Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Der Kollege Gerhard Rübenkönig hat sein Amt als
Schriftführer niedergelegt. Die Fraktion der SPD be-
nennt als Nachfolgerin die Kollegin Rita Streb-Hesse.
Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wider-
spruch. Damit ist die Kollegin Streb-Hesse als Schrift-
führerin gewählt.
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord-
nungspunkt 1 – fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2004
– Drucksache 15/1500 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
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Redet
Finanzplan des Bundes 2003 bis 2007
– Drucksache 15/1501 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Ich erinnere daran, dass wir gestern für die heutige
Aussprache achteinhalb Stunden, für morgen acht Stun-
den und für Freitag eineinhalb Stunden beschlossen ha-
ben.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
kanzleramtes.
Als erster Redner hat der Kollege Michae
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Das zurückliegende Jahr war ein verlorenes Jahr füreutschland. Unser Land befindet sich dank der glorrei-hen Führung von Rot-Grün in der schwersten Wirt-chaftskrise seiner Geschichte. Massenarbeitslosigkeit,tagnation, riesengroße Löcher in den öffentlichenaushalten und leere Sozialkassen kennzeichnen dieage. Herr Bundeskanzler, Deutschland ist nicht mehr iner Champions League, sondern in der Abstiegsklasse.er Finanzminister ist zum Herrn der Löcher mutiert,om ehemaligen selbst ernannten Sanierer zu einemann, der über seinen Haushalt sagen muss, er war nochie so voller Risiken wie heute. Das hat auch die gestrigeebatte gezeigt.Herr Bundeskanzler, weil wir gerade beim Themaußball sind, möchte ich feststellen: Sie haben manchesextmit Rudi Völler gemeinsam. Sie sind Chef einer erfolg-losen Mannschaft.
Vor allen Dingen sprechen Sie aber die gleiche Sprachewie Rudi Völler. Über die Grünen haben Sie nämlich ge-sagt, Sie fänden sie zum Kotzen. Sie hätten wenigstensdas Wort „Erbrechen“ verwenden können.
hen, dass es einem hochkommt, wennhen Partner hat und wenn man sich mitnd Herren abgeben muss. Zumindest ist Ihnen herausgebrochen.l Glos von Ich kann versteman einen solcdiesen Damen udieses Wort aus
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4988 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Michael Glos
Bis zum Wahlabend vor einem Jahr ist die Lageschöngeredet worden. „Weiter so, Deutschland“ und„mit ruhiger Hand“, hieß es. Deutlich unter 3,5 Millio-nen Arbeitslose, das war Ihre Zielvorgabe, Herr Bundes-kanzler. Wir haben heute 660 000 Arbeitsplätze weni-ger in diesem Land als vor einem Jahr. Ich darf zitieren,was damals versprochen wurde:Wenn es uns nicht gelingt, in den ersten Jahren ei-nen Durchbruch zu erzielen, haben wir nicht ver-dient, weiter zu regieren.Dieses Wort gilt heute, nach fünf Jahren, noch genauso.
Die Wahlversprechen werden vom Tisch gewischt.Aufschwung, Wachstum, mehr Beschäftigung, ausgegli-chener Haushalt, gesicherte Sozialleistungen, stabileSozialbeiträge – all das ist vergessen. Doch weil die Bür-gerinnen und Bürger viele dieser großspurigen Verspre-chungen nicht vergessen haben, meinen sie oft, sie seienZuschauer in einem falschen Film. In der Geschichte un-seres Landes wurden die Menschen noch nie derart skru-pellos hinters Licht geführt, wie es bei der Bundestags-wahl im letzten Jahr der Fall war.
Machen wir uns nichts vor: Die neue Mitte, um dieSie damals geworben haben, hätte Sie nicht gewählt,wenn sie gewusst hätte, wie stark die Sozialversiche-rungsbeiträge ansteigen und dass die Beitragsbemes-sungsgrenze heraufgesetzt würde. Der Deutsche Ge-werkschaftsbund hätte Ihnen keine millionschwereWahlhilfe gegeben, wenn er gewusst hätte, was mit derAgenda 2010 kommt. Ich will damit nicht sagen, dassdas alles nicht auch ein Stück weit sein muss; man mussdas den Wählerinnen und Wählern aber vorher sagen.
Verehrter Herr Bundeskanzler, verschiedene Leutehaben mir gesagt, ich solle heute ein bisschen netter zuIhnen sein. Ich will das gerne tun: Ich bedanke mich beiIhnen ganz herzlich für die Wahlhilfe, die Sie uns inBayern geben.
Ich finde das großartig und eindrucksvoll. Dank derschlechten Politik, die Sie hier, in Berlin, machen, wer-den wir in Bayern ein gutes Wahlergebnis einfahren.
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aren Sie dort willkommen. In München wurden Sieon Herrn Ude und in Nürnberg von Herrn Maly ausge-aden. Grund dafür war in erster Linie, dass die Finanz-age der Kommunen dank einer dilettantisch gemachtenörperschaftsteuerreform mindestens genauso deso-at, wenn nicht noch desolater ist als die des Bundes under Länder. Deutschland wird bald zur körperschaftsteu-rfreien Zone. Außerdem wurden Sie ausgeladen, weilan sich Ihre Erfolgslosigkeit nicht an die Backe klebenill.Das wird den Genossinnen und Genossen dort aberenig helfen. Sie handeln so verkehrt, wie man verkehr-er nicht handeln kann: Sie entscheiden sich weder füroch gegen diese Bundesregierung. Die Wählerinnennd Wähler wollen aber klar wissen, woran sie sind. Ichlaube, den Genossinnen und Genossen in Bayern drohtas gleiche Schicksal, das unser Land insgesamt ergrif-en hat: Sie werden in eine tiefe Rezession abgleiten.Sie programmieren und plakatieren für viel Steuer-eld „Deutschland bewegt sich“. Diese Kampagne isteiner Ansicht nach ein Stück weit das Geständnis, dasss in Deutschland bisher Stillstand gegeben hat.
m Grunde ist diese Kampagne ein Offenbarungseid deregierung.
ch finde es gut, dass Sie Ihre eigenen Fehler mit dieserampagne noch bekannter machen.Die misslungene Steuerreform – die Körperschaft-teuer ist die Bemessungsgrundlage für die Gewerbe-teuer – hat neben der Erhöhung der Gewerbesteuerum-age dazu geführt, dass die Kommunen wegen derchwachen Wirtschaftslage derart am Krückstock gehen,ass heutzutage Leistungen, die die Bürgerinnen undürger direkt betreffen, gestrichen werden müssen. Da-an sind nicht die Kommunalverwaltungen, nicht dieürgermeister oder Oberbürgermeister schuld. Diechuldigen sitzen vielmehr hier auf der Regierungsbank.
Herr Stiegler, es wäre besser, wenn Sie zuhören wür-en, anstatt zu schreien. Sie müssen wissen, dass maneim Selber-Reden-und-Schreien nichts lernen kann,ondern nur beim Zuhören.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 4989
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Michael GlosIch rufe Ihnen noch einmal in Erinnerung – wenn Sie zu-hören können –, dass Sie alle unsere Initiativen, mithilfederer die finanzielle Situation der Kommunen raschhätte verbessert werden können, im Deutschen Bundes-tag abgeschmettert haben.
Trotz Riester-Rente, Ökosteuer, steigender Beiträgeund höherer Bemessungsgrenze steht die Rentenversi-cherung vor einem Kollaps. Das macht uns und denMenschen draußen Sorgen. Ohne unsere Mitarbeit – ichbedanke mich bei Horst Seehofer und seinen Mitstrei-tern – stünden die Krankenversicherungsbeiträge eben-falls vor einer gewaltigen Explosion.Ohne das Störfeuer aus geschwätzigen Kommissio-nen wäre die Politik für die Bürger wenigstens ein Stückweit transparenter. Herr Bundeskanzler, bei Ihrem Hangzu Kommissionen wäre es passender gewesen, Sie wä-ren nicht Bundeskanzler, sondern Kommissionspräsidentgeworden.
Kommissionen sind ein Ablenkungsmanöver: Deutsch-land hat kein Erkenntnisdefizit, Deutschland hat ein Um-setzungsdefizit.Denken Sie an den immer währenden Herrn Rürup:Keine Kommission ohne Rürup. Sie wissen, dass erseine Erkenntnisse schon sehr oft mitgeteilt hat.
Wenn Sie es ernst meinen und diese Kommissionen keinreines Ablenkungsmanöver sein sollen, müssen Sie dieseErkenntnisse aber auch umsetzen.Auch wenn die Grünen die neue Lehrerpartei gewor-den sind, muss man feststellen, dass die SPD immernoch von den Lehrern geprägt ist. August Bebel hat ein-mal gesagt, die Lehrer würden die Sozialdemokratenund die Gewerkschaften einmal kaputt machen.
Beide Gruppen haben nicht nur ein gewaltiges Umset-zungsdefizit, sondern wir haben in unserem Land auchgewaltige volkswirtschaftliche Erkenntnisdefizite. HerrBundeskanzler, deswegen müssen Sie zu Sonderparteita-gen und Regionalkonferenzen. Sie müssen versuchen,die Menschen dort ein wenig nachzubilden. Das fällt beiden Betonköpfen in den DGB-Gewerkschaften natür-lich sehr schwer.
Quasseln ersetzt jedenfalls keine Entscheidung.Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, welche Platte Sieanschließend vorspielen werden. Sie werden wieder fra-gen: Wo sind denn Ihre Alternativen?
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ie rot-grüne Arbeitsmarktpolitik ist doch eine unendli-he Geschichte von Murks und Widersprüchen.Nur ein Beispiel: Die Berufung von Herrn Gerster anie Spitze der Bundesanstalt für Arbeit sollte ein neueseitalter einleiten. Heute sind Gersters Umbaupläneicht einmal mehr eine Fußnote in der deutschen Ar-eitsmarktpolitik.Die nächste Wunderwaffe, die dann aktiviert wurde,ar Herr Hartz. Hartz und Murks – das klingt schon sohnlich.
ch hoffe, dass es VW nicht schadet, wenn man dieseinge in eine so nahe Verbindung bringt. Die Zelebra-ion des neuen Golfs lief unlängst ähnlich ab wie die Ze-ebration des Hartz-Programms seinerzeit hier in Berlin.m Interesse unseres Landes hoffe ich nur, dass der neueolf besser einschlägt als das, was Hartz vorher gezün-et hat.
Die Ich-AG ist nur sehr zäh angelaufen. Die Folgenür etablierte Handwerker und Dienstleister bleiben ab-uwarten. Sie soll eine neue Wunderwaffe sein. Zumusgleich dafür entzieht man dem Handwerk einen gro-en Teil seiner Grundlage. Das ist doch eine ungeheueridersprüchliche und falsche Politik.
Von dem Jobfloater wurden 50 000 neue Stellen er-artet. Es sind nicht einmal 10 000. Auch durch die Per-onal-Service-Agenturen sollten 50 000 Beschäfti-ungsverhältnisse entstehen. Bislang sind es geradeinmal 608. Wissen Sie, was PSA heißt? Es bedeutet:leite statt Arbeit. Das ist ein Kennzeichen Ihrer Politik.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage esoch einmal: Wir haben konkrete Alternativen vorge-egt.
ch nenne unsere Vorschläge zur Veränderung des Kün-igungsschutzes, für betriebliche Bündnisse für Arbeitnd für die Zusammenführung von Arbeitslosen- undozialhilfe mit einer möglichst dezentralen Zuständig-eit. Wir wollen keine neuen Großbehörden und Büro-ratien schaffen, wie es Grüne und Sozialisten immernstreben.
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4990 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Michael Glos
Wir möchten, dass das bei den Kommunen bleibt unddas sie für die Durchführung und Umsetzung weiterhinhauptverantwortlich sind.
Wir haben die Neuregelung der 400-Euro-Jobs durch-gesetzt. Das ist eines der wenigen Dinge, die Erfolg ge-habt haben. Das stammt aber nicht von Rot-Grün, son-dern von der Union.
Herr Bundeskanzler, Deutschland bewegt sich. Ja,aber es bewegt sich bis jetzt immer noch in die falscheRichtung. Bis heute konnte der Anstieg der Sozialversi-cherungsbeiträge nicht gestoppt werden. Die Löcher inden öffentlichen Haushalten wachsen von Monat zu Mo-nat und die Wirtschaft stagniert seit über zwei Jahren.Nach gängiger Definition bezeichnet man einen Rück-gang in zwei Quartalen hintereinander als Rezession.Die Arbeitslosenzahl bricht einen traurigen Rekord nachdem anderen. Für den Niedergang sind diejenigen ver-antwortlich, die auf der Kommandobrücke dieses Lan-des stehen.
Herr Bundeskanzler, deswegen ist es eine Drohung,dass Herr Fischer und Sie sagen, Sie wollten das nächsteMal wieder antreten.
– Wenn es nur für uns eine Drohung wäre, wäre es keinProblem; wir würden damit fertig werden.
Deutschland wird aber nicht damit fertig werden. DieBürgerinnen und Bürger wollen eine bessere Politik. Ih-nen ist es vollkommen egal, wer oben steht. Sie sagen:Tut etwas, verändert etwas und redet nicht nur! Ich habedie Befürchtung, dass alles bei Ihnen beiden so bleibenwürde, wie es ist, falls Sie, was die Wähler durch ihreEinsicht verhindern mögen, noch einmal gewählt wür-den. Das würde für Deutschland einen gewaltigen Scha-den bedeuten.Deutschland bewegt sich unter Ihrer Führung, HerrBundeskanzler, nicht im Tempo eines Rennpferdes, son-dern im Tempo einer Schnecke. Das ist das TempoDeutschlands. Die Wirtschaft dümpelt vor sich hin.Clement verkündet: Konjunkturerholung in Sicht. DerKanzler sieht Licht am Ende des Tunnels. Wissen Sie,wenn Sozialdemokraten Licht am Ende des Tunnels se-hen, dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder sehensie den Gegenzug – denn bei ihm ist das Licht vorne –oEivlbidv4gLdlbdKDGin–DwkdRfuWDgwiiwkDrddKwswee
Wenn ich den regierungsamtlichen Prognosen Glau-en schenken darf, dann müssten wir uns eigentlich stattn einer Rezession in einem Boom befinden; denn füren Herbst 2003 wurde uns der Wirtschaftsaufschwungersprochen. Die Fakten sprechen eine andere Sprache:0 000 Pleiten und Insolvenzen. Herr Bundeskanzler, esibt neue Arbeitsplätze und Investitionen in diesemand. Es gibt durchaus internationale Unternehmungen,ie sich in Deutschland neu niederlassen. Das sind näm-ich diejenigen, die sorgfältiger Marktanalysen betrei-en, als das bei Ihnen der Fall ist. Ich meine die Zunfter Konkurs- und Insolvenzanwälte. Auch internationaleanzleien dieser Art lassen sich nun verstärkt ineutschland nieder, weil sie wissen, dass ihnen Rot-rün Arbeit gibt und sie gewaltig Geld verdienen lässt.
Die einzige Hoffnung, die Ihnen noch bleibt und diemmer wieder beschworen wird, ist die Hoffnung auf ei-en Aufschwung in den USA. Wenn dieser eintrifftdies wird ein Stück weit geschehen –, wird dies aber ineutschland ein Aufschwung ohne Schwung werden,eil unsere Wirtschaftsschwäche hausgemacht ist. Sieommt nicht von den internationalen Märkten her, son-ern sie resultiert, wie gesagt, aus dem Verschieben voneformen und Veränderungen, die wir brauchen. Diesührt zu einem Vertrauensverlust bei den Bürgerinnennd Bürgern. Die Sprunghaftigkeit und die mangelndeahrhaftigkeit der rot-grünen Regierung habeneutschland in diese Vertrauensfalle geführt. Es ist un-eheuer schwierig, verlorenes Vertrauen wiederzuge-innen.Der Attentismus der Verbraucher und Investorenst eine zwangsläufige Folge Ihrer Politik. Die Menschenn diesem Lande schauen und warten, statt zu handeln,eil sie Ihren Ankündigungen keinen Glauben schen-en. Es hat sich im Land zu sehr der Eindruck verfestigt:ie in Berlin Regierenden haben den Überblick verlo-en.Dazu gibt es ein ganz konkretes Beispiel, Herr Bun-eskanzler. Ich habe unlängst zufällig im ZDF die Sen-ung „logo!“ eingeschaltet. Dort sind Sie von ein paarindern befragt worden. Die erste Frage war, ob Sieirklich den Ausdruck „kotzen“ verwendet haben. Die-er Ausdruck hat den Kindern schon Probleme bereitet,
eil sie offensichtlich aus Familien kommen, in denenine solche Sprache nicht gebraucht wird. Sie haben dasin bisschen heruntergespielt.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 4991
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Michael Glos– Herr Struck, an Ihrer Stelle wäre ich ganz ruhig.
Sie haben unlängst in einer Talkshow ein noch vielschlimmeres Wort in den Mund genommen.
– Jetzt hören Sie doch einen Moment zu! – Kommen wirwieder zurück zu Zahlen. Über Zahlen lässt sich vielschwieriger streiten. Herr Bundeskanzler, Sie sind voneinem kleinen Jungen auch gefragt worden: Wie vielverdienen Sie, Herr Bundeskanzler? Er wollte eigentlichwissen, wie viel Sie bezahlt bekommen. Was Sie verdie-nen, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Sie haben als Erstes gesagt, man müsse Ihre Frau fragen.Auch bei mir ist dies bei konkreten Dingen ein Stückweit der Fall.
– Das ist nicht peinlich, sondern typisch. – Danach ha-ben Sie die Zahl von 10 000 Euro im Monat genannt.Nun weiß man, dass es bei der SPD mit brutto und nettoimmer große Probleme gibt. Aber es ist in Gesetzennachzulesen – das Einkommen von Abgeordneten undRegierungsmitgliedern ist transparent –, dass Sie circadas Zweieinhalbfache bekommen.
– Ich weiß das schon. Aber wir sind noch nicht bei70 Prozent Steuern und Abgaben in diesem Land. WennSie aber noch eine Weile weiterregieren, werden wir auf70 Prozent oder mehr kommen. Dann kann es passieren,dass aus 25 000 Euro brutto 10 000 Euro netto werden.Regieren hat aber auch etwas mit Detailkenntnis zutun. Entweder fehlen Ihnen wirklich die Kenntnisse überdie Zusammenhänge, was ich nicht glaube, oder Ihnenfehlt der Mut, das zu sagen, was richtig ist, aber im Mo-ment vielleicht nicht opportun erscheint.
Mit dieser Regierung – das sage ich noch einmal,auch wenn Sie noch so laut rufen – kommt Deutschlandnicht auf die Füße. Es fehlt an Innovationen, an Mut zumRisiko und echtem Gründergeist. Die Saat der Leis-tungsfähigkeit der 68er-Bewegung ist aufgegangen.
Rot und Grün verfahren heute nach dem Motto: Haltetden Dieb! Dafür gibt es eine Reihe von Beispielen.Frau Bulmahn beklagt die verbreitete Bildungsschwä-che, obwohl sie die Bildungsministerin ist. Dann soll siedoch etwas dagegen tun. Frau Ministerin Künast belei-digt gleichzeitig den öffentlichen Dienst, indem siesagt, die Leistungen der Schüler würden allenfalls nochfür den öffentlichen Dienst ausreichen. HerrMelaNduliIDlimtetikjenmhHSbgDefd–Rglesh–DZd
err Fischer, für mich stellt sich überhaupt die Frage, obie sich wirklich verändert haben oder ob Sie Ihr Ra-aukentum nur auf einem höheren Niveau weiterpfle-en.
as weiß auch seine eigene Partei. Sie wissen doch, wier mit Ihnen umgeht, wenn ihm irgendetwas nicht ge-ällt.Es ist die Saat der 68er-Bewegung, die dafür sorgt,ass unser Land da ist, wo es heute steht.
Herr Präsident, darf ich Sie bitten, für Ruhe auf deregierungsbank zu sorgen? Es reicht, wenn von den Ab-eordnetensitzen der SPD bewusst gestört wird.Auch die Sozialdemokraten sind vielen Irrtümern er-gen. Die Geschichte der Sozialdemokratie ist eine Ge-chichte von Irrtümern und von Zu-spät-Kommen. Sieinken den Entwicklungen hinterher.
Hören Sie es sich doch an, bevor Sie Nein sagen! –as Godesberger Programm ist zu spät gekommen. Derug war schon weit gefahren, als Sie erkannt haben, dassie soziale Marktwirtschaft das richtige Programm ist.
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Michael GlosDas war bei der NATO und der Bundeswehr ebenso.Auch da sind Sie hinterhergehinkt. Es hat sich wieder-holt, als es um die Globalisierung ging. Diese war nichtaufzuhalten. Statt die Konsequenzen daraus zu ziehen,hat man sie lange beklagt. Heute, 13 Jahre nach denfriedlichen Revolutionen im Osten,
wächst langsam die Erkenntnis, dass mit Sozialismusnichts mehr zu machen ist. Das hat Herr Scholz mutigausgesprochen.
Dann sind wieder Teile der SPD über ihn hergefallen.Sie hängen alten Chimären nach. Auch das ist eine derSchwierigkeiten unseres Landes.Der Umverteilungsstaat hat die Grenzen der Belast-barkeit unserer Wirtschaft längst überschritten, mit fata-len Folgen für das Wachstum in Deutschland. Wir dürfennicht nur auf das Heute sehen.Das ist das Allerschlimmste an Ihrer Politik, HerrBundeskanzler. Sie sind ein Mann, der seine Popularitätimmer nur in Augenblickserfolgen sucht. Darin sind Siezugegebenermaßen Meister.
Es geht aber nicht um Augenblickserfolge, sondern esgeht um Nachhaltigkeit in der Politik. Die Jungen müs-sen später die Zeche dafür zahlen, dass heute immernoch massenhaft Kredite aufgenommen werden und dasTilgen dieser Schulden auf übermorgen verschobenwird.
Sie haben den von Helmut Kohl und Norbert Blüm ein-geführten demographischen Faktor in der Rentenver-sicherung wieder abgeschafft.
Sie haben gewaltig Zeit verloren. Wir müssen auch denÄlteren sagen, dass sie auf Zuwächse verzichten müssen,damit auch die Jungen noch etwas haben. Ich bin sehrdafür, dass wir Bildung und Forschung stärker fördernund man nicht die Saatkartoffeln nimmt, um darausPommes frites zu machen, und davon noch die Hälfteauf dem Tisch stehen lässt. Den Zusammenhang zwi-schen dem, was man heute tut, und dem, was sich mor-gen entwickelt, zu leugnen, ist einer der fatalen Fehler.Dabei kann ich wieder auf Bayern verweisen. Warumist Bayern denn – zum Beispiel bei der Investitionsquoteim Landeshaushalt – besser gestellt?
Weil eine nachhaltige Finanzpolitik betrieben wordenist. Bayern ist nicht jeder modischen Entwicklung nach-gvlai–üsDImlSdzch„iEGSnhEhSKrmgHfDSs
Bei Ihnen, Herr Stiegler, muss erst die „Bild-Zeitung“ber „Florida-Rolf“ und „Yacht-Hans“ berichten, bis Sieich in Bewegung setzen.
ie Leute haben diese Sozialschmarotzer gestrichen satt.mmer wenn ein solcher Fall bekannt wird, werden voll-undig entsprechende Änderungen angekündigt. Letzt-ich geschieht dann aber nichts.
o war es auch, als der Bundeskanzler festgestellt hatte,ass Kinderschänder weggesperrt werden müssen, undwar für immer. Dann hat aber Rot-Grün keine gesetzli-he Grundlage geschaffen, die das erlaubt hätte. Ichoffe, dass die Gesetzeslücken zumindest im Falle vonFlorida-Rolf“ gestopft werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Eichelst eine tragische Figur.
r hat die Geschichte des Hans im Glück der Gebrüderrimm inzwischen vollendet. Lesen Sie sie einmal nach!ie beginnt mit einem Klumpen Gold und endet mit ei-em Stein, den Hans im Glück am Ende weggeworfenat. Ich bin bereit, eine Wette einzugehen, dass Sie, Herrichel, nicht mehr sehr lange im Amt sein werden. Sieaben nur versäumt, rechtzeitig zu gehen.
ie hätten sagen müssen, Herr Eichel: Meine Politik deronsolidierung – diesen Weg sind Sie eine Zeit langecht glaubwürdig gegangen – ist mit Rot-Grün nicht zuachen; ich trete ab und stelle mich nicht zur Verfü-ung, das krasse Gegenteil zu machen, indem ich einenaushalt vorlege, zu dem ich bei der Einbringung selbereststellen muss, dass er nicht stimmt.
as haben Sie, Herr Eichel, schließlich gesagt und Fraucheel und andere haben das in Interviews wiederholt.Ich finde das nicht tragisch für Sie. Sie werdenchließlich durch die Addition verschiedener Bezüge aus
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 4993
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Michael Glosöffentlichen Kassen gut versorgt in den Ruhestand ge-hen.
– Entschuldigung, das ist keine Sauerei, sondern eineTatsache. Ich gönne es Ihnen ja; aber Sie werden einenScherbenhaufen und Chaos in unserem Land hinterlas-sen. Das ist unser eigentliches Problem.
Lassen Sie mich noch etwas anmerken, weil Sie solaut dazwischenrufen. Herr Eichel hat immer wieder Be-kenntnisse zu dem in Maastricht beschlossenen Stabili-tätspakt abgelegt. Er hat aber all diese Bekenntnissenicht eingehalten.
So haben Sie zugegeben, dass das Haushaltsdefizit indiesem Jahr 3,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts be-tragen wird. Um davon abzulenken, haben Herr Fischerund Herr Schröder sofort erklärt, dass sie bei den nächs-ten Wahlen wieder antreten werden.
Sie werden aber tatsächlich ein Defizit von etwa 4,5 Pro-zent erzielen; es liegt also noch höher, als angekündigt.
Unter diesen Umständen hat es auch keinen Wert, wennSie – um von der Debatte abzulenken – ankündigen, bis2010 zu bleiben. Vielmehr müssen harte Konsolidie-rungsschritte eingeleitet werden.
Wir sind alle gespannt, wenn die Schweden amSonntag über die Einführung des Euro abstimmen. Ichhabe gehört, dass das deutsche Beispiel als abschreckendgilt. In einem Gespräch, das ich gestern mit britischenPolitikern geführt habe, haben diese erwähnt, dass siezwar gern den Euro einführen würden, dass die Deut-schen dies aber erschwerten; denn der Euro sei baldkeine starke Währung mehr, wenn Deutschland, Frank-reich und andere große Länder so weitermachten.
– Ich wiederhole Ihren Zwischenruf, weil die Zuhörernicht hören können, was Sie schreien. Ihr Zwischenruflautete: „Haben Sie schon mal in die Börse geguckt?“ –Die Börse hatte ihren Tiefpunkt erreicht.
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Stichwort Europa: Beim Verfassungsvertrag istanches erreicht worden. Andere wollen noch mehr er-eichen. Ich finde, Herr Bundeskanzler, dass Sie bei deregierungskonferenz auch unsere Forderungen einbrin-en sollten. Wir müssen zum Beispiel die Unabhängig-eit der Europäischen Zentralbank festschreiben. Dasalte ich für ganz entscheidend. Auch das muss im Ver-assungsvertrag abgesichert werden. Der Vertrag vonaastricht reicht ja offensichtlich nicht; denn Sie hal-en ihn nicht ein. 3 Prozent waren als Obergrenze einesöglichen Defizits und nicht als Normalfall gedacht. Inem Vertrag wird explizit darauf hingewiesen, dass aus-eglichene Haushalte anzustreben sind. Aber Sie wollenie Defizitobergrenze immer weiter hinausschieben. Esürde außerdem nicht schaden, wenn Sie die Verantwor-ung vor Gott, wie sie im deutschen Grundgesetz steht,n der europäischen Verfassung verankern würden.
Wir brauchen eine realistische Europapolitik mit Au-enmaß. Auf Europa sind sehr viele zusätzliche Belas-ungen zugekommen. Die Ost- und Südosterweiterunger Europäischen Union – das ist eine gewaltige Auf-abe – ist zwar politisch sehr wünschenswert, wirt-chaftlich aber sehr gefährlich. Es ist außerdem ver-äumt worden, die Grenzen Europas zu definieren.uropa reicht nicht bis zum Ural und nach meinem Ver-tändnis auch nicht bis zum Kaspischen Meer oder bisum Hindukusch.
eswegen wäre es ein Akt der Ehrlichkeit gewesen, demürkischen Ministerpräsidenten Erdogan bei seinemeutschlandbesuch zu sagen: Wir bleiben Freunde underden alle Beziehungen, die unsere beiden Länder ha-en, ausbauen und vertiefen; aber ihr könnt aus wirt-chaftlichen Gründen nicht Vollmitglied in der Europäi-chen Union werden.
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4994 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Michael GlosEs ist falsch, wenn Sie behaupten, eine Vollmitglied-schaft der Türkei liege im nationalen deutschen Inte-resse. Das könnte höchstens im Interesse der SPD liegen,weil Sie wissen, dass die eingebürgerten Türkinnen undTürken zum großen Teil die SPD und die Grünen wäh-len.
Das ist doch ein Grund, warum Sie dafür sind.
Ich sage Ihnen aber eines voraus: Es werden im Deut-schen Bundestag auch türkische Parteien vertreten sein,wenn die Einwanderungsströme so kommen, wie es be-fürchtet wird.
– Hören Sie doch zu! Sie können ja später sagen, was Siedenken.
Herr Kollege Glos, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Die Deutschen wissen nicht, dass mit einer Voll-
mitgliedschaft der Türkei in der EU die Freizügigkeit
verbunden ist. Der Publizist Scholl-Latour befürchtet,
dass dann, wenn die Türkei Vollmitglied ist, 10 Millio-
nen bis 15 Millionen rasch nach Deutschland einwan-
dern werden. Das ist, wie gesagt, nicht meine Befürch-
tung. Aber ich muss mich auf Menschen verlassen, die
mehr von geschichtlichen Zusammenhängen verstehen
als ich. Von Geschichte verstehen Sie jedenfalls nichts.
Nach meiner Auffassung können wir Deutsche unsere
Verantwortung, die wir für Europa und die Welt haben,
am allerbesten wahrnehmen, wenn wir dafür sorgen,
dass wir wirtschaftlich stark bleiben. Unsere Möglich-
keiten, anderswo in der Welt zu helfen, gründen sich
nämlich auf unsere wirtschaftliche Stärke. Diese müssen
wir deshalb zurückgewinnen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben 1998 im Wahlkampf
oft gesagt – das wird Ihnen jedenfalls zugeschrieben –:
Das Volk ist viel besser als seine Regierung. – Unsere
Hoffnung ruht deshalb auf der Kraft des deutschen Vol-
kes und nicht auf der rot-grünen Regierung. Sie würden
dem Land einen großen Dienst erweisen, wenn Sie den
rot-grünen Spuk – am allerbesten durch Neuwahlen –
beenden könnten.
Danke schön.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Diese Debatte findet in einer Zeit außergewöhn-ich schwieriger Problemlagen im internationalen wie imationalen Maßstab statt. Ob die Debattenbeiträge – je-enfalls der, den wir bisher gehört haben – dieser Tatsa-he gerecht werden, muss jeder für sich selber entschei-en.
Nur wenige Bemerkungen zu den Problemlagen. Derampf gegen den internationalen Terrorismus ist nichtewonnen, nicht in Afghanistan, nicht in anderen Teilener Welt. Kein Zweifel: Die Situation im Irak ist außer-rdentlich besorgniserregend. Wir haben vor einem Jahrarüber geredet und wir werden auch jetzt darüber redenüssen. Die Situation im Nahen Osten muss uns alle be-orgt machen. Das Töten und der Terrorismus gegen Is-ael haben nicht aufgehört und es wird schwierig sein,ur so genannten Roadmap, die den Friedensprozess imahen Osten voranbringen kann, zurückzukehren.National – das wird gar nicht bestritten – sind wir imritten Jahr der Stagnation. Das hat natürlich Auswir-ungen auf unser Land. Wir sind in einer ökonomischenituation, in der die Steuereinnahmen eingebrochenind, weil die Arbeitslosigkeit gewachsen ist, weil wirein Wachstum haben
nd die Aufwendungen für die Bekämpfung der Arbeits-osigkeit natürlich gestiegen sind.Herr Merz, ich möchte mich auf das beziehen, wasie gestern gesagt haben: Das ist kein Phänomen, dasich allein auf Deutschland bezieht.
Das ist keine Ausrede.Ich habe hier die Zahlen über das Wachstum inuropa, die vom Statistischen Amt der EG gestern ver-ffentlicht worden sind. Das Wachstums in der Eurozonem Verhältnis vom zweiten zum ersten Quartal ist minus,1 Prozent, Niederlande minus 0,5 Prozent, Frankreichinus 0,3 Prozent, Italien, Belgien und Deutschland mi-us 0,1 Prozent. Ich sage das nicht, um irgendetwas we-iger besorgniserregend darzustellen, als es ist.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 4995
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Bundeskanzler Gerhard Schröder– Ich komme gleich zu der Basis. – Ich sage das nur voreinem Hintergrund, der in der Auseinandersetzung zwi-schen Herrn Merz einerseits und Herrn Eichel anderer-seits auch gestern eine Rolle gespielt hat.Die Zahlen, die ich Ihnen über Europa mitteile – etwaüber Frankreich, über die Niederlande, aber auch überdie anderen, die ähnliche oder gleiche Wachstumsratenwie wir haben –, haben natürlich einen ganz anderenHintergrund. Ich sage das mit Bezug auf die Debatteüber die Folgen der Wiedervereinigung, die gesternangeklungen ist. Herr Merz, der Hinweis von HerrnEichel war kein Vorwurf an irgendjemanden, sondernsollte verdeutlichen, dass Deutschland im Unterschiedzu den europäischen Staaten mit gleichen oder nochschlechteren Wachstumsraten etwas schultern muss, waskein Land der Welt – schon gar keines in Europa – zuschultern hat.Der Hinweis auf die Tatsache nämlich, dass wir we-gen der Einheit – ich denke, Gott sei Dank haben wirsie –
jährlich 4 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes vonWest nach Ost transferieren, ist kein Vorwurf, dass ir-gendwer schuld daran sei; es ist im Grunde der Hinweisdarauf, dass wir – ungeachtet der Anstrengungen, die wirvornehmen müssen und vornehmen wollen – auf den in-ternationalen Märkten präsenter sind als in der Vergan-genheit. Unsere Volkswirtschaft hat an Kraft also nichtverloren, sondern gewonnen, und zwar sowohl absolutals auch relativ. Das ist doch der Zusammenhang, denman herstellen muss.
Ich bin stolz auf die Leistungsfähigkeit, die dahintersteckt. Es ist nicht die Leistungsfähigkeit dieses HohenHauses und seiner Mitglieder; es ist die Leistungsfähig-keit unseres Volkes. Darauf dürfen und müssen wir aucheinmal stolz sein, gerade in wirtschaftlich schwierigenZeiten.
Wir haben es dann – das ist der zweite Problemkreisim nationalen Maßstab; darüber ist ja nicht hinwegzuse-hen – mit der Überalterung unserer Gesellschaft zutun. Das ist – das weiß ich wohl – keine neue Erkenntnis.Ich will auch zugeben, dass die Frage, ob es richtig war,den demographischen Faktor, der seinerzeit von Ihneneingeführt worden ist – auch das haben Sie gestern schonangesprochen, Herr Merz –, aufzuheben, durchaus be-rechtigt gestellt werden kann. Ich sage Ihnen: Das warein Fehler.
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Ich sage Ihnen mit Bezug auf diese Debatte nur eines:er Bericht der Rürup-Kommission liegt bereits vor.enn auch das vorliegt, was Herr Herzog für Sie erar-eitet, dann werden wir in puncto Rente vielleicht ähn-ich rational miteinander reden können wie bei der Ge-undheitsreform. Eines ist doch klar – die Kenneredenfalls wissen es –, nämlich dass uns auch die Beibe-altung des demographischen Faktors, den Sie seinerzeiteschlossen haben, die Probleme nicht vom Hals ge-racht hätte, mit denen wir wegen der Überalterung un-erer Gesellschaft zu kämpfen haben. Der demographi-che Faktor allein hätte es nicht gebracht.Ich will daran erinnern, dass wir es gewesen sind, dieum ersten Mal in der deutschen Geschichte auch in Be-ug auf die Rente das gemacht haben, was man Herstel-ung von Kapitaldeckung nennt. Das ist, glaube ich, einanz wichtiger Punkt, wenn man die Rente für die Altenn dieser Gesellschaft so sicher wie möglich machen undie für die Jungen bezahlbar halten will.
Wir werden uns sehr rational darüber unterhaltenüssen, welche Konsequenzen das im Übrigen hat. Ums den Menschen draußen zu erklären: Wir sind in derituation, dass im Vergleich zu 1960 – das hat mit demlterwerden zu tun – die Bezugsdauer der Altersrenteneute Gott sei Dank um 70 Prozent höher ist. Dass dasruck auf die Finanzierung ausübt, liegt doch auf derand. Wir haben, bezogen auf die Probleme, die ich ge-annt habe, zu handeln und das versuchen wir auch.Die Aufgabe, die wir haben, ist, unter radikal verän-erten Bedingungen, sowohl was das weltwirtschaftlichend das europäische wirtschaftliche Umfeld angeht alsuch was die Alterspyramide unserer Gesellschaft an-eht, Wohlstand in unserem Land und Gerechtigkeit innserem Land zu sichern. Das ist die gemeinsame Auf-abe. Es mag unterschiedliche Wege geben, über die esich zu streiten lohnt, allerdings nicht in dem Ton wieben, Herr Glos;
ur sollten wir das dann auch sehr rational tun und denenschen klar machen, wer welche Vorschläge hat.
Unsere Aufgabe ist es, angesichts dieses verändertenmfelds, angesichts des veränderten Altersaufbaus un-erer Gesellschaft dafür zu sorgen, dass wir unsere so-ialen Verpflichtungen erfüllen können, gleichzeitig aber
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Bundeskanzler Gerhard Schröderdie Ressourcen unseres Landes freisetzen, um in das zuinvestieren, was wirklich über die Zukunft entscheidet,das heißt bessere Betreuung unserer Kinder, mehr Inves-titionen in Bildung, mehr Investitionen in Forschung undEntwicklung. Das alles entscheidet jetzt darüber, obDeutschland in fünf, in zehn, in 20 Jahren noch ein Landist, das soziale Gerechtigkeit auf hohem Niveau gewähr-leistet. Das ist die Aufgabe, die uns gestellt ist.
Um diese Aufgabe zu erfüllen, unternimmt der Haus-halt und unternehmen seine Begleitgesetze den ernsthaf-ten und schwierigen Versuch, auf der einen Seite dieWachstumskräfte unseres Landes – sie sind sichtbar –zu unterstützen und auf der anderen Seite die Konsoli-dierung nicht aufzugeben. Es sind nämlich zwei Seiteneiner Medaille, auf der einen Seite den Versuch zu unter-nehmen, Wachstumskräfte, Trends, die positiv sind, zuunterstützen, und auf der anderen Seite durch Struktur-veränderungen dafür zu sorgen, dass das auch objektivmöglich ist und immer mehr möglich wird. Das heißt,meine Damen und Herren, dass wir uns zunächst einmaldarum kümmern müssen, wie wir konjunkturell das Po-sitive, das es Gott sei Dank auch gibt, unterstützen kön-nen. Das ist ja eben verschwiegen worden. So weist derIfo-Geschäftsindex zum vierten Mal in Folge eine auf-steigende Tendenz aus.Gemäß den jüngsten Zahlen steigt auch die Industrie-produktion wieder an. Das gilt für die Bereiche, die sichjetzt gerade auf der Messe in Berlin präsentiert haben,das gilt aber auch für die Automobilindustrie, die opti-mistisch auf die bevorstehende Automobilmesse schaut.Ich sage nicht, dass damit die Probleme schon gelöst wä-ren oder so gelöst werden könnten, aber ich finde, dasswir alle miteinander die Verpflichtung haben, die positi-ven Trends, die es in unserem Land gibt, und nicht dienegativen Trends zu stützen.
Deshalb, meine Damen und Herren, appelliere ichwirklich an die Mehrheit im Bundesrat, das, was in derjetzigen Situation nötig und möglich ist, auch mitzutra-gen, nämlich das Vorziehen der nächsten Stufe derSteuerreform von 2005 auf 2004.
– Ja, mache ich gleich. – Warum? Ich denke, dass wirAnlass haben, davon auszugehen, dass über eine solcheMaßnahme, wie alle Forschungsinstitute sagen, dieWachstumsraten um zusätzlich 0,3 bis 0,5 Prozentpunkteerhöht werden können. Das brauchen wir nämlich, wennes wirklich auf dem Arbeitsmarkt vorangehen soll.Kern unseres Vorschlages ist es, jetzt den Eingang-steuersatz, der 1998 übrigens bei 26 Prozent lag, auf15 Prozent zu senken.
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ch sage es noch einmal, meine Damen und Herren:998, also zu Ihrer Regierungszeit, ein Spitzensteuersatzon 53 Prozent,
004 einer von 42 Prozent. Dies ist auf die Politik derot-grünen Bundesregierung zurückzuführen und nichttwa einem anderen politischen Lager geschuldet.
Man kann natürlich immer noch mehr fordern; aber dasätte man auch selber 16 Jahre lang machen können, hat esber nicht getan. Das ist ja wohlfeil, was Sie jetzt machen.
Jetzt lautet die Frage: Schaffen wir es miteinander,
iese wichtige und in der jetzigen Situation nötige undögliche Maßnahme, nämlich das Vorziehen der nächs-n Steuerreformstufe auf 2004, durchzuführen oder nicht,
amit der Konjunktur zusätzlichen Schub zu geben unduch auf dem Arbeitsmarkt für Bewegung zu sorgen?ier stehen auch Sie in der Verantwortung. Sie werdenich nicht davor drücken können, sondern Sie werdenmmer wieder an Ihre Verantwortung erinnert werden.
Ich komme jetzt dazu: Wir haben gesagt, wir finanzie-en dies durch einen Mix aus Privatisierungserlösennd Neuverschuldung, welche wir, da wir sie auf einahr begrenzen, für verantwortbar halten.
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Bundeskanzler Gerhard Schröder– Ich komme ja gleich dazu. – Neben Privatisierungs-erlösen und Neuverschuldung ist das Ganze außerdem indie strukturpolitischen Maßnahmen eingebettet, die mitder Agenda 2010 verbunden sind. Das darf man ja nichtübersehen.Jetzt sagen Sie, man dürfe nicht die Neuverschuldungfür ein Jahr erhöhen, und wollen das nicht mitmachen,obwohl wir Ihnen anbieten, die Zins- und Tilgungslastenfür die Neuverschuldung dieses einen Jahres über zu-sätzlichen Subventionsabbau zu begrenzen. Auch dasliegt Ihnen vor, meine Damen und Herren.
Sie kritisieren das und sagen, das dürfe man auf garkeinen Fall machen. Das lässt sich hören. Jetzt will ichIhnen aber einmal einen Beitrag aus einer Debatte vorle-sen, die im letzten Jahr etwa zur gleichen Zeit wie jetzt,Ende August, stattfand. Es ging um die Frage, ob es zu-lässig sei, wegen der Flutkatastrophe die Steuerreformzu verschieben, oder ob es zulässig sei, die notwendigenAusgaben über zusätzliche Neuverschuldung zu finan-zieren.Ich sage es noch einmal: Es ist ökonomisch möglich,darüber zu streiten, ob das eine oder das andere besserist, aber man sollte wenigstens zugeben, dass das, waswir jetzt vorschlagen, vor dem Hintergrund eigener Aus-sagen nun nicht wirklich der Gottseibeiuns schlechthinsein kann.Ich lese einmal vor, was Herr Stoiber am 29. August2002 in der Debatte hier im Deutschen Bundestag sagte:„Mit unserem Konzept“, also dem der Finanzierung der10 Milliarden über Nettoneuverschuldung – –
– Was ist denn die Verwendung der Bundesbankgewinneanderes als Nettoneuverschuldung? Machen Sie sichdoch nichts vor, meine Damen und Herren. Jeder, der et-was von Ökonomie und Haushalt weiß, muss das dochbestätigen.
Herr Stoiber sagte vor einem Jahr:Mit unserem Konzept werden die Schulden langsa-mer abgebaut. Zwar fallen vorübergehend höhereZinsen an, aber das ist auch gerechtfertigt und sinn-voll. Höhere Zinsen sind ein kleineres Übel als hö-here Steuern. Höhere Steuern lähmen die Konjunk-tur, hemmen das Wachstum und vernichtenArbeitsplätze. Das ist der entscheidende Punkt.Wohl wahr, meine Damen und Herren!
Ich weiß, dass wir in der gleichen Debatte gesagt ha-ben: Es ist angemessen, die Stufe nach hinten zu ver-schieben. Ich will hier nicht verschweigen, dass wir dasmit dem Argument begleitet haben, dass das Geld, dasmndfesudhgWrnBgKinEtudmzbu2vaawutüDDmhdsdgluwdWDw
Weil diese Frage für die Mobilisierung zusätzlichenachstums von ungeheurer Bedeutung ist, bitte ich da-über in diesem Zusammenhang noch einmal gründlichachzudenken, es mit den Landesregierungen, die imundesrat das Sagen haben, zu bereden und vielleichtemeinsam dafür zu sorgen, dass das gelingt, was für dieonjunktur, für den Arbeitsmarkt und für die Wirtschaft unserem Land von großer Bedeutung ist. Denn in derinschätzung, dass das hilfreich und von großer Bedeu-ng ist, unterscheiden wir uns ja nicht; wir unterschei-en uns in der Frage der Finanzierung. Es sollte Ihnenöglich sein, wenigstens tendenziell zu dem zurück-ukehren, was Sie vor einem Jahr für richtig gehalten ha-en, meine Damen und Herren.
Der zweite Punkt, um den wir uns kümmern müssennd den wir angeschoben haben, hängt mit der Agenda010 zusammen. Wir müssen den Menschen im Landor allen Dingen einmal sagen: Die notwendigen Reform-nstrengungen haben mit der Tatsache zu tun, dass wir,nders als in früheren Zeiten, nicht mehr oder nie mehrerden darauf hoffen können, die sozialen Problemend die Defizite, die sich in den sozialen Sicherungssys-emen ergeben – ich habe die Gründe dafür genannt –,ber Wachstum allein in den Griff kriegen zu können.as wird nicht mehr funktionieren.
ie Veränderungen in den sozialen Sicherungssyste-en, die wir dem deutschen Parlament vorgeschlagenaben, sind notwendig. Sie sind unausweichlich wegener Veränderung der Alterspyramide in unserer Gesell-chaft. Wenn wir es schaffen wollen – und wir müssenas schaffen –, den Jungen durch Bildung Chancen zueben, den Frauen über bessere Kinderbetreuung Mög-ichkeiten zu geben, am Erwerbsleben teilzunehmen,nd über massive Investitionen in Forschung und Ent-icklung technologisch Spitze zu bleiben, dann müssenie Anstrengungen, die sich in der Agenda 2010 finden,irklichkeit werden.a hat jeder Verantwortung, wir im Bundestag genausoie Sie im Bundesrat.
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Bundeskanzler Gerhard SchröderMir kommt es darauf an, den Zusammenhang deutlichzu machen zwischen der Chance, in Zukunftsbereiche zuinvestieren und dafür Ressourcen zu mobilisieren, und derNotwendigkeit, die sozialen Sicherungssysteme den radi-kal veränderten Bedingungen anzupassen. Das ist die Auf-gabe. Im Haushalt und seinen Begleitgesetzen wird dieseschwierige Balance versucht, und zwar – ich will demThema gar nicht ausweichen – unter den Gegebenheitenund Notwendigkeiten, die mit Maastricht, mit dem Stabi-litäts- und Wachstumspakt zusammenhängen.Aber – wir haben das auch in der gestrigen Debattezwischen Ihnen und Hans Eichel gehört – der Pakt heißtnicht Stabilitätspakt, sondern vielmehr Stabilitäts- undWachstumspakt. Hinsichtlich der konjunkturellen Ent-wicklung gibt es weltweit positive Anzeichen, sowohl inAmerika – ob sich das dort auf den Arbeitsmarkt aus-wirkt, wird man sehen – als auch in Asien. Wir wissen,dass Europa in dieser Dreiergruppe ökonomisch hin-tenan ist. Wenn wir als Europäer unseren Beitrag zurEntwicklung der Weltwirtschaft leisten wollen, dannkönnen wir nicht nur stabilitätsfixiert agieren – wobeidie Stabilität nicht aus den Augen verloren werdendarf –, sondern dann müssen wir in dieser Situation einerStagnation im dritten Jahr alle zusammen – ich habe hin-sichtlich der Wachstumsschwäche auch und gerade an-derer Länder Zahlen genannt – etwas für das Wachstumtun.
Wir erbitten von der EU-Kommission in den Diskus-sionen lediglich, die Möglichkeiten für uns zu schaffen,Wachstum anzustreben, ohne dass wir die Perspektiveder Konsolidierung aufgeben wollen. Es ist richtig, wasHans Eichel gesagt hat. Wir haben uns in den guten Zei-ten auf Wachstum fixiert – Wachstum wird’s schon rich-ten – und Konsolidierung nicht entschieden genug be-trieben. Das geschah aber am wenigsten unter HerrnEichel, sondern eher unter anderen, die vor ihm Finanz-minister waren; da meine ich nicht nur seinen unmittel-baren Vorgänger, sondern spreche auch von Ihrer Regie-rungszeit.
Es gibt Situationen, in denen die Grenze von3 Prozent zwar nicht überschritten werden sollte, aberdoch nicht um den Preis des Abwürgens der Konjunktur,jeder volkswirtschaftlichen Vernunft zum Trotz. Das istdas Einzige, worauf wir hinweisen. In diesem Punkt sindwir im Übrigen einig mit anderen Ländern. Sie habenFrankreich und Italien genannt, wo wahrlich keine – wieSie sagen würden, Herr Glos – strammen Sozialisten, dienicht mit Geld umgehen könnten, regieren. Da sind wiruns vielleicht einig.Die Wachstumsraten in anderen Ländern, die gerneals Beispiele angeführt werden, zum Beispiel 0,7 Pro-zent Wachstum in Spanien, sind ja ganz schön. Aber einsolches Wachstum ist auch nicht besonders schwierig,wt2kdwpsd–SstbwKHbwmdgPImnFedmrtwStbnHs–ne
Ich glaube, meine Damen und Herren, dass wir durchen Zusammenhang von wachstumsfördernder Politiksiehe Steuerreform – einerseits und dem Versuch, dietrukturen in unserer Gesellschaft zu verändern – Um-etzung der Agenda 2010 –, andererseits auf einem gu-en Weg sind.Außerdem will ich hier ganz klar sagen: Wir habeneim Thema Gesundheitsreform miteinander etwas zu-ege gebracht. Dafür bin ich allen Beteiligten – in denoalitionsfraktionen und der Ministerin ebenso wieerrn Seehofer und denen, die mit ihm zusammengear-eitet haben – dankbar. Das war richtig, vernünftig undichtig.
Man kann darüber streiten, ob in bestimmten ver-achteten Bereichen genügend Markt hergestellt wor-en ist. Ich denke an die Kassenärztlichen Vereinigun-en oder an die Apotheken. Im Übrigen sage ich inarenthese an die Freien Demokraten gerichtet: Sogarhr Altmeister, Herr Lambsdorff, hat geschrieben, dassan aufpassen müsse, über den Markt nicht ausgerech-et dann zu schweigen – Stichwort: Mehrfachbesitz undremdbesitz bei Apotheken –, wenn es an das Leder derigenen Klientel geht. Darüber müssen Sie einmal nach-enken, ehe Sie wieder lautstark über Marktwirtschaftit uns reden.
Ich möchte über das hinaus, was ich im Hinblick da-auf deutlich zu machen versucht habe, was wir im na-ionalen Maßstab leisten können und leisten müssen,as wir ökonomisch mit Bezug auf den einzuhaltendentabilitäts- und Wachstumspakt an vernünftiger Interpre-ation, an wachstumsgerechter Interpretation in Europarauchen, noch ein paar Bemerkungen zur internatio-alen Situation machen.Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dasserr Schäuble gesagt hat, die Union könne einem Ein-atz der deutschen Soldaten in Kunduz zustimmen.
Ich kann es nur so sagen, wie ich es zur Kenntnis ge-ommen habe. Sie können es hier ja richtig stellen, wenns anders ist.
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Bundeskanzler Gerhard SchröderIch habe das mit Freude zur Kenntnis genommen.Warum? Es ist ja sehr interessant, einmal die Debatten,die im letzten halben Jahr über die Bekämpfung des in-ternationalen Terrorismus geführt worden sind, zurKenntnis zu nehmen. Wir sind uns alle einig, dass Aus-gangspunkt der Diskussion um die Bekämpfung des in-ternationalen Terrorismus der 11. September war, unddies völlig zu Recht. Sie kennen die Gegebenheiten. Wirhaben damals entschieden, dass wir uns an der militäri-schen Niederwerfung derer beteiligen, die dem interna-tionalen Terrorismus über Ausbildung und über Schutzeine Heimstatt geben, der Taliban also.
– Ja, richtig. – Der Kampf gegen den internationalenTerrorismus gerade in Afghanistan ist nicht gewonnen.Er ist alles andere als das.
– Ja, jetzt kommt es. – Es ist sehr interessant, dass wäh-rend der gesamten Diskussion um den Irakkrieg überdiesen Aspekt des Kampfes gegen den internationalenTerrorismus kein Wort geredet worden ist, obwohl erweiterhin notwendig war. Ich bin froh darüber, dass derZusammenhang jetzt wieder hergestellt wird. Man kannden Kampf gegen den internationalen Terrorismus in je-dem Land, vor allem aber in Afghanistan, verlieren. Manwird ihn dann verlieren, wenn man den Zusammenhangzwischen der militärischen Niederwerfung der Talibaneinerseits und dem, was man Nation Building nennt, an-dererseits nicht sieht oder nicht hinreichend zur Kenntnisnimmt und nicht für eine entsprechende Ausstattungsorgt. Das ist der Punkt.
Das ist die Begründung dafür, dass wir gesagt haben:Wir können nicht uferlos Ressourcen einsetzen, weil wirsie uferlos gar nicht haben. Aber wir sind bereit, derAufforderung der Vereinten Nationen, unserer Partner zufolgen und zu sehen, was wir über Kabul hinaus machenkönnen, immer aber unter Beachtung des Zusammen-hangs, dass sich unser Begriff der Herstellung von Si-cherheit, unser Begriff des Kampfes gegen den interna-tionalen Terrorismus niemals in der militärischen Seiteerschöpfen darf und erschöpft, sondern dass man dabeiimmer auch die zivile Seite im Auge behalten muss.
Wenn wir darüber in diesem Parlament Einigkeit erzie-len können, dann bin ich sehr froh.Dann geht es um die Frage, über die hier vielfach dis-kutiert worden ist – mir liegt wirklich daran, dass wirdiese Diskussion so sachlich wie irgend möglich weiter-führen können –: Wie entwickelt sich das im Irak? Wasfür einen Beitrag können wir leisten? – Dazu zunächstnur so viel: Ich habe nicht die geringste Lust, im Nach-hinein in eine Diskussion darüber einzusteigen, wer inder Bewertung des Krieges Recht hatte und wer nichtRecht hatte, weil das niemanden weiterbringt. Wir habenzmgIirtDkeDhaudmwewIsggSIVgirtrKGsVmnsNirsubmvgrdwdk
abei spielt die Frage, wie man zu dem Krieg stand,eine Rolle. Genugtuung wäre das Verkehrteste.
Dies vorausgeschickt, will ich darauf hinweisen, dasss auch um die Frage geht: Welchen Beitrag kanneutschland leisten? Wir engagieren uns im Bereich derumanitären Hilfe. Wir können uns auch beim Wieder-ufbau im Rahmen bestimmter Projekte engagieren, diensere Institutionen und Nichtregierungsorganisationenurchführen können und die wir natürlich finanzierenüssen. Es ist keine Frage, dass wir das tun können,enn die Sicherheit gewährleistet ist.Noch einmal: Bezogen auf die Sicherheit im Irak wirds Zeit, auf internationaler Ebene darüber zu reden – dasird sicherlich geschehen –, was die Sicherheitslage imrak wirklich verbessern könnte. Ich habe Zweifel – ichage das bewusst zurückhaltend –, ob ein Aufwuchs desegenwärtig vorhandenen Kontingentes an Soldaten,leichgültig von wem gestellt, ein objektives Mehr anicherheit bedeuten würde.
ch glaube, dass die Stimmen – sie gibt es auch in denereinigten Staaten von Amerika – Recht haben, die sa-en: Was wir wirklich brauchen, ist die Ausbildung derakischen Polizei und des irakischen Militärs. Wenn esotzdem zusätzliche Kräfte geben muss, dann sollten esräfte sein, die eine engere Beziehung zum islamischenlauben haben, als wir sie jemals haben können. Eineolche Debatte weist in die richtige Richtung.Unsere Meinung ist, dass wir eine andere Rolle derereinten Nationen brauchen. Diese ist schon aus legiti-atorischen Gründen notwendig, weil sich sonst nur we-ig in Richtung mehr Sicherheit bewegt. Wir müssen, sochnell es geht – es ist klar, dass man das nicht überacht schaffen kann –, dazu kommen, eine wirklicheakische Autorität in diesem Land zu installieren. Dasind die beiden Punkte, um die es geht.Ich sage mit Bezug auf das, was wir leisten könnennd leisten wollen: Auch die deutschen Ressourcen sindegrenzt. Ich sage aber mit Stolz: Mit unserem Engage-ent auf dem Balkan, in Afghanistan und im Rahmenon Enduring Freedom leisten wir Erhebliches. Im Übri-en – das wird auch zur Kenntnis genommen – finanzie-en wir unser Engagement selber. Unsere Partner wissenas inzwischen. Vor diesem Hintergrund ist es verant-ortbar, zu sagen: Wir sind bereit, bei der Ausbildunger irakischen Polizei, die in Deutschland stattfindenann und die wir zusammen mit anderen oder alleine
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Bundeskanzler Gerhard Schröderdurchführen können, zu helfen. Wir sind auch bereit, diefür die Ausbildung unseres Militärs vorhandenen Hoch-schulen zu öffnen, soweit es die Ressourcen hergeben.Aber ich glaube nicht, dass wir in einer Situation sind, inder wir uns im Irak militärisch beteiligen sollten.
Lassen Sie mich abschließend ein paar Bemerkungenzur bevorstehenden Regierungskonferenz in Rom ma-chen – es wird Nachfolgekonferenzen in Brüssel und da-nach vermutlich wieder in Rom geben –, die über dieVerfassung Europas entscheidet. Wir sind uns mit un-seren französischen Freunden und mit anderen darübereinig, dass das, was der Konvent vorgelegt hat, ein wirk-lich sehr guter Verfassungsentwurf ist. Es ist der ge-glückte Versuch, das Verhältnis der Institutionen zuei-nander unter den obwaltenden Umständen vernünftig zuregeln. In Europa ist das natürlich schwieriger, als wennes sich um einen Zentralstaat handeln würde. Auf der an-deren Seite wird auch das Verhältnis zwischen der euro-päischen Ebene und den Nationalstaaten vernünftig ge-regelt. Wir sind letztlich alle davon überzeugt, dass esgut und richtig ist, die Grundrechte-Charta in einer sol-chen Verfassung zu verankern. Noch einmal: Es ist einwirklich geglückter Entwurf.Ich will etwas zu der Frage des Gottesbezuges sagen.Ich unterstelle, dass es Ihnen damit ernst ist. Der Bun-desaußenminister und ich hatten damit überhaupt keinProblem.
Nach meiner Auffassung ist der Gottesbezug nicht erfor-derlich.
– Hören Sie doch einmal zu, bevor Sie den Mund so weitaufreißen!Ich bin der Auffassung, dass diejenigen, denen das– ihrer Verankerung im Glauben wegen – wichtig ist, eingrößeres Recht haben als die, die das nicht für so wichtighalten. So habe ich mich in der niedersächsischen Ver-fassungsdebatte verhalten. So verhalte ich mich auch indieser Debatte.Sowohl der Außenminister als auch ich sind für denGottesbezug eingetreten. Aber Sie kennen die Traditionanderer Länder. Was jetzt im Entwurf steht, ist das Opti-mum des Möglichen. Herr Glos, Sie wollen doch nichternsthaft fordern, dass wir wegen dieser Tatsache dieVerfassung scheitern lassen.
Die rot-grüne Bundesregierung, der man ansonsten al-les Mögliche unterstellt, ist mit dieser Fragestellung ver-antwortungsbewusst umgegangen und hat getan, was siekonnte. Was dabei herausgekommen ist, mag denen, dieganz besonders viel Wert darauf legen – ich hoffe, wirk-lich innerlich und nicht nur zum Kampf untereinander –,
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m Übrigen darf man nicht übersehen: Wenn man soiele Kommissare hat, suchen sie sich alle ein Betä-igungsfeld – und sie finden eines.
ch will das aber nicht in extenso ausführen.Wenn wir das Paket aufschnüren, dann werden wirein besseres zusammenbekommen, wenn überhaupt. Inieser Befürchtung sind wir uns völlig einig. Deswegenird Deutschland auf der Regierungskonferenz dafürorgen, das Paket zusammenzuhalten.Meine Damen und Herren, ich hoffe, es ist deutlicheworden, dass wir eine Menge internationaler Pro-leme haben, die uns zusätzliche wirtschaftlichechwierigkeiten machen. Wir sind mitten in einem unge-euren Reformprozess im Innern. Wir tun das alles, umessourcen freizubekommen, um in die Zukunft zu in-estieren. Diejenigen, die nach uns kommen, sollen soute Chancen haben, wie wir sie hatten. Das ist unsereerantwortung.Ich gebe zu: Das ist unter den obwaltenden Bedingun-en nicht einfach. Was den Haushalt angeht, ist es in deregenwärtigen Situation schwierig genug. Aber ich binest davon überzeugt, dass wir es mit der Strategie dernterstützung von Wachstum einerseits und des wirklicheherzten Angehens von Strukturreformen andererseitschaffen werden, dass diejenigen, die nach uns kommen,ine gute Zukunft erlangen. Das begreife ich als meinend unsere Verantwortung.Ich danke Ihnen für Ihr Zuhören.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
ollegen Friedrich Merz.
Herr Bundeskanzler, Sie haben zu Beginn Ihresebattenbeitrags auf eine Auseinandersetzung Bezug
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Friedrich Merzgenommen, die der Bundesfinanzminister und ich ges-tern zu Beginn der Aussprache miteinander hatten. Ichmöchte Ihnen zunächst Dank dafür sagen, dass Sie dasrichtig gestellt haben. Es konnte gestern durchaus derEindruck entstehen, dass der Bundesfinanzminister ei-nen großen Teil der Probleme, die er jetzt hat, nicht IhrerRegierungspolitik, sondern der Tatsache zuordnet, dasswir die deutsche Teilung zu überwinden hatten.
– Sie haben doch alle zugehört,
tun Sie es jetzt doch bei mir wenigstens 30 Sekundenlang. Ich habe mich beim Bundeskanzler dafür bedankt,dass er diese Situation richtig dargestellt hat, sodass keinfalscher Eindruck bleibt.Herr Bundeskanzler, in einem Punkt möchte ich Ih-nen jedoch widersprechen. Sie haben darauf hingewie-sen, dass auch andere Wachstumsschwächen haben; dasist richtig. Nur: Die Überwindung der deutschen Teilungkostet Geld, aber sie kostet nicht zwangsläufig Wachs-tum.
Im Gegenteil: Richtig gemacht – lassen Sie uns jetztnicht über Versäumnisse und Fehleinschätzungen spre-chen; auch wir hatten Fehleinschätzungen –,
könnte sie sogar einen Wachstumsschub auslösen. Wenndie These, die Sie verschiedentlich vorgetragen haben,dass nämlich diejenigen, die schlechter entwickelt sind,ein höheres Wachstumspotenzial haben, richtig wäre,dann müsste das in diesen Tagen und Wochen ganz be-sonders für die neuen Bundesländer gelten. Aber das Ge-genteil ist der Fall.
Erlauben Sie mir eine zweite Bemerkung. Sie habenheute erstmalig eingeräumt, dass es ein Fehler Ihrer Re-gierung war, den Demographiefaktor abzuschaffen.
Ich habe Respekt davor, dass Sie das so deutlich gesagthaben, Herr Bundeskanzler. Sie hätten Ihrem Finanz-minister und Ihrer Regierung viele Probleme ersparenkönnen, wenn Sie diesen Fehler nicht gemacht hätten.Dann hätte Ihr Bundesfinanzminister gestern auch nichtso laut Klage darüber führen müssen, dass mehr als einDrittel seines Haushalts in die Rentenversicherungfließt. Gleichwohl habe ich Respekt davor, dass Sie dasso gesagt haben.Es würde mich allerdings wesentlich mehr beruhigen,wenn Sie nicht weitere Fehler machten; aber diese Bun-desregierung setzt die Reihe von Versuch und Irrtum fort.Es ist schön, dass Sie heute im Nachhinein davon spre-csdbBsES–EDgKttDdmcHsuZg–CbdBsddwzdddssw
as hat sie im Übrigen auch ohne jeden Zweifel zu Be-inn der 90er-Jahre. Er bezog sich insbesondere auf dieonsumgüter und die Bauwirtschaft.Das Problem der Wachstumsschwäche aber bleibtrotzdem bestehen, weil wir einen großen Teil der Kos-en der Einheit über die Arbeitskosten finanziert haben.as hat exakt zu den Wachstumsproblemen beigetragen,ie wir jetzt miteinander zu beklagen haben. Ich glaube,an muss beides sehen; denn beides gehört zusammen.
Ich komme nun auf den Demographiefaktor zu spre-hen. Ich habe die Sozialministerin gebeten, das, waserr Rürup vorgelegt hat, bis zum Ende dieses Monats,pätestens bis Mitte des nächsten Monats auszuwertennd der Bundesregierung einen Vorschlag zu machen.u diesem Zeitpunkt – wenn ich den Pressemeldungenlauben darf – wird das vorliegen, was Herr Herzogübrigens mit einer Kommission, Herr Glos – für dieDU erarbeitet. Dann werden wir beide Vorschläge ne-eneinander legen und überlegen, was wir im Interesseer Rentensicherheit für die älteren Menschen und mitlick auf die Beitragsentwicklung für die jüngeren Men-chen in unserem Land tun können.Angesichts der Tatsache, dass Sie eigene Arbeiten aufen Tisch legen wollen, werden Sie sich, wie ich denke,er Verantwortung eines gemeinsamen Abgleichs und,o möglich, einer gemeinsamen Umsetzung nicht ent-iehen können. Wir werden sehen, welche Vorschlägeie eine Seite und welche die andere Seite zur Lösunger Probleme vorlegen wird. Ich bin mir ganz sicher,ass wir über unsere Vorschläge, die wir in den Deut-chen Bundestag einbringen werden, sehr rational undehr problemorientiert streiten können. Das jedenfallsünsche ich mir.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Guido Westerwelle
von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundes-kanzler, Sie haben zu Beginn Ihrer Ausführungen einenFehler eingestanden. Das fällt Ihnen ein, nachdem esfünf Jahre her ist, dass Sie diesen Fehler, wie Sie selbstsagen, gemacht haben. Ein Eingeständnis, in der Renten-politik einen Fehler gemacht zu haben, ist dann honorig,wenn man fahrlässig etwas falsch gemacht hat, wennman es nicht besser wusste. Sie dagegen haben die da-malige Regierung für die Rentenpolitik in besondererWeise beschimpft, obwohl Sie wussten, dass es in Wahr-heit falsch war, was Sie gemacht haben. Sie wollten nuran die Macht kommen.
Und so regieren Sie auch heute noch: Sie wissen, dassIhre Politik falsch ist, wollen sich aber an der Macht hal-ten.
Unterhalten wir uns nun über die weiteren Fragen, dieSie angesprochen haben. Es ist schon ein starkes Stück,dass Sie hier von einer besonders wachsenden Volks-wirtschaft gesprochen haben. Sie sagten, die Volkswirt-schaft sei gewachsen, sie habe an Kraft zugenommen –und das, nachdem unsere Wirtschaft über zwei Quartalehinweg geschrumpft ist. Noch nie hat ein Kanzler dasWirtschaftswachstum in Deutschland so bagatellisiert.Wir leben seit zwei Quartalen in einer Rezession; Sta-gnation ist noch die höfliche Umschreibung dafür. Nichtdas Ausland oder die Weltkonjunktur sind die Ursache,Ihre Politik ist die entscheidende Ursache für diese Ent-wicklung.
Wie viele Fehler wollen Sie eingestehen?
Nur den bei der Rente? Sie sagen, Sie wollten die Steu-ersätze senken. Einverstanden, wir werden konstruktivdaran mitarbeiten; das ist keine Frage. Das haben wir Ih-nen immer wieder gesagt, auch nach Ihrer Regierungser-klärung im Bundestag zur Agenda 2010. Sie allerdingserwecken den Eindruck, als habe die Steuersenkungs-politik erst mit Ihnen begonnen. So wie Sie bei derRente das wider besseres Wissen aufgehoben haben, wasrichtig war, haben Sie damals mit den Petersberger Be-schlüssen die Steuersenkungspolitik blockiert, obwohlSie wussten, wie sehr Deutschland im Interesse neuerArbeitsplätze auf Steuersenkungen angewiesen war.
Sie machen keinen Einkommensteuertarif mit einemEingangssteuersatz von 15 Prozent. Wir hätten seit sechsJahren Steuersätze zwischen 15 und 39 Prozent habenkaDgwmhLÖagmhbGgdDWJFmPFbbbhmddmbtEsuWi2dd
Wenn man drei Wochen vor der bayerischen Land-agswahl Propagandamittel in Höhe von 2,3 Millionenuro einsetzt, obwohl diese Politik noch gar nicht be-chlossen ist, dann ist das eine eklatante Steuergeldver-ntreuung. Wir sagen es so, wie es ist: Sie wollen dieahlkampfkassen Ihrer Partei in Bayern schonen. Dasst alles.
Es ist erstaunlich, wofür Ihre Regierung Geld ausgibt:,3 Millionen Euro für eine Propaganda für ein Produkt,as es noch gar nicht gibt. Der Antwort auf eine Anfrageer FDP-Fraktion entnehmen wir, dass es ein neues Spiel
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Dr. Guido Westerwelleder Bundesregierung für die ökologische Vorschuler-ziehung von Kindern gibt: „Kater Krümels Bauern-hof“. Dafür wurden 1,7 Millionen Euro zur Verfügunggestellt. Dafür hat die Regierung Geld!
Die Gebühren für Krippenplätze stiegen allein im letztenMonat um über 6 Prozent. Sie sollten das Geld dort in-vestieren und nicht für Ihren Propagandaunfug ausge-ben, den Sie auf Kosten der Steuerzahler begehen.Kater Krümels Bauernhof – Kater Krümels Regie-rungserklärung. Man wundert sich, was wir in diesemSommer alles erleben mussten.
– Frau Sager, auf Sie komme ich noch zu sprechen. Fan-gen wir doch gleich einmal mit Ihnen an.
Liebe Frau Sager, bei allem Respekt: Rot-Grün führtwieder eine Debatte über die Ausbildungsplatzabgabe.Frau Sager sagte in diesem Frühjahr dazu: Wenn dieWirtschaft nicht spure, dann müsse man der Wirtschaft„die Folterwerkzeuge“ zeigen. Sie sagen das in einemJahr, in dem es so viele Pleiten im Mittelstand gibt wienoch nie zuvor. Es gab noch niemals eine solche Pleite-welle wie unter dieser Bundesregierung.
Und Sie sagen, dass Sie der Wirtschaft die Folterwerk-zeuge zeigen wollen. Diese Wirtschaft braucht keineFolter von Rot-Grün, sondern Freiheit. Das ist ein ent-scheidender Unterschied.
Nur dann gibt es wieder Arbeitsplätze.Es ist faszinierend, was Ihnen alles einfällt. Künftigwerden noch mehr Beamte eingestellt, die zu prüfen ha-ben, wie viele Einstellungen in mittelständischen Betrie-ben vorgenommen werden müssen.
Frau Sager, so redet nur jemand, der in seinem Lebennoch niemals einen Euro selbst erwirtschaften musste.Das muss Ihnen einmal gesagt werden. So sieht Ihre Po-litik aus.
Vom BAföG über die Grundsicherung in den Vorruhe-stand – das ist Ihr grünes Lebensideal.
Die Bundesanstalt für Arbeit hat in diesem Sommeritgeteilt, dass es fast 5 Millionen Arbeitslose gebenann. Das ist die dramatische Lage, in der wir uns befin-en. Wollen Sie den 5 Millionen Arbeitslosen sagen,ass alles ein Fehler war und es Ihnen Leid tut? Das sindchicksale und nicht nur Statistiken.
as sind Frauen, die in den Arbeitsmarkt einsteigenöchten, nachdem vielleicht die Kinder aus dem Gröbs-en heraus sind. Das sind junge Leute, die eine Chancend eine Perspektive suchen. Das sind Menschen, dieitte oder Ende 50 sind und aufgrund Ihrer Arbeits-arktpolitik zum alten Eisen gestempelt worden sind,
odass sie keinen Platz mehr finden. Wollen Sie denenagen: Sorry, die fünf Jahre waren ein Fehler?
o leicht stehlen Sie sich nicht aus Ihrer Verantwortung.
Ihre Steuerpolitik war ein Fehler, Ihre Sozialpolitikar ein Fehler, Ihre Haushaltspolitik war ein Fehler undhre Subventionspolitik war ein Fehler – und das ineiten, in denen Deutschland sparen muss und in denener Entwurf des Subventionsberichts an die Öffentlich-eit kommt, aus dem wir erfahren, dass bei Ihnen dieubventionen sogar noch steigen, anstatt dass sie zu-ückgeführt werden.
as ist ein Stück aus dem Tollhaus. Wir wollen Steuer-enkungen! Diese sind das beste Beschäftigungspro-ramm.
ir wollen sie aber nicht mit neuen Schulden, sondernurch Subventionskürzungen finanzieren. Herr Bundes-anzler, dazu fehlt Ihnen der Mut. Genau dieser Mut istber das Wichtigste in Ihrem Amt.
Wir haben erlebt, dass Sie den demographischen Fak-or bei der Rente aufgehoben haben. Sie haben die Pe-rsberger Beschlüsse blockiert und in Ihrer Amtszeit dieesamten Reformen auf dem Arbeitsmarkt und im
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Dr. Guido WesterwelleArbeitsrecht beseitigt. Gott sei Dank kommt jetzt HerrClement mit Vorschlägen, die nach und nach in die rich-tige Richtung gehen. Er hat dabei größte Widerständebei Ihnen zu überwinden. Das ist das Problem. Ihre Re-gierung ist eine einzige Momentaufnahme; sie möchteauf Stimmungswogen gleiten.
Leider sind Sie keine Regierung, die eine verlässlichePerspektive definiert. In diesen Zeiten müsste ein deut-scher Bundeskanzler bzw. eine Bundesregierung sagen:Wir wollen eine Staatsquote von einem Drittel erreichen,weswegen wir die Steuersätze auf 15, 25, 35 Prozent re-duzieren. Wir werden das durch Privatisierung, Subven-tionsabbau und eben nicht durch neue Schulden finan-zieren.
Wir werden das Ganze mit einer Reform auf dem Ar-beitsmarkt verbinden und dazu neue bildungspolitischeAkzente setzen. – All das kommt von Ihnen nicht. Siehaben keine Perspektive; Sie sind ein Stimmungskanz-ler. Das ist das Problem für Deutschland.
Ich will die einzelnen Punkte der Gesundheitspolitikansprechen, die Sie hier selbst eingeführt haben. HerrBundeskanzler, bezogen auf die Gesundheitspolitik ha-ben Sie zunächst einmal die Freien Demokraten ange-sprochen. Das war so gut wie alles, was Ihnen zur Ge-sundheitspolitik eingefallen ist. Sie sagen, dass es keineSteuererhöhungen geben soll. In Wahrheit ist in diesemKompromiss vorgesehen, dass die Tabaksteuer erhöhtwird, damit das Gesundheitssystem bezahlbar bleibt. DieVorstellung, dass man erst möglichst viel rauchen muss,damit man, wenn man wegen des Rauchens krank wird,eine Behandlung bezahlt bekommen kann, ist in meinenAugen geradezu absurd.
Rauchen für die Gesundheit ist auch ordnungspolitischnur noch gaga.
Darüber werden wir hier aber noch beschließen.Daneben haben Sie noch einmal meine Haltung unddie Haltung meiner Fraktion in der Gesundheitspolitikangesprochen.
Da Sie auf den Wettbewerb eingegangen sind, will iches Ihnen gerne sagen: Sorgen Sie doch für einen echtenWettbewerb aller Versicherungen!StemWWaBMomAHgmsnDaHEkDSledoÄKtutessFda
orgen Sie dafür, dass die Versicherungen in einen ech-n Wettbewerb miteinander treten! Dann sind wir sofortit Ihnen dabei, auch in den Gesundheitsberufen mehrettbewerb durchzusetzen.
ir verstehen unter Wettbewerb: frei und fair!Sie haben gerade die Apotheken angesprochen. Wirls Freie Demokraten möchten, dass auch künftig zumeispiel jemand auf dem Lande einen Notdienst für einedikament seines Kindes in Anspruch nehmen kann,hne dass er dafür zwei Stunden im Auto unterwegs seinuss.
uch diese Menschen brauchen jemanden in diesemause, der darauf aufmerksam macht.Nein, Herr Bundeskanzler, wir brauchen keine Bür-erversicherung. Wir brauchen mehr Wettbewerb undehr Freiheit. Wir brauchen keine Pflichtversicherung,ondern eine Pflicht zur Versicherung. Das haben wir Ih-en in diesem Hause als Gegenkonzept vorgelegt.
as werden wir auch durchsetzen.Ich will zu einem weiteren Bereich kommen, den Siengesprochen haben. Das ist nach der Innenpolitik, deraushaltspolitik und der Sozialpolitik die Außenpolitik.s soll ausdrücklich anerkannt werden, Herr Bundes-anzler, dass wir Gemeinsamkeiten haben.
as muss auch in einer solchen Debatte, zu der derchlagabtausch gehört, erwähnt sein.
Aber ich sage Ihnen: Ich halte es schon für einen Feh-r, wenn Sie bei der europäischen Verfassung den Ein-ruck erwecken, als dürfe nichts mehr verändert werden,bwohl doch Ihr eigener Außenminister über 50 eigenenderungsvorstellungen zum Verfassungsentwurf desonvents vorgelegt hat. Wir teilen die sachliche Bewer-ng, die Sie haben. Aber der Appell meiner Fraktion rich-t sich an Sie und das ganze Haus: Wenn wir wollen, dassich die Bürgerinnen und Bürger hinter dieser europäi-chen Verfassung versammeln – das ist eine historischerage –, dann sollten wir auch gemeinsam dafür sorgen,ass sich die Bürgerinnen und Bürger in einer Volks-bstimmung für diese Verfassung entscheiden können.
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Dr. Guido WesterwelleAuch da sollten Sie Ihren Worten Taten folgen lassen.So, wie Sie das bisher in der Europapolitik gemachthaben, geht es nicht. Sie haben einiges gesagt, was an-erkannt werden soll, insbesondere was das deutscheEngagement im Irak angeht. Auch wir sind der Überzeu-gung: Das Militärische darf Außenpolitik nicht ersetzen.Das sollten Sie mehr Ihrem Außenminister und wenigerdiesem Haus sagen. Aber in der Europapolitik könnenSie sich nicht zum Staatsmann aufschwingen.
Das ist nach diesem Sommer vorbei. Wie Sie einen Som-mer lang einen wirklich drittrangigen Staatssekretär ausItalien zum großen Thema von Regierungspolitik ge-macht haben, indem Sie Deutschland durch regierungs-amtliche Mitteilungen Ihres Sprechers darüber rätselnließen, ob man denn jetzt noch an die Adria fahren darfoder nicht, ist nur noch Operettenaußenpolitik gewesen.Ich finde wirklich, ein Bundeskanzler – das war beifrüheren Bundeskanzlern der Fall – hat bei Irritationenzwischen befreundeten Ländern die Verpflichtung, einesolche Irritation aufzuarbeiten, zu begrenzen und diesenicht auch noch für innenpolitische Stimmungswogenhochzuspielen.
Herr Bundeskanzler, Urlaubsabsagen als Instrument derAußenpolitik taugen nicht. Das ist eine Mischung ausWilhelm II. und Ludwig II. Das passt nicht in unsereZeit, Herr Bundeskanzler. Auch das soll gesagt werden.Sie sind eben nicht nur in der Innenpolitik und der Wirt-schaftspolitik am Ende angekommen, sondern Sie sindin Wahrheit auch in der Außenpolitik konzeptionslos.Hinter Ihnen liegt nicht eine Phase der Einigung Euro-pas. Hinter Ihnen liegt eine Phase, in der Europa zerstrit-tener ist als je zuvor. Dafür tragen viele Verantwortung,Sie auch.
Diese Regierung ist nach fünf Jahren wirtschafts-, in-nen- und außenpolitisch gescheitert. Sie war ein einzigerFehler, Herr Bundeskanzler. Das ist das Eingeständnis,das kommen muss.
Drohen Sie Deutschland nicht damit, Rot-Grün nach2006 fortzusetzen. Kündigen Sie lieber an, dass Sie sichnach und nach zurückziehen. Deutschland sehnt sichnicht nach vier weiteren Jahren Rot-Grün. Deutschlandbräuchte Neuwahlen. Das wäre das beste Beschäfti-gungsprogramm.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin Göring-Eckardt von Bündnis 90/Die Grünen.NsamtrhGüutIIFFrIhuRMrmnwDe2sDw
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Prä-ident! Herr Westerwelle, das Geschrei, das Sie hier ver-nstaltet haben,
ag vielleicht in den eigenen Reihen ankommen.
Aber ich will auf etwas eingehen, was Sie besser ge-an hätten. Sie haben ein Spiel kritisiert, das die Bundes-egierung produziert und das zur vorschulischen Erzie-ung gehört. Es geht um Ernährungserziehung.estern sagte jemand in der Kantine – ein Erwachsenerbrigens – er wolle noch etwas von dem Blumenkohl,nd er hat dabei auf den Fenchel gezeigt. Das ist die Si-uation, mit der wir es zu tun haben.
n diesem Zusammenhang, Herr Westerwelle, hätte eshnen vielleicht besser getan, wenn Sie sich mit derrage, wer für was zuständig ist, beschäftigt hätten.
ür die Kindergartenbeiträge ist nicht die Bundesregie-ung zuständig, sondern die Kommunen, wie Sie wissen.nsofern würde Ihnen lebenslanges Lernen gut tun, stattier am Morgen herumzubrüllen.
Wir debattieren seit gestern über den Bundeshaushaltnd ich habe sehr genau zugehört, insbesondere bei denedebeiträgen der Opposition.
an könnte fast denken, alles ist wie immer. Die Regie-ung legt etwas vor und die Opposition fordert erst ein-al – fast jedenfalls, Herr Merz – den Rücktritt des Fi-anzministers oder veranstaltet ein bisschen Klamauk,ie das Herr Glos heute Morgen gemacht hat.
abei reden wir in wirklich schwierigen Zeiten überinen Haushalt und gleichzeitig über die Reformagenda010, die einen tief greifenden Reformprozess in Gangetzt und in Gang setzen muss.
as Land redet darüber, wie Deutschland zukunftsfähigerden kann. Nur Sie debattieren nicht darüber, sondern
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Katrin Göring-Eckardtveranstalten eine Art Karneval. Das Land redet darüber,was wir machen müssen, damit wir vorankommen, undSie veranstalten nichts anderes als Affentheater. HerrGlos, Deutschland bewegt sich schon.
Der Stillstand ist nur auf der rechten Seite dieses Hauses.Das ist das Problem, das wir haben.
Liebe Frau Merkel,
wir hören sehr genau hin, wenn Sie Vorschläge machen.Wenn man in den letzten Tagen hinhört, was die Politikder Union ist, dann fällt auf, dass es eigentlich nur einThema gibt, das eine Rolle spielt, und das ist der Kandi-datenstadl. Man liest nichts darüber, wer der beste Bun-despräsident oder die beste Bundespräsidentin ist, son-dern darüber, wer in das Machtkalkül von wem passt.Ich finde, das ist dem Amt und der Lage, in der wir unsbefinden, nicht angemessen.
Da gibt es keine Alternativkonzepte. Sie sagen nichtszur Rente, sondern warten auf Herzog. Herr Glos sagtnoch, man müsse das alles ein Stück weit so machen,wie es von der Regierung vorgeschlagen werde. LetztenEndes bleibt eine einzige Sache übrig – HerrWesterwelle hat das eben noch einmal gemacht –: Esgeht darum, dass Sie sich vor Ihre Klientel werfen, vordie Handwerksmeister, vor die Ärzte, vor die privateKrankenversicherung und vor die Pharmaindustrie. Ichkann nur sagen: Mit Rot-Grün bewegt sich Deutschland.Der Stillstand ist auf Ihrer Seite.
Dieser Haushalt birgt Risiken. Hans Eichel hat daraufhingewiesen. Das gehört zur Ehrlichkeit und das gibt esnicht oft in der Politik.
Wenn Sie während Ihrer Regierungszeit darauf hinge-wiesen hätten, dann wären wir heute auch schon weiter.Das gehört zur Ehrlichkeit.
Das größte Haushaltsrisiko haben wir dann, wenn Sievon der Opposition das Jahr so beenden, wie Sie es an-gefangen haben.
Sie sagen: Subventionsabbau ja, aber bloß keine Sub-ventionen abbauen. Das ist Ihre Politik.
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Schauen Sie sich einmal den famosen Herrn Koch an.ch habe ihn heute Morgen wieder im Radio gehört.
Er möchte den Bundeshaushalt im Bundesrat stoppen.a kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch, Herroch. Sie hätten in den letzten Jahren Ihren eigenenandeshaushalt stoppen sollen, der nämlich dazu geführtat, dass Hessen im Ranking nach unten gerutscht ist.
er in Wiesbaden mit dünnem Wasser kocht, der sollteicht versuchen, in Berlin Schaumschlägerei zu betrei-en. Deutschland bewegt sich, Stillstand ist bei der Op-osition.
Frau Kollegin Göring-Eckardt, erlauben Sie eine Zwi-
chenfrage des Herrn von Klaeden?
Sehr gerne.
Bitte schön.
Frau Kollegin Göring-Eckardt, da Sie seit einiger Zeitmmer wieder Hessen erwähnen, frage ich Sie: Ist Ihnenekannt, dass das von Rot-Grün regierte Schleswig-Hol-tein überhaupt nicht mehr geratet wird?
Herr von Klaeden, ich habe die Entwicklung in denergangenen Jahren dargestellt. Ich habe vor allem dar-tellen wollen, wie auf der einen Seite über solideinanzpolitik gesprochen und auf der anderen Seite das
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Katrin Göring-EckardtGegenteil gemacht wird. Wenn man zum Beispiel überdie Einhaltung der Kriterien von Maastricht redet, dannmuss man auch Herrn Koch in den Blick nehmen, dernämlich erheblich dazu beiträgt, dass wir die Kriteriennicht einhalten werden. Dafür sind nicht nur die Bundes-regierung oder Hans Eichel verantwortlich.
Auch das muss der Ehrlichkeit halber berücksichtigtwerden.
Meine Damen und Herren, der Konzeptionslosigkeitder Union ist entgegenzuhalten: Wir hätten es gern einbisschen konkreter. Die Politik, die Sie hier vorstellen,erinnert mich an das, was wir zurzeit in den DDR-Showserleben: viel Nostalgie und Klamauk, aber wenig realeGeschichte.Frau Merkel, Ihre Vorschläge zur Atomkraft zum Bei-spiel sind für die Energiefragen der Zukunft ungefähr sotauglich wie der Drink, den Katarina Witt in der DDRaus Rotwein, Eiern und Kaffeesahne gemixt hat und derangeblich gegen Schnupfen helfen sollte.Lieber Herr Bundeskanzler, angeblich ist dieser Drinkin der DDR getrunken worden. Ich möchte aber nicht,dass Sie sich diesen Geschmack vorstellen, weil Ihnen jaso leicht übel wird.
Aber zurück zu Ihnen, Frau Merkel. Beim geplantenSubventionsabbau durch die Bundesregierung hören wirvon Ihnen wieder einmal, was alles nicht möglich ist:Die Pendlerpauschale muss bleiben und die Eigenheim-besitzer brauchen weiterhin die Staatsknete. So funktio-niert es aber nicht. Auf der einen Seite die Steuersenkun-gen zu begrüßen und eine Neuverschuldung abzulehnen,aber auf der anderen Seite jede vernünftige Gegenfinan-zierung zu blockieren ist die Quadratur des Kreises. Dasist sozusagen Voodoo-Ökonomie, die wir nicht mehr ak-zeptieren können.
Die konnten Sie vielleicht in Ihrer Regierungszeit nochbetreiben. Jetzt aber sind Sie in der Mitverantwortungdurch den Bundesrat. Diese Verantwortung müssen Sieannehmen. Wir und auch die Öffentlichkeit werden Siedazu zwingen.
Ich bin überzeugt, dass die Menschen von uns vor al-lem eines erwarten, nämlich Ehrlichkeit. Sie wollen,dass wir deutlich sagen, welche Veränderungen notwen-dig sind und was auf sie zukommt. Das betrifft die de-mographische Entwicklung wie auch die Tatsache, dasssich die Welt verändert und wir nicht mehr in einem iso-lwdmbsSrgsgNmamKnlEawhdsmeaDpwjmrSgvVgukDwkhh
Dass die sozialen Sicherungen in Zukunft nicht mehrllein über die Arbeitskosten finanziert und bewältigterden können, ist bekannt. Schon jetzt zahlen wir denohen Preis der Massenarbeitslosigkeit.Herr Merz, Sie haben sich sehr darüber gefreut, dasser Bundeskanzler die Abschaffung des demographi-chen Faktors als einen Fehler bezeichnet hat. Dabeiüssen Sie aber eines berücksichtigen: Der von Ihneningeführte Demographiefaktor hätte bei weitem nichtusgereicht, um das Rentensystem zu konsolidieren.afür brauchte man die private Vorsorge und einen Ka-italstock in der Altersvorsorge. Sicherlich sind nocheitere Veränderungen notwendig. Sie können sich hieredenfalls keinen „weißen Fuß“ machen; denn der De-ographiefaktor war zwar ein richtiges, aber nicht aus-eichendes Instrument.
owohl Herr Blüm als auch Sie haben das schon damalsewusst. Das ist Ihr Fehler gewesen.
Mit der Agenda 2010 haben wir mit echten Struktur-eränderungen begonnen. Wir brauchen weiter gehendeeränderungen. Für uns Grüne ist klar, dass eine Bür-erversicherung notwendig ist, in die alle einzahlennd die in stärkerem Maße von den Arbeitskosten abge-oppelt wird. So sehen soziale Systeme der Zukunft aus.as ist auch kein grüner Traum mehr. Herr Seehoferird sich ja aus Vernunftgründen durchsetzen.Liebe Freundinnen und Freunde von der Sozialdemo-ratie, um den Kompromiss bei der Gesundheitsreformaben wir gemeinsam gerungen. Wir haben bei den Ver-andlungen mit den Schwarzen sicherlich viel schlucken
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Katrin Göring-Eckardtmüssen. Aber jetzt können wir gemeinsam zeigen, waswir unter Gerechtigkeit verstehen. Eine Bürgerversiche-rung – das ist meine ehrliche Überzeugung – ist eineechte Chance, die Lasten auf mehr Schultern und auchauf diejenigen der Starken zu verteilen. Bei einer Bür-gerversicherung geht es nicht darum, mehr Geld in dasGesundheitssystem fließen zu lassen, sondern um mehrGerechtigkeit.
Vorerst gilt trotzdem: Wir werden dem beschlossenenKompromiss zustimmen, damit überhaupt etwas ge-schieht. Aber Sie müssen sich schon gefallen lassen– das gilt auch für Sie, Herr Westerwelle –, dass mandeutlich macht, wer für was zuständig war. Natürlich ha-ben Sie den Wettbewerb verhindert und sich schützendvor Ihre Klientel, die Ärzte, die Apotheker und die Phar-maindustrie, gestellt. Die FDP als Partei der freienMarktwirtschaft hat sich angesichts dessen, was Sie beiden Verhandlungen über den gesundheitspolitischenKompromiss veranstaltet haben, im Grunde genommenbereits selbst überlebt.
Sie dürfen nicht vergessen, dass das Geld, das Sie sofreizügig verteilen und mit dem Sie umspringen wollten,als ob es keine Bedeutung hätte, nicht Ihnen gehört. Eshandelt sich noch nicht einmal um Steuergelder, sondernum Gelder der Beitragszahler und der Versicherten.
– Herr Gerhardt, vielleicht gibt es Ihnen zu denken, dasses zwei Menschen gibt, die kritisieren, dass die Fraktio-nen der CDU/CSU und der FDP mehr Wettbewerb beiden Verhandlungen über den gesundheitspolitischenKompromiss verhindert haben. Der eine ist HerrSommer, der DGB-Chef, und der andere ist HerrRogowski, der Ihnen ja sehr nahe steht. Ich kann nur sa-gen: Deutschland bewegt sich. Stillstand – das ist ein-deutig – herrscht auf Ihrer Seite.
Herr Westerwelle, Sie haben sich außerdem bei einemanderen Problem aufgeblasen, das wirklich schwerwie-gend ist und mit dessen Lösung wir uns beschäftigenmüssen. Das ist das Thema Ausbildungsplätze. Wennes um dieses Thema geht, erzeugen Sie regelrecht einenKältestrom in diesem Hohen Haus, worüber ich michnur wundern kann. Ende September dieses Jahres wer-den vermutlich 50 000 Lehrstellen fehlen. Ich finde, dasswir das definitiv nicht hinnehmen können.
Herr Westerwelle, die 50 000 jungen Menschen, die kei-nen Ausbildungsplatz finden, brauchen wir aber alsFachkräfte. Sie müssen eine Chance bekommen. Wervlgiw3mSmDgtwniwnfsMuvvhMnhofsmtfgdnizbDebdgöaA
Wir haben den Unternehmen wirklich sehr viel Zeitelassen, um neue Lehrstellen zu schaffen. Das Ergebnisst – Herr Westerwelle, das müsste auch Ihrer Wettbe-erbspartei zu denken geben –, dass gerade einmal0 Prozent der deutschen Unternehmen ausbilden. Dieeisten Betriebe bilden also nicht aus. Damit musschluss sein. Wenn es nicht anders funktioniert, dannuss es eine entsprechende gesetzliche Regelung geben.ann brauchen wir eine Ausbildungsumlage, damit Ju-endliche in Ausbildung kommen und damit es Gerech-igkeit bei den Unternehmen gibt. Darum geht es.
Sie sprechen aber noch ein anderes „Wettbe-erbsthema“ ständig an, nämlich die Handwerksord-ung, die eigentlich eine mittelalterliche Zunftordnungst. Sie haben sich schützend vor den Meisterbrief ge-orfen. Man kann hier sicherlich unterschiedlicher Mei-ung sein. Ich halte das Ganze für sehr bürokratisch undür überkommen.Aber man kann sich auch einmal mit der Realität be-chäftigen. Beispielsweise gibt es in Berlin eineneister seines Faches, dem sich – ich habe das gehörtnd gelesen – auch einige Mitglieder dieses Hauses an-ertrauen – nicht Herr Glos, der sich seine Haare immeron seiner Frau färben lässt, aber andere. Dieser Mannat nach Auskunft der Handwerkskammer Berlin keineneisterbrief. Es handelt sich um Udo Walz. Dass er kei-en Meisterbrief hat, ist, wie ich finde, kein Drama. Ichoffe, niemand hier ist anderer Meinung. Ich weiß nicht,b sich Guido Westerwelle bei Herrn Walz die Haareöhnen lässt.Dieses Beispiel zeigt: Die Handwerksordnung hatich überlebt. Wir brauchen sie in dieser Form nichtehr. Man kann einen Schritt nach vorn tun, entbürokra-isieren, endlich einmal Freiheit und Wettbewerb schaf-en und die damit verbundenen Möglichkeiten aufzei-en.
Ich möchte auf ein Problem zu sprechen kommen, mitem eine große Zukunftsfrage verbunden ist: 1,6 Millio-en Menschen, und zwar vor allen Dingen Frauen, sindn Deutschland vom Erwerbsleben ausgeschlossen, undwar nur deswegen, weil die entsprechenden Kinder-etreuungsangebote fehlen. 41 Prozent der Frauen ineutschland sind nicht erwerbstätig. Das ist in anderenuropäischen Ländern anders: In Schweden und Groß-ritannien arbeiten 70 Prozent. Die Schaffung der Kin-erbetreuungseinrichtungen ist insofern eine Frage deresellschaftlichen Gerechtigkeit und eine knallhartekonomische Frage. Das Fehlen von Kinderbetreuungs-ngeboten verhindert Wachstum und das Entstehen vonrbeitsplätzen in Deutschland.
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Katrin Göring-EckardtDie Beantwortung der Frage, ob die Rahmenbedin-gungen stimmen und ob deswegen mehr Kinder geborenwerden, ist für die Zukunft weit wichtiger als zum Bei-spiel die Lösung der Rentenversicherungsprobleme,Stichwort: Renteneinstieg mit 67.Auch hierbei gilt, liebe Frau Merkel: Ihre Antwort istwieder von gestern. Im Wahlkampf sind Sie noch für dieZahlung von Familiengeld eingetreten und jetzt sollendie Eltern warten, bis sie Rentnerinnen oder Rentnersind. Dann wird bei ihnen „eine Schippe draufgelegt“.Fragen Sie die Frauen in Deutschland! Sie wollen heuteBeruf und Familie verbinden. Die Eltern wollen, dass esihnen heute besser geht, sie wollen heute Möglichkeitenhaben, sie wollen nicht warten, bis sie im Ruhestandsind, um dann dafür belohnt zu werden, dass sie Mütteroder Väter gewesen sind. Ich kann nur sagen: Deutsch-land bewegt sich. Stillstand herrscht auf Ihrer Seite; Sierichten den Blick zurück, und zwar sehr weit.
Die Menschen wissen auch, dass wir auf Dauer nichtlänger immer neue Schulden machen können. NeueSchulden bedeuten Einengung der Bewegungsspiel-räume für unsere Kinder und Kindeskinder. Wir müssenheute die Möglichkeit haben, in die Zukunft zu investie-ren. Dabei geht es um Bildung, um Familien, um For-schung und um technische Innovationen. Dabei geht esübrigens auch um Energiefragen. Dem, was Sie, FrauMerkel, zum Thema Atomkraft gesagt haben, möchteich Folgendes entgegnen: Es gibt auf der Welt kein ein-ziges privates Unternehmen, das mit eigenem GeldAtomkraftwerke baut. Das müssen Sie sich einfach ein-mal bewusst machen, wenn Sie mit solchen Vorschlägenkommen. Wenn Sie den Sicherheitsaspekt nicht berück-sichtigen wollen, dann berücksichtigen Sie bitte wenigs-tens das bisschen, was mit Ökonomie zu tun hat. IhreArt, mit Reformen umzugehen, funktioniert nach demMotto „Zurück auf Los“. Das funktioniert nicht, wennman den Aufbruch in Deutschland schaffen will.
Wenn man den Aufbruch in Deutschland schaffenwill, dann muss man tatsächlich nach vorn blicken unddie Sozialreformen anpacken. Frau Merkel, Sie habenhier vor ein paar Monaten gesagt: Es muss endlich etwasvorgelegt werden. – Jetzt liegt etwas vor. Was fehlt, istIhre Antwort. Die Reformvorschläge liegen vor, derHaushalt liegt vor, das Haushaltsbegleitgesetz liegt vorund Vorschläge zum Subventionsabbau liegen vor. Wasfehlt, ist irgendeine Antwort aus Ihren Reihen.
Ich bin froh darüber, dass sich die rot-grüne Koalitionentschieden hat, ehrlich zu sein. Ich bin übrigens auchegs„hesnebDsaMiiehshsulhhdddSwfeseiSSvhdlweuawgKlt
nser Problem ist, dass wir 1 Million Kinder in Deutsch-and haben, die von Armut bedroht sind, die von Sozial-ilfe leben. Wenn wir über Gerechtigkeit reden, danneißt das: Wir wollen Gerechtigkeit auch für diejenigen,ie draußen sind. Die Spaltung der Gesellschaft in die,ie drin sind, und die, die draußen sind, zu überwinden,as ist die Zukunftsaufgabe, die wir haben. Eine solchepaltung wollen wir nicht. Eine solche Spaltung könnenir nicht hinnehmen. Das ist die neue Gerechtigkeits-rage, vor der wir stehen.Wenn Herr Stoiber damit ein Problem hat, dann sollr sich bitte einmal die Armutsberichte anschauen undich klar machen, was das für diese Kinder bedeutet, wass für ihre Gesundheit bedeutet, was es für ihre Chancenn der Schule, bei der Ausbildung und erst recht beimtudium bedeutet. Soziale Gerechtigkeit fängt bei denchwächsten an und dafür steht diese Regierung ein.
Letztlich ist das natürlich auch ein Potenzial, das wirerschenken. Aber mit solchem ökonomischen Potenzialat es Bayern ja nicht so. Das betrifft im Übrigen auchie Zuwanderung. Ob Deutschland ein ausländerfreund-iches Land ist oder nicht, ob Deutschland den Wettbe-erb um die besten Köpfe gewinnen kann oder nicht, istine harte Standortfrage; Ihre Freunde in der Wirtschaftnd Ihre eigenen Experten erzählen Ihnen das jeden Tagufs Neue. Mit der Weigerung, endlich ein modernes Zu-anderungsgesetz in Kraft zu setzen, schaden Sie direkt,anz direkt der deutschen Wirtschaft: weil die klugenöpfe nicht hierher kommen und weil Ausländerfreund-ichkeit und Offenheit eines Landes ein Wirtschaftsfak-or ist, ein Standortfaktor ist, ein Markenzeichen ist. Ein
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Katrin Göring-Eckardtsolches Markenzeichen brauchen wir in Deutschland,wenn wir tatsächlich Zukunft gewinnen wollen.
Das betrifft auch die unheimlich platte Attitüde vonHerrn Stoiber zu der Frage des EU-Beitritts der Tür-kei. Wenn es nach der CSU ginge, besonders in Wahl-kampfzeiten, müssten wahrscheinlich erst alle Türkin-nen und Türken Weißbier trinken und Dirndl oderLederhose tragen, bevor man darüber überhaupt redenkann.
Ich finde: Das ist unverschämt. Das spaltet. Ihre Argu-mentation spaltet unser Land und spaltet auch Europa.
Wir haben sehr klar gesagt, wohin wir mit unserenReformen wollen. Wir wollen, dass Deutschland einLand wird, in dem sich etwas bewegt, und zwar hoffent-lich auch die Opposition, ein Land, in dem Innovationenund Kreativität etwas wert sind, ein Land, in dem nichtGleichmacherei herrscht, sondern Unterschiede genutztwerden, ein Land, das Querdenken fördert und Querein-steiger befördert, ein offenes Land, das kinderfreundlichist und in dem wirklich keiner mehr außen vor bleibt, einLand, von dem Frauen sagen können: „Das ist meinLand“, ein Land, in dem alle bei den Veränderungen, dienötig sind, mitmachen, so wie sie es können, und einLand, in dem es keine Schande ist, zu den Schwachen zugehören, sondern eine Ehre, sich der Schwachen anzu-nehmen.
Auch und gerade das gehört dazu, wenn wir über Bewe-gung reden.Nun bringt uns ja der Fußball in diesen Tagen mancheErkenntnisse. Wir haben gelernt: Es hilft nicht, zu jam-mern: Es sind viele verletzt, der Platz ist schlecht be-spielbar, der Druck war riesengroß usw. Wahrscheinlicherwartet auch niemand, dass jedes Spiel haushoch ge-wonnen wird. Aber was wir sehen wollen, ist echte An-strengung und den Willen und die Bereitschaft, etwas zuleisten,
vielleicht sogar einmal über sich hinauszuwachsen. Dasist im Fußball wie mit Deutschland.
Heute Abend geht es für die Nationalmannschaft umviel. Wenn ich das richtig verstanden habe, wäre esswdauDbgdknBEddnknACBlFddnh–J
ie kreativ und flexibel ist, in der Einzelne ihre Stärkenusspielen können
nd in der gleichzeitig Teamgeist zur Geltung kommt.
ann kann Deutschland wieder Spitze werden – im Fuß-all, aber auch als Land; da sind wir sozusagen alle Mit-lieder des deutschen Teams.Frau Merkel, wenn Sie nicht so sehr mit der Mann-eckung in der eigenen Mannschaft beschäftigt wären,önnten Sie vielleicht auch vorn mitspielen. Ich kann Sieur auffordern, das mit vollem Einsatz zu tun, hier imundestag und im Bundesrat.
dmund Stoiber leidet ja wohl noch immer darunter,ass er die Qualifikation verpasst hat. Jetzt hockt er aufer Ersatzbank und es schwant ihm, dass er bei derächsten Aufstellung gar nicht mehr dabei sein wird. Ichann nur sagen: Gut so! Schließlich wollen wir gewin-en. Es geht um viel für Deutschland, nicht bloß heutebend in Dortmund.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Angela Merkel,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herrundeskanzler, Sie haben hier heute generös einen Feh-er zugegeben: die Abschaffung des demographischenaktors. Die eigentlich viel spannendere Frage – die an-ere Frage ist ja lange geklärt – lautet: Was lernen Siearaus? Wie vorsichtig gehen Sie voran? Ich möchteämlich nicht erleben, dass Sie in drei oder vier Jahrenier stehen – –
In vier Jahren stehen Sie nicht mehr hier, aber in dreiahren könnte es noch der Fall sein.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 5011
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Dr. Angela Merkel– Jetzt freuen Sie sich einmal nicht zu früh, Herr Bun-deskanzler, es kann auch schneller gehen. Hochmutkommt immer vor dem Fall; das sollten Sie beherzigen.
Ich möchte nicht erleben, dass Sie in absehbarer Zeithier stehen und sagen müssen: Ja, die Verletzung derStabilitätskriterien der EU war ein Fehler. Ich möchtees insbesondere deshalb nicht erleben, weil es bei denStabilitätskriterien der EU nicht nur um eine nationaleFrage, sondern um weit mehr geht. Wenn Sie mit einemgewissen Laisser-faire und einer gewissen Sicherheit,weil Sie sich darin mit Frankreich einig wissen, dieseStabilitätskriterien Jahr für Jahr verletzen, gehen Sie diedurchaus begründete Gefahr ein – Sie wissen das –, dassin Europa Dämme brechen, die wir alle miteinander nurganz schwer wieder schließen können. Genau das be-schäftigt uns hier.
Die Leute spüren das doch. Irgendjemand hat ebengesagt, der Bundesfinanzminister habe gestern zugege-ben, dass es Risiken gebe. Wenn man Risiken kennt,dann muss man sie doch – das weiß jeder vernünftigeMensch – konservativ bewerten. Es gibt eine ganzeSchar von Bundesländern in der BundesrepublikDeutschland, die von 1 Prozent Wachstum ausgehen.Frau Scheel hat doch gesagt, dass die Annahme überholtsei. Damit ist es Ihre verdammte Pflicht und Schuldig-keit, nicht von 2 Prozent, sondern von 1 Prozent auszu-gehen,
um die Risiken verantwortbar zu bewerten, Herr Bun-deskanzler. Sie aber lassen zu, dass das Gegenteil ge-schieht.
Es ist so, dass die Menschen – man spürt es inzwi-schen überall – nur begrenzt belastbar sind. Übrigens giltdas, wie man hinzufügen muss, auch für Ihre eigenenAbgeordneten.
Dass die Grenze der Belastbarkeit, also die Grenzedessen, was den Menschen in diesem Lande zugemutetwerden kann, überschritten ist, werden Sie bei der baye-rischen Landtagswahl serviert bekommen; am 21. Sep-tember abends werden Sie es schwarz auf weiß haben.
Nun ist es ja nicht so, dass Sie in Wahlkämpfen dazuneigen, nur die Wahrheit zu sagen.
aber es gibt halt Spitzenkandidaten, die das noch tun,wie zum Beispiel der bayerische.–SDRDdArWSdDScwsidnlgSEEbIskdmN–dbf
Ihrer! Ich spreche gerade vom sozialdemokratischenpitzenkandidaten.
er sagt nämlich:Die Stimmungslage für die SPD ist derzeit überallin Deutschland beispiellos schlecht. Die Verunsi-cherung der Menschen ist mit Händen zu greifen.echt hat er, der Herr Maget.
as ist doch auch der Grund, warum man Sie, Herr Bun-eskanzler, in Bayern nicht auf den Plätzen sehen will.n Ihrer Person macht sich nämlich diese Verunsiche-ung fest.
eil Sie, Herr Bundeskanzler, inzwischen spüren, dassie auf bayerischen Plätzen entbehrlich sind, haben Sieie Sorge, dass Sie überall entbehrlich werden könnten.aher haben Sie sicherheitshalber schon einmal erklärt,ie müssten 2006 wieder kandidieren. Das ist der einfa-he Grund. Sie werden entbehrlich und spüren es. Sieerden langsam, aber sicher für dieses Land entbehrlich,o wie auf den bayerischen Plätzen in diesen Tagen.
Diese Bundesregierung ist in diesen Tagen fünf Jahrem Amt. Verunsicherung ist ihr Markenzeichen. Sie sindamals Ihr Amt angetreten unter dem Motto, Sie wolltenicht alles anders, aber vieles besser machen. Das er-aubt doch nun die Frage: Was ist in diesen fünf Jahreneschehen? Das Wachstum ist von über 2 Prozent in dietagnation abgerutscht. Wir haben die rote Laterne inuropa. Sie können noch so viel reden: Es gibt Länder inuropa, die stehen einfach besser da – Spanien, Groß-ritannen.
ch sage es noch einmal: Es liegt eben nicht an der deut-chen Einheit; denn aus der deutschen Einheit herausönnte, wie in anderen mittel- und osteuropäischen Län-ern, größeres Wachstum kommen, wenn man es richtigachte. Sie verantworten heute in Deutschland eineeuverschuldung von 87 Milliarden Euro.
Sie müssen sich wenigstens mit den Fakten auseinan-er setzen. – Als Sie die Regierung übernommen haben,etrug das Defizit 2,2 Prozent und die Schulden der öf-entlichen Haushalte waren halb so hoch wie heute.
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5012 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Dr. Angela MerkelAm Ende dieses Jahres werden sich die Schulden ver-doppelt haben und wird das Defizit mehr als 4 Prozentbetragen. Das ist die Wahrheit nach fünf Jahren Rot-Grün, meine Damen und Herren.
Sie verantworten darüber hinaus die höchsten Kran-kenkassenbeiträge. Wir zahlen in diesem Jahr 18,8 Mil-liarden Euro aus dem Aufkommen der Ökosteuer alsZuschuss in die Rentenversicherung. Trotzdem sind dieBeiträge nahe 20 Prozent und Frau Schmidt hat nochnicht einmal gesagt, wie es im nächsten Jahr weiterge-hen soll. Das ist die Wahrheit, Herr Bundeskanzler. Undtrotz demographisch bedingter Entlastung auf dem Ar-beitsmarkt – das macht Jahr für Jahr mindestens200 000 Menschen aus – liegt die Zahl der Arbeitslosenin diesem Jahr um 300 000 über der des Jahres 1998.Das ist die Bilanz von fünf Jahren Rot-Grün.Meine Damen und Herren, Ihre Bilanz kann man auchso zusammenfassen:
„Es gibt keine Volkswirtschaft, die so viel Geld imKampf gegen die Arbeitslosigkeit einsetzt wie wir, undkeine ist so erfolglos wie wir.“ Gesagt hat das nicht etwaeiner von uns, sondern gesagt hat es der Bundeswirt-schaftsminister am „Tag der offenen Tür“ der Bundesre-gierung. Tage der offenen Tür scheinen zu offenen Ein-sichten zu führen. Wo der Mann Recht hat, hat er Recht.Es ist ernüchternd nach fünf Jahren Rot-Grün.
Sie wollten zwar nicht alles anders, aber vieles bessermachen. Das Ergebnis ist jedoch: Besser geworden ist sogut wie nichts, dafür aber vieles komplizierter, unbere-chenbarer. Oder um es mit den Worten der SPD-Ober-bürgermeisterin von Halle, Ingrid Häußler, zu sagen:„Alles ist besser als das, was die Bundesregierung vor-schlägt.“ Das ist eine klare Aussage einer Kommunal-politikerin.
Herr Bundeskanzler, es hätte ja heute gar nicht sokommen müssen, denn am 14. März – ob uns als Oppo-sition das nun gepasst hat oder nicht – haben Sie einenAnlauf genommen und hatten alle Trümpfe in der Hand.Sie hatten die Möglichkeit – und vielleicht wollten Siees sogar –, Ihre Politik um 180 Grad in die richtige Rich-tung zu drehen. Da fielen auch die richtigen Worte: Eswar die Rede vom Kündigungsschutz, ich habe etwasvon Privatisierung des Krankengeldes gehört, es fiel derBegriff „betriebliche Bündnisse für Arbeit“.
Wir waren nicht geschockt, aber doch neugierig.
Herr Bundeskanzler, von all dem, was Sie damals gesagthaben, ist nicht viel übrig geblieben. Ich glaube, irgend-etwas läuft schief. Die Diskussionslage im LandesegGSHstOhDILamciDWtwgcliHardz1lshSnwdNsdn
ierzu sagt einer aus Ihren Reihen, nämlich Ihr General-ekretär, in einem zugegebenermaßen etwas verschach-elten Satz: „Ich will nicht die Theorie entwickeln,“ solaf Scholz, „dass alles, was wir schon einmal gesagtaben, zueinander passt.“
er Mann hat es auf den Punkt gebracht. Genau das isthr Problem: Die Dinge passen nicht zueinander, dieeute verstehen Sie nicht, Sie sagen heute etwas anderesls gestern und morgen wieder anderes. Deshalb kom-en Sie nicht „aus dem Knick“, wie man so schön sagt.
Der Bundeshaushalt, über den wir heute hier spre-hen,
st – das ist bedauerlich – das klassische Beispiel dafür:ie Grundannahme des Etatentwurfs, nämlich dieachstumsprognose, ist überholt. Das ist bereits ges-ern gesagt worden. Frau Scheel hat versucht, sich daieder herauszureden, aber es wird Ihnen nicht entgan-en sein, Herr Bundeskanzler, dass sie ihre grundsätzli-he Aussage nicht widerrufen hat; sie hat gestern ledig-ich nicht mehr davon gesprochen. Die Grundannahmest überholt und deshalb brauchen wir uns mit diesemaushalt nicht weiter aufzuhalten.
Aber ich gehe gerne auf etwas ein, worüber Sie hierusführlich gesprochen haben, nämlich die Frage: Ist esichtig, angesichts der kleinen konjunkturellen Impulse,ie es weltweit vielleicht gibt, die Steuerreform vorzu-iehen? Herr Bundeskanzler, ich erinnere Sie: Am4. März, als Sie die Neuausrichtung Ihrer Politik einge-äutet haben, haben Sie uns vehement gewarnt, ange-ichts der noch fehlenden Strukturreformen – die biseute noch nicht wirksam sind – für ein Vorziehen derteuerreform zu werben. Dann haben Sie sich anschei-end anders entschieden. Aber, Herr Bundeskanzler,enn wir damals Ihrer Argumentation, das Vorziehener Steuerreform dürfe nicht fast ausschließlich durcheuverschuldung finanziert werden, zugestimmt haben,o dürfen Sie es uns jetzt nicht übel nehmen, dass wir beiieser Auffassung bleiben und sagen: Sie haben bis jetztichts Anständiges auf den Tisch gelegt. Das ist für uns
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 5013
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Dr. Angela Merkelkein Finanzierungskonzept. Sie müssen schon etwasBesseres vorlegen.
Ich habe heute mit großen Ohren zugehört, weil ichdachte, zwischen den ganzen salbungsvollen Worten ste-cke vielleicht noch etwas Neues. Aber es ist nichtsNeues gekommen. Es gibt nach wie vor kein Finanzie-rungskonzept und deshalb müssen Sie weiter daran ar-beiten, Herr Bundeskanzler, wenn Sie Ihr Ziel für ver-nünftig halten. Wann immer Sie ein Konzept vorlegen,sind wir bereit, uns das anzuschauen.
Aber eines wird nicht gehen: Wir werden nicht imAnschluss an eine Idee, die nicht die unsrige war,
Ihre Arbeit machen. Das ist so, als wenn Sie sich hinstel-len und sagen – ich habe das schon öfter festgestellt –:Wir brauchen Kirschkuchen, kennen Sie ein Backrezeptdafür? – Wenn Sie Kirschkuchen brauchen, backen Sieihn sich selbst! Wir essen dann gerne mit, Herr Bundes-kanzler.
Sie haben die Verantwortung in diesem Haus.
Aber Spaß beiseite, denn die Lage in Deutschland istwirklich mehr als ernst. Natürlich sind Einschnitte undKürzungen notwendig. Dadurch, dass wir mit Ihnen ge-meinsam den Weg der Gesundheitsreform gegangensind, haben wir einen wichtigen Beitrag geleistet und ge-zeigt, dass wir uns nicht vor unangenehmen Entschei-dungen drücken. Wenn Sie das anzweifeln, sprechen Siedie Unwahrheit.Die Gespräche haben wir wie Sie. Die Frage vielerArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist: Müsst ihr unsdas jetzt zumuten? Ist es richtig, dass ihr beim Kündi-gungsschutz etwas macht? Wir haben betrieblich schonso viel miteinander vereinbart. – Natürlich müssen wirdiese Fragen genauso beantworten wie Sie. Aber IhrProblem ist, dass Sie eine Kürzungsagenda abarbeiten,ohne das Ziel der Veranstaltung jemals deutlich nachdraußen getragen zu haben. Ihr Problem ist außerdem:Geld – das beweisen Sie mit diesem Haushalt – kannman sich pumpen. Vertrauen der Menschen in die Rich-tung, die Sie einschlagen, kann man sich nicht pumpen.Das ist das, womit Sie sich auseinander zu setzen haben.
Gewisse Fragen muss man eben beantworten. EineFrage – Sie haben sie zumindest ansatzweise gestellt –lautet: Womit will Deutschland sein Geld verdienen?
lar, das Wachstumsklima ist weltweit im Augenblickicht besonders gut. Aber wir in diesem Hause müssenoch miteinander darüber sprechen: Machen wir dasus Deutschland, was in diesem Land steckt? Ist das,as wir könnten, auch wirklich Gegenstand Ihrer Poli-k?In diesem Zusammenhang müssen wir uns – da sindie überhaupt nicht konkret geworden – doch einmal miter Frage auseinander setzen: Ist es in einer Situation, iner die Kaufkraft eines Landes sinkt und die Binnen-achfrage gering ist, eigentlich richtig, dass 1,3 Milliar-en Euro zur Unterstützung der Windkraft ausgege-en werden, was die Verbraucher tragen müssen? Ist dasichtig?
Ich sage hier ausdrücklich: Ich bin für die Förderunger Windenergie. Aber dort, wo kein Wind weht, in denälern dieses Landes,
a müssen Sie nicht noch einen Windmast aufstellen unden produzierten Strom mit 9 Cent pro Kilowattstundeördern. Es muss schon überlegt sein, ob wir da das Geldineinstecken.Wir müssen uns auch die Frage stellen, was denn ei-entlich beim Herrn Bundesverkehrsminister los ist.indestens 400 Millionen Euro sind dort – ich sage estwas lax – in den letzten Monaten versäckelt worden,eil dieser Mann die Warnungen der Europäischennion nicht ernst genommen hat. Das sind Gelder desteuerzahlers, die wir weiß Gott für etwas anderes hättenebrauchen können.
Herr Bundeskanzler, tun Sie wirklich alles, was Sieönnen, um das Gerede über die pharmazeutischendustrie – ständig spricht man von „Pharmalobby“ –,ine Branche, die immerhin viele Arbeitsplätze in unse-em Lande sichert und die ausgebaut werden müsste, inhren Reihen einmal zu unterbinden? Haben Sie eigent-ich schon alles getan, um in Europa auf den Tisch zuauen und zu sagen: Die Änderung der Chemikalien-ichtlinie, die jetzt geplant ist, gehört weg! – Glaubenie allen Ernstes, Sie könnten Ihr Lissabon-Ziel, wo-ach Europa der dynamischste Kontinent der Welt wer-en soll, mit einem Tausende von Seiten starken Mons-er von Vorschriften für die chemische Industrieuropas erreichen? Ich sage Nein. Das ist völlig offen-ichtlich.
Glauben Sie eigentlich, angesichts der weltweitenntwicklung war es richtig, der grünen Gentechnologien Deutschland einen langen Stillstand verordnet zu
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Dr. Angela Merkelhaben? Glauben Sie nicht, dass dadurch zahlreiche zu-kunftsorientierte Arbeitsplätze verloren gehen?
Ich sehe Sie schon irgendwann in der Opposition hierstehen und sagen: Schade, dass wir daran nicht gedachthaben.Als Herr Fischer – er ist leider schon gegangen – –
– Gut, da kann ich ihn ja noch besser ansprechen. – Überwie viele Jahre haben Sie es verhindert – es waren sie-ben! –, bis die gentechnische Produktion von Insulin beiHoechst in Gang gekommen ist? Sie waren stolz darauf.
– Ja, irgendwann haben Sie es genehmigt, weil Sie garnicht mehr daran vorbeikamen. Deutschland ist unend-lich viel Zeit verloren gegangen. Das ist die Wahrheit.Das wird bei der grünen Gentechnologie wieder so pas-sieren.
Herr Bundeskanzler, glauben Sie wirklich, dass es daswichtigste Ziel Ihrer Bildungsministerin sein muss, imHochschulrahmengesetz das Verbot von Studiengebüh-ren zu verankern? Finden Sie nicht, es wäre prima, wennman den Langzeitstudenten in Deutschland ein bisschenBeine machen würde – und Baden-Württemberg sähesich nicht vor dem Bundesverfassungsgericht entspre-chenden Klagen ausgesetzt –, indem ihnen Gebührendrohen, wenn sie mehr als 13 Semester studieren? Daswäre doch einmal ein Weg.
Schlicht und ergreifend: Natürlich sind die Zeitenschwierig. Aber es gibt serienweise Beispiele, die zei-gen, dass Sie sich genau mit dem beschäftigen, was unsnicht voranbringt, und dass Sie das schleifen lassen, wasuns voranbringt. Das beklagen wir. Für die Menschen indiesem Lande fordern wir eine andere Politik ein.
Wir müssen uns nicht nur fragen, womit Deutschlandsein Geld verdient, sondern auch, wie die Strukturen inDeutschland sein müssen, damit die notwendigen Ände-rungen funktionieren. Es ist klar, dass wir ein Aufbre-chen des alten Denkens brauchen. Ich persönlich haltedas Drohen mit einer Ausbildungsabgabe für das Aller-letzte, das in Deutschland Lehrstellen schaffen kann.
Ich halte es für einen kapitalen Fehler, dass Sie sich indem Jahr, als Sie wussten, wie schwer es wird, genügendLehrstellen zu schaffen, ausgerechnet das Handwerkvorgenommen und ihm so richtig eines vor den Kopf ge-gztCGsSzW–dkdDGdaKtebwut–zsIashnvA
Frau Göring-Eckardt, Ihr Beispiel geht doch nach hin-en los: Die Tatsache, dass Herr Walz auch ohne Herrnlements neue Handwerksordnung Meister ist und eineschäft hat, zeigt doch, dass das Vernünftige heutechon möglich ist. Es bedarf also nicht Ihres radikalenchnittes, um in Deutschland das Handwerk nach obenu bringen.
Ich bin mir im Gegensatz zu Ihnen absolut sicher:enn Sie mit uns gemeinsam das Vermögensteuergesetz es ist ohnehin nur noch ein Torso – abschaffen würden,ann würde dies eine unglaublich belebende Auswir-ung auf sehr viele Betriebe haben;
enn sie wüssten dann, dass es mit diesem Spuk ineutschland endlich vorbei ist. Das ist die Wahrheit.
In der heutigen Zeit, in der viele Unternehmen nichtewinne, sondern Verluste machen, ist die immer wie-erkehrende Androhung der Mindestbesteuerung fürlle genau das falsche Signal, um in Deutschland dieonjunktur wieder in Gang zu setzen. Unsere Alterna-ive ist, die Mindestbesteuerung nicht einzuführen.
Nach dem 14. März haben wir eine groteske Situationrleben müssen, die von den Arbeitnehmerinnen und Ar-eitnehmern glücklicherweise auch so empfundenurde, nämlich den Streik in den neuen Bundesländernm die 35-Stunden-Woche, der die IG Metall in eineiefe Krise geführt hat.
Herr Stiegler, das hat Herr Schröder zwar nicht ange-ettelt. Ein klares Wort von ihm gegen diesen Schwach-inn hat aber gefehlt. Das müssen Sie zugeben.
ch bin mir ganz sicher, dass Herr Schröder den Streikls schwachsinnig empfunden hat. Aber er hat es er-taunlicherweise nicht ausgesprochen.Man kann aus dieser Angelegenheit zwei Lehren zie-en. Die erste Lehre ist, dass die Gewerkschaften alleinicht vernünftig genug sind, als dass man den Betriebenor Ort die Möglichkeit betrieblicher Bündnisse fürrbeit nicht gesetzlich eröffnen müsste.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 5015
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Dr. Angela MerkelAus dieser Schlussfolgerung ergibt sich unser Vorschlag,der Ihnen Paragraph für Paragraph auf dem Tisch liegt:Änderung des Tarifvertragsgesetzes, Änderung des Be-triebverfassungsgesetzes samt einer sinnvollen Verände-rung des Kündigungsschutzes. Was Herr Clement in Be-zug auf den Kündigungsschutz vorlegt, spottet jederBeschreibung. Dennoch gibt es darüber Diskussionenbei Ihnen. Ein komplettes Arbeitsmarktreformgesetz,das wir beraten können, liegt Ihnen vor. Wir bauen da-rauf, dass Sie konstruktiv darauf eingehen.Die zweite Lehre, die wir aus diesem Streik ziehenmüssen, ist, dass wir mit den Tarifvertragsparteien auchüber das, was jenseits gesetzlicher Regelungen inDeutschland notwendig ist, sprechen müssen. Wir kön-nen doch nicht unsere Augen vor der Tatsache verschlie-ßen, dass 51 Prozent der Lohnzusatzkosten in Deutsch-land nicht auf uns, den Gesetzgeber, zurückgehen,sondern durch Tarifverträge vereinbart sind.
– Richtig, das ist Tarifautonomie. Aber die Tarifauto-nomie ist deshalb genauso wie die Parteien und anderesgrundgesetzlich geschützt, weil die Tarifautonomie demGemeinwohl verpflichtet ist. Sie kann nicht in Besitz-standsdenken umdefiniert werden. Das ist die Wahrheit.
Es kann nicht sein – das sage ich ausdrücklich inRichtung der Gewerkschaften und der Wirtschaft –, dassuns die Wirtschaft sagt, was wir in diesem Hause zu tunhaben,
wir aber den Mund halten müssen, wenn wir der Mei-nung sind, auch einmal sagen zu müssen, was man ananderer Stelle tun könnte.
Genau aus diesem Grund habe ich gesagt, dass esnicht um die Frage geht, ob in den westlichen Bundes-ländern mehr oder weniger gearbeitet wird und ob derOsten so werden muss wie der Westen. Es geht vielmehrdarum, dass wir insgesamt in Deutschland länger ar-beiten müssen. Daran führt kein Weg vorbei.
Herr Bundeskanzler, an dieser Stelle brauchen wirglücklicherweise nicht das Prinzip „Hire and fire“ bzw.Amerika als Abschreckung zu instrumentalisieren. Wirmüssen nur in die Schweiz gehen, die noch nicht wegenAsozialität und Unsozialität weltweit bekannt gewordenist. Dort arbeitet man mehr als 220 Tage pro Jahr; wirarbeiten 175 Tage pro Jahr. Dort arbeitet man pro Wocheim Durchschnitt 40,5 Stunden und bei uns 37,5 Stunden.Glauben Sie, alle deutschen Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer seien so viel schneller und unsere Maschinenso viel besser, dass wir dies aufholen könnten? Es istsinnvoll und notwendig, dass wir auch bei uns ohneSchaum vor dem Mund über einen solchen Prozess dis-kmühdSdR3abbMtetawaagunassvapvsegrdDHishLgssteA
Es ist leider wahr: Die Kommunen, durchaus auchon uns während unserer Regierungszeit enttäuscht, nunber durch das, was sie im Zusammenhang mit der Kör-erschaftsteuerreform unter Herrn Eichel erlebt haben,öllig vor den Kopf gestoßen, sagen: Wir wollen be-timmte Aufgaben nicht mehr übernehmen; wir trauenuch nämlich nicht zu, dass ihr uns die dafür notwendi-en Mittel zur Verfügung stellt.Deshalb schlagen wir vor, eine Grundgesetzände-ung vorzunehmen, in der die finanzielle Ausstattunger Kommunen klar geregelt wird.
azu legen wir Ihnen den Gesetzentwurf des Landesessen vor; Weiteres werden wir beraten müssen. Dast eine ganz andere Grundlage als das, was Sie vorse-en. Sie wollen die Bundesanstalt für Arbeit um 12 000eute aufstocken. Diese wurde schon bisher ihren Auf-aben nicht gerecht. Wir haben erhebliche Zweifel, dassie ihre Arbeit mit 12 000 bzw. 16 000 Leuten mehr bes-er bewältigen kann. Das ist der Unterschied.
Frau Göring-Eckardt, bitte erzählen Sie nicht, wir hät-n keine Alternative. Unsere Alternative steht samt demrbeitsmarktreformgesetz und dem Soforthilfeprogramm
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Dr. Angela Merkelfür die Kommunen in einem großen Konvolut, das300 Seiten dick ist. Insbesondere in einem Punkt sindwir unterschiedlicher Meinung im Vergleich zu Ihnen:Wir halten es für einen ziemlichen Schwachsinn, jetztauch noch alle Freiberufler zu besteuern. Dies ist imÜbrigen nicht finanzwirksam für die Kommunen. Des-halb hören wir mit Freude, dass Sie als Fraktion – HerrMüntefering, alle Achtung, wir haben es vier Mal einge-bracht – die Gewerbesteuerumlage jetzt wieder auf denalten Stand bringen wollen. Das wäre nämlich für dieKommunen eine verlässliche Einkommensquelle.
Herr Eichel, es war einer Ihrer großen Finanzierungs-tricks: Sie haben den Kommunen den Anteil an derGewerbesteuer weggenommen und eine Ihrer beliebtenLuftbuchungen, nämlich irgendetwas mit AfA, gemachtund dabei nicht bedacht, dass wir dem nicht zustimmenwerden, weil es mittelstandsfeindlich ist. Dadurch habenSie die Kommunen auf dem Trocknen sitzen lassen. Dasist die Genesis der finanziellen Entmachtung der Kom-munen durch diese Bundesregierung.
Im Zusammenhang mit den Fragen danach, wer fürwas verantwortlich ist und wie wir die Bundesrepublikunter den neuen Bedingungen organisieren, möchte icheine Mahnung an den Bundeswirtschaftsminister aus-sprechen.
Herr Wirtschaftsminister, Sie haben im Augenblick ei-nen Fall auf dem Tisch liegen, der sich mit dem befasst,was man Pressefreiheit und Wettbewerb im Pressebe-reich nennt. Ich rate Ihnen dringend, sich an dieser Stellenicht über das Votum des Kartellamtes und der Mono-polkommission hinwegzusetzen; denn wenn in der deut-schen Hauptstadt die Presselandschaft durch Eingriff desBundeswirtschaftsministers so geordnet wird, wie es dieBundesregierung gerne hätte, wäre es das schlechtest-mögliche Signal für Deutschland. Das können wir imMoment wirklich nicht gebrauchen.
Wenn wir die Fragen „Womit wollen wir unser Geldverdienen?“
und „Wie müssen wir das Land organisieren?“ beant-wortet haben, dann müssen wir uns die Frage stellen:Wie ist unser Verständnis von unserem Land und vonEuropa?
Der Bundesaußenminister hat neulich gesagt, dass wirunsere Interessen europäisch definieren müssen. Ichstimme ihm teilweise zu. Wir müssen sie zunehmenderwhmDsEbngMbhraKTomrishvdevFpDwzrUamwAb
Ich komme jetzt auf einen Punkt zu sprechen, der vielit unserem Selbstverständnis zu tun hat.
ieses Selbstverständnis hat für mich mit unserer Ge-chichte und unserem Umgang mit ihr zu tun.
s gibt eine Initiative zum Zentrum gegen Vertrei-ung. Diese Initiative ist wirklich nicht parteilich orga-isiert, sondern vertritt ganz unterschiedliche Richtun-en. Diese Initiative hat gesagt: 12,5 Millionenenschen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg vertrie-en. Die Gründung eines solchen Zentrums ändert über-aupt nichts an der Auseinandersetzung mit dem Un-echt, das Deutschland über die Welt gebracht hat. Aberuch Deutschen ist Unrecht passiert.Die Frage, ob wir in Deutschland und in Berlin dieraft haben, uns in einem solchen Zentrum mit diesemeil unserer Geschichte auseinander zu setzen
der ob wir einen Bundeskanzler haben, der als Erstesit subtilen Unterstellungen erklärt, dies würde nur ausückwärts gewandter Geschichtsklitterung stattfinden,t eine entscheidende Frage bis ins nächste Jahrhundertinein.
Deshalb – das sage ich ganz ruhig – habe ich es fürerantwortungslos gehalten, dass Sie die Besorgnisse,ie es in Polen und Tschechien gab, genutzt haben, uminseitig Stellung zu beziehen und keinen Beitrag – jetztersucht es der Innenminister – zur Versöhnung in dieserrage zu leisten.
Nichts, aber auch gar nichts spricht gegen ein euro-äisches Netz solcher Gedenkstätten. Aber auch ineutschland – mit 12,5 Millionen Betroffenen – müssenir doch die Kraft haben, damit verantwortungsvoll um-ugehen. Deshalb unterstütze ich ausdrücklich mit unse-er Fraktion die Initiative des Bundes der Vertriebenen.
Herr Bundeskanzler, es war immer die Politik vonnion und SPD, dass man den Kampf gegen Terror nichtlleine militärisch führt. Das möchte ich hier noch ein-al sagen, obwohl ich glaube, dass Sie es wissen. Esar immer unsere Politik, dass wir Entwicklungshilfe,ufbauhilfe und Wirtschaftshilfe brauchen. Aber wirrauchen auch militärische Komponenten. Deshalb wer-
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Dr. Angela Merkelden wir uns in allen anstehenden Fragen verantwor-tungsvoll entscheiden. Wolfgang Schäuble wird dazuheute sicherlich noch Stellung nehmen.Herr Bundeskanzler, wo wir beim Thema Verantwor-tung sind: Ich fand, Ihr Auftritt mit dem türkischenMinisterpräsidenten bei dessen Staatsbesuch in einer ge-meinsamen Pressekonferenz und die Beschimpfungenvon CDU und CSU waren einmalig und wieder einmalverantwortungslos.
Sie tun so, als seien die Kopenhagener Kriterien, die inEuropa für die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten gelten,von der Türkei einfach so zu erfüllen. Ich denke dabeinicht an die Anstrengungen, die die Türkei macht; dashabe ich Herrn Erdogan gesagt. Es gibt unter den Ko-penhagener Kriterien vielmehr ein Kriterium, das mitder Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union, so wiesie heute besteht, zu tun hat. Wollen Sie bestreiten, dasszu einem Zeitpunkt, zu dem wir gerade einmal 25 Mit-gliedstaaten geworden sind, keine Probleme bestehen?Ich muss Ihnen sagen, dass wir diesen Kurs gegenüberder Türkei nicht mitmachen werden. Ich möchte, dasswir redlich miteinander umgehen, gerade weil esFreunde sind.
Die Mitglieder der Bundesregierung und Sie selbst,Herr Bundeskanzler, sprechen davon, Deutschlandmüsse sich bewegen. Diese Aussage ist nicht falsch, istaber, wie man in der Mathematik sagen würde, nicht hin-reichend. Zickzackbewegungen helfen uns nicht, Bewe-gungen nach unten auch nicht. Deutschland muss sichnach oben bewegen. Das muss die Richtung sein.
Dazu müssen wir Deutschland verändern; das ist rich-tig. Aber wir müssen Deutschland – das geht darüberhinaus – fair ändern. Die Menschen erwarten Fairnessbei dem, was ansteht.
Damit es hier zu Innovationen kommt und das Ganzedie richtige Richtung bekommt, habe ich Ihnen am14. März dieses Jahres ein Angebot gemacht, auf dasSie leider nicht eingegangen sind. Ich habe gesagt, daswerde ein Prozess, der nicht ein halbes Jahr oder einJahr dauert, sondern zehn oder zwölf Jahre. Lassen Sieuns Größen für Investitionskraft, Beschäftigung, Bil-dung und Forschung finden, anhand derer wir mit denMenschen Jahr für Jahr überprüfen können, ob wir aufdem richtigen Weg sind. Das würde Verlässlichkeit indie Sache bringen. Auf die Frage, die die Menschenstellen, wozu und warum das Ganze gemacht wird,müssen wir eine Antwort haben. Diese Antwort mussglaubhaft sein. Dazu brauchen wir eine Gerechtigkeit,die im Gegensatz zu dem, was Sie im Moment machen– Sie sprechen nur über Chancengerechtigkeit, was wirdagegen schon viele Jahre verfolgt haben –, leistungs-gerecht ist. Der Bürger, der unten an der Basis etwaslgDGbnkdsduMZmIZaSmstiSDDDuLUDvndzs–sDH
In einer dieser Phantomdebatten geht es um denemokratischen Sozialismus. Der SPD-General-ekretär hat in der „FAZ“ vom 21. August 2003 gesagt,er demokratische Sozialismus sei „eher so’n Sprech-nfall“.
ir ist der Atem gestockt, und zwar aus zwei Gründen:um einen scheint der demokratische Sozialismus füranche von Ihnen das Erbstück sozialdemokratischerdentität zu sein.
um anderen kann ich nur sagen, dass ich Sozialismusus persönlicher Erfahrung heraus wirklich nicht alsprechunfall bezeichnen kann. Das war ein Realunfallit grausamen Auswirkungen für Millionen von Men-chen, die ich persönlich nicht zu vergessen beabsich-ge.
Im Übrigen füge ich hinzu: Die Leute haben diechnauze voll von Sprechunfällen Ihrer Regierung.
ie Leute wollen sehen, dass endlich etwas passiert.eshalb lautet unser Motto „Deutschland fair ändern“.as wird auch die Grundlage unserer Oppositionspolitiknd unserer Mitarbeit im Bundesrat sein.Ich sage Ihnen ganz klar: Blockieren, wie Sie es zuafontaines Zeiten gemacht haben, passt nicht zurnion.
as geht gar nicht zusammen, das passt nicht, das istöllig unmöglich. Das geht weder mit unseren Wählern,och mit unseren Mitgliedern und schon gar nicht miter Bundestagsfraktion von CDU/CSU.
Wenn wir zustimmen, dann stimmen wir begründetu. Das haben wir bei vielen außenpolitischen Gemein-amkeiten schon getan. Was wir verbessern könnenBeispiel Gesundheitsreform –, das werden wir verbes-ern. Was wir ablehnen, das lehnen wir begründet ab.eshalb können Sie sich einer Sache sicher sein: Diesenaushalt und wahrscheinlich noch so manches mehr
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Dr. Angela Merkellehnen wir ab, weil es Begründungen für genau die Ab-lehnung gibt.Herzlichen Dank.
Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Franz
Müntefering, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die am Mittwoch einer Haushaltswoche stattfin-dende Debatte ist üblicherweise das, was man die Stundeder Opposition nennt.
Deshalb waren wir heute Morgen um 9 Uhr alle ge-spannt auf die Rede von Frau Merkel. Sie hat es abervorgezogen, Herrn Glos vorzuschicken und sich in dierelative Ruhe der zweiten Runde zurückzuziehen.
Trotzdem haben wir gehofft, es könnte etwas kommen.Frau Merkel, wenn die Probleme des Landes so großsind, wie Sie sie beschrieben haben, dann war dieMünze, mit der Sie hier gezahlt haben, viel zu klein. Daswar nicht die Lösung der Probleme, die vor uns liegen.
Ich möchte mich dafür bedanken, dass Sie auf denVorschlag des Bundeskanzlers eingegangen sind, mit-zustimmen, wenn es in diesem Herbst darum geht, denNachhaltigkeitsfaktor – Sie sprechen vom Generatio-nenfaktor – in der Rente zu beschließen. Ich kann dasnur so verstehen: Sie haben gesagt, das wäre schon vorvier oder fünf Jahren richtig gewesen. Herr Westerwelleund Sie haben das jetzt noch einmal unterstützt. Wirwerden in wenigen Wochen hier über diesen Gesamt-komplex zu sprechen haben. Ich gehe davon aus, dassder Deutsche Bundestag eine Rentenlösung finden kann,die auch die Generationengerechtigkeit bzw. den Nach-haltigkeitsfaktor beinhaltet. Ich freue mich und bedankemich bei Frau Merkel, dass sie das in diesem Sinne auf-genommen hat.
Frau Merkel, ich bitte Sie um Ihre Aufmerksamkeit.Sie sind noch einmal auf den demokratischen Sozialis-mus eingegangen. Dazu möchte ich einige Sätze sagen.Ich weiß nicht, ob Ihnen bewusst ist, dass Sie in demzweiten Teil Ihrer Ausführungen etwas gesagt haben,das wir uns untereinander nicht zumuten sollten. Sie ha-bntkmDwkKgrvBgbwgllmddkugswNsbwhstisWwlfwBktn
Wir stehen vor spannenden Monaten. Solange ich zu-ückdenken kann, hat es das noch nie gegeben, dass soiele wichtige Dinge in so kurzer Zeit im Deutschenundestag vorgetragen, diskutiert und zur Entscheidungebracht werden mussten. Dieser Herausforderung ha-en wir uns alle zu stellen. Die Monate bis Weihnachtenerden außerordentlich spannend sein. Es wird um dreiroße Komplexe gehen, die Hans Eichel gestern hier er-äutert hat.Erstens geht es um den Haushalt 2004 und dessen So-idität sowie um unser Bemühen, ihn so knapp wie nuröglich zu schneidern.Zweitens geht es darum, große Strukturreformen,ie die Voraussetzung dafür sind, dass die Realisierungieses Haushaltes im nächsten Jahr und in den dannommenden Jahren auch gelingen kann, voranzutreibennd zu beschließen.Drittens geht es darum, dass Wachstumsimpulse ge-eben werden, damit mehr Geld in die öffentlichen Kas-en fließen kann.An der Verwirklichung dieses Dreiklangs arbeitenir. Das läuft in diesen Wochen zeitgleich. Es ist richtig:icht alles, was für den Haushalt wichtig ist, wurde auchchon beschlossen. Es wurde aber alles auf den Weg ge-racht. Wir haben uns viel vorgenommen; das wissenir. Wir sind uns aber sicher, dass der Weg, den wir ge-en, richtig ist und dass wir es in diesem Jahr gemein-am schaffen, dieses Land weiter in die richtige Rich-ung zu bringen und dafür zu sorgen, dass Deutschlandn eine gute Zukunft gehen kann. Wir sind fest entschlos-en, das zu tun.Wir wissen, dass es auf dieser Strecke in den nächstenochen und Monaten noch viele Unebenheiten gibt. Wirerden in der politischen Diskussion an manchen Stel-en untereinander und mit Ihnen zu streiten haben. Es istür dieses Land gar nicht schlecht, wenn es begreift, dassir in einer Auseinandersetzung von außerordentlicheredeutung stehen. Das ist nicht schlecht für die Demo-ratie. Im Jahre 2003 werden wir im Deutschen Bundes-ag und im Bundesrat dafür sorgen, dass Deutschland ei-en guten Weg in die Zukunft gehen kann. Das ist unser
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Franz MünteferingZiel; das haben wir uns vorgenommen und das schaffenwir auch miteinander.
Die Opposition muss sich entscheiden. Frau Merkel,ich höre von Ihnen und auch von anderen manche nach-denkliche Worte. Wir wollen sie gerne bedenken undnicht alles beiseite schieben, was da kommt. Manches istaber auch Wolkenschieberei und verdeutlicht Ihren Un-willen, wirklich dazuzulernen und die Rolle der Opposi-tion anzunehmen. Frau Merkel, Opposition ist in diesemJahr etwas anderes als das Synonym für „dagegen sein“.Auch Sie werden sich entscheiden müssen. Sie werdennicht damit durchkommen, dass Sie solche Reden haltenwie heute hier, Reden, die einzig und allein darauf aus-gerichtet sind, hie und da ein bisschen zu mäkeln, zu ha-keln und zu versuchen, den einen oder anderen Fehlervon uns zu beschreiben. Darum geht es überhaupt nicht.Wir wissen, dass wir nicht vollkommen sind, dass wirFehler gemacht haben und dass wir wahrscheinlich auchwieder dabei sind, den einen oder anderen zu machen.Sie aber eben auch.Ich warne davor, mit Hochmut an die Sache heranzu-gehen. Wir werden in diesem Halbjahr miteinander denrichtigen Weg in wichtigen zentralen Fragen des Landesfinden müssen. Dabei ist die Opposition gefordert. Siewerden sich davor nicht drücken können.
Was Herr Glos heute Morgen dazu gesagt hat, warjenseits dessen, lieber Kollege Glos, was Sie uns in die-sem Deutschen Bundestag zumuten sollten.
Ich will mich damit nicht über Gebühr lange aufhalten,weil es andere wichtige Dinge gibt. Ich will Ihnen abersagen: Der Hinweis darauf, dass die Bayernwahl aus-gehe, wie sie Ihrer Meinung nach ausgeht,
liege an uns, ist in doppelter Weise mit einer interessan-ten Dialektik versehen:Erstens. Herrn Stoiber trauen Sie diesen Sieg nicht zu.
Zweitens. Auch die Zahlen in Bayern sollte man sicheinmal ansehen. Die Menschen können sich auch überden 21. September dieses Jahres hinaus mit diesen Zah-len beschäftigen. Die Arbeitslosigkeit stieg zwischenAugust 2002 und 2003 in Deutschland um 7,4 Prozent.Sie stieg in Bayern um 14,2 Prozent.
Bayern ist ein schönes Land und Sie haben auch vielegute Dinge getan. Aber ich sage Ihnen: Seien Sie vor-sichtig mit dem Bemühen, den Eindruck zu erwecken,adksDgwdSGodhIsnbLsM–ZgGwlruhed–s
Zur Opposition gehört auch die FDP. Man hat das aner Ratlosigkeit gemerkt, Herr Westerwelle, mit der Sieier agiert haben.
ch finde, Ihr Beitrag sollte dringend den Ältestenrat be-chäftigen, und zwar unter der Fragestellung: Wie kön-en Sensoren in dieses Mikrofon eingebaut werden, dieei der Überschreitung einer bestimmten Phonstärke dieautstärke automatisch herunterregulieren? Ihre Laut-tärke war das Interessanteste an dem, was Sie heuteorgen vorgetragen haben.
Die FDP hat ein Problem.
Eigentlich zwei: Sie und noch etwas.
u dem komme ich jetzt. Ich kenne Ihr Problem und be-reife es auch. Sie sind zur Schau in die Kommissionesundheitsreform gegangen. Mich hat das gewundert,eil klar war, dass dieser Auftritt mit Ihrer Ausgangs-age nicht gut gehen kann. Sie sind zur Schau wieder he-ausgegangen. Ihr Problem: Das hat keinen interessiertnd es hat keiner gemerkt. Das ist der Zustand der FDP.
Ihr Problem ist, dass es egal ist, was Sie machen. Des-alb sind Sie hier so laut geworden. Hören Sie es nochinmal nach. Ich glaube, wir kennen uns lange genug,amit Sie verstehen, was ich damit meine.
Jugendlicher Leichtsinn und Altersweisheit könnenich gut mischen, Herr Westerwelle.
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5020 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Franz MünteferingEs geht um die Erneuerung unseres Landes. Diessteht im Mittelpunkt der Debatte und dieser Haushalts-woche überhaupt. Es geht dabei nicht nur um das, wasdie Politik macht, sondern auch um das, was die Gesell-schaft insgesamt macht. Wir werden diesen Prozess derErneuerung und Veränderung Deutschlands nur dann er-folgreich führen können, wenn die Gesellschaft insge-samt begreift, dass dies nicht nur von den Bundesgeset-zen abhängt, die wir machen, sondern dass viele andereDinge mit dazukommen müssen. Die Gesellschaft darfnicht abwarten, was der Politik einfällt und was sie tut.Vielmehr muss sie die Maßnahmen mittragen, die nötigsind, damit dieses Land eine gute Zukunft hat.Ich glaube, dass wir uns alle miteinander in den letz-ten zehn oder 20 Jahren in Deutschland zu sehr auf demausgeruht haben, was wir erreicht und als sicher empfun-den haben. Die deutsche Einheit – ein schönes Ereignis –hat dazu beigetragen, dass wir die Friedensdividende,wenn man so will, in der Annahme verteilt haben, es seialles in Ordnung. Nun merken wir, Sie und das ganzeLand, dass wir uns anstrengen müssen, um aus der Kriserauszukommen. Die Chancen sind da. Deutschland istkein schwaches, sondern ein starkes Land. Aber Verän-derungen können nicht nur durch Bundesgesetze erreichtwerden.Ich will zwei Dinge ansprechen, die man nicht vondiesem Pult aus im Wege der Gesetzgebung lösen kann.Es gibt bei uns in Deutschland viele Menschen, die vielZeit haben. Es gibt in Deutschland auch viele Menschen,die sehr allein und einsam sind. Wenn es in dieser älterwerdenden Gesellschaft nicht gelingt, ein Bewusstseindafür zu schaffen, dass die Menschen füreinander dasind und dass man sich für Menschen nicht nur auf derGrundlage von Gesetzen, sondern auch unabhängig vonGesetzen ehrenamtlich in der Gesellschaft engagierenkann und dass alte Menschen nicht einsam und alleinsein müssen, dann wird es in dieser Gesellschaft keineLebensqualität geben. Dieses Bewusstsein zu schaffenist eine große und schwere Aufgabe, vor der wir stehen.Wir müssen die Menschen ansprechen und ihnen zeigen,dass das Lebensqualität in diesem Lande ausmacht.
Ich will einen zweiten Punkt ansprechen. Es geht umdie Kinder und wie die Kleinen zwischen uns Großengroß werden. Vor wenigen Jahren habe ich mir eine Sta-tistik angesehen. Damals hatten in Nordrhein-Westfalen51 Prozent der Kinder, die in Kindergärten gingen, keineGeschwister. In früheren Generationen hatten die Kinderdrei, vier oder fünf Geschwister. Geschwister erzogenGeschwister. Heute werden Kinder einzeln zwischen Er-wachsenen groß. Wenn man mit denen spricht, die sieeinschulen, dann weiß man, dass sich die Kinder nichtmehr so gut ausdrücken können wie früher und nichtmehr die Motorik haben, die die Kinder früher hatten.Das hängt mit der Erziehung und dem Umgang mit denKindern zusammen.Warum sage ich das in dieser Debatte? Die Frage derErziehung und die Frage, was wir mit den Kindern ei-gentlich machen und wie wir uns auf die Kinder einstel-lhWtnshufwdnsDudaDDrswcCDngWDgSCFfdgsbesdbadn
ir müssen mehr darüber nachdenken und daran arbei-en. Die Politik selbst ist auch gefordert.
Die Globalisierung, von der manche in Deutschlandoch glauben, man könne sie ignorieren oder beiseitechieben, ist faktisch da. Die Mobilität, die die Mensch-eit gewonnen hat, die Fähigkeit, Güter, Informationennd Menschen schnell zu transportieren, hat dazu ge-ührt, dass die Globalisierung Fakt ist. Darauf werdenir uns einzustellen haben. Wir werden uns insbeson-ere dadurch einzustellen haben, dass wir Europa zu ei-er Wohlstands-, Wirtschafts- und Finanzregion organi-ieren, die aus sich selbst heraus Wohlstand garantiert.
azu müssen wir mit all dem, was wir in diesen Wochennd Monaten tun, den Sinn schärfen und den Menschenraußen unser Handeln verdeutlichen. Wir werden nichtllein mit nationaler Gesetzgebung die Dinge ineutschland richten können. Den Wohlstand, den wir ineutschland dauerhaft sichern wollen, die soziale Ge-echtigkeit und den Sozialstaat, den wir in seiner Sub-tanz haben wollen, werden wir nur dann erhalten, wennir EU-Europa zu einer großen Wohlstandsregion ma-hen, die dauerhaft funktioniert. Das ist eine großehance.
ieses Europa, das in der zweiten Hälfte des vergange-en Jahrhunderts entstanden ist, ist wahrscheinlich dierößte historische Leistung auf diesem Stern gewesen.ir sind uns dessen immer noch nicht ganz bewusst.ass wir seit 58 Jahren hier in Europa Frieden haben,ab es noch nie oder seit Jahrhunderten nicht. Schauenie in die Geschichtsbücher. Wir haben die unglaublichehance, aus diesem Europa eine Wohlstands-, Friedens-,inanz- und eine Sozialregion zu machen, die zukunfts-ähig ist und sich gegenüber anderen großen Regionen iner Welt behauptet. Deshalb gehört das Thema Europaanz eng zu dem, was wir in diesem Halbjahr zu be-chließen haben.
Es geht um die demographische Entwicklung. 1960ekamen Männer in Deutschland im Durchschnitt zwei-inhalb Jahre Rente. Sie bekommen heute im Durch-chnitt zwischen zehn und zwölf Jahren Rente und wer-en im Jahr 2025, wenn das Renteneintrittsalter soleibt, 17 oder 18 Jahre Rente bekommen. Wir arbeitenber nicht mehr im Durchschnitt 50 Jahre wie 1960, son-ern 39 bis 40 Jahre. Man muss keine Mathematik kön-en, sondern nur zwei Jahre Rechnen gelernt haben, um
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Franz Münteferingzu begreifen, dass das nicht mehr geht. Deshalb werdenwir in diesem Zusammenhang Entscheidungen zu treffenund Dinge zu verändern haben.Hinzu kommt die lang anhaltende Wachstumsdellein den Industrieländern,
die nicht nur uns, sondern die ganze Welt berührt. Manweiß nicht, ob das eine Delle ist oder ob es sich um einlang anhaltendes niedriges Wachstum handeln wird.Weiterhin kommen die leeren Kassen von Bund, Län-dern und Gemeinden hinzu, die wir leer vorgefunden ha-ben, aber auch bisher nicht haben füllen können. Dassind die Rahmenbedingungen, denen wir uns ausgesetztsehen, wenn wir jetzt handeln.Es kommt der Vorwurf, dass wir spät dran sind. Ja,spät ist richtig, aber nicht zu spät. Die Chance ist da. Eskommt weiterhin der Vorwurf, wir hätten die eine oderandere Position verändert, die wir vor einem, drei oderfünf Jahren noch eingenommen hätten. Das stimmt. Dasist aber keine Schande. Wenn sich Rahmenbedingungenverändern, dann muss man daraus die Konsequenzen fürdie Politik und das Instrumentarium ziehen.
Nur diejenigen, die sich nicht bewegen können und auchnicht zu bewegen sind, haben es schon immer besser ge-wusst.Ich habe bei der Rede von Herrn Merz gestern denEindruck gehabt, auch er habe schon immer alles ge-wusst, und zwar besser. Manche erscheinen bereits inseinem Alter älter als ihre eigenen Großväter. Das bleibtdabei nicht aus.
Was die Reaktion von Herrn Gerhardt angeht, weißich, dass die Aussage, man dürfe und müsse seine Mei-nung auch ändern können, als Opportunismus interpre-tiert werden kann.
Das wäre schlecht. Aber das Motto „Was einmal gesagtwurde, gilt immer“ gilt in der Politik nicht in Bezug aufdie Instrumente.Über die Grundwerte kann man mit mir nicht ver-handeln. Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit bildendie Messlatte für das, was wir tun. Auch die Ziele sindklar: Wir wollen dauerhaften Wohlstand und einen dau-erhaften Sozialstaat für dieses Land. Aber darüber, wiediese Ziele zu erreichen sind, darf und muss man mitein-ander streiten. Genau das machen wir zurzeit.
Was ist seit dem 14. März passiert, Frau Merkel oder– ersatzweise – Herr Glos?
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Die Handwerksordnung ist ein interessantes Kapi-el, und zwar für Frau Merkel und Herrn Westerwelleleichermaßen. Denn dabei geht es um die Freiheit undm die gleichen Chancen der Menschen – in diesem Fallie der Gesellen – am deutschen Arbeitsmarkt. Jungeännliche oder weibliche Gesellen, die beispielsweisen Aachen wohnen, können in Deutschland keinenandwerksbetrieb gründen. Dagegen können ihre Kolle-innen und Kollegen aus dem benachbarten Belgiender Holland hier einen Betrieb eröffnen. Man könnteielleicht den deutschen Gesellen empfehlen, nach Bel-ien oder Holland zu ziehen, um dort einen Betrieb zuründen und von dort aus auch in Deutschland einenandwerksbetrieb aufbauen zu können. Was für ein Irr-inn!
Wer es mit Europa ernst meint, Herr Hinsken, mussissen: Wenn es um die Zukunftsfähigkeit der Euro-äischen Union geht, dann müssen gleiche Berufs- undebenschancen für die jungen Menschen in Deutsch-and wie auch in den anderen europäischen Ländern
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Franz Münteferinggeschaffen werden. Sie aber verteidigen alte Bestände.Sie stehen in der konservativen Ecke.
Das, was Sie immer wieder beschreien – nämlich Offen-heit, Liberalität und Flexibilität –, fehlt Ihnen an dieserStelle, Herr Westerwelle und Herr Hinsken.
Wir haben gerade den Gesetzentwurf zum Vorziehender Steuerreform von 2005 auf 2004 vorgelegt. Da-rüber ist hier wie auch über die Sinnhaftigkeit und dasBemühen, das vorhandene Wachstum zu unterstützenund ihm zusätzliche Luft unter die Flügel zu geben, ge-sprochen worden.Wir beraten in diesen Tagen und Wochen über die Ge-meindefinanzreform. Wir sind dabei, zu prüfen undauszuloten, wie das, was bereits vorliegt, optimiert wer-den kann. Es geht darum, dass die Gemeinden schnell,deutlich und nachhaltig entlastet werden und so zusätz-liches Geld bekommen. Denn wir alle sind uns sicherlicheinig, dass in den Kommunen viele Investionen brach-liegen, die eigentlich getätigt werden müssen. Übrigenssollten die Investitionen zielgenauer an die kleinen undmittleren Unternehmen vor Ort gegeben werden.Wir alle sind froh über die großen Investitionen aufder Bundesebene, über die 25 Milliarden bis 26 Milliar-den Euro. Aber das betrifft Aufträge, die europaweit aus-geschrieben werden müssen. Man weiß also vorhernicht, woher das Unternehmen kommt, das den Auftragerhält. Außerdem geht es hier um Aufträge, für deren Er-füllung man große Maschinen benötigt. Die Kommunenhaben aber die Möglichkeit – sofern sie über die notwen-dige Investitionskraft verfügen –, in kleinen Losen aus-zuschreiben und dafür zu sorgen, dass die kleinen undmittleren Unternehmen vor Ort die Aufträge erhalten.Genau das wollen wir: Die Arbeit, die es vor Ort gibt,soll auch vor Ort getan werden können. Wir wollen hieretwas bewegen.
Wir wollen außerdem die Gewerbesteuer nicht auf-geben. Im Gegenteil: Sie soll bestehen bleiben; denn sieist eine wichtige Verbindung zwischen den Kommunenund den Unternehmen. Es ist gut, wenn man weiß, dassman aufeinander angewiesen ist. Deshalb sollte das be-stehende Band zwischen Kommunen und Unternehmennicht zerschnitten werden.
Wir haben des Weiteren den Entwurf eines Gesetzeszur Reform des Sozialhilferechts eingebracht, über denin der Öffentlichkeit bislang wenig diskutiert worden ist.Es geht hierbei im Wesentlichen um Entbürokratisierungund insbesondere darum, dass zukünftige Sozialhilfe-empfänger das, was ihnen zusteht, in Form eines indivi-duellen Budgets erhalten. Sie müssen also nicht wegenjewAwddbsaarmKdüengKEsngsbcawin7HnghdggmIwswleSdemJ
ch möchte noch nicht andeuten, was wir vorschlagenerden. Nur so viel: Es wäre gut, wenn wir uns in die-em Hohen Haus darauf verständigten, dass menschen-ürdige Pflege ein Menschenrecht ist. Das darf bei al-m, über das wir entscheiden werden, nicht auf dertrecke bleiben.
Was wollen wir mit der Agenda 2010, dem vorliegen-en Haushaltsentwurf und dem Haushaltsbegleitgesetzrreichen? Ich möchte das an ein paar Dingen deutlichachen. Wir wollen zum Beispiel erreichen, dass alleugendlichen Arbeit bzw. Ausbildung haben.
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Franz MünteferingDazu ist sicherlich schon etwas gesagt worden. Ichmöchte aber unterstreichen, wie wichtig es ist, dass wirdie jungen Menschen nicht von der Schulbank in die Ar-beitslosigkeit schicken. Herr Ludwig Georg Braun, derPräsident des Deutschen Industrie- und Handelskammer-tages, hat in einem Schreiben an uns Abgeordnete fest-gestellt – wir alle haben es bekommen –, dass es einSkandal sei, dass nach wie vor jedes Jahr rund 90 000Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen. Hier seieninsbesondere die Länder und Kommunen gefordert;denn Betriebe könnten zwar vieles, dürften aber nichtdie Reparaturbetriebe der Nation für Versäumnisse vonSchule und Elternhaus sein. Herr Braun hat Recht: Dasist ein sehr wichtiger Gesichtspunkt.Es gibt unterhalb der Gruppe, über die wir reden,wenn wir über Ausbildungsplätze sprechen, eineGruppe, die überhaupt keine Chance hat, an Ausbildungheranzukommen: Es sind die jungen Menschen ohneSchulabschluss – 6 bis 8 Prozent –, die durch weitereVorbereitungen in Qualifizierungsmaßnahmen der ver-schiedensten Art in Hilfskonstruktionen vermittelt wer-den. Auch dabei darf es nicht bleiben. Herrn BraunsAufforderung, dass wir uns Gedanken darüber zu ma-chen haben, wie wir erreichen können, dass nicht soviele die Schule unfertig verlassen, werde ich nicht wi-dersprechen.Bei aller Wertschätzung für ihn will ich doch feststel-len, dass nur etwa 30 Prozent aller Betriebe überhauptausbilden. Wenn die Tatsache, dass 90 000 Schüler dieSchule unfertig verlassen, ein Skandal ist, dann ist esauch ein Skandal, dass es die Unternehmen in Deutsch-land nicht zustande bringen, die im Augenblick nochvorhandene Lücke zu schließen.
Das Angebot an Ausbildungsplätzen ist in den beidenletzten Jahren von 600 000 auf 510 000 zurückgegangen.Die Anzahl der nicht Versorgten ist zwischen dem31. Juli 2002 und dem 31. Juli 2003 um 35 000 gestie-gen. Ich begrüße, dass sich viele sich von uns, Mitgliederder Bundesregierung und Abgeordnete, gemeinsam mitden Unternehmen – ein Teil der Unternehmen ist gutwil-lig; ich will die Unternehmen gar nicht pauschal angrei-fen – bemühen, die vorhandene Lücke zu schließen,indem sie dafür sorgen, dass die erforderlichen Ausbil-dungsplätze noch zur Verfügung gestellt werden. DieseLücke umfasst im Ergebnis etwa 30 000 Ausbildungs-plätze, vielleicht ein paar mehr oder weniger. Angesichtseines Angebots von 510 000 Ausbildungsplätzen geht esdarum, dass etwa 6, 7 oder vielleicht 8 Prozent der jungenMenschen noch nicht versorgt sind.Wenn es die deutsche Wirtschaft – den öffentlichenBereich zähle ich dazu – in einer solchen Ausgangssitua-tion – der Versorgungsgrad liegt bei etwa 94 Prozent –im September und im Oktober nicht zustande bringt, dierestlichen 6 Prozent zu versorgen, dann liegt dem, so be-haupte ich, ein fehlender Wille zugrunde. Wenn jeder einbisschen dazutut, dann muss es möglich sein, auch die-sen jungen Menschen eine Chance zu geben.DwswSdsfvBsvgHsntDAwgmKFimUZModhnWVzgK8avliumnmdE
ass diese jungen Menschen eine Chance haben, dasollen wir; das ist die beste Lösung, die man sich vor-tellen kann.Manche unterstellen uns etwas anderes, nämlich dassir vorhaben, die Ausbildung der jungen Menschen zurtaatsaufgabe, zur Pflicht für den Bund oder für die Län-er, zu machen. Das entspricht aber nicht unserer Interes-enlage. Wir wollen, dass das duale Ausbildungssystemunktioniert. Die Ausbildung, die in einer Kombinationon Berufsschule und Arbeit im Betrieb besteht, ist daseste, was wir haben. Daraus ist übrigens auch die deut-che Facharbeiterschaft gewachsen.Am schlimmsten finde ich das, was ich vom Zentral-erband des Deutschen Handwerks höre. Man will unseradezu bestrafen. Dieser Verband sagt: Wenn ihr dieandwerksordnung ändert, dann werden wir nicht mehro viele Jugendliche einstellen. – Was ist das für eine zy-ische Einstellung? Das kann ich nicht akzeptieren.
Klar sein muss aber auch Folgendes: Bis Ende Sep-ember, Anfang Oktober werden wir uns bemühen,inge in Bewegung zu setzen. Wenn nicht genügendusbildungsplätze zur Verfügung stehen, dann werdenir uns auch an dieser Stelle melden, auch mit gesetz-eberischen Vorschlägen. Diese Vorschläge solltenöglichst im Einklang mit den Unternehmen, mit denammern und mit den Branchen entwickelt werden.est steht: Wir werden dann Vorschläge machen.Dazu, dass von Frau Merkel und auch aus der FDPmer wieder der Hinweis kommt, man dürfe mit dennternehmen so nicht umgehen, sage ich: Ja, das ist klar.uallererst müssen wir allerdings die Interessen derädchen und der Jungen berücksichtigen, die mit 16der mit 17 die Schule verlassen. Es darf nicht so sein,ass man sie zur Seite nimmt, um ihnen zu sagen: Duast zwar auf der Schule gelernt; aber es gibt leider kei-en Ausbildungsplatz für dich.
ir vertreten in erster Linie deren Interessen. Das hatorrang.Mit dem Haushaltsgesetz 2004 und mit den Gesetzenur Agenda 2010 wollen wir erreichen, dass alle Kinderleiche Bildungschancen haben. Der Bund wird denommunen in dieser Legislaturperiode – freiwillig –,5 Milliarden Euro für die Verbesserung des Ganztags-ngebots für die Betreuung von unter Dreijährigen undon Kindern in Grundschulen zukommen lassen. 8,5 Mil-arden Euro, das ist eine stolze Zahl. Es liegt vielleicht anns, dass wir darüber nicht genug sprechen und bewusstachen, worum es dabei eigentlich geht. Es geht dabeiicht um Klein-Klein, sondern darum, dass wir den Kom-unen bei der Bewältigung einer riesigen Aufgabe, vorer wir stehen, Hilfestellung geben. Wenn immer mehrltern tagsüber keine Zeit haben, ihre Kinder zu
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Franz Münteferingbetreuen, dann ist es umso wichtiger, dass diese Kinderdie Chance haben, in Ganztagseinrichtungen zu gehen.
Nicht alle Eltern werden das wollen. Es wird Situatio-nen geben, in denen diese Betreuung nicht möglich ist.Wir haben uns vorgenommen, in diesem Jahrzehnt dafürzu sorgen, dass alle unter Dreijährigen und alle Grund-schüler, deren Eltern das wollen, die Chance haben, eineGanztagsbetreuungseinrichtung zu besuchen. Wir wer-den dieses Vorhaben nicht in dieser Legislaturperiode al-lein umsetzen können. Wir wollen es in diesem Jahr-zehnt schaffen. Die Umsetzung dieses Vorhabens wäreeine große gesellschaftliche Innovation.Dies ist eine Idee, die im Hinblick auf die Bildungschan-cen der Kinder großartig ist und die auch für die Verein-barkeit von Familie und Beruf unendlich wichtig ist. Da-bei geht es um eine große politische Vision.
Wenn man nicht aufpasst, dann geht das im Klein-Klein des Alltags unter. Man sitzt in Runden beieinander– Bund, Länder und Gemeinden – und hat nach einerhalben Stunde den Eindruck: Es geht nur noch um dieFrage, wer eigentlich wem welches Geld aus der Tascheziehen kann und wer eigentlich wo Zuständigkeiten hat.Ich will dieses Beispiel mit den Bildungschancen für dieKinder zum Anlass nehmen, noch einmal zu sagen: Wirmüssen darüber sprechen und müssen Entscheidungentreffen, damit wir in den Anstrengungen im Hinblick aufdie gesellschaftspolitischen Herausforderungen, vor de-nen wir stehen, in der Vielfalt und in der Komplexität so-wie in den Verpflichtungen unserer föderalen Ebenennicht aufgehalten werden. Die großen politischen Ideenmüssen durch alle föderalen Ebenen hindurch getragenwerden können. Daran müssen wir arbeiten. Da müssenwir in Deutschland besser werden.
Wir wollen mit dem, was wir tun, dafür sorgen, dassdie 50-, 55- und 60-jährigen Arbeitnehmer nicht mehrabgeschoben werden. Das Abschieben entspricht einerMentalität, die sich in den 90er-Jahren ausgebreitet hat.Wir haben da nicht immer klug gehandelt, Sie von derOpposition auch nicht; vielleicht sollten Sie das einmalzugeben. Die Ideen, die es da gab – ganz lange Arbeits-losengeld zahlen und mit kleinen Sozialplänen die Men-schen mit 60 in die Frühverrentung schicken –, sind vonIhnen gekommen. Es war damals nur eine Organisation,die dagegen protestiert und sogar geklagt hat. Das warmeine IG Metall. So verkehren sich die Fronten auf derStrecke. Die IG Metall hat richtigerweise gesagt: Mitdem, was ihr da macht, sorgt ihr dafür, dass mit Beiträ-gen aus der Arbeitslosenversicherung die Personalpolitikder großen Unternehmen unterstützt wird. – So ist daspassiert.Das Endergebnis ist, dass heute in Deutschland dieMentalität vorherrscht: Die, die über 50 sind, können fürdie Arbeit nicht mehr gebraucht werden. – Die, die über5kkwkwm6dfFuMk2ngddmdrwbhlrSmngBgggafDmipgubd
Diese 55- und 60-Jährigen sind übrigens die deutscheacharbeiterschaft, die „Made in Germany“ geschaffennd dafür gesorgt hat, dass Deutschland unter diesemarkenzeichen einen guten Namen in der Welt be-ommen hat. Die laufen nicht mehr so schnell wie die5-Jährigen, aber sie haben Wissen, Erfahrung und Kön-en und werden weiß Gott noch gebraucht. Es ist einroßer Fehler gewesen, dass wir in dieser Gesellschaft inen letzten Jahren diesen Weg gegangen sind.
Wir wollen, dass der Solidarpakt Ost steht. Bei all-em, was wir über den Haushalt und über die Frage, wiean ihn in Zukunft noch knapper schneiden kann, zuiskutieren haben, muss unter uns eines klar sein – da-über ist aus verschiedenen Anlässen schon gesprochenorden; bei uns ist das klar –: Wir werden an der verein-arten Regelung zum Solidarpakt nichts verändern. Daseißt, die Länder im Osten der Bundesrepublik Deutsch-and und die Gemeinden dort können verbindlich damitechnen, dass bis tief ins nächste Jahrzehnt hinein dieolidarität in dieser Gesellschaft gilt. Es ist wichtig, dassan das einmal feststellt.
Wir wollen erreichen, dass Arbeitnehmer und Unter-ehmer ihre Interessen auch zukünftig wirkungsvoll or-anisieren können. Unsere Gesellschaft hat in der altenundesrepublik und auch in den vergangenen 13 Jahrenut damit gelebt, glauben wir, dass sich auf der Arbeit-eber- und auf der Arbeitnehmerseite an Tischen Leuteegenübersitzen, die was im Kreuz haben, und Dingeushandeln, die für ihr Unternehmen, für ihre Branche,ür ihre Region und für das ganze Land wichtig sind.eshalb muss bei allem, was an Flexibilität am Arbeits-arkt möglich und nötig ist, was in vielen Branchen undn vielen Betrieben, besonders in Ostdeutschland, auchassiert, eines im Blick bleiben: Wir müssen dafür sor-en, dass bei allen Entscheidungen, die wir treffen, einesnmissverständlich klar bleibt: Arbeitnehmer und Ar-eitgeber begegnen sich auf gleicher Augenhöhe. Dasarf sich nicht verschieben.
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Franz MünteferingIm Letzten ist Wirtschaft – das ist nur bedingt eine Fragedes Standpunktes – für die Menschen da und nicht um-gekehrt. Daran werden wir uns bei all unseren zukünfti-gen Entscheidungen messen lassen. Es wäre eine falscheEntscheidung – davon bin ich fest überzeugt –, wenn wirin Deutschland einen Weg einschlagen würden, der dieWirtschaft total individualisiert. Eine solche Forderunghöre ich ja bei der FDP immer wieder heraus. DerenBotschaft lautet: Wenn jeder für sich selbst sorgt, dannist für alle gesorgt.
– Das ist Quatsch. Das sehen Sie völlig richtig. Aberdann lassen Sie solche Sprüche auch sein.
Wir wollen erreichen, dass dieses Land wieder fähi-ger wird, technische Innovationen zu entwickeln, sie inArbeitsplätze umzumünzen und damit die Zukunftsfä-higkeit unseres Landes zu sichern. Auch das ist im Übri-gen Gegenstand der Agenda 2010. Dass darüber nichtgesprochen wird, liegt an uns, aber auch an anderen. DerBundeskanzler hat nämlich in der Agenda 2010 klarge-stellt, dass der Zuschlag für die Großforschungseinrich-tungen ab 2004 weiter erhöht wird und die Frage, wiewir uns in Deutschland zu technologischen und auch ge-sellschaftlichen Innovationen stellen, eine Grundfrage inBezug auf die Sicherung der Zukunftsfähigkeit unseresLandes ist. Hier müssen wir aufholen.Ich habe es schon woanders gesagt, möchte es hieraber noch einmal wiederholen, da ich es an diesem Pultnoch nicht gesagt habe: Die schlimmste Botschaft derletzten Jahre lautete doch, dass seit dem Jahr 2001 mehrHochtechnologie nach Deutschland eingeführt als aus-geführt wurde. Sie können natürlich jetzt sagen – aufdiesen Einfall kommen Sie bestimmt –, dass wir da re-giert haben. Aber wir müssen wohl nicht lange darüberstreiten, dass diese Entwicklung schon in den 90er-Jah-ren einsetzte. Damals ist zu wenig in diesem Bereich in-vestiert worden. Wir haben also alles zusammengekratztund der Bildungs-, Forschungs- und Wissenschafts-ministerin in der letzten Legislaturperiode 25 Prozentmehr zur Verfügung gestellt. Dieser Weg wird fortge-setzt. Das hat der Kanzler heute hier unterstrichen. Auchich will für die Fraktion ausdrücklich noch einmal fest-stellen: Wer über Altersversorgung und Zukunftssiche-rung des Landes spricht, der muss wissen, dass wir einenTeil dessen, was wir heute erwirtschaften, in die Köpfeund in die Herzen der Jungen investieren müssen: inAusbildung, in Bildung, in Forschung und Technologie,in neue Unternehmen. Damit sichern wir die Zukunftsfä-higkeit Deutschlands.
Herr Kollege Müntefering, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Hinsken?
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Ihre munteren Hinweise deuten darauf hin, dass wir
arüber sprechen können.
Herr Hinsken, wenn Sie jetzt noch eine Zwischen-
rage stellen möchten, lasse ich sie gerne zu.
Werter Herr Müntefering, es passt vielleicht jetzt so-
ar noch besser, als es vor fünf Minuten gepasst hätte. –
ie haben ja für Ihre Fraktion eine richtungsweisende
ede gehalten.
ch habe aufmerksam zugehört, auch wenn ich nicht alle
hre Ansichten teile.
Meine Frage an Sie lautet nun: Haben Sie deshalb die
ußenpolitik ausgeklammert, weil es der Vizekanzler
nd Bundesaußenminister vorzieht, über eine Stunde im
estaurant zu sitzen, statt dem Führer der größten Frak-
ion zuzuhören, um mitzubekommen, welche Vorstellun-
en Sie haben?
Darüber machen Sie sich mal keine Sorgen. Wir sit-en so oft beieinander und sprechen so oft miteinander,ass er alles, was ich hier gesagt habe, schon weiß. Daönnen Sie ganz sicher sein.
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Mich hat nur erschreckt, dass Sie mich „Führer“ genannthaben. Das ist für mich ein schwieriges Wort.
Ich will abschließend noch kurz ein Kapitel anspre-chen, das man in der Politik ernst nehmen muss. Manmuss nicht nur gute Politik machen, sondern man mussauch verstehen, sie zu vermitteln. Dabei gibt es Schwie-rigkeiten, weil in einer Situation, in der es acht Gesetz-entwürfe gibt, zwei weitere Gesetze vorbereitet werdenund über das Haushaltsgesetz diskutiert wird, in der Öf-fentlichkeit nicht immer unterschieden wird und auchnicht unterschieden werden kann: Ist das jetzt eine Idee?Ist es ein Vor-Vorschlag? Ist es ein Vorschlag? Ist es einEntwurf? Ist es ein Referentenentwurf? Ist es ein Be-schluss? Ist es ein Gesetz?
Oft steht etwas in großen Buchstaben auf Seite 1 einergroßen Zeitung und die Menschen glauben, das seischon beschlossen, obwohl es möglicherweise dannnoch anders kommt.Ich finde, dass man mit der Situation offen umgehenmuss. Es stellt sich die Frage, ob man versucht, allesheimlich, still und leise vorzubereiten, oder ob man eineöffentliche und offene Debatte führt. Ich kann mir nurvorstellen, dass man die Debatte offen führt. Ich finde,es gereicht der Koalition sowie meiner Partei und meinerFraktion zur Ehre, dass wir in der Lage sind, solche Dis-kussionen offen zu führen mit der klaren Zielrichtung,irgendwann in der Fraktion und im Deutschen Bundes-tag Entscheidungen zu treffen, damit dann das gilt, waswir gemeinsam beschlossen haben. So muss das laufenund so wird es in den nächsten Monaten auch sein.
Man muss einfach zugeben, dass es objektiv schwie-rig ist, Entscheidungen zu treffen, die ökonomisch ver-nünftig, finanzwirtschaftlich notwendig und sozial ge-recht sind. Es ist ja nicht eine Frage des guten Willens,wie das aufeinander wirkt. Einige der Gesetze, über diewir jetzt sprechen, haben viele Schnittmengen zueinan-der. Wir werden Ende des Jahres das Puzzle wirklich zu-sammenlegen und das Gesamtbild erkennbar machenkönnen.Ich bin mir der Komplexität der derzeitigen Situationbewusst. Wir alle müssen zur Orientierung beitragen.Dabei stellt sich auch die Frage, was Demokratie leistenkann und leisten will. Wir müssen den Menschen deut-lich machen, was wir wollen, wohin die Reise geht, aberman muss auch über Einzelheiten und Feinheiten mitei-nander sprechen dürfen.
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ir haben, demokratisch legitimiert, die Aufgabe, iniesem Land Politik zu machen. Das tun wir. Falls Sie,us welchen Gründen auch immer, ab und zu derselbeneinung sein sollten wie wir und etwas eigentlich dochanz gut finden, dann werfen Sie Ihr Herz über dieürde und machen Sie dabei mit. Dann bekommen wirernünftige Gesetze, denen auch im Bundesrat zuge-timmt wird.Frau Merkel, Sie haben von den zweiten Gründerjah-en der Republik gesprochen. Ich glaube, das ist nichtanz verkehrt, darin steckt ein Stückchen Wahrheit.
enn das aber so ist, dann war das, was Sie heute Mor-en vorgetragen haben, zu wenig.
ir hören ganz gespannt zu, was Sie zu den Gründerjah-en, die jetzt in Deutschland vor uns liegen, zu sagen ha-en. Vor allen Dingen geht es darum – das fehlte in Ihrerede völlig –, Zuversicht zu vermitteln in die Gestalt-arkeit der Dinge und in die Zukunft, Zuversicht für dieächsten Jahre. Das ist der Kern all dessen, worauf wirns stützen können.
as ist der Kern bei all den Problemen und bei all denorgen, die wir haben, auch bei all dem Streit, den wirm die richtigen Schritte an der einen oder anderentelle zu führen haben.Dieses Land Deutschland ist stark, hat tüchtige Unter-ehmer und tüchtige Arbeitnehmer,
s hat ein gutes Bildungssystem, es hat hohe Mobilität,s hat Erfahrung, es hat auch Entwicklung. Dieses Landst in der Lage, seinen Weg gut nach vorne zu gehen. Daserden wir tun. Dazu werden die Schritte, die wir in die-em Jahr gehen, ganz wesentlich beitragen.Herr Glos hat am Anfang seiner Rede auf die Ent-cheidung im vorigen Jahr hingewiesen. Dazu sage ichum Schluss: Noch heute vor einem Jahr, am 10. Sep-ember 2002, zwölf Tage vor der Wahl, haben mir Zei-ungen, wissenschaftlich untermauert, weismachen wol-
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Franz Münteferinglen, dass wir die Bundestagswahl auf keinen Fallgewinnen könnten. Wir haben sie aber doch gewonnen.Nun ärgern Sie sich und das freut mich.
Jedenfalls kündige ich Ihnen für das Jahr 2006 schoneinmal an – auch Frau Merkel hat darauf hingewiesen;vermutlich wird sie am 11. Januar wieder irgendwo zumFrühstück eingeladen sein und etwas unterschreibenmüssen –,
dass dann wieder das Gleiche wie 2002 stattfinden wird.Wir wissen, dass wir bei der Aufgabe, die wir jetzt über-nommen haben, nicht in jedem Augenblick Volkes Lieb-ling sein können. Das müssen wir auf einer gewissenStrecke aushalten. Aber das, was wir beschließen undvoranbringen, wird die Anerkennung der Menschen indiesem Lande finden. Da bin ich ganz zuversichtlich. Siewerden sehen, dass die Sozialdemokraten im Jahre 2006weiterregieren werden.Vielen Dank und Glück auf.
Das Wort hat der Herr Kollege Dr. Wolfgang
Gerhardt, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es istimmer wieder ein schönes Zeichen parlamentarischerGepflogenheiten, dass, wenn ein Redner aus der Opposi-tion in einer der wichtigsten Debatten zum Schicksals-buch der Nation ans Rednerpult tritt, nahezu die Hälfteder SPD-Abgeordneten den Raum verlässt.
Das gehört nicht zum guten Stil. Das sage ich geradedeshalb, Herr Kollege Müntefering, weil Sie über einigePrinzipien gesprochen haben. Ich würde darauf gerneeingehen, aber dazu ist die Zeit viel zu kurz.Eines möchte ich allerdings sagen, weil Sie die Wahl2006 angesprochen haben. Hier geht es nicht darum,dass die Kollegin Merkel, die Kolleginnen und Kollegenvon der CDU/CSU oder wir von der FDP Fehler ge-macht hätten. Unser Vorwurf bezieht sich nicht aufmenschliche Schwächen oder Fehler. Unser Vorwurfrichtet sich zentral an den Bundeskanzler, der das, was erin zwei Wahlkämpfen gemacht hat, nicht durch die Be-zeichnung „Fehler“ beschönigen kann; denn die Datenbezüglich struktureller Veränderungen, der Globalisie-rungsprozesse, des demographischen Aufbaus und derlwKeHDDdWblussLfKsBZuwbedrdaEnnngclzisiCÄmsn
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Dr. Wolfgang Gerhardtdenn es geht nicht an, einen Monopolanbieter hinzustel-len, der mit dem Abschluss oder Nichtabschluss einesEinzelvertrages über die Zukunft des freien Berufes Arztin Deutschland entscheidet.Wenn Sie die Beitragsbemessungsgrenzen zurückfüh-ren und die gesetzlichen Krankenkassen in einen Wett-bewerb setzen, dann können wir über Einzelverträge re-den.Eine Bürgerversicherung – im Übrigen ist der Postendes Vorstandsvorsitzenden einer Bürgerversicherung dersicherste Job, den die junge Generation haben kann: allemüssen hinein, die Beiträge sind nicht transparent, siekönnen erhöht werden und niemand kann heraus – ent-spricht nicht unserer Vorstellung von einem freiheitli-chen und wettbewerblichen Gesundheitswesen. Da un-terscheiden wir uns.
Es kann gern die Möglichkeit zum Abschluss vonEinzelverträgen geschaffen werden. Eröffnen Sie denWettbewerb auf der anderen Seite.Herr Kollege Müntefering, vielleicht können Sie ei-nen Moment zuhören; denn ich möchte Ihnen Folgendessagen: Verwechseln Sie bitte nicht den Flächentarif mitTarifautonomie. Das wäre eine Fehler. Tarifautonomieist auch mit anderen Modellen als dem gegenwärtigenFlächentarif denkbar.Wenn Sie schon über Menschenwürde sprechen wieich auch – da unterscheiden wir uns nicht –, dann sageich Ihnen, dass es für die Existenz von Arbeitsplätzen inkleinen mittelständischen Betrieben in regional schwie-rigen Zonen ein Gesichtspunkt der Menschenwürde ist,dass, wenn zwei Drittel der Belegschaft anders wollenals die Spitze der IG Metall, ihnen das der DeutscheBundestag auch ermöglicht. Das ist dann auch eine Not-wendigkeit.
Der Zufall, der bei der Kombination unserer Erbanla-gen waltet, macht uns alle einzigartig. Wir sind unter-schiedlich, auch unterschiedlich leistungsfähig. Sie müs-sen jetzt den demokratischen Sozialismus etwas beiseiteschieben. Definieren Sie auch Solidarität neu. Diegrößte Solidarität ist nicht die Größe der kollektiven Si-cherungssysteme in Deutschland.
Die größte Solidarität, die jemand einem anderen unterdem Gesichtspunkt der Menschenwürde geben kann, istseine eigene Leistungsbereitschaft, bevor er andere inAnspruch nimmt.
Deshalb ist die Solidarität nichts, was wir zwischenunseren Parteien im großen Schlagabtausch diskutierenmüssen. Wir wissen doch alle, dass die alten solidari-schen Systeme nicht mehr tragen. Sie haben es erlebt.Sie machen doch den schmerzhaften Prozess in IhrerPartei durch. Begeben Sie sich deshalb in eine offeneDsOwdßFgVlehdzzDrZdsuksWdcteDIHveggwtuscBMb8Hb
Nächste Rednerin ist die Kollegin Antje Hermenau,
ündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frauerkel hat vorhin in ihrer Rede gesagt, England stündeesser da. Wissen Sie, Frau Merkel: England hatte in den0er- und 90er-Jahren Maggie Thatcher und wir hattenelmut Kohl. In den 90er-Jahren waren Sie doch im Ka-inett. Sie standen zwar im Schatten, aber Sie hätten
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Antje Hermenauzum Beispiel Herrn Blüm bei seiner Volksverdum-mungskampagne „Die Rente ist sicher!“ stoppen kön-nen, wenn Sie damals so viel Verantwortung gezeigt hät-ten, wie Sie heute eingefordert haben. Das haben Sieaber nicht gemacht. Sie geben auch keinen Fehler zu undmachen außerdem nicht den Eindruck, dass Sie einen Er-kenntnisgewinn gehabt haben.
Ich erinnere mich sehr wohl daran, dass ein jüngererKollege der CDU/CSU-Fraktion, der Kollege Storm, erstdann die Chance bekam – nämlich im Frühjahr 1998 –,den demographischen Faktor in die Rentenversiche-rung einzuarbeiten und damit Herrn Blüm auf das histo-rische Abstellgleis zu setzen, als Herr Kohl die Wahl1998 verloren gab. Das sind Ihre Reformanstrengungen.Sie haben Reformen nur angekündigt. Dann wurden Siesozusagen erlöst und mussten sie nie durchsetzen. Dasist die Wahrheit.
Um zu erkennen, wie schwierig es ist, Reformen poli-tisch durchzusetzen, kann man einen aktuellen Vergleichanstellen. Frankreich wird konservativ regiert. Aber derPremierminister Raffarin kneift; er will keine strukturel-len Reformen durchführen. Wir können uns noch aus-führlicher darüber unterhalten, wie die Situation inner-halb der EU ist.Die deutsche Bundesregierung steht zu Ihrem Ziel.Sie will strukturelle Reformen durchführen und legt fastjede Woche einen neuen Gesetzesvorschlag dazu auf denTisch. Herr Gerhardt, das Parlament hat die Möglichkeit,die Vorschläge gründlich zu beraten. Das scheint mirbesser zu sein, als einen Haushaltsentwurf vorzulegen,der so verabschiedet wird, wie er zwei Monate vorhereingebracht wurde.
Wir haben alle etwas davon, wenn sich die Parlamenta-rier in die entsprechenden Diskussionen verantwortlicheinbringen können.
Wenn man sich anschaut, wo die strukturellen Pro-bleme liegen, von denen wir immer wieder sprechen,dann wird deutlich, dass Länder mit hohen automati-schen Stabilisatoren – das sind hohe Beiträge zur Kran-kenversicherung, Rentenversicherung und hohe Ausga-ben zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit – immer dannProbleme bekommen, wenn die Konjunktur schlechtläuft.Es stellt sich nun heraus, dass es in den anderen In-dustrieländern im Falle einer schlechten Konjunktur eineDämpfungswirkung von durchschnittlich einem Viertelgibt, wenn die automatischen Stabilisatoren voll wirken.Deutschland hingegen weist eine Dämpfung von einemDrittel auf. Umgekehrt gesagt: Nach einer 30-jährigenpzRniNwutTöSmnfemdbgEcsFdkdssmDgehgsBdDüsudüFgrelOgr
Das Vertrauen der Kommission in Brüssel gegen-ber Deutschland ist deutlich größer als das gegenüberrankreich. Ich nehme das mit einer gewissen Befriedi-ung zur Kenntnis, weil es bedeutet, dass wir auf demichtigen Weg sind, Strukturreformen durchzusetzen,gal wie schwierig es sein wird. Sie haben wieder deut-ich gemacht, dass Brüssel mit seiner Einschätzung, diepposition und die Länder in Deutschland seien dasrößte Strukturumbau- und Defizitbereinigungsproblem,ichtig liegt. Ich kann das nachvollziehen.
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Antje HermenauWir werden versuchen, den Empfehlungen des Euro-päischen Rates zu folgen. Es ist zum Beispiel starke Kri-tik daran geübt worden – dies ist klar im nationalen Sta-bilitätsprogramm ausgewiesen worden –, dass dieSchulden auch deswegen gestiegen sind, weil es imGesundheitswesen eine große Ausgabensteigerung gab.Hier haben wir einen ersten Schritt getan, obwohl HerrSeehofer inzwischen Bodyguards beantragen muss,nachdem er die Meinung seiner Fraktion nicht eins zueins durchgesetzt haben soll. Immerhin ist ein ersterSchritt getan worden.Als Nächstes wird über die Frage der Bürgerversi-cherung zu diskutieren sein. Das können wir gerne imDetail machen; aber ein solidarisches System muss esschon sein.
– Sie werden natürlich immer dann Wettbewerb haben,wenn Sie nur Gesunde, nur Fitte haben. Nur, was ist mitden armen Kranken? Herr Gerhardt, wir können dasgerne ausdiskutieren. Es wird Gelegenheit geben, überdie Einführung von Kopfpauschalen und über die Bür-gerversicherung richtig zu streiten. Wir werden einenproduktiven Weg finden müssen. Die Grünen sind sehrengagiert und sehr interessiert daran, einen vernünftigenVorschlag zu unterbreiten.Ich komme auf die Frage der Länder zurück. Denndie EU-Kommission hat festgestellt, dass diese ein gro-ßes Risiko für den Abbau des strukturellen Defizits inDeutschland sind. Sie hat uns beauftragt, alle staatlichenEbenen an einem strikteren Haushaltsvollzug zu messen.Das hat inzwischen auch Herr Koch zur Kenntnis ge-nommen, aber eher deswegen, weil Herr Stoiber ihn zu-sammengepfiffen hat, und vielleicht auch deswegen, weildie Kreditwürdigkeit des Landes Hessen herabgestuftworden ist. Genannt wurden aber auch die Systeme dersozialen Sicherung. Dazu haben wir uns zu verhalten.Über die Länder sollten wir noch einmal sprechen.Ich komme auf mein Beispiel mit der Familie zurück: Esreicht nicht, nur in die kleinere Wohnung zu ziehen undvielleicht die Oma zu bitten, dass sie ein wenig dazugibt.Es wird vielmehr wichtig sein, dass alle in der Familiegenau schauen, was die Prioritäten sind und was diewichtigsten Dinge sind, die finanziert werden müssen.Ich bin sehr dafür, dass wir uns gemeinsam entscheiden,das Studium des Nachwuchses zu finanzieren.Danke.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Sehr geehrte Gäste! Der Bundeskanzler sagtgern: Wir leben über unsere Verhältnisse. Alle GetreuenpltheogBmwStdsSeGmdWüsHrdsbHtsgSSnfVnwddZ––sr
amit sie mit ihrem Geld zurückkommen, natürlichtraffrei und mit Steuernachlass. Dafür findet man solumige Worte wie „Brücke zur Steuerehrlichkeit“.Nehmen wir Herrn Schoeps – ein Beispiel aus derauptstadt –, den langjährigen Chef der Immobilien-öchter der Berliner Bankgesellschaft. Einer der Kon-trukteure dieser Skandalbank sitzt übrigens – im Au-enblick ist er nicht anwesend – auf den Bänken derPD. Es ist der Parlamentarische Staatssekretär Dietmartaffelt. Darüber sollten Sie übrigens in Ihrer Fraktionoch einmal diskutieren.Herr Schoeps hat Immobilien aus Großeinkäufen, dieür den Fonds der Bank bestimmt waren, in sein privatesermögen übernommen; der Wert beträgt rund 35 Millio-en Euro. Herr Schoeps meint, das sei alles rechtens ge-esen. Wo sind die Leute, die hier sofort die Gesetze än-ern? Wo ist Herr Stoiber, der den Kanzler in seinen For-erungen um 100 Prozent übertrifft? Wo ist die „Bild“-eitung mit einer entsprechenden Schlagzeile?
Die PDS ist hier und spricht gerade zu Ihnen.
Im Berliner Abgeordnetenhaus ist die PDS sehr inten-iv damit beschäftigt, diesen Bankenskandal aufzuklä-en, den wir der CDU und der SPD in Berlin zu verdan-
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Dr. Gesine Lötzschken haben. CDU und SPD haben in Berlin gemeinsamdiese Bank konstruiert und wir müssen mit unserer Re-gierung in Berlin versuchen, diesen Scherbenhaufen auf-zuräumen. Das ist schwer genug, das kann ich Ihnen ver-sichern.
Ich habe Ihnen gerade erklärt, dass Vertreter, die dieseBank mit konstruiert haben, heute noch immer in denReihen der Fraktion der SPD hier im Bundestag sitzen.Vielleicht erinnern Sie sich: Ich habe das schon mehrmalsangesprochen. Ich werde auch nicht müde, das zu tun.
Der Kanzler hat unter dem Diktat der „Bild“-Zeitungangekündigt, dass es bald keine Sozialhilfe mehr unterPalmen geben wird. Das hört sich gut an. Populismuskommt immer gut an. Aber wo leben wir eigentlich? Ichhabe manchmal den Eindruck, dass das Haus Springerdas tägliche Drehbuch für die Bundesregierung schreibt.Das ist aber nur möglich, weil die Bundesregierung keineigenes Drehbuch hat.Nicht wir alle leben über unsere Verhältnisse, sondernman kann ganz konkret benennen, wer über seine Ver-hältnisse lebt. Ich fange einmal hier im Hause an. HerrStruck und Frau Beer – sie gehört zwar dem Hause nichtan, ist aber einer Partei sehr verbunden – leben über ihreVerhältnisse, 1,3 Milliarden Euro geben sie für Aus-landseinsätze der Bundeswehr aus. Wenn es nach FrauBeer ginge, würden diese Einsätze bald noch mehr Geldkosten. Frau Beer will bekanntermaßen die Bundeswehrin den Irak schicken.
Warum fragt eigentlich keiner, warum Herr Struck undFrau Beer bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehrüber ihre Verhältnisse leben dürfen?Auch Herr Eichel lebt über seine Verhältnisse. DieseRegierung ist immer schnell dabei, Steuern zu senkenund Ausgaben im sozialen Bereich zu kürzen. Doch siehat total darin versagt, ihre Einnahmen zu sichern, ge-schweige denn zu erhöhen. Ich erinnere nur an die Kör-perschaftsteuer, die Sie von rund 25 Milliarden Euro ineinem Jahr auf unter null Euro gefahren haben.Nehmen wir Herrn Stolpe. Herr Stolpe lebte bekannt-lich schon immer über seine Verhältnisse. Seine Groß-projekte in Brandenburg brechen alle zusammen undnun droht auch das Großprojekt LKW-Maut zu einemDesaster zu werden. Doch ihn allein trifft nicht dieSchuld; denn offensichtlich leben auch einige beauf-tragte Konzerne über ihre Verhältnisse. Wo ist das Ge-schrei darüber?Herr Stolpe ist nicht nur für den Verkehr zuständig,sondern auch für Ostdeutschland. Den Arbeitslosenhilfe-empfängern kann man wirklich nicht vorwerfen, dass sieügdgtikdhdFdiSrIdMdmddnDwfkndsGsD„deessmvdhsskezgA
ch denke, Herr Müntefering, dass Sie damit schlecht füras 21. Jahrhundert ausgestattet sind. Denn wenn Siearx gelesen hätten, würden Sie schnell erkennen, dassiese Regierung und insbesondere Herr Clement ökono-ischen Unsinn betreiben. Es ist seit Marx völlig klar,ass immer mehr Menschen durch Rationalisierung ausem Arbeitsprozess herausgedrängt werden. Das betriffticht nur die Produktionsprozesse, sondern auch dieienstleistungsprozesse. Wenn Herr Clement dasachsende Heer der Arbeitslosen und Sozialhilfeemp-änger drangsaliert und durch das Land treibt, obwohl eseine Arbeitsplätze gibt, dann zeigt das, dass auch erichts von dem gelesen hat, worauf sich auch die Sozial-emokratische Partei gründet.Meine Damen und Herren von der Koalition, Ihre ge-amte Politik, ob nun auf dem Gebiet der Steuern, deresundheit oder des Arbeitsmarktes, hat eines gemein-am: Sie ist unsozial. Kollege Kuhn vom Bündnis 90/ie Grünen hat das im Rahmen eines Interviews in derBerliner Zeitung“ zugegeben.Ihre Politik ist aber nicht nur unsozial; schlimmer ist,ass sie dabei ist, aus unserer solidarischen Gesellschaftine Angstgesellschaft zu machen. Natürlich ist Angstine gewaltige Triebkraft, die das Letzte aus den Men-chen herausholen kann. Die Frage ist nur, ob die Men-chen in unserem Land in Angst leben wollen. Ich binir sicher, viele wären sogar bereit, auf Reichtum zuerzichten, wenn man ihnen die tagtägliche Angst vorer Zukunft nehmen würde. Denn diese Zukunftsangstaben nicht nur Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger,ie trifft auch immer mehr die Menschen aus der Mittel-chicht, die um ihre Jobs fürchten. Wir als PDS wolleneine Gesellschaft, die auf Angst basiert. Wir wollenine solidarische Gesellschaft. Ich bin der festen Über-eugung, dass eine solidarische Gesellschaft gesünder,lücklicher und letztlich auch dauerhafter als diesengstgesellschaft ist.Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Arnold Vaatz, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DerBundeskanzler hat heute versucht, uns zu vermitteln,dass es ein Missverständnis sei, wenn man die Aus-führungen des Finanzministers von gestern so verstehe,dass Ostdeutschland an der desolaten Haushaltslageschuld sei. Der Kanzler hat gesagt, die BundesrepublikDeutschland habe mit der Wiedervereinigung ein Pro-blem, das die anderen europäischen Staaten in dieser Artnicht hätten. So in etwa hat er sich ausgedrückt, wennich mich richtig erinnere. Das stimmt ungefähr, obwohlman, wenn man in die Geschichtsbücher sieht, feststel-len muss, dass es auch in anderen europäischen Staatenwie in Italien und Polen Wiedervereinigungsprozessegegeben hat, die sich allerdings über viele Generationenhingezogen haben.Wenn man das gelten lässt, dann ist aber die Frage be-rechtigt, was dazu geführt hat, dass die BundesrepublikDeutschland auf die Wiedervereinigung so wenig vor-bereitet war. Meines Erachtens ist es notwendig, daraufhinzuweisen, dass in den 60er- und 70er-Jahren in derdamaligen Bundesrepublik Deutschland ein großer kol-lektiver Irrtum in Bezug auf die Überlebensfähigkeit derDDR entstanden ist. Wenn man die damaligen poli-tischen Debatten mit Blick darauf durchliest, wer amEntstehen und an der Aufrechterhaltung dieses kollekti-ven Irrtums am meisten mitgewirkt hat, dann kommtman auf die deutsche Sozialdemokratie.
Damit tragen Sie an den Schwierigkeiten schon von An-fang an eine große Mitverantwortung.
Zurück zu den Ereignissen vor der letzten Wahl. Ichhabe damals auf Wahlkampftour, auf der wir sicherlichalle waren, einen Bekannten gesprochen, der unter demEindruck des Hochwassers und der Versprechungen derRegierung sagte, er wähle dieses Mal SPD. Seine Be-gründung: Die SPD habe in den letzten vier Jahren einso großes Chaos angerichtet, dass er es sich allein schonaus Gründen der Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht an-ders vorstellen könne, als dass sie aus ihren Fehlern ge-lernt habe und bei ihr der Knoten geplatzt sei. Das Hoch-wasser müsse quasi als Katalysator wirken, sodass sichdie ganzen katastrophalen Zahlen in Ostdeutschland un-ter dieser Regierung höchstwahrscheinlich verbessernwürden.Nun habe ich mit diesem Mann ein Jahr später wiedergeredet. Die Katastrophe ist perfekt: An seine Ausfüh-rungen von vor einem Jahr will er gar nicht mehr erin-nert werden.Die Zahlen für Ostdeutschland sind katastrophalerdenn je. Die Arbeitslosigkeit hat sich auf dem doppeltenNiveau Westdeutschlands verstetigt. Die Abwanderunghat nicht abgenommen, sondern zugenommen. Die Fir-mIrSWiMgnwdMnejd2bvahtHjsSsmIdtsVwFWsiaJO
m Haushalt sind keine Mittel dafür vorgesehen. Aucher Bundesverkehrswegeplan sieht keinerlei Infrastruk-urmaßnahmen vor, um Leipzig einen Vorzug zu ver-chaffen. Sie haben überhaupt nichts getan.
on allen Seiten wurde ein Angebot unterbreitet. Wirollen überhaupt keinen politischen Streit über dieserage.
ir wollen bei Ihnen nur ein Minimum an Bewegungehen, ein Zeichen, dass Sie an dieser Sache tatsächlichnteressiert sind. Dieses Zeichen steht seit einiger Zeitus. Das muss ich Ihnen einmal sagen.
Sie haben den 50. Jahrestag des 17. Juni in diesemahr verstreichen lassen, ohne ein weiteres Zeichen nachstdeutschland zu geben. Sie hätten das Zeichen geben
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Arnold Vaatzkönnen, dass Sie das Unrecht, das Menschen länger alseine Generation lang angetan wurde, in irgendeinerWeise von Staats wegen zur Kenntnis nehmen. Sie hät-ten den Opfern eine gewisse Anerkennung zuteil werdenlassen können.
Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt.
Diesen Gesetzentwurf hätten wir gemeinsam beschlie-ßen können. Sie haben das nicht getan.Der Herr Bundespräsident hat gesagt, dass viele derMenschen, die damals Nachteile hätten erleiden müssen,erwartet hätten, nach der deutschen Einheit eine Ent-schädigung zu bekommen. Sie haben sie aber nicht be-kommen. Dasselbe hat der Herr Bundesratspräsident ge-sagt. Auch der Bundestagspräsident hat sich ähnlichausgedrückt. Die einzige, die in dieser Frage nicht han-delt, ist die Bundesregierung. Sie haben uns auf IhrerSeite, wenn Sie auf diesem Gebiet etwas machen wollen.Wir können das gemeinsam tun. Sie tun es aber nicht.Die Tatsache, dass Sie keine Zeichen nach Ost-deutschland schicken, trübt den Optimismus dort nochwesentlich weiter ein. Mittlerweile befinden wir uns aneinem Punkt, an dem wir zahlreiche Ideen, um den Ar-beitsmarkt in Ostdeutschland in Gang zu bringen, alsLuftblasen identifizieren können: Es ging los mit denBündnissen für Arbeit, die nichts wurden; dann kam dasJob-AQTIV-Gesetz, das nichts wurde; dann kamen diePersonal-Service-Agenturen, die im Grunde Menschenschneller zwischen nicht vorhandenen Arbeitsplätzenhin und her vermitteln sollten; schließlich hatte man dieIdee für das Programm „Kapital für Arbeit“, wobei hochverschuldeten Unternehmen weitere Kredite angebotenwurden. Sie haben Konzepte für Ostdeutschland vorge-schlagen, die ganz offensichtlich nicht funktionierenkonnten.Es ist selbstverständlich, dass sich die Menschen beiuns im Osten allmählich auf den Arm genommen undvon dieser Regierung in keiner Weise ernst genommenund vertreten fühlen.
Damit Sie das einmal aus Ihren eigenen Reihen hören,sage ich Ihnen, wie der Kollege Hilsberg heute in der„Freien Presse“ zitiert wird:Nach Einschätzung des ostdeutschen SPD-Poli-tikers Hilsberg werden die Probleme in den neuenLändern nicht mehr ernst genommen. So habe sichdie Bundesregierung inzwischen damit abgefunden,dass die Arbeitslosigkeit im Osten doppelt so hochsei wie im Westen.Sie sind im Augenblick dabei, die Arbeitslosigkeit da-durch weiter zu erhöhen, dass Sie durch das Mindest-lohngesetz die Mindestlöhne im Baubereich festlegenwollen. Das würde nach Auffassung der Spitzenver-bgdtmHgdhnaplgDInrdSmzfhdGmssmdAW
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Steffen Kampeter.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Der Kollege Müntefering hat sich vorhin dage-en verwahrt, dass die Sozialdemokratische Partei füras SED-Unrecht in Anspruch genommen wird. Das hatier kein Redner aus dem Bereich der CDU/CSU auchur versucht. Herr Kollege Müntefering, Sie müssen sichber schon daran erinnern lassen, dass es keine relevanteolitische Organisation in der Bundesrepublik Deutsch-and gegeben hat, die so sehr die Nähe des SED-Re-imes gesucht hat wie die Sozialdemokratische Parteieutschlands.
ch erinnere insbesondere an die Geraer Forderungenach der doppelten deutschen Staatsangehörigkeit.
Herr Müntefering, Sie waren – ähnlich wie der amtie-ende Bundespräsident – zu dieser Zeit leitend in dereutschen Sozialdemokratie tätig.
ie haben noch wenige Monate vor dem Fall der Mauerit Einheitspapieren deutlich gemacht, dass Sie im Her-en Ihrer linken Seele mehr für die deutsche Teilung alsür die deutsche Einheit eintreten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Haus-alt 2004 ist eigentlich nicht das Papier wert, auf dem erem Parlament vorgelegt worden ist. Wesentlicherundlagen, das Fundament dessen, was uns der Finanz-inister heute auch im Kanzleramtsetat vorgelegt hat,timmen nicht. Es ist schon wiederholt darauf hingewie-en worden, dass die Wachstumsprognose viel zu opti-istisch ist. Auch die Annahme der Bundesregierung,ass wir im nächsten Jahr durchschnittlich 4,4 Millionenrbeitslose haben werden, ist nach Auffassung allerirtschaftsforschungsinstitute fatal.
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Steffen KampeterDer Kollege Glos und ich sind deswegen der Auffas-sung, dass es das Anständigste wäre, überhaupt keinenCent für den Kanzleramtsetat auszugeben. Das wäre diegerechteste und vernünftigste Lösung bei einer solch fal-schen Politik.
In dieser Debatte ist bereits verschiedentlich daraufhingewiesen worden, dass der Stabilitäts- und Wachs-tumspakt kein reiner Stabilitätspakt sei; das ist richtig.Die Akzentverschiebung, die damit einhergeht, dass derBundeskanzler heute hier erklärt hat, dass man ein biss-chen weniger Stabilität und dafür mehr Wachstum habenmöchte, halte ich aber wirtschaftspolitisch für ausge-sprochen gefährlich.
Man darf die Stabilität nicht gegen das Wirtschafts-wachstum ausspielen. Ohne Stabilität wird es kein dau-erhaftes Wirtschaftswachstum in der Eurozone geben.Wie gesagt: Der Bundeskanzler hat hier und heute for-muliert, dass er ein bisschen weniger Stabilität für einbisschen mehr Wachstum haben möchte. Ich glaube,dann würden wir beides erhalten: weniger Stabilität undweniger Wachstum für Deutschland.
Die Sozialdemokraten fordern in diesem Zusammen-hang eine Wachstumsinitiative. Ich glaube, darüber wer-den wir alle hier vortrefflich streiten. Das scheint miraber ein Synonym für zusätzliche schulden- und defizit-finanzierte Aktionsprogramme zu sein, die auch dadurchnicht besser oder wirksamer werden, dass sie jetzt ge-samteuropäisch initiiert werden. Eine solche Politik hatbereits in den 70er-Jahren einen Fehlschlag erlitten. Siekostet die Bürgerinnen und Bürger der BundesrepublikDeutschland zumeist mehr, als sie ihnen nützt. Deswe-gen werden wir einen solchen defizitfinanzierten Aktio-nismus ablehnen.
Es muss vielmehr darum gehen, dass wir die ver-schütteten Quellen des Wirtschaftswachstums durchStrukturreformen wieder freilegen. Ich weise bei-spielsweise darauf hin, dass insbesondere die Struktur-reformen für neue Technologien in der BundesrepublikDeutschland bei einer niedrigen Regelungsdichte anset-zen müssen. Ich weise darauf hin, dass Strukturreformenbei eigenverantwortlich gestalteten Sozialsystemen an-setzen müssen, die Wirtschaftswachstum ermöglichen.Zudem weise ich darauf hin, dass die Strukturreformenbei einer sinkenden Staatsquote ansetzen müssen, wobeiPrivatisierung als ordnungspolitische Aufgabe und nichtso sehr vor dem Hintergrund fiskalischer Zwänge zu se-hen ist.In diesem Zusammenhang wird auch heute gelegent-lich über das Vorziehen der vierten Stufe der Steuer-reform streitig diskutiert. Jeder, der sich ein bisschenmdgwwdRhvfHzgWdPSBtMwpzsvniwavizAteÖsesdhwSuhzdt
Jetzt höre ich, dass man zur Verringerung der Schul-en mehr privatisieren will. Herr Eichel, das großerivatisierungsvermögen von Post und Telekom habenie bereits ausgegeben. Wir haben hier im Deutschenundestag beschlossen, dass wir dieses Geld für die Al-ers- und Versorgungslasten der Mitarbeiterinnen unditarbeiter in den Unternehmen Post und Telekom ver-enden. Nach dem gegenwärtigen Stand reicht das Ka-ital dafür nicht einmal aus. Jetzt also wollen Sie zumweiten Mal Post- und Telekomaktien aus Ihrem Be-tand ausgeben. Das ist unsolide und wirtschaftspolitischerwegen. Die Menschen in Deutschland werden dasicht goutieren.Der Haushalt 2004 enthält auch einige Forderungenm Zusammenhang mit dem Subventionsabbau. Wirerden uns einem soliden Vorschlag zum Subventions-bbau im Zusammenhang mit der Steuerreform nichterschließen; das ist selbstverständlich. In der Debattest deutlich gemacht worden, dass Blockade und Unionwei Dinge sind, die einander ausschließen.
ber ich will auf eine der zwei größten Steuersubven-ionierungen hinweisen, die in Ihrem Subventionsberichtnthalten sind, nämlich die Ausnahmetatbestände bei derkosteuer.Wenn Sie unter Subventionsabbau verstehen, die Öko-teuer weiter drastisch zu erhöhen, insbesondere in dennergieintensiven Bereichen, dann werden Sie selbstver-tändlich nicht auf die Zustimmung der CDU/CSU-Bun-estagsfraktion stoßen; denn hier wird eine Steuererhö-ung unter dem Titel Subventionsabbau verkauft. Wirollen den Standort Deutschland durch niedrigereteuer- und Abgabensätze stärken und nicht die energie-nd technologieintensiven Branchen vertreiben, indemier noch weiter an der Steuerschraube gedreht wird.
Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion scheint schonu Beginn der Haushaltsberatungen klar zu sein, dassas, was Herr Eichel hier vorzulegen wagt, nicht bera-ungsreif ist.
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Steffen KampeterWir raten Ihnen: Machen Sie erst einmal Ihre Arbeit undbringen Sie dann einen soliden und anständigen Etat indieses Haus ein! Erledigen Sie Ihre Gesetzgebungs-arbeit, die Grundlage Ihres Etats ist.
Legen Sie dann dem Parlament einen Etat vor, der zu-mindest den Grundanforderungen von Haushaltsklarheitund Haushaltswahrheit entspricht!
Sie haben uns für 2003 noch einen Nachtragsetatvorzulegen. Ersparen Sie uns, dass Sie jedes Jahr nachdem ordentlichen Etat zum Jahresende noch einmal ei-nen Nachtragsetat vorlegen müssen.
Ein Nachtragsetat ist das Schädlichste, was es im Be-reich der Konsolidierung geben kann. Wenn Sie amEnde eines Jahres einen Nachtragsetat vorlegen, könnenSie bei den Ausgaben überhaupt nichts mehr einsparen.Sie erhöhen vielmehr ausschließlich die Schulden. DiesePolitik führt in die Irre. Damit werden Sie bei der CDU/CSU keine Zustimmung finden. Wir wollen eine solideHaushaltspolitik und fordern die neue Vorlage Ihres Ent-wurfes für 2004.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Erika Lotz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Herr Vaatz, ich habe mich bei Ihrer Rede gefragt,warum Sie all Ihre Forderungen nicht umgesetzt haben,als Sie noch die Regierung gestellt haben.
Ich fand Ihre Rede vor dem Hintergrund der Wirkungdes Solidarpakts II nicht angemessen. Sie ist auch hin-sichtlich des Ausgleichs bei den Sozialversicherungs-systemen nicht angemessen.
Nun hat die Opposition heute hier herbe Kritik geäu-ßert. Das war nicht anders zu erwarten. Uns und sicher-lich auch der Öffentlichkeit ist aber aufgefallen, dass dieAlternativen dünn gesät waren. Auch das war nicht an-ders zu erwarten. Das ist die Wahrheit.Bundeskanzler Schröder hat zu unserer Politik heutegeäußert: Wir tun dies alles, damit diejenigen, die nachuns kommen, eine Chance haben; wir tun dies alles, da-mZBpfDnBvs1rmbULmsaSQKfeeEzwnF1rpsurrsBgsBsdMhkg
Ich erachte es im Sinne von Gerechtigkeit und Solida-ität für wichtig, dass das Ganze wirkungsgleich umge-etzt wird, auch für Abgeordnete, für Minister und füreamte. Dieses werden wir auf die Schiene bringen.
Wir haben bei der Arbeitsmarktpolitik neue Wege ein-eschlagen: Hartz-Gesetz I und II, dem folgend die Zu-ammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe.eides sind steuerfinanzierte Systeme. Vorausgegangenind Modelle wie MoZArT. Ich habe in Arbeitsämtern, inenen diese Modellversuche liefen, Gespräche geführt.ir wurde gesagt, dass Sozialhilfeempfänger geäußertätten, dass sich endlich einmal jemand richtig um sieümmere. Das ist wichtig. Es ist wichtig, dafür zu sor-en, dass Menschen aus der Sozialhilfe herauskommen
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5036 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Erika Lotzund existenzsichernde Arbeit haben. Das ist das Ziel unddas werden wir auch erreichen.
Herr Glos hat genau dieses Projekt heute Morgen be-mäkelt. Ich stelle mir wirklich die Frage, warum es nichtfrüher angepackt wurde, wenn man dazu Gedankenhatte. Ich denke, man kommt erst hinter das eine oderandere, wenn man auf den Oppositionsbänken sitzt.Demographische Veränderungen machen ein Umden-ken notwendig. Ich halte es auch für nötig, dass sich inder Gesellschaft, in erster Linie aber in den Personal-abteilungen der Unternehmen die Einstellung zumAlter ändert. In 60 Prozent der Unternehmen wird nie-mand mehr über 50 Jahre beschäftigt. Es sind doch ge-rade die Unternehmer, die die hohen Lohnnebenkostenbeklagen. Sie haben aber sehr viel zu dem Anstieg derFrühverrentung beigetragen und damit auch die Misereder Sozialkassen mit verursacht. Deshalb müssen auchsie sich der Verantwortung stellen und ihre Mentalitätändern.Als frisch gebackene 60-Jährige stelle ich fest: Mit60 ist man für die Parkbank zu schade. Denn man kannnoch sehr viel bewegen – in der Politik, aber vor allenDingen auch in den Unternehmen.
Unsere Gesellschaft wird älter. Das Durchschnitts-alter der Beschäftigten bleibt konstant. Auch hierbeimuss sich etwas bewegen. Wir stellen uns unserer Ver-antwortung bei der Krankenversicherung und der Ren-tenversicherung. Mit der zusätzlich geförderten Riester-Rente haben wir bereits den Weg eingeschlagen, um denLebensstandard im Alter zu sichern.Wir haben auch Verbesserungen für Mütter erreicht.Wir haben von dieser Reform erwartet, dass sie sichauch in neuen Arbeitsplätzen niederschlägt; aber dieserFaktor allein war dafür nicht entscheidend. Neue Ar-beitsplätze sind nicht in dem Maße entstanden, wie wires uns erhofft hatten. Das hat auch Auswirkungen aufdie Einnahmen in der Rentenversicherung. Dabei müs-sen wir zudem den Doppeltrend von Geburtenlücke undAlterung berücksichtigen. Entsprechende Vorschläge,die bereits vorliegen, müssen wir beraten. Veränderun-gen sind notwendig. Ich denke, daran führt kein Wegvorbei.Ich meine aber auch, dass wir keinen Zweifel daranaufkommen lassen dürfen, dass Solidarität nach wie vorgilt, Herr Gerhardt. Solidarität heißt für mich, dass dieJungen für die Alten und Gesunde für Kranke einstehenund dass starke Schultern mehr tragen als schwache. Ichfinde, eine Diskussion, in der infrage gestellt wird, dassjemand medizinisch notwendige Leistungen bekommt,weil er ein gewisses Alter erreicht hat, ist schädlich fürdie Gesellschaft insgesamt.
bÄvbdskäwGdDAAtssOGahdndrgDgsgWgtVnliT„BPc
Liebe Frau Kollegin Lotz, nachdem Sie in Ihrer Rede
arauf hingewiesen haben und ich in den Unterlagen ge-
ade gesehen habe, dass Sie gestern Ihren 60. Geburtstag
efeiert haben, möchte ich Ihnen dazu noch gratulieren.
afür ist es ja nicht zu spät.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bernhard Kaster.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-en! „Deutschland bewegt sich“ – wieder einmal ist un-er Land durch eine von unzähligen Plakat- und Anzei-enkampagnen der Bundesregierung zugeklebt worden.as Ankündigungen von Bundeskanzler und Bundesre-ierung wert sind, hat in diesem Jahr die mit großem Ge-öse angekündigte Hauruckrede vom 14. März gezeigt.
on da an bewegte sich bis zum Sommer nämlich garichts mehr. Zum nicht beratungsfähigen Haushalt 2004egen nunmehr Haushaltsbegleitgesetze vor, für derenhemen bereits sehr viel Zeit verloren ging. Aber:Deutschland muss sich ja bewegen.“ Deshalb konnte dieundesregierung es wieder nicht lassen, sich vor derolitik und vor den Inhalten erst einmal um die Verpa-kung zu kümmern. Seit August dieses Jahres hat die Re-
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Bernhard Kastergierung Deutschland mit 82 Busplakatierungen, 642 sogenannten Mega-light-Plakaten und 17 435 Großflächen-plakaten überzogen.
„Wieder Arbeit“, „Später eine Rente“ oder „Mehr Jobs“,das sind die plakativen Sprüche, die im drastischenWiderspruch zur Realität in Deutschland stehen.
Sie mögen sagen, Wirtschaftspolitik sei immer auchPsychologie. Aber die besten Motivationskünstler, einenoch so gute PR-Arbeit und inszenierte Medienauftrittekönnen keine Inhalte ersetzen. Herr Bundeskanzler, Po-litik kann auf Dauer nicht durch PR-Arbeit ersetzt wer-den. Politik gehört hier in den Bundestag, nicht auf Lit-faßsäulen, in Kinos und in Anzeigen.2004 soll die PR-Arbeit aber noch gesteigert und aufdie absolute Spitze getrieben werden. Nach dem vorlie-genden Haushaltsentwurf steigen alleine die Mittel fürÖffentlichkeitsarbeit, die unsere Minister unmittelbarzur Verfügung haben, um 20 Prozent.
Insgesamt gibt die Bundesregierung nächstes Jahr fast100 Millionen Euro für Werbung aus.
Die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit des Bundespres-seamtes sollen um 10,4 Prozent, für die des Gesund-heitsministeriums um 26,5 Prozent und für die desFinanzministeriums sogar um 120,5 Prozent steigen.Das ist im letzten Fall mehr als eine Verdoppelung.
Aber damit nicht genug: Die Haushaltsansätze werdenvon der Bundesregierung auch noch verschleiert und aufunzählige Haushaltstitel verteilt.
Millionenbeträge werden zum Beispiel im Umweltmi-nisterium für Broschüren oder für so aussagekräftigeHaushaltstitel wie „Kommunikative Begleitung undEvaluation wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Vor-haben“ veranschlagt.
Dahinter verbirgt sich nichts anderes als eine15 Millionen Euro teure Werbekampagne für das alsFlop bezeichnete Hartz-Konzept.Angesichts der Veranschlagung von über 100 Millio-nen Euro für PR-Zwecke quer durch den Haushalt mussdie Frage nach Bedeutung und Rolle des Presse- undIgDADhdkürgvwIVFbzdvumsninutevMgsteDamse
ie Aufgabe des BPA ist eigentlich die Koordination derußendarstellung von Ministerien und Kanzleramt.och unter Leitung von Staatssekretär Bela Anda be-errschte das BPA in den vergangenen Monaten selbstie Schlagzeilen und wurde zur Mitteilung. Es gab fasteine Zeitung und Zeitschrift, die in diesem Jahr nichtber Skandale rund um oder im Bundespresseamt be-ichtet hat.Ich erinnere daran: Der Bundesrechnungshof stellteleich mehrfach eklatante Rechtsverstöße bei Auftrags-ergaben im BPA fest. Die Staatsanwaltschaft ermittelteegen dubioser Vorgänge um verschwundene Disketten.mmer wieder gibt es gravierende Verstöße gegen dasergaberecht. Erst das Bundeskartellamt konnte imrühjahr das von Staatssekretär Anda willkürlich abge-rochene Vergabeverfahren wieder in Gang setzen.
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Ich habe in-wischen eine Loseblattsammlung angelegt, die manemnächst binden lassen könnte. Seit dem Amtsantritton Herrn Anda herrschen beispiellose Rechtsverstößend Chaos im Bundespresseamt.
Vor allen Dingen ist aber auch die Selbstversorgungs-entalität ohne Beispiel. Sie hat mittlerweile einen Was-erkopf im BPA geschaffen, mit dem kaum noch ein Mi-isterium mithalten kann. Im Bundespresseamt gibt eszwischen einen Chef, einen stellvertretenden Sprechernd stellvertretenden Leiter, einen zweiten stellvertre-nden Sprecher, einen Chef vom Dienst und einen stell-ertretenden Chef.
öge auch der eine oder andere Posten seine Berechti-ung haben, so muss man sich doch fragen, was bei-pielsweise den stellvertretenden Leiter vom stellvertre-nden Chef unterscheidet.
as ist eine Frage, die sich inzwischen auch die Mit-rbeiter stellen und die bei uns die Befürchtung aufkom-en lässt, nach dem stellvertretenden Leiter und demtellvertretenden Chef könnte demnächst noch die Stelleines stellvertretenden Bosses geschaffen werden.
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5038 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Eine überzogene Öffentlichkeitsarbeit darf und kannnicht die Hauptaufgabe von Bundeskanzleramt und Bun-despresseamt sein. Laut Art. 65 des Grundgesetzes be-stimmt der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik undträgt dafür die Verantwortung. Zu dieser Verantwortungmuss es gehören, bei einem seit Jahren sichtlich überfor-derten Finanzminister hart einzugreifen, sprich: den Fi-nanzminister zu entlassen, weil er – bei einer Bundes-verschuldung von 800 Milliarden Euro und einemgesamtstaatlichen Defizit von 1,3 Billionen Euro – mitt-lerweile im dritten Jahr in Folge verfassungswidrig dieVerschuldung in zweistelliger Milliardenhöhe hoch-treibt.Der Gipfel ist: Bereits der Entwurf des Haushalts für2004 weist – das gab es in dieser Form noch nie – eineverfassungswidrige Höchstverschuldung aus.
Eine gesamtstaatliche Neuverschuldung aller Ebenenvon 80 bis 90 Milliarden Euro in diesem Jahr ist unserenBürgern überhaupt nicht mehr vermittelbar. Herr Bun-deskanzler, angesichts dieser Verschuldung, dieses Hin-treibens zum Staatsbankrott müssen wir unsere Kindervor diesem Finanzminister schützen.Ich möchte eine Schlussbemerkung machen. Vor kur-zem wurde die Drohung ausgesprochen, der Bundes-kanzler und sein Außenminister träten 2006 noch einmalan.
Ich will in diesem Zusammenhang auf die Kinderseitender Homepage des Bundeskanzlers verweisen, die denTitel „Kanzler für Kids“ tragen. Dort wird für die Kinderin unserem Land erklärt:Der Kanzler ist ein Repräsentant. Deshalb ist esganz gut, dass ein Bundeskanzler nicht sein ganzesLeben Bundeskanzler ist, sondern nur ein paarJahre.
Herr Bundeskanzler, ein paar Jahre sind 2006 mit Si-cherheit vorbei. Was man den Kindern verspricht, dassollte man auch halten.Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
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Lassen Sie mich zunächst auf Europa zu sprechenommen. Es ist völlig klar – wir können das auch an denktuellen Krisen sehen; die ganze Debatte heute Mor-en, in der es um die wirtschaftliche Erneuerung ging,at das gezeigt –, dass selbst die größten Staaten unseresontinents – die Bundesrepublik Deutschland, Frank-eich, Großbritannien, Italien, Polen, Spanien, um nurie sechs größten zu nehmen – ohne den europäischeninigungsprozess, ohne die feste Einbindung in Europaohlstand, Sicherheit, Bildung und Ausbildung, sozialeicherheit und nachhaltige Entwicklung nicht mehr ga-antieren könnten. Im Klartext: Unter den Bedingungenes 21. Jahrhunderts werden auch die größten Mitglied-taaten nicht mehr die kritische Betriebsgröße haben.enn der europäische Einigungsprozess nicht zustandeäme, würden wir alle gemeinsam verlieren.
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Bundesminister Joseph FischerEuropa steht jetzt vor der Erweiterung. Die Erweite-rung bedeutet, dass wir 25 Mitgliedstaaten bekommen.Vielen Menschen, auch bei uns im Land, stellt sich dieFrage – ich möchte nochmals darauf zurückgreifen –:Warum diese Erweiterung?Nicht nur unter dem Gesichtspunkt von Stabilität,von Frieden und Sicherheit hat sich unsere Lage nachder deutschen Einheit durch den europäischen Eini-gungsprozess dramatisch zum Positiven verändert.Deutschland liegt heute inmitten eines zusammenwach-senden Europas – eine historisch völlig andere Situation,als wir sie in den vergangenen Jahren, Jahrzehnten, jaJahrhunderten gehabt haben. Gleichzeitig bedeutet eseine enorme wirtschaftliche wie auch politische Chance,dass sich dieses Europa erweitert. Es ist auch eine derVerpflichtungen, die sich aus dem Ende des Kalten Krie-ges und der Erfahrung der Spaltung Europas ergeben.Ich möchte noch auf etwas anderes hinweisen. Wirmussten auch erkennen, dass dieses Europa nicht zweiunterschiedlichen Prinzipien folgen kann, dass dasEuropa der Integration nicht mit dem Europa des Natio-nalismus koexistieren kann. Es war dies Anfang der90er-Jahre – auf dem Balkan – eine schlimme Lektion,die viele unschuldige Menschen das Leben gekostet hat,die die Europäer, wir alle gemeinsam, zu lernen hatten.Es war dringend notwendig, zu erkennen, dass diesemMorden nicht weiter zugeschaut werden konnte. Dasswir heute auch für den westlichen Balkan die Perspek-tive hin zum Europa der Integration haben, ist für unsereSicherheit ebenfalls von zentraler Bedeutung.Damit dieses Europa der 25 und mehr Mitgliedstaatenfunktioniert, damit die Erweiterung erfolgreich sein kann,sind drei Schritte notwendig, die nicht in einer formellenVerbindung, aber in einem politischen Zusammenhangstehen. Nach der Erweiterung ist der zweite Schritt diegrundlegende Reform der europäischen Institutionen.Ursprünglich waren die europäischen Institutionen fürsechs Mitgliedstaaten, später für zwölf Mitgliedstaatengedacht und jetzt sind sie für 15 Mitgliedstaaten da.Schon mit 15 ist es sehr, sehr schwierig. Es wird aberextrem schwierig, wenn nicht fast unmöglich, sich eineeffiziente, eine transparente und eine im Interesse derMenschen und der Mitgliedstaaten wirkungsvolle Euro-päische Union mit 25 und mehr Mitgliedstaaten ohne einegrundsätzliche Reform und ohne eine Erneuerung derDemokratie in diesem erweiterten Europa zu denken.
Darin liegt die eigentliche Leistung des Konvents.Ich möchte das aufnehmen, was der Bundeskanzlerheute Morgen gesagt hat. Zugleich weiß ich nicht, wassich der bayerische Ministerpräsident eigentlich vor-stellt. Es lehrt uns doch die Erfahrung – das sage ich auseigener Anschauung, aber auch Sie haben diese Erfah-rung während der Regierungszeit Kohls häufig genuggemacht –, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Staatenbei der anstehenden Regierungskonferenz etwas Besse-res produzieren, aufgrund der jeweils legitimen nationa-len Interessen sehr gering ist. Sollte es tatsächlich Kon-swVwbddtsUnfedwevkzgthsddsnAslkMvhtzabnuDeTwsdsaRbzuv
Hätten Sie mich vor dem 11. September 2001 gefragt,ätte ich Ihnen drei Punkte genannt, die den europäi-chen Einigungsprozess dynamisieren: die Erweiterung,er Druck, der sich durch die Einführung des Euro fürie weitere Integration ergibt, und internationale Krisen-ituationen. Heute stehen die internationalen Kriseneben der Erweiterung fast an der Spitze der Agenda.uch hier müssen wir sehen, dass die Europäer insge-amt in der Frage des Kampfes gegen den internationa-en Terrorismus gefordert sind. Es war für uns völliglar, dass wir nach dem mörderischen Angriff auf dieenschen und die Regierung der Vereinigten Staatenon Amerika das Äußerste unternehmen müssen – dasaben wir dann ja auch unternommen –, um unseren An-eil im Kampf gegen den Terrorismus zu leisten, undwar nicht nur aus Bündnisverpflichtungen, sondernuch aus der Erkenntnis, dass sich dieser Terrorismus,asierend auf einem neuen islamischen Totalitarismus,icht nur gegen die Vereinigten Staaten von Amerikand ihre Menschen richtet, sondern auch gegen uns.eswegen müssen wir hier gemeinsam dieser Gefahrntgegentreten und dort, wo es notwendig ist, diesemerrorismus auch mit bewaffneten Mitteln das Hand-erk legen und seine Strukturen zerstören.
Für uns war aber auch immer klar, dass es damit nichtein Bewenden haben darf. Wenn wir den Kampf gegenen Terrorismus ernst nehmen, müssen wir auch die Ur-achen entsprechend bekämpfen und dort, wo er Kraftus unhaltbaren Zuständen zieht und seine territorialeückzugsbasis findet, so lange stabilisierend eingreifen,is solche Bedingungen hergestellt sind, dass die Wur-eln des Terrorismus im Boden keinen Halt mehr findennd die vorhandenen entweder ausgerissen werden oderertrocknen.
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5040 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Bundesminister Joseph FischerDer Afghanistan-Konflikt war lange Zeit ein verges-sener Konflikt. Er war eine Sache für humanitäre Orga-nisationen, für die Vereinten Nationen und für die Refe-rate für humanitäre Hilfe in den zuständigen Ministerien,stellte zugleich aber auch eine große menschliche Kata-strophe vor allen Dingen für die Kinder, die Krankenund die Alten im Winter, eines jeden Jahres dar. DieserKonflikt war ebenso vergessen, wie andere Konfliktevergessen wurden. Exakt aus solch einem vergessenenKonflikt entstand am 11. September eine Gefahr für dieinternationale Stabilität und Ordnung. Daraus müssenwir die Konsequenz ziehen, dass solche Konflikte nichtmehr dem Vergessen anheim fallen dürfen. Genau darausergibt sich der Stabilisierungsauftrag.
In der heutigen Welt haben wir es mit drei Ebenen zutun: Auf der untersten Ebene der vergessenen Konfliktestehen Staaten mit zusammengebrochenen Strukturen.Auf der zweiten Ebene stehen die Konflikte, wo regio-nale Akteure agieren: Der Nahostkonflikt ist dabei einerder gefährlichsten, aber auch der Kaschmirkonflikt unddie Konflikte im nördlichen und südlichen Kaukasus undan vielen anderen Stellen der Welt, insbesondere inAfrika, zählen dazu.Die oberste Ebene sind die großen Mächte und ihreBündnisse. Wir Europäer werden uns, wenn wir unsereSicherheit und die Sicherheit unserer Kinder ernst neh-men, engagieren müssen, vor allen Dingen in unseremstrategischen Umfeld. Wir dürfen nicht einen neuen To-talitarismus zulassen. Deswegen sind wir in Afghanis-tan. In Afghanistan sein bedeutet, dass wir umsetzenmüssen, was Brahimi gelungen ist, nämlich einen Kon-sens herbeizuführen und ihn in den Petersberg-Vereinba-rungen entsprechend auszuformulieren.Dazu wird auch gehören, dass wir jetzt über Kabul hi-naus Anstrengungen unternehmen. Das heißt im Klar-text, dass wir sehr sorgfältig prüfen, wie weit wir uns be-teiligen können, nachdem die NATO dort die Führungdes ISAF-Einsatzes übernommen hat, wie weit wir unsin dem vor uns liegenden Jahr, in dem es in RichtungWahlen geht – vorher gibt es noch die verfassungsge-bende Loya Jirga –, über Kabul hinaus mit einer sogenannten ISAF-Insel oder mit einem Rekonstruktions-team auf Provinzebene verstärkt engagieren können.Kollege Schäuble, ich habe nicht ganz verstanden,was ich gestern in der „FAZ“ gelesen habe. Sie sagten,die Begründung für den Einsatz in Kunduz sei falsch.Ich habe es zweimal gelesen und immer noch nicht ver-standen. Das mag ja an mir liegen.
Aber ich will Ihnen sagen, warum die Entscheidung fürKunduz richtig ist. Sie haben gesagt: Herat und nichtKunduz. Da Sie gestern nicht im Ausschuss waren,möchte ich hier die Gelegenheit nutzen.
–wgIboeuliuJueletitiaRbwaomuGsdzlaBnggAefskstsg–lmuWvsn
Lassen Sie mich zwei weitere Punkte ansprechen:uf den Irak ist der Bundeskanzler heute Morgen schoningegangen. Ich möchte die Debatte nicht rückblickendühren, weil wir den Frieden gemeinsam gewinnen müs-en. Nur nützt es nichts, jetzt wieder eine militärisch ver-ürzte Debatte zu führen. Uns wurde offensichtlich – ichage das in Richtung der Opposition – lange vorgehal-en, für uns seien wesentlich wahltaktische Gründe aus-chlaggebend gewesen. Ich habe Ihnen immer wiederesagt: Es waren nicht wesentlich wahltaktische Gründe.
Ich will Ihnen einmal etwas sagen. Ich finde es völligegitim – das würde ich Ihnen nie vorwerfen –, dass de-okratische Parteien selbstverständlich Wahlterminend die Frage nach Mehrheit oder nicht Mehrheit inahlen als ein ganz wesentliches Datum ihrer Politikeranschlagen. Das geschieht nicht nur bei uns, das ge-chieht, Gott sei Dank, auch bei Ihnen so. Das geschiehticht nur hier so, das geschieht auch bei europäischen
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 5041
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Bundesminister Joseph Fischerund amerikanischen Partnerstaaten so. Das ist völligklar.
– Was heißt hier „instrumentalisieren“?
– Haben Sie sich einmal überlegt, wo wir heute wären,wenn wir Ihrem Ratschluss gefolgt wären? Ich habe Ih-nen schon im Februar letzten Jahres gesagt, welchePunkte für uns die wesentlichen waren: erstens, Be-kämpfung des Terrorismus. Wurden bei dieser Entschei-dung im Kampf gegen den Terrorismus wirklich dierichtigen Prioritäten gesetzt? Würde ein Krieg im Irak zudiesem Zeitpunkt den Terrorismus eher stärken oderschwächen? Das war eine ganz entscheidende Frage, mitder wir nicht irgendetwas instrumentalisieren wollten,sondern die mehr als legitim war, wie wir jetzt sehen.
Der zweite Punkt betraf die regionale Stabilität. Wiesehen die Konsequenzen aus?Die dritte Frage, die wir immer gestellt haben, lautete:Sind die Gründe belastbar? In Demokratien sind dieGründe ganz entscheidend für die Unterstützung durchdie Mehrheit der Bevölkerung, also für die Durchhalte-fähigkeit, vor allem wenn es schwierig wird. UnsereSorge war immer, dass dies zu einer Entwicklung bei-trägt, die die Region alles andere als stabilisiert. Bedeu-tet es instrumentalisieren, wenn wir das immer wiedergesagt haben? Oder waren das nicht, vor allem im Nach-hinein im Lichte der bitteren Erfahrungen, zwingendeGründe?
Ich führe einen weiteren Punkt an, mit dem wir, wieich befürchte, ebenfalls zu tun bekommen werden, näm-lich die Frage der territorialen Integrität des Iraks. Auchdas ist bezüglich der Konsequenzen für die regionaleStabilität keine unwichtige Frage.Auf diesen Gründen haben wir unsere Position aufge-baut. Ich finde, das sind sehr gute und zwingendeGründe.Nun möchte ich nicht über die Haltung der Uniondiesbezüglich diskutieren; es geht nicht darum, zurück-zublicken. Aber Sie sollten zumindest für die Zukunftaus diesen Erfahrungen lernen. Aus meiner Sicht wird esentscheidend darauf ankommen, ob die Anwesenheitfremder Truppen im Irak von der Bevölkerung eher alsBesatzung oder als Befreiung empfunden wird. Das istdie politische Grundfrage.
Das heißt, es geht nicht hauptsächlich um die Frage,ob weitere Truppen in den Irak geschickt werden sollten,usFwnnnedbteMVrrwdzimmDzKSegdtesFagzmtrshrftuSd
orher muss es einen Übergangszeitraum geben. Der di-ekte Abzug der Truppen würde zu einem Vakuum füh-en, das hochgefährlich wäre – milde ausgedrückt.Wir sind der Meinung, dass die Vereinten Nationenährend dieses Übergangszeitraums – Kofi Annan hatas gestern dankenswerterweise öffentlich gesagt – dieentrale Rolle spielen sollten. Das halte ich aufgrund der Vordergrund stehenden Befreiung und der Transfor-ation zu einer irakischen Souveränität für sehr wichtig.arin besteht übrigens einer der zentralen Unterschiedeum Prozess in Afghanistan. Dort ist es gelungen, einenonsens zu erreichen, der zwar fragil ist und enormechwierigkeiten birgt, aber immerhin existiert. Es gibtinen politischen Prozess der Wiedererlangung der af-hanischen Souveränität und das ist von ganz entschei-ender Bedeutung.Ich halte es ferner für dringend geboten, die modera-n arabischen und islamischen Staaten einzubeziehen,owohl in der Frage des Wiederaufbaus als auch in derrage der Sicherheit.
Des Weiteren sind wir bereit zur aktiven Beteiligungn der humanitären Hilfe, wie es der Bundeskanzleresagt hat, und zum Wiederaufbau. Wir sind bereit, unsu engagieren, wenn die Bedingungen klar sind. Dabeiüssen allerdings Transparenz und internationale Kon-olle herrschen. Das ist für uns ein wesentlicher Ge-ichtspunkt.
Ich sehe mit großer Sorge, dass gleichzeitig im Na-en Osten eine dramatische Eskalation droht. Der Ter-or muss ein Ende haben. Das Existenzrecht Israels istür uns als Bundesregierung von entscheidender Bedeu-ng.
eine Menschen müssen in Frieden leben können. Damitas möglich wird, werden auch die Palästinenser eine
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5042 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Bundesminister Joseph FischerPerspektive brauchen. Sie brauchen einen eigenen de-mokratischen Staat, eine eigene Zukunft.
Deswegen wird es am Ende nicht anders gehen als miteinem solchen Kompromiss. Ich möchte daher an dieKonfliktparteien appellieren, vor allem an die palästi-nensische Seite, alles zu tun, um den Terror zu unterbin-den, ihn zu beenden. Gleichzeitig appelliere ich auch andie andere Seite, alles zu tun, um eine Rückkehr zumVerhandlungstisch zu ermöglichen.
Gerade diese Krisen machen klar, wie wichtig dietransatlantischen Beziehungen sind.
– Ich will es Ihnen gerne sagen. Wenn wir Ihrem Rat ge-folgt wären, dann würden wir uns heute in einer Situa-tion befinden, in der andere Staats- und Regierungschefssind. Ich wollte diese Debatte nicht anfangen. Aber ichhabe die Zitate alle da, auch von Ihnen, Verehrter. Ichhabe alle Zitate zu dem da, was Sie vorgeschlagen ha-ben. Ich bin einmal gespannt, was Sie dazu sagen. Ichkann nur sagen: Es würde Ihnen gut anstehen, sich andem Punkt etwas zurückzuhalten.
– Das will ich Ihnen sagen. Herr Pflüger, ich werde IhrenAuftritt in München nicht vergessen. Das sollte man sichnoch einmal anschauen.
Offensichtlich drängen Sie das alles weg.Für mich ist von entscheidender Bedeutung: Dietransatlantischen Beziehungen sind ein Eckpfeiler fürFrieden und Stabilität. Das heißt, dass wir uns als Partnerbegegnen müssen.
Das heißt aber auch, dass wir den neuen Bedingungen,den neuen Herausforderungen und den neuen GefahrenRechnung tragen müssen. Für unsere Freunde in denVereinigten Staaten heißt das: Ein zusammenwachsen-des Europa löst einerseits Sorgen aus, bringt aber, wiewir auf dem Balkan gesehen haben, auch Partnerschafts-gewinn mit sich. Mit diesem dynamischen Faktormüssen wir umgehen. Daher brauchen wir eine neuestrategische Debatte, eine Grundsatzdebatte im trans-atlantischen Verhältnis.
Wenn dies partnerschaftlich und auf der Grundlage ge-meinsamer Interessen und gemeinsamer Werte geschieht,dann, denke ich, werden wir einen wichtigen Beitrag zueinem effektiven Multilateralismus leisten, einem Multi-lawuSEadwdnvStlnPmdhdmSSdtBdZdhhdsnuwze
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang
chäuble.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!rklärungen von Außenministern haben es gelegentlichn sich, dass sie so allgemein und rundgeschliffen sind,ass sie noch nicht einmal falsch sind. Das war jetzt ineiten Teilen auch so, Herr Bundesaußenminister. Aberas, was Sie zum Schluss zum transatlantischen Verhält-is gesagt haben, hat die Union ziemlich genau so schonor einem Jahr gesagt.
ie haben damals aus Wahlkampfgründen das transatlan-ische Verhältnis und die europäische Einigung mutwil-ig und nachhaltig beschädigt.
Darüber hinaus ist das, was Sie gesagt haben, in sei-er Allgemeinheit mit den konkreten Widersprüchen derolitik der Bundesregierung schwer in Übereinstim-ung zu bringen, was man übrigens schon an Folgen-em merkt – das nur als Beispiel aus der Debatte voneute Morgen –: Zu ein und demselben Gespräch, abge-ruckt in einer großen deutschen Tageszeitung, für dasich der Bundeskanzler heute Morgen gelobt hat, habenie jetzt gesagt, Sie hätten es nicht verstanden. Könnenie sich nicht wenigstens darauf verständigen, wie Sieie wenigen Sätze, die da von mir zitiert waren, interpre-ieren? Das ist aber nicht so wichtig.Frau Merkel hat in der Debatte heute Vormittag demundeskanzler und der Bundesregierung vorgeworfen,ie Politik der Bundesregierung ermangele eines klareniels und einer klaren Grundausrichtung. Das ist auch iner praktischen Ausgestaltung Ihrer Außen-, Sicher-eits- und Europapolitik der Fall.Ich will das am Beispiel Afghanistan erläutern. Sieaben gesagt, Sie hätten unsere Haltung nicht verstan-en. Unsere Position ist völlig klar. Wir teilen die Ein-chätzung, dass es nicht nur unsere amerikanischen Part-er, sondern uns alle betrifft – auch der Bundeskanzlernd Sie haben das heute glücklicherweise gesagt –,enn es in Afghanistan oder im Irak schief geht. Wir sit-en in einem Boot; wir sind in dieser globalisierten Weltine Schicksalsgemeinschaft im Kampf gegen den inter-
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Dr. Wolfgang Schäublenationalen Terrorismus und gegen Instabilitäten. DieEntwicklung in Afghanistan, im Irak und im Nahen undMittleren Osten berührt nicht nur amerikanische Interes-sen, sondern auch unsere. Deswegen haben wir ein ge-meinsames Interesse, dass das Engagement in diesenRegionen erfolgreich ist.
Die Entwicklung in Afghanistan ist so, wie Sie sie be-schrieben haben. Wir haben folgende Alternative – derVerteidigungsminister hat es vor einiger Zeit gesagt –:Entweder wir erweitern unser Engagement über Kabulhinaus und schaffen auch an anderen Orten Stabilitätoder wir beschränken uns ausschließlich auf Kabul.Aber das macht auf Dauer gesehen keinen Sinn, weilvon einer „Insel“ keine positive Entwicklung ausgehenkann.Herr Bundesaußenminister, Sie haben noch nicht er-klärt – auch heute nicht –, was sich eigentlich geänderthat. Ich erinnere mich genau, dass der deutsche Außen-minister anlässlich der Petersberg-II-Konferenz im De-zember vergangenen Jahres erklärt hat, eine Ausweitungvon ISAF über Kabul hinaus komme nicht infrage.
– Ich war gestern in Paris, wo ich mit Ihrem französi-schen Kollegen gesprochen habe. Die deutsche Bot-schaft war auch vertreten. Sie werden sicherlich ihrenBericht bekommen. Fragen Sie doch einmal Ihren fran-zösischen Kollegen, was er von Ihrer Politik in Afgha-nistan hält. Ich darf Ihnen sagen – ich sage es ganz vor-sichtig; ich komme gleich noch darauf zurück –:ziemlich wenig. Das wird auch in dem Bericht der Bot-schaft über dieses Gespräch stehen.Ich möchte Ihnen nun die Widersprüche aufzeigen.Sie müssen sagen, was sich in der Zwischenzeit geänderthat. Geändert hat sich die Einschätzung – wahrschein-lich richtigerweise –, was das Verhältnis der Zentralre-gierung in Kabul, der Übergangsregierung Karzai, zuden regionalen Machthabern betrifft. Sie wollen sich vorder Antwort auf die Frage drücken, wie sich Ihre Ein-schätzung geändert hat. Sie stoßen dann nämlich schnellauf Fragen bezüglich des Drogenanbaus und auf dieFrage, wie das Verhältnis dieser regionalen Machthaberzum internationalen Terrorismus ist.
Warum müssen wir eigentlich ausgerechnet in derje-nigen Provinz, in der der starke Mann im KabinettKarzai das Sagen hat – er unterhält eine Privatarmee ineinem beträchtlichen Umfang –, die Autorität der Regie-rung Karzai stärken? Das sind Widersprüche, die Sie unserklären müssen. Sie müssen das nicht nur uns – derBundestag muss diesem Einsatz zustimmen –, sondernauch den Soldaten der Bundeswehr erklären, denen wirgemeinsam diese gefährlichen Einsätze zumuten. Das istdoch der Punkt.
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wärtigen Ausschuss diskutiert! Das war dochalles völlig eindeutig! – Gegenruf von derCDU/CSU: Wie soll man das denn machen?Wir waren doch im Plenum des Bundestages!Haben Sie das nicht kapiert?)Sie legen doch die Unterlagen nicht vor. Sie habenns noch nicht einmal den Bericht des zuständigen Bun-eswehrgenerals vorgelegt. Ich habe ihn trotz Anforde-ung vom Verteidigungsministerium nicht bekommen.ie haben mehr zu verbergen, als Sie offenbaren wollen.enn wir diese Entscheidung treffen wollen, brauchenir Klarheit. Das Konzept muss stimmig sein. Reden Sieicht an der Sache vorbei!
Wir stimmen darin überein, dass sich deutscheußenpolitik im Wesentlichen im europäischen Verbundollziehen muss. Für die europäische Außen- undicherheitspolitik ist die Beziehung zu unserem atlanti-chen Partner der entscheidende Punkt. Wir müssen unsesser verständigen, als es im vergangenen Jahr der Fallewesen ist. Die atlantische Partnerschaft wurde mutwil-ig beschädigt. Die Fehler sind auf beiden Seiten undicht nur auf einer Seite gemacht worden. Das haben wirmmer gesagt.
Herr Kollege Schäuble, gestatten Sie eine Zwischen-
rage des Abgeordneten Struck?
Bitte sehr.
Herr Kollege Schäuble, Sie haben gerade ange-prochen, die Bundesregierung habe nicht über die
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5044 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Dr. Peter StruckErgebnisse des Fact Finding Teams in Bezug auf Herat,Charikar und zuletzt Kunduz berichtet.
Über Kunduz schon.
Gut, dann eben nur über die ersten beiden Orte nicht.
Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, Herr Kol-
lege Schäuble, dass die Bundesregierung über beide
Missionen, also über die in Bezug auf Herat und die in
Bezug auf Charikar, berichtet hat, und zwar der Außen-
minister im Auswärtigen Ausschuss und ich den Obleu-
ten des Verteidigungsausschusses – in Sondersitzun-
gen –, und dass wir in dem Afghanistanpapier, das wir
den Fraktionen zugeleitet haben, die Gesamtsituation in
dieser Region dargestellt haben?
Herr Kollege Schäuble, ich möchte Sie bitten, den
Vorwurf, wir hätten nicht ausführlich informiert, im Hin-
blick auf die Informationen, die wir in den Fachaus-
schüssen gegeben haben, zurückzunehmen.
Wenn das gestern gewesen ist, so entzieht sich das
meiner Kenntnis.
– Vor der Sommerpause konnten Sie nicht über das Er-
gebnis der Herat-Mission berichten. Die hat nämlich erst
im Sommer stattgefunden.
Verdrehen Sie die Dinge nicht!
In der Unterrichtung, die die Bundesregierung den
Vorsitzenden der Fraktionen gegeben hat und an der
Frau Merkel und Herr Glos für unsere Fraktion teilge-
nommen haben, ist nicht über Herat, sondern nur über
Kunduz berichtet worden.
Sie können äußerstenfalls sagen, Sie hätten gestern darü-
ber unterrichtet. Ich bin heute Morgen aus Paris zurück-
gekommen und weiß nicht, was gestern gewesen ist. Da
war ich nicht anwesend.
Mein Kenntnisstand ist: In der Unterrichtung der
Fraktionsvorsitzenden über Kunduz haben Sie nicht über
Herat berichtet. Ich vermute, Sie haben dafür Gründe.
Denn es war bemerkenswert, dass an dem Tag, an dem
Sie gesagt haben, die Mission in Kunduz könne man
durchführen, weil es dort hinreichend sicher sei, sodass
man diese Mission den Soldaten der Bundeswehr zumu-
ten könne, während man die Bundeswehr nicht nach He-
rat schicken könne, die Entwicklungshilfeministerin hat
streuen lassen, nach Herat könne man eine zivile Mis-
sion ohne militärische Absicherung schicken. Das mag
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– Machen Sie doch hier kein Ablenkungsmanöver!
Frau Präsidentin, ich würde jetzt gerne die Agentur-meldung vom 10. September vorlesen:
Für die Entsendung eines Organisationsvorauskom-mandos unter einem noch weitgehend auf Kabulbeschränkten Bundestagsmandat wolle der Ministerin den nächsten Tagen– also nicht gestern –alle Fraktionschefs um Zustimmung bitten, schreibtdas Blatt. Mit dem Marschbefehl für ein Voraus-kommando ohne Abstimmung im Bundestags-plenum definiere Struck die bisherige Parlaments-praxis im Interesse einer raschen Ausweitung desAfghanistan-Einsatzes um.Ich sage Ihnen: Ich glaube nicht, dass Sie die Zustim-mung der CDU/CSU-Fraktion bekommen werden.
– Weil Sie damit vollendete Tatsachen schaffen. – Zuerstmüssen die Fragen geklärt werden, dann können wirüber den Einsatz in Kunduz entscheiden. Das kannschnell geschehen, aber zuerst müssen Sie unsere Fragenbeantworten. Sie sollten nicht durch die Hintertür dieZustimmung des Parlaments unterlaufen.
Herr Kollege Schäuble, gestatten Sie noch eine Zwi-
schenfrage des Abgeordneten Struck?
Bitte.
Herr Kollege Schäuble, manche Ihrer Äußerungen
kann ich mir nur dadurch erklären, dass Sie an Sitzun-
gen, in denen die Bundesregierung informiert, nicht teil-
nehmen.
Ich will aber keine Schärfe in die Debatte bringen; denn
ich glaube, wir sind uns in der Zielrichtung einig.
Ich habe gestern im Auswärtigen Ausschuss in einer
Sondersitzung, an der Sie wegen Ihrer Paris-Reise nicht
teilnehmen konnten, und am Morgen den Obleuten des
Verteidigungsausschusses Folgendes erläutert: Das
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arüber gab es keinen Beschluss und ich habe auch kei-
en erbeten. Mein Eindruck war aber – diesem kann
urchaus widersprochen werden; wir diskutieren ja
achher über den Verteidigungshaushalt –, dass unab-
ängig davon, ob der Bundestag – wir vermuten, im Ok-
ober – zustimmen wird oder nicht, geklärt werden muss,
nter welchen Bedingungen – sie beziehen sich auf die
ortigen Verhältnisse und auf die Kosten, die auf uns zu-
ommen werden – wir vor Ort sein können. Unter Be-
ücksichtigung dessen ist die Maßnahme, die ich ange-
rdnet habe, sinnvoll.
Ich bitte Sie also, Ihren Vorwurf, ich wolle das Parla-
ent umgehen, zurückzunehmen.
Auch ich will keine Schärfe in die Debatte bringen.enn es darum geht, Fragen zu klären, die die Entschei-ung ermöglichen, dann ist das in Ordnung. Allerdingsragt man sich, was die Fact Finding Mission getan hat,enn jetzt schon wieder erkundet werden soll.
as ist eine zweite Frage. Wir werden das klären, aberas ist nicht der entscheidende Punkt.Wir alle, unsere Fraktionsvorsitzende, der Kollegeflüger, ich und andere, haben gesagt: Wir sind imrundsatz der Meinung, dass wir unseren Beitrag, so-eit er verantwortbar ist, leisten müssen, um über Kabulinaus Stabilität zu schaffen. Wir glauben aber, es muss
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5046 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Dr. Wolfgang Schäubleeine in sich stimmige und gegenüber den Soldaten be-gründbare Politik sein.Ich wünsche mir, Herr Bundesaußenminister, dass ichauch in dieser Frage in der Realität etwas mehr von ge-meinsamer europäischer Politik sehe. Davon ist in Be-zug auf Afghanistan überhaupt nichts zu sehen. Deswe-gen sind die schönen Reden, dass das alles gemeinsameseuropäisches Vorgehen ist, nicht mit der Praxis in Über-einstimmung zu bringen. Das ist einer der Punkte, diewir kritisieren müssen.Eine gemeinsame Haltung der Europäer in denzentralen Fragen von Außen- und Sicherheitspolitik istgenau das, was im vergangenen Jahr gefehlt hat, wasmutwillig zerstört worden ist. Wenn dies jetzt von allenSeiten, so gut es geht, repariert wird, ist das richtig; wirbegrüßen das. Wir unterstützen es auch, wenn sich derdeutsche Bundeskanzler möglichst bald mit dem ameri-kanischen Präsidenten trifft. Das ist gut und richtig. Esist schlimm, dass daraus überhaupt ein Ereignis werdenmusste. Das zeigt, wie falsch diese Politik gewesen ist.Wir möchten allerdings den Verdacht widerlegt haben,dass die Außenpolitik der Bundesregierung im Augen-blick nur darin besteht, einen Termin für ein solchesTreffen zustande zu bringen. Das ist zu wenig, um Sol-daten einzusetzen.
Herr Bundesaußenminister, Sie haben viele Zitate ge-bracht. Ich will Ihnen etwas zu unserer Position sagen.Ich habe hier einmal gesagt, dass man mit guten Grün-den unterschiedlicher Meinung sein kann. Das gilt auchfür die Frage, ob die Politik der amerikanischen Regie-rung und des amerikanischen Präsidenten richtig oderfalsch ist. Wir haben es aber mit der Politik der deut-schen Regierung zu tun. Für die Politik der deutschenRegierung in diesem Zeitraum fehlen mir noch immerdie Argumente. Es geht nicht um die Frage, ob die Poli-tik der amerikanischen Administration richtig oderfalsch war, sondern um die Frage, ob die Politik derBundesregierung geeignet war, um die Rolle der Verein-ten Nationen zu stärken. Durch das Vorgehen des deut-schen Bundeskanzlers, der gesagt hat, was immer die Ver-einten Nationen beschließen, wir werden uns nichtbeteiligen, wurden die Vereinten Nationen nicht gestärkt,sondern geschwächt. Das war unser Vorwurf.
Wir haben Sie immer ermahnt, keine Popanze aufzu-bauen. Die Politik der CDU/CSU war, dass für die Ent-scheidung, notfalls auch militärische Mittel einzusetzen,ein UNO-Mandat Voraussetzung ist. Dabei hatten wirimmer die Hoffnung, dass eine klare und geschlosseneHaltung des Westens und der Vereinten Nationen denEinsatz militärischer Mittel entbehrlich machen würde.So ist es leider nicht gekommen. Dazu hat die Spaltungdes Westens einen entscheidenden Beitrag geleistet.Herr Bundesaußenminister, ich stimme mit Ihnenüberein, wenn Sie sagen, die Rolle der Vereinten Natio-nen müsse gestärkt werden. Darin sind wir uns völlig ei-ntNAskZmPWtDneizuiEdhsfdDZuMeagAblnssEddszsWkhsb
as war ein Fehler der Politik der Bundesregierung.Wir müssen ein starkes Europa bilden und so zu ei-em stärkeren europäischen Partner werden. Wenn deruropäische Partner stärker wird, wird die Bereitschaftn den Vereinigten Staaten von Amerika größer werden,u gemeinsamen Entscheidungen zu kommen, anstattnilateral Entscheidungen zu treffen, die am Ende nichtm Interesse der Vereinigten Staaten von Amerika, vonuropa, des Westens und der Welt insgesamt sind. Aberazu brauchen wir ein einiges Europa, müssen einen hö-eren Beitrag leisten und müssen verlässliche Partnerein.Es gibt eine Chance. Ich habe in Paris mit großer Be-riedigung gehört, dass Sie beabsichtigen, im Rahmener bilateralen Gespräche zwischen Frankreich undeutschland mit Großbritannien über eine Stärkung derusammenarbeit in der Europäischen Sicherheits-nd Verteidigungspolitik zu sprechen. Das ist meinereinung nach der richtige Weg, Großbritannien stärkerinzubeziehen. Ich glaube, dass die britische Regierunguch vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Irakkrie-es gut beraten ist, eine Mahnung des früheren britischenußenministers Douglas Hurd – heute ist er Lord – zueherzigen, der gesagt hat, Großbritannien werde die at-antischen Bindungen besser dadurch stärken, dass es ei-en größeren Beitrag zu einer gemeinsamen europäi-chen Politik leiste. Alleine ist auch Großbritannien nichttark genug, um in Washington einen ausreichend großeninfluss auszuüben. Ein gemeinsames Europa ist dazu iner Lage. Das muss Ziel der Politik sein.Wir müssen uns in Europa aber darüber verständigen,ass dieses Europa nicht eine Alternative zur atlanti-chen Partnerschaft ist, sondern ein wesentlicher Pfeilerur Verstärkung, Vertiefung und Verstetigung der atlanti-chen Partnerschaft. Das ist der entscheidende Punkt.enn das klar ist, dann werden wir auch weiter voran-ommen.
Ich will einen weiteren Punkt anfügen. Es ist im Ver-ältnis zu unseren künftigen Mitgliedern in der Europäi-chen Union, zu unseren Nachbarn im Osten und ins-esondere zu Polen viel überflüssiges Porzellan
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 5047
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Dr. Wolfgang Schäublezerschlagen worden. Ich will auf die verschüttete Milchnicht wieder zu sprechen kommen; es ist passiert.
– Diese Kritik müssen Sie sich schon gefallen lassen. Essind schwerwiegende Fehler passiert. Ich könnte jetzt sodiplomatisch sein wie der Außenminister und sagen, werwelchen Anteil daran hat. Es war jedenfalls falsch, dassder Eindruck entstanden ist, es bestehe eine Achse Ber-lin-Paris-Moskau.
Es war falsch, dass unsere polnischen Nachbarn eineZeit lang das Gefühl hatten, sie müssten sich dafür ent-schuldigen, dass sie als künftiges Mitglied der Europäi-schen Union gute Beziehungen zu Amerika haben. At-lantische Partnerschaft und europäische Einigung sindkeine Gegensätze, sondern sind zwei Seiten derselbenMedaille. Sie bedingen sich gegenseitig. Das eine funk-tioniert nicht ohne das andere.
– Richtig, aber wir sind nicht der amerikanische Kon-gress, sondern der Deutsche Bundestag. Deswegen dis-kutieren wir über die Politik der Bundesregierung.Ich möchte Ihnen gern einen Vorschlag machen, HerrBundesaußenminister. Wir haben das Weimarer Dreieck,das wir nach dem Fall der Mauer und des eisernen Vor-hangs in der Überlegung begonnen haben, dass es nichtnur bilaterale Beziehungen geben sollte und dass wir un-seren wichtigen polnischen Nachbarn in die privilegiertedeutsch-französische Zusammenarbeit einbeziehen müs-sen, weil das im Interesse aller in Europa ist. Sollten wirnicht die Chance einer stärkeren Beteiligung Großbritan-niens nutzen, um vorzuschlagen, das Weimarer Dreieckzu einem Viereck zu machen und Großbritannien einzu-beziehen? Ich glaube, manches würde einfacher undwäre gegen Missverständnisse eher gefeit, wenn ausdem Weimarer Dreieck ein Viereck unter Einbeziehungvon Großbritannien würde. London, Paris, Warschauund Berlin könnten zusammen ein wichtige Rolle spie-len und auch dazu beitragen, die Erweiterung, Stärkungund Stabilisierung einer gemeinsamen europäischen Au-ßen- und Sicherheitspolitik voranzubringen. Ich würdedas in diesem Zusammenhang gern anregen.Zum Thema Irak will ich noch sagen: Ich begrüße,dass der Bundeskanzler heute in der Tonlage anderesgeredet hat als in den zurückliegenden Wochen. Wirstimmen ja darin überein, dass wir eine stärkere Rolleder Vereinten Nationen brauchen. Ich habe vor demKrieg im Irak gesagt: Die Amerikaner werden vielleichtden Krieg alleine gewinnen können, aber den Friedennicht.
Ich fürchte, dass sich das bestätigt. Wenn sie scheitern,ist es aber auch unser Scheitern. Deswegen haben wirdas gemeinsame Interesse, dass dies nicht eintritt. Wenndn–mnWdIgrwinhaegBfsksdSicimssfmeddngBdhlludEskbfDs
Entschuldigung, vor einem Jahr hieß es: Was auch im-er die Vereinten Nationen beschließen, wir werden unsicht beteiligen. Dieses Jahr klang es noch eine ganzeeile so. Heute Morgen klang es ein bisschen besser;as habe ich ausdrücklich begrüßt.
ch will Sie ermuntern, auf genau diesem Weg weiterzu-ehen, weil es uns allen nützt und weil wir gar kein Inte-esse daran haben, künstliche Gräben auszuheben. Wirollen vielmehr vorankommen.
Ich will noch eine Bemerkung machen: Wir sind hier einer Haushaltsdebatte und irgendwo müssen sich dieehren Grundsätze auch in Zahlen ausdrücken; sonst istlles nur schöngeredet, aber in der Wirklichkeit stimmts nicht. Das ist ein Problem, das wir bei der Bundesre-ierung öfter feststellen. Im Zusammenhang mit demrüsseler „Pralinengipfel“, von dem wir noch immerinden, dass er nicht die richtige Form verstärkter Zu-ammenarbeit war, weil er das Missverständnis der Ex-lusivität zunächst nicht vermeiden konnte, hat damalsogar der deutsche Bundeskanzler davon gesprochen,ass es notwendig sei, die Mittel für Verteidigungs- undicherheitspolitik im Bundeshaushalt zu erhöhen. Wennh in den Haushaltsentwurf hineinschaue – was auchmer der für eine reale Grundlage hat; darüber istchon viel gesagt worden –,
telle ich fest: Nichts davon ist im Haushaltsentwurf zuinden.Ich habe schon gelegentlich darauf aufmerksam ge-acht – das Problem ist nicht in Ihrer Regierungszeitntstanden, sondern ist ein generelles Problem der Bun-esrepublik Deutschland und damit von uns allen –, dassie Haushalte von Auswärtigem Amt, Verteidigungsmi-isterium und Entwicklungszusammenarbeit zusammen-efasst 1990 noch einen Anteil von über 20 Prozent amundeshaushalt hatten. Im Jahre 2002 war der Anteilieser drei Haushalte auf unter 12 Prozent am Bundes-aushalt zurückgegangen. Ich habe mir jetzt die aktuel-en Zahlen angeschaut: Von 2003 auf 2004 steigt das Vo-men des Bundeshaushaltes um rund 3 Milliarden Euro,ie Ausgaben für Auswärtiges, Verteidigung undntwicklungszusammenarbeit zusammengenommeninken aber um 463 Millionen Euro. Das heißt, auch imommenden Jahr geht der relative Anteil unserer Ausga-en in der Bundespolitik für die äußeren Interessen undür die äußere Verantwortung der Bundesrepublikeutschland weiter signifikant zurück. Das ist der fal-che Weg.
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5048 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Dr. Wolfgang SchäubleIch bin ganz davon überzeugt: Wenn wir es nichtschaffen, unserer Bevölkerung wieder und wieder dieÜberzeugung zu vermitteln – das ist die Aufgabe politi-scher Führung –, dass die Wahrnehmung außenpoliti-scher Interessen, die Wahrnehmung unserer Verantwor-tung in dieser enger zusammenrückenden Welt eineprioritäre staatliche Aufgabe ist, eine Aufgabe, derenPriorität auch im Haushalt erkennbar sein muss, dannwerden wir die Tendenzen in unserer Gesellschaft, de-nen wir alle unterliegen, dass wir weniger wettbewerbs-fähig und zukunftsfähig sind, eher stärken. Eine Gesell-schaft, die der Versuchung zur Introvertiertheit nachgibtund sagt: „Wir haben viele große Probleme, sodass wiruns um andere nicht kümmern können“, wird im Zweifelnur ihre Besitzstände verteidigen. Aber eine Gesell-schaft, die nur ihre Besitzstände verteidigt, wird zu dennotwendigen Veränderungen nicht bereit sein.Sie sagen, Deutschland müsse sich mehr bewegen.Doch Sie untergraben in der Außen-, Sicherheits- undEuropapolitik mit Ihrer mangelnden Führungskraft undder Unfähigkeit, die notwendigen Prioritäten zu setzen,die Reformfähigkeit unserer Gesellschaft. Auch in die-sem Sinne hängen die Außen- und Innenpolitik zusam-men. Es ist natürlich auch wahr: Wenn wir nicht in derLage sind, unsere inneren Probleme zu lösen sowie un-sere wirtschaftliche Wettbewerbs- und Leistungsfähig-keit zu verbessern, dann wird auch unser außenpoliti-scher Handlungsspielraum wesentlich geringer.Deswegen spreche ich noch einen letzten Punkt an.Wenn die europäische Politik von so schicksalhafter Be-deutung für uns alle ist – darin stimme ich überein –,dann bitte ich Sie: Untergraben Sie doch um Himmelswillen die Perspektiven und Chancen für eine Stärkungder Europäischen Union nicht mutwillig. Mit Ihrer Poli-tik, die Sie gegenüber dem Stabilitätspakt betreiben, le-gen Sie die Axt an die Wurzeln der europäischen Leis-tungsfähigkeit und an die Wurzeln des Vertrauens derMenschen in die Solidität des europäischen Einigungs-werks.Gerade derjenige, der ein starkes Europa will, darfmit dem Stabilitätspakt nicht so leichtfertig umgehen,wie Sie das tun.
Herr Kollege Schäuble, achten Sie bitte auf die Zeit.
Frau Präsidentin, ich hoffe, ich darf noch einige Sätze
sagen. – Wer die Zustimmung der Menschen zum euro-
päischen Einigungswerk und zur Erweiterung, die so be-
deutend ist – das hat auch der Außenminister richtig for-
muliert –, wieder und wieder gewinnen will, der sollte
auch erklären, dass es in unserem Interesse liegt. Er
sollte nicht unsere Haushaltsschwierigkeiten mit unseren
Zahlungsbeiträgen an die Europäische Union begründen,
wie es der Kanzler heute Morgen getan hat, und er sollte
die Bereitschaft der Menschen, Veränderungen zu ak-
zeptieren, nicht überfordern.
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Herr Kollege Schäuble, ich respektiere völlig – dasilt für uns alle –, dass wir nicht immer bei allen Sitzun-en dabei sein können und dass Sie einen wichtigen Ter-in in Paris hatten. Das ist völlig akzeptabel.Ich kann es aber nicht akzeptieren, dass wir im Aus-chuss unterrichten und Sie am nächsten Tag – ich weißicht, woran das liegt – offensichtlich nicht informiertind. Alle Fragen, die Sie gestellt haben, wurden disku-iert. Sie können der Meinung sein, dass sie unzurei-hend beantwortet worden sind. Das würde ich zwaricht teilen, aber diese Meinung wäre legitim und akzep-abel. Sie haben hier aber eine Rede gehalten, als ob wiriese Fragen gestern nicht behandelt hätten. Angesichtser Botschafterkonferenz und all der anderen Verpflich-ungen war es für mich nicht einfach, fast eineinhalbtunden gemeinsam mit dem Verteidigungsminister imusschuss darüber Rede und Antwort zu stehen. Inso-ern finde ich Ihren Vorhalt nicht akzeptabel.
Deswegen will ich hier den Eindruck nicht stehen las-en, als hätte die Bundesregierung, wissend um die Fra-en der Opposition, nicht zu jedem einzelnen Punkt Stel-ung genommen. Es würde den Zeitrahmen sprengen,ies jetzt noch einmal ausführlich zu tun.Sie haben zum Beispiel die Frage gestellt, warum esunduz und nicht Herat sein soll. Ich habe es vorhin ge-agt. Es geht dabei auch um die Akzeptanz durch denortigen regionalen Machthaber. Kollege Schäuble, infghanistan gibt es überall in der Provinz Privatarmeen,eil sie ein Element dessen sind, was im Widerstand ge-en die sowjetische Okkupation und später im Bürger-rieg eine Rolle spielte. Wenn man sich den Charakterfghanistans mit seiner multiethnischen und multireli-iösen Gesellschaft anschaut, dann weiß man natürlichur zu gut, dass auch die tribalistische Struktur eine we-entliche Rolle spielt.Auch das Verhältnis der Zentrale zu den Regional-trukturen wurde von uns ausführlich angesprochen. Esst eine irrige Vorstellung, zu meinen, in Afghanistanürde es so etwas wie einen Zentralstaat geben. Diesenab es nur zu Zeiten der Diktatur durch die Taliban. Die
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 5049
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Joseph Fischer
Fragen der Verflechtung und des selbsttragenden Kon-senses werden also eine Rolle spielen. Hierzu haben wirunsere Position ausführlich dargestellt. Daneben habenwir hinsichtlich der anderen Provincial ReconstructionTeams auch die Entscheidungsalternativen ausführlichdargestellt und erklärt, warum es dort notwendig ist.Opium und die Rauschgiftproduktion allgemeinsind nicht nur Probleme in dieser Region. Wir müssenrealistischerweise sagen, dass das sowohl in Kabul alsauch überall in diesem Land eine – und zwar keine uner-hebliche Rolle spielt.Kollege Schäuble, es liegt in unserem Interesse, dortden Polizeiaufbau voranzubringen. Das ist ein wesentli-ches Element für Kunduz und für Kabul, für das unserePolizeibeamten eine große Anerkennung erhalten. Ichhabe das mehrmals in Washington gehört.
Aber der entscheidende Punkt ist ein anderer, KollegeSchäuble. Rauschgift ist dort gegenwärtig der ökonomi-sche Faktor Nummer eins. Das heißt, wir reden hiernicht nur über eine üble kriminelle Erscheinung, sondernwir reden über den Aufbau einer wirtschaftlichen Alter-native. Diese wirtschaftliche Alternative ist an die er-folgreiche Umsetzung der Petersberger Beschlüsse ge-bunden. Auch das wurde ausführlich dargestellt.Ich konnte Ihre Worte nicht unwidersprochen stehenlassen und sage auch im Namen des Kollegen Struck:Diese Bundesregierung und die beiden Minister bemü-hen sich intensiv darum – wir haben ein Interesse daran,dass das Parlament eingebunden ist –, auf Einwände ein-zugehen; denn im Interesse der Soldaten wollen wir ei-nen Konsens erreichen.
Herr Abgeordneter Fischer, als Abgeordneter haben
Sie für Ihre Kurzintervention nur drei Minuten Zeit.
Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Letzter Satz. Wenn wir solche intensiven Beratungen in
den Sitzungen durchführen, dann müssen wir uns schon
darauf verlassen können, dass wir uns danach keine Vor-
würfe von jemandem anhören müssen, der – meinetwegen
aus guten Gründen – nicht dabei sein konnte.
Herr Kollege Schäuble, Sie haben das Recht zur Ant-
wort.
Herr Kollege Fischer, vier Punkte. Erstens. Es hilft al-les nichts: Meine Kollegen, die in der Sitzung anwesendwA–tswgmBzuanlnisngehtedsNasbiTIruD
Entschuldigung, das sagen die doch.Herr Kollege Fischer, ich möchte Ihnen gerne antwor-en. Bitte schenken Sie mir Ihre geschätzte Aufmerk-amkeit, wenn ich Ihnen antworte.Zweitens. Ich bin sehr dafür, dass wir die Fragen, dieir auch gegenüber der Öffentlichkeit und insbesondereegenüber den Soldaten der Bundeswehr verantwortenüssen, in öffentlichen Sitzungen hier im Deutschenundestag und nicht nur in vertraulichen Ausschusssit-ungen behandeln.
Drittens. Es bleibt dabei: Die Bundesregierung hatnter dem Vorsitz des Bundeskanzlers die Vorsitzendenller Fraktionen in der vergangenen oder vorvergange-en Woche über Kunduz unterrichtet. Das ist die Grund-age. In dieser Unterrichtung ist über Herat überhaupticht gesprochen worden.Viertens. Herr Bundesaußenminister, Sie haben auchn Ihrer Kurzintervention kein Wort dazu gesagt, wasich seit Petersberg II in Ihrer Bewertung zum Verhält-is von Zentralregierung in Kabul und Provinz bzw. re-ionalen Machthabern verändert hat. Damals haben Sierklärt, dass eine Ausweitung des Einsatzes über Kabulinaus nicht infrage kommt. Jetzt sagen Sie das Gegen-eil. Meine Vermutung ist, dass Sie genau darauf nichtingehen wollen, weil Sie dann zugeben müssten, dassas so viel gepriesene Petersbergkonzept nicht ganz sotimmig war. Wahrscheinlich ist auch die Roadmap imahen Osten nicht ganz so erfolgreich, wie es bisherusgesehen hat.Das Drogenproblem können Sie nicht als ökonomi-chen Faktor hinstellen. Ich sage Ihnen: Die Drogenver-reitung ist eine der großen Gefahren für die Weltpolitiknsgesamt und eine Finanzquelle für den internationalenerrorismus.
ch will nicht, dass am Ende Soldaten der Bundeswehregionale Machthaber und Drogenbosse unterstützennd schützen.
azu darf es nicht kommen.
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5050 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Mir liegen hierzu mehrere Wortmeldungen vor. Ich
bin aber gehalten, zu verhindern, dass sich aus Kurzin-
terventionen zusätzliche Debattenschlaufen ergeben. Da
noch zehn Redner das Wort haben, glaube ich, dass noch
genügend Gelegenheit besteht, den Sachverhalt während
dieser angemeldeten Reden zu klären.
Ich erteile nun dem Abgeordneten Gernot Erler das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir sprechen heute über die internationale Politik derBundesregierung, besonders über die Außen- und Si-cherheitspolitik. Ich möchte im Namen der SPD-Bun-destagsfraktion erklären: Diese Politik folgt klaren Prin-zipien. Sie ist verlässlich. Sie ist getragen vomVerantwortungsbewusstsein gegenüber den Menschen inunserem Lande, besonders auch gegenüber den Soldatin-nen und Soldaten, die wir in gefährliche Auslandsein-sätze schicken, und vom Verantwortungsbewusstsein ge-genüber der Weltgemeinschaft, die nach wie vor großeHerausforderungen zu bestehen hat. Weil das alles so ist,findet die deutsche Politik in der Welt, die Politik vonBundeskanzler Gerhard Schröder, von AußenministerJoschka Fischer, von Verteidigungsminister Peter Struckund Entwicklungsministerin Frau Wieczorek-Zeul aucheine breite Zustimmung in der deutschen Bevölkerungund hohe Anerkennung in der internationalen Gemein-schaft.
Herr Kollege Schäuble, daran können Sie mit Ihrer Redenichts ändern, die Sie im Wesentlichen dazu benutzt ha-ben, Informationen einzuholen, über die andere Mitglie-der dieses Hauses schon verfügen. Das ist nicht der Sinneiner Plenardebatte.
Morgen jährt sich zum zweiten Mal der 11. Septem-ber 2001. Das erinnert uns an schreckliche, schwer er-trägliche Bilder und erinnert uns an die vielen unschuldi-gen Opfer des 11. September und der späterenAnschläge. Das ist Gelegenheit, noch einmal zu betonen:Die Bundesrepublik Deutschland hat dem angegriffenenAmerika von der ersten Minute an beigestanden, hat um-fangreiche Beiträge im Kampf gegen den global agieren-den Terrorismus geleistet und tut dies auch heute. Heute,zwei Jahre nach dem 11. September 2001, ist dieserKampf noch immer nicht gewonnen. Darauf hat derBundeskanzler heute Morgen mit Recht hingewiesen. Essind sogar neue, verlustreiche Fronten entstanden, soetwa im Irak.Ich stelle hier noch einmal für die SPD-Bundestags-fraktion fest: Es war richtig, dass die Bundesregierungmit vielen anderen Staaten dem Irakkrieg nicht zuge-sdjRSdJcgwzdVsnhtsmZakssdwdFGMptdtdbiasKRcKmn
Auch vier Monate nach dem Ende des Krieges fehlteder Hinweis auf Querverbindungen des ehemaligenegimes von Saddam Hussein zu al-Qaida, fehlt jedepur von den angeblichen Massenvernichtungswaffen,ie an Terroristen hätten weitergegeben werden können.a, es fehlt sogar jeder Beleg dafür, dass es entspre-hende Programme oder Anlagen für solche Waffen ge-eben hat.Das bedeutet aber: Der Irakkrieg hatte nichts mit dem not-endigen Kampf gegen den internationalen Terrorismusu tun. Wir weisen weiterhin jeden Versuch zurück, ihna einzuordnen oder ihn so zu legitimieren.
ielmehr sind nach dem Irakkrieg unsere Voraussagen inchlimmster Weise eingetroffen, nämlich dass die inter-ationale Terrorbekämpfung einen Rückschlag erlittenat und dass jetzt im Irak die Netzwerke ein neues Betä-igungsfeld finden, wo sie die Verzweiflung der Men-chen über die chaotischen Verhältnisse vor Ort erbar-ungslos nutzen, wo sie viele, auch so genannte weicheiele finden und mit ihren Anschlägen Amerika treffen,ber auch die ganze Weltgemeinschaft herausfordernönnen. Der Irakkrieg hat dem Kampf der Weltgemein-chaft gegen den weltweit agierenden Terrorismus ge-chadet.
Ich hatte gehofft, dass der amerikanische Präsidentie Gelegenheit seiner Rede vom letzten Sonntag nutzenürde, um sich offen mit dieser Entwicklung auseinan-er zu setzen. „Offen“ hätte bedeutet, sich auch zu denehleinschätzungen zu bekennen, was die unmittelbareefahr, die von diesem Regime ausging, und was dieassenvernichtungswaffen angeht. Das ist leider nichtassiert.Stattdessen sind wir erneut mit dem Versuch konfron-iert worden, den Irakkrieg als Teil des Kampfes gegenen internationalen Terrorismus darzustellen. Folgerich-ig kam dann die Aufforderung an die Verbündeten undie Länder, die sich nicht an diesem Krieg beteiligt ha-en, jetzt die Gelegenheit zur Umkehr zu ergreifen undhre Pflicht zu erfüllen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Amerika selbst,ber auch anderswo gibt es Zweifel an der Wirksamkeitolcher Empfehlungen. Das zeigen übrigens auch dieommentare im In- und Ausland. Die „Frankfurterundschau“ hat zum Beispiel von Patzigkeit gespro-hen, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ titelte einenommentar mit „Rhetorik der Zumutung“. Ich macheir diese Bewertung überhaupt nicht zu Eigen, aber ichehme dieses alles noch einmal zum Anlass, um festzu-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 5051
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Gernot Erlerstellen: Die Bundesrepublik Deutschland erfüllt ihrePflichten im Kampf gegen den internationalen Terroris-mus. Sie wird dies auch weiterhin tun und braucht dafürkeinerlei Ermahnung, egal von wem.
Es wäre im Übrigen sehr gefährlich, sich jetzt an demProzess zu beteiligen, alle internationalen Ressourcen al-lein auf den Irakkonflikt zu konzentrieren. In Wirklich-keit gibt es derzeit fünf verschiedene Regionen, in denendie Fragen des Weltfriedens und des Kampfes gegen denTerrorismus entschieden werden. Zu diesen Regionenzählt neben dem Irak zweifellos Afghanistan. Hinzukommt – der Bundesaußenminister hat eben darauf hin-gewiesen – der Nahe Osten mit dem israelisch-palästi-nensischen Konflikt, in dem die Friedensbemühungengegenwärtig einen Tiefpunkt erreicht haben, übrigensentgegen allen Voraussagen, dass die Beseitigung desRegimes Saddam Husseins den Weg für den Friedenfreimachen würde. Eine weitere Region, die nicht ver-gessen werden darf, ist Afrika,
da wir doch wissen, dass die dortigen Bürgerkriege nichtunbeantwortet bleiben können und dass man sich dortengagieren muss, weil solche Kriege dem TerrorismusMöglichkeiten bieten, ja geradezu Biotope für den Ter-rorismus darstellen. Schließlich meldet sich gerade indiesen Tagen der Balkan mit den neuen Problemen inMazedonien in schmerzlicher Weise zurück und erinnertuns daran, dass die Aufgaben auch dort noch nicht erfülltsind.Deswegen ist es eine völlig falsche Betrachtungs-weise, etwa unseren Einsatz in Afghanistan als zweit-rangig anzusehen. Es ist vielmehr erstrangig und not-wendig, nicht alle Ressourcen im Irak einzusetzen,sondern die anderen Aufgaben als gleichrangig anzuse-hen und sie prioritär zu erfüllen.
Ich kann nur immer wieder feststellen: Der wirklicheTestfall im Kampf gegen den Terrorismus ist die Frage,ob wir in Afghanistan Erfolg haben werden oder nicht.
Deswegen ist es richtig, dass wir die Kontinuität beibe-halten und dass nach der umfangreichen humanitärenHilfe, dem Petersberg-Prozess und unserem Engagementin der Operation Enduring Freedom und vor allem beiISAF tatsächlich eine Antwort darauf gegeben wird,Herr Schäuble, wie die nächsten Stufen des Normalisie-rungs- und Stabilisierungsprozesses in Afghanistan ab-gesichert werden können. Die nächsten Stufen sind derVerfassungsprozess in der Loya Jirga und – das ist jeden-falls in Petersberg vereinbart worden – Wahlen, die imJuni nächsten Jahres stattfinden sollen.Es waren die Amerikaner, Herr Schäuble, die als ersteüber die auf dem Petersberg getroffenen VereinbarungenhRugudSmvmbnAVdbdImrzuHAsulevgwdwhzdAWFist
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Werner
oyer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!n die Kolleginnen und Kollegen im Auswärtigen Aus-chuss gewandt, möchte ich anmerken: Mir wird angstnd bange, wenn ich heute höre, was wir gestern angeb-ich alles in der notwendigen Tiefe behandelt haben. Umin bisschen transparenter zu machen, wie das wirklichor sich geht, weise ich darauf hin, dass der Ausschussestern von 17.05 bis 18.15 Uhr getagt hat,
obei von vornherein klar war, dass der Bundesministeres Auswärtigen um 18.00 Uhr würde gehen müssen,as er aber dankenswerterweise erst um 18.15 Uhr getanat.Zunächst hat uns Minister Struck zehn Minuten prä-ise und knapp zu dem Themenbereich berichtet, der zuiskutieren ist. Dann hat uns der Bundesminister desuswärtigen 25 Minuten lang äußerst ausführlich dieeltläufe erklärt. Danach haben die Vertreter der vierraktionen insgesamt 15 Minuten Gelegenheit gehabt,hre Position darzustellen und Fragen zu stellen. An-chließend wurden ihre Fragen in der üblichen arrogan-en Art abgebürstet bzw. bramarbasierend beantwortet.
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5052 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Dr. Werner HoyerDa keine weiteren Beratungsmöglichkeiten bestanden,
gab es auch keine Gelegenheit mehr, zu dem präzisenBericht von Herrn Struck über das Standorterkun-dungsteam Stellung zu nehmen.
– Auch ich kann die Aufregung nicht verstehen, FrauKollegin Zapf.Ich finde, das, was vom Standorterkundungsteam ge-leistet werden soll, ist erforderlich, wenn die Bundesre-gierung nach einem entsprechenden Beschluss des Kabi-netts und der Einbringung in den Deutschen Bundestagunsere Fragen beantworten soll. Von der Form her istdiese Angelegenheit nach meiner Auffassung sowohldurch das ISAF-Mandat als auch durch den Beschlussdes Bundestages gedeckt.
Außerdem bin ich der Auffassung, dass dieser Vor-gang erneut bestätigt, dass wir uns im Rahmen der Bera-tungen des Geschäftsordnungsausschusses über das Ent-sendegesetz präziser mit der Frage befassen müssen,wann ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorliegt.
Nach meiner Auffassung ist das kein Einsatz bewaffne-ter Streitkräfte; denn ein solcher soll ja erst vorbereitetwerden. Daher halte ich die Aufregung für verfehlt.Zur Sache selber: Dass die Herausforderungen für un-sere Außenpolitik und für die internationale Politik inden nächsten Jahren gigantisch sein werden, ist klar. DieAufgaben im Zusammenhang mit der Bekämpfung desinternationalen Terrorismus sind bei weitem nicht be-wältigt. Die regionalen Konflikte, gepaart mit religiö-sem Fanatismus und teilweise finanziert aus Quellen derorganisierten Kriminalität und des Terrorismus, drohenauszuarten, bis hin zum Kampf der Kulturen. Wenn die-ser nicht eingedämmt werden kann, dann wird er einesTages nicht mehr nur in fernen Ländern, sondern auchvor unserer eigenen Haustür stattfinden oder sogar in un-sere eigenen Häuser hineingetragen werden. Deswegenmüssen wir uns den diesbezüglichen Fragen sehr inten-siv zuwenden.Hochgefährliche Waffen, insbesondere Massenver-nichtungswaffen, vagabundieren durch die Welt. Wir ha-ben, wie der Fall des neulich gesunkenen russischenAtom-U-Bootes zeigt, bis heute noch nicht einmal ernstzu nehmende Konzepte, aus denen hervorgeht, wie wirmit den Gefahren, die von den Waffen der ehemaligenSowjetunion ausgehen, fertig werden können. Neue Ini-tiativen im Bereich von Abrüstung und Nichtverbreitungsind nicht in Sicht.Zu diesen drei Themenkomplexen könnte man nochvieles ergänzen. Aber eines verbindet alle drei: Niemandwird sich diesen Herausforderungen alleine stellen kön-nen. Das können wir nur zusammen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 5053
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Das ist die Chance, die Entscheidungskompetenz, dieFührungsrolle in den Rahmen der Vereinten Nationenzurückzuholen, und es ist die Chance, das nachzuholen,was in den 90er-Jahren leider verpasst worden ist, näm-lich die Reform der Vereinten Nationen voranzutreiben.
Als nicht mehr jede Initiative dem Veto- oder demBlockadeautomatismus sofort unterworfen war, war dasdoch das „Fenster der Gelegenheit“. Wir müssen jetztschnell dabei vorankommen, das, was verpasst wordenist, nachzuholen.Auch Deutschland hat nach meiner Auffassung zurSchwächung der internationalen Organisationen bei-getragen, nicht etwa, weil man deutlich gemacht hat,dass der Krieg im Irak nicht gerechtfertigt ist – das warsowohl meine als auch die Meinung der gesamten FDP-Fraktion –, sondern weil Deutschland mit der Kategori-sierung seiner eigenen Position – man hat gesagt, dasssich Deutschland an einem militärischen Einsatz im Irakauf keinen Fall beteiligt, egal wie UNO, NATO oder EUentscheiden – die Chance verpasst hat, Einfluss auszu-üben und Verantwortung zu übernehmen. Die Bundes-regierung hat der Arroganz der Macht die Arroganz derOhnmacht entgegengesetzt. Das war ein schwerer Feh-ler.
Wir müssen zusehen, dass wir im Irak tatsächlichvorankommen. Natürlich ist es kaum vorstellbar – dieseAuffassung teile ich –, dass diejenigen, die den Irakkrieg– anders als die Amerikaner – für durchaus vermeidbargehalten haben, nunmehr unter amerikanischem Oberbe-fehl Besatzungsmacht spielen. Aber eine Mandatierungder NATO durch die Vereinten Nationen, eine Führungder UNO-mandatierten NATO-Mission durch denSACEUR könnten immerhin zwei sonst konfligierendeBedingungen – nämlich amerikanischen Oberbefehl undNATO-geführte Operation – auf charmante Weise mit-einander verbinden. Ich halte auch eine Trennung derOperation nach dem Vorbild von ISAF und EnduringFreedom, wie wir sie in Afghanistan erleben, durchausfür ein Modell, das man diskutieren kann.Es geht auf jeden Fall nicht mehr darum, die altenAuseinandersetzungen über die vermeintlich nachträgli-che Legitimation des Irakkrieges fortzuführen. Jetzt giltes, beherzt anzupacken, den Menschen in diesem ge-schundenen Land eine Perspektive zu geben, und vor al-len Dingen geht es darum, ihnen nach Jahrzehnten derUnterdrückung ihre Würde zurückzugeben. Daran hates vor dem Krieg und, wie ich finde, auch nach demKrieg gefehlt.
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Ich plädiere keineswegs für Bundeswehreinsätzeeltweit. Ich bin überhaupt überrascht, dass diejenigen,ie noch bis vor kurzem eine sehr dezidierte Meinungber Soldaten geäußert haben, mittlerweile sehr schnellabei sind, die Bundeswehr durch die Welt zu schicken.ch verlange Streitkräfte für Deutschland, die hoch effi-ient sind und jeden Steuergroschen tatsächlich verdientaben. Was sollen denn leistungsfähige und leistungs-illige Soldatinnen und Soldaten machen, wenn ihnenie Regierenden durch krampfhaftes Festhalten an derehrpflicht eine falsche Streitkräftestruktur verordnennd wenn dadurch das Geld für eine auftragsgerechteusrüstung und Bewaffnung fehlt?Den Angehörigen der Bundeswehr schulden wirank und Anerkennung. Sie machen die Fehler der Re-ierung durch vorbildliche Leistungen wett; aber aufauer werden sie überfordert sein.
Die Bundesregierung scheint ja noch ein paar Solda-en gefunden zu haben, die sie in der Region Kunduzinsetzen kann. Wir Freien Demokraten sind von demonzept der Bundesregierung für Kunduz alles anderels überzeugt.Das eigentliche Problem Afghanistans, das in der Tatie ein Zentralstaat war, besteht doch darin, dass dieentralregierung jenseits der Stadtgrenzen Kabuls über-aupt nichts zu melden hat, dass dort die regionalenarlords und Drogenbosse das Sagen haben und diezene bestimmen. Mit ihnen werden die Soldaten der re-ionalen Wiederaufbauteams keinerlei Probleme haben,olange sie deren Kreise nicht stören. Spannend wird esrst dann, wenn die Zentralregierung bestimmte Dingen der Fläche durchsetzen muss, was notwendig seinann, wenn die neue Verfassung nicht von vornhereinum Scheitern verurteilt sein soll. Das wird die Völker-emeinschaft militärisch nicht schaffen. Ich sehe auch
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Dr. Werner Hoyernirgendwo in der Welt die Bereitschaft, dort mit vielenZigtausend Mann hineinzugehen. Die Erfahrungen derRussen dort sollten auch vor unbedachten Entscheidun-gen warnen.Spannend wird die Frage, ob die deutschen Soldatenin der Region Kunduz der Drogenproduktion tatenloszusehen wollen, so wie es gegenwärtig die Amerikanerin der Region Kunduz nach eigenem Bekunden tun. DerArtikel in „Spiegel Online“ über die Aktivitäten dortsollte uns sehr nachdenklich machen.Schließlich ist auch die Frage spannend, ob wir denzivilen Aufbauhelfern mit einer militärischen Begleitungüberhaupt einen Gefallen tun.
Die FDP lehnt die Vorstellungen der Bundesregierungzum Einsatz in der Region Kunduz ab. Das Konzept istin sich nicht schlüssig. Es ist keineswegs ungefährlich.Es überdehnt die Möglichkeiten der Bundeswehr weiter.Es droht, die Soldaten der Bundeswehr zu Geiseln derörtlichen Warlords und Drogenbarone zu machen.
Das ist nichts Halbes und nichts Ganzes und deswegenwerden wir das ablehnen.Ich danke Ihnen.
Ich erteile dem Kollegen Gert Weisskirchen, SPD-
Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Dr. Hoyer, ich knüpfe an den Punkt an, den Sie un-gefähr in der Mitte Ihrer Rede angesprochen haben. Wirsollten wirklich zu der Idee zurückkehren, die UNO zureformieren, und grundsätzlich neu darangehen. Es istgut, zu sehen, dass Kofi Annan in diesem Punkt wiederzu der Debatte zurückkehrt, die vor zehn Jahren stattge-funden hat.Wenn wir uns anschauen, welche Gefahrenlagen sichabgezeichnet haben, und noch einmal einen Blick zurückauf die Situation von vor zehn Jahren werfen, dann kön-nen wir erkennen, dass wir es heute mit neuen Formenvon Gewalt zu tun haben. Die entstehen und wachsengerade im Schatten dessen, was doch die große Chancefür die gesamte Welt sein könnte. Im Schatten der Glo-balisierung wächst eine ungeheure neue Gefahr heran:Kriminalität, Terrorismus, Bürgerkriege in völlig neuenFormen. Die Staatengemeinschaft hat versucht, daraufeine Antwort zu finden. Mit dem Blick zurück auf dieseletzten zehn Jahre können wir heute sagen: Es waren nurVersuche. Das gemeinsame, in sich schlüssige Konzept,wie wir diesen neuen Gefahren wirklich gemeinsam bes-ser begegnen können, ist noch nicht gefunden worden.sfnBfedNsFndwnddwDIFtDempsragDZGFtFvSdmwrgdgtdmzmsnAhgsg
Mit den neuen lokalen Bürgerkriegen und dem globalgierenden Terrorismus erleben wir in der Tat einen An-riff auf unsere Zivilisation der offenen Gesellschaft.iese Zivilisation soll zerbrochen werden. Das ist dasiel derer, die durch ihre Angriffe lokale Bürgerkriege inang setzen oder global terroristisch tätig sind. Dieeinde der Zivilisation wollen, dass sich Chaos verbrei-et. Deswegen setzen sie mit ungeheurer Wucht neueormen von Gewalt ein. Was sie aber wirklich wollen,erbergen sie. Sie wollen politische Macht erobern.chwache Staaten sehen sie als ihre Beute. Sind dieseann erobert, werden sie zu Stützpunkten ausgebaut, da-it der gewaltsame Raubzug transnational weitergeführterden kann.Wenn wir uns die letzten zehn Jahre vor Augen füh-en, können wir doch erkennen, an welchen Punkten daseschieht: Das geschieht im Zentrum Afrikas, das ist aufem Balkan und in Afghanistan geschehen. Überall hierab es Versuche, Nationalstaaten von innen bzw. von un-en gewaltsam zu erobern, um diese als Stützpunkte füras Vorantreiben von transnationalem Chaos durch kri-inelle Machenschaften, Bürgerkriege und Terrorismusu gewinnen. Wir müssen darauf klar und deutlich ge-einsam multilateral antworten. So verständlich es auchein mag, wenn die USA im Terrorismus mit Recht ei-en Angriff auf ihre eigene Existenz sehen, so kann dientwort auf diesen nicht in unilateralem Handeln beste-en. Die Antwort kann nur, weil der Terrorismus dieanze Welt, also uns alle, treffen soll, eine gemeinsameein. Jetzt im Irak erleben wir doch – das kann man an-esichts der Konflikte, die dort zutage treten, sagen –,
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Gert Weisskirchen
dass der unilaterale Weg in die Sackgasse führt. Auchdie USA muss das jetzt erkennen.Wir müssen die UNO stärken, sie muss das Heft despolitischen Handelns in die Hand nehmen, damit die Lö-cher, wie es der Bundesaußenminister zu sagen pflegte,in der Ordnungsstruktur der Welt geschlossen werdenkönnen. Nicht unilaterales Handeln, sondern gemeinsa-mes Handeln der Nationalstaaten und Stärkung derUNO sind der entscheidende Schlüssel. Die Bundesre-gierung unterstützt dies. Deshalb war der Dissens in derIrakfrage, wie ich finde, auch so etwas wie ein gemein-samer Lernprozess, welche Schlussfolgerungen für zu-künftiges Handeln zu ziehen sind.
Dabei kann man auf zwei zentrale Sicherheitsinstitu-tionen zurückgreifen: zum einen auf exklusive Sicher-heitsinstitutionen wie etwa die NATO, zum anderen aufinklusive Sicherheitsinstitutionen wie die UNO. Warumsind gerade die inklusiven so wichtig? Weil sie alle Nati-onalstaaten miteinbeziehen, deren Möglichkeiten undKräfte mobilisieren und sie auf die entscheidendenPunkte konzentrieren können. Das ist der entscheidendeVorzug. Statt immer nur zu sagen – natürlich gibt es im-mer wieder die Kritikmöglichkeiten –, wie unvollkom-men die Instrumente seien, die die UNO einsetzen kann,sollte man lieber die UNO stärken und ihr helfen, dasssie bessere Instrumente entwickeln und diese stärker ein-setzen kann. Der große Vorzug von inklusiven Sicher-heitsinstitutionen – wir sehen gerade plastisch an demBeispiel Irak, wie dringend erforderlich das ist – ist, dasssie politische Legitimation haben. Diese ist notwendig,bevor Militär als Instrument zur Befriedung eingesetztwerden kann. Genauso ist es zwingend erforderlich, dassman beispielsweise auch im nationalen Parlament breiteUnterstützung bekommt.Umso wichtiger ist es, das auf der globalen Ebene zuorganisieren. Denn wie anders sollte politische Legiti-mation beschaffen sein, wenn nicht auf der Grundlageeines globalen Austauschs der Argumente, um die Kraftdieser Argumente dann auf die richtigen Punkte zu kon-zentrieren? Es gibt keine andere und keine bessere Orga-nisation als die UNO, diese Legitimation zu beschaffen.Wenn es sie nicht gäbe, sie müsste geradezu erfundenwerden,
obwohl wir wissen, welche Schwächen es innerhalb derUNO gibt. Aber die UNO ist immer nur so stark, wie wirsie selber machen. Die UNO lebt davon, dass die Mit-gliedstaaten der UNO die Chance haben, über andereund neue Instrumente zu verfügen. Gerade wenn es neueGefahren, neue Herausforderungen, neue Formen vonBürgerkrieg und Terrorismus gibt, müssen wir mit dafürsorgen, dass die UNO die Chance hat, gemeinsam mit al-len Nationalstaaten dafür auch die richtigen Instrumentezu entwickeln.Wer die Kontroverse um den Irakkrieg ernst nimmt,der wird, wie ich meine, daraus einen richtigen Schlussziehen können, nämlich dass die VN für die Welt heutevngdhgVtdeÖrGlmFden„pgsasCrgdfmtdhgvEpvdngdwrv
Ich erteile das Wort Kollegen Peter Hintze, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Die deutsche Europapolitik ist auf drei Pfeilern auf-ebaut: erstens der Freundschaft zu Frankreich, zweitenser transatlantischen Partnerschaft und drittens einemairen Umgang mit den kleinen Mitgliedstaaten. Ichuss heute kritisch feststellen, dass Bundesaußenminis-er Fischer, Arm in Arm mit dem Bundeskanzler, zweiieser drei Pfeiler zum Einsturz gebracht hat. Das Ver-ältnis zu Amerika ist nachhaltig gestört und der Gegen-ipfel der 15 kleineren Mitgliedstaaten unter Führungon Wien und Prag signalisiert einen Klimasturz in derU. Deshalb meine Aufforderung: Die deutsche Europa-olitik muss dringend zu der Balance zurückkehren, dieon Adenauer bis Kohl selbstverständlich war und dieie deutsche Politik ausgezeichnet hat, liebe Kollegin-en und Kollegen.
Diese Balance ist durch ein weiteres Projekt der rot-rünen Regierung gefährdet: das offene Eintreten füren Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. Ichill hier nicht davon sprechen, dass dieselbe Bundes-egierung unserem NATO-Partner Türkei Militärhilfeerweigert. Ich will nicht davon sprechen, dass deutsche)
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Peter HintzeGerichte die Türkei noch in diesen Tagen als einen Staatqualifizieren, in den rechtskräftig abgeurteilte Verbre-cher nicht abgeschoben werden dürfen. Es liegt natürlichin unserem Interesse, dass der Weg zur vollen Einhal-tung der Menschenrechte, zu Demokratie und einer sta-bilen Marktwirtschaft in der Türkei konsequent weiter-gegangen wird.
Mir geht es aber um eine ganz grundsätzliche Frage.Die zentrale Frage, vor der die Europäische Union steht,ist die nach dem Verhältnis zwischen Vertiefung undErweiterung. Jeder neue Beitritt zur EuropäischenUnion ist unter dem Gesichtspunkt der Integrationsfä-higkeit zu prüfen und daran zu messen, ob das, was wirmit der Europäischen Union wollen, mit diesem neuenMitglied auch umgesetzt werden kann.Wir haben gerade eine große Erweiterungsrunde be-schlossen. 75 Millionen Menschen aus zehn Staaten ausMittel- und Osteuropa und dem Mittelmeerraum gehörenbald zu uns. Vor jeder zukünftigen Entscheidung bedarfes auch einer gründlichen Auswertung des Beitrittspro-zesses.Mich bewegen in der Frage des Türkeibeitritts zweiGedanken. Ich habe den Verdacht, dass die Bundesregie-rung diesen Beitritt so massiv forciert, weil sie sich da-von ureigene Vorteile verspricht,
nicht für Deutschland, nicht für Europa, sondern für Rot-Grün. Ich kann verstehen, dass gute Werte von Umfra-gen unter türkischstämmigen Wählern in Deutschlandfür Sie eine arge Verlockung sind. Aber in der Frage derAufnahme eines schnell wachsenden Staates mit weite-ren 70 Millionen, 80 Millionen oder gar 100 MillionenBürgern in die EU ist hoffentlich der Aspekt bedeutsa-mer, ob die Europäische Union das verkraftet, ob es ihrgut tut und ob in dem dann neuen Mitgliedstaat Europaso gelebt werden kann und wird, wie wir uns Europavorstellen.Diese Frage haben Sie ignoriert, als Sie der Türkei1999 in Helsinki – an der Bevölkerung und übrigensauch am Parlament vorbei – in einer Blitzaktion den Bei-trittsstatus verliehen haben.
Diese Frage haben Sie auch in Kopenhagen ignoriert, woSie 2002 einen festen Ablaufplan für den Beitritt verein-bart haben. Und Sie haben diese Frage ignoriert, als SieHerrn Ministerpräsidenten Erdogan in Berlin vorige Wo-che öffentlich Zusagen gemacht haben.Die Bundesregierung versucht in der Diskussion, dieFrage zu tabuisieren, ob ein islamisch geprägter Groß-staat Mitglied der Europäischen Union werden kann.Dagegen wird eingewendet, die Europäische Union seikein christlicher Klub. Dieser Einwand geht in die fal-sche Richtung. Natürlich geht es bei der Beitrittsfragenicht um religiöse Überzeugungen. Es geht vielmehr umdie prägende Wirkung einer Religion auf das Wertesys-tdUcwFtIBzSkntdiwww–eBshEwPsrRmtHDmIe–detsFhe
Bei dem Zwischenruf des Kollegen Schauerte fällt mirin: Ich hatte vorgestern Nacht das Vergnügen, Herrundesminister, in der Wiederholung einer „Tages-chau“-Ausgabe von vor 20 Jahren einen durchaus se-enswerten Parlamentsauftritt von Ihnen zu erleben.ine gewisse Differenz zwischen damals und heute so-ohl im äußeren Habitus wie auch in Ihrer inhaltlichenositionierung ist durchaus festzustellen. Aber ab und anollten wir Sie an einige Ihrer eigenen Demokratieforde-ungen erinnern, auch wenn Sie jetzt in einer anderenolle sind, als Sie es damals waren.Eines hat mich besonders amüsiert: Sie haben sich da-als mit Herrn Zimmermann, dem Bundesinnenminis-er, auseinander gesetzt. Heute Morgen saßen Sie nebenerrn Schily, beide leicht ergraut und deutlich ruhiger.aran kann man sehen, was im Rahmen der Zeitabläufeit Menschen alles passiert. Aber das eine oder anderedeal, das Sie vertreten haben, sollten Sie sich doch nochinmal vergegenwärtigen.
Da wäre ich etwas optimistischer. Aber es freut mich,ass Sie dem noch Aufmerksamkeit schenken. Wenn Sieinmal der Meinung sind, es sei nach Ihrem Urteil einge-reten, dann können Sie das ja vermelden.Am Sonntag werden die Schweden entscheiden, obie den Euro einführen. Das ist natürlich eine wichtigerage, die auch eine Signalwirkung für andere in Europaat. Wir wissen aus den Umfragen, dass es in Schwedeninen beträchtlichen Widerstand gegen die Einführung
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Peter Hintzedes Euro gibt. Warum wird mit einem knappen Ergebnisgerechnet? Der Grund liegt auf der Hand – der Bundes-außenminister hat es von der Regierungsbank schonunparlamentarisch herübergerufen –: Die Schwedenschauen natürlich darauf, wie die deutsche Regierungmit einer gewissen Leichtfertigkeit die Stabilitätskrite-rien von Maastricht ignoriert und verletzt. Sie fragensich mit Grauen, ob man in einem solchen Verbund nichtmöglicherweise verloren ist.
Ich wünsche mir sehr, dass die schwedische Bevölke-rung am Sonntag Ja sagt, damit wir die Euro-Zone er-weitern und um Schweden verstärken können. Aberwenn es am Sonntag ein Nein gibt, dann hat das – daskann ich schon sagen – die Bundesregierung mit auf demGewissen.
– Die freudig erregten Zwischenrufe aus der SPD-Frak-tion möchte ich gerne einmal aufgreifen: Natürlich istDeutschland als das größte Land in der Euro-Zone in ho-hem Maße für den Euro verantwortlich. Es ist geradezueine Ironie der Geschichte, dass das Land, das 1997 denStabilitätspakt erwirkt hat, dasjenige ist, das diesen alserstes massiv und dauerhaft verletzt. Ich meine, dasmuss uns doch alle erschrecken. Anstatt solche Zwi-schenrufe zu machen, sollten Sie lieber sagen: Da istwirklich eine Korrektur fällig. – Es ist ein Drama, dassRot-Grün es geschafft hat, Deutschland in wenigen Jah-ren von einem Hort der Stabilität zu einem Verletzer desStabilitätspakts zu machen.
Die Haushaltsdebatte ist die erste Möglichkeit, hierauf die Ergebnisse des Brüsseler Konvents zu reagie-ren und sie zu würdigen. Ich freue mich, dass der Kol-lege Altmaier bei uns ist, der uns – wie Jürgen Meyer –in allen Sitzungen des Europaausschusses über die Ar-beiten unterrichtet und uns intensiv am Prozess beteiligthat. Ich glaube, es ist eine große Leistung, dass Parla-mentarier und Regierungsvertreter aus 28 Staaten einsolches Werk geschaffen haben und nun ein Vorschlagfür eine europäische Verfassung vorliegt. In der Gesamt-bewertung komme ich zu einem positiven Urteil. DieVerschmelzung der bestehenden Verträge ist geglückt.Die Aufnahme der Grundrechtecharta ist richtig. Es isteine klare Normenhierarchie entwickelt worden. DieEntscheidungsverfahren sind transparenter und die Ab-stimmungsregeln demokratischer.
– Der Bundesaußenminister, der sich in der zweitenHälfte dieses Konvents ja auch sehr intensiv beteiligthat, fordert mich, gewissermaßen von der Bank aus, auf,ich solle doch noch etwas Freundliches zu ihm sagen.Sie haben sich nach meinem Geschmack etwas zu mas-ssgabsasDsuEwugWdgtinDRgleddEdsdSLaziFwseFdNseld
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Das Leitmotiv von Nizza hieß Vertiefung und Erwei-terung. Wir alle wissen, dass wir dieses Ziel auf dieserRegierungskonferenz nicht erreicht haben. Die Fragewar, wie man dieses Ziel auf andere Weise erreichenkonnte. Die Antwort auf diese Frage war die Einberu-fung des Konvents. Nun stellt sich die Frage – eine Ant-wort darauf ist auch Herr Hintze schuldig geblieben –,wie wir mit diesem Ergebnis umgehen. Sie haben gesagt,man sollte möglichst bei diesem Ergebnis bleiben undalles so belassen. So lautete auch Ihre Aussage im Aus-schuss.Aber wie verhält sich die Union insgesamt, also CDUund CSU, dazu? Sie sind doch eine Fraktionsgemein-schaft. Gestern sagte der bayerische Ministerpräsident,Bayern wolle neu verhandeln. Zunächst einmal der ganzformale Einwand: Bayern kann nicht verhandeln. Bay-ern ist zwar größer als Estland und andere Länder; trotz-dem verhandelt Bayern nicht. Natürlich wird die Bun-desregierung Einwände, Anregungen und Anstöße derBundesländer aufnehmen. Das ist auch richtig so. Aberdie Nachverhandlungen, die Herr Stoiber fordert, kannes nicht geben. Er will das Paket sozusagen aufschnüren.Aber er macht keine Vorschläge, wie man es wieder zu-schnüren kann. Ich sage ganz deutlich: Die Union ausCDU und CSU sollte sich erst einmal darüber einig wer-den, wie sie mit dem Paket umgehen will. Am bestenwürde sie Ihren Vorschlag, Herr Hintze, aufgreifen, dasPaket nicht mehr aufzuschnüren; denn ich glaube, dassder Konvent eine gute Arbeit geleistet hat.
Herr Stoiber sagt, man könne nicht erwarten, dass dieTeilnehmer dieser Regierungskonferenz, die Staats- undRegierungschefs, nur wie Notare handeln. Was soll dieseFeststellung eigentlich? War es nicht vielmehr so, dassin der Vergangenheit wir Parlamentarier uns als Notareverstanden haben, weil wir an den Ergebnissen, die aufRegierungskonferenzen erarbeitet worden waren, nichtsmehr ändern konnten? Demgegenüber hat dieser Kon-vent jetzt auf demokratische Weise einen Verfassungs-entwurf erarbeitet, unter Beteiligung von Parlamentari-ern und von Regierungsvertretern – aus kleinen undgvSSscrBzrJPAsnemataannudvsmdWvMAK
Vor diesem Hintergrund möchte ich ein – nicht über-aschendes – Signal an die vielen Länder geben, die imahre 2004 beitreten wollen. Man hört jetzt Kritik ausrag und aus Wien. Wir haben mit diesen Ländern imuswärtigen Ausschuss und in anderen Fachausschüs-en, in Arbeitsgruppen und auf europäischer Ebene ei-en intensiven Dialog geführt, wie es sich gehört.Auch wir haben diesen Prozess mitgemacht. Auf derinen Seite ist es völlig legitim, ein nationalstaatliches,itgliedschaftliches Interesse zu formulieren. Auf dernderen Seite steht das europäische Interesse. Wir alleragen sozusagen einen Doppelhut. Irgendwann muss ichber entscheiden, welcher Hut mir wichtiger ist. Die Ver-ntwortung für Europa muss wichtiger sein als das allei-ige mitgliedschaftliche Interesse. Das sollten wir in denächsten Wochen noch intensiv mit unseren Kolleginnennd Kollegen aus den Beitrittsländern diskutieren.
Ich will darauf nicht im Einzelnen eingehen; das wirdie Kollegin Zapf noch tun. Aber es ist interessant, wieor dem Hintergrund des Wahlkampfes in Bayern be-timmte Themen aus dem Hut gezaubert werden. Aberan sollte nicht nur mit Blick auf den 21. Septemberieses Jahres handeln.Für mich ist klar, dass die Europäische Union keineReligionsgemeinschaft im klassischen Sinne desWortes ist. Für mich ist klar, um das mal salopp zuformulieren, dass die Europäische Union keinChristenverein ist.
Für mich macht die Vorstellung an sich auch Sinn,dass wir ein islamisches Land von der Größe, derBevölkerungsdichte der Türkei in die EuropäischeUnion integrieren, um uns selbst und der Welt zuzeigen, dass das machbar ist, dass Menschen unter-schiedlicher religiöser Ausprägung sehr gut mitein-ander in einer von integrationsweiterführendenAmbitionen getragenen europäischen Konstruktionzusammenleben können.ie stellt sich die Union dazu? Diese Aussage stammton Jean-Claude Juncker. Soviel ich weiß, ist auch eritglied der christlich-sozialen Volkspartei.Ohne Zweifel kann man über viele Dinge streiten.ber sowohl vom Kollegen Dr. Schäuble als auch vomollegen Hintze erwarte ich eine etwas differenziertere
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Günter GloserBetrachtungsweise. Dass meine bayerischen Freundevon der CSU immer mit der Holzhammermethode kom-men, ist schon klar. Darauf will ich nicht mehr viel ge-ben. Das liegt quasi in ihren Genen. Die können nichtmehr anders.
Die wollen einfach immer nur draufhauen. Sie wollenvor allem immer Befürchtungen schüren, die überhauptnicht anstehen.Auch Herr Dr. Schäuble hat heute wieder vor demParlament den Eindruck erweckt, als stehe im nächstenJahr der Beitritt der Türkei zur Europäischen Union an.Das ist überhaupt nicht der Fall. Sie wissen doch vielbesser, dass die Europäische Union im nächsten Jahr ersteinmal darüber entscheiden wird, ob überhaupt Beitritts-verhandlungen aufgenommen werden. Wie lange diesedauern, wissen wir. Was umgesetzt werden muss, wissenwir auch. Insofern sollte auch von der Union eine etwasdifferenziertere Betrachtung kommen.Ich will den Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktionnicht erwähnen – sonst hat er vielleicht nur Schaden –,der für eine differenziertere Betrachtungsweise eintritt.Darüber bin ich froh. Es gibt auch eine Arbeitsgruppe inder CDU, die sagt: Wir müssen mit dem Thema umge-hen, aber differenzierter. – Warum dann immer vor derÖffentlichkeit diese undifferenzierte Art und Weise, die-ses kurzfristige Spielchen, dieses Angsteinjagen vor ei-nem Wahltermin – als ob die Türken wieder vor Wien lä-gen?Liebe Kolleginnen und Kollegen vor allem von derCSU, Sie sollten endlich Ihren Kurs ändern.
Wenn Sie schon für Aufklärung sind, dann können wirsie in der Tat in der Debatte betreiben. Frau Merkel sagtdem türkischen Ministerpräsidenten: Nein, wir möchtennatürlich nicht diesen Wahlkampf missbrauchen. Vonder Union aus München höre ich etwas ganz anderes.Einer der gestrigen Vorwürfe aus München lautete,Rot-Grün sei schuld daran, dass keine öffentliche De-batte über die europäische Verfassung geführt werde.Liebe Kolleginnen und Kollegen, dann lasst uns in dennächsten Monaten bis Mai/Juni 2004 eine Debatte überdiese europäische Verfassung führen! Sie muss mögli-cherweise in folgenden Punkten fortentwickelt werden:Was heißt das für die nationalstaatliche Ebene? Washeißt das für die Außenbeziehungen? Man kann das abernicht immer auf diese dumpfe, dreiste Art machen, aufdie es der vermeintliche Alpenherkules, Herr Stoiber,machen will.
Ich würde dafür plädieren, dass wir, wie schon in denletzten Wochen und Monaten, auch durch die Bundesre-gierung einen intensiven Dialog über den Fortgang derRegierungskonferenz führen. Wir haben uns, denkeich, eindeutig – auch was den Zeitplan angeht – über diePRRszFrhfdAtdineazMddBsedWrSeaVdkIhuPiB
Ich erteile dem Kollegen Gerd Müller, CDU/CSU-
raktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Als ich die Rede des Bundesaußenministers gehörtabe, konnte ich feststellen: Vieles ist sehr richtig undindet unsere Zustimmung – insbesondere seine Ankün-igung, das Verhältnis zu Amerika zur Grundlage derußen- und Sicherheitspolitik zu machen. Viele interna-ionale Fragestellungen sowie die großen Probleme iner Wirtschaft, in der Sozial-, in der Klimapolitik, abernsbesondere auch bei der Terrorismusbekämpfung kön-en wir nur auf der Basis eines guten transatlantischen,uropäisch-amerikanischen Freundschaftsverhältnissesngehen. Darin stimmen wir Ihnen hundertprozentig zu.Herr Bundesaußenminister, als Sie Ihre Ausführungenum Thema Wahlkampf gemacht haben – nach demotto „Naja, da ist man halt ein Stück weit bereit, überas Ziel hinauszuschießen“ –, habe ich eine Zeit lang ge-acht: Jetzt zeigt der Mann Charakter. Heute früh hat derundeskanzler beim Thema Rente seinen Fehler einge-tanden. Wenn Sie, wie der Bundeskanzler, Ihren Fehleringestanden und gesagt hätten, dass der deutsche Son-erweg einer Vorfestlegung in der Irakfrage auf einerahlkampfkundgebung falsch war, dann hätten Sie Cha-akter gezeigt.
o sind wir jetzt in einer Situation, in der es heißt – soin Sprecher des Auswärtigen Amtes –: Es kann nichtusgeschlossen werden, dass es bei der nächsten UN-ollversammlung zu einem Händedruck zwischen demeutschen Bundeskanzler und dem US-Präsidentenommt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir rufenhnen zu: Bringen Sie das deutsch-amerikanische Ver-ältnis schnell wieder in Ordnung. Wir wollen Sie dabeinterstützen.
In der Außen- und Europapolitik ist das grundlegenderinzip das Vertrauen der Partner zueinander. Sie habenm transatlantischen Verhältnis und im europäischeninnenverhältnis – darauf komme ich noch zurück – viel
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Dr. Gerd Müllerdavon zerstört. Herr Gloser, bei den früheren Bundesre-gierungen war es auch so, dass es in der AußenpolitikVertrauen im Parlament gab. Ihre Auslassungen, HerrFischer, zur gestrigen Sitzung des Auswärtigen Aus-schusses und der Versuch, den Kollegen Schäuble hiervorzuführen, weil er nicht da war – er war in Paris undhat dort Gespräche geführt –, entsprachen nicht demVerlauf der Sitzung. Auch darauf komme ich noch ein-mal zu sprechen.Wir müssen Europa vereinen, nicht spalten. Sie spalten.Auch innerhalb von Europa ist es Ihnen gelungen, Ver-trauen zu zerstören. Der Kollege Hintze hat darauf auf-merksam gemacht. Der „Pralinengipfel“ mit Belgien undLuxemburg – eine europäische Sicherheitsinitiative –, dieNeuauflage des Achsendenkens – Paris–Berlin–Moskau –,
Ihr Verhalten gegenüber Österreich und das Urlaubsthea-ter des Bundeskanzlers gegenüber Italien:
All diese Aktionen zerstören Vertrauen, insbesonderedas Vertrauen unserer kleinen EU-Mitgliedspartner inDeutschland.
Deshalb ist die EU tief verunsichert. Es geht ein Rissdurch die Staatengemeinschaft.Der Verfassungsentwurf ist eine gute Grundlage fürdie Regierungskonferenz. Wenn ich diesen Entwurf aberan Ihrer Rede in der Humboldt-Universität messe, fürdie Sie sich ja schon den Nobelpreis zuschreiben lassenwollten – als freier Bürger –,
dann bin ich doch einigermaßen enttäuscht. Es kommtnicht von ungefähr, dass Sie selber acht Tage vor derSchlussberatung 56 Änderungsanträge in den Konventeingebracht haben.Meine Damen und Herren, in welcher Demokratie le-ben wir eigentlich? Die Bundesregierung und der Bun-desaußenminister, der Spontidemokrat der früheren Jahr-zehnte, wollen uns, dem Parlament, verbieten, mit demVolk in Dialog zu treten und dieses Verfassungswerk of-fen zu diskutieren. Demokratie heißt doch Dialog mitdem Bürger und nicht Geheimdiplomatie des Außenmi-nisters. Deshalb müssen wir, wenn wir beim Bürger Ak-zeptanz für den europäischen Verfassungsprozess erhal-ten wollen, den Dialog, das Gespräch und die Öffnungsuchen. Man kann doch ganz offen miteinander reden.Es gibt natürlich noch offene Fragen. Darauf möchtenwir hinweisen. 15 Mitgliedstaaten haben Änderungsbe-darf angekündigt. Deutschland dagegen sagt Nein, eswerde das Paket nicht aufmachen. Es werde darübernicht gesprochen, weder im Parlament noch in der Öf-fentlichkeit. Geschweige denn, dass eine Volksabstim-mung stattfinden werde.Brüssel bekommt gewaltige Macht. Die Bürger kön-nen das in der Praxis anhand des neuesten EuGH-UrteilsngbgdtSsDBsdnPsahdeDkG–eMddbETddVhFketTmdezvwkvKnRl
In der Türkei wird durchaus der Standpunkt vertreten,ass dieser Prozess aus türkischer Sicht auch kritisch zuewerten ist. Zum Beispiel müssten aufgrund desuGH-Urteils die Arbeitsrechtrichtlinien auch in derürkei in den dortigen Krankenhäusern umgesetzt wer-en. Angesichts dessen möchte ich die Frage stellen, ober acquis communautaire, diese 40 000 Gesetze underordnungen, die wir in 45 Jahren in Europa entwickeltaben, aus heutiger Sicht wirklich die Antwort auf dieragen bezüglich der Entwicklung der Türkei in demommenden Jahrhundert ist. Ich bin der Meinung, dassr das nicht ist. Wir müssen an dieser Frage weiterarbei-en. Deswegen sagen wir Nein zur Aufnahme, bieten derürkei aber eine privilegierte Partnerschaft, eine Zusam-enarbeit auf allen Feldern an.Im Rahmen der Haushaltsdebatte gäbe es noch viel iner Europapolitik anzumahnen. Wir treiben die Ost-rweiterung weiter voran. Es gibt jedoch kein Konzeptur Förderung der deutschen Grenzregionen, obwohl dason Bundeskanzler Schröder in Weiden groß verkündeturde. Es gibt keine Reform des Finanzsystems. Es gibteine Reform der Strukturförderung. Wir haben eineöllig unzureichende Haushaltskontrolle. Ihre grüne EU-ommissarin erhält vom Europäischen Rechnungshoficht ein einziges Jahr das Testat der Zuverlässigkeit derechnungsführung. Das muss man sich einmal vorstel-en! Für 10 Prozent der europäischen Ausgaben im EU-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 5061
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Dr. Gerd MüllerHaushalt gibt es nicht einmal einen Verwendungsnach-weis; und das unter Verantwortung einer grünen EU-Haushaltskommissarin. Das ist ein echter Skandal, denin Europa niemand wahrnimmt. Es scheint keine Rollezu spielen.Einige Schlussbemerkungen zum Thema Auslands-einsätze der Bundeswehr: Wir teilen hier die vonWolfgang Schäuble vorgetragenen Positionen. Ich habenicht ausreichend Zeit, Einzelheiten zu vertiefen.
Vor einer Zustimmung müssen Sie uns aber natürlichnoch entscheidende Fragen beantworten. Der Bürgermöchte ein Gesamtkonzept. Welches ist die nationale In-teressenlage? Können unsere Soldaten die Belastungenüberhaupt noch tragen? Terrorismusbekämpfung ist daswohl nicht in Kunduz. Drogenbekämpfung oder Be-kämpfung der Drogenbosse ist es ja wohl auch nicht. Fürhumanitäre Hilfe werden die Soldaten nicht gebraucht.Ich zitiere die „Berliner Zeitung“: „Wir werden miss-braucht für eine Politik der militärischen Symbolik“.Ferner sagt Ulrich Delius von der Gesellschaft für be-drohte Völker, „das eigentliche Ziel der Stationierungdeutscher Truppen in Kunduz sei die Verbesserung derBeziehungen zu den USA“. Er nennt den Einsatz „einidiotisches Konzept“. Ich nenne es kein idiotisches Kon-zept; denn ich sehe noch kein Konzept. Sie sind uns hierdie Antworten auf die von Herrn Schäuble angemahntenFragen schuldig geblieben. Dieser jetzt angestrebte Af-ghanistan-Einsatz darf aber kein Kompensationsgeschäftfür eine Verweigerung im Irak sein. Er muss in sich sel-ber logisch begründet sein. Nur dann können Sie von unseine Zustimmung erhalten.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort der Kollegin Uta Zapf, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieOst-West-Konfrontation ist vorbei, aber Frieden willsich überhaupt nicht einstellen. Wir haben es mit neuenBedrohungen vielfältiger Art zu tun. Wir haben diesheute schon alles angesprochen: instabile, zerfalleneStaaten, Proliferation von Massenvernichtungswaffen,internationaler Terrorismus. Wir haben es zunehmendmit asymmetrischen Kriegen zu tun, mit nicht staatli-chen Akteuren und mit Terroranschlägen. Der Krieg istim ehemaligen Jugoslawien nach Europa zurückgekehrt.Wir und alle Institutionen, sowohl die EU als auch dieNATO und auch die UN, haben unsere Lektionen ausdiesen Konflikten gelernt oder müssen sie dringend ler-nen. Ich glaube, eine der wichtigsten Erkenntnisse heißt,dass wir Stabilität nur schaffen können, indem wir Inte-gration und Kooperation auf nationaler und internatio-naler Ebene betreiben.NGrdaueSsfmzgsBSKdFUkdRthgGHuirnpTFmgdMh
Dies zeigt sich doch zum Beispiel an der InstitutionATO und deren Erweiterung aus stabilitätspolitischenründen. Dies zeigt sich an der EU und ihrer Erweite-ung aus stabilitätspolitischen Gründen; das ist unter an-erem aber auch ein wichtiges Argument. Das zeigt sichm Balkan und dem Stabilitätspakt bzw. den Stabilitäts-nd Assoziationsabkommen mit der Perspektive, in dieuropäischen Institutionen integriert zu werden, um dorttabilität zu bewirken. Deshalb, Kollege Schäuble, ver-tehe ich nicht, warum Sie dieser Regierung einen leicht-ertigen Umgang mit dem Stabilitätspakt unter der Prä-isse vorwerfen, dass man Europa schwäche, wenn manu vielen die Perspektive des Beitritts signalisiere.Ich vermute allerdings, liebe Kolleginnen und Kolle-en von der Opposition, die Sie sich so vehement an die-er Stelle äußern, dass Sie sich vor allen Dingen auf deneitritt der Türkei beziehen. Das haben die Kollegenchäuble, Glos, Hintze und jetzt auch noch einmal derollege Müller entsprechend vorgeführt. Ich möchteann einmal darum bitten, dass Sie in Bezug auf dierage nach der Integration der Türkei in die Europäischenion ein bisschen geschichtsbewusst denken.
Seit 1993 läuft ein Prozess der Annäherung der Tür-ei an die EU mit vielen Versprechen,
ie jetzt plötzlich nicht mehr wahr sein sollen. Auch dieegierung Kohl hat sich ausdrücklich für eine Integra-ion der EU eingesetzt.
Was passiert jetzt? Herr Glos hat heute früh auf unge-euer subtile Art eine Xenophobie mit dem Argumenteschürt, die Türkenflut stehe vor der Tür.
erade eben haben wir das auch noch einmal bei Herrnintze erlebt. Ich halte das für eine unerhörte Diskussionnd empfehle Ihnen zwei Dinge: Zum einen empfehlech Ihnen das kurze Papier des deutsch-türkischen Fo-ums Ihrer eigenen Partei, der CDU, in dem mit sehr ver-ünftigen Argumenten, auch stabilitäts- und sicherheits-olitischen Argumenten, Erwägungen zum Beitritt derürkei in die EU angestellt werden.Zum anderen empfehle ich Ihnen einen Blick in dieortschrittsberichte bzw. in die Berichte über die Refor-en, die die Türkei in den letzten zwei Jahren mit einerroßen Vehemenz und mit einem Erfolg betrieben hat,er unterstützt und nicht konterkariert gehört.
an ist das Problem der Folter mutig angegangen; dasaben wir immer verlangt. Daneben haben wir immer
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5062 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Uta Zapfverlangt, dass das Militär politisch kontrolliert wird.Amnesty International und die anderen Menschenrechts-organisationen sagen, dass das alles in der Praxis nochnicht in dem Maße, wie wir es verlangen, unten ange-kommen ist. Wir erwarten ja auch nicht, dass dieser Pro-zess bereits morgen abgeschlossen ist. Jetzt müssen ersteinmal die politischen Kriterien, die Kopenhagener Kri-terien, erfüllt werden. Wir sollten die Türkei unterstüt-zen, sodass die Umsetzung ihrer Vorhaben dort auch ge-lingt, und es nicht zu einem Prozess der Entmutigungkommen lassen. Die Türkei hat die Schwächen selbst er-kannt. Wenn Sie mit Herrn Erdogan gesprochen hätten,dann wüssten Sie, dass er selbst sagt, dass noch nicht al-les implementiert ist, dass sie das aber implementierenwerden.Werfen Sie einen Blick auf die gesamte Geschichteder Türkei in den letzten 70 Jahren. Dies ist ein islami-sches Land mit einer Westorientierung und einem laizis-tischen System. Da wir die Austarierung mit den islami-schen Staaten suchen, sind wir gut beraten, die Türkeials einen ganz engen Partner zu gewinnen, um diese Pro-bleme, die bis hin zum Terrorismus reichen, zu bewälti-gen.
Wir werden diese Diskussion noch weiter führen müs-sen; das sehe ich auch so.In den letzten paar Minuten, die ich für meine Redenoch habe, möchte ich noch ein paar Dinge zu anderenpolitischen Themen sagen, die für die zukünftige Ent-wicklung unserer Sicherheitspolitik eine Rolle spielen.Ich bedauere es wirklich sehr, dass das Gesamtkon-zept der Außen- und Sicherheitspolitik dieser Bundes-regierung offensichtlich nicht wahrgenommen wird. Wirdiskutieren über bestimmte Teile. Es gibt aber immerwieder Missverständnisse oder auch Nichtkenntnis. Des-halb empfehle ich allen Kolleginnen und Kollegen dieLektüre des vom Bundessicherheitsrat am 28. Juni die-ses Jahres abgesegneten Gesamtkonzepts zur zivilenKrisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsoli-dierung.Ich glaube, wenn wir die Dinge auf der militärischenSeite und die zivilen Konzepte endlich einmal als einGesamtkonzept betrachten, dann werden wir auch in an-deren Dingen nicht mehr so stark differieren.
– Das ist doch überhaupt nicht wahr.Herr Fischer hat heute früh ausdrücklich gesagt, dassbei der akuten Bekämpfung des internationalen Terro-rismus auch militärische Instrumente benötigt werden.
Es gab eine große internationale Einigkeit bezüglich derUN-Resolution in dieser Frage und darüber, dass Mas-sdZnsttmdrswvneesdtaasaDddedsMddgvdsmizhnmNsh
Ich erteile der Kollegin Petra Pau das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Haushalt ist in Zahlen gegossene Politik, heißt es. Die
PDS im Bundestag hat sich deshalb die Teile besonders
angesehen, die sich mit Verteidigungs-, Außen- und Ent-
wicklungspolitik befassen. Ich komme daher gleich auf
die politischen Differenzen zu sprechen, die sich anhand
der Zahlen und auch heute in der Debatte zeigen.
CDU/CSU drängen auf einen in absoluten Zahlen
größeren Verteidigungshaushalt.
Rot-Grün hat einen relativ, also im Verhältnis zu den an-
deren Posten größeren Verteidigungshaushalt vorgelegt.
Wir aber wollen einen kleineren Verteidigungshaus-
halt – absolut und auch relativ.
Das ist der erste Grund, warum wir diesen Haushalt ab-
lehnen.
Nun gehöre ich nicht zu den Linken, die die Mittel im
Verteidigungshaushalt zigmal verteilen wollen, um alle
Übel dieser Welt zu bekämpfen. Das ändert aber nichts
an der Frage, wofür wir die Milliarden ausgeben, wäh-
rend sie zugleich an allen Ecken und Enden fehlen. Der
Bundesrechnungshof hat dieser Tage den Eurofighter
moniert, weil er nicht die versprochenen militärtechni-
schen Parameter erfülle. Ich kritisiere nicht die Parame-
ter des Eurofighters, sondern den Eurofighter an sich
und die Milliarden Euro an Steuergeldern, die dafür
sinnlos hinausgeworfen werden. Dieselbe Rechnung
ließe sich noch an weiteren Posten aufmachen. Das ist
der zweite Grund, warum wir diesen Haushalt ablehnen.
Nun möchte ich an eine Debatte erinnern, die wir hier
vor knapp einem Jahr geführt haben. Ich habe sie gut in
Erinnerung, weil der Kollege Schäuble von der CDU/
CSU-Fraktion dafür plädierte, Präventivkriege, also An-
griffskriege künftig nicht mehr auszuschließen, sondern
sich im Gegenteil darauf vorzubereiten. Das war eine
Bundestagspremiere. Ich erinnere mich auch deshalb so
gut an die Debatte, weil bei Rot-Grün plötzlich das
große Schweigen ausbrach, als hätte man nichts gehört.
Inzwischen wurde die Präventivkriegsoption über den
Umweg EU politisch manifestiert. Sie wird auch mit die-
sem Haushalt verfolgt. Herr Minister Fischer, Sie haben
kürzlich auf der Botschafterkonferenz gesagt, dass Sie
den Status quo nicht mehr akzeptieren können und ein
neues Kapitel deutscher Außenpolitik begonnen habe.
Ich stelle besorgt fest: Die Differenz, die es wegen des
Irakkrieges mit den USA gab, schmilzt.
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Ich habe gerade in aktuellen Agenturmeldungen gele-
en, Minister Struck wolle einen Voraustrupp der Bun-
eswehr nach Kunduz in Afghanistan schicken – völlig
hne Mandat, wohlgemerkt. Wo sind wir hier eigentlich:
m Bundestag oder im Tollhaus? Noch gilt das Grundge-
etz und es ist höchste Zeit, dass der Bundeskanzler und
er Herr Innenminister die Verfassung vor diesem Ver-
eidigungsminister schützen.
Gegen diesen Militärgeist, gegen dieses neue Kapitel
eutscher Außenpolitik und gegen dieses neue Europa
aben in diesem Jahr Millionen Menschen demonstriert,
uch die PDS. Das ist der dritte Grund, warum wir die-
en Haushaltsteil ablehnen.
Es gibt eine Grundoption, die auch diesen Haushalt
rägt. Sie wollen im Marschkonzert der mächtigen Mili-
ärmächte wenigstens die zweite Tuba spielen und welt-
eit mit auf Tournee gehen. Das ist kein Geheimnis. Das
agen die geltenden Militärdoktrinen. Sie sind der vierte
rund, warum die PDS im Bundestag diesen Haushalts-
eil ablehnt.
Schließlich, haben Sie schon einmal verglichen, wie
iele Milliarden Sie für Rüstung, für Bundeswehr und
uslandseinsätze planen und wie wenig Geld für Kon-
liktforschung, Prävention, Entwicklungshilfe oder, wie
ie Kollegin Zapf eben in ihrem letzten Redeteil gesagt
at, Abrüstungshilfe? Die absolut ungleichen Zahlen
erraten die tatsächlichen Schwerpunkte Ihrer Politik.
ir finden sie grundfalsch. Das ist der fünfte Grund, wa-
um wir diesen Haushalt ablehnen.
Ich erteile dem Kollegen Lothar Mark, SPD-Fraktion,
as Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!iebe Kollegin Pau, ich muss zumindest darauf hinwei-en, dass der Voraustrupp, den Sie ansprachen, durch dasSAF-Mandat abgedeckt ist. Deswegen gehen diese An-chuldigungen ins Leere.
Ich will zum Haushalt des Auswärtigen Amtes reden,er heute auf der Tagesordnung steht. Es wurde sehr vielndirekt dazu gesagt.
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Lothar MarkBei weltweit über 8 000 Beschäftigten einschließlichOrts- und Sicherheitskräften weist der Haushalt des Aus-wärtigen Amtes einen überdurchschnittlich hohen Per-sonalkostenanteil auf. Mehr als ein Viertel des Haus-halts des Auswärtigen Amtes ist durch Pflichtbeiträge aninternationale Organisationen mit durchlaufenden Pos-ten gebunden. Zusammen mit den Ansätzen für instituti-onelle Förderungen, ebenfalls überwiegend Personalaus-gaben, besteht der Haushalt des AA zu über zweiDritteln aus rechtlich gebundenen Ausgaben und damitnicht disponiblen Mitteln.Der AA-Haushalt liegt im laufenden Jahr mit einemGesamtvolumen von 2,24 Milliarden Euro um 83 Millio-nen Euro bzw. 3,9 Prozent über dem Ansatz von 2002.Der Anteil am Gesamthaushalt stieg damit von 0,85 auf0,90 Prozent. Ursachen hierfür waren in erster Linie dieVeranschlagung von bisher im Einzelplan 60 etatisiertenMitteln aus dem Antiterrorpaket im Einzelplan 05 sowiedie Neuveranschlagung von Mitteln für das G-8-Pro-gramm „Globale Partnerschaft“ zur Beseitigung ehema-liger Massenvernichtungswaffen und -materialien.Der Haushaltsentwurf 2004 führt allerdings für dasAA zu einer Absenkung um 2,1 Prozent. Somit steht einVolumen von 2,18 Milliarden Euro zur Verfügung. Dassind 0,87 Prozent des Gesamthaushalts. Diese Reduktionist ohne substanzielle und strukturelle Veränderung mög-lich, da alleine im Beitrag an die Vereinten Nationendurch Änderung des Wechselkurses über 45 MillionenEuro gegenüber 2003 eingespart werden können und dasHaus durch Kosten-Leistungs-Rechnung in wesentlichenTeilen sehr effizient wirtschaftet.Während das Deutsche Archäologische Institut einenAufwuchs erfährt, werden die Mittel für das Goethe-In-stitut im In- und Ausland leicht gekürzt. Die Mittel fürStipendien und den Schulfonds werden jedoch verstetigt.Probleme sehe ich derzeit bei der Ausstattung derBotschaften in der Programmarbeit, die – schon jetztauf niedrigem Niveau – von 1,37 Millionen Euro auf0,65 Millionen Euro halbiert wurde, und im Bereich Fa-cility Management. Jetzt nicht vorgenommene Instand-setzungen, Reparaturen und Erneuerungen rächen sichspäter mit einem immens hohen Kostenaufwand, wenn-gleich ich mit großer Freude zur Kenntnis nehme, dassder Titel für Liegenschaften im Ausland um fast 7 Mil-lionen Euro erhöht wurde. Das heißt, an dieser Stellestimmt die Linie.Über die Stellungnahme des Bundesrechnungshofeszum Facility Management des Auswärtigen Amtes wirdan anderer Stelle zu reden sein. Allerdings steht dasThema – wenn auch nicht unter diesem Begriff, sonderndem des Liegenschaftsmanagements – schon seit min-destens 20 Jahren auf der Agenda und tangiert sicherlichfast alle Ministerien. Das AA hat sehr schnell auf denBericht reagiert und für Abhilfe gesorgt.Im Entwurf zum Einzelplan 05 scheinen zwei redak-tionelle Fehler vorzuliegen. Auf Seite 41 sind in demHaushaltstitel zu den Stipendienfonds eine Erhöhung um87 000 Euro für die Konrad-Adenauer-Stiftung und eineAtNbem„fli9UdteS2lidgMdtiwtiwdSzPmffftelAD
ach dem Protokoll des Stiftungsgesprächs vom 12. Fe-ruar 2003 müsste es umgekehrt sein. Ich denke, das istin Versehen; hier muss eine Korrektur erfolgen.Eine zweite Korrektur muss auf Seite 20 vorgenom-en werden. In den Erläuterungen zum HaushaltstitelDemokratisierungs- und Ausstattungshilfe“ wird ange-ührt, dass für Minenbeseitigungsprogramme 4,75 Mil-onen Euro vorgesehen sind. Tatsächlich sind es aber,75 Millionen Euro.
nter diesem Haushaltstitel sind 5 Millionen Euro fürie Ausstattungshilfe vorgesehen und die restlichen Mit-l stehen der Demokratisierungshilfe zur Verfügung.Die Leistungen im Rahmen des Stabilitätspakts fürüdosteuropa betrugen 2003 47 Millionen Euro. Für004 sind sie vermeintlich auf null gesetzt, aber tatsäch-ch sind sie beim BMZ etatisiert und stehen ebenso wieie Mittel für die Afghanistanhilfe dem AA zur Verfü-ung.Kritisch ist aus meiner Sicht anzumerken, dass dieittel für die aktuelle Konfliktbewältigung im Rahmener Vereinten Nationen aufgrund zunehmender interna-onaler Einsätze und Verpflichtungen zwar stetig an-achsen, die finanzielle Ausstattung der Krisenpräven-on demgegenüber aber nicht in der Größenordnungächst, wie sie angemessen und nachhaltig wäre. Ichenke, in diesem Bereich muss über neue Konzepte undtrategien nachgedacht werden, da ich fest davon über-eugt bin, dass letztendlich eine intelligente und mit denartnern abgestimmte Prävention kostengünstiger wäre,ehr Probleme dauerhaft gelöst und militärische Kon-likte eher verhindert werden könnten.
Lieber Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich sehe gerade, dass meine Redezeit leider abgelau-en ist.Ich möchte abschließend festhalten, dass ich sehr er-reut darüber bin, dass im Haushalt des AA die gegensei-ige Deckungsfähigkeit und Übertragbarkeit großenteilsrreicht worden ist und dass der Haushalt insgesamt so-ide ist und von großem Verantwortungsbewusstsein desA gegenüber dem Gesamthaushalt zeugt.
eswegen kann man ihm sehr wohl zustimmen.Vielen Dank.
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Ich erteile dem Kollegen Joachim Hörster, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ichmöchte mich nicht wie mein Vorredner konkret zumHaushalt äußern, sondern einige Aspekte streifen, dievorhin schon angesprochen worden sind, allerdings nichtso intensiv.Der Kollege Gloser hat vorhin in seinem Beitrag aus-geführt, wir würden über den Beitritt der Türkei reden,als stünde er unmittelbar bevor und als müsste man sichdirekt damit auseinander setzen.
Das ist zweifelsohne nicht so. Aber die Türkei ist einlangjähriger treuer Verbündeter innerhalb der NATO, derin den Zeiten des Kalten Krieges verlässlich an unsererSeite gestanden hat. Deshalb sollte man ehrlich mit ihrumgehen. Ich finde, zur Ehrlichkeit gehört, dass man derTürkei sagt, dass sie kein europäisches Land ist. Auchdie innere Beschaffenheit der Türkei lässt nicht die Hoff-nung zu, dass sie auf absehbare Zeit beitrittsfähig wird.Es gibt hier eine Reihe von Brüchen.In den letzten Wochen ist mit großer Genugtuungfestgestellt worden, dass der Einfluss des Militärs auf dietürkische Politik – angeblich – zurückgegangen sei. Ichmöchte darauf hinweisen, dass es gerade dem türkischenMilitär weitestgehend zu verdanken ist, dass die Türkeinoch heute ein laizistischer Staat ist; denn es hat in derGeschichte der Türkei zweimal eingegriffen, um dieÜbernahme durch Islamisten zu verhindern. Hier gibt eseinen Widerspruch: Um die Stabilität des Landes zu ge-währleisten, braucht man einerseits das Militär mögli-cherweise auch im Innern. Auf der anderen Seite wollenwir natürlich eine von staatlicher Macht unbeeinflussteDemokratie. Dieser Widerspruch wird sich auf dieSchnelle nicht lösen lassen. Das sollte man auch unserentürkischen Verbündeten deutlich machen.Ich möchte nicht auf die Widersprüche zwischen Pan-zerverkäufen, Auslieferungen und der Wertegemein-schaft der Europäischen Union hinweisen, die jedem ge-radezu ins Auge springen, der sich mit diesem Themabefasst.
Aber ich möchte auf einen Punkt näher eingehen: DieTürkei hat eine gemeinsame Grenze mit dem Irak. Wennman also die Türkei als Verbündeten und künftiges Mit-glied der Europäischen Union für denkbar hält, dannkann man sich nicht einem Beitrag zur Ordnung der Ver-hältnisse im Irak verweigern; denn sonst würde manbeim türkischen Verbündeten für Unsicherheit sorgen.Auch die Türkei braucht sichere Verhältnisse im Irak.Aber in diesem Zusammenhang sind die Beziehungenebenfalls spannungsgeladen. Zu diesem Schluss kommtman, wenn man daran denkt, wie sich die amerikanischeAdministration und die türkische Regierung unter ande-rdEwfaksLliIkshttetirvTwRStBKozdphteWDRIbWbsatvEluRrEasdhzd
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Er wird zweitens sagen: Aber dafür steht im Haushaltnicht genügend Geld bereit.AIt–EsihdsRDgRhnpdsmePfwndNaisNdi2sTfNuSnTwtsddrAtE
uch ich hätte natürlich gerne mehr Geld; aber jeder vonhnen weiß, dass wir in einer bestimmten Finanzsitua-ion sind.Ich würde sagen, wenn ich ihm antworten dürfteaber ich bringe den Haushalt ein; deshalb rede ich alsrster –: Wenn Sie mir Vorschläge machen, wie Ihre zu-ätzlichen Forderungen finanziert werden sollen, bin ichmmer dabei. Ich weiß allerdings aus der letzten Haus-altsberatung – die erste, die ich als Minister miterlebenurfte –, dass Ihre Finanzierungsvorschläge unseriösind.Er wird dann drittens auf Veröffentlichungen vonechnungshofberichten zum Eurofighter und zu andereningen hinweisen. Dazu will ich, um das gleich aufzu-reifen, sagen: Wir werden eine Stellungnahme zumechnungshofbericht abgeben. Wir werden im Haus-altsausschuss darüber zu diskutieren haben. Wir kön-en sicher auch, wenn Sie das wünschen, im Rechungs-rüfungsausschuss darüber diskutieren. Manches vonem, was der Rechnungshof aufgeschrieben hat, ist ab-olut nicht zu verantworten. Ich will es bei dieser Be-erkung belassen. Wir werden es noch im Einzelnen zurörtern haben.Die Situation der Bundeswehr wird durch folgendeunkte gekennzeichnet: Wir befinden uns in einer Re-orm der Bundeswehr, die wir konsequent fortsetzenerden; da werden wir auch nachjustieren. Unsere inter-ationalen Einsätze werden fortgesetzt werden. Wir wer-en internationale Verpflichtungen im Rahmen derATO und der Europäischen Union haben. Wir werdenuch zusätzlich gefordert werden, zum Beispiel bei derm Aufbau befindlichen NATO-Response-Force, im Zu-ammenhang mit den Dauervereinbarungen zwischenATO und EU über eine EU-Eingreiftruppe und überie Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO sowiem Zusammenhang mit der Umsetzung der von mir am1. Mai dieses Jahres erlassenen verteidigungspoliti-chen Richtlinien.Ich habe in den vergangenen Wochen zahlreicheruppenbesuche durchgeführt und dabei Folgendesestgestellt: Die Angehörigen der Bundeswehr haben dieotwendigkeit der umfassenden Reform akzeptiert undnterstützen sie ausdrücklich. Ich habe hoch motivierteoldatinnen und Soldaten sowie zivile Mitarbeiter ken-en gelernt. Das gilt trotz schmerzlicher Eingriffe fürausende Angehörige der Bundeswehr als Folge der not-endigen Stationierungsentscheidungen. Das gilt auchrotz der enormen Belastungen, die die laufenden Ein-ätze für alle Verbände mit sich bringen, nicht nur fürie, die im Auslandseinsatz sind, sondern auch für die,ie zu Hause geblieben sind und die Aufgaben der ande-en mit übernehmen müssen.Wir sind im Augenblick mit etwa 8 200 Soldaten imuslandseinsatz und damit nach wie vor einer der größ-en Truppensteller für internationale Friedenseinsätze.s geht nicht darum, sich überall und jederzeit an inter-
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Bundesminister Dr. Peter Strucknationalen Einsätzen zu beteiligen, aber unser Engage-ment ist wichtig – auch für unsere Sicherheit. Darum tunwir das,
im weltweiten Kampf gegen internationalen Terrorismusgenauso wie auf dem Balkan oder beim Aufbau in Af-ghanistan.Über die aktuelle Situation in Afghanistan haben wirheute Morgen und auch vorhin in der Debatte über denEinzelplan des Kollegen Fischer diskutiert. Ich will dazudeshalb nur noch auf die Entscheidung hinweisen, dieich getroffen habe, nämlich ein so genanntes Standort-untersuchungsteam zu entsenden. Ich habe die Obleutedes Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsaus-schusses sowie die Fraktionsvorsitzenden schriftlichüber die beabsichtigte Aufgabe informiert. Ich will dieAufgabe auch dem Gesamtparlament noch einmal kurzdarstellen.Es geht um die Frage: Können wir die derzeit durchdie USA genutzte Infrastruktur in Kunduz übernehmen?In dem Zusammenhang stellen sich folgende Fragen:Wie wird diese ISAF-Insel in Kunduz, wenn wir siedenn installiert haben, mit Kommunikationseinrichtun-gen, Führungsmitteln – Stichwort: Interoperabilität – andas ISAF-Headquarter in Kabul sowie nach Deutschlandangebunden? Wie werden die Liegenschaften, die wirdort in Kunduz nutzen werden – entweder die von denAmerikanern übernommenen oder neu einzurichtende –,versorgt und bewacht? Welchen Umfang brauchen wirbei der sanitätsdienstlichen Versorgung? Es gibt auchnoch andere Fragen.Der Kollege Lothar Mark hat schon darauf hingewie-sen: Das ist durch den ISAF-Beschluss des Bundestagseindeutig gedeckt, der Abstimmungsgespräche auchaußerhalb Kabuls erlaubt. Als Parlamentarier, der dieRechte des Parlaments durchaus zu schätzen weiß, wiedie Kollegen bestätigen können, hielt ich es nur für rich-tig, Sie vorher einzubinden, obwohl ich Sie überhauptnicht darüber informieren müsste. Ich habe das gesternin den Ausschüssen und bei den Obleuten getan.Die maximal bis zu 20 Soldaten werden so schnellwie möglich auf den Weg nach Kunduz geschickt. Icherwarte dann innerhalb von neun bis zehn Tagen, nach-dem sie zurückgekommen sein werden, eine Bewertungder Situation von ihnen. Bis dahin werden wir vermut-lich auch einen entsprechenden Beschluss des Sicher-heitsrats der Vereinten Nationen haben, dem ein Be-schluss des NATO-Rats folgen wird, sodass wir nach derbisherigen Planung im Oktober hier im Parlament darü-ber zu entscheiden haben, und zwar über Konkreteres alsdas, was Inhalt der jetzt vom Kabinett getroffenen Vor-entscheidung ist. Wir werden dem Parlament dann auchsagen können – darauf werden die Haushaltsausschuss-mitglieder zu Recht Wert legen –, um welches finan-zielle Volumen und um welche Größenordnung der Zahlder Soldaten es gehen wird. „Zwischen 250 und 450“ ha-ben wir zunächst einmal festgelegt.SlinTimwdueAslafm–ggpK2taM–nanwte4daIgVHtuzDfhlewds–
Er hat gefragt: Gibt es denn Möglichkeiten der Betei-gung anderer Nationen, entweder in unserem regio-alen Wiederaufbauteam oder in Form eines eigeneneams? Ich bin mit vielen europäischen Amtskollegen Gespräch und – das habe ich auch gestern im Aus-ärtigen Ausschuss vorgetragen – halte es durchaus fürenkbar, dass sich entweder ein europäischer Partner annserem Team in Kunduz beteiligt oder dass andereuropäische Staaten eigene regionale Aufbauteams infghanistan installieren.Ich bin – das habe ich dem Kollegen Hoyer eben auchchon in einem privaten Gespräch gesagt – nicht glück-ich darüber, dass die FDP einen Einsatz schon jetzt klarblehnt. Ich halte diese Entscheidung für vorschnell undalsch. Man sollte doch lieber zunächst abwarten, bisan weiß, wie die konkrete Situation dort aussiehtmöglicherweise können wir im Oktober auch schon sa-en, welche anderen europäischen Nationen sich beteili-en wollen –, und erst dann eine Entscheidung treffen.Wir sind in Afghanistan in der Tat an einem Wende-unkt. Niemand ist in der Lage – das haben Sie, Herrollege Hoyer, eben selbst in der Debatte aufgezeigt –,0 000 bis 30 000 zusätzliche Soldaten nach Afghanis-n zu schicken. Eine Alternative wäre demnach, dasandat für beendet zu erklären. Da wir das nicht können es wurde ja auch von Ihnen ausgeführt, warum dasicht geht –, wählen wir den Mittelweg mit den Wieder-ufbauteams. Wenn es gelingt, acht bis zwölf in Afgha-istan zu installieren, bietet sich damit eine Chance. Ichill nicht verschweigen, dass wir damit Neuland betre-n, zum einen mit der Art, denn Teams aus 250 bis50 Soldaten stellen ja kein massives Truppenkontingentar, zum anderen, indem wir unsere Wiederaufbauteamsnders als die bisherigen vier der Amerikaner gestalten.n diesen ist der Anteil von zivilen Personen ja sehr vieleringer als der von Soldaten.Wir wollen, dass der zivile Aufbau Afghanistans imordergrund der Arbeit unserer Teams steht. Derenauptaufgabe soll es also sein, ordentliche zivile Struk-ren in diesem Land zu schaffen. So sieht unsere Kon-eption aus. Dabei wird es sicherlich auch Learning byoing geben. Aber mit Ihrer Haltung, wie Sie es ebenür die FDP-Fraktion erklärt haben, diese Chance über-aupt nicht zu ergreifen und einen solchen Einsatz abzu-hnen, nehmen Sie meiner Meinung nach keine verant-ortliche politische Position ein.
Ich will noch einige kurze Bemerkungen machen, umen Kollegen nicht Redezeit wegzunehmen. Das gehörtich ja für einen Minister in einer ersten Lesung nicht.
Ich rede ja jetzt für mich.
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Bundesminister Dr. Peter StruckWir befinden uns in der Phase der Nachjustierungder Bundeswehrreform. Das heißt, wir wollen die Syn-chronisierung von veränderten Aufgaben und der dazunotwendigen Ausrüstung in Übereinstimmung mit denverfügbaren Mitteln erreichen. Das ist das Ziel. In denvergangenen Monaten habe ich vor diesem Hintergrundbereits wichtige Rüstungs- und Standortentscheidungengetroffen. Ich will hier ausdrücklich sagen: Es werdennoch weitere folgen; der Prozess ist noch nicht abge-schlossen. Der Generalinspekteur hat von mir den Auf-trag bekommen, bis Ende dieses Jahres die neue Kon-zeption der Bundeswehr vorzulegen und auf dieserGrundlage ein neues Material- und Ausrüstungskonzeptzu erarbeiten.Eine Tatsache steht für mich fest – ich richte dieseWorte jetzt auch an den Koalitionspartner –: Eine Ab-schaffung oder Aussetzung der Wehrpflicht oder eineVerkürzung der Wehrdienstdauer ist für mich kein Be-standteil der Modernisierung der Bundeswehr.
Die Grundwehrdienstleistenden mit einer Wehrdienst-dauer von neun Monaten nehmen in den Streitkräftenwichtige Funktionen wahr. Sie leisten einen unverzicht-baren Beitrag zur Aufrechterhaltung der Einsatzbasishier in Deutschland. Wir werden die Ausgestaltung desGrundwehrdienstes ändern; dazu erwarte ich Vorschlägevonseiten der Soldaten. Aber ich stelle den Grundwehr-dienst von meiner Seite aus nicht zur Disposition. Darü-ber müssen wir in der Koalition diskutieren und dannentscheiden.Wir leisten mit unserem Etatansatz in Höhe von24,4 Milliarden Euro einen Beitrag zur Konsolidierungund Festigung unseres Haushalts. Dass das praktisch we-niger bedeutet als im Vorjahr, muss mir niemand erzäh-len. Das hängt mit der Erhöhung der Besoldung und demAnstieg der Preise zusammen. Trotzdem werden wir– wenn ich den Haushalt jetzt einmal zusammenfassendbewerten darf, Herr Kollege Austermann – versuchenmüssen, die Effizienzsteigerung im Rahmen des Pla-fonds von 24,4 Milliarden Euro zu erreichen, durch dieÜberprüfung all dessen, was wir bisher tun. Sie habenimmer abgelehnt, Sie stimmen bei den Haushaltsbera-tungen immer dagegen. Sie waren gegen die Maßnah-men zur Zusammenarbeit von Bundeswehr und Wirt-schaft, die mein Vorgänger Rudolf Scharping ergriffenhat. Sie waren gegen die Einrichtung der GEBB und be-antragen jedes Jahr in schöner Regelmäßigkeit ihre Ab-schaffung, was jedes Jahr in schöner Regelmäßigkeit ab-gelehnt wird.Ich empfehle Ihnen: Gehen Sie einmal zu einem Mo-bilitätszentrum der Bundeswehr und sehen Sie sich an,was dieser neue Fuhrparkservice leistet. Sehen Sie sichan, was die LH-Bekleidungsgesellschaft der Bundes-wehr leistet. Durch diese Einrichtungen beginnen wirjetzt Geld einzusparen, obwohl die Leistungsfähigkeitund das Serviceangebot für die Soldaten in keiner Weiseverschlechtert worden sind. Es gibt natürlich Anlauf-schwierigkeiten; das weiß jeder. Aber der Weg, durchdraHsHkIsdddPnbncmDnd–rsasDüwgLwdDekC
Ich komme zu den Beschaffungsvorhaben, die an-tehen. Ich vermute, dass Sie auch die Denkschrift deseeres 2020 ansprechen werden. Wenn Sie es wollen,önnen Sie es streichen, weil ich es jetzt schon erledige.
ch weiß, dass die Inspekteure der Teilstreitkräfte be-timmte Wünsche haben. – Er streicht es schon heraus,as habe ich mir gedacht. – Jeder hat Wünsche, aber je-er Inspekteur des Heeres, der Marine, der Luftwaffe,er Streitkräftebasis, der Sanität weiß, dass alles auf demrüfstand steht, was irgendwann vielleicht einmal in ei-er Bundeswehrplanung aufgeschrieben worden ist. Ichin nicht bereit, dem Parlament eine Bundeswehrpla-ung vorzulegen, von der ich weiß, dass sie nicht abgesi-hert ist, weil die finanziellen Grundlagen nicht stim-en.
as kann man dem Parlament und auch der Bundeswehricht zumuten. Hier muss jetzt Klartext gesprochen wer-en. Wir werden das tun.
Ich sage das ja nur für den Fall, dass Sie wieder mit Ih-en unrealistischen Forderungen kommen, was alles zu-ätzlich gemacht werden soll.Ich sage: Die Denkschrift des Heeres ist interessant,ber sie ist überhaupt nicht verbindlich. Das weiß der In-pekteur des Heeres und die anderen wissen es auch.arüber werden wir zu entscheiden haben, wenn wirber die Ausrüstungs- und Materialplanung der Bundes-ehr diskutieren. Deshalb können Sie die Denkschriftern zitieren und fragen: Warum wird all das, was in deriste steht, nicht gemacht? Ich sage Ihnen nur: Alles,as irgendwann irgendwo aufgeschrieben worden ist fürie Zeit bis zum Jahre 20XY, steht auf dem Prüfstand.arüber werden wir anhand von realistischen Daten hierntscheiden und wir werden uns nicht von Wunschden-en leiten lassen.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Kollegen Dietrich Austermann, CDU/SU-Fraktion, das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bindem Verteidigungsminister sehr dankbar für seine Aus-führungen, nicht nur, weil er offensichtlich einen ganzenEimer Kreide zu sich genommen hat, bevor er ans Pultgegangen ist, um die Debatte von sich aus zu harmoni-sieren, sondern weil er schon auf einige Dinge hingewie-sen hat, bei denen er mit Recht davon ausgeht, dass ichsie anspreche. Ich will entsprechend antworten, aber einpaar Dinge müssen schon klar gesagt werden.Ich beginne zunächst mit der Frage: Wie steht es tat-sächlich um die Finanzen der Bundeswehr? Es stimmtja nicht, Herr Minister, dass die Bundeswehr in diesemund im nächsten Jahr 24,4 Milliarden Euro zur Verfü-gung hat. Es fehlt in der Tat eine Viertelmilliarde Eurodurch Haushaltskürzung, globale Minderausgabe undEinnahmen, die an anderer Stelle erbracht werden müs-sen. Wenn Sie dann noch Besoldungserhöhung und In-flationsrate ansprechen, dann wird das, was die Bundes-wehr zur Verfügung hat, in der Tat ständig weniger. Undwenn man ständig weniger zur Verfügung hat, wird esimmer schwieriger, die zu leistenden Aufgaben zu erfül-len.Im Klartext heißt das: Der Verteidigungsetat sinktnicht nur real, sondern auch nominal. Dieses Bild wirdauch nicht dadurch besser, dass Sie ankündigen, imJahre 2007 solle das besser werden. Da Sie dann mit Si-cherheit nicht mehr an der Regierung sind, ist das einVersprechen, das Sie gar nicht zu halten brauchen.
Es ist auch uninteressant für die Soldaten und die zivilenMitarbeiter, die heute auf die Lösung ihrer Problemewarten.Gleichwohl ist die Erkenntnis der Notwendigkeit ei-ner Steigerung der Verteidigungsausgaben richtig. Aufder anderen Seite muss man sich aber auch anschauen:Wie haben sich innerhalb dieses Etats einzelne Ansätzeverändert? Dabei möchte ich auf die große Zahl von in-ternationalen Einsätzen hinweisen. Natürlich dankt dieUnion den vielen Tausend Soldaten und zivilen Mit-arbeitern für das, was sie bei diesen Einsätzen leisten.
Die Mittel für gepanzerte Fahrzeuge sanken in denletzten vier Jahren um 59 Prozent, die für Munition um24 Prozent, die für Entwicklung um 25 Prozent und diefür wehrtechnische Forschung um 28 Prozent. Dem-gegenüber ist der Ansatz für Flugzeuge auf 2,1 Milliar-den Euro verdoppelt worden.
– Das bestreite ich überhaupt nicht. Vielleicht kann ichdazu gleich mehr sagen, Herr Kollege.Wir haben gemeinsam beschlossen, dieses Flugzeuganzuschaffen; lediglich eine Abgeordnete aus Ihren Rei-hen, die längst nicht mehr Mitglied dieses Parlaments ist,wollte das verhindern. Das ist nicht das Problem. AlsProblem stellte sich allerdings im Nachhinein heraus:WZizDPhH–hmwsrssgewBpdwgKh2kdMe2GlzdwgsnsUGsFdEzrr
Ich spreche von der Preisgleitklausel, wie sie jetzt ge-andhabt wird, Kollege Wagner. Die Frage ist: Gehe ichit dem Geld, das mir anvertraut wird, anständig um?Wir haben den Bericht des Rechnungshofes im Ent-urf vorliegen. Zuerst ist er übrigens im „Spiegel“ er-chienen, wahrscheinlich sogar, bevor er dem Ministe-ium vorlag. Wir müssen den Bericht ernst nehmen,elbst wenn wir wissen, dass einer der Verfasser die Be-chaffung immer skeptisch betrachtet hat. Aber die Män-el, die in diesem Bericht aufgeführt werden, sind soklatant, so gravierend, dass man sie nicht einfach weg-ischen kann. Es reicht nicht, wenn Sie aufgrund deserichtes jetzt eventuell bereit sind, einzelne Teile zu re-arieren. Bevor nicht über die Mängel gesprochen wor-en ist und nicht klare Aussagen getroffen worden sind,ird es von uns keine Zustimmung für das zweite Loseben.Für mich ist Folgendes besonders entscheidend; derollege Kossendey wird auf das Thema gleich noch nä-er eingehen. Wenn der Haushaltsausschuss im Jahre001 Beschlüsse gefasst hat, um das in den Griff zu be-ommen, Herr Kollege, die dann nicht eingehalten wer-en, dann tragen diejenigen die Verantwortung, die dasinisterium zurzeit führen.
Was hier zurzeit stattfindet, passt im Übrigen auch zuinem anderen Thema, nämlich dem Verschenken von3MiG-29-Jägern. Das haben Sie nicht erwähnt. Deregenwert eines Eurofighters entspricht etwa 120 Mil-ionen Euro. Wir „verkaufen“ jetzt 23 MiG-29-Jägerum Preis von 1 Euro und reißen damit eine Lücke, dieurch den Eurofighter noch nicht geschlossen wird. Esar vereinbart, dass mit der deutschen Industrie im Ge-enzug ein Wartungsvertrag für diese Flugzeuge abge-chlossen werde. Aber dieser Wartungsvertrag kommtun nicht zustande und die Polen, an die diese Flugzeugeozusagen verschenkt worden sind, lassen sie nun in denSA warten. Das hat mit Sicherheit auch noch andereründe. Aber wenn dieser Wartungsvertrag mit der deut-chen Industrie zustande gekommen wäre, wären dielugzeuge zunächst einmal hier geblieben und wir hättenie Lücke geschlossen, die durch die Anschaffung desurofighters entstanden ist. Auch das ist ein Versäumnis.
Der Verteidigungsetat benötigt auch eine substan-ielle Erhöhung, um bekannte Defizite bei der Füh-ungsfähigkeit, der Nachrichtengewinnung, der Aufklä-ung, der Mobilität, der Wirksamkeit im Einsatz, der
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Dietrich AustermannUnterstützung und Durchhaltefähigkeit, der Überlebens-fähigkeit, dem Transport und dem passiven Schutz derSoldaten auszugleichen.Die finanziellen Handlungsspielräume werden ange-sichts langfristiger Verpflichtungen auch in Zukunftgering sein. Auch die internationalen Forderungen, dieden Verteidigungsetat betreffen, werden uns belasten.Angesichts dieser Situation bin ich der Meinung, dassman bei neuen Auslandseinsätzen sehr kritisch hinterfra-gen muss, ob wir uns diese noch leisten können.
Wenn wir ein Kunduz-Papier des Bundeskabinetts ha-ben, dann ist es hinsichtlich dessen, was darin beschrie-ben ist, interessant. Interessant ist aber auch die Tatsa-che, dass das Finanztableau fehlt, dass die Frage, wasdenn 250 bis 350 Soldaten im Auslandseinsatz und das,was an Infrastruktur vorbereitet werden muss, zusätzlichkosten, einfach nicht beantwortet worden ist.Es gelingt bei dem Etat 2004 offensichtlich auchnicht, eine Trendwende bei den Betriebsausgaben ein-zuleiten. Die Mittel für Materialerhaltung stagnieren.Die verteidigungsinvestiven Ausgaben sinken gegenüber2003 um 140 Millionen Euro. Für internationale Ein-sätze steht zu wenig Geld zur Verfügung. Für Sofortbe-schaffungen, die Sie für diese internationalen Einsätzebrauchen, damit die Soldaten genügend gepanzert sind– jeder weiß aus den Erfahrungen des letzten Jahres, wiewichtig das ist –, stehen lediglich 240 Millionen Eurozur Verfügung. Die Ausstattung unserer Soldaten mitpassivem Schutz ist dringend verbesserungsbedürftig.Wenn ich das alles zusammenfasse, muss ich sagen,dass die objektiven Angaben des Haushalts die Behaup-tung einer erforderlichen Bundeswehrreform „am lau-fenden Motor“ als Märchen entlarvt haben.Herr Minister, Sie haben das Thema GEBB angespro-chen. Ich hatte eigentlich den Eindruck, Sie seien da einganzes Stückchen weiter, nicht ein Stückchen weiter,was die Frage betrifft, dass wir neue zusätzliche Be-schäftigungsfelder erschließen. Die Nibelungentreue ge-genüber Ihrem Vorgänger sollte auch ihre Grenzen ha-ben, wenn man feststellt, dass die GEBB nicht dasbringt, was sie eigentlich bringen sollte.Stattdessen wachsen immer neue Reformorganisatio-nen wie Pilze aus dem Boden und verbrennen Geld fürGutachter und Zwischenlösungen. Auch dieses Geldwäre sicherlich besser für Beschaffungen auszugeben.Gerade wurde der frühere Büroleiter RudolfScharpings nach für ihn lukrativen Jahren als Reform-manager verabschiedet, da sitzt schon wieder ein so ge-nannter Reformer als Geschäftsführer eines so genann-ten Modernisierungsboards im gemachten Nest. Auchdas kostet natürlich Geld, das man im Verteidigungsetatan anderer Stelle brauchte.Das Flottenmanagement ist wesentlich teurer als derEigenbetrieb. Wenn man durch die Lande fährt, dannsieht man eine Vielfalt von Autos, übrigens auch tsche-chischer Produktion und aus anderen Ländern. Da frageidznFdmmADgsBidkntkfAkmfDutsPaAhafwFHwnjwdtdanDtfEDn
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Ich erteile dem Kollegen Reinhold Robbe, SPD-Frak-
tion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! KollegeAustermann, ich weiß, wie risikobehaftet es ist, einemHaushälter zu widersprechen. Gestatten Sie mir trotz-dem zwei kurze Anmerkungen.Erste Anmerkung. Wir sollten uns alle, die wir auf natio-naler Ebene die Verantwortung für die Außen- und Sicher-heitspolitik tragen, davor hüten, wichtige Rüstungs-projekte durch populistische Äußerungen zu beschädigen.Das dient weder den Projekten noch nutzt es denen inden Betrieben, die auf ihre Leistungen stolz sind. Esdient erst recht nicht den Exportchancen derjenigen Be-triebe, die diese Rüstungsgüter nicht nur auf den natio-ngmHgSSAhddasturDgddsldnpwgudSetininHmndislmadddKm„msd
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as wird in der allgemeinen Diskussion oftmals ver-annt, auch wenn der Kollege Nolting offensichtlichicht ganz mit dieser Aussage einverstanden ist.
Bitte schön, Kollege Nolting.
Herr Kollege Robbe, Sie haben vorhin die verteidi-ungspolitischen Richtlinien angesprochen. Im konven-ionellen Bereich – so wird dort festgehalten – gibt eseine Bedrohung mehr. Stimmen Sie mit mir überein,ass man Wehrpflicht aber nur aus sicherheitspolitischennd aus außenpolitischen Gründen legitimieren kannnd nicht mit den 31 Thesen, die der Verteidigungsmi-ister zur Begründung der Wehrpflicht hat aufschreibenassen? Wie stehen Sie zu den Äußerungen der Grünen-orsitzenden Angelika Beer? Ich zitiere:Es kann nicht sein, dass es eine Reformblockadenur noch in einem Ressort gibt, nämlich im Vertei-digungsministerium. Wir wollen raus aus der Wehr-pflicht.ie hat auch einen Zeitpunkt genannt, nämlich Ende desahres.
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Zunächst einmal, Kollege Nolting, ist für mich in die-
ser ganzen Debatte um die Wehrpflicht interessant, wel-
che Liaison es zwischen Ihrer Fraktion und anderen poli-
tischen Richtungen in diesem Hause gibt. Meine zweite
Feststellung: Ich stimme natürlich nicht mit Ihnen über-
ein, dass die Richtlinien des Bundesministers der Vertei-
digung nicht ganz klar und eindeutig definieren, dass die
Wehrpflicht unter einem neuen Blickwinkel betrachtet
werden muss. Ich möchte an dieser Stelle nicht alles
wiederholen, was der Bundesminister der Verteidigung
dazu gesagt hat. Ein Satz hat sich inzwischen aber einge-
prägt – den kennt jeder –, und zwar der, dass dieses Land
auch anderswo verteidigt wird, beispielsweise in Afgha-
nistan.
Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache,
dass sich die ganze sicherheitspolitische Situation in der
Welt – natürlich auch bei uns – verändert hat, ist die
Wehrpflicht durchaus auch heute zu begründen. Sie ist
auch bezogen auf die Verteidigung unseres Landes zu
begründen. Das hat sich alles geändert, das wissen wir.
Die ganze Welt hat sich verändert. Ich bin davon über-
zeugt, dass auch die FDP, also Ihre Fraktion, das irgend-
wann erkennen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen
wird.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Kollegen Jürgen Koppelin, FDP-Frak-
tion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerVerteidigungsetat ist sicherlich ein besonderer Etat, denner ist der Haushaltsplan für die Armee dieses Parla-ments. Ich glaube, man muss die Bundesregierung indieser Debatte daran erinnern, dass unsere Bundeswehrdie Armee des Parlaments ist und nicht die Armee ei-ner Regierung.Ich sage das auch, weil ich kein Verständnis dafürhabe, wenn zum Beispiel die Inspekteure von Heer undLuftwaffe das Parlament schriftlich informieren wollenund der Verteidigungsminister das unterbindet. HerrBundesverteidigungsminister, es ist nicht in Ordnung,finde ich, dass sich ein Abgeordneter des deutschen Par-laments diese Papiere von außen, bei Journalisten, be-schaffen muss. Nun steht hier auch noch drauf: „Für denDienstgebrauch“. Ich brauche das für meinen Dienst undmeine Fraktion braucht das auch.
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Sie, Herr Minister, haben den Beschluss der FDP-raktion, den wir in Nürnberg gefasst haben und den wirm Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen infghanistan angesprochen haben, nicht richtig gelesen.ch bin gerne bereit, Ihnen ein Exemplar dieses Be-chlusses zu geben – ich habe ihn auch hier, Sie bekom-en ihn nachher von mir –, damit Sie ihn dann wirklichesen können. Ich muss ehrlicherweise sagen, dass ichin bisschen geschockt bin, dass ein Bundesminister sochlecht über Beschlüsse anderer Fraktionen informiertst.
arin steht ganz klar: Wenn Sie den Auftrag in Afgha-istan erweitern und Soldaten dorthin entsenden wollen,ann müssen wir diese Entsendung zum jetzigen Zeit-unkt ablehnen. – Das haben Sie noch richtig gesagt. –ir haben auch eine Begründung dafür gegeben, die Sieatürlich vergessen haben vorzutragen. Wir sagen, esarf keine unkoordinierten, nicht zielführenden Sonder-ktionen geben. Davon wollen wir Abstand nehmen. Be-or weitere Soldaten nach Afghanistan entsandt werden,üssen Sie die Afghanistanpolitik erst einmal mit denuropäischen Partnern abstimmen. Es kann nicht ange-en, dass Sie eine Entscheidung treffen, bevor Sie sichbgestimmt haben.
ir sind der Auffassung: Bevor der Bundeswehreinsatzn Afghanistan ausgeweitet wird, muss es ein schlüssi-es politisches Gesamtkonzept für Afghanistan geben.as ist keine Kritik an Ihrer Position, sondern in ersterinie Kritik am Bundesaußenminister, der hier völligersagt hat.
Seit 1999 stehen Auftrag, Aufgaben und Mittel derundeswehr nicht mehr im Einklang miteinander. Dasage nicht nur ich als ein Vertreter der Opposition in die-er Debatte, das steht so auch in den Verteidigungspoliti-chen Richtlinien des Bundesverteidigungsministersom Mai dieses Jahres. Der jetzt vorgelegte Haushalts-ntwurf für die Bundeswehr lässt nicht erkennen, dass)
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Jürgen Koppelinsich in Zukunft an dieser Situation etwas verbessernwird. Auftrag, Aufgaben und Mittel der Bundeswehrsind im Bundeshaushalt 2004 nicht im Einklang mitei-nander.Wenn der Bundesverteidigungsminister öffentlich dieweitere Entsendung von deutschen Soldaten nach Af-ghanistan diskutiert, dann fragt man sich, warum er sichnicht erst einmal mit den Kernthemen der Bundeswehrbeschäftigt. Man fragt sich auch, was in dieser Koalitionverteidigungspolitisch eigentlich los ist, wenn die Vorsit-zende der Grünen, Angelika Beer – Kollege Nolting hatsie schon genannt –, über den Einsatz deutscher Soldatenim Irak schwadroniert. Wird überhaupt nichts abge-stimmt?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder Soldat musswissen, wie die Zukunft der Bundeswehr aussieht. FrauBeer, die Vorsitzende der Grünen, sagt heute in der „Ber-liner Zeitung“ – Kollege Nolting hat eben schon darauszitiert –:Es kann nicht sein, dass es eine Reformblockadenur noch in einem Ressort gibt, nämlich im Vertei-digungsministerium.Ich finde, zu diesem Vorwurf einer Vorsitzenden einerKoalitionspartei hätten Sie, Herr Bundesverteidigungs-minister, heute Stellung nehmen müssen. Wir hättengerne gehört, was Sie zu diesen Aussagen einer Partei-vorsitzenden gesagt hätten. Aber vielleicht wird der Kol-lege Nachtwei gleich darauf eingehen.Im Rahmen des Bundeshaushalts hätte der Bundes-verteidigungsminister an die Kernthemen der Bundes-wehr herangehen müssen. Die Kernthemen der Bundes-wehr sind zurzeit die Probleme, die beim Personalbestehen; das Personal ist erheblich vernachlässigt wor-den. Wir haben eine mangelhafte Ausrüstung und Be-waffnung der Bundeswehr zu verzeichnen. Im BereichForschung und Entwicklung für die Bundeswehr beste-hen ebenfalls erhebliche Vernachlässigungen. Und wirhaben – das muss ich Ihnen deutlich sagen – eine völligverkorkste Streitkräftestruktur.Während die Verteidigungsetats von Frankreich undGroßbritannien bei rund 2,5 Prozent des jeweiligen Brut-toinlandsproduktes liegen, erreicht Deutschland geradeeinmal 1 Prozent. Das sagt eigentlich fast alles. Warum,Herr Bundesverteidigungsminister, haben Sie vergessen,was Sie selbst am 21. Mai dieses Jahres in den Verteidi-gungspolitischen Richtlinien geschrieben haben? Dortheißt es unter Nr. 64:Die strukturelle Neuausrichtung und die materielleModernisierung stehen aufgrund begrenzter Finanz-mittel noch nicht in Übereinstimmung. Deshalb isteine Umschichtung innerhalb des Verteidigungs-haushalts zugunsten von Investitionen notwendig.Dort steht, es gibt noch keine Übereinstimmung. Wannwerden Sie es denn in Übereinstimmung bringen? Dashätten Sie uns hier heute beantworten müssen.
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on Verantwortung für die Bundeswehr kann ich in die-em Etat jedenfalls nicht viel erkennen.Kollege Robbe – dafür bin ich sehr dankbar – unduch Kollege Austermann haben die wehrtechnischendustrie angesprochen. Untrennbar mit der Bundes-ehr verbunden ist die wehrtechnische Industrie ineutschland. Wenn die bisherige Beschaffungspolitiker Bundesregierung für die Bundeswehr so fortgesetztird, werden wir bald kaum noch wehrtechnische Indus-rie in Deutschland haben. Sie können doch nicht voner wehrtechnischen Industrie erwarten, dass sie Perso-al vorrätig hält, wenn Sie keine Aufträge bekommt.enn dann die Unternehmen sagen: „Gut, dann verkau-en wir ins Ausland, wenn wir hier keine Aufträge be-ommen“, dann kommen Sie mit neuer Gesetzgebungnd sagen: „Moment einmal, das geht natürlich nicht; daollen wir als Bundesregierung zustimmen können.“ Soeht das nicht. Darüber müssen wir auch bei den Haus-altsberatungen reden. Ich denke, Sie müssen offen le-en, warum Sie Gesetze einbringen wollen, durch die
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Jürgen Koppelinder Verkauf von wehrtechnischen Unternehmen ins Aus-land genehmigungspflichtig werden soll.Wir bedauern das sehr – Kollege Austermann hat dasBeispiel HDW angesprochen –, aber es sind politischeEntscheidungen. Sagen Sie einmal bestimmten Leutenim Kanzleramt, was es mit Rüstungsexporten auf sichhat. Wenn es da Möglichkeiten gibt, zum Beispiel imBereich U-Boote oder Schiffe, dann könnten unsereWerften sicher existieren. Dann bräuchten sie keine Käu-fer im Ausland zu suchen. Für andere Bereiche könnenwir das Gleiche sagen.
Wir brauchen eine Bundeswehr, die gut ausgerüstetund gut ausgebildet ist und die motivierte Soldaten hat.Das trifft heute in keinem Bereich der Bundeswehr zu.Es wird immer schlimmer. Insofern sage ich Ihnen, inwelche Richtung wir gehen. Dabei komme ich auchgleich auf die Wehrpflicht zu sprechen. Wir als FDP sa-gen: Wir brauchen heute keinen Verteidigungsumfangmehr von 500 000 Soldaten.
Wir benötigen auch keine Depots, in denen teures Gerätfür einen überhöhten, völlig überflüssigen Verteidi-gungsumfang gelagert wird. Vielleicht schauen Sie auchnoch einmal in das Konzept, das die Weizsäcker-Kom-mission vorgelegt hat. Da sind wir als FDP ja in guterGesellschaft. Auch wir denken, dass wir die allgemeineWehrpflicht nicht mehr benötigen. Wir wollen sie aus-setzen. Wir wollen sie nicht abschaffen, sondern ausset-zen.Kollege Robbe, ich sage, weil Sie es angesprochenhaben, an Sie gerichtet, aber auch in Richtung des Ver-teidigungsministers: Lassen Sie uns ganz sachlich überdas Thema Wehrpflicht diskutieren. Sachlich, HerrBundesminister, ist es allerdings nicht, wenn Sie sagen:Wehrpflicht heißt für mich, deutsche Soldaten sollennicht zu Söldnern werden. Ich mache es mir jetzt einmalganz einfach und sage: Die BGS-Angehörigen, die imAusland sind, sind auch keine Söldner. Oder stellen Siedie auf die gleiche Linie? Für diese Thesen, die Sie, HerrBundesminister, und auch Sie, Herr Kollege Robbe, hierheute vorgetragen haben, werden Sie kaum noch Unter-stützung in der Bevölkerung bekommen, höchstens viel-leicht bei der CDU/CSU-Fraktion. Aber in der Bevölke-rung werden Sie dafür keinen Beifall mehr bekommen.
Wenn Sie den Aufgaben gerecht werden wollen,wenn Sie eine Bundeswehr haben wollen, die für zu-künftige Aufgaben gerüstet und ausgebildet ist, dannreicht nach unserer Auffassung ein Personalumfang von240 000 Soldaten. Sie werden es erleben: Die Wehr-pflicht hat ausgedient. Sehen Sie sich nur einmal dieDiskussion an, die wir seit zehn Jahren über die Wehr-pflicht führen. Sie haben die Dienstzeit immer wieder re-duziert, auch wir haben sie reduziert, obwohl alle mögli-cüUmdnuDddliwvuDffnsKfgnmbHwdnRtgüdfatirfuM
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n den Bürgerkriegen und in zerfallenen Staaten sind dieenschenrechte krass außer Kraft gesetzt und die Ver-inten Nationen sind im Sinne von vereinten Nationenelbstverständlich gefordert.Ich nenne noch einen zweiten Punkt: Afrika gehörtur europäischen Nachbarschaft. Damit meine ich auchas Afrika jenseits der Sahara, nicht nur die berühmterisenregion Maghreb. Die Entwicklung in Afrikauch südlich der Sahara hat zumindest mittelfristig Aus-irkungen auf die europäische Sicherheit. Vor diesemintergrund ist es nicht nachvollziehbar, dass die westli-hen Industriestaaten und – das müssen wir feststellen –nsbesondere die Bundesrepublik die Vereinten Nationenit den von ihr geführten Friedensmissionen in Afrikam Wesentlichen hängen lassen.
Eine Delegation des Verteidigungsausschusses be-uchte vor zwei Monaten New York. Der Untergeneral-ekretär Guehenno hat uns deutlich darauf hingewiesen,ass die Vereinten Nationen sichtbare Unterstützunguch Deutschlands bei solchen Friedensmissionen brau-hen, und zwar nicht durch größere Kontingente – nein,arum geht es nicht –, sondern durch Spezialisten, dieleichfalls von manch anderen Ländern zur Verfügungestellt werden. Ich meine, diesen Wunsch dürfen wiricht länger beiseite schieben.
Wir führen hier eine Diskussion, oder? Gut.Vom Kongo zu Afghanistan. Am 17. Juni dieses Jah-es richteten 85 internationale und hoch angeseheneichtregierungsorganisationen einen Aufruf an die Staa-engemeinschaft, ISAF unter NATO-Kommando auf an-ere Regionen auszuweiten.
Herr Kollege, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des
ollegen Nolting zuzulassen?
Bitte schön, Herr Nolting. Sie wollen wahrscheinlicheine Position unterstützen?
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Ich habe nur eine ganz kurze Frage. Herr Nachtwei,
Sie wissen, dass bei diesen Themen, die Sie gerade ange-
sprochen haben, der Außenminister federführend ist. Ha-
ben Sie denn Ihre Erkenntnisse, die Sie uns gerade nahe
gelegt haben, auch schon an den Außenminister heran-
getragen, der schließlich aus Ihrer Fraktion kommt?
Aber sicherlich. Bevor ich solche Anregungen hier im
Hohen Hause verkünde, habe ich sie an anderer und ge-
eigneter Stelle platziert. Ich habe sie auch in entspre-
chenden Kreisen bei der Botschafterkonferenz zur Spra-
che gebracht.
Aber Sie werden es sicher begrüßen, wenn ein auch in
der Koalition immer noch unabhängiger Abgeordneter
hier sinnvolle Anregungen gibt. Danke schön, Herr
Nolting.
Die Freude über sinnvolle Anregungen ist im ganzen
Hause breit gestreut. Bitte schön.
Ich hatte zuletzt den Aufruf der 85 internationalenNichtregierungsorganisationen bezüglich einer ISAF-Ausweitung angesprochen.Im Sommer 2004 sollen in Afghanistan Wahlen statt-finden, und zwar ausgehend von dem Rahmenkonzept,das die internationale Gemeinschaft für Afghanistan sehrwohl festgelegt hat. Insofern ist die Forderung nach ei-nem schlüssigen Gesamtkonzept wohl einem sehr kur-zen politischen Gedächtnis geschuldet. Wahlen sind alsodas eine, das andere ist die teilweise bedrohliche Ent-wicklung der Sicherheitssituation, vor allem in den östli-chen und südlichen Provinzen Afghanistans. Diese bei-den Entwicklungen und Daten machen es unabdingbar,dass die Staatengemeinschaft ihr Stabilisierungsengage-ment über Kabul hinaus ausweitet und verstärkt.Dafür gibt es aber drei Hebel, nicht nur immer das Mi-litärische. Erstens. Die Reform des Sicherheitssektorsmuss angegangen werden. Dabei ist kurzfristig der Auf-bau der Polizei auf dem Land besonders wichtig undwirksam. Hier spielt die Bundesrepublik eine besondereRolle. Wir müssen dafür sorgen, dass das deutsche Poli-zeikontingent deutlich aufgestockt wird.
Zweitens. Keine Sicherheit ohne Wiederaufbau! Aufdem Land ist ein sichtbarer Wiederaufbau dringend er-forderlich. Es reicht nicht, nur da und dort etwas aufzu-bwslifsmobHdgwdsgnknaziISbgmlvdoKtSstlwdrgmsrosgss
Drittens. Wir brauchen in der Tat multinationale Stabi-sierungskräfte. Hier spräche meiner Meinung nach vielesür eine tatsächliche ISAF-Ausweitung, aber – das istchon mehrfach festgestellt worden – die Staatenge-einschaft ist nicht bereit, mindestens 10 000 Soldatender mehr dorthin zu schicken. Deshalb sind Wiederauf-auteams die zweitbeste Lösung.ier gibt es einige Missverständnisse, zum Beispiel dassie Soldaten direkt zivile Helfer schützen sollten. Darumeht es gar nicht, auf keinen Fall. Es geht darum, dass et-as Ähnliches wie in Kabul geschieht, nämlich dassurch Präsenzpatrouillen und Verbindungsarbeit mit ver-chiedenen Autoritäten eine Art Stabilitätswindschatteneschaffen wird, in dem dann humanitäre Organisatio-en und Nichtregierungsorganisationen in Unabhängig-eit und Neutralität, die wichtig ist, arbeiten können.
Ausgesprochen gut ist, dass die Bundesregierungicht ein schwaches Team vorsieht, sondern ein solideusgestattetes, also sehr kräftiges Team mit deutlichenivilen und polizeilichen Komponenten. Völlig richtigst auch, dass dieses Team im Rahmen eines erweitertenSAF-Mandates agieren soll.Eine offene und kritische Frage bleibt allerdings, wietabilisierung und Wiederaufbau in den Paschtunenge-ieten und heißen Krisenprovinzen Richtung Pakistaneschehen können. Das ist eine Aufgabe der Staatenge-einschaft insgesamt.In der Öffentlichkeit werden immer wieder Stimmenaut, die eine angebliche Intransparenz und Beliebigkeiton Entscheidungen der Koalition zu Auslandseinsätzener Bundeswehr kritisieren, gar eine Art Kompensati-nsgeschäft mit Washington – das ist vorhin von demollegen Müller behauptet worden – unterstellen. Dasrifft eindeutig nicht zu. Man muss sich nur einmal dieituation und die Rahmenbedingungen dieser in Diskus-ion stehenden Einsätze bzw. des Einsatzes in Afghanis-an angucken. Hier lässt sich zusammenfassend feststel-en: Die laufenden Einsätze sind dringend notwendig,eil es hier um zentrale, kollektive, europäische undeutsche Sicherheitsinteressen geht. Sie sind eindeutigechtmäßig, weil sie im Auftrag der Vereinten Nationeneschehen. Sie haben eine Erfolgschance, weil sie zu-indest in politische Rahmenkonzepte eingebundenind, bei denen es natürlich immer wieder Nachbesse-ungsbedarf gibt. Sie sind multilateral und multidimensi-nal, also zivil, polizeilich und militärisch angelegt. Sieind schließlich leistbar und verantwortbar angesichts ei-ener Kapazitäten und der zu erwartenden Risiken undie sind von breiter Akzeptanz in Parlament und Gesell-chaft getragen.
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Winfried NachtweiDiese Kriterien machen deutlich, warum ein militäri-scher Beitrag der Bundesrepublik Deutschland im Iraknicht zur Diskussion steht, warum wir ihn nicht wollen.Dass Deutschland sehr wohl wichtige Beiträge zur hu-manitären Hilfe, zum Wiederaufbau, zur Polizeiausbil-dung usw. im Irak leisten kann, haben Bundeskanzlerund Bundesaußenminister zugleich sehr deutlich festge-stellt.Danke schön.
Ich erteile dem Kollegen Hans Raidel, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Zuerst möchte ich Sie herzlich von ChristianSchmidt grüßen. Es geht ihm wieder besser und er hofft,wieder bald bei uns zu sein.Verehrter Herr Minister, bei aller persönlichen Wert-schätzung: In Ihrer Bilanz und in Ihrem Ausblick auf dieZukunft finden sich viele Ankündigungen und frommeWünsche, die der täglichen Realität in der Außen- undSicherheitspolitik und vor allem in Fragen der Bundes-wehr nicht oder nur bedingt standhalten. Die Bundes-wehrreform dümpelt, es fehlt der richtige Drive, zuviele Baustellen sind auch von Ihnen aufgemacht wor-den. Vieles ist dabei Stückwerk geblieben. Wir sind allegespannt, wie Sie Anspruch und Wirklichkeit zusam-menführen wollen.Ich möchte mich insbesondere mit den Folgen dieserfalschen Haushaltspolitik auseinander setzen. Bis 2006bleibt der Haushalt gedeckelt. Dieser nominal stagnie-rende Haushalt, real aber sinkende Etat, wird die Unter-finanzierung der Bundeswehr fortsetzen.Jeder weiß aber, dass wir zur Erfüllung unserer inter-nationalen Verpflichtungen, für die Modernisierung derBundeswehr, für Rationalisierungsaufgaben und für dieAttraktivitätssteigerung mehr Haushaltsmittel brauchen.Das In-Aussicht-Stellen für 2007 reicht dabei nicht aus.Diesem Haushalt fehlt ein wirkliches Signal für diedringend notwendige Modernisierung der Ausrüstungund der Infrastruktur und den Abbau des Investitions-staus. Rot-Grün verschließt die Augen davor, dass dieSicherheit unseres Landes und unserer Bürger – auchnach Meinung unserer Bündnispartner – mehr Investitio-nen erfordert, als Sie zu geben bereit sind. Nach wie vorist – das ist die Schwierigkeit bei Ihnen – kein politi-scher Wille erkennbar, der Verteidigungspolitik eine grö-ßere Priorität einzuräumen. Deswegen können wir unsnicht in der Lage sehen, diesem Haushaltsplanentwurfund der mittelfristigen Finanzplanung zuzustimmen.Bis heute liegen nur die VerteidigungspolitischenRichtlinien vor. Es gibt weder ein verbindliches Weiß-buch der Bundesregierung noch ein tragfähiges Gesamt-konzept für die Verteidigung. Die Verzahnung der inne-rul–fSuHeFvbSidZvufERsrsaBtTdtndseAFtlmG
Sie sind vielleicht dran, aber wann werden Sie damitertig?Dasselbe gilt für ein schlüssiges Reservistenkonzept.ie hätten genügend Zeit gehabt, diese Fragen zu klärennd entsprechende Entwürfe vorzulegen.
Wir alle sind für die Beibehaltung der Wehrpflicht.
err Minister, Ihre persönliche Haltung in dieser Fragehrt Sie sehr. Aber hat sie auch Bestand? Das ist einerage, die sich in nächster Zeit stellen wird.Herr Kollege, Sie haben vorhin auf die Bevölkerungerwiesen. Die Bevölkerung vertraut eher uns. In Bayerneispielsweise wählen uns 60 Prozent der Bevölkerung.ie bringen es gerade einmal auf 2 oder 3 Prozent. Werst also in Ihren Augen die Bevölkerung? Ich glaube,ass wir mit unserer Aussage zur Wehrpflicht in diesemusammenhang auf der sicheren Seite sind.Herr Minister, Sie schieben wichtige Entscheidungenor sich her. Ihnen fehlen die Mittel, um Entscheidungenmzusetzen. Ein Ausrüstungs- und Materialkonzeptehlt bis heute. Der Generalinspekteur soll es wohl bisnde 2003 vorlegen. Unklar bleibt aber, welche neuenüstungsprojekte vielleicht noch in diesem Jahr be-chafft bzw. realisiert werden können.Besonders bedenklich ist – alle Kollegen haben da-auf hingewiesen –, dass Sie die Investitionen für For-chung und Entwicklung um weitere 100 Millionen Eurouf den Stand von 1984 senken.
ei einem statistischen Vergleich werden Sie das bestä-igt finden.Damit verspielt Rot-Grün nicht nur die Zukunft undechnologiefähigkeit der Bundeswehr, sondern auch dieer deutschen wehrtechnischen Industrie. Bei der Lek-üre des so genannten Grünen Buches, das Sie, Herr Mi-ister, herausgegeben haben, kann jeder nachvollziehen,ass Sie bei diesem Etat neue Vorhaben nur in einemehr geringen Umfang quer durch alle Teilstreitkräfteinleiten können. Der Kollege Austermann ist in seinenusführungen bereits ausführlich darauf eingegangen.Damit – ohne Aufträge und entsprechende Mittel fürorschung und Entwicklung – machen Sie es der wehr-echnischen Industrie unmöglich, sich am internationa-en Markt zu behaupten.Das Vetorecht ist doch ein Griff in eine uralte Kla-ottenkiste. Wer ein Vetorecht platzieren will, musseld in die Hand nehmen, weil ein Vetorecht zur Folge
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Hans Raidelhätte, dass Firmen Pleite gehen. Wir brauchen stattdes-sen – das wäre konsequent – Planungssicherheit in derBeschaffungspolitik, eine Harmonisierung der europäi-schen Rüstungsexportrichtlinien und eine verstärkteRüstungskooperation.Auf das erheblich gestiegene Finanzrisiko bei Aus-landseinsätzen ist bereits hingewiesen worden. Deshalbnur so viel dazu: Wir haben die große Befürchtung, HerrMinister, dass Sie bei künftigen Auslandseinsätzen wie-der auf den Kosten im Einzelplan 14 sitzen bleiben wer-den; Afghanistan lässt grüßen. Was im Irak noch auf unszukommt, wissen wir zwar nicht. Aber auch hier wirdwohl der Einzelplan 14 bluten müssen.Um nicht weiter auf die schiefe Ebene zu geraten, istes deshalb erforderlich, endlich einmal die deutsche Si-cherheitsinteressen zu definieren, damit Aufgaben undFähigkeiten wieder in Einklang gebracht werden kön-nen, und für eine angemessene Finanzierung aus demGesamthaushalt zu sorgen. Stattdessen werden – oftohne ausreichende politische Konzepte – Aufgaben inNATO und EU im Rahmen der internationalen Friedens-sicherung übernommen, denen die Soldaten immer we-niger gerecht werden können. Schon heute sind wichtigeTeile der Bundeswehr personell überstrapaziert. Dasdeutsche Heer kann mit 35 000 einsatzfähigen Soldatenkaum mehr die Aufgaben schultern; denn durch das Re-volving-Konzept sind rund 28 000 bis 30 000 Soldatenjeweils gebunden.Den zukünftigen Hauptlastträgern der Auslandsein-sätze, der DSO und der DLO, fehlt schon heute dasGeld, um die notwendige Ausrüstung zeitgerecht zu be-schaffen. Sie kennen ja die Zeitachse: Erst war von 2006und dann von 2007 die Rede. Nun spricht man von 2010.Noch offensichtlicher wird die auseinander klaffendeSchere bei einem Soll-Ist-Vergleich. Wenn Sie eine Ka-serne besuchen, in der hauptsächlich Truppen unterge-bracht sind, die im Inland eingesetzt werden, dann wer-den Sie feststellen, dass die Verantwortlichen nur nochüber total veraltetes Gerät verfügen. Der sichtbare Nie-dergang unserer Armee ist nicht mehr zu beschönigen.Reden Sie mit Kommandeuren und schauen Sie sich ge-nau an, wie sie leben müssen! Dabei sollten Sie nichtvergessen, dass die Kommandeure nach außen nichtüber alles berichten dürfen; denn bevor Sie eine Kasernebesuchen, bekommen alle einen Maulkorb verpasst.Auch die soziale Lage der Soldaten im Einsatz hatsich trotz der vollmundigen Versprechen bis heute nichtentscheidend verbessert. Die von uns im Frühjahr imVerteidigungsausschuss besonders unterstützte Neurege-lung der so genannten Einsatzversorgung für Soldatenim Auslandseinsatz ist noch nicht genügend vorange-kommen. Das Familienbetreuungssystem der Bundes-wehr im Inland ist personell und materiell noch immernicht ausreichend ausgestattet. Die finanziellen Anreizefür einen Auslandseinsatz sind gerade für Spezialkräftewenig attraktiv. Auch die ständigen Versuche, die Zula-gen zu kürzen oder sogar ganz abzuschaffen, sorgennicht für gute Stimmung in der Truppe. Die letzte Wehr-shhPddWWwkdginVdPten„SwVddaGkwteMgAosRtinsS
Im selben Vortrag kündigte der Minister mit großereste an, die wehrtechnische Industrie müsse wissen, eraufe nichts, was er nicht brauche. Herr Minister, esäre schon sehr viel gewonnen, wenn Sie kaufen könn-n, was die Bundeswehr braucht.
ehr verlangen wir doch überhaupt nicht! Wir verlan-en nur das Geld, das notwendig ist, um Ihrem eigenennspruch zu genügen.Strecken, Schieben, Streichen ist weiter an der Tages-rdnung, zulasten der Soldaten, zulasten der wehrtechni-chen Industrie und damit zulasten unserer Sicherheit.ot-Grün lässt die Bundeswehr über die Haushaltspoli-k austrocknen, um nicht zu sagen: ausbluten. Wir leh-en diesen Haushaltsentwurf ab, weil von ihm keine po-itiven Signale und keine Perspektive ausgehen.Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Merten,PD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr KollegeRaidel, ich weiß nicht, welche Kasernen Sie besuchen.
Möglicherweise sind es nur bayerische. Ich stelle beimeinen Besuchen jedenfalls nicht fest, dass sich die Sol-daten den Mund verbieten lassen. Im Übrigen habe ichnoch Augen im Kopf. Das heißt, es ist an mir, genau hin-zuschauen, um zu erkennen, was ich eigentlich sehenmöchte. Außerdem kann ich nach dem fragen, worauf esmir ankommt.Herr Kollege Austermann, zu Beginn möchte ichnoch eine Bemerkung zu Ihren Ausführungen machen.Sie haben hier im Gewand des seriösen Haushaltspoliti-kers ganz besorgt gefragt, ob wir es uns angesichts die-ser Haushaltslage überhaupt noch leisten können, ja obes überhaupt noch verantwortbar ist, zusätzliche Aus-landseinsätze zu beschließen – sofern wir das überhaupttun. Sie haben an dieser Stelle vergessen, auf den Wider-spruch zu der relativ forschen Haltung Ihrer Fraktions-und Parteivorsitzenden in Fragen des Irakkonfliktes hin-zuweisen. Ich hätte es gut gefunden, wenn Sie das getanhätten.
– Ich will da nicht hin. Das ist keine Frage.Herr Kollege Austermann, Sie haben beklagt, dasswir es mit einem Ausverkauf der deutschen wehrtechni-schen Industrie zu tun haben. Gleichzeitig haben Sie dieangestrebte Lösung, die genau dies verhindern soll, an-geprangert.
Dazu sage ich Ihnen: Bei HDW, bei den Howaldtswer-ken –, handelt es sich nicht um einen Verkauf, weil mandort nicht rentabel ist und keine Gewinne macht. HDWist – natürlich – verkauft und gekauft worden, weil mandort Gewinne macht. Ladenhüter bleiben in der Regel imRegal liegen.Herr Kollege Koppelin, Sie haben ein ähnliches Ar-gument gebraucht.
– Nun warten Sie einmal ab. – Sie haben in Ihrer Redebeklagt, dass wir es mit verkorksten Strukturen zu tunhaben. Ich will Ihnen dazu Folgendes sagen: Es mageiniges geben, was verbesserungswürdig ist, was auchbei der Neuorientierung der Bundeswehr nachjustiertwerden muss. Das tun wir auch. Aber im Grunde genom-men ist Ihre Klage eine Unverschämtheit: Sie waren inder Verantwortung, als sich das Aufgabenspektrum derBundeswehr verändert hat, und Sie haben nichts unter-nommen, um die Strukturen so auszurichten, dass wirdiesen Aufgaben gerecht werden können.DHfmswlsdgzisdolWfFuwgmbwagkübdBehszbgthnnsB
ass Sie jetzt in einer Situation, die, bezogen auf denaushalt, insgesamt schwierig ist – wir sind in mannig-altigen Einsätzen –, von uns verlangen, all das auf ein-al zu bewältigen, was Sie uns an Problemen hinterlas-en haben, weil Sie niemandem auf die Füße tretenollten, ist eine Unverschämtheit.
Ich will noch ein paar Worte zum Einzelplan 14 ver-ieren, den Sie in dieser Debatte wirklich pausenloschlechtreden. Ich will überhaupt nicht verschweigen,ass der Einzelplan 14 natürlich in einem ganz schwieri-en haushaltspolitischen Umfeld entstanden ist. Gleich-eitig sage ich: Wenn man sich ihn genau ansieht, dannt der schwierige Weg
er notwendigen nachhaltigen Haushaltskonsolidierung,hne dabei auf gestaltende Politik zu verzichten, deut-ich zu erkennen.
ir wissen – Sie wissen das auch –, dass Sie, wie ichinde, außerordentlich unrealistische und auch unseriöseorderungen stellen. Auch für den Einzelplan 14 kannnd darf es meines Erachtens keine Ausnahme geben,enn wir die Staatsfinanzen auf Dauer in Ordnung brin-en wollen. Darauf ist in den Debatten gestern und heuteehrfach hingewiesen worden.Wer wollte leugnen – wir tun es nicht –, dass der Wegis 2007 natürlich schwierig bleibt? Erst dann werdenir verantwortlich – ich lege jetzt das Gewicht auf „ver-ntwortlich“ – eine deutliche Steigerung der Verteidi-ungsausgaben um rund 950 Millionen Euro vorsehenönnen.Mit dem verfügbaren Volumen für 2004, das gegen-ber 2003 konstant bleibt, und dem, was im Finanzplanis 2007 vorgesehen ist, kommen wir dem Ziel der Bun-esregierung, Auftrag, Fähigkeiten und Ausrüstung derundeswehr und die zur Verfügung stehenden Mittel inin ausgewogenes Verhältnis zu bringen, einen ganz er-eblichen Schritt näher. Ich wünschte mir auch, es gingechneller. Ich wünschte mir auch, wir hätten mehr Geldur Verfügung. Aber es geht hier nicht um das Wünsch-are, sondern um das Machbare.Ich will darauf hinweisen, dass die Belastungen ge-enüber dem Vorjahr nicht kleiner werden. Auf den Be-rag, den wir für internationale Einsätze aufzubringenaben, hat der Kollege Robbe hingewiesen. Wir beken-en uns ganz ausdrücklich – auch das gehört zur Konti-uität deutscher Außen- und Sicherheitspolitik – zu un-erer Verantwortung gegenüber unseren Partnern imündnis und der internationalen Staatengemeinschaft.
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Ulrike MertenAber wir bekennen uns auch zu unserer Verantwor-tung gegenüber den Soldaten, die wir stellvertretend indie Einsätze schicken. Wir wissen nicht erst seit demSelbstmordanschlag an Pfingsten in Kabul, dass unseregut 8 000 Soldaten und Soldatinnen, die momentan imAuslandseinsatz sind, ganz außerordentlichen Gefähr-dungen ausgesetzt sind. Das ist mit Einsätzen im Friedennicht zu vergleichen.Wir hoffen natürlich – ich denke, ich kann Sie da ein-schließen –, dass Unfälle auch in Zukunft, wann immeres geht, vermieden werden können. Bei einem Unfall,der ja immer möglich ist, sollten wir den Soldaten undSoldatinnen sowie ihren Angehörigen ersparen, sich ineinen für sie unerträglichen Rechtsstreit darüber einlas-sen zu müssen, ob der Unfall im besonderen Auslands-einsatz als qualifizierter Dienstunfall zu gelten hat odernicht. In diese Regelung sollten wir auch Soldaten aufZeit und solche, die freiwillig länger Dienst leisten, ein-beziehen, die zurzeit bei gleichen Einsatzbedingungenschlechter gestellt sind als ihre Kameraden, die den Sta-tus des Berufssoldaten haben.Um die Versorgungsleistungen für Soldaten undSoldatinnen bei Auslandseinsätzen auszubauen, habenwir einen interfraktionellen Antrag eingebracht, mitein-ander beraten und darüber im Konsens entschieden. Wirsind da auf einem guten Weg. Ich finde es gut und rich-tig, an einer solchen Stelle – man hat ja selten die Gele-genheit dazu – noch einmal darauf hinzuweisen, dass esin wichtigen Fragen des Verteidigungshaushalts durch-aus auch einen breiten Konsens geben kann. An dieserStelle war das so.Aber nicht nur in Versorgungsfragen haben wir unse-ren Soldaten und Soldatinnen gegenüber eine hohe Ver-antwortung, wenn es um Auslandseinsätze geht, sondernauch in der Frage der Betreuung, auch der Betreuungund Begleitung ihrer Familien. Die Familien leiden jaunter den langen Trennungszeiten. Wir haben nur ganzlangsam gemerkt, dass die sachgerechte Ausrüstung beiAuslandseinsätzen nur eine Seite ist. Die andere Seiteist, dass solche Einsätze in besonderer Weise begleitetwerden müssen. Ich bin sehr froh, dass wir den Fami-lienbetreuungszentren zusätzliche Planstellen zur Verfü-gung stellen konnten. Wir sind jetzt bei einer Zahl von19 Betreuungszentren angelangt. Angestrebt sind 32, da-mit das Netz wirklich flächendeckend ist. Das wird nochein bisschen dauern. Aber wenn man sich einmal die Ar-beit in den Betreuungszentren, das hohe Engagement derdort arbeitenden Soldaten und der ehrenamtlichen Kräfteanschaut, dann wird man einsehen, wie wichtig es für dieMenschen, deren Männer oder Väter im Einsatz sind, ist,dass sie kurze Wege haben und die Informationen wirk-lich fließen und dass dieses Geld auch in Zukunft gut an-gelegt ist.Meine Damen und Herren, im Zuge der Neuausrich-tung wird die Bundeswehr insgesamt kleiner, aber mo-derner und leistungsfähiger. Wie mutig, aber auch wieschwierig die Realisierung eines solchen Vorhabens ineiner Großorganisation wie der Bundeswehr ist, wissenwir nicht erst seit dem Zeitpunkt, seit dem mit der Umset-zung begonnen wurde. Natürlich sehen auch wir, dasszblwnsuhtbwfeHKutTaldJdASHggddlDasdslFtVdD2JIlete
Letzter Redner in der Debatte zum Geschäftsbereich
es Bundesministeriums der Verteidigung ist der Kol-
ege Thomas Kossendey, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!iese Debatte hat es gezeigt – auch die Vertreter der Ko-lition haben es nicht abgestritten –: Dieser Haushaltteht auf tönernen Füßen. Das beziehe ich nicht nur aufen Haushalt 2004, wie er dem Parlament jetzt zur Be-chlussfassung vorliegt, sondern auch auf die Haushalts-age insgesamt. Daraus ergeben sich Risiken, in derenolge nicht Nachbesserungen, sondern eher noch wei-ere Verschlechterungen zu erwarten sein werden. Dieseerschlechterungen werden – wer Rot-Grün kennt, weißas – im Wesentlichen zulasten der Bundeswehr gehen.as darf und kann nicht sein.Selbst wenn der Haushaltsansatz bei nominell4,4 Milliarden Euro bliebe, hieße das de facto jedesahr ein Minus von real 500 Millionen Euro, wegen desnflationsausgleichs, wegen der Kosten der internationa-n Einsätze, aber auch wegen des Ansteigens der Gehäl-r der Soldaten und der Zahl der zivilen Mitarbeiterinnen
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Thomas Kossendeyund Mitarbeiter. Der Minister selber hat ja – das ist nochkein Jahr her – in der Führungsakademie in Hamburgdeutlich gesagt, dass er der Meinung sei, dass er zu we-nig Geld für die Verteidigung habe. Er hat damals daraufhingewiesen, dass er gute Beziehungen zu den Haushäl-tern der Regierungskoalition unterhalte und es ihmschon gelingen werde, das eine oder andere nachzubes-sern. Nun, verehrter Herr Minister, wie gut es um ihreBeziehungen zu den Haushältern bestellt ist, weist dieserHaushalt eindeutig aus.
Nun hat der Minister in den letzten Monaten einigeSparmaßnahmen angekündigt: Er will Flugzeuge außerDienst stellen und er will Schiffe außer Dienst stellen.Davon erhofft er sich einen Sparbeitrag. Richtig, daswird eines Tages sicher kommen. Nur, im nächsten Jahrwird uns das nicht helfen, weil bis dahin diese Einspa-rungen nicht realisiert werden können.Hier sind der Minister und letztendlich das gesamteKabinett so realitätsfern, wie es schon bei der Diskus-sion um die Verteidigungspolitischen Richtlinien, diedann auch in Kraft gesetzt wurden, zu erleben war.Letztendlich, Herr Minister, ist von diesen Verteidi-gungspolitischen Richtlinien nicht viel mehr hängen ge-blieben als die Überschrift „Deutschland wird am Hin-dukusch verteidigt“. Das ist eigentlich sehr schade; dennes stehen eine Menge Dinge darin, die eine politischeDiskussion verdient hätten.Ich will Ihnen ein Zitat aus dem Weißbuch von 1994vorhalten. Darin hat Minister Rühe im Hinblick aufdeutsche internationale Einsätze geschrieben:Dabei gilt, dass jeder konkrete Einsatz daraufhin zuprüfen sein wird, ob ein politisches Konzept zurLösung des Konfliktes vorhanden ist und ob derEinsatz militärischer Mittel geeignet ist, zur Kon-fliktbewältigung beizutragen. Es wird auch in je-dem Einzelfall zu prüfen sein, ob die Möglichkeitender friedlichen Konfliktlösung ausgeschöpft sindund ob es deutschen Interessen und Wertvorstellun-gen entspricht, mit militärischen Mitteln zur Kon-fliktbewältigung beizutragen. Es gilt letztlich im-mer, dass Deutschland nie allein, sondern nur mitVerbündeten und Partnern handeln wird.Viel besser kann man das nicht ausdrücken. Sie hätteneigentlich in diesem Punkt das Weißbuch 1994 nehmensollen, vielleicht um einige aktuelle Zahlen ergänzt;
dann wären Sie besser davongekommen als mit diesenRichtlinien.
Der Hauptkritikpunkt an diesen Richtlinien ist ausmeiner Sicht, dass sie eigentlich nur für Ihr Ministeriumverbindlich sind. Sie haben es vermieden, im Kabinettund im Parlament darüber eine Debatte und eine Abstim-mung herbeizuführen. Da fragt man sich natürlich: Wo-ran hat das gelegen? Lag es vielleicht daran, dass die Zu-sFLZprdlhWAppms–RWddflNGFsdrgkmesNtpstktanpiAnkv
Danke.In den Nrn. 43 und 45 lesen wir über die wichtigeolle der Vereinten Nationen in den Krisengebieten derelt und dass Deutschland mit substanziellen Beiträgenie Rolle der Vereinten Nationen stärken wolle. Wennas so ist, Herr Minister, warum gab es dann im Irakkon-likt von vornherein die Festlegung, dass sich Deutsch-and unabhängig von der Beschlusslage der Vereintenationen an keiner Aktion beteiligen werde?
In diesen Wochen und Monaten laufen Sie übrigensefahr, diesen Fehler zu wiederholen. Wenn Sie hier derDP vorwerfen, sie hätte sich in Bezug auf Kunduz vor-chnell festgelegt und das sei politisch unklug, dann giltas umso mehr für Fragen, die im internationalen Be-eich von Deutschland zu beantworten sind.Die Vereinten Nationen, Herr Minister, kann man ei-entlich in zweierlei Hinsicht schwächen. Zum einenann man sagen: Was auch immer die beschließen, wirachen es anders, weil es unseren eigenen Interessenher entspricht. Das haben Sie den Amerikanern unter-tellt. Man kann aber auch sagen: Was auch immer die inew York beschließen, wir werden uns nicht daran be-eiligen. Das ist die Rolle, die Sie gespielt haben. Werraktisch die Vereinten Nationen auf gleiche Weisechwächt, sollte sich hüten, die Amerikaner dafür zu kri-isieren.
In Ziffer 69 der Verteidigungspolitischen Richtlinienönnen wir lesen, dass die Bundesregierung eine leis-ungs- und wettbewerbsfähige Verteidigungsindustrieufrechterhalten möchte und dass das durch internatio-ale Kooperation gut möglich sein wird. Das hört sichrima an. Aber warum streichen wir dann gerade bei dennternationalen Rüstungsvorhaben? Das Geeiere um den400M ist uns allen noch gut in Erinnerung. Warum pla-en Sie mittlerweile sogar ein Gesetz gegen den Ausver-auf deutscher Rüstungstechnologie? Mir scheint das einerspäteter Reflex der alten Stamokap-Theorie zu sein,
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Thomas Kossendeynach dem Motto: Ein bisschen Sozialismus kann ja ei-gentlich nie schaden.
Besser wäre gewesen, Sie hätten in der Vergangenheitdafür gesorgt, dass der Verteidigungsindustrie inDeutschland im Interesse einer vernünftigen Ausrüstungder Bundeswehr eine verlässliche Perspektive gegebenwird. Die Franzosen haben das mit ihrem Programmge-setz hervorragend geregelt; wir hinken da hinterher.Unsere Industrie kann sehr wohl mit einem geringe-ren Verteidigungshaushalt leben, wenn er denn verläss-lich ist und ihr Planungssicherheit gibt – auch zum Er-halt der Arbeitsplätze und zum Erhalt des technischenKnow-hows. Hier ist in den letzten Jahren gesündigtworden. In dem Verteidigungshaushalt, den Sie heutevorgelegt haben, sind weitere Sündenfälle programmiert.Die Themen HDW und EADS wurden hier angespro-chen. Mir ist ein bisschen schwummerig, wenn ich darandenke, was wir im Verteidigungsbereich industriepoli-tisch alles gemeinsam mit den Franzosen machen sollen.Wer einmal erlebt hat, wie der von Franz Josef Straußinitiierte Airbus mittlerweile in Toulouse unter Abspie-len der französischen Nationalhymne in Dienst gestelltwird, der wird nie und nimmer auf die Idee kommen,dass dieses Flugzeug seinen Ursprung in Deutschlandhatte. Ich möchte ungern erleben, Herr Minister, dassdeutsche U-Boote im Mittelmeer ihre Jungfernfahrt ma-chen. Sorgen Sie also bitte dafür, dass Deutschland,wenn es hier mit den Franzosen eine industriepolitischeKooperation eingeht, die Führung in diesem Konsortiumerhält, damit wir nicht zum guten Schluss auch in diesemFall wieder am Ende der Tabelle stehen!
Da hilft es Ihnen eigentlich auch nichts, wenn inZiffer 13 beschworen wird, dass Aufgaben und Ausrüs-tungen in ein angemessenes Verhältnis zueinander ge-bracht werden sollen. Ehrlicher wäre es gewesen, zuschreiben, dass der Auftrag ausgeweitet und die Ausrüs-tung entsprechend der reduzierten Mittel beschafft wer-den soll. Diese Ehrlichkeit fordern sowohl die Soldatenals auch wir im Parlament von Ihnen. Da haben Sie nocheiniges nachzuholen.Sie haben sich hier über das Thema GEBB ausgelas-sen. Manches, was Sie eingeleitet haben, gibt den Be-fürchtungen, die wir vor drei Jahren geäußert haben,Recht. Als Minister Scharping die GEBB eingerichtethat, war es eigentlich nicht mehr als eine Versorgungsan-stalt für ausgemusterte SPD-Funktionäre. Diesen Punkthaben wir kritisiert. Die GEBB hat in den Jahren seit ih-rer Gründung mehr Geld verschlungen, als sie einge-bracht hat.
Wenn Sie die Protokolle des Verteidigungsausschus-ses nachlesen, dann werden Sie feststellen, dass sich nieauch nur einer aus unserer Fraktion gegen den Weg einerbesseren Kooperation mit der Wirtschaft ausgesprochenhat. Aber die Art und Weise, in der das damals geschah,entsprach nicht dem, was wir uns vorgestellt haben.SdRZvDzcEnmdgswtizmgwDrgdeMbwluVssdwLwsKWmutZkzhdHhdD
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Wollen Sie den Verteidigungshaushalt vielleicht auchnoch mit einer Ausbildungsabgabe belasten? Ich kannmir eigentlich nicht vorstellen, dass das der tiefere Sinnsein soll.Ich kann Sie nur auffordern: Treten Sie endlich denMarsch in die Realität an, sonst wird die BundeswehrSchaden nehmen! Den Aufbruch in eine bessere Zu-kunft, Herr Minister, können wir in Ihrem Haushaltsent-wurf nicht finden. Wenn es Ihnen nicht gelingt, hier we-sentlich nachzubessern, dann werden wir diesen Entwurfablehnen, so Leid uns das im Einzelfall auch tun mag.Schönen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Verteidigung. Als Erster erteile ich dasWort der Bundesministerin – –
– Habe ich „Verteidigung“ gesagt? Ich bitte um Nach-sicht. Beim Aufrufen der zuständigen Ministerin war ichoffenkundig auf der richtigen Fährte.
Hier wird ein Sachzusammenhang hergestellt, der sich inder Debatte ganz gewiss eindrucksvoll bestätigen wird.Wir kommen also zum Geschäftsbereich des Bundes-minsteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung. Ich erteile das Wort der Bundesmi-nisterin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung, Frau Wieczorek-Zeul.Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Erstens möchte ich von dieser Stelle aus einen Gruß andlrtusiTuidafrsAsvuacbcDlDesngdddVigsfWddMDti2Mb
arum geht es. Das spürt jeder Tag für Tag.In den Ländern, in denen Regierungen auf Unilatera-ismus gesetzt haben oder noch setzen, muss jetzt dieiskussion darüber geführt werden, dass kein Land, seis noch so mächtig, die Weltordnung bestimmen kann,ondern dass die Zukunft der multilateralen Weltord-ung gehört.Ich bin heute Nachmittag von den Vortreffen zurück-ekommen, die die WTO, die Europäische Union undie Entwicklungsländer in Cancun vor der Konferenz,ie heute praktisch zum gleichen Zeitpunkt beginnt,urchgeführt haben. Die in Cancun stattfindende WTO-erhandlungsrunde ist eine Nagelprobe dafür, ob dienternationale Gemeinschaft es mit ihren Versprechun-en ernst meint, die sie den Entwicklungsländern in dero genannten Doha-Runde gegeben hat.
Es geht auch um die Frage, ob Entscheidungen getrof-en werden, durch die die Armut bekämpft wird. Dieeltbank hat zu Recht darauf hingewiesen, dass, wennie Handelshemmnisse beseitigt würden, die sich heuteen Entwicklungsländern stellen, rund 144 Millionenenschen aus extremer Armut befreit werden könnten.eshalb kommt es sehr darauf an, dass diese Ungerech-igkeit, die zulasten der Entwicklungsländer heute nochn der Welthandelsstruktur besteht, beseitigt wird. Die,7 Milliarden Menschen – das ist fast die Hälfte derenschheit –, die von weniger als 2 Dollar am Tag le-en, stehen vor doppelt so hohen Handelshindernissen
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeulund Handelsbarrieren wie die Reichen. Das ist eine dau-ernde Diskriminierung von Entwicklungsländern, dieendlich beseitigt werden muss.
Die Gelegenheit dazu besteht jetzt. Wir fordern dieBeteiligten auf, ihre Verantwortung wahrzunehmen;denn eine Globalisierung kann nicht nachhaltig sein,wenn sie auf einem derartigen Unrecht basiert. Deshalbmüssen wir Veränderungen zugunsten der Entwicklungs-länder vor allem durch ein Auslaufen von Exportsubven-tionen im Agrarbereich, also durch eine Beseitigung derhandelsverzerrenden Subventionen, erreichen. Wir müs-sen auch Fortschritte erreichen, indem den Entwick-lungsländern ein besserer Zugang zu den Märkten ver-schafft wird.Ich bin in Cancun mit Vertretern von vier westafrika-nischen Staaten – diesen Punkt möchte ich besonders er-wähnen –, nämlich Mali, Tschad, Benin und BurkinaFaso, zusammengetroffen. Wir haben gemeinsam einen„Cotton Day“ veranstaltet. Die vier Handelsminister die-ser Länder haben dargestellt, wie 10 Millionen Men-schen in ihren Ländern von Subventionen der USA– zumal für ihre großen Farmer im Bereich der Baum-wolle in Höhe von 3,7 Milliarden US-Dollar – betroffensind, weil sie keine Chance mehr haben, wettbewerbsfä-hig ihre Produkte auf dem Weltmarkt abzusetzen.Diese vier Länder wollen keine zusätzliche Entwick-lungshilfe. Sie erwarten aber von der WTO – das habensie vorgetragen –, dass alle Staaten in gleicher Weise dieSpielregeln beachten. Hierdurch wird das Schicksal vonMenschen mehr bestimmt und ihnen besser geholfen alsdurch allgemeine Erklärungen.
Deshalb unterstützt die Bundesregierung die so genannteBaumwoll-Initiative. Die westafrikanischen Länder wol-len, dass die entsprechenden Subventionen in anderenStaaten auslaufen. Wie gesagt, sie verlangen, dass sichalle an die Spielregeln halten.Ich will Ihnen an einem Beispiel einmal aufzeigen,welches Missverhältnis sich aufgrund der Handels-hemmnisse ergeben kann. Mali hat im Jahr 2001 imRahmen der Entschuldungsinitiative einen Schuldener-lass in Höhe von 41 Millionen Euro erhalten. Aber die-sem Land entsteht ein Verlust bei den Exporterlösen inHöhe von 43 Millionen Euro. Was auf handelspoliti-schem Gebiet an Unrecht besteht, können wir also durchfinanzielle Hilfe nicht ausgleichen. Deshalb müssendiese Wettbewerbsverzerrungen abgebaut werden. Dagebe ich den vier westafrikanischen Ländern Recht.
Dieser Punkt muss in der heutigen Debatte erwähnt wer-den.Wie notwendig gemeinsames Vorgehen auch in ande-ren Regionen ist, zeigt die Situation in Afghanistan. IchwhAbbsWFMgiZdbküMkIVdhkgdmdddhnnAzbisszdthLw
ch habe den Kindern, die ich dort getroffen habe, diesesersprechen gegeben. Wir sollten gemeinsam alles tun,amit dieses Versprechen gehalten wird. Diese Kinderaben es verdient, dass wir uns gemeinsam für ihre Zu-unft engagieren.
In der Debatte heute Nachmittag ist schon deutlicheworden, dass sich an dem Erfolg beim Wiederaufbauie Frage entscheidet, ob der Kampf gegen den Terroris-us gewonnen wird. Niemand kann sagen, dass es in an-erthalb Jahren der Fall sein wird. Es bedarf vielmehres dauerhaften Engagements.Ich will in diesem Zusammenhang darauf hinweisen,ass die GTZ, unsere Durchführungsorganisation, ameutigen Tag von der Weltbank auf Initiative der afgha-ischen Regierung den Auftrag erhalten hat, in Afgha-istan landesweit die dörflichen Strukturen aufzubauen,usbildung und den Wiederaufbau voranzubringen. Daseigt, wie sehr die deutsche Entwicklungszusammenar-eit und die Arbeit unserer Durchführungsorganisationn diesem Land anerkannt werden.
Ich möchte an dieser Stelle ein Grundsatzproblem an-prechen, das mir auf der Seele liegt. Wenn wir Soldatenchicken, dann versuchen wir die Voraussetzungen dafüru schaffen, dass sie sich schützen können. Ich dankeen vielen Menschen, die in solchen schwierigen Situa-ionen ungeschützt als Entwicklungs- und Aufbau-elfer tätig sind.
eider ist es nicht mehr so, dass nicht angegriffen wird,er ungeschützt ist. Das haben wir erlebt und das lastet
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeulmir bei Entscheidungen über solche Fragen auf derSeele.Ich werbe dafür, den Wiederaufbau und das Engage-ment der deutschen Entwicklungszusammenarbeit inKunduz zu unterstützen. Sie haben das heute im außen-politischen Bereich und auch im Zusammenhang mitdem Verteidigungsressort diskutiert. Die Kritik, die ichim Vorfeld gehört habe, bezieht sich nur auf das US-amerikanische Modell des PRT, bei dem die Militärs denzivilen Aufbauhelfern sagen, was gemacht werden soll.Das ist für uns völlig unvorstellbar. Wir haben ein eige-nes Konzept: Militär und Wiederaufbauhelfer sind ge-trennt. Niemand ist dem anderen untergeordnet. Jedernimmt seine Verantwortung wahr. An die Adresse derje-nigen, die das grundsätzlich kritisieren, sage ich: Was inKabul richtig ist – dass die ISAF für ein Klima der Si-cherheit sorgt, in dem die Wiederaufbauhelfer arbeiten –,das kann doch in Kunduz nicht falsch sein.Die Nichtregierungsorganisationen leisten eine klasseArbeit. Die Welthungerhilfe war in dieser Region schonzu Zeiten tätig, als alle anderen das Land verlassen hat-ten. Ich danke ausdrücklich für das Engagement.Es wird niemand für irgendein Konzept vereinnahmt.Aber ich möchte, dass verstanden wird: Es geht darum,auch in dieser Region zur Stabilität beizutragen. Wirmüssen doch ein eigenes Interesse daran haben, dass eingemäßigtes, selbstbestimmtes Afghanistan erwächst, daspositiv auf andere Länder in der Region wirkt.
Ein Schwerpunkt wird die Demobilisierung von Sol-daten sein. Denn wenn die Reform der Streitkräfte vo-rankommen soll, dann muss demobilisiert werden. Dannbraucht es auch Zukunftsperspektiven, „Cash for Work“zum Beispiel. Der Aufbau in ländlichen Regionen solldazu beitragen, Zugang zu sauberem Trinkwasser zuschaffen. Die Gesundheitszentren sollen die dramatischhohe Müttersterblichkeit zurückdrängen. Diese Aufga-ben sind so wichtig für die Zukunft dieses Landes, dasssich unser Engagement lohnt.Wir möchten uns in dieser Region mit etwa 50 zusätz-lichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Entwick-lungszusammenarbeit engagieren. Ein großer Teil wer-den örtliche Fachkräfte sein, mit denen wir gerne undgut kooperieren. Ich bitte Sie alle, dieses Konzept des zi-vilen Wiederaufbaus und eines Klimas der Sicherheit zuunterstützen.Zum Schluss: Es war bei diesem Haushalt schwierig,hohe Steigerungen zu erreichen.
– Das Schicksal von Menschen ist für mich das Wich-tigste, Herr Brauksiepe.
SlDhmisMDdsmiPtusmßdÜktzutEClrcuggtaMtai
as finde ich Klasse. Ich bedanke mich bei jedem, deras unterstützt. Ich werfe das niemandem vor. Wir wis-en aber auch, dass es viele im Land gibt, die im Mo-ent andere Probleme sehen. An ihre Adresse möchtech sagen: Wir haben natürlich auch in unserem Landrobleme zu lösen. Wir dürfen aber unsere Verantwor-ung für den Interessenausgleich zwischen den Regionennserer Erde und für die Überwindung der Kluft zwi-chen Nord und Süd nicht vernachlässigen. Diese The-en sind für die Zukunft und für die Sicherheit von gro-er Bedeutung. Die Agenda 2010 und die Bekämpfunger globalen Armut, also der Aktionsplan 2015, sind imbrigen zwei Seiten einer Medaille: der Zukunftsfähig-eit einerseits unseres Landes, andererseits aber auch in-ernational.In diesem Sinne bedanke ich mich für die Unterstüt-ung und hoffe, dass wir gemeinsam in den Fragen, diens doch allen am Herzen liegen, im Sinne der Gerech-igkeit und im Sinne der Chancen der Menschen in denntwicklungsländern die Arbeit voranbringen.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Jochen Borchert,
DU/CSU-Fraktion.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-egen! Frau Ministerin, ich habe mit Interesse Ihren Be-icht zu den WTO-Verhandlungen gehört. Es wäre si-herlich spannend, darüber intensiver zu diskutieren. Ichnterstreiche die Bedeutung, die die WTO-Verhandlun-en für die Entwicklungshilfe und für die Entwicklungerade der ärmsten Länder haben. Ich habe auch mit In-eresse Ihren Bericht über Afghanistan gehört. Wir sindber in der ersten Lesung des Haushaltes 2004.
ich hätte natürlich vor allem interessiert, wie der Mit-eleinsatz gerade für diese Probleme in Ihrem Haushaltussieht. Angesichts der Probleme Ihres Haushalts kannch natürlich verstehen, dass Sie lieber über die WTO
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Jochen Borchertund über Afghanistan reden als über die konkreten Fak-ten Ihres Haushalts.Der eingebrachte Etatentwurf zur Entwicklungspoli-tik für das Jahr 2004 muss auch gemessen werden an denAnkündigungen der rot-grünen Koalition und Ihren An-kündigungen, Frau Ministerin, die in den vergangenenJahren immer wieder gemacht wurden. Trotz großer Er-klärungen im Koalitionsvertrag von 1998 wurde der Etatdes Entwicklungshilfeministeriums im ersten Jahr, 1999,drastisch gekürzt und hat auch mit dem Entwurf für dasJahr 2004 das Volumen von 1998 noch nicht wieder er-reicht. Er liegt immer noch über 100 Millionen Euro un-ter dem Ansatz von 1998.Der Etat 2004 ist gerade vor dem Hintergrund derProbleme in Afghanistan und anderen Ländern kein Si-gnal des Aufbruchs; er ist vielmehr ein Etat der Stagna-tion. Bei den Risiken, die der Haushalt insgesamt hat, istoffen, wie dieser Etat am Ende der Beratungen aussieht.Mit diesem Entwurf wird die Koalition den Herausforde-rungen in der Entwicklungspolitik nicht gerecht.
Diese Herausforderungen sind nach dem 11. September2001 noch größer geworden.Frau Ministerin, in Ihrer Rede zum Haushalt 1999 ha-ben Sie erklärt – ich zitiere –:Die Entwicklungspolitik steht vor der Aufgabe, ge-meinsam mit der Außen- und Sicherheitspolitik,dazu beizutragen, dass Krisen in der Welt erst über-haupt nicht entstehen können.Aber welche Konsequenzen hat die Bundesregierungdaraus für die Entwicklungspolitik gezogen?Nach dem 11. September 2001 hat die Bundesregie-rung, haben gerade Sie, Frau Ministerin, immer wiederbetont, zum Kampf gegen den Terror gehöre der Kampfgegen die weltweite Armut. In einem Papier der Bun-desregierung wurde ihre Bereitschaft zu einem NewDeal mit den Entwicklungsländern erklärt. Knapp zweiJahre später ist das Ergebnis des New Deal ein Haushaltder Stagnation.Frau Ministerin, es ist weder Ihnen noch der Bundes-regierung gelungen, wenn Sie es denn überhaupt je ge-wollt haben, die Bedeutung der Entwicklungspolitik alsEckpfeiler der Sicherheitspolitik und als Politik der Kri-senprävention in der politischen Debatte deutlich zu ma-chen und im Bewusstsein der Menschen zu verankern.Nach dem 11. September haben Sie zwar gut 100 Millio-nen Euro aus dem Antiterrorpaket erhalten; heute müs-sen Sie davon allerdings 80 Millionen Euro dem Aus-wärtigen Amt zur Bewirtschaftung überlassen.Wenn die Bundesregierung die Gebote der Haushalts-wahrheit und -klarheit ernst nehmen würde, dann wärendiese 80 Millionen Euro nicht im Einzelplan 23, sondernim Einzelplan 05 etatisiert. Es ist doch das Gegenteil vonHaushaltswahrheit und -klarheit, wenn Mittel, über dieSie nicht verfügen können, in Ihrem Etat veranschlagtwerden. Damit das nur niemand merkt, damit die Fas-sade Ihres Haushalts nicht noch mehr bröckelt, wirdnslgKwwDwEELAgB–stdBi–OzgQJcFDmBadrg1
ieser Haushalt ist der New Deal gegenüber den Ent-icklungsländern in kleinster Münze.Auch in einem anderen Bereich der Darstellung derntwicklungspolitik wird geschönt. Um die deutschentwicklungszusammenarbeit in ein möglichst rosarotesicht zu rücken, verweisen Sie immer wieder auf denufwärtstrend der ODA-Quote, das heißt auf den stei-enden Anteil der Ausgaben für Entwicklungshilfe amruttonationalprodukt.
Ich komme noch darauf zu sprechen, wie er heute tat-ächlich ist. – Dieser Anstieg soll das entwicklungspoli-ische Engagement zum Ausdruck bringen. Der Anstieger ODA-Quote ist aber nicht auf einen höheren Etat desMZ zurückzuführen, sondern auf den Schuldenerlassm Rahmen der so genannten Kölner Schuldeninitiative.
Hören Sie noch einen Augenblick zu! – Wird dieDA-Quote um den Schuldenerlass bereinigt, danneigt sich, dass die Quote nicht gestiegen, sondern weiteresunken ist. Es besteht die Gefahr, dass die bereinigteuote auf unter 0,20 Prozent absinkt. Das Ziel, bis zumahr 2006 eine ODA-Quote von 0,33 Prozent zu errei-hen, wird mehr und mehr zu einer Utopie.Bei der ersten Lesung des Haushalts 1999 haben Sie,rau Ministerin, erklärt:Mit dem jetzt vorgelegten Bundeshaushalt habenwir den Abwärtstrend des Entwicklungshaushaltesgestoppt und die Grundlage für eine Aufwärtsent-wicklung geschaffen.araus wurde in den folgenden Jahren bis heute ein im-er weiterer Rückgang der Dotierung des Einzelplans 23.Der Stellenwert, den die Entwicklungspolitik bei dieserundesregierung hat, wird am Anteil des Einzelplans 23m Bundeshaushalt deutlich. Dieser Anteil ist auch inen Jahren von 1990 bis 1998, also in unserer Regie-ungszeit, angesichts der finanziellen Herausforderun-en der Wiedervereinigung zurückgegangen. Er betrug998 aber immerhin noch 1,7 Prozent.
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5088 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Jochen Borchert– Hören Sie weiter zu! – Im Haushalt 2004 sinkt der An-teil des Einzelplans 23 auf 1,5 Prozent und, bereinigt umdie 80 Millionen Euro, erstmals auf unter 1,5 Prozent.Der Anteil des Einzelplans 23 am Gesamthaushalt ist da-mit auf einen Wert zurückgefallen, den er zum letztenMal 1965, also vor fast 40 Jahren, hatte. Dies zeigt denStellenwert der Entwicklungspolitik.
Ernüchternd ist aber nicht nur die allgemein schlechte fi-nanzielle Ausstattung der Entwicklungshilfe in Deutsch-land, sondern auch die Aufteilung des Einzelplans 23. Sosteigen im Haushalt 2004 die Mittel für die multilateraleEntwicklungszusammenarbeit um über 95 MillionenEuro weiter an, während die Mittel für die bilaterale Ent-wicklungszusammenarbeit um 61 Millionen Euro zu-rückgehen. Besonders problematisch ist der Rückgangder Mittel für die finanzielle und die technische Zusam-menarbeit. Im Bereich der finanziellen Zusammenarbeitreicht der Baransatz gerade noch aus, um die bestehen-den Verpflichtungen erfüllen zu können. Neue Maßnah-men sind nicht möglich. Der Barmittelansatz und dieVerpflichtungsermächtigungen begrenzen den entwick-lungspolitischen Handlungsspielraum sozusagen aufnull. Damit werden die Ziele bei der Armutsbekämpfungund der Steigerung der ODA-Quote faktisch aufgegeben.Dieser massive Rückgang der bilateralen Mittel gehtzulasten eines klaren Profils der deutschen Entwick-lungspolitik. Unser nationaler Einfluss auf die Entwick-lungspolitik nimmt kontinuierlich ab und immer mehrMittel werden ohne direkten deutschen Einfluss in dengroßen multilateralen Fonds eingesetzt. Dabei geht diespezifische Handschrift der deutschen Entwicklungspo-litik verloren.Positiv möchte ich beurteilen, dass Sie unseren Vor-schlag aufgegriffen haben und den Haushaltstitel „Aktions-programm 2015“ in Höhe von 40 Millionen Euro aufgelöstund die Mittel wieder in die einzelnen Titel integriert haben.Auch ist die Anzahl der Deckungsvermerke zurückge-gangen; das ist erfreulich. Aber für meinen Geschmackgibt es nach wie vor zu viele Deckungsvermerke.Frau Ministerin, die Bundesregierung ist aufgefor-dert, die Entwicklungshilfe nicht nur mit einem Lippen-bekenntnis zu unterstützen, sondern den Einzelplan 23so auszustatten – auch in seinem Anteil am Bundeshaus-halt insgesamt –, dass die Entwicklungspolitik der Bun-desrepublik Deutschland ihren Teil zum globalen Frie-den beitragen kann. Mit diesem Etat wird dieBundesregierung den Herausforderungen in der Ent-wicklungspolitik nicht gerecht.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-ChristianStröbele, Bündnis 90/Die Grünen.NSlsKfDaWsmdlwShadtdttUdMhkswbi–h–R–ddnapwMc
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!ie müssen heute mit mir Vorlieb nehmen, weil der Kol-ege Thilo Hoppe leider krank ist. Wir haben ihm jachon gute Besserung gewünscht.Ich werde mich bemühen, zunächst zu erklären, Herrollege Borchert, warum ich glaube, dass Sie vieles ein-ach nicht verstanden haben.
ie Frau Ministerin hat völlig zu Recht – ich hatte dasuch vorgesehen und wollte mich jetzt eigentlich nur denorten der Frau Ministerin anschließen; aber vielleichtage ich doch ein paar Sätze dazu – an den Anfang und –an kann fast sagen – in den Mittelpunkt gestellt, dassas, was im Augenblick in Cancun stattfindet, wesent-ich wichtiger oder sogar noch wichtiger ist als das, wasir heute im Bundestag beraten.
elbst wenn wir auf diesen Etat, den wir im Zusammen-ang mit dem Einzelplan 23 diskutieren, die eine oderndere Million oder sogar 10 oder 100 Millionen Eurorauflegen würden, ist dies im Vergleich zu der Bedeu-ung der Beschlüsse, die dort hoffentlich getroffen wer-en oder vielleicht auch nicht getroffen werden, von un-ergeordneter Bedeutung.Ich hatte gestern Abend die Gelegenheit, die „Tages-hemen“ zu sehen. Da konnte man verfolgen, dass dieSA durch ihre Subventionen des Mais erreicht haben,ass sich im Mutterland des Mais, nämlich in Mexiko,aisanbau heute nicht mehr lohnt. Die Maisbauern ge-en dazu über, den Mais aus den Vereinigten Staaten zuaufen, weil er dort um ein Drittel billiger ist, als sieelbst ihn bei niedrigsten Löhnen herstellen können. Wirollen ja nicht immer alles auf die Amerikaner schie-en. Das tun wir alle ja ganz gern, weil das so weit wegst und wir meinen, wir hätten nicht so viel damit zu tun.
Ja, ich mache das auch manchmal.Jetzt bleiben wir aber einmal in Europa. Auch daraufat die Ministern schon früher hingewiesen. In Europazum Beispiel in Bayern – zahlen wir pro Jahr proindvieh 913 Dollar.
Die ist in Cancun, um das zu ändern. – In Afrika lebenie Menschen im Durchschnitt – die meisten liegen weitarunter – von der Hälfte dieses Betrages. Das ist nichtur eine Ungerechtigkeit, sondern wir machen damituch ganze Wirtschaften kaputt. Das konnten Sie vor einaar Tagen in den Zeitungen lesen. In Jamaika beispiels-eise, wo es eine blühende Milchwirtschaft gab, ist dieilchproduktion inzwischen nahezu zusammengebro-hen, weil in Europa, in Deutschland das Milchpulver so
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 5089
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Hans-Christian Ströbelebillig und hoch subventioniert hergestellt wird, dass wires dorthin liefern. Die Menschen dort können die Milchnicht zu dem Preis herstellen, den sie für deutschesMilchpulver zahlen. Das ist ungerecht.Herr Kollege Ruck, ich habe heute ein Interview mitIhnen in einer Zeitung gelesen, in dem Sie sagen, dassdie Globalisierung auch gewisse Risiken birgt. Nein,ich sage Ihnen: Die heutige Globalisierung ist zutiefstungerecht. Das ist nicht nur ein Risiko. Ganze Volks-wirtschaften, wie zum Beispiel die in Jamaika, sinddurch die ungerechten und unfairen Austauschbedingun-gen ruiniert worden. Deshalb gehört in einer Rede zumHaushalt über die Entwicklungszusammenarbeit dieserPunkt auch an die erste Stelle. Hier müssen wir bei denUSA, in Europa und auch in Deutschland ansetzen undetwas ändern.
Wenn wir das nicht tun, dann kommen wir nicht zu ge-rechten Austauschverhältnissen. Dann könnten wir hier1 Million Euro und dort 50 Millionen Euro mehr für dieEntwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen – eswürde verpuffen und letztlich nicht wirken. Deshalb istdas so wichtig und deshalb haben wir auch mehrereMinister nach Cancun geschickt.
Die Haushaltsrede von Renate Künast ist vorgezogenworden, damit sie heute dort sein kann. Sie muss ver-suchen, das Werk weiterzuführen, das sie begonnen hat.Ich bin zwar skeptisch, aber ich hoffe, dass dabei etwasherauskommt. Wir alle müssen daran weiterarbeiten.
Nun komme ich zu Ihrem zweiten Irrtum. Sie stellenes hier so dar, als ob es allein darauf ankommt, dass derEinzelplan 23 möglichst hoch dotiert ist. Das ist für Siedas Wichtigste; dort schauen Sie hin. Anhand dieserZahlen stellen Sie fest, was diese Bundesregierung fürdie Entwicklungszusammenarbeit und für die armenLänder auf dieser Welt tut.
– Nein. – Ich sage Ihnen: Der Etat ist zwar wichtig – aufdie Einzelheiten komme ich gleich noch –, wir müssenaber alles zusammen sehen. Was tut die Bundesregie-rung bzw. die Bundesrepublik Deutschland insgesamtfür die armen Länder des Südens? Hierbei müssen Sie zuder Erkenntnis kommen, dass die frühere Bundesregie-rung den Anteil der Gelder für die öffentliche Entwick-lungszusammenarbeit von 0,42 Prozent auf 0,26 Prozentzurückgeführt hat. Aufgrund der vielen Sparnotwendig-keiten sind wir jetzt langsam – das ist mühsam – dabei,diesen Anteil in diesem Jahr auf immerhin 0,27 Prozentzu erhöhen.sOrDakhtalDaHdfmeissDmmuswudzvfzludSea
Nun komme ich zu diesem Etat. Ich war auch in deretzten Legislaturperiode im AwZ und ich habe in alleniskussionen – auch in den internen mit Vertretern dernderen Ressorts und mit unseren Haushältern – keinenehl daraus gemacht, dass ich es für grundfalsch halte,ass aufgrund der Sparnotwendigkeiten jetzt und in denrüheren Jahren auch bei diesem Etat gespart werdenuss. Ich habe mich dagegen gewehrt, aber wir konntens nicht ändern.Sie wissen ja, dass die Bundesregierung angetretent, um endlich die Schulden, die Sie gemacht haben, zuenken.
eswegen musste leider auch dieser Etat bluten. Das hatir immer wehgetan. Ich war einer derjenigen, die im-er wieder – auch schriftlich – vorstellig geworden sind,m dort eine Verbesserung zu erreichen.Sie sagen, Sie haben das damals mit kritisiert. Danneien Sie doch jetzt ein bisschen zufriedener damit, dassir in diesem Jahr zum ersten Mal die Kurve genommennd langsam wieder in die andere Richtung fahren.
Schauen Sie sich an, was wir der Bevölkerung unden anderen Haushalten, die hier diskutiert worden sind,umuten. Ich denke, dies ist ein kleines Zeichen. Es wirderstanden, dass wir jetzt mehr für die Stiftungen – auchür Ihre Stiftung –, für die NGOs und für den gesamtenivilen Bereich tun.
Ich glaube, dieser zivile Bereich betreibt Entwick-ngspolitik viel näher an den Nöten und Bedürfnissener Bevölkerung dort. Das sollten Sie mit uns gutheißen.ie sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass wir nun zumrsten Mal ein wenig draufgesattelt haben und dass wiruf diesem Weg weitermachen werden.
Herr Kollege.
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5090 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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So werden wir im Jahre 2006 auch zu dem Ergebniskommen, das wir uns vorgenommen haben, nämlich0,33 Prozent zu erreichen.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Markus Löning für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrStröbele, das, was Sie ausgeführt haben, war sehr inte-ressant. Sie haben zu Beginn Ihrer Rede, ohne es explizitzu sagen, das Ziel, die ODA-Quote von 0,33 Prozent je-mals zu erreichen, infrage gestellt.
– Sie haben sehr deutlich gesagt, dass eine vernünftigeHandelspolitik wichtiger als die eine oder andere Millionim Einzelplan 23 ist. Das ist eine sehr interessante An-merkung, weil diese ODA-Quote hier immer sehr hochgehalten wird. In der Diskussion wird der ODA-Quoteim Gegensatz zur Handelspolitik oft zu viel Aufmerk-samkeit gewidmet.Sie haben geredet, als wären Sie nicht tragendes Ele-ment dieser Bundesregierung. Sie und Ihre Minister sindin Verantwortung. Sie können doch nicht die Ab-schlüsse, die im Agrarrat in Luxemburg gemacht wer-den, kritisieren. Sie und Ihre Ministerin haben sie dochzu vertreten. Ihre Ministerin sitzt zurzeit in Cancun undkann handeln.
Handeln Sie, Herr Ströbele! Sie reden, als wären Sie inder Opposition.
Ich möchte etwas zur WTO sagen, was in der Diskus-sion bisher etwas zu kurz gekommen ist. Die WTO mussin Cancun Handlungsfähigkeit beweisen. Es ist außer-ordentlich wichtig, dass die Staatengemeinschaft zeigt,dass sie in der Lage ist, im Rahmen einer solch großenKonferenz durch internationale Vereinbarungen inter-nationales Recht zu setzen. Ein Rechtsrahmen muss ge-schaffen werden, der gerade den Schwachen nutzt. Ichwünsche mir von Ihnen, Herr Ströbele, dass Sie öfterGlobalisierungskritikern entgegentreten, die die WTOangreifen.DaSddWMECwzhrhlhKHwgtlSsWWmDUuMskPubgLndhFts
ie WTO setzt nämlich einen Rechtsrahmen, der geradeuch den Entwicklungsländern hilft. Hier gilt es, dietärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkerenurchzusetzen. Ich vermisse es, dass Sie das einmal miter entsprechenden Verve vertreten.
Bundespräsident Rau hat bei einer Rede vor einigenochen, ähnlich wie Sie das gemacht haben, Frauinisterin, auf die Bedeutung des Handels hingewiesen.s ist der richtige und entscheidende Ansatz, gerade inancun über die Bedeutung des Handels zu reden. Wennir uns anschauen, welche Länder in den letzten Jahr-ehnten erfolgreich gewesen sind, dann werden wir se-en: Es sind die Länder, die einen vernünftigen Rechts-ahmen gesetzt, ihren Bürgern und Unternehmen einalbwegs verlässliches Gerichtswesen und eine verläss-iche Verwaltung gegeben und auf freien Handel gesetztaben. Sie haben darauf gesetzt, dass ihre Bürger ihrereativität entfalten und dass durch unternehmerischesandeln die Armut bekämpft wird.Wir können mit Entwicklungshilfe nie das leisten,as die Menschen aus eigener Kraft leisten können. Eseht darum, diesen Kräften die Möglichkeit zur Entfal-ung zu geben. Es ist falsch, in Form einer Weltsozialpo-itik Geld zu verteilen und darauf zu hoffen, dass sich dieituation verbessert. Man braucht die Initiative der Men-chen vor Ort.
ir brauchen Entwicklung vor Ort. Wir brauchen denillen der Menschen vor Ort. Wir brauchen die Rah-enbedingungen in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit undemokratie in den betreffenden Staaten. Wir brauchennterstützung für Staaten, die ihren Menschen Bildungnd Ausbildung und ihrer Wirtschaft freien Handel undarktwirtschaft ermöglichen.Genau das ist für die Freien Demokraten richtig ver-tandene Globalisierung. Wenn es gelingt, diese Gedan-en nicht nur vorzutragen, sondern in der Dritten Welt inolitik umzusetzen, dann bringt genau das Entwicklungnd bekämpft Armut.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass es mirei Ihnen manchmal am entschiedenen Entgegentretenegen Leute mangelt, die genau dies kritisieren. Dieseeute kritisieren mit einem falschen Unterton, dass inter-ationale Transparenz und Informationsfreiheit zwischenen entwickelten und den nicht so entwickelten Ländernerrscht. Nur so können sich doch die Gedanken vonreiheit, von Bürgerrechten und Marktwirtschaft verbrei-en und durchsetzen. Das ist Globalisierung und Globali-ierung bekämpft Armut, wenn sie richtig gestaltet ist.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 5091
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Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Ströbele zulassen?
Bitte.
Bitte schön.
Herr Kollege, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen,
dass das Beispiel Jamaika, das ich gebracht habe, genau
zeigt, dass die Ordnung, die Sie dort einfach einführen
wollen, dieses gerade nicht leistet. Den Jamaikanern
können Sie nicht erklären, dass, nachdem 1992 die Welt-
bank von ihnen gefordert hat, alle Zollschranken zu be-
seitigen, das Ergebnis ist, dass die hoch subventionierten
Waren aus Deutschland und den USA dorthin gelangen
und ihre Wirtschaft ruinieren. Sind Sie mit mir der Mei-
nung, dass alle unsere Forderungen nach Transparenz,
Offenheit und Zollabbau verlogen sind, solange wir sel-
ber unsere eigenen Subventionen und Zollschranken
– mit „wir“ meine ich die Länder des Nordens – nicht
zuerst beseitigen?
Herr Ströbele, ich bin völlig einer Meinung mit Ihnen.
Der Unterschied zwischen Ihnen und mir ist, dass Sie an
der Regierung sind und handeln können. Tun Sie es;
handeln Sie in diesem Bereich!
Was haben Sie denn beim Agrarkompromiss ausgehan-
delt? Das ist zu wenig. Die Übergangsfristen sind zu
lang, die Subventionen sinken zu langsam. Das Beispiel
Baumwolle, das die Ministerin genannt hat, ist richtig.
Aber sie sitzt in der Regierung und kann den Prozess be-
einflussen. Sie haben den Einfluss im Ministerrat in
Brüssel, sich dafür einzusetzen, dass die Subventionen
für Baumwolle gesenkt werden. Tun Sie es!
Ich möchte zum Schluss noch etwas ansprechen, was
manchmal in der Diskussion vergessen wird. Wir müs-
sen in der Entwicklungspolitik dazu kommen, die
Entwicklungsländer stärker in die Verantwortung zu
nehmen. Wenn ein Land nicht rechtsstaatliche Rahmen-
bedingungen setzt, wenn ein Land die Menschenrechte
verletzt, wenn ein Land eine negative Wirtschaftspolitik
betreibt, die wirtschaftliche Entwicklung und damit die
Armutsbekämpfung behindert, dann müssen wir den
Mut aufbringen, zu sagen, dass es keinen Zweck hat zu
helfen. Wir können nicht mit ein paar Euro Entwick-
lungshilfe gegen eine konträre Politik arbeiten. Das zu
sagen, dazu fehlt uns noch zu oft der Mut. Wir sind zu
oft von einem schlechten Gewissen getrieben und glau-
ben, helfen zu müssen, obwohl eigentlich angesichts der
Tatsachen in vielen Ländern gesagt werden muss: Da ist
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Pscht, Sie sind gleich dran.Egal, ob wir hier die Begriffe von globaler Struktur-olitik, von globaler Politikgestaltung, von Weltinnen-olitik oder auch von Global Governance verwenden –s geht um die Verantwortung der Staatengemeinschaft,s geht um die internationalen Vereinbarungen und umeren Überprüfung.Am Beispiel von Cancun wird deutlich, welche Er-artungen und hehre Vorstellungen damit verbundenind. Es bleibt zu hoffen, dass dieses zarte Pflänzchenicht so schnell wieder vertrocknen wird.Unabdingbar notwendig ist nach unserem Verständnisie Kooperation mit der Wirtschaft und mit den nationalnd international tätigen Nichtregierungsorganisatio-en. Dass sich dabei auf internationaler Ebene auch diearlamentarier immer stärker vernetzen, hat beispiels-eise in der vergangenen Woche die UN-Konferenz zurekämpfung der Desertifikation gezeigt. Dass wir dortin Steering Committee einrichten konnten, belegt, dassie Desertifikation nicht nur die afrikanischen Länderngeht, sondern dass sie uns auch in Europa betrifft. Dieatsache, dass jedes Jahr eine Fläche wichtigen Bodens,er zur Ernährung beiträgt, in der Größe von Belgienernichtet wird, macht deutlich, dass wir dafür eine Ge-amtverantwortung wahrnehmen müssen.Für uns – darin unterscheiden wir uns sehr, Herrorchert – ist besonders die Stärkung der europäischen
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5092 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Karin Kortmannund multilateralen Entwicklungszusammenarbeit her-vorzuheben, die im Haushaltsentwurf angemessene Be-rücksichtigung findet und die Arbeit der Vereinten Nati-onen und der Weltbank – auch durch unserenExekutivdirektor – sehr erfolgreich unterstützt. Der unsvorliegende Einzelplan 23 unterstützt diesen Politikan-satz des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung.Es ist belegbar – das wissen Sie aus den Haushaltsbe-ratungen, Herr Borchert –, dass bis zum Jahr 2007 durchden jetzigen Haushaltsansatz und vor allem durch diemittelfristige Finanzplanung die internationalen Verein-barungen wie auch das 0,33-Prozent-Ziel schrittweiseumgesetzt werden.
Sie können aus der mittelfristigen Finanzplanung auchersehen, dass wir bis zum Jahr 2007 eine prozentuale Stei-gerung um 8,5 Prozent gegenüber dem Haushalt 2003vorgesehen haben.Ich habe aber in allen Beratungen immer wieder da-rauf hingewiesen, dass das Finanzvolumen an sich nochkein Gütekriterium ist und wir uns nicht der Illusion hin-geben sollten, dass die Steigerung der ODA-Quote be-reits wie der Zaubertrank des Miraculix wirkt und auto-matisch zur Stärkung der Entwicklungspotenziale in denPartnerländern führt.Was wir in der Finanzdiskussion brauchen, ist dieVerständigung über die überfälligen Reformen bei Welt-bank und IWF sowie über den wirkungsvollen Einsatzund die Mittelverwendung des Europäischen Entwick-lungsfonds. Ich denke, darin stimmen wir überein, HerrBrauksiepe. Auch wenn ich Ihren Tonfall nicht immernachvollziehen kann, glaube ich, dass wir in der Sacheweiterkommen.Wir brauchen ferner eine Diskussion über die Über-tragung von zusätzlichen und erweiterten Aufgaben,die das BMZ – beispielsweise beim Wiederaufbau inAfghanistan – zu erfüllen hat. Wenn die Ministerin überKunduz redet, bedeutet das mehr Einsatzkräfte, Know-how und einen verstärkten Mitteleinsatz. Wenn es umHilfe für die Menschen im Irak geht, so wissen wir, dasses mit dem bisherigen Haushaltsansatz nicht mehr getanist und dass wir die entsprechenden Ressourcen zur Ver-fügung stellen müssen.
Wir müssen uns aber auch darüber verständigen, dieVerbundfinanzierung zu verstärken, damit es endlich zueinem abgestimmten und effizienteren Mitteleinsatzkommt.
Haushaltsmittel und Marktmittel werden nämlich derzeitnoch in getrennten Tranchen gewährt. Unter finanz- wieauch entwicklungspolitischen Kriterien sollte beides zu-sammengefasst werden.wüvPtltTgdfcsndvedbtMFtdKsGLd1dbzC–aiW
Ich erteile das Wort dem Kollegen Peter Weiß, CDU/
SU-Fraktion.
Jede angemeldete Kurzintervention nehme ich gerne
uf. Zu einer nicht angemeldeten Kurzintervention kann
ch schlecht das Wort erteilen.
Jetzt hat der Kollege Peter Weiß das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!ir erleben hier ein Musterbeispiel politischer Rhetorik:
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 5093
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Peter Weiß
Wenn einem der eigene Haushalt peinlich ist, redet manvon anderen Themen.
Keine Frage, die Welthandelsordnung ist von funda-mentaler Bedeutung für die Entwicklungschancen derEntwicklungsländer. Aber darüber zu reden exkulpiertnicht, davon zu sprechen, wie es um den deutschen Bei-trag in der Entwicklungszusammenarbeit bestellt ist.Inhaltlich habe ich Folgendes anzumerken: Selbstwenn es zu den gewünschten Liberalisierungen im Welt-handel käme, hieße das nicht automatisch, dass dieÄrmsten der Armen in allen Entwicklungsländern eineChance bekämen. Dafür sind zusätzliche Maßnahmennotwendig. Auch darüber muss in einer Haushaltsde-batte gesprochen werden. Der Grund, warum Sie hierausweichen, ist, dass der Entwicklungshaushalt 2004nur zum Schein wächst. In Wahrheit nimmt er weiter ab.Rot-Grün ist verantwortlich für einen weiteren Abstiegder deutschen Entwicklungszusammenarbeit.
Im Gegensatz zu den schönen Reden, die hier gehaltenwerden, lügen die nackten Zahlen und Fakten nicht. Selbstwenn man die im diesjährigen Haushalt integrierten Mittelaus dem so genannten Antiterrorpaket, die Sie weiterhin fürden Einsatz in Afghanistan bereitstellen wollen – darüberhaben Sie, Frau Ministerin, gesprochen –, mit einrechnet,stellt man fest, dass Sie im neuen Haushalt im Vergleichzum alten 92 Millionen Euro verlieren. Hinzu kommt,dass Sie 80 Millionen Euro unter Umgehung des Haus-haltsrechts des Parlaments an das Auswärtige Amt ab-führen müssen.
Dadurch verlieren Sie an finanzieller Schlagkraft. Daskönnen auch Sie in noch so schönen Reden nicht weg-diskutieren.Nun haben Sie sich hier noch einmal dazu bekannt,dass die Umsetzung des Aktionsplans 2015, in dessenMittelpunkt die Armutsbekämpfung steht, ein zentralesZiel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sei.Sie wollen einen substanziellen Beitrag dazu leisten,dass die Zahl der in absoluter Armut lebenden Menschenbis zum Jahr 2015 halbiert wird. Ich frage Sie, Frau Mi-nisterin: Findet sich diese inhaltliche Zielsetzung dennim Bundeshaushalt 2004 wieder? Gerade wenn man nurbegrenzte Finanzmittel zur Verfügung hat, bedarf es zurArmutsbekämpfung einer klaren Konzentration auf dieInstrumente, die vorrangig helfen, Menschen aus einermenschenunwürdigen Situation herauszuführen und ih-nen Mittel zur Selbsthilfe an die Hand zu geben.Ein zentraler Ansatzpunkt ist dabei die Bildung, vorallem die Grundbildung für junge Männer und Frauen.Genauso wichtig sind eine verbesserte gesundheitlicheVersorgung, der Zugang zu sauberem Wasser sowie derEGWElAnsnb–uSDegmlhZasTlwtzEHHdhdlFfbgsiul
Nein. Wenn Sie das aufgelöste Aktionsprogramm 2015nd die daraus umgelegten Mittel hineinrechnen, werdenie sehen, dass es sich um ein Nullsummenspiel handelt.as heißt – der Kollege Borchert sagte es schon –, es istin Haushalt der Stagnation. Eine Steigerung ist nir-endwo zu finden. Das ist die Wahrheit.
Besonders problematisch ist, dass Sie die Aktions-öglichkeiten der deutschen staatlichen Entwick-ungszusammenarbeit massiv beschädigen. Die Haus-altsansätze für den Bereich der finanziellenusammenarbeit – sie wird hauptsächlich über die KfWbgewickelt – und für den Bereich der technischen Zu-ammenarbeit – Sie haben die Deutsche Gesellschaft fürechnische Zusammenarbeit für ihre Projekte sehr ge-obt – werden nicht erhöht, sondern gekürzt. Zusätzlicherden jene 80 Millionen Euro, die Sie an das Auswär-ige Amt abführen müssen, aus den Bereichen der finan-iellen und der technischen Zusammenarbeit abgezogen.in Bundesministerium, das seine rechte und seine linkeand amputiert, ist ein Torso, aber kein aktionsfähigesaus mehr. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.Wenn die FDP, wie ich annehme, in der zweiten undritten Lesung wieder ihren Antrag aus der Mottenkisteolt, das BMZ in das Auswärtige Amt einzugliedern,ann werden wir von der CDU/CSU das entschieden ab-ehnen.
rau Ministerin, ich muss Ihnen sagen: Mittlerweile lie-ern Sie selbst mit Ihrer Politik und Ihrem Haushalt dieeste Begründung für den FDP-Antrag.
Frau Ministerin, mittlerweile bin ich der Überzeu-ung, dass Sie mit der Art und Weise, wie Sie reden undich öffentlich darstellen, einen bedeutenden Platz in dernzwischen 40-jährigen Geschichte des Bundesminsteri-ms für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-ung einnehmen.
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5094 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Peter Weiß
Dieser Platz wird Sie aber als diejenige Ministerin aus-weisen, die die größten öffentlichen Versprechungen ge-macht hat und die davon am wenigsten gehalten und ein-gelöst hat. Deswegen lehnen wir den Bundeshaushalt2004 ab.
Nun hat die Abgeordnete Wieczorek-Zeul um eine
Kurzintervention gebeten, zu der ich ihr hiermit das
Wort erteile.
Ich will auf die konkrete Frage des Kollegen Löning
„Wie können eigentlich vonseiten der Europäischen
Union Subventionen für Baumwolle abgebaut werden?“
eingehen. Es ist realistisch, zu behaupten, dass mein
Vorschlag innerhalb der Europäischen Union umgesetzt
werden kann. Die USA geben Subventionen in Höhe
von 3,7 Milliarden US-Dollar und die EU gibt 0,7 Milli-
arden US-Dollar Subventionen. Diese Subventionen
fließen in zwei EU-Mitgliedsländer: Griechenland und
Spanien. Im Herbst wird die Baumwollmarktordnung
ohnehin beraten.
Jetzt liegen die Regelungen der Entkopplung von der
Produktsubventionierung vor. Es muss aus meiner Sicht
möglich sein, dass die Europäische Union einen
Schlussstrich in Bezug auf die Subventionierung des
Produktes zieht und die ländliche Entwicklung in den
jeweiligen Staaten – das hat sie sich ja auch vorgenom-
men – entsprechend fördert. Wenn das geschieht, dann
wäre der Druck auf die USA sehr viel stärker, dass auch
sie in diesem Bereich Konsequenzen ziehen. Das ist ein
ganz konkreter Vorschlag. Ich hoffe, Sie unterstützen
ihn.
Nächster Redner ist der Kollege Detlef Dzembritzki
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrWeiß, als Sie hier von der Amputation der linken und derrechten Hand sprachen, ist mir durch den Kopf gegan-gen: Entwicklungspolitik hat viel mit Kopfarbeit zu tun.Ich finde, dass die Köpfe des Ministeriums für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hervorra-gend eingesetzt worden sind und dass wir gerade in denletzten Jahren wesentliche Beiträge zu einer Strukturver-änderung erlebt haben, die zu mehr Effektivität in derZusammenarbeit – ob im bilateralen oder im multilatera-len Bereich – geführt haben.KSAtdslddmsgdLuts8g3msnwsteküIrPsSmGszsriswLcMaae
Die dritte Stufe: Bildung und Ausbildung müssenieder zum Tagesablauf gehören. Wir müssen Handel,andwirtschaft und Steuersystem funktionsfähig ma-hen. Politische Strukturen mit Parteien, Wahlen undedien sollten existieren. Der Justiz- und Verwaltungs-pparat muss arbeiten können. Für den Aufbau des Justiz-pparats in Afghanistan ist Italien zuständig. Man sollteinfordern – auch öffentlich –, dass die Mittel, die dafür
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 5095
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Detlef Dzembritzkinotwendig sind, zur Verfügung gestellt werden. Auchdas ist eine Leistung, die erbracht werden muss.Schließlich halte ich hierbei für wichtig, dass derAustausch mit den Nachbarstaaten und die regionale Zu-sammenarbeit funktionieren und als normal angesehenwerden. Wir sind in diesem Bereich in Südosteuropa in-ternational sehr weit gekommen. Das macht deutlich,wie notwendig der multilaterale Ansatz ist. Niemandkann sich vorstellen, dass selbst ein Land wie Deutsch-land mit einer so engagierten Entwicklungspolitik – dasgilt sowohl für das Parlament als auch für dieRegierung – in der Lage wäre, diese Aufgabe allein zuschultern. Bei der Bedeutung, die das hat, wird es immerdarauf ankommen, eine vernünftige multilaterale Zu-sammenarbeit zu begründen.Als vierte und letzte Stufe der Sicherheit definiere ichdas, was wir an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ha-ben. Das ist eigentlich die höchste Stufe, die man bei derSicherheit erreichen kann. Ich habe noch nicht erlebt,dass von Demokratien Krieg, Zerwürfnisse und Zwie-tracht ausgegangen sind.
– Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Wenn man sichdiese Maßstäbe vor Augen führt, dann sieht man, wel-cher Weg im Irak, aber auch in Afghanistan noch zu-rückzulegen ist.Wenn man sich mit Menschen unterhält, die in Af-ghanistan Aufbauarbeit geleistet haben – wir haben dasim Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung getan –, dann erfährt man, welche Vorstel-lungen die Leute von Sicherheit haben. Man wird sehrschnell begreifen, dass es diesen Menschen darum geht,vor Ort ein Sicherheitsgefühl zu haben. Selbst die Dis-kussion um beleuchtete Straßen lässt sich auf das Si-cherheitsempfinden dieser Menschen zurückführen.Dazu gehört, dass Schüler und insbesondere Schülerin-nen ohne Angst Schulen besuchen können, dass Teil-habe am öffentlichen Leben möglich ist, dass mankeine Angst mehr vor Bomben oder Attentaten habenmuss. Dazu braucht es Polizeikräfte. Gerade in derAusbildung dieser Kräfte zum Beispiel sind wir auf ei-nem guten Weg.Die Menschen wollen Getreide anbauen und Roh-stoffe nutzen. Wenn das möglich wird, dann stellt derAnbau von Drogen nicht mehr die einzige Alternativedar, dann gibt es vernünftige Perspektiven.
Herr Kollege – –
Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Es kommt
darauf an, dass wir Perspektiven für ein Leben ohne
Angst eröffnen. Wir sehen daher einen wesentlichen
Maßstab für Sicherheitspolitik darin, wie Menschen ge-
holfen werden kann, ihr Haus, ihre Firma und ihre Fa-
brik zu erhalten sowie ihre Schule zu ertüchtigen. Eine
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Herr Kollege, der Appell ist beim Präsidenten ange-
ommen. Wie das beim Auditorium aussieht, kann ich
ur schwer feststellen.
Ich möchte zwischendurch noch gerne einen Hinweis
eben: Mich beeindruckt immer weniger, wenn Redner
it großer Geste ihr Manuskript zusammenpacken. In-
wischen habe ich nämlich immer häufiger die Erfahrung
emacht, dass dies die zweite Hälfte der vorbereiteten
ede ankündigt. Bei aller Neigung zur Großzügigkeit
uss ich darauf hinweisen, dass die jeweiligen Präsiden-
en darauf achten müssen, dass die von den Fraktionen
estgelegten Redezeiten wenigstens annäherungsweise
ingehalten werden.
Nach diesem fröhlichen Hinweis erteile ich nun als
etztem Redner in dieser Debatte dem Kollegen Dr. Ralf
rauksiepe für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!uch der Entwicklungshilfehaushalt ist symptomatischür den Gesamthaushalt. Wie die Bundesregierung haus-altspolitisch insgesamt vor die Wand gefahren ist, soeisten die rot-grünen Entwicklungspolitiker auch mitiesem Haushalt ihren entwicklungspolitischen Offenba-ungseid.
eil Sie ja wissen, dass das so ist, reden Sie so wenigber den Haushalt. Wenn Sie überhaupt über den Haus-alt reden, reden Sie deutlich anders darüber, als es nochor Jahren der Fall gewesen ist. Das wollte ich schonoch einmal in Erinnerung rufen.Ich beziehe mich dabei jetzt gar nicht auf das 0,7-Pro-ent- oder das 0,33-Prozent-Ziel. Wenn Sie sagen wür-en, Sie wollten diese Ziele erreichen, wäre das genausonglaubwürdig, als wenn Sie heute beteuerten, Sie hiel-en die Maastricht-Kriterium ein. Darum geht es ja ei-entlich.
ie haben uns hier heute aber auch interessante Erkennt-isse präsentiert. So sagten Sie, dass es eigentlich garicht so sehr darauf ankomme, wie hoch der BMZ-Etatei. Es wurde gesagt, da gebe es noch anderes, was in die
Metadaten/Kopzeile:
5096 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003
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Dr. Ralf BrauksiepeODA-Quote einginge. Sie, Herr Kollege Ströbele, habensogar gesagt, das Ganze sei eigentlich gar nicht so wich-tig.
Mit dieser Begründung könnten Sie am Ende auch eineEntwicklungspolitik ohne Geld propagieren. Das wäreim Grunde genommen die logische Konsequenz daraus.
Wenn Sie es uns nicht abnehmen, dass es wichtig ist,auch in diesem Bereich finanziell mehr zu tun,
sollten Sie sich doch wenigstens einmal an den von Ih-nen selbst im Koalitionsvertrag festgeschriebenen An-sprüchen messen. Allein dann, wenn Sie dem Koaliti-onsvertrag treu bleiben wollten, müssten Sie schondeutlich höhere Anstrengungen in diesem Bereich unter-nehmen.
Jetzt will ich, da der Haushalt inhaltlich ja keineneuen Akzente setzt, über die man hier streiten könnte,noch einmal auf die Frage von bilateraler und multilate-raler Entwicklungszusammenarbeit zu sprechen kom-men, die auch die Kollegin Kortmann angesprochen hat.Es steht überhaupt nicht infrage, dass Multilateralismusnotwendig ist und die schon erwähnten Exportsubventi-onsprobleme multilateral gelöst werden müssen. Wirsind in dieser Frage überhaupt nicht auseinander. Nur,wir legen darüber hinaus Wert darauf, dass die Konse-quenz nicht sein kann, den Entwicklungsländern zuempfehlen, die Zollmauern zu erhöhen. Vielmehr müs-sen wir überall auf der Welt entschlossen für den Abbauvon Subventionen und Zollschranken eintreten.Aber dabei geht es um etwas völlig anderes als um dieFrage, wo wir in unserer entwicklungspolitischen Zu-sammenarbeit im bilateralen und im multilateralen Be-reich die Schwerpunkte setzen. Wenn Sie selber von Ih-rem entwicklungspolitischen Konzept überzeugt wären,müssten Sie auch ein Interesse daran haben, dass Ihr ei-genes entwicklungspolitisches Profil deutlich wird.Das ist nun einmal bei multilateraler Entwicklungszu-sammenarbeit sehr viel schwieriger zu entwickeln als beider bilateralen. Von daher ist es schon bemerkenswert,dass Sie nun mehr Geld für die Weltbank vorsehen, dievon Ihnen ja so häufig als Ausführungsorgan von US-Politik kritisiert wurde. Ich bin nicht sicher, ob das wirk-lich unser entwicklungspolitisches Profil schärft.Sie wissen auch, dass der Etataufwuchs für den euro-päischen Entwicklungsfonds nicht notwendig ist, um da-für zu sorgen, dass die zur Verfügung gestellten Mittelauch entwicklungspolitisch effizient abfließen können.Durch eine Erhöhung dieses Ansatzes können wir unsereigenes entwicklungspolitisches Profil nicht stärken,wenngleich ich mit Interesse gehört habe, dass wir in-haltlich offenbar etwa den gleichen Reformbedarf sehen.IzzetlIüknmhtBnEf–dzSB8swIhWegdbtpvHBREcEtnEv
Ich will aber doch noch einmal darauf hinweisen, dasss aus unserer Sicht bei der bilateralen finanziellen undechnischen Entwicklungszusammenarbeit sehr bedenk-iche Fehlentwicklungen gibt. Diesen Hinweis kann manhnen nicht ersparen, auch wenn Sie selber nur ungernber diese Fragen reden. Es gibt manchmal sehr bemer-enswerte Differenzen zwischen der öffentlichen Wahr-ehmung und der Realität. In der öffentlichen Wahrneh-ung – dazu muss man Ihnen neidlos gratulieren –errscht gelegentlich immer noch der Eindruck vor, Sieäten etwas für Umwelt- und Ressourcenschutz sowie fürildung. Die wenigsten Menschen in diesem Land ah-en, dass Sie genau in diesen Bereichen die bilateralentwicklungszusammenarbeit am stärksten zurückge-ahren haben.
Die finanzielle Unterlegung dieser Bildungspolitik isturch Zwischenrufe des Kollegen Tauss nicht zu erset-en.
ie haben eine Rückführung des Ansatzes im Bereichildung von 146 Millionen im Jahr 1998 auf jetzt2 Millionen und im Bereich Umwelt- und Ressourcen-chutz von 420 Millionen auf 284 Millionen zu verant-orten. Das ist das traurige, das erbärmliche Ergebnishrer bilateralen Entwicklungszusammenarbeit, das wirier noch einmal feststellen müssen.
ir stimmen sicherlich grundsätzlich auch darin über-in, dass man dies durch Medienpräsenz allein nicht aus-leichen kann. Wir brauchen mehr als nur eine Politikes internationalen Katastrophenhoppings.Wir müssten auch gemeinsam ein Interesse daran ha-en, dass die Entwicklungspolitik der Verteidigungspoli-ik nicht nur hinterherläuft. Wir warten noch auf einelausible politische Begründung für den vom Bundes-erteidigungsminister geplanten Einsatz in Kunduz.ier sind noch jede Menge Fragen offen, die auch dasMZ beantworten muss. Der Hinweis darauf, dass dieegion militärisch angeblich relativ sicher ist, kann unsntwicklungspolitikern als Begründung nicht ausrei-hen.Alles in allem genommen halten wir in der Tat einerhöhung des BMZ-Etats politisch für dringend gebo-en, wobei wir keinen Hehl daraus machen, dass wir unsicht so ganz sicher sind, ob Sie höhere Mittel für dientwicklungszusammenarbeit am Ende wirklich sinn-oll bewirtschaften würden.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2003 5097
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Dr. Ralf BrauksiepeUnsere Konzepte dazu und unsere entwicklungspoliti-schen Richtlinien liegen auf dem Tisch. Wir fordern Sieauf, dazu nicht einfach nur platt Nein zu sagen, sondernsich damit nun endlich einmal ernsthaft auseinander zusetzen,
zum Wohle und im Interesse der Menschen, für die wirhier gemeinsam arbeiten sollten.Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der letzte
Redner hat mit dem Zusammenfalten seines Manuskripts
zeitgleich seine Rede beendet. Dafür danke ich ihm
herzlich.
Ich schließe die Aussprache. Wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages ein auf morgen, Donnerstag, den
11. September, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.