Rede:
ID0813006600

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Metadaten
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  • date_rangeDatum: 23. Januar 1979

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    Plenarprotokoll 8/130 Deutscher Stenographischer Bericht 130. Sitzung Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Höhmann . . . . 10131 A Eintritt der Abg. Frau Dr. Czempiel in den Deutschen Bundestag 10131 D Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1979 (Haushaltsgesetz 1979) — Drucksachen 8/2150, 8/2317 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — Drucksache 8/2408 — in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksachen 8/2427, 8/2470 — in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld — Drucksachen 8/2423, 8/2470 — Haase (Kassel) CDU/CSU 10132 B Löffler SPD 10138 A Hoppe FDP 10142 B Matthöfer, Bundesminister BMF 10145 D Dr. Häfele CDU/CSU 10154 C Frau Funcke FDP 10159 D Glos CDU/CSU 10161 B Wohlrabe CDU/CSU 10164 A Dr. Dübber SPD 10166 D Einzelplan 20 Bundesrechnungshof — Drucksache 8/2417 — 10167 D II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr — Drucksachen 8/2412, 8/2470 — Schröder (Lüneburg) CDU/CSU 10168 A Müller (Nordenham) SPD 10172 A Hoffie FDP 10173 D, 10183 B Lemmrich CDU/CSU . . . . . . . . 10176 D Mahne SPD 10179 A Gscheidle, Bundesminister BMV/BMP . 10181 A Feinendegen CDU/CSU . . . . . . . 10182 D Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft — Drucksachen 8/2409, 8/2470 — Dr. Waigel CDU/CSU . . . . . . 10184 D Frau Simonis SPD 10187 C Dr. Haussmann FDP 10191 A Dr. Biedenkopf CDU/CSU . . . . . . 10193 A Roth SPD 10197 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 10201 D, 10209 C Dr. Narjes CDU/CSU . . . . . . . . 10205 D Metz CDU/CSU 10210 A Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2413 — Dr. Friedmann CDU/CSU . . . . . . . 10211 A Müller (Nordenham) SPD . . . . . . 10213 D Hoffie FDP 10215 B Gscheidle, Bundesminister BMV/BMP . . 10217 C Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 8/2410 — Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU . . . . . 10219 C Simpfendörfer SPD . . . . . . . . 10222 C Peters (Poppenbüll) FDP 10225 B Ertl, Bundesminister BML 10226 A Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksachen 8/2419, 8/2470 — Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 10228 B Frau Traupe SPD 10230 C Dr. Schneider CDU/CSU 10233 B Müntefering SPD 10236 A Gattermann FDP 10237 D Dr. Jahn (Münster) CDU/CSU 10241 A Krockert SPD 10243 A Dr. Haack, Bundesminister BMBau . . . 10243 D Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksache 8/2401 — 10246 B Einzelplan 03 Bundesrat — Drucksache 8/2403 — . . . . . . . . 10246 B Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksache 8/2416 — . . . . . . . . 10246 C Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksachen 8/2418, 8/2470 — Picard CDU/CSU 10246 C Esters SPD 10248 B Gärtner FDP 10248 D Dr. Hoffacker CDU/CSU . . . . . . 10249 C Schluckebier SPD . . . . . . . . . 10251 B Stommel CDU/CSU . . . . . . . . 10252 D Dr. Vohrer FDP . . . . . . . . . 10254 B Höffkes CDU/CSU . . . . . . . . 10255 D Offergeld, Bundesminister BMZ . . . . 10257 C Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU . . . 10260 C Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Drucksachen 8/2402, 8/2470 — . . . . 10262 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . 10263 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 10265 A Anlage 2 Offizielle deutsch-sowjetische Gespräche über Waffenlieferungen an die Volksrepublik China SchrAnfr B4 12.01.79 Drs 08/2464 Würzbach CDU/CSU SchrAntw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 10265* C Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10131 130. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1979 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 26. 1. Dr. Aigner * 26. 1. Alber * 24. 1. Dr. Bayerl * 25. 1. Dr. Becher (Pullach) 23. 1. Dr. von Bismarck 23. 1. Blumenfeld * 23. 1. Brandt 26. 1. Dr. v. Dohnanyi 23. 1. Flämig ' 26. 1. Haase (Fürth) * 26. 1. Haberl 25. 1. Hoffmann (Saarbrücken) * 26. 1. Ibrügger * 26. 1. Dr. h. c. Kiesinger 24. 1. Dr. Klepsch * 23. 1. Koblitz 26. 1. Dr. Köhler (Duisburg) 23. 1. Lange * 25. 1. Luster * 26. 1. Müller Bayreuth) 23. 1. Müller (Berlin) 26. 1. Müller (Mülheim) * 26. 1. Müller (Wadern) * 23. 1. Neuhaus 24. 1. Schmidt (München) * 26. 1. Schmidt (Wuppertal) 24. 1. Dr. Schmitt-Vockenhausen 26. 1. Schreiber * 26. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Schröder (Düsseldorf) 26. 1. Dr. Schwörer * 23. 1. Seefeld * 24. 1. Sieglerschmidt * 23. 1. Dr. Starke (Franken) * 24. 1. Dr. Todenhöfer 23. 1. Wawrzik * 25. 1. Weber (Heidelberg) 23. 1. Dr. von Weizsäcker 25. 1. Frau Dr. Wisniewski 23. 1. Würtz * 26. 1. Ziegler 26. 1. Anlage 2 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Hamm-Brücher auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Würzbach (CDU/CSU) (Drucksache 8/2464 Frage B 4) : Haben sich offizielle sowjetische Dienststellen oder Diplomaten der UdSSR an Behörden oder Diplomaten der Bundesrepublik Deutschland gewandt, um die Bundesrepublik Deutschland von Waffenverkäufen an die Volksrepublik China abzuhalten, und - trifft dies zu - wie haben dazu Bundesregierung bzw. ihre diplomatischen Vertreter darauf geantwortet? Wie der Bundeskanzler in seiner Pressekonferenz am 12. Januar 1979 bereits mitgeteilt hat, hat er zwei Briefe von Breschnew bekommen, die sich auf die Frage von Waffenverkäufen an die VR China bezogen. Die beiden Briefe werden demächst beantwortet werden. Zur Sache selbst verweise ich auf die bekannte, restriktive Rüstungsexport-Politik der Bundesrepublik Deutschland.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt H. Biedenkopf


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Simonis, wenn man von einer so charmanten Kollegin wie Ihnen als Kronzeuge bemüht wird, dann ist der Tag schon gelaufen. Ich bedanke mich.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Zuruf von der SPD: Das hört der Herr Kohl aber nicht gerne!)

    Zur Sache. Ich kann die große Aufmerksamkeit, die offenbar ein Memorandum, welches sich um die nüchterne Analyse unserer Situation bemüh, bei den Sozialdemokraten findet, durchaus verstehen. In Ihren Reihen ist seit Jahren nichts Vernünftiges mehr geschrieben worden.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Schon aus diesem Grunde ist das verständlich.


    (Zuruf von der SPD: Sieht der Herr Kohl das auch so, daß das vernünftig ist?)

    Als Kronzeuge zitiert zu werden, hat im übrigen
    Vorteile, wenn man seine Aufmerksamkeit gleich-
    mäßig verteilt, und darauf komme ich gleich zurück.
    Der Jahreswirtschaftsbericht — Herr Haussmann hat ihn schon angesprochen —, den wir im Zusammenhang mit der Beurteilung des Haushalts noch nicht diskutieren können, über den aber von dpa berichtet ist, stellt fest, wenn die Vorausmeldungen zutreffen, daß die Prognosen für 1979 günstiger seien. Das reale Wachstum soll mindestens 4 % betragen nach 3,5 % im Jahre 1978. Die Teuerungsrate — die moderne Formulierung für Inflation — soll nur geringfügig höher liegen als 1978, nämlich bei rund 3 %. Die Arbeitslosenquote soll deutlich unter der Marke von einer Million liegen, was sicherlich ein Fortschritt wäre. Der Außenbeitrag soll immer noch rund 30 bis 33 Milliarden DM betragen nach 35 Milliarden DM im Jahre 1978.
    Die Lage, so kann man auf Grund dieser Angaben feststellen, erscheint damit befriedigend. Aus diesem Grunde wird laut dpa im Jahreswirtschaftsbericht festgestellt — ich darf mit Genehmigung des Präsidenten aus der Meldung zitieren —:
    Damit bestehen für dieses Jahr begründete Aussichten auf weitere allmähliche Fortschritte bei der Lösung des zentralen wirtschaftspolitischen Problems, der schrittweisen Anhebung des Beschäftigungsstandes ohne Gefährdung des bei Stabilisierung des Preisniveaus erreichten Erfolges.
    Bestehen diese Aussichten wirklich? Kann die Regierung die Chance nutzen, die ihr durch eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage geboten wird? Diese Frage scheint mir entscheidend zu sein. Kann
    sie die Chance nutzen, die die Bürger ihr verschafft haben, denn — noch dpa —: „Der private Verbraucher ist im wesentlichen die Stütze für die konjunkturelle Entwicklung 1979." So soll es nach dpa im Jahreswirtschaftsbericht stehen. Vom Export gehen keine zusätzlichen Impulse aus, und von den öffentlichen Ausgaben allenfalls begrenzte, denn weitere Steuersenkungen, weitere Entlastungen der Bürger sind ja nicht geplant. Der private Verbraucher, die privaten Haushalte, die Bürger insgesamt erbringen eine Leistung, die uns eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage verschafft. Die zentrale Frage, vor der wir stehen, ist: Können wir diese Chance nutzen?
    Die Aussichten, daß wir diese Chance nutzen, sind gering. Obwohl die Regierung von einer Verbesserung des wirtschaftlichen Wachstums ausgeht, steigert sie die Verschuldung der öffentlichen Haushalte. Obwohl heute morgen von Herrn Löffler davon gesprochen wurde, daß die Steuerquellen wieder sprudeln, wird dieses bessere Sprudeln der Steuerquellen nicht als Chance begriffen, in eine Phase der Konsolidation einzutreten, die uns seit Jahren versprochen wird, sondern die öffentliche Verschuldung wird weiter gesteigert, um 20 °/o gegenüber den Istzahlen 1978.

    (Zuruf des Abg. Löffler [SPD])

    Herr Löffler erklärt uns, daß immer noch die Voraussetzungen dafür gegeben seien, selbst die verfassungsrechtliche Verschuldungsgrenze aus gesamtwirtschaftlichen Gründen zu überschreiten, nämlich die Grenze der Investitionsausgaben. Ich kann jetzt eigentlich nur noch fragen: Welche Voraussetzungen im Bereich der Wirtschaft müssen eigentlich gegeben sein, damit nach Auffassung der Bundesregierung die verfassungsrechtliche Sperre gegen eine Überschuldung wieder wirksam wird?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ganz offenbar hat man sich an eine Vorstellung von gesamtwirtschaftlichen Krisenlagen gewöhnt, bei der bereits die geringste Wellenbewegung als Krise ausgegeben wird; eine im übrigen vorzugsweise vom Bundeskanzler geübte Praxis, um seine Aktivitäten jeweils mit dem notwendigen Nachdruck auszustatten, gleichgültig worum es sich handelt. Die Chance der Konsolidation jedenfall wird nicht genutzt.
    Dieser Haushalt — und das schließt den Haushalt des Wirtschaftsministers ein — ist kein Ausdruck des Versuches, die sprudelnden Steuerquellen, die Leistungsbereitschaft der Bürger neu zu beantworten mit einer entsprechenden Bereitschaft zu Anstrengungen im Bereich der öffentlichen Haushalte. Nach wie vor wird die Politik fortgesetzt, die unser Kollege Haase heute morgen gegeißelt hat als eine Politik, die das Holz verfeuert, an dem sich eigentlich die Enkel wärmen sollten.

    (Zuruf von der SPD)

    Daß dieser Verbrauch der Zukunftsressourcen seit Jahren stattfindet, ist inzwischen völlig unbestritten. Daß trotz einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage jetzt keine Tendenzwende im staatlichen Aus-



    Dr. Biedenkopf
    gabenverhalten eintritt, ist das eigentlich Bestürzende.

    (Reuschenbach [SPD] : Welche Kürzungen haben Sie denn im Wirtschaftsausschuß vorgebracht?)

    Weitere Gefahren werden im übrigen vom Wirtschaftsminister gesehen. Der Jahreswirtschaftsbericht erwähnt Gefahren für diese Entwicklung, und zwar Gefahren von außen: eine weitere Veränderung der Wechselkurse zu Lasten der deutschen Exportfähigkeit, Beschränkungen des freien Warenverkehrs oder Behinderungen der Energieeinfuhr. In allen drei Bereichen sind allerdings keine politischen Maßnahmen erkennbar, die diesen Gefahren entgegenwirken sollen. Das heißt, obwohl unsere kurzfristige Lage besser geworden ist, werden keine erkennbaren politischen Schritte unternommen, um sich jetzt auf die Abwehr von Gefahren vorzubereiten.
    Eine weitere Gefahr, die ebenfalls genannt wird, ist die Gefahr unvorhergesehener Kostenbelastungen der Unternehmen. Auch diese Gefahr wird festgestellt als eine mögliche Beeinträchtigung der prognostizierten Wirtschaftsentwicklung. Diese Gefahr kommt in erster Linie von den Lohnkosten, abgesehen von den öffentlichen Kosten, von den öffentlichen Gebühren und Abgaben. Wir haben in der Vergangenheit — kurz hinter uns — einen Tarifkonflikt gehabt, der neue Dimensionen, und zwar in verschiedener Hinsicht, hat erkennbar werden lassen. Die Tarifautonomie — so heißt es in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom Mai 1974 — ist für ihn, den Bundeskanzler — wir teilen diese Auffassung —, nur unter der Bedingung der Allgemeinwohlgebundenheit denkbar. Die Tarifautonomie ist aber auch nur dann denkbar, wenn die Regierung und die sie tragenden politischen Parteien die Auseinandersetzung unter den Tarifparteien als eine autonome Veranstaltung respektieren, und das heißt: auch sich heraushalten, d. h., nicht die Autorität der Regierung oder der sie tragenden Parteien auf die Waagschale einer der beiden streitenden Parteien legen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Sachverständigenrat warnt seit Jahren die Bundesregierung und die politischen Kräfte davor, in den Tarifauseinandersetzungen der Tarifparteien zu intervenieren und damit das Ergebnis dieser Auseinandersetzungen zu verfälschen. Dies gilt für beide Seiten. Der Sachverständigenrat stellt fest, daß solche Interventionen zu einer Verfälschung des Ergebnisses der Auseinandersetzungen führen müssen und daß damit die Tarifautonomie und die Lösung der Verteilungsprobleme durch die Tarifautonomie im Sinne einer freiheitlichen Gesellschaft gefährdet werden.
    In den letzten Tarifkonflikt hat die Bundesregierung nicht direkt eingegriffen. Aber sie hat eingreifen lassen durch die größere der beiden Regierungsparteien, die Sozialdemokraten, ohne daß der Bundeskanzler als stellvertretender Vorsitzender der SPD in irgendeiner Weise diesen Eingriff aufgehalten oder kritisiert oder wenigstens deutlich gemacht
    hat, daß dieser Eingriff nicht der Regierung und der Macht, mit der die Regierung handelt, zugerechnet werden darf. Auf dem SPD-Europaparteitag ist neben Europa ganz eindeutig mit der Tendenz auf den Tarifkonflikt argumentiert und beschlossen worden.
    Es besteht überhaupt kein Zweifel, daß die Sozialdemokraten im Begriff sind, das Konzept der Einheitsgewerkschaft zu unterlaufen, um auf diese Weise eine Veränderung der Inhaber der Regierungsmacht und damit der Machtverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern. Niemand anders als Bruno Friedrich hat sich kürzlich dazu geäußert. Er hat festgestellt, die Arbeitnehmerpartei SPD brauche die Gewerkschaften, um den Kontakt zu den Arbeitnehmern wiederherzustellen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich zitieren:
    Fn einer Zeit, in der die Parlamente
    — so sagt Bruno Friedrich —
    immer mehr von Beamten geprägt werden und immer weniger Menschen aus der gewerblichen Wirtschaft als Volksvertreter wirken können, halten wir es für gut, uns auch über die Vertreter der Arbeitnehmer in den Gewerkschaften wieder der Bevölkerung anzunähern.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    — Eine ungewöhnliche Formulierung für die SPD als Arbeitnehmerpartei! —

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir wollen wissen,
    — heißt es weiter —
    wie es in den Betrieben aussieht,
    — offenbar weiß man das in der SPD nicht mehr —

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    wenn wir Gesetze machen in der Europäischen Gemeinschaft.
    Das gleiche gilt, da es sich um dieselbe Partei hangelt, natürlich auch für die Gesetze, die hier gemacht werden.
    Was hier als ein strategisches Konzept erkennbar wird, ist der Versuch, den Gedanken in der Einheitsgewerkschaft zu unterlaufen und die Organisationen der Gewerkschaft für die Zwecke der Sozialdemokratischen Partei nutzbar zu machen. Was das für die 40 % Organisierten bedeutet, die CDU-Wähler sind und die, wenn sie Herrn Bruno Friedrichs Ausführungen, der ja immerhin zu den Strategen der Sozialdemokratischen Partei gehört, lesen, davon ausgehen müssen,

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Mitarbeiter von Herrn Wehner!)

    daß diese Instrumente etwa der betrieblichen Mitbestimmung ebenfalls politisiert werden, und was das für den sozialen Frieden bedeutet, brauche ich dem Hohen Haus kaum darzulegen. Es ist eine gefährliche Entwicklung für die soziale Sicherheit, aber auch für die soziale Stabilität in unserem Land, wenn



    Dr. Biedenkopf
    dies unwidersprochen bleibt und fortgesetzt werden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer das Konzept der Einheitsgewerkschaft mit der Begründung in Frage stellt, er habe selber den Kontakt zur Arbeitnehmerschaft verloren und könne ihn nur über die Organisationen der Gewerkschaft wiederherstellen, hat weder das Recht, sich Arbeitnehmerpartei zu nennen, noch das Recht, die Opposition der Gefährdung des sozialen Friedens in der Bundesrepublik Deutschland zu beschuldigen, der ganz wesentlich auf einer intakten Einheitsgewerkschaft aufbaut.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Regierung und Koalitionsparteien können aber die gebotene Chance einer Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung gar nicht nutzen. Denn die Nutzung dieser gebotenen Chance setzt politische Führung und langfristige Konzeption voraus, und beides ist in SPD und FDP ebensowenig vorhanden wie in der Regierung, die diese Parteien tragen.
    Sie haben mich vorhin dadurch ausgezeichnet, verehrte Frau Kollegin Simonis, daß Sie mich als Kronzeugen benannt haben. Nun ist es bei Zeugenaussagen so, daß ein Zeuge entweder glaubwürdig oder nicht glaubwürdig ist. Eine partielle Glaubwürdigkeit gibt es bei Zeugenaussagen nicht. Ich würde Ihnen also empfehlen, das von Ihnen zitierte Memorandum über die Passagen hinaus, die Sie so erfreuen, weiterzulesen und das, was dort steht, in der gleichen Weise dem Kronzeugen zuzurechnen und damit ja offenbar als zutreffend zu akzeptieren. Dort steht nämlich, daß weder der Kanzler noch die Regierung noch die sie tragenden Parteien über langfristige Perspektiven verfügen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich kann nur sagen, daß ich aus Ihrer Feststellung mit Freude den Schluß ziehe, daß Sie auch dem zustimmen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)


    ( Politik machen könnte, und sagt dann — ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren —: Es ist aber überhaupt nichts darüber gesagt, welche Investitionen warum wohin zu welchem Zweck gelenkt werden sollen. Kurz darauf stellt er dann abschließend fest — ich zitiere —: Ich glaube, für unsere Partei wäre es einmal wichtig, den Unterbau für den Orientierungsrahmen zu schaffen, was wir eigentlich mit den Instrumenten anstellen wollen, über die im Orientierungsrahmen gesprochen wird. Ich glaube, das muß nun nachgeholt werden. Ende des Zitats. In der Tat, es muß nachgeholt werden. Herr Eppler hätte nicht treffender und kürzer den Zustand der Sozialdemokratischen Partei beschreiben können. Aber jeder Versuch, in der Sozialdemokratischen Partei eben diese Neuorientierung vorzunehmen, unterbleibt. Er unterbleibt deshalb, weil sonst Konflikte in der Sozialdemokratischen Partei deutlich würden, deren Dimension nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Daß die Sozialdemokratische Partei sich zunehmend an die Gewerkschaften anlehnt, ist eine Folge genau dieses Zustandes. Daß sie sich in der Kernenergiefrage durch eine Massendemonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes wieder ein Rückgrat einziehen lassen muß, um wenigstens kurzfristig entscheidungsfähig zu sein, gehört zu den geschichtlichen Sachverhalten der letzten anderthalb Jahre. Daß es in der SPD keine nach außen erkennbare Diskussion über Grundsatzfragen mehr gibt, zeigt der Tatbestand, daß das Grundwertepapier, in dem Herr Eppler wichtige Fragen zum Wachstum und den Folgen geringen Wachstums für unsere Gesellschaft anspricht, nicht Gegenstand der Diskussion in der Sozialdemokratischen Partei ist. Es ist keine Frage: der Kanzlerbonus ist erheblich. Das ist immer so gewesen. Aber hinter dem Kanzler ist ein Vakuum. Hinter den breiten Schultern des Kanzlers, wie Graf Lambsdorff sie mit einer gewissen Verzückung in einem „Spiegel"Interview beschrieben hat, ist nichts. Es ist keine Perspektive, keine langfristige Planung, keine langfristige Konzeption, es ist nichts da, was den Namen Perspektive, Zielvorgabe oder politische Führung verdient. Meine Damen und Herren, unser Problem in der Wirtschaftspolitik heute ist weniger die augenblickliche Situation als die Frage: Wie können wir Zielvorgaben neu gewinnen? Wie können wir denjenigen, die wirtschaften, Auskunft darüber geben, was die Regierung mittelund langfristig vorhat? Wie Dr. Biedenkopf können wir das, was für jeden Unternehmer selbstverständlich ist, nämlich von fünfbis siebenjährigen Zielvorgaben auszugehen, für die Politik gewinnen? Natürlich kann man in dem gegenwärtigen Verhalten, daß nämlich agiert, aber nicht politisch geführt wird, auch einen Vorteil sehen. Dieses reine Agieren erspart politische Konflikte. Aber durch den Verzicht auf Steuerung wird die Steuerung nicht überflüssig. Die Bewegung, in der sich das Staatsschiff befindet, hört nicht dadurch auf, daß der Kapitän den Kompaß abschaltet, das Ruder festbindet und auf dem Deck eine große Binnenaktivität entfaltet, um die Mitfahrenden davon abzulenken, daß sich das Schiff in einer nicht mehr kontrollierten Weise in der Strömung der Zeit bewegt. Diese Strömung dauert fort. In der Analyse sind wir uns ja einig. Der Bundeskanzler beklagt die Verbürokratisierung. Der Bundeskanzler hat sich kürzlich voller Empörung über den Bauern in Schleswig-Holstein geäußert, der, wie der Bundeskanzler es formulierte, im Lehnsessel saß und seine Schweine im Stall erfrieren ließ, weil er wußte, daß er den Schaden vom Staat ersetzt bekommt. Der Bundeskanzler kritisiert die Versorgungsstaat-Mentalität. Der Bundeskanzler fordert die Architekten in Hamburg zu bürgerlichem Ungehorsam auf, weil er sagt, nur auf diese Weise könnte die Vorschriftenflut eingedämmt werden. In der Analyse sind wir uns ja einig. Aber der Bundeskanzler spricht und handelt so, als seien all diese Wucherungen und Prozesse völlig unkontrollierbar, als könne man gegen sie politisch nichts tun und als verurteilten sie uns zu der allein möglichen politischen Aktivität, nämlich einem Durchwursteln von Tag zu Tag ohne jede Perspektive, wobei die geringste Bewegung bereits als Krise ausgegeben wird, um den hohen Anspruch der Führungsleistung zu dokumentieren. Tatsächlich werden diese Wucherungen, die der Bundeskanzler selbst beklagt, ja immer zahlreicher. Frau Simonis hat uns vorhin im Zusammenhang mit den Subventionen der Werften ein klassisches Beispiel dieser Orientierungslosigkeit vorgeführt. Zu Beginn ihrer Ausführungen war ich der Meinung, daß sich die Abgeordnete nunmehr dazu entschlossen habe, die Ausgaben für die Subventionen der Werften abzulehnen, und wir es erneut mit einer solchen Sondererklärung zu tun hätten. Kurze Zeit später kam genau das Gegenteil. (Haase [Kassel] (CDU/CSU]: Die Kurve ge, kriegt!)


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)





    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Und dann kamen plötzlich die Arbeitnehmerinteressen; als ob nur die Sozialdemokraten Arbeitnehmerinteressen vertreten könnten, was Ihnen, wie Herr Friedrich sagt, ohnehin nur noch über die Betriebsräte möglich ist, die im übrigen diese Subventionen wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das Problem ist: Diese Führungslosigkeit ist nicht nur ein Abstraktum, sondern eine konkrete Gefahr. Wo sich diese Gefahr zur Zeit am meisten manifestiert, ist das Ruhrgebiet. Im Ruhrgebiet mit rund
    6 Millionen Einwohnern haben wir seit jetzt fast zehn Jahren eine dauernde Abwärtsentwicklung, relativ gesprochen. Wir haben die höchste Arbeitslosigkeit, wir haben Arbeitsamtsbezirke mit bis zu 8% Arbeitslosigkeit, wir haben eine durchschnittliche Arbeitslosigkeit von mehr als 6 °/o und eine längere Dauer der Arbeitslosigkeit als anderswo. Wir haben Wachstumsverluste im Ruhrgebiet. Das Wachstum des Ruhrgebiets bleibt hinter dem Durchschnitt der Bundesrepublik Deutschland zurück. Trotz immer wieder neu vorgelegter Versprechungen und eines Agierens der Landesregierung und der Bundesregierung, die ja beide von der gleichen Koalition getragen werden, ist es in den letzten zehn Jahren nicht gelungen, die Monostruktur des Ruhrgebiets zu überwinden. Noch immer werden 48 % der industriellen Arbeitnehmer im Revier von der Montanindustrie beschäftigt. Die Dienstleistungen liegen weit unter dem Durchschnitt, nämlich statt bei 46 bei 40 %. Die Zusammenhänge zwischen der Perspektivenlosigkeit einer Politik, die dort, wo immer sie kann, Machtbesitzstände erhält, und dieser Entwicklung sind offensichtlich. Das, was der Ministerpräsident Rau jetzt kürzlich im Nachgalopp zur CDU-Fraktion des Landtages an Vorschlägen für das Revier vorgelegt hat, ist nicht viel besser als die Rede, die er hier vor dem Bundestag zu energiepolitischen Problemen gehalten hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist wenig brauchbar und zeigt, daß man überhaupt nicht begriffen hat, worum es geht: daß der enge Zusammenhang zwischen einer verfilzten politischen Struktur und Machtbesitzständen an dieser Struktur und der wirtschaftlichen Entwicklung letztere unmöglich macht, solange nicht der politische Mut besteht, das zu tun, was wiederum der Bundeskanzler selbst für notwendig gehalten hat, nämlich diese Verfilzung aufzubrechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Mir wäre wohler, wenn ich wüßte, daß die Regierung jetzt fest entschlossen wäre, die leichte Verbesserung der wirtschaftlichen Lage zu nutzen, um ein Problem zu lösen, das andernfalls in wenigen Jahren die gesamte wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik gefährdet: das Zurückfallen einer Industrieregion einzuhalten und die Entwicklung dort umzukehren, wo 6 Millionen Menschen leben, d. h. mehr Menschen als in Hessen und im Saarland zusammengenommen. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wie sie jetzt verläuft, dann wird nicht nur das Ruhrgebiet, sondern ganz Nordrhein-Westfalen ein dauerhafter Kostgänger des Bundes, und dann wird ein wirtschaftliches Gefälle, auch ein Belastungsgefälle, entstehen, auf Grund dessen die Arbeitnehmer in Baden-Württemberg oder in Hessen eines Tages fragen werden, warum sie eigentlich mit ihren Steuergeldern Subventionen zahlen und Strukturen erhalten sollen, die nur deshalb erhalten werden, weil sich die Kommunalpolitik und die Machtverfilzung im Ruhrgebiet von tradierten Besitzständen nicht trennen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Dr. Biedenkopf
    Dies ist keine allgemein politische, sondern zu einem wesentlichen Teil eine wirtschaftspolitische Aufgabe.
    Wir müssen gerade im Interesse der gesunden Fortentwicklung unseres Landes den Wirtschaftsminister dazu auffordern, daß er jetzt in einer Phase der Stabilisierung zwei Aufgaben anpackt: die Chance zur Konsolidation zu nutzen und die Chance zu nutzen, die sich jetzt anbietet, strukturelle Gefälle im Bereich der Verteilung von Wohlstand in unserem Lande abzubauen und endlich dazu zu kommen, daß auch die größte Industrieregion der Bundesrepublik Deutschland wieder eine wirkliche Zukunft hat.
    Kein Mensch bestreitet, daß es zum Wohle unseres Volkes und seiner arbeitenden Bevölkerung, zum Wohle der Unternehmer, der Gewerbetreibenden, der Selbständigen ist, wenn sich die wirtschaftliche Lage stabilisiert. Aber wenn wir über Politik reden, reden wir nicht über die Administration des Tages, sondern über die Führung in die Zukunft. Wenn jedoch weder SPD noch FDP Auskunft über das geben oder geben wollen oder geben können, wie Herr Eppler es selbst gesagt hat, was sie eigentlich mit den Instrumenten anfangen wollen, die sie dauernd fordern, wenn die Regierung nicht sagen kann, wie sie sich die mittelfristige Konsolidation der Haushalte unter den gegenwärtig günstigen Bedingungen eigentlich vorstellt, dann wird uns diese Führung verweigert. Die Chance, die wir haben, muß genutzt werden. Wir sehen im Augenblick keinen Ansatzpunkt für die Hoffnung, daß sie auch genutzt werden wird.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Ab- i geordnete Roth. .

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Szene der Wirtschaftsdebatten im Deutschen Bundestag hat sich verändert: Hatten wir die letzten Jahre Sonthofener Votivbilder mit Blitz, Donner, Mord und Totschlag, d. h. gewaltige Krisengemälde von Herrn Strauß, so ist die Szene jetzt hingeschoben worden zur Stimmung einer Wagneroper: wolkig,

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Haben Sie jemals ei-ne gesehen?)

    die Requisiteure der Ordnungspolitik blasen Rauch auf die Bühne,

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Sie gucken doch immer Rumpelstilzchen!)

    die Darsteller werden immer unklarer, die Stimmen dadurch allerdings nicht besser.
    Für uns, Herr Vorredner, war es am erhebendsten, als Sie in Ihrer Rede dreimal als Sprecher der Opposition in Richtung auf die Koalition „Führung" verlangt haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Erheiterung im deutschen Volk, meine Damen
    und Herren von der Opposition, wird, wenn Sie
    das in Richtung auf den Herrn Bundeskanzler sagen, angesichts der Führungsprobleme der letzten Wochen in Ihrer Partei total sein. Wir werden es zu ertragen wissen.
    Wir alle sind — das freut mich — übereinstimmend der Auffassung, daß sich die wirtschaftliche Entwicklung gebessert hat, daß die Investitionstätigkeit aktiviert wird. Es ist also nicht mehr möglich, von der großen Verwerfung, von der großen Krise in unserem Lande auszugehen.
    Das Kabinett hat heute im Jahreswirtschaftsbericht die Aussichten auf das Jahr 1979 beschlossen.

    (Rawe [CDU/CSU] : Eine tolle Sache, daß das Kabinett die Aussichten beschließt!)

    Man erwartet ein Wachstum des Bruttosozialprodukts von 4 %, eine Preissteigerungsrate von weiterhin niederen 3% und eine weitere Ermäßigung der Arbeitslosenquote auf 4 °/o.
    Ich halte diese Aussichten für insgesamt positiv:

    (Rawe [CDU/CSU] : Weil das Kabinett sie beschlossen hat!)

    — Verzeihen Sie, Sie können hier schreien, soviel Sie wollen; ich weiß, warum Sie es tun:

    (Erneuter Zuruf des Abg. Rawe [CDU/CSU])

    weil Sie nämlich in den letzten Jahren den großen Zusammenbruch der westdeutschen Wirtschaft an die Wand gemalt haben und nun vor dem Zusammenbruch Ihrer eigenen Argumentationsketten stehen!

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Aber wir sind da ganz anders. Wir gehen jetzt nicht her und konstruieren aus den positiven Kennzeichen, daß die Zukunft problemlos sei. Ich sage hier ganz ausdrücklich bei der Diskussion über den Haushaltsplan 1979, daß wir schwierige, uns bedrängende strukturelle Probleme in unserem Lande haben.
    Erstens. Die Arbeitslosenquote variiert von unter 2 % bis nahezu 10 % zwischen den Arbeitsamtsbezirken in unserem Lande.
    Zweitens. Wir haben ein großes ungelöstes Problem bei der Beschäftigung der Frauen. Wir wollen etwas tun gegen die steigende Frauenarbeitslosigkeit.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Wissmann [CDU/CSU] : Was denn?)

    — Ich komme dazu noch.
    Drittens. Wir haben im strukturellen Bereich sektoral Probleme bei den Werften, immer noch beim Stahl, in der Luftfahrtindustrie und in verschiedenen kleineren Branchen.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Die Bahn nicht zu vergessen!)

    Viertens. Es gibt regionale Probleme: Küstenländer, Ruhrgebiet.
    Fünftens. Es gibt ein generelles Problem: Die Produktivitätsentwicklung in der Wirtschaft ist schnel-



    Roth
    ler als das Wirtschaftswachstum seit dem Jahre 1972.
    Das sind konkrete Problemstellungen, die wir angehen müssen. Ich glaube, diese konkreten Problemstellungen kann man nicht angehen, indem man ordnungspolitischen Rauch in die Landschaft bläst. Hier gibt es einen ganz praktischen staatlichen und gesellschaftlichen Handlungsbedarf. Hier ist nicht die Entstaatlichung notwendig, sondern die Zusammenarbeit zwischen dem Staat auf der einen Seite und der Wirtschaft auf der anderen Seite. Hier wäre endlich das Bekenntnis der CDU/ CSU notwendig, daß wir in einer gemischten Wirtschaftsordnung leben, in der der Staat und seine Handlungen genau dieselbe Bedeutung haben wie die Wirtschaftssubjekte, wie die Unternehmen und die vielfältigen Konsumenten und Verbraucher.
    Ich glaube, die schrittweise Überwindung der Krise auf konjunktureller Ebene seit 1974 hat gezeigt, daß dieses Zusammenspiel von Staat und Wirtschaft funktionieren kann, wenn man das nur will. Ich erinnere daran, daß selbst der Sachverständigenrat in seinem Gutachten vom letzten Jahr bekennen mußte, daß die Nachfragestärkung aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm einen großen wirtschaftspolitischen Erfolg darstellt. Meines Erachtens geht Ihre Konzeption der Entstaatlichung an dieser ordnungs- und auch konjunkturpolitischen Realität vorbei. Die Verflechtungen zwischen Staat und Wirtschaft sind nicht mehr aufhebbar, sie sind nur noch gestaltbar, weil sie schon seit Jahrzehnten zur Tradition dieser Wirtschaftsordnung geworden sind.

    (Beifall bei der SPD)

    Die staatlichen Maßnahmen als unzulässig zu bezeichnen und Entstaatlichung zu fordern bedeutet in der Regel nur, daß man zu spät und rein reaktiv, d. h. rein nachholend und nachschauend darauf antwortet. Nach meiner Überzeugung hat die CDU/CSU einen enormen ordnungspolitischen Nachholbedarf in der richtigen Einschätzung der Realität unserer Wirtschaftsordnung.

    (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

    Frau Simonis hat zu Recht darauf hingewiesen, wie jetzt Ihre beiden Ministerpräsidenten Albrecht und Stoltenberg der Subvention beim Bund nachrennen, und anschließend sagt Herr Biedenkopf, Entstaatlichung sei die Devise der Zeit.

    (Beifall bei der SPD)

    Bringen Sie das doch zueinander!
    Wir werden die Modernisierung der Küstenregionen auf breiter Front anpacken, nicht nur durch Werftsubventionen, sondern durch vielfältige Programme der Strukturverbesserung, wobei wir genau auf Initiativen der Unternehmen abstellen.

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Sehr richtig!)

    Ich gebe als Koalitionssprecher zu bedenken, ob es nicht sinnvoller wäre, wenn wir im Wirtschaftsausschuß, in der Öffentlichkeit — das heißt, Opposition und Koalition — das Kritische, das rein Strukturerhaltende an den Subventionen, die geplant sind,
    stärker herausstellten und in einen Wettbewerb der Ideen träten, wie eine strukturoptimistischere, strukturfortschrittlichere Politik für die Küste entwickelt werden kann. Davon habe ich in der Rede von Herrn Biedenkopf kein Wort, nicht die Andeutung gehört,

    (Beifall bei der SPD)

    außer der Führungsforderung an den Bundeskanzler. Bitte, die wird kommen!

    (Wissmann [CDU/CSU]: Der ist ja nicht da!)

    Dasselbe zum Ruhrgebiet. Ich akzeptiere die Hinweise über die Schwierigkeiten im Ruhrgebiet, wobei man da sehr differenzieren muß. Es gibt Bereiche — östliches Ruhrgebiet —, wo Bergbau und Stahl in der Vergangenheit nicht so dominiert haben, wo in den letzten Jahren gerade ein sehr positives Wirtschaftswachstum zu vermerken ist. Aber wir zahlen die Zeche einer Strukturverwerfung auf Grund internationaler Wirtschaftsbeziehungen in anderen Teilen des Ruhrgebiets. Herr Professor Biedenkopf, ich vermute, Sie haben Ihren Wahlkreis immer noch in Bochum. Man weiß das ja nicht ganz genau. Sie sind in letzter Zeit so global geworden. Wenn ich die Bundesregierung als Opposition wegen ihrer Ruhrgebietspolitik kritisiere, dann muß ich Punkt für Punkt aufzählen, was ich besser machen würde, und Sie haben nichts gesagt!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion — das wird während dieser Tagesordnung abgewickelt werden — wird zusammen mit dem Koalitionspartner die Regierung auffordern, ein Konzept für die Stahlregionen zu schaffen. Da geht es um Infrastrukturverbesserungen genauso wie um Verbesserungen im Freizeitsektor, wie um die Verbesserung der Investitionschancen für kleine und mittlere Unternehmen.
    Meine Damen und Herren, besser als das Ordnungspathos, besser als die Scheinpolarisierung, die hier von meinem Vorredner entwickelt wurde, ist praktische Arbeit zur Strukturverbesserung. Da wir wissen, daß regionale Strukturpolitik

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Seit zwölf Jahren seid Ihr an der Macht in NRW, seit 12 Jahren!)

    nur zwischen Bund und Ländern zu machen ist, wäre es besser, wenn man hier nach einem Allparteienkonsens zur Strukturverbesserung suchte. Das würde auch die Kolleginnen und Kollegen der Gewerkschaften mehr interessieren.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sie laufen gerade durch Ihre konzeptionellen Ansätze einer praktischen Politik hinterher.
    Dasselbe ordnungspolitische Problem mangels Klarsicht haben Sie bei einem anderen Gebiet. Sie erkennen nicht, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland eine gespaltene Wirtschaftsordnung haben. Wir haben einen Wettbewerbsbereich mit kleinen und mittleren Unternehmen, der gut funktioniert, der andere Instrumente braucht als die Großwirtschaft, der vermachtete Bereich, wo eben keine



    Roth
    Wettbewerbspreise sind, wo Machtprozesse eine we sentliche Rolle spielen, wo strategische Preise gesetzt und deshalb die Anpassungsprozesse unterbrochen werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dann muß man das ändern!)

    Diese Spaltung der Wirtschaftsordnung spielt bei Ihnen keine hinreichende Rolle. Alles wird unter einem dicken Mantel der Marktwirtschaft verhängt, und alle konkreten Probleme verschwinden darunter;

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Sie werden dann nur noch vage und fordern ordnungspolitische Neubesinnung, statt ganz konkrete Alternativen zu bieten.
    Ich darf ein afrikanisches Sprichwort zitieren, das sagt —

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Ein SWAPOSprichwort!)

    — Sehen Sie, so einfach machen Sie es sich. Statt daß Sie die. Ohren aufmachen

    (Lemmrich [CDU/CSU]: Machen wir ja! Wir sind ja begierig, es zu hören!)

    und die Argumente und Hinweise einer anderen Kultur ernst nehmen, beginnen Sie schon ängstlich zu werden, wenn ich den Satz anfange.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Dieses Sprichwort lautet: Wenn die Elefanten kämpfen, dann wächst kein Gras mehr. Das kann man in der Wirtschaftspolitik wahrhaftig gut anwenden. Wenn die Elefanten kämpfen, dann wächst kein Gras mehr.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Aber man kann auch ein anderes sagen: Wenn die Elefanten sich lieben - sprich VEBA und BP —, dann wächst auch kein Gras mehr.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Wenn ich diese beiden Aspekte zusammenfasse, dann ist etwas ganz Wesentliches erkannt. Man darf die Reaktionen und Aktionen der Großwirtschaft nicht unter einer Ideologie der Marktwirtschaft verdecken, sondern muß die Handlungen der Großwirtschaft exakt kontrollieren. Dazu gibt es bei Ihnen kein Wort.

    (Wissmann [CDU/CSU]: Und bei Ihnen?)

    Im Wettbewerbsbereich, in den Märkten, in denen kleine und mittlere Unternehmen konkurrieren, sind die Anpassungsprozesse vom Staat eher durch Rahmenbedingungen zu unterstützen. Im vermachteten Bereich brauchen wir unmittelbare Eingriffe.
    Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. Die Textilwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland steht seit Jahren unter einem heftigen Anpassungsdruck. Aber Respekt vor den Leistungen der kleinen und mittleren Unternehmen in diesem Bereich!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Modernisierung hat geklappt. Also hier Anpassungshilfen auf indirekte Weise.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Der Stahl, der Schiffbau sind ebenfalls in einem Anpassungsdruck. Aber hier . gibt es keine ausreichende Anpassungswirkung, sondern den Versuch, abzublocken; Strukturverbesserungen werden aus dem Unternehmen heraus mit verhindert. Das ist ein Sachverhalt, und darauf muß sich die Politik einstellen und nicht alles verdecken. Markt bedeutet Anpassung. In diesem Falle bedeutet Markt zur Zeit keine Anpassung, sondern Konkurrenz um Subventionen. Dies ins Bewußtsein zu bringen ist notwendig
    Dasselbe gilt für die Forschungspolitik. Die Alternative, die Sie sagen — indirekte Forschungspolitik ja und direkte Forschungspolitik nein —, ist falsch. Bei kleinen und mittleren Unternehmen kann man mit indirekten Hilfen vernünftig steuern und helfen. Bei großen Unternehmen, muß Juan mit direkter Forschungspolitik agieren: Auch hier zeigt sich, daß Wettbewerbsbereich und vermachteter Bereich zwei Dinge sind, die man genau unterscheiden muß.
    In diesem Zusammenhang ist kein Einwand in der Richtung möglich, ich würde unterschätzen, daß im vermachteten Bereich auch Konkurrenz sei. Natürlich gibt es Konkorrenz zwischen den Elefanten. Aber das ist kein stetiger Wettbewerbskonkurrenzdruck mit Preis- und Qualitätsanpassung, sondern in der Regel ein Machtkampf.
    Ich behaupte, daß wir in der Vergangenheit in der Konjunkturpolitik manchmal die Differenzierung zwischen kleinen und mittleren Unternehmen — dem Wettbewerbsbereich — und dem vermachteten Bereich nicht hinreichend geschafft haben. Hochzinspolitik .zur Preisstabilisierung,, wozu sich schon wieder ein erster Schimmer andeutet, ist von den großen Elefanten ganz leicht zu verdauen, aber von den kleinen und mittleren Unternehmen schwer zu ertragen. Wenn die Sozialdemokratische Partei in ihrem Programm sagt, wir brauchen eine strukturelle Differenzierung der Konjunkturpolitik, um feiner zu steuern, dann nicht zuletzt, um den kleineren und den mittleren Unternehmen Entlastung zu bieten. Darum geht es!
    Eine meiner Vorrednerinnen hat gesagt, in der Vergangenheit sei es vielleicht so gewesen, daß zuwenig für kleine und mittlere Unternehmen geschehen sei. Ich muß sagen — und das sage ich anerkennend in Richtung Wirtschaftsministerium und Finanzministerium —, die Bemühungen der letzten zwei, drei Jahre, in denen ich die Ehre habe, dem Bundestag anzugehören, in dieser Richtung sind außerordentlich positiv, und gerade im Jahr 1979 brauchen wir uns nicht zu verstecken.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Erstens. Die Neueinführung einer Forschungsförderung im Personalbereich, vor allem zurückzuführen auf eine Initiative von Herrn Haussmann, ist im Etat fixiert. Zweitens. Im ERP-Bereich haben wir eine Verbesserung der Existenzgründungsdarlehen. Drit-



    Roth
    tens. Wir werden in diesem Jahr ein Programm durchsetzen; durch das Risikokapital für Neugründungen bereitgestellt wird. Viertens. Wir haben erhebliche positive steuerpolitische Beschlüsse gefaßt, die seit 1. Januar 1979 wirken, und weiteres kommt hinzu. Fünftens. Wir haben erhebliche Verbesserungen bei der Entwicklungs- und der Forschungsinvestitionsförderung. Das sind fünf Programmpunkte, die in diesem Etat stecken, und ich glaube, es ist sinnvoll und notwendig, dies hier heute zu sagen.

    (Beifall bei der SPD)

    Auf der anderen Seite haben wir im realen Bereich immer wieder Gegenbewegungen, die gegen kleine und mittlere Unternehmen gerichtet sind und Konzentration bedeuten. Hier bitte ich genau hinzuhören; ich zitiere jetzt — frei, aber leicht nachzulesen - aus dem „Manager-Magazin" den Herrn Bennigsen - Foerder, der ja Ihrer Partei angehört. Er ist gleichwohl Manager eines öffentlichen Unternehmens und sagt: Wir mußten im Handelsbereich und anderswo' konzentrieren, zukaufen, denn wir mußten ja unseren Konzern diversifizieren.
    Das ist ein ganz gefährliches Argument. Wenn jeder Großkonzern, der Branchenprobleme hat, seine Branchenprobleme dadurch lösen will, daß er gesunde Branchen mit viel Geld aufkauft, bedeutet das einen ständigen Konzentrationsprozeß.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Wie ist das denn mit Salzgitter, Herr Kollege?)

    Meine Damen und Herren von der CDU, machen Sie also mit bei der Verbesserung der Wettbewerbsgesetzgebung, die in dieser Legislaturperiode ansteht! Hier ist ganz konkrete ordnungspolitische Leistung möglich, die Sie wahrscheinlich — jedenfalls vermute ich das — wieder verweigern werden.