man erkennt, daß dies der richtige Weg ist, und bereit ist, diesen Weg mitzugehen.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen Neubeginn ist, daß Bürger, Wirtschaft, Investoren, Finanzmärkte und das Ausland wieder Vertrauen in eine stetige und berechenbare Finanzpolitik des Staates fassen, ein Vertrauen, das die alte Regierung verspielt hatte.
Vertrauen des einen setzt Glaubwürdigkeit des anderen voraus. Und Glaubwürdigkeit haben die Etatentwürfe dieser Regierung verdient. Sie beschönigen nichts, und die Bevölkerung weiß, wenn vom 6. März die Rede ist, daß mit dieser Politik nach dem 6. März weitergemacht wird. Das ist keine Eintagsfliege,
sondern das ist der finanzpolitische Kurs, über den wir der Bevölkerung zwar das eine oder andere zumuten müssen, von dem wir aber glauben, daß er letztlich dazu führt, daß wir schon in einigen Jahren so weit sind, daß wir echte Fortschritte erleben, daß der Nachweis erbracht ist, daß die Arbeitslosigkeit damit abzubauen ist, daß wir Erfolg haben.Warten Sie die Entscheidung am 6. März ab! Sie werden sich wundern! Sie haben abgewirtschaftet. Ihnen traut man nichts zu.
Wir sind die Hoffnung unseres Volkes,
und wir werden diese Hoffnung nicht enttäuschen.
Die überwältigende Mehrheit unserer Bürger sieht die Notwendigkeit dieses Kurses ein. Deswegen sollten wir es nicht zulassen, daß nun die Rattenfänger im Lande unterwegs sind, um mit diesen Floskeln, die ich eben widerlegt habe, für sich zu werben und von dem Weg abzulenken, den wir für richtig halten.Meine Damen und Herren, es wird nun gesagt, wir würden mehr Verschuldung bewirken, als die alte Regierung vorgesehen hatte. Dazu kann ich nur dies sagen: Wenn wir von den Eckwerten ausgegangen wären, die die bisherige — schlechte — Regierung angesetzt hatte, wären wir heute bei der Neuverschuldung unterhalb von 23 Milliarden DM angelangt. Auf der anderen Seite ist aber zu sagen: Wenn jetzt schon Neuwahlen angesetzt worden wären, wir also den Haushalt und die Begleitgesetze nicht hätten verabschieden können, wäre es zu einer Neuverschuldung von über 55 Milliarden DM gekommen. Damit wäre wieder ein ganzes Jahr verloren gewesen. Ich halte es schon für richtig, daß wir den Bürgern vor der Wahl sagen, was wir ihnen zumuten wollen, daß wir ihnen aber auch die Hoffnung geben, daß es dadurch besser wird, daß wir in eine bessere Zukunft hineingehen.
Um so mehr widerlegt natürlich eine Neuverschuldung von etwa 40 Milliarden DM, wie wir sie jetzt vornehmen müssen, den törichten Vorwurf vom Kaputt-Sparen, auf den ich eben schon eingegangen bin.Bezüglich Art. 115 des Grundgesetzes machen Sie sich bitte keine Sorgen. Wir werden dafür sorgen, daß die Vorschriften von Art. 115 des Grundgesetzes so schnell wie irgend möglich wieder eingehalten werden. Wir haben in diesem Jahr einen Schnitt von 5,6 Milliarden DM gemacht. Wenn wir bei der nächsten Haushaltsentscheidung ähnliche Maßstäbe anlegen wie dieses Mal, wird es uns gelingen, schon beim nächsten Mal die in Art. 115 festgelegte Grenze zu unterschreiten. Darauf können wir jetzt noch nicht stolz sein. Das tragen wir auch nicht mit einem Schild vor uns her. Wenn Sie uns aber darauf ansprechen, bin ich gerne bereit, Ihnen diesbezüglich Auskunft zu geben. Wir werden auch die Verfassungsklage durchziehen. Wir wußten ja, daß wir gegebenenfalls in der Zwischenzeit vor der Entscheidung in Karlsruhe die Regierung würden übernehmen können; wir konnten es zumindest nicht ausschließen. Wir haben keine Angst vor den Vorschriften der Verfassung. Wir beugen uns gerne der Verfassung. Wir werden dafür sorgen, daß die Vorschriften des Art. 115 des Grundgesetzes möglichst schnell wieder eingehalten werden. Das ist unsere Finanzpolitik, die sich nicht zu verstecken braucht.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7699
Carstens
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend noch auf die eigentlichen Grundsätze und die Bedeutung der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu sprechen kommen. Ich möchte zum Ausdruck bringen, daß fehlende Nachfrage und fehlender Verbrauch in der Vergangenheit nicht zu verzeichnen waren. Weitaus stärker als das Sozialprodukt stieg in all den Jahren der private und der staatliche Verbrauch. Man muß aber wissen: Wer die Gegenwart verbraucht, verliert die Zukunft.
Der gemeinsame Kampf aller gesellschaftlichen Gruppen muß der Arbeitslosigkeit und der Rückführung des Staatskredites gelten, mit dessen Hilfe ein Kostenniveau subventioniert wird, zu dem die erzeugten Güter nicht mehr abgesetzt werden können. Hier in den verzerrten Strukturen liegt die Ursache der Arbeitslosigkeit.Meine Damen und Herren, in der Regierungserklärung wurden die Weichen gestellt: weg von mehr Staat, hin zu mehr Markt, weg von kollektiven Lasten, hin zu persönlichen Leistungen, weg von verkrusteten Strukturen, hin zu mehr Beweglichkeit, mehr Eigeninitiative und verstärkter Wettbewerbsfähigkeit. Diese Leitsätze haben über den 6. März hinaus ihre Gültigkeit.Meine Damen und Herren, ich möchte damit schließen, daß ich noch einmal sage: Unser besonderer Dank gebührt an dieser Stelle dem Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg.
Was er in den letzten Wochen geleistet hat, hat über die Parteigrenzen hinweg bereits Anerkennung gefunden.
Seine persönliche Umsicht und Klugheit, seine Besonnenheit und sein Augenmaß stehen für den eingeschlagenen mittleren Weg in der Finanz- und Haushaltspolitik.
Ihm gilt unsere volle Unterstützung in den nächsten Wochen. Wir — d. h. diejenigen, die im Haushaltsausschuß arbeiten und dort in den nächsten Wochen von frühmorgens bis spätabends Dienst tun — werden dafür sorgen, daß diese Haushaltspakete noch rechtzeitig vor Weihnachten verabschiedet werden können. — Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Zumpfort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht erst seit kurzem, aber besonders seit dem Regierungswechsel schaut die Öffentlichkeit auf das deutsche Parlament auf die Regierung, um zu erfahren, wie beide das Problem der Haushaltssanierung lösen, und vor allen Dingen, um zu sehen, wie glaubwürdig diese Aufgabe auch angepackt wird.
Ich glaube, diese Glaubwürdigkeit hat in der Vergangenheit gelitten. Der Stil der Auseinandersetzung im Parlament bei den Haushaltsdebatten — heute, aber auch in der Vergangenheit —, die Art und Weise, wie Defizite — z. B. bei Tornado — verspätet errechnet wurden, dauernde Nachbesserungen an Regierungsentwürfen, verabschiedeten Haushalten mit der Konsequenz höherer Verschuldung — das ließ den Bürger zweifeln, ob die beschlossenen Maßnahmen wirklich nachhaltige Besserung brächten.Meine persönliche Glaubwürdigkeit besteht darin, daß ich nun unter einer neuen Regierung nichts anderes sage, fordere oder entscheide als vorher,
schon aus Respekt vor der guten Zusammenarbeit mit den Kollegen der SPD, aber auch aus Gründen der Berechenbarkeit für die Kollegen der CDU, damit eine faire und gute Zusammenarbeit entstehen kann, und schließlich auch ganz besonders deswegen, um den eigenen Parteifreunden beweisen zu können, daß die FDP der Sache und dem Programm treu geblieben ist.
Zur Glaubwürdigkeit meiner Partei auch noch ein paar Worte. Wir bekennen uns dazu, vor der Aufgabe, den Haushalt 1983 noch einzubringen, nicht gekniffen zu haben, und wir bekennen uns auch dazu, daß wir uns nach der Lösung dieser Aufgabe dem Wähler stellen. Wir erfüllen damit einen verfassungsmäßigen Auftrag, nämlich den Auftrag, Schaden vom deutschen Volke fernzuhalten, der entstanden wäre, wenn es sofort zu Neuwahlen gekommen wäre. Ich frage Sie: Ist es nicht so, daß im Falle sofortiger Neuwahlen der Haushalt 1983 — berücksichtigt man den zeitlichen Abstand zwischen Wahlkampf, Regierungsbildung und Erstellung eines Regierungsentwurfs — erst Mitte des Jahres 1983 hätte verabschiedet werden können? Hätten bis dahin notwendige Entscheidungen nicht aufgeschoben werden müssen? — Wir wollten uns nicht aus der Verantwortung stehlen, einer neuen Regierung nach dem 6. März einen geordneten Haushalt vorzulegen. Wenn es einen Verfassungsauftrag gibt, dann den, daß das demokratische Prinzip der Machtausübung auf Zeit nicht dadurch gefährdet werden soll, daß das alte Parlament seinem Nachfolger unabdingbare Schulden hinterläßt, die den Spielraum des neuen Parlaments einschränken.Wir Liberalen bekennen uns aber auch dazu, für die Entwicklungen der Vergangenheit mitverantwortlich zu sein. Glaubwürdigkeit in diesem Punkt heißt dann — der Wähler erkennt das —, Fehler einzugestehen
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7700 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
Dr. Zumpfortund — in einem zweiten Schritt — aus eigener Kraft den Kurs zu verändern und die Korrektur auch wirklich durchzuführen. Dies tun wir, indem wir in der neuen Regierung mitarbeiten und indem wir mit der neuen Regierung heute den Zweiten Nachtragshaushalt 1982 und den Ergänzungshaushalt zum Haushalt 1983 vorlegen.Nun ein Wort zur Glaubwürdigkeit dieser Regierung. Die Glaubwürdigkeit der neuen Bundesregierung besteht darin, sich die Grundsätze der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit ohne Ausnahme zur Grundlage ihres Handelns zu machen. Dazu gehören Mut und Entscheidungskraft. Wie diese Grundsätze gelitten haben,
weil Mut und Entscheidungskraft fehlten, zeigt der Haushalt 1983. Gegenüber dem alten Entwurf verändern sich die Ausgabenansätze nur um 3 Milliarden DM von 250 auf 253 Milliarden DM. Dieser Teil hat also im wesentlichen Bestand. Auf der Einnahmeseite hat sich jedoch bei der Überarbeitung durch die neue Koalition ein Finanzierungsdefizit von über 18 Milliarden DM aufgetan. Wir wissen, worauf dieses Defizit im wesentlichen zurückzuführen ist, nämlich zum einen auf die Veränderung der Annahmen über das Wachstum der deutschen Wirtschaft von 3 % realem Wachstum auf 0 % mit dem Ergebnis von Steuermindereinnahmen von 10 Milliarden DM, und auf die Veränderung der Annahmen über die durchschnittliche Zahl der Arbeitslosen im Jahre 1983 von 1,8 Millionen auf 2,35 Millionen mit entsprechendem Mehrbedarf an Finanzmitteln für die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg von über 8 Milliarden DM.Wir wissen, um diesen Vorwurf direkt vorwegzunehmen, daß die jeweils zugrunde gelegten Daten aus dem Wirtschaftsministerium kommen. Wir wissen aber auch, meine Damen und Herren, daß es in der Verantwortung der Gesamtregierung liegt, optimistische Obergrenzen für die Eckdaten zu wählen, wie es die alte Regierung getan hat und wie ich es stets kritisiert habe, oder pessimistische Untergrenzen, wie die neue Regierung das praktiziert und wie ich es begrüße. Wir wissen auch, warum die optimistischen Obergrenzen gewählt worden waren. Hätte man die Daten niedriger, sprich: pessimistischer angesetzt, wären der Konsolidierungsbedarf und der Sparzwang größer geworden, und es fehlte zuletzt die Kraft, dem zu entsprechen.Die neue Regierung aus den Liberalen und den Unionsparteien hat den Mut, durch unpopuläre Maßnahmen von dem eben aufgezeigten neuen Defizit von 18 Milliarden DM durch weitere Einsparungen 5,6 Milliarden DM zu decken und den Rest über Kreditaufnahme zu finanzieren. Die Kredithöhe von 41,5 Milliarden DM schmeckt mir auch nicht, wie ich deutlich sagen muß, jedoch zeigt sie folgendes: daß die neue Regierung die politische Herausforderung angenommen hat, dem Bürger direkt das hohe Ausmaß der leider notwendigen weiteren Verschuldung vor Augen zu führen, anstatt, wie 1981 und 1982 geschehen, über die nachträgliche Korrektur von Ansätzen des Regierungsentwurfs bis zu dessen Verabschiedung im Parlament oder durch Nachtragshaushalte das Ausmaß der Verschuldung im verabschiedeten Haushalt langsam hervortreten zu lassen.Meine Damen und Herren, ein letzter Beitrag zur Glaubwürdigkeit, diesmal betrifft er die alte Regierung. Bei der letzten gemeinsamen Klausurtagung der Arbeitsgruppen Haushalt der Koalitionsfraktionen SPD und FDP in Wallerfangen im September habe ich den damaligen Forschungsminister von Bülow ausdrücklich gefragt, ob denn die Haushaltsansätze für das laufende Jahr bei der Finanzierung der fortgeschrittenen Reaktorlinien Schneller Brüter und Hochtemperaturreaktor korrekt etatisiert seien, im Klartext, ob die Ansätze, wie wir unter uns Haushältern sagen, ehrlich seien. Herr von Bülow hat mir damals geantwortet, daß lediglich für die kommenden Jahre ein Mehrbedarf bestehe, für das laufende Jahr die Finanzierung gesichert sei. Nun haben wir nach der Regierungsneubildung erfahren müssen, daß diese Aussage nicht richtig war. Die im Haushalt 1982 bereitgestellten Mittel waren längst aufgebraucht, weil aber neues Geld dringend benötigt wurde, um Löhne und Gehälter auf den Baustellen zu zahlen, hat man sich mit einem Finanzierungstrick über die Runden geschummelt. Man hat den Baufirmen und Lieferanten Bewilligungsbescheide zugesagt, die ein Zahlungsversprechen erst für zukünftige Jahre enthielten, und ihnen angedeutet, daß man sich mit diesen Bescheiden bis zum Zeitpunkt des Geldeingangs Geld leihen könne. Einmal abgesehen von dem haushaltsrechtlich mehr als fragwürdigen Verfahren, mit Bewilligungsbescheiden Finanzprobleme in die nächsten Jahre zu strecken, ist der durch die Beleihung verursachte Zinsendienst mitzurechnen, der das Bauvorhaben weiter verteuert. Wir sind deshalb im zweiten Nachtragshaushalt daran gegangen, diesen Vorgang zu bereinigen, und zwar dadurch, daß wir die zusätzlich erforderlichen Geldmittel in einer Größenordnung von 600 Millionen DM - so, wie es sich für einen ordentlichen Haushalt gehört — etatisiert haben. Ich kann bei der Beurteilung dieses Vorgangs, von dem der damalige Finanzminister gewußt haben muß, nur nüchtern feststellen, daß die alte Koalition in der Endphase nicht einmal die Kraft hatte, Selbstverständlichkeiten gemeinsam zu verantworten. Die neue Regierung ist jedenfalls entschlossen, die notwendigen Beschlüsse zu treffen. Deshalb war es für uns nur selbstverständlich, daß man diesen Vorgang — wie man so schön sagt — ehrlich macht.Lassen Sie mich zum Thema Glaubwürdigkeit auch im Hinblick auf das Argument Verschuldung zusammenfassen. Hören Sie auf, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, mit Schadenfreude zu behaupten, daß die neue Regierung mehr Schulden mache als die alte und insbesondere als wir früher bereit waren, der SPD zuzugestehen. Seien Sie doch einmal ehrlich und fair und geben Sie zu, daß der neue Haushalt nur das enthält, was wir alle gemeinsam verantworten müssen.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7701
Nun ein Wort zur Verteilungsproblematik. Die eigentliche politische Herausforderung der Sanierungsaufgabe mit dem Ziel des Abbaus der Defizite liegt in dem unvermeidlichen Eingriff in die Einkommensverteilung. Zur Bewältigung dieser Aufgabe ist mit diesem Haushalt 1983 ein erster Schritt gemacht worden. Jedoch ist mir persönlich in diesem Haushalt die Verschuldungszunahme zu hoch und die Verteilungswirkung zu gering. Wenn die Regierung den Investoren ein verständliches Signal setzen und bei der Bevölkerung Hoffnung auf bessere Zeiten wecken will, muß mehr gemacht werden; denn hohe Verschuldung bedeutet ja auch Umverteilung — nämlich Belastung der zukünftigen Generationen, die den Zinsdienst und die Tilgung der Schulden einmal leisten müssen.
Ich bin dafür, daß die jetzige Generation mehr zu belasten ist, weil sie es war, welche die staatlichen Transferleistungen empfangen hat.In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, was ich zu sozialen Fragen einen Tag vor Ende der alten Koalition gesagt habe. Sozial vertretbarer Abbau von Transferleistungen heißt nicht nur Korrektur der strukturellen Defizite in den Sozialgesetzen, sondern bedeutet auch einen ernsthaften und fühlbaren Abbau der Steuersubventionen, wie z. B. bei den Sonderabschreibungen für bestimmte Berufsgruppen. Hier verfügen wir bei 30 Milliarden DM Steuervergünstigungen im eigentlichen Sinne — nach dem Subventionsbericht 1982 — über ein weites Betätigungsfeld, und zwar bei Bevölkerungsgruppen, die in der Regel nicht zu den untersten Einkommensschichten gehören.Und dann, Kollege Walther, ein Wort zu der Ergänzungsabgabe. Die Ergänzungsabgabe steht ja nicht im Regierungsprogramm, sondern dort steht die Zwangsanleihe. Wenn Sie sagen, die Bevölkerungsgruppen, die davon betroffen würden, würden von überhaupt nichts betroffen, stimmt das nicht. Wenn ich einen Betrag jetzt gebe und ihn nach fünf Jahren ohne Zinsen zurückgezahlt bekomme und ich mit einem durchschnittlichen Zinssatz — wie er zur Zeit ist — von 10 % rechne, bekomme ich in fünf Jahren nur die Hälfte von dem zurück, was ich gegeben habe. Das ist auch ein Verzicht. Das sollte man bei dieser Situation nicht verschweigen.
Mir kommt es darauf an, daß die Maßnahme so getroffen wird — das steht auch in dem Vorhaben —, daß derjenige, der investiert, die Zwangsanleihe nicht zu entrichten braucht. Das ist j a wohl das Eigentliche. Wir wollen ja nicht Abgaben um der Abgaben willen erheben, sondern bewirken, daß investiert wird. Das ist der eigentliche Kern dieser Maßnahme.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Walther?
Gerne.
Herr Kollege Dr. Zumpfort, wenn Sie hier die Zinsberechnungen aufstellen: Glauben Sie im Ernst, daß das vergleichbar ist mit den Verzichten, die die Kleinen in diesem Lande leisten müssen und die sie nicht zurückbekommen?
Die Leistungen, die der Staat bisher von dem einzelnen Bürger verlangt, bestehen in der Rückgabe von freiwilligen Leistungen, die er einmal gegeben hat. Sie waren nicht mehr bezahlbar. Die Leistungen, die er zusätzlich in Form des weiteren Abbaus von Leistungen, die nicht freiwillig sind, vornimmt, bedeuten, daß der Bürger einen Beitrag gibt.
Ich bin der Meinung, daß die Zwangsanleihe so, wie sie konzipiert ist, keinen Beitrag darstellt. Ich bin aber davon überzeugt, daß wir, wenn man den Weg geht, über Aufhebung von Steuersubventionen Freibeträge abzuschaffen, einen Beitrag erheben und damit mehr tun, als bisher getan worden ist.
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Nachfrageausfall sagen. Es wird immer behauptet, dieser Haushalt sei deflatorisch. Das kann eigentlich nur dann stimmen, wenn es sich um einen Nachfrageausfall im klassischen Sinne handelt. Wenn Sie aber einmal in die Statistik gucken, um zu sehen, wo denn Nachfrage echt ausfällt, stellen Sie fest, daß das bei den Investitionen geschieht. Das, was seit geraumer Zeit zurückgeht, sind gerade die Investitionen. Das deutet darauf hin, daß wir es mit einer Angebotskrise zu tun haben, nämlich der Tatsache, daß in der Wirtschaft nicht mehr genug neues Produktionskapital zur Verfügung gestellt wird, um zusätzliche Effekte für einen Aufschwung, für die Beschäftigung von Arbeitslosen zu erzielen. Haushaltssanierung ist eine Voraussetzung zur Verbesserung der Investitionskraft der Wirtschaft.Nun eine letzte Einschätzung zum Haushalt insgesamt. Ich glaube, der jetzt vorgelegte Gesamthaushalt ist besser als derjenige der alten Koalition, weil er erstens von realistischen Annahmen, realistischen Voraussetzungen hinsichtlich der Entwicklung der Wirtschaft ausgeht. Zweitens enthält er mehr Investitionen über die Erhöhung des Plafonds der Gemeinschaftsaufgabe, aber auch über andere Maßnahmen für den öffentlichen und privaten Investitionsnehmer. Schließlich hat kein Gesundrechnen auf Kosten der Länder und Gemeinden stattgefunden. Dieser Haushalt weist Elemente auf, um auch die Länder und die Gemeinden dazu zu bringen, bei dem Katalog der Maßnahmen, die getroffen werden müssen, dennoch zu bestehen. Außerdem sind mit dem Haushalt Rahmenbedingungen der Wirtschaft verbessert worden, die nicht zu übersehen sind.
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7702 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
Dr. ZumpfortWenn ich dies alles summiere, komme ich zu der Feststellung, daß dieser Haushalt ein Fortschritt ist, obwohl die Bewährungsprobe bis zur angekündigten Neuwahl zu kurz ist und nicht alle Maßnahmen wirksam werden können, um dem Wähler Fakten vorlegen zu können. Ich denke nur daran, daß bestimmte Maßnahmen erst Mitte 1983 und im Jahr 1984, also später, greifen. Zudem gilt — das muß man natürlich auch kritisch sagen —: In den Steigerungsraten der Ausgaben, in den im Zweifel konjunkturschädlichen Abgaben, in der Aufstockung der Kredite und in den möglicherweise konjunkturschädlichen Abgabenerhöhungen steckt ein Stück Starrheit politischer Entscheidungen, welche in so kurzer Zeit von keiner Regierung grundlegend zu korrigieren sind. Nichts ist so schwierig wie der Versuch, in einem gewachsenen System wie der Bundesrepublik Deutschland mit all ihren Institutionen und Verbänden etwas zu ändern. Eigentlich sind nur marginale Veränderungen möglich.Unter diesem Gesichtspunkt hat es die alte Regierung schwer gehabt und hat es auch die neue Regierung schwer. Ich bin jedoch zuversichtlich und habe die Überzeugung, daß sie in der Lage ist, die Aufgaben zu meistern. Wir Liberalen werden daran mitarbeiten. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gobrecht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Start der neuen Bundesregierung, der Rechtskoalition, ist auch und gerade in der Finanz- und Steuerpolitik ein Fehlstart.
— Ja, der liebe Zwischenrufer ist auch wieder da. Wir haben Sie, als Sie noch auf den Oppositionsbänken saßen, immer gefragt, wo denn Ihre Alternativen seien, wo denn Ihr Programm sei, wo denn die Inhalte Ihrer Politik seien. Sie antworteten darauf stets, die Regierung, die Regierungsfraktionen sollten vorangehen. Daraufhin sagten wir: Na, gut, Sie haben etwas in den Schubladen; Sie wollen uns jetzt nur noch nicht sagen, was.
Jetzt sehen wir, woran Sie sind. Es wäre zuviel gesagt, wenn wir feststellten, daß Sie in den Schubladen tatsächlich nichts haben. Was sich jedoch darin befindet, sind alte Hüte und Dinge, die Sie früher immer empört zurückgewiesen haben.
Meine Damen und Herren, das Begleitgesetz zum Haushalt 1983, das CDU/CSU und FDP im Bereich der Finanzen und Steuern vorlegen, ist — das muß ich bei aller Sachlichkeit gleichwohl sagen — in weiten Teilen ein Dokument des Wortbruchs, wenn man Sie an dem mißt, was Sie vor dem 1. Oktober 1982 gesagt haben.
— Lieber Herr Kollege, Sie kennen mich persönlich nicht; ich werde das von diesem Pult aus nachweisen.Dieses Gesetz ist das krasse Gegenteil des beschworenen geistig-moralischen Neuanfangs, es schafft kein Vertrauen in Wirtschaft und Gesellschaft, es untergräbt die dringend erforderliche Glaubwürdigkeit von uns allen, aller politischen Kräfte und aller politischen Parteien. Es schadet damit dem Ansehen der demokratischen Institutionen und damit auch dem Bundestag und leider uns allen. Wenn der Schaden nur auf Sie begrenzt wäre, könnten wir damit noch einigermaßen leben, so aber nicht.
Ich will das begründen. Dies ist ein harter Vorwurf, das gebe ich zu, aber er ist in .der Sache begründet.Was, meine Damen und Herren, haben die Kollegen aus CDU, CSU und FDP vor dem 1. Oktober 1982 gesagt, und was soll nun getan werden? Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren:Das Steuergequatsche muß aufhören. Und ich strebe an eine Steuergarantie, in der der Staat erklärt, daß er für drei oder vier Jahre auf keinen Fall die Steuerlast erhöhen wird, damit die Verbraucher wieder Mut fassen.12. September 1982, der Fraktionsvorsitzende Dregger, CDU/CSU-Fraktion. — Was geschieht nun? Ich will zunächst einmal nur einen Punkt nennen: Die Mehrwertsteuer wird erhöht, und zwar um einen Punkt.
Das ist nun ein ganz besonders deutliches Beispiel — „gut" kann man in diesem Zusammenhang nicht sagen. Zu diesem Punkt gibt es aus den Reihen von CDU und CSU eine ganze Menge von Äußerungen, denn die sozialliberale Koalition hatte j a eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt vorgesehen, um Investitionen zu fördern, und wollte die Mehreinnahmen schließlich an die Lohnsteuer- und Einkommensteuerzahler zurückgeben. Ich darf zitieren und will mich mit nur einigen der vielen Zitate, die ich hier habe, begnügen.Das erste Zitat:Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zum jetzigen Zeitpunkt ist ganz und gar unvernünftig. Damit würden nicht neue Arbeitsplätze geschaffen, sondern die noch bestehenden zusätzlich gefährdet.8. Februar 1982, der heutige Bundeskanzler Helmut Kohl.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7703
GobrechtOder das nächste Zitat:Steuer- und Abgabeerhöhungen belasten die Bürger und Betriebe, geben der Wirtschaft nicht die Impulse, die wir zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit brauchen, und sie sind zudem in der Form der Mehrwertsteuererhöhung auch eine besondere Belastung für die sozial schwächeren Bürger; sie erschweren die Tarifverhandlungen.Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg am 16. Februar 1982.Das nächste Zitat:Es ist ein Zeichen äußerster Unsolidität, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für die zweite Hälfte des Jahres 1983 zu beschließen.Franz Josef Strauß, bayerischer Ministerpräsident, am 17. Februar 1982.Noch ein Zitat von den vielen, die ich hier liegen habe:Die Ablehnung der Mehrwertsteuererhöhung durch die CDU/CSU im sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetz erfolgt aus grundsätzlichen Erwägungen und nicht aus taktischen Gründen. Der Hauptgrund sind die leistungsfeindlichen und arbeitsplatzvernichtenden Wirkungen der Überbelastung von Bürgern und Wirtschaft durch staatliche Ausgaben.Ein Zitat des Kollegen Häfele, jetzt Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.Ich frage wirklich: Wer taktiert hier eigentlich, und wer läßt sich an seinen Worten messen?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster?
Ja.
Herr Kollege, wären Sie bereit, der staunenden Öffentlichkeit einmal mitzuteilen, wie Ihre Partei, wenn sie könnte, 30 Milliarden Mark für ein neues Konjunkturprogramm aufbringen will und welche Belastungen sie wegen eines derartigen Programms dem Bürger zumuten müßte? Würden Sie das hier bitte einmal erklären?
Sehr verehrter Herr Kollege, selbstverständlich wird meine Fraktion das belegen. Das hat sie in der Regierungszeit genauso getan. Im Gegensatz zu Ihnen, als Sie Opposition waren, werden wir das noch in dieser Woche im Rahmen dieser Haushaltsberatungen tun. Einen Teil davon werde ich ansprechen. Aber meine Hauptaufgabe ist es jetzt, Sie an Ihren Worten zu messen.
Ich will dazu dem, was Sie während Ihrer Oppositionszeit gesagt haben, gegenüberstellen, was Sie jetzt, wo Sie die Regierungsverantwortung — offenbar ein bißchen plötzlich — bekommen haben, tatsächlich tun. Deswegen fahre ich jetzt fort und bittedafür um Verständnis, falls sich noch weitere Kollegen melden.Meine Damen und Herren, Sie erhöhen jetzt die Mehrwertsteuer. Ich glaube, daß ich allein anhand dieser wenigen Zitate meine Behauptung bewiesen habe, daß Sie hier Ihr Wort gebrochen haben, daß hier Wortbruch vorliegt.
Was soll denn da wohl der Bürger denken? Wo ist da Ihre Glaubwürdigkeit? — Ach, das können Sie auch mit dem Zuruf „Unfug" nicht wegwischen. Unfug ist höchstens das, was Sie jetzt tun, und das, was Sie jetzt rufen.
— Vielleicht sparen Sie sich noch ein bißchen der Aufregung, vielleicht gebe ich Ihnen noch besseren Anlaß. — In diesem Stil geht es weiter, gesagt vor dem 1. Oktober 1982. Was geschieht nun?Es geht weiter: Sie behandeln das Kindergeld. Zunächst haben Sie eine Erhöhung gefordert — das liegt nun schon ein paar Wochen und Monate zurück —, dann haben Sie eine maßvolle Senkung kritisiert, als wir noch in der Regierungsverantwortung waren.
Jetzt, meine Damen und Herren, wollen Sie Kürzungen nach einem Rezept vornehmen, das Sie, wenn wir das vorgeschlagen hätten, mit verteilungspolitischen Argumenten immer massiv bekämpft hätten.
Das ist also nicht nur ein Widerspruch, sondern das ist sogar Opportunismus.
— Ich weiß ja, daß Sie das ärgern muß. Nur, wenn ich behaupte, daß Sie Wortbruch begangen haben
— und ich behaupte das —,
dann ist es meine Pflicht, das auch zu beweisen. Das tue ich hier an diesem Pult, auch wenn Sie laut werden.
Der nächste Punkt, meine Damen und Herren, ist der Ansatz des Bundesbankgewinns im Haushalt. Da sind Krokodilstränen über Krokodilstränen geweint worden.
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7704 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
Gobrecht— Verehrter Herr Kollege Haase, im Moment nicht.— Ich will in diesem Zusammenhang einmal ein Zitat bringen:Die vollständige Abführung des Bundesbankgewinns an den Bundeshaushalt wird zur Dauererscheinung und zu einer immer größeren Gefahr.So der Kollege Häfele, obwohl es im Gesetz steht, was er auch damals schon sicherlich hätte wissen können, vielleicht sogar gewußt hat. Und was geschieht jetzt auf Grund der Folgeprobleme aus der Weltwirtschaft? Jetzt setzen Sie 11 Milliarden DM aus dem Bundesbankgewinn in den Haushalt ein. Das ist in der Sache völlig in Ordnung. Aber warum wird denn vorher dieser — von der Sache her — Schwachsinn gesagt, und warum wird jetzt in diesem Punkt das Richtige getan? Das ist widersprüchlich, das ist nicht in Ordnung.
— Ja, die sind leider nicht nur inhaltlich flexibel, sondern auch sonst; wie es paßt, so läuft's.In diesem Stil geht es bei der Heranziehung der Besserverdienenden zu dem, was an Einsparungen notwendig war und leider notwendig ist, weiter. Die SPD — jetzt komme ich auf den Zwischenrufer zurück — hat hier einen konkreten Vorschlag gemacht, nämlich die Einführung der Ergänzungsabgabe, um beschäftigungswirksame Maßnahmen zu finanzieren. Wir wiederholen dies, obwohl es draußen wirklich nicht außerordentlich populär ist, auch als Verantwortliche in der Opposition. Dazu gibt es dann ja auch eine ganze Masse von Zitaten, die dagegen sind, und eine ganze Masse von Zitaten aus der CDU/CSU, die das etwas differenziert betrachten.Dann führen Sie das ein, was man zumindest in diesem Kontext sehen kann, die Zwangsanleihe. Plötzlich gibt es da dann in der CDU/CSU die Diskussion — für mich durchaus verständlich —, ob man denn nicht doch auf die Rückzahlung verzichten könne, weil natürlich auch bei Ihnen einigen Kolleginnen und Kollegen aufgeht, daß die Heranziehung der Besserverdienenden eine so furchtbar soziale Großtat auch nicht ist — wie das wirkt, will ich dann gern noch sagen —, aber das wird dann am Schluß auf Grund der Einwirkung Ihres jetzigen Koalitionspartners natürlich wieder zurückgenommen.
Statt der klaren, eindeutigen, in der Verfassung aufgeführten Ergänzungsabgabe, wie die Sozialdemokraten das vorgeschlagen haben, bieten Sie — ich zitiere Professor Gutowski — diese „Mißgeburt einer Zwangsanleihe".
Und dabei brauchen wir j a wohl eine Ergänzungsabgabe. Denn wir müssen gegen die schwierige Beschäftigungslage, gegen die Arbeitslosigkeit wirklich etwas tun. Sie muß so schnell wie dringend jetzt bekämpft werden.
— Also, wenn Sie so viel rufen, werde ich mir allmählich doch angewöhnen, auf dem rechten Ohr etwas tauber zu werden, als ich das im Moment bin. —(Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Sie müsseneben Zwischenfragen zulassen!)Wie gesagt: Die Ergänzungsabgabe, wie sie hier in verbundener Debatte ja mitdiskutiert wird, ist verfassungsrechtlich unanfechtbar; sie steht sogar im Grundgesetz. Das kann man von der Zwangsanleihe ganz und gar nicht sagen. Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, die Sie nicht in der Bundesregierung sind, sollten sich da von den Mitarbeitern der Bundesregierung durchaus einmal einiges sagen lassen. Wir jedenfalls werden die politische Führung der Ministerien im Innenausschuß, im Rechtsausschuß und im Finanzausschuß ganz deutlich dazu hören, um zu erfahren, wie es denn mit der Verfassungsgemäßheit dieser Zwangsanleihe bestellt ist.Politisch und administrativ sauber in allen Bereichen ist hingegen die Ergänzungsabgabe. Sie ist kein Feigenblatt, wie es diese Zwangsanleihe ist, die so tut, als täten die Besserverdienenden etwas, die aber zurückgezahlt werden soll, die also bestenfalls einen Zinsverlust darstellt, die letzten Endes— das weiß ich als Steuerberater nun wirklich — schließlich nur von den Dummen bezahlt werden wird; denn die niedrige Investitionsgrenze, die Sie vorgesehen haben, öffnet Tür und Tor zur Vermeidung der Bezahlung dieser Zwangsanleihe.
Wer noch nicht gemerkt hat und noch nicht getan hat, wird sich an Abschreibungsgesellschaften beteiligen. Was das mit fruchtbaren und positiven Investitionen zu tun hat, Herr Kollege Zwischenrufer, kann man sich wohl fragen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf jeden Fall ist diese Zwangsanleihe ein eindeutiger Widerspruch zu den Äußerungen, die ich zitiert habe und die ich, wenn ich genügend Zeit hätte, noch zitieren könnte.Wie steht es nun — ein anderer Gesichtspunkt — mit der Steuergerechtigkeit, mit der sozialen Gerechtigkeit im Programm der neuen Bundesregierung? Nach meiner Wertung geht es eindeutig rückwärts, in die steuerliche Ungerechtigkeit. Es ist eine Wende — eine Kehrtwende — nach der Melodie: Wer hat, dem wird gegeben. Auch dies will ich begründen und an einigen Punkten festmachen.1974 hat die sozialliberale Koalition mit der Ungerechtigkeit der steuerlichen Kinderfreibeträge aufgeräumt, die hier oft plastisch dargestellt worden ist. Wir haben schließlich sogar die Zustimmung der CDU/CSU dazu nach langem Zögern bekommen.
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GobrechtWir haben damit ein beachtliches und für alle gleich hohes Kindergeld eingeführt. Um es einfach zu sagen: Endlich war dem Staat das Kind des Arbeiters genauso viel „wert" wie das Kind des Millionärs.
Aber kaum sind CDU/CSU wieder dran, schämt sich die Rechts-Mehrheit der FDP nicht, sofort wieder den alten ungerechten Kinderfreibetrag bei den Steuern einzuführen, den die FDP mit uns in den 13 Jahren der sozialliberalen Koalition immer abgelehnt hat, als die CDU/CSU ihn forderte.Wer hat denn nun davon den Vorteil, meine Damen und Herren? — Eindeutig derjenige, der am meisten verdient. Das zieht sich wie ein „schwarzer" Faden durch alle steuerlichen Begünstigungen, die Sie jetzt einführen. Immer hat der Besserverdienende die höchste Entlastung, hat der geringer Verdienende eine geringere Entlastung.
Und wer gar keine Steuern zahlt, z. B. dadurch, daß er sie vermeidet? Das ist, auch wenn Sie noch so laut rufen, nach wie vor richtig. Ich muß mich schon sehr wundern, daß das auch noch als eine Art sozialer Einstieg gefeiert wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Gilt das jetzt grundsätzlich: keine Zwischenfragen?
Tut mir leid, keine mehr. Sonst schaffe ich das nicht. Ich hätte das sonst gerne getan.
Wie ist es denn mit dem geplanten Familiensplitting? Schauen Sie sich auch da einmal die Zahlen an — ganz unpolemisch. Gucken Sie sich an, wie das wirken wird, wenn es durchgeführt wird, mit welchem Faktor auch immer. Es wird so wirken, daß der, der am wenigsten verdient und die meisten Kinder hat, am wenigsten steuerliche Entlastung hat und der, der wenige Kinder hat und hoch verdient, die höchste Entlastung hat. Das kann doch wohl keine soziale Steuerpolitik sein.
Oder wie sieht es denn woanders aus? Es liegt der Gesetzentwurf von SPD und FDP, der Gesetzentwurf der sozialliberalen Bundesregierung, vor. Er sieht die Kappung des Ehegattensplitting vor. Das nehmen Sie nicht wieder mit auf; das soll nicht getan werden. Sie wollen weiterhin die 150 000 am höchsten verdienenden Ehepaare im Naturschutzpark von leistungslosen Steuervergünstigungen lassen. Das ist bestimmt kein Beitrag zu sozialer Ausgewogenheit im Steuerrecht.
Oder wie ist das mit der Rückzahlbarkeit der Zwangsanleihe? Nicht nur, daß die gut verdienenden Arbeitnehmer, so sie sich nicht zu Abschrei bungsgesellschaften flüchten, das gleich zahlen müssen, während die anderen ein Jahr, erst ein Jahr später zahlen müssen — nein, es gibt sie nachher zurück. Niemand gibt den BAFöG-Empfängern, denen etwas gestrichen wird, etwas zurück. Niemand gibt den Sozialhilfeempfängern, denen etwas gestrichen werden soll, etwas zurück. Niemand gibt den Beamten nachträglich mehr dafür, daß ihnen die Einkünfte gekürzt werden.
Dies ist eindeutig das, was hier im Bundestag schon häufig zitiert worden ist: Dies ist eindeutig Umverteilung, aber von unten nach oben.
Meine Damen und Herren, der nächste Punkt: Der zusätzliche Schuldzinsenabzug, der geplant ist. Gar kein Zweifel: Auch wir sind für die Förderung der individuellen Bauanträge. Das ist also nicht eine Frage des Ob, sondern des Wie. Auch hier ist eindeutig: Der Höchstverdiener wird in den drei Jahren, für die Sie das vorsehen, jedes Jahr eine steuerliche Entlastung von 5 600 DM haben; derjenige, der sich im Bereich des Proportionalsteuersatzes bewegt, wird eine jährliche Entlastung von 2 200 DM haben — also derjenige, der niedrigere Einkünfte hat —, und der Mieter in einem großstädtischen Ballungszentrum, z. B. bei mir in Hamburg, der auf Grund der Preise gar nicht bauen kann, hat von dieser Sache überhaupt nichts. Auch dies ist sicherlich kein Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit.
Herr Präsident, ich muß etwas fragen. Mir ist gesagt worden, ich hätte eine Redezeit von 30 Minuten. Aber jetzt leuchtet schon das Licht am Rednerpult auf.
Es wurden 15 Minuten angemeldet.
Dann wurde nur die Hälfte der Zeit angemeldet. Ich bitte, entsprechend fortfahren zu können.
Herr Abgeordneter, Sie haben Ihre Zeit überschritten, aber ich gebe Ihnen noch fünf Minuten zu.
Herr Abgeordneter, fahren Sie fort. Der Geschäftsführer wird das klären.
Vielen Dank. Ich bin ein ordentlicher Mensch und achte darauf, wenn hier das Licht aufleuchtet. Dann muß das geklärt werden.
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7706 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
Gobrecht— Es wird Sie wundern: Es ist das gelbe. Aber gegen Rot habe ich als Sozialdemokrat natürlich nichts einzuwenden.
Meine Damen und Herren, in diesen Zusammenhang gehört auch folgendes Musterbeispiel, das in dieser Woche im Finanzausschuß abgeschlossen werden soll, nämlich das neue Grunderwerbsteuerrecht. Hier wird mit dem Vereinfachungsargument eine soziale Schlagseite bewirkt, indem steuerliche Entlastungen in der Wirtschaft dadurch geschaffen werden, daß der Steuersatz von 7 % auf 2 % gesenkt wird. Auf der anderen Seite kommen die Mietwohngrundstücke, die im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus bisher steuerfrei waren, in die Steuerpflicht. Die kleinen Eigenheime, die bisher steuerfrei waren, werden voll in die Steuerpflicht kommen.
Herr Abgeordneter, ich möchte noch folgende Bemerkung machen. Es war von Ihrer Fraktion usprünglich ein anderer Redner mit 15 Minuten gemeldet. Sie haben jetzt noch 121/2 Minuten. Ich wollte Ihnen jetzt bloß Bescheid sagen.
Vielen Dank, Herr Präsident. Damit komme ich bequem aus.Mit uns Sozialdemokraten ist sofort, was die Grunderwerbsteuer anlangt, ein einheitliches Bundesgesetz zu machen, das die wesentliche Vereinheitlichung bringt. Wir machen aber nicht einen Gesetzentwurf mit, der ebenso wie die anderen genannten Punkte von einer sozialen Schlagseite gekennzeichnet ist.Fazit aus dieser Reihe von Beispielen, die ich verlängern könnte: statt eines Neuanfangs tatsächlich eine Wende, und zwar eine Wende zur Umverteilung von unten nach oben, rückwärts in die Steuerungerechtigkeit. Mit einem anderen Bild gesprochen: Es geht wirklich mit vollen Segeln und sozialer Schlagseite voran. Was dies für das Schiff, das da gesteuert wird, bedeutet, kann man sich vorstellen. Ich kann Ihnen da keine gute Reise wünschen.
— Nur: Ein Unterseeboot hat keine Segel. Verehrter Herr Kollege, das muß ich Ihnen schon sagen, da ich von der Wasserkante komme.Meine Damen und Herren, es hat an der früheren schnellen Steuergesetzgebung viel Kritik gegeben, die von vielen in diesem Hause geteilt wurde. Sie wurde von mir immer wieder kritisiert, auch von diesem Pult aus, auch im Finanzausschuß. Wir sind da also an einiges gewöhnt. Das allerdings, was uns innerhalb der nächsten sechseinhalb Wochen geboten wird, ist wirklich perfekt. Einen solchen D-ZugStil in der Steuergesetzgebung und einen solchen rasanten Fahrplan haben wir noch nie gehabt.
Das ist mehr als Hektik in der Steuergesetzgebung.Mir fällt im Moment leider kein Superlativ für dasWort „Hektik" ein. Da ich mich sprachlich sauber ausdrücken will, muß ich es dabei bewenden lassen.Es werden hier eine Fülle von steuerlichen Veränderungen vorgenommen. Ich habe schon die Mehrwertsteuer genannt, die Absetzbarkeit der Schuldzinsen. Neu eingeführt werden soll eine Insolvenzrücklage, über deren Anlaß man sehr wohl diskutieren kann, die auch eher die Frage des Ob als die des Wie aufwirft. Sie wird mit einer Menge von Bescheinigungen und Bürokratie verbunden, gegen die man außerordentliche Bedenken haben muß.Es wird durch die Kürzung der Hinzurechnungen in die Grundsubstanz der Gewerbesteuer eingegriffen. Das ist etwas, was sich gerade die Kommunalpolitiker — auch die der CDU/CSU — in den Gemeinden genau ansehen sollten; denn hier befindet sich der Zug in voller Fahrt, hin zur Abschaffung der Gewerbesteuer, was ich zumindest von seiten der CDU/CSU in den Gemeinden noch nie gehört habe.Die Ausbildungsfreibeträge werden halbiert, es werden zukünftig nicht mehr die ausländischen Verluste angerechnet. Das ist eine positive Sache. Sie stammt ja auch von uns. Das soll jetzt mit verabschiedet werden. Patentverletzungen sollen in Rückstellungen anders behandelt werden. Aufgegriffen wird — zu unserer Überraschung — die Kappung der Vorsorgepauschale für die Beamten. Ich erinnere mich noch sehr genau an das, was der Kollege Kreile vor wenigen Wochen dazu deutlich gesagt hat. Da ich ihn persönlich außerordentlich schätze, will ich das im Moment nicht zitieren. Und Sie führen die Zwangsanleihe ein, mit einem außerordentlich komplizierten Gegenrechnungsinstrument bei den Investitionen. Bei den Investitionen ist die Größenordnung wiederum so gering, daß dieses Instrument nicht das bewirken wird, was es soll.Etwas ironisch gesagt: In den Tagen vor dem Weihnachtsabend werden dann wohl dieses und eine ganze Reihe anderer Gesetze, die dazu gehören, verabschiedet werden. Vom Weihnachtsabend bis Silvester werden dann alle Bürger, die Wirtschaft und die steuerberatenden Berufe Zeit haben, sich auf dieses Konvolut neuer Steuergesetzgebung einzustellen. Eines jedenfalls dürfen Sie nicht mehr wiederholen: Es sei früher zu schnell gegangen; denn dies ist wirklich ein D-Zug sondergleichen.
— Das mag sein, Herr Kollege Walther. Er wird seine Rede natürlich noch gut im Kopf haben; denn er hat ein gutes Gedächtnis.Sie haben auch immer wieder gesagt — in einem komplizierten Industriestaat ist das in vielen Bereichen offensichtlich unvermeidlich —, die Gesetzgebung der letzten Jahre habe immer mehr Bürokratie hervorgebracht. Das kann man nicht ohne weiteres von der Hand weisen. Aber wenn man deutlich sagt, es müsse weniger Bürokratie geben, der Verwaltungsaufwand müsse geringer werden, es müsse
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Gobrechtvereinfacht werden, muß man sich an diesen Worten auch messen lassen, wenn man in der Regierungsverantwortung ist. Wenn die Devise lautet „Weniger Bürokratie", prüft man natürlich: Wie sieht es denn mit den ersten Gesetzen aus, die vorgelegt werden?Wenn man sich dann die Zwangsanleihe anguckt — ich habe das schon angetippt; nun noch einmal unter anderem Gesichtspunkt —, ist das Ergebnis: komplizierte Verrechnung mit Investitionen. Die Rückzahlung muß in einem komplizierten verwaltungstechnischen Verfahren überwacht werden. Sie muß ausgeführt werden. Weiß Gott kein Beitrag zu weniger Verwaltungsaufwand, kein Beitrag zu weniger Bürokratie.Wie sieht es mit dem neuen Instrument der sogenannten Insolvenzrücklage aus? Da wird ein neuer Steuersubventionstatbestand eingeführt. Es wird eine Lawine von Bescheinigungsverfahren losgetreten werden. Zwar soll das von den obersten Landesbehörden gemacht werden. Wie sollen die aber in einem kleinen oder mittleren Ort beurteilen, ob ein Unternehmen dafür wirklich die Voraussetzungen erfüllt? Das heißt also, diese Bescheinigungslawine geht hinunter bis zu den gemeindlichen Wirtschafts- und Ordnungsämtern. Auf jeden Fall — ganz höflich gesagt — mehr Bürokratie durch dieses Institut.Mit dem begrenzten Schuldzinsenabzug kommt im Bereich von Bauen und Wohnen eine neue Komponente in das sowieso schon komplizierte, aus vielen Komponenten bestehende Besteuerungsverfahren.Die Mehrwertsteuererhöhung, die Sie, als das in unserem Gesetzentwurf vorgesehen war, mit vielen guten Gründen angegriffen haben, soll auch nach Ihren Vorstellungen mitten im Jahr mit all den Folgerungen in Kraft treten, die sie bei den Unternehmen, bei der Verwaltung hat. Mehr Bürokratie.Die BAföG-Umstellung auf Darlehen, zu deren sozialer Wirkung noch viel Kritisches zu sagen sein wird, ist auch ein Beitrag zu außerordentlich mehr Bürokratie; denn das wird über Jahre, wenn nicht über Jahrzehnte überwacht und abgewickelt werden müssen. Das ist auf jeden Fall keinerlei Vereinfachung des Umgangs zwischen Bürger und Staat.
Das gilt im übrigen auch für den Ansatz der Einkommensgrenzen beim Kindergeld, über den wir ja auch lange nachgedacht haben. Uns haben immer wieder die Verwaltungsschwierigkeiten gebremst. Auch die Verwaltungskosten werden eine große Rolle spielen. Ich bin gespannt, wie Sie sich im Laufe der Gesetzesberatung zu diesem Problem äußern werden.Ich bitte Sie wirklich: Setzen Sie diese Steuerpolitik der heißen Nadel mit immer mehr bürokratischem Aufwand nicht fort. Nehmen Sie Ihre eigenen Schwüre ernst, die Sie geleistet haben, als Sie noch in der Opposition waren.Zum Schluß — —
— Nein, es wird noch nicht Zeit, verehrter Herr Kollege; denn ich habe noch fünf Minuten gut. Gleichwohl werde ich zum Schluß kommen. Das werden Sie dann auch noch ertragen, es sei denn, Sie sind so zart besaitet, daß Sie das nicht können. Aber dann würde ich sagen: Wem es in der Küche zu heiß ist, der soll hinausgehen.
Zum Schluß: Die CDU/CSU/FDP-Koalition hat vor der Regierungsübernahme anders gesprochen, als sie jetzt handelt. Das hat zwangsläufig einen Fehlstart in der Finanz- und Steuerpolitik zur Folge. Das, was Sie an vielen wohlklingenden Worten vorher überall abgesondert haben, ist entzaubert worden. Es rächt sich jetzt vieles opportunistisches Gerede in der Oppositionszeit, und Sie haben damit der Glaubwürdigkeit Ihrer Parteien und der neuen Bundesregierung weiß Gott keinen Dienst erwiesen. Sie erschweren auch die konstruktive Arbeit hier im Parlament, wenn man so schnell die Meinungen wechselt, wie das hier geschehen ist, ohne daß wirklich neue Gründe gekommen wären, die das berechtigten.Meine Fraktion, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, wird weiter engagiert für Steuergerechtigkeit, weiter engagiert für Verteilungsgerechtigkeit kämpfen. Wir werden uns weiter dafür einsetzen, daß hier so viel Gerechtigkeit, wie es unter diesen Mehrheitsverhältnissen möglich ist, für die Arbeitnehmer, für die kleinen Selbständigen, für die große Mehrheit der Bürger geschaffen wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Wartenberg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Gobrecht, Sie hatten mir vor Ihrer Rede angekündigt, daß Sie sehr hart mit uns umgehen werden und versuchen würden, sehr polemisch zu sein. Ich kann nur feststellen: Als Hamburger sind Sie Gott sei Dank nicht in der Lage, so polemisch zu sein. Aber ansonsten haben Sie Ihre Rede nach dem Motto vorbereitet: Eine allzu genaue Kenntnis der Akten trübt das unbefangene Urteil.
Wir müssen uns doch fragen: Worum geht es hier? Auch der steuerpolitische Teil der Begleitgesetze steht unter der Priorität, auf der einen Seite etwas zur Haushaltskonsolidierung beizutragen und auf der anderen Seite etwas dagegen zu tun, daß die Zahl der Arbeitslosen immer stärker steigt, daß die Zahl der Insolvenzen und damit wiederum die Zahl der Arbeitslosen steigt, und letzten Endes geht es darum, daß die privaten Investitionen gefördert werden. Unter diesen Prioritäten steht auch das, was steuerpolitisch hier vorgelegt wird.Wir werden diesen Herausforderungen nicht gerecht, wenn wir versuchen, fiskalpolitisch hier und
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Dr. von Wartenbergdort kleine Verschiebungen vorzunehmen. Auf der anderen Seite — das gestehe ich auch ganz offen — ist es uns steuerpolitisch natürlich nicht gelungen, hier einen ganz großen Wurf einer Konzeption vorzulegen. Wenn der Lotse auf dem Tanker, der in Fahrt ist, wechselt und diesen Tanker bremsen will, dann braucht er Kilometer, und der Wendekreis ist sehr groß, erst recht, wenn man im seichten Wasser ist. Obwohl diese Konzeption in dieser kurzen Zeit natürlich nicht zu erwarten ist, meine ich, gibt es einige Ansatzpunkte der steuerpolitischen Neuorientierung. Gerade im steuerpolitischen Bereich lassen sie sich nachweisen.Dennoch gibt es einige Maßnahmen finanzpolitischer, haushaltspolitischer, steuerpolitischer Art, die wir nicht gern durchführen, die uns wehtun, die mit einer langfristigen Konzeption so ohne weiteres nichts zu tun haben, die nicht den Steuerstaat wieder funktionsfähig machen. Zur langfristigen Konzeption würde es gehören — dazu benötigen wir Zeit —, die Gesamtabgabenbelastung zu reduzieren, insbesondere im Grenzsteuerbereich ein Abflachen der Kurve zu erreichen. Zu einer langfristigen Konzeption würde es gehören, die Eigenkapitalquote der Betriebe zu verbessern, etwas zur Verstärkung der Vermögensbildung in Arbeitnehnmerhand zu tun. Zu der mittelfristigen Konzeption dieser Regierung wird es auch gehören, einen fairen, solidarischen Familienlastenausgleich hervorzubringen, der die Bedenken und Anregungen des neuesten Urteils des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt. Zur langfristigen Konzeption gehört aber auch eine Gemeindefinanzreform, in der das kommunale Interesse an den Gewerbebetrieben und an Arbeitsplätzen erhalten ist, ohne den so hohen ertragsunabhängigen Anteil, wie er z. B. in der Gewerbesteuer mittelstandsfeindlich enthalten ist. Das sind Aufgaben, die wir mittelfristig anpacken müssen, um sie langfristig auch zu erreichen. Aber darum geht es heute nicht.Jetzt geht es zunächst darum, das Dringlichste zu tun, d. h. die Löcher zu stopfen, das Haus, das verwohnt ist, winterfest zu machen. Eines haben wir nicht gemacht, und das empfinde ich als einen unfairen demagogischen Vorwurf. Vielleicht ist es auch ein hilfloser Vorwurf der Opposition. Wir verteilen nicht um von unten nach oben.
Herr Gobrecht, wenn Sie ein genaues Aktenstudium betrieben hätten, hätten Sie feststellen müssen: Wir verteilen nicht um von unten nach oben.
Nehmen Sie alles zusammen, und rechnen Sie es einmal durch. Nehmen Sie noch nicht einmal die Investitionsanleihe, noch nicht einmal die nicht erfolgte Anpassung des Einkommen- und Lohnsteuertarifs zum Abbau der heimlichen Steuererhöhungen, nehmen Sie nur das andere, was Sie angeführt haben: die einkommensabhängige Kürzung des Kindergeldes, die Begrenzung der Vorsorgepauschale für Beamte — ein Vorschlag, der mit von Ihnen kommt —,
den Ersatz des Abzugs von Kinderbetreuungskosten durch einen allgemeinen Kinderfreibetrag und die Halbierung des Ausbildungsfreibetrages. Nehmen Sie nun einmal einen Angestellten, einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer mit drei Kindern, von denen das älteste 18 Jahre ist und auswärts studiert, und rechnen Sie das durch. Dann werden Sie feststellen, daß bei einem monatlichen Einkommen von 5 480 DM die Belastung 60 DM monatlich beträgt, bei einem Einkommen von 7 450 DM aber 194 DM. Das heißt, die Belastung steigt prozentual von 1,4% auf 3,4%. Je stärker das Einkommen steigt, desto stärker steigt auch die Belastung.
— Im Moment bitte keine Zwischenfragen.Lassen Sie mich einen anderen Hinweis geben. Es ist sehr beliebt, die Beamten zu schelten. Wenn man diese Annahmen zugrunde legt und eine konkrete Rechnung aufmacht, dann ergibt sich bei den gleichen Einkommenskategorien, also beispielsweise bei den 65 800 DM eines Oberregierungsrates jährlich, eine Reduzierung um 4,7 % im Vergleich zum Arbeitnehmer mit 1,4 %. Beim A-16-Beamten mit einem Jahreseinkommen von 93 000 DM ergibt sich eine Reduzierung um 4,2 %, also eine wesentlich stärkere Belastung als beim sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer.Noch ein ganz nüchterner Hinweis sei erlaubt, meine Damen und Herren: Die Zahlen zu den Vorschlägen, die gemacht werden, belegen, daß nicht von unten nach oben umverteilt wird, noch nicht einmal unter Einbeziehung der von Ihnen kritisierten Investitionsanleihe, noch nicht einmal unter Heranziehung des nicht erfolgten Abbaus der heimlichen Steuererhöhungen. Die Zahlen zeigen, daß die Belastung progressiv zunimmt, aber auch, daß insbesondere die Belastung bei den kleinen Beamten in den niedrigen A-Stufen, bei den Beziehern von Ruhegehalt erheblich ist. Das wird im wesentlichen verursacht durch den Abbau der Vorsorgepauschale. Das bekennen wir ganz offen. Das ist nicht ein Vorschlag, den wir alleine hier durchsetzen wollen, sondern einer, den wir von Ihnen aufgegriffen haben. Der tut weh, aber der bringt natürlich auch viel Geld in den Bundeshaushalt. Deshalb allein ist er zu begründen und wird durchdiskutiert.Wir sollten den Gewerkschaften empfehlen, über diese Beispiele der Beamten, der Empfänger von kleinen Ruhegehältern bei ihren Protestkundgebungen gegen den Denkanstoß von Norbert Blüm hinsichtlich einer Lohnpause einmal nachzudenken. Man sollte auch die Beispiele heranziehen, z. B. Klöckner-Becurit, wo die leitenden Angestellten freiwillig auf 5 % ihres Gehalts verzichtet haben.Meine Damen und Herren, insofern ist der Vorwurf der Umverteilung von unten nach oben ungerechtfertigt.Nun zum nächsten Punkt: Herr Gobrecht, Sie schnitten das Thema Mehrwertsteuer an und warfen uns hier einen Wortbruch vor. Sie haben sehr
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Dr. von Wartenbergviele Zitate gebracht, Zitate, die sich beliebig verlängern lassen. Ich habe dieselben Zitate hier. Ich mußte feststellen, daß Sie keines dieser Zitate zu Ende vorgelesen haben. Sie haben vielmehr nur das herausgepickt, was für Sie von Interesse ist. Jeder sucht sich das Richtige heraus.Häfele, 16. Juni 1977, — —
— Ja, wir gehen die Jahre der Reihe nach durch. Damals schon haben Sie eine Mehrwertsteuererhöhung vorgeschlagen.Häfele, zur Konzeption:Die Mehrwertsteuer darf nicht für Reparaturen, für den Abbau von heimlichen Steuererhöhungen, für die Anpassung von Sozialleistungen an die inflationäre Entwicklung zur Verfügung stehen. Dafür ist die Mehrwertsteuer zu schade. Die Mehrwertsteuer muß als Bewegungsraum für eine Steuerreform zur Verfügung stehen. Dazu gehört der wirkliche Abbau der investitionshemmenden Gewerbesteuer.Nichts weiter tun wir heute.
Häfele am 15. September 1982 zu der von Ihnen vorgeschlagenen Mehrwertsteuererhöhung ohne gleichzeitigen Steuerabbau — und das ist das Entscheidende —:Deshalb sagt die CDU/CSU nein. Über die Steuerumschichtungen lassen wir mit uns reden. Um das Steuerrecht auf Dauer leistungsfreundlicher, investitionsfreundlicher und wachstumsfreundlicher zu gestalten, dafür wäre eine Mehrwertsteuererhöhung gut.Ich habe noch ein anderes Zitat:Die Steuerstruktur ist geprägt durch heimliche Steuerentlastungen bei den Verbrauchsteuern, was zu einem Rückgang des Anteils dieser Steuern führt. Deshalb ist es erforderlich, den Verbrauchsteuern— das ist die Mehrwertsteuer —wieder ihre frühere Bedeutung zu geben, — den Anteil vom Steueraufkommen her —die Arbeitnehmer, die Gewerbetreibenden und die Freiberufler im mittelständischen Bereich gezielt steuerlich zu entlasten.Das hat Herr Gobrecht geschrieben. Er schrieb dies unter dem Titel „Kein Stillstand in der SPD-Steuerpolitik" im Jahre 1980 mit Blick auf die 9. Legislaturperiode. Das ist genau das, was wir tun. Herr Gobrecht, die 9. Legislaturperiode ist noch nicht zu Ende. Sie können deshalb unseren Vorschlägen zustimmen.
Meine Damen und Herren, wir sind uns darüber im klaren, daß eine Mehrwertsteuererhöhung natürlich nicht unbedingt das Ideale ist. Ohne diese notwendige Mehrwertsteuererhöhung gäbe es aber eben keine zu finanzierenden Investitionsanreize. Mehr Investitionen bedeuten nun einmal mehr Arbeitsplätze. Insofern ist die höhere Mehrwertsteuer auch eine Art Solidarbeitrag aller Verbraucher. Wir benutzen — im Gegensatz zu Ihrem Vorschlag vom Frühjahr — die Mehrwertsteuer eben nicht zum bloßen Stopfen von Haushaltslöchern,
sondern wir werden den gleichen Einnahmenanteil verwenden, um Investitionshilfe zu leisten. Das macht den Unterschied aus. Herr Walther, Ihr Vorschlag auf Erhöhung der Mehrwertsteuer hätte eine Erhöhung der Steuerquote bedeutet. Der Vorschlag der Koalition von CDU/CSU und FDP, der gleichzeitige steuerliche Entlastungen im investiven Bereich vorsieht, auf die ich gleich zu sprechen komme, bedeutet eine konstante Steuerquote.
Durch die Einnahmen aus dieser Mehrwertsteuererhöhung wird der Schuldzinsenabzug finanziert. Wir konzentrieren uns auf den Wohnungsbau, weil wir konzentriert mit den wenigen Mitteln, die vorhanden sind, mehr erreichen können, als wenn wir das Gießkannenprinzip, welches von Ihnen bevorzugt wird, praktizierten.
Mit den Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung finanzieren wir die Gewerbesteuerentlastung der Betriebe, die direkt dazu beiträgt, daß die Eigenkapitalquote des gewerblichen Mittelstandes sich verbessert. Wir zahlen daraus auch eine höhere Gewerbesteuerumlage an die Gemeinden, damit sich in ihren Haushalten keine negativen Effekte ergeben. Mit den Einnahmen aus dieser Mehrwertsteuererhöhung finanzieren wir die steuerfreie Rücklage beim Erwerb existenzbedrohter Betriebe.Ich gestehe Ihnen, Herr Gobrecht, daß es einige Punkte gibt, die wir noch beraten müssen. Es ist also durchaus noch Spielraum für die Ausschußberatungen vorhanden. Ich denke, gerade beim Schuldzinsenabzug kann man die eine oder andere Anregung noch aufgreifen, um die Effektivität dessen zu erhöhen, was wir erreichen wollen: Es muß gebaut werden, es muß Neubau betrieben werden, weil das Arbeitsplätze bringt und einen hohen Multiplikator hat.Zum nächsten Punkt. Sie haben das Ehegattensplitting angeschnitten und uns vorgeworfen, auch dort eine Umverteilung von unten nach oben vorzunehmen. Auch hier wieder der Eingangssatz: Ein genaues Aktenstudium verhindert anscheinend eine sachgerechte Urteilsbildung. Sie sollten sich einmal die Begründung des Verfassungsgerichtsurteils durchlesen, welches jetzt ergangen ist. Gerade dort steht auch, daß das Ehegattensplitting eben nicht als Steuervergünstigung anzusehen ist, sondern zwangsläufiger Ausfluß der besonderen verfassungsrechtlichen Stellung der Familie ist. Unabhängig von diesem Urteil waren wir aber von Anfang an gegen eine Kappung des Ehegattensplittings, die Sie aus ideologischen Motiven heraus betreiben oder um Mittel zu bekommen, um die Haus-
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Dr. von Wartenberghaltslöcher zu stopfen. Wir brauchen dieses Aufkommen des Ehegattensplittings, des Kindergeldes, der Kinderadditive im Steuerrecht, um in die Gesamtkonzeption eine Masse einbringen zu können, die es ermöglichen soll, in naher Zukunft ein Familiensplitting, einen gerechten Familienlastenausgleich zu konstruieren.Ich komme auf den vorletzten Punkt zu sprechen. Sie haben die Investitionsanleihe kritisiert und Ihren Vorschlag auf Erhebung einer Ergänzungsabgabe, der heute in den Zeitungen steht, dagegengestellt. Betrachten wir es einmal ganz nüchtern: Worum geht es denn eigentlich bei dieser Geschichte? Die Frage ist doch: Wie kann eine Anleihe oder eine Abgabe gestaltet werden, die erstens nicht zu einer dauerhaften direkten Quotenerhöhung bei der Abgabenbelastung führt?Das zweite ist: Wie kann ich eine Anleihe oder Abgabe konstruieren, die nicht denjenigen trifft, den ich zu Investitionen verführen will?Das dritte: Wie kann ich die wenigen Mittel, die 2 bis 3 Milliarden DM, die hereinkommen, so konzentriert einsetzen, daß sie auch einen hohen volkswirtschaftlichen Beschäftigungseffekt haben?Hierzu meinen wir unter Hinzuziehung des Sachverständigengutachtens der fünf Weisen, daß die Konstruktion der Anleihe so oder so — wir gehen ja fast von den gleichen Sätzen aus — im Vergleich zu Ihrem Vorschlag die bessere Alternative ist. Sie machen einen Fehler: Unabhängig davon, daß diese Ergänzungsabgabe eine dauerhafte Belastung ist und damit die Abgabenbelastung direkt dauerhaft erhöht, besteht bei der von Ihnen vorgeschlagenen Ergänzungsabgabe nur die Umgehungsmöglichkeit, in dem ich den 50fachen Betrag dessen, was an Abgabe gezahlt wird, investiere. Bei der Anleihekonstruktion der Koalition ist es nur der fünffache Betrag. Nun frage ich Sie: Wollen Sie nur die Investitionen begünstigen, die in der Großindustrie getätigt werden, oder wollen Sie nicht auch, wie wir das vorhaben, die Investitionen, die im gewerblichen Mittelstand getätigt werden müssen, anreizen?
Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren. Ich glaube, daß die neue Koalition im Bereich der Steuerpolitik einen verhältnismäßig guten Start hatte. Natürlich haben wir jetzt im Ausschuß Schwierigkeiten — wie alle zur Zeit am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten —, weil der Zeitdruck enorm ist. Wenn es nach uns geht, soll sich das auch nicht wiederholen, aber wir wollen in diesem Jahr bestimmte Maßnahmen durchsetzen; wir müssen sie auch durchsetzen. Wenn ich daran denke, daß es praktisch die erste Amtshandlung der neuen Ausschußzusammensetzung war, das Bescheinigungsverfahren bei der Pauschalierung der Teilzeitbeschäftigung abzuschaffen, also eine erhebliche Verbürokratisierung zu beseitigen, dann ist das doch ein entschiedener Schritt voran zu einer Entbürokratisierung.
Wenn wir am Freitag einen Entwurf betreffend die Grunderwerbsteuer so verabschieden, wie es von seiten des Bundesrates vorgeschlagen wurde, dann wird es auch hier eine erhebliche Vereinfachung der Organisation und damit weniger Bürokratie geben.Aber ich glaube auch, meine Damen und Herren, daß wir in den steuerpolitischen Vorschlägen der Bundesregierung einige langfristig angelegte neue Orientierungspunkte erkennen können.Erstens: Die Steuerquote wird nicht erhöht. Es wird nur die Struktur des Aufkommens verändert. Die Belastung mit direkten Steuern sinkt zugunsten der Anhebung der indirekten Steuern. Dies wird von Fachleuten seit langem gefordert.Zweitens: Der gewerbliche Mittelstand wird steuerlich entlastet. Der Abbau der Gewerbesteuer vermindert die Belastung durch ertragsunabhängige Steuern.Drittens: Dem gewerblichen Mittelstand wird durch die Insolvenzhilfe Hilfe zur Selbsthilfe gewährleistet, denn kranke Betriebe müssen nicht unbedingt ihre Arbeit einstellen oder vom Staat übernommen werden, sondern können — durch die neue Insolvenzrücklage erleichtert — von der privaten Wirtschaft quasi aufgefangen werden.
Viertens: Das selbstgenutzte Wohneigentum wird durch einen vorübergehenden Schuldzinsenabzug gestärkt. Dies ist eine im internationalen Vergleich längst notwendige Maßnahme. Mit diesem vorübergehenden begrenzten Schuldzinsenabzug bekennen wir auch bereits, daß wir natürlich in der nächsten Legislaturperiode das gesamte Gebiet der steuerlichen Förderung des Wohnungsbaues neu überdenken müssen.Fünftens: Der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit wird — zwar nur im geringen Maße — belebt. Die Wiedereinführung wenn auch bescheidener Kinderfreibeträge bei Beibehaltung des Kindergeldes — dies in Abhängigkeit von der Höhe des Einkommens — lassen immerhin einen Kinderlastenausgleich erkennen, der kein Tor für ein zukünftiges Familiensplitting verschließt.Sechstens und letztens: Die Investitionshilfe der Leistungsfähigeren unter den Steuerzahlern zur Finanzierung des Wohnungsbausofortprogramms schafft neue Nachfrage und schafft Arbeitsplätze.Insoweit glaube ich schon, wenn man den steuerpolitischen Teil in Ruhe und nüchtern betrachtet, daß hier Perspektiven vorhanden sind. Der Steuerzahler findet zwar noch kein völlig neues Konzept. Woher soll das auch kommen? Sie sollten aber erkennen, daß die Neuorientierung eingeleitet wird, eingeleitet ist, d. h. keine Erhöhung der Steuerquote, Entlastung der privaten Investoren, Hilfe zur Selbsthilfe, Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Ich meine, die Bundesregierung soll auf diesem Gebiet in dieser Richtung weiterarbeiten.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rentrop.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich zu Beginn der vergangenen Woche in einer Podiumsdiskussion eines großen Wirtschaftsverbandes zwei Kollegen, die in der heutigen Debatte bereits zu Wort kamen, aufrief, mit den Schuldzuweisungen der Vergangenheit aufzuhören, erntete ich dort großen Beifall.
Ich habe vergeblich gehofft, dies hätte auch die entsprechende Einsicht der Kollegen geweckt. Hiermit meine ich nicht die wohltuenden Worte des Kollegen von Wartenberg, der zuletzt gesprochen -hat, sondern einige der vorhergehenden Beiträge.Der steuerliche Teil des Begleitgesetzes zum Haushalt 1983 erhebt nicht den Anspruch, der große steuerpolitische Wurf für die nächsten Jahre zu sein. Dies kann und will er nicht sein. Die Rechtsänderungen wollen nicht mehr und nicht weniger sein als ein Sofortprogramm mit dem Ziel, die Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit auch durch steuerliche Maßnahmen zu unterstützen. Dies ist um so dringlicher, als wir uns bei den Arbeitslosen nunmehr der Zahl von 2 Millionen nähern. Diese Marke wird nach Lage der Dinge bald überschritten sein. Es bedarf auch nicht der Prognose in dieser Debatte. Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute nehmen schon für das nächste Jahr 2,3 Millionen an.Die steuerlichen Sofortmaßnahmen des Gesetzentwurfs sollen die Investitionen der Wirtschaft im allgemeinen und im Wohnungsbau im besonderen anregen und dadurch den Arbeitsmarkt entlasten. Dabei nehmen wir in Kauf, daß einzelne Maßnahmen nicht alle Anforderungen erfüllen, die strenge Steuersystematiker stellen. Ich komme noch darauf zurück. Wir räumen jedoch der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der größten sozialen Ungerechtigkeit dieser Zeit, absolute Priorität ein. Der Arbeitsmarkt ist durch eine seit 1980 steigende Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Da in den 80er Jahren die stark besetzten Geburtenjahrgänge in das Erwerbsalter hineinwachsen, ist trotz der verlängerten Ausbildung und trotz der Möglichkeiten des vorgezogenen Ruhestandes damit zu rechnen, daß bis 1990 insgesamt eine Million Menschen mehr in das Arbeitsleben eintreten, als aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Verstärkt werden die Arbeitsmarktprobleme durch einen beschleunigten technischen Fortschritt. Gegen 1990 werden sich die Arbeitsmarktprobleme voraussichtlich entspannen, da sich dann der seit Ende der 60er Jahre zu verzeichnende Geburtenrückgang auszuwirken beginnt. Diese schon jetzt absehbare Entwicklung bedeutet nichts anderes, als daß wir bis zum Ende dieses Jahrzehnts mit einer auf 3 Millionen steigenden Arbeitslosenzahl rechnen müssen, wenn wir dieser Tendenz jetzt nicht wirksam gegensteuern. Dieser Situation und den aus ihr resultierenden Fragen müssen wir uns stellen. Unsere Antwort heißt: Setzen auf die expansiven Kräfte der Marktwirtschaft, setzen auf eine Investitionsförderung auf breiter Front, setzen auf die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschlagenen Sofortmaßnahmen, setzen auf weitere nach den Bundestagswahlen zu beschließende Steuerrechtsänderungen, die unser Steuersystem dauerhaft in eine investitionsfreundliche Form bringen.Es wird so oft behauptet, die in der Koalition zwischen CDU/CSU und FDP gefaßten Beschlüsse seien auch mit der SPD zu erreichen gewesen. Dies ist eine der vielen Legenden dieser Tage. Das tage-, nächte- und wochenlange Gezerre um Steuer- und Haushaltspakete, um Maßnahmen von zum Teil untergeordneter Bedeutung, hat es bei den zurückliegenden Koalitionsverhandlungen nicht gegeben.
Wir haben uns innerhalb weniger Tage auf ein respektables Bündel von Maßnahmen geeinigt, das mit den Sozialdemokraten — dies haben sie mehrfach selbst bestätigt — nicht zu verwirklichen gewesen wäre.- Lassen Sie mich auch aus meiner persönlichen Sicht hinzufügen: Ich habe es leider in den vergangenen zweieinhalb Jahren nicht erlebt, und ich habe es als wohltuend empfunden, daß Bundesfinanzminister und Bundesarbeitsminister vor den Kabinettsgesprächen — der Finanzminister auch noch nach den Kabinettsgesprächen — in unserer Fraktion erschienen, um diese Themen dort, wo noch Probleme vorhanden waren, aufzuarbeiten.Wir haben schnell Einigung darüber erzielen können, auf welche Teile des noch von der alten Koalition vorgelegten Einkommensteuergesetzes 1983 wir verzichten, wobei ich nicht verschweigen möchte, daß dies genau die Maßnahmen waren, denen wir seinerzeit nur um des Gesamtkompromisses willen zugestimmt hatten, und um welche neuen Maßnahmen wir die alten Beschlüsse ergänzen.Wir haben dabei feststellen können, daß die früheren Reibungsverluste, die daraus resultierten, daß vordergründige Gerechtigkeitsüberlegungen über das wirtschaftlich Gebotene gestellt wurden, nicht auftraten. Ich sage „vordergründig", weil unser früherer Koalitionspartner nicht sehen wollte, daß allein das wirtschaftlich Gebotene in der Lage ist, die soziale Ausgewogenheit zu erreichen und dauerhaft zu erhalten. Es gibt — ich zitiere wörtlich aus Ziffer 53 des Sondergutachtens des Sachverständigenrates —in der Wirtschaftsgeschichte keine Beispiele für Perioden allgemeiner wirtschaftlicher Prosperität, in denen die Gewinne der Unternehmen nicht gut waren.Und die Gewinne sind heute nicht gut!Ich füge hinzu: So ehrenwert eine ausschließlich auf die soziale Ausgewogenheit abgestellte Steuerpolitik auch sein mag, sie bewirkt, wenn sie die wirtschaftlichen Erfordernisse außer acht läßt, genau das Gegenteil dessen, was wir brauchen: eine breit angelegte Investitionsoffensive in allen Bereichen. Eine solche nur moralisch begründete Steuerpolitik kommt z. B. in den jetzt vom Land Nordrhein-Westfalen geforderten weiteren Einschränkungen beim Bauherrenmodell zum Ausdruck. So
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Rentropetwas kann man machen, wenn die Wirtschaft floriert, nicht aber in einer rezessiven Phase.Schnell spürbar werdende Impulse für den Arbeitsmarkt versprechen wir uns von den wohnungsbaupolitischen Maßnahmen. Der Wohnungsbau ist noch immer eine Schlüsselindustrie. Die Mittel aus dem Investitionshilfegesetz in Höhe von 2,5 Milliarden DM, die unmittelbar für den sozialen Wohnungsbau und ein Bausparzwischenfinanzierungsprogramm eingesetzt werden, und der auf drei Jahre begrenzte erweiterte Schuldzinsenabzug bis zur Höhe von 10 000 DM werden die Beschäftigung nicht nur in der Bauwirtschaft, sondern auch in der Zulieferindustrie und in anderen Wirtschaftszweigen stimulieren.Wir haben die Einführung einer Ergänzungsabgabe nicht zugelassen. Steuer- und Abgabenerhöhungen können unser Wirtschaftsproblem nicht lösen.
Sie gefährden das Investitionsklima und bremsen die Leistungsbereitschaft der Bürger. Das Ifo-Institut rechnet uns vor, daß die Löhne und Gehälter im Durchschnitt mit über 30 % belastet sind und daß die Abgabenbelastung der zusätzlich verdienten Löhne und Gehälter schon jetzt 60 % beträgt. Die Abgaben dürfen nicht weiter erhöht werden! Im Gegenteil, um die Leistung stärker zu honorieren, müssen die die Leistung treffenden Steuern gesenkt werden, wobei der Ausgleich bei den verbrauchsbelastenden Steuern zu suchen ist.Das Konzept der Investitionshilfeanleihe nimmt auf die gegen eine Ergänzungsabgabe geltend gemachten Bedenken Rücksicht. Anders als die Ergänzungsabgabe belastet die Investitionshilfe die Abgabepflichtigen nicht endgültig, sondern nur vorübergehend. Da die Investitionsanleihe rückzahlbar ist, gibt sie, wie der Sachverständigenrat festgestellt hat, den Konsumenten weniger Anlaß, ihren Privatverbrauch einzuschränken.
Schließlich birgt die rückzahlbare Abgabe auch nicht die Gefahr in sich, daß sie später, wie bereits gehabt, in den Einkommen- und Körperschaftsteuertarif eingebaut wird. Das war ja nach Auslaufen der alten Ergänzungsabgabe der Fall. Die Ergänzungsabgabe wurde bekanntlich 1975 beim Lohn- und Einkommensteuertarif und 1977 beim Körperschaftsteuertarif berücksichtigt.Schließlich ist die Investitionshilfeanleihe so ausgestaltet, daß sie die Investitionen, auf die wir so dringend angewiesen sind, nicht trifft; Herr von Wartenberg hat hierauf schon hingewiesen.Diese unterschiedlichen Faktoren zeigen überdeutlich, welchen unterschiedlichen Stellenwert die Koalition der Mitte und die SPD den Investitionen beimessen. Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Opposition die Unternehmen von der Abgabe überhaupt nicht freistellen will. Der Vorwurf, die Investitionshilfe sei eine getarnte Ergänzungsabgabe, ist nicht haltbar.Mit der zum 1. Juli nächsten Jahres geplanten Mehrwertsteuererhöhung, die wir durchgehend tragen und deren Mehreinnahmen die geplanten Entlastungen bei den direkten Steuern finanzieren sollen, wird die langjährige und konsequente steuerpolitische Linie der FDP fortgesetzt. Wir halten die Erhöhung der Mehrwertsteuer bei gleichzeitiger Senkung der direkten, Leistung und Investitionen hemmenden Steuern für unbedingt geboten.Wir haben bereits im vergangenen Frühjahr Investitionszulagengesetz und seine Finanzierung durch die Mehrwertsteuer als geboten angesehen. Dadurch wird die notwendige Umstrukturierung unseres Steuersystems weg von den direkten und hin zu den indirekten Steuern gefördert. Das Gewicht der die Leistung unmittelbar treffenden direkten Steuern nimmt seit langem tendenziell zu, und zwar bei einem entsprechenden Rückgang der den Verbrauch belastenden Steuern. Dieser Trend muß gestoppt werden. Die Mehrwertsteuererhöhung in Verbindung mit den vorgesehenen Steuerentlastungen im Bereich der direkten Steuern ist ein wichtiger Schritt dazu.Es ist richtig: Die Verbesserung der Steuerstruktur sollte über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer erreicht werden. Als allgemeine Verbrauchsteuer belastet die Umsatzsteuer in der Regel nicht die Unternehmen. Die Verstärkung der Investitionstätigkeit wird durch die Erhöhung der Umsatzsteuer somit nicht erhöht.Wegen der Umsatzsteuerfreiheit der Exporte wird die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht berührt. Hierauf sind wir ganz besonders angewiesen.Die Mehrwertsteuersätze sind in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn noch immer niedrig. Auch nach der Mehrwertsteuererhöhung bleibt die Bundesrepublik mit den Normalsteuersätzen in der europäischen Rangfolge an vorletzter Stelle.Die Ankündigung des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung, die steuerliche Entlastung zur Stärkung der Investitions- und Innovationskraft der Wirtschaft bis 1984, wenn die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer voll fließen, weiter auszubauen, zeigt, daß wir hier in längerfristigen Perspektiven denken.Die Kritik des Sachverständigenrats an der Mehrwertsteueranhebung, die allerdings nur auf den Zeitpunkt dieser Steuererhöhung, nicht aber auf die Maßnahme als solche abstellt, kann nicht recht überzeugen. Wenn wir eine Umsrukturierung des Sozialprodukts zu mehr investiven Verwendungen wollen, wenn wir eine Umstrukturierung unseres Steuersystems zu mehr verbrauchsbelastenden Steuern wollen, müssen wir auch die Konsequenzen aus dieser Forderung ziehen; ich möchte noch hinzufügen: auch wenn es verwaltungstechnisch nicht einfach zu realisieren ist, was ich einsehe.
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RentropDaß von der Mehrwertsteuererhöhung eine dämpfende Wirkung auf den privaten Verbrauch ausgehen kann, möchte ich nicht in Abrede stellen. Auch möchte ich nicht behaupten, daß das gegenwärtige Konjunkturtief der beste Zeitpunkt für diese Maßnahme ist. Wir stehen jedoch vor dem Dilemma eines nicht ganz auszuschließenden Nachfragerückgangs und einer weiteren Erhöhung der Neuverschuldung. Bei dieser Wahl zwischen zwei Übeln haben wir uns für die Mehrwertsteuererhöhung entschieden.Die vorgeschlagene Gewerbesteuerentlastung bei der Hinzurechnung von Dauerschulden und Dauerschuldzinsen dient ebenfalls einer Entlastung der gewerblichen Wirtschaft, insbesondere dazu, die Auswirkungen des hohen Zinsniveaus abzumildern. Die steuerlichen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft werden hier ganz entscheidend verbessert.Für die FDP sage ich ganz klar: In der Reduzierung der Hinzurechnung von Dauerschulden und Dauerschuldzinsen sehen wir einen wichtigen Schritt zu einer vollständigen Abschaffung der Gewerbesteuer, selbstverständlich nur bei Schaffung entsprechender Ersatzfinanzierungsmodelle für die Gemeinden. Wir fordern seit langem die Abschaffung dieser überholten Steuer, vor allem deswegen, weil die Gewerbesteuer zur Wettbewerbsverzerrung bei den Unternehmen untereinander und zu schwerwiegenden internationalen Wettbewerbsnachteilen unserer Wirtschaft führt.Wir sind dem Ziel einer Beseitigung der Gewerbesteuer durch die Abschaffung der Lohnsummensteuer und die mehrfachen Freibetragserhöhungen bei der Gewerbeertragsteuer und der Gewerbekapitalsteuer in den vergangenen Jahren schon ein gutes Stück nähergekommen. Nunmehr ist es aber an der Zeit, die endgültige Abschaffung der Gewerbesteuer in Angriff zu nehmen, zumal uns jetzt drei beachtliche Gutachten mit kommunal orientierten Lösungsvorschlägen zu dieser Frage vorliegen.Weil wir die Gewerbesteuer ganz abschaffen wollen, stellen wir gewisse steuersystematische Bedenken, die gegen die Milderung der Hinzurechnungsvorschrift vorgebracht werden, zurück.Ich sehe: Meine Zeit ist abgelaufen. Ich komme daher schnell noch zum Schluß.All dies zeigt: Auch auf dem Gebiet der Steuerpolitik war das Ende der Zusammenarbeit der früheren Koalitionspartner vorprogrammiert. In der Steuerpolitik spiegelt sich das Auseinanderdriften der früheren Koalitionsparteien besonders deutlich wider. Wir konnten nicht mehr zu tragfähigen, zukunftsweisenden steuerpolitischen Lösungen kommen. In der neuen Koalition werden wir alles dafür tun, daß steuerpolitisch richtige Entscheidungen einen Beitrag zur Lösung unserer Wirtschafts- und Arbeitsmarktprobleme leisten. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Conradi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die wohnungs- und mietpolitische Runde, die wir in dieser Haushaltsdebatte führen, mit einem Zitat unseres neuen Bundesbauministers eröffnen, das vor einigen Wochen, vor der Regierungsbildung, in der „Zeitschrift für freie Wohnungswirtschaft" stand:Unsere Politik leidet an einem Mangel an begrifflicher Klarheit und methodischer Konsequenz, an Sprachverwilderungen und Begriffsverwirrung. Eine politische Neubesinnung muß daher mit der Wiedergewinnung klarer Begriffe und sprachlicher Schärfe beginnen.
Dieser Aufforderung, Herr Dr. Schneider, komme ich gerne nach. Ich will mit dem Begriff „Vertragsfreiheit" beginnen, von der Sie sagen, sie sei die erste und wichtigste aller Forderungen in der Wohnungspolitik.Wem soll die Vertragsfreiheit, von der Sie reden, denn nutzen? Vertragsfreiheit kann es doch nur zwischen Gleichberechtigten am Markt geben, dann also, wenn der Mieter die Auswahl zwischen verschiedenen Wohnungen hat. Vertragsfreiheit aber bei der derzeitigen Wohnungslage in den Großstädten und im Umland, wo es für viele Mieter kein ausreichendes Wohnungsangebot gibt, wird in Wirklichkeit dazu führen, daß der Schwächere — der Mieter — dem Stärkeren — dem Vermieter — ohne den Schutz des Gesetzes ausgeliefert wird. Würden Sie von Vertragsfreiheit reden — ich nehme jetzt einmal ein weit hergeholtes Beispiel aus der Außenpolitik —, wenn die Sowjetunion mit Polen Verträge schließt? Da kann man doch im Ernst nicht von Vertragsfreiheit sprechen. Vertragsfreiheit setzt gleiche Rechte, gleiches Gewicht am Markt voraus.Mehr Freiheit, sagen Sie. Wer wäre nicht dafür? Aber mehr Freiheit für wen und zu wessen Lasten? Soll das bedeuten, daß wir mehr Investionsfreiheit bekommen, indem Sie den Umweltschutz herabsetzen? Oder wollen Sie sagen, Vertragsfreiheit auch für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, indem Sie den Kündigungsschutz oder den Jugendarbeitsschutz herabsetzen?Nein, die Freiheit, die Sie meinen, ist immer die Freiheit der Stärkeren und der Rücksichtloseren. Sie versuchen, diese Wende rückwärts mit wohlklingenden Begriffen wie Freiheit, Verantwortung, Leistung zu vernebeln, als würde die Ellenbogenwirtschaft, die Sie wollen, erträglicher, wenn man auf die Ellenbogen Herzchen näht.
Mich erinnert dieser Versuch, Begriffe umzufälschen, an das Wahrheitsministerium in George Orwells „1984", in dem die Begriffe systematisch umgefälscht werden, wo es heißt: Krieg bedeutet Frieden; Freiheit Sklaverei; Unwissenheit ist Stärke.
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ConradiDiesen Begriffsnebel, den Sie j a auch in der Wohnungspolitik verbreiten, wollen wir lichten.
Sie wollen im Mietrecht einen Kahlschlag vornehmen. Vorne lassen Sie den Kündigungsschutz als Fassade stehen. Dahinter wird abgeräumt. Vom Vergleichsmietenprinzip wird nicht viel übrigbleiben. Uns war es gelungen, durch das Vergleichsmietenprinzip den Mietanstieg auch dort, wo Wohnungsmangel war, in den letzten Jahren unter dem allgemeinen Anstieg der Preise zu halten. Jetzt wollen Sie als Vergleichsmieten nur noch die teuren Neuabschlüsse der letzten drei Jahre zulassen. Natürlich werden daraufhin die Mieten steigen. Und Sie wollen dem Vermieter erlauben, drei Wohnungen aus dem eigenen Bestand als Vergleichswohnungen anzuführen. Wenn das keine Aufforderung zur Manipulation ist!
Das ist doch ein Selbstbedienungsmietrecht für Großvermieter, was Sie hier machen.
Kommen wir zu den Zeitmietverträgen. Der Mieter muß in Zukunft einen Zeitmietvertrag auf fünf Jahre akzeptieren und ohne Räumungsschutz ausziehen, auch ohne daß der Vermieter wie bisher konkret Eigenbedarf für sich und seine Familie geltend macht und nachweist; in Zukunft genügt bereits die bloße Absicht des Vermieters, in fünf Jahren die Wohnung selber zu nutzen oder von einer Person seines Hausstands, also vielleicht der Freundin seines Sohnes, nutzen zu lassen. Dann muß der Mieter einen Zeitmietvertrag hinnehmen und ohne Schutz nach fünf Jahren ausziehen.Dann führen Sie Staffelmieten im Bestand ein. Das ist ja eine alte Forderung von Lothar Späth. Nicht einmal die Hausbesitzer sind dafür. Herr Dr. Schneider, vor zwei Wochen haben wir gelesen, daß Sie selbst mögliche andere Regelungen — etwa durch eine sozial verträgliche Anpassungsklausel — für erwägenswert halten. Nur: Jetzt bringen Sie diesen Gesetzentwurf. Was wollen Sie denn? Soll es bei der Staffelmiete im Bestand bleiben, oder wollen Sie eine wie immer geartete Anpassungsklausel? Was Sie hier vorhaben, wird in jedem Fall inflationsfördernd wirken, weil unabhängig vom Wohnungsmarkt Mietsteigerungen auf Jahre hinaus programmiert werden. Ich kann mir schwer vorstellen, daß die Bundesbank einer wie immer gearteten indexgebundenen Anpassungsklausel zustimmen könnte. Eine solche Anpassungsklausel wäre der erste Schritt in die Indexwirtschaft. Dann möchte ich wissen, Herr Dr. Schneider: Wird auch das Wohngeld nach dem Index angepaßt, und kriegen wir dann auch Indexlöhne? Wollen Sie hier — bitte sagen Sie das klar — die scala mobile Ihrer christdemokratischen Freunde in Italien einführen, d. h. wollen Sie den Marsch in die Inflationswirtschaft, oder wollen Sie es nicht? Mit uns wird es jedenfalls nicht gehen.
Bei der Modernisierung sagen Sie: Wenn auf üblichen Standard modernisiert wird, soll der Mieter nicht mehr widersprechen dürfen, wenn er die Miete nicht mehr zahlen kann. Haben Sie eigentlich einmal etwas von „Herausmodernisieren" gehört? Gibt es das in Ihren Wahlkreisen nicht? Sie machen das Modernisieren noch leichter, d. h. das Verdrängen des bisherigen Mieters, wenn sein Hausbesitzer eine lukrativere Nutzung der Wohnung vorhat.In das Bild paßt natürlich, daß Sie den Mieterschutz bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen nicht verstärken wollen und daß Sie dem Mieter kein Vorkaufsrecht mehr geben wollen.Insgesamt wird das ein Mietrecht für Spekulanten und Mietwucherer werden. Bezeichnenderweise wollen Sie auch die Wuchergrenze kräftig anheben. Ich habe mich, als ich das gelesen habe, gefragt, ob Ihnen das dieser rheinische Spekulant — dieser Kaussen — aufgeschrieben hat. Herr Gattermann — ich weiß nicht —, kennen Sie den? Sie sollten ihn vielleicht einmal besuchen mit einem Beitrittsformular Ihrer Partei. In die neue FDP paßt er als Mitglied prima.
— Ich weiß, wenn ich hier über die FDP Böses sage, wird mir der Herr Dr. Schneider mit dem Herrn Dr. Strauß vorhalten — ich habe es nachgeschlagen, sie sind ja in Latein sehr bewandert —: de moribundis nil nisi bene. Da wären wir wahrscheinlich sogar einer Meinung.
Nach Ihrer bisherigen Argumentation sollte die Lockerung im Mietrecht durch eine verbesserte Wohngeldregelung sozial abgefedert werden. Da haben Sie die Leute getäuscht; denn während Sie die Mieten gezielt heraufsetzen, setzen Sie das Wohngeld gezielt herunter. Für wen? Für die alleinstehende Frau mit dem Kind, für die Behinderten, für die Rentner wird das Wohngeld heruntergesetzt. Für diese Leute sind auch 20 bis 30 DM, um die Sie das Wohngeld heruntersetzen, viel Geld.Nun sagt der neue Bundesbauminister, 25 % vom Einkommen seien für die Miete zumutbar. Vom Brutto- oder vom Nettoeinkommen, warme oder kalte Miete? Wir sollten die Durchschnittszahlen — etwa der letzten Stichprobe von 1978 — einmal anschauen. Damals haben die Haushalte, die weniger als 450 DM hatten, 34 % ihres verfügbaren Einkommens für Wohnen bezahlt, die Haushalte zwischen 450 DM und 600 DM verfügbarem Einkommen haben 27 % bezahlt, die Haushalte zwischen 600 DM und 800 DM haben 22 % des verfügbaren Einkommens für Wohnen bezahlt. Wenn man dann in die
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Conradihöheren Gruppen kommt, sinkt der Anteil, Herr Dr. Schneider. Bei den Haushalten über 2 000 DM verfügbares Einkommen war der Wohnanteil 14 %, und bei Haushalten mit über 4 000 DM verfügbarem Einkommen dann noch 10 %. Tatsächlich verschleiert doch Ihre Durchschnittszahl, daß die niedrigen Einkommensgruppen schon heute prozentual erheblich mehr für Wohnen aufbringen müssen als die hohen. Den einen wollen Sie die Mieten durch Lockerung des Mietrechts hochsetzen, und den anderen geben Sie Steuergeschenke. Ihre Durchschnittswerte sind unsozial. Die ganze Diskussion über Durchschnittswerte läßt — hier zitiere ich noch einmal Ihren Artikel, Herr Dr. Schneider — einen „Mangel an begrifflicher Klarheit und methodischer Konsequenz" erkennen.
Nun ist j a das neue Mietrecht nach dem Grundsatz „Meine Herrschaften, bereichern Sie sich!" nicht nur verteilungspolitisch und wohnungspolitisch falsch, es ist auch wirtschaftspolitischer Unfug. Es ist doch heute bereits lukrativer, Geld im Altbau anzulegen. Bitte, fragen Sie einmal Ihren Investitionsberater oder Ihren Banker!
Er wird Ihnen sagen: Gehen Sie mit Ihrem Geld in den Altbau, modernisieren Sie, schauen Sie, daß Sie die Mieter herauskriegen, machen Sie aus dem Altbau Eigentumswohnungen; dann verdienen Sie in jedem Fall mehr als durch den Neubau.Nun wollen Sie mir doch nicht erklären, daß Sie den Neubau ankurbeln wollen, wenn Sie durch Lokkerung des Mietrechts im Altbau das Vertreiben von Mietern, das Herausmodernisieren, noch weiter erleichtern!
Nein, konjunkturpolitisch und wohnungspolitisch wäre es, statt die Altbauspekulation anzuheizen — das wird nämlich das Ergebnis Ihrer Politik sein —, vernünftiger, die steuerlichen Begünstigungen beim Altbau auszusetzen, das Mietrecht zu verstärken und damit Kapital in den Neubau zu lenken. Mit dieser Mietenpolitik jedenfalls werden Sie am Wohnungsmarkt, am Baumarkt, keine Belebung erzielen.Nun sagen Sie: Wir stecken mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau. Dabei werden Sie bei uns Sozialdemokraten immer Unterstützung finden. Wir sind dafür, und wir hoffen, daß auch die Länder mitziehen. Wir befürchten allerdings, Herr Dr. Schneider, daß Sie aus ideologischen Gründen das Geld vom sozialen Wohnungsbau nicht dorthin stecken werden, wo es notwendig wäre, nämlich in die Städte, sondern daß Sie die Eigentumsbildung auf dem flachen Lande fördern werden, wo keine Wohnungsnot herrscht. Aber darüber werden wir noch streiten.Wir halten es auch für richtig, bei der Eigentumsförderung die Zwischenfinanzierung für Bausparer, d. h. für kleine Bausparer, die dann früher bauen können, zu erleichtern. Das haben auch wir vorgeschlagen, und das werden wir mit Ihnen zusammen machen.Beim Schuldzinsenabzug haben wir Zweifel, nicht nur, weil er steuersystematisch problematisch ist, sondern vor allem, weil er verteilungspolitisch ungerecht ist, weil die Entlastung wieder einmal — wie immer bei Ihnen — den höheren Einkommen zugute kommt, weil er das Nachsparen, das Schuldenmachen begünstigt, eine Tendenz, die wir, Herr Dr. Schneider — ich erinnere mich an Gespräche vor einem Jahr —, beide gleichermaßen für falsch gehalten haben. Wir waren immer der Meinung, das Vorsparen sollte stärker gefördert werden, wir sollten nicht demjenigen, der sich hohe Schulden leisten kann, dies hinterher durch den Schuldzinsenabzug erleichtern. Ich habe den Eindruck, daß es hier wieder einmal nach Ihrem alten Motto geht, nicht nur: Hast du was, dann bist du was, sondern auch: Hast du was, dann kriegst du was.Nach diesem Motto wollen Sie auch die Grunderwerbsteuer neu ordnen. Dem Käufer einer Eigentumswohnung für 200 000 DM werden Sie zukünftig 4 000 DM mehr Steuern anlasten, und demjenigen, der eine Villa für 800 000 DM baut, schenken Sie 20 000 DM bei der Grunderwerbsteuer. Das heißt, was Sie dem kleinen Bauherren beim Bausparen und beim Schuldzinsenabzug geben, das nehmen Sie ihm bei den Bodenpreisen und bei der Grunderwerbsteuer wieder weg.Wir haben in der alten Koalition versucht, etwas gegen Bodenhortung und Bodenspekulation zu machen. Das war sicherlich ungenügend, daran hatte auch die FDP ihren Anteil. Aber daß Sie das jetzt alles vom Tisch wischen und keine einzige Maßnahme zu einer vernünftigen Besteuerung des Bodens, zum Abbau der Bodenhortung treffen, zeigt doch, daß Sie in Wirklichkeit nichts gegen die Bodenspekulation unternehmen wollen. Wie wollen Sie dann eigentlich, Herr Bundesbauminister, die Baukonjunktur wiederbeleben? Wie wollen Sie bei den Bodenpreisen neue Arbeitsplätze am Bau schaffen? Wenn die weiter so steigen, dann kann doch in den Ballungsgebieten niemand mehr bauen. Hier ist bei Ihnen absolute Fehlanzeige, und das werden wir Ihnen in den nächsten Monaten weiter vorhalten.Zur Lösung der Kernprobleme der Wohnungspolitik trägt Ihr Programm nichts bei. Es wird so bleiben, daß der Mietwohnungsbau durch exorbitante Steuersubventionen überfördert wird. Das Bauherrenmodell ist nichts anderes als eine Überförderung. Wir fördern hier eine Investorenschicht, die eigentlich gar nicht bauen will. Wir fördern hier Bauherren, deren einziges Interesse es ist, möglichst viel Gewinne aus anderen Einkunftsarten steuerlich wegzudrücken. Das ist der Sinn des Bauherrenmodells. Für den Staat heißt dies, daß in zehn bis fünfzehn Jahren 150 000 bis 200 000 DM Steuerverluste entstehen, ein Mehrfaches dessen, was wir dem kleinen Mann, der für sich bauen will, geben. Der kriegt vielleicht 25 000 bis 40 000 Mark, wenn man das auf zehn bis fünfzehn Jahre
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Conradizusammenrechnet. Wer im Bauherrenmodell eine Wohnung baut, bekommt das Vielfache.
Sie verfahren da nach dieser Pferde-Spatzen-Ökonomie, von der Galbraith sagt:
Wenn man den Pferden nur genug Hafer gibt, dann fällt an der Seite und hinten auch noch ein bißchen für die Spatzen heraus. Könnte man die Spatzen nicht viel billiger direkt füttern? Auf unser Modell übertragen, wäre es nicht vernünftiger, die Überförderung beim Bauherrenmodell schrittweise abzubauen und das dadurch gewonnene Geld zur Eigentumsförderung bei denen, die es wirklich nötig haben — nicht bei den Vielverdienern, sondern bei den mittleren Einkommensgruppen —, zu verwenden?
Das wäre eine Politik, bei der wir mitmachen würden. Da könnte man anfangen, indem man die Verrechnung von Gewinnen aus anderen Einkunftsarten mit Verlusten aus Vermietung und Verpachtung nach oben beschränkt. Da könnten Sie einen vernünftigen Schritt tun, wenn Sie wollten.Ich fürchte, Sie wollen es nicht. Ich fürchte, daß bei Ihnen ebenso wie früher bei der FDP — darunter haben wir jahrelang gelitten — keine Unterstützung für eine Wohnungspolitik zu finden ist, die nicht vor allem oben hinlegt, sondern die wirklich zum Sickern führt, indem bei den mittleren Einkommen geholfen wird, damit Wohnungen aus den Beständen für die Leute frei werden, die auf diese Wohnungen angewiesen sind. Sie wollen die Wohnungsbestände der rücksichtslosen Ausbeutung durch die Vermieter freigeben. Wenn ich Ihre Wohnungspolitik kennzeichnen will, kann ich das auf einen kurzen Satz bringen. Dazu möchte ich, Herr Dr. Schneider, eine Anleihe bei Karl Marx machen
und sagen, es ist eine Wohnungspolitik nach dem Motto „Krieg den Hütten, Friede den Palästen!".
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kansy.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es liegt sehr lange zurück, daß eine Bundesregierung so schnell und so konsequent wohnungsbaupolitisch gehandelt hat. Das gilt für den investiven Bereich, das gilt aber auch für neue Wege in der gesamten Wohnungsbaupolitik.Herr Kollege Conradi, Herr Wieczorek hat vorhin folgendes gesagt — ich zitiere ihn einmal; er hat nicht viel Vernünftiges gesagt, aber in diesem Fall etwas Richtiges —: Man sollte Politik mehr mit Geist als mit Galle machen. — Was Sie hier gerade gebracht haben, das war mit Bezug auf die Regierungserklärung ein wohnungsbaupolitischer Ehmke-Verschnitt.
Das war polemisch, das war keine Antwort auf den Versuch, in der Wohnungsbaupolitik einen neuen Anfang zu machen.
— Entschuldigung, das sind nur Zitate. Schlagworte waren Ausbeutung der Mieter, Steuererleichterung für sehr gut Verdienende — stromlinienförmige, Herr Waltemathe —, Hast-du-was-kriegst-du-wasPolitik,
Umverteilung von unten nach oben, Kahlschlag usw., usw. Meine Damen und Herren von der SPD, welche Ellenbogen meinen Sie eigentlich? Die Ellenbogen werden doch heute leider auf Wohnungsämtern gebraucht, weil Ihre bisherige Politik zwar quadratmeterweise Berechtigungsscheine produziert hat, aber keine Wohnungen.
Was heißt eigentlich „stromlinienförmige Erleichterung für Besserverdienende"? Wer ist denn der wirkliche Vater des Bauherrenmodells? Das ist doch nicht die Union. Das ist schon gar nicht ein Wunschkind der Union, das ist ein ungeliebtes Kind von Ihnen, weil Sie verfehlte wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen im Wohnungsbau gesetzt haben, so daß nur noch so frei finanzierter Wohnungsbau möglich ist. Das ist doch die Realität.
Was heißt „Ausplündern"? Wer plündert eigentlich wen aus, Herr Conradi? Es ist auch ein Ergebnis Ihrer Politik, wenn sich BAföG und Wohngeld beziehende Jugendliche in den Städten zusammentun, eine Vier- oder Fünf-Zimmer-Wohnung mieten und die kinderreiche Familie, die das über Steuern finanziert, vor der Tür steht.Was heißt hier „Umverteilung"? Wir machen Schluß damit — und sagen das auch, Herr Waltemathe —, daß in einem völlig verzerrten Mietgefüge Leute, die das schon längst nicht mehr nötig haben, in billigen Sozialwohnungen sitzen und wirklich Bedürftige auf teure, frei finanzierte Neubauwohnungen angewiesen sind.
Kurzum: Sie bauen den Popanz einer finsteren Ausbeutergesellschaft auf, eines grundsätzlichen Unfriedens zwischen Mietern und Vermietern und haben im Grunde selbst eine neue Klassengesellschaft geschaffen, in der die einen eine preiswerte Wohnung haben und die anderen chancenlos sind, eine zu erhalten. Das ist die Realität. Nötig ist deswegen — ich wiederhole es — eine neue Weichenstellung unserer Wohnungsbaupolitik. Die Kiste ist — so würde der Volksmund sagen — völlig verfahren. Es hilft nicht mehr, daran herumzuzimmern,
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Dr.-Ing. Kansyum Mangel und Ungerechtigkeiten möglichst perfekt zu verwalten. Wir brauchen auch in der Wohnungsbaupolitik ein neues Denken.Die Wohnung, Herr Waltemathe, ist nicht nur der unverzichtbare Mittelpunkt unserer privaten Existenz, wie Sie das kürzlich in einer Zeitung geschrieben haben. Das ist völlig unbestritten. Nur, nehmen Sie doch bitte einfach einmal zur Kenntnis, daß sie genauso wie unser täglich Brot auch ein Wirtschaftsgut ist. Sie ist zwar viel mehr als ein Wirtschaftsgut, aber eben auch ein solches Wirtschaftsgut.Der Wohnungsbau in der Bundesrepublik Deutschland ist das letzte Relikt eines zwangswirtschaftlichen Nachkriegsdenkens, das wir in allen anderen Bereichen Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre gegen Ihren Widerstand erfolgreich überwunden haben. Der Wohnungsmarkt ist wegen der Reglementierung ein Vermietermarkt geblieben und kein Mietermarkt geworden. Alle Ansätze, die wir bisher in dieser Richtung gemacht haben — ich möchte nicht ins Detail gehen; dazu reicht die Zeit nicht —, sind — auch nach Lücke — aufgegeben worden, und zwar teils aus mangelnder Courage, aber auch deswegen, weil damals das staatliche Füllhorn so voll war, daß sofort wieder mit dem Gießkannenprinzip weitergearbeitet wurde.Wir müssen also den Mut aufbringen, dem Bürger auch in der Wohnungsbaupolitik die Wahrheit zu sagen. Das sieht beispielweise so aus: Eine neugebaute Sozialwohnung kostet 20 bis 25 DM Miete pro Quadratmeter und Monat. Der Mieter zahlt davon nur ein Drittel. Etwa 15 DM pro Quadratmeter zahlen andere. Aber viel schlimmer ist: Dieses Geld taucht im Bewußtsein des Mieters überhaupt nicht mehr auf. Das sind bei einer 80 Quadratmeter-Wohnung immerhin 1 200 DM im Monat, die dieser Mieter zusätzlich erhält und die andere finanzieren. Das Geld kommt ja nicht vom Himmel, auch von keiner Bundesregierung oder gar von ausgabenfreudigen Parteien. Es kommt von ihm selbst, zumindest sofern er arbeitet.So wie Ihr Exkanzler das in seiner Rede vor Ihrer Fraktion am 22. Juni 1982, und zwar hinter verschlossenen Türen, richtig aufgezeigt hat, so ist es im Grunde auch im Wohnungsbau. Ich möchte das zitieren, Herr Präsident:Wir haben also den Arbeitnehmer immer wieder zur Kasse gebeten und haben daraus finanziert alles Mögliche, vielerlei wünschenswerte Sozialreformen, die Geld kosteten. Aber geholt haben wir das Geld beim Arbeitnehmer.
— Dazu wird der Bundesbauminister gleich etwas sagen. Wir müssen die Thematik bei unserer begrenzten Redezeit aufteilen.Die Doppelnatur des Gutes Wohnung erfordert es— das ist gar nicht umstritten, und das ist auch nicht eine Fassade, Herr Conradi, die wir aufrichten —: Der gesetzlich festgelegte Schutz gegenüber nicht gerechtfertigten Kündigungen ist nicht nur unverzichtbar, sondern er wird auch durch die jetzt vorgelegten Änderungen, durch die Gesetzesänderungen im Mietrecht nach wie vor sichergestellt. Der Verlust der Vertragsfreiheit im Mietrecht hat unter dem Strich nicht zu mehr Mieterschutz, sondern im Grunde zur Verknappung des Wohnungsangebots in ganz bestimmten Bereichen geführt und hat sich letztlich gegen den Mieter gerichtet. Das ist auch der Grund dafür, daß die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP das Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen vorgelegt hat. Es trägt sowohl der sozialen Bedeutung des Gutes Wohnung als auch der Wirtschaftlichkeit des Hausbesitzes Rechnung und wird somit, Herr Waltemathe, durchaus den Vorstellungen einer sozialen Verfassung und auch des Bundesgerichtsurteils gerecht.Zeitmietverträge, ohne jetzt im Detail darauf einzugehen, sind doch nur bei familiärem Eigenbedarf
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Dr.-Ing. Kansyoder bei Durchführung erheblicher Baumaßnahmen möglich, und zwar um den für Mieter und Vermieter gleichermaßen ärgerlichen Leerstand von Wohnraum zu beseitigen, und das höhlt keineswegs den Kündigungsschutz aus.
Das entspricht im übrigen im wesentlichen genauso dem Entwurf Ihrer bisherigen Koalition wie die Regelung der Duldungspflicht, die Kautionsregelung und die Kappungsgrenze. Sie können sich doch jetzt nicht aus der Verantwortung wegmogeln. Vor kurzer Zeit hieß es noch „historische Koalition", „Jetzt beginnt erst die Demokratie", und Sie stellen die 13 Jahre plötzlich in die Nische und lassen die Freien Demokraten das ausbaden, was Sie noch vor wenigen Wochen als Gesetzentwürfe hier vorgelegt haben. Sie müssen jetzt zumindest in den Bereichen dazu stehen.Ein Wort zur Staffelmiete. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die dieses Gesetz eingebracht hat, bleiben bei der Staffelmiete.
Sie wird nicht verbindlich vorgeschrieben. Herr Conradi, das wissen Sie genau; das ist doch eine Kann-Bestimmung.
Wir haben die Anregungen, die vom Mieterbund, vom Zentralverband gekommen sind, sehr ernsthaft geprüft, ob das gleiche Ziel mit einer Anpassungsklausel erreichbar ist. Nur haben wir bei all unseren Beratungen, bei unserem Suchen nach Möglichkeiten festgestellt, daß es praktisch unmöglich ist, eine praktikable Regelung zu finden, ohne wegen einer irgendwie gearteten Indexierung tatsächlich in Konflikt mit der Bundesbank zu kommen oder andererseits die Regelung hinfällig zu machen, weil wir dann auch gleich beim Vergleichsmietenprinzip bleiben können.
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Waltemathe?
Ich habe zwar nur noch zwei Minuten Zeit, aber bitte schön.
Ich werde schnell fragen. Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Kansy. Entspricht es Ihrer Interpretation von Vertragsfreiheit, daß künftig ein Mieter die Wahl hat, eine frei gewordene Wohnung per Staffelmietvertrag anzumieten oder auf eine Wohnung zu verzichten?
Ich habe Ihre Frage rein sachlich nicht verstanden.
Ich wiederhole sie gern. Sie sagten, der Staffelmietvertrag sei eine Kann-Bestimmung.
Wenn ein Vermieter eine frei gewordene Wohnung anbietet und sagt, er biete zu einem Staffelmietvertrag an, hat der Mieter wahrscheinlich doch nur die Wahl, darauf einzugehen oder eben diese Wohnung nicht anzumieten.
Wenn das eine leerstehende Wohnung ist, Herr Kollege, dann entspricht das durchaus unseren Vorstellungen, ein wenig mehr Vertragsfreiheit in das Mietrecht zu bringen.
Aber das hat nichts damit zu tun, daß ein Mieter, der schon in einer Wohnung wohnt, nach diesem Gesetz gezwungen werden könnte, Staffelmieten zu akzeptieren.Ein Wort zum Wohngeld — ich muß jetzt straffen, es tut mir leid —: Es ist einfach nicht wahr, Herr Conradi, „Mieten rauf und Wohngeld runter". Das Wohngeld ist nach der fünften Novelle — ich sage Ihnen die Zahlen sogar exakt, Herr Jahn — von 911 Millionen DM im Jahre 1980 auf 1,34 Milliarden DM in 1982 angestiegen. 1983 werden wir nach unserem Haushaltsansatz eine Größenordnung von 1,31 Milliarden DM haben. Das ist eine Verringerung um weniger als 3 %. Da können Sie doch nicht sagen: Mieten rauf und Wohngeld runter. — Das sind strukturelle Bereinigungen, die zwar weh tun, die aber in der schwierigen wirtschaftlichen Situation von dem betroffenen Personenkreis getragen werden müssen, wie auch von anderen Bürgern dieses Landes unangenehme Entscheidungen getragen werden müssen.Lassen Sie mich abschließend folgendes sagen: Die Bundesregierung hat ein Investitionsprogramm vorgelegt, das nicht nur den Wohnungsbau in diesem Lande wieder in Bewegung bringen wird, sondern auch die darniederliegende Bauwirtschaft in erheblichem Umfange entlasten und Arbeitsplätze in einer Größenordnung von 100 000 bis 150 000 in der Bauwirtschaft sichern wird. Unsere Fraktion unterstützt dieses Programm genauso, wie wir die Regelung im Bereich der Bausparzwischenfinanzierung und des Schuldzinsenabzugs, die für viele im Grenzbereich das Bauen überhaupt erst möglich machen, unterstützen.
Wir unterstützen auch die Schritte, die nicht im Bereich des Geldumschichtens liegen, sondern zu einem neuen Denken in der Wohnungsbaupolitik führen. Mehr persönliche Leistung — Sie können darüber lachen, Herr Conradi —, nur das ist der Weg für die Zukunft, mehr Beweglichkeit, mehr Eigeninitiative, mehr Vertragsfreiheit, also mehr Soziale Marktwirtschaft.Unsere Fraktion, Herr Minister Schneider, wird die Bundesregierung bei ihrem neuen Anfang in
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Dr.-Ing. Kansydem kleinen Mosaikstückchen Wohnungsbau nach ihren Kräften unterstützen.
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Gattermann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Conradi, Sie haben mit einer Anleihe bei Karl Marx geendet
— Sie haben jedenfalls mit einer Anleihe geendet— und damit eine politische Überzeugung, eine Kampfrichtung zum Ausdruck gebracht. Ich fürchte, Sie werden diese Anleihe nicht wieder zurückgeben, etwa so, wie die
neue Koalition die Zwangsanleihe zurückgeben wird.Sie haben, Herr Conradi, die begriffliche Klarheit als eine vom jetzigen Minister aufgestellte Forderung angesprochen, und ich will dieses Stichwort aufgreifen. Ich will mich mit Ihren Ausführungen, unter anderem unter diesem Stichwort, auseinandersetzen.Sie fingen damit an, daß Sie sagten, die Forderung nach Vertragsfreiheit sei doch wohl überhaupt nur, mindestens in ihrer Totalität, dort zu verwirklichen, wo man auch Chancengleichheit, gleiche Machtverhältnisse, habe. Dann suchten Sie einen Vergleich aus dem völkerrechtlichen Beritt und sprachen von der UdSSR und von Polen. Um der begrifflichen Klarheit willen: Wir sprechen hier von einer zivilrechtlichen Vertragsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland; wir sprechen nicht von einer völkerrechtlichen Vertragsfreiheit zwischen großen und kleinen Staaten. Das zum Stichwort „begriffliche Klarheit", Herr Conradi, weil Sie darauf so besonderen Wert legen.
— Richtig bleibt, Herr Kollege Gnädinger, daß die Vertragsfreiheit nur dort in vollem Umfange funktionieren kann, wo wir auch die Machtverhältnisse gleich verteilt haben.Nun kommt aber der springende Punkt. Wenn der Staat hier korrigierend eingreift — und er hat im Mietrecht eingegriffen, und er wird auch in der Zukunft eingreifen—, kann es doch nur darum gehen, daß man die Eingriffe so vorsichtig austariert, daß man die Chancenungleichheit ausbalanciert. Was wir in der Vergangenheit gemacht haben — dies ist jedenfalls unsere Schlußfolgerung aus dem Verhalten der Vermieter —, ist, daß wir beim Austarieren ein bißchen zuviel des Guten auf die Waageseite des Mieters gelegt haben. Wir versuchen nunmehr, indem wir dort wieder ein bißchen wegnehmen und es auf die andere Seite legen, eben jene Chancengleichheit, jenes ausgewogene Verhältnis herzustellen, von dem wir hoffen, daß die ökonomischen Grundlagen damit wieder in Ordnung gebracht werden. Es ist dann nicht hilfreich, HerrConradi, wenn wir an dieser Stelle überwunden geglaubte klassenkämpferische Parolen aus der Mottenkiste der Geschichte hervorholen und glauben, damit vordergründige parteipolitische Vorteile erzielen zu können. Das sollten wir sein lassen.Wir sollten uns in einer sachlichen Auseinandersetzung darum bemühen, als Gesetzgeber den fairen Interessenausgleich, der hier notwendig ist, zu steuern. Wir tun dabei nach bestem Wissen und Gewissen das, was wir für notwendig halten. Lieber Herr Conradi, wenn Sie in diesem Zusammenhang von Herrn Kaußen sprechen und meinen, gerade wir Freien Demokraten sollten dort doch einmal anklopfen: Wie ist es, sollen wir auch einmal bei Herrn Vietor anklopfen und fragen, ob er vielleicht inzwischen zu uns kommen will? Ich habe in meinem heimischen Beritt immer nur dort Arger, wo die „Neue Heimat" Vermieter ist. Nirgendwo sonst habe ich Arger.
Mit den lateinischen Zitaten ist das natürlich so eine Sache. De mortui nihil nisi bene — das ist ein gutes Wort. Es ist nämlich Ausdruck der Pietät, Ausdruck bestimmter moralischer Kategorien. Sie könnten das abwandeln: De moribundi nihil nisi bene. — Vorsicht, das wäre die Maxime für das Handeln des Erbschleichers. Noch leben wir, Herr Conradi. Sie werden es nicht erleben, daß Sie unsere Erbschaft antreten können. Ich glaube Ihnen das auf Grund der historischen Erfahrungen der letzten 35 Jahre versprechen zu können.
Meine Damen und Herren, hier sind bestimmte Begriffe über die Rampe gerollt — Sie haben dies schon angesprochen, Herr Kansy —, z. B. die Begriffe Ellenbogengesellschaft und Kahlschlag. Wo ist der Kahlschlag, bitte schön? Wenn wir die mietrechtliche Debatte fair miteinander ausfechten wollen, müssen wir uns mit den Abweichungen auseinandersetzen, die der jetzige Entwurf gegenüber dem Entwurf aufweist, dem Sie hier mehrfach zugestimmt haben. Diese Unterschiede müssen wir herausarbeiten und uns darüber unterhalten. Dann werden Sie feststellen, daß es nur geringfügige Dinge sind, allerdings zugegebenermaßen nicht ohne Bedeutung. Wenn wir über das Zeitmietvertragsrecht sprechen, müssen wir uns lediglich über die Frage unterhalten, die im Vollstreckungsschutz daran geknüpft worden ist. Alles andere ist materiell kaum unterschiedlich gegenüber dem, was wir vorher gemacht haben.Bei den Staffelmieten will ich auf folgendes hinweisen. Herr Kollege Kansy hat schon gesagt, daß die Diskussion über eine Alternative zu den Staffelmieten als beendet angesehen werden kann. Ich glaube, es spricht für diese Bundesregierung, daß sie übereinstimmende Anregungen des Präsidenten des Deutschen Mieterbundes und des Präsidenten des Haus- und Grundeigentümervereins ernsthaft darauf prüft, ob es hier eine Alternative gibt, die von beiden Seiten des Marktgeschehens übereinstimmend gewollt ist. Die Prüfung ist eben — jeden-
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Gattermannfalls in der Kürze der Zeit — nicht zu einem Ergebnis gekommen, das praktikabel ist und das nicht im Verdacht steht, die Scala mobile, von der Sie gesprochen haben, zu sein.
Herr Abgeordneter Gattermann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Waltemathe?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Gattermann, gehört es auch zu einer ernsthaften Prüfung, wenn z. B. der Zentralverband der Haus-, Grund- und Wohnungseigentümer sagt: Die Staffelmiete wollen wir jedenfalls nicht, und Sie dann trotzdem einen Gesetzentwurf mit eben dieser Staffelmiete für den Wohnungsbestand vorlegen?
Herr Kollege, ich habe von dem Zentralverband der Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer isoliert, für sich allein die Aussage: Staffelmieten wollen wir nicht, noch nie gehört, sondern ich habe lediglich die Aussage gehört: Wir haben hinsichtlich der Durchsetzbarkeit von Staffelmieten am Markt erhebliche Bedenken, und wir würden sozial verträgliche Anpassungsklauseln vorziehen. — Vor die Alternative gestellt: das eine oder das andere oder gar nichts glaube ich, daß die Aussage der Hauseigentümer anders ausfallen würde, als Sie es hier unterstellen.
Herr Conradi hat noch im Zusammenhang mit dem Vorwurf Kaußen gesagt, wir hätten die Wuchergrenzen erhöht. Wo denn eigentlich? Lieber Herr Conradi, Sie kennen die Materie so gut, und Sie haben den Text; der dort steht, gelesen. Der kann übrigens nicht so bleiben; er muß noch geringfügig verändert werden. Hier geht es um nichts anderes als darum, daß über die Mietüberhöhungsregelungen des § 5 nicht Fälle erfaßt werden, bei denen eine nach normalen betriebswirtschaftlichen Regeln angemessen kalkulierte Miete eingehalten wird. Solche Fälle sollen nicht mehr von § 5 erfaßt werden. Diese Forderung haben wir in der alten Koalition lange diskutiert. Wir waren dabei auch gar nicht so furchtbar weit auseinander in unseren Überlegungen. Jetzt zu sagen, dies sei eine Anhebung der Wuchergrenze, das heißt, die Polemik wirklich übertreiben, Herr Kollege.
Sie haben für das wohnungspolitische Programm der neuen Bundesregierung auch einige ganz positive Anmerkungen gefunden. Das finde ich gut so. Beim sozialen Wohnungsbau befürchten Sie lediglich, daß wieder einmal alles in die falsche Richtung gelenkt wird. — Herr Conradi, die Verteilung der Mittel, die auf die einzelnen Länder entfallen, obliegt nach meiner Erinnerung den Ländern.
Infolgedessen ist seitens der Länder gegebenenfalls das Erforderliche zu tun.
Bei der Bausparzwischenfinanzierung beklagen Sie, daß hier das Nachsparen gegenüber dem Vorsparen begünstigt wird. Im Grundsatz teile ich Ihre Überzeugung, daß das Vorsparen dem Nachsparen vorzuziehen sei.
— Nein, bei der Bausparzwischenfinanzierung hat er das gesagt. Ich habe sehr genau zugehört.
— Entschuldigung, das Nachsparen über Schuldzinsen? — Das verstehe ich nun nicht. — Gut, ich wollte Ihnen ja auch bestätigen, daß ich im Grundsatz Ihrer Überzeugung bin, daß Vorsparen dem Nachsparen vorzuziehen sei. Aber in einer Situation wie der jetzigen, in der wir — und zwar aus guten Gründen — einen breiten Attentismus haben, brauchen wir ganz einfach Anreizinstrumente, um über diese Schwelle hinwegzukommen, damit unsere Bauarbeiter wieder in Arbeit und Brot kommen. Dabei kann es nicht darum gehen, verteilungspolitische oder ordnungspolitische oder sonstige übergeordnete Kriterien lupenrein zu verwirklichen. In dieser Situation ist das entscheidende Entscheidungskriterium die Effektivität — und nichts sonst. Wir müssen die Leute weg von der Straße und wieder in Arbeit und Brot bringen. Dies ist unser Ziel.
Wir glauben, daß dieses Ziel mit diesem Programm erreicht wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit schließen: Die christlich-liberale Koalition
wird weder den Hütten Krieg bringen noch wird sie besondere Wohltaten für die Paläste liefern, aber den Frieden werden wir für die Hütten und für die Paläste sichern.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist für mich immer ein intellektueller Genuß, wenn ich Ihnen, lieber Herr Kollege Conradi, zuhöre. Ihre Fertigkeit, intelligent zu polemisieren, ist genußreich wahrzunehmen und zu beobachten.
Dort sind Sie ein Meister, aber im Zitieren sind Sie unvorsichtig.
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Bundesminister Dr. SchneiderIn meinem Hinterkopf ist etwas anderes gespeichert. Sie haben Karl Marx zitiert, haben ihn natürlich umgedeutet.
Sie haben Karl Marx, der bekanntlich ein großer Geist war, auf Ihre Weise interpretiert. Aber natürlich hat dies niemals Karl Marx gesagt. „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!", das stand doch bei dem berühmten Autor des „Woyzeck", bei Georg Büchner, nach dem einer der bedeutendsten Literaturpreise Deutschlands benannt ist, der jedes Jahr verliehen wird.
Ich empfehle Ihnen, den „Hessischen Landboten" genau zu lesen. Der hat sogar etwas geschrieben, was für die Wohnungspolitiker besonders wirkungsvoll wäre. Wenn ich aus ihm zitierte, er wäre mir tatsächlich ein Eideshelfer in vielerlei Hinsicht. Ich empfehle, vor allem „Dantons Tod" nachzulesen. Da finden Sie sogar Probleme der Eigentumsordnung. Nur, wenn Sie genau nachlesen, werden Sie finden, daß selbst dort, um bei Büchner zu bleiben, die Eigentumsfreiheit eine der wesentlichsten Errungenschaften der französischen Revolution gewesen ist und daß die Eigentumsfreiheit zum Fundament unserer demokratischen Freiheit überhaupt gehört.
Die erste Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849 — sie ist dann später nicht in Kraft getreten — beinhaltet in § 162 bekanntlich eine Bestimmung, die fast wortwörtlich gleich dem Artikel 53 der Weimarer Reichsverfassung und dem Artikel 14 unseres Grundgesetzes ist, wonach nämlich das Privateigentum und das Erbrecht geschützt sind. Die Eigentumsfreiheit ist in den Grundrechtskatalog aufgenommen. Als der Reichspräsident am 28. Februar 1933, um einmal den historischen Zusammenhang, die geschichtliche Dimension und auch den politischen Rahmen abzustecken, um den es hier geht — deswegen sage ich das —, nach dem Reichstagsbrand die „Verordnung zum Schutze von Volk und Staat" erließ und sieben Grundrechte außer Kraft setzte und damit die Diktatur im Dritten Reich einleitete, wurde unter anderem auch der Artikel 53 der Weimarer Reichsverfassung außer Kraft gesetzt, nämlich die Eigentumsfreiheit. Deswegen möchte ich eingangs die allgemeine Feststellung treffen, daß die Eigentumsfreiheit und der Schutz des Privateigentums untrennbar mit der persönlichen Freiheit und mit der bürgerlichen Freiheit eines jeden Menschen verbunden sind.
Lieber Kollege Conradi, dies ist das Fundament, auf dem die neue Bundesregierung Wohnungspolitik betreibt. Ich wäre jetzt in der Lage, zig Fundstellen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu bringen, in denen das Bundesverfassungsgericht den Zusammenhang von Eigentumsfreiheit und persönlicher Freiheit immer aufs neue unterstreicht.Dann haben Sie gesagt, über die Toten solle man nichts Schlechtes reden: „De mortuis nihil nisi bene". Ich möchte es etwas abwandeln, Herr Kollege Conradi: „De collegis nihil nisi bene", über die Kollegen redet man nicht, es sei denn, etwas Gutes.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Waltemathe? — Bitte sehr.
Herr Bundesminister, abgesehen davon, daß ich keine Partei in diesem Parlament kenne, die bezweifelt, daß es einen Art. 14 mit diesen einleitenden Sätzen gibt, möchte ich Sie fragen, ob es zutrifft, daß das Bundesverfassungsgericht auch gesagt hat, das freie Spiel der Kräfte gerade beim Eigentum an Grund und Boden sei einzuschränken, damit die Sozialbindung, von der im selben Artikel die Rede ist, zum Tragen komme?
Das hat nicht nur das Bundesverfassungsgericht mehrfach betont, das steht sogar expressis verbis in Art. 14, und unsere Wohnungsbaupolitik ist der glaubwürdigste und sichtbarste Versuch, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums in praxi zu demonstrieren.
Meine Damen und Herren, wir wollen hier eine Debatte führen, und ich will nicht etwas Vorgeschriebenes vorlesen. Deswegen gehe ich noch auf einige Punkte ein und tue dies auch deshalb, Herr Conradi, weil es mir ein intellektueller Genuß ist, mit Ihnen zu diskutieren. Sie sprachen aber von einem „Mietrecht für Spekulanten und Mietwucherer". Also wissen Sie, Sie müssen sich einen neuen Spiegel kaufen, vor den müssen Sie sich stellen und diesen Satz noch einmal aussprechen, und dann müssen Sie das Erröten Ihres Gesichts wahrnehmen.
Da wird von „Kahlschlag des Kündigungsschutzes" gesprochen.
— Des Kündigungsschutzes! Das haben Sie wörtlich gesagt.
Ich will Ihnen einmal sagen, was denn eigentlich beabsichtigt ist. Das Wichtigste an der Mietrechtsgesetzgebung der Jahre 1971 und 1974 war das Verbot der Änderungskündigung. Dieses Verbot bleibt, und kein Mitglied der CDU/CSU-Fraktion oder der Bundesregierung hat jemals Gegenteiliges behauptet.Auch die Vergleichsmiete bleibt.
— Nicht als Hülse! Außerdem ist — das kann ich alsJäger sagen — die Hülse besonders wichtig, denn
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Bundesminister Dr. Schneiderohne Hülse kann man das Pulver nicht zur Entzündung und vor allem das Geschoß nicht zum weiten Flug bringen.
Ich will nur feststellen, daß dies alles maßlose Übertreibungen sind.
Das ist Anstiftung zum Unfrieden im Land, aber es glaubt Ihnen sowieso niemand.
Wissen Sie, warum es Ihnen niemand glaubt? Weil wir bereits in etwa einem Drittel der Bundesrepublik Deutschland einen Wohnungsmarkt haben, der sich dadurch auszeichnet, daß der Vermieter auf dem Markt und auf der Straße steht und sich einen Mieter sucht, da das Angebot an Wohnungen größer ist als die Nachfrage.
Der soziale Auftrag, die soziale Verantwortung in der Wohnungs- und der Mietenpolitik verwirklicht sich in den Verdichtungsräumen, wo es ganz spezifische Bedingungen gibt, die unser aller Aufmerksamkeit, Sorgfalt und soziale Verantwortung herausfordern und verlangen.Heute kann ich eine abgeschlossene, systematische mietenpolitische Debatte nicht führen, weil die Zeit nicht reicht. Ich möchte aber noch feststellen, daß es kein Selbstbedienungsmietrecht geben kann. Ich muß schon sagen: Ihre semantische Kunst haben Sie fortentwickelt, aber wenn ich alles zusammenzähle — ich mag es nicht wiederholen —, so war Ihre Rede — das sage ich Ihnen allen Ernstes — eine Summe aller längst bekannten Fehlurteile und Vorurteile; sie war ein Plädoyer gegen die Chancengleichheit der Mieter. Ihre Ausführungen gingen an der Wirklichkeit weit vorbei, und Ihre Ausführungen fordern vor allen Dingen den Widerspruch aller Fachleute heraus, aller Fachleute!
Es wäre mir jetzt ein Leichtes, Ihnen nachzuweisen, daß in Ihrer Rede — leider muß ich das feststellen — der Zusammenhang zwischen Mietrecht und Steuerrecht und die großen volkswirtschaftlichen Zusammenhänge auch im Hinblick auf den Arbeitsmarkt und im Hinblick auf den Stundenlohn eines Maurers nicht oder nur höchst unzulänglich hergestellt waren.Das Problem des Wohnungsbaues heute ist mit einem Satz zu umreißen: Der Wohnungsbau ist so, wie er früher mit dem Ziel einer rentierlichen Kapitalanlage betrieben worden ist, nicht mehr möglich, weil die Kostenmiete zwischen 20 und 25 DM liegt und es keinen Mieter gibt, der diese Miete bezahlen kann und zu zahlen bereit ist. Deswegen entwickelt sich die ganze Wohnungs- und Mietenpolitik von der rentierlichen Kapitalanlage hin zur steuersparenden Investition. Das ist ein Faktum.Wenn sich heute beispielsweise die Versicherungen, die bekanntlich fast zu 100 % mit Eigenmitteln bauen, zurückhalten, so doch deshalb, weil sie, obschon sie keine Kapitaldienstkosten haben, sondern mit Eigenmitteln arbeiten und mit etwa 17 DM pro Quadratmeter und Monat zuwege kommen, die gesetzliche Auflage einer Verzinsung ihres Kapitals mit etwa 31/2% nicht mehr erfüllen können. Deswegen nehmen heute die Versicherungen bereits die Aufwandshilfen nach dem zweiten Förderungsweg in Kauf.Wenn die Sache aber so ist, müssen wir bei unseren Debatten wesentlich schärfer, als es geschehen ist, zwischen der Wohnungsbestandspolitik und der Neubaupolitik unterscheiden. Denn was ist das eigentlich sozial Ungerechte an unserer Mietenpolitik? Es besteht darin, daß die Mieter, die alte Wohnungen mieten oder länger Mieter sind, durch das Mietrecht und das Steuerrecht wesentlich mehr geschützt und begünstigt werden. Unser Steuerrecht hat in der Vergangenheit wesentlich mehr den Mieter als den Häuslebauer gefördert. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, zu glauben, daß der Häuslebauer, der Vorsparleistungen erbracht, Konsumverzicht geübt hat und dann laufend Kosten trägt, die ihn bis zu 40 % seines Realeinkommens und darüber hinaus gefordert haben, besser gefördert worden sei. Das ist ein ganz großer Irrtum.
— Das war für mich eine alte Tatsache. Nur habe ich mich gefreut, daß die letzte Bundesregierung in diesem Punkt etwas Richtiges dokumentiert hat. Ich weiß, es kommt auf die Einsicht an, nicht immer auf den Zeitpunkt, wann diese kommt; sie darf nur nicht zu spät kommen.Ich weise darauf hin, daß die Mietpreisverzerrung wesentlich dadurch aufrechterhalten wird, weil unser Wohnungsmarkt erstarrt ist, weil er durch die Mietengesetzgebung keine Flexibilität mehr aufweist. Durch diese Mietpreisverzerrung erreicht unser Mietrecht den sozialen Adressaten nicht mehr und begünstigt höchst unterschiedlich und unsozial. Die Zahl von 16,4% beim Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalt mit mittlerem Einkommen ist natürlich eine Durchschnittszahl. Viele zahlen weniger. Aber viele, gerade die Jungen, die Alleinstehenden und diejenigen, die auf dem Wohnungsmarkt zum erstenmal erscheinen, zahlen wesentlich mehr.Ich habe eine Zahl aufgegriffen, Herr College Conradi und Herr Kollege Waltemathe, über die wir schon oft diskutiert haben. Es geht darum, in welchem Umfang Leistungen für Mieten aus dem Familienhaushalt in Anspruch genommen werden dürfen. Wir waren der Meinung, daß eine Durchschnittszahl immer höchst problematisch ist. Eine Durchschnittszahl von 20 bis 25 % wird in der Fachwelt und auch von sozialdemokratischen Fachleuten allerdings durchaus als eine Durchschnittszahl angesehen, die der Interpretation bedarf.
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Bundesminister Dr. Schneider— Auch das muß man sehr differenziert darstellen: ob es um brutto oder um netto geht.Ich will nur sagen: Ich weiß natürlich — daran habe ich gedacht, und deshalb habe ich die Aufregung teilweise nicht verstanden —, daß viele Arbeitnehmer, gerade junge Familien, weit mehr als 25 ihres verfügbaren Familieneinkommens für Miete aufbringen müssen. Gerade an die habe ich gedacht, als ich diese Durchschnittszahl genannt habe. Es ist eine Zahl, die landauf, landab gebraucht wird. Ich denke an ein Königsteiner Gespräch, Herr Conradi, bei dem auch Sie diese Zahl für durchaus diskutabel gehalten haben und wo wir uns fachlich mit der nötigen Differenzierung und Ausdeutung dessen, was man unter den jeweiligen Begriffen im einzelnen zu verstehen hat, unterhalten haben. Eine Pauschalzahl kann natürlich immer mißbraucht werden.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Gleich. — Der Kollege Gattermann hat darauf hingewiesen, daß es den Versuch gegeben hat, eine Art Klauselmiete, Anpassungsmiete anstelle der Staffelmiete einzuführen. Die Beratungszeit war zu kurz. Der Versuch ist zunächst einmal eingestellt. Aber Sie dürfen sicher glauben: Wir in der Bundesregierung und die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP werden niemals einer mietrechtlichen Lösung zustimmen, von der mit Recht gesagt werden könnte, sie sei unsozial. Die Mieter wissen das selber; da mögen Sie draußen reden, was Sie wollen. Ich werde mich dann einmal mit Mietern besonderer Art, mit Mietern, deren Bauherren gemeinnützige Sozialdemokraten gewesen sind, darüber unterhalten, wie sie dort leben und welche Erfahrungen sie mit ihren Bauherren gemacht haben, mit Leuten also, die von Haus aus, vom Programm her gemeinwirtschaftlich sind, Menschen, die die Gemeinnützigkeit auf ihre Fahnen geschrieben haben und in ganz hoher Weise dem Arbeitnehmer verpflichtet sind, Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, die Fahne des sozialen Fortschritts gerade dem Mieter gegenüber in besonderer Weise hochzuhalten. Die Sache ist zu ernst. Infolgedessen will ich darüber nicht polemisieren. Aber bitte unterlassen wir auch hier bei einer solchen Debatte solche pauschal diskriminierenden Ausdrücke gegen unsere Auffassungen.
Herr Kollege Müntefering, bitte.
Es tut mir leid, Herr Minister; ich wollte Sie nur auf die 25 % ansprechen, von denen Sie jetzt weggekommen sind. Meine Frage an Sie ist, ob Sie nicht durch die Verlautbarung dieser 25 % den Eindruck erwecken, daß die Mieter in ihrer Gesamtheit fast alle deutlich weniger als 25 % bezahlen, und welche Instrumente Sie einsetzen wollen, damit die, die mehr als 25 % bezahlen, in ihre Belastung auf 25 % abgesenkt werden, und die, die weniger bezahlen, auf 25 % kommen.
Herr Kollege Müntefering, ich würde es außerordentlich bedauern, wenn der Eindruck entstanden wäre — ich würde ihn dann deutlich zu korrigieren wünschen —, daß ich generell möchte, daß alle Menschen 25 % ihres Einkommens für Miete bezahlen müssen. Es kommt von Fall zu Fall darauf an, wo der Mieter wohnt, wie er wohnt, mit welchen Ansprüchen er wohnt. Das ist sehr, sehr unterschiedlich. Es gibt Menschen, die wollen wenig ausgeben: die haben geringen Wohnraum, die verzichten auf dieses und jenes. Das gehört zu der menschlichen Freiheit. Daran kann gar nicht gedacht werden. Des weiteren: Unser Wohngeldrecht schützt den Mieter vor wirtschaftlicher Überforderung und vor sozialer Not als Mieter.
Ich darf Ihnen gleich sagen: Wir werden eine Tarifkorrektur beim Wohngeld vornehmen. Aber die neue Bundesregierung legt einen Haushalt vor, in dem für Wohngeld 80 Millionen DM mehr als im Entwurf der alten Bundesregierung vorgesehen sind. Das ist weithin nicht bekannt.
Herr Bundesminister, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müntefering?
Bitte.
Wenn das mit den 25 % so differenziert ist, wie Sie es gerade beschrieben haben, wären Sie dann bereit, festzustellen, daß diese Durchschnittszahl von 25 % nicht hilfreich ist und daß sie von Ihnen eigentlich nur deshalb ins Spiel gebracht und genutzt wird, um geplante Mieterhöhungen sozusagen vorweg zu rechtfertigen?
In gar keiner Weise. Ich bin überzeugt, daß die neuen Mietengesetze, die vorgelegt werden, keineswegs, in gar keiner Weise zur Beunruhigung an der Mieterfront führen. Ich bin sogar der Auffassung, daß sich die Mieten bei weitaus größerer Vertragsfreiheit nicht nach oben, sondern nach unten entwickeln. Wissen Sie, warum? Weil ich anhand der Erkenntnisse, die Sie auch haben, davon ausgehen muß, daß wir in unserem Lande eine große Unterbelegung und Fehlbelegung sowie das Leerstehen von Wohnungen zu beklagen haben. Meine Damen und Herren, ich freue mich auf den Tag, an dem die Ergebnisse der Wohnungszählung, der Volkszählung vom April 1983 ausgewertet sind. Dann werden wir diese Debatte zum erstenmal auf der Grundlage verläßlicher Daten führen können. Da wird sich zeigen, daß sich die soziale und wirtschaftliche Position des Mieters in unserem Lande wesentlich dadurch verstärkt hat, daß mehr Wohnraum angeboten wird, als wir derzeit annehmen. Nur: wenn die Fehlbelegung durch
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Bundesminister Dr. Schneiderden krassen Mieterschutz des sozial Starken zu Lasten des sozial Schwachen weiterhin Gestattet wird, so kommt dies den eigentlich Privilegierten in unserem Lande zugute.
— Ich will niemanden aus den Wohnungen treiben.
— Sie wissen, was ich von der Fehlbelegungsabgabe eh und je gehalten habe. Sie und auch das andere waren ja alles nur Versuche. Vielmehr müssen wir aus den tatsächlichen Erfahrungen sachgerechte Konsequenzen ziehen. Dies kann zwar nicht mehr heute abend geschehen, gleichwohl darf ich Ihnen noch einiges zu dem sagen, was die Bundesregierung bringt.
— Ich liebe es sehr,
auch im Detail sehr konkret zu werden, wenn ich auch weiß, daß im Detail Luzifer steckt. Aber den haben wir ja nicht zu fürchten, wir von der CDU/ CSU.
Also, meine Damen und Herren, ich freue mich, daß unser Programm zur Bausparzwischenfinanzierung, das dem Volumen nach weit mehr ist als das Doppelte, das die Bundesregierung 1975/76 vorgelegt hat, auch die Zustimmung der Opposition findet. 500 Millionen DM werden aufgewendet; die Länder geben weitere 55 Millionen DM dazu. Im einzelnen werden die Zinsen für Bauspardarlehen bis zu einem Betrag von 80 000 DM um 2,5% verbilligt. Je Kind erhöht sich der Darlehensbetrag noch einmal um je 15 000 DM. Die Vergünstigung wird auf die Dauer von längstens vier Jahren gewährt. Die damit verbundene Entlastung beträgt für eine Familie mit zwei Kindern monatlich rund 240 DM.Meine Damen und Herren, für die direkte Förderung des sozialen Wohnungsbaus sollen 2 Milliarden DM zur Verfügung gestellt werden. 500 Millionen DM davon werden für den Mietwohnungsbau im ersten Förderweg für Ballungsgebiete bereitgestellt; 1,5 Milliarden DM werden im zweiten Förderweg eingesetzt. Warum? Weil hier ein weitaus größerer Mengeneffekt erzielt werden kann.Beim Schuldzinsenabzug beschreiten wir einen Weg, der auch kritisiert wird, was ich überhaupt nicht verstehen kann. Hier wird die steuerliche Benachteiligung des Selbstnutzers zum ersten Mal in Teilen korrigiert. Denjenigen, der den Schuldzinsenabzug, wie wir ihn vorgeschlagen haben, kritisiert, bitte ich um gründliche Begründung. Mir ist völlig unverständlich, wie man das überhaupt kritisieren kann. Das bisherige Steuersystem benachteiligt den selbstnutzenden Eigenheimer deutlich gegenüber dem, der Wohnungen vermietet. Daher soll die steuerliche Förderung im Eigenheimbereich durch die Gewährung eines Schuldzinsenabzugs bis zu einer Höhe von 10 000 DM jährlich verbessert werden. Der Schuldzinsenabzug wird zunächst für vier Baujahrgänge jeweils für die Dauer von drei Jahren gewährt. Der Schuldzinsenabzug bringt für einen Facharbeiterhaushalt mit einem Steuersatz von 35% eine jährliche Steuerentlastung von 3 500 DM bzw. eine monatliche Entlastung von knapp 300 DM. Sie tritt zusätzlich zu der Entlastung nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes hinzu. Der Schuldzinsenabzug bedeutet für den Bundeshaushalt eine Steuermindereinnahme von schätzungsweise 1,8 Milliarden DM je Baujahr.In der kurzen Zeit, die sich diese Regierung selbst gesetzt hat, um die notwendigen Sofortmaßnahmen zur Sanierung der Wirtschaft und der öffentlichen Haushalte anzupacken, kann es nur darum gehen, schnell wirkende Anstoßeffekte zu erreichen. Längerfristig ist das gesamte direkte und steuerliche Fördersystem für den Wohnungsbau, insbesondere auch den Eigentumsbereich, auf seine Effizienz und soziale Treffsicherheit zu überprüfen.
Herr Bundesminister, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müntefering?
Bitte, Herr Kollege.
Herr Minister, da Sie uns wegen unserer Bedenken gegen den Schuldzinsenabzug fragen: Sie wissen, daß wir immer einen pauschalen Abzug von der Steuerschuld für eine begrüßenswerte Entwicklung bei der Eigentumsförderung gehalten hätten. Würden Sie mitmachen, diesen Schuldzinsenabzug umzuwandeln in einen Abzug von der Steuerschuld, bei dem jeder, unabhängig von seinem Einkommen und jenseits der Progressionswirkung, gleiche Vorteile hat?
Verehrter Kollege Müntefering, wenn ich Sie so reden höre, höre ich das schwefelgelbe Bein des sozialistischen Neides hinter Ihnen herklappern.
— Beim 7 b ist es genauso. Bei Ihnen soll derjenige, der mehr leistet, mehr verdient, schlechter behandelt werden.
Das ist ein prinzipieller Widerspruch. Ich habe bisher Recht behalten und werde auch in der Zukunft Recht behalten. Das dürfen Sie sicher glauben. Wir wollen etwas machen, was effektiv ist. Dem Pferd, das auf die Rennbahn soll, darf ich vorher nicht die Fesseln binden. Sonst wird es das Ziel nicht erreichen.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7725
Bundesminister Dr. Schneider— Nachdem Sie selber zu den Besserverdienenden gehören, bin ich fast zu Tränen gerührt, wenn ich sehe, wie Sie sich um die Schlechterverdienenden kümmern. Aber wissen Sie: Auch in unserer Brust schlägt ein soziales Herz.
— Aber mit den richtigen Pulsschlägen!
Meine Damen und Herren, mich erreichen viele Briefe, in denen Kritik geübt wird an der Stichtagregelung. Bei dem Schuldzinsenabzug und der Bauspar-Zwischenfinanzierung war es aus Haushaltsgründen leider nicht möglich, alle wohnungspolitisch wünschenswerten Ziele zu berücksichtigen. Die Regelung gilt nur für solche Baumaßnahmen, die nach dem 30. September 1982 begonnen wurden, weil nur von diesen Maßnahmen die angestrebten unmittelbaren konjunkturellen Wirkungen ausgehen. Ich füge hinzu, daß ich es sehr begrüßt hätte, wenn es aus Haushaltsgründen möglich gewesen wäre — es hätte zu unmittelbar höherer Bundesverschuldung geführt —, auch die Kaufeigenheime, die bereits fertiggestellt oder in Bau sind, mit zu berücksichtigen. Ich bedaure außerordentlich, daß das nicht möglich ist, denn ich weiß, daß auch eine Berücksichtigung dieser Objekte zu einer Belebung des Arbeitsmarktes, zu höheren Investitionen geführt hätte.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich stelle fest: Wir denken nicht nur an den Wohnungsbau, sondern auch an den Städtebau. Im Bundeshaushalt wird der Ansatz für Städtebauförderungsmittel von 220 Millionen auf 280 Millionen DM angehoben.
— Dieses Gesetz hat die alte Regierung auslaufen lassen. Werfen Sie uns doch nicht immer ihre eigenen Sünden vor! Ich komme mir ständig vor wie einer, der an einen Tisch kommt, an dem vorher die anderen gespeist haben, die Teller schmutzig hinterlassen haben, und der dann die Zeche bezahlen soll.
Meine Damen und Herren, diese 60 Millionen DM zusätzlich werden jeweils eine Landesmark und eine Kommunalmark hinzubringen und werden einen hohen Multiplikatoreffekt haben.Was das Wohngeld anlangt, darf ich sagen, daß es der Bundesregierung außerordentlich schwergefallen ist — gewiß auch meinen Kollegen aus den Regierungsfraktionen —, eine maßvolle, sozial gezielte, ausgewogene, behutsame Kürzung im Wohngeldtarif vorzunehmen. Wir haben eine lineare Kürzung abgelehnt. Aber absolut kann ich hier feststellen — und danach muß man uns beurteilen —, daß der Wohngeldansatz im Haushalt 1983 im Vergleich zum Haushalt, der zunächst von der alten Bundesregierung eingereicht worden war, um 80 Millionen DM höher ist.
Für uns bleibt das Wohngeld eine unabdingbare Sicherung des sozial schwachen Mieters. 80 Millionen DM mehr signalisieren, wie wir hier sozial zu handeln bereit sind. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich werde nicht wie der Kollege Conradi Marx zitieren und auch nicht wie Herr Gattermann lateinisch zitieren, sondern ich bleibe bei dem, was ich kann.
Warum sind Sie denn eigentlich in bestimmten Dingen, die Sie hier doch frei vertreten können, sowohl beim Nachtragshaushalt als auch beim Haushalt 1983 nicht ehrlich? Wenn diese Regierung vier neue Parlamentarische Staatssekretäre braucht — der Bundeskanzler wird das vertreten —, dazu einen Stab, bestehend aus einem Persönlichen Referenten, zwei Vorzimmerkräften und einem Fahrer, dann kann man das wohl begründen. Warum veranschlagen Sie das nicht im Nachtragshaushalt? Warum verstecken Sie das? Warum finden wir das nicht einmal im Haushalt 1983? Haben Sie sich für diese 33 000 DM monatlich, die Sie zusätzlich verbrauchen, zu schämen?Dies ist eine Mogelpackung. Ich verstehe das nicht.Meine Kollegen im Haushaltsausschuß frage ich folgendes. Die Bundesregierung braucht mehr Personal, und wir sollen das in Berichterstattergesprächen zusätzlich in den Haushalt hineinbringen. Die Regierung mogelt und traut sich nicht, dem Wähler zu sagen, daß sie mehr Geld braucht, und das Parlament soll das bewilligen.
Herr Kollege Voss, wer als Regierung schon im Kleinen so unehrlich ist, wird mit großen Dingen auch mogeln. Das ist meine Sorge. Sie sollten das ändern.
— Ich mogele nicht im Kleinen. Ich fordere nur das,Herr Kollege Riedl, was im Haushaltsgrundsätzegesetz und in der Bundeshaushaltsordnung steht:
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7726 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
KühbacherHaushaltswahrheit, Haushaltsklarheit, Einzelveranschlagung.All das findet nicht statt. Die Regierung mogelt sich an einer Bagatelle vorbei. Muß das eigentlich sein? Haben Sie die Auseinandersetzung hier so zu scheuen, wenn es um vier zusätzliche Staatssekretäre geht, die Sie brauchen? Zwei Staatssekretäre ersetzen im Kanzleramt einen vorhergehenden, im Innenministerium brauchen Sie einen zusätzlichen Staatssekretär als Aufpasser gegenüber der CSU, und im Verteidigungsministerium muß ein FDP- Mann kontrollieren, damit die CDU nicht allein die Rüstungsausgaben bestimmt. Es ist ja erstaunlicherweise so, daß neuerdings der frühere stellvertretende Regierungssprecher Staatssekretär in Rüstungsfragen wird. Er wird wahrscheinlich unwahrscheinlich sachkompetent sein.
Herr Kollege Kühbacher, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth?
Aber gerne.
Herr Kollege Kühbacher, könnten Sie bei der Regierung nicht doch ein bißchen Milde walten lassen angesichts der Tatsache, daß plötzlich für Herrn Staatsminister Wischnewski drei Nachfolger gebraucht werden?
Bezüglich dessen, daß man Qualität durch Quantität ersetzen muß, kann ich Milde walten lassen. Was ich nicht erlaube, ist, daß das Haushaltsrecht verbogen wird, weil man politisch keine Traute hat. Das kann man nicht erlauben.
Herr Kollege Kühbacher, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmitz?
Herr Kollege Kühbacher, wären Sie so freundlich, einmal Ihren Kollegen Ehmke zu fragen, was er gemacht hat, als er 1969 das Bundeskanzleramt übernahm?
Sie wollen sicherlich darauf abheben, Herr Kollege Schmitz, daß eine Reihe von Ministerialdirektoren und Staatssekretären entlassen worden sind. Eigentlich wollte ich dieses Thema nicht erwähnen, weil ich meine, daß politische Beamte ein bestimmtes Risiko zu tragen haben; ich betone: politische Beamte.Aber ich muß natürlich fragen, warum bei Herrn Innenminister Zimmermann der parteilose Beamte Dr. Pagel, der wegen seines Sachverstands auf diesen Platz gekommen ist — er war nicht einmal Mitglied der FDP —, weichen mußte, um einem CSU- Beamten Platz zu machen. Das geschah doch nur, damit der CSU-Beamte im Stillen die Personalpolitik im Innenministerium schieben kann.
Was hat das denn mit 1969 zu tun? Deshalb brauche ich den Kollegen Ehmke gar nicht zu fragen.
Ich habe kein großes mitleidiges Herz für Beamte, die in dieser Republik fürstlich nach B 11 und B 9 bezahlt werden. Sie müssen ein gewisses Risiko tragen. Aber ich beklage, daß parteilose Beamte Parteibuchleuten weichen müssen, und das im Innenministerium, von dem man j a gar nicht weiß, wer es nach dem 6. März bekommt: Herr Genscher oder Herr Zimmermann oder ein Dritter. Solange hätte man doch wenigstens warten sollen.
— Ich frage Herrn Ehmke nachher beim Bier.Ich frage Sie, meine Damen und Herren Kollegen auf der Regierungsbank, nach einer weiteren Mogelpackung, die ich gefunden habe. Die Besoldungsanpassung 1982 soll nach Ihrer Koalitionsvereinbarung — gesetzlich habe ich das noch nirgendwo gefunden — , nicht mehr wie im Sinne der vorhergehenden Regierung um drei Monate, sondern nur um zwei Monate hinausgezögert werden. Das wird, nach dem, was ich sehe, sowohl beim Bund als auch bei den übrigen Gebietskörperschaften mehr Geld erfordern. Herr Kollege Hoppe, wir haben gemeinsam im ersten Nachtragshaushalt 1982 100 Millionen DM Personalverstärkungsmittel nachschieben müssen, weil die Personalausgaben-decke sonst nicht reicht.Wenn die Verschiebung um einen Monat zurückgenommen wird, erfordert das mehr Geld: 60 Millionen DM beim Bund, 18 Millionen DM bei den Versorgungsbezügen. Dazu kann ich die Kosten bei Bahn, Post, Ländern usw. addieren. 321 Millionen DM werden durch diesen kleinen Akt den öffentlichen Haushalten mehr aufgebrummt. Ich finde sie nur nicht im Haushalt. Wo, Herr Kollege Voss, ist dieser Betrag veranschlagt? Sie werden möglicherweise antworten, das Gesetzgebungsverfahren wird voraussichtlich erst in der dritten Dezemberwoche beendet sein. Da Sie wahrscheinlich erst dann zahlen wollen, die Januar-Gehälter aber bereits im Computer gespeichert sind, kann man das natürlich erst im Februar bezahlen. Das wird wohl Ihre Begründung sein: Dann kann man das erst aus dem Haushalt 1983 nehmen, und diesen Haushalt beraten wir jetzt erst; der enthält ja auch Personalverstärkungsmittel.Nur, meine Damen und Herren, dann erwische ich Sie bei einem nächsten Punkt. Wenn Sie Personalkosten des Jahres 1982 nach 1983 verschieben wollen, ist das auch gegen das Prinzip der Jährlichkeit — natürlich mit dem wohltuenden Effekt, daß vor dem 6. März 1983, vor dem Wahltermin, die Beamten in Bund, Ländern und Gemeinden eine Nachzahlung für Juli 1982 bekommen, womit Sie kaschieren wollen, was Sie den kleinen Beamten
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Kühbacheranschließend antun. Dies nenne ich ein wohlfeiles Wahlgeschenk von 321 Millionen DM.
Man könnte das auch noch schlimmer bezeichnen. Das steckt doch in Wahrheit dahinter. Ich sage allen, die mit der Beamtenpolitik zutun haben — den Gewerkschaften, den Verbänden, den Ruhegeldempfängern —: Lassen Sie sich von solcher Mogelei, von solcher Trickserei nicht hinters Licht führen, im Februar noch eine Erhöhung zu bekommen, im März CDU/CSU wählen zu sollen — Herr Kollege Friedmann —, und anschließend kommt der große Hammer.
— Ich komme jetzt zu dem großen Hammer, nämlich zu der Besoldungsanpassung 1983. Die Beamtengehälter wollen Sie 1983 — so steht es im Haushaltsbegleitgesetz — um 2 % ab dem Sommer erhöhen. Darüber ließe sich ja diskutieren, wenn im übrigen Bereich, im Tarifbereich, keine anderen Ergebnisse erzielt würden. Erstmals in dieser Republik werden die Beamten zum Knüppel gegen die Tarifpartner benutzt. Herr Kollege Franke, das ist doch nichts anderes! Sie wollen mit diesem Gesetzgebungsverfahren in die Tarifabschlüsse eingreifen, Sie wollen den Gewerkschaften in der Metallindustrie, in der chemischen Industrie und überall vorschreiben, wie die Abschlüsse zu lauten haben. Die Drohposition ist doch ebenfalls aufgebaut: Sollten die Tarifabschlüsse höher sein — so warnen Sie sämtliche Gewerkschaften —, werden Sie im gleichen Maße Personal abbauen. So steht es in der Koalitionsvereinbarung. Dies nenne ich eine Drohposition, die einer Bundesregierung gegenüber ihren loyalen Staatsdienern unwürdig ist. Dieses hat es in diesem Staat noch nicht gegeben.
Ich kann wohl sagen: Meine Damen und Herren von der FDP, solange Sie das Innenministerium hatten, gab es noch eine relativ vernünftige Erfüllung der Fürsorgepflicht gegenüber den öffentlich Bediensteten. Kaum ist es in CDU/CSU-Hand, sind Sie dabei, völlig umzuschwenken. Ich kann Sie nur auffordern: Sehen Sie zu, daß Herr Minister Baum wieder ins Ministerium kommt, damit das einigermaßen solide gemacht wird — nicht mit dieser Methode.
Nun zur Frage der Ausgewogenheit. Das Haushaltsbegleitgesetz muß man ja einmal im Hinblick auf den öffentlichen Dienst prüfen. Ich habe mir einmal einen Beamten der Besoldungsgruppe A 7 herausgegriffen. Dazu gehört z. B. ein Obermeister beim BGS, der Ihrer Fürsorgepflicht unterliegt, meine Herren aus dem Innenministerium. Davon gibt es Tausende. Dazu gehört ein Obersekretär beim Zoll, der Ihrer Fürsorgepflicht, Herr Staatssekretär Voss, unterliegt. Davon gibt es Tausende. Dazu gehört ein Oberfeldwebel bei der Bundeswehr, Herr Staatssekretär Jung oder Herr Minister Wörner, der Ihrer Fürsorgepflicht unterliegt. Dazu gehört ein Obersekretär bei der Post, die ein Riesenapparat mit unwahrscheinlich vielen Beschäftigten in dieser Besoldungsgruppe ist. Dazu gehört der Lokomotivführer bei der Bundesbahn, der der Fürsorgepflicht von Herrn Dollinger unterliegt. Ich könnte noch viele aufzählen. Ich greife die Besoldungsgruppe A 7 heraus, weil es dahinter Hunderttausende von Beschäftigten gibt, die ungleich schlechter bezahlt werden, damit Sie mir nicht vorwerfen, ich würde ganz unten ansetzen.Sehen wir uns einmal an, was Sie mit dieser Besoldungsgruppe vorhaben. Jemand in dieser Gruppe, 33 Jahre alt, bekommt zur Zeit — das können Sie nachlesen — 1648 DM Grundgehalt und 893 DM Ortszuschlag, wenn er verheiratet ist und zwei Kinder hat. Ich unterstellte einmal, daß er 300 DM für seine Familie an Krankenversicherungsbeiträgen zahlt, vielleicht auch für sich selbst, wenn er Beihilfe beantragt. 275 DM gibt die Steuertabelle her. Dieser Beamte mit zwei Kindern hat 1966 DM netto. Ihm sollen über die Vorsorgepauschale 36 DM monatlich abgezogen werden. Bei den Kinderbetreuungskosten verliert er 6 DM monatlich, durch die Umsatzsteuererhöhung — das weisen Sie selbst aus — verliert er 15 DM. Nach der Beihilferegelung, die uns Finanzminister Stoltenberg angekündigt hat, sollen künftig im mittleren Dienst anteilig 150 DM aufgewendet werden; das macht rund 12 DM im Monat aus. Das heißt, allein durch die Haushaltsbegleitgesetze werden diesem Staatsdiener und seiner Familie 69 DM entzogen. Wenn wir unterstellen — was wir auf Grund der Haushaltsdaten tun können —, daß der Preisanstieg im nächsten Jahr etwa 31/7 % betragen wird, bedeutet das für diese Familie einen weiteren Einkommensverlust von 52,50 DM.
— Herr Kollege Schmitz, lassen Sie mich zunächst einmal zu Ende reden! — Dabei unterstelle ich nicht einmal Mieterhöhungen, die möglicherweise auch noch auf diesen Personenkreis zukommen. Das bedeutet: Dieser Beamte, dieser Staatsdiener, hat Ende nächsten Jahres 121,50 DM netto im Monat weniger.Nun sagen Sie: Bitte schön, dann erhöhen wir sein Gehalt um 2 % wovon er aber auch noch Steuern zahlen muß. Das heißt, Sie muten Oberfeldwebeln oder Lokomotivführern ein Minus von 70 DM zu. Sie werden alle „bluten" müssen.
— Wissen Sie, was ich besonders zynisch finde? Dies ist, wenn ich das einmal prozentual umrechne, ein Nettoverlust von 6 % im nächsten Jahr.
— Ja, dies sind die Folgen. Ich finde es besonders zynisch, daß solche Vorschläge von Ministern gemacht werden, z. B. von Herrn Blüm, der am 1. De-
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7728 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
Kühbacherzember 36 000 DM Gehalt und Weihnachtsgeld überwiesen bekommt. So viel bekommen die genannten Beschäftigten und ihre Familien im ganzen Jahr nicht. Ich finde es zynisch, wenn man von einer Lohnpause redet und selbst 36 000 DM im Monat Dezember bekommt.
Herr Kollege Kühbacher, erlauben Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Schmitz?
Aber, natürlich, wenn es Ihm wehtut!
Herr Kollege Kühbacher, hätten Sie das auch als zynisch bezeichnen wollen, wenn Ihre Vorschläge zu einer Arbeitsmarktabgabe angenommen worden wären?
Sehen Sie, genau das ist der Ansatz, den ich vom Innenminister und von anderen erwartet hätte. Die Arbeitsmarktabgabe hatten die Beamtengewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes akzeptiert. Ich verstehe unter Fürsorgepflicht, Herr Kollege Schmitz, daß man nicht mit dem Gesetzeshammer kommt, sondern daß der Bundeskanzler, der Finanzminister und der Innenminister erst mit den Personen, die dort Verantwortung tragen und die gutwillig sind — es ist doch nicht so, daß der öffentliche Dienst die Arbeitslosigkeit in diesem Lande nicht sieht —, verhandeln, daß man Gespräche führt und dann mit Vorschlägen kommt. Was Sie dagegen tun, ist, daß Sie den anderen Gewerkschaften mit dem Knüppel drohen und die Beamten zu diesem Knüppel machen. Das beklage ich.
Natürlich wird der öffentliche Dienst seinen Anteil an den Sparmaßnahmen zu leisten haben. Aber es geht doch nicht an, daß Sie erst einmal die Schwachen vorschieben und sie „rasieren", während „die da oben" geschont werden.
Herr Kollege Schmitz, es wäre doch fair gewesen, wenn man die Ministerialzulage gekappt und die Beamten von der Besoldungsgruppe A 16 an aufwärts ein wenig stärker herangezogen hätte. Ich sage Ihnen: Ich halte die Damen und Herren in diesen Besoldungsgruppen, gelinde gesagt, für überbezahlt. Bei einem Monatseinkommen ab 6 000 DM aufwärts im öffentlichen Dienst bei einer 40-Stunden-Woche halte ich sie im Verhältnis zum Polizeimeister und zum Lokomotivführer, die auch noch nachts arbeiten müssen, gelinde gesagt, für überbezahlt. Hier ist von Ihnen keine Strukturveränderung vorgesehen.
Ich halte es für zynisch, daß man mit niemandem vorher redet, sondern die Damen und Herren der Gewerkschaften vor vollendete Tatsachen stellt, so daß sie empört den Raum verlassen. Das ist der neue Stil dieser Regierung im Umgang mit den Staatsdienern in diesem Lande. Sie können reden, was Sie wollen: Er war früher seriöser, anständiger, fairer, und Fairneß haben die Staatsdiener, hat der öffentliche Dienst auch von dieser Regierung verdient.
Herr Kollege Kühbacher, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage? Ihre Redezeit ist allerdings bald abgelaufen.
Ja. Ich wollte nur noch einen letzten Satz sagen.
Herr Kollege Kühbacher, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß die von Ihnen vorgeschlagene Arbeitsmarktabgabe nicht freiwillig, sondern obligatorisch gewesen wäre?
Das hat doch damit nichts zu tun. Dies war ein wohlgemeinter Vorschlag der Tarifvertragspartner, über den man hätte reden müssen, auch darüber, ob er von Karlsruhe mitgetragen worden wäre.
Es geht darum, so etwas nicht mit dem Gesetzeshammer durchzupeitschen, sondern in fairer Partnerschaft mit den Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zu reden, statt mit dem Knüppel der Zwei-Prozent-Regelung alles andere erschlagen zu wollen, Herr Kollege Schmitz.
— Ja, das mögen Sie so feststellen.
Herr Kollege Jäger , die Redezeit des Redners ist schon abgelaufen.
Ich möchte noch einen letzten Satz sagen, damit es nicht nur eine Besoldungsrunde wird. Das gehört dazu.
Es ist auch erstaunlich, daß im Bereich des Innenministeriums nach dem Regierungswechsel eine entscheidende Maßnahme neu getroffen wird: Im Umweltschutz werden 28 Millionen DM bei der Luftreinhaltung bei Altanlagen wegrasiert. Dies ist der Einstieg des CSU-Ministers in den Umweltschutz der neuen Bundesregierung. Ich frage die Kollegen von der FDP: Waren die Haushaltsansätze für den Umweltschutz so falsch? Ist das die Antwort auf Ihre umweltpolitischen Thesen, die Sie vor einigen Tagen in Berlin beschlossen haben? So lassen Sie mit sich umgehen, daß das Geld, das für vernünftige Maßnahmen eingesetzt ist, einfach herausgestrichen werden soll?
Herr Kollege Kühbacher, ich habe Sie eben vor Zwischenfragen geschützt.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7729
Ich komme zum Ende. — Wir werden diesen Anschlag, der die Streichung von Umweltschutzmitteln betrifft, der auch ein klarer Angriff gegen die bisherige Umweltpolitik der Bundesregierung — der von der FDP mitgetragenen Bundesregierung — ist, nicht mitmachen. Man kann vom Umweltschutz nicht wie Sie, Herr Kollege Gattermann, nur in schönen Worten reden, sondern man muß auch Geld dafür bereitstellen.
— Herr Kollege Gerster, wir werden im Haushaltsausschuß darüber streiten.
Der Umweltschutz wird von Ihnen, von der neuen Bundesregierung, von dem neuen Innenminister Zimmermann rasiert, und Sie machen das mit. Ich finde das schlimm.
Als nächster Redner hat das Wort der Herr Abgeordnete Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Kühbacher, ich schätze Sie als einen in der Regel einigermaßen sachverständigen und im übrigen als einen Mann von Humor. Was Sie heute geboten haben, haben Sie ganz gewiß — das unterstelle ich Ihnen zu Ihrer Ehre — gegen Ihr Wissen gesagt.
Wie kann ein Mann z. B. in solcher billigen Polemik gegen die oberen Gehaltsklassen unserer Beamtenschaft sprechen, dessen eigene Partei es trotz ständigen Geredes in drei Jahren nicht einmal fertiggebracht hat, die Ministergehälter auch nur um ein Prozent zu kürzen?
Nach mächtigen Ankündigungen ist dabei nichts herausgekommen.Sie machen uns den Vorwurf, daß wir die Beamtengehälter für das Jahr 1983 zunächst durch Gesetz regeln und hoffen, daß dieses Signal dann in den Tarifverhandlungen verstanden wird. Sie machen uns dabei den Vorwurf, wir arbeiteten mit dem Hammer und suchten nicht vorher das Gespräch. Was haben Sie denn gemacht? Sie haben Anfang diesen Jahres die Beamtengehälter gesetzlich um ein Prozent gekürzt,
mit der Hoffnung auf eine automatische Wirkung auf die Angestellten und Arbeiter, die Sie allerdings nicht haben durchsetzen können, weil Sie mit Ihren Freunden von der Gewerkschaft vorher nicht gesprochen hatten. Sie sind doch auch in z. B. diesem Bereich des öffentlichen Dienstes gescheitert.
Ausgerechnet Sie nehmen sich heute so der armen Beamten an, deren Status Sie in der Zeit Ihrer Regierung mächtig angeknackst haben und denen Sie in 13 Jahren Ihrer Regierung, verglichen mit Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes — von anderen Tarifbereichen ganz zu schweigen —, Einkommensnachteile von über zehn Prozent zugemutet haben.Ich sage das nicht, um Ihnen daraus heute etwa noch einen Vorwurf zu machen, wir müssen in die Zukunft blicken. Ich sage das in diesem Augenblick zugunsten der Beamten selbst. Das Opfer, das wir als neue Bundesregierung ihnen zumuten, ist leider Gottes nicht das erste. Es ist aber insofern ein Opfer, das wir zumuten dürfen, als wir das, was wir jetzt beschließen, in eine Reihe von Maßnahmen einbetten, die gleichzeitig versprechen eine Ankurbelung der Wirtschaft, Verbesserung der Kaufkraft auf Dauer, Verbesserung des Investitions- und des Absatzklimas in unserem Lande und damit letztlich auch eine Verminderung der Staatsschulden. Denn die 300 Milliarden Bundesschulden, die Sie uns hinterlassen haben, zwingen uns doch, diese Maßnahmen zu ergreifen.
Sagen Sie aber bitte nicht, es sei ein Eingriff in die Tarifhoheit. Es stimmt zwar, daß wir eine Gehaltserhöhung für die Beamtenschaft von zwei Prozent durch Gesetz regeln wollen. Das ist das Limit, das wir uns selbst setzen. Es ist kein Eingriff in die Tarifhoheit, wenn wir ankündigen, daß wir uns auch bei Tarifverhandlungen an diese Marge halten wollen
und daß wir ankündigen, wenn es unmöglich ist, dieses Ziel einzuhalten, das, was wir beim einzelnen an Zuwachs nicht begrenzen können, dann durch Einsparungen beim Kollektiv des öffentlichen Dienstes werden bewirken müssen. Das sagen wir, Herr Kühbacher — das sage ich Ihnen persönlich und allen Kollegen von der SPD —, vor einer Wahl und nicht, wie Sie das bisher mit dergleichen Maßnahmen getan haben, jeweils nach einer Wahl. Denken Sie an die Rentner. 14 % haben Sie ihnen in drei Jahren durch Abgehen von der bruttolohnbezogenen Rentenanpassung weggenommen.
Das haben Sie nach einer Wahl getan, nachdem Ihr Kanzler und andere aus Ihren Reihen — ich will nicht sagen: Sie selbst — vor der Wahl gesagt haben, es gebe gar keine Probleme.
Der Unterschied zwischen uns und Ihnen ist nicht, daß wir die Schuldenmasse möglicherweise anders bewerten. Wir bewerten sie wahrscheinlich als ernster als Sie. Der Unterschied zwischen uns und Ihnen ist der, daß wir uns jetzt bemühen, Maßnahmen zu ergreifen, dem öffentlichen Dienst jetzt sagen, was auf ihn jetzt und im kommenden Jahr
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7730 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
Brollzukommt. In der Ankündigung dessen stellen wir uns der Wahl. Wir hoffen, daß die öffentlichen Bediensteten etwas klüger und viel verantwortungsbewußter sind, als Sie vermuten und als es möglicherweise manche von Ihnen sind.Sie haben Minister Blüm so nebenbei gesagt, er beziehe am 1. Dezember dieses Jahres sein Gehalt und ein Weihnachtsgeld. Sie wissen ganz genau: Da er am 1. Oktober noch kein Minister war, kann er gar kein Weihnachtsgeld bekommen. Ihre ehemaligen Minister allerdings — ich gönne ihnen das — beziehen das Weihnachtsgeld zu ihrem Ruhegehalt für Dezember hinzu. Es wäre j a auch lächerlich, meine Damen und Herren, wenn Leute, die uns 300 Milliarden DM an Schulden beschert haben, nicht die Bescherung eines Weihnachtsgeldes bekommen sollten.
Es is also nicht ein Eingriff in die Tarifhoheit, wenn wir wünschen, daß in Tarifverhandlungen auch für die öffentliche Hand eine Grenze gesetzt wird. Wir sind vielleicht sogar bereit, in Tarifauseinandersetzungen einzutreten. Wir halten das angesichts der Misere der öffentlichen Finanzen für verantwortungsvoller, als — wie in Ihrer Regierungszeit manchmal passiert — zuzulassen, daß Einnahmen über das zu Leistende hinaus gesteigert werden. Es ist eher ein Offenbarungseid in bezug auf die öffentlichen Haushalte, den wir leisten müssen, den unser Finanzminister für die Geschäftsführung leisten muß, die Sie 13 Jahre gehabt haben.
Akzeptieren Sie dies bitte, so wie die Öffentlichkeit es akzeptiert, als einen Versuch der Ehrlichkeit. Das Wort von der Mogelei, das Sie gebraucht haben, hat mich persönlich nicht sehr getroffen. Es war von Ihnen vermutlich gar nicht so ernst gemeint. Wider besseres Wissen haben Sie es ja gesagt. Wir können aber sagen: Selten ist eine Regierung in der Darlegung der Verhältnisse, in der Ankündigung der geplanten einschneidenden, für den einzelnen sehr spürbaren Maßnahmen so offen gewesen wie diese Regierung. Wir stellen uns der Wählerschaft im Bewußtsein, daß diese Überzeugungsarbeit, die wir bisher schon leisten und auch in Zukunft leisten werden, verstanden und akzeptiert wird.Lieber Herr Kollege Kühbacher, Sie haben auch die Personalveränderungen im Innenministerium angesprochen. Ich bin überzeugt, daß Sie genau wissen, warum der von Ihnen angesprochene Beamte entlassen worden ist.
Das hat mit Parteizugehörigkeit in diesem Fall wirklich nichts zu tun gehabt, wohl aber mit dem Funktionieren eines Hauses. Daß sehr viele andere Beamte Ihrer Couleur und auch anderer Couleur diese Entscheidung gebilligt haben, mag Sie in dieser Hinsicht etwas trösten.
Die CDU/CSU-FDP-Regierung ist bei den Maßnahmen im Beamtenbereich in allen Ministerien — auch im Innenministerium — in äußerstem Maße behutsam gewesen. Sie hat Küchenkabinette aufgelöst. Sie hat keine neuen Stellen geschaffen. Sie hat im Gegenteil Beamte und Angestellte, die in Küchenkabinetten speziell politisch für einen Minister tätig waren, in die produktive Arbeit des Ministeriums hinein zurückversetzt, ohne sie dabei zu demütigen.
Bedenken Sie, daß Sie im ersten Jahr Ihrer Regierung allein die doppelte Zahl von Entlassungen vorgenommen haben und daß Sie in den 13 Jahren Ihrer Regierung über 112 Minister und Parlamentarische Staatssekretäre verbraucht oder verschlissen oder in Ämter befördert haben, wie Sie es auch auffassen wollen. Ich kann Ihnen versprechen, auch in dieser Hinsicht wird unsere Regierung etwas vorsichtiger sein, obwohl ein Mann wie ich selbst dabei möglicherweise um die Chance kommt, ein solches Amt zu erreichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Wohltaten für Beamte haben wir nicht zu vergeben. Aber die Wiedergutmachung, die darin bestehen mag, daß wir eine dreimonatige Verzögerung der Besoldungsanpassung bei Beamten auf eine zweimonatige Verzögerung zurückschrauben, ist ein Zeichen des guten Willens und der Absicht, Gleichbehandlung aller im öffentlichen Dienst Beschäftigten zu erreichen, wobei Sie uns bitte zustimmen — ich benutze jetzt nur die Argumente, die Sie früher gebracht haben —, daß die Verzögerung um zwei Monate hingenommen werden darf angesichts der Vermehrung der Sozialabgaben im Tarifbereich. Wir glauben, dieses zumuten zu dürfen.Was den Haushalt betrifft: Sie haben gefragt, warum diese Summe nicht im Nachtragshaushalt steht. Das, meine ich, sollte unter Politikern die geringste Sorge sein. Die viel größere Sorge ist, daß in Zeiten Ihrer Regierung zum Teil Beamte der Besoldungsgruppen A 3 und A 4 unter dem Sozialhilfesatz bezahlt werden.
Das ist das Produkt Ihrer Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik. Sie kennen Beamte, die zu ihrem Einkommen Sozialhilfe empfangen. Unser Ziel muß es auf Dauer sein, diesen Bereich zu ordnen. Das werden wir uns vornehmen.
— Keine Probleme, lieber Herr Kühbacher. Mit Ihren klassenkämpferischen Parolen kommen Sie hier nicht weiter.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7731
BrollSie mit Ihrer Partei sind es gewesen, die eine Unmenge von Genossen in diese hohen Positionen hineingebracht haben. Wenn es den einzelnen betrifft, nehmen Sie Dotationen in dieser Höhe offenbar sehr gern an; nur wenn andere es einmal durch Arbeit erreicht haben, dann fällt es Ihnen schwer.
Daß die einmonatige Wiedergutmachung nicht mehr in diesem Jahr ausgezahlt wird — lieber Herr Kühbacher, das wissen Sie doch ganz genau —, liegt an technischen Unmöglichkeiten. Da bis vorgestern nicht die Anweisung des Kabinetts ergangen ist — diese kann wiederum nicht ohne Gesetzesbeschluß ergehen —, ist im Dezember keine Auszahlung möglich. Diese Beamten bekommen den einen Monat Nachzahlung so früh wie möglich. Sie bekommen es nicht als Wahlgeschenk zum 6. März, denn es ist ganz richtig: Die Beamten wissen j a, daß ab Juni nur 2 % und nicht vielleicht 3 oder 4 % Gehaltserhöhung kommen. Dennoch werden diese Beamten sehr wohl zu unterscheiden wissen, wer für das Beamtentum, wer insgesamt für den öffentlichen Dienst auf Dauer zu sorgen imstande ist und wer mit den Staatsfinanzen so sorgfältig umgeht, daß all denjenigen, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, auf Dauer nicht noch viel schlimmere Dinge zugemutet werden müssen, die Sie ihnen bestimmt hätten zumuten müssen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ja doch ganz nützlich, daß wir das kürzlich alles noch zusammen machen mußten. Nun muß es anders herum gemeinsam gemacht werden. Da gibt es nicht sehr viel Manövrierraum für die besonders groben Tricks, nämlich zu sagen: Wir haben immer alles richtig gemacht und die alles falsch oder so. — Wir werden auch das noch aushalten.
— Herr Kühbacher: Mit „wir" meine ich die Freie Demokratische Partei. Wir, die Fraktion der Freien Demokraten, werden das nämlich aushalten, weil wir der Meinung waren, daß einiges so nicht mehr ging und daß sich das jetzt besonders deutlich herausstellt. Deshalb wollen wir uns auch nicht den Vorwurf gefallen lassen, Herr Kühbacher, daß das anders j a ganz prima gewesen wäre. Als Schutzengel des öffentlichen Dienstes sind Sie, wie mir die Haushälter sagen, bis vor kurzem überhaupt nicht bekanntgeworden.
Es betätigen sich jetzt eben andere Schutzengel und andere Teufelchen. Das hängt mit der Aufgabe zusammen und nicht mit der Seelenlage oder dem Grad der Frömmigkeit. So sehe ich das.
Herr Kollege Kleinert, der Herr Kollege Kühbacher hat den Wunsch, eine Frage zu stellen.
Ich bitte darum.
Herr Kollege Kleinert, würden Sie mir bitte bestätigen, daß meine liebevolle Fürsorge bislang immer dem einfachen und mittleren Dienst gegolten hat und daß ich auf Grund meiner kritischen Loyalität ab A 16 aufwärts der Meinung bin, daß Sie, daß wir dort gemeinsam zuviel gemacht haben?
Ich will Ihnen gerne bestätigen, daß ich solche Äußerungen nicht nur vorhin, auch zu früheren Zeiten von Ihnen gehört habe. Meine eigene Ansicht dazu ist, daß wir allerdings, wenn einmal ein System in sich schlüssig sein muß, nicht dazu übergehen können, bei den höheren Gruppen das Höherrücken unter Einschluß der Steuerlasten, nämlich dann im Nettoeinkommen, so herunterzudonnern, daß wir zu einer Nivellierung kommen, die es für eine Reihe von Beamten, die leistungs- und aufstiegswillig sind, uninteressant werden läßt, in diese anderen Gruppen zu kommen. Das muß auch verhindert werden, bei aller Fürsorge für die einfachen Gruppen, deshalb hilft uns diese Differenzierung, wie ich glaube, auch nicht so sehr viel weiter.Sie haben gesagt, es ließe sich ja darüber diskutieren — und ich möchte diesen Vorgang als den schwierigsten und auch politisch gravierendsten gleich herausgreifen; Herr Broll hat dazu auch etwas gesagt —, daß man sich auf 2 % einigt, wenn man nicht gleichzeitig damit den Effekt hätte, daß man die Gewerkschaften und damit im Grunde die Tarifhoheit beeinträchtigt, weil man hier von Staats wegen eine Vorgabe gibt. So kann man das sehen. Aber dann, meine ich, steht doch die volle Wucht der Sachlogik auf der Seite derjenigen, die sagen: Dazu gehört wirklich Mut, an der einzigen Stelle, an der ich es als Staat wirklich in der Hand habe, durch Gesetz einen Teilbereich des Besoldungsniveaus zu beeinflussen, vorher anzukündigen, was ich will, anzukündigen, daß ich dabei bescheiden bleiben will und muß, und die von den Betroffenen — in privaten Gesprächen übrigens mehr als in öffentlichen Äußerungen von Funktionären — zu hörende Opferbereitschaft anzunehmen.
Ich sage das dann aber auch, und lasse mich nicht auf das Ding ein — da bin ich persönlich aus einer Reihe von Gründen, die hier jeden Rahmen sprengen würden, enttäuscht —, daß erst einmal gesagt wird: Wir müssen natürlich im Interesse der Ausgewogenheit und bei den Anfordrungen an die übrigen Gruppen der Bevölkerung auch im öffentlichen Dienst etwas tun, darum sagen wir „1%ige Kürzung". Das Schicksal dieser 1%igen Kürzung ist mit einer der schwächsten Entwicklungen, die zu beobachten waren bei dem, was wir zusammen versucht haben: wie das so allmählich unter dem Beschuß der verschiedenen Beteiligten und Interessentengruppen zusammengebrochen ist und hinterher eben der Koalitionspartner nicht mehr den Mut ge-
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7732 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982
Kleinerthabt hat, das, was wenigstens als ein kleiner Beitrag ursprünglich hier stattfinden sollte, mit uns zu tragen. Das ist kein Grund, heute zu kommen und anderen Vorwürfe zu machen, die vorher ehrlich sagen, wo es langgeht.
— Herr Kühbacher, den Hintergrund der Geschichte wollte ich nicht voll aufblättern. Ich habe im übrigen die Urheber nicht bei den Haushältern vermutet, wenn ich Ihnen das hier sagen darf. Ich könnte Namen nennen, aber das geht mir dann doch zu sehr ins einzelne. Jeder hat j a versucht, sein Teil zu tun. Das Ergebnis steht fest, und das Ergebnis trifft nun allerdings Ihre Fraktion. Wenn Sie innerhalb der Fraktion zwischen den einzelnen Positionen unterscheiden — also: „SPD-Haushälter okay, SPD-Politiker ,öffentlicher Dienst', das ist eine Sache, mit der haben wir ungern zu tun" —, so ist das natürlich in der öffentlichen Diskussion sehr schwer durchzuhalten, meine ich. Aber das wird sich j a alles herausstellen.Nun stehen wir vor der Situation, daß wir vorher sagen wollen, was hier zu geschehen hat. Ich bin von erheblich älteren Kollegen, was ihre Zugehörigkeit zum Bundestag betrifft, daran erinnert worden, daß es einmal so gewesen ist, daß der Staat mit schöner Selbstverständlichkeit dieses als eine Haushaltsfrage, als eine Frage der Ordnung der staatlichen Verhältnisse angesehen hat: vor den Tarifabschlüssen der Gewerkschaften die Besoldung der Beamten im öffentlichen Dienst zu regeln durch das ihm zustehende Gesetz. Von dieser Übung ist man erst im Laufe der Jahre abgekommen. Woraufhin mir ein guter alter Freund einmal gesagt hat: Was jetzt da wieder läuft — und auch da haben sich Vertreter meiner Partei nach meiner persönlichen Auffassung nicht mit Ruhm bekleckert — in den Verhandlungen mit den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, das wird voll auf uns im höheren Dienst durchschlagen; die Kameraden holen uns da — es wird wohl in Stuttgart gewesen sein; dort ist das ja häufig gewesen — jetzt das knusprige Ferkel aus dem Ofen, und hinterher wird das per Gesetz bei uns nachgeschoben.
Ob das die Wahrnehmung der vollen Verantwortung des Staates in diesem Bereich ist, in dem er ja nicht Tarifpartner ist, sondern eben — und dies doch deswegen, weil unsere Rechtsordnung das will — die gesetzliche Hoheit hat, wage ich allerdings zu bezweifeln.
Dann, wenn es so ist, daß diese Verantwortung durch Gesetz hier angesiedelt ist, muß sie durchaus nicht immer — das soll man jetzt gar nicht irgendwie zu einer Regel machen wollen —, aber wenigstens in offensichtlichen Krisenzeiten auch wahrgenommen werden, damit die Leute, insbesondere die Betroffenen, wissen, woran sie mit uns sind. Uns daraus einen Vorwurf in der Art, wie Sie es getan haben, zu machen, weise ich aus diesen Gründen, die meiner Ansicht nach insonderheit von den Betroffenen verstanden werden, jetzt noch einmal mit Nachdruck zurück.
Nun komme ich zu dem weiteren angesprochenen Punkt — der bei aller notwendigen Sorgfalt der Haushälter doch einen etwas kleineren Rahmen hat — der „enormen Einbußen", die wir im Umweltschutz durch eine Streichung von 28 Millionen, die Sie namhaft gemacht haben, bei insgesamt knapp einer halben Milliarde, die im Bereich des Umweltschutzes ausgegeben wird, zu verzeichnen haben. Bei dem erwähnten Volumen — das sicherlich dort, wo es sinnvoll ist und wo die Kassen es erlauben, noch erhöht werden sollte — machen sich diese 28 Millionen ohnehin schon nicht sehr großartig aus, und dann muß man auch noch wissen, daß es sich um eine Streichung von Beträgen für die Verbesserung von sogenannten Altanlagen handelt, bei denen jetzt von etwa 120 Millionen diese 28 Millionen mit dem Ergebnis, daß sich 94 Millionen ergeben, gestrichen werden — mit der Folge, daß wir für den nächsten Haushalt unter dem Strich in diesem Bereich immer noch 4 Millionen mehr haben, als es im Jahr zuvor der Fall war. Es ist also dort, wo Sie eine ungewöhnlich dramatische Kürzung vermuten, eine Steigerung eingetreten.
— Das Ganze ist geschehen, Herr Kühbacher, weil der zuständige Staatssekretär im Bundesinnenministerium, unser Freund Hartkopf, der seit langem als energischer Kämpfer für möglichst viele und möglichst wirkungsvolle Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes bekannt ist, gesagt hat: Diese 28 Millionen fließen — aus den und den technischen Gründen — da überhaupt nicht ab,
und deshalb können sie gestrichen werden.
Herr Präsident, zum Schluß kommen möchte ich mit der Bemerkung, daß das, was hier erspart wurde, in etwa mit einer Kapitalerhöhung bei der Bank für Lastenausgleich wieder eingestellt worden ist, um damit im Mittelstand einzelne Existenzen, die sich auch um eine Verbesserung unserer gesamten Lebensqualität — insbesondere in Sachen Arbeitsplätze — bemühen, besser fördern zu können. Das scheint mir eine sehr sinnvolle Entscheidung zu sein. Wenn Sie also den einen Posten beklagen, sollten Sie auch sagen, wo er geblieben ist, und Sie sollten sagen, wo er verschwunden ist, statt zu sagen, wir hätten hier — bei einem so lächerlichen und im übrigen ja durchaus im einzelnen diskutierbaren Betrag, bei einem für uns mit gutem Ergebnis diskutierbaren Betrag — den Umweltschutz gemindert.Wir müssen also, da wir uns genügend lange kennen und auch durchaus freundschaftlich kennen — was in vielen Lebensverhältnissen die Folge hat, daß man sich gegenseitig nicht so leicht hinter die
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KleinertFichte führen kann —, auch weiterhin in der Diskussion vorsichtig sein. — Ich danke Ihnen.
Ich erteile der Frau Abgeordneten Traupe das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Leistungen einer Regierung werden nicht nur nach ihren Worten gemessen. Aber unser Kollege Gärtner hatte schon recht, als er dem neuen Koalitionspartner der FDP, Ihnen von den Unionsparteien, empfahl, die Archive zu schließen, damit man Ihre bis zum 17. September 1982 gehaltenen Reden nicht mehr herausholen könne. Meine Herren, Sie haben eine unglaubliche Schnelligkeit besessen, die Argumente seit dem 1. Oktober 1982 auszutauschen.Nun hat der neue Finanzminister immer Wert darauf gelegt, Fairneß und Vernunft in der Politik zu betonen. Deshalb vermute ich, daß er sich in den letzten Wochen bisweilen schamvoll und im stillen bedauernd an die finanz- und wirtschaftspolitischen Aussagen der eigenen Parteifreunde und auch an seine eigenen früheren Aussagen erinnert, die er in bezug auf die Beschlüsse der alten Bundesregierung gemacht hat.Auch über das gespaltene Bewußtsein etlicher FDP-Kollegen möchte ich einige wenige Worte verlieren.Herr Kollege Hoppe, ich kann Ihnen eine Erinnerung nicht ersparen. Als wir am 15. Juni 1982 in der gemeinsamen Arbeitsgruppe von FDP und SPD zusammensaßen und über die Richtigkeit der Haushaltsdaten für das Etatjahr 1982 angesichts des ersten Nachtragsentwurfs, der gerade bevorstand, sprachen, hatten wir alle — Sie wie wir von der SPD — unsere Zweifel. Ich hatte Sie als stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden darum gebeten, wir sollten angesichts der unsicheren Haushaltsdaten mit der Aufstellung des Entwurfs 1983 erst im Herbst anfangen. Da waren es gerade Sie, der besonders massiv darauf hinwies, die FDP wolle den Wählern vor den hessischen und den bayerischen Landtagswahlen zeigen, wer in der Bundesrepublik dafür sorgen werde, daß der Bundeshaushalt 1983 am 1. Juli 1982 besonders streng und mit niedriger Verschuldungsquote aufgestellt werde.
Zweifel an der Richtigkeit der Konjunkturdaten ließen Sie, Herr Kollege Hoppe, nicht aufkommen. Schließlich zeichnete der eigene Parteifreund und Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff dafür verantwortlich. Nach den Spielregeln des alten und des neuen Kabinetts ist er für die Wirtschaftsdaten immer noch verantwortlich.Jetzt, am 10. November 1982, beraten wir den zweiten Nachtragshaushalt 1982, und das bei einer Nettokreditaufnahme, die Sie schamvoll noch bei 39,9 Milliarden DM angesetzt haben. Bei einem Gesamtvolumen von 246,6 Milliarden DM sind dies immerhin satte 15 %. Am Ende des Jahres wissen Sie aber ganz genau, daß wir die 40-Milliarden-DM- Grenze überschritten haben werden.
Meine Vorredner aus der eigenen Fraktion haben schon darauf hingewiesen, daß sich auch die uns heute vorliegenden Daten nicht als richtig erweisen werden. Die Nettokreditaufnahme wird im Jahr 1983 wahrscheinlich um 2 Milliarden DM und mehr höher liegen, als sie jetzt mit 41,5 Milliarden DM angesetzt wird.Auch das Gesamtvolumen mit 253,84 Milliarden DM ist nicht realistisch. Angesichts der wirtschafts- und finanzpolitischen Sorgen der Bundesrepublik Deutschland kann ich keine Schadenfreude darüber empfinden, daß Sie vorher als Opposition den Mund so voll genommen haben.Die Mitglieder der FDP-Fraktion einschließlich Wolfgang Mischnick mögen sich fragen, was ihnen ihre Muskelspiele im Juni/Juli dieses Jahres gegenüber dem damaligen Koalitionspartner, den Sozialdemokraten, nun wirklich eingebracht haben. Etlichen traue ich übrigens zu, daß sie die innerparteiliche Bilanz realistisch aufstellen. Sie fällt nicht positiv für Sie aus.Meine sehr geehrten Damen und Herren, angesichts immer neuer Hiobsbotschaften vom internationalen und vom nationalen Arbeitsmarkt fragen die Menschen im Lande, welche sachlichen Lösungen wir ihnen im finanz- und wirtschaftspolitischen Bereich anzubieten haben. Unsere Wortschlachten haben die Arbeitnehmer und Selbständigen satt.
die sich nun um ihren Arbeitsplatz und ihre Existenzgrundlage sorgen. Das Märchen von der Erblast glaubt Ihnen, Herr Kollege Haase, und anderen kein aufgeweckter Bürger mehr. Schließlich schlossen z. B. die USA ihren Haushalt 1982 mit dem stattlichen Fehlbetrag von 110,7 Milliarden Dollar oder mehr als 275 Milliarden DM ab.
— Nun warten Sie doch ab! — Das Defizit lag damit mehr als doppelt so hoch, als es die Bundesregierung in Washington vor Jahresfrist mit 45 Milliarden Dollar geschätzt hatte. Für 1983 sagt Wallstreet sogar ein Haushaltsdefizit von 200 Milliarden Dollar angesichts der anhaltenden Schwäche der amerikansichen Wirtschaft voraus.Sie wissen genau, daß ich dieser Liste eine stattliche aus allen anderen angesehenen westlichen Industrieländern hinzufügen könnte, die sehr große Sorgen haben. Nur — geben wir es trotz der späten Stunde zu —, auch wir haben nun diese großen Sorgen.In dieser Situation kann ich als Sozialdemokratin — auch eingedenk früherer eigener Fehler — Ihnen nur sagen: Wir werden den von Ihnen eingeschlage-
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Frau Traupenen Weg so nicht mitgehen. Wir werden Unsozialem und zugleich Unvernünftigem nicht zustimmen.
Aber angesichts der Schwere der Wirtschaftskrise werden wir die Zusammenarbeit auch nicht verweigern, wenn Sie sich ehrlich darum bemühen.
Schließlich dürfen wir alle nicht zuerst unseren Sozialstaat und dann die parlamentarische Demokratie aufs Spiel setzen.Zu dieser Zusammenarbeit kann es jedoch nur kommen, wenn Sie sich unseren Argumenten öffnen. Ich verlange noch nicht, daß Sie sich gleich anschließen. Und da haben Sie zuerst die Frage zu beantworten, wie Sie es denn eigentlich mit Ihrem christlichen Selbstverständnis verantworten können, über die rückzahlbare Zwangsanleihe und die allgemeine Steuererleichterung für alle Investitionen, ob sie sinnvoll oder unsinnig sind, die Bessergestellten zu schonen, aber über Ihre verschiedenen Kürzungsvorschläge die Klein- und Normalverdiener, die Rentner, die Schüler und die Studenten zu treffen. Wir als Sozialdemokraten sagen nein zu Ihrer Einsammel- und Kürzungsaktion bei breiten Schichten der Bevölkerung.
Wir sagen nein zu Ihren Steuervergünstigungen und Investitionsanreizen, die auch von vielen eingestrichen werden, die sie überhaupt nicht verdient haben. In dieser finanz- und wirtschaftspolitischen Lage sind wir bereit, Einkommensgrenzen für Kindergeldbezieher zu akzeptieren. Aber welch ein Zynismus steckt dahinter, wenn Sie für die Besserverdienenden wieder die Kinderfreibeträge wie vor 1975 einführen und die Kappung des Ehegattensplittings mit dem nebulösen Hinweis vom Tisch fegen, Sie würden einen geplanten Familienlastenausgleich einbringen.
— Das habe ich bewußt gesagt, Herr Haase.
— Die Lösung beim Finanzamt? Das ist sehr viel.
Die wäre sehr sinnvoll. Die haben ja bestimmte Leute damals verhindert.Was denken Sie sich eigentlich, wenn Sie immer wieder auf den Mißbrauch bei der Schüler- und der Studentenförderung hinweisen, wo Sie doch eigentlich nur zu genau wissen müßten, daß Arbeitnehmer ihre Einkommen exakt nachweisen können, aber gutgestellte Landwirte und Selbständige diese Leistung deshalb zu Unrecht in Anspruch nehmen konnten, weil CDU/CSU und FDP sich stets hartnäckig weigerten, das Bank- und Steuergeheimnis für amtliche Nachfragen zu lockern?
Wenn Sie hier, Herr Haase, mit uns
die entstandenen Mißbräuche bekämpfen könnten, hätten Sie uns als Partner gewonnen. Aber solange das Finanzaufkommen für die BAföG-Regelung nach der bisherigen Form von Bund und Ländern für Schüler und Studenten zusammen 1983 nicht einmal 3,6 Milliarden ausmachen würde, hingegen die Anschaffung, die Entwicklung, die Ausrüstung und die Unterhaltung eines einzigen Waffensystems, des Tornado, allein mit mehr als 4,3 Milliarden im Jahr 1983 ausmacht — —
— Das halte ich für einen sehr wichtigen Zusammenhang. Der tut Ihnen weh; das weiß ich.
— Der tut Ihnen deshalb weh. Das ist ein sehr wichtiger Zusammenhang, weil man an diesem plastischen Beispiel den Menschen klarmachen kann,
wie zynisch das ist. Über das Flugzeug werden wir an anderer Stelle debattieren.
— Also, Herr Friedmann, die Stunde ist schon spät, aber doch nicht so spät. — Sie werden unsere Zustimmung zu diesen BAföG-Regelungen nicht bekommen. An die Kollegen auf der Hardthöhe: Natürlich werden wir in dieser Situation zusätzliche Lasten für das NATO-Infrastrukturprogramm nicht mittragen können. Wie stellen Sie es sich denn vor, Renten und BAföG-Leistungen zu kürzen, aber für immer neue militärische Anlagen noch mehr Geld in dieser Zeit auszugeben?
— Das geht nicht gegen die Amerikaner, das wissen Sie genau.
Weiterhin halte ich es für falsch, die Steigerungsrate bei der Besoldung im öffentlichen Dienst einheitlich niedrig zu halten. Kommen wir zurück zum Unteroffizier oder Feldwebel mit maximal A 7/A 8
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Frau Traupebei der Bundeswehr, der in dieser Zeit sehr viel mehr Sorgen hat, finanziell über die Runden zu kommen — ich gehe gar nicht bis zur B-Besoldung —, als der beamtete Lehrer mit A 12 bis A 15.Die allgemein geplante sechsmonatige Verschiebung der Rentenanpassung trifft vor allen Dingen die Rentnerin, die nach 40jähriger Arbeitszeit als Arbeiterin noch eine sehr niedrige Rente hat. Es trifft sie mehr als jene, bei denen Mann und Frau zusammen als ehemalige Angestellte viel mehr beziehen, bei denen allein die Rente der Frau oder des Mannes in der Regel schon höher ist als die der Arbeiterin. Wir machen Ihr Abschöpfen von Kaufkraft bei jenen Bevölkerungsgruppen nicht mit, die noch realistischen Bedarf und berechtigte Wünsche, ja finanzielle Sorgen haben.Wir glauben auch, daß Ihre „Maßnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung" den Titel nicht verdient haben. Nach welchen Maßstäben haben Sie gerade 50 Millionen DM für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" aufgestockt? Nach welchen Maßstäben legen Sie 230 Millionen DM für den Hochschulbau auf, obwohl Sie doch in Zukunft gleichzeitig beabsichtigen, junge Menschen aus einfachen Schichten vom Studium abzuschrecken?
Meine Damen und Herren, auch bei der Gewerbesteuer freut es mich, daß zwar die Handschrift der FDP zu erkennen ist, daß aber die Mitglieder der CDU/CSU und der SPD zusammen im Städte- und Gemeindebund, beim Städtetag und überall diese Vorschläge abgelehnt haben. Wir als Repräsentanten der Kommunen glauben sowieso nicht, daß Sie für diese am Ende mehr übrig haben.
Frau Abgeordnete Traupe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ? — Bitte, Herr Abgeordneter Jäger (Wangen).
Frau Kollegin, woher nehmen Sie heute abend den Mut, von Kaufkraftabschöpfung bei Rentnern zu sprechen, da es Ihre Freunde in diesem Hause waren, die drei Jahre hintereinander willkürliche Kürzungen bei den Zuwächsen der Renten vorgenommen haben, anstatt den Rentnern das zukommen zu lassen, was ihnen auf Grund des Einkommenszuwachses der arbeitenden Bevölkerung zugestanden hätte?
Herr Jäger, ich antworte Ihnen ganz klar: weil wir Anpassungen der Renten nicht zu einem Zeitpunkt vorgenommen haben, als sie weniger schmerzlich waren. Ich darf nur an das erinnern, was Sie selbst auch dazu gesagt haben. Ich erinnere mich auch an das, was Sie vorher zu unseren jetzt vorliegenden Plänen gesagt haben.Meine Damen und Herren, ich habe einen ländlichen Wahlkreis, in dem die Arbeitslosigkeit in manchem Bereich erschreckend hoch geworden ist
— warten Sie doch erst einmal ab —, und zwar durch Arbeitsplätze, die vernichtet worden sind, obwohl hervorragende Produkte hergestellt worden sind.
Meine Arbeitnehmer aber glauben, eben weil sich im ländlichen Raum alle gut kennen, das Märchen von den niedrigen Gewinnen nicht. Denn sie haben selbst beobachten können, wie ihrem Betrieb Kapital entnommen und in ausländische Immobilien oder in Dollars angelegt worden ist.
— Was sagen Sie denn diesen Mitarbeitern, die jetzt den Arbeitsplatz ohne ihr Verschulden verloren haben? Welche Antworten geben Sie den jungen Leuten, die dort in solchen Regionen nun keinen Arbeits- und Ausbildungsplatz mehr finden?
Meine Damen und Herren, welcher Zynismus liegt darin, daß Sie jetzt ein Wohnungsbauprogramm auflegen wollen — gegen das ich nichts hätte —, wenn auf der anderen Seite die Arbeitnehmer seit zwei Jahren realen Kaufkraftverlust hinnehmen mußten. Niemand, der nicht gerade eine feste Beamtung im öffentlichen Dienst hat, wird mit diesen Anreizen jetzt anfangen, einen Neubau in Angriff zu nehmen, Herr Kollege Schneider. Erkundigen Sie sich bitte einmal, wie hoch die Hypothekenzinsen immer noch liegen.Ich sehe, daß meine Zeit um geht. Ich hätte Ihnen ganz gern noch etwas erzählt zu den Wünschen, die auch Arbeitnehmer haben und die sie sich nun nicht mehr erfüllen können.
— Ja, beispielsweise.
— Schönen Dank.
Wir müssen sehr gründlich aufpassen. In früheren Zeiten, meine Damen und Herren, haben solche Krisensituationen in Kriege hineingeführt. Hüten wir uns davor, daß wir jetzt als Demokraten nicht unsere Schularbeiten versäumen und eine schwierige Lage nicht meistern. Ich bitte Sie sehr herzlich, daß wir alle zusammen versuchen, Vorschläge zur Lösung der Arbeitslosigkeit zu finden, die diesem Anspruch auch gerecht werden.
— Ach, wissen Sie, wenn ich Zeit hätte, würde ich Ihnen einmal erzählen, wer denn alles die Steuer-
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Frau Traupesenkungen und sonstige Vorschläge gemacht hat, wer uns in Steuerpakete hineingetrieben hat, in den Unsinn, den wir dann alle zusammen gemacht haben, obwohl Ihre Haushaltspolitiker genauso anderer Meinung waren wie wir. Fragen Sie einmal den Herrn Carstens, fragen Sie doch Herrn Häfele, wie der 1979 angefangen hat mit Steuersenkungen und was Herr Haase dazu gesagt hat.Also, wir wollen das Thema bitte lassen. Ich hätte es Ihnen gern noch im einzelnen gesagt. Es ist schmerzlich für die Menschen im Lande, daß sie das Gefühl haben, wir reden zuviel und handeln zuwenig.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Stavenhagen.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon spät, aber ich hätte mir dennoch gewünscht, daß aus dem Kreis der Haushalts- und Finanzpolitiker einige mehr an dieser Debatte teilgenommen hätten,
insbesondere einige, die heute mittag kräftige Töne angeschlagen haben, die man so nicht stehen lassen kann. Diese Kollegen müssen es sich schon gefallen lassen, daß ich dann in ihrer Abwesenheit antworte.
Ich möchte zunächst auf einiges eingehen, was die geschätzte Kollegin Traupe angesprochen hat. Eines der Themen, das in der Debatte immer wiederkehrte, ist das der falschen Prognose. Ich hatte noch nie die Ehre, einem Kabinett anzugehören. Ich dachte mir aber, daß man dort gemeinsam über Eckdaten beschließt und gemeinsam befindet. Ich dachte mir immer, daß einem Kabinett jemand vorsteht, nämlich der Bundeskanzler, der mit seiner Gesamtverantwortung dies tragen muß. Nun zuzuschieben, wer sich mit der Prognose geirrt habe, oder zu sagen, die Prognose kann zwar nicht hinhauen, aber auf der falschen Prognose aufgebaut, ist das alles stocksolide, dies finde ich schlecht. Dies trägt zur Unglaubwürdigkeit der Politik der SPD bei.
Wir mußten doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, einen Haushalt übernehmen, der in den Grundfesten
falsch war:
10 Milliarden DM weniger Steuern, als die Damen und Herren geschätzt haben; 8 Milliarden DM müssen wir mehr nach Nürnberg zahlen. Man rechnete damals im Ernst noch mit einem realen Wachstum von 3 %. Null Prozent werden wir haben.
— Das Kabinett, das sind doch alle. Da können doch die anderen nicht sagen: Das geht mich nichts an; laßt den Lambsdorff falsch rechnen, dann sind wir fein raus. So kann es doch wohl nicht gewesen sein.
Herr Abgeordneter Stavenhagen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffmann ?
Ja, bitte.
Herr Abgeordneter Hoffmann.
Herr Kollege, da Sie gerade davon gesprochen haben, daß dieses Gerüst insgesamt falsch gewesen sei: Wie erklären Sie dann eigentlich die Tatsache, daß der gesamte Haushalt 1983 nicht zurückgezogen wurde, sondern daß Sie lediglich einen Ergänzungshaushalt vorgelegt haben? Wie erklären Sie sich die Tatsache, daß sich die Investitionsrate des neuen Haushalts von der Investitionsrate des alten Haushalts nicht unterscheidet?
Lieber Herr Kollege, ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie von uns das Unmögliche erwarten. Wir sind auch gut. Wir haben in wenigen Wochen einiges auf den Weg gebracht, wozu Sie überhaupt nicht mehr fähig waren.
Wir haben nämlich zum einen einen Schritt in Richtung einer qualitativen Konsolidierung gemacht, d. h. die Verschiebung der Gewichte weg vom Verbrauch und hin zu den zukunftsorientierten Ausgaben.
Wir haben einen zweiten Schritt in Richtung einer quantitativen Konsolidierung gemacht, indem wir beim strukturellen Defizit ansetzten.Dies alles geschah in wenigen Wochen. Sie haben den neuen Ergänzungshaushalt auf dem Tisch. Sie waren im August am Ende Ihres Lateins, Herr Kollege. Das ist die Situation, die wir angetroffen haben.
Ich möchte auf ein zweites Argument eingehen, das die Frau Kollegin Traupe das „Märchen von der Erblast" genannt hat. Dazu möchte ich noch das eine oder andere sagen. 1969 hatten wir 180 000 Arbeitslose, und jeder von ihnen konnte zwischen vier freien Stellen auswählen. Heute haben wir 2 Millionen Arbeitslose, davon rund 200 000 Jugendliche.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7737
Dr. StavenhagenAuf 18 Arbeitslose kommt nur noch eine freie Stelle.
1969 wurden, was man sich heute kaum noch vorstellen kann, an Schulden netto 1,2 Milliarden DM zurückgezahlt. Seit 1975 kennen wir nur noch zweistellige Milliardenbeträge in der Neuverschuldung. 1969 hatten wir 5 % Wirtschaftswachstum; heute sind es 0 %. Wir haben zur Zeit täglich zwischen 40 und 50 Firmenzusammenbrüche. In diesem Jahr werden rund 15 000 Konkurse zu beklagen sein. Das ist nicht nur ein Nachkriegsrekord, sondern das ist auch mehr als im gesamten Deutschen Reich im Jahre 1931. Der Anteil der Investitionen am Bruttosozialprodukt ist von 27 % auf 21 % gesunken.In der Zeit, in der Sie das moderne Deutschland bauen wollten, sind wir in Forschung und Technik nur noch Mittelmaß. In der Kernenergie haben wir den Anschluß verloren.
Bei der Mikroelektronik können wir nicht mehr mithalten. Bei neuen Technologien wie der Biotechnologie sind wir ein Niemand.Das ist die Bilanz. Auf der anderen Seite aber sind die Sozialausgaben in diesem Zeitraum von 174 Milliarden DM auf 484 Milliarden DM gestiegen. Das heißt, heute wird rund ein Viertel aller Einkommen nicht mehr durch Leistung erworben, sondern vom Staat als soziale Wohltat zugeteilt. Das Ergebnis kann natürlich nicht ausbleiben: Die Verschuldung ist beim Bund von 45 Milliarden DM auf 310 Milliarden DM am Ende dieses Jahres gestiegen.Das ist die Erblast, die wir angetroffen haben. Mit dieser Erblast müssen wir fertig werden. Erlauben Sie uns bitte, nachdem Sie 13 Jahre gebraucht haben, um dieses anzurichten, daß wir wenigstens eine vernünftige Zeitperiode haben, um dies in Ordnung zu bringen.
Diese Zeitperiode werden wir auch haben. Am 6. März werden wir einen klaren Auftrag bekommen — das verspreche ich Ihnen —, dieses Konsolidierungswerk fortzusetzen.
Herr Walther hat das Thema Neuwahlen angesprochen und bezweifelt, daß wir das erreichen. Ich lese in der Presse, daß es in der SPD-Zentrale eine Analyse gebe, warum man als SPD-Frau oder -Mann eigentlich nicht für Neuwahlen sein, sondern bis 1984 warten sollte.
Denn der Altbundeskanzler Helmut Schmidt habe ja in der Fraktion selber durch seine Abschiedsrede der Legende vom Verrat den Boden entzogen.
— Ich will schnell die fünf Punkte bringen, die ich dort gefunden habe, Herr Kollege Roth.Im März 1983 dürfte es schwer sein, die Arbeitslosen der Regierung Kohl ans Bein zu binden; da könne man das noch nicht so gut machen. 1984 wären es die Arbeitslosen der CDU. Außerdem wäre dann das Thema der Nachrüstung ganz oben, dann könnte man die Regierung Kohl als Raketenregierung darstellen.Also haben offenbar Sie es mit Neuwahlen nicht so eilig. Aber wir werden das erreichen.
Herr Abgeordneter Stavenhagen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?
Ja.
Herr Dr. Stavenhagen, sagen Sie uns doch noch die Zeitung, aus der Sie das am letzten Sonntag herausgeschnippelt haben.
Natürlich, Herr Kollege: Es ist die „Welt am Sonntag". Haben Sie etwas dagegen?
— Die Plaketten tragen sie heute nicht mehr. Aber, Herr Kollege, ich muß auf die Uhr schauen; denn ich möchte doch noch mit einigen Argumenten aufräumen.Eine der Thesen von heute nachmittag lautete — wiederholt angesprochen —, der neue Haushalt sei ein Dokument des Zynismus. Ich will Ihnen sagen, was Zynismus ist: nachdem wir fünf oder sechs Wochen an der Regierung sind und Sie vorher 13 Jahre regiert haben, so zu tun, als ginge Sie das alles nichts an, als hätten Sie das alles nicht gemacht, als wären Sie von weiß Gott woher gekommen und träfen jetzt diese schreckliche Welt an.
Das ist Zynismus.
Wenn Sie in diesem Zusammenhang das Thema christliches Selbstverständnis ansprechen, will ich Ihnen etwas sagen: Die größte soziale Ungerechtigkeit ist Arbeitslosigkeit.
Wenn man darangeht, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, und Sie nun mit der Briefwaage kommen und behaupten, das sei sozial nicht ausgewogen, muß ich Sie daran erinnern: Wenn Sie sich die Entwicklung der Investitionen in den letzten Jahren anschauen, wissen Sie so gut wie wir, daß wir eine Investitionslücke haben. Wenn das richtig ist, muß man dort ansetzen. Investitionsförderung kann im Augenblick dieser Maßnahme zweifellos nicht den
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Dr. Stavenhagenletzten Anspruch auf soziale Ausgewogenheit erfüllen. Aber Investitionsförderung ist auf lange Sicht eben sozial, weil sie Arbeitsplätze sichert und neue Arbeitsplätze schafft. Das ist sozial.
Sie sollten sich hüten, uns in irgendeiner Form vorzuwerfen, wir machten unsere Politik nicht auf Grund christlicher Verantwortung.
— Einen Moment.Sie sprechen immer das Thema Umverteilung von unten nach oben an. Seit 1975 — ich hatte es schon gesagt — haben wir jedes Jahr zweistellige Milliardenbeträge an neuen Schulden, obwohl wir in den Jahren 1976 bis 1979 Wachstumsraten hatten,
von denen wir heute träumen würden: 5,3 %, 2,8 %, 3,6 %, 4,4 %. Trotzdem waren Sie nicht in der Lage, in diesen relativ günstigen Jahren mit den Einnahmen fertig zu werden. Ihre Ausgaben haben die Einnahmen stets um zweistellige Milliardenbeträge überschritten.
In dieser Zeit, von 1975 bis 1982, haben Sie 100 Milliarden DM an Zinsen bezahlt. Wenn Sie von Umverteilung von unten nach oben sprechen, empfehle ich Ihnen, einmal zu analysieren, wer für die Zinsen aufzukommen hat und wer die Zinsen kassiert. Das ist Umverteilung von unten nach oben in einer Zeit, in der das nicht notwendig gewesen wäre.
Deswegen sollten Sie mit dem Argument der Umverteilung von unten nach oben vorsichtig sein, wenn wir jetzt beim ersten Schritt den Schwerpunkt auf die Belebung von Investitionen legen müssen.Ich frage Sie: Was ist denn daran unsozial, wenn man beim Kindergeld eine Einkommensgrenze einführt?
Ist es denn ein Steuergeschenk an Gutverdienende, wenn ein Arbeitnehmer für ein Familienheim, das er bauen will, die Schuldzinsen abziehen kann? Ist es denn ein Steuergeschenk an Gutverdienende, wenn mittelständische Unternehmer bei der Gewerbesteuer entlastet und damit Investitionen möglich, also auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden? Was haben Sie denn mit der Milliarden-Bürgschaft an AEG gemacht? War das ein Steuergeschenk an Gutverdienende oder war das eine bitter notwendige Maßnahme, um einen gigantischen Zusammenbruch zu verhindern?
Sie können doch das, was Sie früher gemacht haben, nicht heute mit Ihren eigenen Argumenten diffamieren und in Zweifel ziehen.
Zu den Demonstrationen in Stuttgart und anderswo: Wenn dort von der Wiedereinführung des Faustrechts gesprochen wird, so muß ich Ihnen sagen, daß das eine ganz schlimme Sache ist. Mit solchen Männern das Gespräch zu suchen ist außerordentlich schwer. Wenn jemand nicht einsieht, daß in dieser Situation, in dieser schwierigen Zeit, in dieser schwierigen wirtschaftlichen Lage die Solidarität aller gefordert ist, nicht aber die Ellenbogengesellschaft derer, die Arbeit besitzen, gegen die, die draußen stehen — und die denen durch massive Forderungen auch noch die Wiedereingliederung in das Arbeitsleben massiv verhindern —, dann wird das Gespräch sehr schwer. Wer die Feuerwehr beschimpft, weil sie den Brand löscht, statt vor Jahren den Brandstifter zu verjagen, handelt für mich nicht sehr überzeugend.
Wenn die Gewerkschaften von den Rezepten der 50er Jahre sprechen, dann muß ich sagen: Die Gewerkschaftsführer, die mehrheitlich in der SPD sind, hätten ihren Parteifreunden beizeiten sagen müssen, was Interessen der Arbeitnehmer sind, nämlich sichere und zuverlässige Arbeitsplätze. Jetzt auf die Straßen zu gehen, das schafft keinen einzigen neuen Arbeitsplatz, sondern man muß gemeinsam solidarisch diesen Trümmerhaufen wegschaffen. Das muß natürlich auch für den öffentlichen Dienst gelten; denn im Jahre 1982 ist es ein besonderer Wert, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben. Auch dies muß man in dieser ganzen Diskussion einmal sagen.
Gerade die, die in den Gewerkschaften die leitenden Positionen haben, sollten einmal wirklich mit der Masse ihrer Mitglieder reden. Wir hätten in Baden-Württemberg und in Bayern nicht diese Wahlergebnisse, wenn wir dort nicht auch bei den Arbeitnehmern eine absolute Mehrheit hätten, weil diese Arbeitnehmer ihre Interessen bei uns gut vertreten fühlen.
Ich kann diesen Gewerkschaftsführern nur empfehlen, nicht an den Interessen ihrer Mitglieder vorbeizuhandeln, sondern mit uns das Gespräch zu suchen, damit wir gemeinsam in der Solidarität die Dinge in Ordnung bringen, die 13 Jahre lang versäumt, verfehlt und falsch gemacht worden sind.Wir haben ein schweres Erbe übernehmen müssen.
Wir können dieses Erbe bewältigen, wenn wir klarmachen, daß nicht Betreuung, sondern Besinnung auf die eigenen Kräfte und Fähigkeiten das Gebot der Stunde ist, wenn wir klarmachen, daß die Arbeit
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1982 7739
Dr. Stavenhagennicht andere, sondern wir selbst tun. Der zentrale Satz in der Regierungserklärung von Helmut Kohl war für mich:Die Frage der Zukunft lautet nicht, wieviel mehr der Staat für seine Bürger tun kann. Die Frage der Zukunft lautet, wie sich Freiheit, Dynamik und Selbstverantwortung neu entfalten können. Auf dieser Idee gründet die Koalition der Mitte.Meine Damen und Herren, ich will hinzufügen: Wer in der Zukunft, obwohl er sich auf Grund seiner eigenen Möglichkeiten und Situation ehrlich bemüht, in Schwierigkeiten ist, der hat Anspruch auf die Solidarität der Gemeinschaft, nicht aber derSchlaumeier und Drückeberger. Auch das müssen wir den Leuten klarmachen. — Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen für die heutige Sitzung liegen nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 11. November 1982, 9 Uhr ein. Sie beginnt mit der Fortsetzung der Aussprache zu den Tagesordnungspunkten 2 bis 7.
Die Sitzung ist geschlossen.