Rede:
ID0813008300

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Metadaten
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  • date_rangeDatum: 23. Januar 1979

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    Plenarprotokoll 8/130 Deutscher Stenographischer Bericht 130. Sitzung Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Höhmann . . . . 10131 A Eintritt der Abg. Frau Dr. Czempiel in den Deutschen Bundestag 10131 D Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1979 (Haushaltsgesetz 1979) — Drucksachen 8/2150, 8/2317 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — Drucksache 8/2408 — in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksachen 8/2427, 8/2470 — in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld — Drucksachen 8/2423, 8/2470 — Haase (Kassel) CDU/CSU 10132 B Löffler SPD 10138 A Hoppe FDP 10142 B Matthöfer, Bundesminister BMF 10145 D Dr. Häfele CDU/CSU 10154 C Frau Funcke FDP 10159 D Glos CDU/CSU 10161 B Wohlrabe CDU/CSU 10164 A Dr. Dübber SPD 10166 D Einzelplan 20 Bundesrechnungshof — Drucksache 8/2417 — 10167 D II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr — Drucksachen 8/2412, 8/2470 — Schröder (Lüneburg) CDU/CSU 10168 A Müller (Nordenham) SPD 10172 A Hoffie FDP 10173 D, 10183 B Lemmrich CDU/CSU . . . . . . . . 10176 D Mahne SPD 10179 A Gscheidle, Bundesminister BMV/BMP . 10181 A Feinendegen CDU/CSU . . . . . . . 10182 D Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft — Drucksachen 8/2409, 8/2470 — Dr. Waigel CDU/CSU . . . . . . 10184 D Frau Simonis SPD 10187 C Dr. Haussmann FDP 10191 A Dr. Biedenkopf CDU/CSU . . . . . . 10193 A Roth SPD 10197 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 10201 D, 10209 C Dr. Narjes CDU/CSU . . . . . . . . 10205 D Metz CDU/CSU 10210 A Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2413 — Dr. Friedmann CDU/CSU . . . . . . . 10211 A Müller (Nordenham) SPD . . . . . . 10213 D Hoffie FDP 10215 B Gscheidle, Bundesminister BMV/BMP . . 10217 C Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 8/2410 — Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU . . . . . 10219 C Simpfendörfer SPD . . . . . . . . 10222 C Peters (Poppenbüll) FDP 10225 B Ertl, Bundesminister BML 10226 A Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksachen 8/2419, 8/2470 — Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 10228 B Frau Traupe SPD 10230 C Dr. Schneider CDU/CSU 10233 B Müntefering SPD 10236 A Gattermann FDP 10237 D Dr. Jahn (Münster) CDU/CSU 10241 A Krockert SPD 10243 A Dr. Haack, Bundesminister BMBau . . . 10243 D Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksache 8/2401 — 10246 B Einzelplan 03 Bundesrat — Drucksache 8/2403 — . . . . . . . . 10246 B Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksache 8/2416 — . . . . . . . . 10246 C Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksachen 8/2418, 8/2470 — Picard CDU/CSU 10246 C Esters SPD 10248 B Gärtner FDP 10248 D Dr. Hoffacker CDU/CSU . . . . . . 10249 C Schluckebier SPD . . . . . . . . . 10251 B Stommel CDU/CSU . . . . . . . . 10252 D Dr. Vohrer FDP . . . . . . . . . 10254 B Höffkes CDU/CSU . . . . . . . . 10255 D Offergeld, Bundesminister BMZ . . . . 10257 C Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU . . . 10260 C Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Drucksachen 8/2402, 8/2470 — . . . . 10262 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . 10263 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 10265 A Anlage 2 Offizielle deutsch-sowjetische Gespräche über Waffenlieferungen an die Volksrepublik China SchrAnfr B4 12.01.79 Drs 08/2464 Würzbach CDU/CSU SchrAntw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 10265* C Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10131 130. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1979 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 26. 1. Dr. Aigner * 26. 1. Alber * 24. 1. Dr. Bayerl * 25. 1. Dr. Becher (Pullach) 23. 1. Dr. von Bismarck 23. 1. Blumenfeld * 23. 1. Brandt 26. 1. Dr. v. Dohnanyi 23. 1. Flämig ' 26. 1. Haase (Fürth) * 26. 1. Haberl 25. 1. Hoffmann (Saarbrücken) * 26. 1. Ibrügger * 26. 1. Dr. h. c. Kiesinger 24. 1. Dr. Klepsch * 23. 1. Koblitz 26. 1. Dr. Köhler (Duisburg) 23. 1. Lange * 25. 1. Luster * 26. 1. Müller Bayreuth) 23. 1. Müller (Berlin) 26. 1. Müller (Mülheim) * 26. 1. Müller (Wadern) * 23. 1. Neuhaus 24. 1. Schmidt (München) * 26. 1. Schmidt (Wuppertal) 24. 1. Dr. Schmitt-Vockenhausen 26. 1. Schreiber * 26. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Schröder (Düsseldorf) 26. 1. Dr. Schwörer * 23. 1. Seefeld * 24. 1. Sieglerschmidt * 23. 1. Dr. Starke (Franken) * 24. 1. Dr. Todenhöfer 23. 1. Wawrzik * 25. 1. Weber (Heidelberg) 23. 1. Dr. von Weizsäcker 25. 1. Frau Dr. Wisniewski 23. 1. Würtz * 26. 1. Ziegler 26. 1. Anlage 2 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Hamm-Brücher auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Würzbach (CDU/CSU) (Drucksache 8/2464 Frage B 4) : Haben sich offizielle sowjetische Dienststellen oder Diplomaten der UdSSR an Behörden oder Diplomaten der Bundesrepublik Deutschland gewandt, um die Bundesrepublik Deutschland von Waffenverkäufen an die Volksrepublik China abzuhalten, und - trifft dies zu - wie haben dazu Bundesregierung bzw. ihre diplomatischen Vertreter darauf geantwortet? Wie der Bundeskanzler in seiner Pressekonferenz am 12. Januar 1979 bereits mitgeteilt hat, hat er zwei Briefe von Breschnew bekommen, die sich auf die Frage von Waffenverkäufen an die VR China bezogen. Die beiden Briefe werden demächst beantwortet werden. Zur Sache selbst verweise ich auf die bekannte, restriktive Rüstungsexport-Politik der Bundesrepublik Deutschland.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Sie werden das -verstehen: Ich habe die Absicht, die Unterhaltung über den Adel, den Ur- oder den Uraltadel auf heute abend bei einem Glas Mosel zu verschieben. Das ist besser, als das hier zu tun.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Das scheint mir kein so drängendes Thema zu sein.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Aber solange der CSU-Spruch gilt, .den ich heute gelesen habe, „Hast du einen Opa, schick' ihn nach Europa!", ist ein jüngerer Gewerkschaftler da vielleicht hilfreicher.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)




    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    Ich möchte mich bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses und bei den Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses dafür bedanken, daß sie bei den Haushaltsberatungen für das Bundeswirtschaftsministerium mit viel Engagement und mit großem Entgegenkommen den Notwendigkeiten und Erfordernissen der Wirtschaftspolitik Rechnung getragen haben. Ich nenne drei für mich wichtige Schwerpunkte — es sind nicht die alleinigen —: die Mittel für die Förderung von Forschung und Entwicklung, die Mittel für die Verbraucheraufklärung im Energiesparbereich und die Mittel für das Aufstocken der Rohölreserve. Alle drei Haushaltspositionen sind neu, und für alle drei möchte ich mich bedanken. Ich möchte mich auch dafür bedanken, daß wir hier eine Debatte über den Haushalt des Wirtschaftsministeriums geführt haben, die gegenwartsbezogen war, auf die Zukunft gerichtet Versuche unternommen hat und in der keine Vergleiche zum Jahr 1961 und den 50er Jahren angestellt wurden, wie wir das heute vormittag gehört haben, was ich überhaupt nicht für hilfreich halte. Dem Kollegen Waigel, der sich aus dieser Arbeit verabschiedet, sage ich für die letzten Pralinen, die er überreicht hat, herzlichen Dank. Ich werde mir erlauben, sie ohne eine Füllung mit E 605 zurückzugeben. Im übrigen werde ich mich bemühen, es der Frau Kollegin Simonis gleichzutun, in solcher Geschwindigkeit so viel Vernünftiges zu sagen. Ob mir das in 30 Minuten gelingt, weiß ich nicht.
    Der Kollege Biedenkopf hat gesagt, ich hätte mit Verzückung von den breiten Schultern des Bundeskanzlers gesprochen. Das ist ein bißchen übertrieben, Herr Biedenkopf. Ich habe nicht gesagt, dahinter verberge sich nichts. Im Gegenteil habe ich die Frage gestellt: Was könnte sich dahinter alles verbergen?

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Ich frage Sie: Was verbirgt sich wohl hinter der großen Gestalt Ihres Fraktions- und Parteivorsitzenden? Herr Biedenkopf, sind Sie das?

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD)

    Herr Biedenkopf, was wird denn gerade gezückt? Ich will es nicht übertreiben: die Feder, wie ich annehme, und nicht mehr.
    Im übrigen sind mir eine Reihe guter Ratschläge zuteil geworden, wie ich mich gegenüber Kritik aus meiner eigenen Partei zur Wehr zu setzen hätte. Ich will sie gern beherzigen, und man kann von Ihnen noch viel lernen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt!)

    Ich frage mich nur, was in der Opposition gespielt wird. Es gibt bekanntlich zwei Arten von Western, die man aufführen kann, den Americo-Western und den Italo-Western. Im Americo-Western wird von vorne, im Italo-Western wird von hinten geschossen. Ich glaube, Sie spielen das letztere.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich komme zu den Ergebnissen des Jahres 1978 in der Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik. Wir ha-
    ben unser Wachstumsziel von 3'/2 % praktisch erreicht. Die Arbeitslosenzahl lag im Jahresdurchschnitt 'erstmals wieder unter der Millionengrenze — immer noch zu hoch, aber mit einer sich abzeichnenden positiven Entwicklung. Die Verbraucherpreise sind im Jahre 1978 mit 2,6 % deutlich geringer gestiegen, als wir dies erwartet hatten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit aller Eindeutigkeit sagen, ein wenig, wie ich zugebe, nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber" : Dies ist ein sensationell positives Ergebnis, wenn man sich die wirtschaftspolitische Landschaft bei uns und um uns herum ansieht.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Dies gilt insbesondere für den Verbraucherpreissektor. 1978 war ein Jahr des wirtschaftlichen Aufstiegs. Steuer- und konjunkturpolitische Maßnahmen der Bundesregierung und des Parlaments haben gewirkt. Zusammen mit den 1978 getroffenen Beschlüssen werden sie auch den Konjunkturverlauf des Jahres 1979 wesentlich beeinflussen.
    Hierzu möchte ich eine Zahlenreihe nennen. Ich will Sie nicht mit Zahlen langweilen — Sie wissen, daß ich das immer zu vermeiden trachte —, aber es gibt eine, wie ich glaube, für die arbeitenden Menschen in diesem Lande wichtige Zahlenreihe, die wir uns ins Gedächtnis rufen sollten. Die realen Einkommen in den Jahren 1974 ff. haben sich wie folgt entwickelt: 1974 plus 2,6 %, 1975 plus 1,2 %, 1976 minus 0,2 %, 1977 plus 1,7 %, 1978 plus 3,7 % und 1979 voraussichtlich plus 3,5 %. Meine Damen und Herren, mit Ausnahme des Jahres 1976 hat es in der Bundesrepublik Deutschland im realen Einkommen unserer abhängig Beschäftigten, wie das so unschön in der Statistik heißt, Jahr für Jahr einen Zuwachs gegeben. Es ist politische Höflichkeit, die mich davon abhält, die Zahlen unserer westlichen Nachbarstaaten und Partnerländer vergleichend vorzutragen.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

    Herr Biedenkopf ist auf die bereits veröffentlichten Zahlen des Jahreswirtschaftsberichts eingegangen. Ich hätte gerne — Ihre Fraktion hat dies abgelehnt; ich verstehe das, es entspricht nicht dem Rhythmus der Hauhaltsdebatte — die Debatte heute mit einer Zehn-Minuten-Rede eröffnet, um Ihnen diese Zahlen und die Beschlüsse des Kabinetts von heute mittag vorzutragen. Das ist nicht gewünscht worden. Noch einmal: Ich habe Verständnis dafür. Wir werden Ihnen aber einen Bericht vorlegen, der mit realistischer und fundierter wirtschaftlicher Zuversicht ausgestattet ist, mit einer Projektion erreichbarer Ziele, die das Mögliche kalkuliert, aber keine Wunder verspricht, und mit der nach heutiger Erkenntnis gesicherten Erwartung stabiler ökonomischer Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland. Wir geben uns damit keinem leeren Zweckoptimismus hin. Wir erwarten mehr wirtschaftliches Wachstum, eine Besserung am Arbeitsmarkt, eine weiterhin geringe Preissteigerungsrate und weiter zunehmende Realeinkommen.



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    Dennoch, wir verkennen nicht die Risiken, die es auch 1979 geben wird. Herr Biedenkopf, Sie haben mit Recht von den Einflüssen des Weltmarktes gesprochen, von protektionistischen Tendenzen, von Wechselkursentwicklungen, möglichen Konjunkturschwächen in anderen Ländern, auch politischen Umbrüchen mit denkbaren Folgen für unsere Rohstoffversorgung und deutsche Exporte. Wir sind dabei, das im Iran zu erleben. Nur, Herr Biedenkopf, wenn Sie dann sagen, es gebe keine erkennbaren Schritte, um diesen Gefahren zu begegnen, dann tun Sie erstens der Arbeit der Bundesregierung unrecht, im übrigen auch den Beschlüssen dieses Parlaments — ich erinnere an das Stichwort Rohölversorgung —, und Sie erwecken zweitens gewollt oder ungewollt den Eindruck, daß man solchen Gefahren in einer Art und Weise begegnen könne, daß sie zu vermeiden und diese Risiken auszuschließen seien. Dies ist für die deutsche Volkswirtschaft nicht möglich und kann nicht möglich sein.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

    Wir leben in Abhängigkeit von den Risiken.
    Meine Damen und Herren, wir sehen auch die Notwendigkeit, Kostensteigerungen — auch das ist ein Risiko — im Inland zu begrenzen. Das Vertrauen in das gesamtwirtschaftliche Verantwortungsbewußtsein der unternehmerischen Preispolitik und in die Tarifpolitik von Gewerkschaften und Arbeitgebern ist bei uns vorhanden. Die Tarifparteien haben 1978 — ich will das gern bestätigen — verantwortungsbewußt gehandelt und zu dem guten Ergebnis des vorigen Jahres beigetragen.
    Ich will ausdrücklich sagen, daß das, was heute morgen über das Ergebnis des Tarifabschlusses in der Metallrunde berichtet worden ist — wir haben inzwischen versucht, das einmal schnell durchzurechnen —, in der Belastung, die sich daraus für das Jahr 1979 ergibt, innerhalb des Rahmens der gesamtwirtschaftlichen Projektion der Bundesregierung liegen dürfte. Das gilt zahlenmäßig auch für das Ergebnis des langanhaltenden Arbeitskampfes in der Stahlindustrie. Ob dieses Ergebnis die differenzierte und ganz anders geartete Situation, nämlich die Ergebnislage — genauer: die jahrelange Verlustlage — der Stahlindustrie in ausreichendem Maße berücksichtigt, ist eine zweite Frage. Insgesamt gesehen jedenfalls glaube ich, daß man aus den tarifpolitischen Ergebnissen der letzten Wochen nicht eine solche Feststellung ziehen kann, wie sie der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages gezogen hat: daß die deutschen Gewerkschaften — so hat er gesagt — im Vergleich zu ausländischen Gewerkschaften nicht mehr vorbildlich seien. Pikanterweise hat er das in London gesagt.
    Ich verkenne nicht, Herr Biedenkopf, daß das Thema Einheitsgewerkschaft für .die Geschichte der Bundesrepublik eine ungeheure Bedeutung gehabt hat und daß wir alle ein vitales Interesse daran haben müssen, daß bei uns funktionierende und tragfähige, verhandlungsfähige Einheitsgewerkschaften erhalten bleiben.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie werden mir dennoch erlauben, daß ich in diesem Zusammenhange die Tatsache erwähne, daß es nicht nur die Einheitsgewerkschaft in der Bundesrepublik Deutschland gibt. Es gibt einige andere, etwa die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft und einige mehr; hier gibt es einen Wettbewerb. Aber es gibt nicht das, was uns bis 1933, wie ich glaube, viel Unglück gebracht hat: Richtungsgewerkschaften. Daß die Einheitsgewerkschaft keine Richtungsgewerkschaft werden soll und werden darf, ist sicherlich die Überzeugung aller hier vertretenen Fraktionen, nicht nur Ihre.

    (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir streben für 1979 eine gesamtwirtschaftliche Entwicklung an, bei der im Jahresdurchschnitt das reale Bruttosozialprodukt um rund 4 % zunimmt, die Arbeitslosenquote auf knapp 4 % sinkt — d. h. deutlich unter 1 Million Arbeitslose im Durchschnitt — und der Anstieg der Verbraucherpreise auf 3 % begrenzt wird. Das ist nicht etwa eine Umkehr der Stabilitätspolitik — 3 % erwartet nach 2,6 % im Jahr 1978 —, sondern es ist realistisch und verantwortungsbewußt, wenn wir nicht mit so billigen Importpreisen über Wechselkursveränderungen und mit so günstiger Entwicklung der Nahrungsmittelpreise rechnen, wie wir sie 1978 zu verzeichnen hatten.
    Wir erwarten weiter, daß der Außenbeitrag real weiter zurückgeht und sich auch nominal verringert. Das klingt ein wenig unverständlich. Das heißt: wir werden auch in diesem Jahre einen Handelsbilanzüberschuß erzielen, aber wir werden durch steigende Importe in die Bundesrepublik Deutschland zur Belebung der wirtschaftlichen Aktivitäten in unseren Partnerländern beitragen. Das war das Ziel der internationalen Absprachen auf dem Bonner Wirtschaftsgipfel und ist die Leistung und der Beitrag der Bundesrepublik zu internationaler wirtschaftspolitischer Kooperation.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    1979 — das ist die Auffassung der Bundesregierung — besteht kein neuer konjunkturpolitischer Handlungsbedarf. Es besteht auch kein konjunkturpolitischer Bedarf für eine neue steuerliche Entlastung. Die Vorstöße, die dazu unternommen werden, sind nicht finanzierbar. Sie stehen im Gegensatz zu den Konsolidierungsrufen — zu denen ich noch etwas sagen will — und wären konjunkturpolitisch eher kontraproduktiv.
    Kein konjunkturpolitischer Handlungsbedarf — dann muß man wohl etwas sagen über den strukturpolitischen Handlungsbedarf und über das, was heute in aller Breite diskutiert worden ist. Der Kollege Waigel hat sich darüber beklagt, daß in der Gemeinschaftsaufgabe der Bundesanteil — ich will mal die ganzen Sonderprogramme, die man aber im Gedächtnis haben muß, auslassen — seit 1975 unverändert 294 Millionen DM beträgt. Sie wissen, daß es einen Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen für die nächste Sitzung des Planungsausschusses gibt und daß der Wirtschaftsausschuß — ich glaube: einstimmig — empfohlen hat, diesen Vor-



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    stellungen nicht zuzustimmen. Der Antrag wird auch keine Dreiviertelmehrheit im Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgabe finden.
    Und hier beginnt das Problem der Gemeinschaftsaufgabe: nämlich beim Stichwort Dreiviertelmehrheit. Die Gemeinschaftsaufgabe Regionale Wirtschaftspolitik ist in einem Zustand erstarrt, der dazu geführt hat, daß zusätzliche Leistungen nur ausgewogen in der Weise beschlossen werden, daß jeder ein gleich gewichtiges Teil bekommt ohne Rücksicht darauf, ob bei echten und sinnvollen Vergleichen dem einen dies überhaupt zusteht und der andere dafür nicht etwas hergeben sollte.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Das ist das Problem der Gemeinschaftsaufgabe, vor dem wir stehen, das jeder kennt und das auch mit der föderalen Struktur der Bundesrepublik und den Mehrheitsverhältnissen, die dort entstanden sind, zusammenhängt und das uns in der Tat zum Nachdenken zwingt. Ich bestreite dies nicht.
    Es kommt ein zweites hinzu. Die Bundesregierung hat das Werfthilfeprogramm verabschiedet. Ich bekenne ganz offen, daß ich dieses Werfthilfeprogramm mit Mißvergnügen konzipiert und mit Mißvergnügen über die Hürden gebracht habe — mit Mißvergnügen nicht deswegen, weil ich etwa nicht die Problematik sehe, die hier angesprochen worden ist, auch nicht deswegen, weil ich die Arbeitnehmerproblematik oder die Beschäftigungsproblematik geringer schätzte, als die Frau Kollegin Simonis dies gesagt hat; aber mit Mißvergnügen deshalb, weil man unter allen Umständen vermeiden muß, daß so etwas, wenn es überhaupt in Angriff genommen wird, in der Form geschieht, daß man nach drei Jahren denselben Zustand unverändert vorfindet, d. h., daß man Strukturkonservierung betrieben hat und dieselben Leute mit denselben offenen Händen vor unseren Schreibtischen stehen.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Darum hat sich die Bundesregierung intensiv bemüht, alles, was überhaupt möglich war, einzubauen: Befristung; nur technisch höherwertige Produkte; gestaffelte degressive Beihilfesätze. Ob es hilft? Wir haben keine gültige und endgültige Garantie dafür.
    Ich stimme Herrn Roth vollauf zu: Die deutsche Textilindustrie ist seit 20 Jahren ein Musterbeispiel dafür, wie man in hartem Wettbewerb strukturelle Anpassung aus eigener Leistungsfähigkeit und mit geringstmöglichen staatlichen Eingriffen vollzieht.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Waigel [CDU/CSU])

    — Sicher dank Ludwig Erhard, der sich damit den Zorn der Textilindustrie zugezogen hat.
    Nur, in einem Punkt unterscheidet sie das natürlich — und das muß man sehen — von der Werftindustrie: Die Textilindustrie ist ja keine international freiem Wettbewerb unbeschränkt ausgesetzte Industrie. Die Werftindustrie, der Schiffbau ist jener Bereich internationalen Wettbewerbs, in den wir in keiner Weise eingreifen können, der draußen subventioniert wird, der über Wechselkurse verfälscht wird und der mit allen Möglichkeiten operiert, denen wir bei uns, wie wir gesehen haben, nicht begegnen können. Das ist die Sonderposition dieses Industriezweiges. Andere, die über strukturelle Anpassungsschwierigkeiten klagen, müssen verstehen, daß die Ursachen nicht notwendig die gleichen wie in der Werftindustrie sind und daß solche Schlüsse von dem einen auf das andere nicht ungeprüft gezogen werden dürfen.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Wir werden über die weiteren Wünsche und Forderungen nachdenken. Wir werden, Herr Biedenkopf, darüber nachdenken, was im Ruhrgebiet geschehen ist und was im Ruhrgebiet weiter geschehen wird. Ich möchte aber in einem Punkt um Redlichkeit bitten. Hier sind ja nicht nur die Ministerpräsidenten der norddeutschen Küstenländer schon zitiert worden, die wacker an unsere Türen geklopft haben — „klopfen" ist eine sehr höfliche Bezeichnung für den dröhnenden Lärm, der da geschlagen worden ist —, um unsere Hilfe zu bekommen. Ihr Kollege Köppler fordert schlank 700 Millionen fürs Ruhrgebiet, ohne zu sagen, was gemacht werden soll. Und hier, Herr Kollege Biedenkopf, möchte ich gerne doch ein bißchen mehr hören. Es ging mir, als ich Ihnen eben zuhörte, wie bei Ihrem Memorandum. Im ersten Teil Ihres Memorandums, das wir mit großem Interesse gelesen haben — es ist nicht alles zustimmungsfähig, aber ein Teil — zeichnet sich die Analyse durch klare, kurze, knappe Sätze aus. Da stimmt alles: Subjekt, Prädikat, Objekt. Im hinteren Teil, wo es losgeht, Ratschläge zu geben, Therapie zu empfehlen, werden die Sätze länger, verschachtelt, schlechter lesbar. Das ist auch bei Herrn Köpplers Forderungen der Fall, Herr Biedenkopf. Butter bei die Fische!

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ordnungspolitik ist gut. Wir haben darüber schon diskutiert. Aber, bitte, Handlungsanweisungen — —

    (Dr. Biedenkopf [CDU/CSU] : Erzählen Sie doch mal was vom Ruhrgebiet!)

    — Ich kenne das Ruhrgebiet genauso lange und wahrscheinlich auch genauso gut wie Sie.

    (Dr. Biedenkopf [CDU/CSU] : Sagen Sie einmal, was Sie machen wollen!)

    — Ich werde Ihnen hier keine Patentrezepte aus der Tasche zaubern,

    (Dr. Biedenkopf [CDU/CSU]: Na also! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    sondern ich werde die Anträge, die in Gesetzentwürfen des Landes Nordrhein-Westfalen vorliegen
    — auch die Anmeldung zur Gemeinschaftsaufgabe —, sorgfältig prüfen.

    (Zuruf des Abg. Dr. Biedenkopf [CDU/CSU])

    Ich habe auch nicht versprochen, daß ich Patentrezepte anbiete, sondern ich habe gesagt, daß wir uns zusammensetzen werden. Aber punter Berücksichtigung der verfassungsmäßigen Zuständigkeit



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    und der daraus sich ergebenden Verpflichtung, mit den Ländern in Notfällen, wo das erforderlich ist, gemeinsam zu arbeiten.
    Die positiven Ergebnisse 1978 bedeuten nicht den Verzicht auf weitere Wirtschaftspolitik. Wir werden das Eigenkapitalhilfe - Programm, das Herr Kollege Waigel kritisiert hat, auf die Beine stellen. Herr Waigel, es ist überhaupt keine Rede davon, daß das durch die Bürokratie des Wirtschaftsministeriums gemacht werden soll, sondern es wird im Gegenteil unbürokratisch und kurz und schnell abgewickelt werden. Das gilt erst recht für die Unterstützung von Forschung und Entwicklung für die kleinen und mittleren Unternehmen, die wir ausdrücklich und mit Ihrer Zustimmung an die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungseinrichtungen — eine Selbsthilfeeinrichtung der Wirtschaft — geben wollen, um weitere Bürokratie und weitere Verwaltungstätigkeit zu vermeiden.
    Ich will auch vom Windhundverfahren reden. Die Bundesregierung hat von Anfang an erklärt: wir beantragen 300 Millionen DM. Wir haben die Zustimmung dazu bekommen. Wenn sich dieses Programm bewährt, wird man mit uns — vorbehaltlich selbstverständlich der Haushaltslage — über eine Aufstockung dieses Betrages reden können.
    Wir werden weiter wirtschaftspolitisch aktiv tätig bleiben auf dem Gebiet der Kartellgesetznovelle. Verehrter Herr Roth, das Problem der Elefantenzucht ist durchaus bekannt. Wir sehen die Problematik. Diese Problematik aber beantwortet das existierende Kartellgesetz. Was es nicht beantwortet, ist die Frage des Verzehrs von Mäusen durch Elefanten. Dies allerdings wollen wir ändern.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    — Sie müssen mal ein bißchen auch übertragene Bilder gelten lassen, verehrter Herr Biedenkopf.

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Wir bitten um Ihre freundliche Unterstützung. Ich will die Diskussion jetzt nicht führen. Es wird sonst gleich wieder unfreundlich angesichts dessen, was Sie — nicht Sie persönlich, sondern Ihre Partei — alles geäußert haben zu dem Vorhaben. Wir werden darüber in Ruhe reden. Wir sehen Sie in dieser Frage auf besserem Wege.
    Die Haushaltspolitik aller Gebietskörperschaften — hier komme ich auf einen weiteren angesprochenen Punkt, nämlich Konsolidierung — hat in dieser wirtschaftlichen Situation die Aufgabe, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage noch zu stützen, ohne das Ziel einer allmählichen Rückführung der Verschuldung außer acht zu lassen. Die Zeit ist heute knapp. Herr Biedenkopf, ich kann nur sagen: der Sachverständigenrat erwartet für 1979 einen Zuwachs des Bruttosozialproduktes von 4 %. 2 % davon basieren auf ,den Maßnahmen, die am 1. Januar in Kraft treten. Bei dem jetzt erwarteten 4% igen Zuwachs im Bruttosozialprodukt in der Weise zu konsolidieren, wie Sie das vorschlagen, hieße überkonsolidieren, hieße im übrigen unseren internationalen Verpflichtungen nicht gerecht werden und exakt den Overkill in die wirtschaftliche Entwicklung des Jahres 1979 einführen. Dies geht 1979 nicht. Es wäre verantwortungslos, diesen Ratschlägen zu folgen.
    Auch die Geld- und Kreditpolitik wird unsere Entwicklung unterstützen. Sie wird 1979 eine doppelte Zielsetzung haben: ausreichende Finanzierungsmöglichkeiten für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu sichern und gleichzeitig stabilisierende Fortschritte zu konsolidieren. Deswegen unterstützt die Bundesregierung den Beschluß der Bundesbank, die Ausweitung der Zentralbankgeldmenge bis zum vierten Quartal 1979 in einer Bandbreite von 6 bis 9 °/o zu halten. Der Beschluß gibt den notwendigen Spielraum, um diese doppelte Zielsetzung zu realisieren.
    Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend feststellen: Die Wirtschaftspolitik der sozialliberalen Koalition im Jahre 1978 kann sich, bescheiden formuliert, in ihren Ergebnissen durchaus sehen lassen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Bundesregierung weiß, daß es im Ergebnis ihrer Wirtschaftspolitik des Jahres 1978 auch Schwächen gibt und daß diese Schwächen ausgebügelt werden müssen. Aber wir sind uns im klaren darüber, daß einige von ihnen — dies ist insbesondere die Beschäftigtenproblematik — nicht in kurzen Zeiträumen gelöst werden können. Wir werden im Jahre 1979 diese Politik mit ruhiger Hand fortsetzen, ohne aufgeregte Interventionen oder kurzfristige Reaktionen und in der Erkenntnis, daß internationale wirtschaftspolitische Kooperation zu den unerläßlichen Voraussetzungen für ein erfolgreiches Ergebnis der Wirtschaftspolitik in einem so in die weltwirtschaftliche Entwicklung eingebundenen Land wie der Bundesrepublik Deutschland gehört.
    Wenn keine unvorhergesehenen Einbrüche eintreten, ist die Bundesregierung zuversichtlich, daß die deutsche Volkswirtschaft auch 1979 die Ziele erreicht, die diesmal gesetzt sind. Dazu wird es nicht nur nationaler, sondern, wie ich sagte, erheblicher internationaler Anstrengungen bedürfen. Auf vielen Gebieten, insbesondere dem Gebiet der internationalen Handelsbeziehungen, bringt dieses Jahr große Aufgaben mit sich. Auch im Rohstoffbereich — Herr Roth hat ihn angesprochen — stellen sich Probleme, die Schritt für Schritt mit Geduld und Beharrlichkeit der Lösung nähergebracht werden müssen. Die Bundesregierung wird sich in ihrem Bemühen um internationale wirtschaftspolitische Harmonisierung um Freizügigkeit im internationalen Handel, um ein Höchstmaß an Effizienz bemühen, Effizienz im Sinne der hier wirtschaftlich Tätigen, der Arbeitnehmer und der Unternehmer.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Narjes.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Karl-Heinz Narjes


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten. Damen! Meine Herren! Aus der Fülle der Anlässe, die die beiden früheren Reden für Bemerkungen gegeben haben, möchte ich die außer-



    Dr. Narjes
    gewöhnlich scharfe Polemik des Kollegen Roth gegen Dr. von Habsburg herausgreifen. Herr Roth, was wollen Sie mit Ihrer Polemik? Wollen Sie eine persönliche Diffamierungskampagne starten? Wollen Sie eine Art von politischer Sippenhaftung begründen, oder wollen Sie Dr. von Habsburg die politische Gleichberechtigung verweigern?

    (Zurufe von der SPD)

    Für uns jedenfalls ist Ihre Polemik Ausdruck eines Freund-Feind-Denkens, von dem wir in Deutschland schon zuviel haben. Wir werden uns daran nicht beteiligen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Die Annäherung in der Beurteilung der konjunkturpolitischen Lage des Jahres 1979 darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß in der Bewertung der Grundannahmen unserer mittel- und langfristigen Wirtschaftspolitik tiefgreifende Unterschiede bestehen, jenseits der hier einmal mehr offenkundig gewordenen ordnungspolitischen Differenzen, wie sie sich aus der Rede des Kollegen Roth ergeben. Ich darf diese Differenzen in drei Teilbereichen deutlich machen: der Handels- und Europapolitik, dem Schiffsbau und der Energiepolitik.
    In der Handelspolitik erheben wir den Vorwurf an die Bundesregierung, daß sie den für uns lebensnotwendigen Kampf gegen den Protektionismus und den Neoprotektionismus in der Welt und in Europa nur unzulänglich führt. Daß die Bundesrepublik Deutschland insoweit eine herausragende Verantwortung trägt, ergibt sich aus unserer Größe und aus unserer ureigenen Abhängigkeit vom Gedeihen der Weltwirtschaft. Wir werden bald an jedem Werktag für eine Milliarde DM Güter oder Dienstleistungen jenseits unserer Grenzen absetzen müssen.
    Unser Vorwurf zielt konkret erstens auf die unbefriedigende Entwicklung des Binnenmarktes in der Europäischen Gemeinschaft und zweitens auf die Mängel unserer Politik in bezug auf die Weltmärkte.
    Zu Recht wurde auf mehreren Gipfelkonferenzen Europas festgestellt, daß der Zuwachs des Handels in der Europäischen Gemeinschaft hinter den Zuwächsen des Welthandels zurückbleibt. Wir haben den Eindruck, daß eine angemessene Erforschung der Ursachen dieser Entwicklung fehlt. Der Binnenmarkt der Europäischen Gemeinschaft — immerhin nimmt er mehr als 50 % unseres Exports auf — hat sich nicht so entwickelt, wie er es nach den Römischen Verträgen sollte. Allein im unwiderruflichen Abbau von Binnenmarktgrenzen erweist sich aber die Integrationsleistung der Gemeinschaft. Die Fehlentwicklung, die wir heute beklagen, begann schon mit dem sogenannten Dreiklang auf der Gipfelkonferenz von 1969 in Den Haag. Vollendung, Vertiefung und Erweiterung — so hieß es damals. Unabhängig von der Fragwürdigkeit dieses Grundgeschäftes haben wir heute nach zehn Jahren nach dem Stande der Verwirklichung des Versprechens nach Vollendung zu fragen, und zwar sehr konkret. Das Ergebnis ist enttäuschend. Die Steuergrenzen teilen Europa heute ebensosehr wie 1969. Die Harmonisierung der Mehrwertsteuer ist noch nicht abgeschlossen. Das Niederlassungsrecht der Unternehmer und die Freizügigkeit der freien Berufe und der freie Kapitalverkehr sind unverändert notleidend. Das öffentliche Auftragswesen ist eher protektionistischer geworden. Die selbstisolierenden Praktiken der nationalisierten Industrien und Banken laufen den Zielen der Gemeinschaft zuwider. Der europäische Binnenmarkt existiert nicht einmal mehr als Bezugspunkt für die Wettbewerbspolitik, wie die Rede des Kollegen Roth zeigt. Die Harmonisierung der wettbewerbsverzerrenden Rechtsvorschriften einschließlich der Subventionen läßt zu wünschen übrig. In der Rezession sind zusätzliche Hindernisse aufgebaut worden. Der europäische Binnenmarkt, der Eckpfeiler der europäischen Integration, ist mithin notleidend. Ihm fehlt die politische Priorität, vor allen Dingen auch auf der Tagesordnung des in den Römischen Verträgen nicht vorgesehenen Europäischen Rates.
    Aber auch die Vorbereitung der europäischen Direktwahlen läßt Schlimmes befürchten. Man nehme das Europaprogramm der SPD. Das Thema „Binnenmarkt" gibt es darin überhaupt nicht ernsthaft. Statt dessen werden soziale Forderungen aufgelistet, für die den Gemeinschaften heute fast jede Kompetenz fehlt und für die auch auf absehbare Zeit keine Vertragsänderungen durchzusetzen sein werden. Das Europaprogramm der SPD ist, gemessen an den praktischen Möglichkeiten seiner Verwirklichung, ein neuer Gipfel europäischer Unaufrichtigkeit. Geradezu absurd ist das Ziel der 35-Stunden-Woche für die europäische Politik. Meint die SPD, Herr Kollege Wehner, in der Tat, daß sie mit einer solchen Forderung den zurückgebliebenen Regionen der Gemeinschaft in Süd- und Inselitalien oder in Irland und morgen Spanien, Portugal und Griechenland helfen kann, ihren Entwicklungsabstand aufzuholen?

    (Wehner [SPD]: Zerbrechen Sie sich nicht unseren Kopf!)

    Wollen Sie die Menschen dort verhöhnen?

    (Wehner [SPD]: Nicht einmal Sie will ich verhöhnen!)

    „Mehr Wohlstand durch weniger Arbeit" als ein europäisches Konzept ist ein böses Produkt sozialer Gedanken und europäischer Rücksichtslosigkeit. Es trägt auch Ihren Namen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dieser Teil des Programms ist ein Produkt satter Gehirne, nur wissen Sie es noch nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

    Weltweit hat auch der Londoner Gipfel 1977 hervorragende Formulierungen für die Notwendigkeit gefunden, das Übel des Protektionismus zu bekämpfen. Was hat sich seitdem aber verändert? Was hat die Bundesregierung getan, damit sich etwas ändert?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nichts!)

    Der Protektionismus — offen oder versteckt — wächst unablässig in allen beteiligten Staaten.
    Zu den großen Unklarheiten gehört auch die ordnungspolitische Verwässerung in den handelspoliti-
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode 130. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. Januar 1979 10207
    Dr. Narjes
    schen West-Ost-Beziehungen. Die Staatshandelsländer des Ostens, vor allem der Sowjetunion, sind eben keine Welthandelspartner wie jeder andere. Es gibt zwischen Ost und West eine Systemgrenze, die man nicht durch eine weltweite Mischmaschwirtschaft ersetzten kann.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Wir warnen vor der absurden Idee, die Oststaaten zunehmend in die Lenkungsorganisationen der liberalen Weltwirtschaft einzuladen

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und sie dort als Mitgestalter zum Zuge kommen zu lassen. Sie wären dort die Böcke im Vorstand der Gärtnerinnung.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Der Bilateralismus und die merkantilistische staatswirtschaftliche Auffassung des Ostens von Welthandel stehen auch in einem krassen Widerspruch zu den elementarsten Unabhängigkeitsinteressen gerade der jungen Staaten der Dritten Welt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Jeder Bilateralismus in den Wirtschaftsbeziehungen bedeutet für sie politische Abhängigkeit vom stärkeren Partner. Die konfliktlösende Wirkung des Marktes als Steuerungsinstrument der Wirtschaft ist weltwirtschaftlich noch bedeutungsvoller als in den Einzelvolkswirtschaften, weil eine konfliktlösende Funktion weltweit zugleich auch friedenserhaltend wirkt.
    Wir haben den Eindruck, daß auch der Bundeskanzler die historischen Dimensionen verkennt, in denen er sein wirtschaftspolitisches Wirken auf den verschiedenen Gipfelkonferenzen sehen und an denen er sich messen lassen muß.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Die tiefe Depression in den Jahren 1929 bis 1932 konnte durch die Weltwirtschaftskonferenz 1933 nicht überwunden werden. Dieser Fehlschlag kann mit zu den Ursachen des Zweiten Weltkriegs gezählt werden.
    Der nächste Fall: Nur unter dem Eindruck der weltweiten Verwüstung des Zweiten Weltkrieges war es möglich, Systeme wie das von Bretton Woods und das GATT mit Ach und Krach durchzusetzen. Beide haben nur so lange funktioniert, wie die Regeln beachtet wurden und die größeren Partner verantwortungsvoll gehandelt haben.
    Gemessen an diesen Erfahrungen reicht das, was in der Serie der Gipfelkonferenzen seit 1975 unter dem Eindruck der weltweiten Rezession zur besseren Orientierung der Weltwirtschaft der 80er und 90er Jahre bisher beschlossen worden ist, zu .dem notwendigen Kurswechsel nicht aus.
    Resignierendes Achselzucken ist keine Antwort. Mobilisieren Sie doch die große Konzeptionskraft, die es in Deutschland gibt. Bemühen Sie sich, weltweit zu überzeugen, nicht nur auf Konferenzen — das ist zu spät —, sondern weit in ihrem Vorfeld, damit die Konferenzergebnisse rationalen Kriterien standhalten und ihr Inhalt verantwortbar ist..
    Im Gegensatz zum Kollegen Roth bin ich auch der Meinung, daß die Vorbereitung zu UNCTAD V nicht befriedigend ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Die Interdependenz der Weltwirtschaft birgt viele Versuchungen für falsche Lösungen. Eine von ihnen wird unter der Überschrift „Strukturanpassung" gehandelt. Man meint häufig, daß sie durch internationale dirigistische Absprachen beschlossen werden könne. Das ist so sinnlos wie eine nationale oder regionale dirigistische Strukturpolitik oder Investitionslenkung.
    Gerade das Beispiel der Textilindustrie sollte diejenigen, die es heute heranziehen, daran erinnern, wie oft und in wie vielen Gremien früher gefordert wurde, der Textilindustrie in den Industriestaaten durch weltweite Abkommen grundsätzlich die Existenzberechtigung abzusprechen.
    Damit bin ich beim zweiten Thema: Schiffbau und Schiffahrt. Die Krise ist seit wenigstens zwei Jahren eine Gewißheit. Dennoch wird erst in letzter Minute gehandelt. Man sollte überhaupt nicht glauben, daß die Interessen des Schiffbaus und der Schifffahrt in dieser Bundesregierung angemessen vertreten sind — obwohl einige ihrer Mitglieder auf Grund ihrer Aufsichtsratssitze wesentlich besser informiert sein müßten, als es ihre Politik verrät.

    (Zurufe von der SPD)

    Das Schlagwort vom „ordnungspolitischen Sündenfall", von der „Subventionsmentalität" der Werften sollte hier nicht länger unbesehen so weiterbenutzt werden, wie es hier eingeführt worden ist. Wir schulden allen Beteiligten, die Ursachen der Schiffbaukrise differenzierter zu betrachten und wenigstens zwei große Ursachenkomponenten auseinanderzuhalten.
    Da sind einmal die Fälle der klaren Unterlegenheit im Wettbewerb. Insoweit sind die Unternehmen aufgerufen, sich umzustellen. Es ist Sache des Staates, durch zeitlich begrenzte, degressiv gestaffelte Anpassungsbeihilfen zur Selbsthilfe einzuspringen und Regionalprogramme für die betroffenen Regionen zu entwickeln. Es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der beteiligten Ministerpräsidenten, hierfür einzutreten. Dies gilt auch dann, wenn die Fälle als „Devisenprobleme" dargestellt werden.
    Von diesen Fällen, über die weitgehende Einmütigkeit zu bestehen scheint — jedenfalls mit dem Bundeswirtschaftsminister —, sind die handelspolitischen Ursachenkomponenten zu unterscheiden. Sie werden mit Vorliebe übersehen, weil sie unbequem sind. Der internationale Subventionswettbewerb der Finanzminister, die öffentlich finanzierte Jagd nach knappen Aufträgen, das ist ein Wettbewerbsverhalten, das nicht geduldet werden kann.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Wie wollen Sie es ändern?)

    Wer dies tut, versündigt sich eben nicht nur am Schiffbau, sondern schafft gefährliche Präzedenzfälle auch für andere Branchen. Man stelle sich einmal vergleichbare Wettbewerbsverzerrungen für schwere Lastwagen vor.



    Dr. Narjes
    Es geht also über den Schiffbau hinaus um die Durchsetzung eines wettbewerbsgerechten Verhaltens. An dem nachhaltigen Willen der Bundesregierung, solche Sünden nicht einreißen zu lassen, fehlt es aber. Dieses Thema gehört auf die Tagesordnung der Regierungschefs, aber nicht auf die der Botschafter und Staatssekretäre. In der Europäischen Gemeinschaft ist es so noch nicht einmal möglich gewesen, eine Beihilfen-Harmonisierung durchzusetzen, die eine Obergrenze der nationalen Schiffbaubeihilfen festlegt. Auch in der OECD ist durch eine Teilregelung von wettbewerbsverfälschenden Maßnahmen eher ein Ungleichgewicht verfestigt worden. Wir sollten alle Subventionstatbestände lieber als Einheit werten und auf Globallösungen hinstreben.
    Ähnliches gilt für das GATT. Ein vierter Bereich ist hier die Konkurrenz mit dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, der sich mit offensichtlichen Wettbewerbsverfälschungen wachsende Marktanteile erworben, erkämpft hat. Schließlich gehört hierher der Vorteil, den andere Werftindustrien aus der Nationalisierung und der sich daraus ergebenden unbegrenzten Kostenübernahme durch Staatshaushalte erreicht haben.
    Der Schutz gegen diese fünf Arten wirtschaftspolitischen Fehlverhaltens im internationalen Wettbewerb ist kein ordnungspolitischer Sündenfall, sondern legitime Abwehr von Verfälschungen. Vergeltung gegen Wettbewerbsverfälschungen und Ordnungsdenken schließen einander nicht aus. Es stellt sich deshalb die Frage, ob — so gesehen — die Maßnahmen richtig sind.
    Wir meinen, sie sind nur ein erster Schritt, weil ihnen Ergänzungen fehlen. Wo bleiben, Herr Bundeswirtschaftsminister, die antizyklischen Aufträge der deutschen notwendigen öffentlichen Hände? Ist es volkswirtschaftlich nicht sinnvoller, statt Subventionen zu geben, den später ohnehin öffentlichen Bedarf jetzt zu decken? Warum ist die Bundesregierung beim Export von Kriegsschiffen unnötig restriktiv? Warum nutzt sie nicht die Schiffbaurezession zur Verbesserung der Schiffssicherheit, insbesondere für Tankschiffe? Zu keinem Zeitpunkt wäre es sinnvoller gewesen, die überfällige Schiffssicherheit für Tankschiffe zu erhöhen, als in der gegenwärtigen Lage.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Statt dessen betreiben Sie eine schläfrige Konferenzdiplomatie. Warum wird die Investitionskraft unserer Reeder nicht dadurch gestärkt, daß man das aggressive Verhalten und die unfairen Wettbewerbspraktiken der Ostblock-Staaten und -Flotten schärfer angreift? Wir sind keine Schiffahrts-Nationalisten, aber wir haben auch nicht die geringste Veranlassung, Dumping-Praktiken des Ostblocks zu erdulden oder sie gar noch mit deutscher Ladung zu prämiieren, schon gar nicht auf Kosten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
    Schließlich: Jenseits der Schiffbaukrise wird eine andere grundsätzliche Entscheidung fällig — ich erwähne sie hier nur —, nämlich die Entscheidung darüber — in absehbarer Zeit wird sich dieses Hohe Haus darüber klar werden müssen —, ob wir noch eine deutsche Handelsschiffahrt haben wollen, die nicht als Staatsreederei betrieben wird, oder welche Konzeption wir statt dessen für unsere Transportprobleme über See haben. Im Augenblick sind 90 % unserer Reeder in den roten Zahlen. Die Bitte um Liquiditätshilfe zeigt dies im Detail.
    Zusammenfassend: Einer unzureichenden Analyse der Schiffbaulage folgt ein unzureichendes Maßnahmenpaket: Zum Leben zuwenig, zum Sterben zuviel; es ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber eben nur einer. Ein entsprechendes Strukturanpassungskonzept für die betroffene Region fehlt; es ist für die nächsten Monate angekündigt. Großsprecherische Hinweise auf die Möglichkeiten kurzfristiger Änderungen übersehen, daß es sich beim Schiffbau um viele tausend hockqualifizierter Schweißer handelt,

    (Zuruf des Abg. Grobecker [SPD])

    die in 36 Monaten ohne Wettbewerbsverzerrungen kaum in andere Produktionsbereiche „verpflanzt" werden können. — Es gibt schon weit mehr Erfahrungen und Lehrgeld, Herr Kollege Grobecker, als manche Gelegenheitsredner zu diesem Thema anscheinend wissen. —
    Ein dritter Bereich fundamentaler Unterschiedlichkeit zwischen Regierung und Opposition ist der der Energiepolitik. Der Ausfall der Öllieferungen aus dem Iran bestätigt unsere langjährigen, aber nie beachteten Vorbehalte gegen die Energieversorgungspolitik der Bundesregierung.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Sie haben doch diese Abhängigkeit erst geschaffen!)

    Hier haben wir den Musterfall einer unvorhergesehenen politischen Versorgungsstörung. Wir fordern, daß dieses Beispiel Iran unverzüglich zum Anlaß genommen wird, daraus Lehren für die Beseitigung der Mängel unserer politischen Analyse zu ziehen.
    Entscheidend für unsere sichere Versorgung ist letztlich die politische Verfügbarkeit von Primärenergie. Sodann: Störungen können überraschender erfolgen, als bisher die Bundesregierung und auch die Ölgesellschaften angenommen haben. Es genügt halt nicht, daß man sich gegen die Wiederholung schlechter Erfahrungen absichert. Versorgungsstrategisches Denken und die vorbeugende Vorsorge gegen den jeweils schlimmsten Fall sind unverzichtbar. Sie sind bisher unterblieben. Lassen wir uns heute nicht davon täuschen, daß der Ausfall des Irans in diesen Jahren noch durch die ungenutzten Produktionsreserven Saudi-Arabiens aufgefangen werden kann. Das ließe sich in wenigen Jahren schon nicht mehr wiederholen.
    Sodann sind Konsequenzen zu ziehen. Unsere Vorratspolitik muß revidiert werden. Ich wiederhole: 90-Tage-Vorräte sind zuwenig. Die weltweite Streuung der Versorgungsquellen ist nachhaltiger zu betreiben als bisher. Warum ist es bisher unterlassen worden, etwa mit Mexiko intensiv zu verhandeln? Wir dürfen schließlich den Nutzen und die Beistandsmöglichkeiten der Internationalen Energieagentur nicht überschätzen. Wichtiger noch' sind indessen die



    Dr. Narjes
    mittel- und die langfristigen Konsequenzen des Iran-Falles. Eine Regierung, die unreflektiert von der Vorstellung ausgeht, daß ein geordneter Übergang in die Nach-Öl-Wirtschaft bis zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich ist, an dem sich die Erschöpfung aller geologisch verfügbaren Vorräte absehen läßt, handelt illusionär. Die Stunde der Machtpolitik kann wesentlich schneller kommen, als heute erwartet wird. Infolgedessen sind alle Maßnahmen zu beschleunigen, die dem Übergang zur Nach-Öl-Zeit dienen: Einsparungen und die Zukunft der Kohle und der Kernenergie.
    Angesichts dieser durch den Iran-Fall deutlicher noch als vorher erkennbaren Lage ist die Opposition der Überzeugung, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die zweite Fortschreibung des Energieprogramms nicht mehr den Anforderungen genügt, die wir an eine deutsche Energiepolitik für die 80er und 90er Jahre stellen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir werden die Bundesregierung auffordern, dieses Programm neu zu schreiben, und zwar noch in diesem Jahr. Unsere erste Kritik gilt den Zeithorizonten dieses Programms: Wenn es nicht noch 1979 auf die Erfordernisse des Jahres 2000 ausgerichtet wird, wird der Bundestag realistischerweise frühestens erst wieder 1982 mit einem fortgeschriebenem Programm befaßt werden können. Das wäre aber zu spät, um die zahlreichen dringenden Investitionsentscheidungen politisch verläßlich zu orientieren. Solche Orientierungen fehlen für den Steinkohlenbergbau, für die Kohlewirtschaft in den Europäischen Gemeinschaften, für die Veredelung der Kohle und vor allen Dingen auch für die Revision der Kernenergiepolitik. Die Koalition muß ihre Flucht in die Zukunft abbrechen und alle notwendigen Entscheidungen schon vor der nächsten Bundestagswahl treffen.
    Weiteres Zögern in bezug auf die Kernenergie ist ohne jede Einschränkung verantwortungslos. Die Formel vom „Offenhalten der Option Kernenergie" und der Begriff des „Restbedarfs" sind unverzüglich aufzugeben. Sie verkörpern die wohl größte wirtschaftspolitische Fehlentscheidung der Nachkriegszeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Alle vergleichbaren Industrienationen, die Vereinigten Staaten, Frankreich, der ganze Ostblock, führen großen Kernenergieprogramme mit Nachdruck durch. Bei uns droht den Kraftwerksbauern die Arbeitslosigkeit, weil keine Aufträge möglich sind. Zur Begründung dieser Notwendigkeit verweise ich auf alles, was zuletzt eindrucksvoll eine Studie der „Rockefeller Foundation" formuliert hat. Wir haben diesen Erkenntnissen nichts hinzuzufügen.
    Wir fordern Sie auf, den sorglosen Optimismus, der als Vorwand für Entschlußlosigkeit das bisherige Programm gekennzeichnet hat, aufzugeben. Die schrittweise und gezielte Lösung von 01 und Gas sind nicht länger zu vermeiden. Die Führungsaufgabe der Bundesregierung sollte darin liegen, sicherzustellen, daß dieses Ziel weder durch Tagesereignisse noch durch vorübergehende Angebotsschwemmen noch durch Koalitionskräche verhindert wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)