Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Sitzung ist eröffnet.
Kaum eine Woche, seitdem wir unseres verstorbenen Kollegen Adolf Scheu gedacht haben, ist es meine traurige Pflicht, Ihnen den Tod unseres vom ganzen Hause hochgeschätzten Kollegen Egon Höhmann bekanntzugeben. Er starb am Freitag, dem 19. Januar, hier in seiner Bonner Wohnung. Der Tod traf den 52jährigen mitten in seiner parlamentarischen Arbeit.Egon Höhmann wurde am 29. September 1926 in Sandershausen im Landkreis Kassel als Sohn eines Lehrers geboren. Nach dem Volksschulbesuch entschloß er sich, selbst Lehrer zu werden. Er besuchteeine Lehrerbildungsanstalt, meldete sich aber — 17jährig — im Mai 1944 als Freiwilliger zum Wehrdienst. Er wurde als Fallschirmjäger ausgebildet und kam während der Ardennenoffensive zum Einsatz. Kurze Zeit später' wurde er bei Rees am Niederrhein schwer verwundet und war seitdem zu 100 °/o kriegsbeschädigt. Wir alle haben seine große, kräftige, durch die Kriegsverwundung schwer getroffene Gestalt vor Augen.Nach dem Kriege hätte sich Egon Höhmann Ruhe und Pflege gönnen können, aber dafür war er nicht geschaffen. So setzte er, sobald es ging, seine unterbrochene Lehrerausbildung fort und wurde nach deren Abschluß Lehrer in verschiedenen Orten in der Umgebung von Kassel.Bald engagierte er sich auch in der Politik. Er fand seine politische Heimat in der Sozialdemokratie und lernte die Parteiarbeit von der Basis her kennen: 1946 zunächst in der Sozialistischen Jugend, seit 1948 in der SPD selbst. Er wurde 1954 Kreisvorsitzender und Kreistagsabgeordneter seiner Partei im Kreis Witzenhausen sowie Mitglied des SPD-Bezirksvorstandes Hessen-Nord. Seit 1957 vertrat er den Wahlkreis Werra-Meißner im Deutschen Bundestag. Er gehörte dem Hause somit 21 Jahre an.In der parlamentarischen Arbeit nahm sich Egon Höhmann zunächst der Sorgen der Kriegsopfer an, zu denen er ja selbst gehörte. Er erreichte manche gesetzliche Verbesserung. Er gehörte ferner dem Verteidigungsausschuß an, wo er Berichterstatter für Wehrtechnik und Beschaffung war. Sein eigentlichesparlamentarisches Betätigungsfeld fand Egon Höhmann jedoch im damaligen Gesamtdeutschen Ausschuß. Er kannte die mit der Teilung Deutschlands verbundenen Probleme durch persönliches Erleben. Im Verlaufe der Ausschußarbeit wurde er der Experte seiner Partei für deutschlandpolitische Fragen und Stellvertreter des Ausschußvorsitzenden. Im Dezember 1976 wurde er als Nachfolger Karl Herolds Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, wo zu seinen Aufgabenbereichen u. a. die strukturpolitischen Maßnahmen im Zonenrandgebiet gehörten.Egon Höhmann hat immer mit Liebenswürdigkeit und Verbindlichkeit, aber ebenso auch mit Entschiedenheit und Festigkeit seinen Standpunkt vertreten.' Er war ein Mann, auf dessen Wort man sich verlassen konnte. Noch bis zum vergangenen Donnerstag, dem Tag vor seinem Ableben, hat er seine parlamentarischen Aufgaben in treuer Pflichterfüllung wahrgenommen. Egon Höhmann erfreute sich hoher Wertschätzung bei allen Fraktionen. Er wird uns unvergessen bleiben. Ich spreche seiner Witwe und seinen drei Kindern sowie der. Fraktion der SPD, die mit Egon Höhmann ihr sechstes Mitglied seit Beginn dieser Legislaturperiode durch den Tod verliert, das aufrichtige und herzliche Beileid des ganzen Hauses aus. Der Deutsche Bundestag wird Egon Höhmann ein dankbares und ehrendes Andenken bewahren.Sie haben sich zu Ehren unseres verstorbenen Kollegen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen dafür.Als Nachfolgerin für den verstorbenen Abgeordneten Höhmann hat mit Wirkung vom 22. Januar 1979 die Abgeordnete Frau Dr. Czempiel die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.Der Kollege Walkhoff, der am 31. Dezember 1978 in den Bundestag eingetreten ist, weilt heute zum erstenmal unter uns. Ich begrüße ihn und wünsche ihm eine erfolgreiche Mitarbeit im Deutschen Bundestag.
Ich rufe Punkt I der Tagesordnung auf:Zweite Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber die Feststellung des Bundeshaushalts-
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10132 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Präsident Carstensplans für das Haushaltsjahr 1979
— Drucksachen 8/2150, 8/2317 —Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses
Wir kommen zunächst zu Einzelplan 08Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen— Drucksache 8/2408 —Berichterstatter: Abgeordneter GrobeckerEinzelplan 60Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksachen 8/2427, 8/2470 —Berichterstatter:Abgeordnete Löffler, Dr. Dübber, Simpfendörfer, HoppeEinzelplan 32Bundesschuld— Drucksachen 8/2423, 8/2470 —Berichterstatter: Abgeordneter AugsteinIm Ältestenrat ist eine verbundene Debatte vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haase .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf hier die Gelegenheit wahrnehmen, um unseren Kolleginnen und Kollegen aus Hessen in der SPD-Fraktion zu sagen, daß auch die hessischen CDU-Abgeordneten sehr traurig sind über den plötzlichen Heimgang unseres Kollegen Höhmann, eines Mannes, der sich — und ich kann es gut beurteilen — besonders um unsere nordhessische Heimat sehr verdient gemacht hat. Wir trauern mit Ihnen, meine Damen und Herren.
Nun zu unseren Tagesgeschäften: Dazu sind wir gehalten, auch wenn links und rechts an unserem Weg die Kollegen, die sich verzehrt haben, nicht mehr weiter mitkönnen.Meine Damen und Herren, auf die Frage eines Journalisten, ob ihn die enorme Neuverschuldung der Bundesrepublik Deutschland nicht beunruhige, soll vor einiger Zeit unser verehrter Finanzminister geäußert haben:Mich beunruhigt lediglich, daß ich älter werde. Aber dagegen kann ich nichts machen.
Diese resignierende Erwiderung, meine Damen und Herren, läßt vermuten, daß nicht mehr unser Finanzminister das Geld beherrscht, sondern das Geld beherrscht ihn. Peter Gillies kommentierte in der „Welt" zu Recht:Wer eigentlich, wenn nicht der Oberbuchhalter der Nation, kann etwas gegen diese Verschuldung unternehmen?Nun, Kreditaufnahmen der öffentlichen Hand sind ein legitimes Mittel zur Finanzierung von Staatsausgaben; darüber gibt es keinen Streit. Auch ist es unbestritten, daß der Staat bei schwachem Wirtschaftswachstum finanziell anregend auf die Volkswirtschaft wirken sollte. Es darf aber nicht aus dem Auge verloren werden, meine Damen und Herren, daß auch öffentliche Anleihen verzinst und getilgt werden müssen.
Es darf nicht aus dem Auge verloren werden, welche verheerenden Folgen staatliche Überschuldung bewirkt.Das zentrale Problem der Haushalts- und Finanzpolitik der Gegenwart ist die seit Jahren erschrekkend zunehmende Staatsverschuldung. Einige Details dazu: Der Schuldenstand des Bundes hat sich innerhalb von nur fünf Jahren, von 1973 bis 1978, mehr als verdreifacht. Seit 1975 nehmen wir Jahr für Jahr im Durchschnitt doppelt so viel Schulden auf wie bis 1969 in zwei Jahrzehnten zusammengenommen,
Jahr für Jahr doppelt so viel Schulden wie bis 1969 in zwei Jahrzehnten zusammengenommen! Auf jede eingenommene Steuer-Mark entfallen schon jetzt 20 Pfennig an Zins- und Tilgungszahlungen.
— Ja, meine Damen und Herren, sicher, das ist das „moderne Deutschland" . Nur, gerade die Folgen dieser Politik sind so verheerend, daß kommende Generationen an dieser Art des modernen Deutschlands noch zu knabbern haben werden. Ich werde nachher noch darauf eingehen.
Im neuen Haushalt wurde zwar der von der Bundesregierung vorgeschlagene Schuldenzuwachs um mehr als 4 Milliarden DM gesenkt, allerdings ganz überwiegend nicht durch Ausgabenkürzungen, sondern durch eine höhere Steuerschätzung sowie durch die Erhöhung der Ablieferung der Deutschen Bundespost. Trotzdem erreicht der Schuldenzuwachs mit mehr als 31 Milliarden DM einen neuen traurigen Nachkriegsrekord. Der Schuldenstand des Bundes wird Ende. dieses Jahres nach dem neuen Haushaltsplan erstmals — auch das sollten wir im
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Auge behalten — die Summe der Haushaltsausgaben überschreiten.
Trotz einer jetzt etwas besser erscheinenden Wirtschaftslage, die zwangsläufig auch die Steuerquellen besser sprudeln läßt, wird die Neuverschuldung im kommenden Jahr um mehr als ein Fünftel oder 5 Milliarden DM höher sein als schon im letzten Jahr. Das ist nun, meine Damen und Herren, um auch hier einmal mit einer Mär aufzuräumen, keineswegs die Folge der von den Unionsparteien geforderten und auch durchgesetzten Steuersenkungen. Der Bund verliert durch das Steuerpaket in diesem Jahre nur 2,8, 2,9 Milliarden DM, die Mehrausgaben gegenüber dem vergangenen Jahr aber sind mehr als fünfmal so hoch. Daraus ergibt sich — auch das bedarf der Beachtung —: Selbst ohne diese Steuersenkungen wäre der Schuldenzuwachs des Bundes im Jahre 1979 immer noch weit höher als im vergangenen Jahr.Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auf ein Märchen aufmerksam machen, das von den Propagandakompanien der Bundesregierung mit Fleiß kolportiert wird. Man sagt, die Neuverschuldung liege in diesem Jahr wieder unter der Summe der als investiv anzusehenden Ausgaben und damit unter der Schuldenobergrenze nach unserem Grundgesetz. Im August hat unser verehrter Finanzminister in der ihm eigenen Offenheit laut „Handelsblatt" erklärt, er wolle mit Phantasie und Tricks — Phantasie und Tricks! — das Investitionsvolumen des Bundes erhöhen.Herr Finanzminister, Sie haben wahrlich Wort gehalten.
Tricks haben Sie reichlich angewandt. Sie haben einfach Ausgaben von fast 5 Milliarden DM anders als früher gebucht, z. B. den Defizitausgleich an die Bundesbahn mit dem Etikett „Investitionszuschuß" versehen.
Der Kollege Glos wird dazu noch eine Reihe von Details hier vortragen. Aber, meine Damen und Herren, Tricks ersetzen doch nun wahrlich keine Investitionen. Unbestreitbar ist jedenfalls, daß, wenn Sie die Ausgaben so buchen würden, wie es auch diese Bundesregierung bis 1977 getan hat, die Schulden im Haushalt 1979 offenkundig schon zum vierten Mal innerhalb von fünf Jahren hintereinander die verbindliche Schuldenobergrenze des Grundgesetzes überschreiten müßten.Die Koalition ist 1969 mit dem Versprechen angetreten, das „moderne Deutschland" zu schaffen. Jeder erinnert sich noch gut. Alles sollte besser, gerechter, schöner, leistungsfähiger werden. Wir haben diese brillanten Formulierungen ja alle gespeichert. Im Rahmen dieser Politik sollten die inneren Reformen — ein Wort, das auch unser verehrter Herr Kanzler schon gar nicht mehr hören mag — eine besonders herausragende Stellung einnehmen. Ich nenne in erster Linie Investitionenund beispielsweise Entwicklungshilfe, um nur mal zwei Positionen herauszugreifen. Die Wirklichkeit sieht, was die Prioritäten betrifft, ganz anders aus. Denn die Finanzpolitik erschöpft sich weitgehend in der Reparatur — und das nun schon seit einigen Jahren — der durch die Schuld der Bundesregierung entstandenen Fehlentwicklungen. In den zehn Jahren von 1969 bis 1979 sind beim Bund die Steuereinnahmen um 115 °/o, Ausgaben aber um 147 %gestiegen.
Bei den größeren Ausgabeblöcken haben — in schreiendem Gegensatz zu den Versprechungen unserer Reformträumer — die oberste Priorität nicht etwa die Ausgaben für die armen Leute in den Entwicklungsländern oder die zukunftsträchtigen Investitionen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Republik, sondern die oberste Priorität hatte der Aufwand für die Zinsen als Folgekosten der gewaltigen Neuverschuldung mit einem Anstieg von 435 %. Man kann wirklich sagen: es ist erreicht. Diesem höchsten Anstieg von 435 % folgen die Zuschüsse zur Finanzierung der Defizite für unsere Eisenbahn mit einem Zuwachs von 315% im gleichen Zeitraum; er ist also fast doppelt so hoch wie der Zuwachs der Gesamtausgaben und der Ausgaben für Renten und Unterstützungen, die um 223 % stiegen.Schon im letzten Jahr waren die Ausgaben für den Schuldendienst, also für Zinsen und Tilgung zusammengenommen, höher als die Ausgaben für unseren Verkehr, viermal so hoch wie die Ausgaben für Forschung und Entwicklung und sechsmal so hoch wie die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Kultur, wie sie im Bundesetat veranschlagt sind. Und im nächsten Jahr wird der Schuldendienst fast die Größe des Verteidigungsetats erreichen. Dies alles bei steigender Tendenz! Das mag uns doch die Gefährlichkeit der Entwicklung drastisch vor Augen führen.
Auf der Strecke blieben gerade die Ausgaben, die zu steigern unsere Koalitionsfreunde im Jahre 1969 ausgezogen waren: Weit hinter dem Anstieg der Gesamtausgaben blieben die nicht von uns, sondern gerade von der Koalition — nicht zuletzt vom jetzigen Bundesfinanzminister — so hochstilisierten Ausgaben für die Investitionen mit einer Steigerung von 107 °/o im Jahrzehnt zwischen 1969 und 1979 — Buchungstricks aus Gründen der Vergleichbarkeit ausgeschaltet. Die eigenen Sachinvestitionen des Bundes stiegen nur um wenig mehr als 70 %.Auf der Strecke blieben auch — und wen wundert das? — die Ausgaben für unsere Landesverteidigung mit einem Anstieg um insgesamt nur 87% und sogar die Hilfen für die unterentwickelten Länder — ein sogenanntes Herzensanliegen unserer Regierungsparteien — mit einem Anstieg von rund 100 °/o in diesem Zehnjahreszeitraum, obwohl doch in fast jeder Regierungserklärung und bei den internationalen Konferenzen versprochen wurde, daß die Entwicklungshilfe wesentlich stärker steigen solle als die Gesamtausgaben des Bundes.
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Bei den Finanzen stehen wir jetzt vor einer großen Ernüchterung, in manchen Bereichen sogar vor einem Scherbenhaufen der Politik der Bundesregierung. Meine Damen und Herren, manche Koalitionspolitiker geraten in Erregung, wenn wir das Kind beim Namen nennen und die Staatsfinanzen partiell als zerrüttet bezeichnen.Verehrter Herr Kollege Löffler, Sie schrieben im Pressedienst Ihrer Fraktion im Dezember 1978: „Ein gesundes Staatswesen • kann keine zerrütteten Staatsfinanzen haben." Diese Argumentationskette, diese Beweisführung erinnert an Christian Morgenstern:
„Also schloß er messerscharf, daß nicht sein kann, was nicht sein darf." Darf ich Ihnen, lieber Herr Löffler, einmal die Frage stellen: Ist ein Staatswesen noch gesund, dessen Finanzen zerrüttet sind? So herum müßte man auch einmal fragen!Weshalb hat denn der Herr Kanzler in seiner Regierungserklärung zu Beginn der. Legislaturperiode einen spürbaren Abbau der Defizite als notwendig herausgestellt und als Programm erklärt, daß die künftige Neuverschuldung deutlich niedriger sein müsse als die bisherige? Damals, 1976, betrug die Nettoneuverschuldung 25,8 Milliarden, jetzt liegt sie bei mehr als 31 Milliarden DM. Weshalb hat denn der Bundesfinanzminister von diesem Platz aus am 1. Juni 1978 von einer geradezu besorgniserregenden Belastung durch Zinsen und Tilgungen gesprochen?
Weshalb, meine Damen und Herren, haben wir im April einstimmig beschlossen, der Schuldenzuwachs müsse ab 1979 gesenkt werden? Warum wohl?
Weshalb hat der verehrte Herr Kollege Löffler als Obmann der SPD im Haushaltsausschuß am 30. März vorigen Jahres die Kreditansätze des damals noch gültigen Finanzplans, die jetzt für 1979 und für alle Jahre des neuen Finanzplans weit überschritten werden, kategorisch als die Grenze des Vertretbaren bezeichnet?Weshalb hat der ebenso verehrte Herr Kollege Hoppe hier vor einem Jahr, am 24. Januar 1978, seine heute noch so nachlesenswerte Grundsatzrede gehalten? Ich blättere sie dann und wann wieder durch, denn in manchen Passagen vermittelt sie mir Kraft, erneut und immer wieder bei meinen Freunden von der Koalition für eine stabilitätsorientierte Politik zu werben.
Herr Kollege Hoppe, Sie haben vor zu langen und zu rigoros produzierten Haushaltsdefiziten gewarnt und die gegenwärtige Staatsverschuldung als horrend bezeichnet. Herr Hoppe, ich habe mir einmal die Mühe gemacht, im Duden nachzulesen, was „horrend" heißt. Es heißt „schrecklich, ungeheuerlich". Sie haben recht: Diese Staatsverschuldung ist schrecklich, ist ungeheuerlich!
Meine Damen und Herren, die Zitate zeigen doch, daß über die Fraktionsgrenzen hinweg alle die Einsicht in die Lage der Staatsfinanzen haben; alle sind sich darüber einig, daß unsere Finanzen in Unordnung oder, wie wir sagen, zerrüttet sind. Es ist doch nur die Angst vor den Konsequenzen, die Sie, meine Damen und Herren in den Regierungsparteien, daran hindert, das in dieser Deutlichkeit, in der wir es nun einmal, gemäß unserer Aufgabe als Opposition, sagen müssen.Wir haben im Haushaltsausschuß unter dem Vorsitz des Kollegen Windelen in den verflossenen Monaten gut und kollegial zusammengearbeitet. Manche Sparvorschläge haben wir gemeinsam getragen. Die explosiven Stellenanforderungen der Regierung haben wir gemeinsam gekürzt. Allerdings gab es dann immer wieder einen Punkt, wo wir nicht zueinander finden konnten. Das war vor allem dort, wo wir uns anschickten, stärker auf die Verwirklichung unseres im April im Ausschuß gemeinsam gefaßten Grundsatzbeschlusses zu drängen, und das, was Sie, verehrter Herr Hoppe, vor einem Jahr als notwendig herausgestellt haben, in die Tat umzusetzen. Wieder einmal zeigte sich gerade bei der FDP der Widerspruch zwischen Worten und Taten. Das tut mir ganz besonders leid, Herr Hoppe, weil ich Sie sehr schätze und in den meisten Fällen auch in der Beurteilung der Situation mit Ihnen einiggehe.Sicher, man muß einkalkulieren, daß Sie auch Ihre Verpflichtungen gegenüber der Koalition haben. Das sehen wir ja. Nur, ich muß es zutiefst bedauern, verehrter Herr Hoppe, daß gerade Sie nicht so können, wie Sie wollen, vor allen Dingen auch deshalb nicht — und darin kommt die Tragik Ihrer Partei zum Ausdruck —, weil Sie sich selber in die Dauerbindung an Ihre sozialistischen Freunde begeben haben, in die „babylonische Gefangenschaft" bei den Sozialisten. Und daraus können Sie sich natürlich nur schwer lösen.
Die Unionsparteien haben im Haushaltsausschuß zusätzliche und durchaus machbare Kürzungsvorschläge in Höhe von 1 Milliarde DM und weitere Personaleinsparungen beantragt, die Sie, Herr Kollege Hoppe, und Ihre Freunde von der FDP mit abgelehnt haben. Mit der Verwirklichung dieser Anträge hätten wir wenigstens den bescheidenen Kürzungsvorschlägen des Sachverständigenrates, der ja übrigens auch auf unserer Linie ist, Rechnung getragen. Wir hätten damit ein Signal gesetzt wohl wissend, daß auch das noch nicht ausreichend ist, um mit einem noch einigermaßen vertretbaren Defizit auf den Pfad der Tugend zurückzufinden.Aber mit der Aufgabe einer umfassenden Sanierung sind das Parlament und der Haushaltsausschuß und ist erst recht die Opposition überfordert. Hier ist die Regierung gefordert, die aber, so mannhaft, so kräftig und so führungsstark sich ihr Chef gelegentlich auch aufführt, einfach zu schwach ist, ihre Führungsrolle in diesen Finanzfragen so wahrzunehmen, wie es ihre Aufgabe wäre.
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Statt dessen tönt lautes Wehgeschrei über die Gefahr von Zinssteigerungen, weil die Bundesbank in der vorigen Woche versuchte, das selbstgesteckte Geldmengenziel nicht erneut zu überschreiten und eine zusätzliche Geldschöpfung von 3 Milliarden DM zu verhindern trachtete. Wenn der Zins am Kreditmarkt schon bisher gestiegen ist und im kommenden Jahr sicher noch weiter steigen wird — das ist zu vermuten, das ist zu befürchten —, dann ist das doch nicht, lieber Herr Matthöfer, die Schuld der Deutschen Bundesbank, die zur Vermeidung von Gefahren für die Preise den Geldmengenzuwachs in Grenzen halten muß. Das ist doch ausschließlich die Folge einer zu hohen Kreditnachfrage vor allem des Staates. Es ist die Folge davon, daß die Kreditnachfrage des Bundes weit stärker steigt als die private Ersparnis, aus der die Kredite gespeist werden sollen. Das Lamento Ihres Staatssekretärs, Herr Bundesfinanzminister, läßt doch nur den Schluß zu, daß Ihre eigenen Experten den Haushalt 1979 nur durch einen inflationären Geldmengenzuwachs mit Geldschöpfungen — aus welchen Quellen auch immer — für finanzierbar halten.Wir und die aufgeschreckte Öffentlichkeit haben den Eindruck, daß Sie die Bundesbank deshalb in eine Inflationspolitik hineintreiben wollen.
Es ist beachtlich, daß sich auch der Bundeswirtschaftsminister zumindest in diesem Punkt offen von Ihnen distanziert hat. Wenn die Bundesbank eine Schuld trifft, dann ist es die, daß sie nicht früh genug gewarnt hat und — allerdings bei einer pessimistischeren Einschätzung der Konjunkturlage — der Kreditplanung bei der Aufstellung des Haushaltes im letzten Sommer überhaupt zugestimmt hat, wenn das auch schon damals — daran erinnern wir uns noch gut — mit der ausdrücklichen Bemerkung geschah: ohne Zinsgarantie. Der Streit zwischen Ihrem Haus und der Bundesbank und die Ankündigung oder Erwartung höherer Zinsen durch Ihren Staatssekretär entlarven auch die Behauptung als Märchen, daß diese schreckliche — um mit Herrn Hoppe zu sprechen — Schuldenzunahme konjunkturpolitisch notwendig sei. Gerade das Gegenteil ist richtig. Diese Schuldenplanung ist auch konjunkturpolitisch gefährlich. Entweder drohen bei der von Ihrem Staatssekretär angestrebten Ausweitung der Geldmenge erneut ein inflationärer Preis- und Kostenanstieg, eine Inflation mit all ihren schlimmen Folgen, oder Zinssteigerungen bringen die aufkeimende konjunkturelle Erholung schon bald in Gefahr. Vergessen wir es nicht — es ist gut, sich auch das zu merken —: Jedes Prozent mehr Zinsen belastet die Wirtschaft mit 5 Milliarden DM, führt also zu einer weit größeren Kostenbelastung, als durch die abgeschaffte Lohnsummensteuer gutgemacht wurde.Berufen Sie sich auch bitte nicht weiter auf die Gipfelschau vom Juli vergangenen Jahres! Ich will jetzt nicht fragen, was die anderen Staaten versprochen und was sie gehalten haben. Hierauf werden die Freunde aus dem Wirtschaftsausschuß und dem Wirtschaftsbereich meiner Fraktion eingehen. Es genügt die einfache Feststellung, daß damals auchbei uns die Konjunkturlage ganz anders, wesentlich ungünstiger eingeschätzt wurde und daß damals die gezogenen Schlußfolgerungen auch nach der Auffassung des Sachverständigenrates in seinem Sondergutachten falsch waren. Richtig waren die Steuersenkungen, aber falsch war der unterlassene Ausgleich durch Kürzung des Ausgabenzuwachses.
Regierungsoffiziell wird die Konsolidierung der Staatsfinanzen, die ohne schmerzhafte Eingriffe in geschlossene Ausgaben gar nicht mehr machbar ist, immer wieder angekündigt, allerdings nur jeweils für das übernächste Jahr, um dann erneut vertagt zu werden.
— Jawohl, und zwar von einem Etat zum übernächsten und dann immer so weiter. So wird z. B. im Finanzplan 1977, beschlossen mit dem Haushaltsentwurf 1978, die Konsolidierung für das Jahr 1979 im neuen Finanzplan, beschlossen mit dem Haushaltsentwurf 1979, für 1980 angekündigt. Im Sommer werden wir dann wohl die gleiche Ankündigung für das Jahr 1981 hören.Aber es geschieht im Grunde genommen nichts, auch wenn Sie, verehrter Herr Hoppe, erklären: Es ist an der Zeit, die drückenden Finanzprobleme nicht immer nur für die kommenden Jahre zu beschreiben und für die Zukunft zu prophezeien. Wir sind uns in der Beurteilung der Situation wieder einmal völlig einig. Herr Hoppe, Sie fordern: Die Konsolidierung der Staatsfinanzen muß energisch angepackt werden; wir dürfen nicht unter dem Schuldenberg versinken. Herr Hoppe, wir wollen ja mit Ihnen strampeln, um unter diesem Schuldenberg wegzukommen. Nur handelt die Regierung Ihrer Koalition leider wohl nach der Parole: Nach uns die Sintflut! Sie will immer nur die nächste Wahl überstehen.
Wir hätten uns über diese Probleme gern mit dem Finanzminister in der sachlichen Atmosphäre des Ausschusses unterhalten. Leider war er wohl verhindert, an der letzten Sitzung teilzunehmen.Ich komme deswegen nicht umhin, hier zumindest noch einige Fragen zu stellen, mit denen wir Sie im Ausschuß konfrontiert hätten. Herr Minister, der neuere Finanzplan läßt auch für die Jahre ab 1980 keine Konsolidierung erkennen. Oder wollen Sie glauben machen, daß die bis 1982 vorgesehene Neuverschuldung von jährlich 30 Milliarden DM oder mehr eine Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen oder auch nur ein Einstieg dazu ist? Sie können doch selbst rechnen, daß bei diesen Größenordnungen spätestens in neun bis zehn Jahren eine Schuldenaufnahme von 30 Milliarden DM nicht mehr ausreicht, auch nur die Zinsen zu bezahlen, d. h., Beamtengehälter und Parlamentarierdiäten können wir dann schon gar nicht mehr bezahlen, wenn wir nur 30 Milliarden DM Schulden aufnehmen. Die brauchen wir dann völlig zur Begleichung der Zinslasten. Dieser Zeitpunkt tritt sogar noch schneller ein, wenn
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es zu Zinssteigerungen in der Größenordnung von etwa 2 bis 3 % kommt.Ohne die vom Kanzler schon 1976 angekündigte spürbare Herabsetzung der Defizite zu erreichen, streben Sie allerdings an, ab 1980 wenigstens die Ausgabenzuwächse drastisch zu senken. Selbst diese Zahlen stehen doch nur auf dem Papier, lieber Herr Matthöfer. Wir wären überrascht, wenn Sie dem staunenden Parlament heute anderes vortragen könnten. Die gewaltigen Mehrleistungen haben Sie doch einfach unter den Tisch gefegt. Die Zahlungen an die Bundesbahn sind von 1976 auf 1979 um über 5 Milliarden DM oder 60 % auf jetzt 14,5 Milliarden DM gestiegen. Nach Ihrem Finanzplan sollen die Leistungen an die Bahn aber in den nächsten drei Jahren nicht nur nicht weiter erhöht, sondern verringert werden. Meine Damen und Herren, welches Wunder! Herr Finanzminister, wie kommen Sie zu dieser optimistischen Einschätzung der Lage der Deutschen Bundesbahn? Fragen Sie doch einmal bei Ihrem Kollegen vom Verkehr nach. Er hat es schon aufgegeben, über die Sanierung der Eisenbahn in diesem Lande überhaupt noch nachzudenken. Er hat doch schon resigniert, er hat doch schon gepaßt, er hat doch schon die Flagge eingezogen. Und da wollen Sie die Ansätze für die Bahn drastisch reduzieren! Ich bitte Sie bei allem Wohlwollen, hier ist doch die Unseriosität Ihrer Rechnung förmlich auf die Stirn gedrückt. Wir bitten um Aufklärung.
Eine weitere Position, lieber Herr Finanzminister! Die Ausgaben für den Energiebereich, an der Spitze die Kohle, sollen nach Ihrem Plan von 3 Milliarden DM im Jahre 1979 auf 1,2 Milliarden DM im Jahre 1982 gesenkt werden. Halten Sie das für eine realistische Planung, wenn allein die Ausgaben für die Kohle im Haushalt 1979 über 2 Milliarden DM ausmachen? Glauben Sie, künftig auf Kokskohlesubventionen, Kohlebevorratung, Stillegungshilfen usw. verzichten zu können? Glauben Sie, Sie könnten darauf verzichten? Sagen Sie uns das doch einmal. Die Nordrhein-Westfalen werden Ihren Erläuterungen mit großer Aufmerksamkeit zuhören. Wir bitten um Aufklärung, Herr Finanzminister.Überhaupt nicht berücksichtigt ist der schon beschlossene Ausgleich für den Wegfall der Lohnsummensteuer, die ab 1980 allein den Bund Jahr für Jahr 2 Milliarden DM kostet. Herr Minister, wir bitten um Aufklärung.Glauben Sie auch ernsthaft, es politisch durchhalten zu können — das ist eine Kardinalfrage, meine Damen und Herren, denn sie betrifft ein Problem, das sich in diesem Lande als Sprengsatz mit Langzeitwirkung erweisen wird —, erwerbstätigen Müttern bei der Geburt eines Kindes einen Mutterschaftsurlaub "zu bezahlen, nichterwerbstätigen Müttern, die freiwillig auf Berufstätigkeit verzichten, um sich der Erziehung ihrer Kinder zu widmen, diese Vergünstigung verweigern zu können? Glauben Sie das ernsthaft?
Meine Damen und Herren, nach unserer Auffassungkann man das eine nicht ohne das andere tun, wasallerdings wiederum zu großen, von ihnen nicht berücksichtigten Mehrkosten führt. Wir bitten um Aufklärung, Herr Minister.
— Ja, es wäre „bravo", wenn uns Herr Matthöfer hier jetzt einmal ein bißchen „Butter bei die Fische" täte — ich habe ihm ja einige Punkte genannt —, dann sagen wir auch „bravo".
An diesen Fragen können Sie sich doch nicht durch Totschweigen vorbeimogeln. Sie können auch nicht nur auf mögliche Steuermehreinnahmen gegenüber den jetzigen Ansätzen verweisen. Angesichts der keineswegs vollständigen Liste der drohenden Mehrbelastungen kann nach den jetzt geltenden Programmen und Gesetzen selbst durch einen wesentlichen Abbau der Schulden eine Verbesserung der Finanzsituation nicht erwartet werden.Wenn unser Staat der Gefahren Herr werden will, muß die Regierung in allen Bereichen zur preußischen Tugend der Sparsamkeit zurückfinden,
dabei aber endlich in großen wie in kleinen Dingen selber mit gutem Beispiel voranschreiten. Das Land blickt auf Sie.Herr Bundesminister, in diesem Zusammenhang: Ist es ein gutes Beispiel, wenn einem pensionierten Politiker, der in den Augen der Koalition — sicher auch meiner nordrhein-westfälischen Freunde — seine Verdienste haben mag, durch die Errichtung einer nur für ihn und für begrenzte Zeit eingerichteten Institution auf Kosten unserer Steuerbürger die Möglichkeit gegeben wird, weiter seinem sehr kostspieligen Hobby zu frönen, und das, wie verlautet, auf besonderen Wunsch unseres Herrn Kanzlers?
— Ja, aber tunlichst auf eigene Rechnung und Gefahr, Herr Kollege.
Herr Kühne sollte mit Kühne & Nagel und nicht mit Kühne und Genossen reisen.
Für die Jahre 1979 und 1980 soll dem reiselustigsten aller Ministerpräsidenten, aller Klassen — er gehört in diesem Zusammenhang ja wirklich zu den wahren Luxuspolitikern —, in der in dieser Form höchst überflüssigen Funktion als Bundesbeauftragter für die Gastarbeiter ein Reisebüro beschert werden. Es juckt mir in den Fingern, dazu noch einiges zu sagen; aber die Zeit —
— Seien Sie vorsichtig; man könnte Herrn Kühn gut vorführen. Aber ich will darauf verzichten und will nur fragen, Herr Bundesfinanzminister: Ist das ein gutes Beispiel, um dem Bürger deutlich zu machen, daß die Regierung kapiert hat, um was es in dieser Situation geht?
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Herr Matthöfer, ist es nicht auch nach Ihrer Meinung ein Problem, wenn wir dem Bürger die Installierung einer neuen ich möchte sie einmal nennen — Oberfrau im Range einer Ministerialdirigentin zumuten? Ist das nicht auch ein schlechtes Beispiel? Das ist doch eine in der Sache höchst überflüssige und nur aus Gründen der Schau geschaffene Stelle ohne sachliche Kompetenzen, auch von der Koalition in unserer Kommission ursprünglich abgelehnt und ist schließlich nur auf den ausdrücklichen Wunsch unseres sich so sparsam gebärdenden Herrn Kanzlers durchgesetzt worden. Die bessere Alternative wäre doch, die Vertretung der Frauen im vorhandenen Beamtenapparat zu stärken. Damit täte man ihnen einen wesentlich größeren Gefallen.
Ich habe mich schon gewundert, daß die Sucht unseres Herrn Kanzlers nach Show-Effekten nicht dazu geführt hat, im Jahr des Kindes im Rahmen des Stellenplans so eine Art Oberkind zu installieren.
Aber das ist wohl nur daran gescheitert, daß die gültigen beamtenrechtlichen Vorschriften
und der Jugendschutz — sehr gut, Herr Kollege; Sie haben es wieder sofort erkannt — dem entgegenstehen.
Die Regierung hat wohl nicht den Willen und auch nicht den Mut — den Willen vielleicht manchmal, den Mut nie — zur Sparsamkeit, weil sie vor dem Widerstand in den eigenen Reihen zurückschreckt. Deshalb werden auch jede Diskussion über die Gefahren einer langfristigen Defizitwirtschaft und jede Forderung nach Sparsamkeit sofort in die Nähe von sozialem Rückschritt gebracht. Bereits der Hinweis auf die Problematik der Finanzierung unseres Schuldengebirges wird als soziale Demontage denunziert. Dabei weiß inzwischen jeder politisch Interessierte in diesem Staat, daß die eigentliche soziale Demontage in unserem Land von jenen betrieben wurde, die auf der einen Seite den Staat und seine Bürger jahrelang förmlich animiert haben, über die Verhältnisse zu leben, und auf der anderen Seite die Belastungsfähigkeit der Volkswirtschaft erprobten und dadurch die Krise der Finanzen und der Sozialversicherung, die Arbeitslosigkeit und die Inflation bewirkt haben.
Die Inflation der Ansprüche des Staates gegenüber seinen Steuerbürgern manifestiert sich am deutlichsten in der in den letzten acht Jahren von 37 auf 47 °/o gestiegenen Staatsquote. Die Verschleppung der Konsolidierung der Staatsfinanzen darf unseres Erachtens nicht länger hingenommen werden. Die zur Dauererscheinung gewordenen riesigen Schuldenzuwächse sind nicht nur finanzpolitisch gefährlich. Sie erweisen sich auch als wachstumshemmend und zinssteigernd, vor allem wenn sie auf eine steigende private Kreditnachfrage für Investitionen treffen. In diesem Fall beeinträchtigt die zinsunempfindliche öffentliche Hand die privaten Nachfrager am Kapitalmarkt erheblich.Langfristig kommt eine weitere Sorge hinzu. Sie müssen sich einmal überlegen: Wir heizen trotz zumindest in Teilbereichen vorhandenen wirtschaftlichen Sonnenscheins an, und wir borgen, obwohl die Steuerquellen wieder reichlicher fließen. Wenn wir nun schon in einer Zeit angemessenen wirtschaftlichen Wachstums mit dem öffentlichen Schuldenmachen über die Grenzen des Vertretbaren hinausgehen: Zu welchen finanziellen Aushilfen wollen wir eigentlich Zuflucht nehmen, wenn erneut einmal rezessive Erscheinungen die deutsche Volkswirtschaft beeinträchtigen? Wo ist dann eine Operationsmasse, die wir dann dringend benötigen?
Im Grund betreiben wir doch eine permanente Kriegsfinanzierung.
— Doch, doch, Herr Löffler! Wir verheizen das Holz, an dessen Feuer sich unsere Enkel einmal wärmen sollten.
— Jeder Botokudenstamm, Herr Löffler, trachtet danach, die Zukunft seines Stammes zu Lasten der Gegenwart zu sichern. Jeder Botokudenstamm! Aber wir leben lustig in der Gegenwart zu Lasten der Zukunft.
Wir beuten mit unserer Finanzpolitik die kommenden Generationen aus,
denen wir ja doch auch in anderen Bereichen — ich nenne nur die Finanzierung der Rentenversicherung — Problemberge immensen Ausmaßes hinterlassen.
— Das ist immer wieder neu! Weil Sie die Probleme nicht aus der Welt schaffen, ist das immer wieder neu und muß Jahr für Jahr von uns einer heftigen Kritik unterzogen werden, weil es Lebens-und Existenzfragen dieses Landes sind.
Wir versündigen uns an unseren Nachkommen, und zwar nicht nur die Regierung, sondern wir alle. Es wird ja gelegentlich auch in CDU-Ländern und in CDU-Kommunen gesündigt. Das ist gar kein Privileg der Sozialdemokraten und der Freien Demokraten. Wir versündigen uns an unseren Nachkommen, wenn wir durch die Fortführung einer leichtfertigen Schuldenpolitik Quellen anzapfen, von denen kommende Geschlechter zehren sollen. Verwerflich handelt, wer finanzpolitisch weiter nach der Parole ver-
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10138 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Haase
fährt: Die Zukunft hat schon begonnen. Doch zahlen tun nicht wir; .begleichen müssen es die Enkel.Wir alle sind dabei, vor einer gefährlichen Entwicklung die Augen zu verschließen. Die Spitzen dieser Regierung laufen Gefahr, als Schuldenminister und Schuldenkanzler von unseren Nachfahren dermaleinst verwünscht zu werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löffler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den Herr Haase soeben für die Auffassung der Opposition in Anspruch genommen hat, nennt für die gegenwärtige Finanzpolitik drei Ziele, die er in seinem letzten Gutachten wie folgt beschreibt — ich zitiere mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten —:
Die Finanzpolitik steht weiterhin vor der Aufgabe, die noch schwachen konjunkturellen Auftriebskräfte zunächst durch expansive Impulse zu stützen, gleichzeitig aber die Wachstumsbedingungen für den privaten Sektor zu verbessern, um zur Lösung der mittelfristigen Beschäftigungsprobleme beizutragen, und auf mittlere Frist den Abbau der hohen Haushaltsdefizite zu betreiben, die in diesem und den nächsten Jahren entstehen werden.
Alle drei Ziele, expansive Haushaltspolitik, Steuererleichterungen — wie man wohl die mittlere der Forderungen übersetzen kann — und Abbau. des Haushaltsdefizits, kann man zwar hintereinander aufschreiben, aber in der praktischen Finanzpolitik nicht auf einmal und vollständig erreichen. Diese drei Ziele lassen sich nur schwer auf einen Nenner bringen. Welches dieser drei Ziele ich auch herausnehme und isoliert betrachte, es steht in Widerspruch zu den anderen beiden, wenn ich es konsequent und ohne Abstriche verfolgen wollte. An dieser Elle müßte man eigentlich die Ausführungen des Kollegen Haase messen; aber ich will mir das ersparen.
Daraus ergibt sich für uns, daß keines dieser drei Ziele gegenwärtig einen eindeutigen Vorrang vor den anderen beiden hat. Keines dieser Ziele kann überbetont werden, ohne erhebliche Gefahren für unsere gesamtwirtschaftliche Entwicklung und damit für die Entwicklung unserer sozialen Gesellschaft heraufbeschwören. Deshalb wäre es falsch,. wollte man die finanzpolitischen Maßnahmen nur von einem dieser Ziele bestimmen lassen.
Der von mir erwähnte Widerspruch läßt sich nur durch einen Kompromiß zwischen diesen drei finanzpolitischen Vorstellungen auflösen. Dieser Kompromiß hat sich danach auszurichten, wie unsere Bürger in der Gegenwart, aber auch in der Zukunft leben sollen, wie wir den hohen sozialen Standard halten und weiterentwickeln können. Hier kann ich nur das wiederholen, was ich sinngemäß schon ein-
mal an anderer Stelle gesagt habe: alle Zahlen müssen stimmen, die im Haushalt, aber auch die gesellschaftspolitischen Daten, die die Lebensverhältnisse der Menschen in unserem Lande widerspiegeln. Es kommt darauf an, zwischen diesen drei finanzpolitischen Zielen die rechte Balance zu finden und zu halten.
Herr Kollege Haase hat mich mit meinem Wort vom Dezember vorigen Jahres zitiert, wo ich etwas über zerrüttete Finanzen und ein gesundes Staatswesen gesagt habe. Herr Kollege Haase, schauen Sie hinein in die Geschichtsbücher, schauen Sie hinein in die finanzwissenschaftlichen Bücher! Dann werden Sie dahinterkommen: ein gesunder Staat hat eben keine zerrütteten Finanzen, und da wir ein gesunder Staat sind, haben wir eben keine zerrütteten Finanzen,
auch wenn die Opposition diesen Zustand immer herbeireden will. Ich weiß eigentlich gar nicht, weshalb Sie ihn herbeireden wollen, denn politisch bringt das für Sie nichts.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Riedl? Löffler : Jetzt leider nicht.Die Bundesregierung hat mit ihren Beschlüssen vom Juli 1978 über Steuerentlastungen und mit dem Haushalt 1979 einen erheblichen Beitrag zur finanzpolitischen Ausgewogenheit in unserem Lande geleistet. Balance zu halten' bedeutet Sinn für Gleichgewicht und Proportionen, Augenmaß und Sicherheit.Das alles sind Eigenschaften, die man allerdings bei Sprechern der Opposition vermißt, wenn man sich die finanzpolitischen Äußerungen der letzten Tage ansieht. Herr Ministerpräsident Späth fordert bereits neue Steuersenkungen, ohne abzuwarten, wie die. jetzt beschlossenen greifen werden; so laut „Welt" vom 29. Dezember 1978. Herr Häfele schließt sich am 3. Januar 1979 an. Herr Strauß folgt etwas später, am 22. Januar 1979. Lediglich der Stuttgarter Oberbürgermeister, Herr Rommel, warnt davor, durch neue Steuerentlastungsdiskussionen neue Unsicherheit in die Kommunen zu tragen, die einen erheblichen Anteil an der öffentlichen Finanzwirtschaft tragen.Auf der anderen Seite stellen aber die Damen und Herren der Oppositionsparteien neue Forderungen, die den Bundeshaushalt zusätzlich in Höhe von mehreren Milliarden belasten müßten. Ich nenne nur einige Stichworte aus dem Jahre 1978: Familienlastenausgleich in fast unbeschränkter Höhe, Bundesgrenzschutz, Landwirtschaft, Entwicklungshilfe, Bausparförderung und andere politische Forderungen.
— Nein.Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, mit einem Bauchladen von Gefälligkeiten, die finanzpolitisch nicht abgestimmt und haus-
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Löfflerhaltspolitisch nicht abgesichert sind, kann man keine Balance halten.
— Man kommt überhaupt erst gar nicht auf das Seil hinauf, lieber Herr Schröder.
Das ist, nebenbei gesagt, auch gar nicht nötig. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben die Finanzpolitik fest in der Hand, trotz einiger Schwierigkeiten.
Die Bürger können nach wie vor Vertrauen zu unserer Haushaltspolitik haben.
Der Haushalt 1979 kann nicht ohne die Gipfelbeschlüsse vom Sommer vergangenen Jahres politisch gerecht bewertet werden. Ich erwähne das deshalb, weil das in der haushaltspolitischen Auseinandersetzung bisher zu kurz gekommen ist. Es wird zu wenig das mit einbezogen, was die Regierungschefs der sieben wichtigsten Industrieländer der westlichen Welt zur Überwindung der weltweiten wirtschaftlichen Stagnation und der daraus resultierenden Arbeitslosigkeit hier in Bonn beschlossen haben.Ich möchte jetzt gar nicht wiederholen, wie sich Sprecher der Opposition zum Gipfelergebnis geäußert haben und wie sie sich in ihrer totalen Negation all dessen, was die Bundesregierung vorgeschlagen und getan hat, sogar zu scharfen, kritischen Äußerungen an die Adresse unserer wichtigsten Verbündeten hinreißen ließen. Herr Kollege Haase sprach in einem anderen Zusammenhang von der „babylonischen Gefangenschaft" ; lieber Herr Kollege Haase, die Opposition muß sich aus ihrer babylonischen Gefangenschaft in der Negation befreien.
Wir haben nun zum x-ten Male die Ankündigung einer Großoffensive der Opposition erhalten. Die Jahreszeit, lieber Kollege Wohlrabe, ist für Offensiven nicht gerade sehr günstig,
und ich fürchte, Sie werden auch mit dieser Offensive wieder auf dem Glatteis Ihrer inneren Widersprüche ausrutschen.
Bewertungen stehen selbstverständlich jedem frei. Aber Politik besteht eben nicht nur aus der Ablehnung aller möglichen Vorschläge oder vielleicht aus der philosophischen Betrachtung darüber, wie der Staat immer mehr Probleme an sich zieht, sondern Politik, insbesondere auch Oppositionspolitik, bedeutet in erster Linie das Aufzeigen konkreter und gangbarer Alternativen. Ich habe, abgesehen von den Vereinbarungen im Sommer vorigenJahres hier in Bonn, noch keinen Weg aufgezeigt bekommen, wie man die weltweiten Schwierigkeiten überwinden, die Arbeitslosigkeit beseitigen und den Welthandel wieder flottmachen kann. Deshalb haben wir die Gipfelbeschlüsse so ernst zu nehmen, wie wir es auch von unseren Partnern erwarten, und zwar in unserem eigenen Interesse.Das Programm zur Stärkung der Nachfrage und zur Verbesserung des Wirtschaftswachstums, wie es die Bundesregierung am 28. Juli 1978 in Erfüllung ihrer Gipfelverpflichtung beschlossen hat, schlägt sich in diesem Haushalt nieder. Die Steuerentlastungsgesetze bringen zusätzlich 7,9 Milliarden DM als frei verfügbare Finanzmasse für unsere Bürger. Die Ausgaben sind gegenüber der bisherigen Planung um 5,5 Milliarden DM gestiegen. Selbst wenn man kein rechtes Zutrauen zu den Formeln über die Berechnung von Multiplikationseffekten in der Gesamtwirtschaft hat, wie sie uns die Finanzwissenschaft an die Hand gibt, steht außer jedem Zweifel, daß von diesem Programm positive Wirkungen auf unsere wirtschaftliche Entwicklung ausgehen werden.Von den finanziellen Gesamtauswirkungen dieses Programmes in Höhe von über 13 Milliarden DM trägt der Bund 8,4 Milliarden DM. Herr Haase hat das in etwas buchhalterischer Manier aufgerechnet. Ich muß Ihnen leider sagen, sehr geehrter Herr Haase, daß Sie als Buchhalter keiner Steuerprüfung standhielten, denn Sie haben die Zahlen nicht korrekt wiedergegeben. Das sollten Sie im Protokoll Ihrer Rede, wenn möglich, verbessern.
— Das hat nichts mit Oberlehrerei zu tun. Wenn der Herr Kollege Haase sagt, die Ausgaben seien um mehr als das Fünffache der Steuerentlastung gestiegen, so würde dies bedeuten, daß die Ausgaben um über 10 Milliarden DM gestiegen sind. Diese Zahl stimmt einfach. nicht. Herr Haase, ich will mich nicht über Sie als Politiker äußern; das steht mir nicht zu. Als Buchhalter sind Sie aber jedenfalls nicht große Klasse.
Dieser hohe Betrag macht deutlich, welche große Last und welche Verantwortung in der Finanzpolitik der Bund trägt. Man möge auch an diese Verantwortung denken, wenn man vielleicht, wie Sie, Herr Haase, es getan haben, zu buchhalterisch an die Bewertung des diesjährigen Haushalts herangeht. Ohne die Gipfelbeschlüsse — das muß noch einmal ganz deutlich gesagt werden — hätte ein weitgehend konsolidierter Haushalt vorgelegt werden können. Das läßt sich auf Mark und Pfennig genau nachrechnen. Allerdigns wäre damit die gebotene finanzpolitische Ausgewogenheit, wie sie uns auch der Sachverständigenrat auferlegt, mißachtet worden.Ich möchte noch einmal an das Wort des Herrn Finanzministers aus der ersten Lesung des Haushalts 1979 erinnern, mit dem er auf die finanzpolitischen Ziele hinwies. Er sagte — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:
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LöfflerEinerseits müssen wir alle Kräfte darauf konzentrieren, die weltweit unbefriedigende wirtschaftliche Entwicklung zu verbessern ... Andererseits hat die jährliche Nettokreditaufnahme und die daraus erwachsende Verschuldung einen Umfang erreicht, der zu größter Sorgfalt bei der Gestaltung des Bundeshaushalts zwingt.Ich habe in der ersten Lesung für meine Fraktion erklärt, daß dieses Wort des Bundesfinanzministers für die sozialdemokratische Fraktion die Grundlinie für die Beratung des Haushalts sein wird — und es war die Grundlinie! Während der Beratungen konnten erhebliche Verbesserungen erzielt werden, allerdings immer ohne die Balance dabei zu verlieren. Durch Ausgabekürzungen in Höhe von rund 740 Millionen DM und durch Einnahmeverbesserungen von insgesamt 3,53 Milliarden DM ist die Nettokreditaufnahme auf 31,24 Milliarden DM gesenkt worden. Damit wird das Gebot des Art. 115 des Grundgesetzes — ein Lieblingsthema der Opposition — erfüllt. Die Nettokreditaufnahme liegt unter dem Betrag für Investitionen, obwohl eine Neuverschuldung über die Grenze des Art. 115 hinaus durchaus im gesamtwirtschaftlichen Interesse gelegen hätte. Das ist natürlich nicht das alleinige Verdienst des Haushaltsausschusses; so schön sind wir wiederum auch nicht. Dieses positive Ergebnis ist nur möglich gewesen, weil die Steuerquellen reichlicher sprudeln, als es noch vor einigen Monaten vorausgesehen werden konnte. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, hier ist aber nicht irgendein Geschenk des Himmels sichtbar, sondern hier machen sich die Früchte unserer bisherigen wohlüberlegten Konjunkturpolitik bemerkbar, wenn das Steueraufkommen heute wächst.
Wir haben während der Beratungen hart gearbeitet, streng an der Sache orientiert. Jede Gruppe hat ihren Beitrag geleistet — auch die Opposition; das soll trotz zum Teil tiefgehender Meinungsverschiedenheiten ehrlich anerkannt werden.Ich habe zu Beginn der Rede zu hoffen gewagt, daß die Opposition aus diesen ernsthaften Beratungen ihre Lehren gezogen hätte, unter anderem auch die Lehre, daß Haushaltspläne moderner Industrie-und Sozialstaaten nicht über die große Flexibilität verfügen, die Kürzungen erheblichen oder jedweden Umfangs ermöglichen würde. Was hätte denn die Opposition noch mehr kürzen können? Ich glaube, es war nicht einmal ganz eine Milliarde DM. Dabei hätten Sie noch an Ansätze herangehen müssen, aus denen Mittel fließen, die nun einmal, unabhängig davon, welche Ermächtigung das Parlament der Regierung erteilt, fließen müssen.Statt dessen, Herr Kollege Haase, haben Sie diese ernsthaften Überlegungen nicht erwähnt, sondern Sie haben mit dem Namen eines verdienten Politikers dieser Republik ein Wortspiel gemacht. Na schön, Herr Haase, über Geschmacksfragen läßt sich streiten.
Ich hätte gewünscht, man hätte sich diesen billigen Kalauer gespart.
Wahrlich, lieber Herr Haase, bei dieser Opposition könnte man lustig leben, wenn man Sinn für die etwas eigenartige Art dieses Humors aufbringen könnte.Statt dessen spricht Herr Haase — fast in einem Anfall von Politmasochismus — immer wieder davon, daß „schmerzliche Eingriffe" vorgenommen werden müßten. Nun sagen Sie doch einmal, Herr Haase, wo Sie hinpieken wollen und wem Sie nun eigentlich wehtun wollen!Wenn Sie nun schon immer Preußen als einen Hort der Sparsamkeit zitieren, dann darf ich Ihnen das eine sagen: In Preußen wurde gespart. Aber in Preußen wurde auch erheblich Geld ausgegeben, für die Armee unter anderem, aber auch, wie in jedem Schulgeschichtsbuch nachzulesen ist, für Maßnahmen der Infrastruktur — wie wir heute sagen würden. Friedrich II. hat große Siedlungen angelegt, hat das Netzebruch und das Warthebruch entwässert, hat dort neue Siedlerstellen geschaffen, weil er genauso wie wir — wir stehen nämlich in der preußischen Tradition — wußte, was dem Volke gut ist. Dazu reicht eben nicht einfach nur buchhalterische Sparsamkeit, das Aufeinanderschichten von Taler auf Taler.
Für ein Höchstmaß an sozialer und wirtschaftlicher Stabilität bei gedämpftem Wachstum zahlen wir — zugegebenermaßen — einen hohen Preis, indem wir uns jetzt schon mehrere Jahre hintereinander hoch verschuldet haben. Eine Nettokreditaufnahme von mehr als 20 Milliarden DM jährlich darf keine Gewohnheit werden, sondern muß die Ausnahme bleiben, die zulässig, aber sogar auch geboten ist, wenn es gilt, Schäden zu verhindern, die die Menschen stärker belasten würden als eine höhere Zinszahlung aus dem Bundeshaushalt. Wenn es ins Haus regnet, lieber Herr Haase, wartet man nicht ab, bis man die letzte Mark für den Kauf neuer Dachziegel zusammen hat, sondern man handelt und deckt das Haus wieder so ordentlich ein, daß es darunter ruhig, friedlich und gesichert zugehen kann.Auch die Kreditpolitik betreibt die Bundesregierung im Rahmen des Möglichen und des Notwendigen. Zur diesjährigen Neuverschuldung hat die Deutsche Bundesbank, die den besten Überblick über den Kreditmarkt hat, ihre Zustimmung ausdrücklich erteilt. Von einer unverantwortlichen Schuldenpolitik kann also beim besten Willen nicht die Rede sein. Wenn Sie sagen, daß auf eine D-Mark Steuereinnahmen bereits 20 Pfennig Zinsen entfallen, so sind auch hier wieder Ihre Fähigkeiten als Buchhalter angesprochen. Das sollten Sie noch einmal im Protokoll nachlesen.
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LöfflerEs kann auch nicht von einer unverantwortlichen Schuldenpolitik die Rede sein, wenn man unsere Situation einmal mit der anderer Länder vergleicht. Der Anteil der Zinsausgaben an den Staatshaushalten 1977 betrug in Großbritannien 8,5 %, in den USA 8,3 %, in Italien 8,1 %, in Belgien 7,7 %, in der Bundesrepublik 5 °/o; er wird in diesem Jahr auf 5,5 % wachsen. Das ist keine beängstigende, sondern eine vertretbare Größe.Dennoch — da gebe ich Ihnen recht, Herr Haase— gebieten die steigenden Zinszahlungen, den Abbau der hohen Defizite nicht aus dem Auge zu lassen. Die Bemühungen darum sind doch gerade bei der Beratung des Haushalts 1979 deutlich geworden! Aber auch beim Abbau der hohen Defizite kommt es eben auf das richtige Augenmaß an, kommt es darauf an, die Finanzpolitik in jener Ausgewogenheit, in jener Balance zu halten, die notwendig ist, um schwierige Zeiten zu überstehen. Wer das Kind mit dem Bade ausschütten will, hat dieses Augenmaß nicht. Die gegenwärtige Kreditpolitik hält sich in der Balance zu den anderen beiden finanzpolitischen Zielen.Ein Zauberwort der Opposition ist das Wort „global". Wir haben z. B. einen Antrag vorliegen, der eine globale Verwaltungskostenmehreinnahme von 500 Millionen DM vorsieht.
— Natürlich, Herr Glos, wenn Sie das sagen, ist immer eine tiefe, innere Berechtigung vorhanden,
insbesondere dann, wenn man sich der Mentalität, der Denkweise von Menschen in einer ganz bestimmten deutschen Landschaft anpaßt.
Da gebe ich Ihnen ohne weiteres recht, Herr Glos.— Da haben wir also auf der einen Seite eine globale Mehreinnahme. Auf der anderen Seite haben Sie sehr stark mit der globalen Minderausgabe operiert. Ich frage mich jetzt alles in allem, Herr Haase: Wollen Sie das Budgetrecht des Parlamentes so aushöhlen, daß wir uns mit dem Haushalt überhaupt nicht mehr zu beschäftigen brauchen? Denn wenn nur mit globalen Mehreinnahmen und globalen Minderausgaben operiert wird, was wollen wir dann eigentlich noch beraten? Dann werden wir hinsichtlich dieser beiden Zahlen ein bißchen schachern, und dann sind die Haushaltsberatungen in spätestens einer Stunde beendet mit der Folge, daß wir uns dann anderen Aufgaben widmen können.Interessant an der globalen Minderausgabe ist z. B., daß man dieses Instrument der Haushaltspolitik in . unserem Haushaltsrecht vergeblich sucht. Globale Minderausgabe ist eben nicht mehr als eine Verlegenheitslösung. Für diese globale Minderausgabe hat die Bundesregierung 2 Milliarden DM angesetzt. Nach den Beratungen sind es 2,5 Milliarden DM geworden. Ich sage frank und frei: Für mich ist diese globale Minderausgabe ein wenig zu hoch gegriffen; das habe ich auch im Ausschuß deutlich gemacht. Ich weiß, daß ich mit die-ser Meinung ziemlich allein stehe. Denn was bedeutet das schließlich? Das bedeutet, daß alle Ausgabetitel im Haushalt zusammengenommen eine Ermächtigung zur Ausgabe von 206 Milliarden 360 Millionen DM enthalten, daß aber der eine Titel „Globale Minderausgabe" im Einzelplan 60 dieses Ausgabevolumen wieder reduziert. Ich möchte einmal sehen, wie z. B. unsere Frauen reagieren würden, wenn sie uns ein monatliches Haushaltsgeld von 1 200 DM rechnerisch nachweisen können, wir ihnen aber nur 1 100 DM geben und sagen: Der Rest, Kindchen, ist globale Minderausgabe.
Ich glaube, wir sollten das Instrument der globalen Minderausgabe nicht allzu sehr überstrapazieren. Ich schließe mich der Auffassung von Professor Dr. Neumark, einem Senior der deutschen Finanzwissenschaft, an, der dazu in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 20. Oktober 1978 geschrieben hat — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:Globale Minderausgaben stellen keine echten Einsparungen dar. Sie sind eine Verlegenheitslösung und ermöglichen dem Bundestag, sich seinen haushaltspolitischen Verpflichtungen zu entziehen.Ich muß noch ein Wort zu den angeblichen „Buchungstricks" sagen. Es ist ja doch immer wieder erstaunlich, daß der Opposition das eine oder andere einfällt, womit sie an der gut funktionierenden Politik der Koalition zu kratzen vermag. Jetzt sind es die „Buchungstricks". Ihre buchhalterischen Fähigkeiten, Herr Haase, haben Sie ja hier dargelegt. Sie verstehen ja offensichtlich etwas von Buchungstricks. Aber wir haben eben keine Buchungstricks angewandt. Wenn wir uns bemühen, im Haushalt mehr Transparenz zu schaffen, indem wir z. B. eben auch beim Tilgungs- und Verrechnungskonto der Kreditanstalt für Wiederaufbau das Bruttoprinzip, das Prinzip der Bruttoveranschlagung anwenden,
dann kann man uns doch nicht jetzt sagen, das sei ein Buchungstrick. Wenn Sie den Vorwurf vorher erhoben hätten, dann hätte man darüber sogar reden können.
Oder wenn die Bundesbahn, die Jahr für Jahr erhebliche Investitionen tätigt, diese Investitionen zum Teil von den Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt vornimmt, warum kann das nicht als Investitionsausgabe im Bundeshaushalt nachgewiesen werden, wo doch jeder weiß und auch Sie wissen, daß diese Mittel, volkswirtschaftlich gesehen, den Wert von Investitionen mit all den Konsequenzen haben, die sich aus Investitionen ergeben!
Also, was diese Bemerkung über den Buchungstrickangeht, würde ich sagen, der Herr Kollege Glossollte sich da wohl lieber ein bißchen bedeckt hal-
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10142 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Löfflerten; einer meiner Kollegen ist darauf gut vorbereitet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf unsere Stellungnahme zu Haushalt 1979 zusammenfassen:1. Der Haushaltsplan 1979 paßt in die konjunkturelle Landschaft.2. Er leistet einen entscheidenden Beitrag zu den gegenwärtigen finanzpolitischen Zielen;
dabei berücksichtigt er, daß diese Ziele nur in einer sorgfältigen Ausgewogenheit erreicht werden können.3. Mit diesem Haushalt leisten wir u. a. auch unseren Beitrag zur Überwindung der weltweiten wirtschaftlichen Schwierigkeiten.4. Eine glaubhafte und ernstzunehmende Alternative zu diesem Haushalt ist nicht erkennbar.5. Die Bürger können Vertrauen dazu haben, daß das Geld, das sie uns geben, zum Wohle aller verwendet wird.Die sozialdemokratische Fraktion wird — Einzelplan für Einzelplan — diesem Haushalt ihre Zustimmung geben und wird, was z. B. den Antrag der Opposition zum Einzelplan 60 angeht, diesen Antrag wegen mangelnder mathematischer Beweisführung ablehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein altes Sprichwort sagt: Wenn die Tiger aus der Manege sind, langweilen sich die Dompteure. Dies gilt selbstverständlich auch für Löwen, vornehmlich für bayerische Löwen, die rot sehen.
Auch wenn die Vorstellung des Haushalts, so gesehen, vielleicht um eine zirzensische Attraktion ärmer sein mag,
muß das kein Nachteil für die Sache selbst sein.
Tatsächlich sind die Probleme unseres Haushaltes immer drückender, und seine Konturen sind dabei unansehnlicher geworden.
— Lieber Kollege Wohlrabe, Sie kommen auf Ihre Kosten, seien Sie hier nicht so aufgeregt.Meine Damen und Herren, allein mit seiner Größe von über 200 Milliarden DM muß dieser Haushalt auf jeden verantwortlichen Politiker beklemmendwirken; denn er ist in seinen Einzelheiten weder überschaubar noch solide kontrollierbar.
Allenfalls schlichte Gemüter können sich davon beeindruckt zeigen, weil sie durch jeden Superlativ zu blenden sind.
Aber nun wird unsere heutige Haushaltsdebatte dadurch begünstigt, daß wir beim Haushalt des Bundesfinanzministers, bei den Einzelplänen Allgemeine Finanzverwaltung und Bundesschuld hart zur Sache gehen können.Wenn ich allerdings den Beitrag des Kollegen Haase richtig verstanden habe, dann mit einer gewissen Verwunderung; denn es schien mir fast, als hätte er zu einem anderen Haushaltsplan gesprochen
als zu dem, den wir nach der Beratung im Haushaltsausschuß heute zur Beschlußfassung im Plenum unterbreiten.
Meine Damen und Herren, es sieht so aus, als würde mit diesem Beitrag eine Absetzbewegung von jenem Stück Gemeinsamkeit eingeleitet, das bei den Beratungen weitgehend deutlich geworden ist und den Inhalt der Beratungen bestimmt hat. Ich will die Opposition dafür nicht kritisieren; sie kann sich ein solches Verhalten jetzt in der parlamentarischen Aussprache leisten, denn effektive Haushaltskontrolle ist nun einmal nur vor einer Mehrheit auszuüben, und diese Mehrheit der sozialliberalen Koalition wird sich dieser Aufgabe stellen und sie erfüllen. Diese Aufgabe ließe sich allerdings besser bewältigen, wenn der Kontrollmechanismus nicht durch Rollenzwänge zwischen Opposition und Koalition relativiert würde.
Meine Damen und Herren, angesichts der Schwachstellen unseres Haushalts war es für die FDP-Fraktion wichtig, die Ausgaben einzudämmen und den Kreditbedarf nachhaltig zu senken. Das jetzt vorliegende Ergebnis der Haushaltsberatungen läßt sich im Hinblick auf diese beiden Zielvorstellungen mit Anstand vorweisen. Die Verbesserung der Haushaltsstruktur mit einer massiven Absenkung des Kreditbedarfs haben wir keineswegs ausschließlich aus verfassungsrechtlichen Gründen angepackt. Daß das verfassungsrechtliche Gebot zu respektieren ist, ist für uns eine Selbstverständlichkeit, und deshalb vermerken wir mit Genugtuung, daß Art. 115 des Grundgesetzes nicht nur für den Haushalt 1979 keine Probleme mehr aufwirft, sondern auch für alle Jahre der mittelfristigen Finanzplanung keine Bedeutung mehr haben wird.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10143
HoppeGegenüber einem Nettokreditbedarf von 35,5 Milliarden DM nach der Regierungsvorlage kann sich der jetzige Abschluß mit über 31,24 Milliarden DM durchaus sehen lassen. Wenn man außerdem noch berücksichtigt, daß wir mit dem Haushaltsgesetz darauf jene 3 Milliarden DM anrechnen, die schon 1978 aufgenommen wurden und sich in der Kasse des Bundesfinanzministers befinden, dann senkt sich der tatsächliche Kreditrahmen für 1979 auf etwas über 28 Milliarden DM. Der Bund wird — verglichen mit dem Entwurf der Bundesregierung — den Kapitalmarkt im laufenden Jahr deshalb um über 7 Milliarden DM entlasten.Gleichwohl sind die Zins- und Tilgungslasten für den Haushalt bei der hohen Gesamtverschuldung beträchtlich. Speziell die Zinsausgaben steigen von rund 8 Milliarden 1978 auf knapp 20 Milliarden im Jahre 1982. Meine Damen und Herren, hier zahlen wir den Preis für eine mit Schwergewicht vom Bund finanzierte Konjunktur- und Beschäftigungspolitik.
Aber die mit diesem Preis bezahlten und eingeleiteten Maßnahmen haben letztlich wohl auch dazu beigetragen, daß wir alle miteinander jetzt von einer Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse ausgehen können.
Erfreuliche Tatsachen liefern dafür die Indizien: Ende 1978 befanden sich 125 000 Arbeitnehmer mehr in einem Beschäftigungsverhältnis als zur gleichen Zeit des Vorjahres. Erstmals seit 1974 hat die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt die Millionengrenze unterschritten. Die Steigerungsrate der Verbraucherpreise ist heute auf dem niedrigsten Stand seit 1969. Gleichzeitig stieg die Kreditnachfrage aus der Wirtschaft und von privaten Konsumenten um rund 11 % im Vergleich zum Vorjahr, was Ansätze für eine sich selbst tragende Konjunkturbelebung erkennen läßt.Hier sind wir genau an dem Punkt, an dem man den Kreditbedarf der öffentlichen Hand nicht ausschließlich unter dem Aspekt der Ausgabenfinanzierung sehen darf. Er muß vielmehr nach übergeordneten Gesichtspunkten der Wirtschafts- und Finanzpolitik behandelt werden. Bei der sich abzeichnenden Verbesserung der Wirtschaftslage darf nämlich der Spielraum für potentielle Investoren am Kapitalmarkt unter gar keinen Umständen beeinträchtigt werden. Es darf dort also nicht zu einem Verdrängungswettbewerb kommen. Im Gegenteil: die öffentliche Hand muß durch betonte Zurückhaltung Zinsauftriebstendenzen vermeiden. Nur so werden wir private Investitionen begünstigen und die Unternehmer ermutigen, ein Investitionsrisiko einzugehen. — Ich will in diesem Zusammenhang nicht untersuchen, ob die Kreditpolitik des Bundes in den letzten Wochen des vergangenen Jahres einem solchen Maßstab gerecht wurde.Die Absenkung des Kreditbedarfs aber ist schließlich auch dadurch möglich geworden, daß durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer ein wichtiger Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts geleistet worden ist. Alle Haushaltspolitiker haben aufgeatmet, als feststand, daß auch dieser Teil des Steuerpakets der Bundesregierung Bestand haben würde.Im Augenblick der internationalen Wirtschaftskrise und der nationalen Konjunkturflaute war es notwendig und richtig, mit öffentlichen Mitteln in die Bresche zu springen. Es war unvermeidbar, dafür eine hohe Staatsverschuldung in Kauf zu nehmen. Zwingend war es aber gleichwohl, den finanzpolitischen Kompaß klar auf Konsolidierungskurs zu halten. Konsequent ist es dann aber auch, jetzt, in einem Moment, in dem das Konjunkturbarometer wieder steigt, darauf entsprechend zu reagieren. Wenn eine antizyklische Haushaltspolitik überhaupt eine Chance haben soll, darf sie hier jetzt nicht vertan werden.Dabei wird niemand behaupten, daß wir schon in einem beständigen Schönwettergebiet angekommen seien. Und weil das so ist, sind wir auch weit davon entfernt, das gehegte und gepflegte Pflänzchen des Konjunkturaufstiegs zu früh aus der Schutzhülle zu nehmen und der rauhen Wirklichkeit auszusetzen. Deshalb wird sich jeder davor hüten, denKonjunkturaufschwung durch grobschlächtige Sparmaßnahmen zu ersticken.Mit der gebotenen Vorsicht konnte aber der Schritt zur Konsolidierung hin durchaus sichtbar getan werden. Das erscheint mir deshalb wichtig, weil sonst die Konsolidierung leicht zu einem Schlagwort hätte verkümmern können. Die Gefahren für den Haushalt und die Staatsfinanzen liegen nämlich genau dort, wo man sich an eine zunächst konjunkturell erzwungene expansive Haushaltspolitik zu gewöhnen beginnt. Wird die hohe Verschuldung immer weiter hingenommen und dann gar als Mittel eingesetzt, um Wünsche zu befriedigen und Gefälligkeiten zu erweisen, dann wird dieser Prozeß bedenklich. Ist man erst einmal soweit, den ganzen Einfallsreichtum darauf zu konzentrieren, neue Aufgaben zu erfinden, weil man die um den Preis der Verschuldung hochgerückten Staatseinnahmen als vorgegeben ansieht, dann hat man die Stunde der Umkehr verpaßt. Eine auf Dauer praktizierte Kängeruh-Politik — große Sprünge mit leerem Beutel — wäre für die Staatsfinanzen ruinös. Es ist deshalb erfreulich, daß der richtige Weg der Umkehr eingeschlagen wurde. Der Haushaltsausschuß konnte im Einvernehmen mit dem Bundesfinanzminister klaren Kurs auf Konsolidierung halten.Das Ziel muß auch aus einem weiteren Grund konsequent angesteuert werden. Es gilt nämlich, den Haushalt gegenüber jenen Risiken aus dem Bürgschaftsgeschäft abzusichern, bzw. ihn unanfälliger dagegen zu machen. Solche Risiken sind vorhanden; das hat die internationale Entwicklung gezeigt. Sie resultieren aus der Gewährleistung des Bundes. Mit dem Haushalt 1979 klettert der gesamteBürgschaftsrahmen auf über 237 Milliarden DM. Auf die hier schlummernden Gefahren und auf ihre Relevanz für den Haushalt ist in der Vergangenheit hier und da hingewiesen worden. Aber das Ganze blieb mehr auf der theoretischen Ebene der Diskussion. Der Außenhandel lief verhältnismäßig rei-
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Hoppebungslos, die vom Bund verbürgten Engagements wurden korrekt abgewickelt, und die Sache trat deshalb in ihrer Bedeutung weit hinter anderen Problemen zurück. Der eingetretene Bürgschaftsfall Türkei und die politischen Veränderungen im Iran haben jetzt allerdings deutlich werden lassen, daß sich die aus den Bürgschaftsgeschäften resultierenden Haushaltsprobleme unter Umständen schnell aktivieren und kulminieren können. Dennoch bleibt für die Bundesrepublik Deutschland die Gewährleistungspolitik ein unverzichtbares Instrument zur Förderung des Außenhandels und zur Arbeitsplatzsicherung. Dies ist auch der Grund, warum allein die Ermächtigung für die Übernahme von Ausfuhrbürgschaften in den letzten vier Jahren von 60 Milliarden DM auf nunmehr 143 Milliarden DM gestiegen ist. Eine Alternative zu dieser Politik gibt es für uns als Handelsnation also nicht. Aber die Brisanz, die in den Verpflichtungen des Haushaltsgesetzes für den Haushalt selbst steckt, gilt es künftig wohl sehr viel sorgfältiger zu beachten, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
Die Ausgaben des Haushalts steigen um 7,8 %. Die Veränderung der Basiszahl für die Ausgaben des Haushalts 1978 mit Mehrausgaben von rund 500 Millionen DM hat dies möglich gemacht. Doch der Haushaltsausschuß hat zur Begrenzung der Ausgaben gewiß mehr getan, als nur die darin liegende Änderung zu registrieren. Zwar nimmt sich seine Ausgabenkürzung um 740 Millionen DM bei einem Haushalt von rund 204 Milliarden DM mehr als bescheiden aus; aber der Haushaltsausschuß hat in seinen Beratungen stärker zugegriffen, als es in diesem Saldenbetrag zum Ausdruck kommt. Schließlich mußte darüber hinaus durch weitere Kürzungen in beträchtlichem Umfang erst einmal Platz für jene Ausgaben geschaufelt werden, die erst während der Beratungen auf den Tisch gekommen sind. Dazu gehören 600 Millionen DM für die weitere Erhöhung des Kindergeldes nach dem Vermittlungsergebnis, 485 Millionen DM für die Leistungen an die DDR nach den Verkehrsvereinbarungen, 238 Millionen DM für Werften- und Schiffahrtshilfe, ebenso die für 1979 jeweils fälligen Raten von 50 Millionen DM für die Leistungen an das Land Niedersachsen im Zusammenhang mit dem Entsorgungszentrum und die Finanzhilfe des Bundes im Zusammenhang mit dem Beitritt Irlands zum Europäischen Währungssystem. Alles in allem entsteht dann doch ein respektables Beratungsergebnis. An diesem Ergebnis ist auch abzulesen, daß der Haushaltsausschuß gewillt ist, mit der Eindämmung der Ausgabenflut ernst zu machen.Meine Damen und Herren, das Resultat wird nicht alle zufriedenstellen. Insbesondere die Opposition wird uns hier der Nachgiebigkeit gegenüber der Regierung zeihen. Ich habe für die Argumentation der Opposition Verständnis, aber auch sie muß wie wir von jenen Erfahrungswerten ausgehen, die der vorläufige Haushaltsabschluß 1978 geliefert hat. Durch die schon im vergangenen Jahr vom Haushaltsausschuß, und zwar nicht zuletzt beim Nachtragsetat, verhängten Kürzungen ist der Haushaltmaßgeschneidert worden. Luft für den Finanzminister steckt da nicht mehr drin.
— Eben nicht mehr, verehrter Herrr Kollege; davon haben Sie sich eigentlich bei den Beratungen überzeugen können.Nach Meinung der Freien Demokraten ist der Haushalt 1979 in der jetzt vorliegenden Fassung ein Instrument, das die für dieses Jahr zu erwartende gesamtwirtschaftliche Entwicklung weitgehend berücksichtigt. Er trägt deshalb mit seinem Teil dazu bei, daß die begründeten Aussichten auf eine weitere Fortentwicklung bei der Anhebung des Beschäftigungsstandes auch tatsächlich realisiert werden können. Die Verbesserung der Grundstimmung in der Wirtschaft spricht dafür, daß sich die seit dem zweiten Vierteljahr 1978 spürbare Erholung auch 1979 fortsetzt. Voraussetzung für diese Einschätzung ist nicht nur eine möglichst störungsfreie Außenwirtschaft, vor allen Dingen müssen auch die am Wirtschaftsprozeß unmittelbar Beteiligten diese Tendenz dadurch unterstützen, daß sie ihr Verhalten an dem vordringlichen innenpolitischen Ziel der Vermehrung von Arbeitsplätzen ausrichten, und zwar mit Lösungen, die die erfreulichen Ergebnisse bei den Preissteigerungsraten nicht gefährden. Das Rin- . gen der Tarifpartner um bestmögliche Lösung im wirtschaftlichen Ausgleich gehört in der Tat zu unserem leistungsfähigen Wirtschaftssystem. Streit und Streik sind darin eingeschlossen, aber auch Einsicht und Bereitschaft zum Kompromiß dürfen nicht ausgesperrt werden. Daß diese Fähigkeiten nach wie vor vorhanden sind, hat der heutige Tarifabschluß gezeigt. Die Lernfähigkeiten sind auf allen Seiten erhalten geblieben. Das läßt für die wirtschaftliche Entwicklung und für den sozialen Frieden in der Bundesrepublik Deutschland hoffen.Meine Damen und Herren, die Lage des Haushalts ist aber wahrlich nicht so, daß bei höheren Steuereinnahmen, geringerer Verschuldungsrate und Ausgabenkürzungen sofort neue ausgabenträchtige Ideen und Programme hervorgezaubert werden müßten. Gewiß ist der Zustand der Wirtschaft und des Haushalts nicht als Jammertal zu bezeichnen. Wenn man für die Zustandsbeschreibung einen kompetenten Zeugen anführen will, hat das gerade in diesem besonderen Fall viel für sich. Der Kollege Biedenkopf mag im Augenblick in der Opposition umstritten sein,
aber sicher ist er für wirtschaftliche Analysen nach wie vor eine gute Adresse. Nach seiner Beurteilung hat sich die wirtschaftliche Entwicklung im Innern entspannt; die Wirtschaft beginnt, wenn auch noch zögernd, wieder zu investieren. Sein Urteil deckt sich weitgehend mit den Feststellungen des Jahreswirtschaftsberichts.Aber dem Haushalt droht Gefahr, wenn uns das Werftenprogramm noch zu einem subventionsträchtigen Präzedenzfall mißraten sollte.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10145
Hoppe Die so vehement propagierten und protegierten Förderungsmaßnahmen scheinen deshalb nicht unbedenklich zu sein, weil ein erreichbarer wirtschaftlicher Effekt nicht erkennbar ist und außerdem unsere finanzielle Leistungskraft offenbar völlig außer acht gelassen wird. Wenn wir so weitermachen, werden wir die kostspielige internationale Praxis, sich mit Subventionen den Rang abzulaufen, auch noch auf die verschiedenen Wirtschaftsregionen im Inland übertragen.
Dieser Tendenz dürfen wir nicht nachgeben, und uns schon gar nicht aus parteiegoistischen Gründen noch gegenseitig hochpokern.
Anderenfalls leiten wir genau jene Fehlentwicklung ein, die wir der Wirtschaft und unseren Staatsfinanzen ersparen sollten.
— Verehrter Kollege, dann sind wir auch gemeinsam der Meinung, daß jene Forderung aus der Region Baden-Württemberg ebenfalls wieder schnell in der Schublade verschwinden sollte; denn das war ja nun wirklich eine seltsame Überraschung. Nachdem wir in der ersten Lesung hier den Auftritt des Spar-Späth erlebt haben, kriegen wir jetzt in den Haushalt noch Späth-Schäden hineinoperiert mit wirklich ärgerlichen Implikationen für die Zukunft.
Ich hoffe deshalb, daß uns das nach dem Ergebnis der von der Bundesregierung auf diesem Gebiet eingeleiteten Prüfung erspart bleiben wird.
Der Einzelplan 60 enthält die Leistungen für Berlin. Mit diesem Haushalt wird jenes Programm auf den Weg gebracht, mit dem die Parteien in einer gemeinsamen Erklärung dem Appell des Bundespräsidenten — in Form eines Solidarbeitrags für eine abgetrennte Teilregion — gefolgt sind. Erfreulich auch, daß die interfraktionelle Initiative zu jenem Teil der Erklärung, der sich mit der Novellierung des Berlin-Förderungsgesetzes beschäftigt, dem zuständigen Fachausschuß zur Beratung vorliegt. Die große Bedeutung dieses Vorgangs — unabhängig von den wichtigen Einzelleistungen, die das Berlin-Programm enthält — ist aber doch wohl in dem Umstand zu sehen, daß die Parteien nach Jahren des Streits in Sachen Berlin wieder zur Gemeinsamkeit zusammengefunden haben. Mit dieser Geschlossenheit ist ein wichtiger Anfang in der nationalen Frage gelungen. Es könnte ermutigend sein, wenn dieser Grundkonsens auch die heiße Phase des Berliner Wahlkampfs überdauern würde. Es spricht vieles dafür, daß das gelingen könnte.Im Einzelplan 60 sind aber auch jene Beträge etatisiert, die nach den Verkehrsvereinbarungen an dieDDR zu zahlen sind, Leistungen, von denen in erster Linie die Berliner profitieren. Die haushaltspolitischen Konsequenzen sind weitgehend einstimmig gezogen worden; umstritten blieb lediglich die Höhe der Transitpauschale. Die Opposition mag darüber rechten, daß über einen unter Vorbehalt gezahlten Teilbetrag nicht mehr geredet wird und die Bundesregierung hier ein großzügiges Verhalten an den Tag gelegt hat. Sie wird dann auch kritisieren, daß die so festgelegte, von einem zu hohen Niveau ausgehende Pauschale zu großzügig bemessen worden ist. Buchhalterisch läßt sich ein solcher Vorwurf konstruieren. Aber ob eine solche Rechnung politisch aufgeht, hängt von uns allen ab.Und hier ist verblüffend, welcher Kleinmut aus der Kritik der Opposition spricht. Jene CDU, die in Berlin mit dem Kollegen von Weizsäcker den politischen Wechsel herbeiführen will, ficht dort für Berlin als nationale Aufgabe, und hier sät sie daran Zweifel aus.Nun haben wir Berlin allerdings immer als nationale Aufgabe gesehen, und die Ergebnisse der Berlin-Kommission der Parteien zeugen davon, daß es sich dabei nicht um eine Besonderheit der Freien Demokraten handelt — wie denn die nationale Aufgabe überhaupt nicht Sache einer einzigen Partei sein kann.Wie es um Berlin und seinen nationalen Rang bestellt ist, hängt letztlich davon ab, in welchem Umfang die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland sich mit dieser Stadt und ihren Problemen identifiziert und wie sehr sie Berlin und die Berliner in ihren Lebensrhythmus einschließt. Der ständige Strom von Zuwanderern und Besuchern muß so stark werden, daß die Lebenskraft dieser Stadt einfach nicht versiechen kann.Daran mitzuwirken, daß ein solches Engagement für Berliner vom Bürger der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich als seine ureigene Aufgabe begriffen wird, ist Sache aller Parteien. Wir Freien Demokraten werden uns zu unserem Teil dieser Aufgabe stellen. Wenn wir alle dies zu einer Gemeinschaftsaufgabe im besten Sinn des Wortes machen, dann ist mir um den Erfolg nicht bang. Und dann ist die Transitpauschale auch in dieser Höhe nicht nur politisch, sondern auch rechnerisch richtig bemessen.
Die Freien Demokraten werden dem Haushalt für 1979 in der Fassung, in der er nach den Beratungen des Haushaltsausschusses jetzt vorliegt, in allen Einzelplänen zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herzlichen Dank, Herr Hoppe, für Ihre objektive Darstellung. Auch Ihrer Bemerkung über Herrn Haase möchte ich zustimmen. Ich möchte sie nur
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10146 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Bundesminister Matthöferergänzen. Herr Haase hat nicht nur über einen anderen Haushalt — —
— Schönen Dank, Herr Riedl! Ich bin Ihnen überhaupt immer sehr dankbar, wenn Sie mir Ratschläge geben, und versuche, mich daran zu halten.
— Wenn Sie so fortfahren, bitte ich um Verständnis, daß ich auf Ihre Zwischenrufe leider nicht mehr eingehen kann.
Herr Haase, Sie haben nicht nur über einen anderen Haushalt gesprochen, wie Herr Hoppe meinte. Sie haben über ein ganz anderes Land gesprochen, jedenfalls über ein anderes Land, als ich es kenne, über ein Land, das anders ist, als — lesen Sie bei Herrn Biedenkopf nach — das deutsche Volk sein eigenes Land einschätzt.
Ich bedaure außerordentlich, Herr Haase, daßSie wieder Ihre alten Klischees vorgetragen ha-ben. Das führt uns ja überhaupt nicht weiter. Ichbin nun gezwungen, zu extemporieren und dies alles aufs neue zu widerlegen. Politik ist leider nicht nur eine Sache der Originalität. Wenn hier diese alten, abgedroschenen Klischees vortragen werden, muß man sie halt immer widerlegen. Kein Weg geht daran vorbei.Sie haben allerdings auf dem Weg seit 1969 einige der Klischees verloren, weil sie ganz offenbar unbrauchbar geworden sind. Ich erinnere mich an den Wahlkampf 1969. Den haben wir — jedenfalls wir, die wir ein bißchen ökonomisch interessiert waren — in der Schlußphase mit vielen Diskussionen über die Aufwertung der DM geführt. Wenn ich es richtig im Gedächtnis habe, hat der damalige CDU-Bundeskanzler erklärt, solange er Bundeskanzler sei, werde nicht aufgewertet. Das spielte eine große Rolle im Wahlkampf. Ich erinnere mich an ganzseitige Anzeigen Ihrer Partei aus dem Jahr 1972 über den Fluch der Aufwertungspolitik, die die Außenhandelsüberschüsse zerstören werde. Das ist alles Unsinn gewesen, Herr Haase. Wir haben im vergangenen Jahre einen Außenhandels- und Leistungsbilanzüberschuß gehabt. Wir prognostizieren einen ähnlichen Überschuß für dieses Jahr. Ich unterschätze keineswegs — das wissen Sie, das weiß auch die betroffene Industrie — die Schwierigkeiten unserer exportierenden Industrie. Ich tue— in den verschiedenen Aufgaben, die ich wahrnehme — alles, was ich kann, um ihr zu helfen.Tatsache ist jedenfalls: hätten wir Ihre aus einer falschen Diagnose entspringende falsche Therapie befolgt, dann hätten wir die Inflation in unser Landgetragen — gar kein Zweifel —, und wir hätten Dutzende von Milliarden in realen Ressourcen an das Ausland verschenkt. Weshalb bringen Sie das nicht mehr?Das zweite Klischee war die Inflation. Erinnern Sie sich noch, Herr Haase, wie Sie genüßlich immer die Inflationsgefahren an die Wand gemalt haben?
Seit Jahren — seit Jahren! — ist die Bundesrepublik Deutschland das Industrieland mit den niedrigsten Preissteigerungsraten.
Das ist in diesem Jahr so, das war im vergangenen Jahr so, und das wird, Herr Kollege Haase, auch im nächsten Jahr so sein,
weil wir nämlich unseren eigenen Einsichten folgen und nicht Ihren nun seit einem Jahrzehnt falschen Ratschlägen.
Nun ist Ihnen die Verschuldung übriggeblieben. Da Sie immer die gleichen Argumente bringen, muß ich nun auch immer das gleiche sagen.
Sie haben die Lehren der Nationalökonomie und der Wirtschaftsgeschichte der letzten 50 Jahre noch nicht verarbeitet. Bevor Sie das nicht getan haben, tut das deutsche Volk auch recht daran, Sie nicht in die Regierung zu rufen. Sie würden nämlich Unheil anrichten
mit Ihren naiven und primitiven volkswirtschaftlichen Vorstellungen, wenn sie wirklich so sein sollten, wie Sie sie hier vorgetragen haben, was ich nicht hoffe.Sagen Sie doch mal, Herr Kollege Haase und die anderen, die Ihnen Beifall geklatscht haben: was wäre denn passiert in der Bundesrepublik, hätte die Bundesregierung nicht in Übereinstimmung mit dem wirtschaftlichen Sachverstand dieses Landes und dem internationalen wirtschaftlichen Sachverstand diese Art von Kreditaufnahmepolitik betrieben? Was wäre dann die Folge gewesen? Massenarbeitslosigkeit, Herr Kollege Haase! Wer die Bundesregierung als „Schuldenmacher" bezeichnet, muß sich sagen lassen, daß er bereit gewesen wäre, eine Politik zu betreiben, die in unserem Lande Massenarbeitslosigkeit herbeigeführt hätte.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10147
Bundesminister MatthöferDas Ergebnis unserer Politik liegt klar zutage. Es wird vom deutschen Volk ja auch anerkannt.
— Sicher, wir sind schuld an der Arbeitslosigkeit! In den Vereinigten Staaten, in Italien, in Frankreich, überall in der Welt gibt es Arbeitslosigkeit, die wir gemeinsam bekämpfen. Gibt es sie, weil die Sozialdemokraten in der Bundesrepublik einige wenige Reformen durchgeführt haben?
Sie leben doch — — „Anders, versteh' ich wohl, als sonst in Menschenköpfen malt sich in Ihrem Kopf das Bild der Welt."
Wie ist denn zu erklären, daß weltweit Arbeitslosigkeit besteht? Weil die Sozialdemokraten innere Reformen durchgeführt haben? Das glauben Sie doch selbst nicht?
Das Ergebnis unserer Politik liegt klar zutage, wird vom deutschen Volk auch anerkannt. Die kommen ja herum, Herr Kollege Haase. Wir haben einen enormen Tourismus, weltweit. Die Zahl der Touristen in den USA ist auf über 500 000 gestiegen. Auf Grund der gestiegenen Kaufkraft der D-Mark kann sich das deutsche Volk auch mehr als jedes andere Volk erlauben, sich in der Welt umzusehen. Die kommen zurück und vergleichen, und sie sehen: die sozialdemokratisch geführte sozialliberale Koalition hat dieses Land besser durch die weltweite Krise gebracht, als das in den meisten anderen Ländern der Fall gewesen ist.
Und dies wird anerkannt. Diesen Eindruck können Sie mit noch so viel Klischeeaufwand nicht wieder wegbekommen.Mit Genugtuung und Zuversicht stellen wir fest, daß auch im Jahre 1979 die wirtschaftlichen Aussichten sich weiter verbessert haben. Das kann doch keiner bezweifeln. Auch im Verlaufe des Jahres 1978 hat sich das wirtschaftliche Wachstum beschleunigt. Wir werden diesen Impuls in das neue Jahr hineintragen.Die Auswirkungen zeigen sich auch schon verstärkt auf dem Arbeitsmarkt. Die Zahl der Arbeitslosen geht seit dem Spätsommer stetig, wenn auch für meinen Geschmack viel zu langsam, zurück. Im Jahresdurchschnitt unterschritt die Arbeitslosenzahl zum erstenmal seit 1977 deutlich die Millionengrenze; sie wird auch im nächsten Jahr weiter zurückgehen. Wir konzentrieren uns jetzt darauf, Problemgruppen bestimmte Hilfen zu geben. Wir haben das schon in dem Maßnahmenbündel des Sommers getan: Herabsetzung der Altersgrenze für Schwerbehinderte, gezielt auf die Arbeitsmarktsituation bei den Schwerbehinderten, Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs, nicht nur familienpolitisch notwendig, sondern auch auf die Probleme 'am Arbeitsmarkt für Frauen gerichtet.Hier darf ich Ihnen einmal etwas sagen, Herr Kollege Haase: Ihre abfälligen Bemerkungen über die Bemühungen der sozialliberalen Bundesregierung, durch eine entsprechende Ausstattung des Ministeriums die nächsten Schritte auf dem Wege zur Gleichberechtigung der Frau vorzubereiten, kennzeichnen Sie und Ihre Politik als rückwärts gewandt.
In der großen Zahl der deutschen Frauen liegt ein großes, unaufgeschlossenes Potential auch an Produktivität. Wir werden durch Schritte auf dem Wege zur Gleichberechtigung sicherstellen, daß die Frauen ihre Persönlichkeiten mehr und mehr auch im Arbeitsleben frei entfalten können, wenn sie dies wollen, oder sich als Mutter frei entfalten können, wenn sie so wollen.
In dieser Beziehung ist die Bundesrepublik, wenn Sie sich einmal ansehen, was sich in den Vereinigten Staaten vollzieht, kein sehr fortschrittliches Land. Wir haben hier einen Nachholbedarf. Hier möchten die Liberalen und die Sozialdemokraten auf dem Wege zur Gleichberechtigung der Frau vorankommen.
Aber die Konservativen dieses Landes waren schon gegen das Wahlrecht für Frauen; das haben die Sozialdemokraten auch einführen müssen. Ich bin also nicht sonderlich überrascht.Was Sie über das Problem sagen, mit dem Herr Kühn sich befassen soll:
Lieber Herr Haase, wollen Sie wirklich einem Großstadt-Abgeordneten so etwas sagen? Sie wissen, ich vertrete seit 1961 den Nordosten Frankfurts hier im Bundestag. Wir haben enorme Probleme z. B. mit der Integration der ausländischen Arbeiter, mit der Integration der ausländischen Kinder.
Glauben Sie denn nicht, daß es nützlich ist, daß ein Mann mit der enormen Lebenserfahrung und der Durchsetzungsfähigkeit des Herrn Kühn freigestellt wird, um sich dieser Probleme anzunehmen und uns Vorschläge zu machen, wie wir da vorankommen?
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10148 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Ja, eine Frage, Herr Präsident. Aber dann bitte ich um Verständnis, daß ich meinen Zeitrahmen nicht sprengen will, da ich argumentativ auf meine Vorredner eingehen will. — Bitte, Herr Kollege Haase!
Verehrter Herr Minister, daß die Probleme bestehen, bezweifelt doch kein vernünftiger Mensch. Nur, es ist Sache dieses riesigen Ressorts, das gut dafür vorbereitet ist, diese Probleme zu lösen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie müssen eine Frage stellen.
Sind Sie nicht der Meinung, daß das große Ressort das zu lösen hat und nicht eine einzelne Person?
Herr Kollege Haase, Sie hatten das schon in Ihrer Rede gesagt; ich wäre auch ohne Ihre Zwischenfrage auf Ihr Argument eingegangen.
Es gibt doch immer wieder solche Situationen, und jeder von uns, der Verwaltungsverantwortung getragen hat, weiß doch, daß in einem bestimmten Ministerium, wenn ein Problem neu und verstärkt angegangen werden soll, nicht immer personelle Problemlösungskapazität vorhanden ist. Da muß man auch auf außenstehenden Sachverstand zurückgreifen und ihn in das Ministerium hineinnehmen können.
Sie mögen das für überflüssig oder lächerlich halten oder lächerlich machen.
Wir werden aber den Konservativen dieses Landes nicht gestatten, uns zu hindern, weiter auf dem Wege zur Gleichberechtigung der Frau voranzuschreiten.
Genauso ist es mit den ausländischen Kindern. Welch ein großes Gefährdungspotential liegt hier. Ich darf auch auf die Jugendarbeitslosigkeit hinweisen. 60 Prozent haben wegen der Sprachschwierigkeiten keinen Hauptschulabschluß. Wie steht es denn mit der Jugendkriminalität, mit der Arbeitslosigkeit, mit dem Drogenproblem, das auf uns zukommt?
Von der Bundesregierung aus wird hier angeregt, daß den Ländern gegenüber Vorschläge gemachtwerden, damit wir gemeinsam — Städte, Länder und Gemeinden —uns dieses drängenden Problems annehmen, das uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten plagen wird, wenn wir seine Lösung jetzt nicht unverzüglich durch vernünftige Vorschläge und Untersuchungen in Angriff nehmen und die ersten Schritte zur Lösung tun. Dies wird von Ihnen personalisiert, und der Versuch der Bundesregierung, hier einen Schritt vorwärtszukommen, wird von Ihnen lächerlich gemacht.Ich möchte mich hier Herrn Hoppe anschließen und mich ausdrücklich bei den Tarifvertragsparteien für den vorzüglichen und für die Konjunktur geradezu maßgeschneiderten Abschluß in der hessischen Metallindustrie bedanken. Hier haben die deutschen Gewerkschaften wieder einmal ihr volkswirtschaftliches Verantwortungsbewußtsein bewiesen. Wir sollten dankbar dafür sein, daß wir solche Gewerkschaften haben, denn diese Gewerkschaften sind der Garant der Leistungskraft unseres Volkes.Die optimistische Stimmung in der Wirtschaft wird auch dafür sorgen, daß die Investitionen zunehmen. Wir werden insgesamt auf ein Wachstum von real gut 4 Prozent kommen. Dies ist eine ausgezeichnete Leistung, und zwar nicht nur jetzt im Vergleich mit anderen Ländern, sondern auch im historischen Durchschnitt. Steuersenkungen und Kindergeldanhebungen werden die realen Nettoeinkommen der Arbeitnehmer erneut kräftig ansteigen lassen. Der private Verbrauch bleibt weiterhin eine wichtige Stütze der Konjunktur. All das wird sich auch positiv auf die Investitionsnachfrage auswirken. Die deutsche Wirtschaft wird angesichts der D-Mark-Aufwertung und des Strukturwandels auf den In- und Auslandsmärkten und der fortschreitenden internationalen Arbeitsteilung beträchtliche Anstrengungen unternehmen, um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Es ist zu hoffen, daß die schwierigen Bemühungen um eine Stabilisierung des Dollars und des internationalen Währungsgefüges insgesamt erfolgreich verlaufen und daß keine nachhaltigen Störungen des internationalen Handels und der Energiemärkte eintreten.Diese gesamte Entwicklung bestätigt die Richtigkeit unserer Politik. Ohne z. B. das Programm für Zukunftsinvestitionen vom Frühjahr 1977, das bis Ende 1978 immerhin zu Auftragsvergaben von insgesamt 11 Milliarden DM führte, ohne die expansive Haushaltsgestaltung bei Inkaufnahme hoher Haushaltsdefizite, die auch uns Sorge machen, Herr Kollege Haase, wäre das wirtschaftliche Ergebnis 1978 wesentlich schlechter ausgefallen und wäre die Arbeitslosigkeit in diesem Jahre höher gewesen. Daran kann doch gar kein Zweifel bestehen.Wir haben die Politik der Nachfragestärke in Verbindung mit einer dauerhaften Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit den Beschlüssen vom 28. Juli 1978 fortgesetzt. Zu Jahresbeginn folgten deshalb die Entlastungen bei der Lohn- und Einkommensteuer, die Erhöhung des Kindergeldes für das dritte und jedes weitere Kind; Mitte des Jahres folgen die Erhöhung des
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Bundesminister MatthöferKindergeldes für das zweite Kind, die Einführung des Mutterschaftsurlaubs, die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte in zwei Stufen, die Entlastung bei der Gewerbesteuer und die Abschaffung der Lohnsummensteuer. Gegenrechnen muß man dann die Erhöhung der Umsatzsteuer vom 1. Juli 1979 ab von 12 auf L3 v. H. bzw. bei den niedrigeren Sätzen um ein halbes Prozent. Das soll die Haushaltsdefizite von Bund und Ländern begrenzen und damit der Kapitalmarktentlastungs- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen nünftiger Schritt auf dem Wege hin zu einer besseren Steuerstruktur ist.Die steuerlichen und die sozial- und familienpolitischen Maßnahmen zusammen mit den Ausgaben des Bundes für strukturelle Hilfen für Berlin sowie für Forschung, Entwicklung und Innovation belaufen sich auf insgesamt 13,5 Milliarden DM im Jahre 1979, auf gut 15 Milliarden DM im Jahre 1980 mit steigender Tendenz in den folgenden Jahren. Mit diesen Maßnahmen zielen wir auf eine Stärkung der privaten Kaufkraft, auf eine Entlastung des Arbeitsmarktes und eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zur Verbesserung der Leistung dienen. Wir glauben auch, daß dies ein verWirtschaft ab.Ich begrüße, daß der Haushaltsausschuß, immer ein starker Verbündeter des Finanzministers, nach sorgfältiger Prüfung das Konzept dieses Haushalts mitträgt. Dem Ausschuß ist es gelungen, den Mehrbedarf gegenüber der Regierungsvorlage durch Einsparungen in anderen Bereichen aufzufangen und darüber hinaus noch das Ausgabenvolumen um rund 750 Millionen DM zu verringern.Die günstigeren wirtschaftlichen Aussichten für 1979 werden sich auch auf der Einnahmenseite des Bundeshaushalts zeigen. Wir können für 1979 gegenüber der letzten Steuerschätzung mit etwa 2 Milliarden DM Steuereinnahmen mehr rechnen.Ferner möchte der Haushaltsausschuß, daß die Deutsche Bundespost neben ihrer gesetzlichen Ablieferung — das sind in diesem Jahr 2,4 Milliarden DM — 1979 eine Sonderablieferung an den Bund in Höhe von 1,1 Milliarden DM vornimmt. Das hatte auch die Bundesregierung bei ihren Haushaltsüberlegungen für erwägenswert gehalten. Diese Abgabe wird die Investitionskraft der Bundespost nicht schmälern. Auch im Interesse eines noch besseren und breiteren Leistungsangebots in den 80er Jahren ist es erforderlich und richtig, daß die Bundespost weiterhin massiv investiert, übrigens auch in neue Technologien und in Pilotmodellvorhaben. Daß diese Investitionsplanung auch die allgemeine wirtschaftliche Belebung stärkt, sei hier am Rande vermerkt.Herr Kollege Löffler und Herr Kollege Hoppe hatten schon darauf hingewiesen, daß sich die für 1979 geplante Nettokreditaufnahme dadurch wesentlich vermindert. Der Kreditbedarf wird deshalb auch leichter an den Kapitalmärkten zu decken sein.In Ausgaben und Einnahmen hat der Haushaltsausschuß somit den Etatentwurf der Entwicklung angepaßt und Umschichtungen vorgenommen, die ich insgesamt begrüße.Möglicherweise wird sich übrigens auch bei den Ländern zeigen — wie das in den letzten Jahren immer der Fall war —, daß der für 1979 veranschlagte Kreditbedarf im vorgesehenen Umfang überhaupt nicht benötigt wird. Ich bin zuversichtlich, daß die öffentlichen Hände 1979 zur Haushaltsfinanzierung weniger als 50 Milliarden DM am Kapitalmarkt aufnehmen werden. Das ist deutlich weniger als jene 60 Milliarden DM, die wir in Abstimmung mit der Bundesbank Mitte vergangenen Sommers als obere Grenze angesehen haben.Herr Kollege Haase, eine Bemerkung — weil Sie darauf eingegangen sind — über das Verhältnis des Bundesfinanzministers zur Bundesbank. Ich kann Ihnen sagen: Das ist ein solidarisches, freundschaftliches, ja geradezu kameradschaftliches Verhältnis.
— Bitte, wir haben im letzten Jahre ganz schwierige Dinge gemeinsam zustande gebracht: bei der Dollarstabilisierung, beim EWS, bei der Finanzierung. Die Bundesbank hat ihren gesetzlichen Auftrag, die Politik der Bundesregierung zu unterstützen, in vollem Umfange erfüllt. Es gibt überhaupt keine Kritik an ihrem Verhalten. Es gibt keinen Streit, es gibt keine Rüge.Herr Kollege Haase, es ging in der einen Frage der Erhöhung des Lombardsatzes um den Zeitpunkt. Sie hätten besser daran getan, einmal nachzulesen, was denn da nun eigentlich vorgegangen ist. Sie haben es nicht getroffen. Tut mir leid, das sagen zu müssen.
Nun frage ich mich: War die ganze Aufregung eigentlich erforderlich? Ich kann Herrn Präsidenten Emminger nur zustimmen, der gestern nachmittag in Offenbach gesagt hat, die Dramatisierung sei völlig überflüssig gewesen. Dieser Meinung bin auch ich. Weder ist die Entscheidung so ungeheuer wichtig gewesen noch war der Kommentar dazu angetan — Herr Kollege Häfele, nun bitte ich Sie aber doch herzlich —, darin einen Angriff auf die Autonomie der Bundesbank zu sehen. Wie können Sie nur zu solchen Schlußfolgerungen kommen, wenn Sie sich den Tatbestand ansehen?
Ich darf da einmal an Ihre Logik appellieren: Welchen Sinn hätte denn Autonomie, wenn sie sich nicht auch im Falle einer Meinungsverschiedenheit bewähren könnte?
Beide, Bundesbank und Bundesregierung, hier vertreten durch den Bundesfinanzminister, werden keine Entwicklung zulassen, die inflationären Charakter trägt. Wir werden sie — wie bisher — mit allen unseren Kräften bekämpfen. Wir werden gemeinsam — Bundesbank und Bundesregierung — eine Entwicklung anstreben, die sich ohne nachfrage-
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10150 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Bundesminister Matthöferstützende Maßnahmen des Bundes und der Länder selbst trägt und auch — hoffnungsvollerweise — selbst verstärkt.Wie soll man sich Ihrer Meinung nach verhalten, wenn eine Situation dergestalt eintritt, daß man unter Freunden über den Zeitpunkt einer bestimmten Maßnahme eine unterschiedliche Meinung hat? Ist der Bundesfinanzminister verpflichtet, sich immer der Meinung des Zentralbankrates anzuschließen? Doch sicher nicht! Wie soll man sich verhalten, wenn man einmal, wie das in dieser Einzelfrage der Fall ist, unterschiedlicher Meinung ist? Soll man heucheln, soll man sagen: Jawohl, das war alles richtig, ich habe das auch immer so gewollt? Soll man hinter vorgehaltener Hand indiskretionieren: Ich bin aber ganz anderer Meinung? Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Dies ist nicht die Art, wie ich mit Freunden umgehe; das wissen Sie genau. Ich bin für offene Aussprache und offene Darlegung der Probleme, damit auch das deutsche Volk die Frage „Zinserhöhung zu diesem Zeitpunkt — ja oder nein?" einmal diskutieren kann. Leider ist es nicht dazu gekommen, weil auch Sie — das muß ich leider sagen — nicht über den Inhalt der Bemerkung diskutiert, sondern die Tatsache der Bemerkung zum Anlaß für Angriffe genommen haben, die weit über das Ziel hinausgeschossen sind. Ich habe daraus gelernt, ich werde bei solchen Dingen in Zukunft noch vorsichtiger sein. Das wird zu bedauern sein, weil die öffentliche Diskussion über wirtschaftliche Fragen dadurch sicher nicht gefördert wird. Lassen wir uns doch normal zusammensetzen und uns überlegen, wie wir — ohne nun jede Frage zu Wahlkampfzwecken und zur Diffamierung des anderen ausnutzen zu wollen — eine solche volkswirtschaftliche Debatte auf breiter Grundlage in der Bundesrepublik zustande bringen! Es wäre zum Nutzen des deutschen Volkes, wenn uns beiden das gemeinsam gelänge.Ich muß Herrn Hoppe zustimmen, daß wir die konjunkturstützenden Impulse des Staates nicht zu schnell und zu drastisch zurückdrehen können. Sonst drosseln wir die konjunkturelle Entwicklung, bevor der erwähnte, sich selbst tragende Aufschwung zustande gekommen ist. Andererseits muß sich der Staat — auch hier, Herr Kollege Hoppe, volle Zustimmung —, will er eine Überforderung der gesamtwirtschaftlichen Ressourcen und der finanziellen Möglichkeiten vermeiden, mit zunehmender wirtschaftlicher Erholung zurückziehen, damit er den Spielraum der Wirtschaft nicht einengt. Der Sachverständigenrat hat das so formuliert:Baut der Staat seine stützenden Impulse zu schnell ab, könnte daraus eine. Konjunkturbremse werden. Zieht er sich nicht schnell genug zurück, könnte er den Spielraum für private Aktivitäten einengen und damit als Wachstumsbremse wirken.Dies ist in der Tat das Dilemma. Das erfordert ein sorgfältiges Ausbalancieren, und darum ging es, Herr Kollege Häfele, um nichts anderes.Mit dem schrittweisen Abbau der nachfragestützenden Impulse des Staates muß sich das Gewicht stärker auf jene staatlichen Aktivitäten verlagern, die die Bedingungen für Wachstum und Beschäftigung auf mittlere und längere Sicht verbessern. Mit dem Haushalt 1978 und dem Nachtrag — deutlicher noch jetzt mit dem Haushalt 1979 — haben wir die Wachstumsbedingungen in vielfacher Weise verbessert. Auch künftig müssen wir die Ausgaben zugunsten zukunftsgerichteter . Investitionen, für Innovationen, für Forschung und Entwicklung neuer Technologien, für Umweltschutz und Humanisierung der Arbeit verstärken. Die Verbesserung des Ausbildungsangebots für Jugendliche, insbesondere auch für ausländische Jugendliche, und die Schaffung neuer, zukunftsreicher Arbeitsplätze haben nach wie vor Vorrang. Da der finanzielle Handlungsspielraum begrenzt ist, kann dies nur über eine weitere Umstrukturierung der Haushalte zugunsten der zukunftsorientierten öffentlichen Ausgaben erfolgen.Lieber Herr Kollege Haase, ich bin nun einmal Preuße; ich bin in Preußen geboren und aufgewachsen.
Hessen ist in der Tat, glaube ich, seit 1871 als preußisch zu betrachten. Aber wir wissen ja — auch die, die nicht das Glück haben, in Preußen geboren zu sein —, was wir unter preußischen Tugenden verstehen. Wir wissen auch beide, daß wir diese als erstrebenswert betrachten, aber im Sinn Lothar Löfflers. Herr Löffler hat völlig recht, wenn er darauf hinweist, was schon damals der preußische Staat an Gewerbeförderung unternommen hat
und was er an Infrastrukturinvestitionen geleistet hat. Es gilt eben — und da bitte ich um Ihre Unterstützung —, die Haushalte so umzustrukturieren, daß, wenn der Haushalt nicht mehr so stark wächst oder vielleicht auch mal stabil bleibt, die Struktur zugunsten zukunftssichernder Ausgaben zu ändern. Da, muß ich allerdings sagen, gefällt mir überhaupt nicht, was ich so von der CDU/CSU an neuen Ausgabenforderungen oder Einnahmenverminderungen höre. Wir haben das mal aufgelistet. Allein in diesem Jahr — und das Jahr ist ja noch jung — sind es zwölfeinhalb Milliarden DM.
Sie schütteln den Kopf, Herr Häfele. Ich schreibe Ihnen einen Brief und bringe Ihnen die Belege.
Wir können den strukturellen Problemen, die wirtschaftliches Wachstum und auch die Arbeitsplätze gefährden, erfolgreich nur über einen umfassenderen Neuerungsprozeß, über neue Produkte, neue umweltschonende und arbeitsplatzfreundlichere Produktionsverfahren, neue Bezugs- und Absatzmärkte, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, begegnen. Gleichzeitig gilt es zu verhindern, daß sich Schwächen in bestimmten Regio-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10151
Bundesminister Matthöfernen verstärken und sich steppenbrandartig ausweiten und die wirtschaftliche und soziale Stabilität großer Gebiete gefährden können. Wir haben deshalb eine Reihe von Ausgaben im Haushalt 1979 unternommen für Forschung und Entwicklung neuer Technologien, Verbesserung der Anpassungsfähigkeit, Kreativität, Innovationsbereitschaft, insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen, Ansätze zur Sicherung unserer Rohstoff- und Energieversorgung, Umweltschutz, Humanisierung der Arbeitswelt, Verbesserung der beruflichen Bildung.Nun gibt es zwei Bereiche, die uns besondere Sorge machen. Ich denke an den deutschen Steinkohlenbergbau und an die Werften, an das ganze Gebiet der Küsten. In beiden Fällen stellt der Bund beträchtliche finanzielle Mittel zur Verfügung, um die Beschäftigung zu sichern und die notwendigen Anpassungen zu unterstützen.Die Küstenregion steht vor erheblichen Schwierigkeiten, nicht nur im Schiffbau, aber insbesondere dort. Die Auftrags- und Beschäftigungslage im Seeschiffbau und in der Seeschiffahrt sind kritisch. Nach hohen Wachstumsraten bis Anfang der siebziger Jahre und der entsprechenden Ausweitung der Werftkapazitäten hat sich die Lage tiefgreifend verändert. Verlangsamtes Wachstum in den westlichen Industrieländern, ein nicht mehr so dynamischer Welthandel, massive Wettbewerbsverzerrungen durch staatliche Interventionen woanders haben nach und nach alle Bereiche der Seeschiffahrt und damit natürlich auch die Beschäftigungslage in den Werften erheblich beeinträchtigt. Dazu kommen noch die Ertragseinbußen durch die Währungsentwicklung. Die Bundesregierung hat nach Anhörung der unmittelbar Beteiligten — denn die haben ja die wesentliche Verantwortung, d. h. also Werften, die Eigentümer, sprich: die Konzernmütter, die Reeder und auch die Gewerkschaften — in gemeinsamer Prüfung mit den Küstenländern, die auch hier die unmittelbare regionale Verantwortung haben, Maßnahmen für den Seeschiffbau und die Seeschiffahrt verabschiedet, um kurzfristig Beschäftigungseinbrüche zu verhindern. Diese Maßnahmen entlassen jedoch die wirtschaftlich unmittelbar Betroffenen nicht aus ihrer Verantwortung. Die Bewältigung des Strukturwandels und der notwendigen Anpassungsprozesse sind in unserer Wirtschaftsordnung in erster Linie Aufgabe der Unternehmen selbst. Maßnahmen der öffentlichen Hand — Bund und Küstenländer — sind nur befristete Hilfe zur Selbsthilfe.Gleichzeitig müssen längerfristige Maßnahmen ergriffen werden, um die Wirtschaftsstruktur der Küstenländer dauerhaft zu verbessern. Es wird unvermeidlich sein, daß sich die Werften neben ihren traditionellen Produktionsgebieten stärker als bisher schiffbaunahen Fertigungen, vielleicht auch anderen Fertigungen zuwenden, wo man die Qualifikationen, die man im Schiffbau gewonnen hat, leicht übertragen kann. Das hohe technische Niveau dieses Wirtschaftszweiges und die hohe Qualifikation seiner Arbeitnehmer sollten genützt werden, um durch neue Produkte und Produktionsverfahren die bisher einseitige Fertigungsstruktur krisenfesterzu gestalten und mehr Beschäftigung außerhalb des Schiffsbaues zu suchen. Die Bundesregierung hat die Küstenländer aufgefordert, zusammen mit dem Bund ein Gesamtkonzept für die Verbesserung der Wirtschaftsstruktur des norddeutschen Raumes zu erarbeiten.In ähnlicher Weise werden wir uns auch mit den Zukunftsaussichten des Ruhrgebietes befassen müssen. Es- wird darum gehen, einem industriellen Ballungsraum, der immerhin immer noch zu den industriell leistungsfähigsten der Bundesrepublik gehört, über eine zu einseitige Abhängigkeit vom Montanbereich hinwegzuhelfen und ihm neue, zukunftsweisende Fertigungen zu verschaffen. Die langfristige Sicherung der Kohle als eines Rohstoffes und Energieträgers ist eine vordringliche Aufgabe, da die Kohle der einzige Energieträger ist, der in unserem Lande in ausreichendem Maße zur Verfügung steht. Die Hilfen für den Steinkohlenbergbau sind erst vor kurzem aufgestockt worden; in diesem Haushalt stehen rund 2 Milliarden DM zur Verfügung. Hinzu kommen rund 2 Milliarden über den Kohlepfennig. Auch die Leistungen für Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet wurden wesentlich verstärkt, und die strukturellen Hilfen wurden durch soziale Maßnahmen für die Arbeitnehmer im Steinkohlenbergbau unterstützt.Wir werden uns auch mit besonderem Nachdruck mit der Förderung Berlins befassen müssen. Diese Förderung nimmt angesichts der staatspolitischen Bedeutung Berlins und seiner benachteiligten Lage, aber auch angesichts des Umfangs der Hilfen eine Sonderstellung ein. Kernstück der Finanzbeziehungen des Bundes zu Berlin ist die Bundeshilfe zum Ausgleich des Defizits im Berliner Landeshaushalt. Sie wird 1979 mehr als 8,4 Milliarden DM betragen. Im Jahre 1969 betrug die Bundeshilfe 2,7 Milliarden DM. Das bedeutet eine Verdreifachung in einem Zeitraum von nur zehn Jahren. Oder ein anderer Vergleich: Die Bundeshilfe ist in diesem Zeitabschnitt um 218 Prozent gestiegen, während der Umfang des Bundeshaushalts nur um 149 Prozent zugenommen hat. Auch an diesen Zahlen wird das Engagement des Bundes für Berlin deutlich. Berlin ist dadurch stets in die Lage versetzt worden, die erforderlichen Ausgaben zur wirtschaftlichen und sozialen Sicherung seiner Bevölkerung zu leisten.Hier also, Herr Kollege Haase, haben Sie ein weiteres Beispiel für das, was Sie „Politik zu Lasten der Zukunft" genannt haben. Sie sagen, wir beuteten die kommenden Generationen aus. Ich will hier nicht in eine — für Fachleute sicher interessante — Diskussion darüber einsteigen, ob ein Transfer realer Ressourcen von einer Generation zur anderen überhaupt möglich ist. Es kann aber keine Rede davon sein, daß wir diese künftigen Generationen real wirklich ausbeuteten, es sei denn dadurch, daß wir Rohstoffe verbrauchen, die endlich sind und deshalb zukünftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen. Ich will hier auch nicht auf die nominalen Vorgänge, in denen sich das abspielt, eingehen. 60 Prozent der Verpflichtungen des Bundes haben, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, eine Laufzeit von bis zu vier
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Bundesminister MatthöferJahren, d. h., in vier Jahren muß das überwälzt werden. Um einmal den finanziellen Aspekt, der von dem realen deutlich zu trennen ist, herauszunehmen: Das, was passiert, bedeutet, daß die Schuld überwälzt wird und im Vergleich zum wachsenden Sozialprodukt — so hoffen wir ja — weniger bedeutungsvoll wird. Zum Teil kann sie sogar zurückgezahlt und dadurch in ihrer Bedeutung noch einmal vermindert werden. Die Zinszahlungen werden • jeweils von der betreffenden Generation durch die Steuerzahler geleistet, d. h., ein Teil der zukünftigen Generation in seiner Eigenschaft als Steuerzahler zahlt an einen anderen Teil der zukünftigen Generation in seiner Eigenschaft als Zinsempfänger, wobei sich diese Kreise natürlich weitgehend überlappen. Das alles können Sie ja in der amerikanischen Diskussion über dieses Problem nachlesen.Aber wie sieht der reale Vorgang aus? Wir sichern, so sagte ich, durch die Nettokreditaufnahme den wirtschaftlichen Kreislauf und verhindern dadurch Massenarbeitslosigkeit. Wem würde es denn in den zukünftigen Generationen nützen, wenn wir heute Massenarbeitslosigkeit durch eine falsche, von Ihnen empfohlene Politik in Kauf nähmen? — Niemand!
Im Gegenteil! Was wir mit dieser Nettokreditaufnahme finanzieren, ist ein Teil der Ausgaben, etwa 15 Prozent, wie ich es Ihnen vorgetragen habe.Ist es wichtig für die zukünftigen Generationen, daß wir etwa die 2 Milliarden DM für die Kohle leisten? — Natürlich! Die Kohle wird die entscheidende Energiequelle für die zukünftigen Generationen in diesem Lande sein. Und indem wir durch Subventionen sicherstellen, daß nicht zugemacht zu werden braucht, daß mit Hilfe der technischen Entwicklung ein leistungsfähiger Bergbau sichergestellt wird, beuten wir die zukünftigen Generationen nicht aus, sondern sichern ihnen durch unsere Nettokreditaufnahme einen leistungsfähigen Bergbau.
Genauso ist es mit den 13,5 Milliarden DM für die Bundesbahn, die Sie erwähnt haben. Was Sie gesagt haben, ist natürlich richtig. Aber sollen wir denn wirklich eine drastische Schrumpfung der Bundesbahn hinnehmen? Ist es denn nicht richtig — von den sozialen Folgen für die betroffenen Beschäftigten ganz abgesehen in einer Zeit, in der man schon absehen kann, daß das 01 sehr viel teurer und vor allen Dingen knapper werden wird, den zukünftigen Generationen auch mit Hilfe von Zuschüssen, die mit Krediten finanziert werden müssen, ein Transportsystem zu sichern, das genau auf die Bedürfnisse der zukünftigen Generationen in der Bundesrepublik zugeschnitten ist?
Und wie steht es mit den Straßen, mit der Verkehrsinfrastruktur?
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haase?
Matthöfer, Bundesminister: Ich hatte schon gesagt, Herr Präsident, daß ich — —
Ich bin ein neuer Präsident.Matthöfer, Bundesminister: Ich hatte dem vorhergehenden Präsidenten bereits gesagt, daß ich keine Zwischenfragen zulassen wolle.Der Ausbau der Straßen und der Verkehrsinfrastruktur wird doch länger als 50, 60, 70 Jahre dauern und dient den zukünftigen Generationen. Über das, was wir an Forschung und Entwicklung neuer Technologien machen, verfügen die nächsten Generationen. Sie sollten sich das alles also noch einmal durch den Kopf gehen lassen, bevor Sie diesen Vorwurf wiederholen, der wirklich unzutreffend, •der falsch ist. Das Gegenteil ist der Fall. Das gleiche gilt natürlich für die Ausgaben für Berlin, gilt für die geplanten Hilfen für die Werften und die Seeschiffahrt, gilt für die Strukturhilfen, die wir der Stahlindustrie geben, gilt für die regionalen Hilfen, die wir gemeinsam mit den Ländern bereitstellen. Alles dies wird von uns im Interesse der zukünftigen Generationen gemacht.Für diese Aufgaben und für die weitere Verstärkung der zukünftigen Ausgaben muß ein angemessenes Steueraufkommen zur Verfügung stehen, weil wir — und darin stimmen wir doch alle überein — die derzeitige hohe Kreditaufnahme auf Dauer nicht aufrechterhalten wollen. Deshalb ist es finanzpolitisch unsolide und widersprüchlich, wenn die Opposition unmittelbar nach Inkrafttreten der umfangreichen Steuerentlastungen Anfang dieses Jahres neue Steuerentlastungen fordert.
Es wird in dieser Legislaturperiode keine neuen ins Gewicht fallenden Steuerentlastungen mehr geben können.
— Nicht in dieser Legislaturperiode, verehrter Herr Kollege. Seien Sie bitte vorsichtig mit Ihren Zwischenrufen! Wenn Sie schon stören, müssen die Zwischenrufe wenigstens stimmen.
Auch unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten besteht kein weiterer Handlungsbedarf. Die Steuerquote ist durch die steuerlichen Entlastungen von 25 Prozent im Jahre 1977 auf 24 Prozent im Jahre 1979 zurückgegangen. Ich halte es nicht für möglich und angesichts der Anforderungen an die öffentliche Hand auch nicht für richtig, diese Quote in Zukunft noch weiter zu senken. Wenn man die Kindergeldregelung hinzunimmt — ich hatte Ihnen das schon einmal vorgerechnet —, geht das noch
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Bundesminister Matthöfereinmal herunter und zwar auf einen historischen Tiefpunkt. Sie können die volkswirtschaftliche Steuerquote von 1939, von 1952 oder 1972 nehmen: die Steuerquote des nächsten Jahres schneidet im Vergleich dazu glänzend ab.Nun hat Herr Kollege Haase wieder die Staatsquote gebracht. Er ist wieder — gewissermaßen mit einem Vorwurf an die Sozialdemokraten — in die alte Neigung der christlich-demokratischen Parteien verfallen, vor den Folgen der eigenen Entschlüsse wegzulaufen.Herr Kollege Haase, was haben Sie von dem, was zur Erhöhung der Sozialquote beigetragen hat, nicht mitbeschlossen? Alles ist von Ihnen mitgetragen worden: jeder einzelne Beschluß, jeder Rentenbeschluß, jeder Krankenversicherungsbeschluß, jeder Unfallversicherungsbeschluß. Sie haben deshalb kein Recht, sich über die hohe Staatsquote zu beklagen und einen Vorwurf an die Sozialdemokraten und an die Liberalen zu richten.
Wenn Sie das aber immer wiederholen, wiederhole ich meine Frage: Was haben Sie vor? Wollen Sie das abbauen? Die Steuerquote werden Sie nicht weiter hinunterbringen.
— Bitte schön. Ich habe die soziale Demontage nicht erwähnt, Herr Kollege Haase,
aber wenn Sie das mit dem Begriff Staatsquote assoziieren, gehen Sie in die richtige Richtung, in die ich Ihre Gedanken führen möchte. Denn dies ist die Schlußfolgerung: Entweder Sie hören auf, über die hohe Staatsquote zu lamentieren, oder Sie sagen uns gefälligst, wo Sie sie abbauen wollen! Beides geht nicht.
Ich halte die Frage für legitim. Von Überbesteuerung kann angesichts der niedrigen Steuerquote keine Rede sein. Künftig wird es die vordringliche Aufgabe der Steuerpolitik sein, das Steuersystem im Rahmen des hohen, von unserem Volk mit Recht gestellten Anspruchs auf differenzierte soziale Gerechtigkeit zu vereinfachen und übersichtlicher zu gestalten. Die Politik der Steuervereinfachung soll- te Schritt für Schritt fortgesetzt werden. Die Abschaffung oder Reform einzelner Steuern bedarf hierbei sorgfältiger Prüfung und Abstimmung mit den Ländern und Gemeinden. Wie schwierig die Probleme dort sein können, hat sich bei der Abschaffung der Lohnsummensteuer überdeutlich gezeigt.Herr Kollege Häfele, ich habe jetzt zum erstenmal Gelegenheit, vor dem Forum des Bundestages auf Ihren Vorwurf der Bürokratisierung einzugehen, den Sie sicher gleich noch einmal erheben werden. Ich widerlege ihn also gewissermaßen prophylaktisch im Zusammenhang mit den • Maßnahmen, die wir im vergangenen Sommer beschlossen und die wir beide dann im Vermittlungsausschuß ausgehandelt haben. Es fing mit der Verkündigung durch christdemokratische Ministerpräsidenten an, die christdemokratische Mehrheit des Bundesrats werde diesem Paket ihren Stempel aufdrücken, und zwar familienpolitisch und in Form einer weiteren Entlastung im Gewerbebereich. Die zweite war weitgehend unstrittig; damit waren wir auch schnell fertig.Familienpolitisch haben Sie den Kinderfreibetrag gefordert, der 4,5 Milliarden DM gekostet hätte. Diese Zahl ist unbestritten. Diese 4,5 Milliarden DM wurden gefordert, ohne daß irgend jemand von Ihnen gesagt hätte, woher wir das Geld nehmen sollten. Es war nicht mehr da, und Deckungsvorschläge haben Sie nicht gemacht. Oder? Da Ihre Parteifreunde im Bundesrat die Mehrheit haben, mußte man sich mit Ihnen einigen. Wir haben also verhandelt, und dabei kamen diese Kinderbetreuungskosten heraus, die abzugsfähig sind und etwa 500 bis 600 Millionen DM 'im Jahr ausmachen, was gerade noch an der Grenze des Erträglichen liegt. Dies wurde zugegebenermaßen durch eine Komplizierung und Bürokratisierung des Steuersystems erzwungen. Aber dies war ihr Stempel.
Diese abzugsfähigen Kinderbetreuungskosten haben nicht die Liberalen, nicht die Sozialdemokraten erdacht, das ist von uns nicht eingebracht und auch von der Bundesregierung nicht beschlossen worden. Diese bürokratische Mißgeburt war Ihr Stempel.
Das haben Sie mit der Mehrheit des Bundesrats durchgesetzt. Nun hören Sie auf, uns dies vorzuwerfen! Es sind Millionen von Menschen in diesem Lande, die das im Fernsehen, im Radio und in den Zeitungen verfolgen konnten, wer nämlich eine weitere Bürokratisierung, Komplizierung und Unübersichtlichkeit des Steuersystems zu verantworten hat.
Die Bundesregierung wird in Kürze dem Parlament Berichte zu § 7 b des Einkommensteuergesetzes und zur Grunderwerbsteuer vorlegen. Beide Steuerbereiche können an Hand dieser Berichte gründlich 'diskutiert und überprüft werden. Wir sind bereit, jedem guten, politisch durchsetzbaren Vorschlag Rechnung zu tragen. Hinsichtlich der mittelfristigen Aspekte der Finanzentwicklung des Bundeshaushalts hat sich die Opposition leider immer noch nicht zu einer sachgerechten ausgewogenen Beurteilung durchringen können, wie ich, Herr Kollege Haase, zu meinem großen Bedauern hören mußte.Die Feststellungen des Sachverständigenrates zur grundsätzlichen Notwendigkeit und zu den Schwerpunkten der Haushaltskonsolidierung sind_ hier ein wesentlich hilfreicherer Beitrag zur Lösung der
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Bundesminister MatthöferAufgaben der kommenden Jahre. Nur über ein kräftiges Wachstum und über zunehmende Beschäftigung wird es möglich sein, das Defizit des öffentlichen Gesamthaushalts schrittweise zurückzuführen. Die Bundesregierung hat dieses Ziel verfolgt und wird es auch in Zukunft weiterverfolgen.Ich darf mich noch einmal sehr herzlich beim Haushaltsausschuß für seine intensive und gute Arbeit bedanken und meine Ausführungen wie folgt zusammenfassen:Die Aussichten für eine Verstärkung des Wachstums bei hoher Preisstabilität haben sich verbessert. Es gibt begründete Aussicht, daß die Zahl der Erwerbstätigen um 100 000 bis 150 000 zunehmen und die Arbeitslosigkeit beträchtlich zurückgehen wird. Diese positive Entwicklung ist auch das Ergebnis der Finanzpolitik der Bundesregierung, die seit 1977 z. B. gekennzeichnet, ist durch eine expansive Haushaltsgestaltung, durch höhere soziale Leistungen, Kindergeld, Mutterschaftsurlaub, Senkung der Altersgrenze — um nur die neuesten Dinge zu nennen — und durch steuerliche Entlastungen in dem Versuch, die private Nachfrage zu stützen. Der Anteil das Wirtschaftswachstum anregender und insbesondere auch mittel- und langfristig stützender Ausgaben, also Forschung und Entwicklung neuer Technologien, Innovationsförderung, Modellvorhaben, neue Existenzgründungen, Förderung mittlerer und kleinerer Unternehmen, wird erhöht. Die Bundesregierung wird sich an Programmen zur Überwindung regional bedeutsamer Strukturkrisen wie z. B. an der Küste oder im Ruhrgebiet beteiligen, wenn die Wirtschaft selbst und die Länder ihrer primären Verantwortung nachkommen. Die Bundesregierung wird sich allerdings Forderungen nach Erhaltungs- und Dauersubventionen immer mehr verschließen. Sie wird verlangen, daß zukunftweisende Konzepte zur dauerhaften Überwindung solcher Strukturkrisen vorgelegt werden.Die Bundesregierung nimmt ihre Verantwortung für Berlin wahr und wird gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister Stobbe ihre Bemühungen fortsetzen, die wirtschaftliche Anziehungskraft und Leistungsfähigkeit Berlins zu erhöhen.In dem Maße, in dem sich das Wirtschaftswachstum verstärkt, wird die Kreditaufnahme des Bundes zurückgeführt werden. Daneben besteht kein finanzpolitischer Spielraum für erneute Steuersenkungen. Nach den massiven Steuerentlastungen zu Beginn dieses Jahres muß nun eine Zeit steuerpolitischer Stabilität und Ruhe eintreten. Die Bundesregierung wird Vorschläge zur Vereinfachung des Steuerrechts und der Steuerverfahren vorlegen.Die Bundesregierung nimmt mit ihrer Politik ihre Verantwortung in Europa und der Welt wahr; sie legt heute die Grundlagen für Frieden, Stabilität und besseres Wachstum in der Zukunft und dient damit zukünftigen Generationen.Ich bitte Sie um die Zustimmung zum Haushaltsentwurf 1979, der eine Fortsetzung unserer erfolgreichen Politik gewährleisten soll.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Häfele.Dr. Häfele Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Lage, in der sich die Bundesrepublik Deutschland heute befindet, gibt es im Grunde zwei Möglichkeiten einer Finanzpolitik. Die eine ist die, welche die Bundesregierung seit Jahren betreibt und die der Herr Bundesfinanzminister soeben wieder beschrieben hat.Man kann sie so kennzeichnen: Diese Finanzpolitik schreibt mehr oder weniger gesetzliche Ausgaben und Programme fort. Sie verschuldet sich immer mehr neu — im kommenden Jahr stärker als im abgelaufenen —, wobei mit Mühe und Not und mit einigen Kunstgriffen die verfassungsmäßige Schranke der Verschuldung eingehalten wird und auch mit Mühe und Not die Grenzen des Kapitalmarkts versuchsweise eingehalten werden sollen.Soweit neue Programme aufgelegt werden, handelt es sich weitgehend um Reparaturen,
die vorgenommen werden, weil der Druck von Problemen so unwiderstehlich geworden ist, daß man einfach irgend etwas veranstalten muß.
Dabei ist dann immer noch die Frage, ob es sich um echte vorübergehende Hilfen im Sinne von Lösungen handelt oder ob nicht wieder neue, zusätzliche Erhaltungssubventionen mit steigender Tendenz auf Dauer ins Leben gerufen werden.Soweit die Bundesregierung sehr zögernd und nur unter dem Druck der Öffentlichkeit und der Opposition entgegen ihrer Regierungserklärung am Beginn der Legislaturperiode, am 16. Dezember 1976, einen gewissen Teilabbau der Steuerlast vornimmt, ist das nicht wirklich ein Schritt nach vorn, sondern, wie gesagt, unausweichlich und vor allem nicht mit dem notwendigen zweiten Schritt gepaart, nämlich wenigstens in der mittelfristigen Finanzplanung entsprechende Ausgabenkürzungen vorzunehmen; denn das. ist der Sinn des Abbaus der Steuerlast: daß Freiräume für die private Leistungsbereitschaft und für die betriebliche Investitionsbereitschaft geschaffen werden, und nicht, zugleich die öffentlichen Ausgaben zu steigern.
Das ist im Grunde die Finanzpolitik der Bundesregierung seit Jahren. Daß sie die Neuverschuldung immer weiter vor sich herschiebt und sogar noch steigert, wie 1979, begründet sie seit Jahren mit der Rezession: man könne in einer Rezession nicht den Abbau der Schuldenlast vornehmen. Das ist eine Finanzpolitik des buchhalterischen Fortschreibens, des Reparierens, des Sich-Durchschlängelns, und zwar zu Lasten der Zukunft. Die Zukunft soll finanzieren, was man jetzt nicht in Angriff zu nehmen wagt,Die andere Möglichkeit einer Finanzpolitik in unserem Lande — die Alternative, wenn Sie so wol-Dr. Häfelelen — wäre eine Finanzpolitik des Gestaltens, des bewußten Eröffnens der Zukunft, was nur durch mutige Schritte möglich ist.
Nach den eigenen Einlassungen der Bundesregierung ist jetzt allerspätestens der Zeitpunkt gekommen, eine solche Finanzpolitik in Angriff zu nehmen. Die Bundesregierung hat seit Jahren gesagt: Sobald wir wieder ein einigermaßen ordentliches Wachstum hätten, müsse endlich damit begonnen werden, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Im letzten Jahr haben wir ein reales volkswirtschaftliches Wachstum von etwa 3,4 % gehabt. Die Bundesregierung nimmt — zusammen mit Sachverständigen — an, daß im nächsten Jahr etwa 4 % reales Wachstum zu erzielen sei. Wenn wir in den nächsten zehn Jahren ein reales Wachstum von durchschnittlich 4% erzielen sollten, glaube ich, könnten wir alle miteinander sehr zufrieden sein. Dann ist das doch aber der Moment, wo man endlich an den Abbau der Schuldenlast herangehen muß.
Dann darf ich die Neuverschuldung im Jahre 1979 doch nicht um über 20 °/o steigern gegenüber dem Jahr 1978, als weniger Wachstum erzielt wurde. Das ist doch der große Widerspruch dieser Finanzpolitik.Das heißt, es müssen endlich — wenn eine Regie- rung den Namen verdient — Prioritäten gesetzt werden, was bekanntlich nichts anderes bedeutet, als daß Posterioritäten gesetzt werden. Daß das nicht in einem Jahr möglich ist, ist völlig klar. Daß das mittelfristig, in einer mittelfristigen Finanzplanung Schritt für Schritt durchgeführt werden muß, ist ebenfalls völlig klar. Aber man muß jetzt, im Jahr 1979, damit beginnen, indem der Ausgabenzuwachs wesentlich über das hinaus heruntergeführt wird, was im Haushaltsausschuß schon in mühsamen kleinen Schritten erreicht worden ist.
Wenn das nicht gemacht wird — und die Bundesregierung tut das bis heute nicht —, schieben wir die Last in die 80er Jahre. Die gesamte Riesenverschuldung, die ja noch zunimmt, ist dann von den Arbeitenden in den 80er Jahren zu zahlen. Herr Bundesfinanzminister — wenn Sie vielleicht einmal zuhören würden, Herr Matthöfer;
ich will Ihnen auf Ihre Ausführungen von vorhin antworten —, Ihr Exkurs mit dem Verschieben auf kommende Generationen ändert nichts daran: Dieser Nichtabbau der Schuldenlast, ja sogar das Vermehren der Neuverschuldung im Jahre 1979 werden in den 80er Jahren für die, die dann arbeiten, ein Problem gigantischen Ausmaßes werden, das hur gelöst werden kann, wenn Sie endlich die Wende in der Ausgabenpolitik einleiten. Sonst steigen entweder die Abgabenlasten ins Unerträgliche oder die Schuldenlast wird, mit vermehrter Inflation, auf alle umgelegt. Einen dritten Weg gibt es nicht. Genau dies ist eine Finanzpolitik zu Lasten der Jugend und keine Finanzpolitik, die die Zukunft eröffnet.Es ist die Führungspflicht einer Bundesregierung, die entsprechenden Schritte einzuleiten, wenn man so etwas erkennt. Wir von der CDU/CSU-Opposition haben immer erklärt, daß wir bereit sind, verantwortlich mitzuhandeln, falls die Regierung endlich diesen Weg eröffnet. Wir haben das nicht nur behauptet, Herr Bundesfinanzminister, wir haben es in den letzten Jahren auch durch Taten bewiesen. Sie erinnern sich: Wir haben das Haushaltsstrukturgesetz 1975 im Sparteil — nicht im Abgabenerhöhungsteil — mitgetragen.Wir haben im Nachtragshaushalt 1978 entgegen dem Willen der Bundesregierung die runde Milliarde nicht etwa durch zusätzliche Verschuldung abgedeckt, sondern in mühsamer Arbeit — wobei sich, das muß ich anerkennen, auch Herr Hoppe von der FDP Verdienste erworben hat — hat die Opposition verantwortlich mitgewirkt, so daß dies ohne zusätzliche Neuverschuldung gelungen ist. Hier haben der Haushaltsausschuß und das Parlament mehr geleistet, als eine verantwortliche Regierung kraft ihrer Führungsaufgabe an sich leisten müßte.
Immer wieder kursieren Listen, was für böse Ausgabenanträge wir stellen. Ich behaupte, Herr Bundesminister: In Sachen Ausgabenanträge dürfte eis in der Geschichte der parlamentarischen Demokratie kaum jemals eine koscherere Opposition gegeben haben als die der CDU/CSU in den letzten Jahren. Wir können hier im internationalen Vergleich bestehen.
Zurückhaltender mit Ausgabenanträgen als wir waren Sie jedenfalls nie, als Sie in der Opposition waren, und wird es kaum in einem anderen Land der Fall sein. Hier können wir uns gut sehen lassen.Ein Herabführen der Ausgabensteigerungsquoten und der Neuverschuldung in den kommenden Jahren ist nicht nur die Voraussetzung dafür, daß wir mit der Schuldenlast wieder ins Lot kommen, sondern in der Tat auch die' Voraussetzung für eine zukunftsgerechte Steuerpolitik. Beides ist im Zusammenhang zu sehen. Wir wissen alle, Herr Bundesfinanzminister: Trotz der erfreulichen Entlastungen, die wir gegen den ursprünglichen Willen der Regierung 1979 erneut haben, wird es schon 1980 wie- der heimliche Steuererhöhungen geben. Dieser Einkommensteuertarif kann noch nicht von Dauer sein. Er beginnt mit 22 % zu hoch, und die Kurve steigt zu steil an. Die heimlichen Steuererhöhungen werden schon 1980 wieder einen gewaltigen Umfang annehmen und in den folgenden Jahren noch mehr steigen.Sie haben selber bestätigt, daß wir erfreulicherweise haushaltsmäßig — 1978 allein beim Bund 2 Milliarden DM mehr eingenommen haben. Das wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen. In den kommenden Jahren ist Ruhe an der Steuerfront
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Dr. Häfelenicht möglich. Da können Sie erklären, was Sie wollen.Die Steuern haben sich nicht nach dem zu richten, was Sie an Schulden machen. Vielmehr ist in der Steuerpolitik die Frage zu stellen: Was kann man dem arbeitenden Bürger und den Betrieben überhaupt an Abgabenlast zumuten? Das ist vorrangig!
Wir brauchen also auch hier eine mittelfristige Klarheit darüber, was in den nächsten Jahren zu erwarten ist, sowohl für die arbeitenden Bürger im Einkommensteuertarif wie auch für die Betriebe, für die wir einen weiteren Abbau von Investitionshemmnissen vor allem bei der Substanzbesteuerung, etwa bei der Gewerbekapitalsteuer, brauchen.Man kann auch umgekehrt argumentieren: Dies ist sogar eine der Voraussetzungen dafür, daß wir mittelfristig von der Schuldenlast Schritt für Schritt herunterkommen. Denn wir wissen alle: Wenn es uns nicht gelingt, die Leistungsbereitschaft und die Investitionsneigung auf Dauer zu erhalten oder gar zu fördern, dann nützen auch Sparmaßnahmen im öffentlichen Haushalt nichts. Dann werden wir die Schuldenlast nie mehr auf ein erträgliches Maß zurückführen.Im Grund sind der weitere mittelfristige Abbau der Steuerlast und das Herabführen der Abgabenzuwachsquoten dieselbe Sache. Es ist dieselbe Medaille mit zwei verschiedenen. Seiten, die aber denselben Zweck haben, zumal da es seit Anbeginn der Menschheit kein besseres Mittel gegeben hat, die Regierung und den Staat zum Sparen zu zwingen, als ihnen von der Einnahmeseite überschießende Mittel, etwa mehr Steuereinnahmen — wie wir sie jetzt wieder haben —, vorzuenthalten. Dann ist die Regierung z. B. einfach genötigt, diese 2 Milliarden DM Mehreinnahmen nicht zu verplanen.Herr Bundesfinanzminister, seien wir ehrlich: Wenn wir im Vermittlungsausschuß schon genau gewußt hätten — Sie haben es damals heruntergespielt, in der Zeit, ich darf ja nicht aus dein Ausschuß berichten, in der Zeit heruntergespielt, daß das gar nicht so toll sei, was da zusätzlich komme —, wenn wir damals schon wirklich die Karten auf dem Tisch gehabt hätten, daß 2 Milliarden wieder mehr eingehen, dann hätten Sie nicht so leicht argumentieren können, daß unsere Anträge soundsoviel Mehrausfall brächten. Wir haben noch um 100 Millionen DM gefeilscht. Das war im Grunde wirklich mickrig angesichts des Tatbestandes, daß am Schluß plötzlich wieder 2 Milliarden DM Mehreinnahmen da waren.Im Grunde geht es bei diesen finanzpolitischen Fragen ja um viel mehr als um Haushaltsausgleich und Steuerpolitik. Es ist eine. Widerspiegelung einer grundsätzlichen zeitgeschichtlichen Auseinandersetzung. Denn wir stehen in der Tat vor der Frage, ob wir auf dem richtigen Weg sind — auch zu Ihrem Leidwesen, wie ich hoffe —, wenn immer mehr Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten in die Hand des Staates gelegt werden. Natürlich gibt es immer neue Aufgaben. Aber wenn immer nuraddiert wird, wenn immer nur die alten Aufgaben fortgeschrieben und vermehrt werden und noch neue dazukommen, wo soll denn das am Schluß enden?Daß wir hier in einer tiefgehenden Fehlentwicklung sind, die uns allen, wenn wir ehrlich sind, Kummer machen muß, das zeigen schon ganz wenige volkswirtschaftliche Zahlen. Ich habe mir die neuesten Zahlen geben lassen, also schon unter Einschluß des Jahres 1978. Es sind, zugegeben, vorläufige Zahlen, aber sie werden sich kaum .wesentlich ändern. Basisjahr ist 1970, also seit die Koalition aus SPD und FDP die Regierungsverantwortung hat. Wie haben sich die Zahlen seither entwickelt?Das Bruttosozialprodukt ist in diesem Zeitraum —einschließlich 1978 — nominal um 89 % gewachsen. Die öffentlichen Ausgaben, und zwar von Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen, sind um 142 % angestiegen, die Steuern um 106 %, die Lohnsteuer sogar um 160 %und die Schulden — diesmal nur Gebietskörperschaften - um 192 %. Das ist die Bilanz. Mit anderen Worten: Die öffentlichen Ausgaben, die Steuern, vor allem auch die Lohnsteuer, und die Schulden sind unvergleichlich stärker gewachsen als die Volkswirtschaft. Das ist die Bilanz nach acht oder neun Jahren dieser Koalition.Eine andere sehr verhängnisvolle Zahl! Wir wissen alle, daß es bis zu einem gewissen Grade unvermeidlich war, daß im öffentlichen Bereich mehr Stellen ausgewiesen werden mußten, etwa im Bildungsbereich oder jetzt im Polizeidienst. Bis zu einem gewissen Grad ist das unvermeidlich. Aber das Ausmaß ist insgesamt doch so erschreckend, daß wir alle fragen müssen: Kann das auf diese Weise fortgeführt werden? Im Jahr 1965 ist noch weniger als 1/3 der Steuereingänge für öffentliche Personalausgaben ausgeworfen worden; 32,3 % dienten im Jahre 1965 öffentlichen Personalausgaben. Im Jahre 1977 waren es 44,3 %. Fast jede zweite Steuermark wird heute zur Finanzierung der öffentlichen Personalausgaben ausgeworfen. Das heißt, daß fast die Hälfte des gesamten deutschen Steueraufkommens dazu benötigt wird, die Personalkosten von 13,7 % aller abhängig Beschäftigten zu finanzieren. Denn 13,7 % beträgt inzwischen der Anteil der öffentlichen Bediensteten an der Zahl der abhängig Beschäftigten statt 10,1 % im Jahre 1965. Daß da irgendwo etwas nicht mehr stimmt, daß das nicht so weitergehen kann — es sei denn um den Preis, daß die Arbeitenden immer mehr Abgabenlast zahlen müssen oder die Verschuldung nicht mehr abgebaut werden kann —, liegt doch auf der Hand.
Das ist nicht bloß gleichsam so passiert, sondern das ist das Ergebnis der von Ihnen gewollten Verbreiterung des sogenannten öffentlichen Korridors. Das ist das finanzpolitische Ergebnis dieser Politik.
Notwendig damit verknüpft ist dann das, was wir heute alle miteinander beklagen, was der Bundeskanzler bei seiner Regierungserklärung im Dezember 1976 bezüglich der Wassergebühren usw. be-
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Dr. Häfeleklagt hat: die zunehmende Bürokratisierung, die Entpersönlichung, der Verlust persönlicher Freiheit, die Gängelung, auf jeden Fall neue Formen des Inhumanen, die sich immer mehr in dieser anonymen bürokratischen Apparatur zum Leidwesen der Bürger ausbreiten.Dagegen hilft im Grunde nur die alte liberale Weisheit — würde sie nur die FDP wirklich beherzigen. Herr Hoppe, Sie haben sehr beachtliche Sätze gesagt. Aber in der Regierungsverantwortung kommt es auf das Tun an. Da wird man am Tun gemessen, an dem Ergebnis dessen, was man getan hat, nicht an dem, was man sagt. Die Opposition kann ein bißchen mehr reden, das gebe ich zu. Aber in der Regierungsverantwortung zählt, was man in den letzten neun Jahren nachgewiesen hat. Es ist eine alte liberale Weisheit, daß wir wieder zu einer gewissen Selbstbeschränkung des Staates zurückfinden müssen. Wir nennen es nach unserer christdemokratischen Auffassung Subsidaritätsprinzip; es ist im Grunde die gleiche Erkenntnis wie diese alte liberale Weisheit.Der Bundeskanzler hat einem Nachrichtenmagazin am 15. Januar 1979 ein Interview gegeben. Eine Frage lautete wörtlich: „Wo sehen Sie in der Zukunft die Brennpunkte, an denen Gefahren für den Wohlstand drohen?" Seine Antwort: „Die Inflation der Ansprüche ist eine Gefahr."
— Meine Damen und Herren, das ist eine Erkenntnis, die wir teilen. Als wir diese These schon in den 60er Jahren aufgestellt haben, etwa unser Ludwig Erhard Anfang der 60er Jahre, wie ist er in Deutschland da gescholten worden! Der „Maßhalte-Kanzler"! Wie ist er verächtlicht gemacht worden! Die Antwort darauf war damals etwa in der Langzeitkommission der SPD unter Führung von Helmut Schmidt, daß der öffentliche Korridor verbreitert werden muß. Dies war die Ausgangslage. Nach 15 Jahren Irrweg die gleiche Erkenntnis, die Ludwig Erhard schon anfangs der 60er Jahre gehabt hat.Aber auch hier zählt natürlich nicht allein eine verspätete Erkenntnis, sondern der Bundeskanzler ist in der Regierungsverantwortung. Er ist der Regierungschef, er muß handeln, er muß seiner Erkenntnis Taten folgen lassen und darf nicht noch bei Parteitagsbeschlüssen mitwirken, die beim Volk den Eindruck erwecken, wir hätten noch Zusätzliches zu verteilen, wir bräuchten nur noch 35 Stunden zu arbeiten, immer weniger zu arbeiten und könnten immer mehr Ansprüche stellen.
Ohne eine Silbe des Widerstands begrüßt er dies und nimmt für eine solche These auch noch fälschlicherweise Ludwig Erhard in Anspruch, obwohl die Wahrheit eine völlig andere ist.Am 17. Januar 1979, in der letzten Woche, hat Dolf Sternberger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen lesenswerten Aufsatz geschrieben: „Erziehung zum Lobbyismus." Frau Jugendministerin, Sie haben da eine Rede gehalten und dann so-gar — das wird hier, wie ich meine: zutreffend, humorvoll kritisiert — protokollarisch dem Kind den Vorrang vor dem Bundespräsidenten gegeben, um dem „Jahr des Kindes" die Reverenz zu erweisen, Ob das die richtige Methode ist, lassen wir einmal dahingestellt. Aber in diesem Artikel von Dolf Stern-berger wird geschildert, wie Kinder bei diesem Kongreß aufgetreten sind: „Wir fordern, wir fordern, wir fordern ..." Wohin führt dies denn, wenn man das Jahr des Kindes schon dazu mißbraucht, Kinder so auftreten zu lassen: „Wir fordern, wir fordern, wir fordern?" — Wie er sagt: Erziehung zum Lobbyismus. Das ist genau das Gegenteil dessen, was der Bundeskanzler etwa in seiner Antwort in diesem Interview gesagt hat. So erzieht man die Kinder, die Jugend nur zu Fordernden, und dann beklagt man sich über die Inflation der Ansprüche.
Warum gibt es denn teilweise ein geistiges Vakuum in der Jugend? Vermutlich hängt es gerade auch damit zusammen, daß die gesunde Jugend, die auch gefordert sein will — eine gesunde Jugend will auch gefordert sein —, dies nicht mehr von uns Politikern hört, von uns, die wir im öffentlichen Leben Verantwortung tragen. Wir trauen ihnen nichts mehr zu und muten ihnen nichts mehr zu, sondern wir glauben, uns nur noch mit Versprechungen und Forderungen überall beliebt machen zu müssen. So entsteht dieses Vakuum mit all den Verirrungen, die wir in den letzten Jahren erlebt haben.
Ich sage noch einmal: Wenn die Regierung in dieser Richtung handelt, entsprechend etwa der Auskunft des Bundeskanzlers in seinem Interview, wird es an der CDU/CSU nicht fehlen. Wir werden hier konstruktiv mithandeln, um der Sache willen.Ein Wort zur Steuervereinfachung. — Der Herr Bundesfinanzminister mußte offensichtlich gehen. — Ich würde Sie gern wieder ansprechen, weil Sie auch zu diesem Thema gesprochen haben. Herr Bundesfinanzminister, es ist ganz nett, wie Sie da über Steuervereinfachung reden, seit Sie Finanzminister sind. Sie haben mit Recht wahrgenommen, daß sich auch in dieser Richtung der Unmut steigert. Im Nacken haben Sie Ihren ehemaligen Parteifreund, der, wie er sagt, demnächst ernst machen will. Darüber kann man reden. Aber Sie sind der verantwortliche Fachminister. Darüber reden reicht für Sie nicht. Wie ist es mit der Grunderwerbsteuer? Wie ist es mit der Kraftfahrzeugsteuer? Sie haben jetzt eine Kommission oder einen Beamtenstab eingesetzt.
Sie sind verantwortlich, Sie müssen handeln. Sie können nicht sagen: In der nächsten Legislaturperiode werden wir dies tun. — Seit 1969 haben wir die Koalition. Sie haben die Verantwortung, Sie sind in der Kontinuität, Sie müssen handeln.
In einem Punkt muß ich Ihnen widersprechen. Sie haben wirklich die Wahrheit verfälscht, als Sie hier dem Hohen Hause bezüglich des Kinderbetreuungs-
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10158 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Dr. Häfelebetrags eine Darstellung gegeben haben. Wie war es denn? Was war der Antrag der CDU/CSU?
Wir wollten in der Tat neben dem Kindergeld — duales System — die Wiedereinführung der Kinderfreibeträge — ohne Nachweis, für jeden gleich, vor allem auch für die normale Mutter, die daheim ist. Das war unser Antrag.
Dann haben Sie gesagt: Das kommt überhaupt nicht in Betracht. Wir haben dann gesagt: Familienpolitisch muß auf jeden Fall ein Schritt nach vorn gemacht werden. Sie haben dann schließlich — woher kam die Formulierungshilfe, kam sie von uns oder kam sie von Ihnen? — diesen Kinderbetreuungsbetrag angeboten, den wir — das wissen Sie ganz genau — in der ersten Runde ja sogar noch abgelehnt haben. Schließlich haben wir gesagt: Statt gar nichts zu erhalten, ist es immer noch besser, dieses zu akzeptieren, aber nur als einen Einstieg in den von uns beantragten und richtigen Kinderfreibetrag für alle, der so schnell wie möglich beschlossen werden muß. Das ist die Wahrheit. Wir fordern Sie auf — jene bürokratischen Schwierigkeiten werden Sie bekommen; uns können Sie diese nicht anlasten; sie sind aber leicht zu beheben —, noch rechtzeitig vor dem 1. Januar 1980 eine einfache Änderung des Gesetzes vorzunehmen — ich verspreche Ihnen, wir stimmen Ihnen alle zu —
und hinten einen Absatz einzufügen — wenn es Sie stört, braucht nicht von „Kinderfreibetrag" die Rede zu sein —, in dem es heißt: Dies wird unwiderleglich bei jedem Kind vermutet und ohne Nachweis für jeden gewährt. — Wir machen sofort mit. Dann ist die ganze Bürokratie weg, und die Mutter wird anständig behandelt.
Herr Bundesfinanzminister, noch ein Wort zur Auseinandersetzung mit der Bundesbank. Sie haben dies heute aber auch schon in einem Interview etwas heruntergespielt. Sie wollten keinen Krach nach außen, Der ungewöhnliche Vorgang stammt aber nicht von der Opposition. Der ungewöhnliche Vorgang stammt von Ihrem Staatssekretär Lahnstein. Es ging um eine gemeinsame, vertrauliche Sitzung des Zentralbankrats. Ob Staatssekretär Lahnstein als Vertreter der Bundesregierung bei dieser Sitzung nach dem Bundesbankgesetz überhaupt zugelassen war, lasse ich einmal außen vor. Wahrscheinlich darf er gar nicht teilnehmen. Der Vertreter muß nach dem Gesetz Mitglied der Regierung sein. Also gehen Sie künftig selber dorthin, und schicken Sie nicht Ihren Staatssekretär. Vielleicht sind Sie etwas geschickter, als es Herr Lahnstein an diesem Tag war. Die Rechtsfrage wird wahrscheinlich in dieser Richtung zu beantworten sein. Lassen wir das aber einmal.Ihr Staatssekretär hat nach einer gemeinsamen, vertraulichen Sitzung bei einer gemeinsamen Pressekonferenz dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank — wie übrigens auch schon im Finanzausschuß in der letzten Woche auf eine etwas merkwürdigeWeise, während des Satzes — widersprochen, so daß jeder Fernsehteilnehmer — ich habe die Sendung zufällig gesehen; die Kameraführung war ausnahmsweise einmal hervorragend und wirklich clever, als die Hände des Bundesbankpräsidenten gezeigt wurden — erkennen konnte, wie der Bundesbankpräsident während der Ausführungen von Staatssekretär Lahnstein glühte. Daß dies in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, daß man gemerkt hat, daß hier etwas knistert und eine tiefgehende Auseinandersetzung gegeben war, hat nicht die Opposition geschaffen — wir konnten nur ein bißchen mitmachen; das tun wir natürlich, denn das ist unsere Pflicht —, sondern das haben Sie selbst besorgt. Handeln Sie also künftig klüger.
Das Schlimmste — vom Formellen einmal ganz abgesehen — war ein Satz, den Staatssekretär Lahnstein dabei gesagt hat und der tief blicken läßt. Es ging um die Entscheidungen, die wir begrüßen. Wir unterstützen die Bundesbank darin, daß sie rechtzeitig neuen Gefahren der Preissteigerung wehren will. In dieser Hinsicht hat sie unsere Unterstützung.
Der Staatssekretär hat aber unter anderem deswegen die Beschlüsse der Bundesbank kritisiert, weil damit Gefahren für die Schuldenaufnahme der Bundesregierung entstünden. Hier werden die Tatsachen doch wirklich verdreht. Nicht der Stabilitätswille der Bundesbank ist in Deutschland zu groß, sondern Ihre Schuldenpolitik ist nicht mehr zu vertreten. Die Schulden sind zu hoch!
Das Gefährliche an diesem Vorfall ist, daß — dies hat die Öffentlichkeit doch wahrgenommen — eine Vertrauenseinbuße, die Sie zu vertreten haben, auch bezüglich Ihrer Zusagen zum Europäischen Währungssystem eingetreten ist. Wir haben Ihnen bei der Gründung dieses Europäischen Währungssystems weiß Gott keine Prügel vor die Füße geworfen — es ist ja immer noch ein Nasziturus. Das haben wir nicht getan; wir haben Sie vielmehr, wie Sie wissen, verantwortlich unterstützt. Wir haben _zu Ihren Bekundungen, Erklärungen und Zusagen gestanden. Sie brauchen sich nach diesem Vorfall aber nicht zu wundern, daß Ihren Versprechungen, daß mit allen Mitteln gegen eine Geldmengenausweitung auch im Europäischen Währungssystem angegangen wird und die Bundesbank von der Bundesregierung unterstützt wird, nicht mehr so richtig geglaubt wird. Schon diese kleine Geschichte verursachte Wirbel. Wie wird es dann erst, wenn die echten Probleme auf uns zukommen?
Zum Schluß muß ich jetzt noch einen Vorgang ansprechen, der auf den 6. Dezember 1978 zurückzuführen ist, als der Bundeskanzler hier über die Vereinbarungen im Hinblick auf das Europäische Währungssystem berichtet hat. Nicht mit einem Jota ist er hier an dieser Stelle in seiner Erklärung auf Schwierigkeiten eingegangen, die sich aus dem agrarpolitischenProblem des Grenzausgleichs ergeben können. Hierfür gibt es nur drei Möglichkeiten:
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Dr. HäfeleEntweder ist dieses Problem nicht oder zu späterkannt worden — dann spricht das nicht für die Gipfeldiplomatie, die in den letzten Monaten angewandt wurde; dann wird es höchste Zeit, daß man wieder echte Sachverständige rechtzeitig einschaltet und so etwas nicht nur dem Gipfel überläßt —
oder — das ist die zweite Möglichkeit — m an hat sich nur scheinbar in dieser Frage geeinigt und gehofft, daß einer den anderen vielleicht sogar hereinlegen könnte, wobei immer noch die Frage ist, wer wen hereinlegt, meine Damen und Herren. Wir sind in der großen Schwierigkeit, daß die gleichen, die eventuell die Beschuldigten sind, die einzigen Zeugen sind, die vorhanden sind. Wir können Herrn Giscard nicht hier in den Deutschen Bundestag laden, um ihn zu fragen, wie es denn tatsächlich war. Wir wissen es nicht. Wir sind auf den Bundeskanzler angewiesen, der zugleich Beschuldigter und Zeuge, einziger Zeuge, in dieser Frage ist.
: Der wahrheitsliebende Bundeskanzler!)
Wenn es jedenfalls so war, daß es da gegenseitig Schlitzohrigkeiten gegeben hat — wobei dann immer noch die Frage ist, wer bei diesen Schlitzohrigkeiten am längeren Hebel sitzt —, dann entsteht natürlich nicht das gegenseitige Vertrauen, das notwendig ist, um dieses Europäische Währungssystem seriös in Gang zu bringen.Die dritte Möglichkeit: Man hat sich in diesem Punkt tatsächlich nicht geeinigt und hat die Öffentlichkeit bewußt nicht unterrichtet. In diesem Falle hätte der Bundeskanzler am 6. Dezember 1978 hier im deutschen Parlament die deutsche Öffentlichkeit, das deutsche Volk, die deutschen Bauern getäuscht. Staatssekretär Rohr mußte am gleichen Tage im Ernährungsausschuß — wahrscheinlich guten Glaubens, dieser arme, mißbrauchte Staatssekretär — das Gegenteil dessen behaupten, was tatsächlich war: Es ist alles in Ordnung bei dem Grenzausgleich!
So oder so: Ich fordere den Bundeskanzler auf — er kann im Augenblick offensichtlich nicht mehr anwesend sein —, spätestens morgen sich hier im Deutschen Bundestag zu erklären, warum er die Öffentlichkeit am 6. Dezember über dieses Problem nicht unterrichtet hat, warum er durch Nichterklären eine Täuschung der Öffentlichkeit vorgenommen hat. Diese Erklärung ist er uns schuldig.
Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren. Wir fordern die Bundesregierung auf, eine neue mittelfristige Finanzplanung vorzulegen, die Ausgabensteigerungen vorsieht, die wesentlich niedriger sind, als in der bisherigen mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen ist, und die schließlich bei einer Ausgabensteigerung ankommt, die höchstens gleich dem realen Wachstum des Bruttosozialprodukts ist. Wenn dieses nicht geschieht, kriegen wir die Schuldenlast des Staates in Deutschlandnicht mehr auf ein vertretbares Maß herunter.Zweitens. Wir fordern die Regierung auf — und das ist notwendig, um die erste Forderung zu erfüllen —, ihre Ausgaben und Programme wenigstens mittelfristig nach Einsparungsmöglichkeiten zu durchforsten.Wir fordern die Bundesregierung drittens auf weitere Schritte für die 80er Jahre einzuplanen im Hinblick auf den Abbau der Steuerbelastung, auf eine weitere Verbesserung des Einkommensteuertarifs, damit es nicht schon wieder ab 1980/81 heimliche Steuererhöhungen gibt, und im Hinblick auf einen weiteren Abbau von Investitionshemmnissen steuerlicher Art, etwa der Substanzbesteuerung durch die Gewerbekapitalsteuer; diese sollte abgeschafft werden. Nur so kann auf Dauer die private Leistungs-und Investitionsbereitschaft erhalten werden.Die CDU/CSU erklärt zum wiederholten Male, daß sie verantwortlich mitwirkt, selbst wenn Sie diesem Parlament unpopuläre Entscheidungen zumuten sollten, daß sie verantwortlich mitwirkt um der Sache willen, damit unser Volk nicht in den 80er Jahren die Zeche für diese Schuldenlast bezahlen muß.Solange aber nicht diese gestaltende, diese zukunftseröffnende Finanzpolitik von der Bundesregierung eingeleitet wird, so lange gibt es für uns nur ein Nein, ein Nein zu diesem Haushalt und ein Nein zu dieser falschen Finanzplanung.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Herr Kollege Häfele hat gerade eine Rede mit gigantischen Perspektiven gehalten. Was die Argumente angeht, war das allerdings nicht so ganz neu.
Vor allen Dingen war die Rede nicht sehr konkret in dem, was denn nun eigentlich die finanzpolitischen Vorstellungen der Opposition, nicht theoretisch, sondern praktisch, sind. Nur deshalb, weil er beim Theoretischen stehenblieb, konnte er so viele Widersprüche hintereinander bringen, denn
von der Realisierung brauchte ja nicht gesprochen zu werden.Meine Herren und Damen, es ist zweifellos ein Glück für die Opposition, daß die finanzpolitischen Kapitel am Anfang der Debatte stehen. Denn stünden sie am Ende, könnten wir die Mehrforderungen an den Haushalt, wie sie in der Debatte der nächsten Tage seitens der Opposition gestellt werden, Position für Position addieren und Ihnen den Widerspruch in Ihren finanzpolitischen Vorstellungen nachweisen. Man braucht wirklich kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, daß, wenn es um den Wehretat, um die Zivilverteidigung, um das Erziehungsgeld, um die Förderung des Wohnungsbaues oder anderes
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Frau Funckemehr geht, von Ihnen mehr Forderungen gestellt werden bzw. Kritik laut wird, daß die Bundesregierung hierfür und hierfür und hierfür nicht mehr ausgebe. Wir werden das einmal alles „hübsch" addieren und Ihnen zur dritten Lesung präsentieren.Die Widersprüche in der Rede von Herrn Häfele sind nicht zu übersehen. Auf der einen Seite schließt er sich der Kritik seines Kollegen Haase mit dem Hinweis an, der Staat mache zuviel Schulden; das sei ganz schlimm, auf der anderen Seite sagt er: Hätten wir gewußt, daß wir jetzt Mehreinnahmen erwarten können, dann hätten wir die auch noch in Steuersenkungen „verbraten".
Ja, meine Herren und Damen, dies geht doch wirklich nicht. Hier muß man sich doch fragen, wie die Zusammenhänge sind. Aber Zusammenhänge gibt es bei der Opposition eben nicht, wenn man die steuer- und finanzpolitischen Probleme diskutiert, sondern lediglich eine unzusammenhängende Aneinanderreihung von gefälligen Forderungen oder Analysen.Da fordert Herr Gaddum die Abschaffung des § 7 b, während Herr Späth dafür plädiert, die in § 7 b getroffene Regelung auszuweiten. Zum einen fordert die Opposition, Steuergesetze zu vereinfachen, zum anderen will sie gleiche Tatbestände gleich zweimal in Gesetze fassen. Beispiele hierfür sind das Kindergeld — einmal soll direkt gezahlt werden, zum anderen soll es gleichzeitig in Form von Steuervergünstigungen geschehen — oder die Erleichterung beim Einbau von wärmedämmenden Fenstern, die zum einen in Form von Steuervergünstigungen, zum anderen in Form von Direktzuschüssen gewährt werden soll. Oder: Auf der einen Seite fordert die Opposition die Vereinfachung komplizierter Steuergesetze, auf der anderen Seite verlangt sie in einer Resolution zum Subventionsbericht, zielgerichtete Finanzhilfen müßten vorrangig in Form von Steuererleichterungen gegeben werden.Da spricht sich Herr Häfele für weniger Gesetze aus; aber wäre er Freitag letzter Woche hier gewesen, dann hätte er miterlebt, wie ein neuer Gesetzentwurf der Opposition nach dem anderen an die Ausschüsse überwiesen worden ist. Während Herr Biedenkopf fordert, man solle die Sparförderung einschränken oder gar aufgeben, setzt sich Herr Späth für ihre Ausweitung ein.Während Herr Gaddum die Steuerbefreiung für Spenden abschaffen will, verlangt die CDU/CSU eine Erhöhung der steuerfreien Spendenbeträge. Da kritisieren einerseits die CDU-Finanzpolitiker die Höhe der Staatsausgaben und der Schulden, während andererseits die übrigen Oppositionspolitiker munter Mehrausgaben fordern. Dies, meine Herren und Damen, ist kein Konzept und schon gar nicht das, was Herr Häfele gefordert hat: eine klare Gestaltung der Finanzpolitik.Nun hat er uns immer wieder gesagt, daß die Steuerbelastung für den einzelnen zu hoch sei. Wir müssen immer wieder wiederholen — weil Sie eswiederholen —, daß die Steuerlastquote seit 1969 gesunken und nicht gestiegen ist. Es ist zwar zuzugeben, daß beim Arbeitnehmer hinsichtlich der Lohnsteuer eine Mehrbelastung vorhanden ist. Dies ändert aber nichts daran, daß der Arbeitnehmer heute — glücklicherweise — trotz der prozentual sanft ansteigenden Steuersätze nicht weniger, sondern mehr Geld zur Verfügung hat.Nun will ich Ihnen einmal sagen, wie diese „unvertretbare" Belastung nach den kürzlich beschlossenen Steueränderungen aussieht: Ein Arbeitnehmer mit 30 000 DM Jahreseinkommen und zwei Kindern zahlt eine Steuer von 10,5 °/o, bekommt über das Kindergeld aber zugleich so viel zurück, daß seine tatsächliche Belastung 5,5 °/o beträgt. Hat er ein drittes Kind, bekommt er etwas heraus und zahlt null DM Steuern. Ein Selbständiger mit 42 000 DM Jahreseinkommen und drei Kindern zahlt an Steuern 12,8% nach Gegenrechnung des Kindergeldes 3,6 %, ab 1980 2,9 %.Meine Herren und Damen, Sie können in vergleichbaren anderen Staaten Europas lange suchen, bis Sie eine derart relativ niedrige Belastung finden. Der ständige Hinweis auf eine zu große Steuerbelastung ist mindestens in dem Bereich, von dem hier jetzt die Rede ist, nicht zutreffend. Wir haben in den letzten Jahren in richtigen Zeitabständen die Tarife gesenkt.Nun sagen Sie, Herr Häfele, man sollte möglichst in einer Perspektive bis 1990 die Tarife bekanntgeben. Das könnten auch Sie nicht. Sie hatten ja noch nicht einmal für 1979 einen konkreten Tarif vorgelegt, sondern nur gefordert, man möge den Tarif senken, und dafür lediglich einen Termin genannt. Nein, die Tarife können, wenn sie progressiv gestaltet sind, immer nur — und müssen es dann allerdings auch —, in vertretbaren Abständen an die tatsächliche Lage, an die Belastung und an die Lohn- und Einkommensentwicklung angeglichen werden. Dies geschieht; wir werden den Tarif in Abständen ändern; niemand hat gesagt, daß er für die Ewigkeit bestehe.Allerdings haben wir — und das hat etwas mit dem Bemühen um Gestaltung zu tun — für diese zwei Jahre ein Konzept von Steueränderungen vorgelegt und trotz mancherlei Widerstände durchgesetzt, das dem Steuerpflichtigen sagt, was in den zwei überschaubaren Jahren dieser Legislaturperiode an Steuern und Steueränderungen zu erwarten ist. Damit könnte an der Steuerfront Ruhe eintreten, wenn nicht zum gleichen Zeitpunkt immer wieder von allen Seiten neue Forderungen gestellt und seitens der Opposition neue Versprechungen gemacht und Erwartungen geweckt würden. Ich bin dem Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages, Herrn Wolff von Amerongen, sehr dankbar dafür, daß er in Anerkenntnis der sicherlich großen Bemühungen in den letzten Monaten im Steuerbereich gesagt hat: Nun sollte man damit einmal leben können und nicht — gleichsam als Nachweis der Daseinsberechtigung einer Organisation — ständig mehr Forderungen stellen, als sie bei nüchterner Betrachtung zu verantworten sind. Vielleicht sollte
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Frau Funckeauch die Opposition diese Erkenntnis einmal in ihren Reihen realisieren.
Sie sagen, es sei nicht gestaltet worden. Nun,meine Herren und Damen, die sozialliberale Koalition hat den Tarif umgestaltet, und zwar von dem Sprung weg, den wir damals gemeinsam beschlossen haben, zu einem gleichmäßigen- Anstieg. Wir haben die Körperschaftsteuerreform durchgesetzt. Wir haben das Kindergeld — das entsprach auch Ihren Vorstellungen — strukturell umgestellt auf eine gleichmäßige Zahlung und haben es wiederholt angepaßt. Die Lohnsummensteuer ist abgeschafft worden. Wenn das nicht Gestaltungen sind, möchte ich mal wissen, was Sie darunter verstehen.Meine Damen und Herren, von einer Opposition, die ständig Kritik an der Finanzgestaltung übt, erwarten wir, daß Sie endlich einmal ein brauchbares Konzept auch nur erkennen oder durchscheinen läßt;
wir erwarten ja nicht, daß sie ausgefeilte Gesetzentwürfe vorlegt. Aber das, meine Damen und Herren, was Sie Gestaltung nennen, könnte doch wenigstens anklingen. Sie sind dazu jedoch angesichts der Widersprüche in Ihren eigenen Reihen nicht in der Lage. Mit den ständigen Detailforderungen, die Sie vorbringen, werden wir, werden aber auch Sie nicht weiterkommen.Herr Häfele, Sie hätten uns enttäuscht, wenn Sie nicht zu guter Letzt auch die letzten Beschlüsse der Bundesbank zur Sprache gebracht hätten. Es ist nicht unsere Sache, uns mit einzelnen Interpretationen in der Presse zu beschäftigen. Sie wie alle Beteiligten dürfen aber die feste Überzeugung haben, daß weder die Koalition noch, soweit ich sehe, die Regierung in Frage stellt, daß die Bundesbank autonom und unabhängig die Beschlüsse fassen kann, die sie nach längerem Besprechen unter Beachtung der Stabilitätserfordernisse für richtig hält. Daß man graduell und bezüglich des Zeitpunkts oder der eventuellen Nebenwirkungen unterschiedlicher Meinung sein kann, wird niemand bestreiten,
aber es ist klar — das sage ich für meine Fraktion, und ich glaube, das auch mit voller Befugnis für die SPD sagen zu können, die jetzt auf ihre Redezeit verzichtet hat —, daß niemand an der Autonomie und an dem unbeeinflußten Entscheidungsrecht der Bundesbank auch nur ein klein wenig rütteln möchte.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glos.Glos Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte wieder zum Bundeshaushalt zurückkehren.Eine Vorbemerkung: Meine Redezeit ist mit 15 Minuten angesetzt. Wir werden während dieserkurzen Redezeit dank der Regierungskunst der Koalition 900 000 DM neue Bundesschulden bekommen, in jeder Minute 60 000 DM und in jeder, Sekunde 1 000 DM. Wenn es etwas helfen würde, kürzer zu reden, würde ich das tun, aber mit den Schulden geht es ja weiter.
Meine Damen und Herren, es war zu erwarten, daß die Kollegen Löffler und Hoppe pflichtgemäß eine schlechte und unsolide Haushaltspolitik verteidigten. Herr Minister Matthöfer hat sich sehr weltgewandt gegeben, er hat ins Ausland gesehen, er hat Vergleiche gezogen. Nur habe ich eines vermißt, Herr Minister: Sie haben das, was ich heute früh in den Nachrichten gehört habe, nicht betont, daß nämlich der amerikanische Präsident einen Haushalt vorgelegt hat, in dem er heuer die Verschuldungsrate um die Hälfte zurückgeführt hat. Aber ich will hier nicht über Amerika und über Guadeloupe reden, sondern über den deutschen Bundeshaushalt.
Der Herr Kollege Löffler hat sich sehr sachkundig gegeben.
Er hat aus dem Gutachten des Sachverständigenrates zitiert. Er hätte eine andere Stelle vorlesen sollen, die ich Ihnen jetzt gerne zur Kenntnis bringen möchte. Es heißt dort aus gutem Grund:Die Erfahrung lehrt, daß eine stark expansiv angelegte Finanzpolitik dadurch unwirksam werden oder gar kontraproduktiv wirken kann, daß steigende Defizite die Erwartung höherer Zinsen wecken, die Furcht vor zunehmenden Inflationsraten, einer anschließenden Stabilisierungskrise und später ansteigenden Steuerlasten beflügeln und so negativ auf die Gewinnerwartungen der Unternehmen und die Einkommenserwartungen der privaten Haushalte durchschlagen.
Diese Warnung ist sehr berechtigt. Die daraus resultierenden Gefahren können tödlich für die Konjunktur werden. Sie können sich auf die Hoffnungen unserer Dauerarbeitslosen auf eine Verbesserung ihrer Situation verheerend auswirken.
Sie, Herr Minister Matthöfer, schlagen diese Warnungen in den Wind. Sie gehen den Marsch, der unter Ihrem Vorgänger angetreten worden ist und der unter der Regierung Willy Brandt konzipiert wurde, in Richtung Schuldenstaat und Staatsbankrott in unvermindertem Tempo weiter.
Sie legen sogar heuer noch einen Zahn zu, und dafür trägt diese Bundesregierung die Verantwortung.
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Glos Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, daß es ohne diese riesigen Schuldenaufnahmen der letzten Jahre noch viel schlimmer gewesen wäre. Ich kann dieser Argumentation nicht folgen. Wir müssen zurück auf die Ursachen der Dinge. Diese Krise ist doch nur deshalb entstanden, well vorher die Politik eine Krise hatte, weil man die Unternehmer verunsicherte, weil man dadurch eine Wirtschaftskrise herbeiführte.
Und heute bringt man das „Allheilmittel", indem man sagt: Der Staat mußte alles wieder in Ordnung bringen, und wenn der Staat es nicht so in Ordnung gebracht hätte, wäre es noch viel schlimmer. Man vergißt die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft, und man vergißt die Ursachen.
Herr Minister, es ist ja bekannt, daß Sie — Sie haben das auch in Ihrer Antrittsrede geäußert — nicht Finanzminister werden wollten. Ich will jetzt nicht zitieren, wie Sie es genau gesagt haben: daß Sie Volker Hauff beneiden usw. Aber Ihre Politik scheint mir manchmal einer Redensart zu entsprechen. Da sagt der kleine Bub: „Es geschieht mir ganz recht, daß mich friert; warum kauft mir meine Mutter keine Handschuhe!" Das könnte man übertragen und sagen: „Es geschieht dem deutschen Steuerzahler ganz recht, daß der Marsch in die Verschuldung weitergeht; warum hat mich der Bundeskanzler zum Finanzminister gemachtl"
Es geht hier — das möchte ich noch einmal ansprechen - um die langfristigen Folgen Ihrer Finanzpolitik, besser gesagt: Verschuldenspolitik. Es ist doch unbestritten, daß die Leidtragenden dieser Politik die künftigen Generationen sein werden. Im Jahre 1979 werden nach Schätzungen voraussichtlich 500 000 Bundesbürger das Licht der Welt erblicken. Bei einem Schuldenzuwachs des Staates — Sie haben vorhin die Zahl einschließlich Bundesbahn genannt, nach optimistischen Schätzungen 'von 50 Milliarden DM legen Sie jedem neugeborenen Kind 100 000 DM neue Schulden in die Wiege. Dies ist Ihr Beitrag zum Jahr des Kindes!
Lassen Sie mich zum Buchhalterischen zurückkehren! Zur Haushaltsklarheit und -wahrheit gehören Offenheit und Ehrlichkeit in der Verbuchung. Neuerdings überraschen Sie mit einer erstaunlichen Steigerung der Investitionen um je 22 Prozent in den Jahren 1978 und 1979. Diese phänomenale Zunahme besteht allerdings weitgehend aus zwei billigen Buchungstricks.Buchungstrick Nr. 1: Mittel, die bisher dem konsumtiven Bereich zugerechnet worden sind, tragen plötzlich das Etikett „Investitionsausgabe".Buchungstrick Nr. 2: Durch die Veränderung der Veranschlagungstechnik werden an vielen Stellen Hunderte von Millionen DM formal als zusätzlicheInvestitionen ausgewiesen, ohne daß in Wirklichkeit nur eine müde Mark mehr investiert worden wäre.Wir haben dazu einen Änderungsantrag, vorgelegt; er liegt am Tisch aus.Trotz unveränderter Verluste von jährlich 4,5 Milliarden DM geht die sogenannte Liquiditätszuwendung des Bundes an die Bahn zurück. 1979 sind dafür im Haushaltsentwurf nur noch 1,6 Milliarden DM vorgesehen. In immer größerem Umfang wird die Bahn gezwungen, 'ihre Verluste mit Fremdmitteln abzudecken. Die Bundesregierung muß diese Verluste voll ausgleichen, auch wenn das Bundesbahngesetz gewisse Zeitliche Verschiebungen zuläßt. Das wissen Sie natürlich auch, Herr Finanzminister. Die Gesamtsumme aller Zuschüsse für die Bahn reicht ja zur Abdeckung des voraussichtlichen Defizits aus, nur tragen von diesen Mitteln fast 3 Milliarden DM das falsche Etikett „Investitionszuschuß".Ein weiteres Beispiel: Seit Jahren sind die Mittel für bilaterale technische Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern und für die Entwicklungsvorhaben der Kirchen als konsumtiv eingestuft worden. Vom Haushalt 1978 an erscheinen diese Mittel plötzlich — oh Wunder — als zusätzliche Investitionsausgaben.Bei der Bundesanstalt für Arbeit erscheint sogar ein kurzfristiges Betriebsmitteldarlehen von 450 Millionen DM als Investitionsausgabe.
Titelaufteilungen in Ausgaben
— Herr Kollege Grobecker, Sie können ja mithelfen, das zu verwirklichen, was ich jetzt fordern möchte — für laufende und für investive Zwecke müssen aus Gründen der Haushaltswahrheit wieder zur Regel werden, wenn der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Art. 115 des Grundgesetzes, der die Investitionsausgaben in 'die richtige Relation zum Haushalt 'setzt, wieder Rechnung getragen werden soll.
Bei der Veranschlagung -der globalen Minderausgabe tut 'die Regierung in jedem Jahr so, als seien nur die konsumtiven Ausgaben betroffen. Bei der Haushaltsabrechnung am Jahresende stellt sich dann immer wieder heraus, daß diese globale Minderausgabe nur erwirtschaftet werden konnte, weil die Investitionen erheblich zurückgeblieben sind. So waren es in diesem Jahr wieder rund 1,7 Milliarden DM investive Mittel, die nicht ausgegeben worden sind.
Es läßt sich hier der Schluß ziehen, daß nicht mehr investiert, sondern mehr frisiert wird.
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GlosIch möchte von dieser Stelle aus den Rechnungshof bitten, sich hier ein Arbeitsfeld zu eröffnen und diese Tricks alle einmal herauszufinden.Lassen Sie mich ein anderes Problem ansprechen! Unlängst stand in der „Welt" — ich glaube, es war am vergangenen Donnerstag — ein Satz des Briten Parkinson. Er sagte: „Mein Gesetz steht in Bonn hoch in Ehren". Man kann ihm nur beipflichten. Auch der Haushalt, mit dem wir uns heute beschäftigen, unterstreicht diese Aussage.
— Aber Herr Kollege Grobecker, wir reden doch vom Haushalt. — Der Regierungsentwurf sah 3 075 neue Stellen im Bundesdienst und im Bereich der vom Bund finanzierten Zuwendungsempfänger vor. Der Bundesfinanzminister hat es nicht geschafft, die Forderungen der Ressorts nach zusätzlichen Stellen auf das unbedingt notwendige Maß zu begrenzen. Aus der Erkenntnis heraus, daß der Bürokratie nur Einhalt geboten werden kann, wenn die weitere Aufblähung der Stellenpläne verhindert wird, hat der Ausschuß, entsprechend unseren langjährigen Forderungen, sein besonderes Augenmerk auf die Behandlung dieser neuen Stellen gerichtet. Erstmals hat eine interfraktionelle Fünferkommission — Kollege Schröder und ich haben für die CDU/CSU-Fraktion mitgearbeitet — versucht, gemeinsam die- se Mehranforderungen zu reduzieren. Ich möchte mich an dieser Stelle auch bei allen Kollegen herzlich bedanken, die sich in guter, sachlicher Atmosphäre im 25. Stockwerk des Neuen Hochhauses 30 Stunden lang gemeinsam bemüht haben, dem geballten Druck und der Seelenmassage von Ministern und Fraktionsführern zu widerstehen. Wir haben gehört, wenn angerufen wurde: Der Fraktionsvorsitzende ist am Apparat, bitte herauskommen!
- Ich weiß es nicht. Wir haben versucht, uns diesem Druck, der von allen Seiten, auch von Personal- und Betriebsräten, verständlicherweise auf uns eingeströmt ist, zu widersetzen, und wir haben 1000 Stellen aus diesem Voranschlag herausgenommen.
Bei den abschließenden Beratungen im Ausschuß hat sich bei den Koalitionskollegen der Mut leider sehr schnell verflüchtigt. Ich glaube, abschließend kann man resignierend nur sagen: „Mögen hätten Sie schon tun wollen, aber dürfen haben Sie sich nicht getraut."
Immerhin -hat die Courage im Haushaltsausschuß noch dazu ausgereicht, 920 neue Stellen wegfallen zu lassen. Diese Reduzierung wäre eigentlich Aufgabe eines kraftvollen Finanzministers gewesen, aber Herr Matthöfer hat den bequemen Weg gewählt. Bei den Kabinettsberatungen haben Sie trotz der schlimmen Haushaltslage grünes Licht gegeben, und die unangenehme Arbeit haben Sie dem Haushaltsausschuß überlassen. Dies ist fürwahr kein Heldenstück, Herr Minister!
: Helden-
stücke sind bei Matthöfer selten!)In der Öffentlichkeit stellt es sich viel schöner dar, wenn man sagen kann: die Bundesregierung verteilt die Wohltaten, wenn sie Möglichkeiten signalisiert, die überhaupt nicht vorhanden sind; aber dann muß das Parlament — sprich: Haushaltsausschuß — kommen, um das Ganze für den deutschen Steuerzahler wieder ins Lot zu bringen.
Wir müssen hier noch einmal betonen, daß es uns nicht darum geht, den öffentlichen Dienst einzuschränken, sondern darum, die Kosten, die durch jede neue Stelle auf Dauer entstehen, nicht zu unterschätzen. Jede neue Stelle kostet den Steuerzahler nach dem Preis- und Lohnstand von 1978, gerechnet auf die Lebenszeit eines Beschäftigten im öffentlichen Dienst einschließlich Ruhestandsgehalt und unmittelbaren Nebenkosten, ganz grob gerechnet, im Durchschnitt 2,3 Millionen DM.
Dabei sind die künftigen Besoldungs- und Preiserhöhungen nicht mitgerechnet.
Die 2 154 neuen Stellen, die geschaffen worden sind, kosten den 'deutschen Steuerzahler, wieder auf die Lebenszeit umgerechnet, somit etwa 5 Milliarden DM.
Das ist — ich habe das vorhin schon betont — keine Aussage gegen den öffentlichen Dienst. Im Gegenteil, in der Privatwirtschaft sind vergleichbare Positionen oft nicht billiger. Die CDU/CSU hat nie behauptet, daß die Beamten zu gut bezahlt würden. Es geht mir vielmehr darum, klarzumachen, weshalb Wir uns im Interesse des Steuerzahlers dagegen wehren, daß immer wieder neue Stellen geschaffen werden. Als Opposition können wir allerdings nur dazu beitragen, 'die schlimmsten Auswüchse zu verhindern. Die dringende Haushaltssanierung und auch die Begrenzung des Zuwachses in diesem Bereich allein auf den Haushaltsausschuß abwälzen zu wollen hieße, seine Möglichkeiten zu sprengen.
Ich darf abschließend noch ein Zitat aus dem „Kölner Stadtanzeiger" bringen. Herr Murrmann schreibt zu diesem Haushaltsabschluß: „Aber sosehr auch der Haushaltsausschuß das alte und vornehmste Recht aller Parlamente für sich in Anspruch nimmt, nämlich 'die Kasse zu kontrollieren, eines kann er gewiß nicht: einen Haushalt von Grund auf umformen."
Das ist Sache der Regierung, das ist Ihre Sache, Herr Minister. Wir fordern Sie auf, endlich zu 'handeln.
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10164 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wohlrabe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Beratung des Einzelplanes 60, die mit der der Einzelpläne 08 und 32 verbunden ist, gehört auch der weite Teil der Zahlungen an die DDR und insbesondere auch der Zahlungen an Berlin. Der Kollege Hoppe, aber auch der Bundesfinanzminister haben dieses Thema eben schon angesprochen. So wird sich mein Beitrag, den ich hier vorzutragen habe, im wesentlichen auch mit diesem Bereich befassen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen, die mehr analytischen Charakter hat. Ich glaube, daß man, wenn man den enormen finanziellen Beitrag des Bundes für Berlin prüft, dies richtig einordnen und auf seinen Sinn überdenken sollte. Wir haben für Berlin eine Viel-. zahl von Verträgen. Diese Verträge sind heute Allgemeingut unserer politischen Arbeit, obwohl wir wissen, daß es an der einen oder anderen Stelle bis heute nicht klappt. Wir haben aber auf der anderen Seite — die Situation der Vertrags- und Friedenspolitik soll im Moment nicht Gegenstand der Erörterung sein — im Innern der Stadt große Sorgen und Probleme. Probleme, die sich vor allem in folgenden Punkten zeigen: Die Verträge und Abkommen sind ihr Papier nicht wert, wenn Berlin nicht selbst lebensfähig ist, wenn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Stadt schwindet, die Zahl der Arbeitsplätze zurückgeht und vor allem die Bevölkerungszahl besorgniserregend abnimmt. Eine so große Stadt wie Berlin kann nur leben, kann ihre politische und psychologische Bedeutung nur dann erhalten, wenn ihre Bevölkerungszahl in etwa erhalten bleibt und nicht, wie durch alle statistischen Ämter bekannt, bis 1985 um rund eine halbe Million abnehmen wird.
Der politische Folgemechanismus ist so riesig, daß man sich jetzt gar nicht vorstellen kann, was es bedeuten würde, wenn Berlin im nächsten Jahrzehnt seine Bevölkerungszahl nicht hält und wenn — die Hamburger mögen es mir verzeihen, der eine oder andere sitzt ja hier —, die Einwohnerzahl West-Berlins unter der von Hamburg läge.Ich werfe die Frage auf: Sind Bundeshilfe und die Förderinstrumente des Berlinförderungsgesetzes, die wir einsetzen, ausreichend gewesen und in der Zukunft ausreichend, um das Ziel, in etwa auf dem jetzigen Stand zu bleiben, halten zu können? Eine Stadt lebt und stirbt mit ihrer Lebenskraft, d. h. mit ihrer Bevölkerungszahl. Diese Erkenntnis hat doppelte Gültigkeit für Berlin in seiner wirtschaftlichen und politischen Insellage. Die Rahmenbedingungen der Stadt müssen stimmen, die vielfältigen Standortnachteile — und darauf wird die Union immer wieder ganz besonders hinweisen — müssen durch finanzielle Mittel und Gesetze ausgeglichen und mehr, wobei es hier insbesondere auf das „mehr" ankommt, als ausgeglichen werden.Wie sieht die Bilanz aus? Der Bundesfinanzminister hat einiges dazu gesagt. Wurden die Versprechungen der Bundesregierung, des Berliner Senats, insbesondere aber auch der SPD und der FDP eingehalten? Ist z. B. das Globalprogramm aus der Scheel-Runde mit 30 Millionen DM stärker als das sogenannte Programm Herbert Wehner mit 60 Millionen DM? Ist überhaupt eine Summe von 90 Millionen oder gar 900 Millionen DM, um nur einmal die totale Summe zu nehmen, ein Mehr in der Durchstrukturierung dessen, was für Berlin notwendig ist? Tatsachen und Zahlen sprechen hier eine unbestechliche Sprache. In wichtigen Bereichen ist die Bilanz eben nicht positiv. Unerfüllte Hoffnungen sind für diese Stadt und ihre Bürger aber Gift. Regierungsamtliche Verlautbarungen verbessern die labile wirtschaftliche und soziale Situation der Stadt nicht.Lassen Sie mich das an nur drei Punkten darlegen, damit Sie nicht denken, ich machte hier eine Aussage, die keine Sachgrundlage hat. Es kann den Koalitionsparteien der Umstand und die Tatsache nicht erspart werden, daß die Entwicklung Berlins im wirtschaftlichen und sozialen Bereich erheblich schlechter verlaufen ist als die Entwicklung im übrigen Bundesgebiet.Besonders besorgniserregend ist 1. der Berliner Arbeitsmarkt. Vor 15 Jahren hatte Berlin noch rund 300 000 industrielle Arbeitsplätze; heute sind es nur noch 170 000. 2. Eine weitere Schlüsselzahl: Die Zahl der Betriebe in Berlin ging von 1962 bis heute — also ebenfalls in gut 15 Jahren — um 47% zurück. Es brauchen nicht immer nur spektakuläre Betriebsschließungen zu sein wie z. B. bei Loewe-Opta. Ich denke an die vielen namenlosen, aber so wichtigen mittleren und kleinen Betriebe der Stadt, die so sang- und klanglos zumachen mußten. Sie sind aber das Rückgrat einer guten und prosperierenden Wirtschaft. Ich nenne drittens die Arbeitslosenquote. Sie liegt seit relativ langer Zeit — das wird oft übersehen — im Durchschnitt regelmäßig über der des Bundesgebietes. Früher hatte Berlin immer weniger Arbeitslose als im Bundesdurchschnitt; heute ist es ein Mehr.Trotz einiger Silberstreifen am Konjunkturhimmel — ich stelle das gar nicht in Abrede — kann es für Berlin noch lange keine Entwarnung geben. Warum hätte sich sonst der Bundespräsident veranlaßt gesehen, eine Gesprächsrunde der Parteivorsitzenden einzuberufen, wenn nicht auch hier in Bonn diese Meinung bei den Verantwortlichen weitgehend vorherrschte? Eine solche Runde, die etwas ganz Außergewöhnliches darstellt, ist ja wohl nur dann notwendig, wenn man der Auffassung ist, daß die Situation nur noch mit einem außergewöhnlichen Hilfsprogramm zu meistern ist.Leider hat die Berlin-Kommission mit ihren Ergebnissen nicht jenen Durchbruch erzielt — der Kollege Hoppe ist gerade nicht im Saal; ich wollte ihm jetzt gern antworten —, den sich die Union erhofft hatte. Wir haben dem minimierten Programm zugestimmt, aber wir hätten lieber den Vorschlägen zugestimmt, die die Verantwortlichen der Union in
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WohlrabeBerlin und in unserer Fraktion für Berlin erarbeitet hatten.
Wir hätten darüber hinaus gewünscht, daß der Herr Bundesfinanzminister nicht so mauert, wie Sie das, verehrter Herr Kollege Löffler, nicht getan haben. Nur, er war stärker. Der Finanzminister hat sich eindeutig nur als ein Berlin-Hinderer, nicht als ein Berlin-Förderer beteiligt.
— Aber verehrter Herr Kollege Wehner, das stimmt doch. Denken Sie doch einmal an die Gewährung des Kindergelds,
wie schwer Sie es in Ihrer eigenen Fraktion gehabt haben, diese 50 DM durchzusetzen! Ich will es wirklich ohne Polemik sagen: Uns allen hat es doch weh getan, miterleben zu müssen, wie viele Wochen der Gesetzesantrag von FDP und CDU/ CSU vorgelegen hat und dann bei Ihnen nicht passieren konnte. Das ist doch einfach die Tatsache.
Ich meine, daß wir in diesem Punkt von einem Ruhmesblatt Ihrerseits, verehrter Herr Kollege Löffler — auch was die finanzielle Größenordnung angeht —, wirklich nicht sprechen können.
— Ich will ja gar keinen Streit entfachen. Nur will ich damit, weil ich die nächsten sechs, sieben Jahre vorausschaue, folgendes sagen: Durch eine solche Verhaltensweise nimmt man auch einem gut gemeinten Programm seinen Signalcharakter und seine Durchschlagskraft. Ein solches Programm ist ja nicht nur für politische Maßstäbe da, sondern es soll auch private Initiative erzeugen. Wenn diese ausbleibt, ist die Folgewirkung eben nicht die, die wir uns erwünschen.Was den notwendigen Ausbau der Wirtschaftsförderung betrifft
— ich möchte nur den Satz zu Ende führen —, so ist bisher von Bundesregierung und Senat jedenfalls weitgehend nicht das unternommen worden, was nach unserer Auffassung erforderlich gewesen wäre. Zahlreiche Vorschläge der Union wurden abgelehnt.Bitte schön.
Herr Kollege Wohlrabe, können Sie bestätigen, daß von den 18 konkreten Maßnahmen im Berlin-Programm der vier Parteivorsitzenden 15 bereits durchgeführt oder auf den Weg gebracht worden sind, für zwei weitere die Mittel in diesem Haushalt zur Verfügung stehen und lediglich noch eine einzige Maßnahme ihrer endgültigen Regelung harrt?
Können Sie bestätigen, Herr Kollege Löffler, daß diese 18 Punkte eine selektierte Auswahl dessen sind, was als Minimum übrigblieb, ehe man überhaupt in die entscheidende Gesprächsrunde ging? Wenn man nämlich von Anfang an offen gewesen wäre, dann hätten meiner Meinung nach einzig und allein die Vorschläge der Union zugrunde gelegt werden müssen, und dann wären es keine 18, sondern 80 Punkte gewesen.
So einfach kann man es sich leider nicht machen, wie Sie es hier tun.
Ich will Ihnen drei wichtige Punkte entgegenhalten, auf die es ankommt. Ich nenne sie kurz, einfach um mal einen Pflock einzurammen. Sie wissen doch selber: Wenn Berlin eine größere Bevölkerungszahl haben soll, wenn mehr Arbeitnehmer in diese Stadt kommen sollen, wenn wir nicht absakken wollen — Sie wissen: Über 500 000 Menschen in Berlin sind im höheren Alter —, dann, verehrter Herr Kollege Löffler, benötigen Sie drei Bereiche. Dies sind: Wohnung, Kinder, Freizeit.
Ich frage zu Punkt 1: Warum verhindert die SPD-Bundestagsfraktion bis zum heutigen Tag, daß der steuerbegünstigte Erwerb von Altbau-Miethäusern in Berlin ermöglicht wird, der einzig und allein jene große private Initiative entfachen würde, die notwendig ist, um die 270 000 alten Berliner Wohneinheiten zu modernisieren? Diese sind eben dann Berlinern und Neu-Berlinern in angemessener Weise zuzuführen. Das ist ein fataler Fehler Ihrer Politik. Das wurde mehrmals von uns im Finanzausschuß beantragt und durch Ihre Mehrheit immer wieder abgelehnt.
Das wäre richtungweisend für Berlin.
Der zweite Punkt: Kindergeld. Ich erlaube mir die persönliche Meinung — ich befinde mich übrigens im Einklang mit dem Bundeskanzler, der das an anderer Stelle ebenfalls gesagt hat —, daß 50 DM Berliner Kindergeld nicht jenen Boom an Kindern erbringen — wir haben in Berlin mit unter zehn Kindern auf 1 000 Einwohner die niedrigste Geburtenrate der Welt —, der nötig ist, um die hohe Sterberate auszugleichen. Wenn Sie keine familiengerechte Wohnung und keine familiennahe gute Kinderförderung haben, wie wollen Sie denn dann die Einwohnerzahl halten,
wie kann dann die Prämisse stimmen, daß die Berliner Bevölkerung zahlenmäßig etwa gleichbleiben soll?
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Wohlrabe Der dritte Punkt. Was tun Sie denn für die Freizeitgestaltung der Menschen, die in Berlin wohnen, und derer, die neu nach Berlin kommen? Herzlich wenig!
— Das ist kein Wahlkampf. Das sind Sachpunkte, die wir alle in den Ausschüssen erörtert haben, auch im Haushaltsausschuß.
— Sie machen es sich zu einfach, es als Wahlkampf abzuqualifizieren, wenn ich hier das wiederhole, was ich im Haushaltsausschuß vorgetragen habe. Von Ihnen hätte ich da eigentlich etwas mehr Verständnis im Interesse der Stadt erwartet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich möchte nur erst meinem dritten Punkt zu Ende bringen. Dann kann der Kollege Diederich gern fragen.
Der dritte Punkt ist die Freizeit. Neulich war Staatsminister Wischnewski in Ost-Berlin. Wir haben wenig darüber vernehmen können; aber morgen wird das sicher von meinen Kollegen ausführlich behandelt werden. Ich frage nur mal: Was hat er getan, um für Berlin endlich die kürzeste Eisenbahnverbindung ins Gespräch zu bringen? Die Berliner warten im Interesse ihrer Freizeitgestaltung darauf. Die Strecke Berlin, Rathenow, Stendal, Oebisfelde, Wolfsburg bedeutet eine Halbierung der Fahrzeit von Berlin nach Hannover. Wo ist das Gespräch? Wo ist die Erklärung dazu? Wo ist die Initiative dazu? Wir haben immer gesagt: Wir sind bereit, den Weg mitzugehen. Und wir meinen, daß dies sogar besser gewesen wäre als die nun mit viel Geld von uns zu bezahlende Autobahntrasse.
Ich sage hier, wir tragen die Autobahntrasse mit! Das ist selbstverständlich. Aber sie hat einen bitteren Beigeschmack. Wenn wir schon darüber sprechen, sei fürs Protokoll angemerkt: Der bittere Beigeschmack ist, daß erneut keine westdeutschen Firmen dabei sind, daß es politische und überhöhte Preise sind
und daß insgesamt die Qualität erst einmal auf der Helmstedt-Marienborner Strecke getestet werden muß. Hoffentlich stellen sich auf der Hamburger Autobahn eines Tages keine Schwierigkeiten ein. Wir haben hier leider, auch auf Grund der Mahnungen der Bundesregierung, berechtigte Zweifel.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?
Meine Zeit ist im wesentlichen aufgebraucht.
Also nicht.
Mir kam es sehr darauf an, dies zu sagen. Deshalb verehrter Kollege Löffler, bin ich von dem abgewichen, was ich hier ursprünglich zur Bundeshilfe sagen wollte. Sie können mir glauben
— und wir werden es ja beide, so Gott will, noch miterleben —:
Wenn Sie — die SPD, aber auch die FDP — sich in Ihrer programmatischen Arbeit und monetären Unterstützung für die Stadt nicht mehr anstrengen, wird die Bevölkerungszahl Berlins sinken — mit allen damit verbundenen negativen Erscheinungen. Wir, die Union, wollen nicht nur hier, sondern in unserer stetigen parlamentarischen Arbeit — auch bei dem Kollegen Häfele im Arbeitskreis —, so gut es geht, das tun, was notwendig ist, damit die Bevölkerungszahl dieser Stadt nicht sinkt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dübber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bleibt nur noch wenig Zeit übrig. Das ist auch der Grund — Herr Glos, Sie haben wenig Neues mitgeteilt gegenüber dem, was Sie im Ausschuß gesagt haben —, weswegen Kollege Grobecker hier nicht mehr das Wort nimmt. Ich will mich darauf beschränken, ein paar Bemerkungen zu dem zu machen, was Herr Wohlrabe hier eben vorgetragen hat.Wenn man das so hörte, könnte man meinen, daß dies für Berlin ein ganz bitteres Jahr gewesen sei. Dieser Eindruck ist doch wohl offensichtlich falsch. Man erreicht ihn natürlich, indem man sich darauf beschränkt, Probleme am Rande zu kritisieren und nicht einmal zu erwähnen, was nun positiv erreicht worden ist. Wenn wir an die Leistungen im Verkehrsbereich denken, stellen wir eine Steigerung in diesem Jahr fest, wie wir sie in all den letzten Jahren nicht zu verzeichnen hatten. Ich denke dabei an den Neubau der Autobahn nach Hamburg, an die Reparatur der Transitwasserstraßen, an die Öffnung des Teltow-Kanals vom Westen her. Dies alles sind in zähen Verhandlungen von der Bundesregierung erzielte Erfolge, die der DDR sehr schwer abgerungen wurden. Ich meine, es würde sich auch gehören, als Berliner Abgeordneter hier an dieser Stelle einmal ein Wort des Dankes an die Bundesregierung zu sagen.
Dies tue ich gerne: Daß der westdeutsche Steuerzahler diese Leistungen trägt ist ebenfalls etwas, das die Berliner mit Dank aufnehmen.
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Dr. DübberEs sind übrigens ja nicht nur die Berliner, die von den Verbesserungen profitieren. Es ist vorgesehen, eine Stichstraße in den Zonenrandkreis Lüchow-Dannenberg zu bauen. Da wird es eines Tages einen neuen Grenzübergang geben. Es wird dort ein neues Naherholungsgebiet für die West-Berliner erschlossen werden. Dies zu dem Problem, das Herr Wohlrabe eben im Zusammenhang mit der Eisenbahnlinie nach Stendal erwähnte. Dies hätten Sie dann eigentlich auch erwähnen können.
Die Straße in den Kreis Lüchow-Dannenberg wird dort eine gewaltige Verbesserung der Infrasstruktur hervorrufen.Wer an diesen Verbesserungen und an den Preisen dafür herumkritisiert, der sollte eigentlich auch sagen, wie er es billiger gekriegt hätte. Dies haben wir leider nicht gehört.
Oder sollte dann sagen: wir hätten die Autobahn nach Hamburg nicht haben wollen. Aber ich glaube, dies würde sich gegenüber den Berlinern schwer vertreten lassen.Insgesamt hat diese Bundesregierung seit 1969 die Verkehrsverbindungen nach Berlin ganz erheblich sicherer gemacht und hat damit auch auf das allgemeine politische Klima in unserem geteilten Lande eingewirkt. Dies ist ja nicht immer so gesehen worden, daß die Verkehrsverbindungen nach Berlin sicher waren. Hier von dieser Stelle hat einmal, als es um den Sitz einer Bundesbehörde in Berlin ging, der Vertreter der CDU/CSU vor Berlin als Sitz der Bundesbehörde gewarnt. Ich darf in Erinnerung rufen, es war der Abgeordnete Dr. Brönner, der sich erst über die Kosten beklagt hat, die eine solche Bundesbehörde in Berlin bedeuten würde, und der dann gesagt hat — jetzt zitiere ich — Es ist wohl zu überlegen, ob man diese Mehrkosten dem Amt selbst, den zahlreichen Versicherungsunternehmen, den Prämienzahlern und all diesen Stellen zumuten kann. Dazu kommen an zweiter Stelle die Gefahren und Schwierigkeiten. Die ganzen Akten werden nach Berlin transportiert. Wir wissen, welche Gefahren heute mit jedem Transport über die Ostzone verbunden sind. Wir wissen daneben auch, ,wie schwierig es heute für die Vertreter der Versicherungsunternehmen ist, über die Ostzone nach Berlin zu kommen. Entweder brauchen sie einen Interzonenpaß, der nicht so leicht zu haben ist,- das stimmte schon damals nicht —oder sie brauchen ein Flugzeug. Beides ist nicht unter allen Umständen gesichert. Das Bundesaufsichtsamt für Versicherungswesen ist eine so bedeutsame Behörde, daß wir es kaum verantworten können, der Versicherungswirtschaft dieses Risiko zuzumuten.Dies sind Verhältnisse gewesen, die doch seit 1969, wenn Sie an das Transitabkommen denken, beseitigt worden sind. Diese Atmosphäre, die ichhier eben zitierte — daraus spricht ja ein bestimmter Zeitgeist —, hat dazu geführt — hier darf ich an Herrn Wohlrabe anknüpfen, der den Rückgang der Zahl der Arbeitsplätze angesprochen hat —, daß bei dem mangelnden Mut der damaligen Bundesregierungen, Behörden in größerer Zahl nach Berlin zu bringen — die mußten Ihnen ja mühsam erst abgerungen werden —, natürlich auch die private Wirtschaft den Mut verlor. Warum sitzt die AEG in Frankfurt, warum sitzt Siemens in Erlangen und in München? Das sind die Folgewirkungen gewesen. Das sind alles Folgen gewesen, die man nicht mehr hat rückgängig machen können. Aber wir bemühen uns zusammen mit der Regierung, ich glaube, nicht ohne Erfolg, dieses in den einzelnen Punkten, wo das noch zu machen ist, zu beheben.Wegen der fortgeschrittenen Zeit möchte ich als letztes Beispiel erwähnen, daß um einzelne Behörden in Berlin gerungen werden mußte. Denken Sie an das Reichspatentamt, das dann nach München kam. Das wären heute alles in allem rund 3 000 krisensichere Arbeitsplätze. Entsprechendes gilt für zahlreiche andere Bundesbehörden. Das haben Sie also nicht zu allen Zeiten so gesehen. Das sollten Sie bitte auch bedenken, Herr Wohlrabe, wenn Sie davon sprechen, daß die Bilanz angeblich nicht positiv ist und daß wir in Berlin Arbeitsplätze verloren haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind am Ende der allgemeinen Aussprache. Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Es ist vereinbart, daß die Abstimmungen im Laufe des Nachmittags durchgeführt werden.
Wir treten anschließend in die Mittagspause ein, um 14 Uhr wird die Sitzung fortgesetzt. Dann werden die Einzelpläne 20, 12, 13 und 09 aufgerufen. Welche Reihenfolge ist vorgesehen?
— Also Wirtschaft vor Post. Für den Einzelplan 12 ist eine Aussprachezeit von 90 Minuten vorgesehen. Ist da's Haus damit einverstanden — das ist eine festgelegte Begrenzung — ? — Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir treten in die Mittagspause ein.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.Ich rufe auf:Einzelplan 20Bundesrechnungshof— Drucksache 8/2417 —Berichterstatter: Abgeordneter AugsteinHierzu erfolgt keine Aussprache. Die Abstimmung erfolgt, wie vereinbart, zusammen mit der Abstimmung über andere Einzelpläne.
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10168 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr
— Drucksachen 8/2412, 8/2470 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Müller
Wünscht der Berichterstatter das Wort?
— Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schröder .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 12 im diesjährigen Gesamthaushalt ist in besonderer Weise ein Haushalt der ungelösten Probleme und der fortgeschriebenen Ratlosigkeit. Diese ungelösten Probleme und diese fortgeschriebene Ratlosigkeit, um nicht zu sagen: Hilflosigkeit, manifestieren sich in besonderer Weise am Problem der Deutschen Bundesbahn.
Für diese Hilf- und Ratlosigkeit — hier handelt es sich immerhin um das größte Haushaltsproblem, um das größte Haushaltsrisiko nicht nur dieses Einzelplanes, sondern des Bundeshaushaltes schlechthin — ist nicht nur der zuständige Verkehrsminister verantwortlich, sondern hier zeigt sich auch eine Nilfund Ratlosigkeit des Bundeskanzlers selber, der diese Frage seit Jahren ungelöst liegenläßt.
Ein in Bonn erscheinender Wirtschaftsdienst hat in diesen Tagen einen Kommentar zutreffend unter die Überschrift gestellt: „Krisenfahrt ohne Ende." Die „Frankfurter Allgemeine" hat den Briefwechsel des Bundesverkehrsministers mit dem stellvertretenden Verwaltungsratsvorsitzenden der Deutschen Bundesbahn mit dem Wort kommentiert, daß der Brief — ich zitiere wörtlich — des Bundesverkehrsministers an Hans-Günther Sohl, den stellvertretenden Verwaltungsratsvorsitzenden der Bundesbahn, „nichts anderes ist als ein bemerkenswert offenes Dokument der Ratlosigkeit".
Worum geht es hier überhaupt? Ich glaube, es ist notwendig, insbesondere für unsere Hörer und Seher draußen im Lande einmal deutlich zu machen,
über welche geradezu gigantischen finanziellen Größenordnungen wir hier reden. - In der Tat, Herr Kollege, wollen wir hier keine Selbstbefriedigung betreiben, sondern wir wollen der Bevölkerung deutlich machen,
welche Probleme, insbesondere welche ungelösten Probleme uns diese Regierung hier hinterläßt. — Beider Deutschen Bundesbahn sieht die Situation so aus,
daß im Jahre 1969 ein Jahresverlust von 1 Milliarde DM, im Jahre 1972 ein solcher von 2,4 Milliarden DM, im Jahre 1975 ein solcher von 4,3 Milliarden DM und im Jahre 1977 ein solcher von 4,6 Milliarden DM vorhanden war. Der Schuldenstand der Deutschen Bundesbahn betrug 1969 12,3 Milliarden DM, 1972 18 Milliarden DM und 1978 bereits über 31 Milliarden DM. Die Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt sind von 3,7 Milliarden DM im Jahre 1969 über 7,6 Milliarden DM im Jahre 1972 auf 13,4 Milliarden DM im vergangenen Jahr und auf 14,8 Milliarden DM in dem nunmehr vorliegenden Haushaltsplan für 1979 angestiegen. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß diese Zahlen deutlich machen, daß die Bundesbahn selber, daß die Öffentlichkeit und daß auch wir als Parlament ein Anrecht darauf haben, zu hören,, wie sich die Bundesregierung die Lösung dieses Problems vorstellt.
Das Parlament selbst — Haushaltsausschuß und Verkehrsausschuß — hat im vergangenen Jahr den Versuch gemacht, neue Denkanstöße zu geben und bei der Lösung dieses Problems einen Schritt voranzukommen.Das zentrale Ergebnis dieser Anhörung bestand in der Feststellung des Unternehmensberaters der Deutschen Bundesbahn Knight-Wegenstein, daß sich die innerbetriebliche Rationalisierung bei der Bahn, wie sie derzeit im Gange ist, bereits 1980 totlaufen wird. Dieser Feststellung, meine Damen und Herren, hat der Erste Präsident der Bundesbahn, Herr Vaerst, nicht nur nicht widersprochen, sondern ihr ausdrücklich zugestimmt. Dies bedeutet doch mit anderen Worten: Wenn nicht unmittelbar weitere politische Entscheidungen zur Konsolidierung der Bahn getroffen werden, ist es bereits 1980 vorbei mit der Methode, den natürlichen Abgang zu nutzen, und mit der Parole von der Stabilisierung des Defizits auf hohem Niveau.Die Bundesregierung und ihr Bundesverkehrsminister haben sich systematisch vor diesen politischen Entscheidungen bei der Bahn gedrückt, Der Bundesverkehrsminister hat bestenfalls Erwartungshorizonte aufgebaut, die sich gelegentlich — wie bei den Streckenstillegungen — dazu noch als grundlegend falsch erwiesen haben.Ich glaube, daß, so gesehen, meine verehrter Kollege Müller sicher recht hat, wenn er den Verkehrsminister Gscheidle, den er sicher in seinem nachfolgenden Beitrag vehement verteidigen wird, im Juni 1978 zutreffend mit den Worten skizziert und charakterisiert hat:Dort sitzt ein Mann wie eine Wühlmaus in seinen Häusern und knabbert Akten.
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Schröder
— Soweit wörtlich der Kollege Müller zur Arbeit des Bundesverkehrsministers.
Meine Damen und Herren, worum geht es bei der Bahn? Welche politischen Entscheidungen meinen wir, wenn wir hier den Bundesverkehrsminister daran erinnern, daß es an der Zeit ist, aus der Phase seiner Hilf- und Ratlosigkeit herauszukommen?Bevor ich auf diese Probleme näher eingehe, darf ich noch einmal den Präsidenten der Bundesbahn, Herrn Vaerst, zitieren, der in einer wirklich dramatischen Weise im Anhörungsverfahren des Haushaltsausschusses und des Verkehrsausschusses dazu erklärt hat:Wenn diese Entscheidungen— nämlich diese politischen Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Bundesbahn arbeiten will und arbeiten muß —nicht kommen,— so ermahnte uns damals Herr Vaerst — beschließen Sie,— gemeint sind wir, das Parlament, und die Regierung —ob heute, morgen oder übermorgen, darüber, daß wir, die Deutsche Bundesbahn, im Jahre 1985 die Kreditverbindlichkeiten der Bahn auf 53 bzw. 55 Milliarden DM emporentwickelt haben. Dies ist die Situation. Wenn Sie Entscheidungen treffen, nach Ablauf eines mittelfristigen Zeitraums, kriegen Sie diese Entscheidungen nicht mehr in den Griff. Dies ist real die Lage. Grundsatzentscheidung, die die Politik zu treffen hat, ist einmal, daß wir grundsätzlich eine Antwort erwarten, welchen Unternehmensauftrag eigentlich diese Deutsche Bundesbahn erfüllen soll. Das heißt, soll sie eine Verwaltung sein, dann wird sie das sein. Soll sie ein Wirtschaftsunternehmen sein, dann wird sie das sein, mit den dafür notwendigen Konsequenzen.Ich glaube, daß in diesen Worten des Präsidenten der Deutschen Bundesbahn bei dem Anhörungsverfahren vor dem Haushaltsausschuß und dem Verkehrsausschuß von einem Mann, der wirklich etwas davon versteht und der weiß, daß die Situation sonst nicht mehr behebbar ist, deutlich geworden ist, daß diese politischen Entscheidungen fallen müssen. Das ist genau der Punkt, um den es hier geht. Seit Jahren werden durch diesen Verkehrsminister und diese Regierung diese politischen Entscheidungen vor uns hergeschoben.
Es geht hier im wesentlichen um vier fundamentale Entscheidungen, die die Bundesbahn nicht selber treffen kann, sondern die nur hier durch die Politik getroffen werden können.Es geht erstens darum, ob das öffentliche Dienstrecht noch für eine Institution wie die Bundesbahn brauchbar ist. Es geht schlicht und einfach um dieFrage, ob Verwaltungsbeamte, Beamte schlechthin, überhaupt ein Unternehmen führen können.
Zweitens. Das steht im Zusammenhang mit der Frage nach der Organisationsstruktur der Deutschen Bundesbahn. Es muß geklärt werden, ob diese Deutsche Bundesbahn eine Verwaltungsbehörde sein soll oder ob sie ein wirtschaftliches Unternehmen sein soll.
— Dann kommen Sie doch endlich damit! Sie haben doch die politische Verantwortung. Dann treffen Sie doch endlich einmal die notwendigen politischen Entscheidungen! Meinen Sie denn, daß wir Ihnen die politischen Entscheidungen abnehmen können oder Sie sie auf die Bundesbahn abwälzen können? So bequem können Sie sich das in diesem Bereich wahrlich nicht machen.
Die dritte politische Grundentscheidung ist die der Tarifpflicht, Verkehrspflicht und Beförderungspflicht.Die vierte Grundentscheidung ist schließlich die der Trennung von Schienenweg und Eisenbahnbetrieb. Meine Damen und Herren, ich bin nicht sicher, ob dieser letzte Vorschlag zu einer Lösung der Probleme bei der Deutschen Bundesbahn führen wird.
Ich bin auch noch davon angetan, lieber Herr Kollege Hoffie. — Im Ausschuß bin ich davon sehr angetan gewesen. Ich bin so .lange davon angetan, bis uns diese Bundesregierung auf Heller und Pfennig unter Beweis stellt, ob dies ein sinnvoller oder kein sinnvoller Weg ist.
Nur eines geht mit Sicherheit nicht: daß diese Frage weiter auf die lange Bank geschoben wird.Wenn man sich das politische Gewicht dieser politischen Rahmenentscheidung vor Augen hält, dann stellt sich doch die Frage: Was hat denn dieser Bundesverkehrsminister und damit diese Bundesregierung in allen diesen Jahren zur Lösung dieser politischen Fragen und damit zur Lösung des Problems Bundesbahn beigetragen?
Nun, gelegentlich hat er ganz sinnvolle Einsichten zutage gebracht. Ich darf hier aus einer Mitteilung seines Hauses vom Dezember 1974 zitieren, in der deutlich wird, daß ihm die Gefährlichkeit und die Dimension dieser politischen Fragen offensichtlich durchaus dämmern. Er hat dort gesagt:Bei unveränderter Bundesbahnpolitik wird der Finanzierungsbedarf in einem Maße zunehmen, daß er auf Dauer für den Bundeshaushalt unter Berücksichtigung notwendiger und dringender Reformmaßnahmen auf anderen Gebieten zu
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einer nicht mehr tragbaren Belastung wird. Diese Situation zwingt zu einer Neuorientierung dieses Sondervermögens des Bundes und seiner Aufgabenstellung und einer klaren Abgrenzung der politischen und unternehmerischen Verantwortlichkeiten zwischen Bund und . . . der DB mit dem Ziel, die eigene Ertragskraft des Unternehmens zu stärken.Eine wunderbare Einsicht, meine Damen und Herren, nur: Herr Gscheidle hat dies bereits im Dezember 1974 geäußert; in der Zwischenzeit sind wir fünf Jahre weiter. Ich frage mich: Was hat er getan, um diese scheinbare Erkenntnis in die Tat umzusetzen, um daraus Schlußfolgerungen zu ziehen?
Statt dessen, meine Damen und Herren, haben wir wieder einmal — zuletzt im Juni vergangenen Jahres — einen Prüfungsauftrag der Bundesregierung an den Verkehrsminister, einen Prüfungsauftrag, der da lautet,unter Berücksichtigung organisatorischer, betriebswirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Auswirkungen Modelle zur Trennung von Fahrweg und Betrieb der Deutschen Bundesbahn vorzulegen.Auch dieser Prüfungsauftrag der Regierung, meine Damen und Herren, enthält nicht etwa einen klaren Auftrag: „Nun legt uns endlich einmal ein Konzept vor!", sondern es ist wieder ein so nebulöser Auftrag, er möge doch Modelle — das heißt doch: verschiedene Modelle — vorlegen, und dies dann auch noch ohne eine bestimmte zeitliche Befristung, nämlich auf das Jahr 1979 bezogen. Jedermann kann sich an allen fünf Fingern ausrechnen, daß sich damit über die Bundestagswahl des nächsten Jahres hinweggehangelt werden soll. Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, haben wir für die dritte Lesung einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem wir die Regierung auffordern, das Ergebnis dieses Prüfungsauftrags spätestens mit dem Haushaltsentwurf für 1980 vorzulegen, damit wir noch in diesem Jahr zu klaren Entscheidungen hier kommen.
Ich habe soeben Äußerungen des Bundesverkehrsministers zitiert, die sich sehr einsichtig anhörten. Gelegentlich aber, meine Damen und Herren, klang es dann auch wieder anders. Ich habe mir hier einmal zusammenstellen lassen, was der Bundesverkehrsminister so im Laufe des letzten Jahres zur Lösung dieses gewichtigsten Problems seines Hauses, dieses gewichtigsten Haushalts- und Finanzproblems dieser Bundesregierung beigetragen hat. Das zeigt doch eine bemerkenswerte Zickzacklinie.Da heißt es beispielsweise in einer Meldung in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 15. Februar vergangenen Jahres, daß Herr Gscheidle „der Bahn einen ,ordnungspolitischen Flankenschutz' gewähren" möchte, „mit dem ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Verkehrsträgern gesichert werden soll". Am gleichen Tag heißt es in der „Süddeutschen Zeitung" über die gleichen Auslassungen des Bundesverkehrsministers, die offensichtlich ganz klar und eindeutig gewesen sein müssen, daß sich Herr „Gscheidle gegen schärfere Eingriffe in den Verkehrsbereich entschieden zur Wehr gesetzt habe". In der „Stuttgarter Zeitung" vom 22. Februar heißt es demgegenüber wieder, daß Herr Gscheidle „ordnungspolitische Eingriffe zur Verbesserung des Gütertransports" für notwendig halte. Einen Tag später heißt es in der „Deutschen Verkehrs-Zeitung" demgegenüber, daß Herr Gscheidle keinen „Griff in die Mottenkiste der Ordnungspolitik" tun möchte. Einen Monat später heißt es dann wiederum in einem Bericht der „RheinNeckar-Zeitung", Herr Gscheidle „will die Radikalkur" und die Lage der Bahn auch „mit ordnungspolitischen Eingriffen" verbessern. Im gleichen Monat heißt es dann wieder in der „Deutschen Verkehrs-Zeitung", daß Herr Gscheidle die „deutsche Verkehrsordnung nicht grundlegend ändern" möchte. Im September vergangenen Jahres heißt es zu einem anderen Thema, daß Herr Gscheidle die Einführung von Autobahngebühren begrüßt. Im gleichen Monat heißt es in der „Deutschen Verkehrs-Zeitung", daß Autobahngebühren in der Bundesrepublik Deutschland nach Auffassung von Herrn Gscheidle nicht in Frage kommen. Und so weiter und so fort. Dies ist die „klare" Linie der Verkehrspolitik dieser Bundesregierung. Ich glaube, durch nichts wird deutlicher — es sei denn, es handle sich hier um Irreführungen des Parlaments und der Öffentlichkeit —, daß dieser Minister nicht weiß, was er will, daß dieser Minister hilf- und ratlos dem entscheidenden, dem größten Problem seines Hauses gegenübersteht.
1974 hieß es, daß die Optimierung des Streckennetzes — sprich: Streckenstillegungen — unabdingbare Voraussetzung für die wirtschaftliche und finanzielle Sanierung der Bundesbahn ist. 1976 gibt Herr Gscheidle bekannt, daß dieses Konzept verworfen werden müsse. 1978 folgt die Aufforderung der Verkehrsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion, von weiteren Stillegungen total Abstand zu nehmen.
Dies ist in der Tat ein erstaunlicher Zickzackkurs, der deutlich macht, daß diese Regierung nicht weiß, was sie will.Diese Orientierungslosigkeit aber macht sich auch in anderen Fragen dieses Ministeriums und damit dieses Haushalts bemerkbar. Lassen Sie mich damit als zweites zu dem Problem Seeschiffahrt und der Hilfen aus diesem Etat für die deutschen Reedereien übergehen. Auch hier erlebten wir bereits Mitte vergangenen Jahres großartige Ankündigungen umfassender Strukturhilfen und eines umfassenden Strukturkonzepts. In der letzten Sitzung des Haushaltsausschusses vor dieser Generalaussprache ist dann schließlich mühsam noch so etwas wie Konturen eines Konzepts herausgekommen. Und eines ist doch ganz deutlich: daß das, was hier an Maßnahmen und Mitteln vorgesehen ist, die bestehende tiefgreifende Strukturkrise in der deutschen See-
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Schröder
schiffahrt nicht beheben kann. Auch ein zweites ist bei den Beratungen im Haushaltsausschuß sichtbar geworden. Man hat in Zusammenhang mit den hier notwendigen und durchgeführten oder beabsichtigten Hilfen für die Seeschiffahrt - und gleiches gilt davon für die Werften; darüber wird ja noch gesprochen werden — davon gesprochen und großspurige Aufforderungen an die Bundesländer, an die Werften, an die Reedereien gerichtet, man möge doch ein neues, übergreifendes Strukturkonzept für die Verbesserung der Wirtschaftsverhältnisse an der norddeutschen Küste vorlegen. Als wir dann im Haushaltsausschuß schlicht und einfach die Frage stellten, was denn nun die Vorstellungen der Bundesregierung über ein solches Strukturkonzept sind, wie denn nach Auffassung der Bundesregierung sozusagen eine Untergrenze für Kapazität, für ein Volumen an deutscher Handelsschiffahrt aussehen müsse, da haben wir keine Antwort bekommen, sondern da hat man auf bestimmte Überlegungen verwiesen, die bei den Reedern und bei den Werften angestellt sind. Man hat darauf verwiesen, daß die norddeutschen Küstenländer noch eigene Vorschläge erarbeiten müßten. Aber eine eigene Vorstellung der Bundesregierung ist nicht vorhanden. Auch hier Orientierungs- und Richtungslosigkeit in einer wichtigen Frage der deutschen Verkehrspolitik.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ein Letztes hinzufügen, speziell aus der Sicht des Haushalts. Eines muß bei aller Notwendigkeit von vorübergehenden Hilfen — und wir unterstreichen das Wort „vorübergehend" — auch deutlich gemacht werden: daß hier keine dauerhaften Subventionen für den Bundeshaushalt geschaffen werden.Ein dritter Bereich, in dem die Orientierungs-und Richtungslosigkeit des Bundesverkehrsministers deutlich wird, ist eine Frage, die der Haushaltsausschuß und damit dieses Parlament auch im letzten Haushaltsjahr an sich ziehen mußte, weil sich die Regierung hier als unfähig erwies, eine Antwort zu geben. Ich meine das Problem der Naßbaggerei.
Seit Monaten liegen uns die verschiedenartigsten Stellungnahmen und Gutachten vor, aus denen eindeutig hervorgeht, daß es die Privatbetriebe wesentlich billiger machen können. Bis zum heutigen Tage hat sich diese Bundesregierung um eine klare Meinung herumgedrückt, sie spielt in der Behandlung dieses Themas auf Verzögerung, und man kann bestenfalls nüchtern die Schlußfolgerung ziehen, daß hier offensichtlich klaren Zahlen und Sachverstand auf der einen Seite die Ideologie des Ministeriums und einer tragenden Partei auf der anderen Seite gegenübersteht.Meine Damen und Herren, ein vierter Bereich, in dem die bisherige Richtungs- und Orientierungslosigkeit dieses Hauses, dieses Ministers deutlich wurde, ist eine Frage, die den zweiten großen finanziellen Komplex des Einzelplans 12 berührt, nämlich den Straßenbau. Seit langem machen wir hier von Jahr zu Jahr in den Verkehrsdebatten und in den Haushaltsdebatten darauf aufmerksam, daß es unabdingbar notwendig ist, Klarheit über die notwendigen Lärmschutzmaßnahmen zu schaffen. Denn wir alle in diesem Hause wissen, daß das Ausmaß der Lärmschutzmaßnahmen letztlich das Ausmaß der Straßenbaumaßnahmen bestimmt. So .steht der gesamte Straßenbauetat in diesem Haushalt unter dem Vorbehalt dessen, was durch diese Regierung an Lärmschutzmaßnahmen beabsichtigt ist. Der Lärmschutz ist das große Fragezeichen hinter den weiteren Ausbauplanungen im Straßenbereich, und auch für diesen Bereich müssen wir Klarheit verlangen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, die Lufthansa und damit den Bereich der Luftverkehrspolitik. Im Haushaltsausschuß ist übereinstimmend beschlossen worden, die ursprünglich vorgesehenen 85 Millionen DM für die Lufthansa wieder zu streichen. Bezeichnend dafür, wie über die — manchmal gemeinsame — Arbeitsweise im Haushaltsausschuß draußen berichtet und geredet wird, ist, daß man in diesem Falle zum Vorstand der Lufthansa und anderen gegangen ist und gesagt hat: Wir wollten ja die 85 Millionen halten, weil wir sie für notwendig erachten, aber die böse Opposition hat uns dazu gezwungen, diese 85 Millionen aus dem Bundeshaushalt wieder herauszunehmen.
Nun, wir haben uns dem ursprünglichen Vorstoß eines Kollegen der Koalition, diese 85 Millionen zum Zwecke des Haushaltsausgleichs wieder zu streichen, nicht verschlossen, aber aus einer ganz anderen Überlegung heraus, nämlich weil wir der Auffassung sind, daß zwar die Lufthansa .eine bestimmte Eigenkapitalausstattung braucht, insbesondere dann, wenn sie ihre Investitionen ausweitet, es aber unserer Auffassung nach genügt, wenn der Bund, wenn der Staat an diesem Unternehmen mit 51 °/o und nicht mit 75 % beteiligt ist.
Auch hier können Sie unter Beweis stellen, ob Sie eine ideologiefreie und damit sachbezogene und auf die finanziellen Gegebenheiten des Haushalts Rücksicht nehmende Politik beabsichtigen.Lassen Sie mich damit zum Schluß kommen.
Ich glaube, daß diese Bereiche, die ich hier angeschnitten habe, deutlich gemacht haben, daß in diesem Hause, daß durch diesen Minister und damit durch diese Regierung in diesem wichtigen Bereich, in der Verkehrspolitik, keine politischen Entscheidungen mehr getroffen worden sind und getroffen werden, daß hier verwaltet wird,
daß die Verkehrspolitik ohne Phantasie und ohne Elan betrieben wird. Durch diese Untätigkeit, durch seine Untätigkeit lädt dieser Bundesverkehrsminister, lädt diese Bundesregierung eine schwere Schuld auf sich. Wir sind nicht bereit, diesen phantasierichtungs- und orientierungslosen Weg mitzugehen.
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10172 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Schröder
Aus diesem Grunde müssen wir den Einzelplan des Bundesverkehrsministers ablehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Müller .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst eine persönliche Bemerkung: Der „Spiegel" hat mich leider nicht vollständig zitiert. In einer fröhlichen Runde unter Haushaltsleuten — auch Haushaltsleute können fröhlich sein —
wollte ich nur festhalten, daß der Erwähnte — wie wir alle! — dasitzt und „Akten knabbert", mehr nicht.
Auch Sie, verehrter Herr Kollege Schröder, sind damit gemeint! Heute morgen hat ja auch der verehrte Kollege Haase hier vom Knabbern gesprochen; er sprach allerdings vom Knabbern am Schuldenzuwachs.
Glücklos oder gar erfolglos, wie es im „Spiegel" geschrieben stand, ist der Post- und Verkehrsminister keineswegs. Denken Sie doch bitte an die für unsere Volkswirtschaft so entscheidenden Investitionen! Kurt Gscheidle ist als Bundesminister der bedeutendste Investor dieser Bundesrepublik Deutschland.
Über den Verkehrshaushalt, auf den ich für meine Fraktion gleich zu sprechen komme, werden 1979 rund 131/2 Milliarden DM investiert und über die Deutsche Bundespost noch einmal 8,1 Milliarden DM. Das sind zusammen über 23 Milliarden DM.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Verkehrshaushalt ist wieder der bedeutendste Investitionshaushalt des Bundes. Das Investitionsvolumen hat sich gegenüber dem Vorjahr um rund 1,7 Milliarden DM auf 13,5 Milliarden DM erhöht. Das sind 51 v. H. der Gesamtausgaben des Einzelplans 12. Die Schwerpunkte habe ich bereits in dem Ihnen vorliegenden schriftlichen Bericht herausgestellt, auf den ich insoweit verweise.Daß auch wir in der Bundesrepublik auf die Eisenbahn nicht verzichten können, erleben wir jetzt erneut im Schnee und Eis dieser letzten Wochen. Und wer heute morgen die Rundfunknachrichten verfolgt hat, konnte immer wieder hören: „Wegen Glatteis 20 km Stau". Der Verkehr kam wegen Glatteis zum Erliegen, „und noch viel" mehr. Die Deutsche Bundesbahn ist nach wie vor leistungsfähig und wird es auch bleiben. Wir Sozialdemokraten danken allen Eisenbahnern für ihren rastlosen Einsatz.
Für die Mobilität der Bürger und der Wirtschaft sowie für die Verkehrsstruktur bleibt die Eisenbahn notwendiger denn je. Sie ist auch eine Voraussetzung dafür, daß der Bürger die freie Wahl des Verkehrsmittels in einer kontrollierten Wettbewerbsordnung behält.Parlament und Bundesregierung haben sich in der Anhörung am 31. Mai letzten Jahres und im Kabinettsbeschluß vom 14. Juni 1978 eingehend mit den Entwicklungstendenzen der Deutschen Bundesbahn im Rahmen der Finanz- und Verkehrspolitik befaßt. Herr Kollege Schröder hat ja diese wichtigen Ereignisse hier angesprochen. Vorschläge und Ergebnisse in Ausführung der Beschlüsse kommen Ende dieses Jahres auf die Verkehrspolitiker und die Finanzpolitiker zu.Die Entscheidung über die anstehende Sanierung der Deutschen Bundesbahn wird uns niemand abnehmen; da stimme ich mit dem Kollegen Schröder überein. Diese Sanierung wird jedoch nur in größtmöglicher Obereinstimmung zwischen Opposition und Koalition gelingen. Wir werden weder das Grundgesetz noch die anderen Bundesgesetze ohne Ihre Zustimmung, meine Herren von der CDU/CSU, ändern können. Sie und Ihre Freunde müssen dann zu dem stehen, Herr Kollege Schröder, was Sie hier heute gefordert haben. Die Sozialdemokraten sind zu diesen Schritten bereit. Wir warten ab, welche Vorschläge uns die Regierung am Ende dieses Jahres machen wird.Nun muß ich noch etwas zu dem Vorwurf des Kollegen Schröder bezüglich der „Buchungstricks" bei den Investitionszuwendungen der Deutschen Bundesbahn sagen. Die von Herrn Schröder erhobenen Vorwürfe gegen die Art der Veranschlagung der Bundesleistungen für die Deutsche Bundesbahn im Bundeshaushalt 1979 sind aus folgenden Gründen sachlich unrichtig und unzutreffend.Der Verlust der Deutschen Bundesbahn als Ergebnis der Erfolgsrechnung eines Geschäftsjahres besteht zunächst aus einem unbaren Teil, dem Abschreibungsaufwand, und dann dem danach verbleibenden liquiditätswirksamen Teil. Mit Hilfe der Abschreibung werden Investitionskosten der Sachanlagen buchmäßig auf die Nutzungszeit verteilt und gleichzeitig die Erfolgsrechnung mit dem Werteverzehr der Produktionsmittel für die Leistungserstellung belastet. Die bare Ausgabe ist zum Zeitpunkt der Investitionen entstanden. Bei der Bemessung der Liquiditätszuwendungen des Bundes ist daher, vom Kassenbedarf gesehen, nur die Abdeckung des liquiditätswirksamen und konsumtiven Verlustanteiles notwendig. Liquiditätshilfen, die darüber hinausgehen, fließen, da sie zur Verlustfinanzierung nicht benötigt werden, in die Finanzierung der Ersatzinvestitionen. Die Liquiditätszuwendungen des Bundes werden mithin, soweit sie den unbaren Verlustteil, die Abschreibung, decken, nicht konsumtiv, sondern investiv verwendet. Dieser Sachlage wurde bei der Veranschlagung der Bundesleistungen im Entwurf des Haushalts 1979 Rechnung getragen, und im Rechnungsprüfungsausschuß haben Ihre Vertreter, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, diesem Verfahren nicht widersprochen. Hier-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10173
Müller
aus ergibt sich, daß die Investitionszuschüsse des Bundes in vollem Umfang investiven Zwecken dienen und daher haushaltsrechtlich den Investitionen zuzuordnen sind. Die bare Ausgabe entsteht zum Zeitpunkt der Investitionen.Bei den Zuwendungen an die Deutsche Bundesbahn — global — sind die einzelnen Maßnahmen dem Haushalts- und dem Verkehrsausschuß eingehend erläutert worden. Wir können dem Bundesminister für Verkehr für die von ihm gezeigten Initiativen nur danken. Wenn die Bundesregierung hieraus auch schon die ersten Konsequenzen zieht und in der Fortschreibung der Finanzplanung ein deutliches Zeichen durch die Absenkung der Bundesleistungen in den künftigen Jahren setzt, so verstehe ich den Kollegen Haase nicht, der diese Absenkung heute morgen bedauert hat, zumal die Opposition bisher überhaupt keinen Beitrag zur Sachdiskussion geleistet hat.
Unsere Fraktion kann den Verkehrsminister nur unterstützen, den eingeschlagenen Weg konsequent fortzusetzen.
Bei den Bundesfernstraßen entspricht der für 1979 vorgesehene finanzielle Rahmen der geplanten zügigen Fortführung des Straßenbauplanes. Zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden sichern die weiterhin steigenden zweckgebundenen Mineralölsteuereinnahmen die Finanzhilfen des Bundes an die Länder zur Fortführung begonnener und zum Beginn neuer Maßnahmen des kommunalen Straßenbaus und des öffentlichen Personennahverkehrs.Die Entwicklungen von Schiffahrt und Schiffbau hängen eng zusammen. Haushaltsausschuß und Bundesregierung sehen es als vordringliche Maßnahmen an, neben erweiterten Auftragshilfen an die Werften — in den nächsten drei Jahren rund 660 Millionen DM — durch Finanzierungshilfen — es sind Investitionszuschüsse und pauschalierte Zinsbeihilfen — die Leistungsfähigkeit und Investitionsbereitschaft der Reeder zu erhalten. Es geht hierbei auch um die Sicherung von über 30 000 Arbeitsplätzen in der deutschen Handelsschiffahrt. An unmittelbaren Investitionszuschüssen sind für 1979 160 Millionen DM Baransatz und 175 Millionen DM Verpflichtungsermächtigung vorgesehen. Zusätzlich werden auf drei Jahre jährlich 120 Millionen DM als pauschalierte Zinsbeihilfen bereitgestellt, die spätestens nach drei Jahren zur Investitionsfinanzierung verwendet oder zurückgezahlt werden müssen. Herr Schröder, das Gemälde, das Sie hier von der deutschen Handelsschiffahrt gemalt haben, stimmt doch nicht: Die deutschen Reeder haben über den Bundeshaushalt 1977 im Jahre 1977 Neubauaufträge in Höhe von 2,8 Milliarden DM an deutsche Werften gegeben. Die Finanzmisere, in der sie sich befinden, ist erst durch den Verfall des Dollar und nicht durch haushaltspolitische Maßnahmen oder durch Maßnahmen unserer Bundesregierung eingetreten. Sie wissen wie wir, daß die deutsche Handelsflotte in ihrem Bestand ein Durchschnittsalter von fünf Jahren hat. Wir haben die modernste Handelsflotte auf dieser so schönen Erde oder auf den sieben Weltmeeren in Fahrt.Ich möchte nun — die rote Lampe leuchtet — noch etwas zur Naßbaggerei sagen. Es dauert nur noch eine Minute, Herr Präsident. Wir werden uns im Parlament auch weiter beraten lassen, und wir werden dann im Frühjahr dieses Jahres entscheiden müssen. So lautet der Beschluß des Haushaltsausschusses. Es geht praktisch hierbei um die Umschichtung von etwa 80 Millionen DM pro Jahr, die jetzt der staatliche Regiebetrieb mit etwa 1 400 Beschäftigten im Jahr an Leistung bringt oder haushaltsmäßig verbraucht, bezogen auf anderthalb Milliarden DM im Haushalt für die Wasserstraßenverwaltung und für die Bundeswasserstraßen. Daß es von diesen 80 Millionen DM abhängt, daß die Arbeitsplätze in der privaten Baggerindustrie sicher sein sollen, kann ich mir nicht vorstellen.
Zum Schluß möchte ich eine Industrie- und Handelskammer der Küste zitieren. Sie hat zu diesem Problem folgendes festgestellt:Generell hält die Kammer verständlicherweise Privatisierungsbestrebungen für beherzigenswert.— Welche Kammer nicht! —Das setzt aber voraus, daß eine größere Anzahl von Anbietern vorhanden ist, weil nur dann in der Regel preisgünstige Lösungen möglich erscheinen.
Nach den uns vorliegenden Informationen ist diese Voraussetzung im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Vielmehr scheinen einige Großfirmen unter starker niederländischer Beteiligung zu versuchen, eine Art Kartell zu bilden, so daß die heute auf diesem Gebiet tätigen mittelständischen Betriebe einem sehr harten Verdrängungswettbewerb ausgesetzt sein würden. Auch muß bezweifelt werden, ob die Hafenwirtschaft bei Auflösung der Regiebaggerbetriebe der Wasser- und Schiffahrtsverwaltungen so prompt und zufriedenstellend Baggerarbeiten durchgeführt bekämen, etwa mit Blick auf die Garantie der Solltiefe, wie es jetzt nachweislich der Fall ist.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt dem Einzelplan 12 des Bundesministers für Verkehr uneingeschränkt zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hatten ja in den letzten
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10174 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
HoffieSitzungswochen vor der Weihnachtspause Gelegenheit, ausführlich über weite Bereiche der Verkehrspolitik zu diskutieren. Von daher dürfte es eigentlich nicht überraschen, wenn in der heutigen Haushaltsdebatte, Herr Schröder, substantiell wenig Neues zur Sache der Verkehrspolitik gesagt worden ist.
— Was Sie, Herr Schröder, mit „ungelöste Probleme" und „fortgesetzte Ratlosigkeit" bezeichnet haben, trifft ja sehr viel eher im Moment auf den Zustand Ihrer Fraktion zu.
Das Pulver der Opposition war schon am 6. Dezember 1978 bei der Debatte über die Bundesbahn durch unsachgemäße Lagerung so naß, daß es zum Schießen nicht mehr zu gebrauchen war, und mir scheint nach der allgemeinen politischen Entwicklung in Ihrer Partei und Fraktion, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
daß es zwischenzeitlich nicht trockener geworden ist. Es ist eher im für die Jahreszeit sehr überraschenden Schmelzwasser Ihres dahintauenden Vorsitzenden gänzlich weggeschwemmt worden.
— Sehen Sie, es ist vieles in Fluß, und der eine versucht, den anderen aufs Glatteis zu führen. Ich meine, daß gerade Ihr mit retardierenden Momenten gespicktes Langzeitschauspiel der — erlauben Sie mir den Ausdruck — Palastrevolution
Ihre Partei zusehends lähmt und sie politisch und sachlich immer mehr ins Abseits bringt, nicht nur zu unserer ausgiebigen Freude, wie ich gestehen muß.
Der Ausspruch Ihres italienischen Parteifreundes, des Ministerpräsidenten Giulio Andreotti, daß die Macht nur denjenigen abnutze, der sie nicht be' sitze, könnte eigentlich für die Opposition passender und aktueller nicht sein.
— Ich habe ja Verständnis dafür, daß sich bei Ihnen der eine oder andere wegen dieser nur kurzen Vorbemerkungen echauffiert, weil man ja nicht weiß, ob nicht z. B. der verkehrspolitische Sprecher der Opposition nicht schon längst dem neuen Organisationskonzept innerhalb Ihrer Fraktion zum Opfer gefallen ist.
Die Opposition — das wird sich im Laufe der viertägigen Aussprache über das Budget zeigen — ist insgesamt so gründlich abgenutzt, daß sie den Anspruch, Regierung im Wartestand zu sein, längst verloren und nach dem Verlust der Regierungsfähigkeit nun darum zu kämpfen hat, oppositionsfähig zu sein.
— Auch das muß hier gesagt werden.Zur Sache: Es ist in der Tat so, daß das zentrale Thema der Verkehrspolitik der nächsten Jahre — wenn nicht das vorrangigste überhaupt — die Gesundung der Deutschen Bundesbahn bleiben wird. Deshalb ist es zwingend, daß wir uns vor allem auf diesen Problemkreis konzentrieren.
Außer der nach der Art der tibetischen Gebetsmühlen
apodiktisch vorgetragenen Litanei, nur die Koalition habe diese Situation durch schlechte Politik verschuldet und sei allein dafür verantwortlich,
bringen Sie überhaupt nichts Hilfreiches auf die Beine. Die Ratlosigkeit über ungelöste Probleme ist bei Ihnen sicher größer als bei jeder anderen Fraktion.Ich fürchte, daß die Probleme der Deutschen Bundesbahn nicht auf einen Streich gelöst werden können — wie Herr Schröder das gern hätte —, z. B. indem man die Deutsche Bundesbahn, wie der Ehrenpräsident des BDI vorschlägt, gut ver „sohlt". Die erzieherische Durchschlagskraft solcher Züchtigungsarten führt sicher nicht zur Besserung. Und Patentrezepte — das hat sich in den Ausführungen heute auch wieder gezeigt — zur Lösung dieser komplexen Aufgabe hat sicher niemand. Erfolgversprechend erscheint einzig und allein das sehr geduldige und mühsame Geschäft des Durchbohrens vieler kleiner und manchmal auch dicker Bretter.Bei aller Dramatik der gegenwärtigen Situation ist aber sicher auch festzuhalten, daß der normale Bürger sehr wohl spürt,
daß die Bahn immer mehr als ein Unternehmen zu betrachten ist, das nicht nur rote Zahlen schreibt. Ihren Wert erkennt man nämlich immer erst dann, wenn sie nicht mehr funktioniert wie anderes, was zu unserer unentbehrlichen Infrastruktur gehört. Gerade das, was wir in Norddeutschland im Zusammenhang mit den Witterungsverhältnissen erlebt haben, zeigt ja, für wie unentbehrlich man solche Infrastruktur hält.
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HoffieMittel, die der Steuerzahler für diese Zukunft aufbringt — nämlich als Wechsel auf die Zukunft, die Infrastrukturmaßnahmen immer sind —, haben bei der Bundesbahn unter dem Titel Defizit einen sehr gefährlichen Namen, da ein Vergleich mit Unternehmen in der privaten Wirtschaft einfach unmöglich ist. Würden wir die Bahn wie die Amerikaner als Privatbetrieb betreiben, würde das meines Erachtens lediglich sehr rasch zu einem Prozeß des Gesundschrumpfens und damit sowohl zu einer Verstädterung als auch zu einer Desintegration unseres Landes führen. Schon von daher kann niemand das Heil allein und vorrangig darin sehen, daß wir Bahnhöfe und Strecken stillegen.Die Eigenwirtschaftlichkeit der Bahn ist in volkswirtschaftlichem Sinne zu verstehen. Daher hat die Bundesbahn, daher haben wir, die Politiker, überhaupt keinen Anlaß zu resignieren. Nur müssen wir — auch die Opposition — auf allen Stufen gewillt sein, unser Bestes für diesen Betrieb zu geben.
Sicher, die Zustandsbeschreibung der Deutschen Bundesbahn ist hart. Ohne Zweifel entwickelt sich die Deutsche Bundesbahn mehr und mehr zu einem rollenden Risiko, dessen Lösung noch in weiter Ferne liegt. Ein Blick auf die Struktur der Ausgabenblöcke des Verkehrsetats macht die Problematik dieses Haushalts schon deutlich. Mit nicht weniger als 14,8 Milliarden DM verschlingt die Bundesbahn bereits mehr als die Hälfte der Mittel für den Verkehr und sogar zwei Drittel des Etatzuwachses insgesamt. Doch schon heute läßt sich absehen, daß die Bahn mit diesen Finanzmitteln bei weitem nicht auskommen wird.Wenn die Belastung des Bundeshaushalts mit Zuwendungen an die Deutsche Bundesbahn von insgesamt fast 15 Milliarden DM in diesem Jahr einen neuen Rekord erreicht, ist das gleichwohl nicht nur eine ausgesprochen negative Entwicklung. Das Verhältnis zwischen eigenen Erträgen und Aufwendungen hat sich konsolidiert. Die Zuwächse in der Belastung des Bundeshaushalts resultieren vor allem aus verstärkten Investitionshilfen des Bundes. Dies ist sowohl konjunkturpolitisch als auch im Hinblick . auf die langfristige Zukunftssicherung des Unternehmens sinnvoll und begrüßenswert.Damit sind wir natürlich überhaupt noch nicht über den Berg. Die Konsolidierung ist vor allem Ausfluß des seit 1974 bestehenden Einstellungsstopps, der ja nicht auf Dauer beibehalten werden kann, zumal da die Rationalisierungsmöglichkeiten zunehmend an Grenzen stoßen. Um so notwendiger erscheint es, den Rückgang der Marktanteile des Unternehmens zu stoppen und neue Märkte, vor allem im kombinierten Verkehr, zu erobern.Diese Aufgabe am Markt kann eben nicht, wie von Eisenbahnerseite in der Diskussion häufig verlangt, Aufgabe der Verkehrspolitik sein. Hier ist das Unternehmen selber gefordert — vom Vorstand bis zum letzten Mitarbeiter. Da nützen auch keine Hilfeschreie an den zuständigen Minister oder Vorwürfe an ihn. Denn Absichtserklärungen sind ausreichend vorhanden, und am guten Willen möchte ich nicht zweifeln.
Aber leider sind die Erfolge am Markt nicht so spektakulär, daß man von einer Trendwende sprechen kann.Was notwendig ist,
ist ein Prellbock auf dem Schienenweg in die roten Zahlen. Die politisch Verantwortlichen — wir in Regierung und Parlament — müssen die notwendigen Entscheidungen über Personalstatus, Struktur und Finanzverantwortung für das Unternehmen Bundesbahn fällen. Indem wir die Weichen für die Zukunft der Bundesbahn stellen, müssen wir uns entscheiden, ob die Bundesbahn künftig als Verwaltungs- oder als Wirtschaftsunternehmen, verbunden mit einer Herauslösung aus dem öffentlichen Dienstrecht, geführt werden soll.
Diese Entscheidung ist nicht nur aus haushaltspolitischer Sicht geboten, wenn wir verheerende Folgen für den Bundeshaushalt verhindern wollen. Sondern wir sind es auch dem Bürger schuldig, ein leistungsfähiges Schienenverkehrsmittel anzubieten.Deshalb haben die Freien Demokraten als erste politische Partei ein in sich geschlossenes Konzept zur Lösung der Bundesbahnprobleme vorgelegt, das nicht nur für den Bereich der intensiven Verkaufsförderung, sondern auch für die Verstärkung der Resultatsverantwortung, für ein verbessertes Rechnungswesen oder für moderne Organisationsformen Forderungen aufgestellt hat. Sie sind erfreulicherweise Gegenstand auch von Aktivitäten des Bundesbahnvorstands. Aber ich meine, daß das zu langsam realisiert wird.
— Herr Kollege Jobst, nachdem Sie in der letzten Debatte über die Bundesbahnpolitik die Position, die die Opposition bisher in Sachen Bundesbahn eingenommen hat, völlig aufgegeben und sich zum Sprecher gewerkschaftlicher Forderungen gemacht haben, habe ich Verständnis dafür. Nur: gerade deshalb sollten Sie hier nicht den Versuch machen, zu erklären, wir vollzögen möglicherweise nach, was Sie vorbeten. Herr Kollege Jobst, es wäre schlimm, wenn es so wäre.Ich meine, daß die Aktivitäten des. Vorstands zu langsam realisiert werden. Es nützt uns wenig, wenn ein perfektes Rechnungswesen angestrebt wird, aber möglicherweise erst im Jahr 2000 Aussichten auf endgültige Realisierung hat. In der Zwischenzeit hat sich der Markt verlaufen.Diese Forderung nach schnellerer Realisierung gilt besonders im Hinblick auf die zu untersuchende Trennung von Fahrweg und Betrieb. Dabei unterscheidet sich die FDP-Lösung substantiell von der vom DIHT vorgeschlagenen. Ich verkenne nicht, daß
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Hoffieein so gravierender Einschnitt grundlegender Überlegungen bedarf. Andererseits sollte die Grundsatzentscheidung möglichst schnell getroffen werden. Die von uns zur Diskussion gestellte Trennung von Verkehrsweg und Betrieb eröffnet zumindest die Perspektive, den Bilanzverlust der Bahn und damit den Zuschuß aus dem Bundeshaushalt für dieses Unternehmen zu verringern. Denn neben anderen Vorteilen werden die bisher entstehenden Fixkosten aus dem Verkehrsweg zu variablen Kosten, und bürokratische Verkrustungen werden abgebaut. Die Freien Demokraten sind nach dem Hearing davon überzeugt, daß eine derartige Trennung ein erster und notwendiger Schritt in die richtige Richtung sein und die Bundesbahn wieder führungsfähig machen kann.Politische Entscheidungen über die volkswirtschaftlich vernünftige Sanierung der Deutschen Bundesbahn bedeuten sicherlich eine Zäsur in der Bundesbahnpolitik. Ein Blankoscheck sind sie sicher nicht. Damit wird auch deutlich, daß die Gesundung des Unternehmens, insbesondere im Hinblick auf die langfristigen haushaltspolitischen Konsequenzen, nicht mit einem Rangier- oder Verschiebebahnhof für Konzepte und Programme verwechselt wird. Angesichts der drohenden Gefahr am Horizont, ansonsten auf einen jährlichen Zuschußbedarf von 20 Milliarden zuzusteuern, müssen, um den finanziellen Spielraum für eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik zu erhalten, bald Entscheidungen getroffen werden, die zu einer erheblichen Reduzierung des Zuschußbedarfs der Bundesbahn führen. Fatalistische Neigungen sind fehl am Platze. Sie wären gefährlich und teuer.Neben dem Thema „Deutsche Bundesbahn" wird es immer dringender, das wachsende Verkehrsaufkommen, also die Mobilität unserer Bevölkerung, mit dem sich immer stärker entwickelnden Umweltbewußtsein in Einklang zu bringen. Von daher ist die Bekämpfung des Verkehrslärms als Teil einer . wirkungsvollen Umweltpolitik für uns ein erstrangiges politisches Thema dieser Legislaturperiode. Dabei steht für die FDP nach den beiden Sachverständigenanhörungen zum Verkehrslärmschutzgesetz eindeutig fest, daß der zur Beratung vorliegende Gesetzentwurf hinter einer wirkungsvollen und wünschenswerten Lärmschutzregelung weit zurückbleibt. Die FDP wird darauf dringen, daß die ursprünglich vom Bundesinnenminister im Kabinettsentwurf vorgesehenen niedrigeren Grenzwerte für neue Straßen grundsätzlich wieder hergestellt werden und daß die ebenfalls nicht zumutbaren Grenzwerte für bestehende Bundesfernstraßen merk- lich herabgesetzt werden. Auch erscheint es uns geboten, die vorhandenen Kommunal- und Landesstraßen sowie das gesamte Schienennetz in den gesetzlichen Lärmschutz einzubeziehen. Es ist verständlicherweise schwierig, in dem Spannungsverhältnis zwischen den drei Polen des finanziell für den Staat Machbaren, des für den Bürger finanziell Zumutbaren und der Intensität der letztlich noch verbleibenden Lärmbelästigung einen allseits akzeptierten Gleichgewichtszustand zu erreichen. Ein Beitrag hierzu ist, auf einige Kilometer neuer und besserer Straßen zu verzichten und gleichzeitig denLärm an seiner Entstehungsquelle zu bekämpfen, vor allem durch den Bau geräuschärmerer Fahrzeuge. — Herr Präsident, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir noch 30 Sekunden gäben. — Der vergleichsweise geringe Einsatz von 3 bis 5 % Mehrkosten im Automobilbau müßte die damit zu erreichenden Verbesserungen der Umweltqualität allemal wert sein.An die anderen Parteien möchte ich an dieser Stelle einmal mehr appellieren, sich baldmöglichst ihre Positionen in der Frage der Ausgestaltung des Verkehrslärmschutzgesetzes klarzumachen, damit wir dieses wichtige Vorhaben zügig beraten und verabschieden können.Mit einiger Sorge verfolgen wir schon seit einigen Jahren die Entwicklung bei der Arbeitsteilung im Güterverkehr. Ich meine hier das Verhältnis von Werkverkehr zum gewerblichen Güterkraftverkehr und von diesen zur Deutschen Bundesbahn, nachdem sich der Anteil des Werkverkehrs von 1950 bis 1976 verdoppelt hat. Wir müssen uns ehrlich die Frage stellen, welches die Ursachen sind, weshalb im Güterverkehr die Arbeitsteilung nicht nur nicht stimmt, sondern sogar abnimmt. Hier werden die Ergebnisse der eingesetzten Enquete-Kommission notwendige Aufschlüsse geben müssen. Bis dahin müssen wir dafür sorgen, daß die unverändert hohen Zuwachsraten im Werkfernverkehr nicht zu verkehrspolitischen Kurzschlußhandlungen verleiten.Der Verkehrspolitik der Bundesregierung ist insgesamt kein schlechtes Zeugnis auszustellen.
Gerade die Verbände haben unsere Arbeit zur Jahreswende, Herr Kollege Haase, überwiegend positiv gewürdigt.
Hier wird eine solide Arbeit geleistet, die das Vertrauen, das wir in den Bundesverkehrsminister und seine Politik setzen, rechtfertigt. Die FDP-Fraktion stimmt dem Einzeletat des Verkehrsministers zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lemmrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hoffie hielt es für angebracht, auf die interne Diskussion der Union einzugehen. Ich habe Verständnis dafür, daß er sich dazu äußert, er, der einer Partei angehört, in der massive, interne Auseinandersetzungen eine Dauererscheinung sind.
— Eben, das ist es ja.Wenn ich mir seine Ausführungen zur Bundesbahn hier vergegenwärtige, so unterstreichen eigentlich die Äußerungen des Kollegen Merker von der FDP, die er hier bei der Bundesbahn-Debatte im Dezember machte, das, was ich eben gesagt habe.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10177
LemmrichHerr Merker hat das Gegenteil von dem gesagt, was Herr Hoffie heute hier von sich gab.
Aber ich verstehe das; die FDP hat immer schon etwas Mühe mit der Kommunikation gehabt.
Er hat auch gefragt, wo unsere Vorschläge seien. Nun wollen wir einmal feststellen, daß die Bundesbahn-Politik vorrangig eine Sache der Regierung ist, die den unmittelbaren Zugriff auf die Bundesbahn hat. Dann haben wir von ihm den Gedanken mit dem Durchbohren dicker Bretter gehört. Sie bohren schon zehn Jahre, und man sieht überhaupt noch nicht, daß Sie irgendwo durchkommen könnten. Ich erinnere mich auch daran, daß gerade die FDP sich von den Streckenstillegungen besonders viel Wirksamkeit erhoffte. Es wird immer deutlicher, wie wenig daran ist; man hat da auch schon viel rückgängig gemacht.Dann führte Herr Kollege Hoffie ein Schattenboxen in der Sache der Privatisierung. Die einzige Partei, die den Gedanken der Privatisierung der Deutschen Bundesbahn in die Öffentlichkeit getragen hat, war die FDP.
Sie meint, das sei etwas. Wir waren immer der Meinung, daß das kein Weg ist.Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Deutsche Verkehrszeitung brachte in diesen Tagen eine Karikatur: Minister Gscheidle steht gesenkten Blicks vor seinem verkehrspolitischen Eintopf; dazu heißt es dann frei nach Wilhelm Busch: „Wofür er besonders schwärmt, wenn sie wieder aufgewärmt." Gemeint ist seine Bundesbahn-Politik, die sich im Kreise dreht. Mit anderen Worten sagt dasselbe die Frankfurter Allgemeine am 11. Dezember vergangenen Jahres so:Wie endlich die Bahn aus dem Tunnel der Defizite herausmanövriert werden kann — Gscheidle weiß es nicht.
Bei der Bundesbahn-Debatte am 6. Dezember vergangenen Jahres sprach der Herr Minister von den Schaltpunkten der Verkehrspolitik. Die Differenzierung der Zeit nach 1970 war allerdings unzureichend; denn sonst hätte er ja den Zickzackkurs der Verkehrspolitik dieser Regierungskoalition eingestehen müssen. Nicht er — das möchte ich ausdrücklich sagen —, aber andere Sozialdemokraten draußen im Lande versuchen, die jetzigen Schwierigkeiten der Verkehrspolitik der maßvollen Liberalisierung des Jahres 1961 anzukreiden, und weinen noch immer den Verkehrsverboten nach, die erwiesenermaßen ein absolut untaugliches Mittel sind. Doch das erleben wir in zunehmendem Maße: Hier in Bonn reden die Sozialdemokraten anders als draußen vor den Bürgern.
Zur hohen Effizienz unserer Volkswirtschaft muß auch die Verkehrswirtschaft ihren Beitrag leisten. Das verlangt Anpassungsfähigekit und ständige Anstrengungen, Verkehrsleistungen ökonomisch zu produzieren. Ein unzureichendes Verkehrswesen und zu hohe Verkehrspreise können zu größerer Industrieverlagerung auch ins Ausland führen. Nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern vor allem aus menschlichen und gesellschaftlichen Gründen darf dies nicht geschehen.Seit Anfang der 50er Jahre steht die Verkehrswirtschaft in einem bedeutenden Strukturwandel, ausgelöst von der technischen Entwicklung. Er zog die Eisenbahnen stark. in Mitleidenschaft. Nicht nur durch den Kraftwagen, sondern ebenso durch das Flugzeug wie den Rohrleitungsverkehr wurde die Bundesbahn in unserer dynamischen und modernen Wirtschaft herausgefordert. Dies läßt sich am Beispiel des Rohrleitungsverkehrs gut darstellen. 1958 spielte er noch keine Rolle. Heute weist er eine Verkehrsleistung von 14,5 Milliarden Tonnenkilometer auf.
Das sind 26 °/o der Verkehrsleistungen der Bundesbahn. — Herr Möllemann, daß Sie es mit Zahlen nicht können, weiß ich eh schon. — Durch Rationalisierung und hohe Investitionen versucht die Bundesbahn diesem Strukturwandel gerecht zu werden. Dabei wurde die Bahn damals durch Kontingentierung des Güterfernverkehrs, die es auch heute gibt, Sicherung der Kraftverkehrsnahzonen und eine Werkfernverkehrsteuer abgeschirmt. Anfang der 60er Jahre lag die Investitionsquote der Bahn bei 30% was dazu führte, daß die Bundesbahn damals eine der modernsten Bahnen der Welt wurde. Inzwischen haben die Franzosen und Briten sie überholt.Die Problematik der hohen Personalintensität wurde entspannt, indem von 1958 bis 1969 132 000 Dienstposten durch natürlichen Abgang eingespart wurden.Dieser vernünftige Weg der Anpassung an neue Situationen wurde 1970 abrupt unterbrochen. Was geschah in den zehn Jahren sozialdemokratischer Bundesbahnpolitik?Erstens. Die maßvolle Personalreduktion durch den natürlichen Abgang wurde umgedreht. Obwohl die Transportleistungen 1971 bereits wieder rückläufig waren, wurden bis 1974 40 000 Mitarbeiter neu eingestellt, was zu einer Erhöhung des Personalbestandes um 22 000 Mitarbeiter führte. Im vergangenen Jahr stellte der Bundesbahnvorstand fest — er genießt ja das volle Vertrauen der Bundesregierung, und sein Vorsitzender ist Mitglied der SPD —, daß 20 000 Mitarbeiter eigentlich nicht benötigt würden.Zweitens. Der Jahresverlust — Herr Kollege Schröder hat das in einzelnen Etappen dargestellt — vervierfachte sich, überstieg 1975 bereits die 4-Milliarden-Grenze und betrug im vergangenen Jahr 4,6 Milliarden DM.
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10178 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
LemmrichDrittens. Die Verschuldung des Unternehmens Bundesbahn nahm ein atemberaubendes Ausmaß an. Innerhalb von zehn Jahren stieg die Verschuldung auf 30,3 Milliarden DM an.Das sind die Ergebnisse zehnjähriger sozialdemokratischer Bundesbahnpolitik. Die jetzige katastrophale Situation hat ihre Ursache in den Fehlbeurteilungen und Fehlentscheidungen Anfang der 70er Jahre. Es trifft natürlich zu, wenn der Bundesverkehrsminister sagt, die Bahnprobleme seien nur langfristig zu lösen. Langfristig sind aber die Fehlentscheidungen wirksam geworden, an denen wir heute herumzubeißen haben.
Hinzu kam noch eine bestürzende Handlungsunfähigkeit. In der Zeit des Umbruches und des Strukturwandels standen seit 1970 nicht tatkräftige und erfahrene Steuermänner am Ruder der Verkehrspolitik, sondern Männer, die die Verkehrspolitik erst lernen mußten. Die Verantwortung für die derzeitige Situation der Bundesbahn trifft daher voll und ganz die Regierungskoalition.1974 nahm dann der derzeitige Verkehrsminister mit seinen Zielvorgaben einen neuen Anlauf. Ohne die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit zu werten, stellt sich die Frage: Was ist nach vier Jahren daraus geworden?Der Kleingutverkehr — eine beträchtliche Verlustquelle — soll rentabel gestaltet werden — Fehlanzeige! Das Dienstrecht der Eisenbahner soll reformiert werden, um bessere Anreize für Leistungen zu schaffen — Fehlanzeige! Die rechtliche Verselbständigung von Teilbereichen der Bundesbahn war in Auftrag gegeben worden — Fehlanzeige!In den Zielvorgaben von 1974 wird ebenfalls eine Optimierung des Streckennetzes gefordert. Das daraufhin erstellte betriebswirtschaftlich optimale Netz, das eine Halbierung des Streckennetzes der Bundesbahn vorsah, fiel in den Orkus. Wir haben damals bereits deutlich darauf hingewiesen, daß mit Strekkenstillegungen dieser Art und dieses Ausmaßes nicht das erreicht werden kann, was sich Herr Minister Gscheidle in den Zielvorgaben augenscheinlich vorstellte.Der Bundesverkehrsminister will jetzt allerdings nicht wahrhaben, daß er derjenige war, der diese Arbeit bestellt hatte, die nicht nur die Eisenbahner, sondern auch die Kunden der Bundesbahn zutiefst verunsicherte. Schwerer Schaden, insbesondere für die Bundesbahn, wurde dadurch angerichtet.
Sehr zu begrüßen ist in den Zielvorgaben der Neubau von Eisenbahnstrecken. Im Bundesverkehrswegeprogramm sind für den Zeitraum von 1976 bis 1980 3,58 Milliarden DM dafür vorgesehen. Davon konnten jedoch von 1976 bis 1978 nur 580 Millionen DM verbaut werden. Der Neubau stockt in erheblichem Ausmaß. Wenn es gut geht, wird ein Drittel der im Bundesverkehrswegeprogramm vorgesehenen Mittel investiert werden können. Insofern ist natürlich das, was der Kollege Müller hier gesagt hat, schon etwas zu differenzieren.Einer der Gründe dafür sind die fehlenden Rechtsgrundlagen im Bereich des Lärmschutzes. Herr Kollege Hoffie hat sich hier sehr eingehend damit befaßt. Wir werden das an anderer Stelle tun. Ich habe aber doch den Eindruck, daß man sich im Ausschuß bemüht, hier eine ausgewogene Lösung zu suchen. Der entsprechende Gesetzentwurf kam allerdings viel zu spät und ist unzureichend. Wenn das Parlament 55 Sachverständigen 70 Fragen vorlegen muß und sie dann befragt, so sagt dies alles über die Qualität des vom Bundesminister für Verkehr vorgelegten Gesetzentwurfs.
Der Herr Kollege Müller hat hier gesagt, Vorstellung der SPD sei es, den eingeschlagenen Weg bei der Bundesbahn konsequent weiter zu verfolgen. Welchen Weg denn eigentlich? Das muß man fragen.
Der Bundesverkehrsminister produziert im Hinblick auf die Bahn-Modelle, Großversuche und Prüfungsaufträge, bringt aber kaum vernünftige politische Entscheidungen zustande. Seine Politik macht aus der Bahn eine Bundesanstalt zur Verunsicherung von Kundschaft und Belegschaft, aber nicht ein Unternehmen.Bei der Prüfung des Modells der Trennung von Fahrweg und Betrieb bekommt man den Eindruck, die Untersuchung solle vor allen Dingen der Bundesregierung dazu dienen, die Lösung der Bundesbahnprobleme und die damit nun einmal verbundenen Unannehmlichkeiten über die nächste Bundestagswahl im Jahre 1980 hinausschieben zu können.Wie sehr dem Bundesverkehrsminister die Dinge bei der Bahn davonlaufen, zeigen die Ansätze im Finanzplan für den Zeitraum von 1976 bis 1980. In diesem Plan war für 1979 für die Bahn ein Finanzbedarf von 11,3 Milliarden DM vorgesehen. Im Bundeshaushalt 1979 sind aber 3,5 Milliarden DM mehr ausgewiesen, nämlich 14,85 Milliarden DM. Der Schätzfehler beträgt also immerhin 30 °/o.So wichtig die internen Maßnahmen bei der Bahn sind, so lassen sich doch bereits jetzt die Grenzen, z. B. bei der reinen Personalreduzierung erkennen. Um so mehr gewinnen Maßnahmen mit dem Ziel der Erhöhung der Einnahmen an Bedeutung. Als besonders zukunftsträchtiger Zweig des Unternehmens gilt seit zehn Jahren der Container-Verkehr und die durchgehende Transportkette. Die erforderlichen technischen und organisatorischen Voraussetzungen wurden nicht rechtzeitig geschaffen, um auf dem Markt offensiv werden zu können. Erst vor zwei Jahren — viel zu spät — wurden entsprechende Forschungsaufträge erteilt. Man hat den Eindruck, daß der Bundesverkehrsminister nur halbherzig dahintersteht.Die derart desolate Bundesbahnpolitik ist für die CDU/CSU der zentrale Grund, den Verkehrshaushalt 1979 abzulehnen. -Der Verkehrshaushalt offenbart jedoch noch andere Schwachstellen der Verkehrspolitik. Wie seit 1973, so wird auch heuer die Zweckbindung der Mi-
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Lemmrichneralölsteuer von 50 % für den Bundesfernstraßenbau aufgehoben. Auf diese Weise wurden von 1973 bis 1978 4,3 Milliarden DM entnommen. Lustig wird es dann allerdings, wenn man an das mit viel Propagandaaufwand verkündete Programm für Zukunftsinvestitionen denkt, in dem für den Bundesfernstraßenbau zur Stärkung der Konjunktur 2,045 Milliarden DM ausgewiesen sind. Inzwischen werden dem Straßenbau durch die Aufhebung der Zweckbindung allein im Zeitraum 1977 bis 1979 2,62 Milliarden DM wieder entzogen. Mit der einen Hand gibt man, mit der anderen nimmt es die Bundesregierung wieder zurück. Das erhebt dann noch den Anspruch, eine rationale Politik zu sein. Das ist eine unsolide Politiki
Es wird nach dem Prinzip „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln!" regiert, und das fortlaufend. Das ist das Kennzeichen der Verkehrspolitik der Bundesregierung. Das schadet unserem Land. Deswegen müssen wir sie ablehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mahne.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich in dieser verkehrspolitischen Debatte die Ausführungen des Kollegen Lemmrich und die des Kollegen Schröder hörte, wurde ich an eine Kolumne erinnert, die gestern in ,der „Welt" zu lesen war. Hier schrieb einer Ihrer Fraktionskollegen, der gescheiterte Kanzlerkandidat Barzel, über das Verhältnis Regierung — Parlament — Opposition. Es heißt dort:Die Regierung schuldet dem Land Regierung. Wie die Opposition Opposition. Beide stehen in Pflicht und im Wettbewerb — nicht im prinzipiellen Konflikt; keiner in der alleinigen Pflicht des Handelns, keiner in der Chance des Abwartens. Wer nicht handelt, wird behandelt.
Wenn ich das lese und mir die jetzige Debatte vor Augen führe, dann muß ich sagen: Nichts von dem, was dort gesagt worden ist,
ist heute von der Opposition dargestellt worden.
Die Opposition hat doch über den prinzipiellen Konflikt hinaus, der hier heute wieder mit großen Worten ausgetragen wurde, keinerlei alternative Vorstellungen zur Verkehrspolitik dargelegt. Ich wäre sehr dankbar gewesen, wenn wir diese Ihre Alternativen hätten erkennen können und wenn hier — wie heißt es so schön bei Herrn Barzel? — die Pflicht zum Handeln im Wettbewerb von Ihnen ausgegangen wäre. Sie haben sich statt dessen Teilbereichen gewidmet, ohne die Probleme im Gesamtzusammenhang zu erörtern.
— Das ist nicht wahr. Ich habe hier, Herr Kollege Gerster, das Zitat verlesen. —Nun ist ja Verkehrspolitik letztlich mehr. Sie ist die Summe aller staatlichen Ordnungs- und Eingriffstätigkeit in das Verkehrswesen. Im Interesse des allgemeinen Wohls soll die Verkehrspolitik nach einer gesamtwirtschaftlichen Konzeption eine funktionsfähige Ordnung herstellen. Wenn wir das einmal unter diesen Kriterien betrachten, können wir feststellen, daß sozialdemokratische Verkehrsminister dies seit nunmehr zwölf Jahren an einer entscheidenden Stelle der deutschen Politik getan haben.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, können dieses Ergebnis dieser Regierungsleistung drehen und wenden, wie Sie wollen, sie kann sich letztlich sehen lassen. Wir haben ein leistungsfähiges, wenn nicht sogar das leistungsfähigste Verkehrsnetz in Europa. Ich würde Sie bitten, einmal die Urlauber, die im Sonner aus anderen Ländern nach Deutschland zurückkehren, zu befragen, welche Erfahrungen sie dort gesammelt haben. Die Verkehrsbedienung ist bis in entfernteste Teile unseres Landes zuverlässig. Eisenbahn, Straßenverkehr, Binnenschiffahrt und Luftfahrt sind ihren Aufgaben voll gewachsen.
Dies kommt letztlich nicht von allein. Es ist auch nicht auf einen Zufall zurückzuführen, sondern auf ein Grundkonzept sozialdemokratischer, sozialliberaler Verkehrspolitik. Dieses Grundkonzept unserer Verkehrspolitik ist in allen Jahresgesprächen der letzten Jahre jeweils bestätigt worden.
Ob Wirtschaft, ob Gewerkschaften, ob Verbraucher, sie haben zu dieser Verkehrspolitik ja gesagt. Der Wissenschaftliche Beirat hat in seiner letzten Stellungnahme in einem Positionspapier noch einmal deutlich gemacht, daß er mit diesen Grundpositionen und mit diesem Grundkonzept und letztlich auch damit, wie diese Politik angelegt ist, übereinstimmt.Die Zeit, in der in viele Verkehrswege ohne Rücksicht auf die Wirkungen investiert wurde, den dieser Aufbau auf andere Verkehrswege ausübte, gehört endgültig der Vergangenheit an. Erst durch die Investitionspolitik ist der Grundatz von der freien Wahl der Verkehrsmittel in einer kontrollierten Wettbewerbsordnung überhaupt mit Leben erfüllt worden. Dies ist der Gegensatz zu der planlosen Verkehrspolitik der fünfziger Jahre, in denen Sie die Verantwortung getragen haben, die durch
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Mahneeinen systematischen Ausbau und eine systematische Planung aller Verkehrswege abgelöst wurde.
— Dies mag so sein, nur, Sie haben das heute selbst einmal in einem Gespräch bestätigt, auf das ich gleich noch zurückkomme.In der Verkehrswirtschaft wäre der ungeregelte Wettbewerb gar nicht denkbar; denn zu viele gesellschaftspolitische Ziele müssen bei allen Entscheidungen berücksichtigt werden. Da sind einmal die Interessen der Arbeitnehmer, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln ihren Arbeitsplatz erreichen müssen. Da sind die Forderungen der Raumordnung und Strukturpolitik. Da ist die Sicherung einer öffentlichen Verkehrsbedienung zum Besuch von Schulen und Bildungseinrichtungen. Deshalb muß auch hier der Staat mit Steuergeldern die Verkehrsbedienung aufrechterhalten, die letztlich ohne den Eingriff des Staates in sich zusammenbrechen würde.Wir stehen in der Verkehrspolitik in diesem und in den nächsten Jahren vor wichtigen Entscheidungen und Maßnahmen. An erster Stelle unserer Arbeit wird die Beratung des Lärmschutzgesetzes stehen. Der Bundesverkehrsminister hat zu Recht gesagt, daß Lärmschutz vor Kilometern geht.
Wir müssen nun im Bundestag dafür sorgen, daß durch rechtzeitige Verabschiedung dieses Gesetzes dieser richtige Satz auch in die Tat umgesetzt werden kann.Wir erwarten, daß die Bundesregierung am Ende des Jahres das koordinierte Investitionsprogramm bis 1990 vorlegt. Mit diesem koordinierten Investitionsprogramm für die Bundesverkehrswege werden alle Vorhaben bei Straße, Schiene und Wasserstraße gesamtwirtschaftlich nach einheitlichen Verfahren bewertet und in eine Reihenfolge gebracht. Dies ist um so notwendiger, als mit öffentlichen Mitteln ausgebaute Verkehrswege sich eben nicht auf die Dauer gegenseitig Konkurrenz machen dürfen; sie sollen sich dort ergänzen, wo dies notwendig ist, und nicht mehr.Ein Schwerpunkt wird wiederum die Investition in unser Eisenbahnwesen sein. Das, was besonders in den ersten zehn Jahren in der Bundesrepublik versäumt wurde, läßt sich nur schwer aufholen. Deshalb müssen auch die Anstrengungen erhöht werden, die Neu- und Ausbaustrecken der Deutschen Bundesbahn ans Laufen zu bringen. Herr Lemmrich hat in seiner Rede auf den Strukturwandel im Verkehrsbereich und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Deutsche Bundesbahn hingewiesen. Wenn das so ist, muß ich doch einmal fragen: Was ist denn in den fünfziger Jahren getan worden, um die Bundesbahn an die sich damals abzeichnenden, sich verändernden Verkehrsstrukturen anzupassen?
Welche Investitionsentscheidungen sind getroffen worden, um neue Strecken zu bauen? Nichts ist getan worden; die Bundesbahn ist sich selbst überlassen worden in einem alten Verkehrsnetz, in einem alten Schienennetz, das überhaupt nicht mehr mit den Verkehrsbeziehungen übereinstimmte.
Dies sind die Versäumnisse und die Fehlentscheidungen der sechziger Jahre, die, wie Sie selbst gesagt haben, bis in die heutige Zeit hineinwirken.
Alle Anstrengungen müssen jetzt darauf verwendet werden, daß die Deutsche Bundesbahn sowohl im Personen- wie im Güterverkehr leistungsfähiger wird, um so ihre Ertragssituation wesentlich zu verbessern. Auch wird es darauf ankommen, durch indirekte ordnungspolitische und investitionspolitische Flankierungsmaßnahmen die Wettbewerbssituation gegenüber anderen Verkehrsträgern zu verbessern. Die Absicht der Bundesregierung, den Abbau von Wettbewerbsnachteilen durch die Mineralölsteuerbefreiung der Binnenschiffahrt und die Schiffahrtsabgabenfreiheit auf dem Rhein im Rahmen einer internationalen Regelung anzustreben wie auch auf Erweiterungsinvestitionen im Wasserstraßennetz über bestehende vertragliche Verpflichtungen hinaus zu verzichten, wird von der SPD-Bundestagsfraktion nachdrücklich bejaht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, da ich mich hier an den Acht-Minuten-Zeittakt halten muß, möchte ich mich abschließend kurz dem ÖPNV-System zuwenden. Wir haben hier, glaube ich, gemeinsam mit den Ländern und den Gemeinden Beträchtliches auf den Weg gebracht. Die Förderungen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz haben Unternehmen in die Lage versetzt, insbesondere in den Verdichtungsräumen ihren Beitrag zur Bewältigung des Verkehrs zu leisten. Die Versuche im Saarland und im Kreis Hohenlohe lassen wichtige Ergebnisse für eine wirksame und, wie ich meine, auch notwendige Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs in der Fläche erwarten.Lassen Sie mich zum Schluß feststellen: Wir können — ich glaube, das können wir übereinstimmend sagen, weil es uns draußen im Lande immer wieder bestätigt wird — auf eine erfolgreiche Bilanz in der Verkehrspolitik hinweisen, von der ich heute nur einige Bereiche ansprechen konnte. Diese erfolgreiche Bilanz kann uns niemand zerreden; auch mit den massivsten Angriffen wird das niemandem gelingen. Dieser Haushaltsplan schafft die Voraussetzungen für den weiteren koordinierten Ausbau neuer Verkehrswege, für die weitere notwendige Modernisierung der Bundesbahn, für den weiteren Ausbau und die Anpassung des gesamten Verkehrssystems an sich ständig verändernde
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MahneStrukturen und für eine wirksame Verbesserung der Verkehrssicherheit: alles in allem eine kontinuierliche Fortsetzung einer Verkehrspolitik, die man als erfolgreich bezeichnen kann.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angeregt durch den Hinweis auf die DVZ mit der Karikatur und dem Busch-Zitat war man natürlich unmittelbar daran erinnert, daß es sich gut macht, so zu beginnen. Mir ist bei diesen Vorträgen, die ich von der Opposition gehört habe, Marie von Ebner-Eschenbach mit ihrem Wort eingefallen: Langweilig ist, wer ein paar alte Gedanken hat, die ihm alle Tage neu einfallen.
Ich hatte den Eindruck, daß hier diskutiert wurde, als ob wir die Debatte vom 6. Dezember nicht gehabt hätten.
— Das wissen Sie, bevor ich geredet habe? Ja, so schätze ich Sie ein.Die Frage ist doch, ob denn die Bundestagsdebatte über die Bahn vom 6. Dezember nicht eine ganze Reihe von Fragen mehr bewegt hat, als es heute bislang den Anschein hatte.Zunächst einmal darf ich mich Ihnen, Herr Kollege Schröder, zuwenden. Sie sind ja so freundlich gewesen und haben uns, bevor Sie geredet haben, in einer Pressemitteilung gesagt, was Sie sagen wollen. Deshalb bin ich auch nicht darauf angewiesen, aus dem Gedächtnis möglicherweise falsch zu zitieren, sondern lese Ihnen einen Teil vor, in dem ganz offenkundig wird, warum Sie die Probleme der Bundesbahn nicht verstehen können. Der Satz steht im zweiten Absatz Ihrer Pressemitteilung und lautet:Horst Schröder verwies insbesondere auf den angestiegenen Schuldenstand und die horrenden Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt von nunmehr 14,8 Milliarden DM zur Defizitabdekkung.Sehen Sie, Herr Schröder, das ist Ihr Problem, und solange Sie dies nicht bewältigen, werden Sie das Problem der Bundesbahn nicht erfassen.Ich will einmal versuchen, Ihnen Ihren Grundirrtum aufzuzeigen: Nach der EWG-Verordnung 1191/ 69 fließen der Bundesbahn — ausgerechnet auf das Jahr 1977, um eine Vergleichsbasis zu haben —2,720 Milliarden DM zu, nach der EWG-Verordnung 1192/69 3,364 Milliarden DM, nach der EWG-Verordnung 1107/70 25 Millionen DM und nach den Entscheidungen des EG-Rates vom 20. Mai 1975 4,559 Milliarden DM. Addiert man das, ergibt sich ein Betrag von 10,668 Milliarden DM. Wenn Sie diesen Betrag nicht aus der Betrachtung der Defizitabdekkung — Ihrer falschen Beurteilung — herausnehmen, kommen Sie an das Problem der Bundesbahn wirklich nicht heran. Denn Sie müssen sich folgendes sagen lassen. Wie immer Sie die Bundesbahn führen wollen und welche Ideen Sie dort verwirklichen: diese Leistungen von rund 14,8 Milliarden DM werden zunächst einmal auf Grund des EG-Rechts zu bereinigen sein, und dann bleibt der Betrag, um den wir zur Konsolidierung der Bundesbahn ringen. Wir haben ja die Konsolidierung erreicht, allerdings — das gebe ich zu — auf einem zu hohen Niveau. Das Problem ist, wie wir dort weiterkommen.Richtig ist die Bemerkung, daß wir mit dem globalen Kostenabbau, mit sehr globalen Methoden der Personalreduzierung über das Jahr 1979 hinaus nicht mehr erreichen. Dann kommt in der Tat die notwendige Rationalisierung, bei der durch schwierige, komplizierte Eingriffe in den Betrieb zwar nicht mehr viel, aber doch noch einiges zu bewegen ist.Sie haben schon mehrmals Herrn Vaerst zitiert. Ich will Sie noch einmal bitten — ich habe das schon einmal getan —, doch das Gespräch mit Herrn Vaerst zu suchen. Herr Vaerst versteht unter „Politik" nicht — wie Sie das gern darstellen — den Verkehrsminister oder die Bundesregierung, sondern er meint alle politischen Instanzen, die durch ihre Beschlüsse Einfluß auf die Bahnpolitik haben, also alle Gebietskörperschaften und auch alle sonstigen im öffentlichen Leben wirkenden politischen Kräfte. An die ist sein Appell gerichtet.Sie spüren doch selbst, wenn Sie das Problem des Mittelabflusses bei der Bahn diskutieren, daß hier Hilfe notwendig ist, wenn Sie die Bahn modernisieren wollen. Und da braucht man ohnedies einen Zeitraum zwischen 10 und 15 Jahren. Es kommt darauf an, die Neubaumaßnahmen so schnell wie möglich durchzuführen.Ich höre unter den wichtigen Punkten immer wieder den Hinweis auf das öffentliche Dienstrecht. Wir haben dazu eine konzeptionelle Vorstellung für die Bahn, im übrigen auch für die Post, für die Betriebsverwaltungen. Es ist außerordentlich schwierig, diese Vorstellungen zu verwirklichen; das gebe ich zu. Sie müssen nämlich solche Vorstellungen mit der Zustimmung der Länder entwikkeln, und es macht außerordentlich große Schwierigkeiten, aus dem gesamten einheitlichen öffentlichen Dienstrecht Betriebsverwaltungen herauszulösen.Eines halte ich allerdings für unzulässig, Herr Schröder. Verstehen Sie den Ausdruck nicht falsch; natürlich können Sie hier machen, was Sie wollen. Wenn Sie aber durch das Vorlesen von Pressezitaten, die sich auf eine Äußerung von mir beziehen, den „Zickzackkurs" meiner Verkehrspolitik darstellen wollen, dann wäre es ehrlicher gewesen, Sie hätten aus dem „Verkehrspolitischen Jahresgespräch" des letzten Jahres zitiert, das Ihnen ja zur Verfügung steht. Ich will Ihnen das vorlesen, damit Sie wenigstens für die Zukunft intellektuell gehindert sind, noch einmal den Versuch zu machen, mir über das Zitieren von Zeitungen meinen verkehrs-
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Bundesminister Gscheidlepolitischen „Zickzackkurs" zu beweisen. Das Zitat lautet:Wenn Kritiker behaupten, daß auch ordnungspolitische Eingriffe die dramatische Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Deutschen Bundesbahn nicht verhindern konnten, so ist dem entgegenzuhalten, daß die Wirtschaftslage der Deutschen Bundesbahn ohne diesen Flankenschutz voraussichtlich noch viel schlechter wäre. Diejenigen, die unsere Verkehrsordnung grundlegend verändern wollen, müßten sich mit dieser für das Gemeinwohl negativen Folge auseinandersetzen.So gehen deshalb Meinungen über die Wirksamkeit der bisherigen Ordnungspolitik bei derDeutschen Bundesbahn weit auseinander. Das Spektrum reicht von völliger Liberalität mit in Kauf zu nehmender Auflösung der Deutschen Bundesbahn bis zur Forderung, die Deutsche Bundesbahn sei einzig und allein mit ordnungspolitischen Maßnahmen zu sanieren. Ich kann vor der Auffassung, die Ordnungspolitik als Allheilmittel zu betrachten, nur warnen. Dennoch bin auch ich der Auffassung, daß im Falle der Deutschen Bundesbahn auf ordnungspolitische Maßnahmen nicht verzichtet werden kann.
Daß die Presse diese Dinge hin und wieder sehr differenziert betrachtet, hängt damit zusammen, daß hier der Versuch unternommen wurde, in vier Sätzen einen komplizierten Tatbestand zu erfassen. Daß wir ordnungspolitische Maßnahmen anwenden, kann in diesem Haus ohne Streit festgestellt werden, ob das nun Tarifgenehmigungen, Kontingentierungen, Maße und Gewichte, Kfz- oder Mineralölsteuer, Lizenzierungsverfahren im Werkverkehr oder Abgaben in der Binnenschiffahrt sind. Dies alles sind ordnungspolitische Maßnahmen. Die Diskussion geht nur darum, in welch dosierter Weise und abgestimmt man derartige Maßnahmen von Fall zu Fall stärker oder schwächer anwenden kann.Herr Schröder, zur Frage der Seeschiffahrt bin ich, nachdem ich die seeschiffahrtspolitischen Konzepte wenigstens der Regierungen der wichtigen Industrieländer kenne, der Meinung, daß wir eine gute Konzeption haben. Das ist zumindest auch die Auffassung der in diesem Bereich tätigen Menschen, und zwar von den Reedern, von den Vertretern der Werften bis zu den Beschäftigten, was immerhin eine Personenzahl von 30 000 Menschen ausmacht. Ich bin der Meinung, daß wir das Problem der Naßbaggerei lösen werden. Allerdings vertrete ich weder die Auffassung, daß man sie privatisieren noch daß man ein staatliches Monopol daraus machen sollte. Hier ist Wettbewerb notwendig; das hat sich erwiesen. Ich bin sicher, daß die Untersuchungen, die am 15. Februar vorliegen werden, von den Zahlen her diese Grundauffassung im übrigen bestätigen.Ihre Bemerkungen zur Luftfahrtpolitik habe ich nicht ganz verstanden. Das gilt jedenfalls für Ihrekonkrete Bemerkung zur Lufthansa. Ich muß davon ausgehen, daß die zweimalige Bestätigung des Deutschen Bundestages zum Grundsatz der Bundesbeteiligung bei der Lufthansa, nämlich dort eine qualifizierte Mehrheit zu sichern, so lange gilt, bis dieser Bundestag zu einer anderen Auffassung käme. Deshalb verwundert mich die etwas saloppe Umgangsform hinsichtlich der Frage der qualifizierten Beteiligung.Auch die Ausführungen von Herrn Lemmrich würde ich natürlich gern gebührend berücksichtigen. Ich bitte um Nachsicht, Herr Lemmrich, aber ich habe zehn Minuten Redezeit zugesagt, und ich habe dies bislang immer eingehalten und will dies auch jetzt tun. Wir haben bestimmt im Ausschuß Gelegenheit, einige Ihrer Gedanken zu vertiefen.
Zur allgemeinen Aussprache liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 12. Hierzu liegen drei Änderungsanträge der CDU/CSU-Fraktion vor. Ich rufe zuerst den Änderungsantrag auf Drucksache 8/2484 Ziffer 8 auf. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Weitere Wortmeldungen liegen auch nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2484 Ziffer 8 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe nunmehr den Änderungsantrag der CDU/ CSU-Fraktion auf Drucksache 8/2489 auf. Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Feinendegen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Täglich sterben auf unseren Straßen vier Kinder. Damit hält die Bundesrepublik Deutschland einen traurigen Rekord. In keinem anderen Land verunglücken so viele Kinder im Straßenverkehr wie bei uns. 1977 ereigneten sich 70 000 Straßenverkehrsunfälle mit Kindern. 11 000 Kinder erlitten schwerste Verletzungen und werden zum Teil ihr ganzes Leben lang gesundheitlich geschädigt sein. Dieser traurigen Unfallbilanz gilt es nach Auffassung der CDU/CSU noch viel stärker als bisher den Kampf anzusagen.1972 war das Jahr mit den bisher meisten Kinderverkehrsunfällen. Dann gab es 1973 und 1974 einen erfreulichen Unfallrückgang, der sich aber leider nicht fortgesetzt hat. Ganz im Gegenteil: Waren 1974 63 500 Kinderunfälle im Straßenverkehr zu beklagen, so ist diese Unfallbilanz bis zum Jahre 1977 wieder auf 70 000 angestiegen.Tatsache ist, daß es die Kinder schwer haben, mit dem Straßenverkehr heutiger Dimension fertig zu werden. Auch eine noch so gute Verkehrserziehung der Kinder muß unbefriedigend bleiben, weil die
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FeinendegenWelt des Straßenverkehrs, in der die Kinder heute zurechtkommen müssen, zu eindeutig nach den Maßstäben der Erwachsenen eingerichtet ist. Dies fordert dazu heraus, auf der einen Seite diese Verkehrswelt mit allen sich bietenden Möglichkeiten auch kindergerecht zu gestalten,
auf der anderen Seite aber auch, den Kraftfahrer zu einer Änderung seines Verkehrsverhaltens gegenüber Kindern zu bewegen.Gezielte Maßnahmen in diesem Bereich kosten aber Geld. Ginge es nach dem Verkehrssicherheitsprogramm der Bundesregierung, dann hätten schon 1977 rund 34 Millionen DM Bundesmittel zur Verbesserung der Verkehrssicherung eingesetzt werden müssen. Tatsächlich wurden trotz stark anwachsender Motorisierung und damit zunehmender Unfallgefährdung die Bundesmittel für Verkehrssicherheit drastisch reduziert. Sie erreichten im Bundeshaushalt 1979 lediglich 15 Millionen DM.Die CDU/CSU hält diese Politik der Sparsamkeit im Bereich der Verkehrssicherung auf Dauer nicht mehr für vertretbar und schlägt daher vor, als ersten Schritt ganz gezielt im Bereich der Verkehrssicherheit für Kinder zusätzliche Anstrengungen auch in finanzieller Hinsicht zu unternehmen. Unser Antrag sieht deshalb vor, für Maßnahmen zur Bekämpfung von Straßenverkehrsunfällen mit Kindern, insbesondere zur Förderung. von Sondervorhaben der Deutschen Verkehrswacht e. V., die diese unter dem Titel „Kinder im Straßenverkehr" aus Anlaß desI UNO-Jahres des Kindes 1979 durchführen will, die Bundesmittel um zwei Millionen DM zu erhöhen. Für den Fernstraßenbau, aus dessen Haushalt diese Mittel abgezweigt werden sollen, wird dies bedeuten, daß 1979 eventuell ganze 250 m Autobahn weniger gebaut werden können. Das muß uns das Mehr an Verkehrssicherheit für Kinder im Straßenverkehr wert sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Opposition beschäftigt sich mit einem sehr ernsten Thema. Es geht um die Erhöhung der Verkehrssicherheit für Kinder. Sie soll dadurch erreicht werden, daß man der Deutschen Verkehrswacht für ein Sonderprogramm zusätzlich zwei Millionen DM zur Verfügung stellt, die bei den Straßenbaumitteln eingespart werden sollen. Sie sollen der Deutschen Verkehrswacht zufließen, um Verkehrserziehungsmaßnahmen für Kinder zu verstärken.Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob dieser Vorschlag eigentlich das Problem, das wir alle kennen und um dessen Lösung wir uns alle bemühen, im Kern trifft.
Wenn Sie den Haushalt der Deutschen Verkehrswacht wirklich einmal studieren, dann wird deutlich, daß mit den 5,54 Millionen DM, die dort für solche Aufgaben zur Verfügung stehen, eigentlich das ab, gedeckt ist, was Sie mit Ihrem Antrag, auch wenn es gerade in das Jahr des Kindes wirklich hineinpaßt, wollen.
Da gibt es die entsprechenden Schriftenreihen. Da gibt es das Informationsmaterial. Da gibt es die Fortbildungsarbeit für die einzelnen, die in der Verkehrserziehung tätig sind. Da gibt es die Veranstaltungen zur Information, zur Fortbildung und Unterstützung der örtlichen Vorhaben, insbesondere der Verkehrsübungsplätze. Da gibt es all diejenigen Dinge, die Sie im Auge haben. Nur, die Frage ist, ob wir mit immer mehr Verkehrserziehung, mit immer mehr Verkehrserziehungsgärten und ähnlichem — nur so etwas schwebt Ihnen ja nach Ihren Ausführungen vor — wirklich das Problem lösen; denn wir wissen doch aus allen Untersuchungen, daß Kinder im Verkehr in der Regel deshalb so stark gefährdet sind, weil sie z. B. Geschwindigkeiten überhaupt nicht abschätzen können. Sie sind überfordert, zu begreifen, wann ein Ausweichmanöver, wann ein Überholvorgang ansetzt und abgeschlossen ist.Das ist ja nicht meine Erkenntnis, sondern die Erkenntnis der Experten, die sich wirklich um eine Abhilfe bemühen. Von daher muß man sich natürlich fragen, ob wir nicht gerade das Gegenteil dessen tun müßten, was Sie tun wollen, nämlich vorrangig für bessere Schulwegsicherung zu sorgen — Straßenbaumaßnahmen —, vorrangig verkehrsberuhigte Zonen in unseren Wohngebieten zu schaffen;
denn die Zahlen belegen ganz eindeutig, daß die meisten Kinder unmittelbar vor der Haustür, innerhalb geschlossener Ortschaften, in nur bis zu wenigen hundert Metern Entfernung von ihren Wohnungen verunglücken.
Hier sind Programme der Bundesregierung auf dem Weg. Der Bundesbauminister hat für 1979 auf diesem Gebiet ein Schwerpunktprogramm entwickelt.
Niemand ist dagegen, daß wir auch im Bereich der Verkehrserziehung stärkere Anstrengungen machen. Allerdings werden Sie damit wie bisher nur sehr begrenzten Erfolg haben. Vor allem aber weist der Haushalt der Verkehrswacht eindeutig aus, daß die Mittel, die dafür notwendig sind, zur Verfügung stehen.Sollte sich hingegen nach Abwicklung eines solchen Sonderprogramms zeigen, daß die zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichen, '
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Hof fiewerden sich SPD und FDP nicht der Notwendigkeit verschließen, diese Mittel im. Nachtragshaushalt zu genehmigen.
Nur, nach allem, was wir heute an Zahlen zur Verfügung haben, ist die Verkehrswacht für ein solches Programm finanziell gerüstet. Ich meine, wir müssen den Schwerpunkt tatsächlich auf die Maßnahmen legen, von denen ich beispielhaft gesprochen habe.
Ich will Ihnen ein konkretes Beispiel nennen. Wenn bekannt ist, daß jedes Jahr viele Kinder im Alter von bis zu 10 Jahren nur deshalb verunglükken, weil sie als Sozius auf motorisierten Zweirädern mitgenommen werden dürfen, dann können Sie so viel Verkehrsaufklärung und so viele Verkehrserziehungsgärten propagieren, wie Sie wollen. Die entscheidende Frage wird jedoch sein, ob wir bereit sind, ein solches Verbot auszusprechen, was wiederum neue Schwierigkeiten mit sich brächte.
Ich persönlich bin sehr dafür, daß ein Vier- oder Sechsjähriger nicht auf dem Soziussitz eines Motorrades durch die Gegend gefahren werden darf.
Jeder, der einmal auf einem Soziussitz gesessen hat, weiß, in welch schwierige Situationen er bei ganz bestimmtem Fahrverhalten kommen kann.
Will sagen, daß es viele andere und wirksamere Möglichkeiten gibt, gerade im Jahr des Kindes etwas zu tun. In allen unseren Gemeinden, überall dort, wo wir hineinwirken können, sollten wir die Maßnahmen ergreifen, die wirklich konkret und sichtbar greifen und nachweisbar Erfolg versprechen. Dagegen sollten wir nicht versuchen, nur durch die Herausgabe neuer Plaketten, neuer schöner Bilderbücher die Kinder weiterhin lediglich zu unterhalten, aber nichts dazu beizutragen, daß wir am Ende zu einer positiveren Bilanz kommen.Die Koalitionsfraktionen sehen sich aus dieser Überlegung heraus und mit dem Hinweis darauf, daß wir bereit sind, die entsprechenden Mittel im Nachtragshaushalt zu genehmigen, wenn das erforderlich ist,
nicht in der Lage, Ihrem Antrag zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2489 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. —
Gegenprobe! —
Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2485 unter III auf. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur allgemeinen Aussprache gewünscht? — Keine Wortmeldung.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2485 unter III zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —
Stimmenthaltungen? — Keine. Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe den Einzelplan 12 zur Abstimmung auf. Wer Einzelplan 12 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Der Einzelplan 12 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
— Drucksachen 8/2409, 8/2470 — Berichterstatter: Abgeordneter Glos
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Waigel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Steigerung des Wirtschaftshaushalts täuscht nicht darüber hinweg, daß diese Regierung und auch ihr Bundeswirtschaftsminister eine Politik der Programmflut, des verstärkten Staatseingriffs und der Gängelung der Wirtschaft fortsetzen.
Lassen Sie mich nur dazu drei Beispiele nennen: ein problematisches Windhundprogramm bei den Zuschüssen zu den Personalaufwendungen im Forschungs- und Entwicklungsbereich, wo die Koalition unserer Vorstellung, über eine steuerliche Regelung eine vernünftigere Lösung zu finden, nicht gefolgt ist; ein bereits angekündigtes Existenzgründungsprogramm im nächsten Haushalt; dann ein all-
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Dr. Waigel'umfassendes Strukturprogramm nach bekanntem sozialistischem Strickmuster, für das die „Süddeutsche Zeitung" heute in einem Kommentar nur Hohn und Spott übrighat und das in eine soziale Marktwirtschaft mit Sicherheit nicht paßt.Schon die drei Exempel sind Beispiel genug, wie man auch über den Haushalt eine stärkere Steuerung der Wirtschaft herbeiführen möchte und sich am Sonntag als Verfechter der freien Marktwirtschaft feiern läßt.Das erfolgt immer nach dem gleichen Konzept. Zunächst belastet man die Wirtschaft, bekämpft sie ideologisch, stellt sie an den öffentlichen Pranger, schwächt sie durch das Drehen der Steuer- und Abgabenschraube; dann kommt die FDP mit gezielten Programmen, finanziert mit den Geldern derer, die man vorher in Bedrängnis gebracht hat; anschließend dürfen die Betroffenen entsprechende Anträge stellen und auf eine Bewilligung durch den Bundeswirtschaftsminister hoffen; und der will noch Dank dafür, daß er das Bürokratiekarussell in Gang gebracht hat — nach dem Motto: Am Schluß steht die Belobigung des Verursachers des Dilemmas.In diese Kerbe oder in eine ähnliche Richtung hat jüngst auch der Bundesforschungsminister Hauff gehauen, als er die Unternehmer „müde Helden" nannte. Diese Bezeichnung zeugt von einer kaum zu überbietenden Arroganz. Es wäre interessant, den Herrn Bundesforschungsminister daran zu erinnern, daß Begriffe und Vokabeln wie Belastbarkeit der Wirtschaft, Aktion Gelber Punkt, Profitgeier und andere
eine Flut von Gesetzen und die ausufernde Bürokratie genau dazu beigetragen haben, jene zu schwächen, die man dann mit Spott überzieht.
Wer mit Steuergeldern und Steuermitteln sehr großzügig und sehr gezielt umgeht, hat eigentlich nicht das Recht, jene zu beschimpfen, die lieber mit ihren eigenen Erträgen wirtschaften würden, als auf Dotationen von SPD-Ministern angewiesen zu sein.
Die Unternehmer — immerhin sind es 95 % mittelständische unter allen Unternehmern — sind nicht besser und nicht schlechter als jede andere Gruppierung dieser Gesellschaft. Sie brauchen sich aber nicht von politischen Technokraten in dieser Form lächerlich machen zu lassen.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang auch auf einige Bemerkungen des Herrn Bürgermeisters Klose eingehen, der nach gewonnener Wahl wie gehabt einen wirtschaftspolitischen Positionswechsel vollzogen hat.
Seine Theorie vom Staat als Reparaturbetrieb des Kapitalismus — sinnigerweise der Stamokap-Theorie entlehnt — verdeutlicht eigentlich das gespaltene Verhältnis weiter Teile der Sozialdemokratiezur Sozialen Marktwirtschaft. Denn Klose erkennt in seinen Vorschlägen den Markt und den Wettbewerb nicht mehr als Entscheidungsmechanismus der Wirtschaftsordnung an, sondern er will wie große Teile der SPD melden, lenken, kontrollieren. Eine gelenkte Marktwirtschaft aber ist bereits ein Widerspruch in sich. Denn wird der Markt einmal direkt gelenkt, dann besteht kein Wettbewerb und kein Markt mehr. Wir sehen es doch national und international, daß die Probleme dann fast nicht mehr lösbar werden, wenn es am Markt und am Wettbewerb fehlt. Das sehen wir in der Schiffs- und Werftbaubranche, im Textilbereich, in der Luftfahrtindustrie und auch auf dem Energiesektor.In eine ähnliche Richtung zielt auch das mittelfristige Sonderhilfeprogramm für strukturschwache Gebiete mit besonders hoher Arbeitslosigkeit, von der SPD gefordert und von der FDP toleriert. Hier besteht eine merkwürdige Diskrepanz: Während die SPD fordert und sich der Bundesfinanzminister heute bereits dafür eingesetzt hat, hört man von der FDP in der Presse vorher sehr kritische Töne und im Wirtschaftsausschuß dann eine sehr moderate Haltung. Wohin die Reise wirklich gehen soll, weiß eigentlich niemand.Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sind uns dafür Aufklärung schuldig. Denn wir wollen wissen: wie wollen Sie denn ein solches Strukturprogramm in die regionale Strukturpolitik einbetten? Haben dann Präferenzen überhaupt noch einen Sinn? Wieviel Gebiete in Deutschland sind dann noch ohne Programm, ohne Sonderprogramm? Welchen Sinn hat dann überhaupt regionale und sektorale Strukturpolitik, wenn es überhaupt kein Gebiet mehr in Deutschland gibt, das ohne Programm ist, und wenn es geradezu eine Diskriminierung ist, in einem Gebiet zu leben, für das noch kein Programm entworfen ist?
Der Herr Bundeskanzler hat in einer der letzten Debatten die Soziale Marktwirtschaft als ein politisches Schlagwort abgetan und damit diffamiert. Wir sind nicht bereit, diese Form der Bezeichnung und der Diskriminierung des in der Welt erfolgreichsten Wirtschaftssystems hinzunehmen.
Es ist auch eine grobe Unsachlichkeit — und wohl von ihm bewußt gewollt —, die Soziale Marktwirtschaft in unserem Land mit den Kriterien einer kapitalistischen Wirtschaftsform moralisch abzuwerten. Wenn auch die Soziale Marktwirtschaft nicht expressis verbis im Grundgesetz verankert ist, so ist sie doch die der Verfassung gemäße Wirtschaftsform. Denn parlamentarische Demokratie, demokratischer Rechtsstaat und Soziale Marktwirtschaft gehören zusammen.
Der Bundeskanzler will bewußt nicht zwischen den marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen als Grundlage für den sozialen Fortschritt einerseits und staatlich-dirigistischen Eingriffen andererseits unterscheiden. Sein Ausspruch lautete:
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10186 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Dr. WaigelDie Sozialpolitik im engeren wie im weitesten Sinne ist immer das krasse Gegenteil von Marktwirtschaft.Dieser Ausspruch ist schlichtweg falsch.Die Alternative zur Sozialen Marktwirtschaft ist wirtschaftstheoretisch und praktisch die staatliche Planwirtschaft. Sollen wir also die Forderungen der SPD nach Strukturräten, Investitionsmeldestellen, Investitionslenkung als bereits beschrittenen Weg in diese Wirtschaftsordnung verstehen? Diesen Fragen müssen sich insbesondere die FDP und der Bundeswirtschaftsminister stellen. Herr Bundeswirtschaftsminister, dann genügt es nicht, zu sagen, für Sie sei in dieser Frage allein der Bundeskanzler der Garant. Der Bundeskanzler kann doch nicht allein diese Politik bestellen. Sie müssen sich schon Rechenschaft darüber geben, in welch schlechter Gesellschaft Sie sich als Vertreter der Marktwirtschaft hier befinden.
Im Rahmen des Wirtschaftshaushalts ist es auch notwendig, eine Bemerkung zu den Erfahrungen mit der antizyklischen Finanzpolitik zu machen. Denn wie mir scheint, hat diese ihre Grenzen sehr deutlich erfahren. Vor allen Dingen ist die Möglichkeit einer antizyklischen Konjunkturpolitik über die öffentlichen Haushalte sehr begrenzt. Das hängt damit zusammen, daß sich der Wirtschaftsablauf und erst recht die auf ihn einwirkenden staatlichen Maßnahmen nicht allein auf der Ebene aggregierter Nachfrageströme beurteilen lassen.Das Instrumentarium der „fiscal policy" muß sehr differenziert gesehen werden. Es scheint eher für die Dämpfung der Wirtschaft als im expansiven Sinne brauchbar zu sein. Eines ist jedenfalls sicher: Mit einer Konjunkturpolitik der nervösen Unrast, des Stop-and-go wurden zyklische Schwankungen verstärkt und strukturelle geradezu verursacht. Aber Unternehmer wie auch Verbraucher benötigen langfristige, konstante und vorhersehbare Rahmendaten, und daran hat es in den letzten Jahren gemangelt.Wir hätten es auch gern gesehen, wenn in diesem Haushalt besser zwischen wachstumsfördernden und wachstumsneutralen Ausgaben unterschieden würde. Die bisherige Unterscheidung in konsumtive und investive Ausgaben ist unzureichend, da zahlreiche öffentliche Ausgaben zwar als Investitionen klassifiziert sind, wegen ihrer Folgekosten jedoch Effekte haben, die sonst nur konsumtiven Ausgaben zugeschrieben werden. Das Postulat einer wachstumsfreundlichen Ausgestaltung des Haushalts wird daher nicht automatisch durch eine globale Ausweitung investiver Ansätze erfüllt.Es ist auch nicht richtig, im Wirtschaftshaushalt Investitionen auszuweisen, die in Wirklichkeit Verlustzuweisungen und Liquiditätshilfen darstellen. Wenn die betroffenen Gesellschaften und Unternehmen diese im Haushalt als Investitionen ausgewiesenen Ausgaben in ihren Bilanzen nochmals als Investitionen ausweisen, müssen doch diese Ausgaben in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung doppelt erscheinen und tragen deswegen nicht zur Wahrheit und Klarheit im Finanzgebaren bei.Wir würden es auch begrüßen, wenn vor allen Dingen im Investitionssektor eine verstärkte gegenseitige Deckungsfähigkeit bei ähnlich gelagerten Investitionsausgaben Platz griffe, um damit eine flexiblere Haushaltsführung und eine kontinuierliche Förderungspraxis zu erreichen.Nun zu einigen konkreten Problemen des Einzelplans 09. Sie wollen wieder 6 Millionen DM für das Ziel einer künftigen Strukturberichterstattung ausgeben, obwohl die damit beauftragten Institute bisher nicht einmal den Ansatz eines praktikablen Lösungsvorschlags machen konnten. Das einzige realistische Ergebnis in diesem Bereich sind bisher über 40 neue Planstellen. So teuer sind fragwürdige Koalitionskompromisse.
Noch ein Wort zum Verbraucherinstitut. Angesichts des Wirrwarrs in der Verbraucherpolitik hätten wir nicht die Errichtung eines neuen Instituts gebraucht, sondern eine Koordinierung innerhalb der Ministerien und der bisher beauftragten Organisationen. Eine Erledigung durch die Stiftung Warentest wäre effizienter und billiger gewesen.Geradezu kläglich ist die Entwicklung der Ausgaben zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Die für die Zwecke der Gemeinschaftsaufgabe vorgesehenen Mittel aus dem Bundeshaushalt vermindern sich im Jahre 1979 von 424 Millionen DM auf insgesamt 404 Millionen DM, und der Ansatz für die Gemeinschaftsaufgabe ohne Sonderprogramme stagniert seit Jahren. Demgegenüber sind die Ausgaben in der regionalen Strukturpolitik für die Schaffung und für die Sicherung von Arbeitsplätzen durch die Lohnkostensteigerung, den technischen Fortschritt und das Währungsgefüge stark angestiegen. Die zur Verfügung stehenden Mittel reichen bei weitem nicht aus, um das zu tun, was Aufgabe der regionalen Wirtschaftsstruktur und -förderung wäre. Die Regionalpolitik — dies ist eine bittere Erkenntnis — ist zu einem Stiefkind dieser Koalition geworden.
Angesichts dessen, daß Sie die Regionalpolitik jetzt noch durch unüberlegte Strukturprogramme unterlaufen wollen, muß ich sagen, es wäre besser, die ganze •Regionalpolitik aufzugeben, sie abzuschaffen und das Geld den Ländern zur Verfügung zu stellen. Sie könnten offensichtlich mit diesem Geld besser umgehen, als diese Bundesregierung. Nicht einmal eine bescheidene Erhöhung der Frachthilfe war möglich, obwohl diese notwendig wäre, um den gegenwärtigen Effizienzstatus der allein durch die objektiven Entfernungsschwierigkeiten benachteiligten Gebiete beizubehalten.Ausdrücklich begrüßen möchten wir die weitere Aufstockung der Bundesrohölreserve zur Krisenvorsorge. Versuche, diesen Titel abzuschmelzen,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10187
Dr. Waigelhätten sicher nicht in die gegenwärtige internationale politische Landschaft gepaßt.
— Nein, diese Tendenz, Herr Kollege Löffler, kam von einer ganz anderen Seite,
und ich habe ihr von Anfang an widerstanden.
Sie haben den Antrag im Haushaltsausschuß gestellt, und wir haben ihn das erste Mal bereits abgelehnt. Sie haben den Antrag dann zurückgezogen, Herr Kollege Löffler.Wir begrüßen die einstimmig beschlossene zusätzliche Förderung der Auslandsmessen, der Werbemaßnahmen für den Ausländerreiseverkehr, den weiteren Ausbau der Außenhandelskammern und die Förderung von Handel und Gewerbe, weil hier mit relativ geringen Mitteln echte Effizienz, echte Steigerung gerade des Exports und des Außenhandels erzielt wird.Im Finanzplan für die Jahre 1979 bis 1982 sind für den Einzelplan 09 des Bundeswirtschaftsministers ständige Kürzungen vorgesehen. Es wird eigentlich seine Aufgabe sein, uns diese Kürzungen begreiflich zu machen: 0,1 % im nächsten Jahr, 4,7 % im übernächsten Jahr und 19,4 % im Jahre 1982. Wie diese Projektionen angesichts der konkreten Realität aufrechterhalten werden sollen, bleibt sein Geheimnis. Es ist doch — darauf hat der Kollege Haase heute schon hingewiesen — unrealistisch, zu glauben, daß die Mittel für den Kohlebergbau und die Ausgaben für Energie von heute fast 3 Milliarden DM auf 1,2 Milliarden DM zurückgeschraubt werden könnten. Wer glaubt denn im Ernst, daß das Deminex-Programm, ein wichtiges Programm mit einem Volumen von etwa 200 Millionen DM, vom Jahre 1982 an nicht fortgeführt werden kann? Meine Damen und Herren von der Koalition, diese mittelfristige Finanzplanung ist das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben wurde.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben sich noch vor einem Jahr — auch hier in der Debatte — als der Held von Kiel feiern lassen. Ich glaube aber, daß Ihnen angesichts der Entwicklung in der eigenen Partei und der Entwicklung auf weiteren Parteitagen nur noch die Erinnerung an diesen Ort geblieben ist, eine Erinnerung, die Sie jetzt mit dem Ruf nach Ronneburger nochmals auffrischen möchten. Doch die in Kiel Unterlegenen — darunter einige liebenswerte Bundestagskollegen der FDP — nehmen jetzt in homöopathischen Dosierungen langsam Rache am Verfechter der Marktwirtschaft für ihre damalige Niederlage und haben damit in Mainz bereits vollen Erfolg gehabt. Die „Spiegel" - Aufsätze des Kollegen Dr. Haussmann und seiner Freunde sind doch in erster Linie gegen den Bundeswirtschaftsminister und seine Politik gerichtet.Es könnte sein, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner Partei und in der Koalition noch einsamer wird, als er es in Mainz schon gewesen ist. Ob seine Stimme dann aus dem politischen Diesseits oder bereits aus dem politischen Jenseits kommt, ist für seine politische Wirkung kaum noch von Belang.
Dieser Haushalt spiegelt die Widersprüchlichkeit der Wirtschaftspolitik dieser Regierung wider. Der Einfluß des Bundeswirtschaftsministers in der Koalition und in der Regierung wird schwächer. Neue klare Perspektiven sind nicht erkennbar. Darum lehnen wir diesen Haushalt ab.Meine Damen und Herren, da ich zum letztenmal die Ehre habe, als Berichterstatter für diesen Einzelplan zu sprechen, bedanke ich mich sehr herzlich bei meinen Kollegen Mitberichterstattern für eine kollegiale und faire Zusammenarbeit, bei allen Kollegen des Haushaltsausschusses für eine kritische, sachliche Arbeitsweise und für ein Klima, das in unserer politischen Welt seltener geworden ist, beim Bundeswirtschaftsminister und seinem Haus für eine korrekte Information — trotz sachlicher Gegensätze.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Waigel, mein Obmann hat sich bereiterklärt, Ihnen eine Kopie der CDU-Sparliste, die sie als Opposition als Anhang zu ihrer Pressekonferenz herausgegeben hat, zu überreichen. Da steht ziemlich deutlich drin, daß die CDU/CSU den Vorschlag gemacht hat, hinsichtlich der Rohölbevorratung Kürzungen vorzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt waren Sie nicht mehr Berichterstatter; vielleicht ist Ihnen das deswegen entgangen. Aber, wie gesagt, Herr Löffler ist bereit, Ihnen davon eine Kopie zu geben. Das vorweg, damit das in Ordnung gestellt ist.Meine Damen und Herren, ich glaube, die wohl positivste Erwähnung bei dieser Haushaltsberatung wird ein Mann bekommen — zumindest von seiten der Koalition —, Professor Biedenkopf, der uns einen ziemlich großen Gefallen getan hat. Er hat uns erstens die Arbeit erleichtert, dieses dicke Jahresgutachten durchzulesen, weil er in den markanten und knappen Sätzen seines berühmten Papieres bereits die wichtigsten Sachen herausgefiltert hatte. Dafür danke ich Ihnen. Zweitens wäre es wirklich Leichtsinn, Sie bei einer so positiven Beurteilung der wirtschaftlichen Lage nicht als Kronzeugen heranzuziehen. Das möchte ich mir nicht gerne entgehen lassen. Ich hoffe, Sie zählen, wie oft Sie bereits heute von der FDP und von uns als ein solcher Zeuge genannt worden sind. Sie werden auf eine große An- 1 zahl von Nennungen kommen.
— Man soll auch einmal jemandem etwas gönnen. Ich gönne ihm das durchaus.
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10188 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Frau SimonisDa bei einer solchen positiven Beurteilung, zu der Sie gekommen sind — die ich im übrigen teile —, eine konjunkturpolitische Debatte nicht mehr viel hergeben würde, mußten Sie allerdings auch gleich das neue Konzept mit liefern: dieses neue Konzept sieht vor, daß in einer ordnungs- und strukturpolitischen Debatte die Regierung verunsichert und isoliert wird und insbesondere die Subventionen als das politische Vehikel herangezogen werden. Die Schlachtordnung ist ziemlich klar: Angriffsziel ist die Regierung. Munition sollen die Subventionen sein. Es ist nur noch nicht klar, wer die Schlacht bei Ihnen anführen wird. Aber das müssen Sie intern aushacken. Vielleicht kommen Sie auch noch damit rechtzeitig über.
Ich habe mich gewundert, mit welcher Begeisterung geradezu führende Wirtschaftsmänner Ihre Vorschläge aufgegriffen haben. Da werden Subventionen zu ganz gefährlichen Dingen hinaufstilisiert: sie werden sogar mit Drogen verglichen. Ich hatte fast das Gefühl, ich säße hier in einem halbkriminellen Laden, wo man Drogen sozusagen per Staatsdekret an Leute verabreicht. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages erklärte in einem Aufsatz in der Zeitung „Zwischen Nord- und Ostsee", daß Subventionen im Schiffbau, die der Strukturerhaltung dienen, und auch solche in der Stahlindustrie einfach abzulehnen seien, um dann kühl fortzufahren, Industriestrukturen, die sich im internationalen Wettbewerb nicht mehr behaupten können, hätten einfach zu verschwinden.
Ich wäre nicht so überrascht gewesen, wenn die Steuerzahler diese Diskussion geführt hätten. Ich bin aber doch etwas überrascht, daß ausgerechnet diejenigen dieses Thema aufgreifen, die als Empfänger von Subventionen dadurch bis jetzt eigentlich nur Gutes gehabt haben. Ich gehe davon aus, daß die Empfänger dieser Subventionen - die an dieselben nicht gekommen sind wie die Jungfrau ans Kind, nämlich ohne Wollen und ohne Wissen — ganz genau gewußt haben, was mit ihnen passiert.
Daraus kann man doch nur schließen, daß dahinter folgendes taktisches Konzept steht: Als Präsident der Gesamtindustrie lehnt man ab, um dann die Einzelverbände auf die armen Parlamentarier loszulassen. Oder aber — das ist immer sehr erfolgreich, wie wir alle wissen — man bearbeitet die Parlamentarier einzeln beim Essen mit der Folge, daß man dann schon fast nicht mehr wagt, zu sagen: Nein, sie sollen das nicht bekommen.
— Lieber Herr Glos, Sie waren mit dabei, als wir beide eingepackt worden sind. Ich meine, da brauchen wir uns gegenseitig nichts vorzuwerfen.
Und dann mußten wir hinterher in unseren Gruppen erklären, warum wir nachträglich noch einmal etwas draufpacken wollten, obwohl wir vorher gesagt haben: Das kommt nie in Frage.Der zweite Punkt ist, daß man eigene staatliche Zuwendungen aus der Definition der Subventionen herausnimmt und sagt: Dies hat etwas damit zu tun, daß Strukturwandel stattgefunden hat. Gleichzeitig erhebt man aber, wie etwa der Kollege Waigel, warnend die Hand vor jenen 6 Millionen DM, mit denen die Strukturberichterstattung endlich einmal Auskunft darüber geben soll, wann, warum, mit welcher Geschwindigkeit, an welcher Stelle Strukturwandel stattgefunden hat. Wenn man Subventionen, so wie hier argumentiert wird, nur deshalb entgegennimmt weil man wegen eines ominösen Strukturwandels dazu gezwungen ist, müßte man den Minister auf Knien bitten, 12 Millionen DM in diese Berichterstattung hineinzustecken, damit man aus der ungeliebten Abhängigkeit schnell wieder herauskommt.
— Man kann sich ja darüber unterhalten, ob das jedes Mal gleich Planstellen sein müssen. Ich bin davon überzeugt, daß Sie, wenn Sie das begreifen würden, durchaus gewillt wären, dafür mehr Geld auszugeben.Drittens — dies halte ich für den eigentlichen Dollpunkt der ganzen Diskussion —: Im Grunde genommen hat man überhaupt nichts gegen Subventionen, sondern man will nur rechtzeitig dagegen vorbeugen, daß der Zahler, der Steuerzahler, etwa gar den Wunsch äußert, darüber mitzusprechen, was mit dieGeld passiert.Der Ihnen vorgelegte Entwurf des Einzelplans enthält in der Tat viele Beispiele, die weiß Gott von Marktwirtschaftlern nicht erfunden worden sind und die dennoch ein sehr kostspieliges Dauerleben führen, weil Schwierigkeiten einer Wirtschaft, die international derart verflochten ist wie die deutsche, die mit internationaler Konkurrenz zu kämpfen hat, die einen hohen Technisierungsgrad aufweist, mit Eucken und seinen Ordoliberalen allein nicht zu lösen sind. Das müßte sogar Herr Professor Biedenkopf zugeben.
Auch in diesem Jahr entfallen, wie Herr Waigel bereits gesagt hat, überdurchschnittlich hohe Steigerungen auf unsere „Sorgenkinder": den Schiffsbau, die Luftfahrt, Stahl, Kohle und Koks. Alle diese Sorgenkinder sind schon in den vergangenen Jahren und schon sehr lange mit stärkenden Finanzspritzen — allerdings leider ohne Erfolg — aufgepäppelt worden.Gerade am Beispiel der Werften möchte ich Ihnen einmal zeigen, wie schnell man — leider — in den marktpolitischen Sündenfall der Subventionierung hineingetrieben werden kann. An dem Ringen um die Höhe der Subventionen haben, wenn ich mich richtig erinnere, vier Ministerpräsidenten teilgenommen, von denen zwei ihrer Partei angehört haben. Sie haben durchaus nicht den Eindruck gemacht, als seien sie gegen Subventionen. Im Gegenteil, sie
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10189
Frau Simonishaben sehr laut und sehr deutlich artikuliert, daß sie welche haben wollten.
Nachdem sie uns das dann vierzehn Tage vorgeführt hatten — immer noch einen drauf; Herr Stoltenberg und einige andere Herren haben sich ja geradezu darin überboten, was sie alles an Subventionen geben wollten —, hatten sie den Bund weichgeklopft, so daß insgesamt ein Programm mit einem Volumen von mehr als 1 Milliarde DM herauskam. Allein in diesem Haushalt wird das für 3 Jahre 400 Millionen DM ausmachen. Das sind verlorene Zuschüsse, das sind Subventionen der schlimmsten Art. Ihre Ministerpräsidenten haben die mitgefordert. 1979 kostet dieses Programm mit anderen Mitteln ca. 260 Millionen DM, im nächsten Jahr werden es 380 Millionen DM sein. Ich überlege schon gar nicht, wie hoch dieser Betrag 1981 oder 1982 sein wird. Aber er hat, wie man sehen kann, steigende Tendenz. Ich hatte im übrigen nicht. das Gefühl, als ob die beteiligte Wirtschaft dies gegen ihren Willen mit sich geschehen ließe, im Gegenteil! Die haben ganz schön geschrien, damit sie das Geld bekommen.Wenn Sie sich einmal die Mitteilung der Kommission der EG an den Rat zur Sanierung des Schiffbaus angucken — jetzt muß ich leider zitieren, was ich sonst nicht gern tue —, so steht dort folgende Begründung für die Krise der Werften:Infolge optimistischer Vorausschätzungen des Weltwirtschaftswachstums, zu denen eine spekulative Nachfrage kam, haben die Auftragsbestände von 1960 bis 1973 beispiellos zugenommen. Um dieser Nachfrage gerecht zu werden, wurde das Produktionspotential weltweit, also auch in der Bundesrepublik, gesteigert ... ,obwohl bereits eine Schiffbau-Enquete, die von der Regierung in Auftrag gegeben war, im Jahre 1972 auf bestehende Überkapazitäten hingewiesen hatte und im Großschiffbau für 1975 weitere voraussagte. Außerdem — jetzt kommt ein ganz wichtiger Punktdiagnostizierte die Enquete „Managementschwierigkeiten und Managementschwächen bei den Großwerften", obwohl — oder vielleicht gerade — bei den Sachverständigen nur Mitglieder aus der freien Wirtschaft mit dabei waren.1978 folgert das Ifo-Institut in einer Untersuchung über „Die Entwicklung des Welthandels und dessen Einfluß auf den Weltschiffbau" — jetzt kommt das Zitat —, „daß eine Umstellung auf zukunftsträchtige Produktionen bei den deutschen Werften zu bewerkstelligen sei, sofern beim dispositiven Faktor ausreichende Kreativitäten vorhanden sind" und fährt dann fort: „Unter diesen Aspekten ist es beispielsweise erstaunlich, daß das vom Verband deutscher Reeder bereits 1972 initiierte Projekt ,Schiff der Zukunft' von seiten der Schiffbauindustrie nicht umgehend aufgegriffen und in konkrete Entwicklungsarbeiten umgesetzt worden ist." Ja, warum wohl nicht? Ich nehme an: weil beim dispositiven Faktor — auf deutsch: beim Management — die Kreativität eben nicht in ausreichendem Maße vorhanden war, um neue Ideen zu entwickeln und unabhängig von Subventionen zu werden.Im Klartext heißt das — und jetzt will ich diesen Begriff gebrauchen, der hier bei dem Kampf in die Arena geworfen wurde —: der Staat übernimmt in der Tat Reparaturkosten für eine Branche, die nicht nur auf Grund von weltweiten Verwerfungen, sondern aus eigenen Versäumnissen heraus nicht mehr in der Lage ist, sich allein zu helfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes?
Oh ja, Herr Narjes, aber gern.
Frau Simonis, sind Sie so freundlich, mir zu bestätigen, daß die Verwirklichung des Programms „Schiff 2000" nicht eine Frage der Kreativität des Managements der Werften ist, wie es das Ifo-Institut annimmt, sondern eine Frage entgegenstehender gesetzlicher Bestimmungen in zahlreichen Bereichen?
Herr Narjes, ich frage mich, warum Sie das nicht gleich gesagt haben, als dieses Institut seinen Bericht veröffentlichte. Ich weiß, daß Sie am Schiffbau interessiert sind. Sie hätten sich viel früher melden müssen, wenn Ihre Vermutungen richtig wären. Ich halte mich an das, was die von uns teuer bezahlten Gutachter herausarbeiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, wollen Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder gestatten?
Ich kann zwar schnell reden und kann Zeit aufholen, aber mir geht jetzt zuviel verloren. Ich bitte um Entschuldigung.Wir machen dieses Reparaturkosten-Übernehmen nun wirklich nicht, weil wir so subventionssüchtig sind, wie der Präses der Handelskammer von Hamburg gesagt hat, sondern weil uns das Schicksal von 60 000 Arbeitern in Norddeutschland wichtiger ist als die ordnungspolitisch vielleicht interessante Frage, ob nun diese Reparaturkosten privat zu bezahlen seien oder ob sie nicht privat zu bezahlen seien.
Ähnliches, nämlich Schwächen im Management, ließe sich übrigens bei der Luftfahrt nachweisen.An einem anderen Beispiel lassen sich gerade in Ihrer Partei auch Inkonsequenzen nachweisen. Sie fordern — zu Recht —, daß angesichts der hohen Subventionen bei Kohle und Koks etwas geschehen sollte. Ihre Kollegin, die Wirtschaftsministerin des Landes Niedersachsen, fordert allerdings aus ansiedlungspolitischen Gesichtspunkten heraus, daß Unternehmern Energie kostenlos zur Verfügung gestellt werden sollte. Ich muß Ihnen ehrlich sagen, das sind Kapriolen, die ich weder unter ordnungs-
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10190 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Frau Simonispolitischen und allerdings erst recht nicht unter subventionspolitischen Gesichtspunkten verstehen kann. Ich muß Sie bitten, uns mal zu sagen, was Sie eigentlich wollen. Wollen Sie Subventionen? Dann sagen Sie es doch. Oder wollen Sie sie nicht, dann sagen Sie aber bitte nicht: nein, wir wollen sie nicht, und schicken Sie dann nicht eine Dame in den Ring, die für Sie im wahrsten Sinne des Wortes die Kohlen aus dem Feuer holen soll.
Daß diese Subventionen teuer sind und von uns gezahlt werden, hat übrigens nichts mit mangelndem Mut zu tun, wie Wolff von Amerongen meinte, sondern es hat etwas damit zu tun, daß, wenn man diese Subventionen verweigert, sowohl in regionaler als auch in sektoraler Hinsicht Verwerfungen auftreten, die man, glaube ich, nicht so ohne weiteres verantworten kann. Es nützt dem Werftarbeiter in Husum und in Leer, wenn er arbeitslos geworden ist, nämlich überhaupt nichts, daß sein Arbeitsplatzverlust unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten o. k. ist, daß dieser Arbeitsplatzverlust aber hätte vermieden werden können, wenn entweder die öffentliche Hand geholfen hätte oder die Unternehmenspolitik vorher erfolgreicher oder die Regionalpolitik besser gewesen wäre. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, daß ihm der Hinweis auf Ihre Ordnungspolitik viel hilft.
Ich kann mir allerdings auch nicht vorstellen, daß es viel hilft, wenn in einem strukturschwachen Gebiet wie Schleswig-Holstein, das ich ein bißchen besser kenne, die Werften kaputtgehen. Wir haben dann zwar gute Möglichkeiten, mit unseren industriefreien Fremdenverkehrsräumen zu werben; aber das ist dann auch schon alles und leider nicht viel.
Fremdenverkehr ist sehr schön, aber ich wage zu bezweifeln, ob er alleine uns hilft. Und wenn erst einmal der letzte Arbeitslose im Zuge der großen Mobilmacherei in die Ballungszentren abgewandert ist, wird es auch dem Mittelstand dort oben nicht mehr viel nützen, weil er nämlich dann als Anbieter von Dienstleistungen und Waren nicht mehr gefragt wird.Alles in allem glaube ich, daß, wenn wir so weitermachen würden, wie Sie es vorschlagen, wir am Ende Gefahr laufen würden, wenn alle Schächte abgesäuft, die Bergleute umgeschult wären, die Werften dichtgemacht hätten, daß wir dann sehr marktkonform gewesen wären; aber ob es der deutschen Wirtschaft gut bekäme, das wage ich zu bezweifeln, übrigens auch im Hinblick auf die Abhängigkeiten, die sich für uns international ergeben könnten, und nicht nur im Hinblick auf Preise.Die Frage danach, ob man Subventionen geben -soll oder sie so, wie Sie es vorschlagen, im ParforceRitt ablehnen soll, muß meiner Meinung nach anders gestellt werden. Wir müssen uns fragen: Welchen Wert als Mittel zur Arbeitsplatzsicherung haben sie? Welche positiven oder negativen regionalen und sektoralen Struktureffekte gehen von ihnen aus? —Steigern sie die deutsche Wettbewerbsfähigkeit oder steigern sie sie nicht? — Helfen sie, beispielsweise, Sozialpolitik zu finanzieren, und ermöglichen sie es, politisch gewünschte Selbständigkeiten in manchen Bereichen zu erhalten?Wir müssen uns also die Mühe machen — und das vermisse ich bei Ihrem Papier —, zwischen strukturerhaltenden und strukturerweiternden Subventionen zu differenzieren. Dann wäre ich allerdings gewillt, mit Ihnen zu gehen und in dieser Diskussion immer wieder neu festzulegen, welche Subventionen den Kriterien, die ich gerade genannt habe, nicht entsprechen
und welche ihnen entsprechen.Ich gebe gern zu, daß durch diese überproportionalen Hilfen für einige Industriezweige — für diese wenigen, die ich genannt habe — für andere Bereiche nicht mehr genügend übrigbleibt, beispielsweise für den Mittelstand. Der Mittelstand ist — ich glaube, das muß man auch einmal kritisch an die Regierung sagen — in der Vergangenheit nicht so gut bedient worden, wie er es verdient hätte und wie wir uns das wünschen.
Ich gebe auch zu, Herr Kollege Waigel,
— aber natürlich, ich habe keine Angst davor, Sachen zu sagen, die richtig sind;
da können Sie mich nicht aufs Glatteis führen —, daß die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" ein bißchen dünn ausgefallen ist. Nur müssen Sie sich, wenn zur Konfliktvermeidung elf Ministerpräsidenten anfangen, die Mittel großzügig über den Raum und die Regionen zu verteilen — und von diesen elf stellen Ihre Parteien ja die Mehrheit —,
selber fragen, warum dieses Instrument nicht funktioniert, warum es zum Gießkannenprinzip geworden ist. Den einzigen, den Sie da nicht fragen dürfen, ist der Wirtschaftsminister. Wenn der bayerische Wirtschaftsminister sagt, die Gemeinschaftsaufgabe findet nicht mehr statt, und dann heimlich Telegramme schickt, daß er für diese Gemeinschaftsaufgabe eine Milliarde Mark mehr haben will, halte ich das für zwar schlitzohrig, aber nicht ganz sauber.
Ich wäre ja dafür — darüber waren wir uns einig —, diese Mittel aufzustocken, wenn ich wüßte, daß dies nicht dazu führt, daß aus 66 % geförderter Fläche 80 % werden und aus 36 % Bevölkerung vielleicht 40 %. Aber dazu sind ja nicht wir, sondern Ihre Ministerpräsidenten nicht bereit. Der Fehler liegt also irgendwo anders, nicht beim Bund; vielleicht re-
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Frau Simonisden Sie einmal mit den Herren, die Sie ja besser kennen als ich.
— Gut, Sie sind ja jetzt der wirtschaftspolitische Sprecher Ihrer Fraktion. Vielleicht kommt aus dem Ausschuß einmal eine vernünftige Vorlage, der dann auch ein Haushaltspolitiker zustimmen kann.Zusammenfassend darf ich sagen: Wir erkennen trotz aller Vorbehalte die Notwendigkeit an, direkte Subventionen für manche Branchen auch in diesem Haushalt wieder zu zahlen. Wir erwarten aber, daß in Zukunft mehr Gewicht darauf gelegt wird, daß Kriterien entwickelt werden, an Hand deren wir diese Subventionen hinterher auch auf ihre Wirksamkeit überprüfen können. Weil wir 'erwarten, daß die Unternehmer diese Steuergelder, die sie ja in nicht- unbeträchtlicher Höhe bekommen, jetzt auch wirklich dazu verwenden, neue Produktionen zu finden und Arbeitsplätze zu erhalten, wird meine Fraktion diesem Einzelplan zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wir von den Freien Demokraten glauben, daß dieser Haushalt des Wirtschaftsministers in einer guten Kontinuität steht. Wir haben bei der letzten Beratung über die Verbesserung der Rahmenbedingungen diskutiert. Wir haben diese Rahmenbedingungen verbessert, und wir sehen heute, daß sie sich äußerst positiv auswirken. Ich brauche nicht auf die Analyse von Herrn Biedenkopf zurückzugreifen, sondern kann dem Jahreswirtschaftsbericht vorgreifen und sagen, daß die Datenkonstellation in der Bundesrepublik die aller anderen großen Industriestaaten weit übertrifft.Wir haben inzwischen die geringste Preissteigerungsrate seit neun Jahren. Wir haben eine sinkende Arbeitslosigkeit, wir haben mehr Ausbildungsplätze, und wir werden 1979 ein verteilungsfähiges Wachstum von wahrscheinlich über 4 % erreichen. Dies, meine Damen und Herren, ist ein großer Erfolg des Bundeswirtschaftsministers, und deshalb, Herr Waigel, machen wir bei der FDP uns auch keinerlei Sorgen um seine politische Zukunft. Auch mein „Spiegel"-Artikel — der Wirtschaftsminister hat ihn im Gegensatz zu Ihnen ganz gelesen; wir haben uns darüber bereits unterhalten — wird dem keinen Abbruch tun, eher im Gegenteil.Um was wir uns sorgen, ist eigentlich, daß dieser Wirtschaftsminister der FDP endlich wenigstens einen einzigen Ansprechpartner in den beiden Teilen Ihrer Fraktion für den wirtschaftspolitischen Bereich bekommt. Das wäre gut für die wirtschaftspolitische Diskussion in der Bundesrepublik.Der Haushalt 1979 wird die bisherige Tendenz fortsetzen; denn wir werden weitere Rahmenbedingungen verbessern.Zweierlei, so glaube ich, ist notwendig. Zum einen müssen wir noch mehr Wettbewerb wagen, d. h. uns gegen Konzentration wenden. Zum anderen müssen wir alles tun, damit neue Initiativen, damit mehr Anregungen, mehr struktureller Wandel gerade auch in den kleinen und mittleren Unternehmen stattfinden. Der Wettbewerb muß verstärkt werden, damit dieses System offenbleibt, damit neue Unternehmer eine Chance bekommen und damit es nicht zu einer verbraucherfeindlichen Konzentration kommt. Hier wird es zur ersten ordnungspolitischen Nagelprobe der Opposition kommen.Wir kennen die positive Unterstützung, die Herr Biedenkopf in der ersten Lesung zur Kartellnovelle angedeutet hat; wir wissen aber nach wie vor noch nicht, ob die CDU im Bundesrat bereit ist, ihre starken Bedenken gegen die zentralen Elemente der neuen Kartellnovelle abzubauen, ihre Bedenken gegen die neuen Vermutungstatbestände und gegen eine drastische Herabsetzung der sogenannten Anschlußklausel für kleine und mittlere Betriebe.Mehr Wettbewerb ist auch erzielbar durch Verbraucherpolitik. Gerade der Haushalt des Wirtschaftsministers leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, die andere Seite, die Verbraucherseite, zu stärken. Aus diesem Haushalt werden wichtige Beiträge geleistet für die Stiftung Warentest und für die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher. Wir haben — gegen die Stimmen der Opposition — im Haushaltsausschuß ein neues Verbraucherinstitut in Berlin gegründet, das ausschließlich die Aufgabe hat, sich um Multiplikatoren und um Verbraucherschichten zu kümmern, die durch die bisherige Verbraucherpolitik nicht angesprochen werden können.Das dritte — und hier möchte ich den Wirtschaftsminister ermuntern — ist eine bessere Verbraucherberatung im Energiebereich. Fünf Jahre nach der Ölkrise wäre es an der Zeit, daß die betroffenen Beamten und die verschiedenen Verbrauchereinrichtungen endlich zu tragfähigen und effizienten Konzepten zur Energienutzung sowohl im Haushalt als auch in den Kleinbetrieben kommen. Wir haben die Mittel zur Verfügung gestellt; sie können nicht voll abgerufen werden.Der zweite ordnungspolitische Schwerpunkt dieses Haushalts liegt bei der Strukturpolitik. Hierzu haben ja meine beiden verehrten Mitberichterstatter, Herr Waigl und Frau Simonis, bereits aus ihrer parteipolitischen Sicht sehr wesentliche Anmerkungen gemacht. Wir von den Freien Demokraten glauben, daß Strukturpolitik vor allem Hilfe zur Anpassung ist. Denn wenn wir einen fairen internationalen Interessenausgleich zwischen den unterschiedlich entwickelten Industrieländern herbeiführen müssen, muß sich die Bundesrepublik voll diesem Strukturwandel stellen.Daher liegt der Schwerpunkt auch in diesem Haushalt auf den aktiven Anpassungshilfen, auf Hilfen zu mehr Innovation, zu mehr Neuerung und Hilfen für neue Existenzen. Unsere klare Position ist, daß sich der Staat ausschließlich im Bereich der Rahmensetzung aufzuhalten hat und daß die Einzel-
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10192 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Dr. Haussmannentscheidung zur Strukturanpassung im Unternehmen selbst getroffen werden muß. Wir möchten keine Vermischung dieser beiden wesentlichen Zuständigkeiten. Deshalb ist es entscheidend, daß in diesem Haushalt 1979 des Bundeswirtschaftsministers ein wesentlicher Durchbruch erzielt werden konnte bei der Innovationsförderung für kleinere und mittlere Betriebe.Ich stimme hier Herrn Waigel überhaupt nicht zu. Er hat dies als Beispiel für eine nicht systemkonforme Wirtschaftspolitik genannt. Dies ist falsch. Denn was haben wir bisher, begonnen durch Forschungsminister der CDU? Wir haben fast ausschließlich eine direkte großtechnologiebezogene Forschungspolitik, die die Mittel zum überwiegenden Teil in die Großbetriebe fließen läßt. Was wir brauchen — das haben auch einige von Ihnen im Hearing zum Forschungsbereich unterstützt —, ist eine Verstärkung der indirekten Forschungsförderung für kleine und mittlere Betriebe.
— Wir haben dies geändert, Herr Wissmann, indem wir für 1979 erstmalig 300 Millionen DM gezielt für eine Unterstützung der Personalaufwendungen der kleinen und mittleren Betriebe einstellen. Ich halte dies für eine sehr wesentliche Sache. Gerade in Baden-Württemberg wird dies auch äußerst positiv aufgenommen.
Die Vorteile dieser neuen Methode liegen darin, daß zwei Drittel der Forschungsaufwendungen in kleinen und mittleren Betrieben Personalaufwendungen sind, so daß deshalb auch weitere Abschreibungserleichterungen wenig nützen können.Wichtig ist ebenfalls, daß die Gewährung dieser Personalzuschüsse äußerst schnell und unbürokratisch erfolgen kann. Das Wirtschaftsministerium hält sich hier völlig heraus. Es ist so, daß der Betrieb seine Aufwendungen anmelden muß, daß dies durch den Steuerberater testiert wird und daß eine Selbsthilfeeinrichtung der deutschen Wirtschaft, nämlich die AIF, diese Anträge prüft. Uns ist versichert worden, daß zwischen Antragstellung und Auszahlung dieser Zuschüsse ein Zeitraum von lediglich sechs bis acht Wochen verstreichen wird, was für die Prüfung in der Forschungsförderung ein sehr niedriger Wert ist.
— Es wird zu keinem Windhundsystem kommen, Herr Waigel, wenn Sie im Wirtschafts- und auch Ihre Kollegen im Haushaltsausschuß bereit sind, das in jedem Jahr anzupassen, falls eine erhöhte Nachfrage nach diesem Programm entsteht. Ich lade Sie heute schon ein, nach Ablauf dieses Jahres diese Methode zu prüfen.Wir meinen also, daß diese Personalzuwendungen die kleinen und mittleren Betriebe in ihrer Anpassungsfähigkeit wesentlich stärken werden und daß damit mehr Innovationen kommen. Wir haben dies — auch das ist wichtig — im Haushalt desWirtschaftsministers ergänzt durch eine beträchtliche Erhöhung der Mittel für die Gemeinschaftsforschung, durch Mehrzuwendungen für externe Vertragsforschung, für den Fall, daß ein kleines oder mittleres Unternehmen nicht selbst forscht, und durch eine Aufstockung des Erstinnovationsprogramms. Dadurch ist es zu einer wesentlichen Verschiebung zwischen direkter und indirekter Forschungsförderung gekommen, und wir halten dies in diesem neuen Haushalt für einen sehr großen Erfolg.Dies muß durch das neue Existenzgründungsprogramm ergänzt werden, d. h. durch gezielte Eigenkapitalhilfen. Ich glaube, dieses Programm wird noch im Frühjahr dieses Jahres zur Verfügung stehen, und es bildet zusammen mit der Innovationshilfe die wesentliche Klammer, damit mehr kleine und mittlere Betriebe entstehen und sich innovativ verhalten können.Anreize zur Anpassung und zur Neuerung, zur Hilfe für neue Existenzen dürfen aber nicht nur für einige Branchen oder einige wenige Großbetriebe, sondern müssen für alle kleinen und mittleren Unternehmen in allen Branchen erfolgen. Dies ist die eigenständige Strukturpolitik. Wir müssen nun darauf achten, daß die künftigen Zuwächse bei einer erfolgreichen Politik in diesem Bereich nicht durch zu viele Branchenhilfen oder neue Regionalprogramme verbaut werden. Weil Herr Waigel das angeschnitten hat, darf auch hier nicht verschwiegen werden, daß im Wirtschaftsausschuß bei der entscheidenden Abstimmung über diese neuen regionalen Hilfen die drei Vertreter seiner Fraktion mit Ja, Nein und mit Enthaltung gestimmt haben
— der Wirtschaftsausschuß hat in seiner Untergruppe „Gemeinschaftsaufgabe" darüber abgestimmt —, so daß auch aus unserer Sicht die Haltung der Union in dieser zentralen ordnungspolitischen Frage sehr ungenau ist.Bei all diesen neuen Forderungen nach Branchenhilfen und Regionalprogrammen müssen unseres Erachtens vier Dinge beachtet werden: Erstens: Veraltete Strukturen dürfen nicht künstlich konserviert werden. Zweitens: Der Wille zur Anpassung muß erhalten bleiben. Drittens: Wir dürfen in keinen Subventionswettbewerb eintreten, und zwar weder im internationalen Bereich noch im nationalen Bereich, d. h. in keinen Wettbewerb zwischen Ballungsgebieten und strukturschwachen Gebieten. Viertens: Bei allen neuen Programmen müssen wir beachten, daß es deutliche finanzpolitische Grenzen gibt.Ich fasse zusammen: Dieser Haushalt ist darauf gerichtet, mehr Initiative, mehr Anpassung, mehr Neuerungen auszulösen. Er stärkt die Position der Verbraucher und damit der Wettbewerbspolitik, und erhöht unsere Sicherheit im Energiebereich ganz wesentlich. Achten wir alle darauf, daß der Teil der aktiven Anpassungshilfen gegenüber den reinen Erhaltungshilfen zunimmt. Die FDP-Frak-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10193
Dr. Haussmanntion stimmt daher der Politik und dem Haushalt des Bundeswirtschaftsministers zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Biedenkopf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Simonis, wenn man von einer so charmanten Kollegin wie Ihnen als Kronzeuge bemüht wird, dann ist der Tag schon gelaufen. Ich bedanke mich.
Zur Sache. Ich kann die große Aufmerksamkeit, die offenbar ein Memorandum, welches sich um die nüchterne Analyse unserer Situation bemüh, bei den Sozialdemokraten findet, durchaus verstehen. In Ihren Reihen ist seit Jahren nichts Vernünftiges mehr geschrieben worden.
Schon aus diesem Grunde ist das verständlich.
Als Kronzeuge zitiert zu werden, hat im übrigenVorteile, wenn man seine Aufmerksamkeit gleich-mäßig verteilt, und darauf komme ich gleich zurück.Der Jahreswirtschaftsbericht — Herr Haussmann hat ihn schon angesprochen —, den wir im Zusammenhang mit der Beurteilung des Haushalts noch nicht diskutieren können, über den aber von dpa berichtet ist, stellt fest, wenn die Vorausmeldungen zutreffen, daß die Prognosen für 1979 günstiger seien. Das reale Wachstum soll mindestens 4 % betragen nach 3,5 % im Jahre 1978. Die Teuerungsrate — die moderne Formulierung für Inflation — soll nur geringfügig höher liegen als 1978, nämlich bei rund 3 %. Die Arbeitslosenquote soll deutlich unter der Marke von einer Million liegen, was sicherlich ein Fortschritt wäre. Der Außenbeitrag soll immer noch rund 30 bis 33 Milliarden DM betragen nach 35 Milliarden DM im Jahre 1978.Die Lage, so kann man auf Grund dieser Angaben feststellen, erscheint damit befriedigend. Aus diesem Grunde wird laut dpa im Jahreswirtschaftsbericht festgestellt — ich darf mit Genehmigung des Präsidenten aus der Meldung zitieren —:Damit bestehen für dieses Jahr begründete Aussichten auf weitere allmähliche Fortschritte bei der Lösung des zentralen wirtschaftspolitischen Problems, der schrittweisen Anhebung des Beschäftigungsstandes ohne Gefährdung des bei Stabilisierung des Preisniveaus erreichten Erfolges.Bestehen diese Aussichten wirklich? Kann die Regierung die Chance nutzen, die ihr durch eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage geboten wird? Diese Frage scheint mir entscheidend zu sein. Kannsie die Chance nutzen, die die Bürger ihr verschafft haben, denn — noch dpa —: „Der private Verbraucher ist im wesentlichen die Stütze für die konjunkturelle Entwicklung 1979." So soll es nach dpa im Jahreswirtschaftsbericht stehen. Vom Export gehen keine zusätzlichen Impulse aus, und von den öffentlichen Ausgaben allenfalls begrenzte, denn weitere Steuersenkungen, weitere Entlastungen der Bürger sind ja nicht geplant. Der private Verbraucher, die privaten Haushalte, die Bürger insgesamt erbringen eine Leistung, die uns eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage verschafft. Die zentrale Frage, vor der wir stehen, ist: Können wir diese Chance nutzen?Die Aussichten, daß wir diese Chance nutzen, sind gering. Obwohl die Regierung von einer Verbesserung des wirtschaftlichen Wachstums ausgeht, steigert sie die Verschuldung der öffentlichen Haushalte. Obwohl heute morgen von Herrn Löffler davon gesprochen wurde, daß die Steuerquellen wieder sprudeln, wird dieses bessere Sprudeln der Steuerquellen nicht als Chance begriffen, in eine Phase der Konsolidation einzutreten, die uns seit Jahren versprochen wird, sondern die öffentliche Verschuldung wird weiter gesteigert, um 20 °/o gegenüber den Istzahlen 1978.
Herr Löffler erklärt uns, daß immer noch die Voraussetzungen dafür gegeben seien, selbst die verfassungsrechtliche Verschuldungsgrenze aus gesamtwirtschaftlichen Gründen zu überschreiten, nämlich die Grenze der Investitionsausgaben. Ich kann jetzt eigentlich nur noch fragen: Welche Voraussetzungen im Bereich der Wirtschaft müssen eigentlich gegeben sein, damit nach Auffassung der Bundesregierung die verfassungsrechtliche Sperre gegen eine Überschuldung wieder wirksam wird?
Ganz offenbar hat man sich an eine Vorstellung von gesamtwirtschaftlichen Krisenlagen gewöhnt, bei der bereits die geringste Wellenbewegung als Krise ausgegeben wird; eine im übrigen vorzugsweise vom Bundeskanzler geübte Praxis, um seine Aktivitäten jeweils mit dem notwendigen Nachdruck auszustatten, gleichgültig worum es sich handelt. Die Chance der Konsolidation jedenfall wird nicht genutzt.Dieser Haushalt — und das schließt den Haushalt des Wirtschaftsministers ein — ist kein Ausdruck des Versuches, die sprudelnden Steuerquellen, die Leistungsbereitschaft der Bürger neu zu beantworten mit einer entsprechenden Bereitschaft zu Anstrengungen im Bereich der öffentlichen Haushalte. Nach wie vor wird die Politik fortgesetzt, die unser Kollege Haase heute morgen gegeißelt hat als eine Politik, die das Holz verfeuert, an dem sich eigentlich die Enkel wärmen sollten.
Daß dieser Verbrauch der Zukunftsressourcen seit Jahren stattfindet, ist inzwischen völlig unbestritten. Daß trotz einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage jetzt keine Tendenzwende im staatlichen Aus-
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10194 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Dr. Biedenkopfgabenverhalten eintritt, ist das eigentlich Bestürzende.
Weitere Gefahren werden im übrigen vom Wirtschaftsminister gesehen. Der Jahreswirtschaftsbericht erwähnt Gefahren für diese Entwicklung, und zwar Gefahren von außen: eine weitere Veränderung der Wechselkurse zu Lasten der deutschen Exportfähigkeit, Beschränkungen des freien Warenverkehrs oder Behinderungen der Energieeinfuhr. In allen drei Bereichen sind allerdings keine politischen Maßnahmen erkennbar, die diesen Gefahren entgegenwirken sollen. Das heißt, obwohl unsere kurzfristige Lage besser geworden ist, werden keine erkennbaren politischen Schritte unternommen, um sich jetzt auf die Abwehr von Gefahren vorzubereiten.Eine weitere Gefahr, die ebenfalls genannt wird, ist die Gefahr unvorhergesehener Kostenbelastungen der Unternehmen. Auch diese Gefahr wird festgestellt als eine mögliche Beeinträchtigung der prognostizierten Wirtschaftsentwicklung. Diese Gefahr kommt in erster Linie von den Lohnkosten, abgesehen von den öffentlichen Kosten, von den öffentlichen Gebühren und Abgaben. Wir haben in der Vergangenheit — kurz hinter uns — einen Tarifkonflikt gehabt, der neue Dimensionen, und zwar in verschiedener Hinsicht, hat erkennbar werden lassen. Die Tarifautonomie — so heißt es in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom Mai 1974 — ist für ihn, den Bundeskanzler — wir teilen diese Auffassung —, nur unter der Bedingung der Allgemeinwohlgebundenheit denkbar. Die Tarifautonomie ist aber auch nur dann denkbar, wenn die Regierung und die sie tragenden politischen Parteien die Auseinandersetzung unter den Tarifparteien als eine autonome Veranstaltung respektieren, und das heißt: auch sich heraushalten, d. h., nicht die Autorität der Regierung oder der sie tragenden Parteien auf die Waagschale einer der beiden streitenden Parteien legen.
Der Sachverständigenrat warnt seit Jahren die Bundesregierung und die politischen Kräfte davor, in den Tarifauseinandersetzungen der Tarifparteien zu intervenieren und damit das Ergebnis dieser Auseinandersetzungen zu verfälschen. Dies gilt für beide Seiten. Der Sachverständigenrat stellt fest, daß solche Interventionen zu einer Verfälschung des Ergebnisses der Auseinandersetzungen führen müssen und daß damit die Tarifautonomie und die Lösung der Verteilungsprobleme durch die Tarifautonomie im Sinne einer freiheitlichen Gesellschaft gefährdet werden.In den letzten Tarifkonflikt hat die Bundesregierung nicht direkt eingegriffen. Aber sie hat eingreifen lassen durch die größere der beiden Regierungsparteien, die Sozialdemokraten, ohne daß der Bundeskanzler als stellvertretender Vorsitzender der SPD in irgendeiner Weise diesen Eingriff aufgehalten oder kritisiert oder wenigstens deutlich gemachthat, daß dieser Eingriff nicht der Regierung und der Macht, mit der die Regierung handelt, zugerechnet werden darf. Auf dem SPD-Europaparteitag ist neben Europa ganz eindeutig mit der Tendenz auf den Tarifkonflikt argumentiert und beschlossen worden.Es besteht überhaupt kein Zweifel, daß die Sozialdemokraten im Begriff sind, das Konzept der Einheitsgewerkschaft zu unterlaufen, um auf diese Weise eine Veränderung der Inhaber der Regierungsmacht und damit der Machtverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern. Niemand anders als Bruno Friedrich hat sich kürzlich dazu geäußert. Er hat festgestellt, die Arbeitnehmerpartei SPD brauche die Gewerkschaften, um den Kontakt zu den Arbeitnehmern wiederherzustellen.
Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich zitieren: Fn einer Zeit, in der die Parlamente— so sagt Bruno Friedrich —immer mehr von Beamten geprägt werden und immer weniger Menschen aus der gewerblichen Wirtschaft als Volksvertreter wirken können, halten wir es für gut, uns auch über die Vertreter der Arbeitnehmer in den Gewerkschaften wieder der Bevölkerung anzunähern.
— Eine ungewöhnliche Formulierung für die SPD als Arbeitnehmerpartei! —
Wir wollen wissen,— heißt es weiter —wie es in den Betrieben aussieht,— offenbar weiß man das in der SPD nicht mehr —
wenn wir Gesetze machen in der Europäischen Gemeinschaft.Das gleiche gilt, da es sich um dieselbe Partei hangelt, natürlich auch für die Gesetze, die hier gemacht werden.Was hier als ein strategisches Konzept erkennbar wird, ist der Versuch, den Gedanken in der Einheitsgewerkschaft zu unterlaufen und die Organisationen der Gewerkschaft für die Zwecke der Sozialdemokratischen Partei nutzbar zu machen. Was das für die 40 % Organisierten bedeutet, die CDU-Wähler sind und die, wenn sie Herrn Bruno Friedrichs Ausführungen, der ja immerhin zu den Strategen der Sozialdemokratischen Partei gehört, lesen, davon ausgehen müssen,
daß diese Instrumente etwa der betrieblichen Mitbestimmung ebenfalls politisiert werden, und was das für den sozialen Frieden bedeutet, brauche ich dem Hohen Haus kaum darzulegen. Es ist eine gefährliche Entwicklung für die soziale Sicherheit, aber auch für die soziale Stabilität in unserem Land, wenn
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Dr. Biedenkopfdies unwidersprochen bleibt und fortgesetzt werden kann.
Wer das Konzept der Einheitsgewerkschaft mit der Begründung in Frage stellt, er habe selber den Kontakt zur Arbeitnehmerschaft verloren und könne ihn nur über die Organisationen der Gewerkschaft wiederherstellen, hat weder das Recht, sich Arbeitnehmerpartei zu nennen, noch das Recht, die Opposition der Gefährdung des sozialen Friedens in der Bundesrepublik Deutschland zu beschuldigen, der ganz wesentlich auf einer intakten Einheitsgewerkschaft aufbaut.
Regierung und Koalitionsparteien können aber die gebotene Chance einer Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung gar nicht nutzen. Denn die Nutzung dieser gebotenen Chance setzt politische Führung und langfristige Konzeption voraus, und beides ist in SPD und FDP ebensowenig vorhanden wie in der Regierung, die diese Parteien tragen.Sie haben mich vorhin dadurch ausgezeichnet, verehrte Frau Kollegin Simonis, daß Sie mich als Kronzeugen benannt haben. Nun ist es bei Zeugenaussagen so, daß ein Zeuge entweder glaubwürdig oder nicht glaubwürdig ist. Eine partielle Glaubwürdigkeit gibt es bei Zeugenaussagen nicht. Ich würde Ihnen also empfehlen, das von Ihnen zitierte Memorandum über die Passagen hinaus, die Sie so erfreuen, weiterzulesen und das, was dort steht, in der gleichen Weise dem Kronzeugen zuzurechnen und damit ja offenbar als zutreffend zu akzeptieren. Dort steht nämlich, daß weder der Kanzler noch die Regierung noch die sie tragenden Parteien über langfristige Perspektiven verfügen.
Ich kann nur sagen, daß ich aus Ihrer Feststellung mit Freude den Schluß ziehe, daß Sie auch dem zustimmen.
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Und dann kamen plötzlich die Arbeitnehmerinteressen; als ob nur die Sozialdemokraten Arbeitnehmerinteressen vertreten könnten, was Ihnen, wie Herr Friedrich sagt, ohnehin nur noch über die Betriebsräte möglich ist, die im übrigen diese Subventionen wollen.
Das Problem ist: Diese Führungslosigkeit ist nicht nur ein Abstraktum, sondern eine konkrete Gefahr. Wo sich diese Gefahr zur Zeit am meisten manifestiert, ist das Ruhrgebiet. Im Ruhrgebiet mit rund6 Millionen Einwohnern haben wir seit jetzt fast zehn Jahren eine dauernde Abwärtsentwicklung, relativ gesprochen. Wir haben die höchste Arbeitslosigkeit, wir haben Arbeitsamtsbezirke mit bis zu 8% Arbeitslosigkeit, wir haben eine durchschnittliche Arbeitslosigkeit von mehr als 6 °/o und eine längere Dauer der Arbeitslosigkeit als anderswo. Wir haben Wachstumsverluste im Ruhrgebiet. Das Wachstum des Ruhrgebiets bleibt hinter dem Durchschnitt der Bundesrepublik Deutschland zurück. Trotz immer wieder neu vorgelegter Versprechungen und eines Agierens der Landesregierung und der Bundesregierung, die ja beide von der gleichen Koalition getragen werden, ist es in den letzten zehn Jahren nicht gelungen, die Monostruktur des Ruhrgebiets zu überwinden. Noch immer werden 48 % der industriellen Arbeitnehmer im Revier von der Montanindustrie beschäftigt. Die Dienstleistungen liegen weit unter dem Durchschnitt, nämlich statt bei 46 bei 40 %. Die Zusammenhänge zwischen der Perspektivenlosigkeit einer Politik, die dort, wo immer sie kann, Machtbesitzstände erhält, und dieser Entwicklung sind offensichtlich. Das, was der Ministerpräsident Rau jetzt kürzlich im Nachgalopp zur CDU-Fraktion des Landtages an Vorschlägen für das Revier vorgelegt hat, ist nicht viel besser als die Rede, die er hier vor dem Bundestag zu energiepolitischen Problemen gehalten hat.
Es ist wenig brauchbar und zeigt, daß man überhaupt nicht begriffen hat, worum es geht: daß der enge Zusammenhang zwischen einer verfilzten politischen Struktur und Machtbesitzständen an dieser Struktur und der wirtschaftlichen Entwicklung letztere unmöglich macht, solange nicht der politische Mut besteht, das zu tun, was wiederum der Bundeskanzler selbst für notwendig gehalten hat, nämlich diese Verfilzung aufzubrechen.
Mir wäre wohler, wenn ich wüßte, daß die Regierung jetzt fest entschlossen wäre, die leichte Verbesserung der wirtschaftlichen Lage zu nutzen, um ein Problem zu lösen, das andernfalls in wenigen Jahren die gesamte wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik gefährdet: das Zurückfallen einer Industrieregion einzuhalten und die Entwicklung dort umzukehren, wo 6 Millionen Menschen leben, d. h. mehr Menschen als in Hessen und im Saarland zusammengenommen. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wie sie jetzt verläuft, dann wird nicht nur das Ruhrgebiet, sondern ganz Nordrhein-Westfalen ein dauerhafter Kostgänger des Bundes, und dann wird ein wirtschaftliches Gefälle, auch ein Belastungsgefälle, entstehen, auf Grund dessen die Arbeitnehmer in Baden-Württemberg oder in Hessen eines Tages fragen werden, warum sie eigentlich mit ihren Steuergeldern Subventionen zahlen und Strukturen erhalten sollen, die nur deshalb erhalten werden, weil sich die Kommunalpolitik und die Machtverfilzung im Ruhrgebiet von tradierten Besitzständen nicht trennen können.
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Dr. BiedenkopfDies ist keine allgemein politische, sondern zu einem wesentlichen Teil eine wirtschaftspolitische Aufgabe.Wir müssen gerade im Interesse der gesunden Fortentwicklung unseres Landes den Wirtschaftsminister dazu auffordern, daß er jetzt in einer Phase der Stabilisierung zwei Aufgaben anpackt: die Chance zur Konsolidation zu nutzen und die Chance zu nutzen, die sich jetzt anbietet, strukturelle Gefälle im Bereich der Verteilung von Wohlstand in unserem Lande abzubauen und endlich dazu zu kommen, daß auch die größte Industrieregion der Bundesrepublik Deutschland wieder eine wirkliche Zukunft hat.Kein Mensch bestreitet, daß es zum Wohle unseres Volkes und seiner arbeitenden Bevölkerung, zum Wohle der Unternehmer, der Gewerbetreibenden, der Selbständigen ist, wenn sich die wirtschaftliche Lage stabilisiert. Aber wenn wir über Politik reden, reden wir nicht über die Administration des Tages, sondern über die Führung in die Zukunft. Wenn jedoch weder SPD noch FDP Auskunft über das geben oder geben wollen oder geben können, wie Herr Eppler es selbst gesagt hat, was sie eigentlich mit den Instrumenten anfangen wollen, die sie dauernd fordern, wenn die Regierung nicht sagen kann, wie sie sich die mittelfristige Konsolidation der Haushalte unter den gegenwärtig günstigen Bedingungen eigentlich vorstellt, dann wird uns diese Führung verweigert. Die Chance, die wir haben, muß genutzt werden. Wir sehen im Augenblick keinen Ansatzpunkt für die Hoffnung, daß sie auch genutzt werden wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Ab- i geordnete Roth. .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Szene der Wirtschaftsdebatten im Deutschen Bundestag hat sich verändert: Hatten wir die letzten Jahre Sonthofener Votivbilder mit Blitz, Donner, Mord und Totschlag, d. h. gewaltige Krisengemälde von Herrn Strauß, so ist die Szene jetzt hingeschoben worden zur Stimmung einer Wagneroper: wolkig,
die Requisiteure der Ordnungspolitik blasen Rauch auf die Bühne,
die Darsteller werden immer unklarer, die Stimmen dadurch allerdings nicht besser.Für uns, Herr Vorredner, war es am erhebendsten, als Sie in Ihrer Rede dreimal als Sprecher der Opposition in Richtung auf die Koalition „Führung" verlangt haben.
Die Erheiterung im deutschen Volk, meine Damenund Herren von der Opposition, wird, wenn Siedas in Richtung auf den Herrn Bundeskanzler sagen, angesichts der Führungsprobleme der letzten Wochen in Ihrer Partei total sein. Wir werden es zu ertragen wissen.Wir alle sind — das freut mich — übereinstimmend der Auffassung, daß sich die wirtschaftliche Entwicklung gebessert hat, daß die Investitionstätigkeit aktiviert wird. Es ist also nicht mehr möglich, von der großen Verwerfung, von der großen Krise in unserem Lande auszugehen.Das Kabinett hat heute im Jahreswirtschaftsbericht die Aussichten auf das Jahr 1979 beschlossen.
Man erwartet ein Wachstum des Bruttosozialprodukts von 4 %, eine Preissteigerungsrate von weiterhin niederen 3% und eine weitere Ermäßigung der Arbeitslosenquote auf 4 °/o.Ich halte diese Aussichten für insgesamt positiv:
— Verzeihen Sie, Sie können hier schreien, soviel Sie wollen; ich weiß, warum Sie es tun:
weil Sie nämlich in den letzten Jahren den großen Zusammenbruch der westdeutschen Wirtschaft an die Wand gemalt haben und nun vor dem Zusammenbruch Ihrer eigenen Argumentationsketten stehen!
Aber wir sind da ganz anders. Wir gehen jetzt nicht her und konstruieren aus den positiven Kennzeichen, daß die Zukunft problemlos sei. Ich sage hier ganz ausdrücklich bei der Diskussion über den Haushaltsplan 1979, daß wir schwierige, uns bedrängende strukturelle Probleme in unserem Lande haben.Erstens. Die Arbeitslosenquote variiert von unter 2 % bis nahezu 10 % zwischen den Arbeitsamtsbezirken in unserem Lande.Zweitens. Wir haben ein großes ungelöstes Problem bei der Beschäftigung der Frauen. Wir wollen etwas tun gegen die steigende Frauenarbeitslosigkeit.
— Ich komme dazu noch.Drittens. Wir haben im strukturellen Bereich sektoral Probleme bei den Werften, immer noch beim Stahl, in der Luftfahrtindustrie und in verschiedenen kleineren Branchen.
Viertens. Es gibt regionale Probleme: Küstenländer, Ruhrgebiet.Fünftens. Es gibt ein generelles Problem: Die Produktivitätsentwicklung in der Wirtschaft ist schnel-
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10198 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Rothler als das Wirtschaftswachstum seit dem Jahre 1972.Das sind konkrete Problemstellungen, die wir angehen müssen. Ich glaube, diese konkreten Problemstellungen kann man nicht angehen, indem man ordnungspolitischen Rauch in die Landschaft bläst. Hier gibt es einen ganz praktischen staatlichen und gesellschaftlichen Handlungsbedarf. Hier ist nicht die Entstaatlichung notwendig, sondern die Zusammenarbeit zwischen dem Staat auf der einen Seite und der Wirtschaft auf der anderen Seite. Hier wäre endlich das Bekenntnis der CDU/ CSU notwendig, daß wir in einer gemischten Wirtschaftsordnung leben, in der der Staat und seine Handlungen genau dieselbe Bedeutung haben wie die Wirtschaftssubjekte, wie die Unternehmen und die vielfältigen Konsumenten und Verbraucher.Ich glaube, die schrittweise Überwindung der Krise auf konjunktureller Ebene seit 1974 hat gezeigt, daß dieses Zusammenspiel von Staat und Wirtschaft funktionieren kann, wenn man das nur will. Ich erinnere daran, daß selbst der Sachverständigenrat in seinem Gutachten vom letzten Jahr bekennen mußte, daß die Nachfragestärkung aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm einen großen wirtschaftspolitischen Erfolg darstellt. Meines Erachtens geht Ihre Konzeption der Entstaatlichung an dieser ordnungs- und auch konjunkturpolitischen Realität vorbei. Die Verflechtungen zwischen Staat und Wirtschaft sind nicht mehr aufhebbar, sie sind nur noch gestaltbar, weil sie schon seit Jahrzehnten zur Tradition dieser Wirtschaftsordnung geworden sind.
Die staatlichen Maßnahmen als unzulässig zu bezeichnen und Entstaatlichung zu fordern bedeutet in der Regel nur, daß man zu spät und rein reaktiv, d. h. rein nachholend und nachschauend darauf antwortet. Nach meiner Überzeugung hat die CDU/CSU einen enormen ordnungspolitischen Nachholbedarf in der richtigen Einschätzung der Realität unserer Wirtschaftsordnung.
Frau Simonis hat zu Recht darauf hingewiesen, wie jetzt Ihre beiden Ministerpräsidenten Albrecht und Stoltenberg der Subvention beim Bund nachrennen, und anschließend sagt Herr Biedenkopf, Entstaatlichung sei die Devise der Zeit.
Bringen Sie das doch zueinander!Wir werden die Modernisierung der Küstenregionen auf breiter Front anpacken, nicht nur durch Werftsubventionen, sondern durch vielfältige Programme der Strukturverbesserung, wobei wir genau auf Initiativen der Unternehmen abstellen.
Ich gebe als Koalitionssprecher zu bedenken, ob es nicht sinnvoller wäre, wenn wir im Wirtschaftsausschuß, in der Öffentlichkeit — das heißt, Opposition und Koalition — das Kritische, das rein Strukturerhaltende an den Subventionen, die geplant sind,stärker herausstellten und in einen Wettbewerb der Ideen träten, wie eine strukturoptimistischere, strukturfortschrittlichere Politik für die Küste entwickelt werden kann. Davon habe ich in der Rede von Herrn Biedenkopf kein Wort, nicht die Andeutung gehört,
außer der Führungsforderung an den Bundeskanzler. Bitte, die wird kommen!
Dasselbe zum Ruhrgebiet. Ich akzeptiere die Hinweise über die Schwierigkeiten im Ruhrgebiet, wobei man da sehr differenzieren muß. Es gibt Bereiche — östliches Ruhrgebiet —, wo Bergbau und Stahl in der Vergangenheit nicht so dominiert haben, wo in den letzten Jahren gerade ein sehr positives Wirtschaftswachstum zu vermerken ist. Aber wir zahlen die Zeche einer Strukturverwerfung auf Grund internationaler Wirtschaftsbeziehungen in anderen Teilen des Ruhrgebiets. Herr Professor Biedenkopf, ich vermute, Sie haben Ihren Wahlkreis immer noch in Bochum. Man weiß das ja nicht ganz genau. Sie sind in letzter Zeit so global geworden. Wenn ich die Bundesregierung als Opposition wegen ihrer Ruhrgebietspolitik kritisiere, dann muß ich Punkt für Punkt aufzählen, was ich besser machen würde, und Sie haben nichts gesagt!
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion — das wird während dieser Tagesordnung abgewickelt werden — wird zusammen mit dem Koalitionspartner die Regierung auffordern, ein Konzept für die Stahlregionen zu schaffen. Da geht es um Infrastrukturverbesserungen genauso wie um Verbesserungen im Freizeitsektor, wie um die Verbesserung der Investitionschancen für kleine und mittlere Unternehmen.Meine Damen und Herren, besser als das Ordnungspathos, besser als die Scheinpolarisierung, die hier von meinem Vorredner entwickelt wurde, ist praktische Arbeit zur Strukturverbesserung. Da wir wissen, daß regionale Strukturpolitik
nur zwischen Bund und Ländern zu machen ist, wäre es besser, wenn man hier nach einem Allparteienkonsens zur Strukturverbesserung suchte. Das würde auch die Kolleginnen und Kollegen der Gewerkschaften mehr interessieren.
Sie laufen gerade durch Ihre konzeptionellen Ansätze einer praktischen Politik hinterher.Dasselbe ordnungspolitische Problem mangels Klarsicht haben Sie bei einem anderen Gebiet. Sie erkennen nicht, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland eine gespaltene Wirtschaftsordnung haben. Wir haben einen Wettbewerbsbereich mit kleinen und mittleren Unternehmen, der gut funktioniert, der andere Instrumente braucht als die Großwirtschaft, der vermachtete Bereich, wo eben keine
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10199
RothWettbewerbspreise sind, wo Machtprozesse eine we sentliche Rolle spielen, wo strategische Preise gesetzt und deshalb die Anpassungsprozesse unterbrochen werden.
Diese Spaltung der Wirtschaftsordnung spielt bei Ihnen keine hinreichende Rolle. Alles wird unter einem dicken Mantel der Marktwirtschaft verhängt, und alle konkreten Probleme verschwinden darunter;
Sie werden dann nur noch vage und fordern ordnungspolitische Neubesinnung, statt ganz konkrete Alternativen zu bieten.Ich darf ein afrikanisches Sprichwort zitieren, das sagt —
— Sehen Sie, so einfach machen Sie es sich. Statt daß Sie die. Ohren aufmachen
und die Argumente und Hinweise einer anderen Kultur ernst nehmen, beginnen Sie schon ängstlich zu werden, wenn ich den Satz anfange.
Dieses Sprichwort lautet: Wenn die Elefanten kämpfen, dann wächst kein Gras mehr. Das kann man in der Wirtschaftspolitik wahrhaftig gut anwenden. Wenn die Elefanten kämpfen, dann wächst kein Gras mehr.
Aber man kann auch ein anderes sagen: Wenn die Elefanten sich lieben - sprich VEBA und BP —, dann wächst auch kein Gras mehr.
Wenn ich diese beiden Aspekte zusammenfasse, dann ist etwas ganz Wesentliches erkannt. Man darf die Reaktionen und Aktionen der Großwirtschaft nicht unter einer Ideologie der Marktwirtschaft verdecken, sondern muß die Handlungen der Großwirtschaft exakt kontrollieren. Dazu gibt es bei Ihnen kein Wort.
Im Wettbewerbsbereich, in den Märkten, in denen kleine und mittlere Unternehmen konkurrieren, sind die Anpassungsprozesse vom Staat eher durch Rahmenbedingungen zu unterstützen. Im vermachteten Bereich brauchen wir unmittelbare Eingriffe.Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. Die Textilwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland steht seit Jahren unter einem heftigen Anpassungsdruck. Aber Respekt vor den Leistungen der kleinen und mittleren Unternehmen in diesem Bereich!
Die Modernisierung hat geklappt. Also hier Anpassungshilfen auf indirekte Weise.
Der Stahl, der Schiffbau sind ebenfalls in einem Anpassungsdruck. Aber hier . gibt es keine ausreichende Anpassungswirkung, sondern den Versuch, abzublocken; Strukturverbesserungen werden aus dem Unternehmen heraus mit verhindert. Das ist ein Sachverhalt, und darauf muß sich die Politik einstellen und nicht alles verdecken. Markt bedeutet Anpassung. In diesem Falle bedeutet Markt zur Zeit keine Anpassung, sondern Konkurrenz um Subventionen. Dies ins Bewußtsein zu bringen ist notwendigDasselbe gilt für die Forschungspolitik. Die Alternative, die Sie sagen — indirekte Forschungspolitik ja und direkte Forschungspolitik nein —, ist falsch. Bei kleinen und mittleren Unternehmen kann man mit indirekten Hilfen vernünftig steuern und helfen. Bei großen Unternehmen, muß Juan mit direkter Forschungspolitik agieren: Auch hier zeigt sich, daß Wettbewerbsbereich und vermachteter Bereich zwei Dinge sind, die man genau unterscheiden muß.In diesem Zusammenhang ist kein Einwand in der Richtung möglich, ich würde unterschätzen, daß im vermachteten Bereich auch Konkurrenz sei. Natürlich gibt es Konkorrenz zwischen den Elefanten. Aber das ist kein stetiger Wettbewerbskonkurrenzdruck mit Preis- und Qualitätsanpassung, sondern in der Regel ein Machtkampf.Ich behaupte, daß wir in der Vergangenheit in der Konjunkturpolitik manchmal die Differenzierung zwischen kleinen und mittleren Unternehmen — dem Wettbewerbsbereich — und dem vermachteten Bereich nicht hinreichend geschafft haben. Hochzinspolitik .zur Preisstabilisierung,, wozu sich schon wieder ein erster Schimmer andeutet, ist von den großen Elefanten ganz leicht zu verdauen, aber von den kleinen und mittleren Unternehmen schwer zu ertragen. Wenn die Sozialdemokratische Partei in ihrem Programm sagt, wir brauchen eine strukturelle Differenzierung der Konjunkturpolitik, um feiner zu steuern, dann nicht zuletzt, um den kleineren und den mittleren Unternehmen Entlastung zu bieten. Darum geht es!Eine meiner Vorrednerinnen hat gesagt, in der Vergangenheit sei es vielleicht so gewesen, daß zuwenig für kleine und mittlere Unternehmen geschehen sei. Ich muß sagen — und das sage ich anerkennend in Richtung Wirtschaftsministerium und Finanzministerium —, die Bemühungen der letzten zwei, drei Jahre, in denen ich die Ehre habe, dem Bundestag anzugehören, in dieser Richtung sind außerordentlich positiv, und gerade im Jahr 1979 brauchen wir uns nicht zu verstecken.
Erstens. Die Neueinführung einer Forschungsförderung im Personalbereich, vor allem zurückzuführen auf eine Initiative von Herrn Haussmann, ist im Etat fixiert. Zweitens. Im ERP-Bereich haben wir eine Verbesserung der Existenzgründungsdarlehen. Drit-
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10200 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Rothtens. Wir werden in diesem Jahr ein Programm durchsetzen; durch das Risikokapital für Neugründungen bereitgestellt wird. Viertens. Wir haben erhebliche positive steuerpolitische Beschlüsse gefaßt, die seit 1. Januar 1979 wirken, und weiteres kommt hinzu. Fünftens. Wir haben erhebliche Verbesserungen bei der Entwicklungs- und der Forschungsinvestitionsförderung. Das sind fünf Programmpunkte, die in diesem Etat stecken, und ich glaube, es ist sinnvoll und notwendig, dies hier heute zu sagen.
Auf der anderen Seite haben wir im realen Bereich immer wieder Gegenbewegungen, die gegen kleine und mittlere Unternehmen gerichtet sind und Konzentration bedeuten. Hier bitte ich genau hinzuhören; ich zitiere jetzt — frei, aber leicht nachzulesen - aus dem „Manager-Magazin" den Herrn Bennigsen - Foerder, der ja Ihrer Partei angehört. Er ist gleichwohl Manager eines öffentlichen Unternehmens und sagt: Wir mußten im Handelsbereich und anderswo' konzentrieren, zukaufen, denn wir mußten ja unseren Konzern diversifizieren.Das ist ein ganz gefährliches Argument. Wenn jeder Großkonzern, der Branchenprobleme hat, seine Branchenprobleme dadurch lösen will, daß er gesunde Branchen mit viel Geld aufkauft, bedeutet das einen ständigen Konzentrationsprozeß.
Meine Damen und Herren von der CDU, machen Sie also mit bei der Verbesserung der Wettbewerbsgesetzgebung, die in dieser Legislaturperiode ansteht! Hier ist ganz konkrete ordnungspolitische Leistung möglich, die Sie wahrscheinlich — jedenfalls vermute ich das — wieder verweigern werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Immer!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön.
Herr Kollege, Sie stellen gerade darauf ab, wie schädlich es ist, wenn große Unternehmen durch Zukauf gesunder kleiner Unternehmen ihre Probleme zu lösen versuchen. Darf ich Sie fragen: Wie beurteilen Sie denn die Mittelzufuhr an Salzgitter, die im Haushaltsausschuß ausdrücklich mit dem Hinweis begründet worden ist, Salzgitter solle in die Lage versetzt werden, zu diversifizieren?
Herr Haase, schlicht und einfach so, wie ich es hier ausgeführt habe: Ich halte es für problematisch, daß Großunternehmen Konzentrationsprozesse vor allem durch Diversifizierung begründen. Ich halte das für problematisch, bezogen auf die marktwirtschaftliche Steuerungsmöglichkeit. Ich habe diesen Sachverhalt — der eine oder der
andere hat es gehört — auch bei einem Podiumsgespräch angesprochen, bei dem Kollegen auch der CDU/CSU anwesend waren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten .Grobecker?
Bitte.
Herr ,Kollege Roth würden Sie die Freundlichkeit haben, dem Kollegen Haase mit-zu teilen, daß die Kapitalzuführung für Salzgitter deshalb in diesem Haushaltsplan steht, weil Salzgitter seit Jahren unterkapitalisiert ist, und daß das nichts mit dem Zukauf anderer Firmen zu tun hat?
Sehen Sie, die Motive sind sicherlich vielfältig. Ich halte es nicht für sehr sinnvoll, in die Details eines Unternehmens einzusteigen, es sei denn, wir führen hier Diskussionen über die großen Unternehmen in diesem Lande schlechthin. Ich bin gern dazu bereit und werde mich entsprechend vorbereiten. — Herr Biedenkopf nickt; dann können wir ja hier einen Austausch machen.Herr Biedenkopf, Sie haben viel über Konzeptionen geredet. Wir stehen am Anfang des Jahres 1979. Wenn dieses Jahr 1979 in die Wirtschaftsgeschichte eingeht, dann deshalb, weil die Neuordnung der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen ansteht, durch UNCTAD, durch Lomé, durch viele andere Dinge auf internationaler Ebene, beispielsweise auch die GATT-Runde. Aber in Ihrer Haushaltsrede zur Wirtschaftspolitik am Anfang des Jahres 1979, in der Sie andere mahnen, sie hätten zu wenig Konzeptionen, findet sich kein einziges konzeptionelles Wort zur internationalen Wirtschaftspolitik — wahrhaft provinziell, Herr Biedenkopf!
Sie passen sich an andere Stile durchaus an. Wahrhaft provinziell!Wir als sozialdemokratische Fraktion werden die Bemühungen der Bundesregierung unterstützen, im Jahre 1979 zu vernünftigen Rohstoffvereinbarungen zu kommen, den Ressourcen-Transfer zu den Entwicklungsländern zu verbessern, die Handelspolitik positiv weiterzuentwickeln, d. h. Märkte offenzuhalten, einen Technologie-Transfer in Entwicklungsländer herzustellen und schließlich auch eine Verbesserung von Kreditspielräumen durchzusetzen. Wir halten die Bemühungen der Bundesregierung auf diesem Gebiet für gut und unterstützen sie im Detail.Wir als Sozialdemokratische Partei Deutschlands und als Bundestagsfraktion werden auch versuchen, eine große konzeptionelle Diskussion über diese Fragenkreise im Jahre 1979 zu beginnen. Wir sind stolz,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10201
Rothdaß der Vorsitzende unserer Partei von der Weltbank und der internationalen Öffentlichkeit aufgefordert wurde, einer Kommission vorzustehen, die gerade auf diesem Gebiet den Ausgleich zwischen der entwickelten Welt, den Industriestaaten, und den Entwicklungsländern fördern soll. Ich bin traurig, daß die Scheinpolarisierung in unserem Lande diese gewaltige Aufgabe verdrängt, die nun in der Tat die Anstrengungen aller Parteien hervorrufen müßte. Es tut mir leid, daß heute keine Möglichkeit bestand, zu der Position der Opposition in diesem Fragenkreis Stellung zu nehmen, weil hier schlicht Schweigen war.Vorhin wurde kurz über Europa gesprochen. Es wurde unterschwellig wieder gesagt, dadurch, daß Herr Vetter, Herr Loderer, Herr Hauenschildt und andere Gewerkschafter für die Sozialdemokratische Partei in Europa kandidierten,
sei die Einheitsgewerkschaft bedroht. Hierzu möchte ich zweierlei sagen. Erstens wäre es doch schön, wenn die CDU/CSU aus ihren Reihen für die Liste für Europa endlich prominente, fähige Gewerkschafter fände und aufstellte.
— Soll ich Ihnen Hinweise geben? Es gibt ein paar, vor denen ich gewaltigen Respekt habe. Manchmal wurde ich in Düsseldorf ganz schön auch von Damen oder Herren aus Ihrem Bereich 'rangenommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rawe?
Zweitens ist es doch nicht unsere Schande, sondern Ihre, daß Sie auf den ausgetrockneten Uraltadel Europas zurückgreifen müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Sie brauchen nur die Frage, die ich an Sie richte, zu beantworten. — Herr Rawe, nehmen Sie bitte Platz; Herr Abgeordneter Roth gestattet keine Zwischenfrage.
— Nehmen Sie bitte Platz, Herr Abgeordneter Rawe!
Ich bin am Schluß meiner Rede, deshalb lasse ich jetzt keine Zwischenfrage mehr zu.
Sie wollen, wie ich gehört habe, die Europawahlkampfbewegung wieder mit dem Slogan „Freiheit statt Volksfront" beginnen. Nun, wir werden dann ganz gern antworten: „Vetter statt von Habsburg". Ich glaube, das ist für die Arbeitnehmer in diesem Lande ein besserer Slogan als Ihrer.
Wir haben in diesen Tagen im Gegensatz zu Ihnen, Herr Biedenkopf, allen Grund, den deutschen Gewerkschaften für ihre vernünftige Tarifpolitik zu danken. Der Abschluß, der in der Metallindustrie in Hessen gelungen ist, ist international und • national vorbildlich.
Wir Sozialdemokraten mischen uns nicht in einzelne Tarifbewegungen ein, aber wir sagen, was langfristig erwünscht und notwendig ist. Das ist beispielsweise die 35-Stunden-Woche, wobei der konkrete Kampf, die konkrete Auseinandersetzung und der konkrete Vertrag allein von den Tarifpartnern gemacht werden. Da mischt sich die SPD nicht ein.
Das ist hier sogar kritisch in Richtung auf den Bundeskanzler gesagt worden.
Der Bundeskanzler hatte allen Grund dafür, und er hat viel Vernunft gezeigt, als er im Stahlstreik und in die Stahlauseinandersetzung nicht eingegriffen hat.
Aber es wäre Ihnen wirklich kein Stein aus der Krone gefallen, wenn Sie heute hier einmal Ihre alte Gewerkschaftsfeindlichkeit abgelegt hätten, Herr Biedenkopf,
und an Hand des Tarifabschlusses in Hessen, der stabilitätspolitisch, wirtschaftspolitisch und beschäftigungspolitisch vernünftig ist, die deutschen Gewerkschaften gelobt hätten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Sie werden das -verstehen: Ich habe die Absicht, die Unterhaltung über den Adel, den Ur- oder den Uraltadel auf heute abend bei einem Glas Mosel zu verschieben. Das ist besser, als das hier zu tun.
Das scheint mir kein so drängendes Thema zu sein.
Aber solange der CSU-Spruch gilt, .den ich heute gelesen habe, „Hast du einen Opa, schick' ihn nach Europa!", ist ein jüngerer Gewerkschaftler da vielleicht hilfreicher.
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10202 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffIch möchte mich bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses und bei den Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses dafür bedanken, daß sie bei den Haushaltsberatungen für das Bundeswirtschaftsministerium mit viel Engagement und mit großem Entgegenkommen den Notwendigkeiten und Erfordernissen der Wirtschaftspolitik Rechnung getragen haben. Ich nenne drei für mich wichtige Schwerpunkte — es sind nicht die alleinigen —: die Mittel für die Förderung von Forschung und Entwicklung, die Mittel für die Verbraucheraufklärung im Energiesparbereich und die Mittel für das Aufstocken der Rohölreserve. Alle drei Haushaltspositionen sind neu, und für alle drei möchte ich mich bedanken. Ich möchte mich auch dafür bedanken, daß wir hier eine Debatte über den Haushalt des Wirtschaftsministeriums geführt haben, die gegenwartsbezogen war, auf die Zukunft gerichtet Versuche unternommen hat und in der keine Vergleiche zum Jahr 1961 und den 50er Jahren angestellt wurden, wie wir das heute vormittag gehört haben, was ich überhaupt nicht für hilfreich halte. Dem Kollegen Waigel, der sich aus dieser Arbeit verabschiedet, sage ich für die letzten Pralinen, die er überreicht hat, herzlichen Dank. Ich werde mir erlauben, sie ohne eine Füllung mit E 605 zurückzugeben. Im übrigen werde ich mich bemühen, es der Frau Kollegin Simonis gleichzutun, in solcher Geschwindigkeit so viel Vernünftiges zu sagen. Ob mir das in 30 Minuten gelingt, weiß ich nicht.Der Kollege Biedenkopf hat gesagt, ich hätte mit Verzückung von den breiten Schultern des Bundeskanzlers gesprochen. Das ist ein bißchen übertrieben, Herr Biedenkopf. Ich habe nicht gesagt, dahinter verberge sich nichts. Im Gegenteil habe ich die Frage gestellt: Was könnte sich dahinter alles verbergen?
Ich frage Sie: Was verbirgt sich wohl hinter der großen Gestalt Ihres Fraktions- und Parteivorsitzenden? Herr Biedenkopf, sind Sie das?
Herr Biedenkopf, was wird denn gerade gezückt? Ich will es nicht übertreiben: die Feder, wie ich annehme, und nicht mehr.Im übrigen sind mir eine Reihe guter Ratschläge zuteil geworden, wie ich mich gegenüber Kritik aus meiner eigenen Partei zur Wehr zu setzen hätte. Ich will sie gern beherzigen, und man kann von Ihnen noch viel lernen.
Ich frage mich nur, was in der Opposition gespielt wird. Es gibt bekanntlich zwei Arten von Western, die man aufführen kann, den Americo-Western und den Italo-Western. Im Americo-Western wird von vorne, im Italo-Western wird von hinten geschossen. Ich glaube, Sie spielen das letztere.
Ich komme zu den Ergebnissen des Jahres 1978 in der Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik. Wir ha-ben unser Wachstumsziel von 3'/2 % praktisch erreicht. Die Arbeitslosenzahl lag im Jahresdurchschnitt 'erstmals wieder unter der Millionengrenze — immer noch zu hoch, aber mit einer sich abzeichnenden positiven Entwicklung. Die Verbraucherpreise sind im Jahre 1978 mit 2,6 % deutlich geringer gestiegen, als wir dies erwartet hatten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit aller Eindeutigkeit sagen, ein wenig, wie ich zugebe, nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber" : Dies ist ein sensationell positives Ergebnis, wenn man sich die wirtschaftspolitische Landschaft bei uns und um uns herum ansieht.
Dies gilt insbesondere für den Verbraucherpreissektor. 1978 war ein Jahr des wirtschaftlichen Aufstiegs. Steuer- und konjunkturpolitische Maßnahmen der Bundesregierung und des Parlaments haben gewirkt. Zusammen mit den 1978 getroffenen Beschlüssen werden sie auch den Konjunkturverlauf des Jahres 1979 wesentlich beeinflussen.Hierzu möchte ich eine Zahlenreihe nennen. Ich will Sie nicht mit Zahlen langweilen — Sie wissen, daß ich das immer zu vermeiden trachte —, aber es gibt eine, wie ich glaube, für die arbeitenden Menschen in diesem Lande wichtige Zahlenreihe, die wir uns ins Gedächtnis rufen sollten. Die realen Einkommen in den Jahren 1974 ff. haben sich wie folgt entwickelt: 1974 plus 2,6 %, 1975 plus 1,2 %, 1976 minus 0,2 %, 1977 plus 1,7 %, 1978 plus 3,7 % und 1979 voraussichtlich plus 3,5 %. Meine Damen und Herren, mit Ausnahme des Jahres 1976 hat es in der Bundesrepublik Deutschland im realen Einkommen unserer abhängig Beschäftigten, wie das so unschön in der Statistik heißt, Jahr für Jahr einen Zuwachs gegeben. Es ist politische Höflichkeit, die mich davon abhält, die Zahlen unserer westlichen Nachbarstaaten und Partnerländer vergleichend vorzutragen.
Herr Biedenkopf ist auf die bereits veröffentlichten Zahlen des Jahreswirtschaftsberichts eingegangen. Ich hätte gerne — Ihre Fraktion hat dies abgelehnt; ich verstehe das, es entspricht nicht dem Rhythmus der Hauhaltsdebatte — die Debatte heute mit einer Zehn-Minuten-Rede eröffnet, um Ihnen diese Zahlen und die Beschlüsse des Kabinetts von heute mittag vorzutragen. Das ist nicht gewünscht worden. Noch einmal: Ich habe Verständnis dafür. Wir werden Ihnen aber einen Bericht vorlegen, der mit realistischer und fundierter wirtschaftlicher Zuversicht ausgestattet ist, mit einer Projektion erreichbarer Ziele, die das Mögliche kalkuliert, aber keine Wunder verspricht, und mit der nach heutiger Erkenntnis gesicherten Erwartung stabiler ökonomischer Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland. Wir geben uns damit keinem leeren Zweckoptimismus hin. Wir erwarten mehr wirtschaftliches Wachstum, eine Besserung am Arbeitsmarkt, eine weiterhin geringe Preissteigerungsrate und weiter zunehmende Realeinkommen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10203
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffDennoch, wir verkennen nicht die Risiken, die es auch 1979 geben wird. Herr Biedenkopf, Sie haben mit Recht von den Einflüssen des Weltmarktes gesprochen, von protektionistischen Tendenzen, von Wechselkursentwicklungen, möglichen Konjunkturschwächen in anderen Ländern, auch politischen Umbrüchen mit denkbaren Folgen für unsere Rohstoffversorgung und deutsche Exporte. Wir sind dabei, das im Iran zu erleben. Nur, Herr Biedenkopf, wenn Sie dann sagen, es gebe keine erkennbaren Schritte, um diesen Gefahren zu begegnen, dann tun Sie erstens der Arbeit der Bundesregierung unrecht, im übrigen auch den Beschlüssen dieses Parlaments — ich erinnere an das Stichwort Rohölversorgung —, und Sie erwecken zweitens gewollt oder ungewollt den Eindruck, daß man solchen Gefahren in einer Art und Weise begegnen könne, daß sie zu vermeiden und diese Risiken auszuschließen seien. Dies ist für die deutsche Volkswirtschaft nicht möglich und kann nicht möglich sein.
Wir leben in Abhängigkeit von den Risiken.Meine Damen und Herren, wir sehen auch die Notwendigkeit, Kostensteigerungen — auch das ist ein Risiko — im Inland zu begrenzen. Das Vertrauen in das gesamtwirtschaftliche Verantwortungsbewußtsein der unternehmerischen Preispolitik und in die Tarifpolitik von Gewerkschaften und Arbeitgebern ist bei uns vorhanden. Die Tarifparteien haben 1978 — ich will das gern bestätigen — verantwortungsbewußt gehandelt und zu dem guten Ergebnis des vorigen Jahres beigetragen.Ich will ausdrücklich sagen, daß das, was heute morgen über das Ergebnis des Tarifabschlusses in der Metallrunde berichtet worden ist — wir haben inzwischen versucht, das einmal schnell durchzurechnen —, in der Belastung, die sich daraus für das Jahr 1979 ergibt, innerhalb des Rahmens der gesamtwirtschaftlichen Projektion der Bundesregierung liegen dürfte. Das gilt zahlenmäßig auch für das Ergebnis des langanhaltenden Arbeitskampfes in der Stahlindustrie. Ob dieses Ergebnis die differenzierte und ganz anders geartete Situation, nämlich die Ergebnislage — genauer: die jahrelange Verlustlage — der Stahlindustrie in ausreichendem Maße berücksichtigt, ist eine zweite Frage. Insgesamt gesehen jedenfalls glaube ich, daß man aus den tarifpolitischen Ergebnissen der letzten Wochen nicht eine solche Feststellung ziehen kann, wie sie der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages gezogen hat: daß die deutschen Gewerkschaften — so hat er gesagt — im Vergleich zu ausländischen Gewerkschaften nicht mehr vorbildlich seien. Pikanterweise hat er das in London gesagt.Ich verkenne nicht, Herr Biedenkopf, daß das Thema Einheitsgewerkschaft für .die Geschichte der Bundesrepublik eine ungeheure Bedeutung gehabt hat und daß wir alle ein vitales Interesse daran haben müssen, daß bei uns funktionierende und tragfähige, verhandlungsfähige Einheitsgewerkschaften erhalten bleiben.
Sie werden mir dennoch erlauben, daß ich in diesem Zusammenhange die Tatsache erwähne, daß es nicht nur die Einheitsgewerkschaft in der Bundesrepublik Deutschland gibt. Es gibt einige andere, etwa die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft und einige mehr; hier gibt es einen Wettbewerb. Aber es gibt nicht das, was uns bis 1933, wie ich glaube, viel Unglück gebracht hat: Richtungsgewerkschaften. Daß die Einheitsgewerkschaft keine Richtungsgewerkschaft werden soll und werden darf, ist sicherlich die Überzeugung aller hier vertretenen Fraktionen, nicht nur Ihre.
Wir streben für 1979 eine gesamtwirtschaftliche Entwicklung an, bei der im Jahresdurchschnitt das reale Bruttosozialprodukt um rund 4 % zunimmt, die Arbeitslosenquote auf knapp 4 % sinkt — d. h. deutlich unter 1 Million Arbeitslose im Durchschnitt — und der Anstieg der Verbraucherpreise auf 3 % begrenzt wird. Das ist nicht etwa eine Umkehr der Stabilitätspolitik — 3 % erwartet nach 2,6 % im Jahr 1978 —, sondern es ist realistisch und verantwortungsbewußt, wenn wir nicht mit so billigen Importpreisen über Wechselkursveränderungen und mit so günstiger Entwicklung der Nahrungsmittelpreise rechnen, wie wir sie 1978 zu verzeichnen hatten.Wir erwarten weiter, daß der Außenbeitrag real weiter zurückgeht und sich auch nominal verringert. Das klingt ein wenig unverständlich. Das heißt: wir werden auch in diesem Jahre einen Handelsbilanzüberschuß erzielen, aber wir werden durch steigende Importe in die Bundesrepublik Deutschland zur Belebung der wirtschaftlichen Aktivitäten in unseren Partnerländern beitragen. Das war das Ziel der internationalen Absprachen auf dem Bonner Wirtschaftsgipfel und ist die Leistung und der Beitrag der Bundesrepublik zu internationaler wirtschaftspolitischer Kooperation.
1979 — das ist die Auffassung der Bundesregierung — besteht kein neuer konjunkturpolitischer Handlungsbedarf. Es besteht auch kein konjunkturpolitischer Bedarf für eine neue steuerliche Entlastung. Die Vorstöße, die dazu unternommen werden, sind nicht finanzierbar. Sie stehen im Gegensatz zu den Konsolidierungsrufen — zu denen ich noch etwas sagen will — und wären konjunkturpolitisch eher kontraproduktiv.Kein konjunkturpolitischer Handlungsbedarf — dann muß man wohl etwas sagen über den strukturpolitischen Handlungsbedarf und über das, was heute in aller Breite diskutiert worden ist. Der Kollege Waigel hat sich darüber beklagt, daß in der Gemeinschaftsaufgabe der Bundesanteil — ich will mal die ganzen Sonderprogramme, die man aber im Gedächtnis haben muß, auslassen — seit 1975 unverändert 294 Millionen DM beträgt. Sie wissen, daß es einen Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen für die nächste Sitzung des Planungsausschusses gibt und daß der Wirtschaftsausschuß — ich glaube: einstimmig — empfohlen hat, diesen Vor-
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10204 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffstellungen nicht zuzustimmen. Der Antrag wird auch keine Dreiviertelmehrheit im Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgabe finden.Und hier beginnt das Problem der Gemeinschaftsaufgabe: nämlich beim Stichwort Dreiviertelmehrheit. Die Gemeinschaftsaufgabe Regionale Wirtschaftspolitik ist in einem Zustand erstarrt, der dazu geführt hat, daß zusätzliche Leistungen nur ausgewogen in der Weise beschlossen werden, daß jeder ein gleich gewichtiges Teil bekommt ohne Rücksicht darauf, ob bei echten und sinnvollen Vergleichen dem einen dies überhaupt zusteht und der andere dafür nicht etwas hergeben sollte.
Das ist das Problem der Gemeinschaftsaufgabe, vor dem wir stehen, das jeder kennt und das auch mit der föderalen Struktur der Bundesrepublik und den Mehrheitsverhältnissen, die dort entstanden sind, zusammenhängt und das uns in der Tat zum Nachdenken zwingt. Ich bestreite dies nicht.Es kommt ein zweites hinzu. Die Bundesregierung hat das Werfthilfeprogramm verabschiedet. Ich bekenne ganz offen, daß ich dieses Werfthilfeprogramm mit Mißvergnügen konzipiert und mit Mißvergnügen über die Hürden gebracht habe — mit Mißvergnügen nicht deswegen, weil ich etwa nicht die Problematik sehe, die hier angesprochen worden ist, auch nicht deswegen, weil ich die Arbeitnehmerproblematik oder die Beschäftigungsproblematik geringer schätzte, als die Frau Kollegin Simonis dies gesagt hat; aber mit Mißvergnügen deshalb, weil man unter allen Umständen vermeiden muß, daß so etwas, wenn es überhaupt in Angriff genommen wird, in der Form geschieht, daß man nach drei Jahren denselben Zustand unverändert vorfindet, d. h., daß man Strukturkonservierung betrieben hat und dieselben Leute mit denselben offenen Händen vor unseren Schreibtischen stehen.
Darum hat sich die Bundesregierung intensiv bemüht, alles, was überhaupt möglich war, einzubauen: Befristung; nur technisch höherwertige Produkte; gestaffelte degressive Beihilfesätze. Ob es hilft? Wir haben keine gültige und endgültige Garantie dafür.Ich stimme Herrn Roth vollauf zu: Die deutsche Textilindustrie ist seit 20 Jahren ein Musterbeispiel dafür, wie man in hartem Wettbewerb strukturelle Anpassung aus eigener Leistungsfähigkeit und mit geringstmöglichen staatlichen Eingriffen vollzieht.
— Sicher dank Ludwig Erhard, der sich damit den Zorn der Textilindustrie zugezogen hat.Nur, in einem Punkt unterscheidet sie das natürlich — und das muß man sehen — von der Werftindustrie: Die Textilindustrie ist ja keine international freiem Wettbewerb unbeschränkt ausgesetzte Industrie. Die Werftindustrie, der Schiffbau ist jener Bereich internationalen Wettbewerbs, in den wir in keiner Weise eingreifen können, der draußen subventioniert wird, der über Wechselkurse verfälscht wird und der mit allen Möglichkeiten operiert, denen wir bei uns, wie wir gesehen haben, nicht begegnen können. Das ist die Sonderposition dieses Industriezweiges. Andere, die über strukturelle Anpassungsschwierigkeiten klagen, müssen verstehen, daß die Ursachen nicht notwendig die gleichen wie in der Werftindustrie sind und daß solche Schlüsse von dem einen auf das andere nicht ungeprüft gezogen werden dürfen.
Wir werden über die weiteren Wünsche und Forderungen nachdenken. Wir werden, Herr Biedenkopf, darüber nachdenken, was im Ruhrgebiet geschehen ist und was im Ruhrgebiet weiter geschehen wird. Ich möchte aber in einem Punkt um Redlichkeit bitten. Hier sind ja nicht nur die Ministerpräsidenten der norddeutschen Küstenländer schon zitiert worden, die wacker an unsere Türen geklopft haben — „klopfen" ist eine sehr höfliche Bezeichnung für den dröhnenden Lärm, der da geschlagen worden ist —, um unsere Hilfe zu bekommen. Ihr Kollege Köppler fordert schlank 700 Millionen fürs Ruhrgebiet, ohne zu sagen, was gemacht werden soll. Und hier, Herr Kollege Biedenkopf, möchte ich gerne doch ein bißchen mehr hören. Es ging mir, als ich Ihnen eben zuhörte, wie bei Ihrem Memorandum. Im ersten Teil Ihres Memorandums, das wir mit großem Interesse gelesen haben — es ist nicht alles zustimmungsfähig, aber ein Teil — zeichnet sich die Analyse durch klare, kurze, knappe Sätze aus. Da stimmt alles: Subjekt, Prädikat, Objekt. Im hinteren Teil, wo es losgeht, Ratschläge zu geben, Therapie zu empfehlen, werden die Sätze länger, verschachtelt, schlechter lesbar. Das ist auch bei Herrn Köpplers Forderungen der Fall, Herr Biedenkopf. Butter bei die Fische!
Ordnungspolitik ist gut. Wir haben darüber schon diskutiert. Aber, bitte, Handlungsanweisungen — —
— Ich kenne das Ruhrgebiet genauso lange und wahrscheinlich auch genauso gut wie Sie.
— Ich werde Ihnen hier keine Patentrezepte aus der Tasche zaubern,
sondern ich werde die Anträge, die in Gesetzentwürfen des Landes Nordrhein-Westfalen vorliegen— auch die Anmeldung zur Gemeinschaftsaufgabe —, sorgfältig prüfen.
Ich habe auch nicht versprochen, daß ich Patentrezepte anbiete, sondern ich habe gesagt, daß wir uns zusammensetzen werden. Aber punter Berücksichtigung der verfassungsmäßigen Zuständigkeit
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10205
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffund der daraus sich ergebenden Verpflichtung, mit den Ländern in Notfällen, wo das erforderlich ist, gemeinsam zu arbeiten.Die positiven Ergebnisse 1978 bedeuten nicht den Verzicht auf weitere Wirtschaftspolitik. Wir werden das Eigenkapitalhilfe - Programm, das Herr Kollege Waigel kritisiert hat, auf die Beine stellen. Herr Waigel, es ist überhaupt keine Rede davon, daß das durch die Bürokratie des Wirtschaftsministeriums gemacht werden soll, sondern es wird im Gegenteil unbürokratisch und kurz und schnell abgewickelt werden. Das gilt erst recht für die Unterstützung von Forschung und Entwicklung für die kleinen und mittleren Unternehmen, die wir ausdrücklich und mit Ihrer Zustimmung an die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungseinrichtungen — eine Selbsthilfeeinrichtung der Wirtschaft — geben wollen, um weitere Bürokratie und weitere Verwaltungstätigkeit zu vermeiden.Ich will auch vom Windhundverfahren reden. Die Bundesregierung hat von Anfang an erklärt: wir beantragen 300 Millionen DM. Wir haben die Zustimmung dazu bekommen. Wenn sich dieses Programm bewährt, wird man mit uns — vorbehaltlich selbstverständlich der Haushaltslage — über eine Aufstockung dieses Betrages reden können.Wir werden weiter wirtschaftspolitisch aktiv tätig bleiben auf dem Gebiet der Kartellgesetznovelle. Verehrter Herr Roth, das Problem der Elefantenzucht ist durchaus bekannt. Wir sehen die Problematik. Diese Problematik aber beantwortet das existierende Kartellgesetz. Was es nicht beantwortet, ist die Frage des Verzehrs von Mäusen durch Elefanten. Dies allerdings wollen wir ändern.
— Sie müssen mal ein bißchen auch übertragene Bilder gelten lassen, verehrter Herr Biedenkopf.
— Wir bitten um Ihre freundliche Unterstützung. Ich will die Diskussion jetzt nicht führen. Es wird sonst gleich wieder unfreundlich angesichts dessen, was Sie — nicht Sie persönlich, sondern Ihre Partei — alles geäußert haben zu dem Vorhaben. Wir werden darüber in Ruhe reden. Wir sehen Sie in dieser Frage auf besserem Wege.Die Haushaltspolitik aller Gebietskörperschaften — hier komme ich auf einen weiteren angesprochenen Punkt, nämlich Konsolidierung — hat in dieser wirtschaftlichen Situation die Aufgabe, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage noch zu stützen, ohne das Ziel einer allmählichen Rückführung der Verschuldung außer acht zu lassen. Die Zeit ist heute knapp. Herr Biedenkopf, ich kann nur sagen: der Sachverständigenrat erwartet für 1979 einen Zuwachs des Bruttosozialproduktes von 4 %. 2 % davon basieren auf ,den Maßnahmen, die am 1. Januar in Kraft treten. Bei dem jetzt erwarteten 4% igen Zuwachs im Bruttosozialprodukt in der Weise zu konsolidieren, wie Sie das vorschlagen, hieße überkonsolidieren, hieße im übrigen unseren internationalen Verpflichtungen nicht gerecht werden und exakt den Overkill in die wirtschaftliche Entwicklung des Jahres 1979 einführen. Dies geht 1979 nicht. Es wäre verantwortungslos, diesen Ratschlägen zu folgen.Auch die Geld- und Kreditpolitik wird unsere Entwicklung unterstützen. Sie wird 1979 eine doppelte Zielsetzung haben: ausreichende Finanzierungsmöglichkeiten für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu sichern und gleichzeitig stabilisierende Fortschritte zu konsolidieren. Deswegen unterstützt die Bundesregierung den Beschluß der Bundesbank, die Ausweitung der Zentralbankgeldmenge bis zum vierten Quartal 1979 in einer Bandbreite von 6 bis 9 °/o zu halten. Der Beschluß gibt den notwendigen Spielraum, um diese doppelte Zielsetzung zu realisieren.Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend feststellen: Die Wirtschaftspolitik der sozialliberalen Koalition im Jahre 1978 kann sich, bescheiden formuliert, in ihren Ergebnissen durchaus sehen lassen.
Die Bundesregierung weiß, daß es im Ergebnis ihrer Wirtschaftspolitik des Jahres 1978 auch Schwächen gibt und daß diese Schwächen ausgebügelt werden müssen. Aber wir sind uns im klaren darüber, daß einige von ihnen — dies ist insbesondere die Beschäftigtenproblematik — nicht in kurzen Zeiträumen gelöst werden können. Wir werden im Jahre 1979 diese Politik mit ruhiger Hand fortsetzen, ohne aufgeregte Interventionen oder kurzfristige Reaktionen und in der Erkenntnis, daß internationale wirtschaftspolitische Kooperation zu den unerläßlichen Voraussetzungen für ein erfolgreiches Ergebnis der Wirtschaftspolitik in einem so in die weltwirtschaftliche Entwicklung eingebundenen Land wie der Bundesrepublik Deutschland gehört.Wenn keine unvorhergesehenen Einbrüche eintreten, ist die Bundesregierung zuversichtlich, daß die deutsche Volkswirtschaft auch 1979 die Ziele erreicht, die diesmal gesetzt sind. Dazu wird es nicht nur nationaler, sondern, wie ich sagte, erheblicher internationaler Anstrengungen bedürfen. Auf vielen Gebieten, insbesondere dem Gebiet der internationalen Handelsbeziehungen, bringt dieses Jahr große Aufgaben mit sich. Auch im Rohstoffbereich — Herr Roth hat ihn angesprochen — stellen sich Probleme, die Schritt für Schritt mit Geduld und Beharrlichkeit der Lösung nähergebracht werden müssen. Die Bundesregierung wird sich in ihrem Bemühen um internationale wirtschaftspolitische Harmonisierung um Freizügigkeit im internationalen Handel, um ein Höchstmaß an Effizienz bemühen, Effizienz im Sinne der hier wirtschaftlich Tätigen, der Arbeitnehmer und der Unternehmer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Narjes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten. Damen! Meine Herren! Aus der Fülle der Anlässe, die die beiden früheren Reden für Bemerkungen gegeben haben, möchte ich die außer-
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10206 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Dr. Narjesgewöhnlich scharfe Polemik des Kollegen Roth gegen Dr. von Habsburg herausgreifen. Herr Roth, was wollen Sie mit Ihrer Polemik? Wollen Sie eine persönliche Diffamierungskampagne starten? Wollen Sie eine Art von politischer Sippenhaftung begründen, oder wollen Sie Dr. von Habsburg die politische Gleichberechtigung verweigern?
Für uns jedenfalls ist Ihre Polemik Ausdruck eines Freund-Feind-Denkens, von dem wir in Deutschland schon zuviel haben. Wir werden uns daran nicht beteiligen.
Die Annäherung in der Beurteilung der konjunkturpolitischen Lage des Jahres 1979 darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß in der Bewertung der Grundannahmen unserer mittel- und langfristigen Wirtschaftspolitik tiefgreifende Unterschiede bestehen, jenseits der hier einmal mehr offenkundig gewordenen ordnungspolitischen Differenzen, wie sie sich aus der Rede des Kollegen Roth ergeben. Ich darf diese Differenzen in drei Teilbereichen deutlich machen: der Handels- und Europapolitik, dem Schiffsbau und der Energiepolitik.In der Handelspolitik erheben wir den Vorwurf an die Bundesregierung, daß sie den für uns lebensnotwendigen Kampf gegen den Protektionismus und den Neoprotektionismus in der Welt und in Europa nur unzulänglich führt. Daß die Bundesrepublik Deutschland insoweit eine herausragende Verantwortung trägt, ergibt sich aus unserer Größe und aus unserer ureigenen Abhängigkeit vom Gedeihen der Weltwirtschaft. Wir werden bald an jedem Werktag für eine Milliarde DM Güter oder Dienstleistungen jenseits unserer Grenzen absetzen müssen.Unser Vorwurf zielt konkret erstens auf die unbefriedigende Entwicklung des Binnenmarktes in der Europäischen Gemeinschaft und zweitens auf die Mängel unserer Politik in bezug auf die Weltmärkte.Zu Recht wurde auf mehreren Gipfelkonferenzen Europas festgestellt, daß der Zuwachs des Handels in der Europäischen Gemeinschaft hinter den Zuwächsen des Welthandels zurückbleibt. Wir haben den Eindruck, daß eine angemessene Erforschung der Ursachen dieser Entwicklung fehlt. Der Binnenmarkt der Europäischen Gemeinschaft — immerhin nimmt er mehr als 50 % unseres Exports auf — hat sich nicht so entwickelt, wie er es nach den Römischen Verträgen sollte. Allein im unwiderruflichen Abbau von Binnenmarktgrenzen erweist sich aber die Integrationsleistung der Gemeinschaft. Die Fehlentwicklung, die wir heute beklagen, begann schon mit dem sogenannten Dreiklang auf der Gipfelkonferenz von 1969 in Den Haag. Vollendung, Vertiefung und Erweiterung — so hieß es damals. Unabhängig von der Fragwürdigkeit dieses Grundgeschäftes haben wir heute nach zehn Jahren nach dem Stande der Verwirklichung des Versprechens nach Vollendung zu fragen, und zwar sehr konkret. Das Ergebnis ist enttäuschend. Die Steuergrenzen teilen Europa heute ebensosehr wie 1969. Die Harmonisierung der Mehrwertsteuer ist noch nicht abgeschlossen. Das Niederlassungsrecht der Unternehmer und die Freizügigkeit der freien Berufe und der freie Kapitalverkehr sind unverändert notleidend. Das öffentliche Auftragswesen ist eher protektionistischer geworden. Die selbstisolierenden Praktiken der nationalisierten Industrien und Banken laufen den Zielen der Gemeinschaft zuwider. Der europäische Binnenmarkt existiert nicht einmal mehr als Bezugspunkt für die Wettbewerbspolitik, wie die Rede des Kollegen Roth zeigt. Die Harmonisierung der wettbewerbsverzerrenden Rechtsvorschriften einschließlich der Subventionen läßt zu wünschen übrig. In der Rezession sind zusätzliche Hindernisse aufgebaut worden. Der europäische Binnenmarkt, der Eckpfeiler der europäischen Integration, ist mithin notleidend. Ihm fehlt die politische Priorität, vor allen Dingen auch auf der Tagesordnung des in den Römischen Verträgen nicht vorgesehenen Europäischen Rates.Aber auch die Vorbereitung der europäischen Direktwahlen läßt Schlimmes befürchten. Man nehme das Europaprogramm der SPD. Das Thema „Binnenmarkt" gibt es darin überhaupt nicht ernsthaft. Statt dessen werden soziale Forderungen aufgelistet, für die den Gemeinschaften heute fast jede Kompetenz fehlt und für die auch auf absehbare Zeit keine Vertragsänderungen durchzusetzen sein werden. Das Europaprogramm der SPD ist, gemessen an den praktischen Möglichkeiten seiner Verwirklichung, ein neuer Gipfel europäischer Unaufrichtigkeit. Geradezu absurd ist das Ziel der 35-Stunden-Woche für die europäische Politik. Meint die SPD, Herr Kollege Wehner, in der Tat, daß sie mit einer solchen Forderung den zurückgebliebenen Regionen der Gemeinschaft in Süd- und Inselitalien oder in Irland und morgen Spanien, Portugal und Griechenland helfen kann, ihren Entwicklungsabstand aufzuholen?
Wollen Sie die Menschen dort verhöhnen?
„Mehr Wohlstand durch weniger Arbeit" als ein europäisches Konzept ist ein böses Produkt sozialer Gedanken und europäischer Rücksichtslosigkeit. Es trägt auch Ihren Namen.
Dieser Teil des Programms ist ein Produkt satter Gehirne, nur wissen Sie es noch nicht.
Weltweit hat auch der Londoner Gipfel 1977 hervorragende Formulierungen für die Notwendigkeit gefunden, das Übel des Protektionismus zu bekämpfen. Was hat sich seitdem aber verändert? Was hat die Bundesregierung getan, damit sich etwas ändert?
Der Protektionismus — offen oder versteckt — wächst unablässig in allen beteiligten Staaten.Zu den großen Unklarheiten gehört auch die ordnungspolitische Verwässerung in den handelspoliti-Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10207Dr. Narjesschen West-Ost-Beziehungen. Die Staatshandelsländer des Ostens, vor allem der Sowjetunion, sind eben keine Welthandelspartner wie jeder andere. Es gibt zwischen Ost und West eine Systemgrenze, die man nicht durch eine weltweite Mischmaschwirtschaft ersetzten kann.
Wir warnen vor der absurden Idee, die Oststaaten zunehmend in die Lenkungsorganisationen der liberalen Weltwirtschaft einzuladen
und sie dort als Mitgestalter zum Zuge kommen zu lassen. Sie wären dort die Böcke im Vorstand der Gärtnerinnung.
Der Bilateralismus und die merkantilistische staatswirtschaftliche Auffassung des Ostens von Welthandel stehen auch in einem krassen Widerspruch zu den elementarsten Unabhängigkeitsinteressen gerade der jungen Staaten der Dritten Welt.
Jeder Bilateralismus in den Wirtschaftsbeziehungen bedeutet für sie politische Abhängigkeit vom stärkeren Partner. Die konfliktlösende Wirkung des Marktes als Steuerungsinstrument der Wirtschaft ist weltwirtschaftlich noch bedeutungsvoller als in den Einzelvolkswirtschaften, weil eine konfliktlösende Funktion weltweit zugleich auch friedenserhaltend wirkt.Wir haben den Eindruck, daß auch der Bundeskanzler die historischen Dimensionen verkennt, in denen er sein wirtschaftspolitisches Wirken auf den verschiedenen Gipfelkonferenzen sehen und an denen er sich messen lassen muß.
Die tiefe Depression in den Jahren 1929 bis 1932 konnte durch die Weltwirtschaftskonferenz 1933 nicht überwunden werden. Dieser Fehlschlag kann mit zu den Ursachen des Zweiten Weltkriegs gezählt werden.Der nächste Fall: Nur unter dem Eindruck der weltweiten Verwüstung des Zweiten Weltkrieges war es möglich, Systeme wie das von Bretton Woods und das GATT mit Ach und Krach durchzusetzen. Beide haben nur so lange funktioniert, wie die Regeln beachtet wurden und die größeren Partner verantwortungsvoll gehandelt haben.Gemessen an diesen Erfahrungen reicht das, was in der Serie der Gipfelkonferenzen seit 1975 unter dem Eindruck der weltweiten Rezession zur besseren Orientierung der Weltwirtschaft der 80er und 90er Jahre bisher beschlossen worden ist, zu .dem notwendigen Kurswechsel nicht aus.Resignierendes Achselzucken ist keine Antwort. Mobilisieren Sie doch die große Konzeptionskraft, die es in Deutschland gibt. Bemühen Sie sich, weltweit zu überzeugen, nicht nur auf Konferenzen — das ist zu spät —, sondern weit in ihrem Vorfeld, damit die Konferenzergebnisse rationalen Kriterien standhalten und ihr Inhalt verantwortbar ist..Im Gegensatz zum Kollegen Roth bin ich auch der Meinung, daß die Vorbereitung zu UNCTAD V nicht befriedigend ist.
Die Interdependenz der Weltwirtschaft birgt viele Versuchungen für falsche Lösungen. Eine von ihnen wird unter der Überschrift „Strukturanpassung" gehandelt. Man meint häufig, daß sie durch internationale dirigistische Absprachen beschlossen werden könne. Das ist so sinnlos wie eine nationale oder regionale dirigistische Strukturpolitik oder Investitionslenkung.Gerade das Beispiel der Textilindustrie sollte diejenigen, die es heute heranziehen, daran erinnern, wie oft und in wie vielen Gremien früher gefordert wurde, der Textilindustrie in den Industriestaaten durch weltweite Abkommen grundsätzlich die Existenzberechtigung abzusprechen.Damit bin ich beim zweiten Thema: Schiffbau und Schiffahrt. Die Krise ist seit wenigstens zwei Jahren eine Gewißheit. Dennoch wird erst in letzter Minute gehandelt. Man sollte überhaupt nicht glauben, daß die Interessen des Schiffbaus und der Schifffahrt in dieser Bundesregierung angemessen vertreten sind — obwohl einige ihrer Mitglieder auf Grund ihrer Aufsichtsratssitze wesentlich besser informiert sein müßten, als es ihre Politik verrät.
Das Schlagwort vom „ordnungspolitischen Sündenfall", von der „Subventionsmentalität" der Werften sollte hier nicht länger unbesehen so weiterbenutzt werden, wie es hier eingeführt worden ist. Wir schulden allen Beteiligten, die Ursachen der Schiffbaukrise differenzierter zu betrachten und wenigstens zwei große Ursachenkomponenten auseinanderzuhalten.Da sind einmal die Fälle der klaren Unterlegenheit im Wettbewerb. Insoweit sind die Unternehmen aufgerufen, sich umzustellen. Es ist Sache des Staates, durch zeitlich begrenzte, degressiv gestaffelte Anpassungsbeihilfen zur Selbsthilfe einzuspringen und Regionalprogramme für die betroffenen Regionen zu entwickeln. Es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der beteiligten Ministerpräsidenten, hierfür einzutreten. Dies gilt auch dann, wenn die Fälle als „Devisenprobleme" dargestellt werden.Von diesen Fällen, über die weitgehende Einmütigkeit zu bestehen scheint — jedenfalls mit dem Bundeswirtschaftsminister —, sind die handelspolitischen Ursachenkomponenten zu unterscheiden. Sie werden mit Vorliebe übersehen, weil sie unbequem sind. Der internationale Subventionswettbewerb der Finanzminister, die öffentlich finanzierte Jagd nach knappen Aufträgen, das ist ein Wettbewerbsverhalten, das nicht geduldet werden kann.
Wer dies tut, versündigt sich eben nicht nur am Schiffbau, sondern schafft gefährliche Präzedenzfälle auch für andere Branchen. Man stelle sich einmal vergleichbare Wettbewerbsverzerrungen für schwere Lastwagen vor.
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10208 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Dr. NarjesEs geht also über den Schiffbau hinaus um die Durchsetzung eines wettbewerbsgerechten Verhaltens. An dem nachhaltigen Willen der Bundesregierung, solche Sünden nicht einreißen zu lassen, fehlt es aber. Dieses Thema gehört auf die Tagesordnung der Regierungschefs, aber nicht auf die der Botschafter und Staatssekretäre. In der Europäischen Gemeinschaft ist es so noch nicht einmal möglich gewesen, eine Beihilfen-Harmonisierung durchzusetzen, die eine Obergrenze der nationalen Schiffbaubeihilfen festlegt. Auch in der OECD ist durch eine Teilregelung von wettbewerbsverfälschenden Maßnahmen eher ein Ungleichgewicht verfestigt worden. Wir sollten alle Subventionstatbestände lieber als Einheit werten und auf Globallösungen hinstreben.Ähnliches gilt für das GATT. Ein vierter Bereich ist hier die Konkurrenz mit dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, der sich mit offensichtlichen Wettbewerbsverfälschungen wachsende Marktanteile erworben, erkämpft hat. Schließlich gehört hierher der Vorteil, den andere Werftindustrien aus der Nationalisierung und der sich daraus ergebenden unbegrenzten Kostenübernahme durch Staatshaushalte erreicht haben.Der Schutz gegen diese fünf Arten wirtschaftspolitischen Fehlverhaltens im internationalen Wettbewerb ist kein ordnungspolitischer Sündenfall, sondern legitime Abwehr von Verfälschungen. Vergeltung gegen Wettbewerbsverfälschungen und Ordnungsdenken schließen einander nicht aus. Es stellt sich deshalb die Frage, ob — so gesehen — die Maßnahmen richtig sind.Wir meinen, sie sind nur ein erster Schritt, weil ihnen Ergänzungen fehlen. Wo bleiben, Herr Bundeswirtschaftsminister, die antizyklischen Aufträge der deutschen notwendigen öffentlichen Hände? Ist es volkswirtschaftlich nicht sinnvoller, statt Subventionen zu geben, den später ohnehin öffentlichen Bedarf jetzt zu decken? Warum ist die Bundesregierung beim Export von Kriegsschiffen unnötig restriktiv? Warum nutzt sie nicht die Schiffbaurezession zur Verbesserung der Schiffssicherheit, insbesondere für Tankschiffe? Zu keinem Zeitpunkt wäre es sinnvoller gewesen, die überfällige Schiffssicherheit für Tankschiffe zu erhöhen, als in der gegenwärtigen Lage.
Statt dessen betreiben Sie eine schläfrige Konferenzdiplomatie. Warum wird die Investitionskraft unserer Reeder nicht dadurch gestärkt, daß man das aggressive Verhalten und die unfairen Wettbewerbspraktiken der Ostblock-Staaten und -Flotten schärfer angreift? Wir sind keine Schiffahrts-Nationalisten, aber wir haben auch nicht die geringste Veranlassung, Dumping-Praktiken des Ostblocks zu erdulden oder sie gar noch mit deutscher Ladung zu prämiieren, schon gar nicht auf Kosten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit.Schließlich: Jenseits der Schiffbaukrise wird eine andere grundsätzliche Entscheidung fällig — ich erwähne sie hier nur —, nämlich die Entscheidung darüber — in absehbarer Zeit wird sich dieses Hohe Haus darüber klar werden müssen —, ob wir noch eine deutsche Handelsschiffahrt haben wollen, die nicht als Staatsreederei betrieben wird, oder welche Konzeption wir statt dessen für unsere Transportprobleme über See haben. Im Augenblick sind 90 % unserer Reeder in den roten Zahlen. Die Bitte um Liquiditätshilfe zeigt dies im Detail.Zusammenfassend: Einer unzureichenden Analyse der Schiffbaulage folgt ein unzureichendes Maßnahmenpaket: Zum Leben zuwenig, zum Sterben zuviel; es ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber eben nur einer. Ein entsprechendes Strukturanpassungskonzept für die betroffene Region fehlt; es ist für die nächsten Monate angekündigt. Großsprecherische Hinweise auf die Möglichkeiten kurzfristiger Änderungen übersehen, daß es sich beim Schiffbau um viele tausend hockqualifizierter Schweißer handelt,
die in 36 Monaten ohne Wettbewerbsverzerrungen kaum in andere Produktionsbereiche „verpflanzt" werden können. — Es gibt schon weit mehr Erfahrungen und Lehrgeld, Herr Kollege Grobecker, als manche Gelegenheitsredner zu diesem Thema anscheinend wissen. —Ein dritter Bereich fundamentaler Unterschiedlichkeit zwischen Regierung und Opposition ist der der Energiepolitik. Der Ausfall der Öllieferungen aus dem Iran bestätigt unsere langjährigen, aber nie beachteten Vorbehalte gegen die Energieversorgungspolitik der Bundesregierung.
Hier haben wir den Musterfall einer unvorhergesehenen politischen Versorgungsstörung. Wir fordern, daß dieses Beispiel Iran unverzüglich zum Anlaß genommen wird, daraus Lehren für die Beseitigung der Mängel unserer politischen Analyse zu ziehen.Entscheidend für unsere sichere Versorgung ist letztlich die politische Verfügbarkeit von Primärenergie. Sodann: Störungen können überraschender erfolgen, als bisher die Bundesregierung und auch die Ölgesellschaften angenommen haben. Es genügt halt nicht, daß man sich gegen die Wiederholung schlechter Erfahrungen absichert. Versorgungsstrategisches Denken und die vorbeugende Vorsorge gegen den jeweils schlimmsten Fall sind unverzichtbar. Sie sind bisher unterblieben. Lassen wir uns heute nicht davon täuschen, daß der Ausfall des Irans in diesen Jahren noch durch die ungenutzten Produktionsreserven Saudi-Arabiens aufgefangen werden kann. Das ließe sich in wenigen Jahren schon nicht mehr wiederholen.Sodann sind Konsequenzen zu ziehen. Unsere Vorratspolitik muß revidiert werden. Ich wiederhole: 90-Tage-Vorräte sind zuwenig. Die weltweite Streuung der Versorgungsquellen ist nachhaltiger zu betreiben als bisher. Warum ist es bisher unterlassen worden, etwa mit Mexiko intensiv zu verhandeln? Wir dürfen schließlich den Nutzen und die Beistandsmöglichkeiten der Internationalen Energieagentur nicht überschätzen. Wichtiger noch' sind indessen die
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10209
Dr. Narjesmittel- und die langfristigen Konsequenzen des Iran-Falles. Eine Regierung, die unreflektiert von der Vorstellung ausgeht, daß ein geordneter Übergang in die Nach-Öl-Wirtschaft bis zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich ist, an dem sich die Erschöpfung aller geologisch verfügbaren Vorräte absehen läßt, handelt illusionär. Die Stunde der Machtpolitik kann wesentlich schneller kommen, als heute erwartet wird. Infolgedessen sind alle Maßnahmen zu beschleunigen, die dem Übergang zur Nach-Öl-Zeit dienen: Einsparungen und die Zukunft der Kohle und der Kernenergie.Angesichts dieser durch den Iran-Fall deutlicher noch als vorher erkennbaren Lage ist die Opposition der Überzeugung, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die zweite Fortschreibung des Energieprogramms nicht mehr den Anforderungen genügt, die wir an eine deutsche Energiepolitik für die 80er und 90er Jahre stellen müssen.
Wir werden die Bundesregierung auffordern, dieses Programm neu zu schreiben, und zwar noch in diesem Jahr. Unsere erste Kritik gilt den Zeithorizonten dieses Programms: Wenn es nicht noch 1979 auf die Erfordernisse des Jahres 2000 ausgerichtet wird, wird der Bundestag realistischerweise frühestens erst wieder 1982 mit einem fortgeschriebenem Programm befaßt werden können. Das wäre aber zu spät, um die zahlreichen dringenden Investitionsentscheidungen politisch verläßlich zu orientieren. Solche Orientierungen fehlen für den Steinkohlenbergbau, für die Kohlewirtschaft in den Europäischen Gemeinschaften, für die Veredelung der Kohle und vor allen Dingen auch für die Revision der Kernenergiepolitik. Die Koalition muß ihre Flucht in die Zukunft abbrechen und alle notwendigen Entscheidungen schon vor der nächsten Bundestagswahl treffen.Weiteres Zögern in bezug auf die Kernenergie ist ohne jede Einschränkung verantwortungslos. Die Formel vom „Offenhalten der Option Kernenergie" und der Begriff des „Restbedarfs" sind unverzüglich aufzugeben. Sie verkörpern die wohl größte wirtschaftspolitische Fehlentscheidung der Nachkriegszeit.
Alle vergleichbaren Industrienationen, die Vereinigten Staaten, Frankreich, der ganze Ostblock, führen großen Kernenergieprogramme mit Nachdruck durch. Bei uns droht den Kraftwerksbauern die Arbeitslosigkeit, weil keine Aufträge möglich sind. Zur Begründung dieser Notwendigkeit verweise ich auf alles, was zuletzt eindrucksvoll eine Studie der „Rockefeller Foundation" formuliert hat. Wir haben diesen Erkenntnissen nichts hinzuzufügen.Wir fordern Sie auf, den sorglosen Optimismus, der als Vorwand für Entschlußlosigkeit das bisherige Programm gekennzeichnet hat, aufzugeben. Die schrittweise und gezielte Lösung von 01 und Gas sind nicht länger zu vermeiden. Die Führungsaufgabe der Bundesregierung sollte darin liegen, sicherzustellen, daß dieses Ziel weder durch Tagesereignisse noch durch vorübergehende Angebotsschwemmen noch durch Koalitionskräche verhindert wird.
Das Wort hat Herr I Bundesminister Graf .Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich nur zu den letzten Ausführungen des Kollegen Narjes ganz kurz äußern. Erstens. Ich kann so, aus der Hüfte geschossen, nur sagen: Ich halte es nicht für erforderlich und nicht für sinnvoll, das Energieprogramm noch in diesem Jahre erneut fortzuschreiben.Zweitens. Der Eindruck, den Sie hierbei erwecken wollen oder mindestens erwecken, daß eine neue Fortschreibung verläßlich das sagen könne, was für das Jahr 2000 wirklich zutreffend ist,
wäre ein außerordentlich leichtfertiges Unterfangen. Das, was wir wollen, steht in der zweiten Fortschreibung des Energieprogramms.Drittens. Daß für Kernkraftwerke im Augenblick keine neuen Anträge vorliegen, ist nicht darauf zurückzuführen, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung oder die Landesregierungen diese Anträge nicht entgegennehmen, sondern ist darauf zurückzuführen, daß die Energieversorgungsunternehmen zur Zeit solche Anträge nicht stellen, weil sie dafür im Augenblick keinen Bedarf sehen.
— Sicher ist das der Grund, weil die installierte Leistung im Augenblick über dem liegt, was gegenwärtig genutzt werden kann.Viertens kommt hinzu, daß sich in der Tat ein Risiko aus den Gerichtsverfahren ergibt und ergeben hat, das schwer übersehbar ist. Das kann aber die Bundesregierung nicht mit der Fortschreibung des Energieprogramms ändern, Herr Kollege Narjes. Dies hat durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts in der Sache Vorlagebeschluß das OVG Münster eine wesentliche Erleichterung erfahren.Was auf dem energiepolitischen Sektor im Bereich der Kernenergie notwendig und hilfreich ist und wofür wir die Unterstützung und Hilfe der Opposition erbitten, ist eine forcierte und aktive Politik im Entsorgungsbereich. Hier liegt der Schlüssel zur • Beantwortung der Fragen, die sich dann im Genehmigungsverfahren ergeben können. Da gibt es Schwierigkeiten. Ich stehe nicht an, Herr Narjes — im Gegensatz zu manchen anderen —, anzuerkennen, daß es in jüngster Zeit erfreuliche Verbesserungen in der Zusammenarbeit mit der niedersächsischen Landesregierung gibt, die nun einmal dank ihrer geographischen Situation einen entscheidenden Teil der Antwort in dieser Frage geben muß. Die Zusammenarbeit funktioniert.Daß Sie mich auf die Studie der Rockefeller-Foundation aufmerksam machen, finde ich sehr erfreulich. Ich bedanke mich dafür. Ich hatte das Vergnügen, an der Studie mitzuarbeiten.
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10210 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Zum Einzelplan 09 liegt auf Drucksache 8/2484 unter Ziffer 5 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Kann ich davon ausgehen, daß dieser Änderungsantrag in der Aussprache bereits begründet wurde? — Dann kommen wir zur Abstimmung über diesen Änderungsantrag unter Ziffer 5 auf Drucksache 8/2484. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 09 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan ist angenommen.
Meine Damen und Herren, es wurde interfraktionell vereinbart, daß wir nunmehr die Einzelpläne aufrufen, deren Behandlung heute morgen noch nicht abgeschlossen wurde. Es handelt sich um die Einzelpläne 08, 60, 32 und 20.
Die allgemeine Aussprache ist geschlossen. Zum Einzelplan 08 liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU vor. Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Metz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere beiden Anträge zum Einzelplan 60 sind eine Konsequenz unserer in der Debatte vorgebrachten Gedankengänge und Forderungen zum Thema „Konsolidierung der Bundesfinanzen" .
Da diese Aufgabe nicht irgendwann, sondern sofort angepackt werden muß und da eine Dämpfung der Ausgabenexpansion die wirksamste Form einer solchen Konsolidierung darstellt,
haben wir von Anfang an bei den Beratungen angestrebt, den für 1979 geplanten Ausgabenzuwachs um 1 °/o zu kürzen, wie es ja im übrigen auch der Sachverständigenrat vorgeschlagen hat. Von diesem Klassenziel 1 v. H. trennen uns jetzt noch etwa 1 Milliarde DM Kürzung, und exakt in dieser Höhe haben wir bei den Beratungen im Haushaltsausschuß detaillierte und durchaus maßvolle Vorschläge gemacht, die aber dann von der Ausschußmehrheit, von der Koalition, abgelehnt worden sind. Wir haben die Einsparungsmöglichkeiten aufgezeigt, und wir möchten gern, daß die Regierung verpflichtet wird, diese Möglichkeiten zu nutzen. Deshalb schlagen wir vor, die Sparauflage an die Regierung um 1 Milliarde DM zu erhöhen.
Zum nächsten Antrag, der die globalen Verwaltungsmehreinnahmen beinhaltet, ist zu sagen, daß wir damit die Konsequenz aus dem Ist-Ergebnis 1978 ziehen, das wiederum — wie ja auch schon in der Vergangenheit bisweilen — weit über den veranschlagten Beträgen liegt. 1978 hat es sich dabei um eine halbe Milliarde DM gehandelt. Für das
laufende Jahr rechnen wir mit einer ähnlichen Entwicklung; daher also der Antrag Drucksache 8/2487.
Nun noch zu dem Antrag zu Einzelplan 08. Meine Damen und Herren, kleinere Beträge sind oft geeigneter, die Gemüter zu erhitzen, als große Summen, die sich oft der Vorstellungskraft des staunenden Publikums entziehen. So wiederholt sich denn auch mit schöner Regelmäßigkeit im Haushaltsausschuß jährlich die Debatte über die Notwendigkeit von Autotelefonen in den Dienstwagen Parlamentarischer Staatssekretäre. Ich will Ihnen Einzelheiten ersparen und Sie damit verschonen, sondern nur noch einmal unseren abgelehnten Antrag wiederholen mit der Bitte an das Finanzressort, auch in diesem Falle nicht mit einem schlechten, sondern mit einem guten Beispiel voranzugehen.
Ich bitte Sie, die Anträge anzunehmen.
Wird noch das Wort zu den Anträgen gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zunächst zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 8/2486. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.Der nächste Antrag zu Einzelplan 08 steht auf der Drucksache 8/2484 Nr. 4. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 08 in der vom Ausschuß vorgelegten Fassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.Ich komme nun zum Einzelplan 60 — Allgemeine Finanzverwaltung. Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor, und zwar auf den Drucksachen 8/2487 und 8/2488. Wenn ich das richtig gehört habe, Herr Kollege Metz, haben Sie mindestens einen davon eben mitbegründet.
— Beide sogar. — Das Wort dazu wird nicht gewünscht.Dann kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 8/2487. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag Drucksache 8/2488 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 60 in der vom Ausschuß vorgelegten Fassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan ist angenommen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10211
Vizepräsident Frau FunckeWir stimmen nun über den Einzelplan 32 in der vom Ausschuß vorgelegten Fassung ab. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan ist angenommen.Ich rufe nun zur Abstimmung über den Einzelplan 20 auf. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist einstimmig angenommen.Ich rufe nun auf: Einzelplan 13Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen— Drucksache 8/2413 —Berichterstatter: Abgeordneter WindelenWünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Friedmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 13, um den es hier geht, beinhaltet nicht den ganzen Haushalt der Deutschen Bundespost. Denn sie ist ein Sondervermögen des Bundes, und als solches hat sie ihren eigenen Haushalt, über den der Verwaltungsrat beschließt. Der Einzelplan 13, um den es hier geht, enthält lediglich das Gehalt des Parlamentarischen Staatssekretärs Herrn Wrede,
die Ablieferung an den Bund und die Einnahmen und Ausgaben der Bundesdruckerei. Aber da dieser Einzelplan 13 in den Gesamthaushalt des Bundes eingebettet ist und da der Minister als Unternehmenschef auch Kabinettsmitglied ist, rechtfertigt es dies, die Unternehmenspolitik der Post an dieser Stelle einer kritischen Würdigung zu unterziehen.
Wir, die Opposition aus CDU und CSU, haben in dieser Kritik drei Schwerpunkte zu setzen: einmal finanzpolitisch, zweitens wirtschaftspolitisch und drittens personalpolitisch.Lassen Sie mich zunächst auf den finanzpolitischen Teil zu sprechen kommen. Die Bundespost hat seit 1975 beträchtliche Überschüsse. Zu diesen Überschüssen zählen nicht nur die Gewinne, sondern auch die Rücklagen, die Rückstellungen und die Ablieferungen an den Bund. 1975 betrugen diese Überschüsse 3,15 Milliarden DM. Sie sind in den folgenden Jahren gegenüber dem Vorjahr jeweils um gut 1 Milliarde DM gewachsen. Sie lagen im letzten Jahr bei 6,5 Milliarden DM und werden in diesem Jahr voraussichtlich auf 7 Milliarden DM steigen.Im allgemeinen freut man sich, wenn ein Unternehmen so schöne Überschüsse vorzuweisen hat.
Aber wenn eine solche Freude ungetrübt sein soll, setzt das natürlich voraus, daß sich das betreffende Unternehmen im freien Wettbewerb bewegt;
denn dann ist der Überschuß Ausdruck einer guten Unternehmenspolitik und einer qualifizierten Leistung der Mitarbeiter. Bei der Bundespost haben wir eine andere Situation. Nicht durch ihr Verschulden, sondern allein auf Grund ihrer Aufgabenstellung ist sie in einen Markt eingebettet, der gesetzlich geregelt, also weitgehend monopolistisch strukturiert ist. Die Gebühren der Post ergeben sich nicht aus Angebot und Nachfrage, sondern hoheitsrechtlich.
Es ist unbestritten, daß sich die Überschüsse der Bundespost weitgehend aus Fernmeldegebühren ergeben, die — Sie haben es soeben gesagt, ich möchte das Wort nicht in der Form aufgreifen — weit übersetzt sind. Nicht der jetzige Bundespostminister, sondern seine Vorgänger haben in den Jahren 1972 bis 1974 Fernmeldegebühren festgesetzt, die durch das Äquivalenzprinzip in keiner Weise abgedeckt sind.
Die Summe der Überschüsse in den vier Jahren von 1975 bis 1978 beläuft sich glatt und sauber auf rund 20 Milliarden DM.
Es ist schlechterdings nicht mehr vertretbar, mit solchen Überschüssen zu arbeiten.
Nun redet sich der jetzige Bundespostminister manchmal damit heraus, daß auch ihm diese Überschüsse unangenehm seien. Aber — so sagt er dann — es wäre eigentlich nicht dazu gekommen, wenn die Opposition nicht immer wieder gegen den Zeittakt Widerstand geleistet hätte, denn der Zeittakt, der mit den Nahverkehrsbereichen verbunden ist, bewirkt Kosten für die zusätzlichen technischen Einrichtungen und Gebührenausfälle, da der Radius dieser Nahverkehrsbereiche größer als derjenige der Ortsnetze ist. So weit, so gut; nur, die Auswirkungen dieser Tatsachen wurden von den damaligen Ministern bewußt oder unbewußt weit überzogen und so der Öffentlichkeit dargestellt. Deshalb sind die Gebühren so hoch ausgefallen.Aber rechnen wir doch einmal ab: Wir haben in der Tat viel Widerstand gegen den Zeittakt geleistet. Ohne Zeittakt hätten wir die Nahverkehrsbereiche schon 1971 haben können.
Durch unseren Widerstand, durch den dadurch be-dingten Zeitaufschub ist dann an Stelle des VierMinuten - Takts, der im übrigen mit Geräten bewirkt
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10212 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Dr. Friedmannworden wäre, die technisch sehr anfällig waren und die es auch nicht zugelassen hätten, jemals auf den Acht- oder Zwölf-Minuten-Takt zu gehen, im Laufe der Zeit der Acht- Minuten - Takt realistisch geworden; der Zwölf-Minuten-Takt und der SechzehnMinuten- Takt stehen auch zur Diskussion.
Wir haben durch unseren Widerstand auch erreicht, daß z. B. in Berlin überhaupt kein Zeittakt kommt. Wir haben erreicht, daß die Telefonseelsorge ihre eigenen Nummern bekommt und damit ohne Zeittakt mit der Telefonseelsorge gesprochen werden kann.
— Jawohl, Ministern in Kümmernissen kann man auch die Telefonseelsorge empfehlen, Herr Kollege Riedl.
Wir haben auch erreicht, daß Nahverkehrsbereiche an der Grenze, an der Küste und am Zonenrand einen Ausgleich für diese ihre Nähe bekommen. Dies alles ist durch unseren Widerstand herausgekommen, und insoweit hat sich der Widerstand der Opposition gelohnt.
Doch sind wir damit nicht am Ende unserer Wünsche und unserer berechtigten Forderungen als Opposition.
Fernmeldegebühren in dieser Höhe sind ordnungspolitisch bedenklich, denn diese hohen Überschüsse haben sehr schnell die Begehrlichkeit der Regierung und der Koalitionsparteien geweckt.
Bei der Regierung, Herr Löffler, nicht bei der Opposition, ist der Eindruck entstanden, als sei die Bundespost ein Dukatenesel, der nach Belieben Dukaten ausspeien könnte.
— Kollege Löffler, ich habe Ihnen schon des öfteren gesagt, es sind zwei Paar Stiefel, Bundesratsinteressen und Oppositionsinteressen wahrzunehmen.
Jedenfalls hat die Bundesregierung, nicht die Opposition, die Idee aufgebracht, man könne der Bundespost einen Betrag in der Größenordnung von bis zu 2 Milliarden DM als Sonderablieferung abknöpfen und damit wegen der desolaten Bundesfinanzen die Neuverschuldung in diesem Jahr entsprechend reduzieren. Wenn dem so ist, wenn also der Telefonkunde mit den zu hohen Telefongebühren den Staatshaushalt finanzieren muß, dann haben Fernmeldegebühren Steuerersatzcharakter.
Aufgabe des Staates ist es, seinen Haushalt, seine Ausgaben aus Steuereinnahmen zu bestreiten. Für • die Fernmeldegebühren wie überhaupt für die Postgebühren gilt das Äquivalenzprinzip, d. h., hier müssen Nutzen und Leistung in einem gleichwertigen Verhältnis zueinander stehen. Weil dem so ist, bestehen wir auf einer Senkung der Fernmeldegebühren über den jetzigen Rahmen hinaus.
Herr Bundespostminister, wir wollen klarstellen: nicht erst kurz vor den Bundestagswahlen, sondern jetzt, wo Sie den Überschuß von 7 Milliarden DM auch in diesem Jahr zu erwarten haben. Süffisant wollen wir dabei anmerken, daß es für uns interessant ist, daß es in der Regel Ihre Fernmeldetechniker sind, die sich bei den Gebührenschätzungen so vergaloppieren, weniger die Kollegen von der gelben Post.Der zweite Punkt unserer Kritik ist wirtschaftspolitischer Art.
— Herr Kollege Löffler, wir diskutieren ein andermal. Ich brauche jetzt meine Zeit.
Wirtschaftspolitisch haben wir folgendes anzumerken. Dem Bund steht nach dem Fernmeldanlagegesetz aus dem Jahre 1928 das Recht zu, Fernmeldeanlagen zu errichten und zu betreiben. Für den zivilen Bereich ist dieses Recht dem Bundespostminister übertragen. Aber er kann sich damit nicht im luftleeren Raum bewegen; denn das Postverwaltungsgesetz von 1953 schreibt vor, daß er sich dabei an die Grundregeln der Bundesregierung zu halten hat. Und zu diesen Grundsätzen der Politik gehört — so, hoffen wir jedenfalls — der freie Wettbewerb, d. h., der Wettbewerb ist für den Bundespostminister nicht irgend etwas, sondern dort, wo es geht, muß er sich danach richten.Konkret bedeutet das Recht des Bundespostministers, Fernmeldeanlagen zu errichten und zu betreiben, daß die Post - und nur sie — Fernmeldenetze plant, baut und betreibt, daß nur sie darüber entscheidet, wer sich an dieses Netz anschließen darf, und daß nur sie darüber entscheidet, welche Endgeräte und welche Zusatzgeräte angeschlossen werden dürfen. In das Wirtschaftspolitische übersetzt heißt das: Die Post hat ein ausschließliches Monopol bei der Übermittlung von Nachrichten auf dem Fernmeldesektor. Das führt in der Rückwirkung — nämlich bei der Nachfrage nach entsprechenden Geräten für diese Einrichtungen — zu einem faktischen Nachfragemonopol der Post.Ordnungspolitisch ist wenig dagegen einzuwenden, daß die Post ein Monopol bei der Nachrichtenübermittlung hat; denn im wahrsten Sinne des Wor-
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Dr. Friedmanntes heißt das, daß dadurch eine Ordnung in das Fernmeldewesen überhaupt hineinkommt.
Kritisch wird es allerdings bei dem Nachfragemonopol nach Geräten, die auf dem Endsektor angeschlossen werden. Ich brauche nur die Stichworte Bildschirmtext, Kabeltext, Bürokopierer und ähnliches in die Debatte zu werfen, um aufzuzeigen, weich neue Märkte sich hier auftun. Ich bin überzeugt davon, daß unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben mehr und mehr durch die Telekommunikation bestimmt werden wird.Nun sollte man annehmen, daß die Bundespost nach ihren Erfahrungen mit dem Nebenstellengeschäft, wo sie ja Jahr für Jahr erhebliche Millionenbeträge drauflegt, darauf verzichten würde, selbst solche Geräte zu vertreiben. Weit gefehlt. Beim Telefax, bei dem Volksfernkopierer, hat die Post zunächst versucht, exklusiv zu vertreiben. Der Wirtschaftsminister war gegenteiliger Meinung, im übrigen auch die FDP auf ihrem Parteitag. Er hat sich dann insoweit arrangiert, als er einen Vertrieb durch die Post akzeptiert, solange ein bestimmter Marktanteil nicht überschritten wird.
Die deutsche Industrie ist heute in der Situation, daß sie die sogenannte Einheitstechnik anbieten muß, weil sich das Nachfragemonopol der Post eben so auswirkt. Diese Einheitstechnik entspricht jedoch nicht mehr dem modernsten Stand der weltweiten Technik. Heute ist es bereits so weit, daß die deutsche Fernmeldeindustrie im Ausland modernere Geräte anbieten muß als im Inland. Hier hat die Bundespost eine Verantwortung für die Arbeitsplätze nicht nur in ihrem Bereich, sondern auch in der deutschen Wirtschaft. Ich möchte aber auch die deutsche Wirtschaft aufrufen, ihre Möglichkeiten, ihre Rechte, ihre Pflichten stärker wahrzunehmen.
Bezüglich dieses Punktes möchte ich also feststellen: Die Bundespost soll sich auf das beschränken, was ihre Aufgabe ist, nämlich Fernmeldenetze zu errichten, zu betreiben und ihre Kontroll- und Aufsichtsrechte auf die Zulassung von Endgeräten zu beschränken. Die deutsche Wirtschaft ihrerseits soll dann aber die Bereiche, die ihr zustehen, ausschöpfen.Zum personalpolitischen Bereich lassen Sie mich kurz anmerken, Herr Minister: Zum einen danken wir allen Postlern, die zu diesem Ergebnis beige tragen haben.
Zum zweiten stellen wir fest, Herr Minister, daß Sie bei Ihrer Personalpolitik, wenn es um hochdotierte Posten geht, nicht nur fachliche Leistungen, sondern oft auch parteipolitische Präferenzen verstärkt berücksichtigen. Das ist weniger ein Vorwurf an Sie persönlich als an Ihr Haus; denn von dort bekommt man des öfteren zu hören, daß ein Nachholbedarf bestünde. Das Argument ist allmählich abgegriffen; im übrigen war es noch nie berechtigt.Zum Schluß, Herr Minister: Ich habe mit Interesse Ihren Kampf gegen Radikale in Ihrem Dienstbereich verfolgt. Sie sind mit Ihren Vorstellungen nicht durchgedrungen. Wenn es einen Bereich gibt, auf den es in der Stunde der Not ganz entscheidend ankommt, dann ist es das Fernmeldewesen.
Während Ihrer Oppositionszeit haben Sie in einer Studie nachgewiesen, wie wenige Leute in der Stunde der Not unser Fernmeldewesen lahmlegen können. Es muß nicht einmal in jedem der 80 Fernmeldeämter ein Mann mit saboteurhaften Absichten sein. Es genügt, wenn in wenigen Fernmeldeämtern Radikale sitzen, die uns im Ernstfall übelwollen.
Das bedeutet dann das K. o. für uns.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Wir verlangen, Herr Minister, eine alsbaldige Senkung der Fernmeldegebühren. Wir erwarten, daß sich die Bundespost auf ihren Auftrag beschränkt und der Wirtschaft ihren Teil läßt. Und wir erwarten zu Ihrer Personalpolitik, daß Leistungen den Ausschlag geben und daß Sie im übrigen weiterhin mannhaft den Kampf gegen die Radikalen führen. Solange diese Forderungen nicht erfüllt sind, lehnt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Einzelplan 13 ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Sonderablieferung der Deutschen Bundespost in Höhe von 1,1 Milliarden DM an den Bundeshaushalt 1979 war im Haushaltsausschuß nicht umstritten.
— Auf Sie komme ich gleich, Herr Dr. Dollinger. Hier irrt der Kollege Dr. Dollinger von der CSU. Seine Argumentation ist um so widersprüchlicher, als er selber mit der Begründung zum Antrag der Opposition auf Senkung der Fernmeldegebühren unterschrieben hat, daß „in Anbetracht der bisherigen Überschußentwicklung einmalig eine Sonderablieferung an den Bundeshaushalt in Höhe von 1 Milliarde DM zu vertreten ist."Das war ein Zitat von Ihnen.Deshalb haben der Vorsitzende des Haushaltsaus- schusses, Kollege Windelen, und ich im Postverwaltungsrat eindeutig für diese Sonderablieferung gesprochen und gestimmt.
— Sie waren nicht dabei.
— Sie waren bei der entscheidenden Sitzung nicht dabei.
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Müller
— Das war der Arbeitsausschuß! Die Entscheidung fiel im Postverwaltungsrat. Und da haben Sie gefehlt. Ich bedaure das.
Der von der Opposition beherrschte Bundesrat, insbesondere die Regierung von Baden-Württemberg, wollte die Sonderablieferung wesentlich höher angesetzt wissen. Wenn ich mich richtig erinnere, sprach man sogar von über 3,5 Milliarden DM.
Nun zur Bundespost selbst. Deswegen stehe ich hier, Herr Kollege Dr. Friedmann. Unsere Bundespost hat sich zur schönsten Tochter des Bundes entwickelt. Dabei ist sie kerngesund.
Herzlichen Glückwunsch und Dank an Bundespostminister Kurt Gscheidle und alle seine Mitarbeiter, an die Postgewerkschaft und vor allem an die Postkunden; da stimmen wir überein, Herr Dr. Friedmann.
— Dazu sage ich Ihnen gleich, daß die nicht die Geschröpften sind.
Die Bundespost rechnet 1979 mit einem Haushaltsvolumen von 50,8 Milliarden DM. Das bedeutet gegenüber 1978 eine Steigerung um 7 %. Weil der Bund bis 1977 auf die Pflichtablieferungen in Höhe von etwa 10,7 Milliarden DM verzichtete, hat sich das Eigenkapital der Bundespost in den letzten fünf Jahren fast verdreifacht. Es wird 1979 auf über 40 %steigen. Dank der Politik der sozialliberalen Bundesregierung,
die wir auch hier unterstützt haben, hat das größte europäische Dienstleistungsunternehmen endlich ein gutes finanzielles Polster.So kann die Post in diesem Jahr 7,8 Milliarden DM allein in Sachanlagen investieren. Das sind 11,3 % mehr als 1978. Mit dieser Steigerung liegt die Bundespost deutlich über der Wachstumsrate .unserer Industrie, die etwa 9% beträgt.Auf das Fernmeldewesen entfällt der größte Teil der Investitionen mit allein 7 Milliarden DM. Darin sind rund 900 Millionen DM zusätzliche Investitionen zur Entlastung des Fernsprechnetzes zu Zeiten des Mondscheintarifs und an Sonntagen enthalten. Mit diesem Investitionsvolumen rückt die Kapazitätsgrenze der Fernmeldeindustrie in Sichtweite. 1,5 Millionen neue Telefonanschlüsse werden für 1979 erwartet. Unter allen Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland ist die Post der bei weitem größte Investor. Mit ihrem Investitionsvolumen, das ein Fünftel der gesamten Industrieinvestitionen ausmacht, steht sie hinter der Produktionsgüterindustrie und der Investitionsgüterindustrie an dritter Stelle. Von 1970 bis 1978 übrigens hat die Bundespost rund 62 Milliarden DM investiert.Aus den Gesamtinvestitionen der Deutschen Bundespost für 1979 mit 8,155 Milliarden DM und einer Schuldentilgung von 4,3 Milliarden DM ergibt sich ein Kapitalbedarf von 12,455 Milliarden DM. Dieser wird zu drei Vierteln mit über 9 Milliarden DM aus Eigenmitteln und mit dem Rest aus Entnahmen aus den Postbankdiensten gedeckt. Der weitere Kapitalmarkt braucht nicht in Anspruch genommen zu werden. Das ist der Beitrag der Bundespost zu den konjunkturellen und konsolidierenden Bemühungen der Bundesregierung und der diese tragenden Mehrheit von SPD und FDP. Auch die Opposition sollte diese eindeutig gute Leistung unserer Bundespost anerkennen und nicht kleinkariert bemängeln.
Herr Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dollinger?
Würden Sie auch der privaten Wirtschaft bei Investitionen eine solche Eigenkapitalquote zubilligen, die durch überhöhte Preise zustande kommt?
Es gibt Teile der privaten Wirtschaft, die ähnlich gut situiert sind. Ich komme aber noch darauf.
— Nicht heute
und nicht hier. — Paßt Ihnen das etwa nicht, daß die Bundespost so gut ausgestattet ist? Wir freuen uns darüber, daß das so ist.Eine Sorge teilen wir mit dem Postminister: so erfreulich die finanzielle Gesamtentwicklung der Deutschen Bundespost ist, so erscheint doch die unterschiedliche Entwicklung der beiden großen Dienstzweige nicht unbedenklich: die zwangsläufige Kostenunterdeckung im personalintensiven Postwesen mit stagnierendem Verkehrsaufkommen und die erheblichen Überschüsse im stark expandierenden Fernmeldewesen, dem Markt der Zukunft.Bundespostminister Gscheidle hat mit der nun in Kraft gesetzten Gebührenänderung einen mutigen Schritt in die richtige Richtung getan. Der Postverwaltungsrat hat ihn dabei ebenso unterstützt wie die Koalitionsfraktionen. 1978 sparten die Fernsprechkunden bereits 670 Millionen DM. Ab 1979 werden die Kunden der Deutschen Bundespost per Saldo 600 Millionen DM jährlich weniger an Gebühren zahlen. Unter Berücksichtigung der Mindereinnahmen des Fernsprechnandienstes von 1,4 Milliarden DM im Jahr ergibt sich nach den beschlossenen bzw. bereits eingeführten und mit den bis-
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Müller
her geplanten Maßnahmen ein Betrag von ca. 3,4 Milliarden DM jährlich,
um den die Kunden der Deutschen Bundespost entlastet werden. Allein dieser Betrag unterstreicht, warum eine höhere Ablieferung an den Bundeshaushalt nicht in Frage kommen kann.So sehr diese Maßnahmen zu begrüßen sind —, die Ehrlichkeit gebietet zu sagen, daß auch in der Zukunft Gewinne im Fernmeldebereich notwendig sein werden, um die gemeinwirtschaftlich erforderlichen Aufgaben im Postbereich bei insgesamt ausgeglichenem Haushalt der Bundespost im Interesse der Kunden wahrnehmen zu können. Auch aus diesem Grunde wird es notwendig sein, die Deutsche Bundespost in angemessener Weise an den Kommunikationsmärkten .der Zukunft zu beteiligen. Wer das nicht will, wer die gewinnträchtigen Dienstzweige der Post privatisieren will, muß hier erklären, ob er gemeinwirtschaftliche Aufgaben der Deutschen Bundespost abbauen oder die Post dem Schicksal der Deutschen Bundesbahn als Kostgänger des Bundeshaushaltes ausliefern will.
Die SPD-Fraktion wird sich gegen jede Bestrebung dieser Art wenden und die solide und verantwortungsbewußte Unternehmenspolitik von Postminister Gscheidle voll unterstützen. Wir stimmen dem Einzelplan 13 zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wir heute, Herr Friedmann, seitens der Opposition in der nur durch den Wirtschaftsetat unterbrochenen Debattenfolge von Verkehrs- und Posthaushalt erleben, ist eigentlich ein Aufeinandertreffen von Logik und Komik besonderer Art.
Es wird nämlich das besondere Rätsel der Opposition bleiben, dem denkenden und deshalb staunenden Publikum einmal klarzumachen, warum eigentlich die Deutsche Bundesbahn, wie wir alle erkannt haben, ein politisches Sorgenkind ist, weil es ihr so schlecht geht, und gleichzeitig nach Ihrer Darstellung auch die Deutsche Bundespost ein solches politisches Sorgenkind ist, aber diesmal, weil es ihr so gut geht. Das alles doch eigentlich nur, weil es nicht so ganz in Ihr oppositionelles Wunsch- und Vorstellungsbild hineinpaßt, daß die Deutsche Bundespost einen schon seit Jahren anhaltenden unternehmerischen Erfolgskurs steuert, der diesem größten Unternehmen des Bundes nicht nur die uneingeschränkte Anerkennung betriebs- und volkswirtschaftlicher Sachverständiger, sondern auch des breiten Publikums, der breiten Bevölkerung und weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus eingetragen hat.Die 1977 er Bilanz weist einen Gewinn von fast 2 Milliarden DM aus, 1976 waren es rund 1,2 Milliarden DM, und schon 1975, als diese positive Entwicklung begann, waren es 600 Millionen DM. Aber nicht nur diese Zahlen sind Ausdruck des wirtschaftlichen Erfolgs der Post, sondern auch der Abbau von Schulden und die Aufstockung des Eigenkapitals auf etwa ein Drittel sind Erfolge, die wir uns auch heute hier von der Opposition nicht zerreden lassen. Denn die Gewinnsituation der Deutschen Bundespost wird sich auch weiterhin auf hohem Niveau stabilisieren. Der für dieses Jahr veranschlagte Gewinn beträgt 2,2 Milliarden DM, und nichts deutet darauf hin, daß die Sonderkonjunktur im Fernmeldewesen, die diese wirtschaftliche Entwicklung trägt, trotz schon lange anhaltender Dauer kurzfristig gefährdet werden könnte.Diese günstige Situation der Bundespost als Ergebnis der durch die Konjunkturpolitik dieser Bundesregierung verbesserten wirtschaftlichen Lage, die sich ja bei einem so eng mit der Wirtschaft verbundenen Unternehmen ganz unmittelbar auswirkt, ist aber gleichsam ein besonderes Verdienst des verantwortlichen Bundesministers.
Es ist das besondere Verdienst seiner vorsichtigen Gebührenpolitik, die von uns unterstützt wird,
und auch der konsequent durchgehaltenen Rationalisierungsbemühungen und natürlich nicht zuletzt, sondern vor allem ein Verdienst aller Beschäftigten bei der Deutschen Bundespost, und, Herr Kollege Müller, natürlich nicht nur derjenigen, die in der Deutschen Postgewerkschaft organisiert sind, sondern auch derjenigen, die in den konkurrierenden Gewerkschaftsorganisationen Mitglieder sind.Ich möchte hier nur einige Markierungspunkte auf dem Weg zum Erfolg des Unternehmens beispielhaft nennen. Die Bundespost hat in Konkurrenz mit privaten Paketdiensten dank eines verbesserten Leistungsangebots und vor allem durch nachhaltige Rationalisierung ihren Marktanteil behaupten können. Sie hat die Attraktivität ihres Fernsprechdienstes, wie die Nachfrage zeigt, aufrechterhalten können, vor allem durch gezielte Gebührensenkung, die bereits für die letzte November-Rechnung eine Gutschrift von 30 DM für jeden Teilnehmer brachte, die Grundgebühr ab Beginn dieses Jahres um 5 DM auf jetzt 27 DM senkt, den Feierabendtarif bereits seit Juli ausgeweitet hat und weite Ferngespräche verbilligt. Es folgen die Gebührensenkungen im Auslandsdienst und mit Einführung des Nahdienstes; sie ergeben eine Milliarde DM, die die Telefonkunden insgesamt sparen werden.Die Bundespost hat aber auch und gerade trotz der hohen politischen Lasten, die sie beispielsweise im Postzeitungsdienst zu tragen hat, ihr wirtschaftliches Ergebnis verbessern können. Sie unternimmt sehr erfolgreiche Anstrengungen, ihr Dienstleistungsangebot angesichts des ja rasanten technischen Fortschritts in der Entwicklung neuer Tele-
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Hoffiekommunikationsdienste zu erweitern, wie das Beispiel des Fernkopierens oder auch des Bildschirmtextsystems zeigt. Für diese nach vorne gerichtete unternehmenspolitische Initiative, mit der wir rechtzeitig Kommunikationsbedarf befriedigen, hat der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen die nachhaltige und uneingeschränkte Unterstützung der FDP-Fraktion.Angesichts der Gebührensenkungen im Fernmeldebereich um fast 670 Millionen DM im Jahre 1978 und 1,6 Milliarden DM in diesem Jahr und angesichts der Perspektive für 1982
— nach Abschluß der dann erfolgten Einführung der Nandienste mit Zeittakt werden die Gebührensenkungen jährlich insgesamt 3,7 Milliarden DM ausmachen — muten alle darüber hinausgehenden Forderungen, Herr Kollege Friedmann, geradezu abenteuerlich unseriös an, weil sie die Leistungskraft der Bundespost in unverantwortlicher Weise überfordern und die erfolgreich eingeleitete Konsolidierungsphase gefährden müssen. Meine Damen und Herren von der Opposition, wer die Bundespost in dieser Weise überhöhter Gewinne beschuldigt, verkennt sicher die gewaltigen Aufgaben, die sich der Post künftig stellen.Die Schlüsselstellung der Bundespost für die Kommunikationsinfrastruktur verpflichtet das Unternehmen allein wegen der wachsenden volkswirtschaftlichen und industriepolitischen Bedeutung des Telekommunikationswesens zu Investitionsanstrengungen im Fernmeldebereich von 6,7 Milliarden DM in diesem Jahr. Der gesamte Anlagehaushalt — er umfaßt Investitionen und Schuldtilgung — beträgt 12,4 Milliarden DM. Bei den Gesamtinvestition ist mit einer Wachtumsrate von 12 % gegenüber dem Ist des vergangenen Jahres zu rechnen. Dies ist ein ganz gewaltiger Beitrag zu den konjunkturpolitischen Anstrengungen der Bundesregierung.Die Opposition verkennt auch die schwere Belastung der Unternehmenspolitik, die sich aus dem wachsenden Ungleichgewicht zwischen den beiden Unternehmensbereichen Post und Fernmeldewesen ergibt. Stagnierenden Verkehrsleistungen auf der Postseite steht eine ungebrochene Nachfrage im Fernmeldewesen — mit dem Rekordergebnis von 1,5 Millionen neuen Fernsprechhauptanschlüssen im Jahre 1977 — gegenüber. Zwei Drittel der Umsatzerlöse entfallen auf das Fernmeldewesen, nur ein Drittel entfällt auf das Postwesen. Umgekehrt sind zwei Drittel des Personals im Postwesen beschäftigt, während nur ein Drittel im Fernmeldewesen beschäftigt ist. Der Personalkostenanteil im Fernmeldewesen beträgt 37 %, der im Postwesen mehr als 60 %.Dieses Ungleichgewicht wird weiter ansteigen, wenn wir die Qualität unserer Dienstleistungen im Postwesen nicht wesentlich einschränken wollen. Das können Sie doch wohl nicht ernsthaft wollen, Herr Friedmann, daß wir im Fernmeldebereich über die bereits vorgenommenen Gebührensenkungenhinaus noch weitere erhebliche Senkungen vornehmen.Ich meine, man muß sehen, daß immer mehr Bürger — besonders auf dem flachen Land — organisatorische Maßnahmen der Post beklagen, die gerade auch im Zusammenhang mit den Gebietsreformen die alltägliche Lebensqualität in den unmittelbaren Service- Beziehungen zur Post verschlechtert haben. Die FDP begrüßt es deshalb nachträglich, daß die Überlegungen zur Postversorgung in der Fläche jetzt von einer Arbeitsgruppe der Postpräsidenten auf ihre Auswirkungen hin überprüft werden und dadurch hoffentlich wieder eine noch größere Bürgernähe der Post erreicht wird. Aber das alles vergrößert ja eher das Problem der Gebührengerechtigkeit im Fernmeldewesen, das auf Dauer — nämlich dann, wenn das Verhältnis von Leistung und Kosten nicht verbessert wird — auch als ein verfassungspolitisches Problem angesehen werden muß. Es ist deshalb richtig, daß durch ein Bündel von Tarifmaßnahmen verhindert wird, daß sich die Schere zwischen den Kostendeckungsgraden von Post- und Fernmeldebereich nicht so schnell weiter öffnen kann, wie sich die Opposition das vorstellt, die die notwendigen Gebührenanpassungen im Postbereich heftig kritisiert. Wir werden den als zwingend erkannten gebührenpolitischen Kurs weiter konsequent einhalten. Das heißt, daß wir durch maßvolle, aber leider stetige Gebührenordnungen auch in den nächsten Jahren im Postwesen den Kostendeckungsgrad verbessern werden. Wir werden unsere Überlegungen fortsetzen, die Gebühren im Fernmeldebereich gezielt zu senken, z. B. durch eine weitere Absenkung der Grundgebühren zu einem vertretbaren Zeitpunkt, um gerade das erklärte Ziel der Bundesregierung, der Vollversorgung der Haushalte mit Telefonanschlüssen bis 1985 zu erreichen.In diesem Zusammenhang, Herr Friedmann, wäre es überhaupt nicht richtig, eine neue Diskussion über den Nahdienst und den Zeittakt zu eröffnen, nachdem die breite Öffentlichkeit inzwischen das Nahdienstkonzept verstanden und akzeptiert hat — allerdings mit Ausnahme einiger nach wie vor unverbesserlicher Gegner in den Reihen der Opposition. Zu denen gehört allerdings ein Fachmann wie Herr Stücklen — das muß man ihm konzedieren — nicht, ganz im Gegensatz zu Ihnen, Herr Friedmann, der Sie es eigentlich auch besser wissen müßten.Ihr Hinweis, daß Sie der Erfinder des Achtminutentaktes wären,
ist wirklich nicht erlaubt. Nun müssen Sie wirklich einmal zur Kenntnis nehmen, daß wir seinerzeit mit Ihrer Unterstützung — Gott sei Dank — verschiedene Betriebsversuche
mit acht, mit zwölf und mit sechzehn Minuten gemacht haben. Am Ende ist dann diese Regelung als vernünftig stehengeblieben.
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Hof fie— Herr Dollinger. Sie widersetzen sich ihm auch heute noch, selbst im Gegensatz zu denjenigen, die damals in dem Kampf gegen einen solchen Zeittakt an der Spitze gestanden haben, die aber inzwischen alle zufrieden und ruhig geworden sind, weil wir die Sonderprobleme, die sich damals gestellt haben, zu aller Zufriedenheit gelöst haben. Das ist nicht nur im Bereich Berlins so, sondern auch im Bereich der Telefonseelsorge, der Grenzbezirke, der Küstenbereiche. Ich meine, diese Diskussion heute zu führen, ist überflüssig.
Maßvolle Gebührenerhöhungen im Postwesen sollen nach unserer Vorstellung jährlich eine Milliarde DM Mehreinnahmen erbringen, während spürbare Verbilligungen im Fernmeldebereich eine Entlastung um grob das Dreifache ausmachen sollten.Im Hinblick auf eine langfristige Gebührenpolitik und im Hinblick auf eine weitere Konsolidierung der Bundespost halte ich es an dieser Stelle für unerläßlich, daß Klarheit auch darüber hergestellt wird, daß die Sonderabführung in Höhe von 1,1 Milliar-. den DM an den Bundeshaushalt, die vom Haushaltsausschuß fast einstimmig — ich glaube, nur gegen den Widerstand von Herrn Friedmann — beschlossen worden ist, nur eine einmalige Aktion sein kann. Es wäre deshalb unredlich, wenn die Opposition Mutmaßungen nähren würde, daß jedes Jahr beliebige Zugriffe zugunsten des Bundeshaushalts zu erwarten seien.In Widersprüche haben Sie sich, was diesen Bereich angeht, ohnehin zur Genüge verwickelt, meine Damen und Herren von der Opposition. Diese Sonderabführung deckt nur etwa 10 °/o dessen, was bisher jeweils nach Verzicht auf die gesetzliche Ablieferung nicht abgeführt wurde. Im übrigen verlangt die CDU-Regierung in Baden-Württemberg eine Sonderablieferung in Höhe von 5 Milliarden DM. Aber auch diese Logik läßt sich erklären. Dennoch paßt es nicht so ganz in die allgemeinen Beteuerungen. der Opposition, die Konsolidierung des Unternehmens Post nachhaltig verstärken zu wollen, wenn man sich auf dem Rücken der Post eine bessere Ausgangslage für die Finanzausgleichsverhandlungen zu verschaffen trachtet.Meine Damen und Herren, ich habe vorhin auf die Schlüsselstellung der Bundespost für die Kommunikationsinfrastruktur und auf die damit verbundene nicht nur volkswirtschaftliche, sondern letztlich und vor allem gesellschaftspolitische Verantwortung des Unternehmens hingewiesen. Wenn es richtig ist — niemand bestreitet das —, daß Kommunikation, also Austausch von Information, das Rückgrat unserer Gesellschaft bildet, Gesellschaften und deren Entwicklungen überhaupt erst ermöglicht, dann wird deutlich, welche ungeheure Bedeutung wir den Voraussetzungen, den Fähigkeiten und den Chancen zumessen müssen, die uns das Unternehmen Deutsche Bundespost ermöglicht, das heute auf einer soliden wirtschaftlichen Grundlage steht. Deshalb ist es aber auch so wichtig, daß die Bundespost gerade ihre ordnungspolitischen Vorstellungen präzise definiert und ihre unternehmerischen Planungen sotransparent wie möglich gestaltet. Hieran, meine Damen und Herren, mitzuwirken und in gemeinsamer Verantwortung die richtigen Wege für die Bedingungen zu finden, unter denen unsere Gesellschaft in der Zukunft ihr Leben positiv gestalten kann, ist die übergeordnete Aufgabe, der wir uns über alle Fraktionen hinweg verpflichtet fühlen sollten.Die FDP-Fraktion, meine Damen und Herren, stimmt diesem Einzeletat zu.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Gscheidle.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Dr. Friedmann geben mir Anlaß zu sechs Bemerkungen.
— Das tue ich immer. Aber strengen Sie sich einmal an, alles mitzubekommen, Herr Dr. Riedl. —Erstens. Zunächst ein paar Worte zu Ihrer Bemerkung, die Fernmeldegebühren seien überhöht. Kein Zweifel, wenn man nur von der Kostenbetrachtung ausgeht — das tun Sie offenbar —, ist dies in der Tat Anlaß, die Unternehmenspolitik sorgfältig zu bedenken. Wir haben deshalb jährliche Senkungen in Höhe von 3,4 Milliarden DM angekündigt; weitere Senkungen bereiten wir vor.
Was mich allerdings überrascht, Herr Dr. Friedmann, ist, daß Sie kurzfristigen Gewinn so undifferenziert zur Grundlage langfristiger Gebührenmaßnahmen machen wollen. Im übrigen werden Sie mir auch nicht verübeln, wenn ich mit einigem Vergnügen registriere, daß Ihre Sorge im Augenblick darauf gerichtet ist, festzustellen, wer wohl die Vaterschaft für den Acht-Minuten-Zeittakt hat. Unser Problem ist dies nicht. Unser Problem ist es, den Bürgern so schnell wie möglich den Vorteil dieses Nahdienstes zuzuführen.
— Ja, das ist schon richtig. Das war zu dem Zeitpunkt, in dem Sie noch nicht gerechnet haben: Aber Herr Dr. Friedmann beginnt ja als gelernter Volks-und Betriebswirt neuerdings zu rechnen, bevor er hier spricht. In einem Punkt allerdings folge ich ihm nicht; darauf komme ich noch.Meine zweite Bemerkung betrifft die Sonderablieferung der Deutschen Bundespost in Höhe von 1,1 Milliarden DM. Ihre kritische Bemerkung, Herr Dr. Friedmann, überrascht mich deshalb, weil Sie Unterzeichner eines Antrags sind, der diese Belastungen für die Deutsche Bundespost als möglich bezeichnet.
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10218 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Bundesminister Gscheidle— Ja, gut, aber eine Opposition gegenüber den 1,1 Milliarden DM in der Form, wie Sie sie hier zum Ausdruck gebracht haben, ist doch etwas verwunderlich für jemanden, der einen Antrag unterschrieben hat, daß das zumutbar sei.
Als Postminister bin ich darüber natürlich nicht glücklich; das ist richtig. Andererseits kann nicht übersehen werden, daß der Bund, und zwar seitdem ich dort Verantwortung mit habe, der Post mit 11 Milliarden DM geholfen hat, insbesondere durch die Vereinbarung, die mit dem ehemaligen Finanzminister Dr. Möller getroffen werden konnte. Ich würde es also zumindest als zumutbar bezeichnen, daß angesichts der Haushaltssituation des Bundes die Post — einmalig — hilft.Den Endstelleneinrichtungen im Fernmeldewesen gilt meine dritte Bemerkung, Herr Dr. Friedmann. Das Bereitstellen der Endstellen ist originär Aufgabe der Deutschen Bundespost. Das Problem ist also nicht — ich bitte, das zukünftig vielleicht zu beachten —, daß die Bundespost in das Endstellengeschäft drängt, sondern andere wollen in dieses Geschäft hinein, um nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung gute Geschäfte zu machen.
Es gibt da immerhin einige Überlegungen, die auch für die Opposition beachtenswert sind, Überlegungen, ob man dies so ungehindert geschehen lassen soll.
Eine vierte Bemerkung dur Deutschen Bundespost, zu ihrer Qualität als Fernmeldeverwaltung: Die Deutsche Bundespost gilt, bestätigt durch alle internationalen Tagungen — das war wohl Teil Ihres Angriffs —, in internationalen Gremien als die liberalste Fernmeldeverwaltung, dies auch in Amerika, was nur für diejenigen Fernsehzuschauer überraschend sein kann, die etwas kritiklos eine Sendung in letzter Zeit angesehen haben.Fünfte Bemerkung: Zur Einheitstechnik. Hier, muß ich gestehen, verstehe ich Ihre Presseerklärung überhaupt nicht. Manchmal ist eine Presseerklärung verständlicher als die Rede. In diesem Fall muß ich folgendes sagen. Die Presseerklärung sagt: Durch ihre Einheitstechnik beschränkt die Deutsche Bundespost den Wettbewerb im Endstellengeschäft und behindert damit den technischen Fortschritt. Ich darf Ihnen dazu in der gebotenen Kürze nur folgendes sagen. Die deutsche Einheitstechnik hat mit der Frage der Endstellentechnik überhaupt nichts zu tun. Ich meine, hier sollten wir uns doch mal darüber unterhalten, welche Zusammenhänge da bestehen. Im übrigen war und ist die deutsche Einheitstechnik, um die uns viele Postverwaltungen beneiden, Grundlage für den hohen Qualitätsstandard des deutschen Fernmeldenetzes und — das steht nun genau im Gegensatz zu Ihren Feststellungen — für die großen Exporterfolge der deutschen Fernmeldeindustrie. Aber ich wäre dankbar, wenn Sie da nicht mit mir — wegen eventueller Befangenheit —, sondern mit der deutschen Fernmeldeindustrie das Gespräch suchten.Die sechste Bemerkung ist nun etwas kritischer. Herr Dr. Friedmann, ich lese aus Ihrer Presseerklärung vor:Ein personalpolitischer Mißstand ist, daß der Bundespostminister die Bundespost nicht von Verfassungsfeinden freihalten konnte und ihm deshalb vom Bundesdisziplinaranwalt sogar ein Verfahren angedroht werden mußte. Das Kommunikationssystem ist für ein Land wie die Bundesrepublik lebenswichtig, andererseits jedoch in höchstem Maße stör- und mißbrauchsanfällig. Eine sorgsame Personalpolitik, die insbesondere auf die Verfassungstreue der Bediensteten Wert legt, ist deshalb unerläßlich.Herr Dr. Friedmann, gestatten Sie mir bei unserer langen Bekanntschaft eine Vorbemerkung. Ich kenne Sie als einen sehr engagierten, auch einen sehr ehrgeizigen — das meine ich positiv; ich kenne im übrigen keine erfolgreichen Politiker, die nicht ehrgeizig sind. Nur, zum erfolgreichen Politiker, Herr Friedmann, gehört die Fähigkeit, relevante Bezüge in der Politik in ihrer Relation zu erkennen, um richtig zu gewichten. Was Sie hier ausgeführt haben, ist ein Beispiel dafür, daß Sie zumindest in diesem Fall diese Fähigkeit sich nicht erwerben konnten.
Ich will Ihnen dies am Beispiel der Deutschen Bundespost belegen.Zur Zeit haben wir bei der Deutschen Bundespost 20 Beamte wegen festgestellter gerichtsverwertbarer Tatsachen, die für die Frage der Verfassungstreue relevant sind, entweder in Verwaltungsermittlungen oder in Ermittlungen nach der Bundesdisziplinarordnung. Der Personalbestand der Deutschen Bundespost beträgt rund 300 000 Beamte. Von diesen vorhandenen 300 000 Beamten sind also im Augenblick 20 in einem Ermittlungsverfahren.
Oder leichter faßbar in der Umsetzung der Zahl: von 15 000 Beamten ist einer in einem Ermittlungsverfahren.
Ich will Ihnen das noch einmal in einer anderen Relation ausdrücken. Wenn 16 000 Einstellungen bei der Deutschen Bundespost vorgenommen wurden, dann erfolgten bei ca. 10% — das sind 1 600 — Anfragen. Bei diesen 1 600 Anfragen, die mit Sicherheitsüberprüfungen zusammenhängen, ergab sich während meiner Amtszeit auf Grund der gewonnenen Erkenntnisse in einem einzigen Fall eine Ablehnung. Herr Dr. Friedmann, ich möchte Sie einfach im Interesse dieses Staates und der internationalen Bedeutung dieser Frage bitten, nicht ungewollt an der Legende mitzuwirken, hier gäbe es Berufsverbote, Verfolgungen und dergleichen mehr.
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Bundesminister Gscheidle— Verehrter Herr Dr. Riedl, ich versuche, auch in der Politik so fair wie irgend möglich zu sein. Ich habe zunächst das vorgelesen, was Herr Dr. Friedmann in voller Abwägung seiner Worte der Presse übergeben hat. Ich habe nichts weggelassen, ich habe nichts hinzugefügt. Nach dem, was hier steht und was Sie nachprüfen können, habe ich Anlaß, Sie zu bitten, im Interesse unseres Landes die Gewichtung dieses Problems in der Darstellung dessen, was hier problembeladen ist, nicht aus dem Auge zu verlieren.Daß es da ein Problem gibt, ist nicht zu leugnen. Natürlich ist der Bundesdisziplinaranwalt in einem Gespräch mit mir der Auffassung gewesen, daß ich bereits die Mitgliedschaft in einer für verfassungswidrig erklärten Partei zum Anlaß nehmen solle, gegen den betroffenen Beamten ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst einzuleiten. Ich teile diese Auffassung nicht, und zwar unter Bezugnahme auf das Bundesverfassungsgericht, das am 22. Mai 1975 sagte: Teil des Verhaltens, das für die Beurteilung der Persönlichkeit eines Anwärters erheblich sein kann, kann auch die Zugehörigkeit zu einer Partei sein, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. — Die Mitgliedschaft allein genügt nach meiner Rechtsauffassung nicht. Hier besteht in der Tat ein Widerspruch zum Bundesdisziplinaranwalt.Herr Dr. Friedmann, nehmen Sie es mir nicht übel: Ihre Formulierungen in der Presseerklärung und Ihre Ausführungen haben, auf diesen Bestand an Tatsachen bezogen, weder eine ausgewogene noch eine der Sache gerecht werdende Darstellung gebracht;
sie sind nicht geeignet, das Problem so zu lösen, daß es Ihrer eigenen Vorstellung von den Notwendigkeiten des öffentlichen Dienstes gerecht würde. Ich befürchte sehr, um diese Ausgewogenheit in der Darstellung so wichtiger Fragen müßten Sie sich noch bemühen.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 13. Wer die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun auf: Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 8/2410 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Schmitz
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur allgemeinen Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmitz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will sicherlich nicht die Debatte über das eröffnen, was der Bundespostminister gesagt hat, aber ich möchte doch meinen Kollegen Friedmann vor diesen Zensuren etwas in Schutz nehmen.
Das, was der Minister aus seiner Sicht sagt, magsubjektiv berechtigt sein, aber es ist nicht seineAufgabe, hier in dieser Form Zensuren zu erteilen;
ich würde mich jedenfalls dagegen wehren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir beraten heute den Agrarhaushalt 1979. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, in dem die Landwirtschaft im Norden unseres Landes unter der größten Winterkatastrophe der Nachkriegszeit zu leiden hat. Schnee und Eis belasten die Arbeit unserer Landwirte ganz besonders. Vielleicht sind Eis und Frost aber auch symptomatisch für die zahlreichen agrarpolitischen Blütenträume während der Präsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der EG. Auf dem sowieso schon glatten Brüsseler Parkett blieb eine vernünftige Regelung, z. B. für die Fischereigrenzen, auf der Strecke. Es war versprochen worden, für die Schafhalter etwas zu tun. Auch hier ist keine Lösung des Problems aufgezeigt worden. Und durch den Alleingang Hollands droht unserer Geflügelwirtschaft erheblicher Schaden.Die größte Gefahr geht zur Zeit sicherlich nicht von Schnee und Eis aus. Mit der Einführung des sogenannten Europäischen Währungssystems und den gleichzeitig von Frankreich geforderten raschen Abbau des Grenzausgleichs würde unserer Landwirtschaft eine Einkommenseinbuße von drei bis vier Milliarden DM zugemutet. Hierfür trägt allerdings offensichtlich der Bundeskanzler die Hauptverantwortung.
Es ist schon richtig, wenn gesagt wird, daß der Herr Bundeskanzler dem Abkommen bei den Verhandlungen über den Abbau des Grenzausgleichs entweder aus mangelnder Sachkenntnis zugestimmt hat
oder daß er sich auf Kosten der Beteiligten, sozusagen hinter ihrem Rücken, auf einen irgendwie gearteten Agrarkompromiß mit dem französischen Staatspräsidenten geeinigt hat, ohne dies jedoch dem Parlament und der Öffentlichkeit zu sagen.
Vielleicht aber auch — und das ist noch die vergleichsweise günstige Annahme — hat er sich ein-
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fach mit einem Text einverstanden erklärt, von dem er gar nicht wußte, was er beinhaltete.
Eines ist jedoch klar: Wenn die französische Forderung Wirklichkeit wird, kommt es zwangsläufig zu enormen Einkommensverlusten der Landwirtschaft.Ich teile die Kritik meines Kollegen Dr. Martin Schmidt , wenn er sagt — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:Es ist schon fast ein unglaubliches Schauspiel, wie aus einem gewagten französischen Hasardspiel mit dem Europäischen Währungssystem ein scheinbar handfester Konflikt zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich zu werden droht.Herr Kollege Schmidt, diese Kritik richtet sich doch automatisch gegen Ihren eigenen Bundeskanzler.Um im winterlichen Bild zu bleiben: Statt bei der Gründung des Europäischen Währungssystems auf dem glatten Eis vorbeugend alles zu tun, um einen bösen Ausrutscher oder gar einen Sturz zu verhindern, streute der Bundeskanzler allenfalls für sich selbst Sand, seinen Landwirtschaftsminister ließ er dann die Rutschpartie vollführen.
Es ist also kein Wunder, daß die Bundesregierung aus allen Wolken fiel, als ihr dann nachher das französische Junktim präsentiert wurde. Gut sieht sie dabei mit Sicherheit nicht aus. Ist das die neue Arbeitsteilung innerhalb der Bundesregierung, daß der Bundeskanzler die Spitzengespräche führt, hier in einer Regierungserklärung — wir haben das ja alles im Ohr — die Einigung verkündet und sein zuständiger Fachminister sich aus wohlerwogenen sachlichen Gründen außerstande sieht, dem Ganzen seine Zustimmung zu geben? Dabei muß dann allerdings in der deutschen Öffentlichkeit der Eindruck entstehen: Nicht derjenige, der schlecht oder unvollkommen verhandelt hat, ist schuld an der Misere, sondern derjenige, der entdeckt hat, daß schlecht und unvollkommen verhandelt worden ist.
Um hier keinen falschen Verdacht aufkommen zu lassen: Wir in der CDU/CSU sind für die Herstellung einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion — auch deshalb, weil . nur dann der Gemeinsame Markt erhalten bleiben wird und funktionieren kann. Erst wenn gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen geschaffen sind, kann die Brüsseler Preispolitik die ihr zugedachte Steuerungsfunktion auch im Bereich der Produktion wahrnehmen.
Wir haben auch an anderer Stelle gesagt, daß die Einführung des Europäischen Währungssystems nur ein erster Schritt zur Verwirklichung einer alten Forderung von uns und der Landwirtschaft sein kann. Deshalb sagen wir auch in unserer Entschließung auf der Drucksache 8/2150, es könne, solangedie dort aufgeführten vier Punkte nicht geklärt seien, bevor hier Klarheit herrsche, niemandem zugemutet werden, so ohne weiteres einem System zuzustimmen, das für die deutsche Landwirtschaft zu einem finanziellen Aderlaß führen müßte, den sie nicht verkraften könnte, bei dem viele Betriebe bis an die Grenzen ihrer Existenz belastet würden.
Dies würde weiterhin auch zu einer Verlagerung der Warenströme führen, und die Nettowertschöpfung der deutschen Landwirtschaft würde sich mit rund 15 % verringern.
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß durch die Beseitigung des Grenzausgleichs andere Probleme als monetäre gelöst würden; den der Grenzausgleich ist nicht ein spezifisch deutsches Problem, sondern ein Problem für fast alle Länder der Gemeinschaft mit Ausnahme Dänemarks. Bei uns würde bei einem Abbau des Grenzausgleichs das Einkommensniveau gesenkt, in den Abwertungsländern dagegen entsprechend erhöht. Der deutsche Grenzausgleich schafft der einheimischen Landwirtschaft keine Wettbewerbsvorteile, wie vielfach behauptet wird; er neutralisiert nur währungs- und inflationsbedingte Verzerrungen. Die Tatsache — dies wird ja meistens angeführt —, daß Abwertungsländer wie z. B. Frankreich weniger exportieren, muß sicherlich mit darauf zurückgeführt werden, daß die Anhebung ihres eigenen inländischen Preisniveaus durch entsprechende Preiskorrekturen in Brüssel interessanter geworden ist.
Auf jeden Fall würde eine automatische Abschaffung des Grenzausgleichs eine europäische Währungspolitik unmöglich machen, da Auf- und Abwertungen stets unmittelbar mit der Politik der Einkommensentwicklung der Landwirtschaft verbunden wären. Der wirtschafts- und währungspolitisch bedingte Handlungsspielraum würde eingeengt; denn es wäre in Zukunft möglich, daß dann der Finanzminister, der die Entscheidungen über die Währungskorrekturen in den Ländern wesentlich mitbestimmt, auch das Einkommen der Landwirtschaft indirekt mitbestimmen würde, wobei der zuständige Fachminister im Rahmen seiner bisherigen Kompetenz in seinen Mitwirkungsmöglichkeiten eingeschränkt werden müßte.Dies alles zusammengenommen, meine Damen und Herren, veranlaßt uns, hier deutlich zu machen, daß die Regierung nicht aus ihrer Verantwortung dafür entlassen werden kann, dafür zu sorgen, daß unsere Landwirtschaft als integrierter Bestandteil unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in vollem Umfang an der Einkommens- und Wohlstandsentwicklung teilnehmen muß.
Ohnehin hat die Bundesregierung in den letzten Jahren nicht in vollem Umfang von der Möglichkeit der Kompensation durch den Grenzausgleich Gebrauch gemacht.
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Seit 1969 wurde die D-Mark um rund 30 %aufgewertet, jedoch beträgt der Grenzausgleich nur 10,8 %. Dies bestätigte der Herr Staatssekretär Gallus seinem Kollegen Paintner auf eine Anfrage hin, aus der ich zitieren darf. Er sagte, daß sich die Bundesregierung in den letzten Jahren in starkem Maße für eine restriktive Preispolitik und flankierende Maßnahmen zur Beseitigung überschüssiger Agrarproduktion, z. B. durch die Einführung einer Erzeugerbeteiligung bei Milch, eingesetzt hat. Sie — die Bundesregierung — habe außerdem akzeptiert, daß bei den differenzierten Preisbeschlüssen in den letzten Jahren die deutschen Agrarpreise in einem geringeren Maße als in den anderen Mitgliedstaaten erhöht wurden.Dies hat — ich meine, das muß hier wieder einmal gesagt werden — im harten Wettbewerb innerhalb der EG dazu geführt, daß sich im Jahre 1978 der Preisindex für Nahrungsmittel in der Bundesrepublik Deutschland lediglich um 1 % — das Jahr davor waren es 1,8 %— gegenüber dem Vorjahr erhöht hat.
Hierzu ist zu bemerken, daß die deutschen Bauern in ganz erheblichem Maße zu dieser Preisstabilität beigetragen haben.
Sie haben mehr als ein Wort des Dankes hier verdient, meine Damen und Herren.
Auch soll nach der jüngsten Bekanntgabe von Staatssekretär Gallus — wir haben uns daran gehalten, Herr Kollege —
— der soviel telefoniert, Herr Kollege Haase, Sie sagen es — das Pro-Kopf-Einkommen der in der Landwirtschaft Tätigen um ca. 8 °/o gestiegen sein. Herr Gallus zeigte sich einigermaßen zufrieden darüber. Ich glaube allerdings, daß angesichts der Diskussionen über den Abbau des Grenzausgleichs und den Einkommenseinbruch 1976/77 von 13,8 %, der noch nicht wieder wettgemacht ist, kein Grund zur Selbstgefälligkeit besteht. Von einem paritätischen Einkommen innerhalb der Landwirtschaft kann überhaupt nicht die Rede sein; es sei denn — und dies muß man annehmen —, daß sich der Staatssekretär Gallus das nur dadurch erklärt, daß er im letzten Jahr mehr Bescheidenheit für die Bauern als eine neue liberale Tugend verkündet hat. Das wäre eine Erklärung.
Es ist schon bemerkenswert, wenn man die Auseinandersetzungen um diese Problematik, die ich aufgezeigt habe, innerhalb der Koalition und innerhalb der Regierung sieht. Lassen Sie mich zwei Punkte nennen, die symptomatisch dafür sind, wie zum Teil Anträge von seiten der Opposition, von seiten der CDU/CSU, durch die Regierung behandelt werden.Seit Jahren drängt die CDU darauf, die Frage der sozialen Sicherung für jüngere Witwen landwirtschaftlicher Unternehmer im Rahmen des Gesetzes zur Altershilfe für die Landwirte zu regeln.
Dies ist dringend notwendig, und diese Notwendigkeit wird von niemandem bestritten. SPD und FDP haben auch immer wieder davon gesprochen, daß eine solche Regelung bald kommen werde. Sie kommt auch 1979 nicht, wie wir festgestellt haben. Im Haushaltsausschuß hat man nämlich alle Anträge, die wir in dieser Beziehung gestellt haben, abgelehnt.
— Wollen Sie das bestreiten, Herr Kollege Löffler? Sie haben das doch auch anerkannt. Wir haben doch gleichzeitig einen Deckungsvorschlag gemacht. Wir sind Ihnen entgegengekommen, was die Terminabsprache angeht. Aber weil dieser Vorschlag von der Opposition kam, haben Sie das schlichtweg nicht zur Kenntnis genommen. Soziales Gewissen, kann ich da nur sagen!
Seit Ende 1977 liegt ein Gesetzentwurf der CDU/ CSU auf dem Tisch. Es ist für mich völlig unverständlich, weshalb dieser Entwurf bis heute im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung nicht behandelt worden ist.Die CDU/CSU hat über den bisherigen Zeitraum hinaus Vorschläge zur Finanzierung gemacht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Paintner?
Bitte schön, Herr Kollege Paintner.
Herr Kollege, sind Sie nicht der Meinung, daß uns, der FDP-Fraktion, die jüngeren Witwen genauso am Herzen liegen wie -der Opposition?
Herr Kollege, allein mit dem Am-Herzen-Liegen ist es nicht getan. Sie müssen auch noch etwas Finanzielles hinzutun.
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— Herr Paintner und die jüngeren Witwen, das ist so ein Problem für sich.Obwohl die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, obwohl ein Gesetzentwurf vorliegt, hat sich die Bundesregierung bisher nur dazu durchringen können, einen Referentenentwurf vorzulegen. Dies ist bezeichnend für die Haltung der Regierung zu dieser Frage.Es gibt aber auch noch ein anderes Thema, das vielleicht nicht so große Dimensionen umfaßt, aber auch symptomatisch für die Haltung der Regierung ist. Es handelt sich dabei um das Thema der Förderung der Naturparke.
Hieß es bis vor ungefähr drei Jahren, daß alle Naturparke in der Bundesrepublik Deutschland förderungswürdig seien, so wurde dies später mit dem Argument abgelehnt — bis vor zwei Jahren —, daß dies aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr möglich sei.
So hieß es vor Tisch.
— Sehr verehrter Herr Kollege Löffler, ich weiß: Wenn Sie laut werden, ärgern Sie sich immer! Das ist Ihr Problem. — Nach Tisch hieß es dann meistens: Jetzt hat der Bund, nachdem er vorher keine Finanzierungskompetenz hatte, eine sogenannte ungeschriebene Finanzierungskompetenz.
— Das habe ich mich zunächst einmal auch gefragt. Die gibt es tatsächlich. Es ist erstaunlich, welche Kapriolen geschlagen werden, um dies zu erklären. Diese ungeschriebene Finanzierungskompetenz hatte der Bund in der Tat allerdings auch schon vorher. Wir stellen dann fest, um über die Runden zu kommen, behilft sich das Ministerium oder der Minister damit, daß er sagt: Wir fördern ja nicht alle Naturparke, sondern wir fördern nur drei grenzüberschreitende, weil diese eine besondere Erholungsfunktion haben. — Was sollen da die Leute aus dem Ruhrgebiet sagen, wenn sie in den Bayerischen Wald oder ins Saarland fahren? Haben diese Gebiete keine Erholungsfunktion? Sind das keine Naturparke? Es ist schlechterdings Nonsens und eine schlechte Politik, Anträge nur deshalb, weil sie von der Opposition kommen, mit solchen fadenscheinigen Begründungen abzulehnen. Meine Damen und Herren, dies ist kein Stil.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Es gibt noch eine Reihe von Gründen, die es uns unmöglich machen, dieser Politik und diesem Haushalt zuzustimmen. Ich habe Ihnen einige wenige vorgetragen. Wir sehen uns trotz dieser Einwände, Herr Kollege Löffler, außerstande, diesem Haushalt unsere Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Simpfendörfer.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Was die jüngeren Witwen angeht — gemeint sind alle unter 60 —, so ist das in der Tat ein ungelöstes Problem.
Wir haben vor einem Jahr — und zwar auch im Januar — Gelegenheit gehabt, darüber zu reden. Damals hatten wir noch keinen Gesetzentwurf, diesmal haben wir wenigstens einen Referentenentwurf. Wir haben jetzt ungefähre diskussionsfähige Vorstellungen der Bundesregierung.
Im Unterschied zu Ihnen bin ich der Meinung, der Referentenentwurf sei deswegen diskussionsfähig, weil er im Grundansatz richtig ist, nämlich in der Frage der Trennung der Leistungen zwischen denen, die den Hof weiterführen und denen, die ihn nicht weiterführen wollen.
Dagegen war Ihr Ansatz ganz pauschal eine Geldleistung für alle und jeden.
Dieser Ansatzpunkt ist in Ihrem Entwurf schlecht, und deswegen war er für uns so nicht diskussionsfähig. Wir können jetzt auf der Basis des Referentenentwurfs in ein sachliches Gespräch eintreten. Ich bin der Meinung, daß dann auch eine vernünftige Lösung herauskommt; denn was die Details der vorgeschlagenen Regelungen angeht, ist für uns nirgendwo ein Dogma gegeben. Ich bin sicher, wir werden uns in dieser Frage einigen.
Dadurch ist gerechtfertigt, daß wir die Anträge auf Bereitstellung von Geldmitteln im Haushaltsausschuß abgelehnt haben. So wie die Gesetzgebung laufen kann, wird ja — nehme ich an — frühestens im Haushaltsjahr 1980 eine Finanzierungsnotwendigkeit entstehen.
Sollten wir sehr schnell zu einem Ergebnis kommen, könnten wir ja, wenn es sein muß, in einem Nachtragshaushalt im Laufe des Jahres 1979 Geld bereitstellen. Also in jedem Fall glaube ich, daß es am Geld nicht fehlen wird. Deswegen bin ich der Meinung, wir sollten nun an dem Gesetz arbeiten.
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SimpfendörferDas abgelaufene Haushaltsjahr 1978 war für die Verbraucher von Nahrungsmitteln ein ausnehmend gutes Jahr;
denn der Preisindex für Nahrungsmittel ist in der Tat — es wurde schon gesagt — nur um 1 %gestiegen,
wogegen der Preisindex der Lebenshaltung insgesamt um 2,6 % gestiegen ist, was im Sinne von „wenig" auch ausgezeichnet ist. Aber der Nahrungsmittelpreisindex ist eben um noch sehr viel weniger gestiegen. Insofern hat sich die Politik der Koalition den Verbrauchern gegenüber als eine ausgezeichnete Politik erwiesen.
Das abgelaufene Wirtschaftsjahr 1977/78 war aber auch für die Erzeuger von Nahrungsmitteln ein gutes Jahr.
Die Einkommen der Vollerwerbsbetriebe sind imBundesdurchschnitt ungefähr um 8 bis 9% gestiegen.
Diese 8 bis 9 % sind aber nur cum grano salis zu nehmen. Sie beziehen sich natürlich auf einen niedrigen Ausgangspunkt; denn im Jahr zuvor hatten wir ja einen Rückgang um 13 °/o, so daß also in keinem Fall der hohe Einkommensstand des Jahres 1976/77 im Augenblick wieder erreicht wird. Mittelfristig betrachtet kann man aber sagen, daß die Bauern an der allgemeinen Wohlstands- und Einkommensentwicklung teilgenommen haben und, so hoffen wir, weiterhin teilnehmen werden.
Dies ist kein Grund zur Selbstzufriedenheit. Ich habe auch nicht gehört, daß die Bundesregierung oder eines ihrer Mitglieder sich in selbstzufriedener Weise zu dieser Entwicklung geäußert hat. Im Gegenteil. Es gibt in vielen Bereichen Anlaß zur Sorge, etwa wenn man die Entwicklung der Schweinepreise oder andere, das Einkommen der Landwirtschaft wesentlich bestimmende Faktoren betrachtet.
Aber auch die Inflation der Ansprüche ist eine Gefahr.
Auch davon wurde heute morgen schon gesprochen.
— Der Bundeskanzler wurde zitiert.
Ich bin der Meinung, wenn dieses Wort seitens der Opposition für wahr gehalten wird, sollte es auch der Deutsche Bauernverband zur Kenntnis nehmen. Wir erinnern uns, daß wir im Sommereinen langen Forderungskatalog lesen mußten, was alles an zusätzlichen Bundesausgaben von uns finanziert werden soll. Wir waren dazu nicht in der Lage. Denn jede zusätzliche Million hätte auch eine zusätzliche Million neuer Schulden bedeutet. Angesichts dieser Situation konnten wir solche Wünsche und Forderungen nicht übernehmen.Ich bin froh und dankbar, daß auch die Opposition genug Disziplin und Vernunft bewiesen hat, um solche Forderungen nicht aufzugreifen. Es wäre gut, wenn solche Disziplin und Vernunft nicht nur bei den Agrarpolitikern der Opposition, sondern auch in anderen fachpolitischen Gruppierungen vorhanden wäre.
— Ich bin ja froh und habe auch gesagt, daß ich froh bin, daß so viel Disziplin und Vernunft bei den Agrarpolitikern da war. Ich möchte nicht, daß Sie von diesem guten Pfad der Tugend abweichen.Der Agraretat wächst um 2,3 % — das ist in der Tat unterdurchschnittlich —
auf 6,323 Milliarden DM. Das ist insgesamt stattlich. Aber die EG-Marktordnungsausgaben wachsen um 46,8%.
Nun kann man streiten, ob die Marktordnungsausgaben voll der deutschen Landwirtschaft zufließen. Es gibt Teile, die der niederländischen Landwirtschaft zufließen. Aber ein erheblicher Teil wird in der deutschen Landwirtschaft einkommenswirksam.
Von da ist es politisch gerechtfertigt, auch diese Ausgaben dem zuzurechnen, was der deutschen Landwirtschaft zufließt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, lieber Herr Kollege.
Herr Kollege Simpfendörfer, sind Sie dann mit mir bereit, dem Landwirtschaftsminister den Auftrag zu geben, eine bereinigte Rechnung vorzulegen, was den deutschen Bauern dann wirklich aus den EG- Marktordnungsausgaben zukommt?
Dies ist eine Fragestellung, die auch mich interessiert.
In der Strukturpolitik haben wir weitgehend eine Zuwachsrate von Null, weil alte Leistungen aus-
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Simpfendörferlaufen, aber die Gemeinschaftsaufgabe als Kernbestandteil der Strukturpolitik wächst um 45 Millionen DM, also etwas mehr als 4 %.
— Dies ist im Augenblick unterdurchschnittlich.Damit weisen Sie mich auf eine Fragestellung hin, die der Ernährungsausschuß aufgegriffen hat. Der Ernährungsausschuß ist der Auffassung, daß die Gemeinschaftsaufgabe in der Zukunft durchschnittlich im Rahmen der Zuwachsraten des Bundeshaushalts wachsen sollte. Ich schließe mich dieser Auffassung ausdrücklich an,
und zwar insbesondere deswegen, weil im Bereich der Dorferneuerung, die im Augenblick im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms außerordentlich erfolgreich betrieben wird, ein Anschlußprogramm gebraucht wird. Um ein solches Anschlußprogramm zu finanzieren, müßten die GemeinschaftsaufgabeMittel durchschnittlich im Rahmen des Bundeshaushalts wachsen.Der zweite Gesichtspunkt im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe ist der unerfüllte Wunsch nach einer Gemeinschaftsfinanzierung der forstlichen Jungbestandspflege. Wir sind der Meinung, daß ein solches Programm nicht in den Streit von Ressort- und Verfassungszuständigkeiten geraten sollte. Vielmehr sollte uns die Gesundheit der Wälder als Rohstofflieferanten in der Bundesrepublik Deutschland so viel wert sein, daß wir eine gemeinschaftliche Finanzierung seitens des Bundes und der Länder auf diesem Gebiet durchführen.Was die Naturparke angeht, erspare ich mir jede erneute Stellungnahme. Dies ist ein solcher Ladenhüter, daß es schade ist, die Zeit des Plenums noch einmal damit zu verbrauchen.Ich weise aber darauf hin, daß das Sofortprogramm zur Anpassung der Kapazitäten in der Fischerei in diesem Haushalt mit knapp 32 Millionen DM weitergeführt wird. Aus verschiedenen Gesprächen mit Betroffenen weiß ich, daß sich die Soforthilfen im wesentlichen bewähren. Klagen gibt es über die Kompliziertheit der Mittelbewilligungsverfahren. Vielleicht kann hier das eine oder andere doch noch vereinfacht werden. Leider bestehen die Ursachen der Notwendigkeit dieses Soforthilfeprogramms weiter fort.Die Reform der Landwirtschaftsbesteuerung wurde vom Kollegen Schmitz nicht angesprochen.
Wir haben vor einem Jahr darüber geredet. Dies ist auch heute noch ein aktuelles Thema. Nach Auffassung meiner Fraktion hat die Sache große Eile.
Es besteht nämlich sonst die Gefahr, daß das Bundesverfassungsgericht schneller ist als das Parlament. Dies sollten wir vermeiden. Es besteht die große Wahrscheinlichkeit, daß der derzeitige Rechtszustand — § 13 a, Ermittlung der Einkommen nachDurchschnittssätzen — verfassungswidrig ist und dann als verfassungswidrig erklärt wird. Wir sollten diesen Zustand deswegen bereinigen, bevor das Bundesverfassungsgericht uns etwa in dieser Richtung mahnt.Der wirklich spannende Teil der Agrarpolitik findet im Augenblick nicht in Bonn und auch nicht hier im Deutschen Bundestag statt, sondern er findet in Brüssel statt. Ich sage „spannend", weil die wirklich bedeutsamen Entscheidungen einerseits auf dem Milchsektor und andererseits in der Währungspolitik fallen müssen. Die Überschüsse und die Kosten der Beseitigung der Überschüsse sind das zentrale ungelöste Problem der europäischen Agrarpolitik. Ich habe die fast zynische Hoffnung, daß spätestens anfangs der 80er Jahre das Problem deswegen gelöst wird, weil es unfinanzierbar geworden ist und weil der Finanzierungsmechanismus ausgeschöpft ist und ohne eine Lösung des Problems überhaupt nichts mehr läuft. Ich sage: eine fast zynische Hoffnung. Ich hoffe aber, wenn ich nicht zynisch hoffe, daß wir in der europäischen Politik in der Lage sind, vorher noch eine Lösung zu finden, die sachgemäß ist.Die Probleme im Zusammenhang mit der Einführung des Europäischen Währungssystems werden von der Opposition natürlich aufgegriffen. Es wird personalisiert und so getan, als ob der Bundeskanzler derjenige sei, der die Verantwortung dafür zu tragen habe.
Ich zitiere: „Jeder Versuch, ihn in den Augen der Bevölkerung persönlich zu disqualifizieren, ist zum Scheitern verurteilt." Damit zitiere ich den Kollegen Biedenkopf.
Deswegen sollten Sie sich etwas Besseres einfallen lassen, als das Problem und den vorhandenen Konflikt zu personalisieren. Sie sollten vielmehr darüber nachdenken, welche Möglichkeiten es auf der europäischen Ebene zur Lösung dieses Interessenkonfliktes überhaupt geben kann. Dieser Interessenkonflikt ist zweifellos mit vielfältigen Aspekten versehen, sowohl für die Erzeuger wie für die Verbraucher. Verdächtigungen jedenfalls, wie sie heute gegenüber Helmut Schmidt geäußert wurden, muß ich entschieden zurückweisen.
Die Konfliktlösung ist offen. Dazu will ich hier nichts sagen. Eines ist klar: Die Voraussetzung für die Konfliktlösung ist, daß keine Einkommensminderung für die deutschen Erzeuger stattfindet. .
Diese Denk- und Verhandlungsvoraussetzung ist klipp und klar und wird von Josef Ertl, von Helmut Schmidt und von der Koalition insgesamt voll und ganz getragen. Weil das so ist, brauchen wir den hier vorliegenden Entschließungsantrag nicht. Denn es steht nichts anderes drin als das, wovon die Bundesregierung ohnehin ausgeht.
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Simpfendörfer— Es steht nichts anderes drin als das, wovon sie ohnehin ausgeht.
Daher werden wir in den Ausschüssen über den Inhalt dann weiter reden, wenn wir mehr Einzelheiten der Information haben, als wir sie im Augenblick hier im Plenum haben.
Zum Schluß bedanke ich mich recht herzlich bei der Bundesregierung, bei den beteiligten Beamten, bei den Zuarbeitern im Ausschuß,
beim Ausschußvorsitzenden, bei den Obleuten — speziell bei meinem Obmann —
dafür, daß auch die Arbeit am Agraretat 1979 wieder eine erfreuliche war, und ich wünsche, daß auch der Agraretat 1980 so wenig Konfliktpunkte und so viel Positives enthält wie der für 1979.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Peters.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist unbestritten, daß es Meinungsverschiedenheiten zwischen der Bundesrepublik und Frankreich über EWS und über den Grenzausgleich gibt.
Das ist unbestritten. Wir stellen jedenfalls fest, daß die Franzosen aus dem Ratsprotokoll mehr herauslesen, als darin steht. Es wird jetzt darüber verhandelt. Jeder von uns kann nur begrüßen, wie das eben von Herrn Simpfendörfer gesagt worden ist, daß die Stellung der deutschen Bundesregierung einheitlich ist, daß Änderungen am Grenzausgleich, d. h. ein Teilabbau sowohl an Bestehendem als auch bei neu Entstehendem, nicht zu Einkommensverlusten der deutschen Landwirtschaft führen sollen. Dieselbe Haltung nehmen auch Partnerländer ein. In der kommenden Woche wird sehr wahrscheinlich ein Zwischengespräch in Berlin stattfinden, und dann wird weiter verhandelt werden. Wir vertrauen darauf, daß die Bundesregierung sich letztlich mit diesem Grundsatz durchsetzen wird.Zur Objektivität in diesem Bereich ist zu sagen, daß wir im Laufe der Zeit einen ganz beachtlichen Teil des Grenzausgleichs — von 30 auf jetzt 10,8 % — schon abgebaut haben.
Das war möglich, Herr Ritz, weil auch der Faktorder Kosten für landwirtschaftliche Betriebe bei unsgeringer war als in anderen Ländern. Das hat uns das ermöglicht.
— Nicht schematisch, darüber sind wir einig. Aber dieses Faktum ist mit zu berücksichtigen.Herr Schmitz, ich habe Sie bei Haushaltsdebatten eigentlich noch nie so zaghaft gehört, wie das heute der Fall war.
Sie haben hier außer dem Währungsausgleich Fakten ins Feld geführt, die agrarpolitisch nicht von entscheidender Bedeutung waren, auch wenn z. B. die Investitionen der Holländer für die Hühnerhaltung eine Rolle spielen; das räume ich ein. Aber im übrigen haben Sie wenig Entscheidendes angeführt.
— Sozialfragen, werfen Sie dazwischen. Ich kann nur sagen: Es ist noch nie so viel im agrasozialen Bereich getan worden wie zur Zeit der sozialliberalen Koalition.
Wir gehen über 3 Milliarden, auf 3,3 Milliarden DM steigen die Ausgaben im argarsozialen Bereich im kommenden Jahr.Gewiß, es ist lange über die Witwenrente debattiert worden; das räumen wir ein. Das Problem war in der Koalition nicht ganz einfach zu lösen. Aber es ist so weit gelöst, daß wir einen einheitlichen Referentenentwurf haben, und aus dem heraus wird es nach Rücksprache mit den Ländern und den Beteiligten zu einem Gesetzentwurf kommen, und ab 1980 werden wir die Rente für jüngere Witwen haben, auch wenn es schwierig war.Nun hätte ich erwartet, Herr Schmitz, daß Sie dieses an sich schwierige Problem, das wir heute in der Agrarpolitik mit den rückläufigen Schweinepreisen, den rückläufigen Rinderpreisen im letzten Jahr und den nicht einfachen Verhältnissen auf dem Milchmarkt mit den Übermengen haben, noch in die Diskussion eingebracht hätten. Das ist nicht unmittelbar haushaltswirksam — das gestehe ich zu —,
aber es ist natürlich so, daß man in einer Agrardebatte auch alle agrarpolitischen Elemente zur Sprache bringen kann. Ich verhehle gar nicht, Herr Ritz, daß diese drei Probleme als schwierigste vor uns stehen. Ich bin davon überzeugt, daß die Bundesregierung auch diese Probleme lösen wird, selbst wenn sie schwierig sind. Daß die Einkommenszuwächse in diesem Jahr nicht so sein werden, wie wir sie im letzten Jahr hatten — über diesen Etat wird in einigen Wochen hier eine Debatte stattfinden —, daß die Verhälthisse im laufenden Jahr nicht so
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günstig bleiben, wie sie heute auf Grund dieser Preisnachlässe sind, müssen wir sehen. Wir sollten aber über das hinweggehen, was wir bisher getan haben und was in der Kommission zwischen den Ländern und dem Bund über Investitionen für Viehställe und Förderungen in einem Bereich ausgehandelt worden ist, in dem es heute noch dazu kommt, daß wesentliche Mittel in Überkapazitäten fließen.
Wir sollten dies bedenken, wenn wir die mittelbäuerliche Struktur erhalten und fördern wollen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Ertl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herzlichen Dank für das Kompliment eben.Lassen Sie mich kurz auf einige Themen aus dieser Debatte eingehen. Ich möchte mich dabei sehr genau an die Zeit halten.Wenn Sie es gestatten, Frau Präsidentin, möchte ich mit der Verlesung der Absätze über die Behandlung des Grenzausgleichs aus den Beschlüssen zum Europäischen Währungssystem beginnen, welche in. Brüssel gefaßt wurden. Der Abschnitt 6 ist überschrieben mit „Weiteres Vorgehen". Unter 6 c heißt es:Verordnung des Rates über die Auswirkungen ,des Europäischen Währungssystems auf die gemeinsame Agrarpolitik. Der Europäische Rat ist der Auffassung, daß die Einführung der EWS als solche nicht zu Änderungen der vor dem 1. Januar 1979 bestehenden Situation führen muß, bei der Agrarpreise, Währungsausgleichsbeträge und alle anderen für die Zwecke der gemeinsamen Agrarpolitik festgesetzten Beträge in Landeswährungen ausgedrückt sind.Dies ist der erste Absatz. Der zweite Absatz lautet:Der Europäische Rat betont, daß es im Interesse einer Wiederherstellung der Preiseinheit in der gemeinsamen Agrarpolitik, unter gebührender Berücksichtigung der Preispolitik, wichtig ist, daß die Schaffung dauerhafter Währungsausgleichsbeträge künftig verhindert wird und die bestehenden Währungsausgleichsbeträge schrittweise verringert werden.Die Bundesregierung wird sich strikt an diese Abmachungen halten.
Sie kann auch erwarten, daß sich andere Regierungen ebenso strikt daran halten.
Dies ist die Auffassung, die die Bundesregierung in allen Verhandlungen vertritt. Damit hier keine Mißdeutung entsteht, sage ich: Diesbezüglich gibt es keinen Dissens zwischen dem Bundeskanzler und dem amtierenden Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Ich kann mir auch nicht vorstellen — ich sage das in aller Deutlichkeit —, daß man in Europa so etwas beschließt und nachher mit Hilfe von Interpretationen andere Lösungen anstrebt, die zum Schaden eines Landes gereichen. Dies würde mein europäisches Bewußtsein zutiefst erschüttern.
Deshalb nehme ich auch bei allen Auseinandersetzungen, die es zugegebenermaßen im Moment gibt, an, daß man sich am Ende wieder an das erinnern wird, was man gemeinsam beschlossen hat. Das habe ich hier verlesen. Das ist deutlich und präzise und war übrigens auch der bisherige Weg der Bundesregierung.Es wurde mit Recht darauf hingewiesen, daß wir seit 1969 eine Aufwertungsmarge von 30 % im Bereich der EG hatten und daß davon 20 % pragmatisch abgebaut wurden. Die Details brauche ich hier in diesem Hohen Hause nicht zu schildern. Sie sind bekannt.Es hat auch noch nie einen Zweifel daran gegeben, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß es das Zweckmäßigste ist, solange es unterschiedliche Inflationsraten gibt, im Rahmen der Preisrunden durch entsprechend abgewogene und der Sache gerecht werdende Preisbeschlüsse einen Abbau des Grenzausgleichs, und zwar sowohl positiv als auch negativ, vorzunehmen.In diesem Zusammenhang muß ich aus der Sicht des verantwortlichen Ministers für Ernährung und für Landwirtschaft sagen: Der wäre der Glücklichste, wenn es keine Währungsveränderungen gäbe. Aber man sollte ihn nicht in die Lage bringen, daß er als Folge von Währungsveränderungen, die gegebenenfalls ökonomisch notwendig sind, für Maßnahmen zu Lasten eines Teils unseres Volkes verantwortlich zeichnen soll.
Dies ist die Problematik. Ich billige auch allen Partnerstaaten zu, daß sie derartige Probleme haben.
Die Lösung dieser Probleme ist aber von der Optik her einfacher in einem Abwertungsland als in einem Aufwertungsland.
Ich sage bewußt: von der Optik her; denn ich möchte keiner Landwirtschaft zumuten, in einem Inflationsland produzieren zu müssen. Ich meine, einer der größten Beiträge der Bundesregierung auch für die Einkommens- und Ertragssituation der deutschen Landwirtschaft war die Wiederherstellung der Stabilität.
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Bundesminister ErtlDies wollte ich einmal gesagt haben.Die Probleme liegen in diesem System begründet. Es wird einmal ein bedeutendes Kapitel für die Historiker werden. Vielleicht kann da auch die Rutschbahn hineinkommen, wobei ich immer noch nachdenke, wie man auf Sand rutschen kann.
— Schieben? Das eher bei Schnee und Eis.
Es wird jedenfalls für die Historiker eine interessante Frage sein, wie man zu der Annahme kam, über eine lange Periode feste Wechselkurse aufrechterhalten zu können — und das ausgerechnet noch im Zusammenhang mit einem Agrarmarktordnungssystem.Frau Präsidentin, ich glaube, ich habe die Hälfte meiner Zeit hinter mir, deshalb möchte ich dazu keine weiteren Bemerkungen machen. Ich kann Ihnen nur sagen: Dies ist die Position der Bundesregierung. Wir halten uns strikt an die Abmachungen von Brüssel und erwarten das auch 'von allen unseren Partnern.
Es kann kein Europa geben, in dem man ununterbrochen versucht, Lasten einseitig zu verteilen. Europa wird es in meinen Augen nur geben, wenn Geben und Nehmen in einer fairen, partnerschaftlichen Weise erfolgen.Ich habe noch eine Bemerkung zu einer Untersuchung zu machen, die vielleicht in der Öffentlichkeit eine große Rolle spielen wird. Ich habe untersuchen lassen, wie sich der Warenverkehr in den Jahren seit 1970, also seitdem es einen Grenzausgleich gibt, entwickelt hat. Ich will Sie nicht allzu lange mit Statistiken aufhalten. Aber ich möchte i darauf hinweisen, daß z. B. Frankreich bei ernährungswirtschaftlichen Gütern im Handel mit EG und Drittländern zusammen in den Jahren 1970 bis 1976 einen Ausfuhrüberschuß hatte. Diese Bilanz wird wohl auch im Jahre 1978 wieder positiv sein; im Jahre 1977 war sie zum erstenmal negativ. Wenn man sich den Handel Frankreichs mit der EG ansieht, zeigen sich große Schwankungen des Saldos: 1970 betrug der Ausfuhrüberschuß 934 Millionen ERE, 1974 2,4 Milliarden, 1975 1,593 Milliarden, 1976 2,128 Milliarden, 1977 1,623 Milliarden ERE. Die Hauptabnahmepartner Frankreichs waren Italien und die Bundesrepublik Deutschland. Die von mir genannten Zahlen — wegen der fortgeschrittenen Zeit kann ich das hier nicht mehr vertiefen — des französischen Außenhandels lassen nicht schlüssig die These zu, daß der Grenzausgleich gravierende Veränderungen im Vergleich zu den Jahren 1963 bis 1970 herbeigeführt hat. Das Jahr 1977 ist ein besonderes Jahr gewesen. Das lag daran, daß Frankreich infolge Trockenheit eine ganz besonders schlechte Getreideernte hatte und deshalb nicht lieferungsfähig war.Das wollte ich in diesem Zusammenhang sagen. Ich hoffe und wünsche mir, daß wir in Europa sehr bald in eine Phase ökonomischer und währungspolitischer Stabilität eintreten. Nichts verträgt der Agrarmarkt weniger als Währungsveränderungen. Das ist der Wunschtraum dieses Ressortministers, das muß das Ziel sein. Auch das EWS sehe ich in dieser Richtung. Würden diese höhere Währungs-und ökonomische Stabilität nicht möglich sein, müßte man sich diesbezüglich wirklich kritische Gedanken machen. Im übrigen hoffe ich, daß die derzeitigen Differenzen in einer fairen, für alle Seiten tragbaren Form bereinigt werden. Dabei beziehe ich mich noch einmal auf das, was die Bundesregierung ausdrücklich erklärt hat: daß sie im Zusammenhang mit der Einführung des EWS Einkommenseinbußen für die deutsche Landwirtschaft nicht hinnehmen kann.Ich darf hier noch in aller Kürze erwähnen — denn die letzte Minute meiner Redezeit ist, wie ich sehe, angebrochen —,daß es zum Thema Renten für jüngere Witwen in der Zwischenzeit nicht nur einen Referentenentwurf, sondern eine Kabinettsvorlage gibt, die mein Kollege Ehrenberg federführend unterzeichnet hat. Ich verstehe sehr wohl, daß sich die Opposition hier nicht das Vorrecht hat nehmen lassen. Wenn ich in der Opposition wäre, hätte ich das auch nicht geschehen lassen; dafür habe ich also volles Verständnis. Nur, die Bundesregierung muß natürlich prüfen, wie sie das im Rahmen ihrer Gesamtpolitik vertreten kann, muß im Auge haben, daß sie den Verfassungsauftrag erfüllen muß, eine Gleichstellung von Mann und Frau herbeizuführen. Sie darf hier nicht durch ein sektorales Gesetz ein Präjudiz schaffen. Im übrigen habe ich nach all dem, was auch hier das Parlament gesagt hat, keine Zweifel, daß das bis zum Jahre 1980 — etwas anderes, Herr Schmitz , habe ich nie gesagt verabschiedet wird.Lassen Sie mich ein letztes sagen. Selbstverständlich war dieses Jahr — ich begrüße das sehr — ein Jahr der Stabilität, auch für die Verbraucher. Wir hätten keine Preissteigerungsraten unter 3 % gehabt, wenn wir nicht die niedrigen Nahrungsmittelpreise gehabt hätten. Das danken wir der tüchtigen deutschen Landwirtschaft, der tüchtigen deutschen Ernährungswirtschaft — ob Industrie oder Handwerk — mit all ihren Beschäftigten.
Diese Politik ist nur möglich, wenn die übrigen Partner dasselbe Verhalten zeigen. Nach wie vor gilt: Stabilität ist der beste Weg für Erfolg in der Zukunft.Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Sehr verehrter Herr Schmitz , Sie kennen die Problematik um die Naturparks. Es waren CDU-Länder, die das Gesetz so geändert haben, daß dem Landwirtschaftsminister das Instrument aus der Hand geschlagen wurde; ich wiederhole: CDU-Länder. Ich habe das sehr bedauert. Der Herr Bundesfinanzminister war heute sehr fair zu mir, und dafür möchte ich mich bei ihm ausdrücklich bedanken. Denn er hat gesagt, er sehe ein, daß hier auf dem Umweltsektor etwas zu tun sei.•
Bundesminister ErtlDafür habe ich mich bei ihm zu bedanken. Wir werden hier nicht nach dem Gießkannenprinzip vorgehen, sondern wir werden internationalen Naturschutz, wir werden speziellen Biotopenschutz betreiben. Das halten wir im Interesse einer gesicherten und lebensfähigen Umwelt für sinnvoll.Ansonsten möchte ich den Berichterstattern, dem Ausschuß und allen Mitarbeitern danken. Ich hoffe, daß ich mit Ihnen in einem Jahr eine ebenso gute wie sachliche Debatte führen kann, wie ich dies jetzt tun kannte.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Dann schließe ich die allgemeine Aussprache.Zum Einzelplan 10 haben wir auf Drucksache 8/2484 unter Ziffer 6 einen Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion vorliegen. Kann ich davon ausgehen, daß Begründung und Aussprache in der allgemeinen Aussprache enthalten waren? — Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 10 insgesamt ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe nunmehr auf:Einzelplan 25Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau— Drucksachen 8/2419, 8/2470 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau TraupeWünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur allgemeinen Aussprache.Das Wort hat Herr Abgeordneter Hauser.Hauser (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Haushaltsplan 1979 des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau bewegt sich mit einem Volumen von 4,3 Milliarden DM in etwa im Rahmen der Entwicklung des Gesamthaushalts. Er ist in einer Vielzahl von Titeln — auch solchen von beachtlichem Gewicht — zwischen Koalition und Opposition in dem Sinne unumstritten, daß die dort vorgesehenen Ausgaben von uns allen bejaht werden. Nehmen wir als Beispiel die zwei größten Titel der Ausgabenseite: das Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz und die Prämien nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz. Diese beiden Titel allein enthalten mit ca. 2 Milliarden DM fast die Hälfte desganzen Haushalts. Das Wohngeld ist unverzichtbar, um die weniger begüterten Teile unserer Bevölkerung ausreichend mit Wohnraum zu versorgen. Die Bausparprämien sollen auch denen, die ihre Bausparleistungen nicht steuermindernd geltend machen können, die Ansparung des Eigenkapitals zur Bildung von Wohnungseigentum erleichtern. In beiden Fällen handelt es sich um Ausgaben auf Grund gesetzlicher Verpflichtung. In beiden Fällen haben wir uns gemeinsam bemüht, die im Jahre 1979 an- fallenden Ausgaben richtig zu schätzen, und sind zu Einvernehmen gelangt. Würde über jeden Titel des Haushalts einzeln abgestimmt, wir würden dieses Einvernehmen in den meisten Positionen erzielen. Das war übrigens auch in den Jahren, in denen die jetzigen Koalitionsfraktionen Oppositionsfraktionen waren, im Prinzip nicht anders.Ein Haushalt ist jedoch nicht nur die Addition einer Vielzahl einzelner Titel. Er ist vielmehr — und das nicht nur im Verwaltungshaushalt — das Instrument, mit dem Regierung und Koalition ihre Politik machen. Zustimmung und Ablehnung zum Haushalt beinhalten daher Zustimmung und Ablehnung zur Politik des Ministers und der Koalition insgesamt. Bei mancher Übereinstimmung im Detail müssen wir der Gesamtpolitik des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau unsere Zustimmung versagen, weil diese Gesamtpolitik mit zu vielen Fehlern und Mängeln behaftet ist.Der Kern unserer unterschiedlichen politischen Auffassungen ist in der ausführlichen Debatte über die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zur Neuorientierung der Wohnungspolitik am 12. Mai 1978 erörtert worden. Ich will die wichtigsten Punkte hier noch einmal herausstellen und bin gewiß, daß die vorgesehenen nachfolgenden Redner meiner Fraktion dies noch vertiefen werden.Bei Anerkennung der Tatsache, daß die Bildung von Wohnungseigentum Fortschritte gemacht hat, darf nicht übersehen werden, daß kinderreiche und junge Familien nicht das Maß besonderer Förderung erhalten, dessen sie bedürfen, um Wohnungseigentum auch in jüngeren Jahren erwerben zu können.
Da nach der Gründung einer jungen Familie, insbesondere mit Kindern, der Normalbürger nicht in der Lage ist, das zum Erwerb von Wohnungseigentum erforderliche Eigenkapital in überschaubarer Zeit anzusparen, müssen Wege gefunden werden, dieses Problem durch Eigenkapitalhilfen und/oder Bürgschaften zu lösen.
Dies gilt insbesondere dann, wenn der Mieter daran interessiert ist, seine jetzige Sozialmietwohnung als Eigentumswohnung zu erwerben. Die im Haushalt bereitstellbaren Mittel für den sozialen Wohnungsbau reichen bei weitem nicht aus, in dem wünschenswerten oder auch nur notwendigen Umfang Mietwohnungen im sozialen Wohnungsbau zu errichten. Die Entwicklung der Baukosten trägt hierzu bei.Wenn aber die öffentlichen Mittel für den Mietwohnungsbau bei weitem nicht ausreichen, ist es um
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Hauser
so notwendiger, private Investoren für die Errichtung frei finanzierter Wohnungen zu gewinnen. Dazu gehört die Abkehr von politischen Thesen und Forderungen, wie sie in SPD-Programmen zu finden sind — z. B. die von der schrittweisen Überführung von Grund und Boden in Gemeineigentum; das war vor einiger Zeit übrigens auch einmal ein Beschluß des SPD-Unterbezirks Bonn —, und die Abkehr von der Klischeevorstellung vom ausbeuterischen Hausbesitzer.
Dazu gehört auch, daß die Neubaumieten zumindest die laufenden Ausgaben decken. Das Wohnraumkündigungsschutzgesetz muß so verändert werden, daß es der Erzielung kostendeckender Mieten nicht im Wege steht.
Um jeder Fehlinterpretation vorzubeugen: Nicht jeder Mieter kann oder will Eigentum an seiner Wohnung erwerben. Für die Mieter, für die die Mietwohnung Mittelpunkt ihres Lebens ist und bleibt, bleibt der gesetzliche Schutz vor nicht gerechtfertigten Kündigungen unabdingbar.Die knappen öffentlichen Mittel für den sozialen Wohnungsbau müssen stärker als bisher von objektbezogener Förderung auf subjektbezogene Förderung verlagert werden.
Durch Vereinfachung des Baurechts müssen bürokratische Hemmnisse des Wohnungsbaus beseitigt werden.
Hier hat die Debatte der vergangenen Woche erfreulicherweise in einigen Punkten Übereinstimmung signalisiert. Hoffen wir, daß sich das im Laufe des weiteren Gesetzgebungsverfahrens bewahrheitet.Lassen Sie mich nun auf einige Einzelpunkte des Haushalts eingehen.Zunächst möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die außerordentlich hohen Vorbelastungen künftiger Haushalte durch die in der Vergangenheit und auch in diesem Haushalt eingegangenen Verpflichtungsermächtigungen lenken. Allein aus dem früheren Regionalprogramm, heute Eigentumsprogramm genannt — übrigens einem an sich durchaus wohltätigen, weil wohnungsbau- und eigentumsfördernden Instrument —, sind die künftigen Haushaltsjahre mit insgesamt 16 Milliarden DM vorbelastet; mit 16 Milliarden DM! Aus der Förderung heizenergiesparender Investitionen sind künftige Haushalte mit ca. 2 Milliarden DM vorbelastet. Dies sind nur die zwei gravierendsten Beispiele.Berücksichtigt man, daß fast die Hälfte des 4 Milliarden DM starken Einzelplans 25 durch Wohngeld und Bausparprämie gebunden ist, wird klar, daß diese Finanzierungsmethode der Bindungsermächtigung in dem heutigen Umfang auf die Dauer nicht fortsetzbar ist. Schon jetzt sind für das Haushaltsjahr 1983 — für dieses eine Jahr, das erst in vierJahren dran ist — 1,3 Milliarden DM durch Verpflichtungsermächtigungen gebunden. Auf diese Weise wird der Haushalt unbeweglich und unfähig, sich neuen Entwicklungen und Erkenntnissen anzupassen.Ich möchte mich nun der Position, die von dem neuen Begriff „Stadthaus" geprägt ist, einen Moment zuwenden.
— Herr Kollege Dr. Möller, Sie fragen, was das ist. Ich habe mich das auch gefragt, und ich habe versucht, das in den Berichterstattergesprächen zu ergründen. Offenbar bin ich begriffsstutzig; jedenfalls hatte ich es nach einer halben Stunde Berichterstattergespräch immer noch nicht begriffen. Es scheint da aber auch Schwierigkeiten für andere zu geben. Da hat im September 1978 die 8. Sitzung des Deutschen Rates für Stadtentwicklung im Bundesministerium stattgefunden — da sitzen anerkannte Fachleute —, und da hat man sich auch mit dem Problem, wie man die Innenstädte attraktiver machen kann, befaßt. In der anschließenden Diskussion zum Thema Stadthaus wurde bezweifelt, daß die bisher vom Bundesbauminister entwickelten Modelle dem Ziel näherführten. Ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin aus dem Protokoll zitieren:Das ständige Propagieren eines Idealbildes vom sogenannten Stadthaus sei ebenso problematisch wie die Realisierbarkeit einer nennenswerten Zahl dieser Gebäudeform.
Niemand vermag bis heute zu sagen, ob es jemals zu einer nennenswerten Realisierbarkeit kommen wird. Eines allerdings ist schon heute abzusehen: Das Stadthaus eignet sich vorzüglich für Ministerreisen in die Lande, insbesondere dann, wenn Wahlen bevorstehen.
— Ich danke Ihnen für Ihre Zustimmung.
Meine Damen und Herren, wir sind und waren uns in den Berichterstattergesprächen darüber einig, daß ein öffentliches Interesse an der Forschung auf den Gebieten der Raumordnung und des Städtebaus sowie des Bau- und Wohnungswesens besteht. Es muß aber gewährleistet sein, daß die Bundesmittel für diese Zwecke erfolgsbezogen und nach den Grundsätzen sparsamer Haushaltsführung eingesetzt und insbesondere Überschneidungen von Forschungsvorhaben vermieden werden. Hier haben wir in Übereinstimmung der Berichterstatter und des Ausschusses durch eine entsprechende Kürzung der Titelgruppe 01 in Kap. 25 01 gemeinsam ein Signal gesetzt.Übereinstimmung besteht auch in der Anerkennung der Wohnberatung als einer Hilfe für den Verbraucher des Gutes Wohnung. Da der Bundeszuschuß zur Förderung der Arbeitsgemeinschaft Wohnberatung im Einzelplan 25 des Bundeshaus-10230 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode— 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979Hauser
halts auf verfassungsrechtliche Bedenken des Bundesrechnungshofs stieß, haben wir ihn einvernehmlich und unter Wiederherstellung des Vorjahresansatzes in den Einzelplan des Bundeswirtschaftsministers als Teil der Verbraucherberatung umgesetzt.Der Ausbau Bonns zu einer funktionsfähigen, den Bedürfnissen der Bundesrepublik, ihrer Staatsorgane, aber auch der Bonner Bevölkerung entsprechenden Hauptstadt macht Fortschritte. Auch diese Mittel sind ja Teil des Einzelplans 25. So werden im Haushalt 1979 Mittel für die Vorbereitung des Neubaus des Verkehrsministeriums bereitgestellt. Die langjährige provisorische Unterbringung dieses Ressorts nähert sich dem Ende.Wenn auch die hierzu erforderlichen Mittel aus Gründen der einheitlichen Veranschlagung des Verteidigungsbeitrags in Einzelplan 14 untergebracht sind, so sei doch in diesem Zusammenhang erwähnt, daß mit den Neubauten auf der Hardthöhe in diesem Jahr begonnen und die Aufsplitterung der Dienststellen dieses größten Ministeriums, des Verteidigungsministeriums, auf viele, zum Teil angemietete Standorte in Bonn damit beendet wird.Bei dem Titel „Vorsorglicher Erwerb von Grundstücken für Zwecke der Bundesregierung" haben wir nach sehr sorgfältiger Prüfung dem Erwerb des Petersberges zugestimmt, damit in dieser landschaftlich einzigartigen Lage ein angemessenes Gästehaus der Bundesrepublik entstehen kann. Wir hoffen, daß die nicht unerheblichen Kosten dieser Maßnahme durch die außenpolitischen Vorteile einer vorzüglichen Unterbringung unserer Staatsgäste gerecht- fertigt werden, zumal die Richtlinien der Politik und damit auch die der Außenpolitik bei Fertigstellung des Gästehauses nach unserer festen Überzeugung von einem Bundeskanzler der CDU bestimmt werden.
Wichtigstes Neubauvorhaben in Bonn sind die Parlamentsneubauten Bundestag und Bundesrat. Sie sollen das Kernstück des engeren Parlaments- und Regierungsviertels bilden. Hier gilt es, sowohl den praktischen Bedürfnissen einer verbesserten Arbeitsfähigkeit der Verfassungsorgane als auch der städtebaulichen Bedeutung dieser Aufgabe gerecht zu werden.
Die- Planung muß daher mit großer Sorgfalt und in Abstimmung mit der Stadt Bonn als dem Träger der Planungshoheit erfolgen.
Nach sechsjähriger Planung, unter Einschluß eines großen Wettbewerbs und nachdem inzwischen alle Fraktionen dieses Hohen Hauses dem Neubauvorhaben im Grundsatz zugestimmt haben, ist es .wünschenswert, daß noch in dieser Legislaturperiode das Stadium der Planung abgeschlossen und der Grundstein zum Neubau gelegt wird.Der im Sommer 1970 zwischen dem Bund, dem Land Nordrhein-Westfalen und der Stadt Bonn für die Dauer von zehn Jahren abgeschlossene Vertrag über den gemeinsamen Ausbau Bonns zur Bundeshauptstadt läuft Ende dieses Jahres ab. Er bedarf der Ablösung durch eine neue Vereinbarung. Als der in Bonn direkt gewählte Abgeordnete habe ich den Wunsch, aber auch die sichere Hoffnung, daß die Neuregelung den gewachsenen Finanzschwierigkeiten der Stadt Bonn — in puncto Verschuldung hervorgerufen durch eine übermäßige finanzielle Zurückhaltung des Bundes zu Zeiten, als alle Fraktionen dieses Hohen Hauses noch an ein baldiges Ende des Provisoriums glaubten — Rechnung trägt.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Traupe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts der fortgeschrittenen Stunde und der Tatsache, daß Sie, die Sie hier noch so tapfer ausharren, nicht übermäßig durch einen Etat strapaziert werden sollten, der im Grunde, mein sehr verehrter Herr Kollege Hauser, mit großer Einstimmigkeit und mit sehr viel Intensität von uns beiden als Berichterstatter und Mitberichterstatter beraten worden ist, möchte ich mich auf Wesentliches beschränken. Es erstaunt mich, daß Sie pauschal erklären, der Herr Bundesminister habe in seiner Gesamtpolitik Fehler gemacht und deswegen könnten Sie ihm nicht zustimmen. Nur haben Sie ihm nicht einen einzigen ernst zu nehmenden Fehler nachgewiesen.
Ich meine, daß wir angesichts der fortgeschrittenen Zeit auch gar nicht versuchen sollten, uns hier zu übertreffen.Wohnungsbauprobleme sind zum Glück in unserem Staat seit einigen Jahren aus den spektakulären Meldungen der Medien herausgekommen. Dies rechtfertigt freilich die Aussage von Herrn Kollegen Biedenkopf überhaupt nicht, der Wohnungsbaubedarf sei gedeckt.. Hier widersprechen Sie ihm auch als eigene Fraktion durch Ihre Anträge.
Die Förderung des Wohnungsbaus hat im Jahre 1973 noch einen Verpflichtungsrahmen von 1,7 Milliarden DM gehabt, ist im Jahre 1978 auf 3,2 Milliarden DM Verpflichtungsrahmen gestiegen und liegt heute noch einmal um rund 100 Millionen DM höher. Damit ist bewiesen — auch Sie, Herr Hauser, und auch Ihre Kollegen im Haushaltsausschuß wünschten nichts an diesem Titel zu ändern —, daß der Förderung des Wohnungsbaus weiterhin der Vorrang gegeben wird.Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung von 1976 als einen wichtigen Punkt der Aufgaben seines Kabinetts herausgestellt, ein ausreichen-
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Frau Traupedes Wohnungsangebot für benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu sichern, die Eigentumsquote zu erhöhen und die Verbesserung der Stadtumwelt anzustreben. Immerhin ist zu erwähnen-, daß heute knapp 40 % aller Haushalte in der Bundesrepublik ein Eigenheim oder ein Eigentum besitzen, daß sich dies aber noch weitere 35 % der Haushalte wünschen.Ich möchte zu dem vorgelegten Etat nicht sehr viel zu Einzelheiten sagen. Er ist mit einer Steigerungsrate von 5,2 % im Haushalt 1979 eingesetzt, steht auf dem Hintergrund einer günstigen bauwirtschaftlichen Entwicklung und weist erfreulicherweise auf eine Verstetigung der bauwirtschaftlich bedeutsamen Aufgaben hin. Dies haben Sie, Herr Kollege Hauser, anders gesehen, indem Sie gesagt haben, der Bund habe sich durch Verpflichtungsermächtigungen zu lange festgelegt. Ich bin der Meinung, daß es sinnvoll ist, von dem Auf und Ab der Konjunkturpolitik etwas wegzukommen.Damit bin ich gleich bei dem nächsten Beispiel; ich glaube nämlich, daß es die Kollegen des Deutschen Bundestages unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gern zur Kenntnis nehmen werden, daß das Modernisierungs- und Energieeinsparungsprogramm in der Bevölkerung gut angekommen ist. Wir haben von den Ländern die Nachricht, daß der bereitgestellte Finanzrahmen voll ausgeschöpft wird. Durch den strengen Winter und das schon zur Zeit voll ausgelastete Ausbaugewerbe verzögert sich die Durchführung der Modernisierungsmaßnahmen für den einzelnen allerdings. Wenn Sie aber, Herr Kollege Hauser, sagen, wir hätten für Energieeinsparungsmaßnahmen in den nächsten Jahren 2 Milliarden DM durch Verpflichtungsermächtigungen festgelegt, so muß ich Ihnen sagen, daß es ja wohl eine sinnvolle Zukunftsaufgabe ist, Energie einzusparen. Ich kann mich erinnern, daß Ihre Fraktion bei dieser politischen Absicht nicht mitgespielt hat.
Mitgespielt hat sie bei den bürokratischen Hemmnissen, und mitgespielt hat sieg daß dieses Programm erst später in Kraft treten konnte. Die Länder sind auch ein wenig schuld daran, daß es zu aufwendigen Antragsformularen gekommen ist.
Das Land Niedersachsen, das ja von Ihrer Partei regiert wird, hat es fertiggebracht, sieben Seiten Antragsformulare zu verlangen, deren Ausfüllung ein Normalbürger im Zusammenhang mit Heizenergieeinsparungs- und Modernisierungsmaßnahmen kaum bewältigen kann.
Ich finde, dies ist kein Beitrag zur Entbürokratisierung. Fragen Sie einmal den Kollegen Schnipkoweit, was er sich dabei gedacht hat.
Herauszustreichen ist beim Haushalt 79, daß de] Verpflichtungsrahmen für Städtebauförderungsmaßnahmen von 183 Millionen DM im vorangegangenen Jahr auf 250 Millionen DM erhöht werden konnte. Die Nachfrage nach diesen Mitteln ist unerwartet groß. 1 700 Gemeinden haben sich für die Bundesfinanzhilfen angemeldet, 436 konnten wir erst berücksichtigen. Da die für das Bauwesen zuständigen Minister und Senatoren die Aufstockung dieser Bundesmittel begrüßt haben, hoffen wir auch, daß sie uns 1980 helfen werden, bei diesem Titel vielleicht noch einmal etwas kräftiger zuzulangen.Aus dem Zukunftsentwicklungsprogramm „Verbesserung der Lebensbedingungen in Städten und Gemeinden" mit einem ursprünglich auf vier Jahre geplanten Gesamtvolumen von 950 Millionen DM sind bereits bis zum Ende des Jahres 1978, also nach zwei Jahren, 820 Millionen DM abgerufen worden, d. h., für die Erneuerung der historischen Stadtkerne, für den Ersatzwohnungsbau und die Beseitigung störender Gewerbebetriebe und für Infrastrukturmaßnahmen konnten in zwei Jahren bereits 2 200 Vorhaben, die angemeldet und bereits auch in der Durchführung sind, gefördert werden. Dies ist eine große Leistung und beweist einmal mehr, daß dieses Zukunftsentwicklungsprogramm sinnvoll war, ist es doch im Rahmen der konjunkturellen Steuerung aufgelegt worden.Ich möchte aus dem Einzeletat noch ein paar auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so wesentliche Punkte herausheben, die ich aber für erwähnenswert halte. Wir haben die Mittel für die Weiterentwicklung des Wohnungs- und Städtebaus durch Modellvorhaben, Versuchs- und Vergleichsbaumaßnahmen wesentlich erhöht. 1978 wurden 41 Millionen DM verplant, 1979 haben wir 88,5 Millionen DM vorgesehen. Viele Kolleginnen und Kollegen kennen aus ihrem Wahlkreis Modellvorhaben zur Altstadtsanierung. Ich denke hierbei an die größte Gemeinde meines eigenen Wahlkreises, an die Stadt Hameln, wo Sozialdemokraten bereits mit Unterstützung des damaligen Wohnungsbauministers Lauritz Lauritzen ein Modellvorhaben angemeldet haben, das man — heute fast abgeschlossen - als ein Musterbeispiel europäischer Stadtsanierung ansehen kann. Wenn Sie Zeit haben, sollten Sie sich die Stadt Hameln nicht nur wegen des Rattenfängers und ihrer wunderschönen Umgebung, sondern auch wegen der wunderschönen Altstadt einmal ansehen.
Hier haben wir, seitdem Sozialdemokraten in Bonnin der Regierung sind, mit Bundesmitteln etwas er-reicht, was vorher lange hat auf sich warten lassen.
Das zweite Modellvorhaben, das ich nennen will und das ich für fast noch wichtiger halte, ist das der Altstadtsanierung in einer Industriegemeinde wie Völklingen. Ich hatte anläßlich einer Delegationsreise meiner Fraktion im November des letzten Jahres in das Saarland Gelegenheit, mir diese Stadt anzusehen. Sie ist geprägt durch Kohle und Stahl. Meines Erachtens trägt sie die Spuren des schnellen anorganischen Wachsens der Gründerjahre. Mit Hilfe von Bundesmitteln haben wir versucht, auch die
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Frau TraupeWohnqualität dieser Stadt zu verbessern. Zu erwähnen ist, daß wir dieser Stadt mit Bundesmitteln aus anderen Etats bei der Verkehrserschließung und der Umweltentlastung schon entscheidend geholfen haben. Ich glaube, auf diese Weise, nämlich durch die Verbesserung der Raumordnung und Infrastruktur, ist es möglich, die Abwanderung von Arbeitskräften und die Abschaffung von Arbeitsplätzen zu verhindern.
— Sie können sich die gesamte Liste vom Bundesbauminister zeigen lassen. Er wird sehr stolz darauf sein. Er hat auch allen Grund, darauf stolz zu sein.Bei einem anderen Titel haben wir die Mittel in diesem Jahr um 12,5 % erhöht. Das ist der Titel „Experimenteller Wohnungsbau". Meine Fraktion sieht darin eine ganz wichtige Aufgabe. Wir müssen für die Zukunft Wohnstandardwünsche unter gewandelten wirtschaftlichen und allgemeinen Lebensbedingungen erforschen. Herr Kollege Hauser, ich widerspreche Ihrer Behauptung ganz entschieden, daß man bereits nach so wenigen Jahren das Stadthausprojekt verurteilen könne. Wir waren gemeinsam skeptisch, ob es nicht vielleicht ein paar Vorhaben zuviel seien. Ich kann aber überhaupt noch keinen Grund sehen, zu sagen, daß dieses Projekt gescheitert ist. Im Gegenteil: Wir müssen prüfen, wie wir zu neuen Formen des Wohnens im Stadt- und Großstadtbereich kommen.
Stolz können wir darauf sein, daß wir beispielsweise in der Stadt Norden und Hamburg-Bergedorf modernen Behindertenwohnungsbau erproben. Das ist in meinen Augen ein wesentliches Experiment und ein Zeichen dafür, daß wir auch Randgruppen der Bevölkerung unsere Aufmerksamkeit widmen — nicht nur durch die pauschale Überweisung von Mitteln, sondern in entscheidender Weise auch durch Versuche, durch Erprobungen. Das Thema Wohnumfeldverbesserung, bei dem wir uns jetzt noch im experimentellen Stadium befinden, werden wir in den nächsten Jahren sicherlich noch mehr diskutieren müssen.Für ganz wesentlich — das bezieht sich auch ein wenig auf Ihren Antrag, den Sie zu diesem Etat gestellt haben — halte ich Experimente mit Service-Häusern und flexiblen Wohngrundrissen. Niemand kann mir einreden, ,daß eine sinnvolle Familienpolitik nur in der Form von billigeren und größeren Wohnungen bestehen kann. Wir müssen prüfen, ob in der Zukunft neue Wohnbedürfnisse bzw. welche verschiedenen Arten von Wohnbedürfnissen bestehen. Ich kann Ihnen nur sagen: Billigere und größere Wohnungen helfen Frauen mit kleinen Kindern nur begrenzt. Die Einplanung von heute zum Glück etwas originelleren Kinderspielplätzen reicht noch nicht aus, um Freizeitwünsche in kleineren Bereichen von Stadtteilen abzudecken. Auch hier müssen wir unbedingt für mehr Gemeinschaftseinrichtungen Sorge tragen, die nicht so sehr den offiziellen staatlichen Charakter haben, sondern etwas mehr auf den persönlichen Bereich zugeschnitten sind.Anläßlich dieses Haushalts können wir feststellen, daß eine Vielzahl sinnvoller ressortzugehöriger Forschungen, auch im Städtebauministerium, betrieben wird. Diesem Thema haben sich ja Herr Hauser und ich besonders gewidmet. Zu bedauern ist allerdings — und darin liegt für mich ein Problem —, daß die Mitglieder des Bundestages oft nicht die Zeit haben, die vielen guten Ergebnisse im ressortzugehörigen Forschungsbereich rechtzeitig aufzuarbeiten und in eigene Initiativen umzuwandeln. Das trifft übrigens keineswegs nur für diesen Haushalt zu, sondern als neues Mitglied des Haushaltsausschusses habe ich diese Erfahrung bei allen Einzelhaushalten gemacht. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir diese wertvolle und für heutige moderne Lebensformen wichtige Forschung im Parlament umsetzen können. Die Ministerien haben diejenigen Mitarbeiter, die das aufarbeiten, und daher sind hier speziell die Parlamentarier angesprochen.
Lassen Sie mich die abschließenden Sätze dem Stand der Planung über den Ausbau Bonns als Bundeshauptstadt und dem Kauf des ehemaligen Hotels Petersberg widmen. Wir haben uns damit abfinden müssen, daß Bonn noch einige Zeit Hauptstadt der Bundesrepublik bleiben wird. Niemand in diesem Plenum hat das gewollt, aber die Dinge sind eben so. Erstmals ist es aber unter sozialdemokratischen Kanzlern gelungen, mit der Stadt Bonn einen Vertrag über die großzügige finanzielle Unterstützung dieser Stadt zu schließen, die natürlich durch die plötzliche Tatsache, daß sie Regierungshauptstadt wurde, allein überfordert war. Von 1970 bis 1979 wird die Stadt für laufende Aufwendungen und Investitionen über 900 Millionen DM aus dem Städtebauministerium erhalten haben. Darin sind die Aufwendungen für Verkehrsprobleme noch überhaupt nicht enthalten. Nun stehen wir in Neuverhandlungen zwischen dem Bund und der Stadt Bonn, wobei ich dabei darauf hinweisen möchte, daß ich der Meinung bin, der Bund müsse auch weiterhin der Stadt helfen.
Allerdings muß dies in angemessenem Verhältnis zu den Gegenleistungen dieser Stadt stehen. Da bin ich nun der Meinung, daß uns die Stadt ein bißchen lange in dem Gremium hinhält, das als Unterkommission des Ältestenrates unter Leitung der Frau Vizepräsidentin Renger eingerichtet worden ist und sich um den Parlaments- und Regierungsausbau bemüht. Niemand kann doch ernsthaft bestreiten — ich als junges Mitglied des Hauses sage Ihnen das in aller Offenheit —, daß die Arbeitsbedingungen dieses Parlaments und seiner Abgeordneten und auch der Verwaltung unzureichend und einem reichen Staat nicht angemessen sind.
Mit Recht soll die Stadt aufs neue auf einem sinnvollen Gesamtkonzept bestehen, aber sie kann uns auch nicht an der Nase herumführen.
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Frau TraupeWir werden deshalb bei den Verhandlungen über neue finanzielle Leistungen für die Stadt Bonn als Sozialdemokraten im Haushaltsausschuß darauf achten, daß es zum Abschluß einer Bauplanung für das Regierungsneubauviertel kommt.
— Das kennen wir sehr gut von der Stadt, die ja eine Mehrheit der CDU hat. Ich meine, dieser Tatsache sollten wir genauso frisch entgegensehen.
Ein Letztes. Der Petersberg ist von vielen Leuten zunächst einmal als zu teuer bezeichnet worden. Ich sage Ihnen nicht, daß er mir billig erscheint. Die Anschaffungskosten sind hoch, und auch die Ausbaukosten werden beträchtlich sein. Ich bin nur der Meinung, daß die ideale Lage und die atmosphärischen Vorzüge für ihn sprachen. Aber — dies ist ein mahnendes Wort an die Bundesregierung, die auch über 1984 hinaus sicherlich einen Sozialdemokraten als Kanzler haben wird — ein Ausbau — nicht in Prunk, sondern der für eine Demokratie angemessene Ausbau — ist nun wichtig. Da hoffe ich eigentlich auf die Unterstützung aller im Haushaltsausschuß arbeitenden Kollegen: Wir wollen zeigen, daß wir repräsentieren können; wir wollen aber nicht anfangen, großmannssüchtig zu sein.Für meine Fraktion möchte ich erklären, daß wir dem Einzelplan 25 zustimmen werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schneider.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem der Herr Kollege Hauser sich mit dem Einzelplan 25 aus der Sicht des Haushaltsausschusses befaßt hat und dazu die Auffassung der Fraktion der CDU/CSU klargestellt hat, sehe ich meine Aufgabe darin, zum fachlich-sachlichen Bereich dieses Ressorts Ausführungen zu machen. Die Bilanz, die heute darüber zu ziehen ist, ist freilich alles andere als erfreulich.
Die Bundesregierung bietet vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklung in der wohnungs- und städtebaupolitischen Szene das Bild ratloser Verwirrung und konzeptionsloser Zerstrittenheit. Die Minister sind uneins. Der Bundeskanzler schweigt. Er steht nicht zu seinem Wort, das er vor dem Deutschen Mietertag am 20. Mai 1977 in Hamburg abgegeben hat. Der Herr Bundeskanzler macht von seiner Richtlinienkompetenz keinen Gebrauch.Allerdings muß ich auch noch hinzufügen: Die Bundesregierung behandelt das Parlament im Stile vordemokratischer Hoheitsträger;
sie demonstriert einmal mehr, daß sie Demokratie nur im Sozialismus verwirklicht sieht — so das Godesberger Programm.
— Ich habe nur das Godesberger Programm zitiert. Stehen Sie dazu oder nicht?
Stilfragen der Demokratie rühren an die Substanz unserer freiheitlichen Grundordnung. Sie sind kennzeichnend für Substanz und Wertstruktur unserer Verfassungswirklichkeit.Warum sage ich das?
— Die Antwort erhalten Sie sogleich.Die Bundesregierung hat versprochen, zum 1. Januar 1979 auf Grund eines einstimmigen Beschlusses des Bundestages vom 17. Oktober 1974 ihren Erfahrungsbericht über die Bewährung des Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes vorzulegen, Die ersten drei Wochen des Jahres sind verstrichen, ohne daß sie ihr Versprechen wahrgemacht hätte. Indessen lesen wir in den Zeitungen, daß zwischen dem Justizminister und dem Wirtschaftsminister darüber tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden. Die Bundesregierung wirkt am Parlament vorbei, informiert unzulänglich und irreführend.Ähnlich verhält sie sich ja auch hinsichtlich des von ihr zu erwartenden Berichtes zu § 7 b des Einkommensteuergesetzes. Die Bundesregierung will nicht wahrhaben, daß zwischen dem geltenden Mietrecht und der anhaltenden Investitionsschwäche im freifinanzierten Mietwohnungsbau ein ursächlicher, wenn auch nicht ausschließlich monokausaler Zusammenhang besteht. Sie bestreitet, daß das geltende Vergleichsmietensystem die Wirtschaftlichkeit des Hausbesitzes gefährdet. Sie sieht nicht, daß die Anwendungspraxis des Miethöhengesetzes nicht im Einklang mit den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 23. April 1974 steht. Sie leugnet, daß das geltende Vergleichsmietensystem in Verbindung mit § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes eine marktwirtschaftliche Entwicklung der Wohnungswirtschaft verhindert.Herr Bundesminister Vogel versucht aus sehr vordergründigen Überlegungen, die gegenwärtige Diskussion zur Überprüfung des Wohnraumkündigungsschutzgesetzes auf einen Nebenkriegsschauplatz zu verlagern, wenn er betont, keine Schwächung des Mieterschutzes zulassen zu wollen. Meine Damen und Herren, es geht hier nicht um den sozialen Mieterschutz; den will niemand antasten, am wenigsten die CDU/CSU.
Es geht allein darum, dem Vermieter als Äquivalent für das Verbot der Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung ein gesetzlich geordnetes, für Vermieter und Mieter nicht durch unzumutbare Risiken behaftetes Mieterhöhungsverfahren anzubieten, das
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10234 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Dr. Schneiderdie Wirtschaftlichkeit der Mietwohnungen nachhaltig sichert.Tatsache ist, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner jüngsten Entscheidung vom 16. Oktober 1978 die zunehmende Praxis der Gerichte als verfassungswidrig gewertet hat, Sachentscheidungen aus überzogenen formellen Anforderungen für den Nachweis der Vergleichsmiete zu verwehren. Meine Damen und Herren, wenn Sie der CDU/CSU und mir nicht glauben wollen, so glauben Sie doch einer einstimmig angenommenen Entschließung des Bauvereinstags 1977. Dort heißt es in der These 9, daß die wachsende Unwirtschaftlichkeit von Mietwohnungen das Investitionsvermögen behindere und daß ohne durchgreifende Reform des Mietpreisrechts, die wieder eine Rentabilität des Hausbesitzes ermögliche, die angemessene Wohnversorgung breiter Schichten der Bevölkerung gefährdet sei.
Eine Änderung des Miethöhengesetzes ist unabweisbar. Wer am Prinzip der Vergleichsmiete grundsätzlich festhalten will, muß vor allem § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes in seiner derzeitigen Form ändern; denn diese Bestimmung und die dazu ergangenen Richtlinien der Wirtschaftsminister der Länder sind zu eng gefaßt und führen nicht selten zu einer Diskriminierung der Vermieter.Die Bundesregierung begeht den außerordentlich schweren Fehler, das psychologische Element in der Wohnungspolitik außer Betracht zu lassen. Sie übersieht gänzlich, daß ihre Politik am Ende den sozial Schwachen am meisten schadet. Denn eine Wohnungspolitik, die zur Verknappung des Wohnraums führt, wird sich zwangsweise als unsozial und mieterfeindlich darstellen müssen.
Meine Damen und Herren, die Freien Demokraten müßten allen Eiden ihrer geistigen Väter und politischen Leitbilder abschwören, wenn 'sie weiterhin ihren Blick vor den aufgezeigten sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhängen verschließen. Die Freien Demokraten haben in der Öffentlichkeit mehrfach mutige und beifällig aufgenommene Erklärungen zugunsten der Wiederherstellung der Wirtschaftlichkeit im Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter abgegeben.
Heute stehen Sie, meine Damen und Herren von der Freien Demokratischen Partei, im Wort. Heute müssen Sie Ihren liberalen Schwur erneuern oder ein für allemal sagen, daß Sie auch den letzten Rest marktwirtschaftlicher Ordnungspolitik, liberaler Grundsatztreue dem Bündnis mit den Sozialdemokraten zum Opfer bringen wollen.
Herr Minister Haack, ohne Linie und Konzeption ist die Bundesregierung auch im Sozialen Wohnungsbau. Im Verhältnis zwischen Bund und Ländern bleiben alle bedeutenden perspektivischen Problemgruppen und Sachbereiche ungelöst, aus-geklammert oder allein den Ländern zur Regelung überlassen.Ich frage Sie, Herr Bundesminister Haack, weshalb Sie sich aus der Förderung des Wohnungsbaues für junge Ehepaare zurückziehen wollen, was Sie veranlaßt, künftig den Wohnungsbau in Zusammenhang mit Stadtsanierungsmaßnahmen nicht mehr zu fördern, und weshalb Sie keine Sondermittel mehr für die Förderung des Aussiedlerwohnungsbaues ab 1981 bereitstellen wollen? Ich frage Sie ernsthaft: Will sich diese Bundesregierung im Bereich Wohnungsbau ihrer nationalen Gesamtverantwortung für die rückgeführten Deutschen entziehen? Keine Bundesmittel mehr für den Wohnungsbau bei Sanierungsmaßnahmen? Was halten Sie dann von einer seriösen Städtebaupolitik, wenn im Wohnungsbaubereich der Bund dafür keine Mittel mehr bereitstellen möchte?Was die Konsolidierung des Sozialwohnungsbestandes und die notwendige Lösung seiner Strukturprobleme und Fehlentwicklungen angeht — ich nenne nur die Stichworte Mietpreisverzerrung, Nachsubventionierung, Fehlsubventionierung —, überläßt die Bundesregierung gleichfalls von vornherein den Ländern die alleinige Verantwortung. Als Paradebeispiel ist hier auf die anstehende Beratung der Bundesratsinitiative zur Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes und des Zweiten Wohnungsbaugesetzes hinzuweisen, die eine Teilliberalisierung des Sozialwohnungsbestandes vorsieht.Herr Bundesminister Haack hat bei der Frage der Liberalisierung des Sozialwohnungsbestandes eine Kehrtwendung vollzogen. Er hat sich Anfang des Jahres 1978 sowohl in der Öffentlichkeit wie auch innerhalb der Bundesregierung stets für die Vorschläge des Bundesrates zur Lockerung der Bindungen im Sozialwohnungsbestand ausgesprochen und sowohl die Erhöhung der Bagatellgrenze öffentlicher Baudarlehen von 1 000 DM auf 3 000 DM, bei deren vollständiger Rückzahlung die Bindungen sofort entfallen, als auch die Lockerung der zehnjährigen Nachwirkungsfrist für den Fall der vollständigen Ablösung der öffentlichen Mittel unterstützt.Meine Damen und Herren, halten wir fest: So wenig man den Wohnungsneubau allein mit Hilfe der Subjektförderung — sprich: Wohngeld — fördern kann, so wenig sind die Objektbindungen des Sozialwohnungsbestandes jetzt noch geeignet, zu einer wirtschaftspolitisch ausgewogenen und sozialpolitisch gerechtfertigten Wohnversorgung beizutragen. Die Überführung des Sozialwohnungsbestandes in die Marktwirtschaft und die Anpassung der Sozialmieten an das Niveau der Vergleichsmieten ist das Gebot der Stunde. Erst dann kann das Wohngeld im Wohnungsbestand seine sozialpolitische Aufgabe erfüllen. Darin sehe ich die einzig mögliche Politik, mit sozial, rechtsstaatlich und ökonomisch vertretbaren Mitteln die Probleme der Mietpreisverzerrung und Fehlsubventionierung zu lösen.Den eigentlichen Grund für das Untätigbleiben der Bundesregierung in dieser Frage haben Sie, Herr Bundesminister Haack, auf der Delegiertenkonferenz der Bundesarbeitsgemeinschaft für Städtebau- und
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10235
Dr. SchneiderWohnungspolitik der SPD am 4. Mai 1978 in Hannover genannt: Mietentzerrung geht nicht ohne Mieterhöhung. „Aber wenn wir ein flächendeckendes, über die ganze Bundesrepublik bezogenes Modell praktiziert hätten, dann wäre das jedenfalls für .uns ungünstiger gewesen." So Ihre wörtliche Meinung.Ein Wort zur Familienpolitik. Die bessere Verzahnung der Familienpolitik mit der Wohnungspolitik ist nicht zuletzt im Jahr des Kindes ein dringliches politisches Anliegen ersten Ranges.
Bundesminister Haack und Bundesminister Antje Huber haben sich in der Sommerpause dieses gängigen Themas angenommen. Sie haben präzis formulierte, konkrete Forderungen aufgestellt, um sogleich, als damit die Fraktion der CDU/CSU ernst machen wollte, zu ihrem Wort nicht zu stehen.Die familienpolitischen Vorstellungen der Bundesregierung sind unklar; vielfach widersprechen sie sich oder erweisen sich nur als deklamatorische Absichtserklärungen.
Von einer großen familienpolitischen Konzeption ist nichts in Sicht. Familienfeindliche Einstellungen treten in verschiedenster Weise und in unterschiedlichsten Zusammenhängen zutage. Der jüngste Fall ist die Einlassung der Bundesregierung auf das Wohnungsbauänderungsgesetz 1978. Innerhalb der Einkommensgrenze des § 25 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes ist dort vorgesehen, den Zuschlag für junge Ehepaare von 4 800 DM auf 9 000 DM zu erhöhen. Die Bundesregierung hat diesen Vorschlag abgelehnt.
Gestatten Sie mir auch noch ein Wort zu § 7 b. Hier liegt uns — aus Presseverlautbarungen bekanntgeworden; auch hier wurde die Presse informiert, bevor man das Parlament unterrichtet hat — eine Vorstellung der Bundesregierung vor, aus der man zunächst nicht recht klug werden kann. Die Bundesregierung sagt weder ja noch nein; sie läßt aber deutlich erkennen, daß sie § 7 b in seiner Substanz zur Diskussion stellen möchte.
Aus unserer Sicht kann kein Zweifel bestehen, daß § 7 b in seiner Substanz als Abschreibungsbegünstigung unangetastet bleiben muß.
Ein System der Direktförderung wäre keine brauchbare Alternative. Es würde am Ende wegen der zwangsläufigen Volumenbegrenzung nur zu Förderungseinbußen, Einkommensbegrenzungen und dergleichen mehr führen. Auch was die Grunderwerbsteuerbegünstigung angeht, besteht kein Zweifel, daß aus eigentums- und wohnungspolitischer Sicht eine ersatzlose Streichung im Wohnungsbau die beste Lösung wäre. Wir wollen insbesondere die Konzentration des § 7 b für ein Ehepaar auf ein und dasselbe Objekt, damit Ehepaare, die aus finanziellenGründen nicht in der Lage sind, § 7 b zweimal in Anspruch zu nehmen, diesen wenigstens einmal für ein Objekt konzentriert für sich in Anspruch nehmen können. Das bedeutet also: nicht achtmal 5 °/o, sondern 16mal 5 °/o, achtmal 10 °/o oder in anderer Variation.Zum Stadthaus möchte ich jetzt nicht näher sprechen. Hier ist das Wort „Stadt" ein Epitheton ornans. Das Stadthaus ist ein typischer Fall, der belegt, wie sehr Goethe im „Faust" recht hat: „Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein -Wort zur rechten Zeit sich ein." Begriff setzt Klarheit in Gedanken, Klarheit in der Konzeption, Klarheit in der Detaillierung voraus. Mit einem Begriff kann man etwas in der Sache selbst anfangen; mit einer Phrase kann man allenfalls politisch in die Irre führen.Ich komme zum Schluß. Die Bundesregierung verwaltet in der Wohnungspolitik nur noch; sie gestaltet nicht. Ihr fehlt die politische Kraft zu einer Politik für morgen und übermorgen. Ihr fehlen Geschlossenheit im Grundsätzlichen und Einigkeit in der politischen Konzeption. Die Bundesregierung lebt vom wohnungspolitischen Erbe der unionsgeführten Bundesregierungen, und sie ist dabei, dieses Erbe zu verwirtschaften.
Die Bundesregierung und der Bauminister müssen ihr Verhältnis zur Wirklichkeit korrigieren: Sie müssen wieder ernst nehmen und für wahr halten, daß die Wohnung als Wirtschaftsgut Rentabilität und Liquidität benötigt, damit sie ihren sozialen Wert und ihre gesellschaftspolitische Aufgabe erhalten und auf Dauer sichern kann.Die Bundesregierung muß endlich begreifen, daß mit sozialistischen Rezepten, Parolen und Phrasen noch niemand ein Dach über den Kopf gebaut erhalten hat,
und sie muß endlich zur, Kenntnis nehmen, daß derfortlaufende Substanzverzehr an unseren Wohnungen zu kostspieligen Modernisierungen führen muß.
Eine Wohnungspolitik, die glaubt, auf kostendeckende Mieten und Wirtschaftlichkeit verzichten zu können, führt am Ende dazu, daß die Städte und Gemeinden zu Sanierungsobjekten gemacht werden, die unsere Kinder und Enkel mit hohem Milliardenaufwand wieder sanieren und bewohnbar machen müssen. Hüten wir uns, auch in der Wohnungspolitik auf Kosten der nächsten Generation zu sündigen.
Meine Damen und Herren, soweit Sie widersprochen haben und anderer Meinung sind, können Sie mich in meiner Auffassung berichtigen, wenn Sie bei den konkreten Entscheidungen in unserem Sinne ja sagen.
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10236 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müntefering.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hauser hat vorhin seine Rede damit begonnen, daß es im Grunde eine weitgehende Übereinstimmung gebe. Die CDU/CSU sagt zu jedem Einzelvorschlag ja, zu allem zusammen, dem Einzelplan, dann allerdings nein. Ich will ein bißchen. Wasser in diesen Wein schütten. Ich will Sie noch einmal ansprechen, nachdem Sie beide, Sie, Herr Hauser, und Sie, Herr Dr. Schneider, vermieden haben, auf das einzugehen, was Herr Biedenkopf im September 1978 von dieser Stelle aus gesagt hat. Herr Biedenkopf hat damals gefordert, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Die öffentliche Hand solle weniger Geld ausgeben. Dann hat er versucht, festzustellen, wo denn das möglich sei. Dazu hat er formuliert:
Einer dieser Bereiche
— wo gespart werden soll, wo weniger Geld ausgegeben werden soll —
wäre z. B. der soziale Wohnungsbau. Der soziale Wohnungsbau hat seit Jahren — das ist unter Fachleuten völlig unbestritten — jede soziale Bedeutung verloren.
Uns fehlt immer noch Ihre Aussage, wie Sie denn nun eigentlich dazu stehen. Das müssen wir doch wohl wissen. Im Augenblick weiß man doch bei Ihnen nicht so recht, ob nicht schon der Herr Biedenkopf klammheimlich die Schattenkabinettsliste gemacht hat und dann irgendwann einmal zu sagen haben wird, wie Sie denn zum sozialen Wohnungsbau stehen.
Herr Kollege, gestattten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Dr. Schneider.
Herr Kollege Müntefering, darf ich Sie daran erinnern, daß ich in einer Ausschußsitzung laut Protokoll vom 27. September dazu präzise Stellung bezogen habe,
daß der Wohnungsbau und der soziale Wohnungsbau für die CDU/CSU-Fraktion eine Daueraufgabe ist, der wir uns alle politisch verpflichtet fühlen?
Das ist richtig, Herr Dr. Schneider. Aber seit Ihrer Aussage im Oktober haben sich in Ihrer Fraktion Entwicklungen ergeben, angesichts derer man durchaus denken könnte, daß Herr Biedenkopf in Zukunft ein bißchen mehr zu sagen haben wird. Ich wollte nur noch einmal daran erinnern. Es steht jetzt im Protokoll. Im übrigen nehme ich das gern zur Kenntnis.Meine Damen und Herren, die wohnungs- und städtebauliche Konzeption der SPD bleibt am Bemühen orientiert, menschenwürdige Wohnungen und menschengerechte Städte zu bauen und entwikkeln zu helfen. Was das konkret bedeutet, will ich hier an Hand einiger weniger Punkte erläutern.Eine große Zahl von Mietern in unserem Lande, insbesondere in den Großstädten, ist in Sorge um ihre Sozialmietwohnungen. Sie fragen sich, wann sie die Welle der Umwandlungen erreichen wird, nachdem schlimme Fälle von Mieterverdrängung und Mieterbedrängung nach dem Motto „Vogel friß oder stirb" bekanntgeworden sind. Das Jahr 1979 muß Entscheidungen bringen, die ein für allemal klarstellen, daß Mieter, die zum Kauf ihrer Wohnung bereit und in der Lage sind, diese Möglichkeit erhalten. Wo Mieter dazu nicht bereit oder nicht in der Lage sind, müssen sie vor Pressionen bewahrt werden.
Dies ist sozialdemokratische Konzeption.Dazu gehört auch unsere Warnung vor dem sorglosen Umgang mit Sozialwohnungen insgesamt. Die Realität in den Städten und Gemeinden zeigt — regional differenziert —, daß wir den Bestand an Sozialwohnungen halten müssen, daß wir auch weiterhin attraktiven Sozialmietwohnungsbau brauchen.
Immer mehr Mieter, insbesondere Familien mit Kindern, fallen aus der Wohnberechtigung im Sozialwohnungsbau heraus. Die Einkommensgrenzen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes müssen korrigiert werden; denn eine Familie mit zwei Kindern und einem Jahresbruttoeinkommen von 35 400 DM ist nach unserer Meinung noch nicht in einer Situation, in der sich der Staat sorglos als nicht zuständig erklären darf. Wir werden zu den Einkommensgrenzen Vorschläge machen.
Der Eigenheimbau, meine Damen und Herren, ist der stabile Faktor des Wohnungsbaues geblieben. 270 000 Wohnungseinheiten wurden im Jahre 1978 neu erstellt. Wir sagen ja dazu. Wir bleiben deshalb auch bei den Förderprogrammen. Das kommt auch im Haushalt 1979 zum Ausdruck.Unsere Sorge ist aber, daß derzeit zu wenige Wohnungen gebaut werden. Die Reihen der Mietwohnungsuchenden, die den Zeitungsverkäufern die Blätter mit den Wohnungsanzeigen aus den Händen reißen, sind wieder beträchtlich lang geworden, und sie wachsen. Gegenüber 1977 gibt es im Mietwohnungsbau einen deutlichen Anstieg. Dieser ist noch nicht ausreichend. Er macht aber deutlich, daß der zeitweise Rückgang des frei finanzierten Mietwohnungsbaus keineswegs in besonderen gesetzlichen Bestimmungen begründet war, sondern daß in den Jahren 1974/75 eine Überproduktion von Mietwohnungen vorhanden war und daß die Steigerung der Baupreise eine Rolle spielt. Wir werden den Wohnraum-Kündigungsschutzgesetz-Bericht — welch ein Wortungetüm! — ja bald in unserem Ausschuß haben und dieses Thema dort diskutieren. Ich
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Münteferingdarf aber für uns Sozialdemokraten hier jetzt schon sagen: Mieterschutz und Vergleichsmietenregelung dürfen dabei nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Eine wichtige Rolle für Wohnungsbaupolitiker spielt das Wohngeld. Ich will deshalb auch dazu ein Wort sagen. Die Novelle ist seit dem 1. Januar 1978 in Kraft. Wir beobachten aufmerksam die Ergebnisse. Wir werden darauf achten, daß dieses Instrument, das sehr gezielt und sozial eingesetzt werden kann, früh genug fortgeschrieben wird.Herr Dr. Schneider hat den Aussiedlerwohnungsbau angesprochen und beklagt, daß noch nicht deutlich sei, was denn da nun ab 1981 werde. In diesem Jahr sind es, glaube ich, 278 Millionen DM, die vom Bund zur Verfügung gestellt werden, fortgeschrieben aus den vergangenen Jahren. Immer ist die Bereitschaft deutlich gewesen — bei uns und bei der Regierung —, diese Dinge so fortzuschreiben, wie es nötig ist, je nachdem, wie viele Menschen zu uns kommen. Es waren ja erfreulich viele, die gekommen sind. Damit sich hier niemand aufs hohe Pferd setzen kann: 40 % der Mittel des Bundes fließen an das Land Nordrhein-Westfalen und werden in derselben Höhe durch das Land Nordrhein-Westfalen durch Komplementärmittel ergänzt. Dies hat seinen Grund darin, daß das Land Nordrhein-Westfalen 40 %der Aussiedler übernimmt, das Land. Rheinland-Pfalz — ich sage Ihnen die Vergleichszahl — 4 %. Da brauchen wir Sozialdemokraten uns überhaupt nicht zu verstecken, wenn es darum geht, Geld für die Menschen zur Verfügung zu stellen, die da zu uns kommen.Wir fragen uns, wie wir über den Rahmen des i Städtebauförderungsgesetzes hinaus zur Lösung der sich verschärfenden Stadtentwicklungsprobleme beitragen können. Stadtkerne, alte Wohnbereiche und ländlich - periphere Räume verlieren Einwohner an das Stadtumland. Das ist nicht neu, aber angesichts der allgemeinen Bevölkerungsentwicklung folgenreich. Es ist deshalb unbedingt erforderlich, daß auch langfristig stabile Ansätze für den Bereich Städtebau zur Verfügung stehen und daß die jetzt in diesem Jahr zur Verfügung stehenden 250 Millionen DM in den nächsten Jahren eher noch erhöht als gekürzt werden. Dies soll ein Merkposten sein, der deutlich macht, daß wir in Wohnumfeld, Stadtentwicklung und -sanierung noch eine wesentliche Aufgabe für den Städtebau sehen.Einen wichtigen Ansatz für diese Entwicklung sehe ich in der erfreulich guten Zusammenarbeit zwischen dem Bundesbauminister Dieter Haack und dem Bundesverkehrsminister Gscheidle, die sich gerade im Laufe der letzten Monate herausgebildet hat, wie auch in der Zusammenarbeit zwischen anderen Ministerien. Ich glaube, daß es dafür, ob die Attraktivität, die Wohnattraktivität der Städte wieder gesteigert werden kann, zweifellos sehr wichtig ist, daß auch Stadtentwicklung und verkehrliche Entscheidungen nebeneinander und miteinander gefällt werden und hier einer auf den anderen eingestimmt ist. Denn ein Großteil der Bürger, die es vorziehen, aus den Städten wegzuziehen — ins Umland oder wohin auch immer —, tun dies eben wegen der unmittelbaren Wohnbedingungen, insbesondere wegen der Probleme, die in dem Bereich Verkehr entstehen.An den Schluß meines Berichts will ich einen Dank an eine Gruppe von Bürgern stellen, die seit einigen Jahren als „Arbeitsgemeinschaft Wohnberatung" Bauwilligen und Mietern kostenlos Rat für die Gestaltung der Wohnung, neuerdings auch hinsichtlich Fragen der Heizenergie gibt. Ab 1979 ressortiert der relativ kleine Ansatz beim Wirtschaftsminister. Ich möchte diesen Bürgern, die sich vor Ort um die genannten konkreten Fragen kümmern, hier ausdrücklich Mut und Ausdauer bei dieser Aufgabe wünschen. Der Staat allein kann nicht alles lösen.
Wir wissen, daß es auf diese Bürger mit ankommt, wenn es darum geht, diese Dinge in die richtigen Wege zu lenken.Wir haben den Raumordnungsbericht pünktlich bekommen. Er wird in den nächsten Wochen im Ausschuß und dann auch hier im Plenum zu beraten sein. Deshalb will ich hier jetzt davon Abstand nehmen, darauf weiter einzugehen.Ich will nur noch eine Bemerkung zum § 7 b machen. Herr Dr. Schneider hat dies angesprochen, und heute war in den Zeitungen auch zu lesen, daß aus einem Bundesland ein entsprechender Antrag auf uns zukommt. Wir haben immer signalisiert, daß wir bereit sind, darüber zu sprechen, welche Auswirkungen § 7 b hat und wie man ihn verbessern kann. Nur, eine simple Erhöhung der Höchstsätze des Bauherren-Paragraphen von 150 000 und 200 000 DM wird bei unseren Entscheidungen ganz sicher nicht herauskommen. Dies wäre etwas, was in Wahrheit nicht familienfreundlich ist.
Wir Sozialdemokraten stimmen dem Einzelplan 25 uneingeschränkt zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gattermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Schneider, Sie haben mich enttäuscht. Ein Mann Ihrer Formulierungskunst und Ihrer Fähigkeit, Dinge differenziert zu betrachten, ist hier in der Tat auf ein Niveau herabgestiegen, das mir unverständlich ist.
Sie haben z. B. gesagt, Herr Dr. Schneider, daßdiese Bundesregierung Demokratie nur und aus-schließlich im Sozialismus zu verwirklichen trachte.
Herr Dr. Schneider, ich darf Sie insofern ein wenig differenzierend richtigstellen: Soweit es den sozialdemokratischen Koalitionspartner betrifft, will er soziale Demokratie verwirklichen und nicht Sozialismus, wenn ich ihn richtig interpretiere. Und
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10238 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Gattermannwir haben ein sehr dezidiert liberales Verständnis von Demokratie. Und wie diese Bundesregierung operiert, das ist eine Synthese aus beidem. Soweit also meine Partei und meine Fraktion hier mit angesprochen worden ist, darf ich diesen Vorwurf entschieden zurückweisen, daß wir Demokratie nur im Sozialismus verwirklicht sehen würden: dies geht so nicht.
Herr Dr. Schneider, ein weiterer Punkt ist der, in dem Sie die Erneuerung oder die Einlösung des liberalen Schwurs angesprochen haben. In diesem Zusammenhang haben Sie von den ordnungspolitischen Grundprinzipien der Marktwirtschaft im Bereich des Wohnungsmarktes gesprochen. Nun sind wir alle miteinander hier im Saale doch nicht so blauäugig, annehmen zu können, daß dieser Markt, der in 60 Jahren mit einer mehr oder minder intensiv betriebenen Administrierung und Zwangswirtschaft lebte, auf breiter Front mit marktwirtschaftlichen Prinzipien ohne stringente staatliche Vorgaben und Regeln auskommen könnte. Ich will dies an dieser Stelle nicht vertiefen, weil ich gleich noch etwas ausführlicher zum Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetz Stellung nehmen will.Eine letzte Vorbemerkung, was den § 7 b betrifft. Da haben Sie von der CDU/CSU gesagt, daß Sie dieses Abschreibungsinstrument nicht antasten wollen.
Ich gestehe, ich höre dies gern. Aber wenn ich die Ausführungen von Herrn Biedenkopf richtig gelesen habe, ist es so, daß er gleich die Bausparförderung mit zur Disposition stellt.
Es ist also so, daß man doch sehr sorgfältig an die Dinge herangehen muß.Ich darf insofern zu diesem Thema zusätzlich noch anmerken, daß man im Rahmen der Prüfungen bezüglich einer, wie es heißt, Systemumstellung — die Verwendung des Wortes System mißfällt mir; auch das gestehe ich frank und frei ein — in der Diskussion ganz sicher über eine Kinderkomponente wird nachdenken können und müssen. Diese Kinderkomponente — lassen Sie mich auch dies sagen — wird nicht progressionsbezogen, sondern gleich sein. Was die Progressionswirkung des § 7 b betrifft, so haben wir die Auffassung, daß man differenzieren muß zwischen den Dingen, die leistungsbezogen auf den Bauherrn zukommen, und den Dingen, die nicht leistungsbezogen auf das Vorhandensein eines Kindes zukommen.Noch eine Bemerkung, Herr Müntefering, zu Ihnen. Sie haben gesagt, daß es nach Ihrer Auffassung keinesfalls einen Zusammenhang zwischen Investitionsunlust und den Regeln des Mietrechts gebe. Ich meine, man sollte als Politiker bei der Verwendung des Wortes „keinesfalls "vorsichtig sein. Denn noch ist ja der Bericht nicht verabschiedet. Deswegen wird man heute auch noch nicht sagen können, daß es keinesfalls einen Zusammenhang gibt. Nach meiner Überzeugung gibt es ein ganzes Bündel von Ursachen. Eine Ursache wird im Zweifel auch in diesem Bereich gesucht werden können, wobei man sich über die Quantifizierung innerhalb des Ursachenbündels natürlich wird streiten und sich auseinandersetzen können.Aber dies soll nun der Vorbemerkungen genug sein! Haushaltsdebatten — das lehren die Erfahrungen — haben zumeist das Merkmal, daß sie sich nur sehr gelegentlich mit dem Haushalt selbst befassen. Heute abend hier, bei der Beratung dieses Haushalts, ist diese These im Blick auf die Rednerfolge nicht voll durchzuhalten, aber in der Regel ist es so. Man kann das beklagen, aber man wird in der Tat auch in Zukunft keinesfalls darauf verzichten können, bei Gelegenheit von Haushaltsberatungen über die Gesamtpolitik der Bundesregierung und des jeweiligen Fachministers zu diskutieren oder, um es aus Ihrer Sicht zu sagen, mit dieser Gesamtpolitik abzurechnen. Ich will deshalb auch gar nicht erst den Versuch unternehmen, den eben von mir skizzierten Regelablauf einer solchen Haushaltsdebatte zu durchbrechen.Zur Begründung unseres Ja zum Einzelplan 25 nur soviel:
Nach der Wiederaufnahme des sozialen Wohnungsbaus in beiden Förderwegen in die mittelfristige Finanzplanung im Vorjahr ist dieser Haushalt nach unserer Einschätzung Ausdruck der Kontinuität der Arbeit der Bundesregierung in ihrer — ich sage es bewußt — bewährten Städtebau- und Wohnungspolitik.
Eine vorsichtige Akzentverschiebung zur Verstärkung der Städtebauförderung und zur stärkeren Betonung der Modernisierung gegenüber dem Neubau im Vergleich mit früheren Zeiten ist daran ablesbar, daß der Verpflichtungsrahmen für die Städtebauförderungsmittel immerhin um 67 Millionen DM auf 250 Millionen DM erhöht worden ist. Meine Damen und Herren, auch die Mittel für den experimentellen Städtebau — von den Haushaltskollegen ist schon davon gesprochen worden — sind nicht unwesentlich, sogar ganz maßgeblich erhöht worden.Herr Kollege Hauser, Sie haben gemeint, das Stadthauskonzept sei nicht so ganz einsichtig. Ich gebe Ihnen zu, daß man diesem Projekt kritisch gegenüberstehen kann. Ich selbst habe - es ist noch gar nicht so lange her — von dieser Stelle aus einige sehr kritische Anmerkungen zu diesem Konzept gemacht. Aber wenn wir in der Städtebaupolitik neue Wege beschreiten wollen, wenn wir den Bürger, der auf die grüne Wiese ins Eigenheim drängt, in der Stadt halten wollen, müssen wir versuchen, Hausformen, Wohnformen zu entwickeln, die ihm eine Verbindung von Stadt- und Eigenheimfeeling ermöglichen. Daran, daß das aufgelegte Kon-
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Gattermannzept nun im einzelnen das richtige ist, kann man natürlich zweifeln. Man kann insbesondere — ich wiederhole dies hier jetzt zum zweitenmal — daran zweifeln, ob es sinnvoll ist, diesem experimentellen Konzept die Vorgabe zu machen, daß es in den Regeln des sozialen Wohnungsbaus erstellbar sein muß, kann also fragen, ob man dort nicht mindestens in Teilbereichen unsere Architekten sehr viel freier und flexibler operieren lassen müßte.Wir meinen aber, daß dieses Experiment weitergeführt werden soll. Und wenn die erste Runde keinen Erfolg hat, werden wir eine zweite Runde anschließen müssen, denn um der Stadtflucht aus dieser Motivationsecke heraus zu begegnen, werden wir uns etwas einfallen lassen müssen.
Die Verstärkung der Modernisierungsbemühungen läßt sich ebenfalls aus dem Haushalt insofern ablesen, als die Mittel für die Darlehensförderung in diesem Bereich aufgestockt worden sind.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Anmerkung zum Ansatz für das Wohngeld machen. Er ist, wie Sie wissen, vom Haushaltsausschuß um 60 Millionen DM zurückgedreht worden, weil die Mittel im Vorjahr nicht voll abgeflossen sind. Man wird sich fragen müssen, woran das liegt. Ist es für unsere Bürger nicht notwendig, mit Wohngeld unterstützt zu werden, oder sind ganz einfach unsere Einkommensgrenzen oder unsere Mietobergrenzen falsch? Über diese Dinge werden wir nachdenken müssen. Ich möchte jedenfalls nicht, daß diese 60 Millionen ein für allemal aus dem Etat unseres Fachbereiches verschwinden.
Auf Grund der verfassungsmäßigen Zuständigkeitsregelungen für Wohnungs- und Städtebau kann eine Haushaltsdebatte in diesem Bericht, wenn von den eigentlichen Finanzierungsfragen gesprochen wird, nicht laufen, ohne daß darauf hingewiesen wird, daß der überwiegende Teil der für den Sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellten Bundesmittel zunächst nur ein Beteiligungsangebot an die Länder ist.Man sollte in diesem Zusammenhang nicht verschweigen, daß solche Verhandlungen mit den Ländern nicht immer ganz einfach sind. Aus diesem Grunde wird auch das von den Ländern angestrebte Regelungsgesetz auf der Basis des Zweiten Wohnungsbaugesetzes zur Wohnungsbaufinanzierung wohl frühestens 1980 oder 1981 zum Tragen kommen können. Für 1979 wird es noch einmal eine Übergangsregelung tun müssen.Meine Damen und Herren, damit kein Mißverständnis aufkommt: Meine Fraktion beklagt diese gegebene Verfassungslage durchaus nicht, es muß aber bei einer Haushaltsdebatte klar sein, daß der Handlungsrahmen für die Bundesregierung begrenzt ist, daß bei Kritik an der Bundesregierung insoweit immer sehr säuberlich unterschieden werden muß, ob der Bund auch der richtige Adressat für diese Kritik ist.Ich erinnere mich der Debatten in diesem Hause im Zusammenhang mit dem Energiespargesetz. Hier mußte der Vorwurf ungeschickter Verhandlungsführung herangezogen werden, um der Bundesregierung negative Ergebnisse anlasten zu können,
obwohl jedermann, Herr Dr. Möller, weiß, wie außerordentlich schwierig ein Begriff wie „geschickte Verhandlungsführung" zu definieren ist. Dennoch habe ich diesen Hinweis jetzt hier gemacht, um für meine Fraktion festzustellen, daß das intensive Bemühen des amtierenden Ressortministers um breites Einvernehmen mit den Ländern von uns sehr begrüßt wird und daß wir die Erfolge solcher Bemühungen auch ausdrücklich anerkennen wollen.Wenn ich nun den strengen Bezug zum Haushalt verlassen darf, um zur allgemeinen politischen Diskussion des Fachbereichs einige Anmerkungen zu machen, so unterstreiche ich damit die Zuständigkeit des Bundes für die Setzung ganz maßgeblicher rechtlicher wie ökonomischer Rahmenbedingungen für die Städte- und Wohnungsbaupolitik. Lassen Sie mich dabei, was — so hoffe ich — der Straffung dieser Debatte dient, auch gleich einige Anmerkungen zu Ihrem Entschließungsantrag machen, damit gleich, wenn Herr Kollege Dr. Jahn ihn begründet haben wird, nicht noch einmal einer von uns hier heraufkommen muß und wir alle früher nach Hause gehen können.
Meine Damen und Herren, wir haben einige Gesetzgebungsvorhaben im Beratungsgang. Ich erwähne das Wohnungsbauänderungsgesetz 1978, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, den wir am letzten Freitag hier in erster Lesung beraten haben, an das Wohnungseigentumsgesetz, an die Beschleunigungsnovelle. Im Rahmen all dieser Gesetzesberatungen werden Fragen zu erörtern sein, wie sie in Ihrem Entschließungsantrag in den Ziffern i, 2 und 5 angesprochen worden sind. Es erscheint uns deshalb sinnvoll, diesen Entschließungsantrag zur Beratung an den Ausschuß zu verweisen, damit wir aus den abstrakten Formulierungen dieses Entschließungsantrags im Ausschuß das Machbare und politisch Gewünschte herausfiltern können — wir alle miteinander.Dies gilt ansatzweise übrigens auch für den in Ziffer 3 des Entschließungsantrags formulierten Wunsch nach schrittweiser Überführung des sozialen Mietwohnungsmarkts in die Soziale Marktwirtschaft,
was ja Gegenstand der Änderung des § 16 des Wohnungsbindungsgesetzes ist.Dabei scheint es hier ganz offensichtlich zu sein, daß es über den Umfang und das Tempo einer Liberalisierung des sozialen Mietwohnungsbestandes in
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Gattermanndiesem Hause mindestens drei unterschiedliche Meinungen gibt, die wir im Ausschuß irgendwie zu koordinieren versuchen müssen. Ich reklamiere für meine Fraktion insoweit die mittlere Position; ich mache hier ausdrücklich den Anspruch auf die Mitte geltend. Wir werden in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit unserem Koalitionspartner das sozialpolitisch und marktpolitisch Vertretbare verwirklichen.
Dieses harmonische Einvernehmen mit unserem Koalitionspartner wird auch nicht zu erschüttern sein, wenn es um die anstehende Problematik einer eventuellen Änderung des Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes geht. Da dieses Thema aber nun in der öffentlichen Diskussion ist
und da auch Herr Kollege Dr. Schneider im Zusammenhang mit dem „liberalen Schwur" dieses Thema angesprochen hat, lassen Sie mich hierzu für meine Fraktion einige Klarstellungen geben.Erstens. Das Zweite Wohnraumkündigungsschutzgesetz ist von allen Fraktionen dieses Hauses 1974 als Dauerrecht verabschiedet worden. Das Haus hat von der Bundesregierung einen Bericht nach Ablauf einer Erfahrungszeit von vier Jahren gefordert. Dieser wird in den nächsten Wochen im Kabinett verabschiedet werden müssen.
— Herr Kollege Dr. Schneider, es ist richtig, daß zugesagt war, daß dieser Bericht in den ersten Tagen dieses Jahres vorgelegt wird. Daß sich dies ein wenig verzögert, beweist, daß es eine Auseinandersetzung über die richtigen Formulierungen bei der Gewichtung der gesammelten Daten gibt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn?
Ich gestatte sie.
Herr Kollege Gattermann, sind Sie bereit, zuzugestehen, daß Sie sich selbst für eine vorzeitige Vorlage des Berichts ausgesprochen und dann, als wir den entsprechenden Antrag gestellt haben, dagegen gestimmt haben? '
Herr Kollege Dr. Jahn, es ist zutreffend, daß ich Erwägungen darüber angestellt habe, ob es sinnvoll, politisch machbar und praktisch durchführbar sei, diesen Bericht vorzuziehen. Ich habe sehr intensive Verhandlungen mit dem zuständigen Minister über diese Frage geführt,
und dabei habe ich die Erkenntnis gewonnen, daß dies rein von der Praktikabilität her nicht möglich und vor allen Dingen im Sinne unserer zu führenden Diskussionen auch nicht nützlich ist. Dieser Erfahrungsbericht liegt also noch nicht vor. Wenn er in den nächsten Wochen verabschiedet werden wird, kann wohl nur er die Grundlage für Überlegungen darüber sein, ob und was geändert werden muß.Zweitens. Für uns steht aber jetzt schon fest, daß auf Grund unseres Verständnisses vom Markt einerseits und der besonderen Bedeutung der Wohnung für den Menschen andererseits der soziale Kern dieses Mietrechts unangetastet bleiben muß. Das gilt sowohl für den prinzipiellen Kündigungsschutz als auch für das Vergleichsmietenprinzip an sich.
Drittens. Folgendes könnte sich auf Grund der Beratungen zum Erfahrungsbericht als möglicher Reparaturwunsch meiner Fraktion abzeichnen, Herr Dr. Schneider. Es wird zu prüfen sein, ob neben dem Wuchertatbestand des Strafgesetzbuches mit seiner zivilrechtlichen Flankierung im bürgerlichen Recht der geltende Ordnungswidrigkeitstatbestand des § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzbuches überhaupt oder in seinem derzeitigen Umfang notwendig ist, und zwar vornehmlich um von hier aus wirkende psychologische Einflüsse auf Investoren abzubauen.Ich komme zum vierten Punkt. Es wird zu prüfen sein, ob die strengen Formvorschriften und Begründungszwänge des vorprozessualen Mieterhöhungsverfahrens so aufrechterhalten werden müssen oder ob derselbe Erfolg nicht anderweitig erzielt werden kann, ohne daß materiell begründete Mieterhöhungsbegehren an formalen Schranken scheitern.Der fünfte Punkt, der mir in diesem Hause völlig unstreitig zu sein scheint, ist, daß wir prüfen müssen, wie wir die Rechtsprechung zum Mietrecht vereinheitlichen können, um zu gewährleisten, daß nicht von Landgericht zu Landgericht, zuweilen von einer zur anderen Kammer desselben Landgerichts, unterschiedliche Sprüche gefällt werden, was nämlich eine beachtliche Verunsicherung für Mieter und Vermieter mit den entsprechenden Wirkungen auf Investitionsneigungen bedeutet.Schließlich — dies wird in der Tat der schwierigste Punkt sein — werden wir sechstens darüber nachdenken müssen, wie wir die Instrumente zur Begründung materiell berechtigter Mieterhöhungsbegehren praktikabler und zeitnaher gestalten können, gegebenenfalls wie in begrenztem Umfang die Mietentwicklung im Rahmen eines langfristigen Vertrages im Vertrag selbst geregelt werden kann. Aber um es noch einmal zu betonen: Die FDP-Fraktion denkt unter gar keinen Umständen daran, Mieterschutzrechte abzubauen. Vielmehr denken wir ausschließlich in die Richtung, wie notwendige und vergleichsmietenkonforme Mietanpassungen praktischer, unbürokratischer, zeitnäher und in der Grundanlage konfliktärmer gestaltet werden können, damit die Schaffung von Mietwohnungen und ihre Bewirtschaftung wieder subjektiv interessanter eingeschätzt wird.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10241
GattermannDie FDP-Fraktion wird diesem Einzelplan 25 zustimmen. Sie wird auch in der Zukunft Einfluß auf die Gestaltung dieses Politikbereiches nehmen, damit unseren Bürgern angemessener Wohnraum in guter Wohnumwelt, einkommensbezogen erschwinglich in erlebenswerten Städten und Gemeinden zur Verfügung steht.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß interfraktionell bestimmte Redezeitbegrenzungen vorgesehen sind. Es bleibt nicht mehr viel Zeit für die folgenden Redner.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jahn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Zahlenwerk des Einzelplans 25 kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Bundesregierung bis auf den heutigen Tag ein überzeugendes Konzept für eine Neuorientierung der Wohnungsbaupolitik fehlt.
Das ist der Grund, warum wir den Einzelplan 25 ablehnen. Frau Kollegin Traupe, die gefragt hat, wo die Gründe dafür liegen, hat mit Ihnen allen Anspruch darauf, zu hören — gebündelt —, warum wir das tun.Erster Punkt: Die Mindestversorgung der Bürger ist erreicht. Deshalb tun wir alle gut daran, den Wohnungsbau wieder schrittweise unter Absicherung individueller Einzelrechte in die Soziale Marktwirtschaft zu überführen. Dafür tut die Bundesregierung nichts, aber auch gar nichts. Die Bundesregierung weigert sich, diesen Weg zu gehen, und der Bundesminister vermag sich weder in der Fraktion, der er angehört, noch im Kabinett durchzusetzen.Herr Kollege Schneider hat zu Recht nadi der Richtlinienkompetenz des Kanzlers gerufen, zu Recht, wenn gerade in diesen Tagen zwischen Herrn Vogel und dem Hause von Herrn Lambsdorff eine Kontroverse ausgetragen wird. Daher, Herr Wohnungsbauminister, möchten wir wissen, auf welcher Seite Sie denn bei dieser kontroversen Diskussion stehen. Der Erfahrungsbericht zum Zweiten Wohnraumkündigungsschutzsgesetz liegt nicht vor, er ist überfällig: Streit zwischen den Ministerien. Wohnungsbauänderungsgesetz 1978, Verkürzung der Bindungsfristen: Die Bundesregierung ist bis heute nicht in der Lage, zu den wichtigsten Fragen dieses Gesetzentwurfes Stellung zu nehmen, obwohl sie dies gegenüber dem Parlament muß. Kollege Dr. Möller hat den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages beauftragt, ein Gutachten darüber zu erstatten, ob die Bundesregierung schon im Vorfeld, im parlamentarischen Verfahren Stellung nehmen muß. Dies wurde bejaht. Trotzdem schweigt sich die Bundesregierung aus, weil sie sich nicht schlüssig ist, weil die FDP gegen die SPD und die SPD gegen die FDP öffentlich Stellung nehmen und die Ministerien untereinander nicht mehr wissen, welche Konzeption sie vorschlagen sollen.
Dann kommt es, daß der Kanzler ruft: Am 19. Februar, also in einem Monat, müssen die Dinge auf den Tisch, dann soll endlich, wie wir hoffen, ein Konzept auf den Tisch kommen. Dies ist die wahre Situation.Zweiter Punkt: Die Bildung privaten Eigentums wird die CDU/CSU mit Nachdruck fördern und auch, wie Sie wissen, für breitere Streuung sorgen. In Ihren Programmen, die Sie auf Parteitagen beschlossen haben, schwören Sie all dem ab.Dritter Punkt: Möglichst viele Mieter, die dies wollen, sollen Eigentümer ihrer Wohnung werden, die sie jetzt bewohnen. SPD und FDP haben im vergangenen Jahr all unsere Anträge einmütig abgelehnt, obwohl seriöse Unternehmen, die am Wohnungsmarkt tätig sind — jetzt noch die letzte Gewos -Studie —, sich eindeutig dafür ausgesprochen haben, daß man privatisieren soll. Auch hier sind alle Anträge der CDU/CSU abgelehnt worden.
Vierter Punkt: Herr Kollege Schneider hat betont, daß ein gesetzlich festgelegter Schutz des Mieters gegenüber nicht gerechtfertigten Kündigungen unabdingbar ist. Daran will die CDU/CSU nichts ändern. Wir wollen aber, daß die Wirtschaftlichkeit des Wohnens wiederhergestellt wird. Wir haben eben gesagt, daß wir die verzögerte Vorlage rügen, vor allen Dingen deshalb, weil ohne Abbau von Hemmnissen für private Investitionen ein Mietwohnungsbau auf •frei finanzierter Basis bald nicht mehr möglich ist.
Meine Damen und Herren, es muß weiterhin möglich sein, ein Mietshaus zu bauen. Dies muß attraktiver gestaltet werden. Es muß weiterhin nach unserem Dafürhalten zum Selbstverständnis eines Freiberuflers gehören, daß er seinen Lebensabend nicht von der staatlichen Fürsorge, sondern von dem bestreitet, was er für sich und seine Familie im Leben erarbeitet hat.
Dann lesen wir zu dieser Frage in der „Welt" vom 20. Januar von Minister Vogel, die gesetzliche Mietbegrenzung sei kein maßgeblicher Faktor für den Investitionsunwillen der Bauherren. Wir hören aus dem Hause Lambsdorff, dies sei nicht die Ansicht der Bundesregierung. Darauf sagt Minister Vogel, man habe keinen Anlaß, gesetzgeberische Initiativen beim Wohnraumkündigungsschutzgesetz mit großem Engagement zu ergreifen. Darauf das Haus Lambsdorff: eine stärkere Liberalisierung sei hilfreich.Die Bundesregierung handelt wider besseres Wissen, wenn sie die investitionshemmende Wirkung des zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes ignoriert. Herr Minister Ravens — ich zitiere das noch einmal — hat dem Herrn Bundeskanzler im Mai 1977 folgendes mitgeteilt:Im frei finanzierten Mietwohnungsbau deckenselbst bei vergleichsweise hohem Eigenkapital-einsatz seit Anfang der 30er Jahre 'die Neubau-
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10242 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Dr. Jahn
mieten nicht mehr die laufenden Ausgaben. Damit wurde offenbar die kritische Schwelle für Investitionsentscheidungen in diesem Bereich überschritten. Einer erneuten Belebung der Investitionstätigkeit müßte demnach selbst bei einem weiterhin sinkenden Zinsniveau erst eine stärkere Mieterhöhung vorausgehen.— Das schrieb Herr Minister Ravens an den Bundeskanzler. —Diese würden zugleich den Investoren günstigere Möglichkeiten für spätere Rentabilitätsanpassungen signalisieren.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müntefering?
Bitte schön.
Herr Kollege Dr. Jahn, sind Sie so freundlich, zur Kenntnis zu nehmen, daß Herr Minister Ravens in der damaligen Intervention vor dem Deutschen Bundestag nicht nur so weit gesprochen hat, wie Sie jetzt zitiert haben, sondern daß er hinzugefügt hat: Diese Erhöhung ist aber nicht möglich?
Ich habe nur das zitiert,
was Ihr eigener Minister ausgeführt hat. Und da stellt sich für uns die Frage, ob Sie sich das zurechnen lassen wollen oder nicht.
Herr Minister Haack, die Empfehlung des Sachverständigenrates im Jahresgutachten 1977/78 lautet, das wohnungsbaufeindliche Mietrecht zu korrigieren. Die Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft vom 12. November 1977 lautet: Lockerung der Rechtsvorschriften des Wohnraumkündigungsschutzgesetzes. Das sind doch keine Institutionen, die wir beauftragt haben, ein Gutachten zu erstellen, sondern wissenschaftliche Gremien, die unverdächtig sind, Parteipolitik zu betreiben. Wenn Sie das alles lesen, frage ich Sie, wie Sie vor diesem Hohen Hause dazu Stellung nehmen.
Fünfter Punkt: Die Förderungsprogramme müssen vereinheitlicht werden. Sie sind es bis heute nicht. Die Wohnungsbauförderung muß transparenter und für den Bürger überschaubarer gestaltet werden. Die Bürokratie auf diesem Felde muß abgebaut werden.
Sechster Punkt: Dem sozialen Wohnungsbau fehlt jegliche Perspektive. Herr Minister Haack, Sie haben das 1978 selbst kritisiert. Sie bedauern, daß diese Perspektiven bis heute nicht vorgelegt worden sind. Sie haben die Federführung, und deshalb er-
muntern wir Sie, recht bald dazu beizutragen, daß diese Perspektiven vorgelegt werden.
Es geht aber nicht an, daß Sie am 19. Dezember 1978 vor der deutschen Öffentlichkeit erklären, über die Fortführung des sozialen Wohnungsbaus hätten sich Bund und Länder geeinigt, und anschließend müssen Sie sich von Ministern aus verschiedenen Ländern vorhalten lassen, daß das doch
wohl nicht zutreffe.
Es ist doch merkwürdig, daß Sie erklären, man habe sich geeinigt, und hinterher müssen Sie sich sagen lassen, es habe keine Einigung gegeben.
Siebenter Punkt: Das Stadthaus — das haben wir auf einer Bereisung alle festgestellt — ist nicht billiger als ein Haus in der Stadt. Herr Minister, was soll dann dieses Modell? Und in diesem Zusammenhang ein zweites: Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat uns in diesen Tagen um große Aufmerksamkeit für die Abwanderungsraten aus den ländlichen Gebieten gebeten. Deshalb müssen wir heute sagen: Wir brauchen nicht nur Stadthäuser, sondern auch adäquate Landhäuser.
Die Qualität des Lebens besteht nicht in einer Quantität der Verdichtung.
Achter Punkt: Die Familienpolitik ist ein Gebiet — Herr Kollege Schneider hat das bereits gesagt —, auf dem diese Bundesregierung völlig versagt hat. Unsere Anträge sind abgelehnt worden. Aber nicht nur das, Herr Kollege Schäfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie müssen sich an dem messen lassen, was Sie im Kabinett durchsetzen, und nicht an dem, was Sie draußen im Lande den Bürgern versprechen.
Ein letztes: Herr Kollege Gattermann, wir bitten doch darum, daß die Öffentlichkeitsarbeit der FDP zur Wohnungsbaupolitik in Zukunft nicht mehr in krassem Widerspruch zu ihrem Abstimmungsverhalten steht. Sie haben früher einen Erfahrungsbericht gewünscht; ich habe es eben gesagt. Als wir den Antrag stellten, haben Sie abgelehnt. Dann kam die Frage, Duldungspflichten zu harmonisieren. Wir haben den Antrag gestellt, Sie haben es abgelehnt. Dann hat sich der Kollege Wurbs für einen Bonus bei vorzeitiger Rückzahlung der Wohnungsbaugelder ausgesprochen. Als wir den Antrag stellten, hat der Kollege Wurbs dagegen gestimmt.Sie, Herr Kollege Gattermann, haben sich am 10. Januar für die Novelle zum Mieterschutzgesetz eingesetzt. Am Tag darauf hat die SPD gesagt, das
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10243
Dr. Jahn
sei eine Koalitionsfrage. Zwei Tage später haben Sie gesagt: Ich bin auf dem Rückzug. So hat es die Presse ja auch dargestellt.
Ich komme zum Schluß. Die CDU/CSU fordert: Soziale Marktwirtschaft im Wohnungsbau. Ein nach Angebot und Nachfrage ausgewogener Wohnungsmarkt ist durch seine Anpassungsfähigkeit und Flexibilität eben besser als jede staatliche Gesetzgebung geeignet, Geschäfte von Spekulanten zu vereiteln. Private Investitionsbereitschaft ist der Schlüssel zum Erfolg in der Wohnungsbaupolitik und zugleich ein wichtiger Beitrag für private Daseins- und Zukunftsvorsorge.
— Investitionsbereitschaft, Herr Kollege Immer, setzt Vertrauen voraus. Wer aber dem Dirigismus mehr huldigt als der Sozialen Marktwirtschaft, wird dieses Vertrauen nicht gewinnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krockert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Keine Angst! Ich mache es wirklich ganz kurz.
Herr Kollege Jahn hat sich als der dritte Oppositionsführer zu Wort gemeldet. Wir sind davon ausgegangen, dies sei erforderlich, weil ein Entschließungsentwurf vorliegt, der bei der dritten Lesung behandelt werden soll und einer gewissen Begründung bedarf. Das fanden wir ganz in Ordnung.
Nun haben wir aber zu unserer Überraschung erlebt, daß statt dessen eine komplette dritte Oppositionsrede fällig war. Das kann nur bedeuten, daß Herr Kollege Jahn mit seinen beiden Parteifreunden, die vor ihm geredet haben, offensichtlich nicht einverstanden war
oder daß sie ihm nicht genügt haben
und daß er es unbedingt noch besser als sie machen mußte.
Ich kann das ja verstehen, Herr Kollege Jahn. Aber warum machen Sie das nicht unter sich in der Fraktion aus? Warum behelligen Sie damit den Deutschen Bundestag durch eine solche dritte Rede?
Ich will Ihr Versäumnis nachholen und auf den Resolutionsentwurf hinweisen, den Sie vorgelegt haben. Wir könnten es natürlich — jedenfalls könnte man das erwarten — so halten wie Sie. Sie haben gesagt: Was den Einzelplan 25 betrifft, so ist ja alles ganz richtig, aber falsch; gegen seine Einzelheiten haben wir nichts, aber insgesamt lehnen wir ihn ab. Nun könnten ja auch wir sagen: Wissen Sie, da mag ja drinstehen, was will; es kommt jedenfalls von Ihnen, und darum lehnen wir es ab.
Diesen Gefallen tun wir Ihnen nicht. Wir werden gegen eine Überweisung an den Ausschuß nichts einwenden. Wir wollen nämlich darüber reden, und zwar konkret und über die Einzelheiten, nicht in großen pauschalen Sätzen. Dann wird sich zeigen, was daran ist. Wir wollen nicht, daß mit der Stange im Nebel herumgerührt wird.
Falls die Absicht Ihrer Resolution ist, in einer vermuteten Lücke zwischen den Koalitionspartnern zu kitzeln, muß ich in voller Übereinstimmung mit meinem Kollegen Gattermann sagen: Dies wird Ihnen auch bei dieser Gelegenheit nicht gelingen. Die Loyalität, in der wir die vor uns liegenden Probleme miteinander lösen werden,
wird Sie noch in großes Erstaunen versetzen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Haack.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wegen der fortgeschrittenen Zeit nur einige kurze Bemerkungen zu Fragen, die von Herrn Schneider und Herrn Jahn unmittelbar angesprochen worden sind.Zuvor aber bedanke ich mich beim 15. Ausschuß für die Beratung unseres Einzelplans, bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, bei den Berichterstattern und bei den Sprechern der Koalitionsfraktionen.Gern hätte ich mich auch bei Ihnen, Herr Dr. Schneider, bedankt. Auf Grund Ihrer Ausführungen halte ich mich jedoch etwas zurück, obwohl ich feststellen muß, daß es Sie ehrt, daß Sie Ihre gesamte überzogene Polemik wörtlich vorgelesen haben. Das führt mich eigentlich zu der Vermutung, daß sie nicht von Ihnen stammt, sondern von jemand anderem aufgeschrieben worden ist.
Was mich allerdings äußerst wundert und was ich nicht verstehen kann, ist, daß Sie auf dem Platz des CSU - Landesgruppenvorsitzenden andere — wie die FDP — zum Schwur auffordern.
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10244 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Bundesminister Dr. HaackHerr Dr. Schneider, wenn Sie hier in dieser Weise, wie Sie es vorhin gemacht haben, polemisieren, schlage ich Ihnen vor,
daß Sie diese Art der Polemik gegen unsere Städtebau- und Wohnungspolitik und gegen mich als den Minister auch dann vorbringen, wenn wir vor Fachverbänden und anderen Gremien, 'z. B. vor dem Katholischen Siedlungswerk, gemeinsam diskutieren. Dort haben Sie mir bisher immer voll zugestimmt.
Ich sehe es auch als einen völligen Widerspruch an, daß Sie hier darlegen wollen, wir seien innerhalb der Koalition völlig zerstritten und hätten keine Konzeption — obwohl doch alles das, was Sie heute abend vorgetragen haben, ein Widerspruch zu dem ist, was Herr Biedenkopf in seiner Studie schreibt, ohne den Herrn Biedenkopf hier noch weiter zu zitieren. Aber ich muß doch einmal vier deutliche Punkte nennen.In der Studie steht: Die Wohnungsnachfrage in der Bundesrepublik Deutschland ist gesättigt. Sie werfen uns vor, wir würden zu wenig für den Wohnungsbau tun.In der Studie des Herrn Biedenkopf steht: Die Leute haben alle schon Wohnungseigentum, Eigentumspolitik ist gar nicht mehr notwendig. Sie sagen, wir würden zu wenig für die Wohnungseigentumspolitik tun.In der Studie heißt es: Der Wohnungsbau muß drastisch verkleinert werden. Sie sprechen sich mit Recht dafür aus, daß in dem überschaubaren Zeitraum der nächsten Jahre auch der soziale Wohnungsbau fortgeführt wird.In der Studie steht: Die Bausparförderung, die 7 -b- Förderung, die steuerliche Förderung sollen nicht nur eingeschränkt, sondern nach Möglichkeit abgeschafft werden. Sie werfen uns vor, wir würden hier zuwenig an Förderung durchsetzen.Die Widersprüche liegen also nicht bei uns. Denn wir haben das Konzept in der Koalition und führen unsere Politik schrittweise durch.
Der Haushalt und unser Einzelplan 25 zeigen genau die Richtung auf, auch im finanziellen Bereich, wo es auch in Zukunft in den Schwerpunkten hingehen muß: Stadtsanierung — dort sind Verpflichtungsrahmen erhöht worden —, Wohnungsmodernisierung dort haben wir vor, die Darlehensförderung zu verbessern, weil wir erreichen müssen, daß über die Wohnungsmodernisierung nicht nur Mitnenhmereffekte eintreten, d. h., die Leute noch staatliches Geld bekommen, die sowieso modernisiert hätten; vielmehr müssen die öffentlichen Mittel in die Problemquartiere hinein, und hier spielt die Darlehensförderung eine entscheidende Rolle. Der dritte Schwerpunkt ist der experimentelle Städtebau.Die Energieeinsparung — um es noch einmal stichwortartig zu sagen — ist ein wichtiges Programm. Wir hätten es noch besser gemacht. Wir mußten uns auf einen Kompromiß mit Ihnen einigen. Das Programm ist gut angelaufen und wird sich auch in den nächsten Jahren durchsetzen. Dasselbe gilt für die Mittel, die wir auch in diesem Haushaltsplan 1979 für den sozialen Wohnungsbau haben, für die Eigentumsbildung, vor allem auch für die indirekte Förderung. Denken Sie an die Wohnungsbauprämie. Auch hier geht es mittlerweile um eine Summe von fast 1 Milliarde DM. Oder denken Sie an das Wohngeld.Ich komme jetzt zur Beantwortung von Fragen, die an mich gestellt worden sind.Herr Hauser hatte zunächst Definitionsschwierigkeiten. Er fragte, was eigentlich unter dem Stadthaus- Konzept zu verstehen sei. An Sie, Herr Hauser, als Vorsitzenden der örtlichen CDU richte ich die Antwort: Mit dem Bonner Stadthaus hat diese Konzeption natürlich überhaupt nichts zu tun,
sondern hier soll es darum gehen, wie auch vorhin schön gesagt worden ist, einen Beitrag — natürlich nur einen Beitrag - zur Abwanderungsproblematik in unseren Städten zu leisten. Hier geht es um ein grundstücksparendes Bauen in der Form von Einbis Drei-Familien-Häusern, um auch einen Einfluß auf die Kosten zu haben.Im übrigen befinden wir uns hier in einem Experimentierstadium. Auf der einen Seite sagen Sie: keine Konzeption. Wenn man eine Konzeption hat, dann sagen Sie von vornherein, sie sei schon gescheitert. Ich lade Sie ein — weil Sie vorhin kritisiert haben, das würde nur gemacht werden, damit der Minister in den nächsten Jahren herumreisen könne. Wir befinden uns jetzt in einer ersten Phase. Im Jahre 1979 führen wir in vier Städten des Bundesgebiets einschließlich Berlins mit entsprechender Bundeshilfe solche Experimente durch. Wir haben mit voller Zustimmung auch der kommunalen Spitzenverbände einen Wettbewerb ausgeschrieben: „Wohnen in der städtebaulichen Verdichtung". Auch hier spielt die Stadthausidee, jedenfalls teilweise, eine Rolle. Die Architektenverbände und die Bundesarchitektenkammer stehen hinter diesem Programm und arbeiten mit uns zusammen. Es kann überhaupt nicht die Rede davon sein hier sei etwas gescheitert. Sondern hier wird ein kleiner vernünftiger Beitrag gegen die Abwanderung aus unseren Städten geleistet — neben vielen anderen notwendigen Instrumenten, die wir selbstverständlich brauchen, um dieses Ziel erreichen zu können.Im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus haben Sie uns vorgeworfen, Herr Schneider, wir förderten junge Familien nicht mehr. Was Sie damit meinen, weiß ich nicht genau. Sie meinen wahrscheinlich, daß ich mich für eine Konzentration der Förderungsmittel auf junge Familien mit Kindern ausgesprochen habe. Ich bitte aber doch, einem nicht so die Worte im Munde herumzudrehen. Denn schließlich sind auch junge Familien mit Kindern junge Familien. Sie können nicht erklären, wenn ich sage: Konzentration der Förderungsmittel auf Kinderreiche, daß ich dann für junge Familien nichts tun wolle.
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Bundesminister Dr. HaackSie sagten dann, der Wohnungsbau in Stadtsanierungsgebieten würde nicht mehr gefördert werden. Auch das ist völlig unverständlich. Sie meinen wahrscheinlich, daß wir im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms einen Sondertitel „Ersatzwohnungsbau, in Sanierungsgebieten" haben.
Dieses Programm läuft 1979 aus. Selbstverständlich können in Sanierungsgebieten nach wie vor auch Wohnungsbaumaßnahmen gefördert werden; darüber kann es überhaupt keinen Zweifel geben. Gerade in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom Dezember 1976 steht, daß einer unserer Schwerpunkte die Förderung des Wohnungsbaues in Sanierungsgebieten ist. Denn eine vernünftige Stadtsanierung ohne Neubau, und zwar ohne Neubau im Rahmen des sozialen Wohnungsbaues, ist völlig undenkbar.Sie haben sich auch unklar ausgedrückt, wenn Sie sagen, wir würden den Aussiedlerwohnungsbau nicht mehr fördern. Wir haben ihn bisher gefördert. Es gibt in der Frage der gesetzlichen Fixierung gewisse Differenzen mit den Ländern, wenn wir ab 1980 die gesamte Förderung des sozialen Wohnungsbaus auf eine neue Grundlage stellen wollen. Aber Sie können davon ausgehen, daß wir, die wir mit unserer Ostpolitik dafür gesorgt haben, daß viele Tausende von Menschen zu uns kommen, auch dafür sorgen, daß sie in der Bundesrepublik Deutschland entsprechend untergebracht werden.
Dann haben Sie gesagt, bei der Mietentzerrung werde von uns nichts gemacht. Sie wissen aber ganz genau, daß wir hier mit den Ländern zusammenarbeiten, daß wir uns sowohl in der Fehlbelegungsproblematik als auch in der Frage der Mietentzerrung mit den Ländern voll geeinigt haben und daß auf der letzten Ministerkonferenz im Dezember des vergangenen Jahres völlige Übereinstimmung bestanden hat. Ich verstehe insofern diese Vorwürfe nicht.Herr Jahn versuchte dann noch, einen Vorwurf zu machen, indem er sagte, bei der letzten Wohnungsbauministerkonferenz sei keine Einigung über die Vergabe der Wohnungsbaumittel 1979 erzielt worden, obwohl ich das verkündet hätte, und Minister der Länder hätten mir widersprochen. Mir haben nicht Minister der Länder widersprochen, sondern nur ein Landesminister und zwar der aus Niedersachsen. Wir haben immer besondere Probleme mit Niedersachsen. Nur, auf dieser Konferenz selber hat er nicht widersprochen, so daß die zehn anderen anwesenden Länderminister einschließlich' der von der CDU/CSU davon ausgegangen sind, daß wir zu einer Enigung gekommen sind. Wenn man sich das in Niedersachsen anders überlegt hat und dann im Januar mitteilt: wir haben uns doch nicht geeinigt,
dann können Sie das schließlich nicht mir vorwerfen, sondern denjenigen, die sich in dieser Weise geäußert haben.Im übrigen schlage ich vor, meine Damen und Herren von der Opposition, daß wir zu der sachlichen Art der Auseinandersetzung zurückkommen, die unsere politischen Diskussionen in den letzten Monaten gekennzeichnet hat.Zu einer Äußerung von Ihnen, Herr Hauser. Sie haben mit Recht nicht nur als Berichterstatter des Haushaltsausschusses, sondern auch als zuständiger Abgeordneter von Bonn darauf hingewiesen, daß in unserem Einzelplan auch die notwendigen Mittel für den Ausbau Bonns und für die Bundesfinanzhilfen der Bundesregierung für kommunale Investitionen enthalten sind. Ich kann Ihnen sagen, daß die Bundesregierung nicht nur daran interessiert ist, sondern konsequent mit den anderen zuständigen Gremien, vor allem mit der Stadt Bonn, darauf hinarbeitet, daß wir in der Konzeption für den Ausbau der Bundeshauptstadt vorankommen.Wichtige Entscheidungen sind getroffen worden; Sie haben mit Recht darauf hingewiesen: Im Jahre 1979 Abstimmung über die Standorte der Neubauten des Bundestages. Hier gibt es gar keinen Zweifel mehr; auch mit dem Bundesrat wird man bald klarkommen. Erwerb Petersberg: Auch hier besteht glücklicherweise im wesentlichen eine Übereinstimmung. Beschluß des Bundes, eine Kunsthalle zu bauen: Auch das halte ich für die weitere Entwicklung für wichtig. Und schließlich die Ausschreibung des Wettbewerbs für den Neubau des Bundesverkehrsministeriums.Ich hoffe, daß wir mit den vorbereitenden Maßnahmen für die Planung der Parlamentsbauten zügig vorankommen. Ich kann Ihnen auch zusagen, Herr Hauser, daß die Bundesregierung daran interessiert ist, wenn die bisherige Finanzvereinbarung zwischen Bonn und dem Bund abgelaufen ist, ab 1980 zu einer vernünftigen Finanzvereinbarung zu kommen, wobei wir nach wie vor berücksichtigen, daß die Stadt Bonn als Bundeshauptstadt besondere Lasten hat, die ihr auch der Bund wie bisher zum Teil abnimmt.Eine allerletzte Bemerkung zum Problem der Entbürokratisierung, weil das von verschiedenen Rednern der Opposition auch angeschnitten worden ist. Ich habe schon am letzten Freitag bei der Einbringung unseres Gesetzentwurfs zur Erleichterung von Investitionsvorhaben im Städtebaurecht darauf hingewiesen, daß das für die Bundesregierung eine dringende Aufgabe ist. Sie dürfen allerdings nicht übersehen, daß die wichtigen Entscheidungen hier selbstverständlich auf Länderebene fallen, wenn es um Verwaltung, wenn es um Baugenehmigungen geht. Aber wir haben, glaube ich, nicht nur durch den Gesetzentwurf, sondern auch durch die Tatsache, daß wir schon vor eineinhalb Jahren eine Arbeitsgruppe eingesetzt haben, deutlich gemacht, daß wir als Bund unseren Beitrag leisten wollen. Ich habe am Freitag schon gesagt: Ich sehe das nicht nur unter konjunkturellen Gesichtspunkten, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen auch bezüglich des Verhältnisses Bürger und Staat.Was die Baukonjunktur anbelangt, können wir, glaube ich, optimistisch in das Jahr 1979 — ich wür-
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10246 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
Bundesminister Dr. Haackde auch sagen: in die erste Hälfte des Jahres 1980 — gehen. Ich unterstreiche aber das, was vorhin Frau Traupe und, glaube ich, auch Herr Müntefering zur Verstetigung im Baugeschehen gesagt haben. Wir müssen uns jetzt schon bei einer günstigen Baukonjunktur überlegen, wie wir mithelfen können, daß es nach 1980 nicht zu Schwierigkeiten analog 1973 kommt, obwohl die Situation nicht vergleichbar ist. Deshalb spreche ich mich dafür aus, daß wir als Bund unsere Leistungen im Wohnungsbau, im Städtebau, bei der Modernisierung, überall, wo wir bei Investitionen mitwirken, längerfristig festlegen, auch als Angebot an die Länder, auch als Angebot an die Kommunen, damit alle drei Gebietskörperschaften gemeinsam mit dazu beitragen können, daß wir zu einer Verstetigung kommen.Ich möchte mich abschließend, wie auch eingangs, bei all denen bedanken, die an der Beratung des Einzelplans 25 beteiligt waren.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 25. Wer dem Einzelplan 25 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalitionsparteien angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksache 8/2401 —
Berichterstatter: Abgeordneter Ewen
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird nicht begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 01. Wer dem Einzelplan 01 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 03
Bundesrat
— Drucksache 8/2403
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Friedmann
Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Das Wort zur Debatte wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 03. Wer diesem Einzelplan in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 8/2416 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Friedmann
Auch hier wünscht der Berichterstatter nicht das Wort. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 19. Wer dem Einzelplan 19 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf: Einzelplan 23
Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit
— Drucksachen 8/2418, 8/2470 —
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Picard. Wir sind in der Kurzdebatte. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß jeder Redner 10 Minuten Redezeit hat.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die unerforschliche Weisheit des Ältestenrats hat dafür gesorgt, daß ich nur 10 Minuten habe. Ich muß mich deshalb auf wenige Punkte beschränken. Aber es werden sich auch noch einige meiner Kollegen an der Debatte beteiligen, so daß ich hoffe, daß wir zu diesem Einzelplan unsere Vorstellungen werden hinreichend entwickeln können.Ich möchte zu drei Komplexen kurze Bemerkungen machen. Erstens. Seit 1949 machen wir Friedenspolitik in diesem Hause, und zwar alle miteinander. Entwicklungspolitik hat unter einigen anderen Zielen sicher das unumstrittene Ziel, für Frieden in dieser Welt zu sorgen, für Entspannung zu sorgen, Spannungen und Krisen zu beseitigen. Wir beobachten mit Sorge, daß in einer Reihe von Plätzen in der sich entwickelnden Welt solche Krisenherde vorhanden sind, einer davon im Nahen Osten.Wir hatten im Haushaltsausschuß einen Antrag auf qualifizierte Sperre der Entwicklungshilfeleistungen für Syrien gestellt. Wir wiederholen diesen Antrag heute nicht. Wir wiederholen ihn deshalb nicht, weil wir der Bundesregierung unsere dringende Bitte unterbreiten möchten und die Hoffnung zum Ausdruck bringen wollen, daß im Falle Syrien wie in anderen Fällen gehandelt wird, nämlich daß das Instrument der Entwicklungshilfe nicht wertfrei gehandhabt, sondern als eine Möglichkeit benutzt wird, darauf hinzuwirken, daß Syrien in diesem Spannungsbereich das ihm Mögliche für Entspannung, für die Beseitigung der Krisen und für den Frieden im Nahen Osten tut.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10247
PicardWir haben darüber hier kürzlich eine Debatte gehabt. Wir haben den Eindruck gehabt, daß eine Chance besteht, und ich wiederhole das noch einmal. Ich greife nicht das Wort auf, das der jetzige Finanzminister einmal über die chilenische Junta gesagt hat, als er von einer „Mörderbande" sprach. Wenn ich das auf einige andere Länder anwendete, die wir im Wege der Entwicklungshilfe unterstützen, müßte ich von einer „Mörderbande hoch X" sprechen. Das wollen wir nicht, weil wir meinen, im diplomatischen Verkehr sollte man solche Verhaltensweisen zurückhaltend zum Ausdruck bringen und sie nicht als eine Methode der Einschüchterung oder der Verunglimpfung gebrauchen.Ich meine es aber ganz ernst, wenn ich der Hoffnung Ausdruck gebe, daß Entwicklungspolitik im Falle Syrien so gehandhabt wird, wie sie im Falle der Frontstaaten in Südafrika gehandhabt werden sollte, nämlich mit dem Versuch, Frieden und Freiheit miteinander zu kombinieren, und zwar auch für diejenigen, die dort um ihre Existenz gegen Gruppen kämpfen müssen, die angeblich als Friedenstruppen wirken. Wir wissen alle, was wir darunter zu verstehen haben.Zweite Bemerkung zu diesem Etat: Als ich im vergangenen Jahr etwa um die gleiche Zeit hier zu sprechen hatte, habe ich mich nicht gescheut, anzuerkennen, daß auf Initiative des Parlaments die Entwicklungshilfeleistungen im Etat wesentlich ausgeweitet wurden. Ich kann dem Ministerium nur sagen: Von seiten des Parlaments, das damals diese Ausweitung gemeinsam durchgesetzt hat, ist der Mittelabfluß als eine Desavouierung des Hohen Hauses zu betrachten.
Mindestens 475 Millionen DM fließen zurück. Das sind etwa 15 %unserer Entwicklungshilfe, die wir nicht ausgeben können.
Wenn man die einzelnen Positionen untersucht und auch nicht alle Vorgänge auf das Versagen des Hauses zurückzuführen sind, so läßt sich doch nicht leugnen, daß einige Vorgänge keinen anderen Schluß als den der Unfähigkeit des Entwicklungshilfeministeriums zulassen. Das trifft zu für die Kapitalhilfe, die in einer Größenordnung von 160 Millionen DM nicht abfloß, für die Bildungshilfe in einer Höhe von 11 Millionen DM und sicher auch für die 158 Millionen DM EG-Mittel. Es läßt sich ja nicht verheimlichen, daß wir ein bedeutender Partner innerhalb der EG sind. Wir hätten also sicher darauf hinwirken können, wenn wir gewollt hätten, daß die EG ihren Zusagen auch die entsprechenden Taten folgen läßt.Das ist eine betrübliche Feststellung. Man kann nicht anders, als heute zu sagen: Die Aktion im vergangenen Jahr hat Hoffnungen geweckt, die in bittere Enttäuschungen umgeschlagen sind. Ich wehre mich dagegen, daß man sagt, das sei von seiten des Parlaments Augenwischerei gewesen. Man kann natürlich auch den Eindruck haben, daß es eine Retourkutsche war und das Haus im Verein mit dem Herrn Finanzminister, der ja in der Entwicklungshilfe nicht ganz unbewandert ist, dafür gesorgt hat, daß mansagen kann: Wir werden Euch schon zeigen, wer hier das Sagen hat, das Parlament oder wir in der Regierung!
Besonders betrüblich ist es, meine Damen und Herren, daß die 11 Millionen DM im Bildungsbereich nicht abgeflossen sind. Wir alle miteinander wissen, wie außerordentlich wichtig es für Entwicklungsländer ist, eine hinreichende personelle Ausbildung gewährleistet zu erhalten.Ich muß hier noch eine ganz kurze Bemerkung machen. Wir haben sowohl bei den Gesprächen der Berichterstatter als auch im Haushaltsausschuß selbst die Regierung beauftragt, den Ausbildungsbereich daraufhin zu überprüfen, ob er so effizient wie möglich arbeitet, ob die Abgrenzung funktioniert und ob die Interessen der Entwicklungsländer gewahrt werden, insbesondere auch im Zusammenhang mit der deutschen Industrie, von der wir ja meinen, daß wir in diesem Haushaltsplan etwas tun, um die Ansiedlung deutscher Unternehmen in den Entwicklungsländern zu unterstützen. Es ist wichtig, daß wir hinreichend qualifizierte junge Mitarbeiter für die Industriegebiete in den Entwicklungsländern haben. Eine eventuelle Neuordnung kann nur im Benehmen mit den entsprechenden Organisationen erfolgen.Wenn dann elf Millionen nicht abfließen, ist das — gelinde gesagt — ein Skandalon. Das sind fast 20 % dessen, was überhaupt in diesem Ansatz im Haushaltsplan steht.
Herr Minister, Sie haben bis jetzt nicht bewiesen, daß Sie in der Lage sind, Ihr Haus gut zu führen. Der letzte Rundumschlag mit der Axt im Walde sieht aus wie eine Tat der Verzweiflung. Die Reaktionen aus dem betroffenen Hause sind ungünstig; denn das hat dazu geführt, daß jeder nun zittert und bangt und fürchtet, daß zwar nicht die große, aber die kleine Axt ihn selber träfe.Ich wage zu bezweifeln, daß das ein Akt ist, der — mindestens was zwei Ihrer politischen Beamten als Abteilungsleiter angeht — vom Gesetz überhaupt gedeckt ist. Das Institut des politischen Beamten dient nicht dazu, jemanden loszuwerden, dessen Nase einem nicht gefällt, mit dem man nicht auskommt, sondern es dient dazu, jemanden loszuwerden, der mit der politischen Ausrichtung, mit der Leitlinie der Politik nicht übereinstimmt. Die Betroffenen, die Geschaßten — die drei nämlich, einer davon als Ministerialdirigent geht noch nicht spazieren, aber zwei gehen spazieren mit 6 000 DM oder mehr pro Monat —, stimmten ja nicht etwa mit Ihnen politisch nicht überein, sondern man muß doch sagen, sie waren in einem Ausmaß loyal, das über das normale Maß eines loyalen Beamten sogar hinausgegangen ist. Sie können also gar nicht sagen, daß die hätten gehen müssen, weil es Kontroversen über die politische Leitlinie gegeben hat, sondern — wie gesagt — die Nase hat Ihnen nicht gefallen. Ich wage sehr zu bezweifeln, ob Sie auf die Weise wie Sie das gemacht haben, eine kluge und förderliche Entscheidung getroffen haben.
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10248 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979
PicardIch möchte, meine Damen und Herren, noch auf den Schuldenerlaß kommen. Der Schuldenerlaß — das macht für die nächsten 50 Jahre, so lange sie laufen, 4,2 Milliarden DM aus — macht für die nächsten vier Jahre annähernd 400 Millionen DM aus und betrifft 30 Länder. Sie haben sich zwar auf den § 59 der Bundeshaushaltsordnung berufen. Dieser Paragraph mag formal das Vorgehen decken. Sie haben selber Zweifel und der Finanzminister auch, ob das zutrifft; denn der § 59 ist für den Zweck nicht gemacht worden. Das, was hier verlangt ist — ich darf mit Erlaubnis der Frau Präsidentin versuchen, ohne Brille zu zitieren —, daß nämlich der zuständige Bundesminister Ansprüche erlassen darf, wenn die Einziehung nach Lage des anstehenden Falles für den Anspruchsgegner eine besondere Härte bedeuten würde, trifft doch nicht nur für die least developed countries zu, sondern das trifft für alle Empfängerländer zu. Wenn Sie eine individuelle Prüfung machen, kommen Sie damit aber doch nicht dieser Bestimmung des § 59 Bundeshaushaltsordnung nach.Ich wäre außerordentlich dankbar, wenn Sie nach gebührender Zeit in Übereinstimmung mit dem Bundesfinanzminister einmal prüften, ob das eine hinreichende Grundlage ist oder ob man nicht doch anders verfahren müßte. Ich meine, wenn man international verkündet, 30 Ländern werden die Schulden nachgelassen, dann hat man sich in einem Ausmaß festgelegt, daß eine Einzelprüfung nicht mehr möglich ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Esters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wegen der fortgeschrittenen Zeit, Herr Kollege Picard, will ich auch nur einige Bemerkungen zu dem machen, was im Bereich des Einzelplans 23 uns besonders interessiert hat.
Richtig ist, daß wir die Bundesregierung beauftragt haben, im Bereich der Aus- und Fortbildung zu einem Überdenken der Konzeption zu kommen, damit wir nachher — und dies ist der Sinn des Ganzen — in den Projekten von unserer Seite her auch einen einzigen Ausbildungsträger haben, damit nicht im organisatorischen Zuständigkeitsbereich die verschiedensten Institutionen tätig sind.
Bei dem, was den Mittelabfluß für das Haushaltsjahr 1978 angeht, müssen wir wohl etwas zurückstecken; denn in den Punkten, wo das Parlament auf Empfehlung des Haushaltsausschusses einen Gesamtbetrag von rund 62 Millionen DM im Baransatz zugelegt hat, sind die Mittel in diesem Jahr auch abgeflossen. Nur, in anderen Bereichen sind die Mittel nicht abgeflossen. Dies trifft insbesondere im Bereich internationaler Verpflichtungen zu; hier sind es rund 300 Millionen DM und bei der Kapitalhilfe 160 Millionen DM.
Nun wissen wir aber alle, daß man selbst bei uns im Inland, wenn hier Projekte geplant werden — und ich will auch gleich zwei nennen —, einen längeren Zeitraum von der Entscheidung über die Durchführung eines Projekts bis zum Baubeginn braucht. Im Straßenbau z. B. sind das acht Jahre im Schnitt. Oder nehmen wir einmal das, was im Zukunftsinvestitionsprogramm bezüglich des Dollarthafens steht; dort braucht man vermutlich noch länger, denn hier sind noch Verhandlungen mit einem Nachbarland im Gang.
Dies alles wird man berücksichtigen müssen.
Aber, Herr Kollege Picard, ich glaube, wir sollten die Bundesregierung in anderer Weise ermuntern: Wenn es in bestimmten Bereichen durch die veränderten Währungsparitäten zu Minderausgaben im internationalen Raum kommt, dann sollte man eine Lösung suchen, um diese Mittel in anderen Bereichen wieder zum Einsatz bringen zu können. Wir sind gerne bereit, dies mitzumachen.
Zu einem dritten Punkt will ich noch kurz einige Bemerkungen machen, obwohl dies in diesem Fall weniger der Legislative als vielmehr der Exekutive zusteht. In Zeitungskommentaren der letzten Tage wurde immer wieder berichtet, daß es sich im BMZ um schlampige Verwaltung oder ähnliches mehr gehandelt habe. Die Beamten und sonstigen Mitarbeiter im BMZ sind sicherlich nicht schlechter als die Beamten in anderen Ressorts.
Schwieriger ist allerdings die Aufgabe. Ich nehme an, daß der Minister selbst etwas zu den Veränderungen sagen wird, die wohl im Gesamtzusammenhang mit der Straffung der Organisationsstruktur zu sehen sind. Ich persönlich jedenfalls — und ich glaube, vieler meiner Freunde in der Fraktion werden dies mit tragen — würde es sehr begrüßen, wenn ein so exzellenter Fachmann wie Winfried Böll auch in Zukunft der deutschen Entwicklungspolitik erhalten bleiben könnte.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gärtner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An meiner Stimme kann man erkennen, daß ich den Beitrag des Kollegen Esters in der Kürze mit Sicherheit noch unterschreiben werde.Es gab im Haushaltsausschuß relativ wenige kontroverse Diskussionen beim Einzelplan 23. Aber es gab eine kontroverse Diskussion zum Schuldenerlaß. Ich glaube, es gab auch eine, die darum ging, daß der Schuldenerlaß ausgesprochen worden ist, ohne daß das Parlament überhaupt vorher gefragt worden ist. Ich gehe davon aus, daß man aus diesem Verfahren lernt und dem Parlament zumindest die Chance eröffnet, darüber vorher zu debattieren, damit solche Überlegungen, wie sie der Kol-
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GärtnerI lege Picard angestellt hat, ob das nämlich mit der Bundeshaushaltsordnung so oder so noch vereinbar ist, einfach nicht mehr auftauchen.
— Herr Dr. Hüsch, Sie kennen mein grenzenloses Vertrauen in diese Regierung.Die von der Bundesregierung zunächst in Aussicht genommene Handhabung des Erlasses, nur nach der Bedürftigkeit der Länder vorzugehen, wurde im Ausschuß im Grunde begrüßt, und dies scheint mir auch ein praktikables Kriterium zu sein, wenn es auch nicht das einzige sein kann. Wenn man nämlich das Verfahren sieht, das jetzt beispielsweise in Bangladesch gelaufen ist, dann scheint es doch so etwas wie ein politisches Reinheitsgebot zu geben, d. h., wenn sich Länder in irgendeiner Form in irgendwelchen internationalen Gremien nicht artig genug gegenüber der Bundesrepublik Deutschland verhalten, dann wird der Erlaß nicht ausgesprochen. Von daher, würde ich sagen, müßten wir doch noch einmal darüber diskutieren, ob es nicht stimmt, daß es „weiter darauf ankommen wird, zu erkennen, daß gerade die ohne politische Bedingungen gewährte Wirtschaftshilfe ein Mittel der Politik ist."
— Der Satz, der hier eben von mir formuliert worden ist, stammt, Herr Todenhöfer, vom Kanzler. Er stammt aus Helmut Schmidts Buch „Verteidigung oder Vergeltung?". In ihm stehen noch andere Sätze, die es fast gefährlich machen, sie heute zu zitieren.
Darin steht nämlich: „Es liegt daher nahe, zugunsten der Entwicklungshilfe die Rüstungsetats zu beschränken." Aber darauf werden wir heute in der Diskussion, glaube ich, nicht mehr kommen.Lassen Sie mich noch einmal sagen: Den Glauben, politisches Wohlverhalten werde man erreichen, wenn man das Geld, das man gibt, an bestimmte Bedingungen knüpft, halte ich jedenfalls für ein nicht im ganzen durchhaltbares Prinzip. Es wird immer zu relativ opportunistischen Entscheidungen kommen, und ich weiß nicht, ob wir uns dadurch nicht mehr Schwierigkeiten machen, als unbedingt notwendig ist.Ich glaube, es kann auch nicht angehen, daß man die ganze Diskussion dadurch belastet, daß man die Länder danach beurteilt, ob sie groß sind, ob sie rohstoffpolitische Bedeutung haben, ob sie irgendeinen Einfluß in der UNO haben. Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist, weil wir uns da in der Vergangenheit vielleicht doch schon in einigen Fällen verkalkuliert haben. Herr Kollege Picard, wir alle erinnern uns noch an Somalia, das einmal auf der Streichungsliste gestanden hat.
— Das ist keine Legende, Herr Todenhöfer. Sie können zwar an Legenden herumdoktern, und ich will Ihnen dabei auch noch gutes Glück und viel Erfolgwünschen; aber in diesem Fall stimmt es. Das haben wir im Haushaltsausschuß durchexerziert; die Geschichte ist erledigt.Zum Mittelabfluß ist hier ja schon einiges gesagt worden. Es ist etwas merkwürdig und ärgert einen auch ein bißchen, daß man heute etwas lustlos zu einem Etat spricht, den man jahrelang, so würde ich einmal sagen, gemeinsam so gut behandelt hat. Ich will hoffen, daß die Regierung die Chance nutzt, bis zum Nachtragshaushalt, der ja wohl kommen wird, das genau zu kontrollieren und auch den beiden Ausschüssen, dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dem Haushaltsausschuß, das Ergebnis vorzulegen, um darzustellen, woran es konkret gelegen hat, daß diese Mittel nicht ausgegeben worden sind. Ich finde, daß uns jede Mark, die in diesem Bereich nicht ausgegeben wird, mehr schadet, als sie dem Finanzminister bei irgendeiner globalen Minderausgabe nützen könnte.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hoffacker.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manchem Kollegen der Koalition hat es bei diesem Thema, wie wir gerade festgestellt haben, die Stimme verschlagen, und das ist eigentlich auch gut zu verstehen. Denn Herr Minister Offergeld hat in diesen Tagen den in der Öffentlichkeit allgemein vorherrschenden Eindruck von der desolaten Leitung des Ministeriums voll bestätigt.
Er hat unser Gedächtnis aufgefrischt; er hat uns nämlich an den vierfachen Ministerwechsel in vier Jahren erinnert. Herr Eppler scheiterte an seinem Weltverbessererkurs, Herr Bahr erlag seiner Selbstüberschätzung, Frau Schlei „verunfallte" in Afrika, und Herr Offergeld versucht es nun im Auftrag des Bundeskanzlers mit der Siebenschläferrolle. So gelangen wir, glaube ich, in der Bundesrepublik langsam, aber sicher vom Regen unter Umgehung der Traufe in die absolute Patsche, Herr Minister Offergeld.
Dieser erste Haushaltsplan, den Sie vorlegen, Herr Minister, ist dafür ein beredtes Zeugnis. Mit der Überschreitung der 4-Milliarden-Grenze erscheint er — wie auch Sie beim Antritt des Amtes — eindrucksvoll, er ist es aber nicht. Gegenüber dem Vorjahr wurde nämlich eine Menge draufgelegt, aber viel umgebucht. Die Endzahlen täuschen. Abziehen muß man von diesem Soll zunächst 310 Millionen DM aus dem Tilgungsverrechnungskonto, dann 110 Millionen aus dem ERP-Vermögen und 25 Millionen für die Förderung von Niederlassungen deutscher Unternehmen in Entwicklungsländern. Damit liegt die Steigerungsrate des Entwicklungshilfehaushalts bei 3 %, während sich die Steigerung des gesamten Bundeshaushalts auf 8,4 % beläuft.
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Dr. Hoffacker
Der Herr Minister hat uns im AWZ mit Ergriffen-
heit — ich gestehe es — andere Zahlen genannt. Das liegt aber daran, daß er Soll und Ist aus den Jahren 1978 und 1979 zu vergleichen versucht hat und das ging leider nicht.
Noch schlechter steht es allerdings um die Verpflichtungsermächtigungen. Sie sind von 5,3 Milliarden im Jahre 1978 auf 5,1 Milliarden für 1979 gesunken. Der Rückgang beträgt also etwa 5 %. Das, Herr Minister Offergeld, ist ein Programm der entwicklungspolitischen Demontage.
Deshalb ist es auch vorbei mit den großangekündigten Maßnahmen einer stärkeren Unterstützung der LLDCs, der intensiveren Zusammenarbeit mit den Schwellenländern oder der Verstärkung der arbeitsplatzsichernden Maßnahmen bei uns sowie der Förderung des Mittelstandes.
Einige klassische Beispiele aus dem Haushalt; denn wir haben ja eine Haushaltsdebatte:
Erstes Beispiel: Das BMZ schaffte zwei Leertitel, einmal zur Nutzung neuer Energiequellen in Südeuropa und zum anderen für die Förderung regenerativer Energiemaßnahmen in den Entwicklungsländern. Diese Leertitel blieben auch im Haushaltsausschuß leer, obwohl es genug Projekte gäbe.
Aber damit nicht genug! Die Koalitionsstrategen ließen auch den Kanzler leer ausgehen. Alle Beteiligten der Koalition und der Regierung hatten nämlich vergessen, daß sie mit einer Ausstattung dieser Leertitel einen schönen politischen Coup hätten landen können, nämlich die Erfüllung des KanzlerVersprechens zu Ziffer 17 des Schlußkommuniqués vom vergangenen Bonner Wirtschaftsgipfel. Nichts geschah. Alle ließen den Kanzler hängen. Aber das ist offenbar zwischen Regierung und Koalition eine gute Übung; sonst wären nicht beide so gut voneinander isoliert.
Geradezu als Bubenstreich — damit komme ich zu einem zweiten Beispiel — erweist sich die beabsichtigte Förderung von Niederlassungen deutscher Unternehmen in Entwicklungsländern. Folgendes Rezept: Man nehme 25 Millionen DM Barmittel aus dem ERP-Vermögen, übernehme sie in den Haushalt, gebe keine Vergaberichtlinien, vergesse die Verpflichtungsermächtigung, und dann behaupte man, man tue etwas für den Mittelstand! — Nun, diese Sache mußte natürlich im Haushaltsausschuß auffallen. Und was machte der Haushaltsausschuß? — Er mußte bei dieser Sachlage natürlich die Notbremse ziehen und eine qualifizierte Sperre anbringen.
Ja, so wird ein Minister gesperrt. Rote Karte, möchte man sagen, Herr Minister Offergeld, weil Ihnen Kreativität fehlt, Mut, Einfallsreichtum und auch das, was mit Flexibilität zusammenhängt. Es mangelt, Herr Minister, an Mut, an Stehvermögen. Denn wenn Sie eine offensiv nach vorne gerichtete Politik betrieben, würden Sie nicht so kleinliche und kleinmütige Interviews geben, wie Sie es tun.
Ich frage Sie: Was haben Sie unternommen, um haushaltsrechtliche Barrieren beim Mittelabfluß zu beseitigen? Wie steht es mit dem Stufenplan? Wie
steht es um Ihre Vorsätze zum Marshallplan? Was ist aus Ihren öffentlichen Bekenntnissen zu mehr Bewegung bei privaten Ressourcen geworden? — Ihre Worte sind Worte geblieben und keine Wirklichkeit geworden. Dagegen breiten sich Defätismus, Resignation, Verwirrung und Mutlosigkeit in Ihrer engsten Umgebung aus.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Als es um die Erreichung des 0,7- Anteils von heute nominell unterstellten 9 Milliarden DM und deren Ausgabe ging, führte er aus — ich möchte zitieren, Frau Präsidentin, und zwar nach der „Frankfurter Rundschau", die der Regierung sehr nahe steht —:Abgesehen von der Tatsache, daß die Entwicklungsländer nach unseren Erfahrungen gar nicht in der Lage sind, diese Summe in vernünftige Projekte zu investieren, sind wir nicht in der Lage, solche vernünftigen Projekte in dem geforderten Umfang technisch vorzubereiten, zu begleiten und auszubauen.Kapitulation auf der ganzen Linie! Hoffnungslosigkeit breitet sich aus. Kein Wille zur Zukunft wird sichtbar.Es ist deshalb, Herr Minister, auch kein Wunder, daß der Bundesrechnungshof politische Fragen erörtert und sich in informierten Kreisen deshalb die Besorgnis ausbreitet, der Bundesrechnungshof übernehme die fachliche Kontrolle der Entwicklungspolitik, die an sich ins Parlament gehört. Die Koalitionsfraktionen wissen um diese Besorgnis, tun aber nichts, um die Kontrollmöglichkeiten des Parlaments zu stärken. Im Gegenteil! Sie verhindern alle Ansätze und stützen diesen Kurs des Ministers, einen Kurs mangelnder Innovationen, gequälter Auskunft sowie beschränkter Informationsfähigkeit und lähmenden Mangels an Aussagebereitschaft.Die zweite Dekade der Entwicklungspolitik geht dem Ende zu, und es hat nach den Ereignissen der letzten Tage den Anschein, daß die Entwicklungspolitik der Bundesregierung ebenfalls zur Neige geht. Wenn wir vor Jahresfrist kritisieren mußten, daß Frau Schlei die Entwicklungspolitik öffentlich blamiert hat, so müssen wir bezüglich ihres Nachfolgers feststellen, daß er die Entwicklungspolitik ruiniert und demontiert.
Dies tut er nicht nur auf dem sachpolitischen, sondern auch auf dem personalpolitischen Sektor, jüngst durch „Böll- erschüsse". Der Minister entfernt ohne Vorankündigung, ohne den Anschein von Argwohn zu erwecken, hohe Beamte und schickt sie, mit Pension ausgestattet, in die Wüste. Folgt nun eine großangekündigte Operation? Weit gefehlt, es folgt ein Schlag ins Wasser. In der Zeitung steht, daß der Bürovorsteher vom Bundeskanzler nun Abteilungsleiter werden soll. Ich denke, daß uns der Herr Minister gleich offenbaren wird oder erzählt, daß aus den vier Abteilungen drei gemacht und daß die nachgeordneten Ressorts etwas umverteilt worden sind. Ich kann verstehen, Herr Esters, daß Sie
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Dr. Hoffackerleicht verletzt sind das haben Sie durch Ihre Haltung hier selbstverständlich bewiesen. Aber Sie haben sich als Luftschiffer in der Entwicklungspolitik so exponiert, daß Ihr Rat nicht mehr gefragt war.Herr Minister, Ihre eigene Leistung fehlt. Sie bieten keine langfristige Planung, sondern kurzatmige Verlegenheitslösungen an. Keine neuen Impulse, gegen von Ihnen aus, und das ist um der Sache willen schade. Die Zeichen trügen nicht, daß Minister Offergeld nicht nur unser Geld opfert, sondern daß auch das BMZ nach solchen Unfällen der letzten Tage und dem personellen Kahlschlag der letzten Jahre seine Eigenständigkeit einbüßen kann.Während Frau Schlei die Bundesrepublik nur blamierte, leisten Sie im Auftrag des Bundeskanzlers permanenten passiven Widerstand in der Entwicklungspolitik.
Morgen beginnen die Kirchen mit gesellschaftlich bedeutenden Gruppen einen durch lange Vorbereitung geprägten Entwicklungskongreß. Sie bemühen sich, den Grundkonsens in der Entwicklungsarbeit zu vertiefen und zu erweitern. Wir stehen an ihrer Seite. Ebenso wie der Herr Bundeskanzler demontieren Sie aber derweil die Entwicklungshilfe und damit die Grundlagen des Konsenses. Wir machen dabei nicht mit und warnen Sie: Für uns ist die Entwicklungspolitik im weitesten Sinne Grundpfeiler unserer Gesamtpolitik. Darin können Sie uns nicht beirren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schluckebier.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Soweit der Minister und das Ministerium angesprochen wurden, Herr Kollege Hoffacker, wird derselbe hier antworten. Lassen Sie mich einige Sätze zum Horrorgemälde deutscher Entwicklungspolitik sagen. Herr Kollege Hoffacker, das ist nicht sehr fair. Sie kennen ,die Berichte der internationalen Organisationen und die Wertungen deutscher Entwicklungspolitik genausogut wie wir. Der Inhalt dieser Wertung sieht anders aus, als Sie sie heute abend hier im Rahmen unserer Haushaltsberatung vorgetragen haben, und ich weiß nicht, was das soll. Im Ausschuß sieht unsere deutsche Entwicklungspolitik anscheinend auch anders aus; denn dort ist unsere Diskussion sehr sachlich,
sehr objektiv, und auch die Information des Ministers und des Parlamentarischen Staatssekretärs ist jedenfalls so groß, daß wir von seiten der Koalition nichts Negatives darüber aussagen können.
Die Bundesrepublik Deutschland — um zum Haushalt zurückzukommen — hat als eine sehr starke Industrienation auch im vergangenen Jahr entwicklungspolitische Anstrengungen unternommen, um ihren Teil zum Interessenausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern beizutragen. Daß die-ser Teil — das geben wir ehrlich zu — größer sein müßte und als nicht genügend dargestellt wird, können wir leider bei allen internationalen Begegnungen mit den Ländern der Dritten Welt spüren. In diesem Hause ist sehr oft mit dem Einverständnis aller Fraktionen über die Notwendigkeit verstärkter Entwicklungshilfe diskutiert worden, jedoch haben wir auch alle die Grenzen erfahren müssen, die uns bei der Bereitstellung von öffentlichen Mitteln für die Entwicklungspolitik gesetzt sind. Wir kennen alle die Schwierigkeiten, die sich auftun, wenn es darum geht, in der Öffentlichkeit um größere finanzielle Anstrengungen zu werben. Trotzdem müssen wir immer wieder auf die Notwendigkeit und die Wichtigkeit unserer Entwicklungspolitik hinweisen. Ohne sie und ohne größere Anstrengungen wird in der Zukunft — ich glaube, diese Erkenntnis setzt sich immer mehr durch — ein friedliches Zusammenleben aller Völker nicht mehr möglich sein.Immerhin sehen wir uns heute mehr als früher von wichtigen Gruppen und Verbänden in unserer Gesellschaft ermutigt. Die Kirchen haben den Dialog mit den Parteien über entwicklungspolitische Fragen erheblich intensiviert, und die Gewerkschaften bemühen sich heute beträchtlich um die so notwendige entwicklungspolitische Bildungsarbeit bei ihren Mitgliedern.Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland stellt für das Jahr 1979 4,6 Milliarden DM für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung.
Die Steigerungsrate, wenn man die Umschichtung des Haushaltes nicht berücksichtigt, liegt in etwa in der Höhe der Steigerung des Bundeshaushaltes und nicht bei jener Zahl, die Kollege Hoffacker hier angab.
Allerdings, gegenüber dem Bruttosozialprodukt läßt sich keine Steigerung feststellen. Dieses meinte ich auch, als ich eingangs von den größten Anstrengungen sprach, die wir eigentlich unternehmen müßten.Estmalig ist eine langjährige Forderung der SPD-Bundestagsfraktion erfüllt worden. Ich begrüße deshalb, daß die von den Entwicklungsländern an uns zurückgezahlten Kredite und die dafür eingenommenen Zinsen dem Haushalt des BMZ zugeschlagen werden und wieder für entwicklungspolitische Maßnahmen zur Verfügung stehen. Für 1979 sind dieses rund 310 Millionen DM. Wir bedauern allerdings, daß die bisher im ERP-Sondervermögen bereitgestellten 135 Millionen DM für die finanzielle Zusammenarbeit künftig aus dem Bundeshaushalt finanziert werden sollen. Die bisherige Bindung von Mitteln aus dem ERP-Sondervermögen für entwicklungspolitische Aufgaben ist damit weggefallen. Es wäre unseres Erachtens bedauerlich, wenn die für das Haushaltsjahr 1979 getroffene Entscheidung, das ERP-Sondervermögen gänzlich einer entwicklungspolitischen Zielsetzung zu entziehen, endgültig sein sollte.
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SchluckebierDer seit langem bestehenden Forderung nach Erhöhung der Mittel für die technische Zusammenarbeit ist im Jahre 1979 Rechnung getragen worden. Die Steigerungsrate bei der technischen Zusammenarbeit ist höher als die bei der finanziellen Zusammenarbeit. Dieses gilt sogar in noch höherem Maße für die Verpflichtungsermächtigungen.Meine Damen und Herren, mit der Entscheidung der Bundesregierung, den 30 am wenigsten entwikkelten Ländern der Welt nach sorgfältiger Prüfung die Rückzahlung der gewährten Entwicklungshilfekredite zu erlassen, hat die Bundesregierung einer sehr langen, auch durch die internationale Diskussion geförderten Entwicklung Rechnung getragen. Neue Zusagen an diese Länder sollten nur noch in Form von Zuschüssen geleistet werden. Auch dieses ist jedenfalls von unserer Fraktion schon seit langem gefordert worden. Durch diese Entscheidung, so glauben wir, hat die Bundesregierung einen Beitrag zur Lösung der Verschuldungsprobleme der Dritten Welt geleistet.Auch die Mittel für die gesellschaftspolitische Bildung in Entwicklungsländern, also für die Arbeit der politischen Stiftungen, sind beträchtlich erhöht worden. Dieses entspricht den Absichten der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion ebenso wie die Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen, die den politischen Stiftungen zur Verfügung stehen. Die SPD-Fraktion sieht in dem Wirken dieser Stiftungen eine unentbehrliche Ergänzung staatlicher Zusammenarbeit mit den Ländern der Dritten Welt. Auch die Wertschätzung der Arbeit privater deutscher Träger in den Entwicklungsländern drückt sich in einer Steigerungsrate gegenüber dem Vorjahr von weit mehr als 20 % aus.Daß die Bundesregierung und die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erkannt haben, welche wichtige Rolle die Kirchen bei den entwicklungspolitischen Aktivitäten auf nichtstaatlicher Ebene spielen, spiegelt sich in der Erhöhung des Mittelansatzes für entwicklungspolitische Vorhaben der Kirchen in Entwicklungsländern um mehr als 10 °/o gegenüber dem Vorjahr wider.Der Anteil der multilateralen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit an den gesamten Ausgaben der Bundesregierung für entwicklungspolitische Maßnahmen ist der 30-%-Marke wieder sehr nahegekommen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält dieses für sehr notwendig, denn wir glauben, daß multilaterale Entwicklungshilfe deswegen von besonderer Bedeutung ist, weil die Mitwirkung und die Mitverantwortung der Entwicklungsländer bei der Durchführung dieser Maßnahmen teilweise größer ist als bei der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit.Meine Damen und Herren, wenn wir — dies ist bereits gesagt worden, aber ich will noch einmal darauf hinweisen — nicht rechtzeitig und deutlich auf die wahren Ursachen von Minderausgaben im Haushaltsjahr 1978 hinweisen, werden wir es als Entwicklungspolitiker noch schwerer haben als bisher, Forderungen nach Erhöhung unserer entwicklungspolitischen Ausgaben aufzustellen, zu begründen und durchzusetzen. Polemische Angriffe unddurchsichtige Scheinargumente nützen dabei wenig. Leichtfertige Vorwürfe an das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit gehen an der Sache vorbei. Sie müßten dann dieselben Vorwürfe gegen alle jene Länder richten, die im Entwicklungshilfeausschuß der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung festgestellt haben — das gilt nicht nur für die Bundesrepublik —, daß .im Jahre 1978 die eingeplanten Mittel für Entwicklungspolitik in fast all diesen Ländern nicht abfließen konnten. Das können wir nachlesen, und das wissen auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition.Die Abflüsse deutscher Mittel im Bereich der multilateralen Entwicklungsarbeit sind weit hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückgeblieben. Jawohl, das stimmt. Im Bereich der europäischen Entwicklungshilfe wurde weniger Geld ausgegeben als vorgesehen. Zahlreiche multilaterale entwicklungspolitische Organisationen haben wegen der Änderung des Kurses des amerikanischen Dollars gegenüber der D-Mark weniger Haushaltsmittel als ursprünglich berechnet. Es gibt eine Menge von Beispielen, an denen wir darstellen können, daß diese Minderausgaben nicht den Rückschluß zulassen, daß die Arbeit in diesem Ministerium so schlecht ist, wie das gerade von dem Redner der Opposition dargestellt wurde.Unsere entwicklungspolitischen Anstrengungen — das will ich zum Schluß sagen — sind gewiß nicht gering zu schätzen. Seit 1950 haben wir für die Länder der Dritten Welt ungefähr 57 Milliarden DM ausgegeben. Über 30 Jahre Erfahrung haben uns gelehrt, daß Entwicklungshilfe nicht ausreicht, um die wirtschaftliche und soziale Lücke, die zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern besteht, zu schließen oder auch nur zu verkleinern.Der Ausschuß wird im Frühjahr dieses Jahres ein größeres Hearing durchführen, um die Verflechtung im Rahmen des Nord-Süd-Konfliktes zu beleuchten. Wir hoffen, daß das Ergebnis dieses Hearings der Bundesregierung helfen wird, Erkenntnisse für die fünfte Welthandels- und Entwicklungskonferenz zu sammeln, die im Mai dieses Jahres in Manila stattfinden wird. Diese gute Vorbereitung werden wir brauchen; denn die Entwicklungsländer haben eine ganze Menge von Fragen an uns gerichtet, auf die wir bislang nur zum Teil eine Antwort gegeben haben. Auf dieser Welthandelskonferenz werden weitere Fragen an uns gerichtet werden. Wir als ein Staat in der Gemeinschaft der Industrieländer werden baldigst eine entsprechende Antwort geben müssen. Diese kann heute nur dahin gehend ausfallen, so meine ich, daß die Entwicklungshilfe in unserem Bundeshaushalt verstärkt wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stommel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt habe ich so lange darauf gewartet, heute reden zu dürfen — nachdem ich
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10253
Stommelmich bei meinem Obmann und der Arbeitsgruppe darum bemüht habe —, und jetzt wird daraus ein Mitternachtsbeitrag. Ich bedaure das sehr. Ich bin genauso überrascht wie Sie. Ich nehme diese Gelegenheit aber gleichwohl wahr, weil es, wie ich glaube, notwendig ist, Ihnen, Herr Minister, doch einige Wahrheiten zu sagen.Ich bin jetzt etwas über zwei Jahre Mitglied dieses Hohen Hauses. Ich habe mich in dieser Zeit oft gefragt, warum viele Bundesbürger sagen — und wir hören es tagtäglich in unseren Wahlkreisen —, die Entwicklungshilfe sei mehr oder weniger eine sinnlose Ausgabe. Wie sehr eine teilweise fehlerhafte Praxis der Bundesregierung dazu beiträgt, diese Meinung in den Köpfen unserer Bürger zu festigen, weiß ich nach zwei Jahren Tätigkeit im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ich konnte dort genügend Erfahrungen sammeln.Die Bundesregierung konnte die Öffentlichkeit bisher nicht von der Notwendigkeit der Entwicklungshilfe, von der Richtigkeit des Einsatzes der Mittel und den Vorteilen überzeugen, die uns allen und dem Frieden in der Welt daraus erwachsen. Aber wenn wir Politiker dein Bürger auf seine Fragen eingestehen müssen, daß wir bis Ende 1978, und zwar von Anfang an, etwa 56 Milliarden DM an die Entwicklungsländer geleistet haben und in der Bundesrepublik ausgerechnet worden ist, daß der Bundesbürger dafür zehn Jahre lang keine Kraftfahrzeugsteuer zu zahlen bräuchte, kann sich die Bundesregierung doch nicht wundern, wenn der Steuerzahler einen korrekten Nachweis über die sinnvolle Verwendung dieser Riesensumme verlangt.
Und hier, Herr Minister, müssen Sie und Ihre Vorgänger sich schlimme Pannen vorrechnen lassen.
— Herr Roth, ich blicke auf eine fast siebenjährige Praxis in der Privatwirtschaft zurück
und bin mit Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Gegensatz zu Ihnen, der Sie mehr dem Jungsozialismus gefrönt haben, wohl vertraut.Um so unfaßbarer erscheint mir daher oftmals die Arbeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen von Projektprüfung und Projektabwicklung. Ich bin sicher, daß es kein Bundesressort gibt, das so schlampig geführt wird
wie Ihr Ressort, Herr Minister.
Jüngstes Eingeständnis von Schlampigkeit: Sie sitzen, wenn ich Ihren Ausführungen im Sozialdemokratischen Pressedienst vom 9. Januar 1979 glauben darf, auf etwa 600 Millionen DM und wissen nicht, wohin damit.Dabei geraten wir international immer mehr ins Abseits. Unsere Glaubwürdigkeit leidet. Westliche Partner greifen uns bei internationalen Konferenzenwegen unserer mangelnden Leistungen an, die in krassem Gegensatz zu den Äußerungen des Bundeskanzlers stehen, der dem Nord-Süd-Dialog und der Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern eine besondere Bedeutung einräumt. Hier zeigt sich wieder einmal der Unterschied zwischen dem, was der Bundeskanzler sagt, und dem, was er einhält.Unsere Leistungen liegen erheblich unter dem 0,7- Prozent-Ziel. Sie sind weit entfernt davon. Wir haben 1977 nur 0,27 % erreicht. 1978 kommen wir vielleicht auf 0,3 %. Die Bundesregierung sollte im Interesse ihrer Glaubwürdigkeit darüber nachdenken, ob international an dem 0,7- Prozent-Ziel überhaupt festgehalten werden soll.Aber nicht einmal den Ihnen zur Verfügung stehenden Anteil am Bruttosozialprodukt können Sie, Herr Minister, einer sinnvollen entwicklungspolitischen Arbeit zuführen.Dazu kommt die verhängnisvolle Übung Ihres Hauses, in den letzten Monaten eines jeden Jahres noch möglichst viele Projekte durchzupeitschen, um den Stau von Barmitteln gering zu halten. Das muß sich natürlich auf die Qualität der Projekte auswirken. So darf man mit Steuergeldern nicht umgehen.
Wenn wir uns die Rahmenplanung 1977 ansehen — und Ähnliches werden sie uns auch 1978 präsentieren —, stellen wir fest: Nur 50 °/o der geplanten Projekte konnten Sie realisieren. Ich frage mich, ob von Planung noch die Rede sein kann, wenn nur 50 °/o der in Aussicht genommenen Projekte verwirklicht werden. Mir scheint: Die Planungsfähigkeit Ihres Hauses hat den Nullpunkt erreicht.Betrachtet man das Konzept für die Schwellenländer, stellt man fest, daß in diesem Konzept Allgemeinheiten enthalten sind. Es ist auch nicht ehrlich, wenn Sie in diesem Papier 29 Schwellenländer aufführen, die rund 20 % der Entwicklungshilfe erhalten sollen, tatsächlich aber nur drei oder vier Länder 80 % dieser Mittel bekommen
und die restlichen Länder leer ausgehen.
Das, Herr Minister, nenne ich nicht Konzept, sondern einen nachlässigen Umgang mit wirtschaftlich wichtigen Partnern der Zukunft.Statt dessen setzen Sie Schwerpunkte bei Ländern, von denen Sie wissen, daß deren Absorptionsfähigkeit begrenzt ist. Da diese Praxis aber zwangsläufig zu Verzögerungen von Vorhaben führen muß und dazu ein schleppender Abfluß der Mittel und damit verbunden natürlich höhere Kosten kommen, können Sie uns im Grund nur sagen: Na ja, der Bürger finanziert es ja über die Steuern.An diesem Punkt möchte ich auch auf Ihre Versäumnisse bezüglich des Entwicklungsländersteuergesetzes hinweisen.
Sie hatten die Chance, zu einer Novellierung beizutragen, die den Ländern der Dritten Welt und unse-
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Stommelrer notleidenden mittelständischen Wirtschaft Nutzen gebraucht hätte. Aber die Verhandlungen im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit haben mir gezeigt, daß Sie und Ihre Genossen von SPD und FDP gar kein Interesse daran haben, dieses Gesetz wirkungsvoller auszugestalten.
Ihre Antiunternehmerideologie hätte das Gesetz lieber verschwinden lassen. Nur aus optischen Gründen — der Wirtschaft gegenüber — haben Sie eine Novellierung in Gang gebracht, die den Namen Novellierung gar nicht verdient.Was die von Ihnen verfolgte Grundbedürfnisstrategie angeht, wissen auch Sie, daß die Befriedigung von Grundbedürfnissen nichts Neues in der Entwicklungspolitik ist. Denn 40 % der TZ-Mittel und 20 % der FZ-Mittel wurden bisher für diese Zwecke ausgegeben. Ich vertrete jedoch die Auffassung, daß eine Steigerung nicht mehr vorgenommen werden darf. Die konsequente Verfolgung einer Grundbedürfnisstrategie stößt bei den Entwicklungsländern immer mehr auf Kritik und Ablehnung. Diese Ländern wollen keine Almosen, sondern sie wollen eine echte Partnerschaft, eine echte wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Förderung ihres wirtschaftlichen Wachstums.Ich betone abschließend, wir von der CDU wollen eine Steigerung der Entwicklungshilfe, aber auch eine Neuorientierung in der Entwicklungspolitik. Ihren Weg, Herr Minister, einen Weg, der mehr und mehr ein Weg der Ideologie und Bürokratie mit allen Fehlern und Pannen ist, gehen wir nicht mit. Es müssen neue Elemente in die Entwicklungspolitik eingeführt werden, die insbesondere die wirtschaftliche Zusammenarbeit deutscher Unternehmer mit den Entwicklungsländern fördern, eine stärkere Wirtschaftlichkeitsprüfung der Projekte garantieren, administrative Hemmnisse abbauen und so erfolgen, daß beide Seiten, die Empfänger und die Bundesrepublik Deutschland, einen möglichst großen Nutzen davon haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Vohrer.
Frau Präsident! Meine Damen, meine Herren! Die Debatte in dem Hohen Hause findet zu einem Zeitpunkt statt, wo in den Kinos eigentlich die Spätvorstellungen laufen. Insofern wundert es mich nicht, wenn meine Kollegen Stommel, Hoffacker und Picard hier die „rauchenden Colts" zückten.
Die Beiträge des Herrn Picard, aber auch der Kollegen Esters und Gärtner befaßten sich zum Teil mit den Einzelprojekten, die entwicklungspolitisch zum Politikum werden können. Aber hier in einer Haushaltsdebatte sind es vorrangig auch Globalzahlen, die über entwicklungspolitische Prioritäten etwas aussagen. Ich möchte in der gebotenen Kürze aufeinige Globalzahlen, insbesondere die Steigerungsraten, eingehen.Wir haben in dem Haushaltsvoranschlag in der Ausschußdrucksache 180 eine Summe von 4,674 Milliarden DM als Ausgabenvolumen für das Haushaltsjahr 1979 genannt bekommen. Die Ausgaben enthalten, verglichen mit dem Vorjahr, eine Steigerung um 17%. Demgegenüber sollte der Gesamthaushalt um 8,4 % steigen.
Wir waren sehr zufrieden insofern, als mit den Zahlen das Versprechen eingelöst wurde, daß der Entwicklungshaushalt mit der doppelten Steigerungsrate des Bundeshaushalts steigen sollte. Zwischenzeitlich stellten wir fest, daß gegenüber der Soll-Zahl von 1978 in Höhe von 3,989 Milliarden die Ist-Zahl nur rund 3,4 Milliarden ausmacht. Wenn man jetzt die Ist-Zahl von 1978 mit der SollZahl von 1979 vergleicht, dann kann man sogar ganz ohne Zahlenspielerei zu der stolzen Steigerungsrate von 37% kommen.
Wenn wir aber wesentlich realistischer rechnen — Herr Hüsch, Sie sollten es noch erwarten können, Sie werden mir womöglich noch Beifall spenden, ich fürchte es —, wenn wir die Steigerungsraten realistischer rechnen, dann müssen wir von den 4,6 Milliarden, die bereinigt nur als 4,557 Milliarden erscheinen, noch die 110 Millionen ERP-Mittel und die 310 Millionen Tilgungsverrechnungsbeträge abziehen. Und, plötzlich kommen wir zu einem Betrag von 4,137 Milliarden DM, die wir ins Verhältnis zu dem Betrag setzen müssen, den wir im vergangenen Jahr in diesem Hause verabschiedet haben, nämlich 3,989 Milliarden DM. Dann kommen wir zu der Steigerungsrate von 3,7 % Mit I jener Streubreite von 3,7 bis 37 % stehen wir als Politiker hier und dürfen über einen entwicklungspolitischen Haushalt diskutieren!
Herr Minister, ich habe den Eindruck, daß eine Streubreite, die um den Faktor 10 variiert, in der Tat die Kritik dieses Hauses herausfordert. Ich hoffe, daß die personalpolitische Entscheidung, die Sie getroffen haben, dazu beiträgt, daß wir zukünftig auf einer gesicherteren Entscheidungsbasis stehen, wenn wir weitere entwicklungspolitische Haushalte diskutieren.
Sehen wir uns die Finanzplanung der Baransätze an, so stellen wir fest, daß auch hier die in Aussicht gestellten Steigerungsraten nicht annähernd dem entsprechen, was wir politisch wollen, und zwar in allen Parteien. Wir sehen, daß im Jahre 1980 der entwicklungspolitische Haushalt um rund 8 %, der Gesamthaushalt um rund 6 %, im Jahre 1981 der entwicklungspolitische Haushalt um 7,9 %, der Bundeshaushalt um 5 %, im Jahre 1982 der entwicklungspolitische Haushalt um 6,9 %, der Bundes-
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Dr. Vohrerhaushalt um 4 % steigen sollen. Mit all diesen Ansätzen werden wir den Weg zum 0,7 %- Ziel kaum näherkommen. Mit all diesen Ansätzen werden wir von den jetzigen 0,27%, wenn es gut geht, um 0,3 % oszillieren. Und dies alles vor dem Hintergrund einer ausnahmsweise sehr homogenen politischen Aussage aller drei hier im Bundestag vertretenen Fraktionen; denn alle drei Fraktionen bekennen sich zum 0,7 %- Ziel.Ich möchte noch eine kritische Bemerkung machen. Baransätze zu diskutieren bedingt andererseits auch, daß man sich um die Verpflichtungsermächtigungen kümmert. Wenn wir sehen, daß die Baransätze von 3,3 Milliarden DM 1977 auf 3,9 Milliarden DM 1978 und 4,5 Milliarden DM 1979 steigen und andererseits die Verpflichtungsermächtigungen von 6,2 über 5,3 auf 5,0 Milliarden DM sinken, dann braucht es nicht allzu sehr zu verwundern, wenn die beim Abfluß erreichten Ziffern nicht mit dem übereinstimmen, was wir politisch wollen.Meine sehr verehrten Kollegen, ich glaube, es ist eine Aufgabe für uns alle, hier mit dafür Sorge zu tragen, daß unsere Entwicklungspolitik nicht nur qualitativ internationale Anerkennung findet. Denn alle sind sich einig, daß die Tatsache, daß unsere Entwicklungshilfe lieferungebunden geschieht, daß unser Anteil für die ärmsten Länder der Welt steigen soll und daß überhaupt der Geschenkanteil unserer Entwicklungshilfe im Vergleich mit allen OECD-Partnern erfreulich hoch liegt. Doch dies reicht nicht aus. Wir müssen von dem Prädikat „Sehr gut" allein für die Qualität wegkommen, wir müssen dahin kommen, daß auch das quantitative Prädikat von dem jetzigen „Ausreichend" hoffentlich bald zu „Gut" oder „Sehr gut" steigt.Im übrigen sind die Haushaltsansätze vor dem Hintergrund zu sehen, daß wir einige sehr exponierte Politiker in dieser Regierung haben. Wir haben einen Außenminister, der nicht nur die Bündnispolitik mit dem Westen und die Europapolitik pflegt und die Ostpolitik der Regierung Scheel/Brandt fortsetzt, sondern der einen dritten Schwerpunkt mit der Politik für die Dritte Welt setzt. Wir haben einen SPD-Parteivorsitzenden, dem es zur Ehre gereicht, der Nord-Süd-Kommission vorzustehen, und einen Kanzler, der zum Jahreswechsel nicht nur in Guadeloupe, sondern auch in Jamaica war und dort sein Herz für die Entwicklungspolitik entdeckte.
Dies alles sind Verpflichtungen. Ich hoffe, daß alle Parteien hier mit dazu beitragen können, daß sich diese Verpflichtungen zukünftig auch im Entwicklungshaushalt niederschlagen.Hier wurde auf die Frage des Abflusses der Mittel eingegangen. Daß hiervon im internationalen Bereich rund 300 Millionen DM nicht der Bundesregierung angelastet werden, soll ganz klar gesagt werden. Aber rund 150 Millionen DM sind im bilateralen Verkehr nicht abgeflossen. Dieser Sachverhalt ist natürlich eine Hypothek, wenn wir im Haushaltsausschuß eine Erhöhung der Entwicklungshilfemittel fordern. Es ist notwendig, daß das Haus personell so ausgerüstet wird, daß auch bei gestiegenen qualitativen Anforderungen an die Entwicklungshilfe die verwaltungsmäßige Seite bewältigt werden kann. Unsere Haushaltsexperten sollten mit dafür Sorge tragen, daß das BMZ personell ausreichend ausgerüstet wird und die neuen Kriterien, die wir für unsere Entwicklungshilfe fordern — ich denke an die Frage der Stellung der Frau und des Kindes, an ökologische Kriterien etc. —, erfüllt werden. Ich würde mich sehr freuen, wenn das personelle Argument zukünftig nicht mehr im Vordergrund stünde.Ich habe mich im Ausschuß auch dafür eingesetzt, daß der Titel „Regenerierbare Energieträger" nicht ein Leertitel bleibt, sondern ausgefüllt wird. Es ist zu hoffen, daß dies im Nachtragshaushalt geschieht.Ich komme zum Schluß. Die Entwicklungspolitik besteht in ihrem pluralistischen Ansatz sicherlich aus der Summe von privater und öffentlicher Entwicklungshilfe, aus Handelspolitik, Rohstoffpolitik, aus der Bereitschaft, zur Erlösstabilisierung beizutragen, aus der Bereitschaft, mehr zur Industrialisierung der Entwicklungsländer und zum Technologietransfer zu tun, sowie aus unseren Zugeständnissen bei der Währungspolitik und bei der Entschuldungspolitik. Wir wünschen, daß unsere Entwicklungspolitik, die aus diesem breiten Strauß von Maßnahmen besteht, zukünftig mit originellen Ideen von dem Minister angereichert wird. Wir werden seitens des Ausschusses unseren Beitrag dazu leisten. Sie haben meinen Ausführungen sicherlich entnommen, daß die FDP zwar dem Einzelplan 23 zustimmt, daß wir diese Zustimmung aber nicht als einen Blankoscheck für alle zukünftigen Eventualitäten der Entwicklungspolitik verstehen, sondern immer ein kritischer Partner in der Koalition bleiben werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Höffkes.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das BMZ ist immer noch für Überraschungen gut. Besser wäre es, wenn wir nicht mit Überraschungen, sondern mit einer Politik dieses Ministeriums, aufgebaut auf einer klaren Konzeption, einem eindeutigen Leitungs- und Führungsstil und mit einer durch- und einsichtigen Politik konfrontiert würden.
Was wir aus dem BMZ hören, beschränkt sich auf kontinuierlichen Ministerwechsel und den stetigen Wechsel der Herren Staatssekretäre. Nunmehr scheint die Lösung aller Schwierigkeiten darin gefunden zu sein, daß der Minister drei von vier abteilungsleitenden Ministerialdirektoren in seinem Hause auswechselt. Vom Sprecher des Ministeriums war aus der Presse zu erfahren, daß der Bruch seines Ministers mit den bisherigen Abteilungsleitern auf Probleme in der Zusammenarbeit und nicht auf Unterschiede in der entwicklungspolitischen Konzeption zurückzuführen sei.Unsere Frage an den Herrn Minister lautet: Was bezwecken Sie mit dieser Umbesetzung in Ihrem Hause? Sollen hier vielleicht mangelnde Leistungs-
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Höffkesfähigkeit und totale Konzeptionslosigkeit auf dem Rücken leitender Ministerialbeamter ausgetragen werden?
Wir haben kein Verständnis dafür, daß ein Minister glaubt, gleich mit drei von den insgesamt vier Abteilungsleitern seines Ministeriums nicht zusammenarbeiten zu können.
Dürfen wir daraus den Schluß ziehen, daß die Gründe tiefer liegen? Sind Sie, Herr Minister, bereit, uns die Gründe bekanntzugeben, und haben Sie außer an die menschliche Seite für die Betroffenen auch an die Kontinuierlichkeit und die wohl schwerlich zu ersetzende jahrzehntelange Ressorterfahrung dieser Persönlichkeiten gedacht?
Bedeuten neue Abteilungsleiter auch eine neue Politik? Sollte es so sein, sind wir außerordentlich gespannt auf die neuen Weisungen und Richtlinien.Nun ein paar Worte zur multilateralen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, einer Problemstellung, die einer kritischen und eingehenden Prüfung durch das Parlament bedarf, weil gerade diese Hilfe sehr schwer kontrolliert werden kann, sowohl hinsichtlich des Mitteleinsatzes wie auch der Mittelverwendung.Die Entwicklung der Ausgaben und der Verpflichtungsermächtigungen für die multilaterale Zusammenarbeit ist von großem Interesse. Sie sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Von 1976 auf 1977 betrug die Steigerung 12,3 %, dann auf 1978 sogar 75 %. Nach dem vorliegenden Ist-Betrag für 1978 beträgt die Steigerung immer noch 51 %. Verglichen mit der Steigerung des Volumens der bilateralen Maßnahmen von 1977 auf 1978, die 8,9 % betrug, kann die Steigerungsrate der Mittel für die multilaterale entwicklungspolitische Zusammenarbeit nur als extrem hoch bezeichnet werden. Für den Haushalt 1979 ist eine Steigerung von 28,6 % vorgesehen. An diesem Betrag und an dieser Steigerungsrate ändern auch die Beschlüsse des Haushaltsausschusses nicht viel, die nur Minderausgaben von 11,3 Millionen DM gebracht haben.Innerhalb des Bereichs der multilateralen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit weisen insbesondere die Anteile der Bundesrepublik Deutschland am Grundkapital der internationalen Entwicklungsbanken enorme Steigerungsraten auf: 125,7% bei der Weltbank, 128,2 % bei der IDA, 84,7 % beim Grundkapital und Sonderfonds der Asiatischen Entwicklungsbank, 154,1 % beim Sonderfonds der Afrikanischen Entwicklungsbank, 61,9 % beim Sonderfonds der Interamerikanischen Entwicklungsbank.Die überdurchschnittlichen Steigerungen der zweckgebundenen Beträge, die die Bundesrepublik an die Vereinten Nationen, ihre Sonderorganisationen und an andere internationale Einrichtungen zahlt, müssen hier ebenfalls erwähnt werden. Die Ausgaben in diesem Bereich steigen um 50 %.Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, daß die Steigerungsrate der Ausgaben für diemultilaterale entwicklungspolitische Zusammenarbeit für das Haushaltsjahr 1979 mit 28,6% mehr als doppelt so groß ausgefallen ist wie die Steigerungsrate für die bilaterale entwicklungspolitische Arbeit, die 13,9 % beträgt. Die enorme Steigerung der Ausgaben für die multilaterale entwicklungspolitische Zusammenarbeit schlägt sich auch bei den Verpflichtungsermächtigungen nieder, die Ende 1975 5 Milliarden DM, 1976 8 Milliarden DM und 1977 bereits über 10 Milliarden DM betrugen. Die Steigerungsraten betragen: von 1975 auf 1976 50,3 %, von 1976 auf 1977 31,6 %.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werde den Verdacht nicht los, daß aus Mangel an eigenen Vorstellungen über eine wirksame Entwicklungspolitik die Kompetenzen und Möglichkeiten mehr und mehr an supranationale Institutionen abgegeben werden. Ein solches Verhalten ist sowohl für das Außenministerium einfach wie auch für das BMZ. Man braucht nur noch Überweisungsformulare auszustellen und darauf zu verweisen, daß die internationalen Institutionen es schon richtig machen würden. Man glaubt, dem Steuerzahler auf diese Weise große Leistungen für die Entwicklungspolitik nachweisen zu können, ohne hierfür Verantwortung tragen zu müssen. Eine solche Politik ist falsch, zumal die Bundesrepublik in den internationalen Institutionen personell unterrepräsentiert ist und die wenigen deutschen Vertreter in diesen Einrichtungen alleingelassen sind.
Internationale Institutionen mögen gute oder auch weniger gute Arbeit leisten. Eines steht fest: daß sie sich durch Schwerfälligkeit und Bürokratismus ausweisen,
daß der deutsche Einfluß sehr gering ist und daß sie keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegen.Man mag dies unterschiedlich bewerten. Es ist hier und heute zwar nicht die Zeit, an supranationalen Einrichtungen Kritik zu üben. Aber es ist unsere Kontrollaufgabe im Parlament, angesichts der unverhältnismäßig hohen Steigerungsraten für internationale Institutionen im Haushalt 1979 unsere Bedenken anzumelden. Denn wir werden vom deutschen Steuerzahler gefragt, ob die Milliarden-Beträge, die die Bundesrepublik für Entwicklungshilfe aufbringt, mit höchster Effizienz verwaltet und ausgegeben werden.
Wir werden gefragt, ob die Steuergelder auch wirklich den Benachteiligten dieser Welt Hilfe geben.
Wir haben hier berechtigte Zweifel und werfen der Bundesregierung Versäumnisse vor. Wir verlangen Auskunft darüber, wohin der Zug der Entwicklungspolitik fahren soll.
Eine weitere Frage: Leitet die Personalumbesetzung vielleicht die Ara der neuen Erkenntnisse des
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HöffkesHerrn Bundeskanzler ein, die er in der Karibik gewonnen zu haben scheint? Für uns ist es zwar nicht einsichtig, daß bei neuen Erkenntnissen des Kanzlers auch gleich das Auswechseln erfahrener und offenbar auch bewährter Beamter notwendig wird. Aber sei es, wie es ist: Die Ratschläge und Entscheidungen dieser Regierung sind undurchschaubar und nicht einsehbar. Wir billigen dies nicht, auch dann nicht, wenn — wie hier — der Stab über Persönlichkeiten gebrochen wird, die der SPD angehören. Dem Personalrat zollen wir für seine Loyalitätsbekundungen Anerkennung.
Offenbar hat der Bundeskanzler zum wiederholten Male die große Bedeutung der Entwicklungshilfe erkannt und appelliert nicht nur an die Sowjetunion, sondern auch an seine eigene Partei, die SPD, im Nord-Süd-Dialog nunmehr Nägel mit Köpfen zu machen, was für den Kanzler zu bedeuten scheint, den Forderungen der Entwicklungsländer in Fragen des Rohstoffonds nachzugeben und endgültige Entscheidungen zu treffen. Ist es richtig, daß der Bundeskanzler vor der SPD-Fraktion erklärt hat, davon überzeugt zu sein, daß der Common Fund nicht sinnvoll sei, daß man aber nicht mehr um ihn herumkomme? Wenn es weiter heißt, die Bundesregierung werde das Mögliche tun, um der Dritten Welt zu zeigen, daß sie zur Kooperation bereit sei, so frage ich: Kann man diese Aussage dahin deuten, daß der Bundeskanzler nunmehr bereit ist, den Forderungen, die bei UNCTAD IV von den Ländern der Dritten Welt aufgestellt worden sind, zuzustimmen? Ist der Bundeskanzler jetzt bereit, dem Entwurf der UN vom 30. November 1978 zuzustimmen? Der Bundeskanzler ist sich also darüber im klaren, daß er einen wesentlichen Teil der freien Weltwirtschaftsordnung aufgibt, weiter darüber, daß ein neuer MilliardenFonds für die Entwicklungshilfe auf uns zukommt.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat im letzten November eindringlich auf die damit verbundenen Gefahren für eine freie, soziale Weltwirtschaftsordnung und auch auf die Auswirkungen auf unser Wirtschaftssystem hingewiesen. Wenn der Herr Bundeskanzler feststellt, daß dieser Gemeinsame Fonds nicht sinnvoll ist, daß dieses Projekt zu Preiserhöhungen führen muß, daß die betroffenen Entwicklungsländer schon nach einigen Jahren darauf kommen, daß sie daraus nur wenig Nutzen ziehen können, andere aber noch größere Lasten zu tragen haben, daß wenige rohstoffreiche Industrieländer den großen Reibach machen und daß das Unternehmen schon bald zu einer großen Enttäuschung führen muß, dann müssen Sie von der CDU/CSU-Fraktion den Vorwurf entgegennehmen, daß es vor allem die Konzeptlosigkeit dieser Bundesregierung gewesen ist, die zu einer solchen Situation geführt hat. Die Regierung der sozialliberalen Koalition haben es immer und immer wieder versäumt, bei Beratungen und Besprechungen auf internationalen Konferenzen durch ihre Minister, Staatssekretäre und durch bei Verhandlungen auftretende leitende Beamte eine klare Linie offensiv zu vertreten. So manche bedeutende und wichtige Konferenz fand mit der Weisung an die Vertreter der Bundesregierung statt — Frau Präsidentin, ich bin sofort fertig, ich bitte umEntschuldigung —: Warten wir erst einmal ab, wie sich die anderen einstellen. Das ist das, was ich mit Konzeptionslosigkeit meine.
Der Common Fund à la UNCTAD IV war und ist keine entwicklungspolitische Direktive, die wir billigen. Wenn heute der Zug für eine bessere Lösung abgefahren zu sein scheint, dann hat der Herr Bundeskanzler dies zu vertreten und zu verantworten, und wir werden immer wieder mit Nachdruck auf die negativen Folgen für die Entwicklungsländer und für uns hinweisen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Offergeld.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Opposition dauert mich. Ich frage mich, was Sie eigentlich heute den ganzen Abend erzählt hätten, wenn nicht in meinem Ministerium zwei Beamte in den Ruhestand geschickt worden wären. Dazu kurz zwei Bemerkungen:Erstens. Wie Sie wissen, gibt das Bundesbeamtengesetz die Möglichkeit, politische Beamte jederzeit, wie es im Gesetz heißt, in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.
Natürlich gibt es für eine derartige Maßnahme schwerwiegende Gründe. Es muß sie geben. Das ist ja ein Schritt, der einem auch persönlich nicht leichtfällt. Aber es war immer so und wird auch in diesem Fall so bleiben, daß dafür gerade im Interesse der Betroffenen nach außen keine Begründungen gegeben werden. Ich stehe im übrigen nicht an, auch hier öffentlich zu sagen, daß ich den hohen Sachverstand der beiden Beamten, um die es geht, nicht bezweifle.
Zweite Bemerkung. Die beiden Nachfolger habe ich heute benannt. Ich habe gleichzeitig deutlich gemacht, daß es eine Umorganisation im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit geben wird. Es wird künftig statt vier Abteilungen drei Abteilungen geben. Vielleicht wäre dies zumindest wert, von der Opposition positiv vermerkt zu werden. Ich glaube, dieser Einsparungseffekt ist eine Tatsache, die sich durchaus sehen läßt.
Lassen Sie mich nun zum Haushalt kommen. Der Haushalt wird im Jahre 1979 erstmals die 4- Milliarden-DM-Grenze überschreiten. Die Gesamtsumme der Baransätze beträgt nach den Beratungen im
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Bundesminister OffergeldHaushaltsausschuß über 4,5 Milliarden DM. Nun gab es heute eine Debatte über die Steigerungsraten. In der Tat sind die Größen im vergangenen Haushalt und die Größen in diesem Haushalt. nicht kommensurabel. Aber ich sage dazu: Die Diskussion um die Steigerungsraten bei den Baransätzen ist eine vordergründige. Die Baransätze sind letztlich ein Ergebnis, sind die Resultanten der Verpflichtungsermächtigungen der früheren Jahre. Deswegen lohnt es sich eigentlich nur, über den finanzpolitischen Handlungsspielraum ernsthaft zu diskutieren, der uns eingeräumt wird. Das sind die Verpflichtungsermächtigungen. Das ist der entscheidende Punkt, und das ist das entscheidende Datum für den Einzelplan 23.Die Verpflichtungsermächtigungen sollen nach den Beschlüssen des Haushaltsausschusses auf 5,1 Milliarden DM ansteigen. Sie sind besonders wichtig; denn kein nachhaltig wirksames Entwicklungsprojekt kann man in einem Jahr zusagen, durchführen und finanzieren. Die Verpflichtungsermächtigungen bestimmen unseren Handlungsspielraum. Ihre Höhe entscheidet darüber, wieviel Barmittel in späteren Jahren abfließen können.
— Herr Hüsch, wenn Sie nun diese Behauptung bestreiten wollen, dann müssen Sie noch einmal in den Anfängerkurs für Haushaltsrecht gehen.
In einigen Bereichen wurden die Verpflichtungsermächtigungen besonders stark angehoben. Dies ist bei der bilateralen Technischen Zusammenarbeit der Fall. Sie wird von 650 Millionen DM in 1978 auf 750 Millionen DM ausgeweitet. Diese Erhöhung halte ich für außerordentlich wichtig, weil gerade die Technische Zusammenarbeit vor allem bei den ärmsten Ländern dazu beiträgt, größere Investitionen, größere Entwicklungsprojekte vorzubereiten. Sie hilft, Engpässe in Verwaltung und Planung zu beseitigen.Auch die Verpflichtungsermächtigungen für die Förderung von Projekten der kirchlichen Hilfswerke werden ganz beträchtlich angehoben: von 111 auf 155 Millionen DM. Gerade die Kirchen wie auch andere nichtstaatliche Träger sind besonders erfolgreich bei der Bekämpfung der absoluten Armut. Sie haben da in vielen Fällen auch günstigere Startvoraussetzungen als staatliche Hilfe.
Die Bundesregierung wird das Engagement der nichtstaatlichen Träger nachdrücklich weiter unterstützen. Ich werde mich auch in den künftigen Haushalten dafür einsetzen, daß die Steigerungsrate der Verpflichtungsermächtigung deutlich über dem Durchschnitt liegt.Für die finanzielle Zusammenarbeit steht uns eine Verpflichtungsermächtigung von fast 3,5 MilliardenDM zur Verfügung. Es ist auch eine besondere Verpflichtungsermächtigung für eine Mehrjahreszusage über 6 Jahre hinzugekommen. Damit soll ein großes Dammbauprojekt finanziert werden. Wir, d. h. Parlament und Regierung, müssen uns überlegen, ob wir dieses Instrument in Zukunft nicht noch stärker nutzen sollten. Mehrjahreszusagen machen es ja möglich, größere Investitionen in Angriff zu nehmen. Sie erleichtern die Durchfinanzierung, sie erleichtern Planungs- und Verwaltungsarbeit. Aber — und diese Fußnote möchte ich in diesem Zusammenhang auch machen; ich werde dem Thema Minderausgaben gleich noch einige Bemerkungen hin, zufügen — sie erschweren natürlich auch die Abflußschätzungen für die zukünftigen Jahre.Die vorgesehene Steigerungsrate mag vielen engagierten Entwicklungspolitikern ungenügend erscheinen. Auch in den Ländern der Dritten Welt erwartet man gewiß von einem der reichsten Länder dieser Welt mehr — noch mehr — an entwicklungspolitischen Leistungen. Wir sind von unserem selbstgesteckten Ziel, nämlich 0,7 % des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe auszugeben, noch weit entfernt.Die Ausgaben für wirtschaftliche Zusammenarbeit stehen in Konkurrenz zu anderen Aufgaben im Innern unseres Landes. Der finanzpolitische Spielraum ist nun einmal durch die Summe der Steuereinnahmen und der Kreditaufnahmen begrenzt. Trotzdem müssen wir, wollen wir international glaubwürdig bleiben, uns jährlich erneut bemühen, die Entwicklungshilfeleistungen überdurchschnittlich zu steigern, um so unserem Ziel näherzukommen.Die Opposition allerdings, meine Damen und Herren, hat kein Recht, zu niedrige Leistungen der Bundesrepublik in der Entwicklungshilfe zu kritisieren. Wer ständig • einerseits Steuererleichterungen fordert und andererseits eine zu hohe Kreditaufnahe beklagt, ist nicht ernst zu nehmen, wenn er gleichzeitig auf den verschiedensten Feldern höhere Ausgaben verlangt.
Wenn sich die Opposition hier aufregt, daß wir das 0,7- Prozent-Ziel noch nicht erreicht haben,
was auch ich beklage, dann erscheint mir das, Herr Todenhöfer, als absurdes Theater.Einige Anmerkungen zu den Minderausgaben, die ja gerade in der Debatte vorhin eine erhebliche Rolle gespielt haben. Zunächst einmal zu den Zahlen: Von den im Parlament bewilligten Mitteln sind per saldo — es gibt ja auch gewisse Mehrausgaben — rund 475 Millionen DM nicht abgeflossen.Ich nenne die wesentlichsten Einzelposten:Im multilateralen Bereich entstanden Minderausgaben von rund 340 Millionen DM: Die Europäische
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Bundesminister OffergeldGemeinschaft hat rund 158 Millionen DM weniger abgerufen als veranschlagt. Unsere Zahlungsverpflichtungen auf Dollarbasis an Entwicklungsbanken und andere internationale Institutionen konnten mit weniger Haushaltsmitteln beglichen werden, als kalkuliert wurde. Die Änderung im Wechselkurs zum Dollar führte zu Einsparungen von 30 Millionen DM. Vielleicht ist zumindest das ein Faktor, bei dem die Opposition anerkennt, daß das nun nicht vorherzusehen war. Im multilateralen Bereich konnte die erste Rate für die Sondermaßnahmen der KIWZ von 150 Millionen DM nicht überwiesen werden, da das Abkommen in anderen Staaten der EG noch nicht ratifiziert war. Die Bundesregierung hatte überhaupt keine Möglichkeit, den Mittelabfluß im multilateralen Bereich zu beschleunigen oder andere Schätzungen bei der Aufstellung des Haushalts vorzulegen. Hätten wir vor Fälligkeit gezahlt, hätten wir gegen zwingende Vorschriften des Haushaltsrechts verstoßen.Bei der bilateralen finanziellen Zusammenarbeit sind 160 Millionen DM nicht abgeflossen. Es ist der einzige Punkt, über den hier ernsthaft und kontrovers zu diskutieren sich lohnt. Das ist ein geringer Betrag im Verhältnis zum Gesamtvolumen, vor allem wenn man die hohen Steigerungsraten im Etat des vergangenen Jahres berücksichtigt.Wer die Schwierigkeiten kennt — und die Kollegen des Fachausschusses sollten sie eigentlich kennen —, die Barabflüsse bei vielen Hunderten von Projekten in vielen Ländern vorauszuschätzen, der weiß auch, daß diese im Verhältnis zu den Gesamtausgaben geringen Minderausgaben nur durch erhebliche administrative Anstrengungen zu erreichen waren. Wer sich hier über diese Minderausgaben erregt, der kennt die finanzwirtschaftlichen Realitäten nicht. Wer die Schätzungsschwierigkeiten bei unseren Abflüssen im Inland kennt — beim Kindergeld, beim BAföG, beim Wohnungsbau, bei der Sparprämie, ja selbst beim Straßenbau; die sind oft sehr viel weiter von der Realität unserer Abflußschätzungen entfernt —, der muß bestätigen, daß diese Summe durchaus im Bereich des Möglichen liegt und daß wir auch in den kommenden Jahren mit entsprechenden Problemen und Schätzungsschwierigkeiten rechnen müssen.Im übrigen, Herr Hüsch, beobachten auch andere Geber eine weltweite Verlangsamung der Abflüsse. Es gibt eine breite Diskussion über dieses Thema im Rahmen der OECD. Die Bundesrepublik bildet überhaupt keine Ausnahme. Im Gegenteil, international gesehen, stehen wir sehr gut da.Ich meine, das Thema lohnt die Diskussion. Sie muß aber seriöser geführt werden, als die Opposition das heute abend versucht hat. Die Diskussion über die Aufnahmefähigkeit der Entwicklungsländer muß intensiv weitergeführt werden. Wir werden mit der Weltbank, mit anderen multilateralen und bilateralen Gebern sorgfältig über Ursachen und Abhilfemöglichkeiten diskutieren.Zwei Gesichtspunkte will ich in diesem Zusammenhang jetzt schon hervorheben. Die Bundesregierung wird sich bemühen, die gerade durch die Unterentwicklung unserer Partner hervorgerufenen Schwierigkeiten zu beheben. Wir werden versuchen, durch Technische Hilfe eine zügigere Abwicklung von Entwicklungsprojekten zu ermöglichen. Ich habe vorher auf die hohe Steigerungsrate bei der Technischen Hilfe hingewiesen. Auch muß bei der Finanzplanung die Berechnung der Abflüsse aus den Verpflichtungsermächtigungen überprüft werden. Die Relation zwischen Verpflichtungsermächtigung und Baransatz muß kritisch untersucht werden. Um die praktischen Schwierigkeiten zu verdeutlichen: Schon jetzt sind wir gemeinsam mit dem Finanzminister damit beschäftigt, die Abflüsse für das Jahr 1980 zu schätzen. Auch das ist sicherlich eine schwierige Aufgabe.Lassen Sie mich zum Schluß, meine Damen und Herren, noch zu einem Thema einige Bemerkungen machen, das auch heute in der Debatte eine Rolle gespielt hat: zu den sogenannten Pannen in der Entwicklungspolitik.Kritik am Ob und am Wie der Entwicklungspolitik ist in allen Industrieländern an der Tagesordnung. Solche Kritik läßt sich ja hervorragend vermarkten. Belege für Pannen in der Entwicklungshilfe lassen sich leicht sammeln und vor allem spannend präsentieren. Es gibt ja in der jüngsten Vergangenheit einige Beispiele dafür. Dabei läßt sich die Opposition nicht lumpen. Sie setzt auf das vorhandene Mißtrauen eines Teils der Bevölkerung, der in der Dritten Welt oft nur Unfähigkeit, Machtmißbrauch und Korruption sieht und der in der Entwicklungshilfe letzten Endes nichts anderes als eine gutgemeinte Verschwendung von Steuergeldern entdecken kann.
Verschwiegen wird von der Opposition, daß diese Belege normalerweise aus internen Aufzeichnungen der Entwicklungshilfeverwaltung und des Rechnungshofes stammen, also gerade Ergebnis einer sorgfältigen Kontrolle sind. Niemand schläft, und aufgetretene Schwierigkeiten werden offen und ganz drastisch vor allem in Inspektionsberichten meines Ministeriums aufgezeichnet.Fast alle Entwicklungsprojekte haben schwierige Phasen durchzustehen. Oft streiten sich die Fachleute. Es ist daher ganz einfach, immer einen Fachmann zu zitieren, der mal anderer Meinung war. Bei bisher 13 000 Projekten mit Laufzeiten bis zu zehn Jahren ist die Zahl endgültiger Fehlschläge gering. Auch in sehr kritischen Fällen gelingt es fast immer, zusammen mit den Entwicklungsländern, mit unseren Partnern, zu befriedigenden Lösungen zu kommen. Entwicklung ist nur möglich, wenn sie einen Lernprozeß bei allen Beteiligten in Gang setzt. Der schnelle Modernisierungsprozeß der Dritten Welt bei oft abrupten politischen Veränderungen macht Fehlschläge und Pannen unvermeidlich. Es gibt sie auch bei Projekten in der Bundesrepublik, in einem Land, dessen Bewohner den Ruf haben,
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Bundesminister Offergelderstklassige Techniker, erfolgreiche Unternehmer zu sein, hervorragende Qualitätsprodukte zu liefern und über penible Behörden zu verfügen. Fehler und Pannen müssen deswegen nicht entschuldigt werden. Man muß aus ihnen lernen und die nötigen Gegenmaßnahmen ergreifen. Aber wie geht die Opposition etwa mit Mitteilungen des Bundesrechnungshofes um? Hier mal ein konkretes Beispiel aus dem abgelaufenen Jahr: Im März 1978 wurden Prüfungsmitteilungen des Bundesrechnungshofes über den DED durch einen Bericht von Herrn Vielain in der „Welt" bekannt. Schon einen Tag später — wen wundert das —, am 10. März 1978, befaßte sich die Arbeitsgruppe Entwicklungspolitik der CDU/CSU mit diesem Thema und zitierte angebliche Rechnungshofvorwürfe aus diesem Pressebericht: schlampige Verwaltung, schlechtes Management, kostenaufwendige Fehleinsätze, offensichtliche Systemmängel, eine Katastrophe. Die CDU/CSU-Presseerklärung hierzu weist nicht darauf hin, daß es sich in Wahrheit nur um erste Prüfungsmitteilungen handelt, auf die zunächst einmal von seiten des Ministeriums reagiert werden muß. Im Gegenteil erklärte die CDU/CSU: Sie hält die bekanntgewordenen Beanstandungen des Bundesrechnungshofs für außerordentlich schwerwiegend; sie bedauert, daß die deutsche Entwicklungshilfe durch fehlerhaftes Verhalten des Ministeriums und anderer erneut ins Zwielicht gerät. Das ist eine typische Vorverurteilung durch die Opposition, ohne auch nur einem Beamten, geschweige denn dem Minister, Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben.
Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie vorläufige Bemerkungen des Bundesrechnungshofs als politische Munition mißbraucht werden. Die Prüfung des DED durch den Rechnungshof wurde nämlich inzwischen abgeschlossen; das ist nur wenige Tage her. Ergebnis: Es werden keine Bemerkungen des Bundesrechnungshofs an das Parlament gehen. Administrative und organisatorische Schwierigkeiten, die wir nie bestritten haben, die vor allem mit dem Umzug des Entwicklungsdienstes von Bad Godesberg . nach Berlin verbunden waren, konnten mittlerweile nicht zuletzt dank der Kritik des Bundesrechnungshofs behoben werden.
Ich meine, das ist ein typisches Beispiel dafür, wie die Opposition versucht, latente Vorurteile gegen die Entwicklungspolitik zu ihrem Vorteil zu nutzen. In Wirklichkeit tut sie alles andere, als damit der Entwicklungspolitik einen Dienst zu leisten.
Ich komme zum Ende. Sprecher der Opposition haben hier Deklamationen von sich gegeben. Einer Ihrer Sprecher hat gesagt, Entwicklungspolitik sei einer der zentralen Bereiche unserer Politik. Ich kann dein nicht widersprechen; ich kann das nur unterstreichen. Wenn das so ist, meine ich, wäre esdringend an der Zeit, daß sich die Opposition dieses Themas intensiver und seriöser annimmt, als dies in der heutigen Debatte der Fall war.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Köhler .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Minister Offergeld, Sie haben uns einleitend bei einer der schwächsten Verteidigungsreden, die ich je von einem Minister hier gehört habe,
mitgeteilt — beruhigen Sie sich; es kommt noch besser —, daß Sie die Opposition dauert. Gerade nach dem zweiten Teil Ihrer Rede darf ich Ihnen versichern: Sie dauern uns nicht. Was Sie uns hier soeben nach der bewährten Methode geboten haben, daß der Angriff auf die Opposition von eigenen Schwächen ablenken kann, war wirklich hanebüchen. Sie haben es sogar fertig bekommen, die Pressemitteilung unserer Arbeitsgruppe im Fall DED an der Stelle nicht mehr zu zitieren, wo der entscheidende Satz kam, daß wir Sie aufgefordert haben, im Interesse der Sache die Dinge öffentlich schnellstens klarzustellen; denn die Dinge waren in der Öffentlichkeit, und durch Ihr andauerndes Schweigen konnte es dazu kommen, daß eines Tages diese gesamten ersten Prüfungsbeanstandungen in einem Buch ausführlich abgedruckt wurden und ein Eigenleben in der Diskussion angenommen haben. Das hat Ihnen nicht die Opposition, sondern die Tatsache beschert, daß Sie nicht bereit waren, sich einer öffentlich bereits in Gang befindlichen Affäre zu stellen. Gott sei Dank ist sie inzwischen zufriedenstellend behoben, und ich teile die Genugtuung darüber.
Was sollen eigentlich diese reizenden Bemerkungen über das Recht der Opposition? Wir sprechen hier über verschiedene Vorfälle, die etwas damit zu tun haben, daß in vergangenen Etatjahren der gesamte Ausschuß, inklusive Opposition, eine besondere Kraftanstrengung unternommen hat, um Ihrem Hause mehr Gelder für die Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Heute reden wir darüber, daß diese Gelder zu einem guten Teil nicht ausgegeben werden konnten. Das hat zu einer Stimmung geführt, die mich wirklich nachdenklich macht.Meine verehrten Damen und Herren, dies ist der siebente Haushalt des BMZ, dessen Beratung ich in dieser oder jener Form miterlebe. Ich habe noch nicht eine einzige Debatte über den Einzelplan 23 miterlebt, in der verhüllt oder unverhüllt von allen
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Dr. Köhler
Seiten des Hauses eine solche Kritik am Ministerium und an seiner Leitung geübt worden ist.
Das müßte doch einigermaßen nachdenklich stimmen. Herr Minister, Ihnen stünde es gut an, statt des billigen Fluchtweges „immer drauf auf die Opposition" einmal darüber nachzudenken, warum es wohl so ist, daß noch keiner der Minister, die wir seit 1974 hier kommen und gehen sahen, eine solche Haushaltsplanberatung erlebt hat, wie sie Ihnen heute abend beschieden war.
Man kann bei der CDU/CSU nahezu das Gefühl haben, daß wir dem gesamten Hause einen Gefallen tun, wenn wir diesen Einzelplan ablehnen, und das werden wir auch in aller Klarheit tun.In der Tat, es ist ein Etat ohne Perspektiven, der uns hier vorgelegt worden ist. Da hilft es Ihnen auch nicht, Herr Minister, daß Sie eine ganze Reihe von Einzelpunkten zitieren, dabei aber wohlweislich vergessen, welche dieser begrüßenswerten Änderungen z. B. auf Anträge unserer Gruppe und dann in Einmütigkeit des gesamten Ausschusses — ich will uns hier gar nicht besonders hervorheben; der Ausschuß hat da sehr harmonisch zusammengearbeitet —, welche Änderungen also gerade durch das Parlament und mit Hilfe dieser Opposition, die Sie so gerne haben, zustande gekommen sind.Ich verstehe die Kritik, die hier überall durchschwingt, denn hier sitzen in dieser späten Stunde vor allem die Entwicklungspolitiker, die im gemeinsamen Engagement für die Sache um mehr Geld gekämpft haben. Hier sitzen doch die Kollegen, die sogar glaubten, es müsse ein Marshall-Plan zur Verfügung gestellt werden, dessen Gelder Sie dann womöglich hätten ausgeben müssen. Ich frage mich, wie. Hier müssen sich doch viele Kollegen, die sich auch in ihren Fraktionen für die Entwicklungspolitik geschlagen haben, heute abend zutiefst desavouiert gefühlt haben. Dieses Erlebnis verdanken wir Ihnen, Herr Offergeld.
Der Mandel dieses Etats an innovatorischer Kraft ist vor allem deshalb bedenklich, weil in diesem Jahr die Weiche für weitere Fortschritte im Jahre 1980 hätte gestellt werden müssen, wenn in dieser Legislaturperiode überhaupt im Rahmen der Entwicklungspolitik noch mehr hätte zustande kommen sollen als ein reines Weitermachen, ein Durchwursteln, ein Schreiten in ausgetretenen Pfaden.Herr Minister, wenn Sie sich gerade in diesen Tagen Ihres Schwellenländerprogramms rühmen, so erlaube ich mir den Hinweis, daß es im Jahre 1975, als die damalige Leitung Ihres Hauses die Frage prüfte, ob die gesamten südostasiatischen Staaten in Zukunft von der deutschen Entwicklungshilfe ausgeschlossen werden sollten, eine Delegation unseres Ausschusses war — nicht wahr, Kollege Schlucke-bier; der Kollege Opitz von der FDP war damals noch dabei —, die im Herbst 1975 erstmals gefordert hat, daß gerade für diese Länder spezielle semikommerzielle Kredite und ein angepaßtes Programm und angepaßte Mittel geschaffen werden müßten, um diesen Schwellenländern beim Take-off zu helfen. Jetzt, vier Jahre später, lesen wir, daß das dem Ministerium eingefallen ist und daß ihm eine großartige Sache gelungen ist. Nein, nein; das Strickmuster ist ein bißchen zu billig.Was uns hier heute abend in der kritischen Diskussion gerade über die personellen Veränderungen in Ihrem Hause bewegt, Herr Minister, ist nicht nur das Schicksal einzelner Abteilungsleiter. Es gibt auch Rechte der Leitung eines Hauses. Das will ich gar nicht bestreiten. Glauben Sie nicht, Herr Minister, daß wir uns hier heute abend für Herren besonders stark machen, die vor allem deshalb in der Presse ruchbar wurden — nicht alle, einige von ihnen —, weil sie in einem besonders hohen und nahezu unvertretbaren Maße in Wahlkämpfen und nicht sosehr in der Entwicklungspolitik tätig waren.
Nein, unser Engagement hat da durchaus gewisse Grenzen. Aber daß von den vier Säulen drei gestürzt sind — verzeihen Sie, Herr Burger, nur weil es der Dichter sagt, fahre ich fort: „und eine schon geborsten, kann fallen über Nacht" ; ich weiß, Herr Burger, die Gefahr ist angesichts Ihrer großen innerparteilichen Hausmacht nicht sehr groß —, ist nicht mit dem vermeintlichen Ziel geschehen, bessere Durchführungsqualität, 'bessere Verwaltungsqualität zu erreichen, sondern es ist ein Hieb hinein in die Denkbereitschaft dieses Hauses. Ich habe große Sorge, daß sich am Schluß nach diesem Kahlschlag in diesem Hause ein entwicklungspolitisches Duckmäusertum ausbreiten wird.
Das ist etwas, was wir nicht gebrauchen können, was im übrigen auch überhaupt nicht zusammenpaßt mit der alten Geschichte, die wir immer wieder hören: Die 0,7 %können wir jetzt nicht erreichen, und wir werden sie auch so schnell nicht erreichen. Aber selbst wenn das im DAC-Examen getadelt wird, so ist doch wenigstens die hohe Qualität unserer Hilfe unbestritten, eine Qualität, die wohl bei dem Ausrottungsfeldzug unter der höheren Beamtenschaft — wenn es nicht andere Gründe gegeben hat — berücksichtigt worden ist.Nachdem wir Sorge um die Eigenständigkeit dieses Ministeriums gegenüber der Außenpolitik gehabt haben, stellt sich die Frage: Ist unsere nächste Sorge, die uns bevorsteht, unter Umständen, daß wir uns nicht mehr über ein Entwicklungshilfeministerium unterhalten werden, sondern nur noch über ein Abwicklungsministerium? Das wäre eine schlimme Sache,
vor allem wenn dieses Ministerium dann nur nochan die entwicklungspolitische Leitsicht des Bundes-
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Dr. Köhler
kanzlers gekoppelt wäre, dessen Lernfähigkeit auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik von seinen eigenen Freunden kritischer beleuchtet worden ist, als ich das jemals tun könnte.Aber Sie werden uns schon bei allen besorgten Fragen, ,die wir stellen müssen, noch oft genug versichern, daß alles in Ordnung sei. Und ich bin ganz sicher, daß Sie in den nächsten Tagen auf dem entwicklungspolitischen Kongreß der Kirchen ein Bild von Zielsetzungen und des guten Willens malen werden, das überhaupt keinen Menschen in diesem Lande jemals auf die Idee brächte, daß es im BMZ unter Umständen gewisse Probleme gibt, Probleme, Herr Minister, die auch etwas damit zu tun haben, daß es seit dem Erdölpreisschock, also seit fünf Jahren eine neue Herausforderung gibt, die sich in diesem Jahr auf UNCTAD V wiederholen wird und auf die das Ministerium noch immer rein reaktiv reagiert. Es läßt sich die Themen noch immer von anderen Leuten diktieren. Von Ihnen ist immer noch keine glaubwürdige Gegenkonzeption gegenüber den 'drängenden Umverteilungsforderungen der Dritten Welt geleistet worden.Man kann nicht alles auf einmal tun. Man kann nicht, wie es mein Freund Höffkes aufgezeigt hat, in immer stärkerem Maße in die multilaterale Umverteilung hineingehen und gleichzeitig die bilateralen Leistungen erhöhen und womöglich noch mit allen Folgen, die sich daraus für unsere Volkswirtschaft ergeben, eine Marktöffnungspolitik treiben. Nein, man muß sich schon zwischen diesen Dingen entscheiden. Da hätten wir die Denkanstöße und nicht nur eine stromlinienförmige Verwandlung des Ministeriums erwartet, da hätten wir gerne klare Konzeptionen gehört. Darüber würden wir mit Ihnen, Herr Minister, auch gerne noch ausführlicher diskutieren, wenn Sie in den Ausschuß kämen und ihn etwas besser kennenlernen würden, als sie ihn bisher kennen.
Unsere große Sorge ist — damit komme ich zum Schluß, Frau Präsidentin —, daß die Zukunft der deutschen Entwicklungspolitik fragwürdig sein wird, wenn wir nicht wieder zu einer offensiven Darlegung, zu einem offensiven Vertreten unserer Konzeption auf weltweiter Ebene kommen, wenn es nicht gelingt, in der Welt wieder einen breiteren Konsens über den Begriff der Entwicklung und darüber herbeizuführen, wozu sie in Wahrheit dient. So sehr es richtig ist, daß größere Geldmittel für die Entwicklungsländer bereitgestellt werden müssen, so muß doch der internationale Dialog dazu führen, daß die Empfängerstrukturen besser vorbereitet werden. Das bedeutet mehr personelle Hilfe, mehr Ausbildungshilfe, mehr Verwaltungs- und Planungshilfe. Das bedeutet ferner, daß der partnerschaftliche Dialog über die Sachprobleme mit neuer Glaubwürdigkeit ausgestattet werden muß. Das ist nur möglich, wenn wir eine echte kulturelle und menschliche Begegnung zwischen unseren und den Ländern der Dritten Welt auf der Basis der Gegenseitigkeit, des Respektes und der Bereitschaft zumLernen herbeiführen, und zwar in größeren Dimensionen, als das bisher der Fall war.Die Verstärkung der Entwicklungsländerforschung ist vordringlich; die menschliche Begegnung, der Respekt vor der Andersartigkeit des anderen muß zur Selbstverständlichkeit werden. Das bedeutet, auch zu begreifen, daß wir in dieser Entwicklung Veränderungen unterliegen und daß unsere eigenen wirtschaftlichen Strukturen, aber auch unser ganzes Weltbild und andere Denkgewohnheiten überprüft werden müssen. Diesen Dialog gälte es zu führen. Dazu hätten wir heute gerne von Ihnen etwas gehört, Herr Minister. Wir haben es nicht. Wir stehen an einer sorgenvollen Stelle der Entwicklung der Entwicklungspolitik dieses Landes.Wir werden noch manche kritische Diskussion miteinander zu führen haben. Das, was Sie uns heute mit dem Etat und an ergänzenden Ausführungen Ihrerseits vorgelegt haben, kann nie ' und nimmer die Zustimmung der Opposition finden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Zum Einzelplan 23 liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU vor,Ich rufe zuerst den Änderungsantrag auf Drucksache 8/2484 unter Ziffer 10 auf. Das Wort wird dazu nicht erbeten. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2484 Ziffer 10 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2485 Ziffer IV auf. Auch hierzu wird das Wort nicht gewünscht. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2485 unter Ziffer IV zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Antrag ist abgelehnt.Wer dem Einzelplan 23 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 23 ist in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koalitionsparteien angenommen.Ich rufe auf:Einzelplan 02Deutscher Bundestag— Drucksachen 8/2402, 8/2470 —Berichterstatter: Abgeordneter KrampeDer Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Zur Aussprache wird das Wort nicht begehrt.
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Vizepräsident Frau RengerWir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 02. Wer dem Einzelplan 02 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 02 ist einstimmig angenommen.Wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 24. Januar 1979, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.