Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie alle herzlich und teile zu Beginn unsererheutigen Sitzung mit, dass die Kollegen Heinz-JoachimBarchmann und Alois Karl jeweils ihren 65 . Geburts-tag gefeiert haben . Dazu möchte ich noch einmal im Na-men des gesamten Hauses herzlich gratulieren .
Dann müssen wir noch eine Wahl von zwei Mitgliederndes Stiftungsrates der Stiftung Flucht, Vertreibung,Versöhnung durchführen . Auf Vorschlag der Beauftragtender Bundesregierung für Kultur und Medien sollen als Ver-treter des Auswärtigen Amtes Herr Michael Reiffenstuelals Nachfolger für den ausgeschiedenen Herrn Andreas Meitzner und als Vertreter der Beauftragten der Bundesre-gierung für Kultur und Medien Herr Ansgar Hollah fürden ausgeschiedenen Herrn Dr . Michael Roik als stellver-tretende Mitglieder des Stiftungsrates gewählt werden .Können Sie dem zustimmen? – Das sieht so aus . Dann ha-ben wir das damit so beschlossen und die beiden Herrenals stellvertretende Mitglieder des Stiftungsrates gewählt .Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Ta-gesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführtenPunkte zu erweitern:ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-fahren
a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr . Frithjof Schmidt, Claudia Roth ,Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENInterministerielle Zusammenarbeit bei derBewältigung der Fluchtkrise in DrittstaatenverbessernDrucksache 18/6772Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungHaushaltsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten SylviaKotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENSicherheit hat Vorrang – Ohne Stand von Wis-senschaft und Technik keine Inbetriebnahmevon Schacht KonradDrucksache 18/6773Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheitVon der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-weit erforderlich, abgewichen werden .Schließlich mache ich noch auf zwei nachträglicheAusschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkt-liste aufmerksam:Der am 16 . Oktober 2015 überwiesenenachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-schuss für Gesundheit zur Mitberatungüberwiesen werden:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder-
Drucksache 18/6281Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
InnenausschussAusschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheitAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungAusschuss für TourismusHaushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
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Der am 12 . November 2015 überwiese-ne nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Haushalts-ausschuss zur Mitberatung überwiesenwerden:Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr . André Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEParlamentarische Kontrolle der nachrichten-dienstlichen Tätigkeit des Bundes verbessernDrucksache 18/6645Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss HaushaltsausschussIch frage Sie, ob es dazu Einwände gibt . – Das istnicht erkennbar . Dann sind diese Ergänzungen und Än-derungen so beschlossen .Wir setzen nun die Haushaltsberatungen – Tagesord-nungspunkt I – fort:a) Zweite Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2016
Drucksachen 18/5500, 18/5502b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-haltsausschusses zu der Unter-richtung durch die BundesregierungFinanzplan des Bundes 2015 bis 2019Drucksachen 18/5501, 18/5502, 18/6127Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt I .13 auf:Einzelplan 09Bundesministerium für Wirtschaft und Ener-gieDrucksachen 18/6109, 18/6124Berichterstatter sind die Abgeordneten Thomas Jurk,Andreas Mattfeldt, Roland Claus und Anja Hajduk .Zum Einzelplan 09 liegen zwei Änderungsanträge derFraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .Des Weiteren liegt ein Entschließungsantrag derFraktion Die Linke vor, über den wir morgen nach derSchlussabstimmung abstimmen werden .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 125 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Diether Dehm für die Fraktion Die Linke .
Guten Morgen, Herr Präsident! Sehr verehrte Damenund Herren! Auch dieser Wirtschaftsminister offeriert –genauso wie schon Brüderle und Rösler – Exportüber-schüsse als besonderen Ausdruck deutscher Tüchtigkeit .Sicher, wir haben tolle Erfinder, sieht man einmal vonder Diesel-Gate-Software ab . Näheres dazu lässt sichim Dieter-Hallervorden-Song „Oh je, Vau Weh“ finden.Aber verdammt noch mal, wenn unsere Arbeiter so tüch-tig sind, dann müssen wir doch mit den Gewerkschaftenfür viel höhere Löhne kämpfen! Das predigte HelmutSchmidt zeitlebens . Wo sich Produktivität verzehnfacht,muss die Kaufkraft nachziehen . Sonst gerät die Volks-wirtschaft in Rezession und Deflation. Das betrifft heuteden gesamten Euro-Raum .In Wahrheit stagnierten in den letzten 15 Jahren diePro-Kopf-Reallöhne bei uns, während die Profite derGroßkapitalisten um 70 Prozent explodiert sind . Deut-sches Lohndumping, Steuerdumping und Kaputtsparendes Sozialstaats haben Exportprodukte und Arbeit sobillig gemacht, dass Südeuropa nur noch mit Kreditenüberleben kann . Nur noch 50 Prozent der Beschäftigtenarbeiten hierzulande unter Bedingungen eines Flächen-tarifvertrages . Die andere Hälfte der Beschäftigten hatheute ein Einkommen, das 17 Prozent unter dem des Jah-res 2000 liegt . 8,6 Prozent der Erwerbstätigen leben un-terhalb der Armutsgrenze . Unter den Erwerbslosen sindes sogar 69,3 Prozent, wesentlich mehr als in jedem an-deren EU-Staat . Wohlgemerkt: Wir sind hier schlechterals Griechenland, Spanien und Bulgarien .Die KfW bilanziert: Bei den Realinvestitionen kürzenBundesregierung und Monopolkapitalisten gleicherma-ßen . Sie investieren mindestens 25 Prozent zu wenig indie Straßenerhaltung und die Infrastruktur . Die Kommu-nen können dank Schuldenbremse nicht einmal die Hälfteihrer Hausaufgaben lösen . Laut DIW weist Deutschlandseit 1999 eine addierte Investitionslücke von 1 BillionEuro auf . Der Trend der letzten 25 Jahre führt stracks indie Finanzspekulation. Noch 1991 flossen 40 Prozent desKapitals in Maschinen und andere Güter der Realwirt-schaft . Heute liegt der Wert bei unter 10 Prozent . HerrGabriel, haben Sie nicht einmal das Wort „Finanzhaie“plakatiert, und wollten Sie diese nicht ausrotten? Heutebetreiben Sie eine ganze Finanzhaiaufzucht .
Am 22 . Januar in Davos erlaubten Sie sich, Herr Gabriel, TTIP-Kritiker als hysterisch zu beschimpfen .Sie verzauberten die skeptische SPD-Basis mit dem Satz,alles habe Recht und Ordnung . Dazu nur zwei Urteile:Erstens . Am 17 . November entschied der EuropäischeGerichtshof, dass die öffentliche Hand die Vergabe vonAufträgen von der Zahlung eines Mindestlohns abhän-gig machen darf . CETA jedoch, das Gesellenstück fürTTIP, würde das alles außer Kraft setzen, schützt alsonicht einmal europäisches Recht . Es ist ein Leichtes fürUS-Konzerne, in Kanada einen Briefkasten anzumeldenund dann in Europa Armutslöhne zu zahlen .Zweitens . Anfang November wurde Ecuador vomSchiedsgericht der Weltbank zur Zahlung von 1,1 Milli-arden Dollar an den US-amerikanischen Ölkonzern Oxyverurteilt . Zwar erkannte das Gericht an, Oxy habe ge-gen ecuadorianisches Recht verstoßen, ging aber davonaus, dass die Firma durch den Staat benachteiligt wurde .Schöne neue Welt für Finanzhaie! Es ist diskriminierend,Präsident Dr. Norbert Lammert
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wenn mit TTIP und CETA Konzerne Staaten verklagendürfen, aber demokratisch gewählte Regierungen nie-mals einen Konzern .
Wenn Profitsicherung demokratische Entscheidungenaushebelt, lieber Sigmar Gabriel, dann nannten wir dasdoch gemeinsam in unserer „Sozialistischen JugendDeutschlands – Die Falken“ staatsmonopolistische Plan-wirtschaft, du in Goslar, ich in Hessen . Waren wir alledamals hysterisch?In Hamburg hat der Senat die Umweltauflagen für dasKohlekraftwerk Moorburg aufgeweicht aus Angst voreinem Schiedsgericht . Die von der EU unterdrückte Bür-gerinitiative gegen TTIP hat mittlerweile 3,4 MillionenUnterstützer – alle Hysteriker? –, davon 1 900 deutscheMittelständler und Handwerker . Wer wie ich als Unter-nehmer im Internet unterzeichnen möchte: www .kmu-gegen-ttip .de .Aber was der Konzernminister Gabriel heute vomMittelstand hält, zeigen folgende Zahlen: Sein Gesamt-etat umfasst 7,5 Milliarden Euro; davon gehen 1,6 Mil-liarden Euro an Konzerne, die Luft- und Raumfahrtbetreiben und nebenbei auch ein bisschen Rüstung, derMittelstand hingegen bekommt im Rahmen des Zentra-len Innovationsprogramms Mittelstand, ZIM, gerade ein-mal läppische 538,5 Millionen Euro .Abschließend noch ein Wort zum Umgang mit unsTTIP-Hysterikern . Sollten die Regierungschefs TTIPdoch noch nicht als gemischtes Abkommen verabschie-den, sodass nationale Parlamente nicht darüber abstim-men dürfen, werden wir Linke klagen . Den 250 000, dieam 10 . Oktober mit uns in Berlin demonstriert haben,sage ich: Wir werden immer mehr, und wir werden wei-ter kämpfen für fairen Handel . Um den Entwicklungshil-feminister Gerd Müller zu zitieren, der sagte: für fairenHandel statt Freihandel .Ich danke für die Aufmerksamkeit .
Das Wort erhält der Kollege Thomas Jurk für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Wir haben den Etat des Bundes-ministeriums für Wirtschaft und Energie bei den Haus-haltsberatungen an mehr als 70 Stellen verändert . Siehaben das Glück, dass mir meine begrenzte Redezeitnicht erlaubt, auf alle diese Änderungen einzugehen . Ichbeschränke mich auf einige wesentliche Ergebnisse derBeratungen .Für das kommende Jahr sind im Einzelplan 09 jetztAusgaben von 7,622 Milliarden Euro vorgesehen,94,8 Millionen Euro mehr als ursprünglich im Haus-haltsentwurf geplant . Bei meiner Rede zur ersten Lesungdes Bundeshaushaltes hatte ich bereits angesprochen,wo wir als Koalition aus meiner Sicht noch nachsteuernmüssen . Das haben wir tatsächlich auch getan .So wurden die Mittelansätze für das Zentrale In-novationsprogramm Mittelstand sowie bei der Indus-triellen Gemeinschaftsforschung und im Programm INNO-KOM-Ost um rund 7 Millionen Euro angehoben .Damit kann die Förderung auf dem bisherigen bereitshohen Niveau weiter fortgesetzt werden . Wir haben dieMittel für den innovativen Schiffbau um 10 MillionenEuro erhöht und gleichzeitig den Kofinanzierungsanteilder Länder in diesem Programm von 50 Prozent auf einDrittel abgesenkt .
– Der Beifall kommt völlig zu Recht;
denn damit stärken wir auch die maritime Wirtschaft inDeutschland .
– Jetzt ist es auch dort angekommen, schön .Die Digitalisierung der Wirtschaft ist die zentrale wirt-schaftspolitische Herausforderung für Deutschland . Des-halb erhält die Förderinitiative des Bundeswirtschaftsmi-nisteriums „Mittelstand 4 .0 – Digitale Produktions- undArbeitsprozesse“ 11 Millionen Euro mehr als im Haus-haltsentwurf vorgesehen . Damit sollen im Jahr 2016 fünfzusätzliche Kompetenzzentren für den Mittelstand einge-richtet werden . Darüber hinaus werden die Mittel für dieInitiative „Industrie 4 .0“ um 1 Million Euro aufgestockt,um die Entwicklung international anerkannter Normenund Standards stärker fördern zu können .Insgesamt stehen damit im kommenden Jahr für dieDigitalisierung der Wirtschaft im Einzelplan 09 knapp100 Millionen Euro zur Verfügung, über 20 MillionenEuro mehr als im Jahre 2015. Ich finde, das kann sichdurchaus sehen lassen .
Zentral ist ebenso die Förderung junger innovativerUnternehmen . Deshalb heben wir 2016 das Zuschussvo-lumen für Wagniskapitalinvestitionen im INVEST-Pro-gramm um 10 Millionen Euro auf 30 Millionen Euro an .Das ist eine Anhebung von immerhin 50 Prozent . Auchmit diesem Ergebnis brauchen wir uns wahrlich nicht zuverstecken .
Über das Auslaufen des erfolgreichen Batteriespei-cherprogramms für Photovoltaikanlagen gab es einigeDiskussionen . Das Programm ist bis zum 31 . Dezember2015 befristet . Die ursprünglichen Ziele des Programmssind erreicht, so sagt es die Evaluierung . Wir stehen vorÄnderungen im Strommarktdesign, in welchem auf dieDr. Diether Dehm
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verschiedenen Flexibilisierungsoptionen ein stärkeresAugenmerk gelegt werden wird . Dies spricht dafür, dassdas Programm wie geplant ausläuft .Es gibt aber auch andere Argumente . Erstens indus-triepolitisch . Es handelt sich bei der PV-Branche um eineBranche, die sich gerade wieder erholt . Da sind Markt-anreize wichtig . Zweitens energiepolitisch . Im neuenStrommarkt brauchen wir einen fairen Wettbewerb allerFlexibilisierungsoptionen . Das schließt aber eine gezieltesystemdienliche Förderung von Batteriespeichern nichtaus . Sie muss jedoch der Systemintegration der erneuer-baren Energien dienen .Vor diesem Hintergrund habe ich mit dem Wirtschafts-ministerium über eine mögliche Förderung von Batterie-speichern intensiv diskutiert . Als Ergebnis wird es vo-raussichtlich ein neues, an die derzeitigen Anforderungenfür den Strommarkt angepasstes Programm geben .
Vor dem Hintergrund der Diskussion zur CO2-Minde-rung im Stromsektor – dort insbesondere bei der Braun-kohle – mag man mir unterstellen, ich sei als LausitzerBundestagsabgeordneter parteiisch . Vielleicht bin ich alsLausitzer, Sachse und Ostdeutscher auch nur besonderssensibel; denn aufgrund der wirtschafts- und arbeits-marktpolitischen Bedeutung der Braunkohle für die be-troffenen Regionen wird es in ihnen zu einem weiterenStrukturwandel kommen .Ich möchte darauf hinweisen, dass wir in meiner Re-gion seit 1990 nichts anderes als permanenten Struktur-wandel betreiben . Um diesen Wandel abzufedern und eindeutliches Signal an die betroffenen Regionen zu senden,unterstützt der Bund ab 2016 jährlich den Strukturwandelmit mindestens 4 Millionen Euro aus Mitteln des Ener-gie- und Klimafonds . Ziel ist es, abrupte Strukturbrüchezu verhindern, industrielle Kerne zu sichern und die regi-onale Wirtschaftsstruktur weiterzuentwickeln . Ich freuemich, dass wir dieses Zeichen in dieser Zeit setzen kön-nen .
Zum Ende meiner Rede möchte ich kurz noch auf ei-nen Beschluss eingehen, der vordergründig nichts mitGeld zu tun hat, aber umso wichtiger ist . Die Physika-lisch-Technische Bundesanstalt und die Bundesanstaltfür Materialforschung und -prüfung unterhalten teilweiseweltweit einmalige wissenschaftlich-technische Infra-strukturen wie Laboratorien und Reinräume . Um inter-national konkurrenzfähig zu bleiben sowie mit aktuellentechnologischen Entwicklungen mitzuhalten, müssendiese Infrastrukturen kontinuierlich und vor allem inkürzester Zeit weiterentwickelt werden . Leider war diesin der Vergangenheit aufgrund der komplizierten Bau-planungs- und Genehmigungsverfahren nicht immer derFall .Wir haben deshalb neue Haushaltsvermerke für dieentsprechenden Bautitel eingefügt . Damit soll sich dieDauer von Bauvorhaben deutlich verkürzen . Dies liegtnicht zuletzt auch im Interesse der deutschen Wirtschaft,welche von diesen wissenschaftlich-technischen Infra-strukturen profitiert.
Abschließend – das ist man von Haushältern schonfast gewohnt – möchte ich mich an dieser Stelle beiallen Mitberichterstattern sowie den Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern des Bundeswirtschaftsministeriums,insbesondere des Haushaltsreferats, und natürlich auchunseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Abge-ordnetenbüros ganz herzlich für die erneut gute und ver-trauensvolle Zusammenarbeit bedanken .Ein Wort zum Schluss sei mir noch gestattet, damitwir uns nicht nur selbst beweihräuchern . Ich danke allenam Wirtschaftsprozess Beteiligten in Deutschland, Un-ternehmerinnen und Unternehmern, Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmern für ihre fleißige Arbeit, die uns dieSteuern und Sozialversicherungsbeiträge zur Verfügungstellen, die es ermöglichen, dass Deutschland auch in an-gespannten Zeiten gut durch die Zeit kommt .Herzlichen Dank .
Das Wort erhält nun die Kollegin Anja Hajduk für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Mir bleiben nach den intensiven Haushaltsberatun-gen mehr Fragen, als dass wir vom Wirtschaftsministereine klare Orientierung bekommen hätten, wo es dennmit der Wirtschafts- und Energiepolitik unseres Landeshingehen soll .Erster Punkt: Investitionsoffensive . Herr Minister,Herr Gabriel, Sie haben Anfang November am Tag derDeutschen Industrie bemängelt: Schon seit zehn Jahrenist die Investitionsquote viel zu niedrig .Sie haben mit Herrn Fratzscher und anderen eineKommission eingesetzt, die für eine Investitionsoffensi-ve Vorschläge erarbeiten soll . Und wo stehen wir im No-vember 2015, Mitte der Legislaturperiode? Keine Um-setzung . Sie haben versprochen: Diese Vorschläge ausder Kommission wird die Politik nicht in die Schubladestecken, sondern sie wird sie wirklich umsetzen . Aberwir können davon nichts erkennen . Dabei wird dort zumBeispiel eine Investitionsregel vorgeschlagen, die denWerteverzehr des öffentlichen Vermögens schützt . Wirschlagen das in diesen Haushaltsberatungen vor .Ansonsten bleiben nur Fragen: Was ist mit der Stär-kung von kommunalen Infrastrukturprojekten? Was sinddie Instrumente, Herr Gabriel, mit denen man es wirklichschafft, eine Strategie zu entwickeln, durch die wir beiThomas Jurk
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den öffentlichen Investitionen „Sanierung und Erhalt vorNeubau“ zustande bringen?
Studien belegen, dass gerade in einer entwickelten Volks-wirtschaft die bestehende Infrastruktur eine ausschlagge-bende Wachstumsdeterminante ist . Sie kommen nicht zuPotte, Herr Gabriel . Dabei sollte das im Zentrum IhrerAufmerksamkeit stehen .
Ich muss noch etwas ergänzen zum Thema Investiti-onen in Ihrem Verantwortungsbereich, dem Wirtschafts-ministerium, was den sogenannten EKF, den Energie-und Klimafonds, angeht . Ich weiß gar nicht, ob Ihnendas bewusst ist: In der Nacht der Bereinigungssitzung imRahmen der Haushaltsberatungen, morgens gegen 3 Uhr,hat die Große Koalition beschlossen, die Verpflichtungs-ermächtigungen in der gesamten Finanzplanperiode um7 Prozent zu kürzen . Wissen Sie, was das für Ihren Haus-halt bedeutet? 380 Millionen Euro weniger für Investiti-onen in dieser Periode .Nehmen wir einmal ein markantes Beispiel: DasCO2-Gebäudesanierungsprogramm ist großartig auf-gestockt worden, um 200 Millionen Euro . Darüberhaben wir uns sehr gefreut . Wenn wir auf das 1,9-Mil-liarden-Euro-Gebäudesanierungsprogramm diese 7-Pro-zent-Regel anwenden, dann stellen wir fest: Wir kürzenim selben Atemzug um 135 Millionen Euro . Das ist eineinkonsistente Politik .
Sie können sich mit gehaltvollen Investitionen nichtdurchsetzen . Das ist ein Armutszeugnis . Hinzu kommenfehlende steuerliche Maßnahmen für die Förderung vonPrivatinvestitionen bei kleinen und mittleren Unterneh-men; da sind Sie seit zwei Jahren völlig blank . Stattdes-sen sollten Sie hier endlich einmal eine sehr überzeu-gende Maßnahme wie steuerliche Anreize durchsetzen .Doch auch das packen Sie nicht an .Insofern bleibt eine zweite große Frage: Wo ist eigent-lich der Industrieminister, der Sie, glaube ich, sein woll-ten, der beherzt eine ökologische Orientierung unsererIndustrie voranbringt? Wir stehen jetzt vor Paris .
– Wir stehen jetzt vor dem Pariser Gipfel, Entschuldi-gung . Was ich gesagt habe, löst komische Assoziationenaus . Ich möchte das korrigieren .
Ich werde den Kollegen in der Nationalversammlung
unterrichten, sodass keine Missverständnisse entstehen,
Frau Hajduk .
Herr Präsident, vielen Dank .Der Pariser Gipfel – das hat gestern auch die Kanzle-rin betont – kann ein starkes Symbol sein und ein wich-tiges Signal setzen . Wenn wir aber schauen: „Wo stehenwir selber, Deutschland, mit dem Erreichen unserer Kli-maschutzziele?“, dann kann ich Ihnen nur sagen, HerrGabriel: Sie schaffen es, eine Energiepolitik zu betreiben,durch die wir die Klimaschutzziele gar nicht mehr errei-chen können, und gleichzeitig fehlt eine soziale Ausrich-tung Ihrer Energiepolitik . Wir haben es mit dem Faktumzu tun, dass die mit der Energiewende verbundenen Zielenicht erreicht werden, und gleichzeitig wurde noch nieso vielen Verbrauchern Strom und Gas abgedreht wie in2015 . Das ist die traurige Bilanz . Das hat auch damit zutun, dass wir beim Netzausbau nicht vorankommen, dassder Umfang der Abregelung der Einspeisung von Stromaus Erneuerbaren so groß ist wie noch nie . Da müsstenSie eigentlich viel stärker gegensteuern .
Was Sie in diesem Jahr zu verantworten haben, ist,dass Sie eine Kohleabgabe nicht durchsetzen konnten,sich aber eine Kohlereserve in einer Größenordnung von1,6 Milliarden Euro eingefangen haben . Dabei ist derAusstieg aus der Kohleverstromung der Trend, den wirinternational beobachten können . Ich kann Ihnen nur zu-rufen:
Die Kanzlerin hat uns gestern in einer sehr eindringli-chen Rede zu neuem Denken aufgefordert .
Ich sage Ihnen: Kohleverstromung, das ist altes Denken .Gerade in dem Zusammenhang von Klimaschutz undFlüchtlingsbewegungen kann ich Ihnen nur sagen: MehrMut auch in der Industriepolitik zu neuem Denken . Nurdann entsteht eine insgesamt glaubwürdige Strategie fürdie Industrienation Deutschland daraus .
Letzter Punkt . Herr Gabriel, noch eine Frage . Sie ha-ben jetzt einen Vorschlag gemacht – in einem Brief . Dasist auch witzig: Der Vizekanzler schreibt zusammen mitdem französischen Kollegen Macron einen Brief an dieKanzlerin und den französischen Präsidenten: Wir schla-gen vor einen gemeinsamen Fonds von 10 MilliardenEuro zur Bewältigung der Flüchtlingskrise .Das Thema ist wichtig . Ich denke da auch an dieAnrainerstaaten rund um den regional so schrecklichenKonflikt in Syrien. Da muss reagiert werden. Aber be-antworten Sie mir bitte mal die Frage: Soll das jetzt hierAnja Hajduk
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unsere Haushaltsberatungen noch berühren? 10 Milliar-den Euro sind kein Pappenstiel . Ist es nicht besser, dieetablierten Ebenen der EU mit ihren Mitteln und Wegenzu nutzen?Herr Minister, Sie sind Vizekanzler dieses Landes . Siekönnen solche richtigen Fragen nicht mal so locker wiemit einem offenen Ideenwettbewerb über die Medien be-dienen . Das kann man nicht ernst nehmen . Sorgen Siedafür, dass Sie das hier heute in Ihrer Rede klären!Schönen Dank .
Andreas Mattfeldt ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mei-ne vergangenen Reden zum Abschluss der Haushaltsbe-ratungen zum Wirtschaftsministerium waren immer vonden wirtschaftlichen Rahmendaten geprägt . Fast schonerfolgsverwöhnt konnten wir uns über eine langanhalten-de, aber vor allen Dingen auch anständige wirtschaftlicheEntwicklung freuen, von der vor allem der Arbeitsmarktund infolgedessen auch die Haushalte von Bund, Län-dern, aber auch Kommunen durch sprudelnde Steuerein-nahmen profitierten. Dies gilt auch für das Haushalts-jahr 2016 .Meine Damen und Herren, diesem Land geht es nun-mehr seit einigen Jahren sehr gut . Durch unsere wirt-schaftliche Stärke haben wir uns große Aufgaben zu-getraut . So haben wir beschlossen, eine Energiewendeeinzuleiten, die in Art und Umfang für eine Volkswirt-schaft unserer Größenordnung einmalig ist und die beiErfolg auch für andere Nationen beispielhaft sein kann .Auch die Bewältigung der Verschuldungskrise im Eu-ro-Raum wäre ohne die wirtschaftliche Stärke Deutsch-lands, so bin ich sicher, nur schwerlich zu bewältigengewesen . Aber auch erhebliche Mehrausgaben für sozi-ale Wohltaten wie zum Beispiel bei der Rente oder auchdie massive Entlastung der Kommunen konnte der Bundscheinbar mühelos schultern .
Mehrausgaben bei Infrastrukturprojekten wie zum Bei-spiel für den immer noch nicht fertiggestellten Flugha-fen in Berlin-Schönefeld kann dieses Land anscheinendspielend verkraften . – Damit habe ich nur ganz wenigeausgaberelevante Themen genannt .Die größte Herausforderung – da müssen wir, glaubeich, jetzt aufpassen, dass wir uns nicht verheben – stehtuns erst noch bevor . Das Thema der Bewältigung derbisher größten Fluchtbewegung bestimmte deshalb nichtnur diese Woche die Debatten, sondern auch die gesam-ten Haushaltsberatungen . Die Flüchtlingsbewegung wirdganz sicher unser politisches Handeln auch in den kom-menden Jahren noch bestimmen . Dabei mag ich mir garnicht vorstellen, wie die Situation in Deutschland ausse-hen würde, wenn wir die derzeitigen Flüchtlingszahlenbei wirtschaftlicher Rezession, bei Haushaltsdefiziten,bei hoher Arbeitslosigkeit bewältigen müssten . Schonhieran sehen Sie, dass die Bewältigung des Flüchtlings-stroms – neben allen sozialen Problemen – vor allemauch ein großes Wirtschaftsthema ist .Ja, Herr Vizekanzler, dieses Land ist stark . Bei unse-rer demografischen Entwicklung kann dieses Land si-cherlich auch Zuwanderung verkraften; nein, ich bin mirsicher: Diese Zuwanderung ist sogar notwendig, um un-sere großen sozialen Aufgaben auch in den kommendenJahrzehnten bewältigen zu können .
Was wir aber nicht bewältigen können, das ist die Ge-schwindigkeit, und das ist die Anzahl der zu uns kom-menden Menschen . Bei dieser Geschwindigkeit und beidieser Anzahl ist eine Integration in unser gesellschaftli-ches System und in den Arbeitsmarkt nach meiner festenÜberzeugung nahezu unmöglich .Herr Vizekanzler, ich bin seit über 25 Jahren an vor-derster Front in der Politik aktiv, sowohl im kommunalenBereich wie auch auf bundespolitischer Ebene, 15 Jahredavon hauptberuflich. Jede politische Herausforderung,jedes Gesetz habe ich, ob es mir nun passte oder nicht,vor allem auch als Bürgermeister, umgesetzt – ganz nachdem Motto: Man jammert nicht; man löst das Problem .
Das erste Mal habe ich als politischer Entscheidungsträ-ger in diesen Monaten den Eindruck, dass wir als Staats-gewalt die Kontrolle in der Flüchtlingskrise verloren ha-ben .
Wir haben die Kontrolle verloren, vielleicht auch, weilwir uns nicht trauen, unpopuläre Dinge auszusprechenund durchzusetzen, zum Beispiel, dass die Aufnahme-kapazität von Flüchtlingen in diesem Land überschrittensein dürfte
und auch Rückweisungen kein Tabu mehr sein dürfen
– Sie dürfen sich gerne melden; ich bin gerne bereit, Zwi-schenfragen zu beantworten; dann hören das auch alle –,aber auch – da schaue ich auf die leider sehr spärlich be-setzte Länderbank –, dass wir Rückführungen von nichtAnja Hajduk
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bleibeberechtigten Personen in nennenswerter Anzahlderzeit einfach nicht umsetzen .
Liebe Kollegen aus den Ländern, das ist Ihre Aufgabe,und ich fordere Sie eindringlich auf, Rückführungenkonsequent durchzuführen, damit wir auch zukünftigden wirklich von Verfolgung bedrohten Menschen Hilfebieten können . Wir brauchen zwingend und dringend einsolches Signal .Meine Damen und Herren, wir dürfen unser Landnicht überfordern . Gerade deshalb ist es wichtig, dasswir bei der Aufstellung von Haushalten auch zukünftigmaßhalten . Leider habe ich den Eindruck, dass in nahe-zu allen Ressorts die Flüchtlingskrise dazu genutzt wird,um erheblichen Stellenaufwuchs und Mehrausgaben zubegründen .
Ich habe schon die Befürchtung, dass dauerhaft durchein solches Verhalten alle Dämme brechen und eine Poli-tik der schwarzen Null im Haushaltsbereich aufgegebenwerden soll . Ich halte das für den absolut falschen Weg .Als Berichterstatter für das Wirtschaftsministeriummöchte ich dazu beitragen, dass es uns gelingt, die wirt-schaftlichen Rahmenbedingungen auch zukünftig positivauszugestalten, damit zum Beispiel gerade die wirtschaft-lich wichtigste Säule und der Stabilitätsfaktor unsererVolkswirtschaft, nämlich der Mittelstand, auch zukünftigerfolgreich ist . Eine Eintrübung der wirtschaftlichen Lagekönnen wir in den kommenden Jahren weiß Gott nichtmehr bewältigen . Deshalb kommt diesem Wirtschaftsetateine besondere, ja sogar außergewöhnliche Bedeutungzu . Insgesamt umfasst der Haushalt von Minister Gabrielim Jahr 2016 7,622 Milliarden Euro und erfährt damiteinen Aufwuchs in Höhe von über 95 Millionen Eurogegenüber dem eingebrachten Regierungsentwurf . EinGroßteil hiervon, nämlich über 40 Millionen Euro, fließtsogar in das CO2-Gebäudesanierungsprogramm .Ganz wichtig, meine Damen und Herren, war uns dieAusweitung der Fördermittel für den Mittelstand . Hierhaben wir insgesamt 21 Millionen Euro mehr bereitge-stellt, als vom Ministerium ursprünglich beantragt war .Ich möchte gar nicht weiter darauf eingehen, wie wichtigder Mittelstand für die Wirtschaftskraft unseres Landesund für Arbeitsplätze ist . Das hören die jeden Tag . Sa-gen darf ich aber, dass ich mich sehr gefreut habe, dassein Unternehmen aus meinem Wahlkreis durch unsereUnterstützung einen sogenannten Tankreinigungsrobo-ter – der Arbeitsname T-REX gefiel mir sehr gut – ent-wickeln konnte . Dadurch konnten nicht nur Arbeitsplät-ze in erheblichem Umfang geschaffen werden, sonderndies hat dem Unternehmen sogar auch den DeutschenArbeitsschutzpreis 2015 eingebracht . Auch dies ist, wieich meine, ein schöner Nebeneffekt unserer Förderung;denn gerade Arbeitsschutz wird auch heute noch zu we-nig in den Blickpunkt gerückt und manches Mal leidervernachlässigt .Außerdem war es uns wichtig, die Gelder für die Un-terstützung der Wirtschaft bei Auslandsmessen wiederanzuheben . Hier wurde eine Kürzung in Höhe von circa0,5 Millionen Euro zurückgenommen . Ich habe mich ge-freut, dass dies auch mein Koalitionskollege und Mitbe-richterstatter – lieber Thomas, herzlichen Dank dafür – sogesehen hat . Wir konnten durch kluge Umschichtungensogar circa 2 Millionen Euro mehr für Auslandsmessenbereitstellen . Gerade die Präsenz des Wirtschaftsminis-teriums auf Messen im Ausland bietet für kleine und fürmittelständische Unternehmen die Möglichkeit, sich mitsehr geringem Aufwand zu präsentieren und so Umsatz-und Marktanteile weltweit zu sichern .Als Norddeutscher habe ich mich gefreut, dass es unsgelungen ist, die maritime Wirtschaft und die damit ver-bundenen Chancen für die Schaffung und den Erhalt vonArbeitsplätzen in den Blickpunkt zu rücken . Insgesamthaben wir für den Schiffbau 10 Millionen Euro zusätz-liche Fördermittel für technische Innovationen bereit-gestellt . Ich bedaure sehr, dass mein Heimatland Nie-dersachsen die maritime Wirtschaft nunmehr schon seiteinigen Jahren sehr stiefmütterlich behandelt, obwohlgerade Niedersachsen von diesen Mitteln massiv profi-tieren könnte .
Leider hat sich Niedersachsen, gerade in den letzten dreiJahren, geweigert, die notwendige Kofinanzierung derFörderung mitzutragen,
sodass niedersächsische Schiffbauunternehmen hiervonnicht profitierten.
Ich hoffe sehr, da auch noch der Länderbeitrag von unsHaushältern massiv gesenkt wurde und er ab nächstemJahr nur noch ein Drittel – vormals waren es 50 Pro-zent – beträgt, dass sich Niedersachen seiner Verantwor-tung bewusst wird und die Blockadehaltung aufgibt . HerrMinister, vielleicht können auch Sie mit Ihren nieder-sächsischen Verbindungen noch einmal vermitteln .
Eine weitere Branche, die ich für wichtig halte undüber die viele in unserem Land am liebsten gar nichtsprechen, ist die Rüstungsindustrie . Dabei verkennt man,dass auch hier inklusive der Zulieferbetriebe nahezu350 000 Menschen Beschäftigung finden, die mit ihremKnow-how auch die Verteidigungsfähigkeit unseres Lan-des und der westlichen Wertegemeinschaft sichern .
Andreas Mattfeldt
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Herr Minister, ich glaube, wir sollten uns schnell darüberunterhalten, ob wir mit der auch von Ihrer Seite verbalunterstrichenen restriktiven Rüstungspolitik nicht überdas Ziel hinauslaufen .
Hiermit meine ich keinesfalls die Diskussion um Pan-zerlieferungen in problematische Regionen, sondernerheblich unproblematischer gelagerte Fälle . Es kanndoch nicht sein, dass Mitarbeiter im Ministerium und imBAFA mittlerweile so verunsichert sind, dass selbst derExport von gepanzerten Limousinen für die UNO nurschwerlich möglich ist
oder Genehmigungen für Sonargeräte zur Küstensiche-rung in unproblematischen Ländern nur nach heftigsterIntervention von Parlamentariern erfolgen . Von viel zuspät gelieferten schusssicheren Westen in die Ukrainemag ich schon gar nicht mehr sprechen .Im Ausland wird von der Konkurrenz schon mit demLabel „german-free product“ geworben, sodass ich be-fürchte, dass Arbeitsplätze massiv gefährdet sind und insAusland verlagert werden . Ich jedenfalls halte das für ge-fährlich, meine Damen und Herren .
Eine besondere Bedeutung für die deutsche Wirtschafthat natürlich auch die Luftfahrt . Hier haben wir vor kur-zem erneut gute Nachrichten aus dem Hause Airbus ge-hört . Die Chinesen haben 130 Flugzeuge vom Typ A320und A330 bestellt . Aber gleichzeitig bekommt Airbus –das haben wir auch gelesen – enorme Konkurrenz ausChina, das bekanntlich ein eigenes Mittelstreckenflug-zeug entwickelt und demnächst in Serie bauen will .Airbus hat damit weitere ernstzunehmende Konkurrenzbekommen . Aber wir kennen das Unternehmen: Die wer-den sich mit Sicherheit noch mehr ins Zeug legen; dennWettbewerb belebt bekanntlich das Geschäft . Und ich binsicher, dass der Deutsche Bundestag dieses erfolgreicheUnternehmen, an dem wir als Bundesrepublik Deutsch-land nicht unerheblich beteiligt sind, auch zukünftig imRahmen der notwendigen Möglichkeiten unterstützenwird .Meine Damen und Herren, zum Schluss meiner Redemöchte ich Danke sagen, Danke sagen Ihnen ganz per-sönlich, Herr Minister,
aber ganz besonders auch Ihrem Staatsekretär RainerSontowski sowie dem gesamten Haushaltsreferat . Ichdanke auch den Kolleginnen und Kollegen Berichterstat-ter für den Einzelplan 09 . Die Haushaltsberatungen ha-ben trotz der Arbeitsintensivität Spaß gemacht, und dasliegt nicht zuletzt am guten Miteinander, das wir pflegen.Ich bitte um Zustimmung zum Einzelplan, dem auch dieOpposition mit ruhigem Gewissen zustimmen könnte .Danke schön .
Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Hubertus
Heil das Wort .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Normalerweise ist es in diesem Haus immer so, dassin Haushaltsberatungen abwechselnd Vertreter der Re-gierungsfraktionen und der Oppositionsfraktionen spre-chen . Heute ist das einmal anders .
Als ich die Rednerliste gesehen habe, dachte ich, ichspreche nach einem Kollegen einer Regierungsfraktion,nämlich nach Herrn Mattfeldt von der CDU/CSU-Bun-destagsfraktion . Mit Verlaub, Herr Mattfeldt, Teile IhrerRede waren eher eine Oppositionsrede .
Das sollten Sie mit Ihrer Parteivorsitzenden besprechen .
Herr Mattfeldt, ich meine das ganz ernst . Die Weltscheint aus den Fugen geraten zu sein . Viele Menschenmachen sich Sorgen . Die wahnsinnigen Anschläge in Pa-ris, in Bamako, in Beirut und an vielen anderen Ortender Welt haben Furcht, haben Entsetzen verbreitet . Wirhaben heftige internationale Konflikte, ja, und – Sie ha-ben es erwähnt – wir haben in Europa, vor allen Dingenin Deutschland, eine riesige Fluchtbewegung zu bewälti-gen . An dieser Stelle ist es wichtig, sich nicht klein-kleinmit Stimmungen auseinanderzusetzen, sondern Verant-wortung zu übernehmen . Ohne Zweifel, wir müssen dieFlüchtlingsbewegung in den Griff bekommen und staat-liche Handlungsfähigkeit zeigen . Als Abgeordneter einerRegierungsfraktion darf man aber nicht staatlichen Kon-trollverlust bejammern, sondern man muss seinen Bei-Andreas Mattfeldt
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trag dafür leisten, dass wir staatliche Kontrolle bekom-men, Herr Mattfeldt .
In einem sind wir uns dann wieder einig – da sind wirdoch Regierungspartner –: Wir müssen mit Realismusdiese Herausforderungen angehen; wir können es aberauch mit Zuversicht tun; denn die ökonomische Stärkeunseres Landes versetzt uns in die Lage, auch mensch-liche Stärke zu zeigen . Die ökonomische Stärke unseresLandes verleiht uns politisches Gewicht in Europa und inder Welt und überträgt uns die politische Verantwortung,zu handeln .Wir reden ja über den Haushalt des Bundeswirt-schaftsministeriums . Stellen Sie sich einmal vor, wirwären in einer anderen ökonomischen Lage mit diesenHerausforderungen konfrontiert . Mir wäre dann wirklichangst und bange . Aber wir haben ökonomische Stärke,und diese ist an Kennziffern festzumachen: die nied-rigste Arbeitslosigkeit seit der deutschen Einheit, einWirtschaftswachstum – bei allen weltwirtschaftlichenErschütterungen – von immerhin 1,7 Prozent in diesemJahr und ein prognostiziertes Wachstum von 1,6 Prozentim nächsten Jahr, also ein robustes Wirtschaftswachstum,und ein Geschäftsklima in der deutschen Wirtschaft nachdem ifo-Geschäftsklimaindex, das zeigt, dass die deut-schen Unternehmen trotz all dieser Herausforderungenzuversichtlich in die Zukunft schauen . Das, meine Da-men und Herren, verleiht uns die Stärke, die zugegebe-nermaßen großen Herausforderungen zu bewältigen .Herr Mattfeldt, Sie haben erwähnt, wie lange Sie po-litisch tätig sind . Auch ich bin seit 1998 Mitglied diesesHauses, seit 17 Jahren . Wir haben viele Krisen erlebt undviele schwierige Zeiten zu bewältigen gehabt . Ich kannmich an den Kosovo-Krieg erinnern, an 9/11, an innen-politische Auseinandersetzungen um die Agenda 2010,an Bankenkrisen, an vieles andere mehr . Ich gebe zu, dieHerausforderungen von heute sind andere, und sie sindgrößer . Aber ich glaube, wenn der Satz „Wir schaffendas“ keine reine Durchhalteparole sein soll, dann müs-sen wir auch sagen, wie wir es schaffen . Das heißt, wirmüssen gerade angesichts der Herausforderungen unse-ren Job tun,
damit wir die wirtschaftliche Stärke erhalten und wir dasmenschlich anständig hinbekommen . Genau das tut dieseBundesregierung, meine Damen und Herren .
Ich will das deutlich sagen; denn jenseits des Zerrbil-des, das die Linke hier beschrieben hat, sind die wirt-schaftliche Stärke, die Nachfrage und die Wettbewerbs-fähigkeit etwas, was die wirtschaftliche Kraft in diesemLand ausmacht . Das Wirtschaftswachstum, Herr Dehm,wird eben nicht nur von einer starken und wettbewerbs-fähigen Wirtschaft getragen – schauen Sie sich mal dieStatistiken genau an –, sondern auch von einer stabilenund starken Nachfrage und Kaufkraft in diesem Land .Nach Jahren ist die Lohn- und Gehaltsentwicklung end-lich wieder positiv . Wir brauchen eben beides: Wettbe-werbsfähigkeit und Exportstärke auf der einen Seite undstarke Binnennachfrage sowie Investitionen auf der an-deren Seite, also starke Auswärtsspiele und starke Heim-spiele . Das macht die deutsche Wirtschaft heutzutageaus, und darauf können wir alle miteinander stolz sein,meine Damen und Herren .
Das betrifft auch die Themen, die wir vor der Brust ha-ben .Erstens . Wir werden das Thema Digitalisierung be-herzt angehen müssen, weil es die Wettbewerbsfähigkeitdieses Landes berührt, weil es riesige Produktivitätsfort-schritte verspricht, wenn wir uns auf diesen Weg machen .Aber wer von Industrie 4 .0, wer von Wirtschaft 4 .0 re-det, der darf zu Arbeit 4 .0 nicht schweigen . Die Stärkungder Mitbestimmung wird ein entscheidender Faktor sein,wenn es darum geht, beim Umstieg zur digitalen Produk-tion in unseren Fabriken erfolgreich zu sein . Gegen Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter, gegen Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer geht das nicht . Deshalb ist es gut, dassdieser Bundeswirtschaftsminister auf die Partnerschaftzwischen Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaftsetzt . Dabei hat er unsere Unterstützung .
Zweitens, meine Damen und Herren, ist das ThemaEnergiepolitik hier angesprochen worden . Aufgrund derKürze der Redezeit werde ich das nicht vertiefen können,aber so viel an die Adresse der Grünen: Wir setzen dieEnergiewende so um, dass sie erfolgreich ist . Da sage ichtrotz all der Unkenrufe, die Sie hier vom Stapel lassen:Der Ausbau der Erneuerbaren geht weiter . Wir wollenaber dafür sorgen, dass er so weitergeht, dass er bezahl-bar ist und auch Systemintegration stattfinden kann.
Deshalb machen wir Aufräumarbeiten an der Energie-wende . Auch da hat der Bundeswirtschaftsminister unse-re Unterstützung . Das ist kein leichtes Geschäft; aber esist wichtig, damit die Energiewende in diesem Land zumErfolg wird .Ja, den Erneuerbaren gehört die Zukunft – Stück fürStück . Aber wir müssen dafür sorgen, dass der Ausbaueffizient gestaltet wird, was die Kosten, die Planbarkeitund die Systemintegration betrifft . Wir werden die Er-neuerbaren, die inzwischen 33 Prozent des Bruttostrom-verbrauchs in Deutschland ausmachen, konsequent anden Markt heranführen . Wir werben um Ihre Unterstüt-Hubertus Heil
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zung, damit wir die Energiewende schaffen und nicht ge-gen die Wand setzen, meine Damen und Herren .
All das, was wir vor der Brust haben, ob bei den großenHerausforderungen unserer Zeit, bei der Digitalisierung,bei der Frage, wie wir die Energiewende vom Kopf aufdie Füße stellen, damit eine sichere und saubere Energie-versorgung für die Zukunft unseres Landes gewährleistetwerden kann, machen wir, weil es uns um eines geht: Wirsetzen auf eine aktive Wirtschaftspolitik . Sigmar Gabrielbetreibt eine aktive Wirtschaftspolitik, weil es uns darumgeht, die Zukunft unseres Landes zu sichern .Herzlichen Dank .
Das Wort erhält nun Kollege Michael Schlecht für die
Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Die deutsche Wirtschaft wird bis Ende 2015 Waren undDienstleistungen im Wert von voraussichtlich knapp240 Milliarden Euro mehr ans Ausland verkauft haben,als sie aus dem Ausland bezog .
Diese deutschen Exportüberschüsse summieren sich seitdem Jahr 2000 bis zum Ende dieses Jahres auf mehr als2 Billionen Euro .
Möglich ist das natürlich nur, weil Deutschland gleich-zeitig diese 2 000 Milliarden Euro dem Ausland leiht .Das Ausland verschuldet sich immer mehr bei uns . Wienachhaltig ist das? Gar nicht! Das ist überhaupt nichtnachhaltig .Diese Entwicklung drückt sich in einem gewalti-gen Leistungsbilanzüberschuss aus, der dieses Jahr bei8,5 Prozent liegen und damit 250 Milliarden Euro, da eretwas höher als der Exportüberschuss ist, betragen wird .Wie gesagt, möglich ist dies nur, weil das Ausland stän-dig gezwungen wird, sich immer mehr zu verschulden .Gleichzeitig haben wir eine Regierung, die immer wiederverkündet, Verschuldung sei das Schlimmste der Welt .Aber man nimmt billigend in Kauf, dass sich das Auslandwegen der deutschen Exportüberschüsse ständig weiterverschuldet .Die Bundesregierung betreibt nicht nur eine Wirt-schaftspolitik, die gegenüber dem Ausland unfair ist,sondern bricht damit auch europäisches Recht . Der Leis-tungsbilanzüberschuss darf nach den Regeln nämlichnur 6 Prozent betragen . 8,5 Prozent beträgt er . Er beträgtschon mehrere Jahre mehr als 6 Prozent . Da die Bundes-regierung wahrscheinlich schon immer vorausgesehenhat, dass sie diese Regeln brechen wird, hat sie in deneuropäischen Regeln vorgesehen, dass diese Regelverlet-zung nicht sanktioniert wird . So kann man europäischesRecht auch mit Füßen treten. Ich finde, das ist ein Skan-dal .
Wenn Wirtschaftsminister Gabriel – wir kennen dasaus früheren Diskussionen – diese Exportüberschüsseimmer wieder hochhält, dann muss man ihm und den-jenigen, die das auch tun – in den Zwischenrufen ebenklang das ja an –, deutlich sagen: Sie wollen, dass dieSchulden des Auslands dauerhaft weiter steigen, und Sienehmen dem Ausland jegliche Chance, sich irgendwanneinmal zu entschulden .Wie kann man sich eigentlich einbilden, dass dieanderen Länder das auf Dauer so hinnehmen? Es ist inDeutschland wohl wenig bekannt, aber es gibt in Italien,Frankreich und anderen – gerade europäischen – Län-dern immer wieder Diskussionen, ob man mit diesemDeutschland, das sich so unfair verhält und quasi wirt-schaftsimperialistische Züge aufweist,
weiter Handel treiben sollte oder ob es nicht besser wäre,aus einem Euro auszusteigen, in dem sich Deutschland –das muss man schon so sagen – wie ein Fuchs im Hüh-nerstall gebärdet .
Was wir brauchen, ist eine Umkehr in der Wirtschafts-politik. Deutschland muss endlich auch Defizite im Au-ßenhandel machen, um zum Abbau der Verschuldung desAuslands und zur Beseitigung internationaler Ungleich-gewichte beizutragen . Die Probleme hier sind ja vor al-lem deshalb entstanden, weil die Binnennachfrage in denletzten 15 Jahren zu sehr stranguliert worden ist und da-mit die Importe viel schwächer angestiegen sind als dieExporte .Der eigentliche Kern des Problems ist eine desaströseLohnentwicklung, die endlich umgekehrt werden muss .
Im Vergleich zum Jahr 2000 liegen die Reallöhne jeBeschäftigten heute kaum höher als damals . Das ist einSkandal in einem so reichen Land .
Wären die Reallöhne in den letzten Jahren – wie meinVorredner ja betont hat – nicht ein bisschen gestiegen,lägen sie heute deutlich unter der Marke des Jahres 2000 .Der über die Jahre entstandene Verlust ist längst nichtwettgemacht; deswegen muss dort eine Umkehr stattfin-den .Die Entwicklung der Tariflöhne ist dabei noch nichteinmal das vorrangige Problem, obgleich den Gewerk-Hubertus Heil
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schaften mit Leiharbeit, Befristung und Werkverträgendicke Knüppel zwischen die Beine geworfen wurden . Inder Folge waren viele Tarifabschlüsse auch nicht beson-ders berauschend .Nein, das eigentliche Problem ist, dass die Tarifbin-dung durch die Politik der letzten 15 Jahre immer mehrzerbröselt ist .
Heute arbeiten nur noch 50 Prozent der Beschäftigten un-ter dem Schutz eines Flächentarifvertrages, und das in soeinem Land wie Deutschland: Das ist doch ein Skandal!
Bei den übrigen Beschäftigten, die wie im Frühkapitalis-mus arbeiten und jede Bedingung akzeptieren müssen,die ihnen der Unternehmer diktiert, sind die Löhne in denletzten 15 Jahren in den Keller gerauscht . Sie liegen proKopf 17, 18 oder 19 Prozent niedriger als im Jahr 2000 .Es ist doch ein Skandal, dass sich große Unternehmenwie Amazon in diesem Land vor einem Tarifvertrag drü-cken können .
Was unternimmt diese Regierung eigentlich, um den füreinen Tarifvertrag streikenden Kolleginnen und Kollegenzu helfen? Nichts! Auch das ist ein Skandal in diesemLande .
Es kann doch nicht angehen, dass solche Unternehmenschalten und walten und mit den Beschäftigten umgehenkönnen, wie sie wollen . Es gab sogar einen Kanzler, derstolz darauf war, dass er eine Politik gemacht hat, die zusolchen Niedriglöhnen in Deutschland führte. Ich finde,das ist wirklich peinlich .Die Lösung der Probleme, die diese Entwicklung mitsich bringt, ist doch eigentlich ganz einfach: Wir brau-chen eine Umkehr bei den Rahmenbedingungen am Ar-beitsmarkt . Wir brauchen ein Verbot der Leiharbeit undder sachgrundlosen Befristungen . Wir brauchen endlichauch ein Vetorecht des Betriebsrates bei Werkverträgenund auch bei Outsourcing-Strategien der Unternehmen .Das wäre notwendig, um unser Land wieder voranzu-bringen .
Herr Kollege .
Einen Satz noch . – Die am Anfang genannten Außen-
handelsungleichgewichte sind nichts Technisches, nichts
Spielerisches, sondern sie sind eine Gefahr gerade auch
für eine friedliche internationale Zusammenarbeit . Wenn
ich mehr Zeit hätte, könnte ich noch ausführen, inwie-
weit dies negative Rahmenbedingungen setzt für vieles,
was uns derzeit in diesem Lande im Hinblick auf interna-
tionale kriegerische Auseinandersetzungen bedroht .
Danke schön .
Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-be Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Ich habe zunächst überlegt, ob ich auf die Rede des Kol-legen Schlecht eingehen soll, aber mir ist dabei schlechtgeworden . Ich lasse es deswegen sein;
das hat nun wirklich keinen Sinn . Die Aussagen, die er davon sich gegeben hat, mögen bei dem VEB DDR funk-tioniert haben – wir haben das Resultat 1989 mit demZusammenbruch der DDR erlebt –, hier in diesem Parla-ment brauchen wir das Ganze nicht .
– Er hat Gott sei Dank in Baden-Württemberg nichts zusagen, sonst würde es dem Land auch schlechtgehen .Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschlandgeht es gut; die Kanzlerin hat es gestern betont . 43,2 Mil-lionen Erwerbstätige, rund 30 Millionen, die sozialversi-cherungspflichtig beschäftigt sind: Das ist eine Erfolgs-story . Das können Sie nicht wegdiskutieren, was auchimmer Sie damit erreichen wollen .
Nur die Situation jetzt ist so, dass wir vor gewalti-gen Herausforderungen stehen . Die Herausforderungenentstehen durch die große Flüchtlingswelle, die wir be-werkstelligen müssen . Wir sind gefordert, Lösungen zufinden. Das heißt auch, dass wir darauf achten müssen,dass es nicht dazu kommt, dass diesen Menschen keinePerspektive in Deutschland eröffnet wird; denn wenn siekeine Perspektive in Deutschland haben, meine Damenund Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dannwerden wir eine Situation wie in den französischen Ban-lieues erleben .Es ist tragisch, was in Paris passiert ist . Es ist furcht-bar, was dort passiert ist . Aber es waren junge Franzosenund junge Belgier, die diese Anschläge verübt haben .Man muss sich bitte überlegen, woher das kommt . Daskommt daher, dass diese jungen Menschen in den Banli-Michael Schlecht
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eues, in den Vorstädten von Paris und Brüssel, keine Per-spektive hatten . Sie haben auch keine Chancen gesehen,dass sich ihre Situation ändert . Deswegen ist es unsereAufgabe, eine Wirtschaftspolitik zu machen, die Arbeits-plätze schafft, so dafür zu sorgen, dass junge Menschenin Deutschland eine Chance haben . Das ist unsere Aufga-be; die sehe ich auch genau so .
Ich bin mir mit Hubertus Heil völlig einig, dass wirjetzt darüber nachdenken müssen, wo Fehler liegen undwie wir diese Fehler beheben können . Ich will bei derEnergiepolitik anfangen .Ich bin gar nicht gegen den Ausbau der Erneuerbaren .
Nur muss er auch – das haben wir in dieser Koalitionbeschlossen – berechenbar und planbar sein . Dazu gehörtfür mich, dass wir unsere Zielvorgaben auch einhalten,aber das tun wir in vielerlei Hinsicht nicht .
Beim Onshore-Windausbau liegen wir round aboutdoppelt so hoch, wie wir es uns einmal vorgenommenhaben . Im letzten Jahr sind ungefähr 4,5 Gigawatt auf-gestellt worden, geplant waren 2,5 Gigawatt . In diesemJahr werden es über 5 Gigawatt sein, geplant waren eben-falls 2,5 Gigawatt . Das führt dazu, dass wir mittlerweile16 Terawattstunden mehr an Strom haben, als wir geplanthatten, und entsprechende Kosteneffekte dadurch ausge-löst werden . Diese Kosteneffekte – auch diesbezüglichbin ich mit Hubertus Heil völlig einig – müssen wir inden Griff bekommen . Ein Großabnehmer zahlt 150 Europro Megawattstunde . Ein Haushalt muss jetzt jährlichrund 250 Euro EEG-Kosten – das waren 2010 noch80 Euro – tragen und zahlt mittlerweile insgesamt über1 000 Euro jährlich für den Strom .
Das ist zu viel . Damit schöpfen wir Kaufkraft ab, diedann für andere Bereiche nicht zur Verfügung steht .
Es darf auch, meine Damen und Herren, keinen Feld-zug gegen die großen EVUs geben, wie ihn Grüne undLinke gerne unternehmen; denn wir brauchen kapital-starke Unternehmen, die das kapitalintensive System derStromversorgung in Deutschland garantieren und dafürsorgen, dass wir nach wie vor Versorgungssicherheit ha-ben .
Es ist nun einmal dummerweise so, dass wir das eineoder andere Mal die berühmte Dunkelflaute haben, alsoweder Wind- noch Sonnenenergie zur Verfügung stehen .Wenn Sie mir das nicht glauben wollen, schauen Sie bitteschlicht und ergreifend aus dem Fenster . Die Grünen wol-len zwar erreichen, dass auch nachts die Sonne scheint,bis jetzt sind sie damit aber relativ erfolglos . Deswegenmüssen wir Lösungen finden.
Eines will ich nicht: Ich will nicht, dass wir ab 2019gezwungen sind, Atomstrom aus Tschechien und Kohle-strom aus Polen zu importieren . Das würde nämlich dieKonsequenz sein . Das Bundeswirtschaftsministerium hatuns schon darauf aufmerksam gemacht, Herr Minister,dass das auf uns zukommen wird .
Meine Damen und Herren, so etwas in Kauf zu nehmen,ist für mich auch nicht glaubwürdig .Die großen Unternehmen haben immerhin 280 000 Be-schäftigte, direkt und indirekt . Ich möchte, dass diese Be-schäftigten eine Perspektive in Deutschland haben . Ichmöchte nicht, dass diese Arbeitsplätze durch Maßnah-men, die wir hier ergreifen, gefährdet werden .Ich möchte ein zweites Thema ansprechen . Es gehtum Werkverträge und Zeitarbeit . Ich bin sehr froh, dassdie Kanzlerin vorgestern bei der Jahrestagung der BDAsehr deutlich gemacht hat, dass wir den Koalitionsvertrageinhalten, aber in keiner Weise über diesen Koalitions-vertrag hinausgehen . Das sollte das Bundesarbeitsminis-terium bitte berücksichtigen und dafür sorgen, dass das,was vereinbart wurde, genau so gemacht wird und dassman nicht darüber hinausgeht .Nach einem Entwurf, der in die Diskussion eingebrachtwurde, sollen selbstständige Betreiber einer Werkskan-tine, IT-Servicekräfte oder Mitarbeiter von Wach- undSicherheitsdiensten rückwirkend – ich betone: rückwir-kend – zu Arbeitnehmern des Betriebes bestimmt wer-den können, ohne dass sie sich dagegen wehren können .Weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer sollen dieMöglichkeit haben, zu sagen: Das wollen wir nicht . –Das kann nicht sein . Diese Überbestimmung muss zu-rückgeführt werden . Das ist im Koalitionsvertrag nichtvereinbart worden . Ich bitte das Arbeitsministerium, denEntwurf entsprechend zu verändern, bzw . das Bundes-kanzleramt, ihn in dieser Fassung zurückzuweisen .
Es kann auch nicht sein, dass bei Zeitarbeitsverträgenalle Sachleistungen eingerechnet werden müssen unddiese dann in geldwerte Vorteile umgerechnet werdensollen . Das ergibt eine Bürokratie, die überhaupt nichtzu bewältigen ist; denn es gibt über 170 mögliche Sach-leistungen .
Die können wir nicht alle umrechnen . Das wollen wirnicht haben .Dr. Michael Fuchs
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Meine Damen und Herren, die Zeitarbeit und dieWerkverträge sind eine Brücke in den ersten Arbeits-markt . 63 Prozent der Zeitarbeitnehmer waren vor Ein-tritt in die Zeitarbeit arbeitslos oder noch nie beschäftigt .Aus diesem Arbeitskräftepool kommen die Zeitarbeit-nehmer . Diese Brücke in den ersten Arbeitsmarkt dürfenwir um Gottes willen nicht kaputtmachen . Im Gegenteil:Angesichts der Flüchtlingsproblematik werden wir siejetzt dringend brauchen .
Meine Damen und Herren, ich bin immer gerecht .Deshalb habe ich für jeden etwas mitgebracht, auch fürden Bundesjustizminister: Verehrter Herr Maas, ich freuemich, dass Sie hier sind . Ich möchte Sie bitten, den mit-telständischen Unternehmen ganz schnell zu helfen . ImHandelsgesetzbuch muss etwas beim deutschen Bilanz-recht passieren . Wir dürfen die Unternehmen nicht fürdie ultralockere Geldpolitik der letzten Jahre büßen las-sen . Sie wissen, was ich meine: Die drastisch gesunkenenMarktzinsen haben dazu geführt, dass sich die Zinssitua-tion verändert hat . Und bei niedrigeren Zinsen sind höhe-re Rückstellungen notwendig .
Diese höheren Rückstellungen führen wiederum zu einerSchwäche bei den Investitionen und wirken sich in derFolge problematisch auf die Pensionen aus; denn vieleUnternehmen sagen, dass sie dann keine betrieblichenPensionen mehr zahlen können .Wir könnten das relativ schnell heilen . Ich möchte Siebitten, darüber noch einmal nachzudenken: Wenn wirstatt des Bemessungszeitraums von sieben Jahren – dasist jetzt ein bisschen technisch; aber es handelt sich ebenum ein technisches Problem, und das muss schnell gelöstwerden – einen Bemessungszeitraum von zwölf Jahrenansetzen würden, dann, Herr Minister, hätten wir – da binich ziemlich sicher – das Problem gelöst .
Der Zwang hoher Rückstellungen wäre dann nicht gege-ben . Ich denke, wir sollten gemeinsam noch einmal da-rüber nachdenken .
Last, but not least: Herr Kollege Schlecht, vom Au-ßenhandel haben Sie nicht allzu viel Ahnung . Ich kannnur eins sagen: Wenn wir nicht einen so erfolgreichenAußenhandel hätten, dann wären rund ein Drittel derArbeitsplätze in Deutschland überhaupt nicht vorhandenoder gefährdet . Deswegen sollten wir alles dafür tun,dass er wächst .
Dazu gehört, dass wir uns mit den Freihandelsabkom-men beschäftigen . Für mich sind die Freihandelsabkom-men der Schlüssel zu einem erfolgreichen Außenhandel .
Das gilt auch für TTIP . Ich bitte Sie, darüber nachzuden-ken .
Denn alleine wenn ich höre, dass von gruseligen Um-weltstandards in den USA die Rede ist, kann ich Ihnennur eins empfehlen: Rufen Sie doch einmal bei VW an;die werden Ihnen dazu etwas sagen .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Außen-handel ist für Deutschland eine große Chance; er mussgestärkt werden . Ich würde mir wünschen, dass die Op-position dabei mitmacht und mithilft .Danke .
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Kerstin Andreae das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Hajduk hat es gesagt: Die Expertenkommissionzum Thema Investitionsstau, die Fratzscher-Kommissi-on, hat sich bis März 2015 mit dem Ziel befasst, die ver-haltene Investitionstätigkeit in Deutschland zu stärken .Wenn wir in den Haushalt schauen, sehen wir jedochüberhaupt nichts von Stärkung . Vielmehr wird nur jederzehnte Euro dieses Haushalts überhaupt investiert, unddas bei steigenden Steuereinnahmen . Das ist ein echtesArmutszeugnis . Mit Stärkung von Investitionstätigkeithat das nichts zu tun .
Aber es geht ja nicht nur um die öffentlichen Inves-titionen, sondern auch um die privaten . Private Investi-tionen anzukurbeln, heißt, vernünftige Wettbewerbspo-litik zu machen . Ein kluger Wirtschaftsminister schütztden Wettbewerb: damit die Großen nicht die Kleinenschlucken, damit es faire Preise und faire Bedingungengibt und damit nicht Kungelei die Wirtschaftspolitik be-stimmt, sondern der nüchterne Sachverstand .
Herr Gabriel, als Sie die Kohleabgabe gestartet haben,haben wir Sie verteidigt; die Kohleabgabe war richtig .Bei einem Hinterzimmerdeal ist jetzt eine Braunkohle-Dr. Michael Fuchs
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subvention herausgekommen . Das ist doch irre! Die Alli-anz steigt aus der Kohle aus, und diese Bundesregierungsubventioniert seit neuestem Braunkohle . Völlig falschePolitik! Sie haben sich vor die Konzerninteressen span-nen lassen .
Die Telekom bekommt vermutlich den Zuschlag fürden Breitbandausbau mit Vectoring . Die Telekom arbei-tet mit einer Technologie von gestern . Statt in Glasfaserwird in alte Kupferleitungen investiert . Das ist doch kei-ne vernünftige Industriepolitik! Es ist eine Sünde gegenden Wettbewerb. Davon profitiert die Telekom. Das warder Deal: Die Telekom verspricht, 1 Milliarde Euro inden Breitbandausbau zu investieren, und bekommt qua-si ein Exklusivrecht . Mittelständische Wettbewerber, diezukunftsfähig auf Glasfaser setzen, kommen nicht zumZug . Das ist rückwärtsgewandt und wettbewerbsfeind-lich .
Es steht ein neues Thema auf der Agenda: die Fusionvon Edeka und Kaiser’s Tengelmann . Vermutlich werdenwir eine Ministererlaubnis dazu bekommen .
Das ist offen, aber das Orakel geht in die Richtung . Ede-ka ist schon heute der Marktführer . Mit den zusätzlichenSupermärkten wäre Edeka uneinholbar für die anderenWettbewerber . Das schadet der Vielfalt und dem Wett-bewerb .
Das schadet den Verbraucherinnen, und das schadet vorallem den Erzeugern und Landwirten .
Und es nützt noch nicht einmal den Arbeitsplätzen .Wieso ist denn die Phalanx der Gegner so groß? Bauern-verband, Verbraucherzentrale, Verdi und auch wir Grü-nen sind absolut gegen diese Fusion . Erteilen Sie dieseMinistererlaubnis nicht, Herr Gabriel!
Aber noch einmal zurück zur Fratzscher-Kommissi-on . Von den vielen, auch guten Ideen ist herzlich wenigumgesetzt . Aber eine wird vorbereitet: die Bundesfern-straßen-GmbH . Mit öffentlich-privaten Partnerschaftenwollen Sie dem Investitionsstau auf der Straße zu Lei-be rücken . Das ist keine gute Idee . Abgesehen von denKosten, die Sie zukünftigen Steuerzahlern vor die Füßekippen, und abgesehen davon, dass Sie damit die Schul-denbremse umgehen – das sind wahrlich wichtige Punk-te –, will ich auf den Wettbewerb hinaus . Das Baugewer-be läuft Sturm gegen Ihre Pläne . Warum? Weil nur nochsehr große Baukonzerne und sehr große Finanzinvestorenüberhaupt in der Lage sind, diese Projekte zu stemmen .Für den Mittelstand bleibt nichts übrig . Mit Wettbewerbhat das nichts zu tun .
Ein Thema, das uns alle bewegt, ist die Integration derFlüchtlinge . Die Wirtschaft steht in den Startlöchern . Je-des vierte Unternehmen sucht Fachkräfte . Die Unterneh-men sind bereit, Flüchtlinge auszubilden; wir haben dasbeim Arbeitgebertag von Kramer, Grillo und Schweitzergehört . Ausbildung ist der Schlüssel zur schnellen Inte-gration . Aber dafür braucht es Verlässlichkeit . Ein Bei-spiel für Verlässlichkeit wäre, dass Sie endlich das Drei-plus-zwei-Modell der Wirtschaft umsetzen . Jemand, derhier ausgebildet wird, braucht eine verlässliche Aufent-haltsperspektive für die Zeit der Ausbildung und für zweiweitere Jahre, um Berufserfahrung zu sammeln . Wir un-terstützen dieses Modell glasklar .
Aber in der Arbeitsmarktpolitik hat die Regierung dieBedarfe waghalsig kleingeredet . Wenn man das, was imHaushalt abgebildet ist, mit den Anforderungen, die heu-te schon auf uns zukommen, vergleicht, wird deutlich,dass Sie die Bedarfe hier kleinrechnen . Wir sagen: GebenSie weitere 3 Milliarden Euro – und die können wir ge-genfinanzieren – für Integration, für Bildung und für denZugang von Flüchtlingen zum Arbeitsmarkt aus! Das istder Rückenwind, den die Unternehmen und die Gesell-schaft brauchen, um Flüchtlinge zu integrieren .
Herr Minister Gabriel, ich kann Sie nur eindringlichbitten: Geben Sie Ihren Widerstand gegen die Abschaf-fung der Vorrangprüfung auf! Die Vorrangprüfung istohne praktischen Nutzen . Sie bindet wertvolle Kräftein der Verwaltung . Die Vorrangprüfung ist eine olle undanachronistische Kamelle . Sie gehört endlich in die Mot-tenkiste .
Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, suchen eineChance und eine Perspektive . Manche retten schlicht ihrLeben und das Leben ihrer Familie . Heißen wir sie will-kommen, und zwar auch in dem Wissen, dass sie eineChance für Deutschland, für unsere Gemeinschaft, fürunser kulturelles Zusammenleben und für unsere Weltof-fenheit sind .Deswegen sagen wir: Schmieden Sie ein Bündnis fürIntegration: mit Unternehmen, Betriebsräten, Kirchen,Weiterbildungseinrichtungen und freiwilligen Initiati-ven . Jetzt ist die Zeit, diese Herausforderung, vor der wirstehen, in eine Chance zu drehen, die unserem Land nut-zen wird: als Wirtschaftsstandort, aber auch als Gesell-schaft und im Hinblick auf unser gemeinsames Zusam-menleben . Da gehört eine kluge und vorausschauendeWirtschaftspolitik dazu . Nutzen Sie diese Chance – mitHerz, mit Plan und mit Verstand!
Kerstin Andreae
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Das Wort hat nun der Bundeswirtschaftsminister, HerrGabriel .
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Rechtdiskutieren wir in diesen Tagen im Rahmen der Haus-haltsberatungen über die großen Herausforderungen, mitdenen wir aufgrund der großen Zahl von Menschen, dieSchutz und eine neue Heimat bei uns suchen, konfron-tiert sind, und über die neuen Sicherheitsanforderungen,die wir spätestens nach den Ereignissen in Frankreichauch bei uns zu beraten haben .All das fordert uns auch finanziell und wirtschaftlichheraus; keine Frage . Es sind insgesamt 10 MilliardenEuro, die der Bund 2015 und 2016 zur Bewältigung die-ser Riesenherausforderungen aufbringt . Diese 10 Milli-arden Euro sind im Bundeshaushalt bereitgestellt . Wirerfüllen damit das Versprechen, unsere Länder und vorallen Dingen die Kommunen bei der Flüchtlingsunter-bringung finanziell zu entlasten. Gleichzeitig stellen wir3 000 zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei zur Ver-fügung . Das sind nur zwei Beispiele, wofür diese 10 Mil-liarden Euro verwendet werden .Es gibt zwei Voraussetzungen, denen wir zu verdan-ken haben, dass all das in so kurzer Zeit geht, dass esnicht zu Verteilungskämpfen in Deutschland kommt unddass es nicht dadurch finanziert ist, dass wir den einenetwas wegnehmen, um es denen, die kommen, zu geben .Die erste Voraussetzung ist eine wirklich gute wirt-schaftliche Entwicklung mit sinkenden Arbeitslosenzah-len und extrem hoher Beschäftigung . Mehr als 43 Millio-nen Menschen finden Arbeit, die weit überwiegende Zahldavon in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung –anders als das Diether Dehm erklärt hat . Zu ihm kann ichnur sagen: Der Tag, an dem du Helmut Schmidt zitierst,musste ein Tag sein, an dem er nicht mehr da ist, um sichzu wehren – der arme Kerl .
Es war falsch, zu behaupten, wir hätten eine sinkendeLohnentwicklung . Wir haben nicht mehr Armutslöhne,sondern bessere Tariflöhne. Das heißt, wir haben eine ex-zellente wirtschaftliche Entwicklung, die Gott sei Dankbei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern endlichwieder ankommt .Die zweite Voraussetzung ist eine solide Finanzpoli-tik . Man stelle sich vor, wir hätten auf die Ratschläge ge-hört, die es seit geraumer Zeit gab, man müsse doch dieschwarze Null und den strukturell ausgeglichenen Haus-halt nicht so früh erreichen; das sei doch nicht so wichtig .Man könne doch vorher ein paar Programme auflegen. –Man stelle sich vor, wir hätten uns darauf eingelassen . Inwelchen Verteilungskonflikten wären wir jetzt, um dieseHerausforderung mit einem Volumen von 10 MilliardenEuro zu finanzieren? Wir wären mitten in der Auseinan-dersetzung in Deutschland, wem wir etwas wegnehmenmüssten, um die neuen Herausforderungen zu finanzie-ren . Gott sei Dank haben wir das nicht gemacht .
– Klar haben Sie das gefordert .
– Natürlich gab es auch bei Ihnen Leute, die gesagt ha-ben, man solle die schwarze Null nicht wie einen Fetischbehandeln und vieles andere mehr . Diese Position gab esübrigens auch in meiner Partei .
– Frau Hajduk, bevor Sie mich durcheinanderbringen,müssen Sie sich mehr als eine gelbe Jacke anziehen .
– Wir haben doch sonst ein anständiges Verhältnis zuei-nander .
– Ich unterstelle damit nichts Politisches; das will ichnicht gesagt haben .In der Debatte über Flüchtlinge, die zu uns kommen,höre ich leider von vielen Menschen einen Satz, den wirvermeiden müssen: Für die macht ihr alles, für uns machtihr nichts .
Es ist gefährlich, wenn sich dieser Satz in die Mitte derGesellschaft frisst . Deshalb ist es von so großer Wichtig-keit, dass wir keine Verteilungskonflikte im Land auslö-sen, sondern eine doppelte Integrationsaufgabe bewälti-gen, nämlich die zu integrieren, die kommen, aber auchdie beieinanderzuhalten, die in unserem Land sind . Wirdürfen nicht zulassen, dass der eine gegen den anderenausgespielt wird .
Frau Andreae, man kann zwar ökonomische Argumen-te anführen und sagen: Schafft die Vorrangprüfung ab .Die Gewerkschaften sind aber dagegen, sie abzuschaf-fen, weil dabei das politische Signal entstehen kann, dass
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die, die kommen, denen vorgezogen werden, die schonhier sind und langzeitarbeitslos sind .
Der Grund, warum die Gewerkschaften Ihren Vorschlagablehnen, ist, dass sie solche politischen Spannungen garnicht erst symbolhaft entstehen lassen wollen .
Das ist auch der Grund, warum ich den Gewerkschaftenin dieser Position folge, Frau Andreae .
Frau Andreae, das ist der gleiche Grund, warum wirdenkbaren ökonomischen Argumenten – diese gibt esnicht bei Ihnen, aber bei anderen – nicht folgen, die dabesagen: Schafft den Mindestlohn für Flüchtlinge ab, da-mit sie zum Beispiel über Praktika schneller beschäftigtwerden können . – Ökonomisch kann man das vielleichtverstehen . Aber was bedeutet dieses Symbol? Die Ar-men, die kommen, werden gegen die Armen, die hier imLand sind, ausgespielt .
Deshalb darf man dieser Forderung nicht nachgeben, undwir werden das nicht tun . Am Gesetz gibt es keine Än-derungen .
Übrigens ist das auch der Grund, warum wir dafürplädieren, jetzt keinen Flüchtlingswohnungsbau zu be-treiben . Wir müssen vielmehr Wohnungsbau – vor allemin den Ballungszentren – für alle Menschen betreiben,die inzwischen Schwierigkeiten haben, eine bezahlbareWohnung zu finden.
Zu dem Versprechen „Wir schaffen das“ gehört auchdas Versprechen, dass wir in Deutschland niemanden da-runter leiden lassen, dass wir eine neue Aufgabe über-nehmen müssen . Zum „Wir schaffen das“ gehört auch,
die Menschen hier zusammenzuhalten und ihnen zu zei-gen, dass wir ihre Sorgen, Hoffnungen, Ideen, Wünscheund berechtigten Ansprüche nicht vergessen .
Deshalb ist es gut, dass wir in dem Haushalt, den wirbeschließen, keine Abstriche bei all dem machen, waswir uns vorgenommen haben . Wir bauen weiter Kinder-tagesstätten aus . Wir widmen uns der Verbesserung derSituation in der Altenpflege und in der Krankenpflege.Wir haben das kommunale Entlastungsprogramm . FrauHajduk, Sie und Ihre Kollegin haben gefragt: Was machtihr für Investitionen? 20 Milliarden Euro in einer Le-gislaturperiode an kommunaler Entlastung – das gab esnoch nie in der Geschichte der Republik .
Die Hilfen für die Flüchtlinge sind dabei noch gar nichtmit eingerechnet . Das ist das, was wir vorher schon be-schlossen hatten .Ich finde, es ist gut, dass wir daran nichts verändern.Wir ändern nichts daran, dass wir 6 Milliarden Euro mehrfür Bildung, Forschung und Entwicklung ausgeben . Üb-rigens ändern wir, Frau Hajduk, auch nichts daran, dasswir in der Klima- und Energiepolitik für Energieeffizi-enzmaßnahmen 5,8 Milliarden Euro bereitstellen . Es gabjetzt eine Kürzung der Verpflichtungsermächtigung inHöhe von 350 Millionen Euro . Ich gehe davon aus, dasswir davon nicht betroffen sein werden .
– Lassen Sie mich den Satz zu Ende führen . – Wenn es sowäre, würde das nur heißen, dass aus 5,8 Milliarden Eurodann 5,5 Milliarden Euro werden und das Programm so-zusagen ein bisschen länger laufen muss . Es werden also5,5 Milliarden Euro oder 5,8 Milliarden Euro für Klima-schutz und Energieeffizienz ausgegeben. Sie hätten dochfrüher gejubelt, wenn es solch riesige Beträge für Ener-gieeffizienz gegeben hätte. Die gibt es doch zum erstenMal in diesem Haushalt .
Wir erhöhen die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ frü-her, als wir gedacht haben . Wir haben mithilfe der Parla-mentarier – ich nenne Herrn Jurk und Herrn Mattfeldt –das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM,ebenfalls auf dem vorgesehenen Niveau halten können .40 Prozent dieser Mittel gehen nach Ostdeutschland, undauch 80 Prozent der GRW-Mittel gehen nach Ostdeutsch-land . An nichts von dem ändern wir irgendetwas . Gleich-zeitig schultern wir eine Riesenaufgabe . Der Grund dafürist, dass wir eine so gute wirtschaftliche Entwicklungund solide Finanzen haben .Natürlich machen wir auch beim Thema Energie undKlimaschutz weiter . Frau Andreae und Frau Hajduk, Siekritisieren hier gerade, da würde nicht so viel passieren .In diesem Jahr haben die erneuerbaren Energien einenAnteil von 33 Prozent am Strommarkt . Im letzten Jahrhatten wir 27 Prozent . Die erneuerbaren Energien gewin-nen .
Sie haben in diesem Jahr den größten Anteil an derStromproduktion der Bundesrepublik Deutschland . Undda kommen Sie und sagen, dass wir in der Energie- undKlimapolitik nicht weitermachen .
Bundesminister Sigmar Gabriel
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– Ich sage es Ihnen gerne zum zehnten oder elften Mal:Beim Biogas – das haben wir übrigens mit allen Minis-terpräsidenten, auch mit Ihrem, verabredet – gibt es eineVerringerung, weil das die teuerste Art der erneuerbarenEnergien ist . Da wird der Ausbaukorridor etwas kleinersein . Bei Wind – darauf hat Herr Fuchs hingewiesen –liegen wir wesentlich darüber, bei PV darunter . Aber wirbefinden uns im vorgesehenen Korridor.Im Jahr 2025 wollen wir einen Anteil der erneuerba-ren Energien von 40 bis 45 Prozent erreichen . Wir habenjetzt schon einen Anteil von 33 Prozent . Und da sagenSie, dass wir in der Energie- und Klimapolitik nicht wei-terkommen und dass wir vor Paris nichts zu bieten hät-ten . Wo leben Sie denn eigentlich?
Ich komme zu Ihrer wunderbaren Debatte über dieKlima- und Kohleabgabe . Wir legen 13 Prozent Braun-kohlekapazitäten still . Es werden Kraftwerke stillgelegt .Und Sie sagen uns, wir würden die Kohle weiter fördern .Das kostet 230 Millionen Euro . Wissen Sie, warum? Weilwir damit verhindern, dass die Leute – wie sagt man imRuhrgebiet? – ins Bergfreie fallen . Das ist Strukturpo-litik . Wir legen Kapazitäten still, ohne die Leute dennächsten Tag arbeitslos zu machen . Da wollen Sie nichtmitmachen? Das verstehe ich überhaupt nicht .
Herr Minister, darf die Kollegin Hajduk eine Zwi-
schenfrage stellen?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Selbstverständlich .
Herr Minister, zur Kohleabgabe bzw . zu der Lösung,die Sie jetzt propagieren, will ich nur so viel sagen: Siehaben zu Beginn der ganzen Debatte dieses Instrumentvorgeschlagen, und das haben Sie sicherlich aus Über-zeugung getan . Sie wissen, dass wir auch gerade ener-giepolitisch diese Art von Bereitstellung der Kohlekraft-werke eigentlich nicht brauchen, und Sie sind gezwungenworden, einen anderen Weg einzuschlagen .Aber meine Frage richtet sich auf etwas anderes: Ist esrichtig bzw . soll es dabei bleiben, dass Sie das Batterie-speicherprogramm in der Photovoltaik in Zukunft nichtfortführen werden? Wir hatten schon einmal darüber ge-sprochen . Ich habe es so verstanden, dass Sie noch ein-mal darüber nachdenken wollten . Das Photovoltaik-Bat-teriespeichersystem ist eine Innovation, die sich mehrund mehr am Markt durchsetzt, aber dafür braucht es dieFortführung des Programms in der Zukunft . Das wäre einweiterer Baustein, mit dem Sie beweisen könnten, dasswir jetzt mit einer ökologischen Modernisierung an dieIndustriepolitik herangehen . Oder halten Sie daran fest,dieses Speicherprogramm endgültig auslaufen zu lassen?Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Frau Kollegin Hajduk, diese Frage hat vorhin der Kol-lege Jurk in seiner Rede beantwortet, indem er es begrüßthat, dass das Batteriespeicherprogramm für Photovol-taikanlagen fortgesetzt wird . Das habe ich jedenfalls soverstanden .
Das hatten Sie, aber auch andere in den Fraktionen sichgewünscht .
Deswegen haben wir dazu einen Vorschlag entwickelt .Ihre Frage ist also in der Debatte vorhin von Herrn Jurkbereits beantwortet worden .Was den ersten Teil Ihrer Anmerkung angeht, willich nur darauf hinweisen, dass mich niemand gezwun-gen hat, sondern dass wir in der Debatte über die Frage,wie wir die Klimaschutzziele erreichen, mit der Sorgeder Beschäftigten konfrontiert wurden, dass sie in gro-ßer Zahl arbeitslos werden . Das betrifft ganze Regionen,zum Beispiel die Lausitz . Wir wollten mit dieser Sorgenicht besserwisserisch umgehen, nach dem Motto „Eureganzen Sorgen sind unberechtigt“ .
Denn wenn wir falsch liegen, zahlen sie den Preis dafür –und nicht ich .Deshalb haben wir uns ein zweites Modell überlegt,nach dem 13 Prozent Braunkohlekapazitäten stillgelegtwerden . Das hatten wir in dem ersten Entwurf gar nichtvor . Wir haben immer gesagt, dass das mehr kostet alsdas erste Modell, nämlich 230 Millionen Euro . Aber dasist doch kein zu hoher Preis . Setzen Sie das doch ein-mal in Relation zu den 23 Milliarden Euro, die wir bereitsind, jedes Jahr für die Finanzierung der Lernkurve beiden Erneuerbaren aufzubringen! Wir halten 230 Millio-nen Euro dagegen, die wir einsetzen, um die Leute nichtins Bergfreie fallen zu lassen. Ich finde, das ist eine an-gemessene Güterabwägung . Wir haben die Leute nichtalleine gelassen . Sie sind doch diejenigen, die arbeitsloswerden, wenn es schiefgeht, und ihre Mieten nicht mehrzahlen können . Wir sitzen dann immer noch brav im Tro-ckenen . Deswegen war es, glaube ich, anständig, auf siezu hören, statt weiter nach dem Motto „Mit dem Kopfdurch die Wand“ vorzugehen . Das wäre falsch gewesen .
Abgesehen davon erinnere ich mich daran, dass auchSie schon einmal einen solchen Lernprozess bei einemKohlekraftwerk durchmachen mussten, allerdings ausrechtlichen Gründen .
Bei all diesen großen Aufgaben zu verhindern, dasses zu Verteilungskonflikten kommt, setzt voraus, dassBundesminister Sigmar Gabriel
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die wirtschaftliche Entwicklung weiter gut verläuft .Dabei sind manche Hinweise der Opposition durchausberechtigt . Es ist völlig richtig: Wir müssen uns endlichentscheiden, wie wir mit dem Thema Infrastrukturgesell-schaft und den anderen Vorschlägen der Fratzscher-Kom-mission umgehen . Es reicht nicht aus, sich auf den kom-munalen Bereich zu beschränken . Sie haben völlig recht .Aber es gibt noch andere Punkte, bei denen Sie uns,finde ich, hätten ermahnen können. Und weil Sie es nichtmachen, mache ich es selber .
Herr Minister, bevor Sie zu weiteren, spekulativen Er-
mahnungen kommen, würde der Kollege Krischer gerne
zwischendurch das Wort ergreifen, wenn er darf .
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Ja, natürlich .
Bitte sehr .
Herzlichen Dank, Herr Minister, dass Sie meine Fragezulassen . – Wenn Sie mit den Beschäftigten in der Braun-kohle argumentieren, finde ich es ein bisschen unredlich,dass Sie jetzt den Braunkohleunternehmen 1,6 Milliar-den Euro zahlen,
und zwar für die Stilllegung von Kohleblöcken, die sieohnehin vorgesehen haben . Das ist das exakte Gegenteilvon dem, was Sie vorher vertreten haben . Sie hatten vor-her ein Modell, bei dem die Unternehmen zahlen sollten .Jetzt die Beschäftigten vorzuschieben, finde ich nicht se-riös .Ich möchte aber zu diesem Thema eine andere Fragestellen . Gestern hat ihre Kabinettskollegin Frau Umwelt-ministerin Hendricks, die leider gerade den Saal verlassenhat, den Vorschlag gemacht, noch in dieser Legislaturpe-riode die Entscheidung zu treffen, in 20 bis 25 Jahren ausder Braunkohle auszusteigen . Mich interessiert, ob dasauch die Position des Bundeswirtschaftsministers bzw .der gesamten Bundesregierung ist und wenn ja – soferndas in dieser Legislaturperiode stattfinden soll –, mit wel-chen Instrumenten – reden wir dann über weitere Braun-kohlesubventionen, also 1,6 Milliarden Euro mal x? –das erreicht werden soll .Ich finde es, ehrlich gesagt, nicht redlich, wenn dieUmweltministerin vor der Konferenz in Paris einen sol-chen Vorschlag unterbreitet und damit möglicherweiseetwas ankündigt, was gar keine reale Entsprechung imentscheidenden Teil der Bundesregierung, also bei Ihnen,findet. Deshalb bitte ich Sie um eine klare Aussage, wiedas, was die Umweltministerin vorgeschlagen hat, ausge-staltet werden soll .Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Wenn Sie mir gestatten, widerspreche ich erst einmalIhrer Behauptung, wir zahlten 1,6 Milliarden Euro Sub-ventionen für Kraftwerke, die ohnehin stillgelegt hättenwerden sollen . Diese Kraftwerke haben auf dem Marktso viel Geld verdient, dass das der Grund war, warum wirtrotz Klimaschutz so hohe CO2-Emissionen hatten . IhreBehauptung ist einfach falsch . Die Summe, die wir proJahr aufwenden, beträgt 230 Millionen Euro . Im Übrigenhalte ich es für angemessen, mit Beschäftigten über dieFrage zu sprechen, ob Politik Auswirkungen auf ihre Ar-beitsbedingungen hat .
Das unterscheidet vielleicht doch einen Grünen von ei-nem deutschen Sozialdemokraten; das mag sein .
Es macht doch nichts, wenn es Unterschiede gibt .
– In Ihrer Fraktion will der eine Teil die Laufzeit derBraunkohlekraftwerke verlängern, während der andereTeil Anträge stellt, die einen schnellen Ausstieg aus derBraunkohle zum Ziel haben . Da sind die Grünen konse-quenter .Nun zu Ihrer Frage, wie es mit der Braunkohle wei-tergeht . Die Bundesregierung sorgt im Vorfeld der Kon-ferenz von Paris dafür, dass wir unsere Ziele bis 2020erreichen . Deswegen sind 5,8 Milliarden Euro im Klima-und Energiefonds eingestellt . Wir sichern erst einmal,dass wir zu den Staaten gehören, die ihre freiwilligenVerpflichtungen einhalten, damit wir andere zu verbind-lichen Verabredungen bewegen können . Hätten wir unsübrigens nur an die verbindlichen Verabredungen gehal-ten, müsste Deutschland bis 2020 nur 30 Prozent CO2einsparen . Wir alle hier im Deutschen Bundestag habenuns freiwillig für 40 Prozent entschieden . Das sichernwir .Selbstverständlich werden wir über die Frage nach-denken, wie wir mit der Braunkohleverstromung alseinem der Hauptemittenten umgehen sollen, wenn dieEinsparziele bis 2040, 2050 oder 2060 immer größerwerden . Ein Zeitraum von 25 Jahren wird bei RWE ver-mutlich große Beruhigung auslösen; denn wenn ich esrichtig in Erinnerung habe, reichen die Kapazitäten derBraunkohletagebaureviere ohnehin nur für diesen Zeit-raum . Ich weiß es allerdings nicht genau .
– Es mag sein, dass der Zeitraum länger ist .Ich finde es aber angemessen, darüber zu reden, wieErsatzarbeitsplätze geschaffen werden sollen . In derLausitz zum Beispiel gab es vor der deutschen Einheit100 000 Beschäftigte in der Energiewirtschaft . Davonsind 90 000 wegrationalisiert . Übrigens ist ein großerBundesminister Sigmar Gabriel
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Teil der positiven deutschen Klimaschutzbilanz dadurchüberhaupt erst ermöglicht worden .
90 000 Menschen haben also mit ihrem Arbeitsplatz be-zahlt . 10 000 sind noch da . Diese stellen die berechtigteFrage: Wenn es zu einem weiteren Abbau der Braunkoh-lekapazitäten kommen soll, wo sind die Ersatzarbeitsplät-ze, und zwar nicht nur für uns, sondern auch für unsereKinder? – Vor diesem Hintergrund wäre es richtig, das zutun, was die IG BCE und auch der BDEW vorschlagen,nämlich nun darüber zu reden, mit welcher mittel- undlangfristigen Perspektive wir Ersatzarbeitsplätze in die-ser Region schaffen können .
– Sie möchten gerne, dass man mal eben so – so machenSie ja Klimapolitik – erklärt, an welchem Tag genau wirdas schaffen . Das Ergebnis hat unsere Umweltministerinnicht vorweggenommen .
– Auch das ist nicht wahr . Sie sind in der AbteilungPinocchio ganz gut unterwegs . Das, was Sie sagen,stimmt doch nicht .
Verstehen Sie, das ist die Art von Klimaschutzpolitik,die uns in Schwierigkeiten gebracht hat . Ich gebe zu:Daran waren alle beteiligt . Immer dann, wenn es gera-de passt, wird ein Ziel gesetzt . Einmal sprechen wir vonKlimaschutz, ein anderes Mal von Beschäftigung odervon Preisstabilität . Zusätzlich möchten wir natürlich dieStadtwerke retten . Dann kommen wir einmal im Jahr zu-sammen und stellen fest: Donnerwetter, die Ziele passenirgendwie nicht zueinander .Wir müssen damit aufhören . Wir müssen in der Tat –da haben Sie recht – über die Frage der langfristigenBeschäftigungssicherung und des Aufbaus von Beschäf-tigung in den Bereichen der Kohlewirtschaft sprechen,in denen wir mittel- und langfristig weniger Beschäftigtehaben werden . Das ist völlig richtig . Das wird übrigens,Herr Krischer, Geld kosten . Sie sollten das dann abernicht – vielleicht sind es sogar dieselben Konzerne, diedie Arbeitsplätze schaffen – als milliardenschwere Hilfenfür Konzerne diffamieren, wie das Ihre Kollegin vorhingemacht hat . Dann ist das ein Beitrag zum Strukturwan-del; den haben wir in diesem Fall übrigens beim Braun-kohlekompromiss auch gemacht .
Ich diskutiere gerne mit Ihnen, wie Sie wissen .Die Spielräume der kommenden Jahre werden wirnutzen müssen, um den guten Stand unserer Wirtschaftzu erhalten; denn das, was mir am meisten Sorgen macht,ist das Vertrauen darauf, dass die wirtschaftliche Ent-wicklung eben einfach so bleibt . Ich vermute, dass dieSchwierigkeiten dann beginnen, wenn man glaubt, esbleibe alles so . Ich glaube, wir werden darüber redenmüssen, wie wir einen höheren Anteil als 3 Prozent amBIP für Ausgaben für Forschung und Entwicklung errei-chen können . Wir sind zwar besser als der Rest Europas,aber Südkorea hat sich 4,5 Prozent zum Ziel gesetzt . Ichglaube, das ist das Ziel, das wir uns bis 2025 vornehmenmüssen .
Wir werden darüber reden müssen, ob es wirklich sobleiben kann, dass die Wertgrenze für die Abschreibunggeringfügiger Wirtschaftsgüter zuletzt vor 50 Jahren ver-ändert worden ist . Da liegen die Rahmenbedingungenfür bessere Investitionen der Unternehmen . Natürlichwerden wir wieder über steuerliche Forschungsförde-rung reden müssen und auch darüber, dass wir mit einemBreitbandausbau von 50 Megabit pro Sekunde bis zumJahr 2018 ein gutes Ziel haben, aber bis zum Jahr 2025garantiert Gigabitnetze brauchen . Übrigens ist Vectoringdazu eine Übergangstechnologie, aber kein Ersatz fürGlasfaser . Also: Das, was wir vor allen Dingen machenmüssen, ist, darüber zu sprechen, wie wir DeutschlandsWirtschaft bis 2025 wettbewerbsfähig halten . Wir dürfenuns nicht damit zufrieden geben, wie die deutsche Wirt-schaft derzeit aufgestellt ist .Das Plädoyer, wir sollten endlich unsere Exportstärkeabbauen, halten Sie am besten in einer Betriebsversamm-lung von Daimler, Volkswagen, Siemens oder Bosch .
– Ich werde auch die Beiträge von Ihnen zum ThemaVolkswagen gerne den Betriebsräten dort übermitteln .
– Wissen Sie, an der Seite von Arbeitnehmern zu stehen,heißt, sich in Schwierigkeiten nicht über sie lustig zu ma-chen . Das ist das, was dazu zu sagen ist .
Lassen Sie mich am Schluss meiner Rede noch eini-ge Bemerkungen zu der Situation nach den Attentaten inFrankreich machen . Der französische Journalist NicolasHénin schrieb vor einigen Tagen – ich zitiere –: Die Bil-der aus Deutschland von Menschen, die Flüchtlinge will-kommen heißen, werden den IS besonders beunruhigen .Zusammenhalt, Toleranz, das ist nicht, was die Terroris-ten sehen wollen .
Er fügte hinzu: Sie fürchten unsere Einheit und unsereToleranz mehr als unsere Luftangriffe .
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Ich empfinde das als eine bemerkenswerte Aussagevon einem Mann, der unter menschenunwürdigen Um-ständen einmal als Geisel vom IS festgehalten wurde,von dem man alles vermuten könnte, was Rache angeht .Ich finde, er bestärkt uns geradezu, dass sich nach Pariseben nicht alles ändern darf, dass wir unsere Vorstellun-gen von Zusammenleben, Menschlichkeit und Nächs-tenliebe nicht aufgeben werden . Das ist ein Aufruf zumZusammenhalt und zur Solidarität .Ich finde, weil wir von Frankreich gerade gebetenwerden, diese Solidarität auch praktisch werden zu las-sen, dass wir das schuldig sind . Es sind die Franzosen ge-wesen, zusammen mit anderen, die nach 1945 Deutsch-land, das damalige Volk der Täter, nach Holocaust, nachVernichtungskrieg, nach Überfall, an den Tisch der zi-vilisierten Völker Europas eingeladen haben. Ich finde,das müssen mutige Politiker in Frankreich gewesen sein,die das damals gemacht haben . Wir sind den Franzosenetwas schuldig . Deswegen sage ich: Wir müssen ihnenauch jetzt, in dieser Situation, zur Seite stehen . Für michgibt es dazu keine Alternative .
Natürlich wollen wir auch dafür Sorge tragen, dasssich die Entwicklung bei den Flüchtlingen besser voll-zieht als in den letzten Monaten . Wir wollen helfen,ordnen und steuern . Vieles davon – das hat der Kollege Kauder gestern zu Recht gesagt – ist auf den Weg ge-bracht worden .Herr Kollege Kauder, weil Sie das gestern angespro-chen haben: Ich bin sicher, wir schaffen auch das zweitePaket .
– Sie haben doch gesagt, die Fraktionen würden helfen .Jetzt habe ich eine Bitte an Sie . Zurzeit scheitert dasGanze an der Frage, dass wir uns in einer Sache nichteinig werden. Ich finde, das müssen wir schaffen, gera-de vor Weihnachten . Ich kann nicht verstehen, warumIhre Fraktion, bislang jedenfalls, skeptisch ist, ob wirSchwangeren, Minderjährigen unter 14 Jahren und Be-hinderten eine bessere medizinische Versorgung gebensollten . Das kann nicht sein .
Schwangere, Behinderte, Minderjährige und krankeKinder bekommen derzeit nur eine Notfallversorgungund bei chronischen Erkrankungen keine dauerhafteangemessene medizinische Versorgung . Ich bin sicher,dass wir das angesichts von Kostenordnungen von 5 bis6 Millionen Euro hinbekommen .
Das kann doch nicht ein Bereich sein, bei dem wir zei-gen, dass wir uns um Frauen, um werdende Mütter, umMinderjährige und um Behinderte nicht kümmern wol-len .Meine Damen und Herren, die Flüchtlingsmigrationstellt ohne Zweifel unser Gemeinwesen vor eine unge-heure Aufgabe . Deshalb ist es richtig, dass sich die Koa-lition darauf verständigt hat, alles in der internationalenPolitik dafür zu tun, dass wir es auch wirklich schaffenkönnen .Nicht die Zahl der Menschen, die kommen, ist dasProblem, sondern das Problem ist die Geschwindigkeit,in der sie kommen. Ich finde, deswegen ist der Drei-schritt richtig, nämlich sich um die Hilfe in den Nachbar-regionen Syriens zu kümmern, die Außengrenze der Eu-ropäischen Union zu sichern und dann aber auch bereitzu sein, Kontingente an Flüchtlingen, und zwar in hoherZahl, ohne Schlepper und auf geordnetem Wege nachDeutschland zu holen – nach meiner Vorstellung unterder Überschrift: Frauen und Kinder zuerst und Vorrangfür Familien .
Das ist übrigens keine Obergrenze . Das wird nurdann zu einer Obergrenze, wenn man das Asylrecht inDeutschland abschaffen würde – nur dann . Das aller-dings werden wir nicht tun .
Das ist so etwas wie eine kommunizierende Röhre: Jeweniger Menschen in Deutschland Asyl beantragen, des-to höher müssen die Kontingente sein, die wir Ländernwie der Türkei abnehmen, wenn wir sie bitten, bessereBedingungen für Flüchtlinge in ihrem Land sicherzustel-len .Ich glaube, dass das eine kluge Politik ist, bei derwir darauf setzen, dass wir durch eine Zusammenarbeitin Europa mit unseren Nachbarn dafür sorgen, dass dieAußengrenze sicher ist, dass Menschen weniger Flucht-gründe haben, weil wir ihre Lebensbedingungen in ihrenHerkunftsregionen verbessern, und bei der wir gleich-zeitig bereit sind, auch in Zukunft eine hohe Zahl vonMenschen, allerdings geordnet, nicht im Chaos und nichtdurch Menschenhandel, bei uns aufzunehmen .
Herr Minister .Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Letzte Bemerkung . – Am Ende wird dies alles nurdann funktionieren, wenn wir uns trotz schlimmer Ent-wicklungen – wie der zwischen Russland und der Tür-kei – nicht davon abbringen lassen, dass militärischeMittel allein nicht helfen werden, sondern dass wir auchdie Mittel der Diplomatie bei der Beendigung des Bür-gerkriegs in Syrien brauchen . Deswegen gehören die bei-den Dinge zusammen .Flüchtlingspolitik ist nicht zu trennen von dem, waswir in der Diplomatie mit all den Möglichkeiten tun, dieFrank-Walter Steinmeier mit seinen Kolleginnen undKollegen dafür nutzt, um die Fluchtursachen besser zubekämpfen. Ich finde, dann kann das Land auf das stolzBundesminister Sigmar Gabriel
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sein, was es bereit ist zu leisten . Dies wird auch den Blickder muslimischen Welt auf unser Land und auf Europaverändern – und zwar zum Positiven .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Ich habe eine geschäftsleitende Bemerkung: Ich wer-
de jetzt keine weiteren Kurzinterventionen oder Zwi-
schenfragen mehr zulassen . Wir sind schon deutlich über
dem zu Beginn der Debatte beschlossen Zeitrahmen .
Wir haben für die angemeldeten Redner jetzt noch eine
Redezeit von ungefähr 50 Minuten . Die ausführlichen
Antworten des Bundeswirtschaftsministers haben schon
dazu beigetragen, dass die verbleibende Redezeit für sei-
nen Kollegen Westphal eine stolze Minute betragen wird .
Das ist eine besonders steile Versuchsanordnung . Ich bit-
te also um Nachsicht, dass wir mit Blick auf das weitere
Programm des heutigen Tages da keinen weiteren Debat-
tenspielraum haben .
Nun erhält das Wort die Kollegin Eva Bulling- Schröter
für die Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass Sie dieStellungnahmen Ihrer eigenen Experten lesen – letzteWoche haben Sie sie ja schwarz auf weiß bekommen –:Sie müssten Ihre Anstrengungen verdreifachen – jawohl,verdreifachen –, falls wir das Ziel, den Treibhausgasaus-stoß gegenüber 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, nocherreichen wollen . Das sagen nicht wir, die Linke, sondernExperten der Bundesregierung in ihrer Stellungnahmezum Vierten Monitoring-Bericht zur Energiewende . Die-se Experten sind kluge Leute, und sie sind gewiss nichtverdächtig, extreme Meinungen zu vertreten; vielmehrsehen sie das zentrale Ziel der Bundesregierung, das na-türlich auch unser Ziel ist, erheblich gefährdet .Die Bundesrepublik Deutschland müsste nie dagewe-sene Anstrengungen unternehmen, um das Klimaschutz-ziel noch zu erreichen . – Ich habe sinngemäß zitiert . Deraktuelle Bundeshaushalt im Bereich Energie und Klimagibt darauf keine Antwort . Dabei ist fatal: Je länger wirwarten, desto teurer wird das Ganze . Das hat das Pots-dam-Institut für Klimafolgenforschung schon vor einigenJahren erklärt; dies sagten etwa Nicholas Stern und eineganze Reihe anderer vor ihm . Die Folgen des Zaudernssind grausam . Das trifft uns alle und die nachfolgendenGenerationen . Ich rede dabei noch nicht einmal von denFolgen für die südlichen Länder .Es ist jetzt und hier notwendig, dass die Bundesregie-rung mit Vernunft und verantwortungsvollem Weitblickhandelt und wie eine Marathonläuferin auf der Zielge-raden bis 2020 noch einmal alles gibt . Aber WolfgangSchäuble sieht nur die schwarze Null wie ein akkurater,aber total engstirniger Buchhalter . Im Wirtschaftsminis-terium diktieren, wenn es darauf ankommt, die Kohle-stromkonzerne, wo es langgeht – auch wenn der Ministerdas immer abstreitet –, so geschehen im Sommer die-ses Jahres – wir wissen das –, als den Kohlekonzernen10 Millionen Tonnen CO2-Einsparung erlassen wurde .Das halten wir für wahltaktische und parteipolitischeKleinkariertheit und Kurzsichtigkeit .
Herr Staatssekretär Baake hat gestern wirklich etwaslosgelassen . Er sagte, es komme einem ökonomischenBlutbad gleich, am Ziel festzuhalten, aufgrund der fossi-len Überkapazitäten, die man dann schaffe, durch KWKnetto 25 Prozent des Stroms zu erzeugen . Das ist wirklichder Hammer . Ich sage Ihnen: Das ist bereits angerichtet,indem Sie die Klimaabgabe beerdigt haben, die überflüs-sige fossile Überkapazitäten an der richtigen Stelle ver-nichtet hätte . Dieser große Fehler wird Ihnen noch langenachhängen; denn er zeigt, auf wessen Seite diese Bun-desregierung steht: auf der Seite der Kohleindustrie undnicht auf der Seite des Klimas .Jetzt reden wir über die Arbeitsplätze . Sie haben sichdamit gegen zukunftsfähige Arbeitsplätze entschieden .Durch Ihre Kohlereserve haben Sie keine Arbeitsplätzegerettet, die nicht durch einen klugen Kohleausstieg, wieihn die Linken fordern, auf das Beste sozial abgefedertworden wären .
Jetzt reden wir über diese 230 Millionen Euro; Minis-ter Gabriel hat dazu etwas gesagt . Dieses Geld bekom-men ja die Konzerne; es fließt eben nicht in Strukturpro-gramme . Wir hätten Strukturprogramme gefordert .
Noch etwas . Das DIW hat ausgerechnet, dass die ur-sprüngliche Klimaabgabe, für die wir alle waren – auchdie Grünen, bloß die CDU offensichtlich nicht –, nahezukeine Arbeitsplätze gekostet hätte . Die Nettobeschäfti-gung über ein gutes EEG ist weit besser als die durch dieKohleindustrie .
Natürlich denke ich auch an die Kumpel; das ist dochklar .Wenn hier behauptet wird, wir würden VW-Arbeitneh-mer lächerlich machen und uns darüber lustig machen,dann ist das, finde ich, genauso eine Unverschämtheit.
Viele Kolleginnen und Kollegen von uns kommen ausder Gewerkschaft .
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Bevor ich in den Bundestag kam, war ich Betriebsrätin –ich kann mich noch erinnern –, und ich habe eines ge-lernt: Verhinderter Umweltschutz vernichtet Arbeitsplät-ze . – Da ist das der Fall . Es geht uns um die Kolleginnenund Kollegen und um die Arbeitsplätze . Die Frage, werschuld ist und wer das vor allem zu verantworten hat,muss bitte auch gestellt werden dürfen .
All das, was ich jetzt gesagt habe, zeigt, auf welcherSeite die Bundesregierung steht .
Jetzt noch zu Ihnen, Kollege Heil .
Das muss aber dann in einem Satz gehen .
Der letzte Satz . – Sie haben gesagt, Sie wollten Auf-
räumarbeiten beim Erneuerbare-Energien-Gesetz . Sie
wollen offensichtlich bei der Bürgerenergie aufräumen,
und das lassen wir auf keinen Fall zu . Wir brauchen Bür-
gerenergie, wir brauchen Akzeptanz, und wir brauchen
einen anständigen Klimaschutz .
Barbara Lanzinger ist die nächste Rednerin für die
CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich fasse es nocheinmal zusammen: Ja, Deutschland ist finanziell undwirtschaftlich auf einem sehr guten Weg . DeutschlandsWirtschaft wird trotz einer sinkenden Weltkonjunktur dasJahr 2015 – ich sage das ganz bewusst – mit Schwungbeenden . Das zeigen nicht nur die Prognosen der Bun-desregierung mit 1,8 Prozent Wachstum in diesem undim nächsten Jahr . Auch die Einschätzung des Einkaufs-manager-Index für Industrie und private Dienstleisterkommt zu dem Ergebnis, dass die deutsche Wirtschaft inden nächsten Monaten weiter wachsen wird . Das unter-streichen die aktuellen Auftragsbestände ganz deutlich,die momentan auf dem höchsten Stand seit vier bis fünfJahren sind .Dieser konjunkturelle Aufschwung spiegelt sich zu-dem auf dem Arbeitsmarkt wider; der Bundesminister hates schon gesagt . Wir haben mit 43 Millionen Erwerbs-tätigen Vollbeschäftigung – und nicht nur Vollbeschäf-tigung, sondern auch den höchsten Beschäftigungsstandseit über 20 Jahren . Damit steigen auch die Steuerein-nahmen .Jetzt möchte ich einige Anmerkungen zu den Bei-trägen der Kollegen Schlecht und Dehm machen . Siekönnen natürlich in jeder Rede, in jeder Debatte allesschlechtreden . Ich habe wirklich ein Problem damit, auchals Bürgerin dieses Landes, dass wir uns selber schlech-ter darstellen . Sie machen das beständig .
Ich habe manchmal nicht den Eindruck, ob Sie wissen,dass Sie hier in Deutschland leben, sondern ich habemanchmal den Eindruck: Sie sprechen von anderen Län-dern, wenn Sie von Jugendarbeitslosigkeit sprechen,wenn Sie von Arbeitslosenzahlen sprechen und wenn Sievon Schulden sprechen .
Sie müssen sich schon einmal überlegen, ob Sie nicht ei-nem totalen Realitätsverlust erliegen . Sie schüren auchAngst bei den Menschen, und das ist nicht zielführend ineiner Demokratie .
Ich wollte auch einen Ton dazu sagen . Ich stelle mir dasauch anders vor .Die Kontrolle haben wir, glaube ich, nicht verloren;das möchte ich schon ganz deutlich festhalten .
Ich würde mich freuen, wenn wir nicht immer von„diesem Land“,
sondern von „unserem Land“ sprechen würden – ich binstolz, in diesem Land zu leben –; das hat auch etwas mitIdentifikation zu tun.
Warum geht es Deutschland gut? Ein Grund liegt si-cherlich in der nachhaltigen Wirtschaftspolitik Deutsch-lands . Wir werden nicht nur in Europa, sondern auchinternational dafür bewundert, auch für unsere solideFinanzpolitik und für die starke Wirtschaft . Dank der Po-litik der Union ist Deutschland das Zugpferd Europas,und das wollen wir auch so beibehalten . Das könnenwir nicht, wenn wir gängeln und wenn wir diktieren undwenn wir die Wirtschaft – so wie Sie es vorschlagen – fastzüchtigen . Damit kommen wir schlichtweg nicht weiter .Es heißt aber nun, nicht haltzumachen und sich nichtzurückzulehnen, sondern die positiven Effekte des Auf-schwungs entsprechend aufrechtzuerhalten und weiter zufördern . Da sind wir natürlich auch als Politik gefordert,um die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaf-fen . Die Weichen müssen wir jetzt stellen und dürfennicht warten .Eva Bulling-Schröter
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Ein funktionierendes Wirtschaftssystem brauchtInvestitionen und Innovationen als Treiber für dasWirtschaftswachstum . Nur in einem investitions- undinnovationsfreundlichen Klima können sich unsere Un-ternehmen auch weiterhin entwickeln . Es gilt hier, unserepolitischen Entscheidungen bedacht und sorgsam zu tref-fen . Ich nenne ein paar Beispiele .Das Herzstück ist unser Mittelstand . Unsere hervorra-gend ausgebildeten Fachkräfte sind Motor für Jobs, sindMotor für den konjunkturellen Aufschwung . Der Mittel-stand wird, denke ich, ganz wesentlich zur Bewältigungneuer Herausforderungen beitragen, auch zur Integrationvon Flüchtlingen . Um unseren Mittelstand weiterhin zufördern, freut es mich natürlich, wenn ich die Zahlen imHaushaltstitel des Bundesministeriums für Wirtschaftund Energie sehe, die wir ganz nachhaltig aufgestockthaben . Über 3 Milliarden Euro werden für Forschung,Entwicklung und Innovationen bereitgestellt . 781 Mil-lionen Euro davon sind Fördergelder für ZIM und fürEXIST . Mit den 17 Millionen Euro – das ist, denke ich,ganz wichtig – im Rahmen des Titels „Fachkräftesiche-rung für kleine und mittlere Unternehmen“ wollen wirhelfen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken . Dennwenn wir durch den Zustrom von Flüchtlingen hoffent-lich einen Teil des Fachkräftemangels abdecken können
– ich habe ja gesagt: wir machen das –, wird das alleinenicht ausreichen . Wir müssen hier schon mehr tun .
Wir müssen vor allem unsere bewährten Strukturenwie unser fachspezifisches Ausbildungssystem – ichnenne hier als Beispiel den Meisterbrief –, den regle-mentierten Berufszugang für freie Berufe, Gebühren-ordnungen wie die HOAI – dazu haben wir gemeinsamAnträge gestellt und beschlossen – aufrechterhalten undvehement unterstützen . Ich bitte das Bundeswirtschafts-ministerium noch einmal ganz nachdrücklich, uns dabeizu helfen, diese Qualitätsstandards, die wir haben und dieein Garant für unseren wirtschaftlichen Erfolg sind, auchauf europäischer Ebene und bei der Kommission zu ver-teidigen . Ich halte das für sehr wichtig . Wir müssen dieAufgabe annehmen, und wir haben die Pflicht, dies zubewahren und verstärkt dafür zu werben .Ebenfalls wichtig für einen gut funktionierendenMittelstand und natürlich auch für eine gut funktionie-rende Wirtschaft sind die Energiepolitik und die darausresultierenden Preise . Ich denke, wir müssen schon da-rauf achten, dass dies nicht zu einer Belastung für unsereUnternehmen wird und dass die internationale Wettbe-werbsfähigkeit hier nicht gefährdet wird . Wir brauchenim Energiebereich Konzepte, marktwirtschaftliche Kon-zepte, Konzepte, die der Kleinteiligkeit und Dezentrali-tät der Energiewende gerecht werden und die auch un-terschiedliche Flexibilitätsoptionen beinhalten . Und wirbrauchen nicht nur Wind- und Sonnenenergie, sondernwir brauchen auch KWK, Lastmanagement und allemvoran auch – das ist mein Thema, das ich nie vergesse –Speicher . Ich freue mich, dass das Speicherprogrammfür die PV weitergeführt wird . Ich bitte Sie aber auch,sehr geehrter Herr Bundesminister Gabriel, das ThemaSpeicher nicht zu vergessen und es zum Beispiel beimzukünftigen Strommarktdesign entsprechend zu ver-ankern, weil ich der Meinung bin: Speicher sind wederErzeuger noch Letztverbraucher . Wir brauchen dies, umunsere Flexibilität insgesamt zu bewahren . Die Energie-wende ist ein Puzzle . Nur wenn alles ineinandergreift,so wie Sie es vorhin gesagt haben, kann es letztendlichauch funktionieren . Ich kann das nicht an irgendwelchenZahlen festmachen, sondern letztendlich nur daran, ob esinsgesamt stimmig ist .Mittelstand stärken heißt auch, den StandortfaktorTourismus zu fördern . Es ist schon oft gesagt worden –ich wiederhole es gern –: Der Deutschlandtourismusist ein Zugpferd für die deutsche und vor allem für diemittelständische Wirtschaft . Ich freue mich, dass uns dieAnhebung der Mittel gelungen ist . Wir haben 500 Euromehr erreichen können .
– 500 000 Euro mehr . Danke schön . 500 wären viel zuwenig . Dann könnte ich das, was ich jetzt will, nicht for-dern .Wir sorgen hier für die Verstetigung . Die Gelder sollengezielt eingesetzt werden, nämlich dort, wo noch Poten-ziale gehoben werden können; dort, wo Kulturtourismusin den ländlichen Räumen gestartet wird . Wir haben ge-meinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium – leiderist Frau Gleicke heute nicht da – ein Projekt zur Förde-rung des Kulturtourismus in ländlichen Räumen gestar-tet . Wir müssen dieses Projekt nun mit Leben erfüllen .Momentan sind drei Modellregionen vorgesehen .Ich würde mir wünschen, dass wir eventuell überle-gen, ob wir mit den nun angehobenen Mitteln nicht jedesBundesland fördern und in jedem Bundesland die Schät-ze, die wir haben, heben könnten . Wir wären sehr frohund glücklich, wenn wir dieses Projekt in diesem Sinneerweitern könnten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie michabschließend an alle appellieren, im Sinne der Sache zuhandeln und getreu dem Spruch: Die Wirtschaft ist einGebiet, das am wenigsten Willkür verträgt .Vielen herzlichen Dank fürs Zuhören .
Der Kollege Dieter Janecek erhält jetzt das Wort fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .Barbara Lanzinger
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr
Minister! Da Sie noch hier sind: Sie haben das Thema
Russland angesprochen . Ich würde Ihnen gerne dazu eine
Frage stellen . Zwei Wochen nach Ihrem Besuch war ich
auch bei Putin in Moskau . Die Frage ist: Ist es richtig,
dass Sie bei Putin im Kreml zugesagt haben, die Sankti-
onen schrittweise aufzuweichen? Ist es richtig, dass Sie
zugesagt haben, beim Thema North Stream 2 die euro-
päischen Interessen nicht zu vertreten? Das würde mich
interessieren, wenn wir in diesem Zusammenhang über
Wirtschaft und Russland reden .
Das Thema, das ich heute aufgreifen möchte – Herr
Kollege Mattfeldt hat es auf seine eigene Art und Weise
getan –, ist das Thema Wirtschaft und Zuwanderung . In
der Geschichte ist es so: In der ersten Hälfte des 20 . Jahr-
hunderts war Deutschland ein Antieinwanderungsland .
In der zweiten Hälfte des 20 . Jahrhunderts sind wir suk-
zessive ein Einwanderungsland geworden, haben es nur
nicht kommuniziert . Es hat lange gedauert – übrigens
bis zu Rot-Grün . Jetzt reden wir immer noch in solchen
Debatten – das ärgert mich persönlich schon – von de-
nen, die kommen, und denen, die hier sind . Aber was ist
die Realität? 20 Prozent der Gründerinnen und Gründer
sind Menschen mit Migrationshintergrund . Jeder achte
Selbstständige hat einen Migrationshintergrund . In den
Städten sind es bis zu 50 Prozent . Wir haben eine völlig
andere Realität, und es geht hier nicht um die, die kom-
men, und die, die hier sind; vielmehr sollte es um die
Gemeinsamkeit aller gehen, die uns nach vorne bringt .
Davon muss doch die Debatte handeln, wenn wir über
Zuwanderung im Zusammenhang mit Wirtschaft reden .
Was die Frage der Syrerinnen und Syrer angeht, die
kommen . Wir wissen, dass bei türkischstämmigen Men-
schen die Gründungsquote, die Selbstständigenquote
sehr hoch ist . Also müssen wir auch hier die Instrumente
schaffen, um zu fördern, um Zugänge zu Kleinstkrediten
zu schaffen . Sie fallen unter den Radar . Wer gründen will
und einen Betrag von unter 25 000 Euro braucht, hat es
schwer, weil die Sparkassen es nicht schaffen, weil die
Gründungsinitiativen es nicht schaffen, weil es die Vor-
rangprüfung immer noch gibt und die Drei-plus-zwei-
Regelung nicht so greift, wie sie greifen sollte . Lassen
Sie uns dort anfangen! Das ist ein Chancenthema . Für
ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer
demografischen Entwicklung und ihrem wirtschaftlichen
Potenzial ist es angezeigt, das als Chancenthema zu be-
greifen .
Das Thema Energiewende diskutieren wir immer noch
sehr stark anhand des EEG . Es gab eine Reform 2014;
2016 kommt die nächste Anpassung . Wir haben unsere
Vorschläge gemacht . Sie dürfen nachher abstimmen über
die Frage der Batteriespeicher bei der Photovoltaik . An-
scheinend haben Sie das positiv aufgegriffen . Ich bin ge-
spannt, wie Sie sich verhalten werden .
Ich würde gerne eine Debatte über die nächste Stufe
der Energiewende führen: die Digitalisierung der Ener-
giewende . Wir haben das Smart-Meter-Rollout-Gesetz
vorliegen . Warum schaffen wir es nicht, kraftvoll darü-
ber zu reden, dass die Potenziale von Digitalisierung und
Energiewende zusammengeführt werden, eine Chance
darin zu sehen, die Verbrauchskennzahlen von großen
Betrieben, von mittelständischen Unternehmen erkennen
und steuern zu können, sodass wir erneuerbare Anlagen
besser aussteuern und mehr Wettbewerb schaffen kön-
nen? Das wäre ein großes Chancenthema . Das haben Sie
nicht aufgegriffen . Ich wünsche mir, dass Sie das kraft-
voll tun .
Wenn wir über das Thema Wettbewerb reden, dann
müssen wir über das Internet reden . Wir können keine
wirtschaftspolitische Debatte führen und nicht über die
Rahmenbedingungen unseres Netzes reden . Auf bei-
den Seiten des Plenums – zugegeben: im Europäischen
Parlament; hier wäre es nicht viel anders gewesen – hat
jeweils eine einzige Person die Hand dafür gehoben,
die Netzneutralität in Europa zu erhalten – eine einzi-
ge . Wettbewerb heißt auch, dass die Rahmenbedingun-
gen stimmen müssen . Die stimmen nicht, wenn wir ein
Zweiklasseninternet schaffen . Das schaffen Sie . Deshalb
müssen wir kraftvoll dagegenhalten . Wir brauchen mehr
Wettbewerb . Wir brauchen in diesem Bereich mehr Re-
geln . Wir brauchen eine Regulierung, die stimmig ist und
die Digitalisierung als Chancenfeld begreift, genauso wie
es die Energiewende ist .
Wenn wir das schaffen, dann bin ich auch frohen Mu-
tes, dass wir hier etwas Vernünftiges schaffen .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächster hat für die CDU/
CSU-Fraktion der Kollege Peter Stein das Wort .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kollegen! Trotz aller Krisen und europäischenUnsicherheiten steht Deutschland sehr gut da; das giltinsbesondere für unsere Wirtschaft . Vielen Ländern umuns herum geht es da nicht so gut . Wir dürfen uns selbstdurchaus einmal die Frage stellen, warum das so ist . Daskommt bei uns oft viel zu kurz . Wir nehmen vieles alsselbstverständlich hin, als etwas, das nicht neu zu schaf-fen ist . Es geht uns deshalb so gut, weil wir stabile po-litische Verhältnisse haben . Wir leben und praktiziereneine freiheitliche und tolerante Demokratie, eine sozialeMarktwirtschaft . Wir haben einen starken Mittelstandund ein hochqualifiziertes Handwerk. Wir sind innovativ
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und investieren mit diesem neuen Haushalt so viel wienoch nie in Forschung und Bildung .Wir reden heute über den Haushalt des Ministeriumsfür Wirtschaft und Energie . Lassen Sie mich hier einenkleinen, vielleicht nicht so bekannten Bereich heraus-greifen, der nicht vordergründig mit diesem Hause ver-bandelt scheint, es aber im Wesentlichen ist . Das Stich-wort lautet Energiepartnerschaften . Wir sind Weltspitze,was Technologie und Energiewirtschaft angeht . Unserevielen kleinen, mittelständischen, aber auch großen Un-ternehmen sind breit aufgestellt und gut vernetzt . Aberes gibt Regionen, in denen wir noch viel präsenter seinkönnten . Unter anderem möchte ich die Maghreb-Regionund Subsahara-Afrika nennen . Traditionell sind dort eherdie Franzosen sehr aktiv . Sie sind dort sprachlich meistklar im Vorteil und haben historisch bedingt einen beson-deren Zugang zu den jeweiligen kulturellen Besonderhei-ten . Jetzt werden absehbar – das ist heute schon mehrfachangesprochen worden – viele deutsche Unternehmenjunge Menschen aus ebendiesen Herkunftsländern mitspeziellen sprachlichen und kulturellen Kenntnissen undHintergründen in ihren Reihen haben können . Ich seheda neue Möglichkeiten auf unsere Wirtschaft zukommen .Ich möchte hier an alle appellieren, diese Chance, die dieFlüchtlingskrise eröffnet, beherzt zu ergreifen .Lassen Sie mich insbesondere nach Nordafrika unddort auf die aktuelle Energiewirtschaft schauen . RainerBaake, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, undder stellvertretende Energieminister Algeriens haben erstin diesem Jahr, am 25 . Mai, in Berlin die erste Sitzungdes Steuerungskomitees der Deutsch-Algerischen Ener-giepartnerschaft abgehalten . Die Energiepartnerschaftzwischen Deutschland und Algerien wird den Rahmenfür einen sehr intensiven energiepolitischen Austauschund eine verstärkte Kooperation im Energiesektor schaf-fen . Algerien hat, wie man sich vorstellen kann, besteBedingungen für Solar- und Windenergie und ist ange-sichts seiner ehrgeizigen Ziele beim Ausbau ein attrakti-ver Partner für Deutschland . Das bringt Vorteile für beideLänder .Wir satteln dabei auf eine Reihe guter Erfahrungenmit Energiepartnerschaften mit anderen Ländern auf .So haben wir bereits seit 2012 eine Zusammenarbeit mitMarokko im Energiebereich . Im Haushalt 2016 ist die-ser Posten im Vergleich zum letzten Jahr noch einmalum 28 Prozent aufgewachsen . Das ist sehr zu begrüßen .Ein Schwerpunkt dieser Partnerschaften ist es, auch dieWirtschaft einzubinden . Die genaue Betrachtung desEnergiemixes, der Ausbau erneuerbarer Energien und dieVerbesserung der Energieeffizienz sind deutsche Kern-kompetenzen geworden, die gerade in Nordafrika gefragtsind .Bisher wird beispielsweise Algeriens Energiebedarffast ausschließlich durch im Land geförderte fossileBrennstoffe gedeckt . Erneuerbare Energien machen trotzguter Potenziale bisher nur einen geringen Anteil an derEnergieerzeugung aus . Um den rasant steigenden Ener-giebedarf in Algerien zu decken, plant die algerischeRegierung, bis 2030 neue Solar- und Windenergiekapa-zitäten in Höhe von 22 Gigawatt aufzubauen . Das schafftsie nicht alleine . Die Energiepartnerschaft zwischenDeutschland und Algerien soll im Rahmen bilateralerArbeitsgruppen auf Regierungsebene unter Einbindungder Wirtschaft umgesetzt werden und dient, wie gesagt,beiden Seiten .Marokko deckte bislang seinen Energiebedarf eben-falls fast ausschließlich durch fossile Brennstoffe . Bis2012 machten erneuerbare Energien trotz guter Potenzi-ale nur einen Anteil von gut 5 Prozent des Primärener-giebedarfs aus . Der Energiebedarf Marokkos steigt der-weil jedes Jahr um 6 Prozent . Das Ziel Marokkos ist esdaher, bis 2020 42 Prozent der installierten Kapazitätenaus Sonnen-, Wasser- und Windkraft zu erhalten . Dasist noch ehrgeiziger als das, was wir uns als Ziel gesetzthaben . Damit kann und sollte Marokko zum Pionier fürerneuerbare Energien in Nordafrika werden . Ich konntemir dort in der letzten Woche einen Green Energy Park,ein Innovationszentrum, anschauen . Es ist wirklich sehrbeeindruckend, mit welcher Energieleistung, mit welcherGeschwindigkeit daran dort gearbeitet wird . Deutschlandunterstützt das nicht nur mit der Energiepartnerschaft,sondern auch mit der Deutschen Klima- und Technologie-initiative, der DKTI . Partner wie das Deutsche Zentrumfür Luft- und Raumfahrt, die GIZ oder auch die KfW mitder DEG sind intensiv eingebunden .Da neben der installierten Leistung der Ausbau derStromnetze, die Energieeffizienz und die Energiefor-schung Gegenstand dieser Kooperation sind, finden sichhier auch bedeutende weitere Felder für die wirtschaftli-che Kooperation und Chancen für deutsches Know-howund Firmen . Deutschland hilft Marokko, Algerien undTunesien, dazu beizutragen, dass ein Markt für Strom auserneuerbaren Energien entstehen kann . Dort laufen Re-ferenzprojekte in der Größenordnung von 2,5 Gigawatt;davon entfallen aktuell über 500 Megawatt auf Marokko,maßgeblich durch deutsche Energiepartner unterstützt .Die Hälfte dieses Vorhabens ist bereits umgesetzt undauch genauer definiert. Seit 2014 wird in diesen Anlagender erste Strom erzeugt . Der Solarpark Ouarzazate soll inKürze mit bis zu 560 Megawatt ans Netz gehen .Die unter deutschem Vorsitz maßgeblich mitgestal-tete Afrika-EU-Energiepartnerschaft ist die mit Abstandam weitesten fortgeschrittene der acht im Jahre 2007in Lissabon gegründeten thematischen Partnerschaftenzwischen der Afrikanischen und der Europäischen Uni-on . Umso wichtiger ist es, dass das in möglichst vielenHaushaltsansätzen verankert ist .
Dazu gehören auch Aspekte wie berufliche Ausbil-dung, Fachkräftemangel bei uns und auch die vielen jun-gen Leute in Afrika . Wir haben heute einen der höchstenBeschäftigungsstände der Geschichte und mit 400 000,vielleicht 600 000 freien Jobs und 40 000 unbesetztenAusbildungsplätzen Potenzial zu bieten . Wir habenderzeit die höchsten Einnahmen in der Sozialversiche-rung . Wir haben die höchsten Steuereinnahmen und eineNullverschuldung im Haushalt . Dieser Erfolg gibt unsSpielräume, die wir nun nutzen können, um den inter-nationalen Herausforderungen gewachsen zu sein . We-gen unserer herausgehobenen Rolle stehen wir besondersPeter Stein
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in der Verantwortung, unserer Wirtschaft die Chancenaus der momentanen Situation aufzuzeigen und diesenProzess zu begleiten . Wir lernen gerade, dass uns vie-les, was wir in den letzten Jahrzehnten an Regelwerkenaufgebaut haben, an einem flexiblen Agieren hemmt; dieBundeskanzlerin hat das bereits thematisiert . Wir müs-sen deutlich stärker entbürokratisieren und verkrusteteProzessstrukturen aufbrechen . Ich bin überzeugt, dassdie positiven Effekte weit über die Flüchtlingsfrage, aberauch die Fachkräftefrage hinaus zu spüren sein werden,wenn wir hier entschlossen anpacken .
Junge, gut ausgebildete und motivierte Menschen sindeine Riesenchance für jedes Land, bei uns besonders vordem Hintergrund der unbesetzten Lehrstellen . Zu wenigeder Migranten aus den letzten Jahren haben wir in denArbeitsmarkt integrieren können; zu viel ist zur Parallel-welt geworden . Klar ist, dass die deutsche Sprache einewesentliche Voraussetzung für die Integration ist . Ja, eswird großer Anstrengungen unserer Gesellschaft bedür-fen, dies zu realisieren .Ich möchte zum Schluss meiner Rede noch auf diemaritime Wirtschaft zu sprechen kommen und eine Lan-ze für sie brechen . Rechnet man die Zulieferer hinzu,umfasst diese Branche über 400 000 Arbeitsplätze . Ma-ritime Technologien haben enormes Potenzial, und unserKnow-how aus Deutschland ist wie bei den erneuerbarenEnergien international mehr als gefragt . Der Kreuzfahrt-tourismus ist bei uns im Norden eine Erfolgsgeschichte .Stetige Investitionen in unsere Häfen sind eine unabding-bare Grundlage unserer Exportwirtschaft .
90 Prozent des globalen Warenverkehrs gehen per Schiff .Jede Investition in unsere Häfen, egal in welchem Haus-haltsansatz verbucht, ist sehr gut angelegtes Geld .Meine Damen und Herren, Wirtschaftspolitik gestaltetdie Zukunft wahrscheinlich stärker und nachhaltiger, alsdies in vielen anderen Feldern der Fall ist . Die Haushalts-ansätze 2016 werden diesem Grundsatz gerecht .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner für die SPD-Fraktion
ist der Kollege Bernd Westphal .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Über den Einzelplan 09 mit einem Volumen
von rund 7,6 Milliarden Euro ist viel diskutiert worden .
Viele Argumente wurden ausgetauscht; ich möchte mich
auf wenige Argumente beschränken .
Insgesamt haben wir eine sehr gute wirtschaftliche Si-
tuation; das belegen die Kennzahlen des Arbeitsmarktes .
Auch die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen
sind gut . Die Debatte über den Haushalt ist immer eine
Sternstunde des Parlaments . Die wirtschaftspolitischen
Herausforderungen gehen einher mit der Digitalisie-
rung der Wirtschaft, der Stärkung des Industriestandorts
Deutschlands, aber auch mit Impulsen, um die Wert-
schöpfungsketten in Deutschland zu erhalten . Mit die-
sem Haushalt werden die Impulse klar gesetzt . Wir sind
damit unserer politischen Verantwortung gerecht gewor-
den, auch angesichts des komplexen Wandels im Bereich
Wirtschaft und Energie .
Unsere Wirtschafts- und Energiepolitik verzeichnet
Erfolge; der Wirtschaftsminister hat darauf hingewiesen .
Die SPD schafft damit nicht nur Arbeitsplätze, sondern
sorgt auch für gute Arbeit . Wir schaffen den Umbau in
der Energieversorgung und sorgen für eine Stärkung von
Innovationen in der Wirtschaft . Die SPD schafft damit
Zukunft .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Das war relativ punktgenau die sicher-
lich kürzeste Rede des heutigen Tages .
Als Nächster hat das Wort der Kollege Mark Haupt-
mann, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Viel-leicht kann ich da weitermachen, wo Herr Westphal auf-gehört hat, weil ihm die Zeit gefehlt hat . Ich möchte diePunkte, die er richtigerweise angesprochen hat, noch et-was vertiefen .Es wurde heute in der Haushaltsdebatte bereits mehr-fach gesagt: Deutschland geht es gut, und wir werdenden erfolgreichen Konsolidierungskurs der vergangenenJahre fortsetzen . Wolfgang Schäuble ist als Finanzminis-ter etwas gelungen, was in den 40 Jahren zuvor keinemFinanzminister in der Bundesrepublik Deutschland ge-lungen ist, nämlich einen ausgeglichenen Haushalt vor-zulegen, und das zum dritten Mal in Folge . Die schwarzeNull steht also auch 2016 . Daher gebührt dem Finanz-ministerium, federführend dem Minister, aber auch derBundesregierung ein ganz besonderer Dank .
Ich sage das als Kollege einer jüngeren Generation .Zu den Grünen . Die Ausführungen von Frau Andreaeund Frau Hajduk haben mich etwas nachdenklich ge-stimmt . Sie haben gesagt: Wir tun zu wenig im BereichInvestitionen; darauf komme ich gleich zu sprechen .Aber ist es nicht gerade im Sinne grüner Politik, Nach-Peter Stein
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haltigkeit nicht nur ökologisch, sondern auch finanzpoli-tisch zu betrachten?
Eine nachhaltige Haushaltspolitik schickt die Rechnungfür die derzeitigen Investitionen eben nicht in Form vonSteuererhöhungen oder zusätzlichen Ausgaben in die Zu-kunft .
Eine nachhaltige Haushaltspolitik kann beides: Sie kanninvestieren und konsolidieren .
Sie schickt verdammt noch mal keine Rechnung an unse-re Kinder und Enkel .
Das ist die Haushaltspolitik der Großen Koalition .
Sie haben die Investitionen angesprochen . Dieschwarze Null steht im Haushaltsplan, und das trotz ei-ner Erhöhung der Investitionen um 1,6 Milliarden Euroauf 31,5 Milliarden Euro . Wir haben eine Investitions-quote von 10 Prozent . Wir stellen Bundesmittel in Höhevon 10 Milliarden Euro zur Bewältigung der Flücht-lingsherausforderung zur Verfügung; die Hilfen für dieKommunen habe ich noch gar nicht erwähnt . All das sindBausteine, die zeigen, dass wir investieren und konsoli-dieren . Das sollte man auch einmal würdigen .Deutschland geht es gut; das belegen auch interna-tionale Studien . Die OECD geht von einem stärkerenWirtschaftswachstum im Jahr 2016 aus; es soll 1,9 Pro-zent betragen . Das wird uns helfen, die Zahl der sozial-versicherungspflichtig Beschäftigten auszubauen – rund43,3 Millionen Menschen sind in der BundesrepublikDeutschland schon heute in einem sozialversicherungs-pflichtigen Beschäftigungsverhältnis –, damit wir auchim Bundeshaushalt 2017 die Investitionen weiter stei-gern können . Unser Konsolidierungsziel werden wir aberkeinesfalls aufgeben .Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, Sie haben indieser Debatte zu Recht ein Thema angesprochen, dasuns alle sehr bewegt . Es geht um die Frage, wie wir esschaffen können, dass die Flüchtlinge nicht nur eine He-rausforderung für unsere Sozialkassen darstellen; dennwir wollen, dass sie einen Beitrag zu unserem Wirt-schaftssystem leisten . Wir wollen, dass sie in den Betrie-ben Beschäftigung finden, damit sie Steuern zahlen undletztendlich einen positiven Beitrag zur wirtschaftlichenEntwicklung dieses Landes leisten . Sehr geehrter HerrMinister, ich glaube, in diesem Zusammenhang solltenwir die folgende Frage noch einmal aufwerfen: Ist esrichtig, beim Mindestlohn keine Ausnahme für Flüchtlin-ge zu machen, auch nicht für sechs Monate? Ich halte esfür richtig, hier noch einmal genau hinzuschauen . Für dieLangzeitarbeitslosen haben wir eine solche Ausnahmere-gelung . Viele Unternehmer, mit denen ich in der letztenWoche gesprochen habe, sagen: Wir sind gerne bereit, inunseren mittelständischen Betrieben Personen aus Syrienoder anderen Ländern einzustellen; aber lasst uns bitteschön nicht mit den ganzen Aufgaben, die wir dann zubewältigen haben, allein . – Die Sprache ist zu lehren, zu-mindest fachspezifische Termini müssen gelehrt werden,weil die Personen oft aus völlig anderen Arbeitsgebietenkommen und nicht die notwendige Vorbildung mitbrin-gen . Das heißt, wir müssen hier Ausnahmen schaffen .Wir brauchen flexible Lösungen. Ich halte es für sinn-voll, für Flüchtlinge analog zu unserer Regelung für dieLangzeitarbeitslosen eine Ausnahmeregelung vorzuse-hen, und zwar für eine bestimmte Zeit, für sechs Mona-te, damit wir die Flüchtlinge in unser Wirtschaftssystemintegrieren können .
Die Ausgaben des Wirtschaftsressorts steigen gemäßdem Haushaltsplan für 2016 von 7,4 auf 7,5 MilliardenEuro . Viele Mittel werden für Forschung, Entwicklungund Innovationen bereitgestellt . Das ist eine richtige Ent-scheidung, mit der wir den zentralen Herausforderungenunserer wirtschaftlichen Lage entsprechen . Was sind dasfür Herausforderungen? An dieser Stelle spreche ichauch als Kollege aus den neuen Bundesländern zu Ihnen .Wir müssen erstens die konsequente Förderung des wirt-schaftlichen Aufholprozesses Ostdeutschlands
weiter verstetigen, zweitens den deutschen Gründergeistunterstützen und drittens eine Energiewende mit Augen-maß betreiben .
Sie wissen alle, dass der wirtschaftliche Aufholpro-zess der neuen Länder ins Stocken geraten ist . Ich glau-be, diese Bilanz muss man ehrlicherweise ziehen . Dasheißt nicht, dass es in den neuen Ländern kein wirt-schaftliches Wachstum gibt . Die neuen Länder wach-sen ungefähr genauso schnell wie die alten Länder . Daswiederum bedeutet aber, dass die Lücke, die zwischenbeiden Gebieten der Bundesrepublik noch besteht, nichtgeschlossen werden kann, es sei denn, wir legen weiter-hin Bundesprogramme auf, mit denen der Aufholprozessder neuen Länder erfolgreich vorangetrieben werdenkann . Das machen wir mit diesem Haushalt . In diesemZusammenhang bin ich Minister Gabriel und unseremhaushaltspolitischen Sprecher, dem Kollegen Mattfeldt,sehr dankbar dafür, dass man es geschafft hat, bei denZIM-Mitteln keine Kürzung vorzunehmen, sondern auchim Bundeshaushalt 2016 543 Millionen Euro dafür ein-zustellen . 40 Prozent dieser Mittel gehen direkt in dieneuen Länder . Das hilft dem Aufholprozess der ostdeut-schen Wirtschaft .
Das zieht sich wie ein roter Faden durch den Haus-haltsplan: Für das Programm INNO-KOM-Ost werdenMark Hauptmann
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65 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt; auch hiergibt es keine Mittelkürzung, trotz all der Herausforderun-gen, die wir in dieser Debatte angesprochen haben .Ich komme zum zweiten Punkt: Wie schaffen wir es,die Gründer, die Start-ups besser zu unterstützen, damitwir die wirtschaftlichen Herausforderungen bewältigenkönnen? Gründer sind aus unserer Sicht Initiatoren undTräger von Innovationen und tragen im Wesentlichendazu bei, dass Deutschland nicht nur heute ein wirt-schaftlich starkes Land ist, sondern auch in der Zukunft .Mit diesem Bundeshaushalt legen wir hier einen klarenSchwerpunkt, indem wir sagen: Diese Gründer, dieseStart-ups wollen wir in Zukunft weiter fördern; deshalbbauen wir die Förderung seitens des Bundes aus .
Um einige Programme zu nennen: EXIST mit 41,5 Mil-lionen Euro, INVEST-Zuschuss für Wagniskapital mit20 Millionen Euro, Business-Angels-Markt, innovativeStart-ups mit 4,25 Millionen Euro . Der Titel „Mittel-stand 4 .0 – Digitale Produktions- und Arbeitsprozesse“wird um 11 Millionen Euro auf rund 28 Millionen Euroerhöht . – All das stärkt den Gründergeist in dieser Repu-blik und sorgt letztendlich dafür, dass wir auch in Zu-kunft ein erfolgreiches Land sind und ein für Start-upserfolgreiches Land werden .
Abschließend möchte ich etwas zur Energiewendesagen, weil sie ebenfalls Bestandteil der heutigen De-batte ist . Wir machen viel, was die verschiedenen Trägerder erneuerbaren Energien angeht; aber wir alle wissen,dass wir im Bereich der Technologie zum Speichern vonEnergie mehr machen müssen und hier noch eine gewisseKapazität haben, um die Energiewende zum Erfolg füh-ren zu können . Hier ist es natürlich richtig, lieber Bun-desminister Gabriel, dass Ihr Haus zusammen mit demBundesministerium für Forschung für 270 Projekte, diesich mit dem Speichern überschüssiger Energie befassen,Mittel in Höhe von 200 Millionen Euro bereitstellt . Dasträgt dazu bei, dass die Energiewende in Zukunft gelin-gen kann .Ich komme zum Schluss und fasse zusammen: Die-ser Bundeshaushalt, der Einzelplan 09, den wir heutedebattieren, trägt enorme Lasten, aber hier wird auch in-vestiert und konsolidiert . Beides sind zwei Seiten einerMedaille . Angela Merkel steuert dieses Schiff seit zehnJahren erfolgreich . Mit den Innovationen, die wir in die-ser Woche beschließen, geben wir dem Wirtschaftsmotorder Bundesrepublik Deutschland neuen Schub, damit esauch in Zukunft heißt: Erfolgreich Kurs halten, um wei-teres wirtschaftliches Wachstum in Deutschland zu gene-rieren! Nur wenn wir wirtschaftliches Wachstum haben,können wir alle Herausforderungen, die aktuell anstehen,erfolgreich bewältigen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Jan Metzler, CDU/CSU-Fraktion, ist
jetzt der letzte Redner zu diesem Einzelplan . Bitte schön,
Herr Kollege .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schoneine ehrenvolle Aufgabe, als letzter Redner in einer sovielseitigen Debatte reden zu dürfen . Zweifelsohne hatdies einen Nachteil, aber auch Vorteile . Der Nachteilist, dass jetzt schon vieles gesagt worden ist . Ich hoffe,dass ich noch den einen oder anderen Aspekt hinzufügenkann, ohne zu viel zu wiederholen . Aber einiges möchteich zum Abschluss auch noch einmal unterstreichen .Ohne Frage, dieser aktuelle Haushalt wurde unter be-sonderen Herausforderungen aufgestellt . Diese Heraus-forderungen können wir aber deswegen so gut angehen –das wurde in vielen Vorreden deutlich –, weil wir gutaufgestellt sind . Das liegt nicht zuletzt und insbesonderean der wirtschaftlichen Lage; sie ist robust und zukunfts-fähig . Damit sie zukunftsfähig bleibt, ist es notwendig,dass wir unsere Hausaufgaben machen . Deswegen – dabin ich der Bundesregierung sehr dankbar – atmet dieserHaushalt den Geist von Stabilität und Nachhaltigkeit . Ichmöchte diese Stabilität an drei Punkten festmachen .Erstens: Stabilität durch nachhaltige Finanzpolitik .Kollege Hauptmann hat dies, denke ich, eben schonim Namen der jüngeren Generation unterstrichen . Erhat klargemacht, dass der dritte Haushalt ohne Neuver-schuldung nach 40 Jahren auch ein besonderes Zeichenin punc to Generationengerechtigkeit ist . Ich möchtedas noch einmal unterstreichen . Ein besonderes Danke-schön gilt hier unserem Bundesfinanzminister WolfgangSchäuble . Dies sage ich jetzt stellvertretend an den Kol-legen Spahn adressiert .Zweitens: Stabilität durch richtige Anpassungen . Da,wo es sinnvoll ist und unserem Land dient, scheuen wiruns nicht davor, mehr Mittel in die Hand zu nehmen, sozum Beispiel 1 Milliarde Euro mehr für die innere Si-cherheit: für die Bundespolizei, für das BKA, für dasBundesamt für Migration und Flüchtlinge und für dasTHW .Drittens – jetzt kommen die Wirtschaftspolitikerinnenund Wirtschaftspolitiker ins Spiel –: Stabilität durch ver-lässliche Wirtschaftspolitik . Der starke Arbeitsmarkt istRückgrat und Gradmesser für das Wohlergehen unseresLandes; das habe ich eingangs betont . Deshalb inves-tieren wir an den entscheidenden Stellen, um weiteresWachstum und mehr Beschäftigung zu generieren . Wirwollen gute Rahmenbedingungen schaffen und so dieLeistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nachhaltigunterstützen .Das ist auch die grundlegende Idee bei der Bewertungdes vorgelegten Etats für Wirtschaft und Energie . Nichtumsonst lauten zwei Überschriften: „Innovation, Tech-nologie und Neue Mobilität“ und „Mittelstand: Gründen,Wachsen, Investieren“ . Diese Kapitel machen mit rundMark Hauptmann
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3,5 Milliarden Euro ungefähr die Hälfte des Gesamtetatsfür Wirtschaft und Energie aus . Das sind übrigens einigeMillionen mehr als noch in diesem Jahr . Das schlägt sichpositiv auf beinahe alle Posten nieder . Ziel der aufge-legten Instrumente ist es, die Leistungsfähigkeit unsererWirtschaft zu fördern und dabei die richtigen Anreize zusetzen . Das nenne ich Stabilität durch verlässliche Wirt-schaftspolitik .Besonders bewährt hat sich in diesem Zusammen-hang – auch das ist bereits betont worden – das ZentraleInnovationsprogramm Mittelstand, ZIM, mit einem Vo-lumen von mehr als einer halben Milliarde Euro . Einenherzlichen Dank möchte ich in diesem Zusammenhangan den Kollegen Mattfeldt und den Kollegen Jurk adres-sieren, die sich erneut in besonderem Maße für diesesProgramm eingesetzt haben .
Mit dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstandfördern wir Neuentwicklungen, besonders im Mittel-stand . Dieser stellt das Rückgrat der stabilen wirtschaftli-chen und konjunkturellen Situation dar . Deswegen: Gut,dass wir hier drangeblieben sind, liebe Kolleginnen undKollegen! Das gilt übrigens auch für die Industriefor-schung, die mit weiterhin mehr als 200 Millionen Euroeinzubeziehen ist .Auf eines können wir ganz besonders stolz sein, aufdie Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regiona-len Wirtschaftsstruktur“ von Bund und Ländern . Da-hinter verbirgt sich eine auf Nachhaltigkeit angelegtePhilosophie, nämlich keine Region in Deutschland zu-rückzulassen . Wie gelingt das? Indem wir Potenziale instrukturschwachen Regionen fördern, Standortnachteileabbauen, Wettbewerbsfähigkeit herstellen und so neueArbeitsplätze schaffen oder vorhandene erhalten .Da ich selbst Mitglied in dem zuständigen Unteraus-schuss sein darf, liegt mir dieser Bereich besonders amHerzen . Die gute Nachricht ist: Im Koalitionsvertrag hatman sich auf eine Erhöhung der Mittel bis auf das För-derniveau vorheriger Jahre geeinigt . Das wird mit diesemHaushalt nun erreicht . Das ist ein exzellentes Zeichen .
Ein Wort zur Zukunft der regionalen Wirtschaftsförde-rung möchte ich auch noch loswerden . Die Mittel stehenzur Verfügung . Zukünftig geht es noch mehr als in derVergangenheit um deren Einsatz . Dabei ist in besonde-rem Maße wichtig, dass wir die altindustriellen Regio-nen und die strukturschwächeren ländlichen Regionenin Deutschland insgesamt nicht vergessen . Ich möchtehervorheben, dass es dazu im Unterausschuss keinerleianderslautende Meinung gab; das wird, denke ich, auchso bleiben .Ich möchte noch kurz auf ein anderes Thema einge-hen – es ist eine Art Lieblingsthema, ganz allgemein,aber auch eines der Opposition –, auf die angeblich feh-lenden Investitionen . Ich sehe das ganz anders: Erstens .Wir haben die Mittel im Etat für Wirtschaft und Ener-gie erhöht . Zweitens . Wir haben die Mittel im Etat fürBildung und Forschung erhöht . Im Etat für Bildung undForschung kommt es übrigens zu einer Verdopplung derMittel, wenn man das Jahr 2005 als Vergleichsgrundla-ge nimmt . Parallel dazu stellen wir mehr Geld für innereSicherheit, Integrationsmaßnahmen, humanitäre Hilfeund Krisenprävention zur Verfügung . „On top“ kommenweitere 10 Milliarden Euro, die im Rahmen des Investiti-onspaketes bereitgestellt werden . Das alles leisten wir ineinem ausgeglichenen Haushalt, ohne Neuverschuldung,und das zum dritten Mal . – Wenn man das kleinredenwill, kann man das tun . Aber die Fakten sprechen eineandere Sprache . Diese Regierung, diese Koalition hatihre Hausaufgaben gemacht und ein Zeichen der Stabi-lität ausgesandt . Sie macht nachhaltige Wirtschafts- undFinanzpolitik . Dieses Zeichen sollte von den Haushalts-beratungen und von den Beratungen über diesen Einzel-etat heute abschließend ausgesendet werden .
Ganz nebenbei: Der Bund entlastet die Kommunenin Milliardenhöhe – auch das ist mit einzubeziehen –,und zwar in der Größenordnung von 20 Milliarden Euro .Auch das hat es bisher nicht gegeben .Alles in allem denke ich, dass sich an diesem Punktfür die Zukunft eines sagen lässt: Wir machen unsereHausaufgaben, und wir setzen Zeichen der Stabilität . Dasist gerade in Zeiten, in denen die Wogen ein wenig höherschlagen, das absolut richtige und ein wichtiges Signal .Insofern blicke ich mit Zuversicht in die Zukunft . Auchwenn ich der letzte Redner war, hoffe ich, dass ich nochden einen oder anderen interessanten Punkt habe hinzu-fügen können .Ich bedanke mich recht herzlich für die Aufmerksam-keit und wünsche weiterhin gute Beratungen .
Vielen Dank . Zumindest waren Sie vorbildlich, wasdie Redezeit angeht .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe damitdie Aussprache zum Einzelplan 09 . Wir kommen zurAbstimmung über diesen Einzelplan . Hierzu liegen zweiÄnderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenvor, über die wir zuerst abstimmen .Jan Metzler
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Änderungsantrag auf Drucksache 18/6800 . Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositi-onsfraktionen abgelehnt .Änderungsantrag auf Drucksache 18/6801 . Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen derCDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen vonBündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion DieLinke abgelehnt .Wir stimmen nun über den Einzelplan 09 in der Aus-schussfassung ab . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 09 – Bun-desministerium für Wirtschaft und Energie – ist mit denStimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen dieStimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen angenommen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir zumnächsten Einzelplan kommen, möchte ich bereits jetztdarauf hinweisen, dass die Fraktionen der CDU/CSUund SPD gebeten haben, die Sitzung nach der Beratungdes Einzelplans 17 für etwa eine Stunde für Fraktions-sitzungen zu unterbrechen . Nach jetziger Zeitplanungwäre das gegen 17 Uhr . Ich bitte Sie alle in diesem Zu-sammenhang, nach Möglichkeit keine Zwischenfragenzu stellen oder Kurzinterventionen vorzunehmen, außerdann, wenn sie ganz dringend nötig sind, damit wir denheutigen Zeitplan für die Beratungen in etwa einhaltenkönnen . Das ist in unserem gemeinsamen Interesse .Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .14 auf:Einzelplan 15Bundesministerium für GesundheitDrucksachen 18/6114, 18/6124Die Berichterstattung liegt bei den Abgeordneten Pe-tra Hinz , Helmut Heiderich, Dr . Gesine Lötzschund Ekin Deligöz .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich höre hierzukeinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die KolleginDr . Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr geehr-ten Damen und Herren! Der Etat des Ministeriums fürGesundheit macht nur 4,7 Prozent des Bundeshaushal-tes aus . Aber, meine Damen und Herren, es gibt keinenGrund, ihn zu unterschätzen;
denn die jährlichen Gesundheitsausgaben in Deutschlandsind ungefähr so hoch wie der gesamte Bundeshaushalt .Parlament und Gesundheitsministerium können mit Ge-setzen und Verordnungen massiven Einfluss auf Ausga-ben und Einnahmen nehmen. Diesen Einfluss müssen wirbesser nutzen .
Für mich gibt es für die Bewertung eines Haushaltsdrei Kriterien: Er muss sozial, gerecht und finanzierbarsein . Vorab die positive Nachricht: Dieser Haushalt istfinanzierbar. Aber er ist weder sozial noch gerecht. Einwichtiger Schritt wäre, die Aufhebung der paritätischenFinanzierung der Krankenkassenbeiträge nicht längerhinzunehmen . Hier muss wieder Gerechtigkeit her .
Kollege Lauterbach von der SPD, Sie hatten kürzlichkritisiert, dass die Arbeitnehmer bei steigenden Zusatz-beiträgen überproportional stark belastet werden . Siesagten in der Debatte, das sei nicht durchzuhalten undnicht gerecht . Nach der Sommerpause – so Kollege Lauterbach – wolle man in der Koalition darüber spre-chen, wie die Arbeitgeber stärker an den Kosten derKrankenversicherung beteiligt werden könnten . Ich stel-le fest: Der Sommer ist vorbei . Aber wo sind die Ergeb-nisse? Die paritätische Finanzierung ist immer noch nichtwiederhergestellt . Wir müssen endlich die Gerechtigkeitwiederherstellen .
Die beste Lösung wäre natürlich, endlich eine Bürger-versicherung einzuführen . Nötig und logisch wäre es,alle Einkommensarten – also nicht nur Löhne und Ren-ten, sondern auch Kapitaleinkünfte – beitragspflichtig zumachen . So könnten wir endlich eine solidarische Bür-gerversicherung finanzieren. Das wäre das Gebot derStunde .
Aber nicht nur die Einnahmen werden nicht gerechtund sozial erhoben, auch bei den Ausgaben geht es nichtgerecht zu. Ich finde, das kann man am Beispiel des Um-gangs mit den Hebammen besonders deutlich erkennen .Auch wenn das schon oft besprochen wurde, muss ich daswieder aufgreifen; denn das Problem ist nicht gelöst . DieHebammen müssen immer noch die immens gestiegenenHaftpflichtprämien alleine zahlen. Der Spitzenverbandder gesetzlichen Krankenkassen fordert einen Ausschlussvon Hausgeburten aus der Erstattungspflicht, wenn dererrechnete Geburtstermin nicht eingehalten wird . Undwie die Natur so ist: Man kann nicht alles genau berech-nen . Das wissen ja viele von uns aus Erfahrung, meineDamen und Herren .
Das bedeutet für Frauen, dass eine Hausgeburt zu ei-ner sogenannten IGeL-Leistung werden kann, die privatbezahlt werden muss . Das nenne ich Zweiklassenmedi-zin. Und ich finde, Zweiklassenmedizin darf es in diesemLand nicht geben .
Leider gibt es auch eine Zweiklassenpflege. Auch damuss es Veränderungen geben . Eine Untersuchung derUniversität Witten/Herdecke hat ergeben: In deutschenVizepräsidentin Ulla Schmidt
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Pflegeheimen muss eine Pflegekraft nachts im Schnitt52 Menschen betreuen . Damit stünden für einen Heim-bewohner pro Nacht gerade einmal zwölf Minuten zurVerfügung . In manchen Heimen ist der Versorgungs-schlüssel sogar weit schlechter als der ermittelte Durch-schnittswert . So geben 8,7 Prozent der Befragten an,nachts sogar für mehr als 100 Heimbewohner zuständigzu sein . In manchen Fällen müssen sie sogar mehrereHäuser betreuen .Herr Gröhe, Sie sind der zuständige Minister . DieseZustände müssen endlich per Gesetz geändert werden .Die gesetzliche Personalbemessung soll erst 2020 einge-führt werden . Das bedeutet fünf weitere Jahre Arbeits-stress und Pflegenotstand. Ich finde, das muss verhindertwerden . Hier müssen wir schnell gemeinsam gesetzlichtätig werden .
Natürlich kommt häufig der Einwurf, mehr Personalin Krankenhäusern und Pflegeheimen würde zu höherenBeiträgen führen . Das sehe ich nicht so . Die OECD hatuns in einer Studie vorgehalten, dass in Deutschland diehohen Gesundheitskosten und der Gesundheitszustandder Bevölkerung in keinem guten Verhältnis zueinanderstehen. Ich finde, wir müssen das viele Geld viel bessereinsetzen .
Zum Beispiel wurden in deutschen Krankenhäusern imJahr 2014 knapp 2 Millionen Menschen ambulant ope-riert . Damit hat sich die Zahl dieser Operationen seit 2002verdreifacht . Der Gesundheitszustand unserer Bevölke-rung hat sich in zwölf Jahren doch nicht so dramatischverschlechtert . Und auch in Ländern wie zum BeispielJapan, die eine ähnliche demografische Entwicklung wiewir erleben, gibt es keine vergleichbare Explosion bei derAnzahl dieser Operationen .Meine Damen und Herren, das Problem ist die Fehl-steuerung der Krankenhäuser . Und die geht von der Bun-desregierung aus . Krankenhäuser sind nun einmal keineFabriken . Es muss in erster Linie um die Gesundheit derMenschen gehen . Und da kann ich Minister Gabriel inBezug auf das, was er in seiner vorhin gehaltenen Redegesagt hat, völlig Recht geben: Zu diesen Menschengehören auch die Flüchtlinge . Herr Gabriel, ich forde-re Sie auf: Geben Sie nicht nur öffentlich den Raufbold,sondern setzen Sie richtige Dinge auch in der Koalitiondurch . Dann können wir Sie auch unterstützen .
Meine Damen und Herren, unser Gesundheitssystemist finanzierbar. Es muss endlich sozial und gerecht wer-den . Herr Gröhe, es gibt eine Menge zu tun . Wir müssenes endlich anpacken .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Bundesminister
Hermann Gröhe für die Bundesregierung .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich beginne mit dem Dank an die Hauptberichterstatterinsowie an die Berichterstatter für gute und konstruktiveBeratungen im Haushaltsausschuss, erlaube mir aber dieBemerkung an Sie, Frau Dr . Lötzsch: Ihre Beschreibungunseres Gesundheitssystems hatte mit der Realität nichtviel zu tun, und die Menschen in diesem Land wissendas .
Sie wissen, dass wie in nur ganz wenigen Ländern derWelt in unserem Land die Menschen komplexe, hoch-aufwändige Behandlungen bekommen, wenn sie siebrauchen, unabhängig von ihrem Einkommen . Das gibtes nur in ganz wenigen Ländern der Welt . Ihre Beschrei-bung einer angeblichen totalen Ungerechtigkeit hat mitder Realität nichts zu tun, und das wissen die Menschenin diesem Land .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will nichtnur den Haushältern, sondern auch den Gesundheitspoli-tikern der Koalition und der Fraktionen insgesamt dan-ken . In den letzten Monaten haben wir zahlreiche um-fangreiche Gesetzesvorhaben abgeschlossen . Ich nennedas Pflegestärkungsgesetz, die Krankenhausreform, dasVersorgungsstärkungsgesetz, das Hospiz- und Palliativ-gesetz und das Präventionsgesetz . Wir stehen auch kurzvor der Verabschiedung des E-Health-Gesetzes . Dahintersteckt viel Arbeit, für die ich den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern meines Hauses, aber auch den beteiligtenParlamentarierinnen und Parlamentariern aller Fraktio-nen danke . Wir haben viel miteinander geschafft .
All diesen Projekten ist gemeinsam: Sie verbesserndie Qualität der Versorgung in unserem Land, und sieentwickeln die Strukturen weiter im Hinblick auf die He-rausforderungen der demografischen Entwicklung. Gera-de ältere, chronisch oder mehrfach Erkrankte sind daraufangewiesen, dass das Zusammenwirken der unterschied-lichsten Gesundheitsberufe, von Ärztinnen und Ärztender unterschiedlichen Fachdisziplinen, von ambulant bisstationär, bestmöglich funktioniert . Eine stärkere Vernet-zung bei allen Leistungserbringern durchzusetzen: Dasist deswegen heute angezeigt .Deshalb stärken wir im VersorgungsstärkungsgesetzPraxisnetzwerke und die sektorübergreifende Zusam-menarbeit . Deswegen stärken wir im Hospiz- und Pal-liativgesetz die Zusammenarbeit zwischen Palliativme-dizin und Altenpflege. Deshalb befördern wir mit derKrankenhausreform eine kluge Arbeitsteilung zwischenunterschiedlichen Kliniken, und deswegen fördern wirdie Telemedizin als ein wichtiges Instrument zur besse-Dr. Gesine Lötzsch
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ren Koordination der Leistungsanbieter im Gesundheits-wesen .Es geht darum, Brücken statt Mauern zu bauen . Ichweiß, dass das mitunter Ängste auslöst . Die jüngste Po-lemik gegen die gesetzgeberische Vorgabe der engerenZusammenarbeit der Notfallambulanzen in den Kran-kenhäusern mit den Notfallpraxen der niedergelassenenÄrztinnen und Ärzte zeigt das . Ich weise diese Polemikausdrücklich zurück . Uns geht es um ein faires Miteinan-der . Im Mittelpunkt muss aber das Wohl der Patientinnenund Patienten und nicht der Kampf um Vergütungsanteilestehen .
Wir wissen, dass es Verbesserungen nicht zum Nullta-rif gibt . Deswegen ist nicht zuletzt der Kraftakt, mit demwir die Pflege in unserem Land verbessern, mit einerBeitragssatzanhebung von insgesamt 0,5 Prozentpunk-ten, paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf-zubringen, verbunden . Wir wissen aus allen Umfragen,dass die Bevölkerung in diesem Land die Verbesserun-gen für notwendig hält und die dafür erforderliche Bei-tragssatzerhöhung akzeptiert . Dies ist ein starkes Zeichender Solidarität in unserer Gesellschaft .
Meine Damen, meine Herren, wir gehen den Wegentschlossen voran . Kollegin Schwesig und ich arbeitenunter Hochdruck am Pflegeberufsgesetz, also an der Mo-dernisierung der Ausbildung in der Pflege. Mit dem Pfle-gestärkungsgesetz III werden wir die Zusammenarbeitzwischen kommunaler Altenhilfe und den Leistungen derPflegeversicherung verbessern.Karl-Josef Laumann treibt die Verbesserungen beimPflege-TÜV wie auch bei der Entbürokratisierung in derPflegedokumentation voran. Herzlichen Dank für dieseArbeit!
Die Anhebung des durchschnittlichen Zusatzbeitragesin der gesetzlichen Krankenversicherung um 0,2 Pro-zentpunkte hat zu öffentlichen Diskussionen geführt . Dasist so . Aber ich erlaube mir den Hinweis: Wir reden übereine Erhöhung, die bei einem Bruttoeinkommen von3 000 Euro im Monat 6 Euro im Monat ausmacht . Einehalbe Kinokarte für die Beteiligung an Spitzenmedizin!
Für Alarmismus ist da wahrlich kein Raum .
Im Übrigen weise ich darauf hin, dass es erheblicheUnterschiede in den Beiträgen einzelner Kassen gibt unddie gesetzliche Krankenversicherung und der Gesund-heitsfonds noch immer über Reserven von deutlich über20 Milliarden Euro verfügen .Schließlich bestreitet niemand, dass die Schritte, diewir gegangen sind – mehr Pflege in den Krankenhaussta-tionen, bessere Stärkung der Hospiz- und Palliativmedi-zin und Verbesserungen bei der Hygiene in den Kranken-häusern –, erstens sinnvoll und zweitens im Interesse derVersicherten in unserem Land sind .Bei den Leistungsverbesserungen haben wir aber ne-ben der Lebensqualität der einzelne Patientin und deseinzelnen Patienten immer die nachhaltige Finanzierbar-keit unseres solidarischen Gesundheitswesens im Blick .Deswegen sind beispielsweise Schritte wie ein klaresBekenntnis „Reha vor Pflege“, eine bessere sektoren-übergreifende Zusammenarbeit und eine Krankenhaus-reform, die auf intelligente Arbeitsteilung setzt, immersowohl eine Verbesserung für die betroffenen Patientin-nen und Patienten als auch eine Stärkung der Wirtschaft-lichkeit unseres solidarischen Gesundheitswesens .Das gilt in besonderer Weise für das Präventionsge-setz, das am 1 . Januar nächsten Jahres in Kraft tretenwird . Auch hier geht es darum, Lebensqualität zu sichernbzw . zu gewinnen, indem lebensstilbedingte Erkrankun-gen vermieden werden . Aber damit werden Kosten ver-meidbarer Behandlungen auch nicht anfallen . Nehmenwir als Beispiel die Volkskrankheit Diabetes mellitus .6,7 Millionen Menschen in unserem Land leiden an die-ser Krankheit, verbunden mit Risiken wie Herzerkran-kung, Schlaganfall, Erblindung und Amputation . Hiergeht es auch um milliardenschwere Behandlungskosten .Wenn es uns gelingt, durch starke präventive Angeboteund rechtzeitiges Erkennen und Behandeln hier entge-genzuwirken, dann bedeutet das nicht nur, dass wir – da-rum muss es zuallererst gehen – den betroffenen Men-schen unendlich viel Leid ersparen . Vielmehr können wirdann auch die Mittel zur Deckung unnötiger Milliarden-kosten sparen . Deshalb ist es richtig, dass wir neben denMaßnahmen des Präventionsgesetzes zur Gesundheits-förderung in allen Lebensbereichen – von der Kita bishin zur Altenpflege – erstmalig 3 Millionen Euro in denEinzelplan 15 zur Bekämpfung des Diabetes mellituseingestellt haben .
Prävention, Hilfe, Repression – das ist der Dreiklangunserer Politik im Bereich der Drogen . Ich danke aus-drücklich der Drogenbeauftragten der Bundesregierung,Marlene Mortler, für ihre engagierte Arbeit . Legalewie illegale Suchtmittel fordern uns weiter in besonde-rer Weise heraus . Frau Mortler stößt hier Wichtiges an .Herzlichen Dank für diese Arbeit!
Wir werden hier alsbald weitere gesetzliche Regelungenvornehmen . Ich nenne als Beispiel eine Stoffgruppen-regelung, mit der wir endlich ein rechtssicheres Verbotneuer psychoaktiver Stoffe – häufig völlig verharmlo-send Designerdrogen genannt – auf den Weg bringen . Ichnenne als weiteres Beispiel die gesetzliche Regelung desZugangs von Kranken zu Cannabis als Medizin in denFällen, in denen das die angezeigte Therapie ist .
Bundesminister Hermann Gröhe
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All dies werden wir in Kürze im Rahmen des gesetzgebe-rischen Handelns auf den Weg bringen .Doch nicht allein umfangreiche Gesetzgebung hat unsalle miteinander in den zurückliegenden Monaten ge-fordert . Ich erinnere an die Situation vor einem Jahr, alswir ebenfalls über den Haushalt berieten und uns alle diekatastrophale Entwicklung in Westafrika, der Ausbruchvon Ebola, in Atem hielt . In diesen Tagen zeigen einzelneneue Infektionsfälle in Liberia, dass der Kampf noch im-mer nicht vollends gewonnen ist, dass die letzten Metereines Weges offenkundig die härtesten und anstrengend-sten sind, auch wenn in der Zwischenzeit viel erreichtwerden konnte . Trotzdem ist es richtig und wichtig, dassdie Bundesregierung international den Prozess voran-treibt und darauf drängt, dass Lehren aus dieser Katast-rophe gezogen werden: Warum wurde sie anfangs unter-schätzt? Warum lief die internationale Hilfe zu zögerlichan? Es ist gut und wichtig, dass wir dies aufbereiten;denn wir müssen auf zukünftige Gefahren dieser Art bes-ser vorbereitet sein .Ich freue mich darüber, dass wir die G-7-Präsident-schaft Deutschlands genutzt haben – ich danke dafür aus-drücklich der Bundeskanzlerin, aber auch den KollegenMüller und Schmidt sowie der Kollegin Wanka; das istuns gemeinsam gelungen –, globale Gesundheitspolitikzu einem Markenzeichen der Politik unseres Landes zumachen . Das ist Teil unserer Verantwortung, schützt aberauch die eigene Bevölkerung . In diesem Zusammenhangfreue ich mich, dass wir uns mit dem Bundesministeri-um für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-lung darauf verständigt haben, dass aus den zusätzlichzur Verfügung gestellten Mitteln im Bereich der Ent-wicklungszusammenarbeit 10 Millionen Euro durch dasBundesgesundheitsministerium bewirtschaftet werden,um damit die Beschlüsse des G-7-Gipfels im Bereich desglobalen Gesundheitsschutzes und der freiwilligen Leis-tungen für die Weltgesundheitsorganisation zu finanzie-ren .In diesen Tagen fordert uns die Versorgung der Men-schen, die zu uns fliehen, in besonderer Weise heraus.Das ist nicht nur humanitär geboten, sondern es dientauch dem Schutz der Bevölkerung insgesamt . Auchwenn die Bundesländer die Leistungen nach dem Asyl-bewerberleistungsgesetz umsetzen, so will ich dochfesthalten, dass die entsprechenden gesetzlichen Rege-lungen, beispielsweise ausdrücklich im Asylbewerber-leistungsgesetz genannt, selbstverständlich die erforder-lichen Leistungen bei der Betreuung von Schwangerenvorschreiben .
Auch wenn die Zuständigkeiten so sind wie beschrie-ben, ist es selbstverständlich auch eine Aufgabe meinesHauses und der angeschlossenen Bundesbehörden, dasswir bestmöglich diejenigen, die vor Ort Verantwortungtragen, in ihrer Arbeit unterstützen . So hat beispielswei-se das Robert-Koch-Institut ein Impfkonzept entwickeltund Handreichungen für den Umgang mit spezifischerkrankten Flüchtlingen erarbeitet . Es gibt ein standar-disiertes Konzept für Erstuntersuchungen, und es gibtImpfaufklärungsmaterialien inzwischen in 20 Fremd-sprachen . Es gibt also umfassende Informationen für dieMenschen, die zu uns kommen, damit sie in ihrer Hei-matsprache beispielsweise über notwendige Impfungeninformiert werden .Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärungstellt in sechs Sprachen Materialien über verschiede-ne Infektionskrankheiten zur Verfügung, und das Paul-Ehrlich-Institut und das Bundesinstitut für Arzneimittelund Medizinprodukte stellen den Ländern bei der impf-stoffbezogenen und arzneimittelbezogenen Versorgungvon Flüchtlingen in einer Clearingstelle Beratung undHilfe zur Verfügung .Sie wissen alle, dass zur Bewältigung der Flüchtlings-situation in diesem Bundeshaushalt von der Bundesre-gierung 4 Milliarden Euro für das Jahr 2016 zusätzlicheingestellt wurden . Aus diesen Mitteln werden auch dieKosten der Gesundheitsversorgung bestritten . Das sindalso keine Kosten, die die gesetzlich Versicherten wo-möglich durch eine Erhöhung ihrer Beitragszahlung be-lasten. Das sei angesichts mancher Simplifizierung in derÖffentlichkeit ausdrücklich festgestellt .
Allerdings möchte ich an dieser Stelle auch nicht ver-schweigen, dass wir uns perspektivisch mit der Fragebeschäftigen müssen, wie sich die Integration der Asyl-suchenden in den nächsten Jahren auch auf die Kranken-versicherung auswirken wird . Ich möchte an dieser Stellenicht spekulieren und alle davor warnen, dies vorschnellzu tun . Aber wir werden uns natürlich mit der Frage zubeschäftigen haben, wie eine schnelle Integration in denArbeitsmarkt gelingt und welche Auswirkungen sie dannauf die zu tragenden Kosten, auch angesichts entspre-chender Krankheitsbilder, für die Krankenversicherunghat . Wir werden dies jedenfalls sehr aufmerksam beob-achten und dann gegebenenfalls mit Ihnen über notwen-dige Schritte reden .Für heute darf ich noch einmal für die guten Beratun-gen danken und Sie um Zustimmung zum Einzelplan 15bitten .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt
die Kollegin Ekin Deligöz das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrter Herr Minister! Der Gesundheitsetat hatin der Tat relativ wenig Spielraum . Von dem Etat gehen95 Prozent, nämlich 14 Milliarden Euro, erst einmal abals Zuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung .Dann bleiben 574 Millionen Euro übrig . Über die redenwir, wenn wir über den Gesundheitsetat im Haushalts-ausschuss beraten .Herr Minister, erlauben Sie mir eines . Es ist zwar ganzungewöhnlich, dass jemand aus der Opposition so etwasBundesminister Hermann Gröhe
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sagt, aber ich bearbeite fünf Haushaltspläne und kann esdeshalb ganz gut beurteilen: Sie sind der Minister, dersich am allerbesten in seinem Etat auskennt, bis ins De-tail hinein. Ich finde, das muss man hier schon einmalerwähnen .
Sie würden sich aber wundern, wenn ich nicht trotz-dem noch Verbesserungsvorschläge hätte . Einen Teilunserer Verbesserungsvorschläge haben Sie schon über-nommen . Es freut mich besonders, dass Sie da sehr offensind . Ich denke, die größte Herausforderung überhauptin Ihrem Etat ist, dass wir im Bereich der gesetzlichenKrankenversicherung und der Pflegeversicherung vo-rausschauend handeln müssen, um das System stabil,gerecht und zukunftsfest zu machen . Das sind die dreiPunkte, über die wir reden .Wenn wir über die Sozialversicherung in diesem Landreden, alle Sozialversicherungszweige zusammen, redenwir immerhin über 450 Milliarden Euro . Etwas wenigerals die Hälfte dieser 450 Milliarden Euro kommen in derGKV und in der Pflegeversicherung an. Hier kommendie größten Herausforderungen auf uns zu . Der demo-grafische Wandel, die älter werdende Gesellschaft, tech-nischer Fortschritt, aber auch medizinischer Fortschritt,der Personalbestand – Stichwort Fachkräftemangel –, alldas wird das System in der kommenden Zeit teurer ma-chen . Es werden Kosten auf uns zukommen, die wir auchaufbringen müssen .Ich möchte zwei Punkte festhalten . Das eine, das michbesorgt macht, ist, dass wir nur bedingt eine parlamen-tarische Kontrolle über diese Mittel haben, während unsdie Menschen vertrauen, dass das Geld auch in ihremSinne verwendet wird. Ich finde, das ist eine Baustellefür uns, auch im Rechnungsprüfungsausschuss .Das Zweite ist, dass wir in diesem Bereich natürlichauf die Frage reagieren müssen: Wie entwickeln sich dieSozialversicherungen? Alle Modelle, die Sie jetzt aufge-zeigt haben – sei es im Bereich der Krankenhausfinan-zierung, der Pflege oder anderes –, werden nicht dazubeitragen, dieses System per se zukunftsfest zu gestaltenund auch langfristige Planungen zu ermöglichen . Dafürwaren diese Schritte zu klein, und sie werden in diesemBereich auch wirkungslos verhallen .Was noch dazukommt – Sie selbst haben das ange-sprochen –: Wir müssen auch über neue Formen der So-lidarität nachdenken . Wir Grünen schlagen da eine Bür-gerversicherung vor .
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in diesem Landernsthaft darüber reden müssen .
Der größte Debattenpunkt in Ihrem Etat ist in der Tatder Bereich der Flüchtlinge . Menschen kommen, Men-schen bleiben . Sie suchen Schutz . Sie sind traumatisiert .Dass Sie die Schutzimpfungen und vieles mehr in dieHand nehmen, ist gut und wichtig . Das wird aber nichtausreichen .Ich möchte einen anderen Punkt herausgreifen:50 Prozent der Flüchtlinge sind unter 25 Jahre alt . Siekommen nach einer langen Reise hierhin . Sie sind ge-schwächt, und sie sind traumatisiert . Diesen Traumatisie-rungen begegnen wir aber noch nicht mit einer flächen-deckenden psychosozialen Betreuung .Es gibt die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psy-chosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer mitderzeit 30 Zentren für ganz Deutschland . Viele dieserZentren sind in ihrer Existenz von freiwilligen Spendenabhängig . Sie versuchen, möglichst viel zu machen . Aberes gibt lange Wartezeiten . Diese Zentren müssen bangen .Warum müssen sie bangen? Weile viele der Kosten nichtadäquat von der GKV übernommen werden .Ich will Ihnen ein Beispiel geben . Bei einer Therapieist die Sprache das Therapieinstrument . Die GKV über-nimmt aber keine Dolmetscherkosten . Die GKV über-nimmt auch nicht die Kosten für die tatsächliche Zeit,die entstehen wird, wenn Dolmetscher eingesetzt wer-den . Das hat zur Konsequenz, dass nur ein Bruchteil derKosten übernommen wird und dass Therapien manchmalsogar abgebrochen werden müssen, wenn die Leute vomAsylbewerberleistungsgesetz in die GKV übergehen unddeshalb auf der Strecke bleiben . Die Kosten dieses Ver-fahrens werden uns dennoch in Rechnung gestellt, wennauch in einer anderen Form. Ich finde, deshalb müssenwir die Traumata bei den Flüchtlingen nicht nur ernstnehmen, sondern wir müssen da massiv aktiv werden .
In der letzten Woche gab es einen großen Integrati-onsgipfel . Da werden Sie jetzt im Bereich Migration undIntegration eine halbe Million Euro in die Hand nehmen .Ich finde, das ist ein Tropfen auf einen ganz heißen Stein.Wenn man solche Gipfel im Kanzleramt veranstaltet,weckt man natürlich Erwartungen . Aber diesen Erwar-tungen müssen auch Taten folgen; denn ansonsten ver-bleibt nur Symbolpolitik. Ich finde, genau das sollten wiruns in diesem Bereich nicht leisten .
Ganz am Schluss komme ich noch zur WHO . HerrMinister, Sie haben gerade gesagt: Trotzdem investierenwir. – Ich finde, wir sollten sagen: Gerade deshalb inves-tieren wir in die WHO .Letzte Woche wurde ein Aktionsplan in Rom beschlos-sen. Wir in Deutschland sind verpflichtet, die Beschlüsse,die dort getroffen worden sind, umzusetzen . Dazu gehörtauch das nachhaltige Denken . Wenn wir nicht rechtzeitigin die WHO investieren, dann werden wir die Quittungdafür bekommen . Ebola lehrt uns etwas, nämlich dassdie Investitionen in die WHO eine gute Präventionsarbeitdarstellen . Wir fordern dafür zusätzliche Mittel, weil wirder Meinung sind, dass wir die internationalen Struktu-ren höherhalten müssen und sie nicht vergessen dürfen .Herr Minister, es gibt viel zu tun, auch wenn nicht soviel Geld in Ihrem Budget steht . Kreative Ideen gibt esEkin Deligöz
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genug . In diesem Sinne kämpfen wir dann umso mehr fürmehr Geld für Sie .Danke schön .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die
Kollegin Petra Hinz .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wirhier heute über den Haushalt für das kommende Jahrberaten, dann müssen wir dies im Gesamtkontext dervon der Großen Koalition beschlossenen Haushalte tun .So möchte ich auch den aktuellen Haushalt verstandenwissen . Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass wir,die Große Koalition, erneut einen Schwerpunkt auf dieGesundheitsvorsorge, insbesondere bei Kindern, gesetzthaben . Das, was wir für die Haushalte 2014 und 2015auf den Weg gebracht haben, ist eine Reihe von Maßnah-men, die wir auch in den kommenden Haushalten ent-sprechend fortsetzen werden .Wenn wir sozusagen das Buch der Haushalte für denBereich Gesundheit aufschlagen, dann möchte ich ganzgern einmal die groben Eckdaten nennen . Wir verfügeneigentlich – da haben alle Kolleginnen und Kollegen, diebisher gesprochen haben, recht – über einen wesentlichgrößeren Haushalt – er umfasst 14,6 Milliarden Euro –,reden aber in der Tat nur über die 86 Millionen Euro, diefür die gesamtpolitischen Maßnahmen zur Gesundheits-pflege zur Verfügung stehen.Im Vergleich zum Jahr 2015 verzeichnet der Einzel-plan einen Aufwuchs um 2,5 Milliarden Euro . Für diegesetzliche Krankenversicherung sind Ausgaben von14 Milliarden Euro vorgesehen . Wie zugesagt, werdendie Ausgaben für die gesetzliche Krankenversicherungab 2017 wieder dauerhaft bei 14,5 Milliarden Euro lie-gen .Eins möchte ich zu den neuen Strukturen im Haus-halt 2016 sagen – das ist für uns als Haushälter wichtig –:Wir waren die letzten Haushälter, die noch nicht mit neu-en Strukturen gearbeitet haben . Es gibt eine neue Sys-tematik . Viele Maßnahmen sind zusammengeführt wor-den . Für uns als Haushälter ist das sehr wichtig, weil wirdadurch einen besseren Überblick darüber bekommenhaben, mit wie vielen Maßnahmen wir im Bereich derGesundheit, der Pflege, der Prävention, unterwegs sind.Ein weiterer Punkt ist die Frage von Pflichtbeiträgenund freiwilligen Leistungen an die WHO; er ist geradevon meiner Kollegin Ekin Deligöz und auch von Minis-ter Gröhe angesprochen worden . Ich denke, wir sind daauf dem richtigen Weg . Wir haben das, worüber auch wirhier diskutiert haben, in einem ersten Schritt umgesetzt .Dass wir auch da besser mit einem anderen Ressort zu-sammenarbeiten, ist für uns keine neue Erkenntnis; denn„Gesundheit und Pflege“ ist einfach ein Querschnittsbe-reich . Sie haben gerade schon deutlich gemacht, dass wirmit der Familienministerin, aber auch mit der Ministerinfür Arbeit und Soziales und dem Minister für wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung zusammenar-beiten .Kommen wir auf den Bereich gesamtpolitische Maß-nahmen zu sprechen, für den 86,4 Millionen Euro zurVerfügung stehen . Hier möchte ich einen ersten Schwer-punkt bei Prävention und Aufklärung sehen; dafür sind41,7 Millionen Euro veranschlagt . Man kann sagen: Dasist angesichts der Bedeutung der Prävention zu wenig .Wenn bereits Kinder aufgeklärt und gesund leben, dannwerden sie mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auchgesund älter . Insofern wird sich all das, was wir in dieKinder investieren, gerade im Gesundheitsbereich, mitihrem Älterwerden für das Gesundheitssystem rechnen .An dieser Stelle sei zur Bundeszentrale für gesund-heitliche Aufklärung gesagt, dass die Behördenleitunggewechselt hat: Frau Heidrun Thaiss ist die neue Behör-denleiterin . Sie hat sich im Rahmen des Berichterstatter-gesprächs vorgestellt . In einem weiteren Gespräch hat sienoch einmal ihre Aufgaben dargelegt . Insbesondere hatsie klargestellt, vor welchen Herausforderungen wir imZusammenhang mit dem Präventionsgesetz, welches am1 . Januar 2016 in Kraft treten wird, stehen .6 Millionen Euro werden wir wieder für die Organ-spendekampagne bereitstellen . Leider sind wir auch aufdiesem Gebiet noch nicht so weitergekommen, wie wires uns vorstellen könnten und wie es auch notwendigwäre . Für den Bereich der Durchimpfungsrate haben wirweiterhin 3 Millionen Euro eingeplant .Zu den Bereichen Aids- und Drogenaufklärung . Ichmöchte unserer Drogenbeauftragten noch einmal einherzliches Dankeschön für ihr Engagement sagen . Die-ses Dankeschön gilt aber nicht nur der Drogenbeauf-tragten, sondern allen Kolleginnen und Kollegen, die inder Gesundheitspolitik arbeiten . Wir müssen vor allemdie Aufklärung über die Gefahren des Drogenkonsumsund der Infektionskrankheiten stärken . Man soll es nichtglauben: Trotz der umfangreichen Aufklärung, trotz derBewusstseinsarbeit steigen die entsprechenden Zahlenimmer wieder an . Wenn man das feststellt, wundert mansich schon sehr .Ein Thema liegt mir besonders am Herzen – entspre-chende Vorschläge waren die ersten, die wir in die Bera-tungen über die Haushalte 2014 und 2015 eingebracht ha-ben –: die Frage der Kindergesundheit, insbesondere imHinblick auf Prävention und Rehabilitation . Wir habengemeinsam lange über das Präventionsgesetz diskutiert .Wir haben Anhörungen durchgeführt, und wir haben esfachlich und inhaltlich diskutiert . Darüber hinaus habeich vor Ort, in ganz unterschiedlichen Bundesländern,mit Vertretern verschiedener Einrichtungen und Instituti-onen gesprochen . Sie haben mir eine Frage gestellt: Wasist mit denen, die noch nicht in den Bereich der Präventi-on gehören? Was ist mit den Kindern, die auch noch nichtin den Bereich der Rehabilitation gehören, für die wiraber im Vorfeld eine ganze Menge leisten müssen, damitEkin Deligöz
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sie gar nicht erst Leistungen nach dem SGB V brauchen,damit ihnen bei ihrer Übergewichtigkeit geholfen wird?Nun sprechen wir in dem Bereich von Perzentilenund von BMI-Werten – und dies bei Kindern . Wir ha-ben hier 90-Prozent- und 97-Prozent-Perzentile . Dasbedeutet: 90 Prozent oder 97 Prozent der Kinder sindnicht übergewichtig, und 10 Prozent oder 3 Prozent sindübergewichtig oder fettleibig . Das heißt, diese Kinderwerden mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit über-gewichtige Erwachsene . Hier wäre eine Rehamaßnah-me angezeigt . Aber was passiert mit denen, die nicht indiese Bereiche fallen? Können wir Kinder tatsächlich inPerzentile einteilen? Wollen wir schon Kinder mit einemBody-Mass-Index versehen? Sollten wir das nicht an-ders sehen? Wenn wir Kindern in den Familien, in denSchulen – Stichwort „Klasse2000“ – das Bewusstsein da-für stärken, dass sie besondere Menschen sind, dass sieSelbstvertrauen haben können, dass sie Stärken haben,dass sie Erfolge haben, dann wird sie das mit Sicherheitvor einer Übergewichtigkeit oder vielleicht sogar Fettlei-bigkeit bewahren .Ich habe hier einen besonderen Schwerpunkt gesetzt,weil ich hier den Schlüssel für das Problem sehe . WennKinder wohlgeraten, wenn Kinder, ich sage mal, behütetwerden – nicht im Sinne davon, dass man sie permanentbeschützt –, wenn Kindern ein Selbstbewusstsein mit-gegeben wird, dann werden diese Kinder auch gesundeErwachsene werden .
Wir haben weitere Schwerpunkte gesetzt: im Bereichder Modellvorhaben, gerade auch im Bereich der Res-sortforschung . Hier reden wir über den „Masterplan Me-dizinstudium 2020“, über den Ausbau der Versorgungs-forschung, über Strategien zur Bekämpfung von Krebs .Ja, das ist ein Thema, das immer und immer wieder aufder Tagesordnung steht . Es ist dringend erforderlich, dasswir dabei zu Erfolgen kommen .Zum Pflegebedürftigkeitsbegriff. Es ist gerade schonangesprochen worden, was dort auf den Weg gebrachtwird und vor welchen Herausforderungen wir insgesamtnoch stehen. Dabei geht es um die, die gepflegt werden,aber auch um die, die pflegen. Da sind wir mit dem Fa-milienministerium, denke ich, auf einem sehr guten Weg .Auch ein anderes Thema habe ich gerade schon ange-sprochen: sexuell übertragbare Krankheiten . Man soll esnicht glauben: Die Zahl geht leider nicht zurück, aber sieist zumindest konstant .Ich möchte noch ein Thema ansprechen, und zwar dieAspekte der Migration und Integration im deutschen Ge-sundheitswesen . Anfang des Jahres hat unsere Staatsmi-nisterin zur Unterzeichnung der Charta der Vielfalt insKanzleramt eingeladen . Es war eine großartige Veran-staltung . Sehr viele Vertreter waren dort anwesend, auchKolleginnen und Kollegen aus dem Gesundheitsbereich .Dort haben wir verabredet, dass wir für diesen Bereicheinen Titel schaffen und Geld zur Verfügung stellen wer-den . Das haben wir mit diesem Haushalt umgesetzt .Jetzt kann man sagen: Diese 500 000 Euro sind nurein Feigenblatt . – Aber: Wir sind seit dem Gipfel dabei,gemeinsam ein Konzept zu erarbeiten . Ich gehe davonaus, dass wir bei zukünftigen Haushalten – ich denke an2016/2017 – über einen weiteren Aufwuchs sprechenwerden .Das Thema Flüchtlinge hat sich in diesen Haushalts-beratungen wie ein roter Faden durch die Beratung al-ler Etats gezogen . Genau so muss es auch verstandenwerden: Es ist eine Gesamtaufgabe aller Bereiche, desgesamten Hauses . Es geht nicht um eine besondere The-menstellung eines einzelnen Bereichs .Ich bin sehr froh, Herr Minister Gröhe, dass Sie ge-rade die Schwangeren, die Kinder und Jugendlichenerwähnt haben . Diese haben sich nicht einfach auf eineReise gemacht, sondern sie haben Schreckliches erlitten,um aus einer Kriegsregion zu entkommen und in ein si-cheres Land zu gelangen . Unabhängig davon, inwieweitdie Gesetzesverfahren abgeschlossen sind und inwieweitsie in Kraft sind, müssen wir den Flüchtenden helfen,insbesondere den Schwangeren, den Kindern, den Trau-matisierten . Hieran werden wir in enger Abstimmung mitdem Familienministerium gemeinsam arbeiten .Zum Thema Behinderte . Da ist einmal die Frage derBehinderten grundsätzlich . Es sind besondere Krank-heitsmerkmale, die Behinderte haben . Ich habe in derersten Lesung darauf aufmerksam gemacht, auch vordem Hintergrund der Erfahrungen mit den Special Olym-pics, vor welchen Herausforderungen die behindertenMenschen insgesamt stehen . Noch viel mehr gilt das fürdie, die auf der Flucht sind . Deshalb dürfen wir die Be-hinderten, die auf der Flucht sind, auf keinen Fall ausdem Auge verlieren .Ich möchte mich bei allen, die dazu beitragen, dassunser Gesundheitswesen bestmöglich funktioniert, undbei allen Vertretern der Wohlfahrtsverbände, die sichin unterschiedlichen Bereichen, ob hauptamtlich oderehrenamtlich, engagieren, ganz herzlich bedanken . Ichbedanke mich insbesondere bei meinen Kolleginnen undKollegen im Gesundheitsausschuss, im Fachbereich, fürdie großartige Unterstützung, für den Zuspruch, für jedeHilfestellung, die gegeben wird, damit wir im Haushalts-ausschuss das umsetzen können, was dort inhaltlich dieganze Zeit über diskutiert wird . Ich möchte nicht ver-säumen, mich beim Ministerium ganz herzlich für dieZuarbeit zu bedanken . Meine Mitberichterstatterin EkinDeligöz hat Sie ja gerade schon in den höchsten Tönengelobt . Ich kann mich dem Lob nur anschließen . Ichmöchte mich beim Bundesfinanzministerium und beimBundesrechnungshof bedanken, aber auch noch einmalbei meinen Kolleginnen und Kollegen . Insbesonderebedanke ich mich ganz herzlich bei meinen Mitbericht-erstatterinnen und Mitberichterstattern, dass sie mir dieZusammenarbeit ganz einfach machen . Vielen Dank fürdie geleistete Arbeit, aber auch schon einmal für die Ar-beit, die noch vor uns liegt .Herzlichen Dank .
Petra Hinz
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Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege
Dr . Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! DieKollegin Hinz hat gerade – zu Recht, wie ich meine – dieFlüchtlingsthematik als eine Querschnittsthematik be-schrieben . Dies trifft uns natürlich auch im Bereich derGesundheitspolitik . Ich möchte vorab ganz klar festhal-ten: Es geht hier zuallererst um eine humanitäre Frageund erst dann um die Fragen von Euro und Cent, vonSteuerung und Begrenzung,
aber natürlich auch um die Frage von Euro und Cent, sowie bei den gesetzlich Versicherten . Wenn ich sage: „DasThema hat Relevanz für die Gesundheit“, dann möchteich hier auf der einen Seite auf berechtigte Sorgen hin-weisen, auf der anderen Seite aber auch ganz klar sagen:Es geht nicht darum, unberechtigte Ressentiments zu we-cken . Flüchtlinge sind keine Seuchenbringer, überhauptnicht .
Ganz im Gegenteil: Was solche Themen angeht, produ-zieren die deutschen Eltern, die ihre Kinder nicht impfenlassen, in dieser Hinsicht ganz andere Risiken; das mussman an der Stelle auch einmal deutlich sagen .
Trotzdem gibt es natürlich Themen wie das der offe-nen Tbc, die uns umtreiben und die zeigen, wie wichtiges ist, auch aus gesundheitspolitischen Erwägungen dieResidenzpflicht durchzusetzen.
Wir haben, was die Versorgung der Flüchtlinge angeht,als Bund das Notwendige getan, beispielsweise durchden Verzicht auf Mengenabschläge bei den Krankenhäu-sern, in denen Flüchtlinge behandelt werden, um nichtdas Risiko einzugehen, dass denen, die viel machen, amSchluss viel abgezogen wird . Wir haben den Ländern dieGesundheitskarte als Option gegeben . Ich gebe offen zu,dass die Unionsfraktion hier durchaus skeptisch war auf-grund einer zu befürchtenden Anreizwirkung .
Aber wir wissen auch, dass an dieser Stelle am Schlussdie Länder gefordert sind . Bei denen, die den öffentli-chen Gesundheitsdienst runtergefahren haben, rächt sichdas jetzt . Die sind nämlich gerade in einer schwierigenSituation . Ich möchte all denjenigen Dank und Anerken-nung aussprechen, die sich im Gesundheitswesen umdieses angesichts von Sprachbarrieren und Krankheitenschwierige Thema kümmern .
Ich möchte ausdrücklich auch dem zuständigen Mi-nister Gerd Müller Unterstützung zusagen . Er hat rechtmit dem Hinweis, dass Gesundheitsvorsorge schon inFlüchtlingscamps im syrischen Umfeld stattfinden muss.
Da geht es darum, dass die Bedingungen nicht nochschwieriger werden, als sie ohnehin schon sind . Wir allewissen mittlerweile, wie schnell uns so etwas dann auchhier in Deutschland trifft . Deshalb ist das das Gebot derStunde .Nun hat die Kollegin Hinz auch die EU-Richtlinie ge-streift, die wir umsetzen sollen . Ich bin hier skeptisch;das gebe ich ganz offen zu . Diese Richtlinie ist drei Jahrealt . Wenn die Kommission diese Richtlinie aktualisierenwürde, könnte sie einmal zeigen, wie nah sie am Themadran ist . Uns in einer komplett anderen Lage eine alteRichtlinie auf den Tisch zu legen, ist kein gutes Zeugnis,das sie sich an dieser Stelle selber ausstellt .
Ich will Ihnen auch sagen, worum der Streit geht,der sich hier – auch in der Koalition – angedeutet hat .Die Definition von „schutzbedürftigen Personen“ ist zuweitgehend . Man hätte auch gleich „alle“ schreiben kön-nen . Wenn man „ältere Menschen“ und „Personen mitschweren körperlichen Erkrankungen“ einbezieht unddies unter Hinweis auf die Richtlinien des GemeinsamenBundesausschusses mit einer Beeinträchtigung der Le-bensqualität definiert, umfasst das zum Schluss alle Per-sonen, und diese hätten dann von Anfang an den gleichenGesundheits- und Versicherungsschutz wie gesetzlichVersicherte .Wir wollen beim jetzigen Umfang des Asylbewer-berleistungsgesetzes bleiben . Am Anfang wollen wir dieLeistungen auf das Notwendige beschränken . Der Minis-ter hat richtig gesagt, dass Leistungen für Schwangerebeispielsweise bereits davon umfasst sind . Ich wehremich deshalb dagegen, dass man mit Bildern arbeitet,die nicht der Realität entsprechen . Das erleben wir mo-mentan in den Medien . Dort werden die Schwangeren,die Mütter, die Kinder gezeigt . Aber die vielen jungenMänner, die das Bild eigentlich prägen, sieht man nicht .Auch hier wird mit genau diesen Themen operiert, dasswir Schwangeren nicht helfen . Das ist nicht der Fall . Dasist mit dem Asylbewerberleistungsgesetz erfasst .Es geht darum, den Leistungsumfang nicht ohne Notauszuweiten .
Ich halte es mit Blick auf die Anreizwirkung für richtig,aber auch mit Blick auf das, was die gesetzlich Versi-
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cherten, die arbeiten und ihre Beiträge zahlen, von unserwarten. Ich sage Ihnen auch: Es werden finanziell nochetliche Dinge auf uns zukommen, über die man diskutie-ren muss . Ab 1 . Januar nächsten Jahres werden für Ar-beitslosengeld-II-Empfänger nur 90 Euro pauschal vomStaat einbezahlt . Wenn es so bleibt, werden die Kostenpro Leistungsempfänger bzw . Patient jedoch bei 250 bis300 Euro liegen .
Damit haben wir ein programmiertes Defizit in der Kran-kenversicherung,
wenn es uns im nächsten Jahr gelingt, was ein großer Er-folg wäre, 500 000 Flüchtlinge als arbeitsfähig zu quali-fizieren. Ich würde es mir wünschen. Aber das bedeutetfür die gesetzliche Krankenversicherung ein Defizit vonbis zu 1 Milliarde Euro jährlich .Das können wir so nicht hinnehmen . Hier gibt esHandlungsbedarf . Hierüber muss man reden . Die Ge-spräche zwischen dem Gesundheitsminister und demBMAS finden statt. Ich weiß, dass am Ende nur die Fragezu beantworten ist, wer es denn zahlt: die Versicherten-gemeinschaft oder die Steuerzahler? Jedoch macht dasinsbesondere angesichts dessen, was in der Debatte an-geklungen ist, einen Unterschied .
Wir alle wissen, dass nach den aktuellen Schätzungenfür das Jahr 2016 die GKV-Ausgaben um 5 Prozent auf220 Milliarden Euro steigen werden . Der Anstieg des Zu-satzbeitrages von 0,9 auf 1,1 Prozent ist programmiert .
– Ja, guck an . – Die 1,1 Prozent sind übrigens ein Durch-schnittsbeitrag . Man kann auch in eine Kasse wechseln,die darunterliegt; das muss man auch einmal in allerDeutlichkeit sagen . Der Grund für diesen Anstieg sindnicht unsere kostentreibenden Gesetze, sondern auch dieTatsache, dass die Kassen unter dem Eindruck des Wett-bewerbs den Zusatzbeitrag bisher teilweise zu niedrigangesetzt haben . Das zeigt, dass das, was wir gemachthaben, wettbewerbsseitig durchaus Sinn und Zweck hat .
Wenn hier Einwände kommen, muss man auch ganzklar sagen, dass wir in der Größenordnung dessen liegen,was von Rot-Grün seinerzeit als Sonderbeitrag beschlos-sen wurde, der auch einseitig nur von der Arbeitnehmer-seite zu finanzieren war.Ich will durchaus zugestehen, dass wir in den letz-ten Monaten Gesetze gemacht haben, die am Schluss zuKosten führen. Beim Pflegestärkungsgesetz haben wir esmit eingepreist und haben formuliert: zweimal 0,2 Pro-zentpunkte mehr für die Pflegeversicherung. Dieser Bei-tragsanstieg ist notwendig, um die Aufgaben zu erfüllen,die eine Pflegeversicherung erfüllen soll. Ich glaube, esist anerkanntermaßen richtig und sinnvoll, dass wir denPflegebedürftigkeitsbegriff komplett neu definiert haben,was insbesondere Demenzkranken zugutekommt .Wir haben uns entschlossen, mit dem Krankenhaus-strukturgesetz gezielt die Pflege zu fördern. Das warein richtiger Ansatz, und zwar deshalb, weil uns Ärzte,aber auch Pflegekräfte durchaus mit Fug und Recht ge-sagt haben: Es wird langsam kritisch für die Patienten .Es war notwendig, an der Stelle etwas zu tun; wir habendas Richtige getan . Aber da sind wir relativ schnell imBereich von Milliardenausgaben, die uns natürlich be-lasten, die aber notwendig sind . Man predigt die ganzeZeit, dass Gesundheit ein hohes Gut ist . Aus meiner Sichtmuss jedem klar sein, dass dieses hohe Gut am Schlussauch Geld kostet .Nun gibt es ja ein paar, die verkünden, das mit denKosten sei ganz einfach; man müsse nur die Bürgerversi-cherung einführen, und schon sei das Problem gelöst . Ichsehe das nicht so . Ich frage mich schon, inwiefern es eineLösung ist, dass man, wenn 71 Millionen Versicherte einProblem haben, 10 Millionen dazunimmt, sodass manauf 81 Millionen Versicherte kommt .
Wo ist denn da die Problemlösung? Wenn man berück-sichtigt, dass es am Ende, egal wie man es umsetzt, eineBeitragsbemessungsgrenze geben wird, dann ist jetztschon klar: Sie würden mit solchen Ansätzen nicht dieMillionäre erwischen, sondern die kleinen Sparer, diedann zusätzlich etwas bezahlen müssen . Ob das wirklichdie Sozialpolitik ist, die die linke Seite des Hauses andieser Stelle betreiben will, wage ich zu bezweifeln .
Also, machen Sie es sich nicht ganz so einfach . Gu-cken Sie lieber mal, was wir im Bereich der Gesundheits-politik in den letzten Wochen und Monaten Großartigesgeleistet haben . Wir haben unser Gesundheitswesen un-ter qualitativen, humanitären und auch unter Solidaritäts-gesichtspunkten massiv vorangebracht . Das hat unserGesundheitsminister betrieben . Ich will mich ausdrück-lich bei ihm dafür bedanken, dass er es so offensiv undklar betrieben hat .Vielen herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Harald Weinberg,
Fraktion Die Linke, das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Liebe Menschen auf der Tribüne! Ichmuss, obwohl es von meiner kurzen Redezeit abgeht,Dr. Georg Nüßlein
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kurz etwas dazu sagen, was Sie, Herr Nüßlein, zum The-ma Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen gesagt ha-ben . Die Gesundheitsversorgung von Menschen ist einMenschenrecht, und es ist nicht einzuschränken .
Das System der Behandlungsscheine ist mit diesem Men-schenrecht nicht vereinbar . Es ist bürokratisch, es ist teu-rer, und es führt dazu, dass Leute, die eine Behandlungbrauchen, keine Behandlung bekommen . Das führt zuFolgekosten, zur Chronifizierung von Krankheiten, weilFachfremde darüber entscheiden, wer einer Behandlungbedarf und wer keine Behandlung bekommen soll . Dashat bereits zu gravierenden Fehlentscheidungen geführt .Wir müssen in der Tat davon wegkommen und die Ein-führung der Gesundheitskarte voranbringen .
Jetzt aber zum Haushalt . Schon die ganze Woche fei-ern Sie hier die schwarze Null, wie einst das goldeneKalb gefeiert wurde – kein Blick nach links oder rechts,nur Starren auf die schwarze Null, kein Blick darauf, wiedie Infrastruktur dieser Gesellschaft auf Verschleiß fährt .Das gilt übrigens auch für den Krankenhausbereich, indem es einen Investitionsstau von über 50 MilliardenEuro gibt . Sie verlieren kein Wort darüber, in welcheTaschen Sie greifen, um das Ziel der schwarzen Null zuerreichen . Sie betreiben – und das nicht nur im Gesund-heitsbereich, aber dort sehr systematisch – eine Haus-haltssanierung auf Kosten der Beitragszahlerinnen und-zahler .Ja, ich weiß: Sie haben den Bundeszuschuss zur GKV,den Sie in den letzten Jahren drastisch heruntergefahrenhaben, um den Haushalt zu sanieren, jetzt wieder auf14 Milliarden Euro angehoben . Im Wahljahr 2017 wirder sogar auf 14,5 Milliarden Euro steigen . Sie feiern sichalso dafür, dass Sie eine Kürzung zurückgenommen ha-ben . Welch eine grandiose Leistung!
Nun ist der Bundeszuschuss kein Almosen; er ist be-gründet . Er ist damit begründet, dass mit ihm gesamt-gesellschaftliche Aufgaben der Gesundheitsversorgungfinanziert werden sollen. Dazu zählt zum Beispiel diebeitragsfreie Mitversicherung von nicht erwerbstäti-gen Ehegatten, Lebenspartnern, Kindern und Jugend-lichen oder die Beitragsfreiheit während Mutterschutzund Elternzeit . Die Kassen rechnen da Kosten von fast34 Milliarden Euro zusammen – mehr als das Doppeltevon dem, was jetzt eingestellt wurde . Aber auch, wennman die Rechnung der Kassen anzweifelt – was ich nichttue –, ist festzuhalten: Schon im Jahre 2010 hielt mansogar 15,7 Milliarden Euro Bundeszuschuss für notwen-dig . Seitdem sind die allgemeinen Gesundheitsausgabenum mehr als 25 Prozent, also um mehr als ein Viertel,gestiegen . Also müsste der Bundeszuschuss ebenfalls ummindestens 25 Prozent ansteigen, also mindestens auf17,5 Milliarden Euro im Jahr 2016 und auf 18 MilliardenEuro im Jahr 2017 .Dass er das nicht tut, bedeutet zweierlei: Erstens . DieFestlegung des Bundeszuschusses ist willkürlich, an kei-ne Regel gebunden, außer vielleicht, Herrn Schäuble zuerfreuen . Es wird dringend Zeit, dass man über eine Re-gelbindung des Bundeszuschusses nachdenkt und sie aufden Weg bringt .
Zweitens bedeutet das, dass die genannten gesamtge-sellschaftlichen Aufgaben zu einem übergroßen Teil vonden Versicherten aus ihren Beitragsmitteln bezahlt wer-den, und das ist nicht in Ordnung .
Damit aber nicht genug . Sie haben in gleich drei Ge-setzen Ausgabenposten vorgesehen, die sachfremd ausBeitragsmitteln der Versicherten finanziert werden sol-len, obwohl es sich zweifelsfrei um gesamtgesellschaft-liche Aufgaben handelt . Das betrifft das Versorgungs-stärkungsgesetz und dort den Innovationsfonds . Fürinnovative Versorgungsformen und begleitende Versor-gungsforschung sollen 300 Millionen Euro bereitgestelltwerden . Schön, dass es den gibt, eine gute Sache! Daskommt hoffentlich allen zugute und sollte daher auchvon allen – also aus Steuermitteln – finanziert werdenund nicht nur von den Beitragszahlern .
Präventionsgesetz: Hier ist insbesondere die sach-fremde Finanzierung der Bundeszentrale für gesundheit-liche Aufklärung zu kritisieren . Ob deren Kampagnennun gut sind oder nicht, darüber kann man streiten . Ganzsicher sind sie schon der Sache nach nicht auf die Versi-chertengemeinschaft zu reduzieren und folglich gesamt-gesellschaftlich aus Steuermitteln zu finanzieren.
Schließlich das Krankenhausstrukturgesetz: Auchüber den Strukturfonds, der über den Gesundheitsfondsebenfalls aus Beitragsmitteln finanziert wird, kann manunterschiedlicher Meinung sein . Er soll dazu dienen,Überkapazitäten im Krankenhaussektor durch Umwand-lung in andere Einrichtungsformen abzubauen . Mit an-deren Worten: Er soll dazu dienen, Krankenhäuser zuschließen, was ihm auch den despektierlichen Bei- oderSpitznamen „Abwrackprämie“ eingebracht hat . Interes-sant ist dabei, dass das Gesetz hier eine Kofinanzierungdurch die Länder vorsieht; das – nur am Rande – tut un-ser Änderungsantrag zur Investitionsförderung im Kran-kenhausbereich auch, wird aber von der Mehrheit diesesHauses – leider – immer abgelehnt . Es handelt sich aberum eine Art Investitionsförderung des Bundes für dieBundesländer, nur eben aus der Kasse der Beitragszahler .Da gehen 500 Millionen Euro raus, und das ist nicht inOrdnung .
Rechnen wir zusammen, so stellen wir fest, dass sich dasauf mehrere Milliarden Euro summiert .Nach der faktischen Abschaffung der paritätischen Fi-nanzierung schauen die Arbeitgeber dem relativ gelassenHarald Weinberg
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zu; denn ihr Beitragsanteil ist auf 7,3 Prozent eingefroren .Zahlen muss die Zeche der Beitragszahler allein – mittelsZusatzbeiträgen, und die steigen bekanntlich von durch-schnittlich 0,9 Prozent im Jahre 2015 auf 1,1 Prozent imnächsten Jahr . Das hört sich nicht so gewaltig an, wennman es in Prozent ausdrückt, aber 0,9 Prozent Zusatz-beitrag bedeuten 11,8 Milliarden Euro und 1,1 Prozentrund 14,5 Milliarden Euro . Das ist schon eine ordentli-che Summe, die den Beitragszahlern einfach zusätzlichaufgebürdet wird . Das wird 2017 nicht aufhören, son-dern weitergehen . Das heizt gleichzeitig den Wettbewerbzwischen den Kassen an, der schon jetzt merkwürdigeBlüten treibt . Das Ganze, liebe SPD – also der Griff indie Kassen und die Abschaffung der Parität –, geschiehtmit Ihrer gefälligen Zustimmung . Erklären Sie das ein-mal Ihren Wählerinnen und Wählern! Oder umgekehrt:Es erklärt, warum Sie bei den Umfragen nicht aus dem25-Prozent-Verließ herauskommen .
Ich kann Ihnen nur raten: Bewegen Sie sich, bevor eszu spät ist – am besten durch die gemeinsame Einfüh-rung einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversi-cherung!
Unsere Änderungsanträge sind gut und sind gegenfi-nanziert .
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege Wein-
berg .
Letzter Satz: Sie werden leider wie jedes Jahr über-
wiegend ungelesen abgelehnt werden . Das ist aber nicht
schlimm; denn sie sind ja nicht für Sie geschrieben, son-
dern damit die Menschen in diesem Land sehen, dass es
eine Alternative gibt .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kol-
lege Burkhard Blienert das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LieberHerr Weinberg, ich glaube, wir sind an der Stelle wirk-lich programmatisch sauber . Wir haben in diesem Jahrdie Kopfpauschale abgeschafft, wir haben ganz viele Sa-chen mit auf den Weg gebracht . Wir stehen für die Bür-gerversicherung – das machen wir auch immer klar –;denn es gibt eine Zeit nach 2017 . Wir sollten die Zeit bis2017 nutzen, um gemeinsam gute Gesundheitspolitik zumachen . Dazu lade ich herzlich ein .
Wir diskutieren heute den Einzelplan 15, das Budgetdes Bundesgesundheitsministeriums . Wie immer geht esnicht nur um die steuerfinanzierten Ausgaben, sondernauch um Gesundheitspolitik im Ganzen .In den letzten Wochen und Monaten haben wir hierim Bundestag eine Vielzahl von Verbesserungen für denGesundheitsbereich beschlossen .
Wir haben umfassende Verbesserungen im Bereich derPflege, der Krankenhausstruktur, der Prävention und derHospiz- und Palliativversorgung verabschiedet . Dies istheute schon genannt worden . Wir haben das gemacht,weil es notwendig geworden ist, da sich seit Jahren dasGesundheitssystem strukturell und gesellschaftlich ver-ändert hat .Jeder, der sich jemals mit Gesundheitspolitik befassthat, weiß, dass Reformen im Gesundheitsbereich wahr-lich nicht einfach sind . Es ist oftmals schwer, die viel-schichtigen Interessenlagen zwischen Ärzten, Pflegen-den und Patienten, Krankenkassen und Krankenhäusernund Bund und Ländern – um nur einige Akteure zu nen-nen – unter einen Hut zu bringen . Trotzdem konnten wirdiese wichtigen Beschlüsse fassen .Zur Wahrheit bei allen Maßnahmen gehört natürlichauch – das verschweige ich nicht –: Sie lassen sich nichtimmer durch Effizienzmaßnahmen durchsetzen, es istnicht immer nur eine Frage der Effektivität . Es sind zu-sätzliche notwendige Leistungen in der Pflege, im Kran-kenhaus und für die ärztliche Versorgung, die bezahltwerden müssen . Das führt zu steigenden Kosten .Die Frage der Finanzierbarkeit hat immer eine hohePriorität. Nicht alles Wünschenswerte ist finanzierbar.Die Große Koalition braucht diese Frage aber nicht zufürchten . Wir haben die Kostenfrage immer offen kom-muniziert und nur das Machbare beschlossen . Mit denangesprochenen Beschlüssen waren wir bereit, Milliar-den an Beitragsmitteln in die Verbesserung und in dieQualität der medizinischen Versorgung zu investieren .Ich glaube, das ist gut angelegtes Geld .
Aktuell geht es nun darum, den Bundeshaushalt 2016zu beschließen und im Einzelplan 15 festzulegen, waszusätzlich steuerfinanziert werden soll. Gemessen an denSummen, die aus den Versicherungsbeiträgen finanziertwerden müssen, ist das ein relativ kleiner Anteil am Ge-sundheitssystem . Aber auch hier gilt: Die zur Verfügungstehenden Mittel müssen sinnvoll und zielführend einge-setzt werden für mehr an Leistung und für mehr an Qua-lität .Ich bin dankbar, dass die guten Beratungen zum Haus-haltsentwurf der Bundesregierung den Einzelplan bessergemacht haben . Es ist im Zuge der parlamentarischenBeratung gelungen, weitere Verbesserungen zu veran-kern . Insgesamt werden nun für den Bereich GesundheitHarald Weinberg
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14,6 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, 2,5 Milliar-den Euro mehr als im Vorjahr . Das hat natürlich mit demGesundheitsfonds zu tun; das ist angesprochen worden .Der Zuschuss umfasst nun 14,066 Milliarden Euro, wennich mich recht erinnere . Allen Unkenrufen zum Trotz, diees auch gab, haben wir Wort gehalten und die Haushalts-mittel wie versprochen erhöht . Die darüber hinaus ver-fügbaren Mittel haben wir nach intensiven Beratungenin den Arbeitsgruppen, in den Fraktionen und im Dialogmit dem Ministerium zielführend auf die einzelnen Titel-gruppen des Einzelplans verteilt . Es ist uns beispielswei-se gelungen, Mittel für wichtige Projekte der Migration,der Kindergesundheit und der Drogenprävention zur Ver-fügung zu stellen .
Wir geben daher die richtigen Antworten auf drängendeHerausforderungen .Das Flüchtlingsthema – es ist schon angesprochenworden – bestimmt seit Monaten die öffentliche Debat-te . Die Herausforderungen, die dadurch entstehen, dassFlüchtlinge nach Europa und insbesondere in unser Landkommen, beschäftigen die Menschen . Wir sind in derVerantwortung, die entsprechenden Antworten zu geben:den Menschen, aber auch den Ländern, den Kommunen,den Landräten und den Bürgermeistern – auch im Hin-blick auf die Gesundheitsversorgung .Die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen ist eineder zentralen Aufgaben . Wir müssen den Gesundheits-schutz von Flüchtlingen unkompliziert und umfassendgewährleisten .
Deshalb ist die Gesundheitskarte der richtige Weg, dieMöglichkeit, diese einzuführen, die richtige Antwort .
Wir haben im Einzelplan 15 ergänzend zu den in an-deren Einzelplänen verankerten Geldern auch Mittel fürMigration etatisiert . 500 000 Euro – das klingt wenig –stehen zunächst zur Verfügung . Das ist ein gutes Zeichen .
Aber auch im Bereich der Kindergesundheit geschiehtim kommenden Jahr viel . Wir hatten in diesem Bereichbereits in den zurückliegenden Haushaltsjahren beacht-liche Mittelzuwächse . Nun ist ein weiterer Mittelauf-wuchs um 500 000 Euro im Einzelplan enthalten, dervielen Projekten helfen wird . Das Thema Übergewicht,Adipositas im Kinder- und Jugendalter ist angesprochenworden . Für diesen Bereich stehen fast 800 000 Euro zurVerfügung . Auch die Weiterentwicklung der medizini-schen Versorgung von Kindern und Jugendlichen wirdgefördert . Seit 2014 haben sich die Mittel für den BereichKindergesundheit verfünffacht . Ich glaube, darauf kannman mit Stolz hinweisen .
Ein Bereich ist mir besonders wichtig . Das ist derBereich „Drogen und Sucht“ . Es ist gut, dass wir hierviele Schwerpunkte gesetzt haben . Insgesamt stehen imEinzelplan 15 für Aufklärungsmaßnahmen auf dem Ge-biet des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs Ausgabenin Höhe von 8,7 Millionen . 4,3 Millionen Euro stehenfür Modellprojekte zur Verfügung. Davon fließen in neueProjekte 1,9 Millionen Euro . Auch das ist positiv heraus-zustellen .Das betrifft zum Beispiel Projekte im Bereich Alko-hol . Wir haben die neuen Zahlen erst vor wenigen Tagenzur Kenntnis genommen . Nach diesen Zahlen müssenweniger Jugendliche wegen eines Alkoholrausches imKrankenhaus behandelt werden . Dieser Rückgang ist po-sitiv und erfreulich . Trotzdem dürfen wir an dieser Stellenicht nachlassen . Dementsprechend haben wir die Mittelerhöht .Vor wenigen Tagen haben wir auch den Tabakatlas2015 zur Kenntnis nehmen können . Auch in diesem Be-reich sind erfolgreiche Projekte zur Minimierung derNikotinabhängigkeit, aber auch zur Verringerung derTabakrauchbelastung von Kindern wichtig . Neu wurdenProjekte in diesem Bereich mit 157 000 Euro etatisiert .Das ist ein kleiner, aber wichtiger Betrag .In der letzten Woche haben wir in Uruguay feststellenkönnen, dass wir uns in bestimmten Bereichen nicht ver-stecken müssen. Bei uns gibt es Defizite, aber auch posi-tive Entwicklungen . Der Bereich „Cannabis als Medizin“bedarf auch bei uns, wenn wir das durchgesetzt haben,der Evaluierung und der wissenschaftlichen Begleitung .Das ist eine Aufgabe, die wir im kommenden Haushaltunbedingt einplanen müssen . Darauf müssen wir einenSchwerpunkt legen .
Für die Entwicklung von Präventionsangeboten imBereich Amphetamine stehen jetzt 370 000 Euro imHaushalt . Auch das begrüße ich sehr . Ich freue mich sehrdarüber .Zur E-Zigarette sind Forschungsaufträge vergebenworden. Insgesamt werden zurzeit drei Projekte finan-ziert . Das ist etwas, was ich ebenfalls ausdrücklich un-terstütze .Auch im Bereich HIV/Aids gibt es weitere Mittel .Rund 1,6 Millionen Euro stehen für Forschungs- undEntwicklungsvorhaben zur Verfügung . Diese Fortent-wicklung ist uns wichtig .
Mit diesem Haushalt wird die Gesundheitsversorgungaller – ich betone: aller – in Deutschland lebenden Men-schen gesichert, ohne die Sozialsysteme und den Staats-haushalt in unverantwortlicher Weise zu belasten . Dasist eine gute Entwicklung . Ich bitte um Zustimmung zudiesem Einzelplan .Vielen Dank .
Burkhard Blienert
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Danke . – Nächste Rednerin ist Maria Klein-Schmeink,Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Sehr geehrter Herr Minister! Bevor wir in eineallgemeinpolitische Debatte eintreten, will ich auf mei-ne Vorredner und Vorrednerinnen eingehen, die sich zurProblematik der Versorgung von Flüchtlingen geäußerthaben . Zu Recht ist vorhin gesagt worden: Das ist einezutiefst menschliche, humanitäre und existenzielle Auf-gabe . Ich glaube, wir sollten uns alle zusammen nocheinmal genau anschauen, wie die Situation aussieht . Ichmeine, es besteht extremer Handlungsbedarf, und demmuss man sich stellen .
Ich will Ihnen das an ein paar Beispielen deutlich ma-chen .Erstens . Wir diskutieren im Moment viel über dieGesundheitskarte . Wir werden weiterhin ein großes Pro-blem haben, wenn die Definition der eingeschränktenGesundheitsversorgung für Flüchtlinge im Asylbewer-berleistungsgesetz so, wie sie dort steht, bestehen bleibt .Das würde auch in Zukunft Probleme aufwerfen . Diesmüssen Sie, insbesondere Sie von der Union, endlichüberdenken .
Zweitens . Wir haben die EU-Schutzrichtlinie noch im-mer nicht umgesetzt . Auch das hat große Bedeutung fürden Bereich der gesundheitlichen Versorgung . Ich spre-che Sie ganz konkret an, Minister Gröhe . Es wird ganzdringend notwendig sein, gerade die besonders Schutz-bedürftigen im gesundheitlichen Bereich in besondererWeise in Augenschein zu nehmen und Regelungen zutreffen, die sicherstellen, dass es eine adäquate Versor-gung geben wird . Auch da haben wir bisher Probleme .Drittens . Beim neuen Paket zum Asylrecht sehe ich er-hebliche Einschränkungen gerade für den Personenkreisvon psychisch Erkrankten, von denjenigen, die Traumataerlitten haben . Da wollen Sie die Abschiebehindernis-se aufheben . Sie wollen neue Regelungen schaffen, diedazu führen, dass gerade dieser so besonders bedräng-te Personenkreis tatsächlich abgeschoben werden kann .Gleichzeitig sollen psychische Erkrankungen nicht alsAbschiebehindernis anerkannt werden. Ich finde, das istein Unding .
Wir haben in den Haushaltsberatungen eine kleineSumme in Höhe von 50 Millionen Euro gefordert, mitder wir neue modellhafte Versorgungsformen, übergrei-fende Versorgungsformen für genau diesen Personen-kreis möglich machen und die Arbeit der psychosozialenZentren absichern wollten . Es war hier in diesem Hausnicht möglich, dies zu verabschieden. Auch das ist, findeich, ein großes Dilemma .
Kommen wir zu den anderen Punkten . In der Tat gehtes bei einer Haushaltsdebatte im Gesundheitsbereicheigentlich um nur einen ganz kleinen Teil der Kostenund Ausgaben, die wir im Gesundheitsbereich haben .Das Wesentliche wird über die GKV ausgegeben . Mit220 Milliarden Euro werden wir 2016 einen Rekordstandbei den Ausgaben haben . Da müssen wir uns natürlichfragen: Sind wir mit all dem, was wir ausgeben, wirk-lich so aufgestellt, dass wir auch für die Zukunft einegute Versorgung für alle Patientenkreise zur Verfügungstellen können? Ich meine, da sind große Fragezeichenangebracht .
Herr Minister, ich habe durchaus Lob für Ihre hand-werklich gute Arbeit . Sie haben hier fünf Gesetze strammdurchgezogen . Aber wir müssen uns fragen: Ist strammauch gleichzeitig gut? Ist wirklich das angepackt wor-den, was angesichts des großen Reformstaus im Gesund-heitswesen anzupacken ist? Auch da muss ich sagen: Wirsind nur bis zur halben Strecke gekommen . Die großenThemen sind auf die nächste Wahlperiode vertagt . Das istnicht in Ordnung .
Ich will Ihnen das an ein paar Themen deutlich ma-chen .Erstens . Im Krankenhausbereich haben wir eine großeLücke im Bereich der Investitionsförderung . Da habenSie trotz des großen Verfahrens mit Bund und Ländernkeine Lösung gefunden .
Wir haben Ihnen eine hälftige Finanzierung vorgeschla-gen .Zweitens . Wir haben ein großes Problem bei der Per-sonalbemessung im stationären Bereich . Da haben Siezwar ein Gutachten in Auftrag gegeben,
aber auch da ist die Lösung auf die nächste Wahlperiodevertagt worden .
Drittes Thema: Personalbemessung in der Pflege.Auch da soll es ein Gutachten geben . Auch das wurdeauf die nächste Wahlperiode vertagt .Ich sage Ihnen eines: Genau dies können wir uns nichtweiter erlauben . Denn das sendet ein ganz schwierigesSignal an all diejenigen, die schon heute am Rande ihrerKräfte in diesen Bereichen arbeiten . Sie erhalten näm-lich gerade nicht das richtige Argument, nicht die richti-
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ge Bestätigung für ihre Arbeit, und sie wissen: An ihrenArbeitsbedingungen sowohl im Krankenhaus als auchin der Altenpflege wird sich nichts Entscheidendes ver-ändern . Diese Reformen wurden wieder auf die nächsteWahlperiode vertagt, ausgerechnet in einer Zeit, in derwir genau wissen, dass wir vielleicht nicht mehr mit ei-ner guten Konjunktur rechnen können, sondern diese we-sentlichen Schritte eventuell unter anderen finanziellenVorzeichen gehen müssen . Ich sage Ihnen: Das könnenwir uns nicht erlauben .
Kommen wir zu dem gesamten Bereich der Einnah-mensituation .
Das müsste aber kurz gehen, Frau Kollegin Klein-
Schmeink .
Bisher, Herr Minister, sind Sie Ausgabenkönig, aber
Sie haben nicht für eine nachhaltige Finanzierung ge-
sorgt . All die zusätzlichen Ausgaben in diesem Bereich,
die es jetzt gibt – 5,4 Milliarden Euro allein bis 2017 –,
werden nur durch die Zusatzbeiträge der Versicherten fi-
nanziert . Das ist zutiefst ungerecht .
Das ist eine einseitige Belastung . Hier brauchen wir drin-
gend ein Umdenken . Wir brauchen wieder die paritäti-
sche Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer .
Da, meine Damen und Herren von der SPD, sind Sie zu-
tiefst in der Schuld . Hier müssen wir umdenken .
Als Ausblick auf die Zukunft muss ich sagen: Wir
brauchen eine Bürgerversicherung . Aber im ersten Schritt
geht es nun um die Abschaffung der Zusatzbeiträge auf
dem Weg hin zu einer paritätischen Finanzierung .
Danke schön .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege
Michael Hennrich, CDU/CSU-Fraktion .
Liebe Frau Kollegin Klein-Schmeink, als ich eben aufmeinem Platz saß, hatte ich Sie im Blick; jetzt habe ichFrau Präsidentin Ulla Schmidt hinter mir . Das erinnertmich an rot-grüne Zeiten, in denen wir von Defiziten inHöhe von 5 Milliarden Euro gesprochen und über Spar-gesetze diskutiert haben .
Deswegen will ich ausdrücklich betonen, was wir indieser Legislaturperiode geleistet haben . Wir haben ver-schiedene Dinge in Angriff genommen: Wir haben dieKrankenhäuser auf eine solide finanzielle Basis gestellt.
Wir haben das Thema Pflege, das uns über Jahre aufden Nägeln gebrannt hat, in den Griff bekommen undfür Leistungsverbesserungen gesorgt . Da Sie die Inves-titionskostenfinanzierung der Krankenhäuser angespro-chen haben, sage ich Ihnen: Sie sollten vor der eigenenTüre kehren und sich einmal anschauen, wie es in Ba-den-Württemberg und Nordrhein-Westfalen um diesesThema bestellt ist .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, von den rund15 Milliarden Euro, die im Einzelplan 15, im Gesund-heitshaushalt, enthalten sind, geben wir 14,5 MilliardenEuro als Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenver-sicherung, und 500 Millionen Euro stehen für allgemeineAufgaben zur Verfügung . Deswegen stehen in meinemFokus die Fragen: Gehen wir mit diesen Steuermittelnsorgfältig um? Sind sie klug und vernünftig investiert?Ein guter Freund von mir hat mich vor der Sommer-pause gefragt: Was würdest du machen, wenn es dasThema Flüchtlinge nicht gäbe? – Da habe ich kurz auf-gezählt, was wir in den letzten Wochen und Monaten aufden Weg gebracht haben: Krankenhausstrukturgesetz,E-Health-Gesetz, Pflegestärkungsgesetz II, Palliativ- undHospizgesetz, Pflegeberufegesetz; hinzu kommt das Ge-setz zum Thema Sterbehilfe . Bis auf das Gesetz zur Ster-behilfe sind das alles Gesetze, die Leistungsverbesserun-gen beinhalten, die dafür sorgen, dass wir mehr Geld insSystem bringen, Strukturveränderungen finanzieren undmehr Effizienz und Qualität bekommen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sageauch ganz offen: Ich habe in den letzten Monaten undJahren erleben können, was es bedeutet, dass wir einegute wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land haben,dass Arbeitnehmer und Unternehmen mit ihren Beiträgendafür sorgen, dass die gesetzliche Krankenversicherungsolide finanziert ist. Wir sollten bei allen Diskussionenüber eine paritätische Finanzierung im Blick haben, dasshier Großartiges geleistet wird: von den Arbeitnehmern,aber auch von den Unternehmen, vom Mittelstand, vonden Handwerkern und von den Freiberuflern. Deswegenan dieser Stelle ein herzliches Dankeschön!
Wenn es um die Frage geht: „Gehen wir mit den Fi-nanzmitteln sorgfältig um?“, dann muss ich sagen, dasses schon das eine oder andere Mal Bauchgrimmen gab,etwa beim Präventionsgesetz oder als es um die Frageging: Wie viel Geld stellen wir den Krankenhäusern zurMaria Klein-Schmeink
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Verfügung? Ich will diesen Aspekt am Beispiel des Prä-ventionsgesetzes deutlich machen, weil das Thema Prä-vention auch im Haushalt ein Schwerpunkt ist . Wenn wirsagen: „Wir wollen unser Gesundheitssystem zukunfts-fest machen“, dann ist es, glaube ich, schon wichtig, dasswir auch das Thema Prävention aufgreifen . Natürlichbedeutet Prävention für jeden Einzelnen in erster Linieein Stück Selbstverantwortung . Aber ich glaube, es istgut und richtig, dass wir uns darum kümmern und gezieltSchwerpunkte setzen .Ich bin Ihnen dankbar, Herr Minister Gröhe, dass Sieinsbesondere im Bereich Diabetes einiges auf den Weggebracht haben und zusätzlich 1,6 Millionen Euro zurVerfügung stellen . Ich möchte mich an dieser Stelle auchbei dem Kollegen Monstadt ausdrücklich bedanken, dereinen Schwerpunkt seiner Arbeit in diesem Bereich hat .Beim Thema Prävention geht es auch um die Frage: Wiekönnen wir Volkskrankheiten vermeiden? Überlegen wireinmal: Im Bereich Diabetes geben wir pro Jahr circa40 Milliarden Euro aus . Deswegen ist das hier investierteGeld gut angelegt .Aber wenn wir über Diabetesprävention sprechen,dann geht es nicht nur um die Prävention, sondern esgeht auch um Grundlagen und um die Fragen: Haben wirausreichend Informationen? Wie ist es um die Versor-gung der Patientinnen und Patienten bestellt? Wie siehtDiabetes im Krankenhausalltag aus? Wie sieht Diabetesmit Blick auf die Bewertung und das AMNOG aus? Alldas sind Fragen zur Versorgung, die das Ministerium ge-zielt aufgreift, weil es diesen Bereich als Schwerpunktansieht .
Ich möchte ein Gesetz aufgreifen, das nicht unmittel-bar oder relativ wenig Geld kostet: das E-Health-Gesetz .Ich sage Ihnen ganz offen: Das ist für mich der Bereich,bei dem ich in dieser Legislaturperiode die meisten Er-wartungen habe, weil das E-Health-Gesetz dazu beitra-gen kann, dass wir Effizienzreserven heben, dass wirmehr Qualität ins System bekommen
und es relativ preisgünstig, Frau Mattheis, zu haben ist .Im Zusammenhang mit E-Health werden wir uns mitweiteren Fragen auseinandersetzen müssen, die ich hierkurz skizzieren will . Wie gehen wir mit Daten um? Zuwelchen Zwecken nutzen wir sie? Wie können wir daszum Beispiel mit dem Thema Versorgungsforschungkombinieren? Auch dazu haben wir in diesem Haushalteinen Schwerpunkt gesetzt .Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir habendie ersten zwei Jahre relativ viel Geld in die Hand ge-nommen, um Strukturen zu verändern und zu verbessern .Es wird jetzt unsere Aufgabe sein, im zweiten Teil derLegislaturperiode zu schauen, dass wir den Ausgaben-anstieg dämpfen . Ich als Arzneimittelpolitiker sehe dasmit einem gewissen Grausen und einem gewissen Schre-cken . In der letzten Legislaturperiode haben wir im Be-reich Arzneimittel 20 Milliarden Euro an Einsparungenerzielt . Ich wäre schon ganz zufrieden und glücklich,wenn wir dazu ein ausgewogenes Konzept hätten . Gera-de in diesem Bereich gibt es zahlreiche Maßnahmen, diekein Geld kosten und die für Strukturveränderungen undStrukturverbesserungen sorgen .Ich möchte zum Schluss zwei Themen aufgreifen, diewir im Blick haben sollten und die uns in den nächstenWochen und Monaten sicherlich beschäftigen werden .Sie, Frau Klein-Schmeink, haben zu Recht das Themader medizinischen Versorgung von Flüchtlingen ange-sprochen
und den eingeschränkten Leistungskatalog kritisiert . Ichsage Ihnen: Ich habe die Debatten und Diskussionen inden Jahren 2002 bis 2007 erlebt, als es um die Frageging: Werden Flüchtlinge oder Asylbewerber besser ge-stellt als gesetzlich Versicherte? Wir haben die bisherigenRegelungen entsprechend korrigiert .Es ist richtig: Das Asylbewerberleistungsgesetz ent-hält einen eingeschränkten Leistungskatalog für die me-dizinische Versorgung . Aber ich will Ihnen auch sagen,was „eingeschränkter Leistungskatalog“ ganz konkretbedeutet .
Wenn ein Asylbewerber mit einer Krebserkrankungnach Deutschland kommt, erhält er eine ausreichendeVersorgung . Das kann in konkreten Zahlen teilweise100 000 Euro pro Patient bedeuten .
Auch da sind wir in der Verantwortung – die KolleginMichalk hat zu Recht das Stichwort eingeworfen –: Die-ses Geld ist steuerfinanziert. Wir müssen kluge Konzepteentwickeln, wie wir diese Ausgabendynamik vielleicht inden Griff bekommen; denn am Ende tragen die Länderund Kommunen diese Kosten .Ich sage ganz offen: Ich habe in Richtung Pharmain-dustrie den einfachen Vorschlag, dass wir die Preise be-zahlen, die in den Ländern gelten, aus denen die Flücht-linge kommen .
Aber dafür müssen wir ein Lösungskonzept finden.
– Nein, wir übernehmen die Kosten . Das halte ich auchfür absolut richtig . Trotzdem müssen wir die damit ver-bundenen Finanzierungsfragen angehen .
Michael Hennrich
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Letztes Thema – Herr Minister, da bitte ich Sie umUnterstützung –: die Nationale Kohorte . Dabei geht esum Gesundheitsforschung, die ja auch ein SchwerpunktIhrer Arbeit ist . Wir haben schon viel über Präventionund Kinder gesprochen . Zurzeit wird in Deutschland einegroße Gesundheitsstudie durchgeführt, die auf einigeJahre angelegt ist . Sie umfasst rund 200 000 Menschen .Es geht dabei darum, bei großen Volkskrankheiten – Di-abetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Adipositas –neue Erkenntnisse für Prävention, Diagnostik und The-rapie zu gewinnen .Diese Studie hat ein kleines Manko . Sie umfasst näm-lich keine Kinder . Sie gilt für Leute ab 18 Jahren . Wennwir aber über vermeidbare Volkskrankheiten sprechenund beim Thema „Prävention für Kinder“ ebenfalls an-setzen wollen, wäre es meines Erachtens richtig und gut,die Kinder mit in die Studie einzubauen . Vollkommenklar ist, dass das auf Freiwilligkeit basieren muss . Es darfnicht mit massiven Eingriffen bei Kindern verbundensein . Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie sich nocheinmal um dieses Thema kümmern würden .Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitteum Zustimmung zum Haushalt .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Edgar
Franke, SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Meine SPD-Kollegen haben in dieser Debatteden Gesundheitsetat bereits zu Recht gelobt . Prävention,gesundheitliche Aufklärung und Forschung haben in ihmPriorität, und ich denke, das ist gut so .Ich möchte zum Schluss der Debatte aber eine Bewer-tung nicht nur der Zahlen, sondern auch der Gesundheits-politik vornehmen, weil es ja so ist, dass das meiste Geld,wie wir alle wissen, über die GKV läuft .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im letz-ten Jahr, glaube ich, in der Gesundheitspolitik wirklichviel erreicht . Wir haben vieles erfolgreich umgesetzt, wasim Koalitionsvertrag steht – fünf stramme Gesetze, hat,glaube ich, Frau Klein-Schmeink gesagt –, so – das sindnur Stichworte – das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz,das Präventionsgesetz, Regeln für den Palliativ- undHospizbereich, die beiden Pflegestärkungsgesetze unddas Krankenhausstrukturgesetz . Dies führt – das mussman der Opposition auch einmal sagen – zu einer Ver-besserung der Versorgung der Menschen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen en-gagierten Gesundheitsminister, dem ich auch für die sehrgute Zusammenarbeit danken möchte . Sie sind ja heuteschon – auch von der Opposition – gelobt worden . Derrote Faden aber, dem die gesamte Gesundheitspolitik inden letzten Jahren gefolgt ist, ist – das muss man aucheinmal sagen – ein roter Faden sozialdemokratischer Ge-sundheitspolitik .
Herr Minister, Sie haben ja auch einen roten Schlips an .Insofern passt das auch .Wir sind – Sie wissen das – die Probleme der flä-chendeckenden ärztlichen Versorgung auf dem Landeangegangen, nachdem das Versorgungsstrukturgesetzvon Schwarz-Gelb in den letzten Jahren weitgehendwirkungslos geblieben ist . Wir haben die Versorgung instrukturschwachen Gebieten verbessert . Wir werden zu-lassen, dass Medizinische Versorgungszentren künftigauch durch Kommunen gegründet werden können . ZumJanuar des nächsten Jahres werden wir Terminservice-stellen einführen . Dann hat jeder gesetzlich Versicherteinnerhalb von vier Wochen Anspruch auf einen Facharzt-termin . Auch darauf haben viele gesetzlich Versichertegewartet, liebe Kolleginnen und Kollegen .Wir haben klar gemacht, dass es versorgungspolitischnicht vernünftig ist, Überversorgung in einer Regionfortzuschreiben . Über- und Unterversorgung müssenausgeglichen werden . Die Anzahl der geförderten Wei-terbildungsstellen für Allgemeinmediziner wurde um50 Prozent erhöht . Wir haben die Hausärzte nachhaltigfinanziell gestärkt. Schließlich haben wir mengenanfäl-lige Eingriffe in Krankenhäusern insofern eingedämmt,als wir den Anspruch auf eine ärztliche Zweitmeinungjetzt rechtlich verbindlich gemacht haben . Auch das istein großer Fortschritt sozialdemokratischer Gesundheits-politik .
Das Thema Pflege haben wir in diesem Haus – auchim Fachausschuss – in seinen verschiedenen Ebenen dis-kutiert . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eineStrukturreform durchgeführt . Auch darauf haben wir –ich schaue gerade Hilde Mattheis an – lange gewartet .Ich meine natürlich, dass Sie sich politisch und nicht di-rekt persönlich für die Pflege eingesetzt haben, liebe FrauMattheis .Wir werden 5 Milliarden Euro pro Jahr für Verbesse-rungen in der Pflege ausgeben. Das ist eine grundlegendeLeistungsverbesserung in der häuslichen und stationärenAltenpflege.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass alleMenschen gerne in Würde alt werden möchten . Alle wol-len in ihrer häuslichen Umgebung bleiben . Ich habe inmeiner Heimatstadt lange Jahre eine kommunale mobilePflegestation unterstützt, die es älteren Pflegebedürftigenermöglicht, im Regelfall zu Hause gepflegt zu werden.Ich glaube, das muss unser Ziel sein . Menschen müssenin ihrer gewohnten Umgebung bleiben können . Das istzukunftsorientierte Pflege. Das ist bessere Pflege, undden Menschen geht es damit besser . Es ist auch in derRegel günstiger, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Michael Hennrich
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Ein roter – Faden, um das Bild noch einmal aufzu-nehmen – unserer Politik ist auch die Verbesserung derArbeitsbedingungen des Personals . Wir haben – das sageich ausdrücklich in Richtung Linke – den Personalschlüs-sel und die Bezahlung der Mitarbeiter in Alten- und Pfle-geheimen verbessert .
Allein die Zahl der Betreuungskräfte steigt um 20 000 .Wir haben erreicht – das möchte ich ausdrücklich inRichtung Grüne betonen –, dass eine tarifliche Bezah-lung der Mitarbeiter in Alten- und Pflegeheimen von denKassen nicht mehr als unwirtschaftlich abgelehnt wird .Auch das ist eine eindeutige Verbesserung für die Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter .
Wir alle, die Union und auch wir Sozialdemokraten, wis-sen: Gute Arbeit in der Pflege hat auch gute Bezahlungverdient . Das erhöht auch die Attraktivität des Berufs .Schließlich bekommen wir auch inhaltlich eine grund-legende Verbesserung, nämlich einen neuen Pflegebe-dürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsverfah-ren, das den Menschen ganzheitlich betrachtet . Nicht„satt und sauber“ ist der Maßstab, sondern die indivi-duellen Bedürfnisse der Menschen sind es . Dafür habenviele in der Pflegepolitik jahrelang gekämpft, liebe Kol-leginnen und Kollegen .
– Es kommt noch etwas, Frau Klein-Schmeink: Men-schen, die in eine höhere Pflegestufe kommen, müssennicht automatisch mehr Geld bezahlen . Früher hatte je-der, der hochgestuft wurde, Angst, dass er mehr Geldbezahlen muss . Es gibt keine unterschiedlichen Eigenan-teile mehr für Pflegebedürftige. Niemand muss mehrAngst haben . Auch das ist, glaube ich, eine vernünftigeRegelung .
Das Krankenhausstrukturgesetz, das wir hier auchkontrovers diskutieren, sorgt ebenfalls für mehr Pflege-kräfte und für mehr Qualität in der Krankenhausversor-gung . Es wird Qualitätsanreize in Form von Zuschlägengeben . Wir strukturieren das Krankenhaussystem neu,und wir geben auch nicht, wie immer wieder behauptetwird, weniger Geld, sondern mehr Geld aus, nämlich ins-gesamt 5 Milliarden Euro pro Jahr . Das ist eine ordentli-che Summe .Wir wollen – das finde ich ausdrücklich richtig – dasGeld nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern wir wol-len die Vergütung an die Qualität der Leistung knüpfen .Das ist der richtige Weg .Weil gerade die Personalausstattung angesprochenwurde: Was bringt das Krankenhausstrukturgesetz? Wirwerden nicht nur durch das Pflegestellenförderprogramm6 000 bis 7 000 zusätzliche Pflegestellen bekommen unddie Personalbemessung im Detail regeln, sondern wirbekommen nach Auslaufen dieses Programms auch dieEinschätzung einer Expertenkommission zu der Frage,wie Personalbemessung richtigerweise geregelt und viel-leicht auch in den DRGs oder durch Zusatzentgelte nor-miert werden kann . Auch das ist ein großer Fortschritt .Des Weiteren werden, wenn Tarifabschlüsse die Ober-grenze von Preiszuwächsen überschreiten, jenseits desOrientierungswerts die Kosten automatisch hälftig refi-nanziert . Auch das ist ein großer Fortschritt .Schließlich und endlich haben wir den Versorgungs-zuschlag nicht abgeschafft, sondern wir haben ihn in ei-nen Pflegezuschlag umgewandelt. Das heißt, die Höheder Personalkosten ist maßgebend für die Höhe des Zu-schlags im einzelnen Krankenhaus . Das stützt vor allenDingen die kommunalen Häuser, also die Häuser in öf-fentlicher Hand . Das ist der richtige Weg in der Kranken-hauspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Wir stärken also die Pflege, und wir haben neben dendrei großen Projekten viel erreicht . Es gibt auch eine gan-ze Reihe weiterer Vorhaben . Wir diskutieren ein neuesPflegeberufegesetz, und wir wollen mit einer generalis-tischen Pflegeausbildung das Bild der Pflege aufwerten.Wir wollen die Kostenfreiheit der Ausbildung sichern .Herr Hennrich hat das E-Health-Gesetz angesprochen .Wir wollen einheitliche und sichere Datenautobahnenzur Übermittlung medizinischer Daten, um auch damitdie Qualität der Versorgung zu verbessern .Wir werden im nächsten Jahr – darüber freue ich michbesonders – ein Antikorruptionsgesetz verabschieden,damit das Vertrauen in die Integrität heilberuflicher Ent-scheidungen nachhaltig gestärkt wird; denn es kann nichtsein, dass jemand Zweifel daran haben muss, dass nichtallein medizinische, sondern auch monetäre Gründe füreine Therapieentscheidung maßgebend sind . Auch hiergeben wir Sicherheit und Klarheit in vielen rechtlichenRegelungen .Zum Thema Flüchtlinge . Ich glaube, wir sind uns alledarüber im Klaren – Herr Weinberg hat das zu Recht ge-sagt –, dass das Recht auf Gesundheitsversorgung einMenschenrecht ist . Wir müssen eine ausreichende Ge-sundheitsversorgung der Flüchtlinge sicherstellen . Ichbin mir aber sicher, dass diese Regierung auch das reali-sieren wird .Noch ein Wort zur Finanzierung, weil wir viele Re-formen auf den Weg gebracht haben, auch solche, dienicht gerade billig sind . Die beschlossenen Verbesserun-gen kosten mehr Geld . Die Krankenkassen haben bereitsZusatzbeiträge angekündigt . Wir von der SPD warenund sind immer für die paritätische Finanzierung . Nachmeiner Auffassung dürfen die Arbeitgeberbeiträge nichteingefroren werden . Vielmehr müssen Arbeitgeber undArbeitnehmer jeweils zur Hälfte alle Kosten im Kran-kenversicherungsbereich übernehmen .
Dr. Edgar Franke
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Wie Sie sehen, gibt es einen roten Faden der Gesund-heitspolitik, gerade der sozialdemokratischen Gesund-heitspolitik . Es gibt einen roten Faden im Gesundheits-haushalt . Der rote Faden in unserer Politik ist die Sichtder Versicherten .Danke schön .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dietrich
Monstadt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Meine Damen! Meine Herren! Im Verlauf derheutigen Debatte über den Einzelplan 15 – Gesund-heit – ist eines klar herausgestellt worden, wie ich finde:Das deutsche Gesundheitssystem ist eines der leistungs-stärksten im internationalen Vergleich . Darauf könnenwir alle stolz sein . Die unionsgeführte Gesundheitspoli-tik ist von ihrem Selbstverständnis her – Herr KollegeDr . Franke, Sie erlauben die Bemerkung, dass Sie dasvielleicht noch nicht ganz verinnerlicht haben; da solltenSie nacharbeiten – immer darauf ausgerichtet, Problemeanzugehen und langfristige Entwicklungen möglichst po-sitiv zu beeinflussen. Dies kann man an den zahlreichenGesetzgebungsvorhaben erkennen, die wir vor allem inden vergangenen zwei Jahren verabschiedet haben . Da-bei standen jederzeit die Patientinnen und Patienten imMittelpunkt unserer Gesundheitspolitik .
Mit dem Fokus auf noch mehr Qualität und Transpa-renz in der medizinischen Versorgung wollen wir, dassdies auch künftig so bleibt . Mein Dank geht an dieserStelle an den Minister, das Ministerium sowie die Kol-leginnen und Kollegen im Gesundheitsausschuss desDeutschen Bundestages dafür, dass wir es in kürzesterZeit geschafft haben, die Vorhaben des Koalitionsvertra-ges so umzusetzen, wie wir es vereinbart haben: fachlichfundiert, strukturell auf die Zukunft gerichtet, nachhaltigim Sinne der Generationengerechtigkeit mit Blick aufunsere Kinder und Enkelkinder . Das ist genau der rich-tige Weg .
Eine nachhaltige Leistungsfähigkeit ist immer auch aneine nachhaltige Finanzierung gekoppelt . Reserven voncirca 24 Milliarden Euro sind ein klares Zeichen dafür,dass die Union mit ihren Partnern über Jahre hinwegmit Augenmaß die richtigen Entscheidungen getroffenhat . Das dritte Jahr in Folge steht die schwarze Null imBundeshaushalt . Ja, Herr Kollege Weinberg, das ist keineSelbstverständlichkeit, sondern eine starke parlamentari-sche Leistung in Zusammenarbeit mit der unionsgeführ-ten Bundesregierung . Ein herzlicher Dank an dieser Stel-le allen Haushältern .Unsere Gesellschaft wird immer älter . Dadurch wer-den die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung lang-fristig steigen . Eine starke Wirtschaft und eine positiveEntwicklung auf dem Arbeitsmarkt bilden die Basisunseres solidarischen Gesundheitswesens . Deshalb wares die richtige Entscheidung, mit dem GKV-Finanz-struktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz denArbeitgeberanteil auf 7,3 Prozent festzuschreiben . Wir,die Union, wollen – da unterscheiden wir uns auch, HerrDr . Franke – mit unserem Gesetzgebungsvorhaben auchArbeit und Wachstum weiter fördern, neue Arbeitsplätzeschaffen und vor allem alte sichern . 31 Millionen sozi-alversicherungspflichtig Beschäftigte stellen unser leis-tungsstarkes, solidarisches Gesundheitswesen auf einesolide Basis .Daher ist es auch als Gesundheitspolitiker unserePflicht, einen Beitrag für mehr Arbeitsplätze und Wachs-tum zu leisten . Die Rückführung dieser Regelung, wie sieseit Monaten auch von Ihnen angedeutet und gefordertwird, könnte dies gefährden . Sehr geehrter Herr Minister,deshalb war und bleibt es die richtige Entscheidung, denArbeitgeberanteil festzuschreiben .
Für mich als Berichterstatter der Union für die bei-den großen Volkserkrankungen Diabetes und Adipositashaben unsere gesundheitspolitischen Vorhaben eine ganzbesondere Bedeutung . Wir wissen heute, dass mindestens50 Prozent der Betroffenen ohne Gabe von Medikamen-ten geholfen werden kann . Eine gesündere Ernährung,mehr Bewegung, ein gezieltes Muskeltraining reichendafür oftmals aus .Es klingt so einfach, die Realität ist leider anders .Wir leben in einer Gesellschaft des längeren Lebens, diegekennzeichnet ist durch einen Wandel der Lebensstile:Fahrstuhl statt Treppe, Auto statt Laufen, Computerspie-le statt Fußball, Fastfood statt gesunder Ernährung . Hier-zu kommen die Verlockungen der Werbe- und Lebens-mittelindustrie . All dies führt dazu, dass – aktuell habenwir fast 10 Millionen Diabeteserkrankungen unter Einbe-ziehung einer nicht quantifizierbaren Dunkelziffer – dieZahl der Betroffenen im Jahr 2025 auf rund 20 Millionenansteigen wird . Das sind 25 Prozent der gesamten Bevöl-kerung . Darüber sollten wir uns alle Gedanken machen .
Auch im Bereich der Adipositas sind die Zahlen er-schreckend . Der Anteil der stark übergewichtigen Men-schen in Deutschland hat sich zwischen 1999 und 2009fast verdoppelt . Insgesamt ist fast ein Viertel der deut-schen Bevölkerung adipös, mit steigender Tendenz .Im September konnte man der Presse entnehmen, dassdie jüngste Typ-2-Diabetikerin in den USA, drei Jahrealt, 35 Kilogramm schwer war . Das Normalgewicht indiesem Alter sind 14 bis 15 Kilogramm . Das Mädchenwar also 20 Kilogramm zu schwer . Warum betone ich dasso? Früher sprach man von Altersdiabetes . Heute sindimmer mehr Kinder, Jugendliche und junge Erwachsenedavon betroffen . Wir alle, die wir politisch in der Ver-antwortung stehen, müssen alles dafür tun, dass dieseDr. Edgar Franke
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angesprochene Entwicklung in Deutschland nicht weiterfortschreitet .Den ersten Schritt haben wir getan, indem wir dasPräventionsgesetz in diesem Jahr verabschiedet haben,das am 1 . Januar 2016 in Kraft treten wird . An dieserStelle herzlichen Dank, Herr Minister, dass unter IhrerFührung endlich Prävention und Gesundheitsförderungin den Vordergrund der Gesundheitsversorgung gerücktsind. Mit den zusätzlichen Beiträgen aus der Pflegekas-se und der privaten Krankenversicherung stehen damitinsgesamt nahezu 550 Millionen Euro für Präventions-aufgaben zur Verfügung . Das ist ein starkes Signal fürdie weitere Verbesserung der Gesundheitsversorgung inDeutschland .Prävention und Früherkennung sind wichtige Säulender Diabetesbekämpfung . Mit einem krankheitsübergrei-fenden Ansatz sollen lebensstilbedingte chronische Er-krankungen vermindert oder zumindest in ihrem Verlaufpositiv beeinflusst werden. Diabetes-mellitus-Typ-2-Er-krankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen undbehandeln – das hat als primäres nationales Gesundheits-ziel im Gesetz Niederschlag gefunden . Als betroffenerinsulinpflichtiger Typ-2-Diabetiker freue ich mich hier-über ganz besonders .
Bereits im Sommer 2014 hat der Bundesrat dem Bun-destag empfohlen, einen nationalen Diabetesplan zu ver-abschieden . Federführend waren hier die norddeutschenBundesländer . Auch wir, die Union, haben einen Antragmit der Forderung nach einer nationalen Diabetesstrate-gie auf den Weg gebracht . Ich darf an dieser Stelle denherzlichen Dank an meinen Kollegen Michael Hennrichzurückgeben, der maßgeblich die Erstellung der Strate-gie unterstützt hat . Für die Umsetzung dieser Strategiesind erstmalig im Bundeshaushalt 2016 zusätzliche Mit-tel in Höhe von 3 Millionen Euro vorgesehen – der HerrMinister hat darauf hingewiesen –, unter anderem fürden Ausbau des Gesundheitsmonitorings beim RKI füreine bessere Datenlage, die Bekanntmachung und Wei-terentwicklung der GMPs und für eine Verbesserung derAufklärung und Informationsarbeit. Ich finde, das ist eingroßer Schritt in die richtige Richtung .In diesem Zusammenhang möchte ich mich ausdrück-lich an unseren Koalitionspartner wenden . Dass hier eingrundsätzlicher Konsens besteht, haben wir aus gemein-samen Veranstaltungen und bei persönlichen Gesprächenfeststellen können . Daher lasse ich nicht nach, Sie auf-zufordern, diesen Antrag positiv zu begleiten, und hoffesehr, dass Sie das tun .Meine sehr geehrten Damen und Herren, an Diabeteserkrankte Menschen bedürfen einer kontinuierlichen,wohnortnahen, ambulanten Langzeitbetreuung . 90 Pro-zent der Typ-2-Diabetiker werden auf Hausarztebeneversorgt, wobei hier der Versorgungsqualität eine ent-scheidende Rolle zukommt . Die restlichen 10 Prozentwerden in Schwerpunktpraxen oder stationär betreut .Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz stellenwir eine gut erreichbare, flächendeckende Versorgung derPatientinnen und Patienten in allen Regionen Deutsch-lands auf hohem Niveau sicher . Gleichzeitig stärkt es diePatientenrechte und verbessert die Versorgungsqualität .Gerade für Diabetiker ist dies von wesentlicher Bedeu-tung .Mit der Versorgungsforschung und den dazu vorgese-henen Mitteln in Höhe von 75 Millionen Euro jährlichkann ebenfalls ein großer Beitrag zur Diabetesbekämp-fung geleistet werden .Bei Diabetes handelt es sich um keine einheitliche Er-krankung; verschiedene genetische Veränderungen kön-nen zu Diabetes führen . Deshalb ist es in der Forschungso wichtig, gerade Akzente im Bereich der personalisier-ten Diabetesmedizin zu setzen .
Auch können wir stolz darauf sein, dass sich mit demE-Health-Gesetz Möglichkeiten für eine bessere Versor-gung der chronisch Kranken ergeben . Durch telemedi-zinische Anwendungen können zum Beispiel lückenlosgeführte Diabetestagebücher an den zuständigen Arztübermittelt werden, der zunächst auch ohne persönlichenArzt-Patienten-Kontakt individuelle Therapien darausableiten kann .Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie Sie amBeispiel Diabetes unschwer erkennen können, sind wirauf dem Weg, unser schon jetzt sehr leistungsstarkes Ge-sundheitssystem weiter zu verbessern . Mit den bereitsabgeschlossenen und noch uns vorliegenden geplantenGesetzgebungsvorhaben gehen wir eine Reihe von Pro-blemen an, die zukünftig zu lösen sind .Dieser zu beschließende Haushalt fördert die Gene-rationengerechtigkeit . Er geht die gesundheitspolitischenProbleme der Zukunft in unserem Land entschlossen an .Ich werbe deshalb um Ihre Zustimmung .Herzlichen Dank .
Damit schließe ich die Aussprache .Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15des Bundesministeriums für Gesundheit in der Aus-schussfassung . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-gen? – Enthält sich jemand? – Dann ist der Einzelplan 15in der Ausschussfassung mit den Stimmen der Koalitiongegen die Stimmen der Opposition angenommen wor-den .Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte III . a bis c so-wie die Zusatzpunkte 1 a und b auf:III . a) Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung über denStand von Sicherheit und Gesundheit beider Arbeit und über das Unfall- und Be-rufskrankheitengeschehen in der Bundes-republik Deutschland im Jahre 2013Drucksache 18/3474Dietrich Monstadt
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Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales
Sportausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismusb) Unterrichtung durch die BundesregierungSechster Erfahrungsbericht der Bundes-regierung über die Durchführung desStammzellgesetzesDrucksache 18/4900Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzungc) Beratung des Berichts des Ausschusses fürBildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung gemäß § 56a derGeschäftsordnungTechnikfolgenabschätzung
Moderne Stromnetze als Schlüsselelementeiner nachhaltigen StromversorgungDrucksache 18/5948Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheitAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzungAusschuss Digitale AgendaZP 1 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENInterministerielle Zusammenarbeit bei derBewältigung der Fluchtkrise in Drittstaa-ten verbessernDrucksache 18/6772Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock,Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENSicherheit hat Vorrang – Ohne Stand vonWissenschaft und Technik keine Inbetrieb-nahme von Schacht KonradDrucksache 18/6773Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheitEs handelt sich hierbei um Überweisungen im ver-einfachten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .Ich rufe die Tagesordnungspunkte IV . a bis f auf . Hier-bei handelt es sich um die Beschlussfassung zu den Be-schlussempfehlungen des Petitionsausschusses, zu denenebenfalls keine Aussprache vorgesehen ist .Tagesordnungspunkt IV . a:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 249 zu PetitionenDrucksache 18/6656Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthältsich jemand? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die Sam-melübersicht 249 einstimmig angenommen worden .Tagesordnungspunkt IV . b:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 250 zu PetitionenDrucksache 18/6657Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist auch die Sammelübersicht 250 ein-stimmig angenommen worden .Tagesordnungspunkt IV . c:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 251 zu PetitionenDrucksache 18/6658Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthältsich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 251 mitden Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Frak-tion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grü-nen angenommen worden .Tagesordnungspunkt IV . d:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 252 zu PetitionenDrucksache 18/6659Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Stimmt je-mand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist dieSammelübersicht 252 einstimmig angenommen worden .Tagesordnungspunkt IV . e:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Sammelübersicht 253 zu PetitionenDrucksache 18/6660Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthältsich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 253 mitden Stimmen der Koalition und von Bündnis 90/DieGrünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke an-genommen worden .Tagesordnungspunkt IV . f:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 254 zu PetitionenDrucksache 18/6661Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammel-übersicht 254 mit den Stimmen der Koalition gegen dieStimmen der Opposition angenommen worden .Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir dieHaushaltsberatungen fort . Dazu rufe ich den Tagesord-nungspunkt I . 15 auf:Einzelplan 11Bundesministerium für Arbeit und SozialesDrucksachen 18/6111, 18/6124Die Berichterstattung haben die Abgeordneten EkinDeligöz, Axel Fischer, Ewald Schurer und Dr . GesineLötzsch .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen . Gibt es dazuWiderspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das sobeschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Dr . GesineLötzsch von der Fraktion Die Linke .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! DieAbgeordneten von Union und SPD haben während derAusschussberatungen für die Sicherheitsdienste deutlichmehr Mittel und Stellen zur Verfügung gestellt, als dieseDienste selbst beantragt hatten . Das ist eine sehr unge-wöhnliche Entscheidung . Leider haben wir so etwas imBereich Arbeit und Soziales noch nicht erlebt . Ich könn-te mir vorstellen, Frau Nahles, dass Sie mir zustimmen,dass wir in diesem Bereich das Geld wesentlich besserund sinnvoller verwenden könnten .
Das wäre auch ein Beitrag zu mehr Sicherheit; dennmehr Sicherheit gibt es nur, wenn unsere Gesellschaftinsgesamt sozialer und gerechter wird .Sicherheit hat auch etwas mit Zukunft zu tun . Wenndie Menschen keine Zukunft für sich sehen, dann wendensie sich von unserer Gesellschaft ab, und das müssen wirverhindern . Darum, glaube ich, haben wir nur mehr Si-cherheit, wenn viele Menschen von ihrer eigenen HändeArbeit leben können . Was macht die Regierung? Sie legtden Menschen Steine in den Weg . So ein Stein ist zumBeispiel das dreimonatige Arbeitsverbot für Flüchtlinge .Ich finde, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,Sie hätten sich in dieser Frage gegen die Union durchset-zen müssen . Das wäre der richtige Weg gewesen .
Als Begründung, warum die Flüchtlinge nicht sofortarbeiten dürfen, hat die Bundesregierung unserer Frakti-on geantwortet:Der Vorschlag wird abgelehnt, da Asylbewerberin der ersten Zeit des Aufenthalts den zuständigenBehörden . . . uneingeschränkt zur Verfügung stehenmüssen .Meine Damen und Herren, das ist doch völlig welt-fremd, wenn man berücksichtigt, wie lange es dauert,einen Termin bei einer Behörde zu bekommen . Da verge-hen schon einmal schnell drei Monate .Richtig ist allerdings: Der Haushalt für Arbeit, Sozia-les und Rente ist der größter Einzelplan im Bundeshaus-halt . Auch das zeigt, wie hoch der soziale Reparaturbe-darf in unserer Gesellschaft ist . Die Größe des Etats sagtnoch nichts über soziale Gerechtigkeit aus .Ich möchte noch einmal das Beispiel des Arbeits-verbots für Flüchtlinge aufgreifen . Ich sage Ihnen: Wirkönnten viel Steuergeld sparen, wenn Flüchtlinge nichtauf staatliche Unterstützung angewiesen wären, weil sieschnell eine Arbeit aufnehmen dürften . Ich sage nocheinmal – und ich fordere Sie auf, entsprechend zu ent-scheiden –: Das Arbeitsverbot muss endlich vom Tisch .
Wir Linke sind davon überzeugt: Es gibt genug Ar-beit, wenn wir jetzt ein Investitionsprogramm auflegen,finanziert aus der Vermögensteuer. Doch leider denkt dieBundesregierung nicht über den aktuellen Haushalt hi-naus. Sie befinden sich geradezu in einem Investitions-streik, und wir fordern Sie auf, diesen Streik endlich zubeenden .
Gerade Sie, Frau Nahles, müssten sich doch deutlichfür mehr Investitionen einsetzen, auch wenn sie nichtdirekt in Ihrem Etat vorgesehen sind . Öffentliche In-vestitionen sichern Aufträge für Betriebe und schaffenauch Arbeit für Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge . Wirbrauchen einen stärkeren öffentlichen Dienst, und wirbrauchen endlich auch wieder einen starken öffentlichenBeschäftigungssektor, so wie wir ihn im Land Berlinschon einmal hatten; so etwas brauchen wir auf der Bun-desebene .
– Der Flughafenbau, lieber Kollege – um dieses Stich-wort einmal aufzugreifen; in Berlin regieren CDU undVizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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SPD; daran möchte ich erinnern –,wird nicht vom öffent-lichen Beschäftigungssektor erledigt, sondern da hängtdie Privatwirtschaft drin . Sie hat da in einem Maße ver-sagt, über das wir alle einmal nachdenken sollten .
Meine Damen und Herren, das Jahr 2005 liegt jetztzehn Jahre hinter uns . Das heißt: zehn Jahre Hartz IV .Das ist wahrlich kein Grund zum Feiern . Es hat sichbewahrheitet, wovor die Linke von Anfang an gewarnthat: Hartz IV ist Armut per Gesetz . Sie alle wissen –man kann es nicht oft genug sagen –: Hartz IV betrifftdie gesamte Gesellschaft . Es betrifft diejenigen, die aufHartz IV angewiesen sind, und diejenigen, die Angst da-vor haben, in eine solche Situation zu kommen . Hartz IVdrückt erkennbar auf die Löhne und zwingt Menschenin unwürdige Arbeitsverhältnisse . Das wollen und dürfenwir nicht weiter hinnehmen . Hartz IV ist ein schlechtesGesetz . Es gehört abgeschafft . Wir brauchen eine armuts-feste Mindestsicherung, meine Damen und Herren .
Für die Haushaltsberatungen beantragen wir als erstenSchritt die Erhöhung des Regelsatzes auf 500 Euro .
Wir brauchen aber mehr . Wir brauchen eine sanktions-freie Mindestsicherung, und wir brauchen einen ange-messenen Mindestlohn . Sie alle wissen genauso gutwie ich, dass der Mindestlohn von 8,50 Euro zu niedrigist . Die Einführung des Mindestlohns war ein richtigerSchritt . Nun muss der Mindestlohn noch eine angemes-sene Höhe haben . 10 Euro wären das Gebot der Stunde,und dafür setzen wir uns ein .
Eine freie und offene Gesellschaft, meine Damen undHerren, über die wir in diesen Tagen so häufig sprechenund die wir verteidigen wollen, zeichnet sich dadurchaus, dass die Menschen ihr Leben in Freiheit, Würde undSolidarität gestalten können, und dafür kämpft die Linke .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat für die Bun-desregierung die Bundesministerin Andrea Nahles dasWort .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Uns allen ist bewusst: Wir stehen vor einer großenHerausforderung, vor wichtigen Fragen: Wer kann alsFlüchtling bei uns bleiben? Wie organisieren und verbes-sern wir die Verfahren, die das klären? Wie schaffen wires, dass wir die, die bei uns bleiben, rasch integrieren undin Arbeit bringen?Wir haben bereits vieles auf den Weg gebracht, damitdie Verfahren zur Aufnahme zügig und reibungslos lau-fen können . Erste Erfolge sind auch schon da . Die Zahlder vom BAMF getroffenen Entscheidungen zum Bei-spiel ist im November im Vergleich zum September um60 Prozent gestiegen . Im Durchschnitt sind es jetzt 1 600pro Tag . Aber es bleibt noch viel zu tun, und das merkenSie auch an diesem Einzelplan 11, liebe Kolleginnen undKollegen .Fast 2 Milliarden Euro sollen zusätzlich zur Verfü-gung stehen, damit die Menschen, die vor Terror und Ge-walt fliehen, bei uns Fuß fassen können, Deutsch lernen,eine Ausbildung machen oder eine Arbeit finden, selbstfür sich sorgen können . Das ist das Ziel .
Ich danke an dieser Stelle allen für die gute Zusammen-arbeit und die Unterstützung dafür, dass wir die finanziel-len Mehrbedarfe jetzt im Haushalt mit Mitteln unterlegenkönnen, besonders unseren Berichterstatterinnen und Be-richterstattern, den Kolleginnen und Kollegen im Fach-und vor allem im Haushaltsausschuss .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mit allenMitteln verhindern, dass aus Enttäuschung Radikalisie-rung entsteht und der Rückzug aus der Gesellschaft . Undich will, dass auch die, die sich hier schon lange um Ar-beit bemühen, sich nicht abgehängt fühlen, sondern eineneue Chance bekommen . Darum bündeln wir unsere An-strengungen für die Flüchtlinge mit denen für Langzeit-arbeitslose und richten unseren ganzen Einsatz darauf,ihnen allen einen Neustart zu ermöglichen .„Neustart in Deutschland“, und zwar für alle – die, dieneu hinzukommen, und die, die schon lange nach Arbeitsuchen –, diese Initiative habe ich vor wenigen Wochenin NRW vorgestellt . Warum in Nordrhein-Westfalen?Dort werden die meisten Flüchtlinge aufgenommen, unddort haben die Städte bedauerlicherweise einen sehr ho-hen, verfestigten Anteil von Langzeitarbeitslosen . Dortkommt beides zusammen .Wenn wir zu schnellen Entscheidungen über die Asyl-anträge kommen, heißt das, dass diejenigen, die bei unsbleiben können, auch als Arbeitslose gezählt werden,dass wir mehr Geld für die Grundsicherung brauchen,und das weist der Einzelplan 11 auch aus .
Aber, meine Damen und Herren, Hartz IV soll für nie-manden in Deutschland eine Dauerlösung sein .
Ich will, dass die Menschen, die zu uns kommen, baldfür sich selbst sorgen können . Darum richten wir alle An-Dr. Gesine Lötzsch
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strengungen darauf, sie schnell in den Arbeitsmarkt zuintegrieren .Über die Hälfte der Asylantragsteller sind unter25 Jahre alt. Wir müssen sie zügig in eine berufliche Aus-bildung bringen, damit ihr Neustart hier gelingt . Anderehaben schon eine Ausbildung und Erfahrung im Beruf .Trotzdem können sie nicht sofort ihren Platz in unseremhochspezialisierten deutschen Arbeitsmarkt finden. Aberoft genügt eben schon, dass sie Deutsch lernen und ihrWissen und Können in einem Anerkennungsverfahrengeprüft wird . Am schnellsten können wir Flüchtlinge mitBerufsausbildung oder einem Hochschulabschluss inte-grieren; denn die Nachfrage nach Fachkräften ist unge-brochen hoch . Wir haben 1 Million offene Stellen, undin manchen Berufen und Regionen werden Fachkräftehänderingend gesucht .Also geht es darum, schon in der Erstaufnahmeeinrich-tung die Qualifikationen zu erfassen und die Flüchtlingemit guter Bleibeperspektive so schnell wie möglich mitden zuständigen Stellen für die Anerkennung der Qualifi-kationen zusammenzubringen . Ich habe mir das in Kölnvor Ort angeschaut und an einigen der Bewerbungsge-spräche, wenn man das so nennen will, teilgenommen .Ich kann Ihnen nur empfehlen, das auch zu tun . SchauenSie sich das ruhig einmal an; das ist eine wichtige Erfah-rung . Da wird vor Ort eine sehr gute Arbeit gemacht vonder BA in den Aufnahmeeinrichtungen .
Sooft und wo immer es geht – das halte ich wirklichfür einen zentralen Punkt –, wollen wir berufsbezogeneDeutschkurse mit der täglichen Erfahrung im Betrieb ver-binden . Ich möchte nicht, dass wir aus berufsbezogenenSprachkursen vor allem ein Beschulungsprogramm ma-chen, sondern ich möchte die Kombination aus Praktikaund Deutschkurs, aus ausbildungs- und berufsbegleiten-den Angeboten und Deutschkurs, aus Jobs und Deutsch-kurs . Wir müssen es von Anfang an zusammenbringen:Anpassungsqualifizierung und Arbeitsvermittlung undDeutschkurs müssen eine Einheit bilden . Ich glaube, dasses so auch für die Flüchtlinge am leichtesten ist, weil siedann schon Kontakt in den Betrieben bekommen undauch Verständnis dafür gewinnen, wie unsere Arbeitswelthier in Deutschland überhaupt funktioniert . Ich glaubeauch, dass sie so schneller Deutsch lernen können, weiles gleich anwendungsbezogen ist .
Das muss aus meiner Sicht zusammenkommen . Ich freuemich – im Übrigen verbinde ich das auch mit einem Dankan die deutschen Unternehmen – über die Unterstützung,die ich für dieses Konzept gefunden habe: Angebote, dieBereitschaft, das umzusetzen, und ganz konkrete Hilfe .Wir sind da in einem sehr guten Dialog .Wir stellen in diesem Etat sehr viel mehr Geld fürDeutschkurse zur Verfügung, sowohl im Etat von Herrnde Maizière, also dem Etat des Bundesinnenministeri-ums – für die Integrationskurse –, als auch für die be-rufsbezogene Sprachförderung, die wir über die BA an-bieten . Knapp 300 Millionen Euro – und damit fünfmalso viel wie ursprünglich geplant – werden hier für dennächsten Haushalt zur Verfügung gestellt .
Auch für die Anerkennung der Qualifikationen ver-stärken wir die Mittel, beispielsweise für das NetzwerkIQ, weil es ganz wichtig ist . Außerdem, Kolleginnen undKollegen, erhöhen wir auch die Mittel für die Arbeit derJobcenter . Mehr als eine halbe Milliarde Euro steht hierzusätzlich zur Verfügung . Mir ist wichtig, dass wir auchfür die Menschen, die hier Arbeit suchen, die nötigenMittel bereitstellen . So werden auch im nächsten Jahrden Jobcentern zusätzlich 350 Millionen Euro Ausgabe-reste zur Verfügung stehen .
Die Jobcenter – ich denke, das muss allen klar sein –stehen in den nächsten Monaten und Jahren vor einersehr großen Aufgabe . Ich betone: Es werden nicht nurMonate, sondern Jahre sein .
Deshalb ist es wichtig, dass wir sie von unnötiger Büro-kratie befreien .
Deswegen werde ich jetzt die Reform des SGB II zurRechtsvereinfachung auf den Weg bringen . Es gab daeinige, die da die Handbremse angezogen hatten . Die ha-ben wir lösen können, so hoffe ich . Unnötige Bescheidewegfallen zu lassen, Anrechnungsregeln und Verfahrenzu vereinfachen – das ist jetzt, gerade in dieser Situati-on, in der die Belastungen bei den Jobcentern zunehmen,eine der wichtigen Weichenstellungen, die wir vorneh-men .Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist niemandemgeholfen – nicht den Jobcentern, nicht denen, die wir inArbeit bringen wollen –, wenn Menschen gegeneinanderausgespielt werden .
Deswegen sage ich hier ganz klar: Der Mindestlohn giltfür alle, egal welchen Pass jemand mitbringt .
Und eine weitere Sache ist mir wichtig: Wir dürfenauch die Menschen in unserem Land nicht vergessen, diekeine Flüchtlinge sind .
Deshalb müssen wir das, was wir zugesagt haben, aucheinhalten, zum Beispiel bei Leiharbeit und Werkverträ-gen . Ich habe mich gefreut, dass die Kanzlerin vorgesternihre Unterstützung noch einmal deutlich gemacht hat .
Bundesministerin Andrea Nahles
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Ja, das ist wichtig und richtig . Die Leiharbeit muss rausaus der Grauzone, aus der Schmuddelecke . Wir brauchensie für die Flexibilität unserer Wirtschaft; davon bin ichfest überzeugt . Aber dann muss sie auch vernünftig ge-regelt werden . Deshalb haben wir im Koalitionsvertrageine klare Vereinbarung: Nach 9 Monaten gibt es glei-chen Lohn, und nach 18 Monaten muss derjenige in demBetrieb, in dem er eingesetzt wird, fest eingestellt wer-den . Ich sage aber auch ganz klar: Wo es einen Tarifver-trag gibt, da kann auch mehr Flexibilität möglich sein .Tarifpartnerschaft schafft mehr Flexibilität. Tariffluchtwollen wir allerdings verhindern . Das ist die Grundidee,die hinter diesem Gesetzentwurf steht .
Und bei den Werksverträgen werden wir Abgren-zungskriterien festlegen gegenüber Scheinselbstständig-keit auf der einen und Scheinwerkverträgen auf der ande-ren Seite . Das ist längst gängige Rechtsprechung . DieseKriterien übernehmen wir jetzt. Wir kodifizieren das imBGB; denn bisher gibt es zwar Rechtsanwälten Arbeit,aber es belastet nur die Gerichte und führt zu Streit . Wirwollen das verhindern und die gängige Praxis der Recht-sprechung zu geltendem Recht machen .Es ist schlicht falsch, wenn behauptet wird, wie in die-ser Woche auf dem Arbeitgebertag, dass jedes einzelneKriterium ein K .o .-Kriterium für Werkverträge sei . Nein,entscheidend ist die Gesamtbetrachtung . Kolleginnenund Kollegen, weder wird ein bestellter Klempner zumAngestellten, noch beschränken wir die Tarifautonomieauf drei Monate . Das ist vollkommener Unsinn . Das wis-sen diejenigen auch, die das behaupten, weil ich mit ih-nen lange darüber geredet habe .
Diejenigen legen dagegen wirklich die Axt an die Tari-fautonomie, die Werkverträge als Deckmantel für Lohn-dumping nutzen . Das allerdings wollen wir nicht;
denn das höhlt die Tarifautonomie aus . Wir haben in derBundesregierung eine klare Linie: Wir wollen die Tarif-autonomie stärken . Das haben wir bei der Tarifeinheitgemacht, und das machen wir auch bei Leiharbeit undWerkverträgen .Vielen Dank .
Als nächste Rednerin hat Ekin Deligöz von der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin, die Beratungen zu diesem Etat warenbis zum Schluss in Bewegung . Das lag an zwei Aspekten .Zum einen hatten wir jede Menge Schätztitel, die wir im-mer wieder aktualisieren mussten, und zum anderen lages an den Flüchtlingsfragen . Ich danke an dieser Stelleder Mitberichterstatterin und den Mitberichterstattern,aber auch Ihrem Haus, Frau Ministerin . Wir haben Sie,wie ich glaube, ganz schön in Atem gehalten . Wir hattendrei sehr ausführliche Berichterstattergespräche, die auchsehr intensiv verlaufen sind . An dieser Stelle vielen Dankfür die gute Kooperation .Worüber reden wir? Wir reden über einen Etatansatzvon knapp 130 Milliarden Euro; insgesamt liegen wirdamit um 4,5 Milliarden Euro über dem Etatansatz für2015 . Das teilt sich auf die größten Titel auf: 34,5 Mil-liarden Euro für den Bereich Arbeitsmarkt und 93 Mil-liarden Euro für den Bereich Rente . Bei beiden Titelnmuss man feststellen: Die Ansätze für diese Titel werdenin den nächsten Jahren eher steigen als sinken . Ich denke,dass wir uns diesen Bereich in Zukunft noch einmal sys-tematischer anschauen müssen .Ja, in der Tat, den Schwerpunkt der Debatte bildetedie Flüchtlingspolitik und da die essenzielle Frage, wiewir es schaffen, dass die Flüchtlinge, die hierherkom-men, nach ihrer Anerkennung möglichst schnell auf demArbeits- und Qualifizierungsmarkt integriert werden. Wirmussten aber – und dazu sind wir geradezu verpflichtet –immer wieder darauf schauen, dass wir die Menschennicht aus dem Auge verlieren, die in diesem Land eben-falls Unterstützung brauchen .
Ich stelle an dieser Stelle auch fest: Diese Aspekte –also sowohl das Thema Flüchtlinge als auch der andereAspekt – waren bei den letzten Etatplanungen noch nichtso richtig auf dem Schirm . Die Zahlen waren sehr niedrigangesetzt . Wir sind immer von Annahmen ausgegangen,die sehr niedrig lagen . Jetzt stellen wir fest – das ist gutso –: Das alles ist nicht zum Nulltarif zu haben . Es ist gut,dass Sie das machen; zwar kommt das alles ein bisschenzu spät, aber besser spät als gar nicht . Die Ansätze für Ar-beitslosengeld II, Kosten der Unterkunft und Sprachkur-se werden erhöht; auch Sie haben schon gesagt, dass esda Aufstockungen gibt . Es gibt aber zwei große, riskanteSchwachstellen . Ich will sie Ihnen jetzt auch nennen .Erstens: Ihre Berechnungen . Sie gehen von sehr ge-wagten Annahmen aus .
Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele . Sie sagen: In derGrundgesamtheit rechnen wir mit 800 000 Flüchtlingen .Das dürfte doch wohl eher der untere Wert sein . Es istschon spannend, was geschieht, wenn die Zahl doch einbisschen höher ausfällt .Zugleich gehen Sie dabei davon aus, dass nur gerin-ger Familiennachzug stattfindet. Das ist ein Fehler; dennnatürlich haben auch die Frauen und gerade die jungenMenschen, die nachkommen, Ansprüche .Außerdem gehen Sie davon aus – das ist wirklich sehrwaghalsig –, dass die Verbleibsrate beim SGB-II-Bezugbereits im Jahr 2016 bei 65 Prozent liegen wird . Das istBundesministerin Andrea Nahles
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zu niedrig . Es gibt übrigens auch keinerlei Hinweise, diedie Ansetzung dieses Wertes rechtfertigen . Das heißt, dawerden noch im kommenden Jahr – damit müssen wirrechnen – zusätzliche Kosten auf uns zukommen .
Die zweite große Schwachstelle ist: Die Jobcentersind jetzt schon unterfinanziert. Die Art und Weise derFinanzierung erinnert an eine Einbahnstraße: Sie schich-ten Eingliederungsmittel in den Verwaltungsbereich um .Der Bedarf an Mitteln im Verwaltungsbereich ist aberauch jenseits der Flüchtlingsbedarfe vorhanden .
Jetzt sagen Sie: Die haben Geld eingespart, das könnensie jetzt einbehalten . Damit tue ich doch etwas Gutes . –Nein! Wir brauchen frisches, zusätzliches Geld . Aber Siestellen es nicht in den Haushalt ein .
Dass Sie in diesem Bereich tricksen und das Geld hinund her schieben, macht es, ehrlich gesagt, auch nichtviel besser .
Das Schlimme ist aber, dass man bei den ganzen Be-ratungen immer wieder feststellen musste: Eigentlichorientieren Sie sich nicht wirklich an den Bedarfen, son-dern viel eher an einem vorgegebenen Finanzrahmen .Und dann wird der Rest irgendwie zurechtgestrickt . Daswird uns auf die Füße fallen . Das Schlimmste daran ist –das haben die letzten zwölf Monate gezeigt –: Wennsich etwas an den Sachverhalten ändert, sind Sie nichtin der Lage, schnell darauf einzugehen und zu reagieren .Das macht es auch für die einzelnen Institutionen sehrschwierig, all die guten Vorhaben, die Sie hier vorgestellthaben, umzusetzen; denn sie werden auf halber Streckealleingelassen und können sich nicht auf die Finanzie-rung vonseiten Ihres Hauses verlassen . Am Ende sinddann aber die Menschen verlassen, die die Unterstützungin Anspruch nehmen müssen, weil sie darauf angewiesensind .
Es gibt aber auch andere Punkte, bei denen Sie hinter-herhinken . Ich will sie kurz erwähnen; denn wir habendiesbezüglich im Verfahren dezidierte Anträge gestellt,die leider allesamt abgelehnt worden sind .Das Thema Altersarmut findet bei Ihnen nicht statt. Esist aber ein Thema, das existiert, das auf uns zukommt .Wir haben die Garantierente vorgeschlagen . Ich hättemich gefreut, wenn von Ihnen eine Alternative bzw . einanderer Vorschlag gekommen wäre; aber Sie schweigensich da aus, Sie sitzen das aus .
Das Thema ist aber aktuell; das ist keine Zukunftsfrage .
Das Thema Langzeitarbeitslosigkeit . Ja, wir brauchenda mehr Gegenmaßnahmen . Wir brauchen den sozialenArbeitsmarkt, wir brauchen einen Passiv-Aktiv-Transfer .Sie haben hierzu nicht einmal ein Modellprogramm ent-wickelt . Wenn Sie davon reden, dass nicht nur für Flücht-linge, sondern auch für alle anderen etwas getan werdenmuss, kann ich Ihnen nur sagen: Hier ist der Punkt, andem Sie ansetzen und aktiv werden müssen . Das tun Sieaber nicht . Sie sitzen das aus . Das ist bedauerlich, geradefür die Menschen, die davon betroffen sind .
Und nicht zuletzt das Thema Regelsatzerhöhung . Hiergeht es um eine angemessene Existenzsicherung . Wir hö-ren da leider nichts von Ihnen .Mut, Plan und Verlässlichkeit – das wären die dreiAnforderungen an Ihren Haushaltsplan . Mit diesem Etatwerden Sie diesen Anforderungen aber nicht gerecht,Frau Ministerin .
Als nächster Redner hat Axel Fischer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Axel E. Fischer (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Ja, in der Tat, es stimmt: DerEtat, den wir heute beraten, sieht anders aus als der, dendie Bundesregierung im Sommer eingebracht hat . Er istaber mit zusätzlichem Geld ausgestattet, liebe Kollegin-nen und Kollegen . Das ist eindeutig so .Und ja, es stimmt auch: Wir können den ausgegli-chenen Haushalt, die schwarze Null halten – trotz dieserMehrausgaben . Dafür gleich zu Beginn ein Dankeschönan die Bundesregierung, an das Bundesfinanzministeri-um, aber auch an Sie alle, liebe Kolleginnen und Kol-legen, weil wir als Parlament diesen Haushalt so be-schließen . Herzlichen Dank für diese schwarze Null zumdritten Mal hintereinander!
Selbstverständlich – die Vorredner haben darauf hin-gewiesen – stimmt auch das: Wegen des Flüchtlings-zustroms, den wir erleben, mussten wir an vielen Stel-Ekin Deligöz
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len nachjustieren, völlig klar . Das haben wir gemacht .Aber – und das ist mir an dieser Stelle ganz besonderswichtig – wir haben uns keineswegs nur darauf konzen-triert, sondern haben und hatten, also auch schon in denletzten Jahren, in gleicher Weise das Wohl der Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer, das Wohl der Rentnerinnenund Rentner, das Wohl der Arbeitslosen, der Schwachenin unserer Gesellschaft mit im Blick, und das seit vie-len Jahren . Das ist wichtig, und das ist gut so; denn wirdürfen unsere Gesellschaft nicht auseinanderdividierenlassen .
Meine Damen und Herren, Akzente haben wir deshalbunter anderem bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik ge-setzt . Wir haben auch mehr Mittel – frisches Geld, FrauKollegin – für berufsbezogene Sprachkurse für Flücht-linge und für die berufliche Beratung bereitgestellt, eben-so für die berufliche Eingliederung, für das Programm„Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“, für die bessere Her-anführung Langzeitarbeitsloser an den Arbeitsmarkt . Wirhaben sogar mehr Mittel für das kommende Jahr vorge-sehen für das Arbeitslosengeld II – die Ministerin hat esschon erwähnt –, für die Beteiligung des Bundes an denLeistungen für Unterkunft und Heizung und für die Zu-schüsse zur Rentenversicherung .Dank zusätzlicher Mittel zur Durchführung der Grund-sicherung für Arbeitsuchende kann die Bundesagenturfür Arbeit erheblich mehr Personal einstellen und so dieLeistungsfähigkeit den geänderten Rahmenbedingungenanpassen . Wir reagieren auf die aktuelle Situation, meineDamen und Herren .Auch beim Bundesversicherungsamt, von dem neueAufgaben im Rahmen der Modernisierung und Erweite-rung unseres Gesundheitswesens übernommen werdenmüssen, oder im Ministerium selbst, in dem die Behin-dertenbeauftragte zusätzliches Personal zur Wahrneh-mung ihrer Aufgaben benötigt, verbessern wir die Per-sonalausstattung so, wie es sein muss . Das ist unsereAufgabe, und der kommen wir nach, liebe Kolleginnenund Kollegen .
Meine Damen und Herren, dank unserer über Jah-re hinweg auf Wachstum durch Innovation, auf sparsa-mes Haushalten und weniger auf Umverteilung – wie esmanchmal von links oder von der Mitte hierher strömt –ausgerichteten Politik in Deutschland haben wir heuteeine solide Basis für eine zukunftsfähige Arbeitsmarkt-und Sozialpolitik . Deshalb führen wir die heutige De-batte vor einem guten wirtschaftlichen Hintergrund . Inder Wirtschaftsdebatte heute Vormittag kam es schonzum Tragen . Dank immer neuer Beschäftigungsrekordevon mehr als 43 Millionen Erwerbstätigen und mehr als30 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigtenist die Arbeitslosenzahl auf nur noch – hören Sie genauzu! – 2,6 Millionen und damit auf einen Rekordtiefstandseit der Wiedervereinigung gefallen . Das ist quasi Voll-beschäftigung, und das haben wir gemeinsam erreicht .
Die wirtschaftlichen Aussichten sind weiterhin gut .Rentner können nach dem Rentenpaket vom vergange-nen Jahr im kommenden Jahr zusätzlich einer noch niedagewesenen Rentenerhöhung von bis zu 5 Prozent froh-gemut entgegensehen . Das ist doch was, meine Damenund Herren! Das muss man doch einmal deutlich sagen .Wir haben alle Menschen in unserem Land im Blick . Undich freue mich für die Rentner, dass sie dann mehr Geldhaben werden .
Meine Damen und Herren, die Konjunktur läuft, dieExporte brummen weiter, und unsere Bevölkerung ist gutversorgt . Aber ich gebe offen zu: Der unerwartet großeanhaltende Flüchtlingszustrom stellt uns in der Tat vorgroße Herausforderungen und entfaltet derzeit seine nor-mative Kraft . Man kann sich jetzt empören, dass sichviele der Zugewanderten nach geltendem Recht gar nichthier befinden dürften. Man kann beklagen, dass die Ein-richtung eines tragfähigen Asyl- und Flüchtlingsregimesin den letzten Jahrzehnten versäumt worden ist . Mankann bedauern, dass die Integration der Zugewandertenin vielen Bereichen des täglichen Lebens noch weniggelungen erscheint . Man kann die Schuld dafür bei derBundeskanzlerin persönlich, bei der Bundesregierung,bei Länderregierungen – jetzigen oder früheren – oderbei den jeweiligen Innenministern, bei den Politikernallgemein, bei den Kirchen oder bei wem auch immersuchen . Nur: All das hilft nicht weiter . Denn das enthebtuns nicht unserer Pflicht, die bestehenden Herausforde-rungen aufzugreifen und das Beste aus der Situation zumachen . Das tun wir, und genau deshalb haben wir inden vergangenen Wochen den Haushalt für Arbeit undSoziales im Ausschuss nachjustiert .Die geplanten Mehrausgaben liegen bei 2,6 Milliar-den Euro, von denen über 1,9 Milliarden Euro flücht-lingsinduziert sind . Wesentlich sind die Steigerungenbei den Ausgaben für das Arbeitslosengeld II, die um1,3 Milliarden Euro ansteigen; das wurde schon erwähnt .Damit tragen wir dem Umstand Rechnung, dass aner-kannte Asylbewerber nach Abschluss ihres Verfahrens inder Regel nicht sofort eine Arbeit finden werden, häufignoch Sprachkurse oder Qualifizierungen benötigen unddaher Arbeitslosengeld II erhalten werden .Die stark gestiegene Zahl der Flüchtlinge verursachtaußerdem erhebliche Mehrkosten bei Ländern und Kom-munen für die Unterbringung und die soziale Grundsi-cherung während des Asylverfahrens . Deshalb erhöhenwir die Beteiligung des Bundes an den Leistungen fürUnterkunft und Heizung um 400 Millionen Euro .Schließlich soll der im Bundeshaushalt bisher ver-anschlagte Finanzrahmen für Arbeitsförderung deut-lich steigen . Einerseits erhöhen wir die Leistungen zurEingliederung in Arbeit um knapp 250 Millionen Euro,Axel E. Fischer
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andererseits erhöhen wir die Mittel für die Verwaltungs-kosten für die Durchführung der Grundsicherung für Ar-beitsuchende um 325 Millionen Euro auf jetzt sage undschreibe 4,4 Milliarden Euro .
Ja, das leisten wir, und der Sinn ist, dass die Bundes-agentur für Arbeit 2 000 zusätzliche Stellen erhält und800 Befristungsmöglichkeiten in den gemeinsamen Ein-richtungen finanzieren kann. Damit sowie mit 179 Mil-lionen Euro für die berufsbezogene Sprachförderungund 48 Millionen Euro für die berufliche Integration undBeratung von Zuwanderern wollen wir die erfolgreicheIntegration von Asylbewerbern mit Bleibeperspektiveund von anerkannten Flüchtlingen in Arbeitsmarkt undGesellschaft befördern;
denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, nach vorsich-tigen Schätzungen verfügt knapp ein Drittel der zu unsgeflüchteten Menschen über eine möglicherweise ver-wertbare berufliche Qualifikation. Zudem können wirdie überwiegend sehr jungen Menschen vielfach nochausbilden bzw. qualifizieren und ihnen so eine attraktiveArbeitsmarktperspektive verschaffen .Frühzeitiger Spracherwerb und frühzeitige Aufnah-me einer Erwerbstätigkeit sind zentrale Bausteine einererfolgreichen gesellschaftlichen Integration . Und überIntegration darf man nicht nur in Sonntagsreden fabulie-ren, man muss sie auch durchführen, und so gehen wirsie als Bundesregierung, als Koalition jetzt an . Das heißtaber auch, dass wir von den Zugewanderten diese Inte-gration konsequent einfordern müssen . Sie muss von deröffentlichen Hand konsequent unterstützt werden, damitZuwanderung gerade auch vor dem Hintergrund unsererdemografischen Entwicklung – wir wissen da alle Be-scheid; das brauche ich gar nicht zu vertiefen – dauerhaftvon der Bevölkerung akzeptiert wird . Ich möchte denBDI-Präsidenten Kerber zitieren, der letzte Woche gefor-dert hat – ich zitiere –:Wir brauchen massive und anhaltende Integrations-bemühungen . Wir müssen in eine Integrationsinfra-struktur investieren . Dann könnte es in fünf bis zehnJahren klappen . Dafür muss die Regierung einenPlan entwickeln .Ich muss sagen: Wo er recht hat, hat er recht .
Die Bundesagentur für Arbeit und das Bundesamt fürMigration und Flüchtlinge arbeiten schon seit Spätsom-mer unter Leitung von Herrn Weise im Rahmen desArbeitsstabes Integriertes Flüchtlingsmanagement engzusammen . Ich begrüße vor diesem Hintergrund aus-drücklich die Bereitschaft der Bundesagentur, 121 Milli-onen Euro aus eigenen Mitteln, aus Mitteln der Bundes-agentur, für Sprachkurse zur Verfügung zu stellen .
Mein Dank gilt daher neben dem Verwaltungsrat insbe-sondere den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, dieauch in diesem Bereich mit ihren Beiträgen solidarischgesamtgesellschaftliche Aufgaben finanzieren.Meine Damen und Herren, wir wissen es alle: Mitdem Rentenpaket, mit der Mütterrente und der Ren-te mit 63, ist die Große Koalition im vergangenen Jahrfulminant in die neue Legislaturperiode gestartet . BeideRentenleistungen erfreuen sich großer Beliebtheit undhaben für milliardenschwere Mehrausgaben der beitrags-finanzierten Rentenversicherung gesorgt. Die im Bun-deshaushalt 2016 geplanten Ausgaben für die Zuschüssefür die Rentenversicherung und die Grundsicherung imAlter und bei Erwerbsminderung liegen bei 93,3 Mil-liarden Euro . Das sind circa 30 Prozent des gesamtenBundeshaushalts . Wir lassen uns das also wirklich etwaskosten . Die bis 2019 absehbar auf rund 106 MilliardenEuro ansteigenden Bundeszuschüsse sind derzeit solidefinanziert und erscheinen aus heutiger Sicht auch in denkommenden Jahren finanzierbar.Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen:Der vorgelegte Bundesetat schaut in die Zukunft . Er istder Zukunft zugewandt . Er zeigt, dass wir Mut und Tat-kraft besitzen, dass wir die Zukunft fest im Blick haben,und das zum Wohle der Menschen in unserem Land . Diehaben uns gewählt, und für die arbeiten wir hier gemein-sam in einer Großen Koalition an tragfähigen Lösungen .Ich verschweige nicht, dass es natürlich an der einen oderanderen Stelle bei uns auch einmal ein bisschen knarzt,aber wir finden uns zusammen, wir finden Lösungen.Deshalb von meiner Seite ein Dank an das Ministe-rium, an die Kolleginnen und Kollegen in den Arbeits-gruppen „Arbeit und Soziales“ der Koalitionsfraktionen,an die Mitberichterstatter und für die ausgezeichnete Zu-sammenarbeit auch an die beiden Kolleginnen aus derOpposition . Es hat Spaß gemacht, gemeinsam zu arbei-ten . Ekin, ich sage es dir ganz persönlich: Du hast mitden Terminen immer viel Arbeit . Du machst das super .Das vertrauensvolle Verhältnis, das wir haben, sorgt da-für, dass man ab und zu auch einmal einen Wunsch derOpposition erfüllen kann; aber das muss ein vernünftigerWunsch sein, es geht nicht alles .Ich denke, wir können alle frohgemut diesem Bundes-haushalt zustimmen .Herzlichen Dank .
Als nächster Redner hat Ewald Schurer von der
SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 11ist gerade von meinem Kollegen Fischer in seinen Be-standteilen und seiner Wirkungsmächtigkeit hinreichendAxel E. Fischer
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beschrieben worden . Wenn wir uns vergegenwärtigen,dass wir am Freitag einen Bundeshaushalt mit einer Grö-ßenordnung von 317 Milliarden Euro verabschieden undder Einzelplan 11 ein Volumen von knapp 130 MilliardenEuro hat, also mehr als 40 Prozent umfasst, dann erken-nen wir die gesellschaftliche und ökonomische Bedeu-tung dieses Haushalts .Gegenwärtig findet ja eine aufgeregte Debatte statt.Klar ist, dass in der gegenwärtigen Situation Migration,Asyl und Integration in die Gesellschaft die bestimmen-den Themen sind . Es gibt keinen einzigen Einzelplan, beidem diese Themen nicht zu Recht in den Mittelpunkt ge-rückt werden . Das muss auch so sein .Ich sage Ihnen: Die für den Bereich Arbeit und So-ziales für Arbeitsförderung vorgesehenen 34,5 Milliar-den Euro bedeuten, dass dieser Haushalt – das ist meineThese; das ist meine Interpretation dieses Einzelplans imRahmen der zweiten und dritten Lesung des Bundeshaus-halts – der größte Investitionshaushalt ist, den der Bun-deshaushalt aufzuweisen hat; und zwar geht es dabei umInvestitionen in Menschen . Für Investitionen draußen imLand haben wir nominell gute 10 Prozent der Haushalts-mittel vorgesehen; aber wir sollten das dazurechnen, waswir über Arbeitsförderung in die Menschen investieren .Ich sage Ihnen: Diese Mittel, diese Investitionen in dieMenschen werden sich rentieren; denn diese aktiv in dieIntegration der Menschen in den Arbeitsmarkt investier-ten Mittel – wir haben natürlich auch passive Mittel; ichnenne das Stichwort „Versorgung“ – werden sich in dennächsten Jahren positiv auswirken .
Mit dem Haushalt für Arbeit und Soziales haben wirdie große Chance, eine Diskussion, die draußen zum Teilmit Angst, Polemik, auch mit politischen Absichten sooder so geführt wird, zu versachlichen . Bei vielen lau-fenden Programmen geht es um Integration; das ist das,was wir jetzt investieren . Das geschieht natürlich, lieberKollege Fischer, in Koordination und Kooperation mitder Bundesagentur für Arbeit . Sie erhält zusammen mitden Jobcentern einige Tausend neuer Stellen . Das ist not-wendig, damit sie die Mehrarbeit erledigen kann .Der technische Begriff lautet: flüchtlingsinduziert. Ichmöchte dieses Wort „flüchtlingsinduziert“ einmal mitLeben erfüllen: Durch Flucht und Vertreibung kommenMenschen mit Bedürfnissen zu uns, aber auch Menschenmit besonderen Persönlichkeitsprofilen, mit Talenten,mit Fähigkeiten . Nicht ohne Grund hat die Frau Minis-terin gesagt, dass über die Hälfte dieser Menschen un-ter 25 Jahre alt ist; laut Statistik sind zwei Drittel unter30 Jahre alt . Das heißt, da gibt es ein riesiges Potenzialfür den Arbeitsmarkt .Es gibt einen Dreiklang: Das Erste ist – das ist schongesagt worden – die Sprache . Über Bildung und Sprachekönnen die Menschen einen Zugang zu unserer Kultur,auch zu unserer Arbeitskultur, bekommen . Das Zweite istdie Ausbildung, das Dritte die Aufnahme der Erwerbs-arbeit . Das sind enorme Schritte, die wir gehen müssen .Es gibt dazu noch nicht sehr viel dezidiertes wissen-schaftliches Material oder Evaluierungen; aber es gibtschon Fakten, die zeigen, dass es uns gelingen kann, miteinem gezielten Aufwand in den nächsten zwei – das istdas Minimum, weil man so lange braucht, um die nöti-gen Sprachkenntnisse zu erwerben – bis acht Jahren dieHälfte aller Menschen, die zu uns kommen, in Erwerbs-arbeit zu bringen, durch die sie in der Lage sind, ihrenLebensunterhalt – weit über der Armutsgrenze – selbst zutragen und, wenn sie in dieser Gesellschaft eine Bleibe-option haben, eine Wohnung zu haben, also über Arbeitin der Gesellschaft integriert zu sein . Das wäre auch meinpersönliches Ziel: dass wir es schaffen, mindestens dieHälfte der Menschen, die bisher gekommen sind, in dennächsten Jahren aktiv in den Arbeitsmarkt zu integrieren .
Damit relativieren sich auch die Ängste, die zum Teilpolitisch bewusst mit der Aussage geschürt werden: Wirschaffen das nicht . – Wenn wir diese Fördermaßnahmenam Arbeitsmarkt gezielt umsetzen, in Koordination mitder BA, mit den Jobcentern, haben wir alle Chancen die-ser Welt, die Integration dieser Menschen nachhaltig zuerreichen .
Das wird keine leichte Aufgabe werden . Die BA hatim Jahre 2011 in einem Report mit dem Titel „Perspek-tive 2025“ geschrieben: Was wir brauchen, ist eine all-gemeingesellschaftliche Qualifizierungsoffensive. – Wirwissen doch alle, dass sich der Arbeitsmarkt in allenwichtigen Branchen verändern wird – nicht nur aufgrundvon Industrie 4 .0, nicht nur aufgrund der heutzutage hö-heren Ansprüche in fast allen Berufsbildern der Dienst-leistungswelt, des Gewerbes und der Industrie, sondernauch durch manifeste gesellschaftliche Veränderungen .In diese Veränderungen können vor allen Dingen die jun-gen Menschen, die zu uns kommen, hineinwachsen .Es wird ja immer von einem – auch das ist ein sehrtechnischer Begriff, den ich nicht mag, weil er so techno-kratisch klingt – Geburtenunterschuss in unserer Gesell-schaft gesprochen . Dazu gibt es evidente wissenschaftli-che Studien . Wir sind in diesem Land in der Lage, jedesJahr 300 000 bis 400 000 Menschen über den ProzessBildung und Arbeit in die Gesellschaft zu integrieren .Das würde einen enormen gesellschaftlichen Mehrwertbedeuten, auch für die Leistungsfähigkeit und die Wert-schöpfung dieser Gesellschaft, meine lieben Kolleginnenund Kollegen .
Die Ministerin hat gesagt, dass bei der Aufnahme undRegistrierung die Profile und Biografien der Menschenschnell testiert werden müssen, damit bereits in einer frü-hen Phase die Talente der Menschen erkannt werden kön-nen; das soll proaktiv und in einem vernünftigen zeitli-chen Rahmen geschehen . Wenn wir das schaffen, werdendie Gelder, die wir heute für Arbeitsfördermaßnahmen inden Haushalt einstellen, morgen sowohl individuell fürdie Menschen, die sich dadurch selbst tragen können, alsauch für die ganze Gesellschaft ein großer Gewinn sein .Ewald Schurer
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Insofern sage ich: Wer ins Gelingen verliebt ist, dermuss auf diese Menschen mit ihren Ansprüchen, Hoff-nungen und Fähigkeiten setzen . Das ist die positivsteForm der Integration in die Gesellschaft, verbunden miteinem ökonomischen Erfolg . Darauf möchte ich setzen .Herzlichen Dank .
Als nächster Redner spricht Klaus Ernst von der Frak-
tion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Zugegebenermaßen machen Sie uns die Opposi-tionsarbeit zurzeit nicht leicht .
Jetzt hätte ich eigentlich erwartet, dass Sie sagen: weilwir so gute Politik machen .
– Ja, Herr Weiß, hereingefallen!
Ich kann Ihnen sagen, an was das liegt .
Es liegt daran, dass Sie die Oppositionsrolle offensicht-lich gleich mit übernehmen wollen .
Bleiben wir doch einmal beim Thema Flüchtlinge,und werfen wir einen kurzen Blick nach Bayern . Ichkann nur sagen: Wir als Opposition sind gegenüber derBundeskanzlerin nicht nur höflich, sondern geradezu zu-rückhaltend, wenn ich mir vor Augen halte, was für einePolitik in Bayern gegen Flüchtlinge gemacht wird .
– Ja, da können Sie sich aufregen; aber das ist doch dieWahrheit . – Die Bundeskanzlerin so abzubürsten, wieHerr Seehofer es auf dem Parteitag gemacht hat, daswürden wir nie machen – wenn wir sie einladen würden .
Das würden wir aber nie machen .Wo ist das Problem? Das Problem ist, dass es uns – da-mit meine ich jetzt nicht nur die CSU – offensichtlich nurunzureichend gelingt, diesen Zustrom von Menschen alsChance zu begreifen. Welche Begrifflichkeiten geisterndurch die Welt? Der eine spricht von Flüchtlingswellen,der andere von Flüchtlingslawinen, der eine sieht eineBedrohung, und der andere eine Situation, die nicht mehrbewältigbar ist . So diskutieren wir über dieses Problem .
Wir verkennen dabei vollkommen, was eben gesagtwurde: dass 50 Prozent der Menschen, die zu uns kom-men, unter 25 sind – 50 Prozent! – und dass ein großerTeil von ihnen, 70 Prozent, unter 30 ist . Mein Gott, welcheine Chance, wenn es uns gelingt, diese Menschen in denArbeitsmarkt zu integrieren!
Welch eine Chance, wenn es uns gelingt, sie so zu quali-fizieren, dass sie arbeiten können, Werte erwirtschaften,Steuern zahlen und dann das tun, was Sie alle immer sosehr bejubeln: dazu beitragen, das Wachstum zu fördern .Warum gelingt es uns eigentlich nicht, eine solche Be-trachtung der Realität anzustellen, wie ich es eben getanhabe? Warum müssen wir von Wellen oder Lawinen re-den, und warum wird gefordert, die Grenzen dichtzuma-chen? Weiß Gott, ich halte es für ein Drama, wie wir die-se Debatte in der Bundesrepublik führen . Ich wiederholees: Ich halte das für ein Drama .
Meine Damen und Herren, nun zu Ihrem Haushalt .Dafür muss man natürlich etwas tun . Ja, Sie haben dieMittel aufgestockt . Aber, Frau Nahles, ich bitte Sie: Siewissen doch selber, dass das, was geplant ist, hinten undvorne nicht ausreicht, um die Probleme wirklich zu be-wältigen . Oder war es nicht so – habe ich das falsch ver-standen? –, dass Sie vom Finanzminister eigentlich mehrGeld haben wollten, um diese Aufgaben zu bewältigen?Es ist notwendig, jetzt mehr Geld in die Qualifizierungzu stecken, und wir brauchen mehr Geld für Sprachkurse,um zu gewährleisten, dass all das, was ich eben ange-sprochen habe, erreicht wird . Sie stellen aber nicht mehrGeld zur Verfügung . Sie machen etwas ganz anderes . DerFinanzminister will den Flüchtlingen von dem Geld, dassie bekommen, 36 Euro im Monat für Sprachkurse abzie-hen . Ja, was ist denn das für eine Politik?
Da versteht man die Welt nicht mehr . Man weiß auchnicht mehr, ob die Vorschläge, die hier gemacht werden,wirklich ernst gemeint sind .Meine Damen und Herren, das Nächste – Sie haben esangesprochen, Frau Nahles; heute Vormittag ist übrigensauch Herr Gabriel zu Recht darauf eingegangen –: Wirmüssen aufpassen, dass jetzt nicht der eine gegen den an-deren ausgespielt wird . Um das zu verhindern, brauchtEwald Schurer
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man natürlich erstens Geld . Zweitens braucht man aberauch Regelungen, die dann für alle gelten .Herr Spahn ist jetzt nicht mehr da . Sein Vorschlaglautete, jetzt über den Mindestlohn nachzudenken unddie Mindestlohngrenze bei Flüchtlingen vielleicht nichtso ernst zu nehmen, sie vielleicht sogar ein Stück weitzu senken . Meine Damen und Herren, was machen Siedenn da? Ist Ihnen eigentlich klar, welchen Unfug Sie daverbreiten und welchen sozialen Sprengstoff Sie damiterzeugen?
Im Ergebnis würde das nämlich bedeuten, dass dannwieder Leute für 5 Euro oder 6 Euro pro Stunde arbeitenund dass derjenige, der den Mindestlohn bekommt, sei-nen Job verliert und direkt gegen einen Flüchtling ausge-spielt wird . Da kommt Freude auf! Ich bin Ihnen dank-bar, dass Sie eine klare Position haben . Aber ich würdeSie bitten, mit dem Herrn Spahn einmal ernsthaft zu re-den . Der braucht vielleicht eine Streicheleinheit oder so,damit er wieder zur Vernunft kommt .
Frau Nahles, noch etwas – da haben wir dann dasnächste Problem –: Wenn wir einen Mindestlohn auf demPapier haben, nützt er uns überhaupt nichts . Die Einhal-tung des Mindestlohns muss auch kontrolliert werden .
Wenn zusätzlich eine Reihe von Menschen in unser Landkommt, die aufgrund ihrer besonders miesen Situationbereit sind, unterhalb dieser Lohngrenze zu arbeiten, unddie froh sind, überhaupt irgendeinen Job zu haben, dannist es umso notwendiger, dass die Einhaltung des Min-destlohns kontrolliert wird .Wir haben überhaupt kein Verständnis, Frau Nahles,dass ein Teil des Personals bei der FinanzkontrolleSchwarzarbeit für die Registrierung von Flüchtlingenumstrukturiert werden soll . Ja, die Flüchtlinge müssenregistriert werden . Aber dann muss man eben Geld indie Hand nehmen und für die Registrierung andere Leuteeinstellen . Wir müssen doch bitte schön die Einhaltungder Bedingungen in unserem Land dahin gehend kontrol-lieren, dass die Flüchtlinge nicht für Billiglöhne arbeitenund von Arbeitgebern ausgenutzt werden, die sich an ih-nen schadlos halten . Das darf nicht passieren . Deshalbmüssen wir in dieser Frage wirklich eingreifen .
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss .Natürlich brauchen wir Investitionen in ausreichendemMaße; meines Erachtens gibt das der Haushalt nichther. Wir brauchen aber auch flankierende Maßnahmen,die dazu führen, dass genau im Bereich der praktischenArbeit die Menschen vor Ausbeutung geschützt werden,die ihnen droht, wenn die Einhaltung der gesetzlichenBedingungen nicht kontrolliert wird, weil die Kontrollenicht funktioniert und unzureichend geregelt ist . Deshalbmeine Bitte: Bessern Sie nach, insbesondere bei der Fi-nanzkontrolle Schwarzarbeit .
Als nächste Rednerin spricht Sabine Weiss von der
CDU/CSU-Fraktion .
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist eswie immer in der letzten Sitzungswoche im November:Wir debattieren und beschließen den Bundeshaushalt fürdas bevorstehende Kalenderjahr mit den Einzelhaushal-ten für die Ressorts . Eigentlich ist es wie immer: DasBundesministerium für Arbeit und Soziales weist mitknapp 130 Milliarden Euro den größten Einzelhaushaltauf . Und eigentlich ist auch das wie immer: Der Oppo-sition sind die vorgesehenen Leistungen zu niedrig . Siewähnt wieder einmal unseren Sozialstaat am Ende .Ich möchte an dieser Stelle – ich glaube, im Namenvieler Kolleginnen und Kollegen – ganz deutlich sagen:Ich bin stolz auf unser Land . Ich bin unendlich dankbar,dass ich in diesem Land leben darf, und ich bin stolz aufdas, was die hier lebenden Menschen trotz aller Schwie-rigkeiten auf die Beine stellen .
Eigentlich ist alles anders als sonst . Weil es so wichtigist, möchte ich natürlich darauf eingehen . Die aktuelleFlüchtlingszuwanderung stellt uns vor die größte arbeits-markt- und sozialpolitische Herausforderung unsererneueren Geschichte .Im Bundeshaushalt wird für dieses Jahr von einer Zu-wanderung von rund 800 000 Menschen ausgegangen .Die meisten – Herr Ernst hat es erwähnt – sind jüngerals 30 Jahre, etwa 70 Prozent . Viele Zuwanderer werdendie nächsten Jahre bei uns bleiben . Um diese Menschenmöglichst schnell zu integrieren, hat der Haushaltsaus-schuss des Bundestages deshalb die Haushaltsmittel fürdas BMAS im Vergleich zur ursprünglichen Planung vomSeptember um rund 2,6 Milliarden Euro aufgestockt . DieHaushälter haben es bereits erwähnt: Deutliche Aufsto-ckungen gibt es zum Beispiel für die berufsbezogeneSprachförderung, für die Eingliederung in Arbeit und beider Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchen-de . Die Leistungen für Unterkunft und Heizung werdenum 400 Millionen Euro aufgestockt .Richtig ist – auch das wurde erwähnt –: Wir wissennicht, wie viele Flüchtlinge im Jahr 2015 insgesamt tat-sächlich kommen und wie viele von ihnen hierbleibenwerden . Daher wird nachgesteuert werden, wenn dieBundesregierung im Februar 2016 über genauere Zahlenverfügt und über den Stand von Integration und Sprach-förderung berichtet .Klaus Ernst
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Unser gemeinsames Ziel in der Koalition aber ist es,die Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive möglichstschnell in Arbeit zu bringen; denn Ausbildung und Ar-beit sind die Voraussetzung für Integration in die Gesell-schaft, in unsere Gesellschaft .
Dazu müssen natürlich mitgebrachte Bildungs- und Be-rufsabschlüsse geprüft werden . Ich denke, an dieser Stel-le ist angesichts der unterschiedlichen Handhabung undVorschriften in den einzelnen Bundesländern sicherlichnoch mehr Flexibilität erforderlich .Am allerwichtigsten aber – das sehen auch wir so – istder Spracherwerb . Bei den Sprachkursen haben BMASund BMI ebenfalls den akuten Handlungsbedarf erkanntund ein integriertes Konzept zur Sprachförderung bis B1entwickelt . Das kann vielleicht die bisher nur berufsbe-zogenen Sprachkurse ablösen . Dies ist, denke ich, einabsolut guter Anfang .
Diese Basisausbildung wird aber in der Regel natür-lich nicht reichen, um bei der Facharbeiterausbildungdie vielen DIN-Normen und sonstigen Vorschriften inDeutschland problemlos verstehen und umsetzen zukönnen . Daher ist von den künftigen Arbeitgebern, Aus-bildern und Mitarbeitern ganz viel Einsatz erforderlich .Die Signale sind ausgesprochen positiv . Ich möchte michschon jetzt bei den Genannten für ihr Engagement, fürihr Verständnis und auch für ihre Geduld bei der betrieb-lichen Eingliederung im Rahmen von Aus- und Wei-terbildung von Flüchtlingen bedanken . Gleicher Dankgilt selbstverständlich den Tausenden von Menschen,die schon wochen- und monatelang ehrenamtlich undhauptamtlich in Einrichtungen für Flüchtlinge arbeiten,Essen und Trinken austeilen, sich als Dolmetscher bzw .Übersetzer oder für die Beschäftigung mit Kindern zurVerfügung stellen .
Diese Menschen – viele von uns erleben sie in denFlüchtlingsunterkünften – arbeiten oft nach der Devise:Wer selbst nicht für etwas brennt, entfacht auch kein Feu-er bei anderen . – Sie alle zeigen ein freundliches Gesicht .Sie alle sind Deutschland . Ich möchte an uns alle appel-lieren: Lassen Sie uns bitte dieses freundliche Gesichtauch in der Zukunft bewahren .
Weil in den Medien und auch heute hier im Plenumimmer wieder so viel Negatives erwähnt wird, möchteich den Blick auf einige von unzähligen positiven Akti-onen richten, die wirklich Mut machen und auch erwäh-nenswert sind . Sie gehen aber leider angesichts der oftnegativen Schlagzeilen immer wieder unter .Zum Beispiel will die Bayerische Staatsregierung miteinem umfassenden Maßnahmenpaket bis Ende 2016 20 000 und bis 2019 60 000 Flüchtlingen einen Prakti-kums-, Ausbildungs- oder Arbeitsplatz anbieten . In mei-nem Bundesland Nordrhein-Westfalen wurden von derBundesagentur für Arbeit sogenannte Integration Pointseingerichtet. Hier befinden sich Mitarbeiter aller für dieErstaufnahme notwendigen Behörden neben der BA qua-si unter einem Dach – nicht räumlich, aber inhaltlich .Das erleichtert die Erstaufnahme ganz erheblich; dennalles geht sozusagen Hand in Hand .Ich habe den in meinem Wahlkreis jetzt eingerichte-ten Integration Point besucht und mit den Mitarbeiterngesprochen, und ich muss sagen, dass ich von dem En-gagement, Optimismus und, man kann manchmal sogarsagen, Pioniergeist angetan bin, den ich bei den Mitarbei-tern der BA beim Aufbau dieser Stelle antreffen konnte .
In meinem Wahlkreis zum Beispiel haben Rotarier,Stadt und Handwerkerschaft das Programm „Integrati-on durch Arbeit, Ausbildung und Sprache“ entwickelt .Täglich findet vormittags eine Sprachausbildung statt.Nachmittags lernen die Zuwanderer in einer Werkstattoder beteiligen sich an der Instandhaltung von Rad-und Wanderwegen . Diese Kombination von täglicherSprachausbildung und Sprachpraxis ist so erfolgreich,dass die ersten Kursteilnehmer schon ein Angebot für einVorpraktikum für einen Ausbildungsplatz haben . HeuteMorgen konnte ich zu meiner Freude in der Lokalpresselesen, dass ein in meinem Wahlkreis ansässiger Chemie-konzern 250 000 Euro zur Verfügung stellt . Damit sollein speziell für Flüchtlinge entwickelter Deutschkurs fi-nanziert werden .Überall – landauf, landab – erleben wir, dass Sprach-und Willkommensklassen für Erwachsene eingerich-tet werden . In einer weiteren Flüchtlingseinrichtung inmeinem Wahlkreis gibt es das echt gute Beispiel einesjungen Syrers, der in Deutschland mittlerweile Rechts-wissenschaften studiert und sich als Dolmetscher zurVerfügung stellt .
– Wesel .Die Kleinstadt Altena im Märkischen Kreis – sie be-findet sich im Wahlkreis der Kollegin Voßbeck-Kayser –nimmt mehr Flüchtlinge auf, als sie muss, und hofft so-gar, dass sie dauerhaft bleiben werden . Dort haben DRK,THW, Freiwillige Feuerwehr, Katholische und Evangeli-sche Kirche wie auch islamische Vereine gemeinsam mitder Politik die Hilfe organisiert .Der Bürgermeister von Altena hat zu dem Thema ge-sagt – ich zitiere aus einem Pressebericht –:Wir haben keine Krise erlebt . Darum sind wir es denFlüchtlingen schuldig, ihnen zu helfen . Wenn wirnoch mehr von ihnen aufnehmen müssten, würdenwir es tun – auch wieder freiwillig .
So gibt es unzählige positive Beispiele dafür, wie mitFlexibilität und unkonventionellem Handeln Lösungengefunden werden, die wir uns vor einiger Zeit vielleichtnoch gar nicht haben vorstellen können . Liebe Kollegin-Sabine Weiss
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nen und Kollegen, mit Optimismus, Tatkraft und Ideen-reichtum können die vor uns liegenden Herausforderun-gen gestemmt werden, aber nicht mit Klagen, Zetern undausschließlichen Negativmeldungen .Es ist richtig, dass die Zuwanderung von Flüchtlingennach Deutschland sicherlich nicht den Fachkräftemangelund unser demografisches Problem mit einem Schlaglösen wird . Die Zuwanderung wird zweifellos zur Ver-besserung der demografischen Situation in Deutschlandbeitragen; sie wird aber den Fachkräftemangel nichtvollständig beseitigen . Das wissen wir . Daher müssenwir uns auch weiterhin gezielt um Fachkräfte aus Europaoder aus Drittländern bemühen .
Dafür haben wir zahlreiche Möglichkeiten . Für Hoch-qualifizierte aus Drittstaaten gibt es zum Beispiel dieBluecard . Fachkräfte mit Berufsausbildung können inmittlerweile 70 Engpassberufen bzw . im Rahmen vonVermittlungsabsprachen arbeiten . Mit dem Programm„Triple Win“ werden ausländische Fachkräfte für deut-sche Engpassberufe gewonnen . Zur Arbeitsplatzsuchegibt es für Fachkräfte aus Drittstaaten und Absolventendeutscher Hochschulen einen eigenen Aufenthaltstitel .Ob legale Arbeitsmigration durch Fachkräfte oder In-tegration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt: Beidesmuss natürlich geordnet erfolgen . Richtig ist – das istauch Auffassung unserer Fraktion –: Wir werden nichtden Rufen folgen, den im letzten Jahr vereinbarten Min-destlohn zu senken .
Mit Blick auf geforderte Ausnahmen sage ich: Zu-nächst einmal ist es Sache der Akteure auf dem Ar-beitsmarkt, sozialversicherungspflichtige Arbeitsstellen,Praktika und sonstige Jobs anzubieten . Daher freue ichmich über die Aussage von Arbeitgeberpräsident Kramer,der am Dienstag auf dem Arbeitgebertag sagte – ich zitie-re –: „Bei der Bezahlung darf die Herkunft der Menschenkeine Rolle spielen .“
Wir sind auch für alle Initiativen und Projekte von Ar-beitgebern, Sozialpartnern, Aktionsbündnissen und Pri-vatleuten dankbar, die Flüchtlingen ohne ausreichendeSprachkenntnisse den Zugang zum Arbeitsmarkt erleich-tern . Was wir nicht wollen, sind Verdrängungseffektezulasten anderer Personengruppen . Ich denke dabei ins-besondere an unsere Langzeitarbeitslosen und Menschenmit Handicap . Für Flüchtlinge soll es keine Besserstel-lung, aber auch keine Schlechterstellung beim Zugangzum Arbeitsmarkt geben .
– Weil es selbstverständlich ist . – Deshalb haben wir denZugang zu zugangsbeschränkten Berufen bereits deutlicherleichtert und die Liste der Mangelberufe ohne Vorrang-prüfung erheblich erweitert . Aber grundsätzlich muss esbei der Vorrangprüfung bleiben .
Um Menschen mit Schwierigkeiten den Zugang zumArbeitsmarkt zu erleichtern, gibt es zahlreiche Förderin-strumente, die wir nach wie vor gleichermaßen für ein-heimische erwerbsfähige Arbeitslose wie für Flüchtlingenach dem dritten Aufenthaltsmonat anwenden . Wir ha-ben nicht nur den politischen Willen, sondern auch vielenotwendige Instrumente, um den Menschen, die es beimZugang zum Arbeitsmarkt schwerer haben als andere,gleichermaßen zu helfen .Lassen Sie uns also bitte trotz aller politisch unter-schiedlichen Schwerpunktsetzungen in diesem Hausenicht das gemeinsame Ziel – ich hoffe, aller Demokra-ten – aus den Augen verlieren . Die Migranten mit Bleibe-perspektive sollen schnellstmöglich einen Platz in unse-rer Gesellschaft finden. Es muss sicherlich immer wiederhart um die Erreichung dieses Ziels gerungen werden .Aber lassen wir bitte bei allem Streit, den wir angesichtsder Herausforderungen untereinander austragen müssen,keinen Raum für rechtspopulistisches Gedankengut .
Wir nehmen unsere Verantwortung wahr für Europa,für die Menschen unseres Landes und für die Menschen,die zu uns vor Krieg und Krisen fliehen.Herzlichen Dank .
Als nächste Rednerin spricht Brigitte Pothmer von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit wirdauch weiterhin Priorität haben und Handlungs-schwerpunkt bleiben, auch wenn neue Aufgabenhinzukommen .Das hat die Ministerin bei der Einbringung dieses Haus-haltes gesagt .
Nichts für ungut, Frau Nahles, aber angesichts Ihrer Bi-lanz bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeitklingt das wirklich wie eine Drohung . Die Hälfte IhrerAmtszeit ist um, und nichts, aber auch gar nichts ist ge-schafft .
Im Gegenteil: Das IAB hat Ihnen erst neulich attestiert,dass der Anteil der Langzeitarbeitslosen mit schlechtenSabine Weiss
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Chancen auf dem Arbeitsmarkt während Ihrer Amtszeitnoch einmal zugenommen hat .
Das ist auch kein Wunder; denn Sie haben das Pro-grammhopping, das schon bei Ihren Vorgängerinnen undVorgängern gescheitert ist, schlicht und ergreifend fort-gesetzt .
10 000 Plätze für das Teilhabeprogramm, 33 000 Plätzemit Lohnkostenzuschuss! Von diesen 33 000 haben nacheinem Jahr sage und schreibe 1 139 Langzeitarbeitsloseeinen Job bekommen . Das ist Ihre Bilanz angesichts derTatsache, dass es noch immer über 1 Million Langzeitar-beitslose gibt . Frau Nahles, das ist ein Bild des Jammers .
Nun lese ich in einem neuen Papier, das Sie ge-meinsam mit der BA herausgegeben haben, wo Sie diezentralen Handlungsfelder bei der Bekämpfung derLangzeitarbeitslosigkeit sehen . Sie wollen jetzt eine stär-kenorientierte Beratung einführen . Bravo! Was haben Sieeigentlich bislang gemacht? Haben Sie die Schwächender Langzeitarbeitslosen herausgearbeitet? Was stellenSie sich selber für ein Zeugnis aus?Dann sollen die Förderinstrumente zukünftig motivie-rend sein . Was waren die denn bislang? Demotivierend?Was haben Sie eigentlich im Bereich der Langzeitarbeits-losigkeit gemacht? Ich bin wirklich für eine gute undprofessionelle Beratung . Aber so zu tun, als könnten wirdie verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit mit neuen Bera-tungskonzepten verringern, ist angesichts der Größe desProblems unangemessen . Die Probleme sind eine falschePolitik und eine völlig unzureichende Finanzierung .
Wir brauchen dringend einen sozialen Arbeitsmarkt .Ich sage Ihnen noch einmal: Der Vermittlungsvorrangmuss weg. Wir müssen endlich in die Qualifikation derLangzeitarbeitslosen investieren, wenn wir sie dauerhaftintegrieren wollen .
Wir brauchen mehr Geld und mehr Personal . Wenn Siedie Beratung wirklich verbessern wollen, dann geht dasnicht ohne mehr Geld und mehr Personal .Frau Nahles, Sie haben heute – genauso wie an ande-rer Stelle – vollkommen zu Recht gesagt: Wir müssenNeiddebatten verhindern . Einheimische Arbeitslose dür-fen nicht gegen Flüchtlinge ausgespielt werden . – Richtigso . Nur, dann müssten Sie endlich auch wirklich einmalfür die etwas tun, die bereits abgehängt sind . Die Ressen-timents sind doch längst da . Gehen Sie doch einmal aufdie Flure der Jobcenter . Was Sie da hören, ist gar nichtschön . Mit der Vorrangprüfung lösen Sie das Problemnun wirklich nicht .
Damit, liebe Frau Weiss, blockieren Sie jetzt zusätz-lich noch den Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge . Siehängen damit zwei Gruppen ab, die Langzeitarbeitslosenund die Flüchtlinge .Liebe Frau Nahles, wirklich waghalsig ist Ihre An-nahme, dass zukünftig 35 Prozent der Flüchtlinge be-reits innerhalb eines Jahres den Hartz-IV-Bezug wiederverlassen . Sie selber haben hier vor zu optimistischenPrognosen gewarnt . Sie haben gesagt: Nicht einmal jederZehnte kann unmittelbar in Arbeit und Ausbildung ver-mittelt werden . – Das IAB geht von 8 Prozent innerhalbeines Jahres aus . Ich frage Sie jetzt: Auf welchem Wegsollen die anderen 25 Prozent den Hartz-IV-Bezug ver-lassen? Durch reich Heiraten?
Durch einen Lottogewinn? Ich kann Ihnen sagen: Dashabe ich auch schon versucht . Das ist nicht so einfach .
Das, was Sie Ihrem Haushalt zugrunde legen, ist einWolkenkuckucksheim . Sie haben beim Finanzministerschlicht und ergreifend nicht genug Geld lockermachenkönnen, und jetzt rechnen Sie sich die Welt schön . DasGeld, das heute hier eingespart wird, wird uns später teu-er zu stehen kommen . Können wir nicht endlich einmalaus den Fehlern der Vergangenheit lernen?
Seien Sie einmal mutig! Stimmen Sie unseren in jederHinsicht gegenfinanzierten Anträgen zu.Ich danke Ihnen .
Ich hoffe immer noch, dass man jemanden heiratet,
weil man ihn oder sie liebt, nicht unter Versorgungsas-
pekten .
Als nächste Rednerin hat Katja Mast von der
SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Da auch Kassandra nie Antworten auf ihre immer wie-derkehrenden Rufe bekommen hat, bekommt auch FrauPothmer sie jetzt nicht .Brigitte Pothmer
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Es ist richtig, dass wir in Deutschland mit viel Leiden-schaft darüber diskutieren, wie wir Flüchtlinge integrie-ren können . Allerdings dürfen wir aus meiner Sicht beialler Leidenschaft nicht vergessen, dass wir auch vieleMenschen in den Blick nehmen müssen, deren Leben wirheute auch verbessern müssen . Wir dürfen die, die dazu-kommen, nicht gegen die ausspielen, die schon hier sind .
Wir sind im Jahrhundert der Integration . Dieses Jahr-hundert der Integration hat in dem Haushalt, über den wirgerade diskutieren, nämlich dem des Bundesarbeitsmi-nisteriums von Andrea Nahles, einen großen Stellenwertbekommen . Insgesamt setzen wir mit 1,9 Milliarden Eurozusätzlich für die Unterbringung und Versorgung vonFlüchtlingen und deren Vermittlung in Arbeit deutlichepolitische Signale . 800 Millionen Euro davon sind füraktive Arbeitsmarktpolitik, das heißt für den Erwerb vonberufsbezogenen Sprachkenntnissen, für die Förderungvon Ausbildung, für die Integration durch Arbeit und na-türlich auch für die Qualifizierung. Ich finde, das ist ersteinmal ein gutes Signal im Jahrhundert der Integration .
Allerdings ist Integration aus meiner Sicht und für dieSozialdemokratische Partei und Fraktion nicht die einzi-ge Jahrhundertaufgabe . Wir sehen, dass es in Zeiten desWandels auch die Jahrhundertaufgabe gibt, das Kernver-sprechen der sozialen Marktwirtschaft immer wieder zuerneuern . Es geht nämlich darum, dass wir für jede undjeden – so sage ich es immer ganz gern –, die morgensaufstehen, dann arbeiten gehen und ordentlich ihre Steu-ern zahlen, auch etwas tun . Wir müssen dafür sorgen,dass dieses Versprechen gilt: dass, wer mitmacht, aucham sozialen Sicherungssystem teilhat und dass es für die,die morgens aufstehen, gerecht und fair zugeht .Deshalb ist klar, dass wir, allen Unkenrufen zumTrotz, Forderungen, die immer wieder auch aus den po-litischen Reihen erhoben werden, eine Absage erteilen:Es gibt keine Absenkung des Mindestlohns für Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland jedwederHerkunft .
Aber klar ist auch, dass diejenigen, die morgens auf-stehen und arbeiten gehen, ein Recht darauf haben, dasswir das, was wir in der Koalition verabredet haben, näm-lich die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen,erstens zügig umsetzen, und zwar im Kabinett und imParlament, und dass wir zweitens Wort halten bei dem,was wir gemeinsam im Koalitionsvertrag dazu vereinbarthaben .
Für uns von der SPD ist klar: Wir wollen viel mehr alsdas, was in dem Koalitionsvertrag steht .
Es ist ja auch in Ordnung, dass wir das wollen . Die Leutesollen auch wissen, dass Sie das nicht wollen. Das findeich völlig in Ordnung . Aber ich appelliere schon an mei-ne Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU: Zu-rückfallen dürfen wir nicht .
Wenn ich mich an Forderungen aus Ihren Reihen er-innere, die besagen, der Koalitionsvertrag sei nicht mehrauf der Höhe der Zeit – womit man eigentlich sagen will:keine Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen,sondern alles lassen, wie es ist –, dann sage ich: Nein .Denn wenn mein Satz vom Anfang stimmt, dass dieje-nigen, die neu hierherkommen, und diejenigen, die hierleben, nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen,dann müssten wir bei diesen Themen mit Blick für dieMenschen, die die Leistungsträger der Gesellschaft sind,sogar noch mehr machen .
Wir wenden uns immer wieder zu Recht der Frage zu:Wie sieht es mit den Menschen aus, die langzeitarbeits-los sind? Was machen wir? Mit diesem Haushalt zeigtdie Koalition: Wir legen wieder 350 Millionen Euro zuraktiven Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in Jobsobendrauf . Allein diese Zahl zeigt schon: Da wird etwasgetan . Zusätzlich werden 150 Millionen Euro auf dieJobcenter verteilt . Das heißt, vor Ort kommen insgesamt500 Millionen Euro mehr an .Natürlich ringen wir in der Koalition immer wiederdarum: Reicht das denn aus? Aus meiner Sicht reicht esnicht aus, insbesondere nicht bei den Verwaltungskostender Jobcenter . Deshalb führen wir immer wieder sehr en-gagierte Debatten, ob wir in dieser Regierungskonstella-tion nicht doch noch zum Passiv-Aktiv-Tausch kommen .
Als Vorbild nehme ich da gern die sozialdemokrati-sche Arbeitsministerin von Baden-Württemberg, Katrin Altpeter, die dort gezeigt hat, wie das funktioniert .Nur wenn wir gemeinsam darangehen und sagen: „Esgibt Gruppen, denen wir uns mehr zuwenden müssen“,können wir es hinbekommen, die unterschiedlichenGruppen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft nichtgegeneinander auszuspielen . Ich glaube, das ist die wich-tige Botschaft des Haushalts des BMAS .Zum Schluss kommend, will ich sagen: Nur wenn wiruns zusammen anstrengen, nur wenn wir uns anstrengen,niemanden gegen andere auszuspielen, wenn vielmehralle merken: „Wir strengen uns dafür an, dass sich ihrkonkretes Leben in Deutschland verbessert“, dann haltenwir Deutschland zusammen . Das ist unser aller Aufgabein den heutigen Zeiten .
Als nächster Redner spricht Stephan Stracke von derCDU/CSU-Fraktion .
Katja Mast
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Heute sind deutlich mehr als 43 Millionen Men-schen erwerbstätig . Wir verzeichnen ein Allzeithoch beider sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung undden höchsten Stellenstand seit 15 Jahren – alles in allemeine hervorragende Lage am Arbeitsmarkt in Deutsch-land, besonders in Bayern .
Die Wirtschaft blickt auch weiterhin optimistisch indie Zukunft . Das gilt auch für die Menschen . Sie wissen:Was der Wirtschaft nutzt, das nutzt auch ihnen selbst .Sichere Arbeitsplätze, mehr Geld in der Lohntüte undstabile Preise, all das tut den Menschen gut und den Fa-milien ebenso . Gute Arbeitsmarktpolitik bedeutet immerauch gute Sozialpolitik . Dieser Zweiklang zeichnet dieseKoalition aus, gerade dann, wenn sie unionsgeführt ist .
Wir sind, wie ich meine, richtig erfolgreich, weil wir dieMenschen im Blick behalten, und so wollen wir es auchin Zukunft halten .Auf diesen Erfolgen dürfen wir uns sicherlich nichtausruhen . Wir erleben aktuell die größte Flüchtlingskri-se seit dem Zweiten Weltkrieg . Jeden Tag kommen über7 000 Menschen zu uns nach Deutschland, insbesonderean den bayerischen Grenzen; das entspricht jeden Tag derEinwohnerzahl einer Kleinstadt . Das zeigt, vor welchenHerausforderungen wir insgesamt stehen, insbesonderefür den deutschen Arbeitsmarkt . Allein in Bayern be-treuen die Arbeitsagenturen und Jobcenter derzeit rund16 000 Flüchtlinge, Tendenz stark steigend .Nach der Aussage des Instituts für Arbeitsmarkt- undBerufsforschung sind die Flüchtlinge, die aktuell zuuns kommen, deutlich schlechter qualifiziert als andereMigrantengruppen . Über 80 Prozent derer, die im er-werbsfähigen Alter zu uns kommen, haben keine formaleQualifikation. Die Aussicht, schnell eine Beschäftigungzu finden, dürfte daher für die übergroße Mehrheit deranerkannten Flüchtlinge gering sein, so der ernüchterndeBefund der Wirtschaftsweisen in ihrem aktuellen Jah-resgutachten . Wir müssen uns darauf einstellen, dass imnächsten Jahr bis zu 430 000 Flüchtlinge Grundsicherungbeziehen werden . Das ist ein starker Anstieg, der auch inden Folgejahren anhalten wird . Die Integration in Aus-bildung und Arbeit ist und bleibt unser zentrales Thema .Wir wollen, dass diejenigen Flüchtlinge, die dauerhafthierbleiben können, ein selbstbestimmtes Leben führenkönnen, und zwar ohne Transferleistungen des Staates .Dabei dürfen wir auch die heutigen langzeitarbeitslo-sen Menschen in unserem Land nicht aus dem Blick ver-lieren; sie dürfen nicht auf der Strecke bleiben . Deshalbist nicht Verharmlosung das Gebot der Stunde, sonderneine realistische Analyse dessen, was auf uns zukommtund wie die Herausforderungen in den Griff zu bekom-men sind . Vor diesem Hintergrund bin ich erleichtert,dass auch in Nürnberg die Realität Einzug gehalten hatund dass die Flüchtlingskrise als das gesehen wird, wassie ist: in erster Linie als Krise, die zu bewältigen ist .Es geht nicht darum, dass bedingt durch die Migrati-on, wie es Herr Weise einst ausdrückte, in Deutschlandkünftig weniger ältere graue Herren durch die Gegendlaufen und langsam mit dem Auto auf der Autobahn he-rumfahren – das war meines Erachtens vollkommen de-platziert und neben der Sache –; vielmehr geht es darum,dass wir Flüchtlinge passgenau unterstützen durch Integ-rations- und Förderketten . Genau dies tun wir .
Spracherwerb, Kompetenzfeststellung, Qualifizie-rung, ganzheitliche Betreuung und Wertevermittlung,das sind die wesentlichen Bausteine einer gelingendenIntegration . Bayern zeigt, wie es geht . Mit einem ganzenBündel an Maßnahmen setzt Bayern beispielgebend beiden ankommenden Kindern und Jugendlichen an, indemsie die Sprache lernen und die Grundwerte für das Lebenin Deutschland kennenlernen .Das erfolgt zunächst in Übergangsklassen durchSprachförderangebote der Grund- und Mittelschulensowie in Berufsintegrationsklassen der Berufsschulen .Gerade die Berufsintegrationsklassen leisten unglaublichviel . Zweijährig, in Vollzeit verbinden sie Spracherwerbmit gezielter Berufsvorbereitung . Dies trifft auf viel Zu-stimmung der Wirtschaft, aber auch der Flüchtlingsorga-nisationen .Bayern zeigt, wie es mit pragmatischen Lösungen fürdie Menschen geht . Deswegen freut es mich, dass es inBayern einen engen Schulterschluss der Partner am Ar-beitsmarkt gibt: Wirtschaft, Bundesagentur für Arbeitund Staatsregierung ziehen an einem Strang . „Keinerdarf verloren gehen“, das ist das Motto . Die Mittel dafürheißen Spracherwerb, Qualifizieren und umfassend Be-treuen . Die Regionaldirektion Bayern der Bundesagenturfür Arbeit nimmt allein 45 Millionen Euro für das nächs-te Jahr in die Hand für berufssprachlichen Deutschunter-richt mit anschließender Berufsorientierung, mit Prakti-ka, gegebenenfalls ergänzt durch assistierte Ausbildungoder ausbildungsbegleitende Hilfen. Ich finde, das istvorbildlich .Aber: Ohne eine Begrenzung der aktuellen Zuwan-derungszahlen werden wir an unsere Grenzen kom-men – trotz größter Anstrengungen, trotz immensenMitteleinsatzes . Deshalb ist es richtig, die Zuwanderungzu begrenzen . Wir sollten uns an all das halten, was wirgemeinsam in dieser Koalition ausgemacht haben .
Die Aufstockung des Einzelplans 11 ist in dem Um-fang, wie sie vorgenommen wird, sicherlich erforderlich .Der größte Ausgabenblock des Bundes, 40 Prozent derGesamtausgaben, ist im Haushalt des BMAS vereint .Wir geben hier insgesamt zusätzlich 2,6 Milliarden Euroaus . Davon entfallen 1,9 Milliarden Euro auf Ausgabenim Zusammenhang mit der gestiegenen Flüchtlingszahl .Ich bin sehr gespannt, wie lange diese Zahlen tatsächlichgelten werden . Wir fahren in diesem Bereich derzeit si-cherlich auf Sicht .Da die Integration der Flüchtlinge auf dem Arbeits-markt in den Orten bewältigt werden muss, in denen siesich tatsächlich befinden, muss das zusätzlich erforderli-
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che Geld dorthin fließen, wo die Arbeit anfällt. Das heißt,die zusätzlichen Mittel für die Jobcenter im Jahr 2016dürfen nicht auf der Grundlage der bisherigen Verteil-logik verteilt werden, weil diese in keiner Weise denFlüchtlingszugängen Rechnung trägt .Es muss der Grundsatz gelten: Jeder Flüchtling mussuns gleich viel wert sein und die gleichen Chancen aufTeilhabe haben – egal ob er sich in Berlin befindet oderim Bayerischen Wald .
Ich hoffe, dass dieser Ansatz beherzigt wird und auchvonseiten des Bundesministeriums für Arbeit und Sozia-les aufgegriffen wird . Das ist nur fair; insbesondere ist esfair gegenüber den betroffenen Menschen .Angesichts der Situation dürfen wir keine weiterenExperimente auf dem Arbeitsmarkt machen . Der Min-destlohn hat sich aufgrund des guten konjunkturellenUmfelds bislang nicht als massiver Einschnitt dargestellt .
Es ist jetzt allerdings zu früh für eine seriöse Bewertungder Wirkungen des Mindestlohns . So haben es jedenfallsdie Wirtschaftsweisen in ihrem aktuellen Jahresgutach-ten dargelegt . Ich warne vor zu großem Optimismus .Wir müssen hier die Entwicklungen genau in den Blicknehmen . Wir haben noch viele ungeklärte Fragen, ins-besondere auch was Abgrenzungen angeht, was die Ar-beitgeberhaftung angeht . Überall da besteht noch Hand-lungsbedarf .Umso genauer gilt es jetzt bei der Reform der Zeit-arbeit und der Werkverträge hinzuschauen . Von Frau Nahles wurde in der letzten Woche ein Referentenent-wurf zur Regulierung der Zeitarbeit und der Werkverträ-ge vorgelegt . Ich erachte ihn als nicht zustimmungsfähig .
Er geht in den entscheidenden Teilen weit über den Koa-litionsvertrag hinaus, schafft neue Bürokratie und konter-kariert die Aufgabenteilung und Spezialisierung .
Deswegen bin ich dankbar, dass die Kanzlerin auf demArbeitgebertag klargestellt hat, dass das Gesetz in dieserForm nicht kommt .
Wir müssen darauf achten, dass wir bei der Zeitar-beit Spielräume für tarifgebundene Unternehmen lassen .Beim Werkvertrag müssen wir darauf achten, dass wirnicht zu Vermutungstatbeständen und Kriterien kommen,die insgesamt als praxisfremd anzusehen sind .All das zeigt: Wir haben viel vor . Wir haben viel vorbei der Beteiligung von Menschen im Rentenalter; esgeht um längeres Arbeiten . Wir haben viel vor, was dasBundesteilhabegesetz angeht . Ich freue mich auf die imnächsten Jahr auf uns zukommenden Aufgaben . Wir wer-den diese mit der gleichen Begeisterung angehen, wiewir es bislang gemacht haben – für gute Arbeit, für mehrChancen, für die Menschen in diesem Land .Herzliches Dankeschön .
Als nächste Rednerin hat Daniela Kolbe für die
SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Bei meiner Arbeit in meinem Leipziger Wahl-kreis schildern mir Bürgerinnen und Bürger in Gesprä-chen immer wieder, wie belastend es für sie ist, dass siekeine Arbeit haben . Das sind Geschichten von sozialerIsolation . Die Menschen sitzen zu Hause, haben nichts zutun, dafür aber existenzielle Sorgen, und sie sind außer-dem noch allein . Es macht auf Dauer nicht nur unglück-lich, sondern es macht in vielen Fällen auch noch krank,das Leben so an sich vorbeirauschen zu sehen, und wiralle haben nur dieses eine Leben .Uns als SPD ist es deshalb von jeher ein Anliegen,so viele Menschen wie möglich in gute Arbeit zu brin-gen . Herr Stracke, Herr Kollege, für uns gehört natürlichdazu, dass es einen Mindestlohn für diese gute Arbeitgeben muss und dass Leiharbeit und Werkverträge nichtmissbraucht werden dürfen . Wir wollen möglichst vieleMenschen in gute Arbeit bringen .
Wer keine Arbeit hat, steht am Rande unserer Gesell-schaft . Das ist für uns ein wichtiger Punkt . Das gilt füreinheimische Arbeitslose genauso wie für Flüchtlinge .Wir wollen und können es uns nicht leisten, die eine oderdie andere Gruppe am Rande stehen zu lassen .
Deshalb hat Bundesministerin Andrea Nahles in die-ser Legislatur einen ihrer Schwerpunkte auf die Bekämp-fung der Langzeitarbeitslosigkeit gelegt . Frau Pothmer,es ist geradezu absurd, Andrea Nahles vorzuwerfen, siewürde wenig in diesem Bereich tun . Es ist ihr ein Her-zensanliegen .
Aufgrund der Herausforderungen durch die sehr hohenFlüchtlingszahlen stellt sich natürlich im Zusammenhangmit dem Bundeshaushalt 2016 die Frage nach der Inte-gration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt . Was brau-Stephan Stracke
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chen wir, um diese Menschen zu integrieren? Da steht anerster Stelle: Sprache, Sprache, Sprache . Arbeit ist eineder zentralen Voraussetzungen für ein selbstbestimmtesLeben, für Teilhabe an der Gesellschaft und eben auchfür gelingende Integration . Ohne Sprachkenntnisse keineArbeit: Das gilt auch für einfache Tätigkeiten .
Den faktischen Zugang zu Arbeit gibt es nur mitSprachkenntnissen . Deshalb wollen wir Sprachkurse sofrüh wie möglich und für so viele Menschen wie mög-lich . Deutsch lernen, hat noch niemandem geschadet, derin diesem Land lebt . Deshalb ist es für uns so wichtigund richtig, dass nunmehr Spracherwerb und Arbeits-marktpolitik ganz eng miteinander verknüpft werden .Wir haben im Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz dierichtigen Grundlagen gelegt . Wir haben die Integrations-kurse endlich geöffnet für Geduldete, für Flüchtlinge, fürAsylsuchende mit guter Bleibeperspektive . Wir werdenberufsbezogene Sprachförderung und Integrationskursein einem Gesamtprogramm Sprache zusammenführen –ein richtiger Ansatz . Die Jobcenter können weiterhin alsEingliederungsmaßnahmen berufsbezogene Sprachför-derung anbieten . Und wir starten nicht erst 2016: Dankder Bundesagentur für Arbeit geht es jetzt schon richtiglos . Mit den Mitteln der BA, den Beitragsmitteln, war esmöglich, dass Sprachkurse jetzt schon gestartet sind . Siewerden bis Ende des Jahres auch weiterhin starten .
Das alles wird im Haushalt abgebildet . Viele 100 Mil-lionen Euro mehr sind dafür eingestellt . Ich sage ganzklar: Erstens sind drei Minuten viel zu kurz, um überdieses Thema zu sprechen, und zweitens ist jeder Euro,den wir dafür ausgeben, eine Zukunftsinvestition . Wir alsSPD würden auch gern noch mehr Zukunftsinvestitionensehen . Wir wissen, dass unsere Ministerin wie eine Lö-win für diese Menschen kämpft, und wir wollen sie dabeiunterstützen .Vielen Dank .
Als nächster Redner spricht Mark Helfrich für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! „La question sociale“bezeichneten es die Franzosen, und es war der DichterHeinrich Heine, der den Begriff 1840 in Deutschland ein-führte . Gemeint waren die sozialen Missstände infolgeder industriellen Revolution in England, in Frankreichund dann auch in Deutschland . 175 Jahre nach Heine darfsich die soziale Frage als Folge der Flüchtlingskrise inDeutschland nicht wieder stellen . Damit dies nicht pas-siert, statten wir den Haushalt des Bundesministeriumsfür Arbeit und Soziales im nächsten Jahr mit richtig vielGeld aus: 130 Milliarden Euro . Der Einzelplan 11 stelltsomit auch im nächsten Jahr den mit Abstand umfang-reichsten und größten Einzeletat im Bundeshaushalt dar .Mit der Höhe des Etats wächst aber zugleich auch un-sere Verantwortung, die zur Verfügung stehenden Mittelrichtig und sinnvoll einzusetzen, damit sie den Menschenauch wirklich helfen . Das macht eine erfolgreiche Ar-beitsmarkt- und Sozialpolitik aus .
Damit sie nachhaltig ist, braucht sie aber immer aucheine solide finanzielle Basis und gute Rahmenbedin-gungen . Die haben wir in den letzten Jahren dank einerwachstumsorientierten und auf sparsames Haushaltenausgerichteten Politik unter Führung der Union geschaf-fen . Unsere Erfolge können sich sehen lassen . Wir habennicht nur die Finanz- und Wirtschaftskrise erfolgreich ge-meistert, sondern auch den Bundeshaushalt konsolidiert,und wir legen im zweiten Jahr in Folge einen ausgegli-chenen Bundeshaushalt vor . Auch mit unserer Konjunk-tur verhält es sich derzeit wie einst mit dem VW-Käfer:Sie läuft und läuft und läuft .
– Damals war das hervorragende Arbeit made in Germa-ny .
Unser Arbeitsmarkt zeigt sich trotz krisenbehaftetenUmfeldes in bester Verfassung: Es sind so wenig Men-schen arbeitslos wie seit 24 Jahren nicht mehr . Gleichzei-tig geht der Beschäftigungszuwachs weiter . Erstmals inder Geschichte der Bundrepublik waren mehr als 31 Mil-lionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäf-tigt . Das führt dazu, dass die Bundesagentur für Arbeitderzeit auf einem Überschuss von rund 2,8 MilliardenEuro sitzt . Das ist ein gutes Polster .
sowie des Abg .
Ewald Schurer [SPD])Auch die Rentenversicherung profitiert von der stei-genden Zahl der Beitragszahler . Im kommenden Jahrkönnen die deutschen Rentnerinnen und Rentner mit ei-ner Rentenerhöhung zwischen 4 und 5 Prozent rechnen .Das gab es seit zwei Jahrzehnten nicht mehr .Dank dieser guten Ausgangslage können wir heu-te darüber debattieren, wofür wir Geld in der Arbeits-markt- und Sozialpolitik ausgeben . Dank dieser gutenAusgangslage können wir 2,6 Milliarden Euro mehrausgeben als ursprünglich geplant . Von diesen 2,6 Milli-arden Euro werden knapp 2 Milliarden Euro zur Bewälti-gung der Flüchtlingskrise eingesetzt .Bei voraussichtlich mehr als 1 Million Asylbewerberin diesem Jahr muss ehrlich ausgesprochen werden: WirDaniela Kolbe
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werden nicht alle Flüchtlinge sofort in den Arbeitsmarktintegrieren können .
Dies zeigt schon ein Blick auf die Qualifikation der Zu-wanderer; Vorredner haben es bereits genannt . Nach einerStichprobe der Bundesagentur für Arbeit sind 81 Prozentder Flüchtlinge ohne formale Qualifikation, 11 Prozenthaben eine berufliche Ausbildung, gerade einmal 8 eineakademische . Ingenieure aus Bagdad, Facharbeiter ausKabul und Ärzte aus Aleppo sind eher die Ausnahme .
Es wird daher lange dauern, bis das Gros der Flücht-linge ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten kann .90 Prozent der anerkannten Flüchtlinge werden nachSchätzungen der Bundesagentur für Arbeit zunächst aufHartz IV angewiesen sein. Erfahrungsgemäß findet nurjeder Zehnte von ihnen nach fünf Jahren eine Arbeit, je-der Zweite erst nach zehn Jahren . So wird Herr Weise indiesen Tagen zitiert .Damit die Zuwanderung nicht dauerhaft in die Sozi-alsysteme erfolgt, müssen die Flüchtlinge einen Arbeits-oder Ausbildungsplatz finden. Leben aus eigener Kraftund in eigener Verantwortung – nur das kann das Zielvon uns allen sein, was die Menschen betrifft, die zu unskommen .
Hoffnung macht – dies wurde gerade hier im Ple-num gesagt –, dass gut 80 Prozent der Flüchtlinge jüngerals 35 Jahre sind und mehr als die Hälfte sogar jüngerals 25 Jahre . Das Bildungspotenzial der Menschen, diekommen, ist sehr hoch . Wenn man dann weiß, dass esjede dritte Firma in Deutschland im letzten Jahr nichtgeschafft hat, alle Ausbildungsplätze zu besetzen, unddass insgesamt 600 000 Ausbildungsplätze nicht besetztwerden konnten, muss man sagen: Es ist zwar ein Ne-gativrekord, aber gleichzeitig, vor diesem Hintergrund,auch eine Chance .
Wir können fleißigen, motivierten und talentiertenFlüchtlingen durch Bildung und berufliche Qualifizie-rung also eine gute Arbeitsmarktchance eröffnen . Wirhaben deswegen den Jobcentern zusätzliche Mittel zurVerfügung gestellt: 250 Millionen Euro für die Einglie-derung in Arbeit, 325 Millionen Euro für die Verwal-tungskosten . Die 350 Millionen Euro, die an Ausgabe-resten vorhanden sind, können dann noch dazukommen .Insgesamt können 3 800 zusätzliche Stellen in den Job-centern in Deutschland geschaffen werden .Wirtschaft und Handwerk setzen als Einstiegskrite-rium für eine Ausbildung, für berufliche Qualifizierungund Tätigkeit gute Deutschkenntnisse voraus . Die ganzüberwiegende Mehrheit der Flüchtlinge bringt diese na-turgemäß nicht mit . Folgerichtig haben wir auch die Mit-tel für Bildungsmaßnahmen um rund 180 Millionen Euroauf 312 Millionen Euro aufgestockt .Allerdings sind die sprachlichen Unwägbarkeiten nichtdie einzigen Hindernisse auf dem Weg zur beruflichenIntegration. Die Menschen, die kommen, finden eine Ar-beitswelt vor, die sie so mit Sicherheit noch nicht kennen .Auch unsere duale Berufsausbildung mit Lehrmodulenin Betrieb und Berufsschule ist etwas ganz Neues . Diebisherigen Erfahrungen verschiedener Handwerkskam-mern in der Bundesrepublik zeigen denn auch, dass dortnoch Schwierigkeiten bestehen . Vielen Flüchtlingen fälltes trotz hoher Motivation – die attestieren alle – schwer,sich für eine Ausbildung zu entscheiden, die über meh-rere Jahre bei geringer Bezahlung zu absolvieren ist . Esgibt auch Erfahrungen aus Bayern – das wurde heutehäufig zitiert –, wonach 70 Prozent der Lehrlinge ausSyrien, Afghanistan und Irak, die im Herbst 2013 eineAusbildung begonnen haben, nicht mehr in der Ausbil-dung sind, aber leider ohne Abschluss . Das ist bei diesemModellprojekt der ernüchternde Teil . Die Zahlen sindbundesweit wohl ähnlich . Umso wichtiger ist es, dass dieMitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter arbeitsu-chende Flüchtlinge davon überzeugen können, dass eineAusbildung langfristig die einzige Lösung ist . Deshalbhaben wir die Mittel für die berufliche Integration undBeratung von Zuwanderern auf insgesamt fast 48 Millio-nen Euro aufgestockt .
Einen weiteren Schritt bei der Unterstützung der Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter sehe ichin dem geplanten Gesetz zur Rechtsvereinfachung imSGB II . Mit diesem Gesetz wollen wir auch im Hinblickauf die wegen der Flüchtlingswelle stärker beanspruch-ten Ressourcen Verwaltungsabläufe in den Jobcenternvereinfachen . Wichtig ist, dass unsere Jobcenter für dieabsehbar bevorstehenden Mehrbelastungen gut gewapp-net sind . Sonst würden sie wie das BAMF als Behörde imAusnahmezustand zum Flaschenhals der Flüchtlingsinte-gration in Deutschland werden .Ich bin in diesem Zusammenhang auch froh – lassenSie mich das hier erwähnen –, dass wir bei den bestehen-den Sanktionsregelungen bleiben können . Das Prinzip„Fördern und Fordern“, auf dem die gute Arbeitsmarkt-politik der vergangenen Jahre basiert, ist richtig undwichtig . Letztlich sind die Sanktionen ein Kontrollme-chanismus, und es gibt in unserer Gesellschaft aus gutemGrund an verschiedensten Stellen solche Mechanismen .Sie sind ein Zeichen der Gerechtigkeit und Verantwor-tung gegenüber denjenigen, die mit ihrer Arbeit bzw . ih-ren Steuerzahlungen diese Leistungen erst ermöglichen .In Anbetracht der Tatsache, dass die Jobcenter in dennächsten Monaten und Jahren vor einer großen Aufgabestehen, wäre es das falsche Signal, an dieser Stelle einenKurswechsel einzuläuten .
Zum Thema Mindestlohn . Herr Ernst, Sie habenHerrn Spahn angesprochen . Es gibt auch einige andere,Mark Helfrich
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die aus Ihrer Sicht abwegige Vorschläge gemacht haben,unter anderem der Sachverständigenrat . Keine Sorge! Ichwill dieses Fass nicht aufmachen . Ich werde mich auchnicht hinstellen und hier etwas fordern . Niemand willMenschen gegeneinander ausspielen . Niemand will, dasses in diesem Land auf der einen Seite Menschen gibt,die den Mindestlohn erhalten, und auf der anderen Sei-te Menschen, die nicht unter die Mindestlohnregelungenfallen . Ich bitte aber all diejenigen, die das heute betonthaben, genauso vehement zu argumentieren, wenn wirdarüber reden, wie Betriebe und Unternehmen in dennächsten Monaten und Jahren Stellen anbieten können,die den Menschen im Sinne eines Langzeitpraktikumsdie Chance eröffnen, in unsere Berufswelt zu kommen .Denn eines ist richtig: In dieser krisengeschüttelten Zeitist das Wohlergehen unserer Wirtschaft, der deutschenBetriebe, ein wahrer Stabilitätsanker, den wir nicht ris-kieren sollten .Meine Damen und Herren, ein schon den alten Römernvertrauter Grundsatz lautet: Ultra posse nemo obligatur .Über das Können hinaus wird niemand verpflichtet. –Der Einzelplan 11, der Haushalt für Arbeit und Soziales,zeigt gleichwohl, wie beachtlich unser Können ist . Ichbin hoffnungsvoll, dass wir damit die Herkulesaufgabeder Integration der Flüchtlinge angehen und auch beste-hen können .Herzlichen Dank .
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-
punkt ist der Kollege Dr . Martin Rosemann für die SPD .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,die Zahlen zum Arbeitsmarkt, die vor allem die Kollegender Union mit stolz geschwellter Brust vortragen, sindgut . Wenn die Politik tatsächlich einen Anteil daran hat,dann will ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen vonder Union, allerdings schon fragen: Wer hat denn den Re-formstau in Deutschland abgebaut?
Wer hat Deutschland mit Konjunkturprogrammen undKurzarbeit durch die Finanzmarktkrise geführt? Das wa-ren deutsche Sozialdemokraten .
Mit dem Haushalt 2016 statten wir die Jobcenter fürdie wichtige Aufgabe der Integration von Flüchtlingenangemessen aus . Vor allem können sich die Jobcenterrechtzeitig personell und strukturell auf die Herausfor-derungen einstellen . Wir haben eine doppelte Integrati-onsaufgabe zu leisten: einerseits die Integration der zuuns kommenden Flüchtlinge, andererseits die Integrationderjenigen, die heute schon in unserer Gesellschaft be-nachteiligt sind . Dabei ist für uns Sozialdemokratinnenund Sozialdemokraten klar, dass nicht die Schwachengegen die noch Schwächeren ausgespielt werden dürfen .
Deshalb darf es für Flüchtlinge keine Ausnahme beimMindestlohn geben .
Ich bin froh, dass Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer aufdem Arbeitgebertag gesagt hat, dass eine Sonderregelungfür Flüchtlinge beim Mindestlohn Quatsch ist . Recht hatder Mann!
Arbeitsmarktintegration für Flüchtlinge bedeutet fürmich nicht, die Flüchtlinge möglichst schnell in irgend-welche Jobs zu vermitteln und damit die Konkurrenzim Bereich der gering qualifizierten Arbeit noch zu ver-schärfen . Stattdessen geht es darum, in die Potenziale vorallem der vielen jungen Flüchtlinge zu investieren undsie zu den Fachkräften zu machen, die wir benötigen .Gleichzeitig geht es aber auch darum, weiter in die Po-tenziale von Langzeitarbeitslosen, Geringqualifizierten,Alleinerziehenden und benachteiligten Jugendlichen zuinvestieren .Liebe Frau Pothmer, Sie haben hier so abfällig überBeratung gesprochen .
Die Beratung ist doch Kern dessen, was die Jobcentermachen . Ohne Beratung ist die beste Maßnahme nichts,weil dann im Zweifel in die falsche Maßnahme vermitteltwird und man nichts davon hat .
Deshalb sage ich Ihnen: Alle Mittel, die für Flüchtlingezusätzlich benötigt werden, kommen bei den Jobcenternobendrauf . Auch in diesem Jahr gibt es 350 MillionenEuro zusätzlich für die Jobcenter
für die Betreuung von Langzeitarbeitslosen, und wir wer-den die Jobcenter in den kommenden Monaten an ande-rer Stelle von Aufwand entlasten .
Zum Schluss: Diese Koalition wird alle Projekte, diesie sich vorgenommen hat, um Ordnung auf dem Arbeits-markt zu schaffen und mehr Teilhabe zu ermöglichen,umsetzen . Wir werden Leiharbeit und Werkverträge, wieversprochen, regulieren . Wir werden das Bundesteilha-Mark Helfrich
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begesetz im Entwurf im kommenden Jahr hier im Par-lament beraten und beschließen, damit es zum 1 . Januar2017 in Kraft treten kann . Wir werden auch dafür sor-gen, dass das jetzt zwischen den Koalitionsfraktionenvereinbarte Paket zu den flexiblen Übergängen im Ge-setzgebungsverfahren zeitnah umgesetzt wird . Das istein großes und in die Zukunft gerichtetes Paket mit An-reizen zum längeren Weiterarbeiten, mit einer deutlichenStärkung von Prävention und Reha, mit einer deutlichflexibleren, einfacheren und attraktiveren Teilrente. Wirwerden auch die Zwangsverrentung bei drohender Al-ters armut beenden .
Das alles zeigt: Wir packen auch in der zweiten Hälf-te dieser Legislaturperiode das an, was wir versprochenhaben .
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 11 – Bundesministerium für Arbeit und Soziales –
in der Ausschussfassung . Wer dafür stimmt, den bitte ich
um ein Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Einzelplan 11 ist damit mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen .
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt I .16 auf:
Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frau en und Jugend
Drucksachen 18/6124, 18/6125
Berichterstatter sind die Kolleginnen und Kollegen
Michael Leutert, Alois Rainer, Ulrike Gottschalck sowie
Ekin Deligöz .
Zum Einzelplan 17 liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir mor-
gen nach der Schlussabstimmung abstimmen werden .
Für diesen Tagesordnungspunkt sind nach einer inter-
fraktionellen Vereinbarung 96 Minuten Aussprachezeit
vorgesehen . – Widerspruch erhebt sich nicht . Dann ist
das somit beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Michael Leutert für die Fraktion Die
Linke das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Ministerin! Für das nächste Jahr stehen demBundesministerium für Familie, Senioren, Frauen undJugend etwas mehr als 9 Milliarden Euro zur Verfü-gung . Das klingt sehr viel, aber man muss dazusagen:Nur 9 Prozent, also circa 800 Millionen Euro, sind fürdie Programmarbeit vorgesehen . 85 Prozent des Etatswerden für gesetzliche Leistungen ausgegeben, allen vo-ran für das Elterngeld mit 6 Milliarden Euro, Tendenzsteigend .Fakt ist – und das ist positiv zu bewerten –, dass wir inden Haushaltsverhandlungen die Programmarbeit stärkenkonnten . Insbesondere die Jugendhilfe wird 27 MillionenEuro mehr bekommen . Das Programm „Demokratie le-ben!“, das gegen Rechtsextremismus aufgelegt wurde,erhält noch einmal 10 Millionen Euro mehr, und auch dieMittel für die Mehrgenerationenhäuser – die möchte ichnicht vergessen – sind aufgestockt worden .
Wir müssen uns allerdings fragen, ob die Mittel aus-reichen angesichts der Aufgaben, vor denen wir stehen .Ich möchte das am Beispiel des Programms „Demokratieleben!“ skizzieren . Das Programm „Demokratie leben!“hatte im Jahr 2014 30 Millionen Euro zur Verfügung,dieses Jahr 40 Millionen Euro, nächstes Jahr werden es50 Millionen Euro .
Das ist eine gute Tendenz . Man sollte sich aber einmal an-schauen, wofür dieses Programm vorgesehen ist . Es sollsich gegen Rechtsextremismus, gegen Antisemitismus,gegen Islamismus, gegen Muslimfeindlichkeit, gegenGewalt und Menschenfeindlichkeit im Allgemeinen rich-ten . Das alles soll mit vielen verschiedenen Maßnahmenumgesetzt werden, mit Demokratiezentren, lokalen Part-nerschaften, Strukturförderung oder auch Modellprojek-ten . Was heißt das in der Praxis? Das bedeutet, dass einLandkreis oder eine Kommune im Rahmen eines lokalenAktionsplanes 60 000 Euro im Jahr bewilligt bekommt .
Ich frage mich: Was soll ein Landkreis in Sachsen, derzum Beispiel über 2 000 Quadratkilometer groß ist,300 000 Einwohner und circa 60 Gemeinden hat – da-mit der Vergleich klar ist: das ist die Dimension desSaarlandes –, mit diesem Geld anfangen? Da in diesen60 000 Euro auch Personalkosten enthalten sind, würdenjeder Gemeinde nicht einmal 500 Euro pro Jahr für dasProgramm übrig bleiben .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen,was derzeit in unserem Land los ist . Die Situation spitztsich zu . Das Bundesministerium des Innern warnt, derVerfassungsschutz warnt, und das Bundeskriminalamtwarnt . Wir haben allein in diesem Jahr bis jetzt 600 An-griffe auf Flüchtlingsunterkünfte und Flüchtlinge zu ver-zeichnen – das ist dreimal so viel wie letztes Jahr –, undes gab rund 223 Verletzte . Leider ist Sachsen auch hierwieder das Negativbeispiel. Dort finden besonders vielefremdenfeindliche Demonstrationen statt; Pegida ist diebekannteste . Dort erleben wir besonders heftige Angrif-fe; Heidenau und Freital stehen exemplarisch dafür . DieVolksverhetzung nimmt zu . Die Angegriffenen sind nichtnur Flüchtlinge oder ihre Helfer, es sind auch Politike-Dr. Martin Rosemann
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rinnen und Politiker . Es werden Autos angezündet undBüros verwüstet . Das betrifft im Übrigen nicht mehr nurPolitiker der Linken oder der Grünen, sondern jetzt auchPolitiker der CDU und der FDP: Das prominenteste Op-fer ist der sächsische Justizminister, dessen Wohnung vorein paar Tagen angegriffen wurde . Er war mit seinen Kin-dern zu Hause; ein Kind ist noch nicht einmal ein Jahralt . Vor der Wohnung des Dresdner Oberbürgermeisters,FDP, hat sich mehrere Stunden ein Mob versammelt und„Volksverräter“ geschrien . – Das, was zwei Spitzenpoli-tiker in Sachsen erlebt haben, erleben viele Ehrenamtli-che in Sachsen allerdings seit vielen Jahren .Um es noch einmal in Erinnerung zu rufen: Die NPDhat in Sachsen bei der Landtagswahl 2004 9,2 Prozentbekommen, die SPD damals 9,8 Prozent . Das zeigt doch,wie die Gesellschaft positioniert ist . Auch der NSU warin Sachsen zu Hause . Pegida hatte ich schon erwähnt . –Das alles zusammen schafft ein gesellschaftliches Kli-ma, das es der Zivilgesellschaft sehr, sehr schwer macht,dagegenzuhalten . Das bedroht unsere Gesellschaft imKern, und zwar ernsthaft . Das ist kein Spaß mehr . Ausdiesem Grund sage ich: Wir müssen die Zivilgesellschaftin der Breite stärken, und zwar dauerhaft .
Es gibt so viele kleine Vereine, die sich mit ganz nor-malen Angeboten in der täglichen Stadtteilarbeit und derJugendarbeit an die Bevölkerung richten . Da zu unsererBevölkerung jetzt auch Flüchtlinge gehören, richten sichdiese Angebote auch an Flüchtlinge, die zum Teil ihrer-seits in den Vereinen mithelfen . Wenn die Projekte dieserVereine bedroht werden, wenn die Vereine nicht einmalvom Staat ausreichend Unterstützung bekommen, dannwerden sie diese Angebote einstellen . Jedes Mal, wenndas passiert, bricht uns ein Stück Zivilgesellschaft weg .Das müssen wir verhindern . Dafür brauchen wir drin-gend mehr Geld .
Wenn wir uns hier im Bundestag einig sind, dass eineAufgabe wichtig ist – das gab es schon mehrmals –, dannkönnen wir dafür auch Geld mobilisieren . Ich möchte einBeispiel nennen, ohne irgendetwas gegeneinander aus-spielen zu wollen: Wir sind uns im Bundestag einig, dasswir das Elterngeld wollen . Es ist in diesem Etat enthaltenund kostet uns 6 Milliarden Euro im Jahr . Das ist es unswert, weil es uns wichtig ist, dass mehr Kinder geborenwerden und diese in gesicherten Verhältnissen aufwach-sen können .
Aber was nützt uns das, wenn unsere Kinder, weil wirnur 50 Millionen Euro aufwenden, um gegen Rechtsex-tremismus vorzugehen, in einem durch Fremdenfeindeund Rassisten vergifteten gesellschaftlichen Klima auf-wachsen? Das dürfen wir nicht zulassen .
Weil ich den Kollegen Spahn hier gerade sehe, möchteich noch eines sagen . In der Buchhandlung habe ich Ihrneues Buch gesehen . Ich darf daraus kurz zitieren . Sieschreiben:Obgleich Zigtausende Menschen jeden Tag haupt-und ehrenamtlich fast Übermenschliches leisten, umder Lage Herr zu werden, erleben wir doch in vielenBereichen eine Art Staatsversagen .Ich möchte Ihnen sagen: Helfen Sie bitte mit – Sie sindStaatssekretär des Finanzministers Schäuble –, diesesStaatsversagen zu beenden, und geben Sie den Ehren-amtlichen das Geld, das sie benötigen .
Ich darf ankündigen, dass wir nach der Abstimmungüber diesen Tagesordnungspunkt die Sitzung wegenFraktionssitzungen unterbrechen werden . Bis dahin istnoch etwas Zeit . Ich wollte das nur ankündigen .Ich erteile jetzt das Wort für die Bundesregierung derBundesministerin Manuela Schwesig .
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen undHerren Abgeordnete! Von diesem Bundeshaushalt 2016geht ein starkes Signal für die Familien in unserem Landaus . Welches? Die Familien können sich weiter daraufverlassen, dass sie, egal wie groß die nationalen und in-ternationalen Herausforderungen unseres Landes sind,weiter so gut unterstützt werden wie bisher und ab 2016mit weiterer Unterstützung rechnen können . Die Famili-en im Land sind uns wichtig, und wir werden sie weitergut und verlässlich unterstützen .
Dank der intensiven Beratung und Ihrer Unterstüt-zung in den Haushaltsberatungen können wir mehr tun,als wir ursprünglich geplant hatten . Dafür bedanke ichmich ganz herzlich . Wichtig ist auch, dass wir nicht un-terscheiden zwischen den Familien, die hier schon langeleben – Männer und Frauen mit ihren Kindern und ihrenpflegebedürftigen Angehörigen, auch Alleinerziehen-de –, und den Familien, die zu uns kommen . Mir ist esin der Debatte dieser Tage ganz wichtig, dazu beizutra-gen, dass sich die Befürchtung, dass wir die einheimi-sche Bevölkerung vergessen, weil wir uns nur noch umFlüchtlinge kümmern – einige versuchen, diese Angstzu schüren –, nicht weiter verfestigt . Das Gegenteil istder Fall: Wir kümmern uns um alle Familien und um alleKinder, um die Kinder, die hier geboren sind, aber auchum die Kinder, die bei uns Schutz und Zuflucht suchen.Michael Leutert
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Das gehört zusammen; sie sollten nicht gegeneinanderausgespielt werden .
Wir unterstützen unsere Familien mit dem Familien-paket, das wir in diesem Jahr auf den Weg gebracht ha-ben und das in 2016 stärker wirken wird . Wir haben nichtnur den Kinderfreibetrag und das Kindergeld erhöht,sondern werden ab 2016 den Kinderzuschlag erhöhen,insbesondere für die Familien, die ganz besonders unsereUnterstützung brauchen, diejenigen, die jeden Tag ar-beiten gehen, aber eben von geringen Einkommen lebenmüssen und auch gut über die Runden kommen wollen .Diese Familien unterstützen wir mit Kindergeld und Kin-derzuschlag; dieser wird, wie gesagt, im nächsten Jahrerhöht . Das ist eine wichtige Botschaft an alle in unseremLand, die sich anstrengen, und ein wichtiger Beitrag zurBekämpfung der Kinderarmut .
Insbesondere die Alleinerziehenden werden zukünftigsteuerlich besser gefördert . Auch das sieht der Bundes-haushalt 2016 vor . Damit senden wir das Signal an dievielen Frauen, aber auch Männer, die alleine ihren All-tag stemmen, für ihre Kinder da sind, arbeiten gehen undSteuern zahlen, dass wir sie nicht im Stich lassen undzukünftig steuerlich besser fördern als bisher – endlichnach zehn Jahren . Auch das ist ein wichtiges Signal die-ses Haushalts .
Wir werden die Familien im Land, insbesondere dieKinder, auch unterstützen, indem wir die Kinderbetreu-ung weiter ausbauen . Wir erhöhen die Bundesmittel . Wirhaben uns auch entschieden, die aus dem Betreuungs-geld freiwerdenden Mittel ab 2016 zur Verbesserung derKinderbetreuung einzusetzen . Das hilft allen Kindern imLand, den Kindern, die hier geboren sind, und den Kin-dern, die zu uns fliehen. Ich möchte nicht, dass Famili-en in Konkurrenz um Kitaplätze geraten, Familien, dieschon da sind, und Familien, die zu uns kommen . Wirbrauchen Kitaplätze für alle Kinder .
Viele Kinder, die zu uns kommen, wollen und werdenschnell die deutsche Sprache lernen . Ich bin fest davonüberzeugt, dass Kinder der Schlüssel zur Integrationsind, dass sich Kinder damit leichter tun . Deshalb ist eswichtig, dass es in den Kitas eine gute Sprachförderunggibt . Wir werden weiterhin die Bundesprogramme fürSprachförderung in den Kitas unterstützen; diese helfenallen Kindern . Das ist ein wichtiger Beitrag zur Erhö-hung der Bildungschancen von Kindern .Ich finde auch sehr gut, dass es uns in den Beratungengelungen ist, ein starkes Signal an die vielen ehrenamt-lich tätigen Frauen und Männer in unserem Land zu sen-den . 23 Millionen Frauen und Männer in unserem Land,viele junge Leute, engagieren sich – und zwar nicht erst,seitdem viele Flüchtlinge zu uns kommen; das war schonlange vorher so – in vielen Bereichen: vom Sportverein,vom Fußballtraining für die Kids bis hin zur Hospizar-beit . Ohne dieses Engagement wäre unser Land viel är-mer und längst nicht so solidarisch . Deshalb ist es gutund richtig, dass wir das Ehrenamt zukünftig besser un-terstützen, auch vor dem Hintergrund der großen Heraus-forderung der Integration der Flüchtlinge . Deshalb wer-den wir den Bundesfreiwilligendienst um 10 000 Stellenaufstocken . Wir haben versprochen, damit zum 1 . Januar2016 zu beginnen . Die gute Nachricht ist: Wir beginnendamit schon zum 1 . Dezember 2015 . Es wird 10 000 zu-sätzliche Stellen geben für Einheimische, die sich fürFlüchtlinge engagieren wollen, aber auch für Flüchtlingeselbst . Flüchtlinge, die zu uns kommen, sind nicht in ers-ter Linie eine Belastung; sie können etwas, sie bringenetwas mit, sie wollen sich einbringen . Auch ihr Engage-ment sollten wir nutzen . Herzlichen Dank für die großeAufstockung der Stellen beim Bundesfreiwilligendienst .
Wir werden auch das ehrenamtliche Engagement mitzusätzlichen 10 Millionen Euro unterstützen . Wir planenhier, wie schon in den Haushaltsberatungen berichtet,ein Patenschaftsprogramm . Wir wollen die Familien,die Patenschaften für Flüchtlingsfamilien übernehmenwollen, mit diesem Programm unterstützen . Wir werdenaußerdem die großen Wohlfahrtsverbände unterstützen .In den Wohlfahrtsverbänden, Arbeiterwohlfahrt, Diako-nie, Caritas, Paritätischer Wohlfahrtsverband, aber auchin den muslimischen und den jüdischen Verbänden wirdtagtäglich viel gute Arbeit von Hauptamtlern und Ehren-amtlern geleistet . Deshalb ist es gut und richtig, dass wirmit diesem Haushalt die Förderung der Wohlfahrtsver-bände aufstocken .
Ein ganz wichtiger Punkt: Wir werden mit den zusätz-lichen Mitteln, die Sie über die Haushaltsberatungen be-reitgestellt haben, dafür sorgen – wir werden den Wohl-fahrtsverbänden genau dafür Gelder geben –, dass eszukünftig Schutzkonzepte für Kinder und Frauen in denFlüchtlingsunterkünften gibt . Wir müssen dafür sorgen,dass Kinder und Frauen, die zu uns kommen und selbstvor Gewalt geflohen sind, hier keine Gewalt erleben. Wirbrauchen bessere Schutzmaßnahmen in Flüchtlingsunter-künften . Jeder Mensch – jede Frau, jedes Kind und auchjeder Mann –, der hier lebt oder zu uns kommt, muss vorGewalt geschützt werden . Das ist ein Grundprinzip unse-res Landes, und da müssen wir besser werden .
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, HerrLeutert hat es völlig zu Recht angesprochen: In unseremLand gibt es nicht nur die helle Seite – die vielen Eh-renamtler und die vielen Menschen, die sich in der Ver-waltung, in ihrem Hauptjob, kümmern –, sondern auchdie dunkle Seite . Damit meine ich diejenigen, die Hass,Gewalt und Vorurteile schüren . Wir haben es zu tun mitzunehmendem Rechtsextremismus, aber auch mit zuneh-mendem Antisemitismus, zunehmendem Salafismus undauch mit linker Gewalt . Das zeigt, dass es unsere AufgabeBundesministerin Manuela Schwesig
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ist, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten und dafür zusorgen, dass diejenigen, die jeden Tag Hass, Gewalt undVorurteile gegen andere schüren, nicht stärker werden;denn sie bedrohen unsere Gesellschaft . Die Gesellschaftwird nicht durch die Menschen, die zu uns kommen, be-droht . Unser Land wird durch diejenigen bedroht, diegegen unsere Demokratie und gegen Weltoffenheit sind .Das ist unser Problem .
Deshalb ist unser Programm „Demokratie leben!“ nichtin erster Linie ein Programm gegen etwas, lieber HerrLeutert, sondern ein Programm für etwas: für Demokra-tie und Vielfalt . Diesem Anspruch kann man nicht an nureiner Stelle nachkommen, auch nicht in einem Landkreisallein . Das muss vielmehr in allen Bereichen der Gesell-schaft geschehen . Sie haben völlig recht: Wenn wir mitnur 60 000 Euro in einem Landkreis für Sicherheit sorgenwollten, dann wäre das wenig . Aber Sie wissen auch: Wirmachen wesentlich mehr .Wenn sich die Menschen in unserem Land heute fra-gen: „Kann ich mich eigentlich sicher fühlen?“, dannwill ich ganz persönlich sagen: Ja . – Ich war gestern mitmeinem Sohn auf dem Weihnachtsmarkt und habe michgenauso gut gefühlt wie jedes Jahr, weil die Bratwurstgenauso gut war wie jedes Jahr. Ich finde, wir dürfen un-ser freiheitliches Leben jetzt nicht infrage stellen . Abernatürlich müssen wir uns Gedanken machen, wie wir dieSicherheit verstärken . Die Sicherheit wird nicht alleindurch Bundespolizei und Verfassungsschutz gewährleis-tet, sondern auch durch Prävention . Wir müssen dafürsorgen, dass sich junge Leute nicht von Rechtsextremenansprechen lassen, dass sie sich nicht von Salafisten an-sprechen lassen und sich nicht dem IS anschließen .Wir pflegen einerseits lokale Partnerschaften vor Ortund fördern andererseits insbesondere bundesweit agie-rende Träger, die Schulprojekte durchführen, aufklärenund die Jugend in ihrer gesamten Vielfalt zusammen-bringen . Außerdem fördern wir Aussteigerprojekte undmobile Beratung . Das umfasst viel mehr als nur lokaleDemokratiepartnerschaften . Deshalb ist es richtig, dasswir die Mittel für dieses Programm jetzt um 10 MillionenEuro aufstocken . Wir tun das, um diejenigen starkzuma-chen, die vor Ort jeden Tag ihr Gesicht dafür hinhalten,dass unsere Demokratie gestärkt wird, und die sich dage-genstellen, wenn manche anfangen, Hass und Gewalt ge-gen andere zu schüren . Das ist die Idee des Programmes„Demokratie leben!“ . Deshalb ist es richtig, dass wir da10 Millionen Euro obendrauf legen .
Sie sehen, sehr geehrte Damen und Herren Abgeord-nete: Der Haushalt 2016 bietet gute Möglichkeiten, diemoderne Politik für die Familien im Land fortzusetzen .Wir haben die Möglichkeit, die Zivilgesellschaft und dasEhrenamt viel stärker zu unterstützen als bisher, damitunser Land bleibt, was viele so attraktiv finden, ein fa-milienfreundliches, solidarisches und weltoffenes Land .Vielen Dank .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulle Schauws für
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Gestern warder Internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen . Da-rum will ich als Erstes die Frauen und Mädchen in denBlick nehmen, die aus Afrika, Syrien, Afghanistan undvon anderswo in der Welt zu uns kommen und bei unsSchutz suchen. Sie fliehen vor Krieg, vor Verfolgung, vorGewalt und häufig aus geschlechtsspezifischen Gründen.Viele von ihnen haben in ihren Heimatländern Schreck-liches erlebt und sind traumatisiert . Auf der Flucht sindinsbesondere sie als alleinreisende Frauen und Mädchengefährdet und von sexualisierter Gewalt bedroht .Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass diese Mädchenund Frauen auch hier in den Flüchtlingsunterkünften vorGewalt nicht sicher sind und sexualisierte Übergriffe er-leben, kann uns nicht verwundern . Da sind wir als Bundgenauso wie die Länder gefragt . Die Kommunen sindderzeit froh, die Flüchtlinge überhaupt unterzubringen .Trotzdem: Es muss auch über das Wie der Unterbringungund über die Mindeststandards, gerade für besondersSchutzbedürftige, gesprochen werden .Es darf doch nicht sein, dass sich Frauen und Mädchenaus Angst vor sexuellen Übergriffen und Gewalt nichtmehr frei bewegen und Toiletten und Duschen meiden .Das gilt auch für lesbische, schwule, trans- oder interse-xuelle Flüchtlinge . Nein, sie brauchen Rückzugsräumeund abschließbare Sanitäreinrichtungen . Schutzbedürfti-ge brauchen Sicherheit . Betroffene von Gewalt müssenzügig Beratung und Betreuung erhalten, wenn sie diesebrauchen . Dazu gehört auch der Einsatz von Dolmet-scherinnen . Zugang zu Fachberatungsstellen gegen sexu-alisierte Gewalt und zu Gewaltschutzeinrichtungen mussgewährleistet werden, die Residenzpflicht darf dem nichtim Weg stehen .
Die im Bundeshaushalt eingestellten 3,75 Millio-nen Euro zur Unterstützung und Beratung von Flücht-lingsfrauen sind hier deutlich zu wenig . Wir fordern einBundesprogramm für Gewaltschutz für schutzbedürftigeFlüchtlinge in Höhe von insgesamt 25 Millionen Euro .Wenn wir es versäumen, hier tatkräftig zu investieren,sind langfristige und belastende Folgen absehbar . Damüssen wir, finde ich, jetzt entschiedener handeln.
Noch eines: Posttraumatische Belastungsstörungenals eine Folge von sexualisierter Gewalt nicht mehr alserheblichen Grund gegen Abschiebung anzuerkennenBundesministerin Manuela Schwesig
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und damit speziell Asylgründe für Frauen zu negieren –dazu sage ich Ihnen ganz klar: Das geht gar nicht .
Frau Ministerin Schwesig, viel Neues im Sinne einermodernen Familienpolitik findet sich im Übrigen in Ih-rem Etat nicht . Ich greife einmal vier Punkte heraus .Erstens . Es freut uns, dass das Elterngeld so ein Erfolgist, und dieser Erfolg ist mit Kosten verbunden . Punkt!Zweitens . Es freut uns, dass das verfassungswidrigeBetreuungsgeld vom Tisch ist . Aber wie gut hätte es derKinder- und Familienpolitik getan, wenn die freiwerden-den Mittel im Haushalt geblieben wären? Wir alle wissen,dass es trotz Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz immernoch an Qualität in Kitas mangelt . All dies gewinnt jetztmit Blick auf die neu zu uns kommenden Flüchtlingskin-der an Bedeutung . Bisher ist unklar, was das für den All-tag in einer Kita tatsächlich bedeutet . Aber dass sich etwasändern wird, das ist doch klar . Wenn man sich Ihre Schät-zungen vor Augen führt, Frau Schwesig, 110 000 Kin derunter sechs Jahren, die allein dieses Jahr zu uns kommen,dann wird deutlich: Das, was Sie dafür an Mitteln in Ih-rem Etat eingestellt haben, reicht nicht aus .
Drittens . Wie gern hätten wir uns auch über die Erhö-hung des Kinderzuschlags gefreut – Sie haben das ebenerwähnt –, wäre er nicht derart mickrig ausgefallen . Da-bei sind die Stellschrauben den meisten hier Anwesendenbekannt . Hätte die Koalition etwas mehr Engagement anden Tag gelegt und mehr an diesen Stellschrauben ge-dreht, dann hätte sie vielen mehr helfen können .Viertens . Was mir gerade als frauenpolitische Spre-cherin meiner Fraktion am Herzen liegt, ist die großeLeerstelle bei den Alleinerziehenden und der Kinder- undFamilienarmut . In Deutschland leben rund 1,6 MillionenAlleinerziehende mit ihren Kindern, ganz überwiegendMütter . Sie arbeiten oft Vollzeit und managen den Fami-lienalltag – rund um die Uhr im vollen Einsatz, oft ohneAtempause .Vier von zehn Alleinerziehenden sind bei uns arm .Ein Drittel im SGB-II-Bezug ist gleichzeitig berufstätigund stockt auf . Fast jedes zweite Kind im ALG-II-Be-zug wächst in einem Alleinerziehendenhaushalt auf .Das heißt, wenn man etwas gegen Kinderarmut machenmöchte, dann muss man bei den Alleinerziehenden anset-zen . In einem so wohlhabenden Land wie unserem kannes doch nicht sein, dass wir Kinder-, Frauen- und Famili-enarmut in einem solchen Ausmaß zulassen . Da könnenund da müssen wir noch mehr gegensteuern .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die wissenschaftli-chen Erkenntnisse der Evaluation der Ehe- und Familien-förderung aus Ihrem Haus liegen auf dem Tisch, und dableiben sie anscheinend auch liegen . Hier wird klar: DerUnterhaltsvorschuss hat einen deutlichen Einfluss aufdas Armutsrisiko von Kindern . Aber anders als im Unter-haltsrecht endet die Zahlung des Unterhaltsvorschussesmit dem 13 . Geburtstag des Kindes . Das geht komplettan der Realität vorbei .Das Gleiche gilt für die Bezugsdauer . Sie ist nämlichauf sechs Jahre begrenzt . Das bedeutet im Falle einerTrennung – gerade wenn die Kinder noch jung sind –,dass Alleinerziehende ziemlich sicher den Zeitpunkt er-reichen, an dem der Unterhaltsvorschuss wegfällt . Sieleben quasi auf die Armutsfalle hin . Was ist das für einePerspektive? Was muten wir den so leistungsfähigen Al-leinerziehenden – das sind vor allem Frauen – zu? Des-halb fordern wir, die Bezugsdauer aufzuheben und dieAltersgrenze auf 18 Jahre anzuheben . Das wäre ein we-sentlicher Schritt, viele Alleinerziehende und ihre Kinderaus der Armut zu holen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen und auch liebe FrauSchwesig: Ich sage Ihnen, mit etwas mehr Mut hätten Siediesen Einzelplan im Sinne von Frauen und Kindern undgegen deren Armut gerechter ausgestalten können . Siehaben eine große Chance vertan .
Nächster Redner ist der Kollege Alois Rainer für die
CDU/CSU .
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Noch nie hat der Bund soviel Geld für Familien, Kinder und Jugendliche bereitge-stellt wie in diesem Haushaltsplan .
Dass uns die Familienpolitik am Herzen liegt, zeigen wireinmal mehr mit dem nun vorliegenden Haushaltsent-wurf . Trotz der uns allen bekannten schwierigen Situa-tion ist es ein gutes Signal, dass es uns gelungen ist, denHaushalt unseren Vorstellungen entsprechend anzupas-sen . Insgesamt gilt es festzustellen, dass wir im Haus-haltsjahr 2015 8,535 Milliarden Euro für den Einzel-plan 17 bereitgestellt haben . Für das Haushaltsjahr 2016steigen die Leistungen auf beachtliche 9,1 MilliardenEuro . Dies ist, meine sehr verehrten Damen und Herren,das richtige Signal an alle: an Eltern und Kinder, aberauch an die Freiwilligen und die vielen Ehrenamtlichenin unserem Land .
Es war daher auch richtig, das Elterngeld aufgrund derAnnahme höherer Geburtenzahlen in der Bereinigungs-sitzung am 12 . November um 205 Millionen Euro aufnun 6 Milliarden Euro anzuheben . Damit stehen weiter-hin ausreichend Mittel für das Elterngeld zur Verfügung .Wegen der Zunahme der Geburtenzahlen kann man se-Ulle Schauws
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hen, dass das Elterngeld ein Erfolgsmodell ist und auchbleiben wird .
Mit dem vorliegenden Haushalt – und dies war mirund, ich denke, allen Berichterstattern ein besonderesAnliegen – stärken wir auch das Ehrenamt . Denn dievielen Helferinnen und Helfer, die teilweise bis zur Er-schöpfung arbeiten, leisten in dieser schwierigen ZeitGroßartiges . Zur Stärkung des zivilgesellschaftlichenEngagements haben wir – das war der Koalition ein be-sonderes Anliegen – 10 Millionen Euro zusätzlich zurVerfügung gestellt .In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf dieErhöhung der Mittel für den Bundesfreiwilligendienstin Höhe von 50 Millionen Euro hinweisen . Es werden10 000 Stellen speziell für den Bundesfreiwilligendienstbedient . Die Inhaber dieser Stellen sollen ausschließlichzur Unterstützung der Flüchtlingsarbeit tätig sein .
Damit wollen wir eine spürbare Entlastung der Ehren-amtlichen bei der Bewältigung der Flüchtlingsarbeitschaffen .Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wirvon Flüchtlingen sprechen, dann heißt das, sich auchGedanken über diejenigen zu machen, die in Deutsch-land ein berechtigtes Aufenthaltsrecht besitzen . MeinesErachtens gelingt – das wurde angesprochen – eine Inte-gration nur über die Sprache . Eine vernünftige Integrati-on ist natürlich mit Rechten, aber auch mit Pflichten ver-bunden . Und das muss auch so gesagt werden . Um diesalles zu ermöglichen, haben wir die Jugendmigrations-dienste – auch wenn die mehr wollten – mit 8 MillionenEuro zusätzlich ausgestattet . Wir haben die Förderungder sogenannten C1-Sprachkurse um weitere 15 Millio-nen Euro angehoben, um gut ausgebildeten Flüchtlingenschneller den Hochschulzugang zu ermöglichen .
Weitere 2 Millionen Euro gehen an den Bundesjugend-ring . Angesichts der wichtigen Beiträge, die die Wohl-fahrtsverbände für die Gesellschaft leisten, werden diesemit 2 Millionen Euro zusätzlich unterstützt . Dies ergibteinen Gesamtansatz von circa 20,8 Millionen Euro .Meine Damen und Herren, es ist schon angesprochenworden: Es ist uns miteinander gelungen, die Mittel zurBekämpfung von Extremismus und Demokratiefeind-lichkeit zu erhöhen . Leider haben Sie es nicht über IhreLippen gebracht, lieber Kollege Leutert, auch über linkenExtremismus zu reden . Wir reden nämlich nicht nur überrechten Extremismus .
Es ist uns in den zurückliegenden Verhandlungen ge-lungen, an den wichtigsten Stellschrauben wie den ge-setzlichen Leistungen, der Kinder- und Jugendpolitik,aber auch der Stärkung der Zivilgesellschaft und der Fa-milien-, Gleichstellungs- und Seniorenpolitik zu drehenund die nötigen Akzente zu setzen . Des Weiteren entlas-ten wir die Familien mit dem Kinderfreibetrag und demKinderzuschlag in diesem Jahr bereits um 750 MillionenEuro .Meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz derenormen finanziellen Auswirkungen auf den Bundes-haushalt haben wir einen ausgewogenen Haushalt vor-gelegt . Deshalb bin ich sehr froh und guter Dinge, dassder Bund die finanziellen Herausforderungen ohne neueSchulden und vor allem ohne Steuererhöhungen bewäl-tigen wird .
Dass der Bund dazu überhaupt in der Lage ist, ist denguten Steuereinnahmen geschuldet, und wir haben dieseguten Steuereinnahmen, weil die politischen Stellschrau-ben richtig gestellt wurden, weil wir fleißige Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer in Deutschland haben undweil wir fleißige und innovative Arbeitgeber in Deutsch-land haben . Nur deshalb haben wir die Möglichkeit, die-se Mittel zweckgebunden auszugeben .Eine Politik ohne neue Schulden und Steuererhöhun-gen ist für mich persönlich eine verantwortungsvolle undgenerationengerechte Politik . So müssen und werden wirauch weitermachen .
Lassen Sie mich zum Schluss aber noch eines an-merken: Bei all der derzeitigen verantwortungsvollenund wichtigen Diskussion tragen wir auch Verantwor-tung gegenüber den Menschen und Familien in unse-rem Deutschland . Dieser Verantwortung stellen wir unsimmer neu mit einer Unterstützung, wie sie so noch niedagewesen ist .Ich will nur kurz ein paar Punkte ansprechen, die die-sen Einzelplan betreffen: Wir verstetigen die Förderungder Mehrgenerationenhäuser, der Conterganstiftung, desFonds Sexueller Missbrauch, des Hilfetelefons „Gewaltgegen Frauen“ – das ist unglaublich wichtig –, und wirwerden eine Kinderschutzhotline für Ärzte einführen .Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellenKindesmissbrauchs wird gestärkt . Wir stellen 3 Millio-nen Euro für das Deutsch-Griechische Jugendwerk zurAlois Rainer
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Verfügung und kommen damit einer Vereinbarung imKoalitionsvertrag nach .Ich glaube, es gibt den Wunsch nach einer Zwischen-frage .
Ja, der Präsident hat das schon gesehen . Die Kollegin
Deligöz möchte eine Zwischenfrage stellen, und ich ver-
mute, dass Sie damit einverstanden sind .
Selbstverständlich .
Bitte schön .
Herr Kollege Rainer, ich habe gerade noch einmal Ih-
ren Vorschlag vernommen, von dem ich auch schon in
der Presse gelesen habe . Ist Ihnen klar, dass, wenn Sie
die Mittel für die Aufarbeitungskommission und für den
Beauftragten gleichstellen – Sie haben von 3 Millionen
Euro gesprochen –, dies bedeuten würde, dass sich der
Beauftragte, wenn er das Geld für die Aufarbeitungs-
kommission verwendet, selbst abschaffen müsste, weil
er dann keine Möglichkeiten mehr hätte, seinen Auftrag
als Beauftragter zu gewährleisten? Der Bundestag hat
dem Beauftragten zusätzlich 3 Millionen Euro zugesagt .
Davon ist nur ein Bruchteil finanziert. Ist Ihnen bewusst,
dass die Aufarbeitungskommission, wenn dort nicht auf-
gestockt wird, nicht ihre Arbeit aufnehmen kann, es sei
denn, der Beauftragte schaffte sich selbst ab?
Wir haben meines Erachtens dem Beauftragten
500 000 Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt .
Bei einem Gesamtvolumen von zuvor 3,2 Millionen
Euro sind wir nun bei nachweislich 3,7 Millionen Euro .
Wir sind also über 3 Millionen Euro . Liebe Frau Kolle-
gin, wir haben viele Gespräche mit dem Haus darüber ge-
führt, wie das zu verstehen ist . Für mich sind es nach wie
vor über 3 Millionen Euro, genau 3,7 Millionen Euro . Zu
diesem Ergebnis kommt man, wenn man beides addiert .
– Nein, er soll sich nicht abschaffen; denn es sind noch
andere Häuser gefragt, hier einen finanziellen Beitrag zu
leisten .
Wir verstehen unsere Arbeit für die Jugend so, wie es
in diesem Haushaltsplan angedacht ist . Mit den entspre-
chenden Mitteln sind wir auf einem guten Weg für un-
sere Familien, unsere Kinder, unsere Jugend und unsere
Senioren .
Vielen herzlichen Dank .
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Leutert .
Lieber Herr Kollege, ich habe in meinem Redebeitrag
sehr wohl gesagt, dass sich das infragestehende Pro-
gramm für Demokratie unter anderem gegen Gewalt und
Menschenfeindlichkeit insgesamt wendet . Das schließt
meines Erachtens jede Form von Extremismus ein . Ich
habe mich aber bewusst auf den Rechtsextremismus kon-
zentriert, weil er unser aktuelles Problem darstellt . Die
Flüchtlinge und ihre Heime, die Ehrenamtlichen sowie
Politikerinnen und Politiker werden derzeit von Frem-
denfeinden und Rassisten angegriffen . Es ist die Aufga-
be der Politik, auf aktuelle Ereignisse zu reagieren und
Probleme vorausschauend zu lösen . Derzeit warnen die
Sicherheitsbehörden vor dem Problem des Rechtsextre-
mismus bzw . der Fremdenfeindlichkeit . Aufgrund dieses
aktuellen Anlasses habe ich darauf hingewiesen .
Herr Kollege Rainer, möchten Sie darauf erwidern?
Die Möglichkeit bestünde jedenfalls . – Bitte, Herr Rainer .
Lieber Kollege, Sie haben das vielleicht im Gesamt-
kontext gesehen, aber das Wort „Linksextremismus“ ein-
fach nicht in den Mund genommen . Da Sie jede Form
von Extremismus aufgezählt haben, hätten Sie auch den
Linksextremismus erwähnen können . Wenn wir eine
vorausschauende Politik betreiben wollen, dann sollten
wir auch darauf hinweisen, dass es Linksextremismus in
Deutschland gegeben hat und noch immer gibt .
Frankfurt ist ein gutes Beispiel . Linksextremismus gibt
es auch bei uns .
Danke .
Für die SPD hat jetzt das Wort die Kollegin Dr . CarolaReimann .
Alois Rainer
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 140 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . November 201513786
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Der Einzelplan für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend umfasst gut 9 Milliarden Euro . Damit bewegen wireine ganze Menge . Das hat die Ministerin zu Beginn derDebatte deutlich gemacht . Vom Elterngeld über Mehrge-nerationenhäuser und den Bundesfreiwilligendienst bishin zur Stärkung von Demokratie und Vielfalt investierenwir nachhaltig in den gesellschaftlichen Zusammenhalt .Ich finde, das ist gut investiertes Geld.Zu den genannten Mitteln kommen Investitionen fürFamilien, Kinder und Jugendliche aus anderen Etats .Wir unterstützen Familien durch finanzielle Leistungen,durch höheres Kindergeld, durch eine Erhöhung des Kin-derzuschlags und durch eine bessere Betreuungsinfra-struktur . Wir bringen den Kitaausbau weiter voran durchzusätzliche Mittel für das Sondervermögen „Kinderbe-treuungsausbau“ und das Bundesprogramm „KitaPlus“ .Denn Randzeitenbetreuung ist gerade für berufstätigeMütter und Väter und insbesondere für Alleinerziehendewichtig, die nicht den klassischen Nine-to-five-Job ha-ben .
Gut investiert sind im Übrigen auch die freiwerdendenMittel aus dem Betreuungsgeld . Für uns Sozialdemokra-tinnen und Sozialdemokraten war nach dem Urteil desBundesverfassungsgerichts immer klar: Wir wollen Ver-trauensschutz für diejenigen, die diese Leistung beziehenund beantragt haben . Wir wollen, dass diese Gelder denFamilien weiter zugutekommen . Wir wollen auch einebessere Kinderbetreuung . Das haben am Anfang nichtalle so gesehen . Da haben wir uns durchgesetzt, und dasist auch gut so .
Familien brauchen Geld, Familien brauchen eine gutfunktionierende, qualitativ hochwertige Betreuungsinfra-struktur, und Familien brauchen Zeit . Gerade für Frauenund Männer in der Mitte ihres Lebens, die viel Verant-wortung tragen, im Beruf, für ihre Kinder, für ihre Eltern,ist Zeit die knappste Ressource . Mit dem Gesetz zur bes-seren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf undmit dem Elterngeld Plus unterstützen wir Familien, dieviel Verantwortung tragen, und wir zeigen auch, dass wirdie zeitpolitischen Herausforderungen in der heutigenZeit angehen .Ich weiß, dass das in den Ohren einiger Haushälterjetzt seltsam klingt, aber ich freue mich über die Mehr-ausgaben beim Elterngeld; denn diese Ausgaben zeigen,dass das Elterngeld bei Müttern und zunehmend auch beiVätern gut ankommt . Sie bestärken uns darin, diesen Wegin der Zeitpolitik weiterzugehen . Wir wollen die partner-schaftliche Arbeitsteilung von Müttern und Vätern . Wirwollen, dass berufstätige Eltern mit der Familienarbeits-zeit mehr Zeit für ihre Familien haben .
Der vorliegende Haushalt ist auch Ausdruck der er-folgreichen Arbeit, die die Bundesregierung in den ver-gangenen zwei Jahren geleistet hat . Neben den unmittel-bar im Haushalt wirksamen Projekten haben wir geradeim Bereich der Gleichstellung viel erreicht . Mit demGesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Männernund Frauen an Führungspositionen haben wir nicht nureinen wichtigen – ich finde, einen historischen – Schrittfür mehr Gleichberechtigung geschafft, sondern wir ha-ben auch die Weichen für mehr Vielfalt in den Führungs-etagen gestellt. Davon werden Unternehmen profitieren.Darauf werden wir uns aber nicht ausruhen . DieGleichstellung von Frauen und Männern bleibt auf derAgenda, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Eu-ropa . Deshalb begrüße ich die Initiative für eine europä-ische Frauenquote, und ich finde, dass sich Deutschlanddafür auch auf europäischer Ebene starkmachen muss .
Natürlich werden wir uns in den kommenden Wochendem Thema Lohngerechtigkeit zuwenden . Noch immerverdienen Frauen in Deutschland im Schnitt 22 Prozentweniger als ihre männlichen Kollegen . Das ist ein Skan-dal . Seit Jahren treten wir hier auf der Stelle . Es hilftnichts, jedes Jahr neu diese Zahlen zu beklagen . Deshalbist es Zeit für ein Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit .
Wir haben noch viel vor bei der Gleichstellung, beider Vereinbarkeit von Familie und Beruf und auch beider Kinderbetreuung und im Bildungsbereich . Geradebei den letzteren Punkten ist die Herausforderung in Zei-ten starker Zuwanderung noch größer geworden . Aber –auch das will ich hier betonen – diese Herausforderungensind auch nicht neu . Mehr Qualität in Kitas, frühkind-liche Bildung, stärkere Sprachförderung, gute Schulen,verlässliche Ganztagsbetreuung – dafür setzen wir unsseit Jahren ein . Es hat sich da auch vieles getan .Jetzt gilt es, mit den neuen Integrationsherausforde-rungen die Chance für einen zusätzlichen Investitions-schub zu ergreifen . Dabei geht es nicht um ein Entwe-der-oder, also darum, dass die einen etwas bekommenund die anderen nichts . Nein, von diesem Investitions-schub müssen und werden alle profitieren; denn nur sokann Integration gelingen .
Kolleginnen und Kollegen, das alles kostet Geld . Aberwir müssen jetzt klotzen und dürfen nicht kleckern, wiees Thomas Oppermann gestern schon gesagt hat . DiesesGeld ist eine gute Investition, weil sie den Zusammenhaltin unserem Land stärkt und weil am Ende alle von mehrQualität in guten Kitas, von guten Schulen und von ver-lässlicher Ganztagsbetreuung profitieren.Danke fürs Zuhören .
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Nächster Redner ist der Kollege Jörn Wunderlich für
die Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge-rade in der gegenwärtigen Situation ist in DeutschlandFamilienpolitik furchtbar wichtig . Wir haben es von allengehört . Was in der Familienpolitik alles so Tolles geleis-tet worden ist, jedenfalls angeblich, konnten wir geradewahrnehmen .
Es gibt aber auch Kritikpunkte . Ich möchte michaufgrund der beschränkten Redezeit auf vier Punkte be-schränken .Das Sondervermögen Kitaausbau ist anstelle von230 Millionen Euro mit 1 Milliarde Euro aufzustocken .Es fehlen noch immer Plätze . Wenn man Kitas wirklichals frühkindliche Bildungsstätten versteht, dann mussman sagen, dass dies die Investition in die Zukunft ist,die von allen Seiten immer gefordert wird . Kinder sindunsere Zukunft .Wir alle freuen uns über eine gestiegene Geburtenra-te . Gleichzeitig scheint die Kinderarmut in Deutschlandaber nicht das prägnante Thema für diese Regierungsko-alition zu sein . Dazu zählt auch die Kinder- und Jugend-politik, gerade unter Berücksichtigung der gegenwärti-gen Situation mit den Anforderungen an eine gelungeneIntegrationspolitik .
Jeder hier investierte Euro ist ein gut investierter Euro . Dasweiß jeder, der in der Kinder- und Jugendpolitik tätig ist .
Ebenso zieht jeder gesparte Euro ein Vielfaches an Fol-gekosten nach sich .Mein Kollege Weinberg hat schon in der ersten Le-sung zum Haushalt dazu bemerkt – ich zitiere –:Wir– damit meint er die Regierung –haben in der Vergangenheit Fehler gemacht: beiden Gastarbeitern, bei den Aussiedlern, Anfang der90er-Jahre auch im Zusammenhang mit dem Bür-gerkrieg in Bosnien-Herzegowina . Aus diesen Feh-lern sollten wir lernen . Integration von Anfang an,so früh wie möglich .
Und? Gelernt? Pustekuchen!Zur Vermeidung von sogenannten Parallelgesellschaf-ten, wie es von der Regierung immer wieder betont wird,fehlt erkennbar der politische Wille dieser Koalition . DieLinke will integrieren, um nicht erneut eine verloreneGeneration zu generieren .Deshalb reichen die Mittel bei der Betreuung unbe-gleiteter Minderjähriger eben nicht aus .
In Brandenburg sind im Nachtragshaushalt für nächs-tes Jahr 90 Millionen Euro dafür eingestellt . Die Bun-desregierung stellt insgesamt 350 Millionen Euro zurVerfügung . Nach dem Königsteiner Schlüssel bekommtBrandenburg davon 10,7 Millionen Euro, bleibt also auf88 Prozent der Kosten sitzen . Ähnlich sieht es in Thü-ringen aus, wo der Freistaat auf 87 Prozent der geplan-ten 77 Millionen Euro sitzen bleibt . Deshalb muss derBund in diesem gesamten Bereich mehr investieren . Die350 Millionen Euro reichen nicht aus .Wenn wir nächstes Jahr die Marke von 100 000 un-begleiteten minderjährigen Flüchtlingen erreicht habenund die Unterbringung pauschal pro Tag 140 Euro kos-tet, dann kann sich jeder einigermaßen nicht Dumme aus-rechnen, dass die 350 Millionen Euro bei weitem nichtausreichen, sondern eine Lachnummer sind . Hier werdenKinder wieder einmal in ihren Verfassungsrechten be-schnitten .Problematisch bei dieser Finanzierung ist – das mussich zugeben –, dass sowohl die positiven Effekte alsauch die nachteiligen Wirkungen erst in Jahren sichtbarbzw . wirksam werden . Dazwischen liegen dummerweiseWahlen . Offensichtlich möchte die Regierung nur kurz-sichtig mit fadenscheinigen Erfolgen protzen, die in derGesamtschau für Deutschland einfach teurer werden .Der Unterhaltsvorschuss ist ein wesentliches Mittel,um Kinderarmut zu verhindern . Von daher sollte dieserausgebaut und entfristet werden . Deshalb fordert DieLinke schon seit mehr als zehn Jahren, den Unterhalts-vorschuss über das zwölfte Lebensjahr und länger alssechs Jahre zu zahlen .
Sogar die Kommission „Zusammenhalt stärken – Zu-kunft der Bürgergesellschaft gestalten“ der CDU sagteim Juni – ich zitiere –: Wir wollen dafür sorgen, dass derUnterhaltvorschuss länger als 72 Monate und über daszwölfte Lebensjahr des Kindes hinaus gezahlt werdenkann .Niemand kann erklären, warum ein Kind ab demzwölften Lebensjahr keinen Unterhalt mehr bekommensoll oder warum es längstens sechs Jahre Unterhalt er-halten darf . Das muss geändert werden . Die SPD willes . Die CDU-Kommission will es . Wer bremst denn dawieder aus? Wo in diesem Kabinett die schwarze Nullsitzt – heute ist er nicht hier; sein Adlatus ist hier –, istganz offensichtlich .
Die schwarze Null als prioritäres Ziel zu definieren,zeugt nicht von perspektivischem Denken .
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Würde man dies auf private Haushalte übertragen,dann würde die Bauwirtschaft zusammenbrechen . Häu-ser würde man nur noch mit eigenem Geld finanzieren.Hausbaukredite wären dann hinfällig, weil man keinenBaukredit mehr aufnehmen dürfte, wobei auch das in derRegel gut investiertes Geld ist .Gut wäre auch in die Jugendpolitik investiertes Geld .Hier ist seit Jahren gekürzt worden . In den vergangenenbeiden Legislaturperioden fand Jugendpolitik praktischnicht statt .
Dankenswerterweise hat Ministerin Schwesig eine Ar-beitsgruppe gebildet, die die Jugend und ihre Vorstellungvon der Gestaltung ihrer Zukunft in die Demografiestra-tegie Deutschlands einbeziehen will . Aber es reicht nichtaus, im Rahmen einer Arbeitsgruppe die Wünsche derJugendlichen aufzunehmen und in Handlungsempfeh-lungen für die nächste Regierung einfließen zu lassen.Deshalb fordert die Linke, zumindest die Kürzungen derletzten Jahre in der Jugendpolitik zurückzunehmen .
Letzter Punkt . Der Kinderzuschlag als wirksames Mit-tel gegen Kinderarmut muss dringend verstärkt ausgebautwerden, um gerade die Eltern, die im Niedriglohnsektorarbeiten, mit ihren Kindern aus dem diskriminierendenSystem Hartz IV herauszuholen bzw . sie davor zu be-wahren . 2014 haben 95 000 Berechtigte Kinderzuschlagerhalten . Die von der Regierung geplanten 20 Euro Erhö-hung auf 160 Euro ab dem 1 . Juni 2016 – Frau Schwe-sig hat es angesprochen – reichen da bei weitem nichtaus, um Kinderarmut effektiv zu bekämpfen . Deshalbfordert die Linke einen gestaffelten Kinderzuschlag von220 Euro für bis 6-Jährige, von 260 Euro für bis 14-Jäh-rige und von 300 Euro für bis 18-Jährige – nicht nur imHinblick auf die Mütter und Väter, sondern insbesondereim Hinblick auf die betroffenen Kinder .
All dies sollte geschehen, damit wir nicht in 15 oder20 Jahren wieder von einer verlorenen Generation spre-chen müssen . Deshalb will die Linke verstärkt in unse-re Zukunft, nämlich in Kinder und Jugendliche, inves-tieren . Schade, dass sich bei allen guten Vorsätzen undWünschen die Familienministerin in der Koalition nichtdurchsetzen konnte . Zukunftsprogramm und -investitio-nen statt schwarze Nullen im Kabinett, das ist linke Po-litik .
Als Nächste spricht die Kollegin Nadine Schön für dieCDU/CSU .
Nadine Schön (CDU/CSU):Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Haushalts-debatten, das ist immer ein Ringen darum, wie die Gel-der, die wir von unseren Bürgerinnen und Bürgern zurVerfügung bekommen, wie Steuergelder so gut, klug undumsichtig investiert und verteilt werden können, dass sieden Menschen in unserem Land wieder zugutekommen .Jedes Ressort, jeder Fachpolitiker ringt natürlich darum,dass in seinem Bereich die Mittel steigen, dass die An-liegen, die man als Fachpolitiker hat, in diesem Haushaltberücksichtigt werden .Wir Familienpolitiker können mit Stolz sagen, dassseit zehn Jahren, seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist,die Ausgaben für Familien in unserem Land von Jahr zuJahr steigen . Das ist ein gutes Ergebnis . Das ist ein gutesSignal an die Menschen in unserem Land . Dafür habensich die CDU und die CSU starkgemacht .
Auch in diesem Jahr wächst der Haushalt des Bun-desfamilienministeriums um mehrere Millionen Euro .Gerade in der Bereinigungssitzung letzte Sitzungswochehaben die Haushälter noch einmal wichtige Maßnahmenergriffen, die zur Bewältigung der aktuellen Flüchtlings-krise beitragen .Wir wissen, dass viele derjenigen, die heute zu unskommen, länger in unserem Land bleiben werden . Des-halb ist die Integration natürlich eine entscheidende Auf-gabe für uns alle . Das führt dazu, dass wir etwas investie-ren müssen . Den Menschen, die zu uns kommen, stellenwir eine Unterkunft, Verpflegung, aber eben auch Ange-bote zum Spracherwerb, zur Vermittlung unserer Kulturund vieles mehr zur Verfügung .Wir können aber umgekehrt von den Menschen, die zuuns kommen, auch verlangen, dass sie diese Angebote an-nehmen, dass sie sich integrieren und dass sie sich selbstin unsere Gesellschaft einbringen, mit ihren Fähigkeiten,mit ihrem Willen, aber auch mit der Akzeptanz unsererWerte . Diese sollen sie aber nicht nur akzeptieren, son-dern auch erlernen und leben . Insofern ist Integration im-mer ein Geben und Nehmen . Sie muss in meinen Augenin den nächsten Jahren wesentlich verbindlicher werden,als wir es in der Vergangenheit erlebt haben .Viele sprechen zu Recht davon, dass die Integrationbei uns in der Vergangenheit teilweise gescheitert ist,eben weil diese Verbindlichkeit gefehlt hat, weil man ge-sagt hat: Das wird schon irgendwie passen . Darum brau-chen wir uns nicht groß zu kümmern . – Nein, Integrationmuss für beide Seiten verbindlich werden . Das ist einAnliegen, das die Union hat und das man in den nächstenWochen und Monaten noch mit geeigneten Maßnahmenunterlegen muss .
In diesem Haushalt machen wir schon vieles, waszur Integration beitragen wird . Zum einen schaffen wir10 000 neue Stellen im Bundesfreiwilligendienst . Dassind 10 000 neue Stellen für Flüchtlingsarbeit, die denHauptamtlichen zugutekommen, die in den Kommunen,Jörn Wunderlich
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in den Hilfsorganisationen wirklich am Rande dessensind, was sie leisten können, die aber gleichzeitig auch dieEhrenamtlichen entlasten, weil die Bundesfreiwilligen-dienstler genau an der Schnittstelle zwischen Ehrenamtund Hauptamt tätig sind . Das Geld für die 10 000 neuenStellen ist wirklich gut angelegtes Geld, um Hauptamtund Ehrenamt zu entlasten und somit vor Ort wirklichviel zu helfen .Wir als Union haben gleich gesagt: Wenn wir10 000 neue Stellen schaffen, wenn wir ein neues Pro-gramm auflegen, dann wollen wir, dass auch Flüchtlinge,die zu uns kommen, sich von Anfang an ehrenamtlich, mitbürgerschaftlichem Engagement in unsere Gesellschafteinbringen können . Wieso sollen nicht auch FlüchtlingeBundesfreiwilligendienst leisten können? Das war unserVorschlag .
Wir sind sehr froh, dass wir in diesen Tagen das Pro-gramm auf den Weg bringen, das es auch Flüchtlingen er-möglicht, Bundesfreiwilligendienst zu leisten; denn dasgibt ein Zeichen in unsere Gesellschaft, dass diejenigen,die zu uns kommen, bereit sind, sich einzubringen . Dasgibt aber auch ein Zeichen an die Flüchtlinge: Jeder Ein-zelne von euch ist uns wichtig . Uns ist wichtig, dass dudich einbringst mit deinen Fähigkeiten, mit deiner Arbeit,mit deiner Tatkraft, auch mit den Erfahrungen, die dumitbringst . – Deshalb ist das Geld für diese 10 000 neuenStellen, vor allem für diejenigen, die von Flüchtlingenselbst besetzt werden, wirklich gut angelegtes Geld .
Wir werden 10 Millionen Euro zusätzlich einsetzen,um ehrenamtliches Engagement zu verstärken . Ehren-amtlich wird in unseren Hilfsorganisationen seit Jahrenwahnsinnig viel geleistet, in ganz vielen Bereichen . Es istwichtig, dass diese Arbeit, die in den letzten Jahren ge-leistet worden ist, jetzt nicht plötzlich liegen bleibt, weiles nur noch gilt, die Flüchtlingskrise zu bewältigen . Des-halb ist es richtig, dass wir die Hilfsorganisationen mitMitteln des Bundes unterstützen . Das tun wir hier maß-geblich . So tragen wir dazu bei, dass die normale Arbeitder Hilfsorganisationen weitergeführt werden kann, abergleichzeitig auch die neuen Herausforderungen bewältigtwerden können .Wir überlegen jetzt: Wie kann man die Ehrenamt-ler vor Ort besser unterstützen? Die Ministerin hat dieIdee angesprochen, dass wir Patenschaften unterstützen .Patenschaften gibt es bereits in vielen Kommunen . Siefunktionieren hervorragend . Es gibt nichts Besseres alsPatenschaften zwischen zwei Männern oder zwei Frau-en, die am Küchentisch gemeinsam über unsere Werte,über unsere Kultur etc . diskutieren . Patenschaften sindder beste Weg der Integration in unsere Gesellschaft .
Man sollte jetzt aber keine Doppelstrukturen schaffen .Ich glaube, an diesem Punkt müssen wir ziemlich genauaufpassen, dass wir nicht ein Parallelprogramm des Bun-des auflegen, ein Programm parallel zu dem, was es vorOrt schon gibt . Deshalb sollten wir sehr genau gucken:Was brauchen die Patenschaften, die es heute schon gibt?Wie können wir dafür sorgen, dass es mehr Patenschaftengibt?Ich glaube, dass es bei diesen Patenschaften ein ganzgroßes Bedürfnis nach Beratung gibt, vor allem kultu-reller Beratung, weil es komplett verschiedene Kulturensind, die aufeinandertreffen . Die kulturelle Beratung, dieBeratung in Alltagsfragen, die sich hier stellen – das soll-te Inhalt unserer neuen Initiative sein, mit der wir dasehrenamtliche Engagement vor Ort konkret unterstüt-zen; denn das ist das, wofür es bei den Menschen vorOrt einen Bedarf gibt . Das ist das, was wirklich vor Ortankommt .Wir richten unseren Blick vor allem auf die Schwa-chen, die zu uns kommen . Das sind zum Ersten die Trau-matisierten . Für die legen wir jetzt noch ein Programm inHöhe von 6 Millionen Euro auf . Das sind zum Zweitendie Jugendlichen, die besonders von den Jugendmigrati-onsdiensten betreut werden . Hierfür hat der Haushalts-ausschuss noch einmal 8 Millionen Euro zur Verfügunggestellt . Zum Dritten sind es die Schwangeren und zumTeil auch Frauen und Mädchen, die Vergewaltigung undGewalt erfahren mussten . Wir haben extra Gelder einge-stellt, um diese besonders gut betreuen zu können .Sie sehen also: Mit einem großen finanziellen Engage-ment kümmern wir uns wirklich entscheidend um dieMenschen, die zu uns kommen .Mir ist wichtig, dass bei all den Diskussionen, die wirjetzt um die Flüchtlingskrise führen, draußen bei denMenschen nicht der Eindruck entsteht: Wir machen jetztnichts anderes mehr . Wir kümmern uns nur noch um dieFlüchtlingskrise . – Das Gegenteil ist der Fall: Wir habenin diesem Jahr viele Maßnahmen auf den Weg gebracht,die den Familien in unserem Land konkret helfen .Und unsere Arbeit geht unvermindert weiter: Wir ar-beiten an der Umsetzung des Koalitionsvertrages und anvielen weiteren Verbesserungen für die Frauen, die älte-ren Menschen, die Kinder und die Familien in unseremLand . Das bildet sich auch im Haushalt ab, etwa beim El-terngeld Plus . Das Elterngeld haben wir unter Schwarz-Rot eingeführt . Wir haben die Mittel dafür ständig aufge-stockt und es jetzt mit dem Elterngeld Plus flexibilisiert.Mittlerweile sind wir bei 6 Milliarden Euro für die Fa-milien in unserem Land . Die Ausgaben für das Eltern-geld steigen auch deshalb, weil der Anteil der Väter, dieElternzeit nehmen, steigt . Das ist ein wirklich gutes Sig-nal . Das zeigt, dass die Partnerschaftlichkeit zwischenMännern und Frauen in unserem Land gestärkt wird . Daszeigt, dass sich auch immer mehr Männer in die Erzie-hung der Kinder einbringen . Das entspricht genau denWünschen der jungen Familien . Mittlerweile nimmt je-der dritte Vater Elternzeit . Deshalb sind die 6 MilliardenEuro auch wirklich gut angelegtes Geld .
Wir investieren weiter in den Ausbau der Kitabetreu-ung . Auch das ist etwas, was die Menschen in unseremLand wünschen . Wir haben hier sehr viel geleistet, undNadine Schön
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der Bund unterstützt Länder und Kommunen weiter beimAusbau . Dass all das erfolgreich ist, dass sich die guteFamilienpolitik der letzten Jahre auszahlt und dass sichdas Geld, das wir investieren, lohnt, das zeigen aktuelleStudien . Aktuelle Studien belegen, dass sich Deutschlandin den letzten zehn Jahren im Bereich der Familienpolitikso gut entwickelt hat wie kaum ein anderes Land . Das In-stitut der deutschen Wirtschaft hat 23 Länder verglichen .Kaum ein anderes Land konnte sich so verbessern wieDeutschland . Wenn man sich allein die Geldleistungenanschaut, dann liegen wir unter diesen 23 Ländern aufdem zweiten Platz . Nur Luxemburg gibt für die Familiennoch mehr Geld aus als wir . Die Verbesserung trifft aberauch auf die Entwicklung insgesamt zu, die Betreuung,die steuerliche Unterstützung etc . All das trägt dazu bei,dass die Menschen in unserem Land mit der Familienpo-litik zufrieden sind . Viele könnten sich noch mehr vor-stellen . Uns fällt auch noch vieles ein, wie man Familiennoch besser unterstützen kann . Aber es ist ja immer gut,das in einen Kontext zu stellen und sich zu vergleichen .Es ist ein schönes Signal, zu sehen, dass die Entwicklungsich in den letzten zehn Jahren wirklich massiv verbes-sert hat, dass wir an der Spitze in Europa stehen . Das istchristdemokratische und christsoziale Familienpolitik,die sich hier auszeichnet. Ich finde, das ist eine gute Bot-schaft für die Familien in unserem Land .
– Genau . Der Koalitionspartner ist natürlich ebenfallsbeteiligt .Lieber Kollege Rix, gemeinsam mit Ihnen werden wiruns den Themen, sowohl der Bewältigung der Flücht-lingskrise als auch den anderen Themen, die uns im Fa-milienressort umtreiben, weiter widmen und sie voran-treiben . Ein Thema ist der Kinderschutz, ein anderes derSchutz von Frauen vor Gewalt . Wir haben in dieser Wo-che den Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewaltgegen Frauen . Wir haben in der letzten Legislaturperio-de eine bundesweite Hotline eingerichtet . Sie wird sehrgut in Anspruch genommen . Das ist wichtig . Es ist aberauch wichtig, dass wir etwa beim Thema Zwangsprosti-tution, dem unser nächstes großes Gesetzeswerk gilt, daswir auf den Weg bringen, genau darauf achten, dass wirden Schutz derjenigen, die von Zwangsprostitution, vonMenschenhandel betroffen sind, gewährleisten und allesdafür tun, die Frauen auch vor Gewalt zu schützen .
Deswegen werden wir auch mit weiteren Gesetzesvorha-ben unvermindert, unabhängig von der Flüchtlingskrise,an der Umsetzung dieses Anliegens arbeiten .
Ich danke herzlich für die Zusammenarbeit . ZumSchluss ein herzlicher Dank an die Haushälter, die unsbei all diesen Anliegen wirklich großartig unterstützen .
Die Kollegin Beate Walter-Rosenheimer spricht jetztfür Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Gäste undZuhörerinnen! Gestern wurde die neue OECD-Studie„Bildung auf einen Blick 2015“ veröffentlicht . Die er-freuliche Nachricht: Mehr als die Hälfte der Kinder, dieunter zwei Jahre alt sind, wird in Deutschland in Kitasbetreut .Was mich genauso überrascht und freut, ist diegemeinsame Erklärung von Ministerin Wanka undKMK-Präsidentin Kurth . Darin bekennen sich die beidenCDU-Frauen ganz klar zur frühkindlichen Betreuung,weil gerade die ersten Jahre – das ist jetzt ein sinngemä-ßes Zitat – so besonders wichtig seien für einen erfolg-reichen Bildungsweg und das besonders für Kinder mitMigrationshintergrund und für Flüchtlingskinder gelte .Hier offenbart sich, dass die CDU in der Mitte der Gesell-schaft angekommen ist . Dazu herzlichen Glückwunsch!
Ich wünsche mir, dass Sie das Ihren Freundinnen undFreunden in Bayern, der CSU, mitteilen, damit sich dasThema Betreuungsgeld, Herr Lehrieder, bald erledigt .
– Kommen Sie heim .Aber selbst ein solches Bekenntnis kann über einesnicht hinwegtäuschen: Es ist viel passiert auf diesem Ge-biet – das sagen wir auch –, aber, Frau Ministerin, Siebleiben hinter Ihren eigenen Ansprüchen zurück. Wir fin-den, dass im Haushalt Ihres Ministeriums Belege für An-strengungen fehlen, die Kindertagesbetreuung wirklichfit für die Zukunft zu machen. Es stimmt, dass sich Bund,Länder und Kommunen in den letzten Jahren sehr starkbemüht haben . Richtig ist aber leider auch, dass geradeim Westen der Republik noch 185 000 Plätze für dieseKinder fehlen . Das, sehr geehrte Frau Ministerin, sollteauch Ihnen zu denken geben .
Es geht bei der frühkindlichen Betreuung aber nichtnur darum, wie groß, sondern ganz entscheidend auch da-rum, wie gut dieses Angebot ist . Gerade weil wir wissenNadine Schön
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und die CDU es jetzt auch weiß, dass die Betreuung inden ersten Lebensjahren so wichtig ist, muss die Qualitätder Betreuung deutlich steigen . Diese Aufgabe könnenaber Länder und Kommunen nicht alleine übernehmen .Dies ist natürlich auch Aufgabe des Bundes .Wir brauchen einen besseren Betreuungsschlüssel,einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung und bun-desweit einheitliche Qualitätsstandards . Ich wünsche mirhier einfach ein bisschen mehr Durchsetzungskraft derSPD dem Koalitionspartner gegenüber .
Auf meine Fraktion können Sie dabei sicher zählen .Viele Kommunen ächzen jetzt schon unter den hohenfinanziellen Belastungen. Wir fordern deshalb in unse-rem Änderungsantrag zusätzlich 1 Milliarde Euro für denAusbau und die Qualitätssicherung von Kitas und eineweitere Milliarde für eine breite Bildungsoffensive vonder Kita bis zur Hochschule. Ich finde, in Ihrem Haus-haltsentwurf ist noch Luft nach oben .
Dass wir schon heute für morgen investieren müssen,gilt natürlich für jede vorausschauende und gerechtePolitik . Wie wichtig aber gerade in diesen Tagen muti-ge Zukunftsinvestitionen sind – es geht ja um die Un-terstützung durch den Bund, Frau Kollegin, und nichtum die Länder –, zeigen die vielen jungen Flüchtlingenoch einmal ganz besonders deutlich . HunderttausendeKinder und Jugendliche – wir haben es heute schon ge-hört – brauchen neben einer guten Versorgung und Un-terbringung natürlich Zugang zu Bildung, aber auch zuden Leistungen der Jugendhilfe . Hier tun Sie aus unsererSicht eindeutig zu wenig . Die Jugendhilfe ist seit Jahrenchronisch unterfinanziert. Durch die vielen minderjähri-gen Flüchtlinge stehen die Jugendämter und die freienTräger der Jugendhilfe vor einer gewaltigen Herausfor-derung . Die Betreuung und Begleitung, die Übernahmevon Vormundschaften und – nicht zu vergessen – dieganz regulären Aufgaben, die nach wie vor zu bewältigensind, binden Ressourcen und kosten viel Geld . Wir be-zweifeln, dass die zusätzlich eingestellten 350 MillionenEuro dafür ausreichen werden .
Wenn wir alle ehrlich sind, müssen wir feststellen:Ohne die beeindruckende Unterstützung durch die vielenEhrenamtlichen – wir haben es heute oft gehört – würdevieles nicht mehr laufen . Man kann es daher nicht oft ge-nug sagen, dass diesen Menschen unser Dank gebührt .
Dieses große ehrenamtliche Engagement ist zugleicheine deutliche Handlungsaufforderung an die Politik .Uns muss klar sein, dass wir die Ehrenamtlichen nichtalleinlassen können, dass die Arbeit der Ehrenamtlichennicht zur Ausrede dafür werden kann, dass sich die poli-tisch Verantwortlichen vor der Verantwortung drücken .Es ist gut, Frau Ministerin, dass Sie Geld für die Unter-stützung des freiwilligen Engagements in die Hand neh-men . Das möchte ich ausdrücklich betonen . Ich versteheaber nicht, warum Sie nur den Bundesfreiwilligendienstfördern wollen und nicht zum Beispiel auch die Trägerdes Freiwilligen Sozialen Jahres . Wir wünschen uns, dassSie die Netzwerkstrukturen der Zivilgesellschaft und de-ren Ausbau fördern und dass Sie dafür sorgen, dass auchdie Helferinnen und Helfer Zugang zu Hilfe und Unter-stützung bekommen; denn sonst geht ihnen irgendwanndie Luft aus .
Auch dafür, sehr geehrte Frau Ministerin, braucht esGeld – das weiß ich – und gut geschultes Personal . Wirfinden im Haushaltsentwurf dazu zu wenig.Die große Willkommenskultur – auch das haben wirschon gehört – hat leider nicht nur Freunde . Deshalbmuss sie verteidigt werden . Den Feinden von Vielfalt,Toleranz und Demokratie – das sage ich in aller Deut-lichkeit – müssen wir uns entschieden in den Weg stellen .In Zeiten, in denen Flüchtlingsunterkünfte brennen, ist eswichtiger denn je, Programme gegen jede Form von Aus-grenzung und Rassismus zu unterstützen . Da sollten wirnicht darüber streiten, was von rechts und was von linkskommt, sondern es anpacken . Sehr geehrte Frau Ministe-rin, ich weiß, dass Ihnen das ein großes Anliegen ist undSie da Geld in die Hand genommen haben .Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass unserLand in Zukunft ein bunteres, ein gerechteres und ein to-leranteres Land sein wird .Danke .
Die Kollegin Ulrike Gottschalck spricht jetzt für die
SPD .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Seit der Ein-bringung des Haushaltes hat sich die Welt weitergedreht .Auch im Etat unseres Gesellschaftsministeriums musstenwir an Stellschrauben drehen, um den aktuellen Heraus-forderungen in der Flüchtlingspolitik gerecht zu werden .Gleichzeitig haben wir aber sichergestellt, dass anderewichtige Aufgaben darunter nicht leiden .Was verbirgt sich also hinter den 9 Milliarden Euro,die unserem Ministerium zur Verfügung stehen? 87 Pro-zent unseres Etats stehen für wichtige gesetzliche Aufga-ben zur Verfügung, etwa für das eben schon besproche-ne Elterngeld, das Kindergeld und den Kinderzuschlag,aber auch für die Finanzierung der Familienpflegezeit.Mit den restlichen 13 Prozent werden wertvolle Akzentein den Bereichen Familie, Senioren, Frauen und Jugendgesetzt . Ich darf einmal sagen: Unsere Ministerin machtBeate Walter-Rosenheimer
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das, flankiert von ihren Staatssekretärinnen, ganz her-vorragend . Ich möchte natürlich das ganze Team in meinLob einbeziehen .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Be-reinigungssitzung des Haushaltsausschusses vom 12 . aufden 13 . November ist es uns gelungen, erhebliche zusätz-liche Mittel für unser Ministerium zu mobilisieren . Andieser Stelle danke ich ausdrücklich meinem KollegenAlois Rainer für unsere wirklich immer sehr gute Zusam-menarbeit . Auch mit den Berichterstatterinnen und Be-richterstattern der Opposition macht die Arbeit meistensSpaß, auch wenn sie manchmal mit ihren Anträgen überdas Ziel hinausschießen . Ich möchte würdigen, dass derKollege Leutert immer einen Hauch von Realismus hat .Das, was ich eben von Herrn Wunderlich gehört habe –er bezeichnete die Summe, die wir für die unbegleitetenminderjährigen Flüchtlinge zur Verfügung stellen, als„Lachnummer“ –,
fand ich schon ziemlich unterirdisch und der Sache nichtangemessen .
Die Jugendhilfe ist immer noch eine Länderangelegen-heit, und auch die Länder tragen eine Verantwortung .Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich kommeaus dem Märchenland der Gebrüder Grimm;
aber ich kann weder Stroh zu Gold spinnen, noch habeich einen Dukatenscheißer .
Alois Rainer geht es genauso . Wir müssen schon schau-en, wie wir mit dem Geld umgehen .
Das ist auch bei den Grünen ein Problem, die mal eben2 Milliarden Euro mehr fordern: Es fehlt die Gegenfinan-zierung .Wir haben – da gehe ich auf Ekin ein – 500 000 Euromehr für den Unabhängigen Beauftragten für Fragen dessexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig,zur Verfügung gestellt, damit die unabhängige Kommis-sion zur Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauchihre Arbeit aufnehmen kann . Zukünftig werden da natür-lich weitere Mittel gebraucht .
Aber diese Mittel können nicht allein aus dem schmalenEtat unseres Familienministeriums kommen, sondern dasind auch andere Ministerien gefordert .
Ich bin froh, dass hier über den Etat des Gesundheits-ministeriums Stellen finanziert werden. Das ist eine gro-ße Hilfe . Frau Wanka ist aufgefordert, dafür zu sorgen,dass sich auch das Bundesministerium für Bildung undForschung beteiligt . Das würde mir persönlich sehr gutgefallen; denn es ist eine wichtige Aufgabe .
Wir konnten die Mittel für die Mehrgenerationen-häuser noch einmal aufstocken . Damit ist die Förderungvon zehn weiteren Häusern möglich . Sie sind wichtigeTreffpunkte in den Kommunen . 1,5 Millionen Euro mehrstellen wir bereit, damit junge Leute das Reformations-jubiläum vorbereiten können, 3 Millionen Euro mehr fürdas Deutsch-Griechische Jugendwerk, 2 Millionen Euromehr – also deutlich mehr – für die Arbeit des DeutschenBundesjugendrings; da haben wir schon einmal aufge-sattelt . Herr Wunderlich, es gab beim KJP nirgendwoirgendwann mal eine Kürzung . Im Gegenteil: Wir ha-ben jedes Jahr kontinuierlich aufgesattelt, in diesem Jahr2 Millionen Euro .
Wir stellen 15 Millionen Euro mehr für C1-Sprach-kurse bereit, damit gerade die jungen Leute, die zu unskommen und besser ausgebildet sind, ein Studium begin-nen können . Auch das gehört zur Integration . Ich bin sehrstolz, dass wir das hinbekommen haben . Ebenso habenwir es gemeinsam mit dem Kollegen Rainer geschafft,8 Millionen Euro mehr für die Jugendmigrationsdienstezur Verfügung zu stellen .
Frau Kollegin Gottschalck, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Wunderlich?
Aber sehr gerne . Das verlängert meine Redezeit?
Aber selbstverständlich .
Das hoffe ich nicht . – Hier meldet sich der Traumtän-zer . Unterhaltsvorschuss ist Bundessache . Kinderzu-schlag ist auch Bundessache . Ich weiß nicht, wie Siezu der Überzeugung kommen, das sei Ländersache . Soviel zur Traumtänzerei . Die Grünen haben das hier auchbeantragt . Wieso sprechen Sie dann immer nur von denLinken?
– Och, ja – jault doch!Ulrike Gottschalck
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Dann gucken Sie sich einmal unser Steuerkonzept an .Ich kann nicht nur eine Forderung aus dem Zusammen-hang reißen, dann eine falsche Voraussetzung anführenund sagen: Das ist nicht finanzierbar. – Da muss ich auchdie Risiken und Nebenwirkungen benennen sowie dieFinanzierung danebenlegen, und dann wird einiges klar .Aber die Zeit nehmen Sie sich ja nicht und machen sichnicht die Mühe . Sie greifen Einzelnes heraus, bewertenes dann völlig isoliert von allem anderen und sagen: Dassind die Spinner! – Das ist Spinnerei .
Das war eine Zwischenbemerkung, keine Frage, daherkann ich mich setzen .
Gut, dann bleiben Sie aber bitte stehen, damit ich auch
antworten kann .
– Wenn, dann will ich auch antworten .
Zum einen habe ich eben von der Jugendhilfe gespro-
chen, und Jugendhilfe ist Länderangelegenheit, sehr ge-
ehrter Herr Wunderlich .
Das andere ist: Es ist bei uns Haushältern – das mag Ih-
nen nicht gefallen – guter Brauch, auch Gegenfinanzie-
rungen im Haushalt darzustellen .
– Führen wir jetzt einen Dialog, oder wollen Sie meine
Antwort hören? Offensichtlich nicht; das ist auch schon
wieder eine Unhöflichkeit, und ich mache einfach weiter.
Vielen Dank .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben
6 Millionen Euro extra noch einmal für das Bundespro-
gramm „Willkommen bei Freunden“ zur Beratung und
Betreuung von jungen Flüchtlingen ausgegeben . Genau
dort sind auch die von Ihnen geforderten Akutprogram-
me, die Frau Schauws angesprochen hat, für traumati-
sierte Menschen oder aber Frauen und Kinder auf der
Flucht enthalten . Das haben wir extra eingefügt . Die
Haushälter haben also nicht nur Zahlen im Kopf, sondern
sind manchmal auch noch ganz normal und wissen, wo
Not am Mann ist .
Wir brauchen belastbare Netzwerke und zivilgesell-
schaftliches Engagement . Deshalb gibt es dafür noch
einmal 10 Millionen Euro mehr; denn Ehrenamt braucht
auch Strukturen, und das können wir damit leisten . Des-
wegen finde ich auch das sehr gelungen.
Ein besonderer Lichtblick ist für mich auch das Pro-
gramm „Demokratie leben!“ . Dass es uns erneut gelun-
gen ist, hier 10 Millionen Euro draufzusatteln, finde ich
schon ziemlich erstaunlich . Wir sind damit bei 50 Mil-
lionen Euro, und jeder Cent davon ist gut angelegtes
Geld . Da gebe ich auch dem Kollegen Leutert recht: Wir
müssen die jungen Menschen vor Extremismus schützen,
egal, ob vor Hasspredigern oder aber vor rechten Socken,
die die jungen Leute anbaggern . Wir müssen einfach auf-
passen und alles tun, was man an Prävention leisten kann .
Menschenverachtende Ideologien gibt es in jeder
Form; wir haben es ganz aktuell erlebt . Deshalb ist es
gut, dass auf Wunsch unserer Innenpolitiker auch eine
Antisalafismus-Koordinierungsstelle eingerichtet wird.
Denn auch diese Vernetzung brauchen wir, um in Zu-
kunft noch stärker ein Auge auf die sogenannten Schläfer
haben zu können .
Auf den Bundesfreiwilligendienst muss ich nicht
mehr eingehen; das haben die Ministerin und meine Vor-
rednerinnen – auch Carola Reimann – detailliert getan .
Ich finde es hervorragend, dass wir die Mittel für die
10 000 Bufdi-Stellen bereitstellen können und diese zu-
künftig ehrenamtliches Engagement vor Ort unterstützen
können .
Ich bin sehr stolz und hoffe nur, dass sich die Linken
und die Grünen, die im Haushaltsausschuss übrigens all
unseren Anträgen zugestimmt haben,
was ich auch sehr merkwürdig finde, vielleicht überle-
gen, dem Einzelplan 17 allgemein zuzustimmen .
Vielen Dank .
Nächster Redner ist der Kollege Marcus Weinberg für
die CDU/CSU .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichgehe fest davon aus, dass die Opposition diesem hervor-ragenden Haushalt für das Jahr 2016 zustimmt, und willam Anfang die Gelegenheit der Haushaltsdebatte nutzen,einmal die Grundsätze der Politik darzustellen, die sichdann auch im Haushalt abbilden müssen .Das ist für uns als Union und für uns als Große Koaliti-on eine gute Gelegenheit, noch einmal die wesentlichenPunkte unserer Familienpolitik zu definieren.Zwei Vorbemerkungen . Es dauert in der Familienpoli-tik Jahre, bis Maßnahmen Wirkung zeigen . Wir haben denSachverhalt, dass in Deutschland 30 000 Kinder mehr le-ben als im letzten Jahr . Die Geburtenrate ist also um fastJörn Wunderlich
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5 Prozent gestiegen . Das ist keiner einzelnen Maßnahmegeschuldet, sondern das ist einer Politik geschuldet, dieseit zehn Jahren Familienpolitik anders definiert. Endlichstehen die Familien in Deutschland im Fokus der Politik .Das merkt man an den Ergebnissen .
Man fährt auf den Schienen, die Frau von der Leyen vorzehn Jahren gelegt hat . Heute stellen wir hier und da dieWeichen noch einmal um . Das ist gut so; denn es ist dasBestreben der Großen Koalition, das zu verbessern, wasin Deutschland ohnehin schon gut funktioniert .Ich will mit dem Thema Integration – Herr Wunderlich,Sie hatten mich angesprochen – beginnen . Ja, wir habenin Deutschland in der Vergangenheit Fehler gemacht . Inallen Epochen des Migrationsprozesses haben wir gewis-se Aspekte nicht beachtet, zum Beispiel, dass Gastarbei-ter möglicherweise nicht nur Gäste sind, sondern dassdiese Menschen hierbleiben und sich hier verwirklichenwollen .Wir werden im Zuge der Integrationsbewegung ver-bindlicher werden müssen . Ich möchte, dass Menschen,die hier in Deutschland bleiben, eine Integrationsver-einbarung unterschreiben . Sie sollen sich zu unsererGesellschaft bekennen, wenn sie hier leben und derenVorteile genießen wollen . Sie müssen auch bereit sein,der Gesellschaft etwas zu geben . Ich glaube, dass mehrVerbindlichkeit wichtig wäre, sowohl für diejenigen, dieIntegration leisten müssen, die jetzt als Flüchtlinge nachDeutschland kommen, als auch für uns als aufnehmendeGesellschaft, die diese Menschen dringend braucht .Zu der Frage: Was sind unsere grundsätzlichen Werteund Positionen in der Familienpolitik? Für uns als Christ-demokraten und Christsoziale sind zwei Komponentendominierend . Die Erste ist das Thema der Freiheit . Wirwollen Familien Freiräume zur Gestaltung ihres Lebensgeben . Wir wollen sie nicht bevormunden . Wir wollennicht vorschreiben, wann sie das Kind in die Kita zu ge-ben haben . Wir wollen ihnen Angebote machen . Aber dieFreiheit der Familien steht bei uns an erster Stelle . Das istzentral für die Familienpolitik der Union .
Außerdem wollen wir den verschiedenen Famili-enmodellen Rechnung tragen . Es gibt über 20 ProzentAlleinerziehende, immer mehr Menschen sind nicht ver-heiratet und haben Kinder, die in diesen Partnerschaftengut erzogen werden, und es gibt die traditionelle Ehe; daswollen wir nicht bewerten . Wir wollen aber den Familiendie Freiheit geben, ihr Leben so zu gestalten, wie sie esmöchten; mit so wenig Staat wie möglich und nur dort,wo es nötig ist .
Zur zweiten Komponente unserer Familienpolitik .Wir erkennen durchaus, dass in unserer Gesellschaftnicht alle Menschen stark, reich und klug sind . Nein, wirhaben auch schwache Teile der Gesellschaft . Es gibt die-jenigen, die nicht so klug sind, und diejenigen, die nichtüber entsprechendes Vermögen verfügen . Deswegen er-greifen wir als Große Koalition konkrete Maßnahmen,um die schutzbedürftigen Gruppen zu stärken . Die Fa-milienpflegezeit und die Pflegezeit waren ein Ansatz, umauch denjenigen, die nicht reich sind, die Möglichkeitzu geben, sich um ihre nahen Angehörigen zu kümmern,wenn diese gepflegt werden müssen. Genau das Gleichegilt bei Vernachlässigung von Kindern und Kindesmiss-brauch . Auch hier geht es um Gruppen in der Gesell-schaft, die schwach sind .Deswegen stimme ich der Ministerin zu, wenn siesagt: Wir dürfen es jetzt im Rahmen der Flüchtlingsde-batte nicht zulassen, dass schwache Gruppen der deut-schen Gesellschaft gegen die Gruppe der Flüchtlingeausgespielt werden .
Wenn wir sagen, wir wollen Kinder schützen, dann ha-ben alle Kinder einen Anspruch darauf . Wenn wir sagen,dass wir Frauen vor Gewalt schützen wollen, dann habenalle Frauen einen Anspruch darauf, dass wir als Staat –das ist unsere Kernaufgabe: wir müssen die Schwachenschützen; die Starken kriegen es schon hin – sie schützen .Das wird auch in den nächsten zwei Jahren unser Leit-motiv sein .Das Prostituiertenschutzgesetz wurde angesprochen .Es geht darum, die schwächsten Prostituierten zu schüt-zen .
Wir dürfen mit Blick auf Bürokratie oder angesichts derBewältigung neuer Flüchtlingswellen keine Abstufungenvornehmen . Wir wollen nicht die eine schutzbedürftigeGruppe gegen die andere ausspielen .
Es wurde bereits gesagt: Wir haben den Etat im Ver-gleich zum Jahr 2005 verdoppelt . Nun ist Geld nicht allesim Leben – man genießt es, wenn man einmal reden darf,in einer Haushaltsdebatte zwölf Minuten lang darüberzu reden, wie wir Gelder verteilt haben –, aber der Auf-wuchs im Haushalt ist schon ein deutliches Zeichen da-für, dass die Familienpolitik auch in Bezug auf Quantitätein anderes Niveau erreicht hat . Dabei übernehmen wirviele Aufgaben der Länder und der Kommunen . In einersolchen Debatte muss es Zeit und Raum dafür geben, da-rauf hinzuweisen, dass wir vieles stemmen können, dasswir Kommunen und Länder entlasten und unterstützenkönnen, dass es in der Familienpolitik aber weiterhinKernaufgaben gibt, die den Ländern und den Kommunenzufallen . Aus dieser Verantwortung werden wir sie auchnicht entlassen .
Festzustellen ist aber: Wer meint, dass die Familien jetztdie Sparschweine der Nation sind, der irrt sich . Das ver-deutlichen die Haushaltszahlen, die gerade mehrfach eu-phorisch präsentiert wurden .Marcus Weinberg
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Es gibt noch einen Punkt, der wichtig ist: In dieserüber 90-minütigen Debatte sprechen wir darüber, wie wirdas Geld verteilt haben . All die Mittel, die wir für unserefamilienpolitischen Maßnahmen verteilen, müssen ande-re erwirtschaften . Um gute Familienpolitik machen zukönnen, ist es dringend notwendig, dass es unserem Mit-telstand, unseren Unternehmen und unserer Wirtschaftgut geht .
Deswegen ist die Kombination von Erwerbstätigkeit undFamilienzeit zentral . Wir sagen: Gemeinsam mit denMittelständlern und den Handwerkern schaffen wir das .Gute Arbeitnehmer sind glücklich zu Hause und glück-lich im Job . – Ich glaube, das dürfen wir niemals außerAcht lassen .Die zentralen Bausteine der Familienpolitik wurdenbereits angesprochen, auch das Elterngeld . Das ist einErfolgsmodell, das nachhaltig wirkt . Wir haben an eini-gen Stellschrauben gedreht, die Weichen etwas andersgestellt und dieses Erfolgsmodell weiterentwickelt . Imersten Quartal 2015 haben fast 950 000 Eltern das Eltern-geld in Anspruch genommen . – Eckhardt Rehberg gucktda ganz bedröppelt, weil er weiß, dass das fast 6 Milliar-den Euro kostet . Wir wissen, dass das schwer erkämpftesGeld ist . Es ist aber gut angelegt . Wir stehen zu unseremVersprechen: Es wird keine Absenkung beim Elterngeldgeben . Das sei ausdrücklich noch einmal versichert .
Ein weiteres Erfolgsmodell ist der Ausbau der Kinder-tagesbetreuung . An dieser Stelle komme ich noch einmalauf die Kommunen und die Länder zu sprechen . Ja, wirhaben uns darauf verständigt, die Kommunen zu entlas-ten, weil es sich um eine nationale Aufgabe handelt . Da-mit erreichen wir drei Dinge, zum einen die berühmteVereinbarkeit von Familie und Beruf, zum anderen dieMöglichkeit, frühzeitig Bildungsimplikationen zu gestal-ten – frühe Bildung ist wichtig; jeder Euro, den ich beieinem Zweijährigen investiere, erspart später viele Eurobei den älteren Kindern; wir reparieren ohnehin zu vielin Deutschland; wir müssen mehr investieren; das istalso unter bildungspolitischen Gesichtspunkten richtiginvestiertes Geld –, und zum Dritten sorgen wir damitfür Gerechtigkeit; denn insbesondere die Alleinerziehen-den profitieren vom Ausbau der Kindertagesbetreuung.Insoweit ist das eine gute und richtige Maßnahme . Wirentlasten die Länder und Kommunen dabei tatsächlichmit 945 Millionen Euro . Das ist viel Geld, das muss indieser Debatte immer wieder betont werden . Das ist fast1 Milliarde Euro .
Aber wir sehen auch die Erfolge: Die Betreuungsquo-te liegt mittlerweile bei 32 Prozent; 660 000 Kinder unterdrei Jahren werden betreut, das ist mehr als doppelt soviel wie im Jahr 2008 . Es ist wichtig, dass es dadurchnicht zu Einschränkungen beim Betreuungsschlüssel, derfür die Qualität maßgeblich ist, kommt . Wir haben immergesagt: Wir wollen nicht, dass Kinder betreut werden;wir wollen, dass Kinder gut betreut werden, denn nichtsist schlimmer für ein Kind und eine Familie, als wenn dieBetreuung nicht funktioniert. Bei Defiziten hinsichtlichder Qualität müsste man sagen: Das ist kein Erfolgsmo-dell . Die Zufriedenheit der Eltern bestätigt aber diesenAnsatz . Die Zufriedenheit der Eltern wurde in einer ak-tuellen Studie noch einmal überprüft . Die Eltern habengesagt: Wir sind mit der Betreuung zufrieden .Es ist auch richtig, zu fragen: Wo können wir nochetwas verändern? Die vorgesehenen 100 Millionen Eurofür Angebote zu besonderen Zeiten – nachts oder amWochenende –, als Ausnahme, sind gut und wichtig . Wirwerden aber darauf achten, dass wir kein System bekom-men, in dem Kinder möglicherweise zu intensiv betreutwerden . Wir wollen das als besonderes Angebot gestal-ten . Wir wollen eine Ausnahmesituation gestalten . Dafürist dieses Angebot richtig . Genauso richtig sind übrigensdie Angebote, die im Rahmen des Programms „Sprach-Kitas“ weiterhin bestehen, weil uns das Thema Inte-gration wichtig ist . Hierfür werden wir weiterhin Geldereinsetzen .Denken wir an das Dreieck aus Geld, Infrastrukturund Zeit . Über das Kindergeld, die Kinderfreibeträgeund den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, der nachzehn Jahren endlich um 600 Euro erhöht wurde – das wardringend notwendig, und wir haben das gemacht –, wur-de schon viel gesagt . Wir haben auch das Kindergeld undden Kinderzuschlag erhöht . Damit schaffen wir es, mehrund mehr Familien aus dem Hartz-IV-Bezug zu holen .Wir geben ihnen damit die Möglichkeit, ihr Leben zu ge-stalten .Ich möchte zwei, drei Besonderheiten dieses Haus-halts ansprechen . Gelegentlich sind es die Kleinigkeiten,die wichtig sind . Ich danke dem Alois ganz herzlich fürdie große Unterstützung in dieser Frage . Uns als Unionwaren einige Dinge besonders wichtig .Stichwort: schutzbedürftige Gruppen . Wir als Staathaben die Aufgabe, diese Gruppen, die es nicht alleinekönnen, zu schützen . Denn sie haben nichts anderes alsuns . Einige Erfolge haben wir jetzt auch im Haushalt um-setzen können . Ich will nur zwei, drei Dinge ansprechen .Das eine ist eine Kinderschutzhotline, die jetzt einge-richtet werden soll .
Das ist keine große Geschichte, aber hier besteht dieMöglichkeit, dass wir Medizinern die Chance bieten,wenn zum Beispiel am Wochenende Eltern mit Kindernin die Notfallambulanz kommen, bei denen man nichtgenau weiß, was da passiert ist, Unterstützung und Be-ratung zu bekommen . Wir haben im Jahr 40 000 Inob-hutnahmen . Wir haben über 120 000 Gefährdungssitu-ationen von Kindern und Jugendlichen . Bei jedem Kindmuss geschaut werden, was dort passiert und wie wir ein-greifen können . Deswegen ist es gut und richtig, dass wirdiese Kinderschutzhotline jetzt implementieren .
Weiter werden wir Frauen und Flüchtlingsfrauen, dievergewaltigt wurden, die auf der Flucht viel Leid erlebthaben, jetzt mit einem Beratungsangebot unterstützen .Marcus Weinberg
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Bereits angesprochen wurde – das finde ich absolutwichtig – die finanzielle Ausgestaltung der Kommissionzur Aufarbeitung des Kindesmissbrauchs .Ehrenamt ist Teil dieser Gesellschaft . Wir erleben ge-rade etwas Faszinierendes; das wurde von der KolleginGottschalck bereits angesprochen . Ehrenamt ist eine ge-wisse Zeit auch für sich tragend, aber irgendwann musses Strukturen geben, irgendwann muss es eine Organisa-tion geben . Die 10 000 neuen Stellen sind wichtig . Jetztwird es darauf ankommen, dass wir uns das Verfahrengenau anschauen . Das, was diese Menschen in unseremLand momentan hinsichtlich der Flüchtlingswelle leis-ten, ist hervorragend, aber es muss jetzt auch gestärktund längerfristig aufgebaut werden .Zusammenfassend kann man sagen: Dieser Haushaltbildet tatsächlich das ab, was uns trägt . Wir schaffen einbisschen mehr Freiheit und Entscheidungsfreiheit für dieFamilien, und wir generieren Freiräume . Auf der anderenSeite schützen wir die Schwachen . Das, was diese Ge-sellschaft auszeichnet, das Ehrenamtliche, das Engage-ment der bürgerlichen Gesellschaft – weg von Politik –,werden wir weiter stärken . Das ist in diesem Haushaltwieder einmal gelungen .Insoweit kann ich mir gut vorstellen, dass die Opposi-tion diesen Haushalt zumindest nicht ablehnt . Das wäreauch ein Zeichen von Anerkennung . Im Übrigen darf ichdiese Anerkennung mit Blick auf die Opposition gernezurückgeben. Ich finde unsere Haushaltsdebatten inhalt-lich wirklich gut . Ich danke an dieser Stelle der Opposi-tion auch für sachliche Kritik . Das hat man nicht überallso . Herzlichen Dank dafür und herzlichen Dank für die-sen tollen Entwurf!
Der Kollege Sönke Rix spricht als Nächster für die
SPD .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ichmich dem Dank anschließen . Wir haben schon hitzigereDebatten zur Familien- und Gleichstellungspolitik ge-führt .
Der Kollege Wunderlich hat sich Mühe gegeben, das hierein bisschen streitbarer zu machen .
Aber ich sage an dieser Stelle auch: Ich glaube, es istangesichts der Herausforderung, die wir im Moment ha-ben, sinnvoll, an der einen oder anderen Stelle gemein-sam Dinge zu unterstützen . Deshalb geht mein Dankauch an Sie . Sie haben heute in Ihrer Rede als Haushälterder Linksfraktion deutlich gemacht, wie wichtig es ist,gemeinsam dafür einzustehen, zusätzliche Mittel zur Ex-tremismusbekämpfung, zur Förderung von Demokratieund Toleranz zur Verfügung zu stellen . Ich will an dieserStelle darauf hinweisen, dass es sowieso einen gemeinsa-men Beschluss dieses Hauses gibt, die Mittel zu versteti-gen bzw . die Mittel zu erhöhen . Ich bin den Haushälterndankbar, dass sie das hier in großem Einvernehmen ge-schafft haben .
In diesen Tagen hat der zweite NSU-Untersuchungs-ausschuss seine Arbeit aufgenommen . Ein Bestandteildessen, was wir im ersten Bericht aufgeschrieben haben,war die Stärkung der Zivilgesellschaft . Ich glaube, mitden zusätzlichen Mitteln in diesem Bereich kommen wirder Aufgabe nach, die wir uns durch diesen Bericht sel-ber gestellt haben .Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass man inder Haushaltsdebatte, wenn sie in der Mitte der Wahlpe-riode stattfindet, auch ein bisschen Bilanz ziehen kann.Ich finde, die Bilanz für die ersten beiden Jahre kann sichsehen lassen. Mit dem Elterngeld Plus, mit der Pflegezeit,mit einer Erhöhung der Mittel für Kitas usw . haben wirviel erreicht . Wir haben die Quote eingeführt, auch wennes dazu an der einen oder anderen Stelle hitzige Debat-ten – zum Teil auch mit unserem Koalitionspartner – gab .Ich will an dieser Stelle auch darauf aufmerksam ma-chen, dass wir im Bereich Gleichstellungspolitik nocheinen großen Batzen vor uns haben, den wir im Koaliti-onsvertrag vereinbart haben . Herr Kauder hat gestern inder Generaldebatte noch einmal deutlich gemacht, dassdas, was im Koalitionsvertrag steht, auf jeden Fall um-gesetzt wird .Wir haben mit dem Lohngerechtigkeitsgesetz, dem Ent-geltgleichheitsgesetz, noch einen großen Batzen vor uns .Wir sind dafür, dass auch hier genau das umgesetzt wird,und zwar mit Punkt und Komma, was im Koalitionsver-trag steht,
natürlich – das hat der Fraktionsvorsitzende der Unionauch gesagt – nicht darüber hinaus .Aber er hat heute auch gesagt, wir dürfen die Wirt-schaft, auch wenn es ihr gut geht, nicht zu sehr testen .Ich glaube, er hatte dabei auch dieses Gesetz ein bisschenim Hinterkopf . Ich appelliere aber an Sie, es genau um-gekehrt zu sehen: Je besser die Frauen bezahlt werden,umso besser ist das auch für die Wirtschaft . Deshalb wärees gut und vernünftig, zu sagen: Dieses Gesetz wird einszu eins, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, umgesetzt,liebe Kolleginnen und Kollegen .
Man wächst mit seinen Aufgaben . Ich glaube, das wirdauch deutlich, wenn man den Regierungsentwurf mit demHaushalt vergleicht und sich die Veränderungen vor Au-gen hält . Es gibt nicht nur zusätzliche Mittel für Demo-kratie, sondern auch für bürgerschaftliches Engagement .Marcus Weinberg
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Auch hier betonen wir: Diese zusätzlichen Mittel für bür-gerschaftliches Engagement wurden nicht nur aufgrundder aktuellen Flüchtlingssituation bereitgestellt, sondernes gibt auch zusätzliche Mittel im Hinblick auf den Zu-sammenhalt der Gesellschaft insgesamt . Es sind kleine,aber wichtige Beträge, die den Wohlfahrtsverbänden undden Jugendverbänden zugutekommen .Übrigens weiß ich nicht, wie Sie auf eine Kürzungkommen, Kollege Wunderlich . Für die Jugendverbändehaben wir nämlich zusätzliches Geld bereitgestellt . Dennwir wissen: Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist nichtnur dann, wenn die Flüchtlingssituation so ist, wie siederzeit ist, notwendig, sondern auch in anderen Zeiten .Deshalb ist es gut, dass wir diesen beiden großen Ver-bandsgruppen zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen .
Auch die zusätzlichen Mittel, die wir fürs Ehrenamtzur Verfügung stellen, machen einen ganzen Batzen aus;hier haben wir natürlich insbesondere die Flüchtlinge imBlick . Darüber hinaus stellen wir zusätzliche Mittel fürdie Bufdis bereit . Das ist Geld, das wir angesichts derzusätzlichen Aufgaben, die wir haben, gut investieren .Außerdem haben wir zusätzliches Geld – wenn auchnicht viel; aber damit machen wir deutlich, wie wichtigsie uns sind – für die Mehrgenerationenhäuser in dieHand genommen . Auch das ist ein wichtiger Beitragzum Zusammenhalt unserer Gesellschaft . Sie sehen also:Nicht nur aufgrund der Flüchtlingssituation wurde mehrGeld in unseren Haushalt gespült, sondern auch, weil esuns um die Frage des Zusammenhalts der Gesellschaftinsgesamt geht .Ich bezeichne das Ministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend immer ganz gerne als Gesellschafts-ministerium . Wenn man den Haushalt so betrachtet, dannhaben wir einen großen Schritt in Richtung Zusammen-halt der Gesellschaft getan . Dafür danke ich nicht nur denHaushältern, sondern dem Parlament insgesamt .Danke schön .
Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die
Kollegin Sylvia Pantel von der CDU/CSU .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Star-ke Familien sind die Garantie für ein starkes Land . Mitdem Haushalt 2016 für den Arbeitsbereich des Ministeri-ums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigt dieBundesregierung, wie wichtig starke Familien für diesesLand sind . In diesen Tagen, die von Terror, Trauer, Notund Elend geprägt sind, ist das Wohl der Familien in un-serem Land der tägliche Ansporn für unsere Familien-politiker . Wir diskutieren und streiten, wir sprechen mitFachleuten und arbeiten dafür, dass Familien in diesemLand eine gute Zukunft haben .Die Familien sind das Rückgrat unserer Gesell-schaft . Durch unsere Politik schaffen wir für Familienin Deutschland die Rahmenbedingungen, die sie benöti-gen, um zufrieden und gesund in unserem Land zu leben,ganz nach ihren Vorstellungen . Eigenverantwortung undWahlfreiheit gehen Hand in Hand und gehören zusam-men .Starke Familien finden wir in klassischen Famili-enbildern wie auch bei den vielen Alleinerziehendenin unserem Land, für die diese Regierung umfangrei-che Unterstützung bereitstellt . Der Haushalt des Bun-desfamilienministeriums mit seinen über 9 MilliardenEuro unterstützt sie . Damit stärken wir die Familien inDeutschland generell .
Starke Familien erziehen starke Kinder . Durch Eltern-geld, Kindergeld und steuerliche Entlastung schaffen wirin den Familien den erforderlichen finanziellen Spiel-raum für Mütter und Väter . Sie bekommen die Gelegen-heit, in der Zeit nach der Geburt ihres Kindes mehr Zeitfür ihre Familie zu haben .Starke Familien bieten Schutz: Schutz vor Einsam-keit und Schutz vor Verwahrlosung . Starke Familienstärken den Einzelnen in jedem Alter. Die Familienpfle-gezeit gibt Menschen in unserem Land die Möglichkeit,sich verstärkt um ihre Angehörigen im Krankheitsfall zukümmern . Dadurch können die Betroffenen besser aus-wählen, ob sie in ihrer gewohnten Umgebung bleibenoder eben nicht .Es gibt aber leider auch Fälle, in denen Familiennicht den nötigen Schutz und Rückhalt bieten können .Dann bieten wir als Gesellschaft den nötigen Halt undschaffen Angebote zur Hilfe . Gestern war der Interna-tionale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen .Ich selbst habe mich in Köln im Bundesamt für Familieund zivilgesellschaftliche Aufgaben, dem BAFzA, überdie Arbeit des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ in-formiert . Dort wird eine beeindruckende Arbeit geleistet,und durch das rund um die Uhr einfach zu erreichendeAngebot können sich Frauen in Not Hilfe holen, sogar in15 verschiedenen Sprachen .Das gleiche Lob gilt übrigens auch für das Hilfetele-fon „Schwangere in Not“ . Um die telefonischen Hilfsan-gebote zu erweitern, stellen wir mit dem Haushalt 2016 1,35 Millionen Euro, verteilt auf die kommenden dreiJahre, zur Verfügung . Eine Kinderschutzhotline soll –das haben wir eben schon gehört, aber man kann es nichtoft genug hören – für Ärzte und medizinische Fachkräfteeingerichtet werden . Bei dieser Hotline bekommen sieRat, wenn der Verdacht besteht, dass ihre kleinen Patien-ten misshandelt oder missbraucht werden .Eine unserer wichtigsten Aufgaben wird langfristigbleiben, die verschiedenen Hilfsangebote von Bund,Ländern und Kommunen zu verzahnen und bekannter zumachen . Man darf das aber nicht verwechseln – das wur-de eben gemacht – und glauben, dass wir dann die Zu-Sönke Rix
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ständigkeiten oder auch die finanzielle Last des anderenübernehmen . In der Verzahnung müssen wir allerdingsnoch besser werden .Bei diesem Thema freut es mich sehr, dass auch dieOpposition mit uns an einem Strang zieht . Beim Schutzder Schwächsten arbeiten wir alle zusammen und denkennicht an Parteigrenzen, sondern an den möglichst effekti-ven Schutz von Kindern als mögliche Opfer .
Da, wo Familien nicht stark genug sind, stärken wirsie und helfen ihnen . Starke Familien verbinden die Ge-nerationen . Die Mehrgenerationenhäuser sind ein Segenfür unsere Gesellschaft . Sie leisten großartige Arbeit undstärken den Gedanken vom Leben und Lernen über dieGenerationsgrenzen hinweg . Im vergangenen Jahr warenwir noch froh darüber, die Mittel für die Mehrgenerati-onenhäuser sichern zu können . Durch die zusätzlichenMittel im Haushalt 2016 werden wir es sogar ermögli-chen, zehn weitere Mehrgenerationenhäuser in unseremLand zu gründen .Wer Familien stärken will, muss insbesondere auchdie Großfamilie stärken . Wir müssen mehr für kinderrei-che Familien tun . Eine Familie mit mehr als zwei Kin-dern muss bezahlbaren Wohnraum finden können. Dasgleiche Problem kennen wir aus unserem Alltag: EineFamilieneintrittskarte zum Beispiel darf nicht nur für El-tern mit zwei Kindern gelten .
Starke Familien, ganz gleich wie viele Kinder sie haben,müssen in Deutschland als Bereicherung für unser Landangesehen werden .
Es gilt der schöne Satz: Das Lachen der Kinder ist dieMusik der Zukunft .Gerade erst am Dienstag hat das Institut der Deut-schen Wirtschaft in einer Studie wieder gezeigt, dassunser Land immer kinderfreundlicher wird . Dank derPolitik der unionsgeführten Bundesregierung herrschtin Deutschland ein Klima, in dem sich Familien wohl-fühlen . Dass unsere vielfältigen Maßnahmen, um einfamilienfreundliches Klima zu schaffen, wirken, zeigendie Geburtenzahlen . 2014 wurden 715 000 Kinder inDeutschland geboren, fast 5 Prozent mehr als im Vorjahr .Lassen Sie uns Familien noch stärker machen, und freuenwir uns über diesen Trend .Starke Familien beugen Extremismus vor . Angriffeauf unsere freie Gesellschaft kommen nicht nur von au-ßen. Sie kommen von jungen Menschen, denen häufigdie Grundwerte der Menschlichkeit abhandengekommensind . Menschen, die sich extremistischen Ideologien hin-geben, haben meist nie einen ordentlichen Wertekompassvermittelt bekommen .
Hier setzen wir an . Über 50 Millionen Euro werdenwir im Haushalt 2016 dafür einsetzen, unsere Demokra-tie zu schützen . In einer Vielzahl von Programmen be-kämpfen wir Extremismus und Gewalt . Es ist für unsereGesellschaft inakzeptabel, wenn Flüchtlingsunterkünftein Brand gesetzt werden . Wir tolerieren es nicht, wennZeitungsredaktionen angegriffen werden . Es ist für un-sere Gesellschaft aber genauso inakzeptabel, wenn eineAfD-Politikerin im Internet für vogelfrei erklärt und da-nach ihr Auto in Brand gesetzt wird oder wenn Bundes-wehrgegner nachts die Radmuttern von Militärfahrzeu-gen lösen .Es gibt keinen politisch gerechtfertigten Extremismus .In unserer Gesellschaft wird politisch mit Worten gestrit-ten, nicht mit Gewalt . Es darf weder Gewalt gegen Men-schen noch Zerstörung fremden Eigentums geben . Darinmüssen sich alle Demokraten einig sein .
Mit dem Haushalt 2016 stellen wir weitreichendeMittel für die Integration von Flüchtlingen bereit . Ganzgleich, wie sich in den kommenden Wochen die politi-schen Debatten über Aufnahmestopp und Kontingenteentwickeln werden: Zu Weihnachten dieses Jahres wer-den mindestens 1 Million Menschen Zuflucht in Deutsch-land gesucht haben . Diese Menschen sind hier . Sie stehenvor uns und bitten um Hilfe . Es sind viele junge Männer,aber auch viele Frauen, Alte und Kinder dabei .Neben den zahlreichen staatlichen Leistungen wirddie Hilfe in unserem Land maßgeblich von Ehrenamtli-chen geleistet . Die Zivilgesellschaft zeigt jeden Tag, wiegroßzügig und hilfsbereit unsere Bevölkerung und wiestark unser Zusammenhalt ist . Dafür möchte ich herzlichDanke sagen .
Zusätzlich zu den anderen Hilfsgeldern und Sofort-maßnahmen stellen wir über 6 Millionen Euro für dieWohlfahrtsverbände zur Verfügung, um Berater undExperten auszubilden . Mit zusätzlichen 48 MillionenEuro werden 10 000 Stellen im Bundesfreiwilligendienstfinanziert. Die Jugendmigrationsdienste bekommen8 Millionen Euro zusätzlich . Und wir investieren weitere15 Millionen Euro, um gut ausgebildeten Flüchtlingenschnell und gut die deutsche Sprache beizubringen . Siesollen sich in den Arbeitsmarkt integrieren oder ihr Stu-dium abschließen können .Wir werden aber auch eine Antisalafismuskoordinie-rungsstelle einrichten, um gegen religiösen Extremismusim Land vorzugehen . Starke Familien in Deutschlandkönnen auch hier Vorbild sein . In starken Familien sindMänner und Frauen gleichberechtigt . In diesen Familienbekommen die Kinder eine gute Ausbildung, und Extre-mismus hat in ihnen keinen Platz hat .Keinen Platz – erlauben Sie mir diese Bemerkung amRande – sehe ich in Deutschland übrigens auch für dieVollverschleierung . Ein Niqab oder eine Burka sind kei-ne Zeichen gelebter Religionsfreiheit, sie sind ein Zei-chen von Unterdrückung und Unfreiheit .
Sylvia Pantel
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Das hohe Gut der Religionsfreiheit darf nicht ausgenutztwerden, um Integration zu hemmen und Parallelgesell-schaften zu zementieren .Lassen Sie mich zum Abschluss meiner Rede noch aufeinen Haushaltstitel kommen, den ich besonders erwäh-nen möchte . Wir investieren erstmalig 3 Millionen Euroin das Deutsch-Griechische Jugendwerk . Durch die Fi-nanzkrise hat das gegenseitige Verständnis unserer einstso eng verbundenen Länder gelitten . Ganz besonders diegriechische Jugend ist von der schlechten Situation ihresLandes betroffen . Daher wollen wir dieses Jugendwerkeinrichten und nach dem Vorbild des Deutsch-Französi-schen oder des Deutsch-Polnischen Jugendwerkes arbei-ten, die herausragende Arbeit für die Freundschaft zwi-schen unseren Völkern leisten . Das ist eine Investition ineine starke europäische Völkerfamilie .Unsere Wirtschaft ist stark . Ich bin froh, dass wir trotzder gestiegenen Ausgaben in allen Ressorts einen aus-geglichenen Haushalt vorlegen können und keine neuenSchulden machen . Haushaltsdisziplin ist eine familiärePflicht, die wir gegenüber unseren Kindern und Enkelneinzuhalten haben .Frau Walter-Rosenheimer, weil Sie vorhin Bayern an-gesprochen haben: Wenn alle anderen Bundesländer sogute Ergebnisse bei der Bildung, der inneren Sicherheitund im Umgang mit Flüchtlingen hätten, dann wäre ichsehr zufrieden . Insofern bin ich froh, dass wir ein solchesBeispiel haben .Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ein-
zelplan 17 – Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend – in der Ausschussfassung . Wer dafür
stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 17 ist da-
mit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen von den Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen angenommen .
Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/
Die Grünen haben gebeten, jetzt die Sitzung für etwa
eine Stunde wegen Fraktionssitzungen zu unterbrechen .
Der Wiederbeginn der Sitzung wird also gegen 18 Uhr
sein und rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt .
Ich unterbreche damit die Sitzung .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
recht herzlich und wünsche Ihnen einen schönen Abend
in diesen nicht ganz einfachen Zeiten . Ich begrüße auch
die Gäste auf der Tribüne .
Ich hoffe, dass die Rednerinnen und Redner auf der
Redeliste, die jetzt noch nicht im Saal sind, noch recht-
zeitig kommen werden .
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und rufe
den Tagesordnungspunkt I .17 auf:
Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung und Land-
wirtschaft
Drucksachen 18/6110, 18/6124
Jetzt muss ich auf die Bitte einer Fraktion im Deut-
schen Bundestag noch einmal unterbrechen . Die SPD
bittet um eine weitere Unterbrechung, weil sie noch ein
bisschen braucht . – Könnte man ein bisschen präzisieren,
was „ein bisschen“ heißt? – Also: Um 18 .25 Uhr geht es
weiter . Dann lese ich aber nicht alles noch einmal vor,
sondern wir fangen dann gleich an . Der erste Redner der
SPD kommt als vierter Redner dran . Ich glaube, dann
kommt er immer noch rechtzeitig . Um Punkt 18 .25 Uhr
geht es weiter . Entschuldigen Sie bitte, dass wir jetzt
noch einmal fünf Minuten unterbrechen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet .
Entschuldigen Sie bitte die zweimalige Unterbre-
chung .
Den Tagesordnungspunkt I .17 – Einzelplan 10 – Bun-
desministerium für Ernährung und Landwirtschaft – habe
ich bereits aufgerufen .
Die Berichterstattung erfolgt durch die Abgeordne-
ten Cajus Caesar, Ulrich Freese, Heidrun Bluhm und
Sven-Christian Kindler .
Zum Einzelplan 10 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Es wäre schön, wenn Sie sich an Ihre Redezeiten hal-
ten würden, sodass wir es schaffen, im vorgegebenen
Rahmen von 96 Minuten zu bleiben .
Heidrun Bluhm hat als Erste für die Linke das Wort .
Sie eröffnet unsere Debatte . – Frau Bluhm, Sie haben das
Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Minister! Ich bin jetzt die Erste, die imPlenum spricht, nachdem soeben alle Abgeordneten desDeutschen Bundestages von der Regierung darüber in-formiert worden sind, dass sich Europa und damit auchDeutschland auf einen militärischen Angriff auf die Ge-biete des „Islamischen Staates“ vorbereitet . Ich will sa-gen: Es fällt mir deshalb extrem schwer, jetzt einfach zurTagesordnung überzugehen und mich darauf zu konzent-rieren; ich will es aber trotzdem versuchen .Sylvia Pantel
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 140 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . November 201513800
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, 90 Prozent der Flä-che in der Bundesrepublik sind ländlicher Raum . Jedezweite Bürgerin und jeder zweite Bürger wohnt im länd-lichen Raum . Er ist damit keine Peripherie, kein Rand-bereich und auch kein Teil Deutschlands, der lediglichals Standort der Agrar-, Forst- und Energiewirtschaft ver-standen werden darf .
Nein, der ländliche Raum ist Lebensraum; der ländlicheRaum ist Deutschland . Das ist der Hintergrund, vor demwir den Einzelplan 10 zu besprechen haben .Die Lebensrealität und die Lebensqualität der Hälfteder Bevölkerung Deutschlands hängen von der Politikab, die wir für den ländlichen Raum machen oder viel-mehr machen könnten . Bisher haben wir aber entwederdie Entwicklung im Zusammenhang mit dem demogra-fischen Wandel eher sich selbst überlassen oder sind derhohen Bedeutung, auch mit Verantwortung verbunden,viel zu wenig gerecht geworden .Hier geht es darum, dass wir über die Rahmenbedin-gungen für die Menschen reden, die unsere Naturland-schaft pflegen, die die Ernährung aller in Deutschland si-chern, die mittlerweile weite Teile der Verbraucher auchmit Energie versorgen; in meinem Bundesland Mecklen-burg-Vorpommern ist das jedenfalls so .Das ist der Maßstab, an dem wir den Haushalt desLandwirtschaftsministeriums für 2016 messen müssen .Herr Minister, da muss ich Ihnen leider sagen: DiesemAnspruch werden wir mit einem Gesamtetat von knapp5,6 Milliarden Euro nicht gerecht werden können .
Klar, auch wir begrüßen den Aufwuchs um knapp250 Millionen Euro im Vergleich zu 2015 . Das ist eineSteigerung um insgesamt 4,65 Prozent . Aber gemessenan der Gesamtsumme, die der Bund 2016 ausgeben wird,sind das nur 1,77 Prozent .Wie sieht das Leben auf dem Land heute konkret aus?Fährt der Bus die 80-jährige Dame noch zum nächstenÄrztehaus, oder unterlässt sie den Arztbesuch eventuell,weil ihr der Weg zu schwer und kein Landarzt mehr inder Nähe ist? Sind öffentliche und lebensnotwendigeVersorgungseinrichtungen überhaupt noch in der Flächepräsent und erreichbar? Hängen wir Teile Deutschlandsdigital nicht ab? Können Jugendliche Bildung und Teil-habe in gleicher Weise wie in großen Städten erfahren?Ist Daseinsvorsorge heute noch jedem zugänglich? Odersind es nur noch ökonomische Kennwerte, die die Bun-desregierung bei ihrer Strukturpolitik interessieren, wiees sich beispielsweise beim neuen Krankenhausstruktur-gesetz oder auch beim Breitbandausbau beweisen lässt?Öffentliche Dienstleistung nur dort, wo sie sich rechnetoder private Gewinne generiert? Dieses Politikverständ-nis lehnen wir entschieden ab .
Aber genau das ist der Trend, der sich seit vielen Jahrenvollzieht .Die Linke fordert einen starken Staat . Wenn es um dieGrundbedürfnisse der Menschen geht, dürfen Renditeund wirtschaftliche Effizienz nicht im Fokus stehen. Auf-gabe von Politik ist es, das zu sichern, was die Menschenbrauchen, auch wenn es sich vielleicht nicht rechnet .
Nur die Starken können sich einen schwachen Staat leis-ten . Deshalb brauchen wir eine Gemeinschaftsaufgabefür die Entwicklung der ländlichen Räume; und weil esheute um den Haushalt geht, fordere ich das auch finan-ziell .
Ich weiß, Herr Schmidt, Ihnen sind die Probleme be-kannt . Sie erkennen die Potenziale des ländlichen Rau-mes . Sie erkennen auch die Investitionsbedarfe, die beiInfrastrukturmaßnahmen, der Dorf- und Regionalent-wicklung bestehen . Das werden Sie vielleicht auch inIhrer Rede gleich noch einmal zum Ausdruck bringen .Aber was nützt es, wenn Ihre Rede in keiner Weise mitden Zahlen im Haushalt in Übereinstimmung zu bringenist?Und hier hatte ich eigentlich große Hoffnung . ÜberParteigrenzen hinweg wurde die Forderung von 200 Mil-lionen Euro mehr für die Gemeinschaftsaufgabe „Ver-besserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“unterstützt, in der die Mittel für die ländliche Raument-wicklung abgebildet sind – Herr Seehofer vorweg, dieSPD sogar mit Vorstellungen im Bereich von 500 Milli-onen Euro . Dass Sie da also etwas machen mussten, warIhnen klar, und Sie standen in dieser Frage auch unterDruck . Aber was ist rausgekommen? Um ganze 5 Pro-zent erhöhen Sie die Mittel für die Gemeinschaftsauf-gabe . 30 Millionen Euro sind übrig geblieben von dengewünschten 200 Millionen Euro, die selbst Ihre eigenePartei, der Bauernverband, die Bundesländer und auchwir Linke gefordert haben .Eine wirkliche Reform der Gemeinschaftsaufgabehatten Sie in Aussicht gestellt; sie sollte zu einer Gemein-schaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ werden . Übriggeblieben ist etwas, was man nicht mal mehr Reförmchennennen könnte . Nahversorgung, die Förderung landwirt-schaftsferner KMU, die Umnutzung von Gebäudebestän-den – ja, diese Maßnahmen sind richtig und überfällig,und auch die leichte Mittelaufstockung begrüßen wir na-türlich . Aber ich bin mir ganz sicher, Herr Minister: AuchSie können mit diesem Ergebnis nicht zufrieden sein .
Doch Sie vertreten hier die Regierung, und deshalb ma-che ich bei Ihnen auch die Defizite dieser Politik fest.Die Linke sagt: Wir dürfen vor allem strukturschwa-chen Kommunen die Zukunft nicht verbauen . Sie brau-chen dringend Unterstützung bei der Bewältigung desStrukturwandels .
Heidrun Bluhm
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Hier kommt nicht nur nicht viel voran . Hier unterlassenwir sehenden Auges Investitionen in die Zukunftsfä-higkeit der ländlichen Räume . Und wenn das in Ihremeigenen Haushalt nicht eingestellt werden konnte, dannwürde ich Sie bitten, Herr Minister: Treten Sie vielleichtHerrn Dobrindt ein bisschen in die Rippen, dass er dannwenigstens die notwendigen Mittel für den Breitband-ausbau auch im ländlichen Raum zur Verfügung stellt .
Die kommunale Finanznot steht der Strukturförderungaber als grundlegendes Problem entgegen . Wenn Kom-munen nicht mehr in der Lage sind, das tägliche Lebender Menschen auf dem Lande attraktiv zu machen, dannwerden auch sie bei nächster Gelegenheit wahrscheinlichin Ballungsräume abwandern . Dann bauen wir dort, inden Ballungsräumen, noch mehr Wohnungen auf immerweniger Lebensraum und vernichten damit unsere histo-rischen ländlichen Lebensräume und nicht zuletzt auchgesellschaftliches und privates Eigentum . Herr Minister,das wollen Sie nicht . Die Kolleginnen und Kollegen derKoalition wollen das hoffentlich auch nicht, und die Op-position will das sowieso nicht .
Für 2016 ist die Chance vertan, Daseinsvorsorge, Mo-bilität und Teilhabe in den ländlichen Räumen langfristigzu sichern, vor allem in schrumpfenden Regionen . Ichsage es heute am Ende noch einmal: Wir brauchen eineressortübergreifende Gesamtstrategie für die ländlichenRäume .
Und wenn die Regierung das nicht kann, dann sind wirgern in Zukunft bereit, dazu etwas aufzuschreiben .Danke schön .
Vielen Dank, Frau Kollegin Bluhm . – Noch einmal die
Bitte, sich an die Redezeit zu halten, sonst – darauf haben
wir uns jetzt gerade verständigt – werden wir das einfach
Ihren Kolleginnen und Kollegen abziehen müssen .
Nächster Redner in der Debatte: Cajus Caesar für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischereiwirtschaft, Er-nährungswirtschaft nehmen eine Schlüsselrolle in unse-rer Gesellschaft, in unserer Wirtschaft ein . Deshalb wol-len wir als Union in diesem Bereich auch Akzente setzen;denn wir wollen der Bedeutung dieses Bereiches gerechtwerden . Ich denke, mit diesem Haushalt setzen wir dieseAkzente und sind an der Seite der Bäuerinnen und Bau-ern, der Forstwirte und all derjenigen, die in diesem Be-reich aktiv sind .
Mein Dank gilt dem Minister, dem Ministerium . Mitdem Entwurf sind schon richtige Gewichtungen vorge-nommen worden . Ich glaube, dass wir mit Stolz daraufverweisen können, dass das, was wir in der Vergangen-heit beschlossen haben, mit Dynamik umgesetzt wor-den ist . Deshalb danke ich unserem Minister ChristianSchmidt im Namen unserer Fraktion ausdrücklich .
Mein Dank gilt auch dem Haushaltsreferat: Albert Wulff –ihn habe ich eben gesehen –, Dr . Ulrich Kuhlmann – erkann heute nicht hier sein – und Bernd-Udo Hahn, mitdenen wir stets zusammengearbeitet haben . Es war eineFreude . Wir haben die Informationen schnell, ausführlichund detailliert bekommen . Es war eine sehr gute Zusam-menarbeit . Das gilt auch für meine MitberichterstatterUlrich Freese, Sven-Christian Kindler – er ist aus famili-ären Gründen heute nicht hier; aber auch ihm Dank – undselbstverständlich auch Heidi Bluhm, die ja Nachfolgerinvon Roland Claus ist . Danke für die Zusammenarbeit!Wir legen einen Gesamthaushalt vor, der null Neuver-schuldung vorsieht, und setzen trotzdem sehr wesentli-che Akzente: 140,8 Millionen Euro mehr für gesunde Er-nährung, für Forschung, für Projekte, für Wertschöpfungim ländlichen Raum – das ist schon etwas besonders –,108 Millionen Euro mehr für den ländlichen Raum, fürdie Sozialversicherungen und noch einmal 100 Millio-nen Euro obendrauf für den vorbeugenden Hochwasser-schutz . Das sind 350 Millionen Euro Zukunftsinvestitio-nen der Union .
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich dem Vorsit-zenden der Arbeitsgruppe Haushalt, Eckhardt Rehberg,danken . Es ist nicht selbstverständlich, dass er uns indieser Form vorangebracht und so unterstützt hat . LieberEckhardt, herzlichen Dank .
Wir als Union setzen mit diesem Haushalt die rich-tigen Rahmenbedingungen . Wir wollen diese Brancheweiterhin zukunftsfest machen, Schwerpunkte setzenund das Geld an der richtigen Stelle einsetzen . Schwer-punkte sind zum einen die nachwachsenden Rohstoffe,für die 61 Millionen Euro vorgesehen sind . Hier darf ichsagen: Andreas Schütte an der Spitze der FNR leistet her-vorragende Arbeit . Aber Alois Gerig, der hier unter unsist, ist derjenige, der in der FNR die Projekte wesentlichvoranbringt . Lieber Alois Gerig, herzlichen Dank! Hierwird hervorragende Arbeit geleistet .
Liebe Freunde, auch für den Waldklimafonds habenwir die Mittel von 14,35 Millionen Euro auf 17,61 Milli-onen Euro in 2016 und auf 19,54 Millionen Euro in 2017erhöht . Hier geht es um Klimaschutz, hier geht es umklimaresistente Baumarten, hier geht es um Forschung,Heidrun Bluhm
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hier geht es um Kohlenstoffspeicherung und CO2-Redu-zierung . Ich denke, dass ist ein richtiger Weg . Gleichfallssetzen wir Akzente im Bereich Bauen mit Holz . Holz istbeim Bauen ein Stoff, der eine hervorragende Ökobilanzhat, weil dadurch 80 Prozent weniger Energie verbrauchtwerden . Also: Mit Holz ist viel möglich; das ist umwelt-freundlich und natürlich auch ressourcenschonend .Wir wollen insbesondere das Bundeswaldgesetz mög-lichst schnell auf den Weg bringen und so dafür sorgen,dass die Kleinstwaldbesitzer nicht im Stich gelassenwerden, sondern vielmehr gestärkt werden . Wir wollendas Eigentum stärken, und wir wollen auch die forstwirt-schaftlichen Vereinigungen in ihrer Arbeit stärken .
Hier ist unser Minister auf dem richtigen Weg . Wir sinddavon überzeugt, dass er relativ rasch einen entsprechen-den Entwurf vorlegen wird, um dieses zu regeln .
Dafür danke ich ihm ausdrücklich .
Wir werden des Weiteren zusätzliche Stellen vorse-hen, um die Waldstrategie 2020 mit Leben zu erfüllenund im Bereich des Wirtschaftsfaktors Wald einiges tunzu können; da haben wir ja auch bereits einiges getan .Auch hier kann man sagen, dass wir auf dem richtigenWeg sind .Wir wollen – das haben wir gezeigt – nicht nur Ver-sprechen machen, sondern sie auch halten . Im Bereichder Energieeffizienz des Gartenbaus und der Landwirt-schaft setzen wir 15 Millionen Euro ein . Das sind in dennächsten drei Jahren insgesamt 65 Millionen Euro . ImBereich Energieeffizienz ist Geld gut angelegt. Das wol-len wir alle . Das ist Klimaschutz . Das bedeutet aber auchStärkung der Branchen Gartenbau und Landwirtschaft .Das ist uns wichtig .Wir wollen im Bereich der GemeinschaftsaufgabeAkzente setzen . Wir haben deshalb die Mittel deutlicherhöht: um 30 Millionen Euro in diesem Jahr und in denFolgejahren um 60 Millionen Euro. Das fließt nicht nurin Modellprojekte; vielmehr wollen wir über solche Pro-jekte die ländlichen Infrastrukturen insgesamt verbes-sern . Natürlich ergänzen wir den Verkehrshaushalt – hierwerden mehrere Milliarden für die Breitbandversorgungauch im ländlichen Bereich bereitgestellt – durch eige-ne Mittel . Wir sind da auf dem richtigen Weg, und wirwerden auch unsere Versprechen einhalten, nämlich denländlichen Raum so auszugestalten, dass er so lebenswertbleibt, wie er ist . Deshalb wird die Union alles daran-setzen, erfolgreich solche ländlichen Strukturen aufzu-bauen, dass sie dazu dienen können, die Menschen imländlichen Raum zu begleiten . Auch da sind wir auf demrichtigen Weg .
Die Gemeinschaftsaufgabe umfasst auch den Küsten-schutz . Ingbert Liebing aus Schleswig-Holstein hat mirauf beeindruckende Weise vor Ort gezeigt, wie wichtigder Küstenschutz ist . Wir haben die Mittel für den Hoch-wasserschutz erhöht, um Deichertüchtigungen vorneh-men zu können . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wirhaben insbesondere für den vorbeugenden Hochwas-serschutz etwas getan . Wer die Bilder vom Hochwassernoch vor Augen hat, der weiß, welches Leid die Leuteerfahren haben . Wir haben schnell und unkompliziertgeholfen und 8 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt .Aber wir wollen auch vorbeugend präventiven Hochwas-serschutz betreiben .Bei den Terminen in den Wahlkreisen konnte ich fest-stellen, dass es die Befürchtungen gab, dass wir Geldeinstellen könnten, mit dem irgendwelche Programmefinanziert werden, die aber gar nicht effektiv sind. Die-se Befürchtungen sind unbegründet; denn wir habendas, was wir als Koalition im Bereich des vorbeugendenHochwasserschutzes auf den Weg bringen wollten, auchumgesetzt . Die 20 Millionen Euro, die im ersten Jahr zurVerfügung standen, haben wir für effektive Programmeund Investitionen genutzt .Im nächsten Jahr werden 100 Millionen Euro für denvorbeugenden Hochwasserschutz zur Verfügung stehen .In diesem Bereich ist Geld sehr gut angelegt; denn eskommt – neben der Deichrückverlegung – auch daraufan, den Landwirten weiterhin die Möglichkeit zu geben,dort zu wirtschaften und ihr Land zu bestellen . Es ist soerstmals gelungen, den Landwirten aus Bundesmitteln20 Prozent des Verkehrswertes betroffener Flächen alsEntschädigung zukommen zu lassen, also Ökologie undÖkonomie im besten Sinne zu verbinden . Das ist derrichtige Weg; den sollten wir weitergehen .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, alle reden vom ländlichen Raum,vor allem vor Ort, in den Wahlkreisen . Es gibt runde Ti-sche und tolle Ideen; Projekte werden geschmiedet . Wirsetzen 30 Millionen Euro zusätzlich für den ländlichenRaum ein . Wir als Union sind an der Seite derjenigen, dievor Ort Ideen haben
und sie umsetzen wollen . Ich sage mal: Wir als Koalitionund wir von der Union meinen, dass der ländliche Raumwichtig ist . Deshalb sind wir an der Seite der dort leben-den Menschen und derjenigen, die dort arbeiten . Diese30 Millionen Euro sind gut angelegtes Geld .
Wir wollen die sozialen Strukturen im ländlichenRaum stärken . Wir wollen, dass Gebäude umgewidmetwerden können, ehe sie verfallen, und Nutzungszweckenin der Landwirtschaft aber auch darüber hinaus zugeführtwerden können . Wir wollen durch entsprechende Projek-te im ländlichen Raum Dinge auf den Weg bringen undPositivbeispiele sammeln, die dann vermehrt in allen Be-reichen des ländlichen Raums umgesetzt werden können .Wir wollen Dienstleistungen, die sonst nicht bezahl-bar sind, bündeln und den Menschen anbieten, um denCajus Caesar
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ländlichen Raum so attraktiv zu machen, dass von dortmöglichst wenige weggehen . Mehr noch: Der ländlicheRaum soll so attraktiv und lebenswert sein, insbesondereim Hinblick auf Infrastruktur, Arbeitsplätze und Angebo-te vor Ort, dass er mit den städtischen Bereichen mithal-ten kann . Das sind wir den Bürgern schuldig . Deshalbhandeln die Union und die Koalition entsprechend .
Im Bereich der Sozialversicherung stellen wir 78 Mil-lionen Euro mehr für die Unfallversicherung bereit . Wirsind der Meinung, dass dies wichtig ist, auch vor demHintergrund, dass die Landwirtschaft im Augenblick sehrschwierige Zeiten durchwandert . Die Rahmenbedingun-gen sind wegen des Verbots von Exporten nach Russland,der Milchpreise und der Schweinepreise schwierig . An-gesichts der Situation wollen wir ein Zeichen setzen undder Landwirtschaft, den Bäuerinnen und Bauern, denForstwirten, allen, die vor Ort arbeiten, sagen: Wir lasseneuch nicht im Stich, wir sind an eurer Seite . – Deshalbstellen wir 78 Millionen Euro mehr für diesen Bereichbereit . Ich denke, das ist richtig und gut angelegtes Geldfür die Landwirtschaft, für die Forstwirtschaft und für alldiejenigen, die dort richtig anpacken .
Wir haben 2 Millionen Euro mehr auch für Messen, fürExportförderung eingestellt . Ich denke, das ist richtig .Das schließt an den eben genannten Bereich an .Wir tun mehr im gesundheitlichen Verbraucherschutz .Ich nenne an dieser Stelle die Aufstockung um 136 Stel-len beim BfR und um 195 Stellen beim BVL . GesundeErnährung und Tierwohl sind auch Thema unserer Bun-desregierung und unserer Koalition; und deshalb tun wirdort etwas .Wir wollen nicht nur einen ausgeglichenen Haushalt;ich habe eben den Namen Eckhardt Rehberg genannt .Wir setzen Akzente und Zeichen für Forschung und In-novation mit 50 Millionen Euro mehr . Wir setzen Zei-chen für den Dialog . Wir setzen Zeichen für eine gesundeErnährung . Wir setzen Zeichen für einen umweltfreund-lich erzeugten Rohstoff Holz . Wir setzen Zeichen durch78 Millionen Euro mehr an Investitionen im Bereich dersozialen Systeme für die Unfallversicherung . Und wirsetzen Zeichen im ländlichen Raum durch einen neuenAnsatz in Höhe von 30 Millionen Euro . Wir als Unionwollen an der Seite der dort lebenden und arbeitendenMenschen sein .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Kollege Caesar . – Nächster Redner in
der Debatte: Harald Ebner für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen undKollegen! Zur Tagesordnung überzugehen, fällt uns allenschwer, glaube ich; da stimme ich der Kollegin Bluhmzu . Dennoch müssen wir es versuchen und heute überden Haushalt reden .Der Schwabe schaut ja im Haushalt immer darauf,dass kein Geld verschwendet wird . Als grüner Schwabeachte ich auf Nachhaltigkeit . Als grüner Agrarpolitikerwill ich eine nachhaltige Landwirtschaft fördern undunsere Betriebe für die Zukunft fit machen. Hier gibt eswirklich viel zu tun . Das passiert mit diesem Haushalt,lieber Herr Kollege Caesar, leider schon wieder ganz undgar nicht . Ich sehe in dem Entwurf nämlich keinen Planund keinen Mut .Damit wir uns nicht missverstehen: Herr Minister,es ist gut, dass die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-zes“ endlich aufgestockt werden . Darüber diskutierenwir seit zwei Jahren . Und es ist auch gut, dass es mehrGeld für die landwirtschaftliche Sozialversicherung gibt .Aber es bleibt dabei: Sie zementieren einmal mehr Ihrebisherige Agrarpolitik . Ihr Haushalt steht für noch mehrIndustrialisierung, hohen Pestizidverbrauch und weitereInvestitionen, leider in eine Agrarproduktion, die massi-ve ökologische Kosten verursacht und – das ist das Fataledabei – nicht einmal den Bäuerinnen und Bauern etwasbringt .
Die Intensivierung auf Kosten der Umwelt bringt janicht einmal mehr kurzfristige ökonomische Vorteile . ImGegenteil: Sinkende Preise gefährden Tausende von bäu-erlichen Existenzen . Milchpreise um 25 Cent fressen ander Substanz der Betriebe . Wer seine Tierhaltung für denExport optimiert hat, sitzt jetzt auf hohen Investitions-schulden . Das lässt sich auch nicht mit Liquiditätshilfenkaschieren . Da ist doch ein klarer Auftrag an Sie, endlichAlternativen zu fördern .
Sie predigen stattdessen unverdrossen weiter Ihre Ex-portvisionen und fördern das auch noch mit öffentlichenMitteln . Da sind zum einen 3 Millionen Euro für Maß-nahmen zur Verstärkung der Außenhandelsbeziehungenim Agrar- und Ernährungsbereich, und das, obwohl diemomentane Krise auf dem Fleisch- und Milchmarkt klarzeigt, dass die Exportfixierung in die Sackgasse geführthat . Diese 3 Millionen, liebe Kolleginnen und Kollegen,wären im Tierschutz doch deutlich besser angelegt, weilsie hier auch einen echten Mehrwert schaffen .
Herr Minister Schmidt, was tun Sie? Statt sich um diedrängenden Probleme der Landwirtinnen und Landwirtezu kümmern, beraumen Sie Exportgipfel an . Ihr Sofort-hilfeprogramm besteht wieder nur aus Exportunterstüt-zung – mit bekannten Folgen für die Landwirtschaft inden Empfängerländern . Dabei gibt es gerade im Inlands-markt enormes Wachstums- und Wertschöpfungspoten-zial . Der Absatz von Ökolebensmitteln steigt, die Anbau-fläche nicht. Die Leistungen des ökologischen Landbausbei Klima-, Umwelt- und Naturschutz, aber auch bei derSchaffung von Arbeitsplätzen sind durch zahllose Stu-dien, auch durch Studien der Bundesregierung, belegt .Cajus Caesar
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Aber wer nachhaltige Landwirtschaft will, der muss da-für auch die Weichen stellen .
Es muss deutlich mehr in das Bundesprogramm Öko-logischer Landbau investiert werden, sonst gehen durchden rasanten Verlust von genetischer Vielfalt unsereGrundlagen für nachhaltige ökologische Landwirtschaftunrettbar verloren . Aber Sie haben unseren Antrag, indem wir forderten, 20 Prozent der Forschungsmittel demÖkolandbau zur Verfügung zu stellen, abgelehnt . HerrCaesar, Sie haben zwar gesagt, die Forschungsmittel sindaufgestockt worden,
aber wir sollten auch mehr Mittel zur Forschung im Öko-landbau investieren .
Ihre vollmundig gestartete Zukunftsstrategie Ökolo-gischer Landbau kommt ganz ohne Geld aus . Ich kannda keine Strategie und auch keine Zukunft erkennen .Stattdessen gibt es Gesprächsrunden bis zum bitterenEnde der Legislatur . Herr Minister, mit was wollen Sieam Ende der Legislatur eigentlich noch anfangen? Daist es doch logisch, dass Sie kein Geld ausgeben wollen .In der Sache ist das nachvollziehbar, aber grundfalsch .Orientieren Sie sich doch an den Bundesländern, auchan Ihrem eigenen . Dort passiert etwas, das kann man ab-schreiben . Für mich sieht es aber so aus, als hätten Siekeinen Plan .
Wir stellen fest: In allen Lebensmitteln sind Pestizid-rückstände zu finden, leider nicht nur in den Importen,sondern auch in den hiesigen; das war einer Dokumen-tation des BVL aus dem Jahr 2013 zu entnehmen . Dasbereitet nicht nur dem Bundesamt, sondern uns allenbuchstäblich Bauchschmerzen .Pestizidrückstände, zum Beispiel Glyphosat, findensich in uns allen; das belegen zahlreiche Untersuchun-gen . Ich sage ausdrücklich, meine Damen und Herren:Ich halte es für richtig, dass man beim BfR, beim Bun-desinstitut für Risikobewertung, Stellen aufstockt .
Das ist nötig . Dann ist das Bundesinstitut hoffentlichauch nicht mehr darauf angewiesen, Bewertungen der In-dustrie hinsichtlich Pestiziden zu übernehmen .
Die Menschen sind angesichts des steigenden Pesti-zideinsatzes zu Recht besorgt . Hier müssen wir anset-zen . Wir müssen in die Forschung im Bereich des nichtchemischen Pflanzenschutzes investieren und in die Be-ratung der Landwirte, die den Mitteln selbst nicht mehrtrauen . Deshalb hatten wir ja beantragt, dass die Mittelaus dem Budget für Forschung und Innovation zweckge-bunden eingesetzt werden . Das wurde von Ihnen abge-lehnt . – Schade!Beim Stickstoffüberschuss sieht es genauso aus; wiebei der Gentechnik passiert hier nichts, Herr Minister .Die Kennzeichnungspflicht von tierischen Produkten be-kommen Sie nicht hin . Für die „ohne Gentechnik“-Kenn-zeichnung gibt es nach wie vor nicht mehr Geld, um siebekannt zu machen . Und der Gesetzentwurf der Bundes-länder wartet darauf, endlich in den Bundestag einge-bracht zu werden . Das ist ärmlich, das ist billig, das zeugtauch von Hilflosigkeit. Da fehlt Ihnen der Mut, die Ver-antwortung für die Anbauverbände mit einem vernünf-tigen Gentechnikgesetz selbst zu übernehmen, statt siean die Bundesländer abzuschieben; genau das tun Sie ja .Es gäbe noch viel zu sagen .
Mir bleibt an dieser Stelle, zu sagen: Der Haushalt zeigt,dass Sie nicht den Mut haben, die Probleme zu lösen .Danke schön .
Vielen Dank, Herr Kollege Ebner, auch für die Ein-
haltung der Redezeit . – Nächster Redner: Ulrich Freese
für die SPD .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich Ih-nen so zuhöre, dann beschleicht mich einerseits das Ge-fühl, dass Sie den vorliegenden Haushalt nicht kennen .
Andererseits haben Sie eine ganze Reihe von Fragestel-lungen aufgeworfen, die mit Haushaltstiteln nichts zu tunhaben . Diese Fragen sind – das ist der Anspruch des Mi-nisteriums – auch ohne Haushaltstitel einfach per Gesetzregelbar .
Wir reden jetzt über den Haushalt 2016 . Ich mussschon sagen, meine Damen und Herren, liebe Kollegin-nen und Kollegen: Es ist schon eine verdammt sportlicheLeistung, die wir in den letzten 18 Monaten hingelegthaben . Der Haushalt, der von uns heute und morgen ab-schließend beraten wird, ist nämlich der dritte Haushalt,der ohne Neuverschuldung auskommt, der ausgeglichenist . Es ist auch der dritte Haushalt, in dem es Bewegungim Haushalt des Bundesministeriums für Landwirtschaftund Ernährung gibt . Ich denke, darauf können wir alle,die wir die Koalition tragen, ein Stück weit stolz sein;Harald Ebner
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 140 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . November 2015 13805
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wir arbeiten nämlich unseren Koalitionsvertrag millime-tergenau ab .Cajus Caesar ist genauso wie allen anderen, die anden Haushaltsberatungen teilgenommen haben, für seinEngagement zu danken . Ebenso ist dem Bundesministe-rium zu danken, das uns immer gut vorbereitet hat undunterjährig die Fragen meiner Kolleginnen und Kollegenjederzeit beantwortet hat .Was ist in den 18 Monaten alles geschehen? Ich erin-nere mich zunächst einmal, dass in allen meinen Redender Hochwasserschutz einen hohen Stellenwert hatte .Das Thema Hochwasserschutz hat über einen Maßgabe-beschluss Eingang gefunden . Dafür waren in diesem Jahr20 Millionen Euro vorgesehen, weil wir gesagt haben:Wir wollen planen . – Und in meiner letzten Rede, HerrMinister, habe ich darum gebeten, dass Sie mit dem Bun-desfinanzminister und ihren anderen Ministerkollegenaushandeln, dass aus dem Investitionsförderprogrammjährlich 100 Millionen Euro für den Hochwasserschutzvorgesehen werden . Ich bin sehr froh, dass es Ihnen ge-meinsam mit der für die Bereiche Bauen und Umweltzuständigen Bundesministerin, Barbara Hendricks, ge-lungen ist, exakt 100 Millionen Euro zu vereinbaren, undzwar nicht nur für 2016, sondern auch für 2017 und 2018 .Das sind wichtige finanzielle Beiträge, die uns helfenwerden, einen nationalen Hochwasserschutzplan auf denWeg zu bringen, in dem genau das berücksichtigt wird,was Cajus Caesar hier beschrieben hat .
Zum Zweiten hat in allen drei Reden, die ich hier zumHaushalt gehalten habe, das Thema Hofabgabeklauseleine Rolle gespielt . Im letzten Jahr ist der Haushalt desBundesministers diesbezüglich so aus dem Parlament he-rausgegangen, wie er hereingekommen ist, weil wir unsnicht einigen konnten, hier Modifizierungen vorzuneh-men . Ich kann, denke ich, mit Stolz sagen, dass es derHartnäckigkeit der Sozialdemokraten zu verdanken ist,dass wir die Hofabgabeklausel modifiziert haben.
Das hilft 64 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe .Endlich kann aus eingezahlten Rentenbeiträgen, wenndas Renteneintrittsalter erreicht wurde, Rente bezogenwerden .Zum Dritten haben wir uns sehr intensiv mit der Frageder ländlichen Räume auseinandergesetzt . In allen Haus-haltsberatungen hat die Frage der Weiterentwicklung derGAK eine Rolle gespielt und die Frage: Wie viel Geldsetzen wir bundesseitig letztendlich für die Entwicklungländlicher Räume, in denen ein Drittel der Gesamtbevöl-kerung Deutschlands wohnt, ein? Ich denke, es ist ein gu-tes Zeichen, dass wir jetzt zusätzlich 30 Millionen Euroin den Haushalt einstellen mit der Maßgabe, dass dadurchmehr und mehr Bundesaktivitäten finanziert werden kön-nen . Ich denke, dass auch wir seitens des Bundes eineganze Reihe guter Ideen zur Entwicklung der ländlichenRäume haben, die wir einbringen können .
Dazu gehört auch, dass wir uns der Instrumente be-dienen, die uns schon zur Verfügung stehen . Ich bin demMinister sehr dankbar, dass er sich bereit erklärt hat, dasGrünlandzentrum, das in Niedersachsen eine Vorreiter-rolle einnimmt, über Projekte finanziell zu fördern, damitdiese Ideenschmiede mit Blick auf ganz Deutschland mitBundesmitteln arbeiten kann .Eine letzte Bemerkung, Frau Präsidentin . – Wir habenauch darum gerungen, dass die Kompetenz, die im For-schungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund ange-siedelt ist, bei der Verlagerung nach Bonn erhalten bleibt .Das traf leider auf das Institut nicht zu, aber die Kompe-tenz ist teilweise gesichert . Ihre Zusage, Herr Minister,dass Sie sich dafür einsetzen werden, dass über weitere,über die McDonald’s-Studie hinausgehende Projekte dieKompetenz gesichert wird, ist ein gutes Zeichen dafür,dass wir die gesunde Ernährung dieser Teilgruppe derBevölkerung mit Bundesmitteln weiterhin fördern wol-len .
– Die DONALD-Studie . – Ich glaube, wir haben vielesaus dem Koalitionsvertrag erfüllt . Ich bin mir ganz si-cher, dass wir in der nächsten Haushaltsberatung weite-re Schritte gehen werden und am Ende sagen können:Wir haben fast 100 Prozent der im Koalitionsvertrag be-schlossenen Vereinbarungen auf den Weg gebracht .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Herr Kollege Freese . – Nächster Rednerist der Minister Christian Schmidt .
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Es kam eben etwas Unruhe auf . VielenDank, Kollege Freese, für die Erwähnung des Bereichsder Ernährung, der uns sehr wichtig ist, allerdings nichtim Sinne von: für Fast Food, sondern gegen Fast Food .Kinderernährung ist genau das Thema, bei dem wir an-setzen müssen .Ich möchte mich sehr bedanken: beim Haushaltsaus-schuss des Deutschen Bundestages und bei den Haupt-berichterstattern, bei Cajus Caesar, Ulrich Freese, HerrnKindler – Frau Hajduk, bitte übermitteln Sie ihm diebesten Grüße – und Frau Bluhm; Herr Claus ist schonUlrich Freese
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nicht mehr da . Sie haben intensiv gearbeitet . Zu späterNachtstunde, in der Bereinigungssitzung, gab es dann eingutes Ende für den Einzelplan 10; denn – und das habeich sehr dankbar zur Kenntnis genommen – um 4 Uhrin der Nacht haben sich alle Fraktionen des DeutschenBundestages
– alle hellwach – den Vorschlägen angeschlossen . Dafürkann ich nur großen Dank aussprechen .
Ich bin ohnehin der Meinung, dass in der zweiten unddritten Lesung das Parlament und nicht die Bundesregie-rung im Mittelpunkt steht . Letztere ist in diesem Augen-blick dankbar, dass der Haushaltsausschuss des Bundes-tages die Zuwächse des Etats, die erst im Raum standenund dann schon fast vom Tisch waren, am Ende geneh-migt hat . Es geht um immerhin 108 Millionen Euro, diein früher Morgenstunde zusätzlich beschlossen wurden .Wir können mit dem Geld die richtigen Akzente indiesem Haushalt setzen: für einen verlässlichen gesund-heitlichen Verbraucherschutz, für eine ausgewogeneErnährung, für eine zukunftsfähige Land- und Forst-wirtschaft . Als weitere Branche nenne ich nur den Gar-tenbau . Cajus Caesar hat die 65 Millionen Euro genannt,die bereits im zweiten Haushalt der letzten 18 Monate einThema waren .Ich danke für die Unterstützung für vitale und attrak-tive ländliche Regionen . Der Haushalt setzt damit eindeutliches Zeichen, dass Ernährung und Landwirtschaftwichtige Lebensthemen sind, in die es sich zu investierenlohnt .Der Haushalt stellt für den Bereich der Ernährung fast90 Millionen Euro bereit . Das ist ein richtiger Schwer-punkt; denn wir wissen: Für die Menschen ist das ThemaErnährung das wichtigste Verbraucherschutzthema über-haupt . Diese Mittel werde ich ganz wesentlich dafür ein-setzen, gesunde und ausgewogene Ernährung verstärktzu unterstützen .
Ich tue dies auch an anderer Stelle im Verbraucher-schutz, etwa durch die Unterstützung von lebensmit-telklarheit .de, die bisher für einige Jahre gesichert war .Ich habe die Mittel für dieses Portal verstetigt, das zueiner wichtigen Anlaufstelle für Verbraucherinnen undVerbraucher geworden ist, die sich über die Kennzeich-nung von Lebensmitteln informieren wollen oder sichbeschweren wollen, wenn sie sich durch ein konkretesProdukt getäuscht fühlen . Das kann ich mit den Mitteln,die Sie mir zur Verfügung stellen .
Ich darf einen weiteren Punkt nennen . Liebe GittaConnemann, das gestrige von dir und Kollegen initiier-te Fachgespräch in der CDU/CSU-Fraktion und andereGespräche haben unterstrichen, dass beispielsweise Di-abetes nicht nur eine Frage der Gesundheitspolitik ist,sondern auch eine Frage der Prävention . Ich bin sehrdankbar, dass es uns, gemeinsam mit Kollegen HermannGröhe, gelungen ist, im Präventionsgesetz zu verankern,dass wir mit unserer Kampagne IN FORM und anderenInitiativen ganz deutliche Grundlagen für eine bessereErnährungsprävention schaffen wollen .
Das muss vor allem in den Schulen stattfinden. Eingesunder Lebensstil lässt sich nicht einfach verordnen .Wir müssen die Ernährungskompetenz der Kinder undJugendlichen stärken . Deswegen gehört das auf denStundenplan . Das heißt allerdings, dass wir darüber mitden Ländern reden müssen .
Ich habe die Kultusministerkonferenz um ein Gesprächüber den Vorschlag der Einführung eines Schulfaches Er-nährungsbildung gebeten . Nun wollen wir einmal sehen,wie sich das entwickelt . Ich jedenfalls bin bereit, dafür zusorgen, dass der Bund einen Beitrag hierzu leistet .
Ich bündle die „Qualitätsoffensive Schulverpflegung“und die damit verbundenen Aktivitäten meines Hausesmit einer Informationskampagne für Eltern: von der Un-terstützung beim Angebot hochwertiger Schulverpfle-gung bis zur Bereitstellung eines Startersets Ernährungs-wissen für die Kinder . Ich werde die Aktivitäten in einemNationalen Qualitätszentrum für gesunde Ernährung inKita und Schule hier in Berlin zusammenführen . Es wirddie zentrale Anlaufstelle werden – bei strenger Beach-tung der Länderkompetenzen, aber in Unterstützung dervon allen Ländern mitgetragenen Initiative, die insbeson-dere die Schulverpflegung und die Schulvernetzungsstel-len in diesem Bereich zum Gegenstand hat .Das Engagement in Sachen Ernährungssicherung imglobalen Kontext ist aber auch in anderer Hinsicht zubetrachten – einige Kolleginnen und Kollegen haben jaauf den Grund für die Unterbrechung der Sitzung undauf die Tatsache, dass wir diesen Einzelplan nun erst sehrspät beraten, hingewiesen –: Es geht um die Frage, wiewir nach den schrecklichen Terrorangriffen in Paris denAktivitäten des IS bzw . dem Terror, den er in Syrien undim Irak ausübt – quasi als ein Staat, jedenfalls auf einemTerritorium –, begegnen können .Lassen Sie mich zur katastrophalen Lage in Syriennoch einen anderen Aspekt ansprechen . Die Ursachenfür das heutige Leid der Menschen dort sind vielfältig .Die Ernährungssituation gehört dazu . In Syrien sind inden Jahren 2006 bis 2010 60 Prozent der landwirtschaft-lichen Betriebe einer außerordentlichen Dürre zum Opfergefallen. Die Folgen waren Hunger und Landflucht. Nunmüssen wir daran arbeiten, dass die Ernährungssicherungin diesem Land wieder besser wird . Sie hat aufgrund derKriegswirren natürlich noch mehr gelitten . Deswegenwerde ich auch hier Akzente setzen . Es ist zu beklagen,dass die Weltgemeinschaft bisher nicht in der Lage ist,genügend Mittel zu generieren, um den Menschen in denBundesminister Christian Schmidt
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Flüchtlingslagern und in den Lagern um Syrien herumnicht nur das Überleben zu ermöglichen, sondern ihnenauch eine Perspektive zu geben .
Ernährungssicherung ist ein entscheidender, ja, nach-haltiger Beitrag zu gesellschaftlicher und politischerStabilität . Deswegen müssen wir das Menschenrecht aufNahrung weltweit umsetzen . In ausgewählten Projekten,etwa mit der FAO, findet bereits eine Förderung statt,übrigens auch in Syrien . Auch Saatgut wird in kleinenGebinden nach Syrien geschickt, damit die kleinen Land-wirte es nutzen können . Auch das ist ein Versuch, die Er-nährungssicherung weiter zu unterstützen .In unserem Haushalt werden gut 74 Millionen Eurofür die FAO und entsprechende Maßnahmen bereitge-stellt . Damit ist Deutschland drittgrößter Beitragszahler,was internationale Maßnahmen angeht . Vielen Dank da-für, dass Sie mir die Möglichkeit geben, hier einen Ak-zent zu setzen .
Internationale Verantwortung will ich auch in derForstpolitik übernehmen . Eine wichtige Rolle spieltdabei unsere nachhaltige und gleichzeitig ökonomischerfolgreiche Waldbewirtschaftung . Immerhin könnendie Förster ja von sich sagen, dass sie die Erfinder desBegriffs „Nachhaltigkeit“ sind . Carl von Carlowitz giltals Begründer des Prinzips der Nachhaltigkeit – das liegtmittlerweile 302 Jahre zurück, wenn ich richtig rechne –,
und war noch dazu ein Sachse .
Die nachhaltige Waldbewirtschaftung hat sich bewährt .Wir müssen Deutschland zu einem Musterland in SachenWald machen .
Die Kompetenzen und Kapazitäten meines Hauses imForstbereich will ich deswegen stärken . Ich bin dankbar,dass mir der Haushalt die Möglichkeit gibt, hierfür Plan-stellen zu schaffen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der letzten Haus-haltsdebatte habe ich von dem EU-Maßnahmenpaket be-richtet, das uns helfen wird, unsere Landwirte in der ak-tuell schwierigen Situation zu unterstützen . Seit letztemFreitag ist die Eilverordnung in Kraft . 70 Millionen EuroEU-Mittel werden unbürokratisch und wirkungsvoll zurVerfügung gestellt . Ich bin sehr froh, dass wir diese be-reitgestellten Hilfen national durch eine signifikanteUnterstützung flankieren können. Als Ergebnis der par-lamentarischen Haushaltsberatungen werden die Bun-desmittel zur LUV um 80 Millionen aufgestockt . Dasist eine zusätzliche Beitragsentlastung, die von einigenHundert Euro bis zu 2 000 Euro reichen wird . Das lässtsich sehen, besonders wenn ich die Ursprungsentlastungin Höhe von 100 Millionen Euro hinzurechne .
Wir verschaffen den land- und forstwirtschaftlichenBetrieben Luft . Dadurch können sie ihre Produktion ver-stärkt an den Märkten ausrichten . Damit sind nicht alleFragen beantwortet . Ja, es gibt Bereiche, bei denen wirdas Ziel verfolgen, die Produktion für den Binnenmarktzu erhöhen . Ich möchte darauf hinweisen, dass wir ge-genwärtig bei Öko- und Biomilch keine Preiseinbrücheerleben . Das heißt, dass die Nachfrage entsprechendhoch ist, dass also Nachfrage und Angebot im Gleichge-wicht sind . Daran müssen wir in anderen Bereichen nocharbeiten .
Christian Schmidt, sind Sie bereit, eine Zwischenfra-
ge oder eine Zwischenbemerkung von Herrn Ostendorff
zuzulassen? Ja oder nein?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Ja . Meine Antwort wird ja nicht auf die Redezeit an-
gerechnet .
Natürlich nicht .Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Das gibt mir die Möglichkeit, darauf gut zu antworten .
Schönen Dank, Herr Minister . – Nachdem Sie jetztzum eigentlichen Thema zurückgekehrt sind, nämlichder Lage unserer landwirtschaftlichen Betriebe, die fürviele Bauernfamilien katastrophal ist – der Preisverfallbei Milch und bei Schweinefleisch ist dramatisch –, ha-ben Sie erklärt, dass Sie durch eine weitere Entlastungbei den Beiträgen zur Unfallversicherung helfen wollenund dass es EU-Mittel in Form eines Liquiditätszuschus-ses von bis zu 10 000 Euro geben wird .Aber Sie haben die Frage, die Sie sich selber gestellthaben, nicht beantwortet: Wie stabilisieren wir denn dieMärkte? Darauf brauchen wir eine Antwort . Die von Ih-nen genannten Mittel werden bei den bäuerlichen Fami-lienbetrieben nur dazu führen, das Sterben etwas zu ver-längern . Na ja, aber das hilft ihnen perspektivisch nicht .Daher die Frage an Sie: Was unternehmen Sie, um denÜberschuss, den wir auf den Märkten zu beklagen ha-ben, in den Griff zu bekommen und um die Märkte zustabilisieren? Hierauf gilt es eine Antwort zu geben . DerBundesminister muss doch dazu Position beziehen undsich erklären . Meine Frage ist, was Sie den Bauernfami-lien dieses Jahr im Haushalt mitgeben können, damit sieHoffnung schöpfen können, von ihrer Produktion wiederBundesminister Christian Schmidt
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leben zu können, statt nur darauf hoffen zu müssen, vonirgendwoher ein bisschen Sterbegeld zu bekommen .
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Lieber Kollege, nachdem wir gewisse zarte Anzeichendafür haben, dass sich der Milchmarkt etwas bessert –leider gilt das nicht für den Bereich Schweinefleisch –,will ich darauf hinweisen, dass uns diejenigen, die unsempfehlen, den Export zu stoppen, die Frage beantwor-ten müssten, wie denn die hergestellten Produkte in un-serem Lande abgesetzt werden sollen . Alles hat seine Be-rechtigung . Der Export allein – auch das ist klar – wirdnicht selig machen .Wir brauchen bei den Betrieben einen vernünftigenMix aus Größe und Qualität, und wir brauchen Bauern,die die Erwartungen der Verbraucher im Blick haben . Ichglaube, dass wir angesichts der prognostizierten steigen-den Nachfrage, gerade auch bei Milchprodukten, zuver-sichtlich in die Zukunft blicken können . Ich will daraufhinweisen, dass die aktuelle Zahl von 7 Milliarden Men-schen auf der Welt in wenigen Jahren auf 9 Milliardenanwachsen wird . Auch diese Menschen wollen ernährtwerden .
– Jetzt läuft meine Redezeit weiter, oder?
Ab jetzt geht es normal weiter .
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Gut . Dann werden wir die Diskussion anderswo fort-
führen . Ich habe dazu noch gute Gedanken und kann mir
gute Entscheidungen dazu vorstellen .
Mein letzter Punkt betrifft die ländlichen Räume . Ich
bedanke mich sehr, dass die Mittel für die GAK aufge-
stockt wurden . Wir werden auch das GAK-Gesetz än-
dern . Ich werde das in Kürze einbringen . Ich bitte darum,
dass wir bei der Beratung berücksichtigen – wir sollten
aber nicht von der Verbesserung der Agrarstruktur und
des Küstenschutzes abrücken –, dass ländliche Entwick-
lung mehr ist. Wir müssen die demografischen Probleme,
die wir im ländlichen Raum haben, sehen . Ich habe den
ländlichen Raum in diesem Jahr sehr intensiv besucht
und zu diesem Thema viele Dialogreihen durchgeführt .
Wir werden die angesprochenen Probleme nur durch At-
traktivität im ländlichen Raum lösen können . Ich freue
mich auf die Diskussion über die Änderung dieses Ge-
setzes .
5,5 Milliarden Euro für den Einzelplan 10, das ist
ein Wort . Es gibt einen deutlichen Anstieg . Ich bin dem
Deutschen Bundestag dankbar, dass er mich so gut mit
Mitteln ausgestattet hat . Ich werde sie auch im Sinne des
Gesagten gut einsetzen .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Minister Christian Schmidt . – Die
nächste Rednerin ist Dr . Kirsten Tackmann für die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste! Das Problem in der Agrarpolitik ist nichtso sehr der Haushalt, sondern die falsche Politik, die da-hinter steht . Die stärkt eben nicht den regionalen Land-wirtschaftsbetrieben den Rücken . Im Gegenteil: Sie folgtdem Mantra des glückselig machenden freien Marktesund des gelobten Landes der Agrarexporte . Im Klartextist das die Aufforderung: Produziert möglichst viel undmöglichst billig . Das ist ein Systemfehler, der dringendbehoben werden muss .
Denn die Überschüsse werden weltweit entsorgt, was re-gionalen Märkten schadet und Fluchtursachen verschärft .Und das ist absolut falsch .
Wo, bitte, soll denn ein gutes Einkommen, mehr Tier-wohl und Schonung der Natur herkommen, wenn amMarkt vor allem Dumpingpreise den Wettbewerb ent-scheiden? Das hat fatale Folgen . Nicht nur in meinemPrignitzer Heimatwahlkreis haben viele Betriebe ein sehrschwieriges Jahr hinter sich . Seit Monaten bekommensie keine kostendeckenden Erzeugerpreise . Die Land-wirtschaftskammer Niedersachsen spricht von Gewinn-rückgängen zwischen 40 und 60 Prozent . Schaf- und Zie-genhaltung rechnen sich schon länger nicht mehr . Milch,Schweine, Futtermittel und Obst – alles wird schlechtbezahlt .Ja, das ist auch ein Problem von Milchseen und But-terbergen . Wir haben aber gerade gehört: Jede Überle-gung zu einer Mengenregulierung wird von der Koalitionbzw . vom Bundesagrarminister blockiert . Ganz anderssieht es übrigens beim Wein aus . Die Steuerung der An-gebotsmenge beim Wein wurde fraktionsübergreifendsogar begrüßt. Pflanzrechte werden restriktiv vergeben,und sogar die Erntemenge pro Hektar wird beschränkt .Ja, die unterschiedliche Wirkung des Genusses von Weinund Milch ist mir sehr bewusst .
Friedrich Ostendorff
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Warum aber Mengenregulierung beim Wein richtig undbei der Milch Teufelszeug ist, das erschließt sich mirwirklich nicht .
Viele Betriebe werden diese falsche Agrarpolitik lei-der nicht überleben . Aber wir brauchen nachhaltig wirt-schaftende Agrarbetriebe: für regional und umweltscho-nend erzeugte Lebensmittel und erneuerbare Energien,für gut bezahlte Arbeit, für lebendige Dörfer, zum Erhaltder Kulturlandschaft und zum besseren Schutz des Kli-mas . Deshalb ist für uns als Linke ein Weiter-so keineOption .
Handelskonzerne, Schlachthöfe und Molkereien be-reichern sich doch auf Kosten der Erzeugerbetriebe . IhreMarktübermacht muss endlich gestoppt werden . Die Lin-ke fordert das schon lange . Das ist doch schon längst eineder Forderungen in allen Bauernversammlungen . Tun Siealso endlich etwas!
Das Ende des Ausverkaufs von Äckern und Weiden anlandwirtschaftsfremdes Kapital wird ebenfalls gefordert .Statt aber die Bodenspekulationen zu unterbinden, ver-dient der Bund noch fröhlich mit, weil er selbst die meis-ten Flächen – und zwar meistbietend – verkauft . Und derHammer ist, dass er den ostdeutschen Bundesländern denbegünstigten Kauf bundeseigener Flächen sogar dannverweigert, wenn es um Küsten-, Gewässer- oder Hoch-wasserschutz geht. Ich finde, dass dieser Griff in leereLandeskassen einfach unanständig ist .
Also, auch in der Landwirtschaft sind neues Denkenund entschlossenes Handeln gefragt . Statt aber die falschePolitik zu ändern, werden nur Trostpflaster verteilt. ZumBeispiel werden zu den bereits erwähnten 100 MillionenEuro für die landwirtschaftliche Unfallversicherung wei-tere 78 Millionen Euro obendrauf gelegt . Die Beiträgesollen um 16 Prozent sinken . Das hört sich spektakuläran . Aber pro Betrieb und gemessen an der dramatischenSituation ist das höchstens eine freundliche GesteBei der Unfallversicherung bleibt noch eine andereBaustelle bestehen . Wir wollen, dass die Benachteiligun-gen bei der Beitragsbemessung zum Beispiel für Klein-und Kleinstwaldbesitzer beseitigt werden .
2 Millionen Euro zusätzlich gibt es auch für die Propa-gandaabteilung zur Förderung des Agrarexports . Das istaber keine öffentliche Aufgabe . Deshalb sollte man dieseMittel nicht aufstocken, sondern ersatzlos streichen .
Regionale Lebensmittel sind eine viel klügere Strategie .Die Nachfrage ist hoch und stabil . Sie sichern mehr re-gionale Wertschöpfung und Arbeitsplätze, und sie habeneine hohe Akzeptanz. Deshalb wäre finanzielle Unter-stützung in diesem Bereich gut investiertes Geld .Leider wurden auch in diesem Jahr alle Anträge derLinken zum Einzelplan 10 abgelehnt . Deswegen habenwir unsere Vorschläge noch einmal in einem Entschlie-ßungsantrag festgehalten . Das sind die Hausaufgaben fürden nächsten Haushalt, aber einige Punkte will ich hiernoch einmal kurz aufgreifen .Erstens . Wer Fluchtursachen ernsthaft bekämpfenwill, muss auch die Ursachen von Hunger bekämpfen .Dazu gehören nachhaltige Agrarkonzepte, und zwarweltweit .
Dazu enthält der Weltagrarbericht, den 500 Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler erarbeitet haben,viele kluge Vorschläge . Deutschland muss ihn endlichunterschreiben und seine Fortschreibung mitfinanzieren.
Zweitens sollen nach unserer Überzeugung alle Kin-der Zugang zu einer hochwertigen und gebührenfreienKita- und Schulverpflegung als Teil der öffentlichen Da-seinsvorsorge haben . Wir wollen dafür ein Bundespro-gramm auflegen, und die Vernetzungsstellen Schulver-pflegung müssen gestärkt werden.
Drittens wollen wir die amtliche Lebensmittelüber-wachung von überregional und transnational agierendenUnternehmen verbessern . Dazu soll diese Aufgabe beimBund angesiedelt und eine Taskforce Lebensmittelsi-cherheit eingerichtet werden .Viertens fordert die Linke seit Jahren ein Herden- undWolfsschutzkompetenzzentrum . Das Fachgespräch amMittwoch hat gezeigt, dass das dringend gebraucht wird .Ich freue mich auf die Diskussion unseres Antragsnächste Woche im Ausschuss und noch vor Weihnachtenim Plenum .Im Übrigen sage ich: Krieg ist keine Lösung .
Vielen Dank, Frau Kollegin Tackmann . – Der nächste
Redner ist Dr . Wilhelm Priesmeier für die SPD .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Blick aufden Haushalt und das, was in der langen Nacht der Be-reinigungssitzung herausgekommen ist, muss man vordieser Koalition den Hut ziehen . Wir haben einen gutenHaushalt vorgelegt . Er macht deutlich, welchen Gestal-Dr. Kirsten Tackmann
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tungswillen die Regierung auch im Bereich der Agrar-politik hat . Eine Frage sehen wir etwas kritischer – daswerde ich noch begründen –, aber im Grundsatz gehtdieser Haushalt in die richtige Richtung . Eine Steigerungin einer solchen Größenordnung ist uns in anderen Haus-haltsjahren nicht gelungen .Ich glaube, dieser Haushalt macht auch deutlich, dasswir in der Agrarpolitik zukunftsfähig sind . Ich freue michinsbesondere über den Hochwasserschutz und die zusätz-lichen 60 Millionen Euro für den Bereich der Gemein-schaftsaufgabe .
Die Festlegung dazu sehe ich allerdings ein bisschenkritisch . Denn wenn man 30 Millionen Euro für Maßnah-men im Bereich der ländlichen Entwicklung festlegt, diein der Verantwortung des Bundes liegen, dann müssenwir uns sputen, wenn es darum geht, den Entwurf desGAK-Gesetzes durch den Bundestag und auch den Bun-desrat zu bringen . Das soll bis zur Sommerpause gesche-hen . Ich nehme an, wir werden damit erfolgreich sein .
Wir werden in der weiteren Ausgestaltung desGAK-Gesetzes – dazu rate ich – im Vorfeld verschiedeneAnsätze fraktionsübergreifend und auch mit den Bundes-ländern zu diskutieren haben . Der Gesetzentwurf wirdschließlich nicht so bleiben, wie er auf den Tisch gekom-men ist . Das ist bekanntlich das Struck’sche Gesetz . Wirwerden das noch viel besser machen . Die erste Versionhabe ich schon gelesen . Ich nehme an, die Ressortabstim-mung wird demnächst abgeschlossen sein . Dann werdenwir in den entsprechenden Gremien des Deutschen Bun-destages darüber diskutieren .Mit unserer Politik tragen wir dazu bei, dass die länd-lichen Räume als Lebens- und Wirtschaftsräume gestärktwerden . Dabei setzen wir vor allen Dingen auf die Zu-kunftsfähigkeit der ländlichen Räume . Denn das ist ansich der Kern der Politik, den die SPD einfordert . Wir ha-ben dazu mehrere größere Anträge und Papiere geschrie-ben . Wir werden uns auch auf dem kommenden Parteitagdamit auseinandersetzen . Das alles macht deutlich, dassalle hier im Hause, insbesondere wir Sozialdemokraten,großes Gewicht auf den ländlichen Raum legen .Über die Schwächen in der Analyse des ländlichenRaums sind wir uns weitestgehend einig . Es kommt jetztdarauf an, den richtigen Weg zu beschreiten . Dazu ge-hört zwangsläufig, dass wir gerade kleine und mittlereUnternehmen im ländlichen Raum, die im Umfeld derlandwirtschaftlichen Produktion, der Ernährungsproduk-tion und anderer Bereiche tätig sind, im Rahmen einesintegrierten Konzepts mit fördern . Wir müssen dafürsorgen, dass die Grundversorgung mit Dienstleistungenvor allem im ländlichen Bereich abgesichert wird unddass die Daseinsvorsorge, die benötigt wird, damit sichMenschen im ländlichen Raum ansiedeln und dort leben,erhalten wird . Wir müssen die Konsequenzen aus denEntwicklungen ziehen, vor denen wir in den ländlichenRäumen stehen, insbesondere aus der demografischenEntwicklung .
Hier müssen wir entscheidende Angebote an diejeni-gen machen, die bereit sind, im ländlichen Raum Kinderzu bekommen und ihre Zukunft zu planen . Das ist einegute Aufgabe, die wir in der weiteren Ausgestaltung derPolitik gemeinsam mit denjenigen erfüllen müssen, dieauf kommunaler Ebene verantwortlich sind . Das erfor-dert bestimmte Ansätze und Konzepte . Über diese kön-nen wir sicherlich lange diskutieren . Aber wir müssenendlich anfangen, etwas umzusetzen . Ich glaube, wirwerden jetzt den richtigen Impuls bekommen, um das inZukunft zu tun .Wir müssen im Rahmen der GAK nicht mehr unbe-dingt die Agrarstruktur finanzieren; denn diese ist schonwettbewerbsfähig . Vielmehr müssen wir die weiterenMöglichkeiten im Hinblick auf die Länder nutzen . Wirmüssen ernsthaft darüber diskutieren, ob die bisherigenKofinanzierungssätze in der GAK erhalten bleiben sol-len oder ob es nicht vielleicht besser ist, auf bestimmteModalitäten Rücksicht zu nehmen . Wir müssen mit denLändern reden und deutlich machen, dass sie nicht dauer-haft die Kofinanzierung an die Kommunen weiterreichenkönnen . Das alles muss man bedenken, wenn man erfolg-reich Politik betreiben will .
Wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, obdas Jährlichkeitsprinzip bei der Abrechnung im Rahmender GAK beibehalten werden soll . Wir sehen, dass Län-der wie Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern,Brandenburg oder Thüringen erhebliche Schwierigkeitenhaben, die vorhandenen Möglichkeiten überhaupt aus-zuschöpfen . Hier müssen wir vernünftige und sinnvolleKonzepte dagegensetzen, um ihnen eine bessere Aus-schöpfung zumindest über einen längeren Zeitraum zuermöglichen . Das lohnt den Schweiß der Edlen .Ein Punkt, der mir in diesem Haushalt nicht so gutgefällt, ist der große Ansatz in Höhe von 78 MillionenEuro, der in der Nacht der langen Messer in den Haushaltgekommen ist . – Herr Kollege Caesar, Sie können ruhiglachen, aber Sie sind derjenige, der in der Hauptsachedafür verantwortlich ist . Sie haben dafür brav und wa-cker gekämpft . Wir haben seit 2007/08 etwa 850 Milli-onen Euro in die landwirtschaftliche Unfallversicherunggegeben . Ein Bauer, der einen Betrieb mit 120 Hek-tar – 20 Hektar für Silomais für die Kühe, 100 HektarDauergrünland – und 100 Rindern führt, bekommt etwa799 Euro zusätzlich . Davon kann er vielleicht geradeeinmal eine kleine Reparatur der Melkmaschine oder derMelkanlage bezahlen oder für seine Familie ein ordentli-ches Weihnachtsgeschenk kaufen . Das ist wahrscheinlichdas, was der Minister beabsichtigt hat: Er wollte allenein ordentliches Weihnachtsgeschenk zukommen lassen .Ansonsten halte ich von dieser Form der Subvention re-lativ wenig .
Dr. Wilhelm Priesmeier
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Das verpufft im Großen und Ganzen und bringt struk-turell überhaupt nichts .
Der Kleinwaldbesitzer geht natürlich leer aus; Sie ken-nen ja die entsprechende Debatte . Unter 303 Euro wird esmit Sicherheit nichts geben, weil hier eine ähnliche Risi-kokomponente wie im alten System gefordert wird . OderSie wollen wirklich alles nach dem Gießkannenprinzipauf die 1,4 Millionen landwirtschaftlichen Unternehmenverteilen . Das wäre noch verfehlter; denn dann würdenoch viel weniger dabei herauskommen .Ich glaube, es ist an der Zeit, über die gesamte Syste-matik nachzudenken . Subventionen führen nicht immerzum Ziel . Manchmal sind sie als Input für einen kurzenZeitraum sinnvoll, um für Bewegung zu sorgen . Aber aufDauer kann ich Subventionen nur ablehnen . Ich sprecheaus Erfahrung, die ich hier in dem Hause gewonnen habe .Ich glaube, es ist an der Zeit, sich dazu zu bekennen, dasswirtschaftlich erfolgreiche Betriebe und UnternehmenSubventionen in der Form nicht brauchen .
Selbiges gilt auch für die Umgestaltung der GAP . Wirwerden uns bis zum Jahr 2017 zu erklären haben, wie wirweiter verfahren wollen, auch mit der Perspektive auf dasJahr 2020 . Ich glaube, das wird uns gelingen . Wir müssenheraus aus den 4,5 Prozent, wir brauchen eine Umschich-tung von 15 Prozent .
Vielen Dank, Herr Dr . Priesmeier . – Alle noch knapp
an der Grenze . Da können sich die Kolleginnen und Kol-
legen bedanken .
Nächste Rednerin: Nicole Maisch für Bündnis 90/Die
Grünen .
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich habe den Ausführungen der Kollegenvon der Großen Koalition sehr aufmerksam zugehört undhabe versucht, mir alle Zahlen des Kollegen Priesmeierzu merken . Es ist mir nicht ganz gelungen .Was mich aber doch wundert, ist, dass in der Zeit, inder die globalen Krisen immer näher an uns heranrückenund der Globus an vielen Punkten in Flammen steht, kei-ner der Rednerinnen und Redner der Union auch nur einWort darüber verloren hat, welche Fluchtursachen wirmit unserer verheerenden Exportstrategie in der Agrarpo-litik selbst bewirken. Das finde ich wirklich kurzsichtig,und das ist, finde ich, der Sache nicht angemessen.
Wer Fleisch exportiert wie die Europäer – Deutsch-land ist ganz vorne dabei –, und zwar ohne Rücksichtauf Verluste, der exportiert auch den Hunger in die gan-ze Welt . Ich hätte mir wenigstens ein oder zwei SätzeSelbstkritik an diesem Punkt gewünscht .
Aber gut . Was will man von einer Bundesregierungund einem Minister erwarten, die bisher zum dritten Maldas Licht einer breiten Öffentlichkeit gesucht haben .Nach „an apple a day keeps the Putin away“ und „je suisGreußener Salami” konnten wir jetzt hören: Schmidtwill Katern an ihr bestes Stück . – Dass die Journalistennichts Besseres zu schreiben hatten, liegt nicht nur an denJournalisten, sondern das liegt daran, dass diese Bundes-regierung einfach wenig vorzuweisen hat . Selbst dieselächerliche Meldung mit den Katern – Katzenkastration,richtige Sache – ist nur an die Öffentlichkeit gekommen,weil Schmidt in der Tierschutzpolitik nichts anderes vor-zuweisen hat .
Dass man eine zweieinhalb Jahre alte Meldung hervorho-len musste, hat damit zu tun, dass wir im Tierschutz mitIhnen als Minister einfach peinlich wenig erreicht haben .
Sicher, im Haushalt findet sich ein bisschen, aber derKollege hat es schon gesagt: In diesem Bereich mussman nicht nur Geld ausgeben, sondern auch Gesetze ma-chen . – Deswegen haben wir Sie in einer Kleinen Anfra-ge gefragt, welches Gesetz, welche Verordnung Sie fürden besseren Schutz der Tiere erlassen haben . Die Ant-wort war: keine . Dann haben wir gefragt: Welche planenSie? Die Antwort war: Wir wissen es nicht so genau . Dasfinde ich ziemlich armselig.
Gehen wir einmal kurz von der Landwirtschaft wegund schauen uns die Zahl der Tierversuche an . Die ist inden letzten Jahren durch die Decke gegangen . Warum?Weil die Grundlage für die Abwägung zwischen Tierver-such, Forschungsinteresse und Tierschutz im deutschenTierschutzgesetz einfach nicht funktioniert . Das ist einFehler im Tierschutzgesetz, ein Fehler im System, denSie sofort mit Ihrer Mehrheit ändern könnten . Warum tunSie es nicht? Weil Sie nicht den Mut haben, weil Sie nichtdas Herz dafür haben, Tiere in diesem Land wirklich zuschützen .
Wir haben eine Koalition, die noch nicht einmal diekleinsten Ziele aus ihrem eigenen Koalitionsvertrag um-setzen will, zum Beispiel die gewerblichen Tierbörsen zuverbieten . Das haben Sie den Leuten im Koalitionsver-trag versprochen . Jetzt hört man weder von der Umwelt-ministerin noch vom Landwirtschaftsminister irgendei-nen Plan, wie man das durchsetzen will . Nicht mal diesesDr. Wilhelm Priesmeier
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kleine Pünktchen haben Sie durchgesetzt; das ist wirklicharmselig .
Lassen Sie mich zu den Landwirtschaftstieren kom-men . Ihr eigener wissenschaftlicher Beirat hat es Ihnenins Stammbuch geschrieben: Wir haben massive Tier-schutzprobleme in der deutschen Landwirtschaft . Sie,Herr Schmidt, haben das Gutachten nicht entgegenneh-men wollen . Das musste Herr Bleser abholen . Aber dasmacht den Inhalt nicht falscher . Das Gutachten sagt ganzgenau: Wir haben massiven Reformbedarf . Den werdenSie nicht aussitzen können .
Für das Aussitzen haben Sie in dieser Legislatur einanderes Wort erfunden . Es heißt jetzt nicht mehr „Aus-sitzen“, sondern „freiwillige Verbindlichkeit“ . Aber auchdamit werden Sie nicht durchkommen . Die freiwilligeVerbindlichkeit, das Nichtstun, hat keine Mehrheit in die-ser Gesellschaft . Die Deutschen wünschen sich strengereGesetze für den Schutz von Tieren; denn für die Mehr-heit in diesem Land sind Tiere mehr als eine betriebswirt-schaftliche Größe, mehr als eine Kennziffer . Die sagen:Tiere sind fühlende Lebewesen, die das Recht auf Schutzhaben .
Auch im Ernährungsbereich sehen wir keine klare Li-nie und keinen Mut . Dabei haben wir ein gigantischesProblem mit ernährungsbedingten Krankheiten . Der An-teil der übergewichtigen Kinder geht nicht etwa zurück,sondern er stagniert auf hohem Niveau . Diejenigen, dieschon dick sind, werden immer dicker . Das haben unsdie Experten im Ausschuss vor zwei Wochen berichtet .Wir finden, deshalb brauchen wir eine konsistente Strate-gie gegen Übergewicht und Fehlernährung . Da reicht esnicht, wie der Minister, einfach nur zu sagen: Wir dürfenden Teller nicht mit Regelungen vollpacken . – Das istuns ein bisschen zu wenig . Wenn Sie wirklich etwas fürbesseres Essen in unseren Schulen tun wollen, dann fan-gen Sie damit an, die Schulvernetzungsstellen ordentlichzu finanzieren.Als Minister kann man ja lange ein Schulfach „Ernäh-rung“ fordern . Machen Sie weiter damit . Aber dann frageich mich, wie Sie beim Kooperationsverbot – das habenSie selbst in der letzten Großen Koalition verbockt – Ein-fluss auf die Kultusminister nehmen wollen.
Wenn man wirklich etwas für die bessere Ernährungvon Kindern tun will, dann muss man auch die Grundla-genforschung besser absichern . Kollege Freese, eine Mc-Donald’s-Studie finanziert der Minister zum Glück nicht.Aber auch die Studie, über die Sie gesprochen haben –das sind kleine Projektchen, mit denen man versucht, dasSterben des FKE in Dortmund hinauszuzögern . Das kannes nicht sein! Wir brauchen für die Grundlagenforschungeine verlässliche Finanzierung und mehr als immer malwieder kleine Projekte, die dann zwar irgendwie überdas Jahr helfen, aber doch auf Dauer die Grundlagenfor-schung nicht retten .
Es gab den Vorschlag des Max-Rubner-Instituts, dasals Abteilung bei sich zu integrieren . Dafür hätte manmal 1 oder 2 Millionen Euro ausgeben müssen . Das wäreangesichts der Milliardenkosten im Gesundheitssystem,die Fehlernährung und Übergewicht verursachen, einegute Investition gewesen .
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt überzeugtuns nicht. Wir finden: Er ist planlos. Da ist kein Konzeptdahinter . Deshalb kann man ihn nur ablehnen .Vielen Dank .
Vielen Dank, Nicole Maisch . – Nächste Rednerin:
Ingrid Pahlmann für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Schmidt!Vorab erst einmal von meiner Seite meinen Dank dafür,dass Sie sich im Bereich „gesunde Ernährung“ klar po-sitionieren . Auch vielen Dank für die Unterstützung desGedankens, Ernährungswissen wieder an Schulen zuverankern . Ich war heute Mittag beim Deutschen Land-frauenverband . Er fordert das schon seit langem und freutsich sehr über diesen Beistand; das kann ich Ihnen sagen .Frau Maisch, man muss Ernährungswissen erst einmalhaben, um dann gegen Fehlernährung ansteuern zu kön-nen . Dicke Kinder kommen auch daher, dass viele garnicht mehr wissen, was Ernährungsbausteine sind .
Ich komme jetzt zum Haushalt 2016 . Ich denke, er istein großer Erfolg für Landwirtschaft, Ernährung und ge-sundheitlichen Verbraucherschutz . Mein Dank gilt ganzbesonders dem Verhandlungsgeschick der Haushälter .Allein in unserem Einzelplan haben wir 245 MillionenEuro mehr als im Jahr 2015 . Hinzu kommen die schongenannten 100 Millionen Euro für den Hochwasserschutzim Einzelplan 60. Ich finde, das ist eine gute Grundla-ge, auf der wir unsere agrar- und ernährungspolitischenSchwerpunkte voranbringen können .Dabei setzen wir mit dem Haushaltsansatz im For-schungskapitel ein wichtiges Zeichen . Forschung undInnovation in den Bereichen Landwirtschaft und Ernäh-Nicole Maisch
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rung, aber auch im gesundheitlichen Verbraucherschutzsind von entscheidender Bedeutung für Gesellschaft,Praxis und Wirtschaft .Ohne Forschung und Innovation werden wir die kom-menden Herausforderungen der Ernährungssicherung,des Klimawandels und des Klimaschutzes, aber auch desErhalts der natürlichen Ressourcen nicht bewältigen kön-nen .Bei den Schwerpunkten, die uns in unserer Agrar- undErnährungspolitik wichtig sind, spielt Forschung einezentrale Rolle für neue Lösungen: beim Tierwohl wiebeim Klimaschutz, bei nachhaltigem Pflanzenschutz, ge-sunder Ernährung sowie der Sicherheit von Lebensmit-teln – also bei den Themen, von denen wir Agrar- undErnährungspolitiker oft sagen: Das sind Lebensthemen .Mit insgesamt 566 Millionen Euro hat die Forschungim Bereich der Ernährung und Landwirtschaft einen er-freulichen Aufwuchs von über 10 Prozent erfahren unddamit den Stellenwert bekommen, der ihrer Bedeutunggerecht wird .Frau Tackmann, allein im Kapitel „Nachhaltigkeit,Forschung und Innovation“ werden gegenüber 2015 zu-sätzlich 33,9 Millionen Euro veranschlagt . Dazu kom-men die fast 17 Millionen Euro für die Forschungsin-stitute. Ich finde, 50 Millionen Euro ist definitiv mehr alsnichts . Das müssen Sie anerkennen .
Wir alle wissen, dass die deutsche Land-, Forst- undErnährungswirtschaft eine Schlüsselbranche der deut-schen Volkswirtschaft ist . Wie in jeder anderen Bran-che auch hängen Wachstum, Wettbewerbsfähigkeitund Beschäftigung eng mit Innovationen zusammen .Mit den Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstra-tionsvorhaben des Programms zur Innovationsförde-rung sollen technische sowie nichttechnische Produk-te und Verfahren darum marktfähig gemacht werden;das ist ein ganz wichtiger Aspekt . Ich erwähnte schonunsere Bundesforschungsinstitute Julius-Kühn-Insti-tut, Friedrich-Loeffler-Institut, Max-Rubner-Institut,Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut . Diese Instituteerhalten 16,9 Millionen Euro zusätzlich – ich finde, zuRecht .Der Wissenschaftsrat hat den Instituten fast ausnahms-los gute Leistungen attestiert . Er erkennt ihre unentbehr-liche Funktion als Vermittler zwischen Wissenschaft undPolitik sowie zwischen Wissenschaft und Wirtschaft anund stellt eine positive Weiterentwicklung bei den For-schungs- und auch bei den Beratungsqualitäten fest . Dar-an wollen wir anknüpfen und die Bedarfsprofilierung undBedarfsorientierung in den kommenden Jahren weiterverbessern .Die Forschungsplanung soll verstärkt abteilungs- undprogrammübergreifend erfolgen und die Praxisverwert-barkeit in den Vordergrund stellen . Dazu soll auch derWissenstransfer in die Praxis verbessert werden . Es istmir ein ganz zentrales Anliegen, dass das Wissen auchbei den Betrieben ankommt .Im Rahmen von Modell- und Demonstrationsvorha-ben der Tierwohl-Initiative wurden Netzwerke von Pra-xisbetrieben zum Transfer von Forschungsergebnissen indie Praxis gebildet . Als forschungspolitische Sprecherinbegrüße ich es ausdrücklich, wenn unsere politischenHandlungsfelder künftig noch enger durch die Forschungbegleitet werden .Wir haben es gehört: Das Tierwohl ist ein Thema, dasdie Gesellschaft bewegt . Forschung kann auch hier aufden verschiedensten Ebenen einen entscheidenden Bei-trag leisten . Modellvorhaben zum Tierschutz nehmen inden nächsten Jahren zu Recht einen Schwerpunkt bei derFörderung von Modell- und Demonstrationsvorhabenein . 7,5 Millionen Euro stehen für die Erprobung vonMaßnahmen bereit, die zum Verzicht auf nichtkurativeEingriffe wie Schnabelkupieren oder Enthornen führen,zu verbesserten Verfahren bei der Schlachtung, bei derHaltung oder beim Transport von Tieren . Wir alle wis-sen: Verbote allein lösen die Schwierigkeiten in den ge-nannten Problemfeldern eben nicht .
Hier setzen wir mit dem Haushalt 2016 ein Zeichenfür die Branche. Neben den finanziellen Einbrüchenbei den Milchviehbetrieben haben wir zum Beispiel beiden schweinehaltenden Betrieben Einbrüche im Unter-nehmensergebnis in einer Größenordnung von 39 bis49 Prozent . Das ist ein wirtschaftliches Desaster für dieBetriebe .
Hinzu kommen immer stärkere Anforderungen und Auf-lagen an die Haltungsbedingungen . – Hören Sie gut zu,Herr Ostendorff .Das öffentliche Image besonders der viehhaltendenBetriebe ist denkbar schlecht . Wenn nun Politik – daskönnen Sie ja ganz besonders gut – und Gesellschaftvehement Verbesserungen im Bereich Tierwohl fordern,dann müssen diese Forderungen handhabbar und vor al-len Dingen auch begründet sein . Die Betriebe an sich sindwillens, dem gesteigerten Tierwohl Rechnung zu tragen .Allerdings – das muss ich Ihnen auch sagen – müssendiese Vorgaben dann auch tragfähig, belastbar und vorallen Dingen wissenschaftlich fundiert sein . Da bringeneben keine vorschnellen Gesetze etwas . Wir brauchenbelastbare Forschungsergebnisse .
Im Rahmen der Tierwohl-Initiative werden wir dasDeutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren mit20 zusätzlichen Stellen ausstatten . Es soll alternativeMethoden erforschen, Forschungseinrichtungen und Be-hörden beraten, Öffentlichkeit und Fachöffentlichkeitinformieren und die Forschungsförderung bei Alternativ-methoden vorantreiben. Das Friedrich-Loeffler-Instituterhält drei neue Stellen für die Bearbeitung der Themen„Haltung und Verhalten von Schweinen“ sowie „Trans-port und Betäubung landwirtschaftlicher Nutztiere“ .Ingrid Pahlmann
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Insgesamt stehen für den Bereich Tierschutz somit fast30 Millionen Euro zur Verfügung . Das zeigt, dass wirdiesem Thema gerade auch in den schwierigen Zeiteneinen hohen Stellenwert beimessen .Ich bin aber auch fischereipolitische Sprecherin. Indiesem Zusammenhang freue ich mich besonders, dassdas Fischereiforschungsschiff „Walther Herwig III“durch einen Neubau ersetzt werden kann, für den insge-samt gut 100 Millionen Euro in den nächsten drei Jahrenbereitstehen .
Das inzwischen in die Jahre gekommene Forschungs-schiff ist das größte unserer Flotte und liefert für dieHochseefischerei wichtige Erkenntnisse. Denn dieBewirtschaftung der Fischbestände ist auf eine inten-sive wissenschaftliche Erforschung angewiesen . DerEU-Kommission dienen die erhobenen Daten zur Erar-beitung von Managementkonzepten für eine zukünfti-ge bessere Bewirtschaftung und für eine nachhaltigereNutzung der Fischbestände . Bestandsschonende, selek-tive Fangmethoden werden weiterentwickelt und leistendamit einen wichtigen Beitrag für unsere Hochsee- undKüstenfischer. Umweltdaten wie Schadstoffkonzentrati-onen, Radioaktivität, Salzgehalt und Temperatur werdenunter dem Blickwinkel ihrer Wirkungen auf die Fischeund das Lebensmittel Fisch gemessen . Ein neues For-schungsschiff leistet somit einen wichtigen Beitrag fürunsere Fischer, aber auch für unsere Ernährung .Ein weiterer Forschungsschwerpunkt – wir haben esschon mehrfach gehört – liegt bei der ländlichen Ent-wicklung . Mehr als die Hälfte aller Bundesbürger lebenin ländlich geprägten Gebieten . Auch der Großteil unse-rer mittelständischen Wirtschaft ist dort angesiedelt . Dieländlichen Regionen bieten Raum für vielfältiges mit-telständisches Gewerbe: Dienstleistungsbetriebe, aktiveaufstrebende landwirtschaftliche Betriebe und das Hand-werk . Und diese Unternehmer sind wichtige Akteure, dieden ländlichen Raum stärken und die wir stärker in dieEntwicklung einbinden wollen .Demografischer Wandel und die globale Wirtschaftstellen heute aber gerade diese ländlichen Regionen vorsehr große Herausforderungen . Uns ist es wichtig, gleich-wertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land dauerhaftzu erhalten . Leben und Arbeiten auf dem Land müssenauch in Zukunft attraktiv bleiben . Deshalb erhöhen wirdie Mittel zur Stärkung der ländlichen Entwicklung deut-lich . Wir wollen regionale Infrastruktur fördern, Wirt-schaftsstrukturen des Mittelstands, des Handwerks undder landwirtschaftlichen Betriebe stärken und Strukturender Daseinsvorsorge langfristig sichern . Dazu wollen wirauch die Gründung unternehmerischer Initiativen ausdem bürgerschaftlichen Engagement – auch das ist unsallen sehr wichtig –, wie zum Beispiel Dorfläden, Kitas,altersgerechtes Wohnen oder Energievorhaben, erleich-tern .Fakt ist: Politik, Zivilgesellschaft und aktive Betriebemüssen die Entwicklung in den ländlichen Räumen ge-meinsam gestalten .
Für den ländlichen Raum haben wir mit zusätzlichen30 Millionen Euro ein klares Zeichen setzen können, umdie Regionen fit für die Zukunft und lebenswert für dieMenschen zu gestalten . Auch hier liefern die Modell- undDemonstrationsvorhaben wichtige Impulse . Wir lassendie Dörfer und die ländlichen Regionen nicht im Stich .Dafür setzen wir mit dem Haushalt 2016 ein starkes Si-gnal . Noch einmal mein Dank an die Haushälter, die dasmöglich gemacht haben!Ich bin in der Zeit geblieben . Ich denke, Sie sind auchmit mir zufrieden .
Super! Sie sind die Nummer eins heute Abend . Vielen
Dank, Frau Pahlmann . – Die nächste Rednerin: Dr . Karin
Thissen für die SPD .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Kolleginnen und Kollegen! Jeder Mensch mussessen . Selbst Sozialdemokraten leben nicht nur von Ge-rechtigkeit und Solidarität .
Damit ist klar: Lebensmittelsicherheit ist wichtig und –damit eng verbunden – auch der Tierschutz; denn Milch,Eier, Fleisch sind hierzulande Hauptnahrungsmittel .Erinnern Sie sich an den Bayern-Ei-Skandal, mit demwir uns bis heute beschäftigen müssen? Europaweit er-krankten Hunderte Menschen schwer an Salmonellose –drei starben sogar daran –, und zwar wegen tierschutzwid-riger Haltungsbedingungen in einem Legehennenbetrieb,wegen mangelnder Hygiene und Missmanagement .Weil wir nicht nur von Politik und schön Reden alleinleben, sind gesunde und sichere Lebensmittel für unserWohl essenziell .
Tierschutz ist Verbraucherschutz ist Menschenschutz .Wie viel sind uns also Lebensmittelsicherheit undTierschutz wert, und zwar im kommenden Jahr? Da liestsich der Haushaltsentwurf erst mal wie eine gute Nach-richt: knapp 30 Millionen Euro für den Tierschutz, circa12 Millionen für Lebensmittelsicherheit, 66 neue Stellenim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-sicherheit . Aber,
Ingrid Pahlmann
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aber, aber . Wenn man sich den Gesamtetat des BMELfür 2016 anschaut, kommt die Ernüchterung . Noch nichteinmal 1 Prozent des Gesamtetats ist für Lebensmittelsi-cherheit und Tierschutz vorgesehen .
Von einem Gesamtetat von 5,6 Milliarden Etat sind ge-rade mal 42 Millionen Euro für Lebensmittelsicherheitund Tierschutz . Die muss man schon fast mit der Lupesuchen .
Trotzdem: Dass das Bundesamt für Verbraucherschutzund Lebensmittelsicherheit personell aufgestockt wird,begrüßt die SPD – und ich ganz besonders .
Dadurch kann die Kontrolle von Lebensmitteln bessergewährleistet werden . Dass da viel zu wenig Personal istin der Lebensmittelaufsicht, ist mir aus meiner langjäh-rigen Überwachungstätigkeit als amtliche Tierärztin na-türlich bestens bekannt . Und noch etwas muss dazukom-men, nämlich dass die Öffentlichkeit über Missstände inder gesamten Lebensmittelkette informiert wird . Im Bay-ern-Ei-Skandal wurde beispielsweise die Öffentlichkeitnicht informiert . Der Grund: bestehende Rechtsunsicher-heit . Und weil die Rechtslage unklar ist, traut sich keineBehörde, vor Missständen öffentlich zu warnen, weil sieAngst vor Schadensersatzansprüchen hat, und zwar nicht,weil der Missstand unklar ist, sondern weil die Rechtsla-ge unklar ist . So, liebe Kolleginnen und Kollegen, kannguter gesundheitlicher Verbraucherschutz nicht gelingen .
Genau das haben wir uns aber seinerzeit im Koaliti-onsvertrag vorgenommen .
Ich zitiere:Verbraucherinformationsgesetz und § 40 Lebens-und Futtermittelgesetzbuch werden da-hingehend geändert, dass die rechtssichere Veröf-fentlichung von festgestellten, nicht unerheblichenVerstößen unter Reduzierung sonstiger Ausschluss-und Beschränkungsgründe möglich ist .An dieser Neuformulierung des § 40 LFGB versuchenwir nun seit zwei Jahren zu arbeiten . Als Vertreterin derSPD kann ich sagen, dass es uns ein großes Anliegen ist,ein bisschen Tempo in unsere Arbeitsweise zu bringen .
Denn Verbraucherinnen und Verbraucher haben dasRecht auf Information und Transparenz, und wir habendie Pflicht, rechtssichere Regelungen zu schaffen. UnsereWählerinnen und Wähler verlangen nach mehr Transpa-renz und Sicherheit ihrer Lebensmittel, wie zum Beispieleine Allensbach-Umfrage zweifelsfrei belegt .
Jetzt noch ein paar Worte zum Tierschutz . Wenn ichmir im Haushaltsentwurf die für den Tierschutz vorge-sehenen Mittel näher anschaue, fällt mir schon auf, dasseinige Positionen aus dem Koalitionsvertrag 2016, nunja, bearbeitet werden sollen . Aber an die Empfehlungendes Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik, Ernäh-rung und gesundheitlichen Verbraucherschutz traut mansich dann doch nicht so richtig ran, Empfehlungen, dieda lauten: Tierwohlindikatoren weiterentwickeln, Tier-schutzniveau steigern und Kontrolllücken schließen,
Grundlagenforschung im Tierschutzbereich fördern . Wiewerden diese Empfehlungen im nächsten Jahr umge-setzt? Da muss dringend etwas passieren; denn nur sowird die deutsche Landwirtschaft für die Zukunft fit.
Es reicht nicht, nur Geld in die Hand zu nehmen oderfreiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft zu beju-beln . Der Tierschutzgedanke muss sich auch in Gesetzenund Verordnungen wiederfinden, und da sind wir gefragt.Nun wird es Zeit, auch mal die Bereiche Lebensmittel-sicherheit und Tierschutz des Koalitionsvertrages abzu-arbeiten .Liebe Kolleginnen und Kollegen, die zweite Halbzeitder Legislatur läuft .
Vielen Dank, liebe Kollegin Dr . Thissen . Sie sehen:
Das gesamte Haus gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede
im Deutschen Bundestag .
Wir hoffen, dass Sie auch weiterhin so ermunternde Re-
den halten werden – zur Freude Ihres Koalitionspartners .
Wir machen jetzt weiter . Nächste Rednerin in der De-
batte ist Gitta Connemann für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Backmit Hack! – Endlich Plätzchen aus Fleisch .“ Dies titeltaktuell eine Kochzeitschrift für Männer mit Geschmack .Zur selben Zeit verschleudert ein Großdiscounter500 Gramm Schweinehack für 1,59 Euro . Noch nie wur-de so viel über Essen geredet, geschrieben, gesendet –Dr. Karin Thissen
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für jede Zielgruppe etwas . Das ist die eine Seite der Me-daille . Aber auf der anderen Seite werden Lebensmittelverramscht . Dies spüren unsere Landwirte und ihre Fa-milien jeden Tag . Der wirtschaftliche Druck ist enorm;das ist hier mehrfach zu Recht gesagt worden . Was hinzukommt: Sie fühlen sich immer mehr an den Rand der Ge-sellschaft gedrängt . Beispiele gefällig? „Wer ist krasserals Nazis, Scientologen oder Geheimdienste? Die deut-sche Agrarlobby .“ So postete kürzlich ein Reporter einergroßen deutschen Wochenzeitung .
„Sklavenhalter“, so brandmarkte Animal Peace einenLandwirt, der von einem Bullen getötet worden ist . Fürdiese Organisation ist das Tier – ich zitiere – ein „Heldder Freiheit“ . Bauern als Vogelfreie – das sind sicherlichExtrembeispiele, aber sie beschreiben ein Klima, in demsich jede Bäuerin, jeder Bauer und ihre Familien bewe-gen müssen, und zwar tagtäglich . Und dabei sollen sie dieLebensmittel erzeugen, die wir uns wünschen – höchsteStandards, kleine Preise, eigentlich eine Quadratur desKreises . Dank harter Arbeit gelingt es ihnen . Noch niewaren Lebensmittel so sicher, bezahlbar, allzeit verfüg-bar wie heute . Aber die Anerkennung bleibt aus .
Vor diesem Hintergrund beraten wir heute den Haus-halt für Ernährung und Landwirtschaft . Es geht dabei ummehr als Geld . Es geht um ein Signal . Wir, die Mitgliederder CDU/CSU-Fraktion, sagen: Es muss endlich Schlusssein mit der Diffamierung einer ganzen Branche .
Wir bekennen uns zu unseren bäuerlichen Betrieben . Wirstehen an ihrer Seite, in guten wie in schlechten Zeiten .
Dies stellen wir unter Beweis, auch heute, unter anderemdurch die Erhöhung der Mittel für die landwirtschaftlicheSozialversicherung, für den Export in Schwellenländer,für Forschung, für Energieeffizienz, auch im Gartenbau.Dafür sage ich unserem BundeslandwirtschaftsministerChristian Schmidt und unserem Haushälter Cajus JuliusCaesar herzlichen Dank .
Das sind wichtige betriebliche Hilfen, aber es gehtauch um das Ganze . Landwirtschaft wird nicht mehr ver-standen . In Werbung und Medien wird ein romantischesBild inszeniert, das mit der Realität nichts mehr zu tunhat . Immer weniger erleben diese Realität unmittelbar inihren Dörfern . Natürlich gibt es auch offene Fragen: Wiewollen wir uns ernähren? Wie soll Tierhaltung zukünftigstattfinden? Wir stellen fest: Es gibt keinen gesellschaft-lichen Konsens . Darüber müssen wir reden – gemeinsam,nicht übereinander, sondern miteinander . Dabei setzenwir übrigens auf Dialog statt auf Konfrontation . Dasunterscheidet uns, liebe Ingrid Pahlmann, von unseremgrünen Agrarminister in Niedersachsen . Er spricht nurmit wenigen und orientiert sich an Nischen . Das ist derfalsche Weg . Wir wollen alle Beteiligten an einen Tischbringen: Verbraucher, Wirtschaft, Wissenschaft, Verbän-de, Kirchen . Dafür brauchen wir eine Dialogplattformbeim Bundeslandwirtschaftsministerium . Es geht uns umden Austausch auf Augenhöhe . Die Mittel dafür stehenjetzt bereit . Nur zu!
Mit seinem Lebensmittelgipfel macht unser MinisterChristian Schmidt einen Anfang . Es wird um Verantwor-tung gehen, auch der Landwirtschaft, ja, aber auch derVerbraucher, der Hersteller und des Handels, ja: des Han-dels . Vier große Anbieter teilen sich heute noch Zweidrit-tel des Marktes . Sie liefern sich einen ruinösen Preiswett-bewerb auf Kosten Dritter, nämlich auf dem Rücken derErzeuger von Tieren, der kleinen Mittelständler . Ich sagesehr deutlich: Eine weitere Konzentration des Marktesmuss verhindert werden .
So sagen es übrigens Bundeskartellamt und Monopol-kommission . Ich persönlich sage: Eine Erlaubnis desBundeswirtschaftsministers für die Übernahme von Ten-gelmann durch Edeka wäre ein fatales Signal .
An diesem Fall wird sich zeigen, wie wehrhaft das Kar-tellrecht ist .Dies betrifft übrigens auch die Verbraucher, ihre Ver-sorgung, ihre Ernährung – Lebensthemen . Kaum etwasbewegt die Menschen so sehr wie ihre Ernährung, undzwar zu Recht; denn am Ende geht es immer um ihre Ge-sundheit . Für all diese Themen trägt unser MinisteriumVerantwortung . Es ist für mich, für uns das Lebensminis-terium . Dies ist in der Rede von Ihnen, lieber Herr Mi-nister, ganz deutlich geworden . Wir stellen Ihnen heutedie Mittel für die Umsetzung Ihrer politischen Agendamit den Schwerpunkten Ernährung und gesundheitlicherVerbraucherschutz zur Verfügung . Glück auf!
Es handelt sich hier um einen bedeutenden Betrag . Dabin ich etwas anderer Meinung als Sie, Frau Thissen . Wirwaren als Koalitionsfraktionen eigentlich gemeinsamsehr stolz darauf, dass wir hierfür 150 Millionen Euroeinbringen können . Das ist ein Spitzenwert . Vielleichtschauen Sie sich den Haushalt noch einmal an . Dannwerden Sie erkennen, dass viele Mittel durch die land-wirtschaftliche Sozialversicherung gebunden sind .
Das ist ähnlich wie beim Sozialhaushalt und der gesetz-lichen Rentenversicherung . Ich denke, dann kommen wirdas nächste Mal hier wieder zusammen .
Es ist unsere Aufgabe, die Menschen in unserem Landvor gesundheitlichen Gefahren und vor Täuschung zuschützen . Dieser Aufgabe stellen wir uns übrigens seitzehn Jahren, und zwar erfolgreich . Lebensmittel sind sosicher wie nie zuvor, nicht zuletzt dank der hervorragen-Gitta Connemann
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den Arbeit von Bundesbehörden wie dem Bundesinstitutfür Risikobewertung, lieber Harald Ebner . Es bewertetRisiken und leitet Grenzwerte ab . Wir wünschen uns,dass es bleibt, wie es ist, dass es nicht auf Wunsch oderden Zuruf der Politik,
sondern ausschließlich auf wissenschaftlicher Basis tätigwird; denn wir brauchen Aufklärung und Fakten
statt Empörung und Vermutungen . Es geht um Men-schen, und da müssen wir, da müsst ihr der Verantwor-tung besser gerecht werden als bisher .
Die Entscheidung darüber, was auf den Teller kommt,überlassen wir den Menschen . Deshalb lehnen wir einestaatliche Bevormundung durch Verbote oder Strafsteu-ern ab . Dies wurde übrigens gestern Abend bei einemKongress unserer Fraktion noch einmal deutlich . Es gingum die Volkskrankheit Diabetes . Verbote, so die Wissen-schaft, verlocken oder führen zur Umgehung, und Len-kungssteuern sind schon in anderen Ländern gescheitert .Deswegen ist es richtig, dass wir als Koalition einen an-deren Weg gehen und sagen: Wir nehmen 2 MillionenEuro zusätzlich in die Hand, um damit eine Strategie zurReduktion von Zucker, Fetten und Salz in Fertigproduk-ten zu entwickeln . Das ist der richtige Weg . Um wirklichentscheiden zu können, braucht der Verbraucher eines:Klartext . Es muss draufstehen, was drin ist, und drin sein,was draufsteht .
Immerhin kann der Verbraucher zwischen 170 000 Pro-dukten mit klangvollen Namen wählen .
Frau Connemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage
oder -bemerkung von Herrn Ebner?
Sehr gern .
Liebe Frau Kollegin, Sie haben das Bundesinstitut für
Risikobewertung und seine Aufgabenstellung angespro-
chen . Da bin ich ganz bei Ihnen . Ich habe vorhin schon
gesagt: Es ist richtig, dass man das Bundesinstitut perso-
nell stärkt; denn gerade bei der Bewertung der Gefähr-
lichkeit von Glyphosat haben wir gesehen,
dass die personellen Mittel eben nicht ausreichen, um die
Bewertung selber vorzunehmen .
Das kann man im Bericht des Bundesinstituts nach-
lesen . Das Bundesinstitut hat geschrieben, dass es bei
850 von 1 250 Studien die Bewertung der Antragsteller
übernommen hat, ohne selber zu prüfen . Es musste in der
nachgelegten Untersuchung und Bewertung sogar zuge-
ben, dass es gar nicht bemerkt hatte, dass bei etlichen
Mäusestudien statistische Verfahren, die notwendig ge-
wesen wären, gar nicht durchgeführt worden sind . Das
BfR hat dann, als der Zug eigentlich schon abgefahren
war, noch einmal geprüft und festgestellt: Die Bewertung
war falsch .
Insofern bin ich ganz bei Ihnen: Da soll die Politik
nicht reinpfuschen, da soll auch die Industrie nicht rein-
pfuschen . Auf dem Weg müssen wir uns weiter bewegen .
Lieber Harald Ebner, du weißt, dass ich dich persön-lich wirklich schätze . Aber du versuchst jetzt, von demabzuweichen, was du bei der Anhörung zum Thema Gly-phosat geliefert hast, und das war ein wirklich traurigesSchauspiel . Das BfR ist nämlich nicht fachlich, sondernpolitisch-ideologisch angegriffen worden, weil es zu ei-nem Ergebnis gekommen ist, das dir nicht passt .
Wenn wissenschaftliche Behörden am Ende die Ergeb-nisse so gestalten müssen, dass sie nur noch Applausvon der Politik erhalten, dann ist das falsch . Es geht aus-schließlich um Wissenschaftlichkeit .
Dass das BfR nicht danebengelegen hat, zeigt die Ent-scheidung der EFSA, der europäischen Gesundheitsbe-hörde, gerade in Sachen Glyphosat .
Wenn du jetzt unterstellen willst, dass sich auch dieEFSA und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-ler dort in den Befunden, die über Jahre hinweg geliefertworden sind, und den vielen Gutachten, die vorliegen,getäuscht haben, kann ich nur sagen: Du machst dir soein Stückchen deine Welt, wie sie dir gefällt .
Oder um es mit Karl Marx zu sagen: Niemand ist so taub,dass er es nicht hören will .
Gitta Connemann
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Ich bitte angesichts der Zeit – wir sind arg im Ver-
zug –, auf weitere Zwischenfragen zu verzichten .
Wir werden sicherlich nicht die letzte Auseinanderset-
zung in dieser schönen Runde haben . – Ich bitte sehr
darum .
– Ja, ich weiß, dass das ein wichtiger Punkt ist; aber wir
sind unglaublich in Verzug .
Gitta, erlauben Sie die Zwischenfrage?
– Nein, die Qualität der Frage ist eine ganz andere Sa-
che . – Frau Connemann kann jetzt Ja oder Nein sagen .
Sehr gern, Frau Präsidentin .
Gut . Aber ich sage an alle Kollegen gerichtet – wir
sind richtig spät dran, und wir haben noch eine Abstim-
mung durchzuführen –: Bitte keine weiteren Fragen! An-
sonsten lasse ich sie nicht mehr zu .
Bärbel Höhn, bitte .
Frau Kollegin Connemann, Sie haben eben gesagt, in
der Anhörung sei das BfR nur ideologisch angegriffen
worden . Ich war selber da und weiß, dass die beiden Ex-
perten aus den USA das BfR eindeutig fachlich angegrif-
fen haben . Können Sie das bestätigen – ja oder nein?
Ich war nicht bei der Anhörung .
Ich habe das Protokoll gelesen, und ich habe die Anhö-
rung gesehen, die aufgezeichnet worden ist .
– Noch einmal: Ich habe die Anhörung gesehen, auch
wenn ich nicht dagewesen bin . – Die Wissenschaftler,
die Sie anführen, haben gesagt – da haben Sie natürlich
recht –: Das BfR hat an dieser Stelle Fehler gemacht . –
Es gab aber andere Wissenschaftler, die genau das Ge-
genteil gesagt haben .
Am Ende ist für mich die Bewertung durch die EFSA
wichtig, und die oberste europäische Gesundheitsbe-
hörde – das sage ich noch einmal – hat gesagt, dieser
Bewertung durch das BfR sei nichts hinzuzufügen . Ich
bitte einfach darum: Nur die Tatsache, dass Ihnen ein
Ergebnis nicht gefällt, darf nicht dazu führen, dass am
Ende die Politik die Seriosität einer ganzen Behörde in
Abrede stellt .
Frau Connemann, es geht weiter mit Ihrer Redezeit .
Sie haben noch eine Minute .
Die Leitsätze im Lebensmittelbuch sollen Orientie-
rung geben . Viele sind aber nicht mehr nachvollziehbar .
Zucker darf sich nicht hinter chemischen Formeln verste-
cken . Auch ein Muskatwürzer ohne Muskat stiftet Ver-
wirrung . Das beweisen die Beiträge auf dem Internetpor-
tal Lebensmittelklarheit . Auch um dessen Finanzierung
zu sichern, stellen wir den Verbraucherzentralen 3 Milli-
onen Euro bereit . Das ist gut investiertes Geld . Wir arbei-
ten auch an einer Reform des Lebensmittelbuchs, liebe
Kollegin Vogt, liebe Kollegin Drobinski-Weiß, lieber
Kollege Rainer . Es hat sich bewährt, aber es ist in die
Jahre gekommen . Eines wünschen wir uns schon heute,
lieber Minister: eine bessere personelle und finanzielle
Ausstattung . Dafür müssten sich doch entsprechende Ka-
pazitäten in der BLE finden lassen.
Informationen dürfen aber auch nicht überfordern . Ein
Karottensaft braucht keinen Beipackzettel, die Cortison-
salbe schon, und zwar lesbar und auf Deutsch . Dafür ha-
ben Sie, lieber Herr Minister, bei Lebensmitteln gesorgt .
Aber es gibt noch einiges zu tun . Ich nenne als Beispiel
die verlässlichen Herkunftsangaben . Nur was aus deut-
schen Landen kommt, darf diese Kennzeichnung auch
tatsächlich tragen . Der Anfang ist getan . Wir müssen
noch mehr tun, zum Beispiel beim verarbeiteten Fleisch .
Wir setzen hier auf die EU; sie muss sich bewegen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in drei Tagen ist der
erste Advent . Wir begannen mit Plätzchen, und ich wün-
sche Ihnen eine besinnliche Adventszeit mit selbstgeba-
ckenen Plätzchen – ob nun aus Hack oder aus Mürbeteig;
über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Gitta Connemann . – Nächste Rednerinfür die SPD: Ursula Schulte .
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Mi-nister Schmidt! Sehr verehrte Damen und Herren auf derTribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Blickin den Einzelplan 10 habe ich gedacht: Wunderbar, wirstehen kurz vor Weihnachten, und ein Wunsch geht inErfüllung . – Ich meine damit nicht die Hofabgabever-pflichtung,
um die wir lange gerungen haben und die mich noch imSchlaf verfolgt . Nein, ich meine die Mittel, mit denen wirgesunde Ernährung fördern wollen .2 Millionen Euro hat das Bundesministerium für Er-nährung und Landwirtschaft für eine nationale Strategiezur Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Fertigpro-dukten in den Haushalt 2016 eingestellt . Herr Minister,das ist eine gute Entscheidung .
Die SPD-Fraktion freut sich darüber besonders, weilwir uns lange für diese Reduktionsstrategie eingesetzthaben . Ein besonderer Dank gilt meiner Kollegin Elvira Drobinski-Weiß, die lange und heftig dafür gekämpft hat .Herzlichen Dank!
Eine nationale Strategie zur Reduktion von Zucker,Fetten und Salz in Fertigprodukten ist eine wichtigePräventionsmaßnahme im Kampf gegen chronische Er-krankungen und Fehlernährung . Dass diese Maßnahmezwingend notwendig ist, das zeigen Studien der WHO .Demnach sind Übergewicht und Fettleibigkeit die größ-ten Risiken für die Gesundheit der Menschen . Ich willSie heute nicht mit Zahlen langweilen, liebe Kolleginnenund Kollegen; eine kann ich Ihnen aber nicht ersparen . Inden letzten 20 Jahren hat sich der Anteil der übergewich-tigen Menschen verdreifacht . Leider nimmt auch der An-teil der Kinder und Jugendlichen mit Übergewicht stetigzu . Schon ihretwegen müssen wir schnell, langfristig undvor allem nachhaltig handeln .
Ein Baustein könnte das Institut für Kinderernährungsein, das schon wichtige Beiträge zur Förderung der Ge-sundheit von Kindern geleistet hat und alltagstauglicheEmpfehlungen für eine gesunde Ernährung auf den Weggebracht hat . Genau das ist es doch, was Familien, Kitasund Schulen heutzutage brauchen . Lassen Sie uns alsogemeinsam versuchen, dieses Institut zu erhalten! EinBundesinstitut für Ernährung wäre vielleicht eine Lö-sung . Herr Minister, Ihr Lächeln, als Herr Freese vorhinein solches Institut erwähnt hat, deute ich so, dass auchSie sich eine solche Lösung vorstellen könnten .
Mit dem Antrag „Gesunde Ernährung stärken – Le-bensmittel wertschätzen“ hat die Koalition eine Initiativegegen den Anstieg ernährungsbedingter Erkrankungengestartet . Die Reduktionsstrategie war allerdings nur einTeilelement. Verpflichtende Qualitätsstandards für Kita-und Schulverpflegung sowie Werbeverbote für ungesun-de Lebensmittel an Grundschulen und Kitas sind weitereForderungen, die umgesetzt werden müssen, wenn wirgesunde Ernährung für unsere Jüngsten wirklich wollen .
Das sind übrigens alles Forderungen aus der Praxis, diewährend der großen, von der SPD initiierten Verbrau-cherkonferenz im Juli dieses Jahres an uns herangetragenwurden .Sehr geehrter Herr Minister Schmidt, vorhin habe ichSie gelobt . Jetzt muss ich allerdings auch ein bisschenKritik anbringen; denn auf unserem Wunschzettel stehennoch einige Punkte, die wir gerne erfüllt sähen . An obers-ter Stelle steht der Fokus auf die Ernährung von Kindernin den ersten beiden Lebensjahren, dem sogenannten1 000-Tage-Fenster . Wer in dieser Phase seines Lebensfalsch oder mangelernährt wird – auch das soll es bei unsin Deutschland noch geben –, hat massive Konsequenzenfür seine körperliche und geistige Entwicklung zu tra-gen, und zwar sein Leben lang . Wenn wir unseren Antrag„Gesunde Ernährung stärken – Lebensmittel wertschät-zen“ wirklich ernst nehmen, dann müssen wir gerade indiesem Bereich verstärkt investieren .
Schließlich wissen wir schon lange, dass Kinder aus bil-dungsfernen und einkommensschwachen Familien vonFehlernährung besonders betroffen sind . In unserem be-reits erwähnten Antrag steht, dass es eine Frage sozialerGerechtigkeit ist, allen Kindern eine gesunde Ernährungzu ermöglichen . Wenn dieser Satz nicht nur ein Lippen-bekenntnis bleiben soll, müssen wir endlich tätig werden .
In der Konsequenz bedeutet das für mich, dass wirGeld in die Hand nehmen und für eine gesunde und teil-weise auch kostenlose Verpflegung in Kitas und Ganz-tagsschulen sorgen müssen . Wichtig ist mir aber auch,unsere Kinder und Jugendlichen in Sachen Ernährungzu bilden . Kinder müssen schon in der Kita erfahren,wie man gesundes Essen schmackhaft zubereitet . DiesesWissen sollte in der Schule vertieft werden . So werdenKinder auch ein wenig zu Erziehern ihrer Eltern . In Zei-ten von Fastfood, Fingerfood, Fertiggerichten und Coffeeto go müssen wir aufpassen, dass so etwas wie Esskulturübrig bleibt .
Gemeinsame Mahlzeiten sind nicht etwa altmodisch,sondern eine Möglichkeit, miteinander Zeit zu verbrin-gen .
Unsere Aufgabe ist es, bessere Bedingungen für einegesunde Ernährung zu schaffen . Dazu gehört auch dieInformation der Verbraucherinnen und Verbraucher . Jeeinfacher die Information ist, umso besser . Auch ich habekeine Lust, mir lange winzig klein gedruckte Aufschrif-ten auf Verpackungen durchzulesen . Daher sollten wir
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 140 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . November 201513820
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gemeinsam noch einmal über die Einführung einer Le-bensmittelampel nachdenken . Damit erreichen wir dannganz sicher alle Bevölkerungsschichten .
Ein Haushalt – damit komme ich zum Schluss – ist inZahlen gegossene Politik . Aus Sicht der Verbraucherin-nen und Verbraucher haben wir mit dem Ansatz für dieReduktionsstrategie einen weiteren Schritt in die richti-ge Richtung unternommen . Natürlich gibt es noch vielzu tun . Die SPD-Fraktion wird die Hände nicht in denSchoß legen, sondern sich für weitere Mittel im Verbrau-cherbereich einsetzen .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Danke schön, Frau Kollegin Schulte . – Die letzte Red-
nerin in der Debatte: Rita Hagl-Kehl für die SPD .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Mi-nister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Debattezum Haushalt dürfen natürlich auch die Themen „nach-haltige Landwirtschaft“ und „zukunftsfähige Agrar-politik“ nicht fehlen . Für die SPD-Bundestagsfraktionsteht eine nachhaltige, zukunftsfähige Entwicklung inder Landwirtschaft im Vordergrund . Der Schwerpunktunserer Politik liegt auf der Gesundheit von Menschenund Tieren sowie auf den Folgen der Landwirtschaft fürdie Umwelt . Deswegen sprechen wir uns für eine nach-haltige und ressourcenschonende Agrarpolitik aus, diedazu beiträgt, einen gesunden und fruchtbaren Boden zuerhalten sowie gesunde und qualitativ hochwertige Le-bensmittel zu produzieren .
Um die Agrarpolitik in diesem Sinne gestalten zu kön-nen, benötigen wir mehr Forschung, auch mehr Förder-mittel, um die Bundesprogramme und die Strategien derBundesregierung zu stärken . Es ist richtig, dass sich dasBundesministerium für Ernährung und Landwirtschaftden Bereich „Nachhaltigkeit, Forschung und Innovati-on“ als einen der wichtigsten politischen Schwerpunktegesetzt hat . Vielen Dank dafür . Ich werde auf zwei sehrwichtige Titel dieses Bereichs konkret eingehen, die ichfür besonders finanzierungswürdig halte.Erstens: der Titel „Eiweißpflanzenstrategie“. Das Po-tenzial heimischer Eiweißpflanzen wird in Deutschlandnur unzureichend ausgeschöpft . Mit der Eiweißstrategiewird das Potenzial von Anbau- und Erntetechniken aus-geschöpft, ebenso werden die Wettbewerbsnachteile hei-mischer Eiweißpflanzen vermindert. Aus diesen Gründenhat sich die SPD stark und im Endeffekt erfolgreich dafüreingesetzt, diesen Titel im Haushalt 2016 um 2 MillionenEuro aufzustocken .
Mit der Eiweißpflanzenstrategie wollen wir die Ge-winnung wertvoller pflanzlicher Eiweiße aus Legumino-sen wie Erbsen, Ackerbohnen und Lupinen stärken . DieLeguminosen sind ein wichtiger Baustein der nachhal-tigen Landwirtschaft . Sie verbessern sogar die Boden-fruchtbarkeit . Langfristig brauchen wir Unabhängigkeitvon Importen, zum Beispiel von Gensoja .
Als Zweites möchte ich auf einen Titel eingehen, deraus meiner Sicht im Haushalt 2016 zu wenig berücksich-tigt worden ist . Es handelt sich um das BundesprogrammÖkologischer Landbau und andere Formen nachhaltigerLandwirtschaft, BÖLN genannt . Als für den Ökolandbauzuständige Berichterstatterin habe ich bereits mehrmalsdarauf hingewiesen, wie wichtig dieser Haushaltstitel ist .Obwohl wir es im Haushalt 2015 geschafft haben, diesenTitel von 14 auf 17 Millionen Euro aufzustocken, werdendie Fördermittel am Ende des Jahres voll ausgeschöpftsein .
Daran zeigt sich, dass wirklich Bedarf vorhanden ist .Damit das Bundesprogramm weiterhin gestärkt und ver-stetigt werden kann, wie im Koalitionsvertrag vereinbartund festgeschrieben wurde, sind weitere Erhöhungennotwendig .
Durch das Bundesprogramm können wir die nachhal-tige Landwirtschaft stärken; denn wir unterstützen damitdie Erzeugung von ökologischem Saatgut und von Mit-teln zur vegetativen Vermehrung und schaffen so einebreite Palette verfügbarer Pflanzensorten und -arten. Dasstärkt die Wirtschaftlichkeit von ökologisch und nachhal-tig wirtschaftenden Betrieben . Das Programm dient derStärkung der ökologischen Land- und Lebensmittelwirt-schaft und der angestrebten Ausweitung der ökologischbewirtschafteten Anbauflächen im Land. In den letztenzwei Jahren hat sich die Größe dieser Anbauflächen lei-der nicht verändert . So wird es schwierig, die 20 ProzentÖkolandbau, die in der nationalen Nachhaltigkeitsstrate-gie festgelegt worden sind, zu erreichen .Um verschiedene Formen dieser Landwirtschaft zuunterstützen, sollen Konzepte und Strategien für einenoch gezieltere Förderung erarbeitet werden . Das Bun-desministerium für Ernährung und Landwirtschaft hatmit der Ankündigung eines Zukunftsplans Öko ersteSchritte unternommen . Aber damit die Strategie wie an-gekündigt bis Ende 2016 erarbeitet und umgesetzt wer-den kann, bedarf es im Ökobereich noch mehr Subventi-onen und Forschung .Zum Schluss möchte ich noch kurz auf den Aspekt derPflanzenschutzmittelreduktion eingehen. Vorhin wurdeUrsula Schulte
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bereits das Stichwort „Glyphosat“ genannt . Keine Sorge,dazu spreche ich nicht . Aber diese Thematik zeigt, dasswir weiterhin den Nationalen Aktionsplan zur nachhal-tigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln brauchen.Hier dürfen wir nicht nachlassen . Wir müssen diesen Ti-tel verstetigen und dürfen die Mittel nicht zurückführen .Wir benötigen auch sehr viel Forschung in Bezug auf dieUmsetzung, um neue, sichere Alternativen zu den exis-tierenden Pflanzenschutzmitteln zu finden und die Land-wirte noch besser beraten zu können .
Dafür werde ich mich einsetzen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin Hagl-Kehl . – Damit
schließe ich die Aussprache .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ein-
zelplan 10 – Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft – in der Ausschussfassung . Es liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/6802 vor, über den wir zuerst abstimmen . Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist
abgelehnt durch Ablehnung durch CDU/CSU und SPD
bei Zustimmung der Linken und Enthaltung von Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 10 in der Ausschussfassung . Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Der Ein-
zelplan 10 ist damit angenommen . Zugestimmt haben die
CDU/CSU und die SPD, dagegengestimmt haben Bünd-
nis 90/Die Grünen und die Linke; es gibt keine Enthal-
tungen .
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, 27 . November 2015, 9 Uhr,
ein .
Ich wünsche Ihnen einen schönen Restabend . Die Sit-
zung ist geschlossen .