Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 50. Sitzung des 13. Deutschen Bundestages und begrüße Sie zugleich zu unserer ersten Sitzung nach der Sommerpause. Ich hoffe, daß Sie sich erholt und wieder Kräfte gesammelt haben.
Ich möchte zunächst einer Kollegin und einem Kollegen nachträglich zum Geburtstag gratulieren. Es sind dies die Kollegin Leni Fischer , die am 18. Juli ihren 60. Geburtstag feierte, und Bundesminister Dr. Norbert Blüm, der am 21. Juli seinen 60. Geburtstag beging. Beiden spreche ich im Namen des Hauses die besten Glückwünsche aus.
Jetzt kommt der amtliche Teil: Ich weise darauf hin, daß interfraktionell vereinbart worden ist, die unter Tagesordnungspunkt 2 aufgeführten Gesetzentwürfe zur Änderung des Grundgesetzes und des Finanzausgleichsgesetzes ohne Debatte an die Ausschüsse zu überweisen. Alle Beratungen ohne Aussprache werden heute im Anschluß an die Aussprache zur Einbringung des Haushalts gegen 15.40 Uhr aufgerufen. Sind Sie damit einverstanden? - Es gibt keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996
- Drucksache 13/2000
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999 - Drucksache 13/2001-
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache zum Haushalt 7,5 Stunden, für morgen 8,5 Stunden, für Donnerstag 7,5 Stunden und für Freitag 1,5 Stunden vorgesehen. - Ich höre auch dazu keinen Widerspruch, und wir verfahren in dieser Weise.
Das Wort zur Einbringung des Haushaltes hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die OECD bescheinigt der deutschen Finanzpolitik in ihrem soeben erschienenen Deutschlandbericht beeindruckende Erfolge bei der Konsolidierung und der Wahrung der finanzpolitischen Stabilität. Deutschland erfüllt beim Staatsdefizit und beim Schuldenstand die Maastricht-Kriterien. Das strukturelle Defizit liegt 1995 um fünf Prozentpunkte unter dem des Jahres 1991.
Der IWF bezeichnet in seinem neuesten Economic Outlook die deutschen Konsolidierungserfolge als vorbildlich. Gleichzeitig stellt die OECD fest: In etwa zehn Jahren wird bei dem jetzigen Investitionstempo der Kapitalstock in den neuen Ländern bereits auf westdeutschem Niveau sein.
Das, meine Damen und Herren, ist das Ergebnis einer harten, aber erfolgreichen Finanzpolitik der letzten fünf Jahre.
Über dieses Lob, in das auch andere nationale und internationale Experten und Institutionen einstimmen, dürfen wir uns zu Recht freuen.
Sicherlich freuen auch Sie sich, Frau Kollegin Matthäus-Maier, über diese deutschen Erfolge.
Ich begrüße die bayerische Staatsministerin Ursula Männle. Eben habe ich beim Blick auf die Bundesratsbank gedacht: Sag, wo die Troikaner sind, wo sind sie geblieben?
Bundesminister Dr. Theodor Walgel
Was waren das noch für Zeiten, Frau Matthäus-Maier, als Sie zu den Herren Schröder und Lafontaine hinüberblinzeln und Beifall klatschen mußten! Heute sind Sie wieder allein; ich glaube, Ihnen ist wohler dabei.
Aber es muß schon ein merkwürdiges Gefühl sein, immer nur dann einspringen zu dürfen, wenn die Herren zufällig nicht da sind.
Aber sei es drum - ob nun Schröder, Lafontaine oder Sie -, Sie müssen sich alle ehrlicherweise davon überzeugen: Das ist eine Finanzpolitik, die hohes internationales Lob bekommen hat und die erfolgreich ist.
Mit dem Bundeshaushalt 1996, dem Finanzplan bis 1999 und unserer Steuerpolitik im Rahmen der symmetrischen Finanzpolitik setzen wir den Erfolgskurs entschlossen und konsequent fort.
Wir haben viel erreicht. Dennoch sind die vor uns liegenden Aufgaben noch groß. Noch immer sind die Staatsquote, das Budgetdefizit, die Steuer- und Abgabenlast als Folge der Einheit zu hoch. Bis zum Jahre 2000 werden wir hart arbeiten, um bei den wichtigen finanzpolitischen Kennziffern den Stand Ende der 80er Jahre zu erreichen.
Die Staatsquote soll von jetzt etwa 50,5 % auf etwa 46 % zurückgeführt werden. Die entstehenden Spielräume sollen zu gleichen Teilen in die Senkung der Defizite und der Steuerlast investiert werden.
Mit dem Bundeshaushalt und dem Finanzplan liegt unser Fahrplan für das Erreichen dieser Ziele heute auf dem Tisch. Sie sind auf das Konzept der symmetrischen Finanzpolitik abgestimmt.
Deutschland steht vor großen internationalen Herausforderungen - ein immer härterer Wettlauf und Wettbewerb in der Europäischen Union und in der Weltwirtschaft um die Produkte, um Technologien und die Märkte der Zukunft, eine zunehmende Sensibilität der Finanzmärkte und globale Kapitalknappheit angesichts steigenden Kapitalbedarfs in den Ländern Mittel- und Osteuropas und in den Entwicklungsländern - sowie vor weltweit hoher Arbeitslosigkeit und globalen ökologischen Aufgaben. Diesen Herausforderungen müssen wir uns stellen.
Mit unserer Finanzpolitik sichern und profilieren wir den Standort Deutschland für Unternehmen und Kapitalanleger auch im nächsten Jahrzehnt. Wir schaffen ein positives Umfeld für zukunftsorientierte Innovationen und Investitionen, die auch den ökologischen Erfordernissen Rechnung tragen.
Wir fördern zukunftssichere Arbeitsplätze und sichern unseren Wohlstand und die Lebensqualität. Wir machen Vorgaben für eine zukünftige Finanzpolitik in der Europäischen Union. Unabdingbare Voraussetzung für den Beginn und danach für die Fortführung der dritten Stufe der Währungsunion muß ein erfolgreicher Stabilitätskurs sein.
Um diese Ziele zu erreichen, müssen wir das Haushaltsmoratorium einhalten, neue Ausgaben nur durch Einsparungen und Umschichtungen finanzieren und die Ausgabensteigerungsrate deutlich unter der Steigerungsrate des Bruttosozialprodukts halten.
Der Bundeshaushalt 1996 ist ein kräftiger Schritt auf dem Weg zu unseren Zielen. Die Gesamtausgaben betragen 452 Milliarden DM. Bereinigt um die Systemumstellung des Kindergeldes sinken sie gegenüber dem Vorjahr um 1,3 %.
Vor über einem halben Jahrhundert hat der Finanzwissenschaftler Adolph Wagner das Gesetz der wachsenden Staatstätigkeit formuliert. Dieses auch in Deutschland in den letzten Jahrzehnten gültige Gesetz haben wir jetzt durchbrochen. Ich halte das für einen gewaltigen Schritt auf dem Weg zur Konsolidierung.
Dies ist im In- und Ausland ein schlagkräftiger Beweis für die konsequente Stabilitätspolitik in Deutschland. Wenn viele andere Länder, vor allen Dingen in Europa, gerade dieses Beispiel der Konsolidierung auch für sich als vorbildlich ansehen, dann zeigt dies deutlich, daß wir auf dem richtigen Weg sind.
Die Früchte dieser glaubwürdigen Politik ernten wir bereits jetzt durch nach wie vor gute Konjunkturaussichten, durch ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in diesem und auch im nächsten Jahr, durch stabile Preise, niedrige Zinsen und eine harte D-Mark.
Diese Ernte wollen wir auch in den nächsten Jahren einfahren. Dafür steht unsere glaubwürdige und verläßliche Finanzpolitik.
Es geht dabei nicht nur um Sparen, so wichtig das auch ist. „Sparen und gestalten" ist das Motto des Haushalts 1996. In neun Einzelplänen kommt es 1996 zu nominalen Rückgängen. Das ist schwierig zu verkraften.
In vielen Bereichen dieses Etats setzen wir trotzdem zukunftsorientierte neue Prioritäten. Von den Einsparungen insgesamt ausgenommen werden der für die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft so wichtige Bereich Bildung und Forschung und der Verteidigungsetat, der bereits in den vergangenen Jahren mit erheblichen Einsparauflagen belastet wurde. Jeder, der im letzten Jahr - wie Sie, Frau Matthäus-Maier, das damals versucht haben - oder heuer nochmals an den Verteidigungsausgaben sparen möchte, muß sich die Frage stellen, ob er damit nicht den falschen Beitrag zur Verteidigung der Freiheit und des Friedens in Deutschland und in Europa erbringen wollte.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Ich möchte auch von dieser Stelle den tapferen deutschen Soldaten, die im Augenblick in Europa für den Frieden im Einsatz sind und versuchen, Leid zu mindern und Unrecht zurückzuhalten, meinen großen Respekt und meinen Dank aussprechen.
Wir haben durch den Fall des Eisernen Vorhangs bereits eine erhebliche Friedensdividende in Deutschland erzielt. Wer jetzt die schrecklichen Ereignisse, das sinnlose Morden im ehemaligen Jugoslawien vor unserer Haustür sieht, erfährt schmerzlich: Der Friede muß weiterhin auch militärisch gesichert werden. Das war notwendig, und das war richtig. Jeder, der sich damals vor der Sommerpause hier in diesem Hause für solidarisches Handeln ausgesprochen hat, hat damit seinen Beitrag zur Friedenssicherung in Europa geleistet, und Sie, Herr Scharping, haben damals versagt.
Mit 59,84 Milliarden DM bleibt die Nettokreditaufnahme knapp unter der Obergrenze von 60 Milliarden DM, der im letzten Finanzplan gesetzten Meßlatte. Der Haushalt 1996 ist ein Sparhaushalt par excellence. Hinter den nackten Zahlen verbergen sich wichtige Veränderungen, die das Zahlengerüst des Haushalts beeinflußt haben. 1996 gibt es eine Steuer- und Abgabenentlastung um netto 27 Milliarden DM. Der Bund trägt davon 20 Milliarden DM: 12 Milliarden DM aus dem Jahressteuergesetz und etwa 8 Milliarden DM durch den Wegfall des Kohlepfennigs.
Die bisherige eigene Kreditaufnahme des Bundeseisenbahnvermögen 1995 in Höhe von bis zu 9,5 Milliarden DM entfällt. Zusätzlich waren aus der zweiten Stufe der Bahnreform 6 Milliarden DM und bei der Arbeitslosenhilfe 4 Milliarden DM im Budget unterzubringen. Diese Mehranforderungen an den Haushalt 1996 von etwa 35 Milliarden DM haben die Kreditaufnahme gegenüber 1995 nur um 10 Milliarden DM erhöht. Dies war nur durch eine äußerst sparsame Etataufstellung möglich.
Eine Vielzahl von Haushaltsansätzen haben wir gegenüber dem Vorjahr vermindert. Konjunkturbedingte Entlastungen bei den Ausgaben oder Mehreinnahmen haben wir konsequent zur Verringerung der Nettokreditaufnahme genutzt. Was 1992 und 1993 die automatischen Stabilisatoren waren, um konjunkturbedingte Mindereinnahmen und konjunkturbedingte Mehrausgaben durch eine erhöhte Nettokreditaufnahme auszugleichen, muß jetzt umgekehrt konsequent zur Schuldenreduzierung und zur Reduzierung der Nettokreditaufnahme verwandt werden.
Bereits heute sind allerdings einige Zusatzforderungen an den Haushalt 1996 auf dem Tisch. Aus dem Vermittlungsergebnis zum Jahressteuergesetz 1996 kommen noch 1,6 Milliarden DM auf uns zu.
Haushaltsrisiken gibt es noch beim Arbeitsmarkt, bei den Steuereinnahmen und bei den Zahlungen an die Europäische Union. Diese Risiken sind aber beherrschbar.
Die Obergrenze von 60 Milliarden DM beim Defizit können wir einhalten, wenn wir der Konsolidierung und dem Moratorium auch im weiteren parlamentarischen Verfahren und im Haushaltsvollzug absolute Priorität einräumen.
Wenn die SPD aber schon wieder mit der alten stereotypen Leier „Haushaltslöcher" kommt, kann ich nur sagen: Diese Mär kommt so sicher wie Ebbe und Flut.
Wie jedes Jahr werden Sie schließlich erfahren müssen: Der Finanzminister hält seine Pläne nicht nur ein, in der Regel ist das Ergebnis noch um einiges günstiger - in den letzten zwei Jahren um die bescheidene Summe von gut 40 Milliarden DM.
Die Konjunktur- und Wachstumsaussichten bleiben günstig. Vereinzelte Befürchtungen, der niedrige Dollarkurs könne die Konjunktur kippen, haben sich Gott sei Dank nicht bestätigt. Die neuesten Konjunkturdaten zeigen: Der positive Trend ist nicht gebrochen, er wird lediglich vorübergehend gedämpft. Alle Experten erwarten einen Anstieg der Exporte und im nächsten Jahr auch eine deutliche Zunahme des privaten Verbrauchs.
Die Investitionsdynamik in vielen Branchen geht weiter; die Kapazitätsauslastung ist deutlich gestiegen. Diese rasche Erholung der Wirtschaft nach der schwersten Rezession 1993 hat sich leider noch nicht im erwünschten Ausmaß auf den Arbeitsmarkt niedergeschlagen. Insbesondere der Langzeitarbeitslosensockel bleibt ein Problem, das nicht kurzfristig gelöst werden kann. Dies hat auch Auswirkungen auf den Haushalt 1996.
Die allein vom Bund finanzierte Arbeitslosenhilfe bleibt auf hohem Niveau. Ohne Konsolidierungsmaßnahmen müßten 1996 Ausgaben von über 18 Milliarden DM eingeplant werden. Wir wollen das Problem der Arbeitslosigkeit engagiert angehen und die Menschen nicht allein lassen. Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung und stellen die notwendigen Mittel bereit.
Darin kann sich aber eine mittel- und langfristig angelegte Finanzpolitik nicht erschöpfen. Um dem Problem auf die Dauer zu begegnen, müssen wir an allererster Stelle die wachstumsorientierte Politik fortsetzen. Nicht mehr Staat und Umverteilung, sondern nur mehr Markt und Wachstum schaffen neue, zukunftssichere Arbeitsplätze.
Dieser Kurs hat zwischen 1982 und 1992 immerhin 3 Millionen neue Arbeitsplätze gebracht.
Immer wieder wird die These vertreten, der Gesellschaft ginge die Arbeit aus. Diese Aussage ist nicht zu halten. Wie die OECD zu Recht feststellt, hat insbesondere der Langzeitarbeitslosensockel vorwiegend strukturelle Ursachen. Arbeit in Deutschland ist
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
produktiv, aber auch teuer. Deutschland kann und wird kein Billiglohnland sein. Unsere Zukunft liegt bei hochwertigen High-Tech-Produkten, bei der Luft- und Raumfahrttechnik, der Kern- und Biotechnologie, bei der modernen Informationstechnik und im Dienstleistungssektor. Hier müssen genug neue Arbeitsplätze entstehen.
Meine Damen und Herren, dazu gehört auch, daß das notwendige militärische Gerät zur Verfügung gestellt und in Deutschland gebaut wird. Ich sage das, weil ich annehme, daß Sie zum 113. Mal mit dem Jäger 90 oder dem Eurofighter kommen. Frau Matthäus-Maier, ich kann und möchte heute nicht mehr auf Sie antworten; deshalb sage ich schon jetzt: Sie müssen den Deutschen klarmachen, warum wir das Notwendige irgendwo im Ausland kaufen und damit Arbeitsplätze in Deutschland verlorengehen.
Das ist die Grundaussage und nicht die Frage, wieviel Kindergärten oder Schulen man für einen Eurofighter bauen kann. Letzteres ist die primitive Auseinandersetzung, an der die SPD schon in den 50er Jahren gescheitert ist, und Sie werden damit auch heute keinen Erfolg haben.
Übrigens: Bevor Sie noch mal über den Jäger 90 reden, sollten Sie unbedingt Herrn Schröder anrufen. Ich weiß, daß telefonische Kontakte mit ihm im Moment suspekt sind, aber trotzdem:
Er hat ein Handy, und wenn er nicht auf dem Deich ist, ist er in der Staatskanzlei, wenn er sich nicht gerade um sein Kabinett oder um die Chaostage in Hannover kümmern muß, wozu er lange Zeit gehabt hat. Aber in Sachen Eurofighter ist er, nehme ich an, auf einem anderen Dampfer; er ist jedenfalls um die Arbeitsplätze in seinem eigenen Land mehr besorgt als möglicherweise einige Ideologen in der SPD.
Wir müssen neue Technologien unterstützen, ethisch verantwortbar, aber unvoreingenommen, mit Optimismus und dem Gründergeist, der Deutschland im 19. Jahrhundert vom Nachzügler bei der industriellen Entwicklung in eine Spitzenstellung gebracht hat.
Daneben sind gezielte Flexibilisierungen auf den Arbeitsmärkten dringend notwendig, beispielsweise neue Arbeitszeitmodelle, für die auch viele Beschäftigte aufgeschlossen sind. So kann der Einsatz der Produktionsfaktoren optimiert werden, und so können die Produktionskosten trotz hoher Löhne gesenkt werden. Neben dem Staat sind hier die Tarifpartner besonders in der Pflicht.
Dazu kommen gezielte Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik für Problemgruppen. So haben wir das erfolgreiche Langzeitarbeitslosenprogramm erneut in Kraft gesetzt. Bis 1999 steht hier ein Gesamtvolumen von 3 Milliarden DM zur Verfügung. Finanziert wird dieses Bundesprogramm allein durch Umschichtungen.
Geprüft werden muß aber auch, ob nicht bei den Leistungen bei Arbeitslosigkeit Anpassungsbedarf besteht. Die Anreize zur Arbeitsaufnahme müssen stimmen. Problemgruppen muß gezielt geholfen werden. Die Unterstützung darf aber nicht zum Verweilen im sozialen Netz einladen.
Die Koalition hat dem Rechnung getragen und die Leistungsgewährung überprüft. Sie hat sich dabei auf Konsolidierungsmaßnahmen verständigt.
- Sind Sie schon wieder aufgewacht? Sie müssen offensichtlich aus Paris zurück sein.
Ich fahre fort: Wir haben uns dabei auf Konsolidierungsmaßnahmen verständigt, die den Ansatz der Arbeitslosenhilfe 1996 auf 14,8 Milliarden DM begrenzen.
Die originäre Arbeitslosenhilfe, die nicht im Anschluß an Arbeitslosengeld und praktisch ohne eigene Beitragsleistungen gezahlt wird, soll ab 1996 wegfallen. Wir haben die Bezugsdauer bereits auf ein Jahr begrenzt. Jetzt muß konsequent der zweite Schritt folgen. Der Bundeshaushalt wird dadurch 1996 um etwa 600 Millionen DM und in den Folgejahren jeweils um etwa 800 Millionen DM entlastet.
Daneben ist eine Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz vorgesehen. Der Arbeitswille soll durch eine stärkere Einbeziehung in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen überprüft werden. Wer nicht bereit ist, an zumutbaren Maßnahmen teilzunehmen, kann auch keine vollen Leistungen erwarten.
Es ist unser Ziel, Bezieher von Arbeitslosenhilfe rasch und dauerhaft wieder in den Arbeitsmarkt zu reintegrieren. Diese Maßnahmen sollen ab dem 1. April 1996 greifen und zu Einsparungen von 2,8 Milliarden' DM führen. In den Folgejahren werden 3 Milliarden DM erwartet.
Mehrbelastungen für Länder und Kommunen durch diese Regelungen gibt es per Saldo nicht.
- Warten Sie doch ab!
Im Rahmen der Novelle zum Asylbewerberleistungsgesetz kommt es zu einer kompensierenden Entlastung von Ländern und Kommunen in Höhe von jährlich 1,3 Milliarden DM.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Die Ausgaben für Zinsen und Zinserstattungen steigen 1996 und im weiteren Finanzplanungszeitraum wegen der Vorbelastung durch die Einheit weiter an. Die sparsame Haushaltspolitik und die niedrigere Nettokreditaufnahme der vergangenen Jahre führen deshalb noch nicht zu der notwendigen nachhaltigen Begrenzung der Zinslasten. Sie ermöglichen aber bereits deutliche Entlastungen gegenüber dem letztjährigen Finanzplan.
Der Kollege Roth hat darauf hingewiesen: Der Bund führt dem Kapitalmarkt mehr Mittel zu, als er über die Nettokreditaufnahme entnimmt.
Die um insgesamt knapp 40 Milliarden DM geringere Neuverschuldung der Jahre 1994 und 1995 sowie das günstige Zinsniveau vermindern die Zinsausgaben im Jahre 1996 um rund 3,1 Milliarden DM. Der um etwa 20 Milliarden DM geringere Schuldenstand des Erblastentilgungsfonds - wir gehen zur Zeit von 360 Milliarden DM aus - ist der Grund für Minderausgaben in diesem Bereich von 2,5 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, das Thema schlanker Staat steht weiterhin auf der Tagesordnung.
Für die Bundesregierung bedeutet dies insbesondere, den eingeschlagenen Weg der Personalreduzierung fortzusetzen. Personalabbau bedeutet aber nicht nur die Fortsetzung der bereits vereinbarten Personaleinsparung. Erforderlich ist daneben eine differenzierte Überprüfung des Aufgabenspektrums und der Organisationsstrukturen innerhalb der Bundesverwaltung.
Die gesetzliche Stelleneinsparung von 1 % führen wir nunmehr im vierten Jahr fort. Sie erfaßt, wie in den vorangegangenen Jahren, die obersten Bundesbehörden und den nachgeordneten Verwaltungsbereich. In einzelnen Fällen bringt eine lineare Personalrückführung natürlich Schwierigkeiten mit sich. Darauf haben wir mit der Einräumung zusätzlicher haushaltswirtschaftlicher Flexibilität reagiert. Im übrigen werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um durch Aufgabenreduzierung freiwerdendes Personal anderweitig sinnvoll einzusetzen.
Bei der Durchsetzung des Lean management kann sich der Bund sehen lassen. Zum Vergleich: Daimler-Benz hat sein Personal vom Höchststand 379 000 im Jahre 1991 bis 1994 auf rund 330 000 abgebaut. Dies gilt in der Wirtschaft als vorbildliche Verschlankung von Produktion und Management. Die Zahl der Stellen im Bundeshaushalt wird zwischen 1992 und Ende 1995 von rund 380 000 auf rund 325 000 zurückgeführt.
Bei der wichtigen Privatisierung hat der Bund seine Hausaufgaben gemacht. Alle größeren Projekte sind auf dem Weg. Von noch verbleibenden kleineren Bundesunternehmen oder Bundesbeteiligungen werden wir uns soweit wie möglich trennen.
Länder und Gemeinden haben hier noch ein großes Potential.
Leider gibt es in vielen Ländern und auf kommunaler ebene immer noch heftigen Widerstand gegen eine konsequente Privatisierung. Die ökonomischen Erfahrungen zeigen aber ganz deutlich, daß letztlich die Vorteile überwiegen: Die öffentlichen Haushalte werden entlastet, Beiträge und Gebühren der Bürger gehen zurück.
Trotz der Einsparungen und Ausgabenbegrenzungen im Haushalt setzen wir zukunftsweisende Schwerpunkte und neue Akzente. So bleibt der Verkehrshaushalt mit knapp 51 Milliarden DM unverändert der drittgrößte Einzelplan. Mit Investitionen von über 23 Milliarden DM bleibt er mit weitem Abstand größter Investitionshaushalt. Zur teilweisen Finanzierung der zweiten Stufe der Bahnreform werden die Bahninvestitionen auf dem Niveau des Jahres 1994 - in Zahlen: 7,7 Milliarden DM - fortgeschrieben; das bedeutet gegenüber dem Finanzplan eine Einsparung. Die Mittel für die Investitionsausgaben können aber durch zusätzliche Einnahmen aus dem Verkehrsbereich, z. B. durch die Veräußerung nicht betriebsnotwendiger Bahngrundstücke, wieder aufgebessert werden. Wir werden dieses Instrument nutzen und voranbringen.
Die Aufwendungen für Forschung und Technologie steigen um fast 270 Millionen DM bzw. 2,9 %. Der Haushaltsentwurf 1996 setzt darüber hinaus ein deutliches Zeichen für strukturelle Reformen im Bildungsbereich. Ab dem Wintersemester 1996/97 wollen wir das Studenten-BAföG umstrukturieren. Diese Reform sieht eine Umstellung des bisher aus dem Haushalt finanzierten Darlehensanteils auf Bankendarlehen vor. Der Staat gewährleistet die Zinsfreiheit durch eine befristete Übernahme der Zinsen bis zum vierten Jahr nach Ende der Förderungshöchstdauer. Darüber hinaus soll das Ausfallrisiko bis vier Jahre nach Beginn der Rückzahlung durch staatliche Bürgschaften abgedeckt werden. In der Rückzahlungsphase sollen dann die im Beruf stehenden und in der Regel gutverdienenden Akademiker die Zinsen selbst übernehmen. Der dadurch erzielte Entlastungsbetrag wird 1996 in vollem Umfang für eine spürbare Anhebung der BAföG-Förderbeträge um 6 % sowie für andere wichtige forschungs- und bildungspolitische Maßnahmen bereitgestellt.
Mit dem Meister-BAföG, der Finanzierung der beruflichen Aufstiegsfortbildung, setzen wir ab 1996 ein wichtiges Signal für die Verwirklichung der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung.
Gefördert werden insbesondere die Lebenshaltungskosten in Anlehnung an die neue BAföG-Struktur mit einem hälftigen Zuschuß und staatlichen Zinszuschüssen zu dem bankfinanzierten Darlehensanteil. Die sonstige Förderung erfolgt durch Bankdarlehen, zu denen der Bund Zinszuschüsse gibt. Im Falle ei-
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
ner späteren Existenzgründung ist ein Erlaß in Höhe von bis zu 50 % vorgesehen. Dies, meine Damen und Herren, ist der entscheidende Schritt, um die berufliche Bildung endlich gleichwertig gegenüber der akademischen Ausbildung zu gestalten.
Die BAföG-Reform des Kollegen Rüttgers hat Modellcharakter für andere Politikbereiche.
- Das ist eine großartige Leistung, in der wir alle den Kollegen Rüttgers nachdrücklich unterstützen. -
Durch strukturelle Reformen gelingt es, Mittel für prioritäre Aufgaben freizusetzen, ohne die Ausgaben insgesamt weiter anwachsen zu lassen.
Die Aufstockung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau und die Hochschulsonderprogramme um zusammen 200 Millionen DM ab 1997 wird mit einer Novellierung des Hochschulbauförderungsgesetzes verknüpft. Ich appelliere an die Länder, sich der überfälligen strukturellen Bereinigung der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau nicht zu verschließen.
Die Vorschläge des Bundes liegen auf dem Tisch: Beschränkung der Förderung auf Großvorhaben durch die Erhöhung der seit 25 Jahren unveränderten Bagatellgrenze bei Bauvorhaben von 500 000 DM auf mindestens 3 Millionen DM - entsprechendes gilt für Großgeräte, bei denen die Bagatellgrenze zur Zeit bei nur 150 000 DM liegt -; Reduzierung des hohen Anteils an Bauvorhaben und Großgeräten für den Medizinbereich, in dem es - oft sogar überwiegend - um die allgemeine medizinische Versorgung und nicht vorrangig um Forschung und Lehre geht. Die hierdurch mögliche Konzentration des Mitteleinsatzes würde den Handlungsspielraum in der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau deutlich erweitern.
Meine Damen und Herren, trotz gemeinsamer Anstrengungen der Wirtschaft, der Länder und der Bundesanstalt für Arbeit zur Stärkung der Berufsausbildung reichen die betrieblichen Ausbildungsplatzangebote in den neuen Ländern nicht vollständig aus. Bund und neue Länder haben deshalb vereinbart, ein erneutes Sonderprogramm aufzulegen, mit dem in den neuen Ländern rasch bis zu 14 500 außerbetriebliche Ausbildungsplätze zusätzlich geschaffen werden sollen. Die Vereinbarung sieht vor, die von 1995 bis 1999 erforderlichen Mittel von etwa 860 Millionen DM durch Bund und neue Länder zu gleichen Teilen bereitzustellen. Beim Bund wird dieses Programm vollständig im Haushalt gegenfinanziert. Die regionale Verteilung der zusätzlichen außerbetrieblichen Ausbildungsplätze soll sich grundsätzlich an dem Bedarf der Länder orientieren. Ausbildungsplätze für Dienstleistungs- und kaufmännische Berufe, für die ein hoher Bedarf besteht, sowie die Ausbildung junger Frauen, die
noch besondere Schwierigkeiten bei der Ausbildungsplatzsuche haben, werden vorrangig gefördert. Durchgeführt wird das Programm von der Bundesanstalt für Arbeit.
Meine Damen und Herren, die Landwirtschaft ist in einer schwierigen Situation; noch verstärkt seit der Aufwertung des grünen Kurses" zur D-Mark zum Juli 1995. Der Bundeshaushalt 1996 macht deutlich: Die Unterstützung der deutschen Landwirtschaft bleibt uns ein wichtiges Anliegen.
Auch im Jahr 1996 stellt die Bundesregierung, wie im Jahr 1995, gut 12 Milliarden DM für die Landwirtschaft bereit. Der Bundeszuschuß für die Unfallversicherung bleibt voll erhalten. Die Agrarsozialpolitik entwickelt sich dynamisch. Die Ausgaben für die Alterssicherung und die Krankenversicherung steigen um fast 400 Millionen DM. Auch durch das Engagement im Rat der Finanzminister der EU haben wir es erreicht, die „grünen Kurse" für die Aufwertungsländer festzuschreiben. Damit bleibt das wesentliche Element der Einkommensstützung in nationaler Währung stabil. Zusätzlich ist im Ratskompromiß die Möglichkeit nationaler Ausgleichszahlungen für währungsbedingte Handelsverluste vorgesehen. In Gesprächen mit den Beteiligten in Deutschland und in Brüssel geht es jetzt um die konkrete Umsetzung der Maßnahmen. Ich bin sicher, wir werden zu befriedigenden Lösungen kommen.
Meine Damen und Herren, der Finanzplan bis 1999 liegt voll und ganz auf dem vorgegebenen Kurs der symmetrischen Finanzpolitik. Der Ausgabenanstieg beträgt jahresdurchschnittlich nur rund 1,3 %. Dabei ist die Umschichtung der Kindergeldfinanzierung schon herausgerechnet. Der Abstand zum Wachstum des Bruttosozialproduktes, das wohl im Durchschnitt 5,5 % betragen wird, beläuft sich damit beim Bund auf deutlich mehr als die für den Staatssektor insgesamt mindestens notwendigen 2 %. In den Jahren nach 1996 wird die Nettokreditaufnahme deutlich zurückgeführt. Um das Staatsquotenziel zu erreichen, ist im gesamten Finanzplanungszeitraum Sparsamkeit das oberste Gebot.
Neben einer glaubwürdigen und konsequenten Konsolidierung im Bereich des Haushalts ist eine wachstumsfördernde Steuerpolitik unverzichtbarer Bestandteil der symmetrischen Finanzpolitik.
Die Steuerpolitik ist einerseits dafür verantwortlich, daß über das Steuersystem genügend Einnahmen zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben beschafft werden; andererseits werden steuerpolitische Maßnahmen eingesetzt, um eine Vielzahl verschiedener wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Ziele zu erreichen. Die vornehmste Aufgabe der Steuerpolitik muß es aber sein, den unbestreitbaren Finanzierungsbedarf des Staates mit der Leistungsbereitschaft des einzelnen und der Leistungskraft unserer Volkswirtschaft zu verbinden. Das bedeutet heute:
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Die Senkung der zu hohen Steuer- und Abgabenlast muß das oberste Ziel unserer Steuerpolitik sein.
Mit dem Jahressteuergesetz 1996 haben wir bereits einen wichtigen Schritt in diese Richtung getan. Die Steuerlast von Bürgern und Unternehmen wird deutlich gesenkt. Nach harten Auseinandersetzungen im Vermittlungsausschuß ist jetzt der Weg für das Entlastungspaket frei. Noch in diesem Monat wird in diesem Haus über das Vermittlungsergebnis abgestimmt. Mit einer Nettoentlastung von rund 19 Milliarden DM werden vor allem die Steuerpflichtigen mit kleinen und mittleren Einkommen und die Familien bessergestellt.
Dies bedeutet auch einen Rückgang der Steuerquote um rund einen Prozentpunkt. Die voraussichtliche Steuerquote wird 1996 aber immer noch auf rund 24 % geschätzt. Dies ist weiterhin eindeutig zu hoch, doch wir gehen entschlossen in die richtige Richtung.
Der nächste Entlastungsschritt muß am Solidaritätszuschlag ansetzen. Nur, wir sollten hier keine überflüssige Diskussion anzetteln.
- Ich habe bewußt auf Sie gesehen.
Hier herrscht die Freiheit des Blickfeldes; sie nehme ich in Anspruch.
Wenn wir unsere Konsolidierungslinie im Finanzplan einhalten, halte ich 1998 - vielleicht auch schon 1997 - einen Abbau - nicht die Abschaffung - beim Solidaritätszuschlag für möglich. Dies hängt aber davon ab, wie sich das Steueraufkommen in den neuen Bundesländern entwickelt, wie sich daraus der horizontale Finanzausgleich gestaltet und in welcher Höhe die notwendigen Umsatzsteuerpunkte an den Bund - und von ihm wiederum voll an den Bürger - zurückgegeben werden können. Darauf haben wir uns verständigt.
Wir wollen jeden Spielraum dazu nutzen. Sicher ist: Der Solidaritätszuschlag darf keine Steuer auf Dauer sein; er ist ein Zuschlag auf Zeit. Er muß begrenzt, so schnell wie möglich reduziert und im Endeffekt wieder abgeschafft werden,
obwohl heute niemand das Datum für die Abschaffung verläßlich prognostizieren kann.
Die Steuerfreistellung des Existenzminimums entlastet die Steuerpflichtigen um rund 15,5 Milliarden DM. Dies haben wir durch eine Anhebung des Grundfreibetrages ab 1996 auf rund 12 100 DM erreicht. Frau Kollegin Matthäus-Maier, wir sind uns heute also einig: Ein Betrag von 12 100 DM in 1996 ist verfassungskonform.
-Ja?
Ich bin Ihnen dafür dankbar. Ich hoffe, daß auch Herr Poß dieser Meinung ist.
- Entschuldigung, Herr Poß. Sie sitzen zwar nicht in der ersten Reihe - wie das in der Werbung einer Fernsehanstalt versprochen wird -, aber auch in der zweiten kann man mich gut verstehen. Ich habe gesagt: Wir sind uns hoffentlich darüber einig, daß ein steuerfreies Existenzminimum von 12 100 DM in 1996 verfassungsfest ist.
- Sie nicken etwas ungläubig. Insofern geben Sie zu, daß Sie schon andere Thesen vertreten haben. Aber trotzdem, wir bleiben dabei. Ich bin froh, daß wir uns auf dieses Niveau einigen konnten, auch im Interesse der Länder.
Dieser Grundfreibetrag wird für 1997 und 1998 auf rund 12 400 DM - auch das ist nach unserer übereinstimmenden Meinung noch verfassungsfest - und ab 1999 auf rund 13 100 DM ansteigen. Auf diese Weise werden klare, finanzpolitisch tragbare Anpassungen im voraus verläßlich festgesetzt.
Der Eingangssteuersatz bleibt, wie im Tarifentwurf der Koalition vorgesehen, bei 25,9 %. Auch die Tarifstruktur hat sich im Vermittlungsverfahren nicht geändert. Schlechterstellungen werden vermieden. Grundsätzlich streben wir den Idealverlauf eines durchgehend linear-progressiven Tarifs sowie die Vereinheitlichung der Höchststeuersätze bei der Einkommensteuer auf niedrigerem Niveau als mittel- und langfristiges Ziel an.
Durch die Weiterentwicklung des Familienleistungsausgleichs wird die finanzielle Ausstattung der Familien um gut 7 Milliarden DM verbessert. Meine Damen und Herren, wir haben vor den Wahlen gesagt, daß wir hier etwas tun wollen. Niemand hat sich vor einem Jahr vorstellen können, daß wir in einem Etat, der um fast 6 Milliarden DM abnimmt, mehr als 7 Milliarden DM zusätzlich für die Familien ausgeben. Das ist ein großer familienpolitischer Schritt, auf den wir gemeinsam stolz sein können.
Die bewährten Elemente des dualen Systems mit Kindergeld und Kinderfreibetrag bleiben erhalten. Der Kinderfreibetrag wird von derzeit 4 100 DM in 1996 auf die volle Höhe des Existenzminimums eines Kindes von rund 6 300 DM angehoben und steigt ab 1997 auf rund 6 900 DM. Das Kindergeld für erste
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
und zweite Kinder beträgt 1996 200 DM pro Monat und steigt ab 1997 auf 220 DM pro Monat. Ab 1996 beträgt das Kindergeld 300 DM pro Monat für das dritte Kind und 350 DM pro Monat für das vierte und jedes weitere Kind. Ich will das einmal an einem Beispiel verdeutlichen: Eine Familie mit zwei Kindern und einem durchschnittlichen Monatseinkommen hat dann fast 2 800 DM im Jahr mehr auf dem Konto. Und 1997 kommen noch einmal etwa 500 DM hinzu. Das ist eine Leistung, die sich sehen lassen kann.
Kinderfreibetrag und Kindergeld werden so miteinander verbunden, daß einerseits Entlastungssprünge bei unterschiedlichen Einkommen der Eltern entfallen und andererseits steuersystematische und sozialpolitische Erfordernisse bestmöglich miteinander vereint werden. Die Auszahlung des Kindergeldes erfolgt grundsätzlich durch den Arbeitgeber. Damit werden die Erleichterungen unmittelbar wirksam.
Auch das mit der Reform des Familienleistungsausgleichs verbundene Problem der Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern mußte gelöst werden. Bisher wurden die mit dem Familienleistungsausgleich verbundenen Lasten zwischen Bund und Ländern in einem Verhältnis von 74 % : 26 % aufgeteilt. Dieses Verhältnis soll auch nach der Einführung des neuen Modells beibehalten werden. Der Bund wollte von Beginn an nichts daran verdienen.
Um die Verbesserungen für die Familien zu ermöglichen, haben wir im Vermittlungsausschuß einer Grundgesetzänderung zugestimmt. Noch heute wird sich der Deutsche Bundestag mit der Grundgesetzänderung und der dazugehörigen Änderung des Finanzausgleichsgesetzes in erster Lesung befassen. Danach erhalten die Länder in den Jahren 1996 und 1997 zusätzlich jeweils 5,5 % des Umsatzsteueraufkommens. Ich fordere die Länder auf, ihre Zusage aus dem Vermittlungsverfahren einzuhalten und die Steuerausfälle bei den Gemeinden fair und voll aus dieser Summe auszugleichen.
Ich verhehle nicht, daß es mir und der Regierung, der Koalition lieber gewesen wäre, wenn wir den Kommunen unmittelbar 1 % Einkommensteueranteil gegeben hätten. Dies war, wie jeder weiß, im Vermittlungsverfahren nicht durchsetzbar. Ich hätte diesen Weg lieber gewählt.
Ich hoffe, daß ein fairer Ausgleich erfolgt - so wie auch wir mit den Ländern fair umgegangen sind. Mitte 1997 wird es erneut Verhandlungen über die Höhe der Prozentpunkte des Ausgleichs geben. Dann werden auch Gespräche über weitere Verbesserungen beim Familienleistungsausgleich geführt werden.
Die Investitionsförderungen in den neuen Ländern führen wir in gestraffter und konzentrierter Form fort. Durch die gezielte Gewährung von Investitionszulagen und Sonderabschreibungen für die Problembereiche wollen wir den Aufbau in den neuen Ländern stabilisieren und verstetigen.
Darüber hinaus werden gezielt Maßnahmen wirksam, die Risikokapital für den Mittelstand in den neuen Ländern mobilisieren und dessen Eigenkapitalausstattung deutlich stärken werden. Die Eigenkapitalausstattung ist oft die entscheidende Hürde - gerade für die jungen innovativen Unternehmen. Dies hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau erst kürzlich bestätigt.
Meine Damen und Herren, die Koalition wollte beim Jahressteuergesetz eine reine Nettoentlastung; eine Gegenfinanzierung wollten wir nicht. Im Zuge des Kompromisses im Vermittlungsverfahren haben wir einige Gegenfinanzierungsvorschläge der Mehrheit der SPD-regierten Länder in Höhe von über 4 Milliarden DM akzeptiert. Damit müssen alle leben, obwohl es von der einen oder anderen Seite Kritik an einzelnen Punkten gibt. Diese Kritik darf den eigentlichen Erfolg, den wir mit dem Jahressteuergesetz 1996 erreicht haben, aber nicht überschatten. Das Jahressteuergesetz 1996 ist ein wichtiger Schritt zur Entlastung von Bürgern und Unternehmen.
Im Herbst steht die dritte Stufe der Unternehmensteuerreform an. So ganz allmählich lichtet sich auch bei der SPD der Nebel. Es scheint so, als ob sich die Vernunft auch in ihren Reihen durchsetzt.
Als Wegbereiter möchte ich hier noch einmal den Herrn Kollegen Professor Jens hervorheben. Im Juli dieses Jahres haben Sie sich öffentlich für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer eingesetzt. Inzwischen hat hoffentlich auch der letzte erkannt, wie wettbewerbsfeindlich und arbeitsplatzgefährdend die Gewerbekapitalsteuer ist. Sogar investiertes Kapital und Kredite zur Finanzierung von Arbeitsplätzen werden auf diese Weise steuerlich belastet.
Mittlerweile haben sich aber auch noch andere Mitglieder der SPD in dieser Richtung bewegt, z. B. die Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins. Auch der Kollege Struck hat mittlerweile offiziell für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer plädiert und eine entsprechende Willenserklärung der SPD-Bundestagsfraktion und der SPD-regierten Länder angekündigt. Der Fraktionsvorsitzende Scharping hat diese steuerpolitische Wende in Richtung Vernunft für die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion inzwischen sogar schon schriftlich fixiert.
Gestern habe ich gelesen, Herr Poß, daß Sie wieder
dahinter zurückgefallen sind. Geben Sie acht, sonst
werden Sie auch hier noch von Joschka Fischer über-
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
holt, so wie es in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik offensichtlich schon erfolgt ist.
Der Kollege Struck hatte neulich recht, als er im Fernsehen öffentlich bekannte, es sei ein Fehler gewesen, den Bundesrat für die SPD-Politik zu instrumentalisieren. Wenn sich diese Erkenntnis durchsetzen sollte, dann sehe ich einen goldenen Oktober heraufziehen. Wenn das wirklich die Kehrtwende zur Vernunft ist, dann können wir die Reform der Gewerbesteuer in Verbindung mit der Gemeindefinanzreform in diesem Herbst zügig verwirklichen. Es ist mir auch egal, welcher aus dem Zügel gelaufene Troikaner dann das Plädoyer für die Vernunft hält. Im Mittelpunkt muß aber die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer bleiben. Die Gewerbesteuerausfälle der Gemeinden werden wir durch eine entsprechende Beteiligung an der Umsatzsteuer voll und ganz ausgleichen.
Auch bei manchen zunächst kritischen Gemeinden hat inzwischen ein Stimmungsumschwung eingesetzt. Sie haben die Vorteile der Umsatzsteuerbeteiligung im Vergleich zur Gewerbesteuer erkannt. Ihre Finanzierungsbasis wird sich künftig dynamischer und zugleich verläßlicher entwickeln. Dieser quantitative und qualitative Quantensprung bei der Finanzausstattung, diese für eine Gemeindefinanzreform historische Chance darf nicht ungenützt vorübergehen.
Wir werden auch über eine Weiterentwicklung der ökologischen Elemente im Steuersystem sprechen, aber sicher nicht über überzogene Pläne aus dem Gruselkabinett von Weltverbesserern, die Deutschlands Wirtschaft ruinieren werden.
- Ich meine Sie damit, Herr Fischer, ganz klar. -
Deutschland muß ein Industriestaat bleiben, dessen moderne Technologien auch der Ökologie nutzen.
Wir fangen hier nicht bei Null an. Seit der Übernahme der Regierungsverantwortung hat die Koalition deutliche und wirksame umweltpolitische Akzente gerade auch im Steuersystem gesetzt.
Ich erinnere an die umfangreichen Maßnahmen zur Förderung umweltfreundlicher Kraftstoffe und die umweltschonenderen Kraftfahrzeuge im Verkehrsbereich. Auch der seit 1992 ermäßigte Mineralölsteuersatz für die Energiegewinnung aus der KraftWärme-Kopplung gehört dazu. Als viele andere noch mit großartigen Worten Unmögliches beschworen, haben wir längst sinnvoll und wirksam gehandelt. Die Erfolge sprechen für uns:
Heutzutage wird bereits zu 94 % unverbleites Benzin getankt, und 70 % aller PKW in Deutschland fahren schadstoffreduziert.
Auch im Jahressteuergesetz 1996 haben wir einen weiteren Schritt in Richtung Umweltschutz getan. Der Mineralölsteuersatz auf Erdgas und Flüssiggas für alle Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr wird um 60 % gesenkt. Auf diesem Weg wollen wir fortschreiten, wenn wir im Herbst dieses Jahres zu Gesprächen zusammenkommen.
Pragmatische, zielgenaue, ökologische Ergänzungen des Steuersystems sind ideologischen Träumereien von umfassenden ökologischen Steuerreformen eindeutig überlegen.
Meine Damen und Herren, das hat auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem letzten Jahresgutachten deutlich hervorgehoben. Bei Radikalumstellungen in zwei- bis dreistelliger Milliardenhöhe ergeben sich erhebliche Unsicherheiten für die Planbarkeit des Steueraufkommens. Die Finanzierung der öffentlichen Haushalte würde für längere Zeit unkalkulierbar. Darüber hinaus wären weitere Komplizierungen des Steuerrechts unvermeidbar; eine überproportionale Belastung der Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen wäre vorprogrammiert. Wer das riskieren will, der soll das klar sagen und dem Bürger Rede und Antwort stehen, wenn dann gefragt wird, warum sich nur noch Reiche das Autofahren leisten können.
Auch prominente Steuerrechtler wie der Verfassungsrechtler Professor Kirchhof warnen davor, das Steuersystem mit Lenkungsaufgaben zu überfrachten; sonst entfernen wir uns von einem klaren, einfachen und übersichtlichen Steuersystem.
- Das ist, Herr Fischer, im Vergleich zu dem, was Sie anstreben, auf jeden Fall noch klar und übersichtlich. Und ich frage Sie, warum Sie die Steuervereinfachung, die wir mit dem Jahressteuergesetz zusätzlich erreichen wollten, nicht stärker unterstützt haben.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Wir müssen realistisch bleiben. Die Weiterentwicklung ökologischer Elemente im Steuersystem muß sich eindeutig an ökologischen Lenkungszielen orientieren und aufkommensneutral sein. Sie muß zudem in den notwendigen Konsolidierungsrahmen für die öffentlichen Haushalte hineinpassen und darf der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland nicht schaden. Die Steuerquote darf nicht steigen oder auf dem hohen Niveau von heute verharren.
Wir halten an der Absicht fest, die Kfz-Steuer emissionsorientiert umzustellen. Die Umlegung auf die Mineralölsteuer schafft folgende Probleme: Der öffentliche Personennahverkehr würde belastet, die Kosten für den ruhenden Verkehr würden nicht erfaßt, Arbeitnehmer in strukturschwachen Regionen mit langen Fahrtstrecken zur Arbeitsstelle würden belastet. Wir wollen eine Kfz-Steuer, die der Industrie Anreize zur Weiterentwicklung umweltschonender Kraftfahrzeuge gibt und die Autofahrer zum Kauf entsprechender schadstoffarmer Fahrzeuge motiviert.
Die Europäische Union muß ihre umweltpolitischen Initiativen verstärken. Wir werden auf eine weitere Harmonisierung der Energiebesteuerung unter Berücksichtigung von Klima- und Umweltschutzaspekten drängen. Zur Diskussion steht dabei sowohl eine Anhebung der Mindeststeuersätze in Verbindung mit einer Erweiterung der Bemessungsgrundlage bei der Mineralölsteuer als auch eine EUweite und aufkommensneutrale CO2-/Energiesteuer. Es ist aber unsinnig, Arbeitsplätze am Wirtschaftsstandort Deutschland durch hohe Umweltstandards und Umweltsteuern zu vernichten, wenn diese dann hinter der Grenze in Ländern mit deutlich niedrigeren Umweltstandards neu entstehen. Das wollen wir nicht!
Ein weiteres aktuelles Vorhaben der Steuerpolitik ist die Neuregelung der steuerrechtlichen Wohneigentumsförderung. Die Wohneigentumsförderung ist unverzichtbar für eine nachhaltige Entlastung des Wohnungsmarktes, für die Stärkung der privaten Altersvorsorge und für die Vermögensbildung in breiten Bevölkerungsschichten. Mit einer Wohneigentumsquote von knapp 40 % liegen wir im internationalen Vergleich noch relativ weit hinten. Hier müssen wir aufholen. Dies wollen wir durch eine einfache und zielgenaue Konzeption bei der Wohneigentumsförderung erreichen. Wohneigentum ist mehr als nur ein ökonomischer Faktor. Die eigenen vier Wände bedeuten für den Menschen zusätzlichen Gestaltungsspielraum für sein persönliches Lebensumfeld.
Das Eigenheim garantiert Unabhängigkeit, Sicherheit und Selbstbestimmung. In dem Beschluß des Kabinetts vom 8. August dieses Jahres über den Entwurf zur Neuregelung der steuerlichen Wohneigentumsförderung haben wir deshalb diese Elemente vorgesehen. Was ganz besonders wichtig ist: Das sogenannte Baukindergeld wird als Kinderzulage um 50 % auf 1 500 DM jährlich angehoben.
Diese neue Wohneigentumsförderung ist berechenbarer, sie konzentriert sich stärker als bisher auf die kleinen und mittleren Einkommen und vorrangig auf Familien mit Kindern. Parallel dazu werden die Einkommensgrenzen für Bausparprämien von 27 000 DM für Ledige und 54 000 DM für Verheiratete künftig auf 50 000 DM und 100 000 DM nahezu verdoppelt. Auch die geförderten Höchstbeträge der Bausparleistungen werden von 800 DM für Ledige und 1 600 DM für Verheiratete auf 1 000 DM und 2 000 DM aufgestockt.
Meine Damen und Herren, wenn wir weltweit im ökonomischen Bereich mehr Ersparnisbildung, vor allen Dingen von anderen Ländern, verlangen, um den wachsenden Kapitalbedarf, die wachsende Kapitalnachfrage auf der Welt - in den Entwicklungsländern, in den Ländern Mittel- und Osteuropas, aber auch in den Industrieländern - zu decken, dann sind solche Maßnahmen notwendig, die der stärkeren Ersparnisbildung dienen, obwohl wir hier neben Japan in der Welt an der Spitze stehen. Auch dies ist der richtige Weg für eine vernünftige ökonomische Gestaltung der nationalen und internationalen Politik.
Meine Damen und Herren, die jüngsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Vermögensteuer und zur Erbschaftsteuer werden wir genau auswerten, und dann werden wir möglichst rasch einen Lösungsvorschlag machen.
- Das sind zwei verschiedene Dinge, Herr Fischer.
Es zeigt Ihr primitives Denken, wenn Sie die Steuerpolitik und die Entscheidung zu den Kreuzen in bayerischen Schulen miteinander vergleichen.
Bei der Reform der einheitswertabhängigen Steuern gilt weiterhin, was ich bereits im Vorfeld dieser Entscheidungen betont habe: Die öffentliche Hand darf an jedweder Neuregelung nichts verdienen. Darüber hinaus muß eine Neuregelung sozial verträglich ausgestaltet sein. Das Bundesverfassungsgericht gibt deutliche Anhaltspunkte, vor welchen Grenzen der steuerliche Zugriff haltmachen muß.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Dies kann ich nur als eine klare Absage an all diejenigen werten, die bisher über eine Erhöhung von Vermögen- und Erbschaftsteuern nachgedacht haben.
Mir wäre es am liebsten, das Urteil zum Anlaß zu nehmen, die Vermögensteuer ganz abzuschaffen.
Nur, wir können hier nicht über die Situation der Länder, um deren Steuern es geht, hinwegreden. Wir müssen die Konsequenz der Entscheidung mit den Ländern besprechen. Das Länderinteresse ist hier natürlich besonders groß. Es geht nicht nur um das Steueraufkommen der Länder, sondern auch um das der Gemeinden.
Von besonderer Bedeutung sind auch die praktischen Umsetzungsmöglichkeiten von Neuregelungen durch die Finanzverwaltungen der Länder. Eine völlige Neubewertung des Grundbesitzes würde beispielsweise bis zu 5 000 zusätzliche Finanzbeamte über viele Jahre hinweg beschäftigen. Dies zeigt: Jeder Schritt auf diesem schwierigen steuerpolitischen Terrain muß wohldurchdacht sein.
Wer jetzt aber die Mieter mit einem Anstieg der Mieten durch eine erhöhte Grundsteuer der Gemeinden verschreckt, handelt verantwortungslos.
Die Grundsteuer wird durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht betroffen. Unser Ziel ist es, im Endeffekt eine höhere Steuerbelastung zu vermeiden.
Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht bestätigt in seinen Entscheidungen auch die Richtung, in die wir mit dem Jahressteuergesetz 1996 bereits gegangen sind. Mit der Generationenbrücke haben wir wesentliche Erleichterungen für den Übergang von Betrieben auf die nachfolgende Unternehmergeneration im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer bereits jetzt geschaffen. Das Bundesverfassungsgericht hat die besondere Gemeinwohlverpflichtung der Betriebe betont und gefordert: Die Fortführung eines Betriebes darf durch die Erbschaftsteuer nicht gefährdet werden.
Wir wollen in den nächsten Jahren unsere langfristig angelegte wachstumsorientierte Konsolidierungs- und Steuerpolitik fortsetzen. Was setzt die SPD dagegen?
Fehlprognosen, Polemik, Forderungen nach zusätzlichen Ausgaben ohne Deckung. Betrachtet man einmal die Haushaltsreden von Frau Matthäus-Maier in den letzten vier Jahren, findet man kaum etwas anderes. Wo sind denn Ihre Sparvorschläge? Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß Sie heute nochmals
mit dem Jäger 90 kommen. Wo ist denn Ihr Konzept für eine moderne Finanzpolitik, Ihre wirkliche Alternative? Der plakative Werbegag „Troika" hat ja wohl ausgedient. Wie heißt es im „Brockhaus"? „Troika", das seien drei struppige Pferde, die einen Wagen ziehen. Die struppigen Pferde sind keine Pferdchen mehr, und der Wagen ist kein Wagen mehr, denn sogar die Räder fehlen. Ihre Finanzpolitik ist konzeptions-, richtungs- und führungslos.
Was waren das für Zeiten, als die SPD nach dem Godesberger Programm mit Ministern wie Alex Möller und Karl Schiller versuchte, moderne Finanzpolitik zu gestalten!
- Ich habe an der Stelle eigentlich gedacht, daß Sie auf diese Männer stolz sind; denn immerhin sind Sie mit denen zur Macht gekommen. Sie werden nie zur Macht kommen. Das ist sicher.
- Sie schon ohnehin nicht. Dafür werden wir wirklich kräftig kämpfen. - Die wichtigen Zukunftsfelder haben Sie jedenfalls nicht mit überzeugendem Sachverstand besetzt.
Sparen, weniger Neuverschuldung, sinkende Steuer- und Abgabenlast - das ist der richtige Weg zu mehr Wachstum und zu neuen Arbeitsplätzen. Das Umdenken muß weitergehen. Mit den Dauersubventionen für alte Branchen, mit automatischen Verbesserungen oder neuen Sozialleistungen kann es nicht endlos weitergehen.
Diese Koalition bekennt sich zu einer regelmäßigen Neubestimmung von Prioritäten im Bundeshaushalt, zu einer klaren und eindeutigen Wachstumspolitik, zum Festhalten am stabilitätsorientierten Konsolidierungskurs. Der enge Finanzrahmen bis 1999 läßt keinen Spielraum für eine Haushaltspolitik, die neue Probleme durch neue Ausgaben lösen will. Wir müssen klar entscheiden, was vorrangig und was nachrangig ist. Dazu brauchen wir ein erhebliches Maß an Kreativität, Einsicht, Flexibilität, Reformwillen und Kompromißbereitschaft, um das Notwendige innerhalb des verfügbaren Rahmens zu finanzieren. Dabei sollten wir sachlich, ohne Polemik und zielorientiert zusammenarbeiten.
- Dies war eine ausgesprochen sachliche Rede mit ganz wenigen Spitzen, die ich aber gerne ausgeteilt habe.
Die Bürger honorieren unsere Finanzpolitik. Sie wissen, was wir mit der ökonomischen und finanziellen Bewältigung der Einheit auf uns genommen und in kürzester Zeit geleistet haben. Dafür haben
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
sie auch schwierige finanzpolitische Entscheidungen mitgetragen. Der Bürger weiß sehr wohl: Nur was durch ehrliche Arbeit verdient wird, kann hinterher auch verteilt werden.
Auch die Politik muß ehrlich arbeiten. Die noch bestehenden Probleme müssen beim Namen genannt, Lösungswege aufgezeigt werden. Der Bürger will wissen, wohin die Reise geht. Er verlangt innovative Lösungen, keine unausgegorenen Experimente. Zur stabilitätsorientierten wachstumsfördernden Politik gibt es keine vernünftige Alternative. Andere Rezepte sind noch jedesmal gescheitert, in Deutschland zuletzt in den 70er Jahren.
Die Opposition kann gar nichts Besseres tun, als diesen Kurs mitzutragen. Moderne Finanzpolitik, made in Germany, ist ein international anerkanntes Gütezeichen, das wir auch in Zukunft pflegen wollen.
Ich danke Ihnen. Es war mir ein Vergnügen.
Als nächste spricht die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushaltsentwurf 1996 dieser Bundesregierung ist vor allem durch drei Merkmale gekennzeichnet:
Erstens. Die Ausgaben sollen gegenüber dem Vorjahr sinken. Diese Absicht ist angesichts einer explodierenden Staatsverschuldung und einer nie dagewesenen Steuer- und Abgabenbelastung der Bürger zu begrüßen. Ich würde Ihnen auch gratulieren, Herr Waigel, wenn es denn tatsächlich so wäre. Aber die Absicht, die Ausgaben in diesem Haushalt mögen sinken, steht doch nur auf dem Papier, Denn bei einer ordnungsgemäßen Berücksichtigung der Finanzierungsumstellung des Schienenpersonennahverkehrs liegt tatsächlich ein leichter Anstieg vor. Viel entscheidender ist aber, daß ungelöste Probleme und drohende Risiken, die zu Mehrausgaben führen, einfach nicht benannt werden. Das kann man nicht als solide Haushaltspolitik bezeichnen.
Zweites Merkmal: Der Haushalt steckt mehr denn je in einer Zinsfalle. Der Bund muß mit 95 Milliarden DM Zinszahlungen jede vierte Steuermark nur für Zinsen ausgeben.
Hier rächt sich, daß die Bundesregierung mit ihrer maßlosen Schuldenpolitik den politischen Handlungsspielraum zu Lasten unseres Gemeinwesens eingeengt hat.
Drittes Merkmal: Der Bundesfinanzminister sagt, er spare an allen Ecken und Enden. Das ist nun wirklich unzutreffend. Diese Bundesregierung kürzt zwar die Mittel für die Schaffung neuer Arbeitsplätze, für Investitionen und für den Umweltschutz; gleichzeitig erhöht sie aber die Mittel für den Verteidigungshaushalt und die Kernenergie. Wer so handelt, der setzt die Schwerpunkte falsch, der schwächt den Wirtschaftsstandort Deutschland und gefährdet die Zukunft unserer Kinder, meine Damen und Herren.
Zum ersten Punkt, In Ihrem Haushaltsentwurf rechnen Sie sich reich und klammern offensichtlich bestehende Risiken aus:
Erstens. Die angebliche Einsparung bei der Arbeitslosenhilfe in Höhe von 3,4 Milliarden DM steht doch nur auf dem Papier; denn es handelt sich nicht um Sparen, sondern um einen Verschiebebahnhof in Richtung Sozialhilfe zu Lasten der Gemeinden.
Deswegen bekommen Sie dafür keine Mehrheit. Das gleiche haben Sie doch schon einmal, vor einem Jahr, versucht. Damals hat Graf Lambsdorff zu Recht gesagt: Da könnte man gleich einen Lottogewinn in den Haushalt einstellen. - So ist es auch in diesem Jahr: Luftbuchungen bringen leider kein Geld.
Zweitens. Da die Arbeitslosigkeit leider viel weniger zurückgeht als erhofft, droht bei der Bundesanstalt für Arbeit ein Deckungsloch von drei bis fünf Milliarden DM, für die der Bund nach dem Gesetz einzustehen hat. Sich hier mit geschönten Arbeitslosenzahlen reichzurechnen hilft weder den Arbeitslosen noch dem Bundeshaushalt.
Drittens. Sie haben seit 1990 das Wohngeld nicht erhöht, obwohl Sie ununterbrochen das Gegenteil versprochen haben. Glauben Sie denn ernsthaft, daß Sie angesichts dieser Versprechungen ohne Erhöhung des Wohngeldes über das Jahr 1996 kommen?
Viertens. Beim Asylkompromiß haben Sie zugesagt - ich habe das gut in Erinnerung -, daß sich der. Bund an den Kosten der Bürgerkriegsflüchtlinge beteiligt und die Finanzierung nicht nur - was ungerecht ist - Ländern und Gemeinden überläßt. Wollen Sie 1996
Ingrid Matthäus-Maier
Ihr Versprechen gegenüber Ländern und Gemeinden wieder nicht einlösen?
Fünftens. Das Problem der Altschulden der ostdeutschen Städte und Gemeinden in Höhe von etwa 8 Milliarden DM, die noch zu DDR-Zeiten den Gemeinden für gemeinschaftliche Einrichtungen aufgedrückt wurden, kann man sicher nicht lösen, indem man dem Bund alle diese Schulden zuschiebt. Da sind wir uns einig. Aber umgekehrt ist es völlig sinnlos, daß der Bund auf stur schaltet und keinerlei Kompromißbereitschaft zeigt. Diese Blockadehaltung muß überwunden werden. Es ist doch klar, daß bei einem notwendigen Kompromiß auch eine Bundesbeteiligung herauskommt. Dann sagen Sie das und schreiben Sie das in Ihren Haushalt!
Ein Bundesfinanzminister, der alle diese milliardenschweren Risiken kennt, aber im Bundeshaushalt einfach nicht berücksichtigt - nach dem Motto: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen und erst recht nichts aufschreiben - und dann hier behauptet, das Volumen des Haushaltes sinke 1996, handelt wirklich unseriös, wie wir alle sehen.
Ich frage Sie, Herr Waigel: Wollen Sie es bei den Altschulden der ostdeutschen Gemeinden wirklich wieder dem Verfassungsgericht überlassen, wie entschieden wird? Das kann doch wohl nicht sein. In unserem Lande überläßt die Politik meiner Ansicht nach ohnehin schon genug Probleme den Gerichten, statt sie selber politisch zu lösen.
Speziell dieser Bundesfinanzminister wird immer erst dann aktiv, wenn das Bundesverfassungsgericht ihn dazu zwingt. Reicht es Ihnen nicht, daß Sie praktisch in jedem Jahr Ihrer Amtszeit eine schwere Schlappe vor dem Bundesverfassungsgericht hinnehmen mußten?
Verfassungswidrigkeit des steuerlichen Existenzminimums, Verfassungswidrigkeit des Familienlastenausgleichs, Verfassungswidrigkeit der Zinsbesteuerung, Verfassungswidrigkeit der Besteuerung nach Einheitswerten: Stört es Sie eigentlich nicht, daß aus diesem Grunde Jahr für Jahr Millionen von Steuerbescheiden nur unter Vorbehalt erteilt werden?
Nein, Herr Bundesfinanzminister, wir fordern Sie auf: Lösen Sie die Probleme politisch und überlassen Sie sie nicht den Gerichten!
Da wir schon beim Thema Bundesverfassungsgericht sind - Sie haben das Kruzifix-Urteil erwähnt -, spreche ich Sie als CSU-Vorsitzenden an. Ich rate Ihnen an, dafür zu sorgen, daß in Zukunft nicht mehr solch geradezu üblen Angriffe aus den Reihen Ihrer Partei auf das Bundesverfassungsgericht erfolgen, nur weil Ihnen ein Urteilsspruch nicht paßt.
Vor wenigen Wochen haben wir miterlebt, wie Konservative mit dem höchsten deutschen Gericht umgehen, wenn ihnen das Ergebnis nicht gefällt. Ich erinnere mich z. B. an die Entscheidung zum § 218 vor einigen Jahren und daran, wie Sie mit Frauen umgesprungen sind, die das Urteil kritisiert haben.
Ich sage Ihnen: Wenn Frauen in der Vergangenheit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Abtreibungsparagraphen auch nur ansatzweise so maßlos kritisiert hätten wie Sie das Kruzifix-Urteil, hätten Sie sie überhaupt nicht mehr in den öffentlichen Dienst hineingelassen.
Zwei Ihrer verfassungswidrigen Gesetze haben wir gerade mit dem Jahressteuergesetz 1996 korrigiert: das steuerfreie Existenzminimum und den Familienlastenausgleich. Was wir im Sommer im Vermittlungsausschuß vereinbart haben, ist ein klassischer Kompromiß. Keine Seite konnte ihre Ziele voll durchsetzen.
- Macht nichts.
Ich freue mich darüber, Herr Waigel, daß Sie hier mehrere Punkte lobend erwähnen: höheres Kindergeld und höheres steuerfreies Existenzminimum. Ich muß aber schmunzeln, wenn Sie gerade diese Punkte besonders hervorheben. Denn das waren diejenigen Punkte, die Sie in der Vergangenheit mit Vehemenz bekämpft haben.
Daß jeder Fachmann weiß, daß wir Sozialdemokraten uns in diesen Punkten durchgesetzt haben,
sehen Sie daran, daß das „Handelsblatt" von der „Sozialdemokratisierung der Steuerpolitik der Koalition" spricht. Einen besseren Beweis gibt es gar nicht.
Ingrid Matthäus-Maier
Wir haben uns vor allen Dingen in drei Punkten durchgesetzt. Beispiel Nummer eins: Das steuerfreie Existenzminimum wird nicht, wie von Ihnen vorgesehen, nur auf knapp über 12 000 DM erhöht, sondern in einer zeitlichen Stufenfolge auf 13 000 DM.
Daß dies erst 1999 geschieht, betrübt uns. Uns ist vorhin natürlich aufgefallen, als Sie die Jahreszahlen nannten, daß Sie mit großem Geschick zwar die Jahre 1996, 1997 und 1999 genannt, aber 1998 ganz elegant umschifft haben. Denn hier liegt das Problem. Wir konnten gegen Ihren erbitterten Widerstand leider nicht durchsetzen, daß auch 1998 eine Anhebung erfolgt.
Deshalb ist das, was wir vereinbart haben, zwar ein Erfolg, bewegt sich aber am unteren Rand des rechtlich Zulässigen und politisch Wünschenswerten. Leider haben Sie mit Ihrem erbitterten Widerstand etwas Zusätzliches verhindert, meine Damen und Herren.
Zweitens: die Erhöhung des Kindergeldes. Sie denken, die Leute sind über die Monate vergeßlich. Das ist leider so. Aber Ihr Vorschlag noch vom Februar war doch folgender: Beim Erstkindergeld, das 70 DM betrug, wird überhaupt nichts daraufgelegt, beim Zweitkindergeld 20 DM.
Jetzt ist es uns Sozialdemokraten gelungen - darauf bin ich stolz -, eine Anhebung des Kindergeldes vom ersten Kind an auf 200 DM, ab 1997 sogar auf 220 DM durchzusetzen.
Das ist ein beachtlicher erster Schritt für die Familien mit Kindern. Aber wir werden nicht lockerlassen: Unser Ziel bleiben die 250 DM, meine Damen und Herren.
Bei der Debatte um die 250 DM Kindergeld, die ja unser Ziel sind, ist mir eine besonders unfaire Methode der Diskussion bei Ihnen aufgefallen. Es ist nämlich anscheinend Mode geworden, jemandem, der einen Vorschlag einschließlich Finanzierung macht, wahrheitswidrig vorzuwerfen, das Ganze sei nicht finanzierbar, nur weil man das Finanzierungsinstrument ablehnt. Was meine ich mit diesem etwas komplizierten Satz? Wir haben 250 DM vorgeschlagen, finanziert durch eine maßvolle Begrenzung des Ehegattensplittings.
Bis heute können wir nicht verstehen, daß die bloße Heirat für Spitzenverdiener
- das sind Leute oberhalb von 240 000 DM im Jahr - eine Steuerentlastung von 22 842 DM bringt, auch wenn in der Ehe kein Kind vorhanden ist.
Wir haben zu Recht auch immer die Kirchen angeführt, die sagen gleichzeitig würden Kinder in vielen Familien immer mehr ein Armutsrisiko.
Gegen diese wirklich maßvolle Reform des Splittings, die aus den Gesamtkosten des Splittings in Höhe von 30 Milliarden DM 5 Milliarden DM also wirklich maßvoll - zugunsten der Familien mit Kin-dem umgeschichtet hätte, haben Sie sich mit Händen und Füßen gewehrt. Aber dann sagen Sie doch bitte deutlich, daß Sie aus ideologischen Gründen an der Privilegierung der bloßen Ehe festhalten und daß Sie aus ideologischen Gründen deswegen auch die 250 DM nicht wollen. Die haben Sie verhindert.
Diese Verantwortung bleibt an Ihnen hängen, meine Damen und Herren.
Die Ergebnisse des Jahressteuergesetzes bedeuten vor allem für untere und mittlere Einkommen eine deutliche Entlastung. Nur zwei Beispiele: 1996 wird ein Verheirateter mit zwei Kindern und einem Bruttojahreseinkommen von 60 000 DM um 2 340 DM entlastet. Das sind immerhin netto Monat für Monat 195 DM. Im Jahre 1997 wird er sogar insgesamt um 2 950 DM entlastet. Oder nehmen Sie eine Alleinerziehende mit einem Kind und einem Bruttojahreseinkommen von 36 000 DM! Sie wird Monat für Monat um immerhin 119 DM entlastet, im Jahr also um insgesamt 1 428 DM. Und für diese Steuerzahlerin steigt die Entlastung 1997 auf 1 730 DM.
Nachdem die Steuer- und Abgabenbelastung der Bürgerinnen und Bürger unter dieser Bundesregierung in einer Weise in die Höhe geschnellt ist, wie es sie seit 45 Jahren in dieser Republik noch nicht gegeben hat, empfinden wir Sozialdemokraten große Genugtuung darüber, daß wir Sie dazu gezwungen haben, meine Damen und Herren.
Im Vermittlungsausschuß ist auch ein notwendiger Einstieg in den steuerlichen Subventionsabbau gelungen. Aus unserer Sicht ist dabei ein besonderer Erfolg, daß wir diese Bundesregierung endlich dahin gebracht haben, mit uns zusammen die steuerliche
Ingrid Matthäus-Maier
Absetzbarkeit von Schmiergeldern im Inland abzuschaffen,
ein erster Schritt zwar nur, aber eben ein Schritt in die richtige Richtung! Wie lange hat es gedauert, wie oft habe ich hier im Deutschen Bundestag dafür gesprochen, das abzuschaffen, und habe von Ihnen Spott und Häme geerntet!
Dabei sah doch jeder, daß das Rechtsbewußtsein der Menschen untergraben wird, wenn das Bestechen von Beamten und das Schmieren von Geschäftsleuten auch noch steuerlich honoriert wird, meine Damen und Herren.
Aus Anlaß dieses Punktes frage ich Sie einmal ganz ernsthaft: Warum lehnen Sie eigentlich immer wieder vernünftige Vorschläge nur deswegen ab, weil sie von der SPD kommen? Statt diese Vorschläge unvoreingenommen zu prüfen, rufen Sie immer erst einmal nein, um dann diese Vorschläge, zum Teil mit jahrelanger Verzögerung, teilweise oder ganz zu übernehmen. Das war bei diesem Beispiel der steuerlichen Absetzbarkeit von Schmiergeldern so. Das war beim einheitlichen Kindergeld so. Das ist bei der Eigenheimzulage, die Sie gerade erwähnt haben, so, also bei der Umstellung für die Eigenheimbauer, wo Sie in diesen Tagen unserem Modell weitgehend folgen.
Das war beim Schnellen Brüter so. Von Ihnen kam immer: nein, nein, nein - und heute ist der Schnelle Brüter doch dicht. Das war auch bei Wackersdorf so. Als wir forderten: zumachen!, haben Sie gesagt: nein, nein, nein. Wackersdorf ist dichtgemacht. Ich verhehle nicht: Ich hoffe, daß Sie auch noch beim Jäger 90 einsichtig werden, meine Damen und Herren.
Da ich weiß, daß bei diesem Wort beim Bundesfinanzminister immer die Klappe fällt, frage ich Sie sehr ernsthaft - denn wir wissen alle, daß wir bei dem zunehmenden Flugverkehr Flugzeuge brauchen, die wesentlich weniger Energie benötigen, Flugzeuge, die sehr viel leiser sind; fast jeder kennt já aus seinem Wahlkreis das Problem des Fluglärms -: Wäre es da nicht besser, statt zweistellige Milliardensummen in ein neues Jagdflugzeug zu stecken, einen Teil davon in Arbeitsplätze in Firmen der Forschung und Technologie zu geben, um ein Ökoflugzeug zu entwickeln und damit die Menschen und die Umwelt zu entlasten?
Übrigens: In dem Subventionsabbaupaket des Jahressteuergesetzes gibt es natürlich auch Maßnahmen, die die Menschen hart treffen, insbesondere
wenn man sich an die Subventionen gewöhnt hat. Aber ich sage Ihnen: Die Bareis-Kommission hatte von uns Politikern noch sehr viel härtere Maßnahmen erwartet und kritisiert uns für unseren mangelnden Mut. Insofern ist das Beschlossene schmerzhaft, aber unvermeidlich, um die Staatsschulden nicht noch weiter in die Höhe zu treiben.
Beim Subventionsabbau hat übrigens die F.D.P. eine unrühmliche Bremserrolle gespielt.
Meine Damen und Herren, die Wochenzeitung „Die Zeit" schreibt am 4. August 1995 nach Abschluß der Beratungen so treffend:
Dienern vor der Klientel - Alle Tiere sind gleich. Nur einige sind gleicher. Auf die Finanzpolitik übertragen: Alle Bürger müssen auf Subventionen verzichten. Nur die Klientel der F.D.P. muß verschont werden. Damit ist auf die Dauer kein Staat zu machen.
So schreibt „Die Zeit".
Ich sage Ihnen, meine Meine Damen und Herren von der F.D.P.: Wenn Sie es in den nächsten Wochen und Monaten wagen sollten, hier im Deutschen Bundestag das Wort „Subventionsabbau" noch einmal in den Mund zu nehmen, dann wundern Sie sich nicht, daß wir alle in herzhaftes Gelächter ausbrechen.
Weiterer Subventionsabbau wäre auch nötig, um den Staat finanziell wieder handlungsfähig zu machen. Der Haushalt 1996 zeigt nämlich deutlicher als je zuvor: Die Bundesfinanzen befinden sich in einer Schulden- und damit jetzt in einer Zinsfalle. Allein 1996 beträgt die Zinslast 95 Milliarden DM. Das mache man sich einmal klar. Herr Waigel muß für Zinsen ohne einen Pfennig Tilgung dreiundsiebzigmal soviel Geld wie für den Umwelthaushalt ausgeben. Das ist für uns alle wirklich niederschmetternd und zeigt, wohin uns diese Bundesregierung mit ihrer Schuldenpolitik getrieben hat.
Manche meinen: Wenn ich etwas über Schulden finanziere, dann kostet mich das so recht gar nichts, weil ich es ja nicht direkt bezahlen muß. Nein, wir wissen, wenn ich etwas über Schulden finanziere, muß ich es schon nach kürzester Zeit zwei-, drei-, viermal bezahlen: einmal Tilgung, mehrfach Zinsen.
Rund 21 %, ein Fünftel des gesamten Bundeshaushalts, geben wir 1996 für Zinsen aus. Wenn man die gesamten Steuereinnahemn des Bundes in ein Verhältnis zu diesen 95 Milliarden DM Zinsausgaben setzt, dann braucht der Bundesfinanzminister ein Viertel der gesamten ihm zustehenden Steuern, um überhaupt die Zinsausgaben bedienen zu können.
Ingrid Matthäus-Maier
Ich darf daran erinnern, daß eine Zinssteuerquote - so nennt man das technisch - in eben dieser Größenordnung dem Bundesverfassungsgericht 1992 ausgereicht hat, den Ländern Bremen und Saarland die sogenannte Haushaltsnotlage zu bescheinigen. Nach der mittelfristigen Finanzplanung, die wir heute auch diskutieren, wird diese Zahl bis 1999 noch auf über 108 Milliarden DM ansteigen.
Herr Waigel, Sie sagen an dieser Stelle immer wieder, dies läge an der deutschen Einheit. Jeder weiß, auch wir Sozialdemokraten hätten für dieses große Ziel Aufbau Ost mehr Geld aufnehmen müssen und aufgenommen. Das ist auch gerechtfertigt. Dies durfte aber doch kein Freibrief für eine solch unbegrenzte Staatsverschuldung sein, unter deren Folgen wir jetzt ächzen.
Wir Sozialdemokraten haben sehr früh, ab Winter 1989 und Sommer 1990, eine solide Finanzierung der Einheit von Ihnen eingefordert. Sie haben statt dessen den Menschen über Monate vorgegaukelt, die deutsche Einheit sei quasi aus der Portokasse zu bezahlen. Damals haben Sie die Weichenstellung für eine solide Finanzierung verpaßt, weil Sie den Menschen nicht die Wahrheit sagen wollten.
Ich will noch etwas dazu sagen - das hat mich auch menschlich tief betroffen -: Unsere Warnungen vor den hohen Kosten und den hohen Staatsschulden sowie unser Eintreten für eine solide Finanzierung der Einheit haben Sie sogar noch dazu mißbraucht, uns eine angebliche Gegnerschaft gegen die deutsche Einheit vorzuwerfen.
Sie haben gesagt, das seien alles Horrorzahlen.
Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen. Als ich vor einigen Jahren hier im Bundestag sagte, in 1995 marschierten alle Staatsschulden der öffentlichen Hand über die 2-Billionen-DM-Grenze, haben Sie hier gestanden und gesagt: Horror, Horror, Horror. Was ist geschehen? In 1995 überschreiten die öffentlichen Schulden die 2-Billionen-DM-Grenze. Die Wirklichkeit war bei Ihnen nämlich immer schlimmer als der angeblich von uns vorgeführte Horror.
Deswegen fordere ich Sie auf: Seien Sie doch wenigstens jetzt ehrlich. Die Debatte um die Dauer des Solidaritätszuschlages gibt Ihnen dazu Gelegenheit. Denn die Diskussion, die hier geführt wird, ist zutiefst unehrlich. Auf zehn Jahre - wie Herr Ost von der CDU sagte - will ich mich nicht festlegen. Das erscheint mir zu lang. Aber daß wir den Solidaritätszuschlag noch jahrelang brauchen, nicht nur um den Aufbau Ost zu finanzieren, sondern auch um den enormen Schuldenberg zu reduzieren, den Sie durch die Finanzierung der Einheit auf Pump aufgehäuft haben, scheint mir doch offensichtlich. Wenn einige Politiker aus Ihren Reihen jetzt davon sprechen, den
Solidaritätszuschlag 1997 oder 1998 abzubauen, dann fällt das schon wieder in die Kategorie Wählertäuschung. Es wäre wichtig, daß der Kanzler hier ein klärendes Wort sagt.
Übrigens, welch enormes Schuldenrad wir hier in diesem Lande drehen, sehen Sie an der Bruttokreditaufnahme. Wir reden im Bundestag meistens über die Nettokreditaufnahme, d. h. die Nettoverschuldung, die 1996 knapp unter 60 Milliarden DM bleiben soll. Tatsächlich nimmt der Bund aber 1996 sehr viel höhere Schulden auf, insgesamt 224 Milliarden DM. Das ist die sogenannte Bruttokreditaufnahme. Davon braucht er 164 Milliarden DM, um alte Schulden abzulösen, und 60 Milliarden DM Schulden braucht er, um den Haushalt 1996 zu finanzieren.
Herr Waigel nimmt also in 1996 jeden Tag 614 Millionen DM Schulden auf, Tag für Tag. Von diesen täglich 614 Millionen DM Schulden braucht er jeden Tag allein 450 Millionen DM Schulden zu einem einzigen Zweck, nämlich um alte Schulden durch neue zu ersetzen. Die restlichen 164 Millionen DM braucht er dann, um seinen unausgeglichenen Haushalt zu finanzieren.
Daß dies nicht nur ein Problem auf dem Papier ist, sondern in zweierlei Hinsicht ein Problem, unter dem wir alle leiden, will ich an zwei Beispielen zeigen. Erstens: Diese Zinsausgaben des Bundes beinhalten ein großes Risiko. Zur Zeit profitiert der Bundesfinanzminister davon, daß die Zinsen für neue Kredite sinken. Das kann aber auch einmal umgekehrt sein.
Wenn das Zinsniveau auch nur um einen Prozentpunkt steigt, werden die Zinsausgaben des Bundes explodieren, allein in den darauffolgenden drei Jahren um 6 Milliarden DM.
Was ist noch so schlimm an diesem enormen Schuldenrad? Eine solche Staatsverschuldung führt immer zugleich zu einer enormen Umverteilung von unten nach oben. Das hat Herr Blüm einmal zu Recht beklagt. 95 Milliarden DM Zinsen in einem Jahr, das sind 1200 DM pro Kopf der Bevölkerung, die von den Steuerzahlern in die Taschen der Vermögensbesitzer wandern,
nämlich in die Taschen der Vermögensbesitzer, die Staatsanleihen halten. Das ist in der überwiegenden Mehrheit doch nicht die einfache Bevölkerung in diesem Lande.
Wenn man außerdem noch berücksichtigt, daß in diesem Lande im Zusammenhang mit der Zinsbesteuerung die Scheunentore für die Steuerhinterziehung nach Luxemburg durch diese Bundesregierung weit geöffnet worden sind - schauen Sie sich an, was in diesen Tagen in der Zeitung steht -, kann ich nur sagen: Eine solch enorme Schuldenbelastung der öf-
Ingrid Matthäus-Maier
fentlichen Haushalte führt zu einer enormen Umverteilung von unten nach oben, und auch deswegen müssen wir sie bekämpfen, meine Damen und Herren.
Zudem sind unser aller Handlungsspielräume auch durch Verpflichtungsermächtigungen kräftig eingeschränkt. Das wissen wir beide, und wir wissen auch, daß wir daran etwas ändern müssen. Verpflichtungsermächtigung heißt, der Bund darf auch für die folgenden Jahre schon Verpflichtungen eingehen, selbst wenn das, wofür man das Geld ausgibt, dann schon vergessen ist.
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Der Bund leistet Zinszuschüsse im Rahmen des Wohnraummodernisierungsprogramms der Kreditanstalt für Wiederaufbau in den neuen Bundesländern. Mit den zinsverbilligten Darlehen können z. B. Reparaturen an Dächern, Fassaden und Fenstern durchgeführt werden. Wir haben dieses Programm mitgetragen und begrüßen es. Das Programm läuft im nächsten Jahr aus, aber die finanziellen Auswirkungen für den Bundeshaushalt bestehen bis weit über das Jahr 2000 hinaus - allein für dieses Programm in Höhe von 11,8 Milliarden DM. Das heißt, wir müssen noch Zahlungen leisten, wenn kein Mensch mehr an die reparierten Fassaden und Fenster denkt.
Warum sage ich das? Ich sage das, um klarzustellen - da sollten wir uns einig sein -: Wir werden uns für den Haushalt 1996 und die mittelfristige Finanzplanung auf sparsamste Haushaltsführung, den Abbau unnötiger Ausgaben und die Konzentration der wirklich knappen Mittel auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Modernisierung der Wirtschaft durch Forschung und Entwicklung und die ökologische Weiterentwicklung der Industriegesellschaft einigen müssen.
Diesen Anforderungen wird der Haushaltsentwurf der Bundesregierung nicht gerecht. Einige Beispiele: Wer wie diese Bundesregierung bei der öffentlichkeitsarbeit schon wieder drauflegt, statt sie um mindestens 150 Millionen DM herunterzufahren, ist alles andere als sparsam. Sie handeln nach dem Motto: Wenn schon die Politik nichts taugt, muß wenigstens die Propaganda verstärkt werden.
Wer gleichzeitig wie diese Bundesregierung die Fördermittel für die Forschung im Mittelstand in den neuen Bundesländern um 71 Millionen DM herunterfährt, setzt die Schwerpunkte falsch und sollte das Wort vom Standort Deutschland besser gar nicht mehr in den Mund nehmen.
Wer wie die Bundesregierung den Bürgern 54 Staatssekretäre zumutet, der sollte hier, wie Sie, Herr Waigel, das so vornehm gesagt haben, nicht von
lean management oder - ich übersetze das einmal - von der Verschlankung der öffentlichen Verwaltung reden. Das ist dann nämlich unglaubwürdig, und ich bin gespannt, wo dann Ihre Kraft zur Reform des öffentlichen Dienstes bleibt.
Wer wie diese Bundesregierung auf die Schnelle in wenigen Tagen 375 Millionen DM außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigungen für den Jäger 90 bereitstellt,
gleichzeitig aber das BAföG für Studentinnen und Studenten herunterfährt, dem ist der Blick für das Notwendige und Machbare verlorengegangen.
Wer wie diese Bundesregierung mal eben 150 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen für Fregatten in die Türkei bereitstellt, sich aber gleichzeitig immer weiter von dem Versprechen eines Entwicklungshilfehaushaltes in Höhe von 0,7 % des Bruttosozialproduktes entfernt, der weiß nicht, was wirklich zur Förderung des Friedens notwendig ist.
Wer wie diese Bundesregierung sich wie die Kesselflicker darüber streitet,
ob der Außenminister oder der Wirtschaftsminister für die Förderung des Außenhandels bei den Botschaften zuständig ist, gleichzeitig aber ganz unbemerkt zuläßt, daß die Mittel für Auslandsmessen und für die Pflege der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland mal eben um 10 Millionen DM gekürzt werden, der darf sich nicht wundern, wenn Franzosen, Japaner und Amerikaner schneller sind.
Wer wie diese Bundesregierung den Verpflichtungsrahmen beim sozialen Wohnungsbau herunterfährt, um einen Teil der Mittel für den Bau des Transrapids abzuzweigen - was hat eigentlich der soziale Wohnungsbau mit dem Transrapid zu tun? -, der hat offensichtlich noch nicht begriffen, daß in diesem Lande 2 Millionen bezahlbare Wohnungen fehlen.
Wer wie diese Bundesregierung im Verkehrshaushalt beim Straßenbau um 750 Millionen DM kürzt,
Ingrid Matthäus-Maier
bei den Investitionsmitteln für die Schiene aber um 2,3 Milliarden DM,
der betreibt eine Verkehrspolitik von gestern und nicht von morgen.
Das ist mein wichtigster Punkt: Wer wie diese Bundesregierung bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit um Milliarden kürzt, gleichzeitig aber 560 Millionen DM beim Verteidigungshaushalt drauflegt, der weiß nicht mehr, wo es in dieser Gesellschaft brennt.
Bei Ihren Kürzungen im Bereich der Arbeitslosen erwecken Sie auch heute morgen wieder den Eindruck, den Arbeitslosen ginge es eh zu gut. Wenn man ihnen nur die Leistung kürzte, dann würde man sie schon an die Arbeit kriegen. Ganz sicher gibt es auch Arbeitslose, die mit Arbeitslosengeld oder -hilfe und Schwarzarbeit über die Runden kommen. Das ist Sozialmißbrauch, und das muß bekämpft werden.
Aber angesichts der Tatsache, daß ganze Teile von Belegschaften mit 100, 200, 500 und mehr Menschen entlassen werden, ganze Standorte stillgelegt werden, ganze Familien ins Unglück gestürzt werden, ist es doch eine Verleumdung, ihnen insgesamt zu unterstellen, sie wollten nicht arbeiten, wie Sie es mit dem Hinweis auf die soziale Hängematte heute morgen wieder gemacht haben.
Die offiziellen Zahlen sind im Moment: 3,5 Millionen registrierte Arbeitslose, 293 000 registrierte offene Stellen. Herr Waigel, da können Sie Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe noch weiter senken: Ihnen wird es nicht gelingen, 3,5 Millionen Menschen, die Arbeit suchen, auf 293 000 offene Stellen zu verteilen.
Nein, Sie kurieren an Symptomen. Nicht der Sozialstaat ist zu teuer, sondern die Arbeitslosigkeit ist zu teuer.
Nach den jüngsten Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gab es allein 1994 140 Milliarden DM an direkten Kosten, entgangenen Steuern und Sozialabgaben. Darin sind die mittelbaren Kosten nicht enthalten.
Wenn man berücksichtigt, daß hohe Arbeitslosigkeit auf Dauer zur Entwertung von Qualifikationen von Menschen, zur Demotivation, zu zunehmender Verarmung und wachsenden Alkohol- und Drogen-
problemen führt - übrigens auch zu Aggressivität und Fremdenfeindlichkeit -, dann weiß man, Massenarbeitslosigkeit ist die größte volkswirtschaftliche Verschwendung. Deswegen müssen wir das Geld zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ausgeben und nicht zum Bezahlen der Arbeitslosen.
Warum kümmern sich denn jetzt besonders die Kirchen um die Langzeitarbeitslosen? Sie tun es, weil sie wissen, welchen Teufelskreis dies für die Kinder bedeutet, insbesondere dann, wenn beide Elternteile arbeitslos sind. Mindestens 1 Million Kinder in unserem Lande sind von Sozialhilfe abhängig. Wir müssen diesen Teufelskreis aufbrechen.
Wenn Graf Lambsdorff - Sie haben dies heute etwas vorsichtiger behandelt - und anderen seiner Fraktion in dieser Situation nichts Besseres einfällt als die Forderung nach Abschaffung der Vermögensteuer, dann spiegelt das ein besonders hohes Maß an Instinktlosigkeit wider, meine Damen und Herren.
Zu den 785 Milliarden DM Steuereinnahmen des Jahres 1994 hat die Vermögensteuer mit 6,6 Milliarden DM gerade einmal mit 0,8 % beigetragen.
Meine Damen und Herren von der F.D.P., daß die Umverteilung von unten nach oben in Ihrem Parteiprogramm steht, das wissen wir. Manchmal wird es aber geradezu peinlich, wenn Sie solche Forderungen aufstellen.
Was wir brauchen, ist eine zukunftsweisende Wirtschaftspolitik, in der drei Dinge zusammengehören: die Modernisierung der Wirtschaft, die ökologische Weiterentwicklung der Industriegesellschaft und die soziale Verantwortung. Wer aus diesem Dreiklang - Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit - eine Säule herausbrechen will, wird das Problem des Standorts Deutschland nicht lösen. Er wird auch, da er die Arbeitslosigkeit nicht in den Griff bekommt, die Haushaltsprobleme nicht lösen.
Dies bedeutet für den Haushalt 1996: Bildung, Ausbildung, Forschung, Technologie und Innovation müssen einen größeren Stellenwert erhalten. Zwar steigt das Volumen des Haushalts des Zukunftsministers im Bereich Forschung und Entwicklung, gleichzeitig aber sinken die Ausgaben im Bereich Bildung und Ausbildung. Dabei brauchen wir doch nicht nur
Ingrid Matthäus-Maier
Investitionen in Beton, sondern auch Investitionen in Köpfe.
Die Darlehen an BAföG-Studenten sollen auf Bankdarlehen mit Zinsbelastungen von über 8 % umgestellt werden. Das bedeutet, daß diese in Zukunft statt mit 35 000 DM Rückzahlschuld mit 72 000 DM ins Berufsleben gehen. Dieser Abschreckungseffekt hebelt die Chancengleichheit aus. Dies gilt ganz besonders für die neuen Bundesländer, wo die Studierenden stärker vom BAföG abhängig sind. Zudem belastet er auch weibliche Studierende, da diese später auf dem akademischen Arbeitsmarkt ohnehin oft erheblich weniger verdienen als Männer.
Herr Rüttgers, ein sogenannter Zukunftsminister, der die Chancengleichheit zurückfährt, steht nicht für Fortschritt, sondern für Rückschritt. Deswegen werden wir das ablehnen, meine Damen und Herren.
Um Innovationen und zukunftsträchtige Arbeitsplätze in Deutschland zu fördern, brauchen wir zusätzliche Hilfen bei der Markteinführung neuer Technologien. Ich frage Sie: Ist es nicht ein schwerer Fehler, wenn wir zulassen, daß in wenigen Wochen der letzte Solarzellenhersteller Deutschland verläßt und nach Amerika geht, weil dort die Markteinführung zukunftsträchtiger, regenerierbarer Energien gefördert wird? Auch angesichts der knappen Kassen möchte ich Ihnen sagen: Wer wie diese Bundesregierung im Verteidigungsetat die Mittel für Wehrforschung und -erprobung im Haushalt 1996 um sage und schreibe 330 Millionen DM aufstockt, der kann mir nicht erzählen, daß er nicht ein bißchen mehr im zivilen Bereich der Forschung und Entwicklung drauflegen kann.
Außerdem muß man auch einmal unkonventionelle Wege gehen. In Amerika gibt es einen Fonds, in den auch die großen Energieversorgungsunternehmen einzahlen müssen; das ist gesetzlich vorgeschrieben. Mit diesem Geld werden die Erforschung von Energieeinsparmöglichkeiten und die Förderung und Markteinführung neuer Energien finanziert. Nein, Herr Waigel, keine platten Kürzungen, sondern intelligentes Umschichten und phantasievolle Alternativen müssen auf der Tagesordnung stehen.
Auch beim Umweltschutz wird diese Regierungskoalition den drängenden Problemen nicht gerecht. Dabei weiß doch mittlerweile jeder, daß Ökonomie und Ökologie zusammengehören. Der Umweltetat dieser Bundesregierung führt ein Schattendasein. 1,3 Milliarden DM für den Umwelthaushalt, 48,5 Milliarden DM für den Verteidigungshaushalt -
das ist ein groteskes Mißverhältnis, meine Damen und Herren. Wir wissen: Der Verteidigungshaushalt kann sicher nicht der Steinbruch für alles und jedes sein.
Wenn aber in den Zeiten knappster Kassen der Umweltetat um 40 Millionen DM sinkt und der Verteidigungsetat um 560 Millionen DM ansteigt, dann weiß diese Bundesregierung nicht, worauf es in der Zukunft ankommt. Ich bin der festen Überzeugung: Nicht wer die meisten U-Boote und Panzer, sondern wer die besten Umweltschutz- und Energieeinspartechnologien exportiert, wird im Jahre 2000 weltweit die Nase vorn haben.
Frau Merkel, wie können Sie sich die Kürzung um 40 Millionen DM eigentlich gefallen lassen? Ich habe das Gefühl, wenn sich Frau Merkel schon dieses unmögliche Ozon-Gesetz gefallen läßt, dann hat sie auch gar nicht erst den Mut, gegen diese wirklich unverhältnismäßige Kürzung einzuschreiten. Ist es eigentlich wirklich in Ordnung, daß Sie in Ihren Haushalten 2,1 Milliarden DM für Kernenergie und Kernforschung ausgeben? Sie legen übrigens noch 60 Millionen DM gegenüber 1995 drauf. Im Bereich der erneuerbaren Energien sind es 320 Millionen DM. Da legen Sie auch etwas drauf, und zwar 5 Millionen DM. Meine Damen und Herren, die Schere geht damit weiter auseinander. Ich sage Ihnen: Ihre ideologische Verbohrtheit in bezug auf die Kernenergie sieht man an nichts so deutlich wie an diesen Verschiebungen im Bundeshaushalt. Wer so handelt, verschläft die Zukunft unserer Kinder, meine Damen und Herren.
Zu einer zukunftsweisenden Strategie, die moderne Wirtschaft, ökologische Weiterentwicklung und soziale Gerechtigkeit zusammenführt, gehört unser Projekt einer ökologischen Steuerreform. Jedermann weiß, die Lohnnebenkosten sind zu hoch und müssen gesenkt werden. Ich las gestern in der Zeitung: Herr Blüm hat einen Brief an die Fraktion der CDU/CSU geschrieben, also auch an Sie. Darin steht: Die Lohnnebenkosten seien zu hoch, weil die Bundesanstalt für Arbeit so viele Milliarden DM für eine aktive Arbeitsmarktpolitik im Osten Deutschlands ausgibt, was eigentlich der Steuerzahler bezahlen müßte. Da hat Herr Blüm recht.
Jetzt frage ich mich: Was geschieht denn da bei Ihnen? Da schreibt Herr Blüm an den lieben Theo, er solle das doch bitte ändern. Ich nehme an, der liebe Theo schreibt an den lieben Norbert zurück, daß er das nicht tun wolle.
Ingrid Matthäus-Maier
- Herr Bundeskanzler, es ist gut, daß Sie wieder da sind. Dann kann ich Sie nämlich gleich fragen. Herr Blüm und wir alle wissen, daß die Lohnnebenkosten zu hoch sind, weil aus der Arbeitslosenversicherung Dinge bezahlt werden, die wir alle bezahlen müßten. Das ist doch nicht gerecht, daß Sie und ich und Selbständige und Landwirte das alles nicht mitbezahlen. Sie wissen das. Wir wissen das. Wenn wir gleichzeitig wissen, daß die Kosten, die aus der Energieerzeugung und aus der Energieverwendung resultieren, die Umweltbelastung nicht wirklich widerspiegeln, was bietet sich dann mehr an, als dieses Verhältnis umzudrehen? Das ist unser Konzept.
Unser Konzept ist: Erstens: herunter mit den Arbeitslosenversicherungsbeiträgen um 2 Punkte. Zweitens: maßvolle Anhebung der Mineralölsteuer. Wir haben zwei Modelle vorgeschlagen: Erhöhung um 4 Pfennig oder 10 Pfennig in Stufen.
Drittens: steuerliche Erleichterungen für energiesparende Investitionen im Industriebereich und im Privatbereich. Dieses Modell ist komplett aufkommensneutral. Eine Mehrbelastung von Bürgern und Wirtschaft findet nicht statt.
Das gilt übrigens auch für die Rentner, die im Folgejahr durch die Nettolohnbezogenheit der Rente von der Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge etwas abbekommen.
Ich bin ganz sicher, das geht so, wie ich es eben gesagt habe. Heute sagen Sie noch: nein, nein, nein, aber Sie werden diesem Konzept in einigen Monaten oder Jahren folgen.
Damit möchte ich zu meinem letzten Punkt kommen. Statt solche Dinge aufzugreifen, erschöpft sich Ihre wirtschaftspolitische Kompetenz darin, unkritisch Forderungen der Arbeitgeber nachzuplappern: Löhne herunter, Arbeitszeitverlängerungen, Sonntagsarbeit, Lohnfortzahlung kürzen, Arbeitgeberanteil in der Krankenversicherung einfrieren. Das liest sich doch wie ein Warenhauskatalog, wo die Arbeitgeber alles bestellen können und die Arbeitnehmer ailes bezahlen müssen, meine Damen und Herren.
Dies ist nicht nur wirtschaftspolitisch unsinnig, weil Sie damit z. B. die enormen Währungsunterschiede nicht einebnen können. Daraus resultiert doch ein großer Teil unserer Probleme. Ihre wirtschaftspolitische Primitivstrategie widerspricht auch dem Konsens über Soziale Marktwirtschaft, der dieses Land in den letzten Jahrzehnten stark und zur Exportnation
Nummer 2 gemacht hat. Diese Philosophie heißt: Eine starke Wirtschaft und ein starker Sozialstaat gehören zusammen. Dies bringt sozialen Frieden, und dies bringt den Unternehmen geldwerte Vorteile. Wenn in Deutschland die Zahl der Streiktage geringer als in anderen Ländern ist, dann zeigt dies, daß der soziale Frieden auch für die Unternehmer von Nutzen ist.
Wir sind, wenn nötig, zu Korrekturen im sozialen Bereich bereit. Das haben wir bei der Rentenreform und der Gesundheitsreform gezeigt. Aber wer die Angst der Menschen vor dem Verlust des Arbeitsplatzes mißbraucht, um eine grundsätzlich neue Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer und ihrer Familien herbeizuführen, statt die Kräfte der Gesellschaft in Richtung auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu bündeln, der wird auf den entschiedenen Widerstand der Sozialdemokraten stoßen.
Als nächster spricht der Kollege Hans-Peter Repnik.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wirtschaft und Politik stehen auf einem gesunden und festen Fundament. Der wirtschaftspolitische Weg, den die Bundesregierung eingeschlagen hat, garantiert auch in Zukunft Wachstum und Aufschwung. Die vielen Maßnahmepakete, die in den vergangenen Monaten geschnürt wurden, um den Standort Deutschland wetterfest zu machen, bringen spürbare Erfolge.
Lieber Finanzminister Theo Waigel, es war für uns, die Abgeordneten der Koalition, ein außerordentliches Vergnügen, dieser Haushaltsrede zuzuhören. Weil es nicht nur ein Vergnügen war, sondern damit auch harte Arbeit, Kraft, Energie und Phantasie verbunden waren, möchte ich dem Finanzminister im Namen der Koalition ein herzliches Dankeschön aussprechen.
- Ich finde schon, daß man sich hier wieder einmal auf eine alte Tugend berufen kann, auch wenn das nicht allen von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, paßt. Ich meine, wir sollten auch insoweit der Kollegin Matthäus-Maier nicht folgen, die zumindest die Tugend der Wahrheit heute sträflichst vernachlässigt hat.
Ich bin am Sonntagmorgen zur Haushaltsklausur der Koalition gefahren.
Hans-Peter Repnik
- Ich mußte vom Bodensee schon früh weg; deswegen war ich nicht im Hochamt.
- Da ist kein Hochamt, Herr Fraktionsvorsitzender; das ist eine Vorabendmesse.
Im Zug habe ich einen Artikel in der „Welt am Sonntag" zur Kenntnis genommen. Darin stand u. a.
- Frau Matthäus-Maier wird zitiert -: Statt Larifari Attacke. - Hoppla, dachte ich, aber jetzt legt sie los.
Ich kann nur sagen, verehrte Frau Kollegin Matthäus-Maier: Was Sie heute geboten haben, war noch nicht einmal eine Luftnummer; da war die Luft heraus.
Spätestens bei Ihren Ausführungen zu den Kesselflickern und zu dem Streit hatte ich das Gefühl, daß es zu einer Lachnummer wird. Was oder wen sollte sie auch attackieren?
Zugegeben, sie hatte heute einen besonders schweren Stand. Wir haben einen ausgezeichneten Haushalt, und wir haben einen ausgezeichneten Finanzminister. Was will sie da glaubwürdig attackieren?
Sie hat wie jedes Jahr einen Popanz aufgebaut, um ihn dann kräftig zu verprügeln. Sie hat es sich auch jetzt nicht erspart, Prognosen zu geben, die sich am Ende des Jahres wieder als Fehlprognosen herausstellen werden.
Verehrte Frau Matthäus-Maier, ich möchte in diesem Zusammenhang gar nicht selbst urteilen. Ein Blick in das „Handelsblatt" von heute genügt. Dort steht:
Die Sozialdemokraten prognostizieren denn auch bereits für 1996 einen Anstieg der Neuverschuldung auf 70 Milliarden DM. In den letzten Jahren hauten sie mit ähnlichen Horrorprognosen jedoch stets kräftig daneben. Auch 1996 könnte das der Fall sein. Bisher ist es Waigel nämlich immer gelungen, überplanmäßige Löcher mit Minderausgaben an anderer Stelle des Etats zu stopfen.
Sie machen das jedes Jahr aufs neue, wohlwissend, daß die Korrekturen ihrer Prognosen in aller Regel von der Öffentlichkeit selten wahrgenommen werden.
Was mich aber am meisten beschämt hat, Frau Matthäus-Maier, sind die Ausführungen, die Sie zum Verteidigungsetat gemacht haben.
Angesichts der internationalen Lage, angesichts der Situation im ehemaligen Jugoslawien - der Finanzminister hat zu diesem Thema gerade Ausführungen gemacht -, angesichts der Tatsache, daß der Verteidigungshaushalt früher einmal bei 18,5 % des Gesamtetats angesiedelt war, in den letzten Jahren sukzessive heruntergefahren wurde und jetzt gerade noch 10 % des Haushalts ausmacht, reden Sie einem Abbau der Verteidigungslasten das Wort.
Dies müssen Sie den Soldaten,
dies müssen Sie der Bundeswehr, dies müssen Sie den Tornadopiloten, die in Bosnien für Frieden und Menschenrechte im Einsatz sind, erklären. Wir akzeptieren dies nicht.
Herr Kollege Repnik, die Kollegin Matthäus-Maier würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Später gerne. Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen, Frau Kollegin Matthäus-Maier, weil ich gerne den fahnenflüchtigen Troikaner, den Kollegen Schröder, hier zitieren möchte.
Um 12.02 Uhr lief über die Agentur ap" eine Meldung - ich glaube, sie paßt ganz gut zur jetzigen Haushaltsdiskussion und zu der Präsentation der Kollegin Matthäus-Maier -, in der Schröder so zitiert wird: „Die SPD wird von einem Kartell der Mittelmäßigkeit regiert." Dies ist auch heute morgen einmal mehr deutlich geworden.
Sie nehmen haushaltspolitische Realitäten schlichtweg nicht zur Kenntnis.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Koalition hat versprochen, die Staatsquote zu senken, den Ausgabenanstieg zu bremsen, die Steuern zu senken, die Inflation zu bekämpfen, die Konjunktur zu fördern, den Aufbau in den neuen Bundesländern fortzusetzen. Diese Koalition hält in allen Punkten Wort.
Ein Beleg dafür ist sowohl dieser Haushalt 1996 als auch die mittelfristige Finanzplanung. Die Staatsquote sinkt mit dem Inkrafttreten dieses Haushalts von 50,5 % auf 48,5 %. Wir werden uns im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung weiter bemühen.
Hans-Peter Repnik
Wir unterstützen Theo Waigel in dieser Arbeit nachdrücklich. Nur so, nur mit der Senkung der Staatsquote werden wir uns Spielräume für weitere Steuersenkungen eröffnen.
Ich möchte einen zweiten Journalisten zitieren. Im „Tagesspiegel" von heute steht:
Selbst in der mittelfristigen Finanzplanung, die Bestandteil des Haushaltsgesetzes ist, sollen die Bundesausgaben bis 1999 nur um 7 Prozent auf 483 Milliarden DM steigen und damit deutlich weniger stark als die gesamtwirtschaftliche Leistung. Der Bund würde damit einen erheblichen Beitrag zur Sanierung der öffentlichen Finanzen leisten und am Ende der Finanzplanung nur noch halb so viel Schulden machen wie 1996.
Meine sehr verehrten Damen und Herren auch und gerade von der Opposition, Sie dürfen uns auch hier beim Wort nehmen. So, wie die Regierung unter Helmut Kohl in den Jahren 1982 bis 1989, also bis zur Wiedervereinigung, mit dem damaligen Finanzminister Stoltenberg die zerrütteten Staatsfinanzen von SPD-Kanzlern und -Finanzministern saniert und die Staatsquote zielstrebig auf 46 % zurückgefahren hat, so wird diese Regierung unter Helmut Kohl mit Finanzminister Theo Waigel, beginnend mit dem nächsten Jahr, genau denselben Kraftakt vollbringen, um die Staatsquote bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf 46 % zurückzuführen.
Meine Damen und Herren, der Ausgabenanstieg ist gebremst. Es sind 1,3 % weniger als im letzten Jahr. Man muß weit zurückblicken: Zum letztenmal war dies 1953 unter dem vielgerühmten Finanzminister Fritz Schäffer der Fall. Auch in diesem Fall hat sich Theo Waigel ein gutes Vorbild herausgegriffen - und das trotz einer Nettotransferleistung von über 100 Milliarden DM pro Jahr in die neuen Länder - das bitte ich zur Kenntnis zu nehmen -, trotz des Jahressteuergesetzes mit 12 Milliarden DM weniger Steuereinnahmen, trotz des Ausfalls, den der Bundeshaushalt in Höhe von 8 Milliarden DM auf Grund des weggefallenen Kohlepfennigs zu verkraften hat.
Theo Waigel ist einen wichtigen Schritt in eine andere Richtung gegangen: Er sorgt für eine Bereinigung im Bereich des Sondervermögens, also für Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Auch dabei wollen wir ihn unterstützen.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich bin nur deshalb etwas aggressiver, als das sonst üblich ist,
: Ich möchte
eine Zwischenfrage stellen!)
weil ich finde, daß Sie über weite Strecken nicht korrekt berichtet haben.
Herr Kollege Repnik, die Kollegin Matthäus-Maier meldet sich wieder zu einer Zwischenfrage.
Okay, wenn es mir nicht angerechnet wird, gern.
Natürlich nicht.
Herr Repnik, obwohl ich viele Vorwürfe ertragen kann, weise ich es entschieden zurück, wenn man mir falsche Zahlen oder Unwahrheit vorwirft.
Daher möchte ich, daß Sie mir bitte bestätigen, daß Ihre Behauptung, ich hätte eine Kürzung des Verteidigungshaushalts verlangt, falsch ist. Können Sie nicht bestätigen, daß ich ausschließlich gefordert habe, daß es in Zeiten knappster Kassen nicht angeht, einen Haushalt um 560 Millionen DM anwachsen zu lassen, während z. B. der Umwelthaushalt um 40 Millionen DM zurückgeht? Bestätigen Sie, daß Sie hier etwas Falsches gesagt haben?
Nein. Die erste Frage bestätige ich.
Moment! Es geht jetzt um die Konsequenzen. Wenn Sie hier beklagen, daß der Verteidigungshaushalt zu stark anwächst, dann haben Sie damit logischerweise zum Ausdruck gebracht, daß Sie der Meinung sind, ihn kürzen zu müssen.
Deshalb habe ich hier nichts anderes als die Wahrheit gesagt.
- Moment, ich komme gleich zum nächsten Punkt. Ich bleibe auch bei dem nächsten Punkt bei der Wahrheit. Sie sollten prüfen, ob sich Ihre Aussage an der Wahrheit messen lassen kann.
Sie haben uns im Zusammenhang mit dem Vermittlungsverfahren und dem Jahressteuergesetz vorgeworfen, Sie hätten entsprechende Vorschläge eingebracht und wir seien Ihnen gefolgt. Ich möchte hier mit Deutlichkeit zur Kenntnis bringen: Der Gesetzentwurf ist von der Koalition und nicht von der SPD eingebracht worden.
- Natürlich, mit unserem Optionsmodell, mit der Gegenverrechnung steht das natürlich darin. Deswegen stimmt Ihre Aussage nicht.
Ich möchte festhalten, obgleich Sie bereits zum dritten Mal im Deutschen Bundestag etwas anderes behauptet haben: Dieses Modell, dieses Steuerpaket 1996 und das Familienentlastungs- und Familienleistungsmodell ist sowohl steuersystematisch als auch familienpolitisch unser Vorschlag, unser Modell und
Hans-Peter Repnik
unser Erfolg. Sie können sich hiervon nichts auf das Butterbrot schmieren.
Die Leute werden sich daran erinnern. Ich hoffe, sie werden nicht nur Ihren Desinformationen aufsitzen.
- Nein. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, es war die SPD, die ein einheitliches Kindergeld von 200 DM gefordert hat.
- 250 DM. Nachher waren es weniger; Sie haben sich mit weniger beschieden. Wir haben gesagt: Aus verfassungsrechtlichen und aus familienpolitischen Gründen - wenn man an die Situation der Familien mit zwei, drei, vier oder mehr Kindern denkt - ist dies ungerecht. Deshalb haben wir nicht 220 DM, sondern 200 DM für das erste und das zweite Kind, 300 DM für das dritte Kind und 350 DM für jedes weitere Kind vorgeschlagen und durchgesetzt. Dazu bedurfte es keiner Hilfestellung durch die SPD.
Nachdem Sie so engagiert reagieren, erscheint es vielleicht doch wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Vorstellungen, die Sie im Zusammenhang mit dem Familienleistungsausgleich eingebracht haben, mit der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts nicht übereinstimmen. Auf Deutsch: Sie waren nicht verfassungskonform. Wir haben eine Lösung, die familienpolitisch Sinn macht und verfassungskonform ist. Diese Lösung nützt den Menschen im Lande.
Deshalb hilft das weitere Polemisieren über die Spitzenverdiener, die Sie angesichts sich möglicherweise in Funktion befindlicher Fernsehkameras wieder angesprochen haben, auch nicht. Ihr Modell wäre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerade dieser Verdienstgruppe nicht gerecht geworden. Dann erheben Sie also nicht den Anspruch, daß es durchsetzbar gewesen wäre. Es war verfassungwidrig.
- Es ist doch hochinteressant. Es ist für die Öffentlichkeit wichtig, klarzumachen, wer die Verantwortung wofür trägt und wem die Verdienste gehören. Sie gehören eben nicht der SPD.
Deswegen möchte ich auf einen zweiten Punkt hinweisen. Sie und Herr Poß haben es eingestanden -
das war eine wundersame Wendung Ihrer bisherigen
Haltung -, daß Sie bis zum Schluß behauptet haben, daß das Existenzminimum bei 12 000 DM oder in dieser Größenordnung ab 1996 nicht verfassungsgemäß, sondern verfassungswidrig sei. Sie haben dem Finanzminister heute auf Fragen zugestanden, daß das so zutreffe.
Das zeigt, wir haben im Gegensatz zu Ihnen eine langfristige, eine seriöse, an der Verfassung ausgerichtete Planung.
Ich komme nun zum nächsten Punkt, den der Finanzminister angesprochen hat, nämlich zur Unternehmensbesteuerung. Frau Kollegin MatthäusMaier, ich bin froh, daß es innerhalb der SPD eine Trendwende in der Meinung gegeben hat, und zwar nicht nur bei dem einen oder anderen Ministerpräsidenten, sondern auch in der eigenen Fraktion.
Die Unternehmensteuerreform und die Vermögensteuerreform, die der Finanzminister angesprochen hat, sind Themen, die sich nicht zum Klassenkampf eignen. Wir haben beide Themen unter dem Stichwort Standort Deutschland ausdrücklich angesprochen. Wir alle sind nach wie vor über die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt besorgt. Wir wissen, daß wir alle, Regierungskoalition wie Opposition, in der Pflicht stehen.
Nur, jedesmal, wenn wir versuchen, irgendwo etwas im Hinblick auf die Verbesserung der Standortqualitäten, z. B. bei der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, bei der mittelstandsfreundlichen Gestaltung der Gewerbeertragsteuer oder bei einer möglichen Abschaffung der Vermögensteuer, zu ändern, dann werfen Sie uns Sand ins Getriebe und gefährden das Bemühen, Menschen zusätzliche Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland zu geben und die Standortqualitäten zu verbessern.
Ich möchte in diesem Zusammenhang eine wichtige Anmerkung machen, die ebenfalls im Zusammenhang mit dem Vermittlungsverfahren eine Rolle gespielt hat. Die Frage ist: Wie behandeln wir die Kommunen im Rahmen der Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden? Jeder weiß, daß die Kommunen große Schwierigkeiten haben.
Deshalb hat der Finanzminister die Kommunen im Rahmen des Verfahrens direkt an der Umsatzsteuer teilhaben lassen wollen. Leider ist das mit dem Votum der SPD-geführten Bundesländer im Bundesrat nicht möglich gewesen. Aber wir werden sorgfältig darauf achten, daß die Zustimmung, die uns der Bundesrat gegeben hat, die Kommunen entsprechend am Steuerausfall bzw. an den Mehreinnahmen durch die 5,5 zusätzlichen Umsatzsteuerpunkte, die die Länder bekommen, auch eingehalten wird.
Ich habe eine zweite Bitte an die Bundesländer. Theo Waigel hat davon gesprochen, wie sehr uns die 8 Milliarden DM Ausfall durch den Wegfall des Kohlepfennigs belasten. Wir müssen sie aus dem Haus-
Hans-Peter Repnik
halt finanzieren. Wir haben ebenfalls darauf zu achten - hier sind in erster Linie die Länder in der Pflicht -, daß das Einsparvolumen von 8 Milliarden DM nicht in den Gewinnen oder den Rücklagen der EVUs hängenbleibt, sondern an die Bürger weitergegeben wird.
Im Zusammenhang mit der umweltorientierten Neustrukturierung des Steuersystems will ich sagen: Sie muß ökologisch wirksam und wirtschaftsverträglich sein. Wir dürfen den Wirtschaftsstandort Deutschland dadurch nicht vernachlässigen.
Der Solidaritätszuschlag hat noch einmal eine Rolle gespielt. Ich möchte auf folgendes hinweisen. Wir haben beschlossen, den Solidaritätszuschlag einer jährlichen Überprüfung zu unterziehen, und dies tun wir. Ich rate uns allen: Wir tun gut daran, diese Überprüfung sorgfältig vorzunehmen und sich weder in der einen noch in der anderen Form festzulegen.
Ich möchte mit aller Deutlichkeit sagen: Ich bin exakt nicht der Vorstellung, die Ministerpräsident Schröder in den - über den Vermittlungsausschuß darf man nicht berichten - Vorverhandlungen zum Vermittlungsverfahren vorgetragen hat, nämlich daß es mit den Transfers in den Osten jetzt endgültig genug sei, wir hätten schließlich genügend Probleme hier. Wir stehen hier auch in der Verantwortung den neuen Ländern gegenüber, und dieser Verantwortung werden wir gerecht werden. Dafür brauchen wir auch in der Zukunft Geld.
Auch beim Solidaritätszuschlag gilt das Wort von Theo Waigel von einer symmetrischen Finanzpolitik, d. h., ich kann Steuern erst dann nachlassen, wenn ich den Haushalt auf der anderen Seite konsolidiert habe. Beides muß gleichmäßig laufen, wenn wir unsere internationale Bonität nicht in Verruf bringen wollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß noch einmal auf Sie zu sprechen kommen. Frau Matthäus-Maier hat die niedrigen Zinsen angesprochen und gefragt, was passiert, wenn sie möglicherweise steigen. Auch das ist schon wieder so ein Horrorszenario, Frau Matthäus-Maier. Andersherum wird ein Schuh daraus. Erst die von dieser Koalition und diesem Finanzminister durchgesetzte Politik hat den Spielraum dafür geschaffen, daß die Zinsen gesenkt werden konnten.
Gehen Sie davon aus, daß dies auch in der Zukunft unsere Meßlatte sein wird! Wir werden die Kriterien von Maastricht einhalten und erfüllen und auch hier mit gutem Beispiel vorangehen.
Ich möchte eine Anmerkung zum Thema Vermögensteuer machen. Sie haben, wie ich finde, nicht nur sachfremd diskutiert, sondern auch gegen jede
ökonomische Grundregel verstoßen. Ich frage mich: Wie sehr muß Sie Ihre F.D.P.-Vergangenheit belasten, daß Sie permanent versuchen, sich gerade in diesem Punkt zu exkulpieren?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Theo Waigel, nicht nur die Ereignisse der letzten Woche haben zwei der drei Troikaner die Bundesratsbank und dieses Plenum meiden lassen. Während unser Haushalt solide ist, während unser Haushalt verläßlich ist, herrscht bei der SPD und überall dort, wo sie in der Verantwortung steht, das reine Chaos. Wenn ich Kollegin Matthäus-Maier richtig zugehört habe, dann stelle ich fest, daß es auch hier herrschen würde, wenn Sie hier in der Verantwortung stünden. Darum müssen wir das verhindern.
Saarland und Bremen nehmen jährlich Bundeshilfen in großem Umfang in Anspruch, das eine von 1,8 Milliarden DM, das andere von 1,6 Milliarden DM. Allein im nächsten Haushaltsplan macht dies 3,4 Milliarden DM aus. Was könnten wir mit 3,4 Milliarden DM, wenn wir sie nicht den beiden bankrotten, von der SPD regierten Ländern überweisen müßten, an familienpolitischen oder sonstigen politischen Maßnahmen alles leisten?
Wir leben in der Regel nicht von der Hand in den Mund, sondern planen auch mittelfristig. Allein für die vier Jahre, die wir in der mittelfristigen Finanzplanung vor uns haben, macht das, was Saarland und Bremen vom Bund überwiesen bekommen, 17 Milliarden DM aus. Das ist eine gigantische Größenordnung. Dies ist das Ergebnis sozialdemokratischer Politik.
Niedersachsen, mit dem anderen ausrangierten Troikaner an seiner Spitze, hat sich völlig vergaloppiert. Kein Geld mehr für Investitionen, keine Vorsorge für Ausfälle durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es ist doch hochspannend: Während der Verhandlungen zum Familienleistungsausgleich war es nicht zuletzt Niedersachsen - aber auch das Saarland -, das immer wieder gesagt hat: Wir können bei den großen Entlastungen, die ihr - Bund, Bundesregierung, Koalition - vorhabt, nicht mitmachen. Ja, warum? Weil wir das Geld nicht haben.
Alle CDU- oder CSU-geführten Bundesländer hatten in ihrer Haushaltsplanung für die Erfüllung der Kriterien, die uns das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat, selbstverständlich Vorsorge getroffen. Das Saarland aber nicht, auch Niedersachsen nicht. Pleite!
Ich kann nur sagen: Wenn ich unter diesen Umständen solche Haushalte hätte, würde ich mich als Saarländer und als Niedersachse bei dieser Haushaltsdebatte auch nicht sehen lassen. Das ist wohl wahr.
Hans-Peter Repnik
Daher rührt - man könnte fast Mitleid bekommen - die Blockadepolitik, von der schieren Not bestimmt. Ich unterstelle gar keine bösartige Absicht. Diese Blockadepolitik ist von der schieren Not bestimmt. Das ist das Ergebnis, wenn man die SPD an die Kasse läßt.
Weil das so ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, mußten wir darauf verzichten, die Nettoentlastung von 23 Milliarden DM, die im Jahressteuergesetz ursprünglich vorgesehen war, zu kürzen. Wir erinnern uns: Frau Matthäus-Maier und andere sprachen von 10 Milliarden DM, von maximal 12 Milliarden DM und dann von vielleicht 14 Milliarden DM. Wir wollten dem Bürger ab dem 1. Januar 1996 ohne Kompensation, ohne Wenn und Aber jährlich 23 Milliarden DM zurückgeben. Wir sind bei 19 Milliarden DM gelandet. Das ist noch ein gutes Ergebnis. Aber wir hätten 23 Milliarden DM erreicht, wenn nicht die SPD-geführten Bundesländer im Bundesrat unsere Politik blockiert hätten. Dies ist die Wahrheit.
Frau Matthäus-Maier, ich weiß nicht, ob es noch vergnüglich ist, ob man darüber lachen oder lächeln darf. Wenn Sie hier den Eindruck erwecken, daß Sie uns in diesem Zusammenhang etwas abpressen mußten, dann ist das wiederum an der Wahrheit vorbeigeredet.
Wir wollten 23 Milliarden DM weniger Belastungen, Sie wollten 10 bzw. 12 Milliarden DM, bei 19 Milliarden DM sind wir gelandet. Wir mußten uns leider rund 4 Milliarden DM abpressen lassen.
- In diesem Zusammenhang war der Subventionsabbau nicht vorgesehen.
- Moment. Das Jahressteuergesetz wollte entlasten und nicht belasten.
Die gut 4 Milliarden DM, die wir jetzt gegenfinanzieren, kompensieren müssen, gehen ausschließlich und damit einseitig zu Lasten der SPD. Sie haben sie uns abgetrotzt.
- Ich kann ja authentisch berichten, weil ich dabei war. Das ist der Vorteil.
- Moment, Moment! Ich kann das so nicht stehenlassen, Kollege Struck.
Ab einem bestimmten Zeitpunkt des Verfahrens mußten wir - das ist wohl wahr—, wenn wir den Gesamterfolg des Jahressteuergesetzes, die Entlastung im Hinblick auf die steuerliche Freistellung des Existenzminimums und den Familienleistungsausgleich, für die Bürger von insgesamt 19 Milliarden DM nicht gefährden oder scheitern lassen wollten, mit Ihnen natürlich ins Boot, im Sinne des Verhandelns. Das ist doch völlig klar. Wenn es nach uns gegangen wäre, wäre es bei 23 Milliarden DM geblieben. Wir hätten keine Kompensation gehabt, und der Bürger hätte sich noch mehr gefreut, als er sich jetzt ohnedies freuen darf.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, sowenig es Herrn Scharping gelungen ist - das ist die einzige Freude an diesem gesamten Verfahren gewesen -, seine Position im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß durchzusetzen - -
- Moment! Ich spreche jetzt von Herrn Scharping. Ganz am Rande hat auch die SPD-Bundestagsfraktion zumindest versucht, Einfluß zu nehmen. Aber dazu sage ich anschließend etwas.
- Nein.
Ich möchte doch gerne in diesem Zusammenhang den Herrn Scharping zitieren, der während des Verfahrens am 3. Mai 1995 sagte:
Jetzt haben wir [die SPD] eine so starke Position, daß wir es mit unseren Möglichkeiten durchsetzen wollen und auch durchsetzen werden. Tatsache ist, wir haben uns steuersystematisch und familienpolitisch durchgesetzt.
Das ist in diesem ganzen Zusammenhang eigentlich der einzige Lichtblick gewesen.
- Ich bin überhaupt nicht nervös.
Aber sowenig es Scharping gelungen ist, den Bundesrat aus parteipolitischen Gründen zu instrumentalisieren, so sehr sollte uns doch zu denken geben, daß uns das föderale Instrument Bundesrat zu einem, ich möchte fast sagen: Systembruch im Zusammenhang mit der Änderung des Grundgesetzes zwingt, was heute auch auf der Tagesordnung steht. Hier wurde ein Präzedenzfall geschaffen, der nicht Schule machen sollte.
Kollege Struck, Sie wissen so gut wie ich, weil wir beide dabei waren: Theo Waigel hat ausschließlich zugestimmt, weil er den Familien in Deutschland
Hans-Peter Repnik
nicht die bessere Förderung vorenthalten wollte und weil er dem Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf das Existenzminimum im Gegensatz zu anderen Vorstellungen zeitgerecht nachkommen wollte. Dies ist der saure Apfel, den wir dabei zu schlucken hatten. Diese Politik sollte nicht Schule machen.
Verehrte Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich habe mir vorhin überlegt, weshalb Sie sich gerade in diesem Zusammenhang, als es um das Jahressteuergesetz, um den Familienleistungsausgleich und um das Existenzminimum ging, so außerordentlich echauffiert haben. Ich möchte hier etwas sagen, und ich bitte Sie, mir das so abzunehmen. Ich kann das eigentlich nur dadurch erklären, daß Sie nach wie vor von dem Frust gepackt sind, den die Fraktion und Sie persönlich in diesem Verfahren mit dieser Zaungastrolle hatten. Sie wurden von Ihren Ministerpräsidenten in die Ecke gedrängt. Deshalb lebt jetzt all dies in der heutigen Debatte auf. Anders könnte ich diese Verdrehungen nicht begründen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Miesmacherei, Beckmesserei, Kassandra, - alles, was wir jetzt gehört haben, ist kein Programm. Die CDU/ CSU-Fraktion unterstützt die konsequente, zukunftsbezogene und solide Politik der Regierung Helmut Kohl und des Finanzministers Theo Waigel. Wir werden ihr in parlamentarischen Verfahren einmal mehr zum Erfolg verhelfen. Darum bitte ich die Koalition um die Stimmen.
Vielen Dank.
Herr Kollege Oswald - Metzger, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frustriert sind in dem Gremium mehrere, nicht nur in dem Fall die SPD-Bundestagsfraktion, sondern, glaube ich, auch Sie, Kollege Repnik. Nachdem Sie mit Theo Waigel fraktionsintern Überlegungen über die Ökosteuer angestellt haben, haben Sie als Vertreter Ihrer Arbeitsgruppe auch so manchen Strauß ausgefochten und mußten manches anhören, was Ihnen nicht gepaßt hat.
Fakt ist auf jeden Fall in dieser Haushaltsdebatte zur Einbringung des 96er Haushaltes, daß hier wirklich auf allen Seiten mit Wasser gekocht wird. Da hält man sich gegenseitig Dinge vor, die jeder von uns, wenn er in der Regierungsverantwortung auf Landesebene ist, mit dem Zungenschlag der Opposition durchaus anders sieht und andersherum mit dem Regierungszungenschlag. Das weiß man. Faktum ist auf jeden Fall, daß sich im nächsten Jahr der Verschuldungszug des Bundeshaushalts beschleunigt, obwohl erklärte Absicht dieser Bundesregierung war, die Steuerentlastung 1996 ohne Pump zu finanzieren.
Jetzt sind wir in der Situation, die ich im März bei der abschließenden Lesung des Bundeshaushaltes 1995 angesprochen habe: Der Regierungskoalition und auch der Haushaltsgruppe der Regierungskoalition wird das Drücken der Neuverschuldung 1995 im Plan auf unter 50 Milliarden DM noch wie ein Bumerang um die Ohren fliegen, weil der Anstieg wie das Amen in der Kirche kommt.
Wenn Sie, Herr Kollege Roth, den Herrn Finanzminister mit einem neuen Fingerzeig darauf hingewiesen haben, daß in Deutschland die Kapitalmärkte durch Zinszahlungen des Bundes in größerem Umfang bedient werden, als sie durch die Kreditnachfrage des Bundes in Anspruch genommen werden, dann darf man daraus doch nicht den Trugschluß ziehen, der Staat solle möglichst viel Schulden haben, um möglichst hohe Zinszahlungen an den Kapitalmarkt zurückgeben zu können. Dann ist das praktisch eine Alimentierung.
Das ist doch faktisch so.
Im nächsten Jahr zahlt der Bund 96 Milliarden DM Zinsen; 60 Milliarden DM Kredite nimmt er neu auf.
Dieser Bundeshaushalt hat in keinster Weise eine Knautschzone. Jede konjunkturelle Delle, jede Veränderung auf dem Arbeitsmarkt, jedes unvorhergesehene Ereignis - beispielsweise ist beim Sonderwohngeld Ost jetzt schon absehbar, daß der Etatansatz im Haushalt 1995 nicht ausreichen wird; und dieser Ansatz ist auch noch in den Haushalt 1996 übernommen worden - bringt das Schiff aus der Bahn.
Seien wir doch einmal ehrlich: Die Steuerschätzung vom Mai dieses Jahres hat für 1995 Steuereingänge für den Bund prognostiziert, die, wie man bereits jetzt am Ist nach acht Monaten sehen kann, überhaupt nicht eintreten werden. Von daher wird der Haushalt 1995 nach menschlichem Ermessen deutlich schlechter aussehen, auch wenn viele Ministerien auf Grund der späten Verabschiedung relativ viel von ihren Mitteln für Investitionen tatsächlich überhaupt nicht mehr abrufen können. Dann kann sich der Finanzminister vielleicht am Jahresende hinstellen und über Ausgabenansätze, die er auf den Haushalt 1996 überträgt, noch einmal durchmogeln, aber zu Lasten der einzelnen Ressorts. Unseriös ist diese Argumentation allemal.
Wenn ich schon von Theo Waigel den Lieblingsspruch der letzten Wochen höre, er stehe hier für eine systemimmanente Finanzpolitik,
Oswald Metzger
dann muß man doch eindeutig sagen - selbst die „FAZ" erkennt das ganz deutlich -, daß davon nicht die Rede sein kann, wenn man auf der einen Seite die Steuerlastquote nicht absenkt und auf der anderen Seite die Neuverschuldung erhöht.
- Symmetrische, genau. Vielen Dank, Herr Kollege Hauser. - Eine symmetrische Finanzpolitik kann man da nicht erkennen.
Vor diesem Hintergrund möchte ich den Finanzminister ganz deutlich fragen, ob er nach dem Motto „Watschen austeilen" auch Kabinettsmitglieder behandeln will. Heute bot sich das bei den Redebeiträgen zu Lasten der sozialdemokratischen Opposition natürlich an. Eine Troika, die nicht mehr existiert, fordert natürlich zu entsprechenden Kommentaren heraus. Das weiß die Opposition; darauf kann sich die SPD sicher einstellen.
Im letzten Jahr hat der Kanzler - er ist nicht mehr im Haus - seinen Lieblingsprotegé Transrapid in die Finanzplanung des Verkehrsressorts hineingedrückt. In Konfirmandenmanier hat Wissmann diese Geschichte aufgenommen und dem Kanzler applaudiert, was natürlich Waigels Finanzplanung für das Verkehrsressort total aus dem Ruder laufen ließ. Jetzt kassiert Waigel plötzlich bei Wissmann diese Investitionsmittel zu Lasten der Deutschen Bahn wieder ein. Daß das eine ökologische Verkehrspolitik sein soll, während selbst die trockensten Finanzpolitiker der Regierungskoalition mittlerweile ökologische Komponenten in der Steuerpolitik anmahnen, verstehe ich nicht. Das ist doch eine Bankrotterklärung und nur ein Austeilen von Watschen an den Verkehrsminister.
Gestern fand im Kanzleramt eine Besprechung zwischen Töpfer, Waigel und Bohl in Sachen Schürmann-Bau statt. Wenn es schon darum geht, Hausaufgaben zu machen,
muß ich sagen:
Wer vom „Langen Eugen" in diese Baugrube guckt, der sieht doch, daß hier, seit beim Weihnachtshochwasser 1993 die schmutzige Rheinbrühe reinlief, ein Trauerspiel ohne Ende über die Bühne geht. Ich verstehe nicht, daß man nicht endlich auch im Interesse der Stadt Bonn, der gegenüber dieser Bundestag eine Verpflichtung hat, eine schnelle Entscheidung trifft.
Eine schnelle Entscheidung hieße, dort beispielsweise die Deutsche Welle anzusiedeln und wenigstens Arbeitsplätze in diesem Bereich zu wahren und nicht jeden Monat eine Viertelmillion DM allein für Bauunterhaltungskosten aufzuwenden. Wenn Sie die Kapitalkosten für die 350 Millionen DM einrechnen, dann wird Ihnen ganz schlecht: Dann sind es monatlich mindestens 2 bis 3 Millionen DM, die diese Ruine kostet. Oder soll es ein in Beton gegossenes Denkmal für die Effizienz der öffentlichen Verwaltung mit dem Bundesfinanzminister an der Spitze sein?
: Der Scherz ist danebengegangen!)
Wo wären Sie denn mit der Neuverschuldung in der mittelfristigen Finanzplanung, wenn diese versicherungsfremden Leistungen über den Haushalt finanziert worden wären, wie es der Arbeitsminister zu Recht anmahnt? Sie stünden am Ende des Finanzplanungszeitraumes 1999 auf jeden Fall bei einer Nettoneuverschuldung von 50 bis 60 Milliarden DM und nicht bei den 29 Milliarden DM, die Sie jetzt vorgaukeln.
Wenn der Finanzminister heute zum Thema Solidaritätszuschlag sagt, er lege sich nicht fest, man wolle ihn aber abbauen - von Abschaffen kann so schnell keine Rede sein -, und das Jahr 1998 ausklammert, dann muß man sehen: 1998 sind nach aller Voraussicht die nächsten Bundestagswahlen. Hier kann man eine kleine Wohltat unter das Wählervolk streuen. Ein Finanzminister müßte aber auch sagen, daß in der Finanzplanung keine müde Mark für die Abschaffung oder die Rückführung des Solidaritätszuschlags vorgesehen ist. Immerhin geht es hier um die Kleinigkeit von 30 Milliarden DM im Haushaltsansatz für 1996.
All diese Fakten werden nicht angesprochen, wenn man sich nur Fensterreden um die Ohren schlägt.
Oswald Metzger
Rezepte sind angemahnt, auch von der Oppositon. Wir mahnen eine solche Rezeptur z. B. im Bauministerium an. Töpfer ist ja Beauftragter für den Umzug nach Berlin. Wenn gestern die Haushaltspolitiker der Regierungskoalition, Weng und Roth, verlautbart haben, sie wollten den Berlin-Umzug zu einer Organisationsreform der Ministerien nutzen
und das Verschlankungspotential im Hinblick auf die Investitionstätigkeit realisieren, dann ist das ein vernünftiger Ansatz. Aber wie paßt zu diesem richtigen Ansatz der Kollegen Haushälter, daß Innenminister Kanther den Obleuten der Haushaltsgruppen dieses Bundestages vor einer Woche einen Brief schreibt, er sehe sich leider nicht in der Lage - und bitte um Verständnis -, uns erste Ergebnisse der Effizienzsteigerungsmodelle im Bundeshaushalt vorzulegen, wie es der Haushaltsausschuß im März beschlossen hat, und sich gleichzeitig nach außen als der große Motor des schlanken Staates, der effizienteren Verwaltung und des weniger Ausgebens im konsumtiven Bereich hinstellt?
Diese Haltung paßt nicht zusammen. Denn man weiß ganz genau, daß der Investitionsanteil im Bundeshaushalt in den nächsten Jahren nach unten geht, und zwar schon ohne Berücksichtigung der Rückführung des Solidaritätszuschlags. Das muß man sich ganz deutlich vor Augen führen.
Eine Finanzpolitik, die den Anspruch auf Seriosität erhebt, muß auf jeden Fall darauf abzielen, die Neuverschuldung zu senken und Sparpotentiale in der öffentlichen Verwaltung und kreative Lösungsansätze in den Ministerien herauszukitzeln. Auch wenn es nicht allen Leuten paßt - auch nicht in unserer Fraktion -, finde ich es zumindest vom Ansatz her nicht schlecht, wenn ein Bundesminister, der für Bildung zuständig ist, ein etwas anderes Lösungskonzept andenkt und nicht in den alten, traditionellen Haushaltsmustern verharrt, wenn er beispielsweise versucht, die Ausbildungsförderung zu organisieren.
Wohlgemerkt, damit ich nicht irgendwann von Ihnen gefragt werde, ob ich inhaltlich einverstanden bin: Mir geht es um die Kreativität, die man braucht, um die finanzpolitischen Herausforderungen zu bewältigen.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich will jetzt keine Bildungsdebatte führen. Da kenne ich mich nicht aus; ich gestehe das ganz offen. Unsere Fachpolitiker werden in dieser Woche dazu etwas sagen. Mir geht es damm, deutlich zu machen, daß mit sozialdemokratischen Besitzstandsverteidigungsansprüchen auf Dauer auch kein Staat zu machen ist.
Beweglichkeit ist gefragt.
- Ich denke durchaus, daß die Leute Besitzstände haben.
Aber gerade zum Thema Besitzstände - wenn Sie schon dieses Stichwort liefern, Kollege Poß - noch eine Replik auf die Äußerungen zu den versicherungsfremden Leistungen in der Sozialversicherung: Ich habe selten jemanden einmal thematisieren gehört, welch eine gigantische Umverteilung es eigentlich darstellt, daß durch die Beitragsbemessungsgrenzen in der Renten- und Arbeitslosenversicherung nur ein bestimmter Teil der Bevölkerung die Lasten beispielsweise der Deutschen Einheit mitträgt, während Gutverdiener, die sich privat versichern können, diese Lasten überhaupt nicht mit schultern müssen. Diese soziale Asymmetrie begreift niemand.
Die private Versicherung ist auf jeden Fall in vielen Bereichen der sozialen Vorsorge wirtschaftlich günstiger als die Vorsorge über gesetzliche Sicherungssysteme. Das muß man, was jedenfalls die Rentenversicherung anbetrifft, ganz deutlich ansprechen; denn die Rentenversicherung zahlt über ihren Beitrag sehr viele versicherungsfremde Leistungen mit. Wenn nur Versicherungsleistungen gezahlt würden, dann läge der Rentenversicherungsbeitrag im Bereich von 12 bis 13 %, nicht aber bei 19,1 % im nächsten Jahr.
Vor diesem Hintergrund und weil die Debatte um die ökologische Steuerreform in allen Fraktionen ansteht und wohl bald auch mit Gesetzentwürfen der Regierung zu rechnen ist: Wir als Grüne fordern eine ökologische Steuerreform, die unter dem Öko-Label den Leuten nicht nur in die Tasche langt und von ihnen eine Mineralölsteuererhöhung oder sonstige Erhöhungen, bei denen man beispielsweise nach Schadstoffausstoß besteuert, holt, wobei man als Finanzminister billigend in Kauf nimmt, daß dann mehr Geld in der Bundeskasse ist. Wir wollen vielmehr eine politische Lenkung mit der ökologischen Steuerreform. Wir wollen Ressourcenverschwendung besteuern und bestrafen, wir wollen umweltgerechtes Verhalten über eine Energiesteuer belohnen, die den Schadstoffausstoß minimiert. Aber wir wollen auf der anderen Seite damit nicht einer gesamtgesellschaftlichen Steuererhöhung das Wort reden, was viele Leute, die das Öko-Label im Mund führen, durchaus billigend in Kauf nehmen.
- Diese Bundesregierung hat in der Vergangenheit
mit der ökologischen Argumentation wiederholt die
Mineralölsteuer erhöht und damit nur Haushaltslö-
Oswald Metzger
cher gestopft und zu wenig im Bereich der ökologischen Infrastruktur gemacht.
- Ich glaube, ich weiß besser, was sich bei Ihnen abspielt, als Sie sich denken. Ich bin nämlich im Gegensatz zu vielen von Ihnen ein aufmerksamer Zuhörer und differenziere in der Regel.
Zum Thema Differenzierung liefere ich Ihnen jetzt noch ein Stichwort. Die Gewerbekapitalsteuer war heute ein Thema. Die Beweglichkeit der SPD in der Sommerpause wurde von Vertretern der Regierungsfraktionen hier angesprochen. Im Juni stand ich an diesem Pult, und der Vorsitzende des Finanzausschusses stellte mir seinerzeit die Zwischenfrage, ob er mich richtig verstanden habe. Ich habe damals gesagt: Unsere Fraktion ist der Auffassung daß hier eine Entlastung der Wirtschaft her muß, weil die Gewerbekapitalsteuer eine Substanzsteuer darstellt, die Betriebe auch zahlen müssen, wenn es ihnen schlecht geht, und das finden wir nicht richtig.
Auf der anderen Seite wollten wir dann auch eine Absicherung der kommunalen Schiene, weil wir, ähnlich wie der Finanzminister - da haben Sie sich dankenswerterweise ja wirklich bewegt -, den Landesfinanzministern nicht über den Weg trauen. CDU-Oberbürgermeister Seiler aus Karlsruhe, der neue Städtetagspräsident, hat von den „klebrigen Fingern" der Landesfinanzminister gesprochen, an denen die „Kohle" hängenbleibt. Da hat er Recht.
- Die bleibt an CDU-Finanzministern und an sozialdemokratischen Finanzministern hängen.
Unserer Fraktion ist natürlich die Kompensation für die Kommunen und deren Absicherung so wichtig. Wir denken, daß der 1. Januar 1997 realistischerweise der richtige Zeitpunkt ist, diese Reform zum Abschluß zu bringen. Bis dahin, so hoffe ich, werden im Gesetzgebungsverfahren auch die Ängste der Kommunen ausgeräumt werden können. Dann werden wir auf diesem Gebiet etwas hinkriegen, von dem Wirtschaft und Kommunen etwas haben. Die Kommunen verfügen immerhin über die größten Investitionshaushalte in dieser Republik; der Bundestag vergißt immer bei den Debatten über den Bundeshaushalt,
daß die Kommunen wesentlich mehr Mittel im investiven Bereich als wir bewegen. Aber wenn man natürlich den Kommunen in die Taschen greift und die Kompensation - -
- Jetzt meine ich die Finanzminister der Länder wie des Bundes. Der Bund greift bei der Arbeitslosenhilfe in die Taschen der Kommunen, und die Kommunen refinanzieren sich natürlich dort, wo sie es können, Deshalb wird auf kommunaler Ebene auch von CDU-Oberbürgermeistern die Grundsteuererhöhung natürlich als Mittel genutzt, um die eigenen Haushalte zu sanieren, wenn von oben, sowohl vom Bund als auch vom Land, kein Geld kommt. Das ist ein Faktum.
Gucken Sie sich die Statistiken an! Noch bevor das Bundesverfassungsgericht gesprochen hat, vor dem Theo Waigel immer wieder sein Kreuz schlägt - vielleicht hat er deshalb das Kruzifix-Urteil so unqualifiziert kritisiert - -
- Nein, den „Bayernkurier" habe ich nicht gelesen, aber die Kurzfassung.
- Danke.
Die Kommunen nutzen auf jeden Fall die Grundsteuer als Ventil, um sich bei den Bürgerinnen und Bürgern schadlos zu halten.
Das ist meine Botschaft in jeder Rede, die ich bisher gehalten habe: Jeder, der Bund und die Länder, betrachtet seinen Haushalt praktisch als Einzelhaushalt. Der Verschiebebahnhof nach unten, die Gesamtbelastung der Bevölkerung bleibt aber unter dem Strich gleich. Was bleibt denn von dieser Nettoentlastung des Jahressteuergesetzes im nächsten Jahr wirklich dem Durchschnitt der Bevölkerung? Ich meine jetzt nicht die Familien mit vielen Kindern, für die der Familienleistungsausgleich Gott sei Dank wirklich eine Nettoentlastung herbeiführt. Unter dem Strich bleibt fast ein Nullsummenspiel: 0,7 % Pflegeversicherung zur Jahresmitte, Rentenversicherungsbeitragserhöhung, kommunale Gebühren und Steuern; denn die Grundsteuer wird im nächsten Jahr in den Kommunen angehoben. Da wird unter dem Strich peu à peu die gesamte Kohle wieder eingesammelt.
Das ist Redlichkeit in der Politik? Das sehe ich nicht. Jeder guckt auf sich selber, niemand geht auf den anderen zu. Kompromisse in diesem Plenum sind außerordentlich selten. Sie werden wenn überhaupt, im Vermittlungsausschuß geschlossen, der nicht demokratisch kontrollierbar ist, in dem eine große Oppositionsfraktion - dieser Vorwurf wird mei-
Oswald Metzger
nes Erachtens zu Recht erhoben - sehr wohl unter dem Diktat der Länderfürsten steht und als Bundestagsfraktion ein Stück weit in ihrer Handlungsfähigkeit beschränkt wird. Das ist leider so.
- Das ist die Verfassungslage. Aber die Verfassungslage zwingt natürlich dazu, daß die unterste Gebietskörperschaft, nämlich die kommunale Seite, immer am Katzentisch sitzt.
- Doch, am Katzentisch sitzt und auf jeden Fall den Fuß nicht drin hat.
Wenn man den Bundesrat auf Grund der politischen Konstellation so aufwertet, dann bitte auch eine Kommunalkammer, damit der kommunalen Seite wenigstens bei finanzwirksamen Entscheidungen ein Vetorecht und nicht nur ein Anhörungsrecht im Gesetzgebungsverfahren eingeräumt wird.
Ich hoffe, daß es der Haushaltsausschuß im weiteren Verfahren schafft, wenigstens die Mehrbelastungen von 1,6 Milliarden DM, die auf Grund des Ergebnisses des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz im Entwurf des Bundesfinanzministers noch nicht finanziert sind, einzusparen, und daß die Beratungen im Detail anders laufen als bei diesem eher politisch gefärbten Schlagabtausch, bei dem stärker der Zustand der größten Oppositionsfraktion für die Regierungskoalition das inhaltliche Thema war als die tatsächliche politische Perspektive der Finanzpolitik dieser Regierung.
Auf jeden Fall wird unsere Fraktion in den Einzelplanberatungen und global versuchen, einen Moratoriumsanspruch durchzusetzen, indem wir Gegenfinanzierungen bringen, die seriös sind, und nicht nur den Verteidigungshaushalt als Steinbruch nutzen, was Ihnen von der Regierungskoalition als Vorwurf an die Opposition immer leicht von den Lippen geht.
Vielen Dank und weiterhin eine gute Beratung.
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Weng.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Metzger, das, was Sie über die Frage der Finanzverteilung unter den Gebietskörperschaften gesagt haben, ist in der Momentaufnahme natürlich richtig. Aber man muß sich auch den Weg dahin vor Augen führen. Da treffen die Vorwürfe mit Blick auf die Koalition wirklich die Falschen.
Der Bund hat frühzeitig insbesondere die Länder West angemahnt, hat auch die Kommunen angemahnt, die Entwicklung nach der deutschen Einheit
nicht zum Anlaß für Mehrausgaben zu nehmen, nicht als dauerhaft zu betrachten - damals der Wirtschaftsimpuls - und entsprechend Vorsorge zu treffen. Das Gegenteil ist gemacht worden.
Dann war das Zerren - Sie haben das selber an anderer Stelle mehrfach gesagt - derart, daß auf Grund der Rechts- und der Mehrheitslage der Bund die bittersten Opfer bringen mußte. Insofern trifft Ihr Vorwurf, den Sie hier erhoben haben, die Länder West am meisten, aber sicher nicht die Koalition in Bonn, die mit ihrer Mehrheit den richtigen Weg beschritten hat und daran in Teilen gehindert worden ist.
Dafür, daß die Haushaltsdebatte die Stunde der Opposition sein soll, hat man eigentlich bisher nicht viel von Konzepten gehört. Bei Herrn Metzger ist das ein bißchen besser gewesen als bei der SPD. Trotzdem muß ich sagen - da ich mit Herrn Metzger gemeinsam habe, daß ich der Debatte folge und aufmerksam zuhöre -: Die ruhige, sachliche Darstellung der Koalitionsseite, des Bundesministers und des Sprechers der Union,
hat sich von dem Lamentieren der Opposition angenehm abgehoben. Konzeptionell ist von Ihrer Seite, insbesondere von der SPD-Seite, absolut nichts gekommen.
Mit dem Haushaltsentwurf der Bundesregierung für das Jahr 1996 macht die Koalition einen wichtigen Schritt nach vorne. Bundesminister Waigel ist seiner Verantwortung gerecht geworden, durch sparsame Ausgabenpolitik eine Senkung der Belastung der Bürger zu erreichen, während gleichzeitig die Nettoneuverschuldung des Bundes im Rahmen der Vorgaben der Finanzplanung geblieben ist.
Wer den Vielfrontenkampf eines Finanzministers kennt, der weiß, was er erreicht hat. Deswegen gibt es heute wirklich guten Grund, ihn zu loben. Ich freue mich, daß ich dieses Lob für meine Fraktion hier und heute aussprechen kann.
Ich lobe auch deshalb gerne, weil wir die künftige Finanzpolitik weiterhin in harter Konfrontation gegen die grün-rote Opposition einerseits und gegen manchen konservativen Verteilungspolitiker andererseits werden gestalten müssen.
Die Opposition wird ihrer Aufgabe konstruktiver Mitarbeit, in die sie eigentlich auf Grund der Bundesrats- und der Vermittlungsausschußmehrheit gestellt ist, seither nicht gerecht. Die Grünen sind völlig konzeptionslos. Wir werden Sie stellen, Herr Metzger. Das, was Sie hier gesagt haben, werden wir in der zweiten Lesung auf die Waage legen. Wir werden Sie nicht aus der Verantwortung Ihrer eigenen Worte entlassen.
Dr. Wolfgang Weng
Die SPD hat zunächst ihr bestes wirtschaftspolitisches Pferd geschlachtet, um jetzt eine alte Wadenbeißerin mit überholten Oppositionsrezepten wieder von der Kette zu lassen.
Dies ist keine Politik.
Neutrale und damit unbestechliche Beobachter sind immer die besten Zeugen, die man nennen kann. Deswegen hat uns das Lob der OECD im August natürlich besonders gefreut. Es hat uns auch besonders deutlich gemacht, daß die Koalition auf dem richtigen Wege ist. Vor allem der Hinweis, daß bei der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen beeindruckende Fortschritte erzielt worden seien, gibt unserer Arbeit recht. - Herr Kollege Fischer, Ihr Nikken spricht in diesem Fall für Sie.
Die F.D.P. hat einen wichtigen Anteil an diesen Fortschritten. Auch das sollten Sie durchaus bestätigen.
Die OECD sagt aber auch, wie es weitergehen muß. Das Hauptaugenmerk muß darauf gerichtet sein, die Steuer- und Abgabenlast der Bürger wieder zu verringern.
Die Freien Demokraten liegen also mit ihren steuerpolitischen Forderungen genau richtig. Denn in der Vorausschau der künftigen Wirtschafts- und damit auch der Haushaltsentwicklung wissen wir, daß es vor allem auf eins ankommt: auf den Erhalt von Arbeitsplätzen und insbesondere auch auf die Schaffung von neuen und zukunftsträchtigen Arbeitsplätzen in unserem Land.
Wir stehen in weltweitem Wettbewerb. In dritten Ländern fragt niemand danach, ob er mit dem Kauf deutscher Produkte einen Beitrag zur Verbesserung unserer Wirtschafts- und Haushaltssituation leistet. Hier zählen allein Preis und Qualität. Die Konkurrenten schlafen nicht.
Deshalb muß besonders besorgt machen, daß sich wichtige Produktionsbetriebe im vergangenen Jahr vom Standort Deutschland abgewandt haben. Natürlich ist internationale Arbeitsteilung erforderlich; aber Deutschland als Produktionsstandort muß seine Position bewahren und ausbauen, wenn der alte Platz an der Spitze der Industrienationen gehalten und in den Teilen, wo er verlorengegangen ist, wieder erreicht werden soll.
Dieses Ziel haben wir, dieses Ziel hat die F.D.P.-Fraktion vor Augen. Wir verstehen unter Wirtschaft nicht - entgegen dem, was man uns immer anzuhängen versucht - ein paar Bosse mit dickem Bauch und dicker Zigarre, sondern selbstverständlich die Gesamtheit von Produktion und Dienstleistungen unter
dem Stichwort: Arbeitsplätze stehen vor allem anderen.
Der Begriff Mittelstand z. B. umfaßt natürlich nicht nur den mittelständischen Unternehmer mit seiner Familie, die häufig mit tätig ist, sondern selbstverständlich auch die Mitarbeiter mittelständischer Unternehmen, die wir vor Augen haben, wenn wir hier politische Schwerpunkte setzen.
Viele Signale aus der Wirtschaft machen nachdenklich. Ich will hier ganz ausdrücklich die Tarifparteien an ihre Verantwortung erinnern. Das, was die IG Metall im Augenblick bei Volkswagen abzieht, kann einen nur entsetzen.
Ohne Rücksicht auf Marktlage und Entwicklung geht man dort heftig daran, den Ast abzusägen, auf dem man sitzt. Und wie immer bei sozialistischen Rezepten sieht man über den Tellerrand nicht hinaus.
Es ist bedenklich, wenn man wegen der schnellen Mark der Arbeitsplatzbesitzer die Zukunftschancen eines Unternehmens gefährdet und dabei leider diejenigen vergißt, die keine Arbeitsplätze haben und nur bei Besserung der Standortsituation Hoffnung haben dürfen.
Die Politik muß die Rahmenbedingungen verbessern. Die F.D.P. ist bereit, hieran in der Koalition mitzuwirken, aber auch die Tarifparteien müssen ihren Beitrag leisten.
Zukünftige Arbeitsplätze sind eine Frage von Bildung und Ausbildung. Auch hier muß ich die Tarifparteien ansprechen. Der Abbau von Ausbildungsplätzen, vor allem in mitbestimmten Großbetrieben, ist eine Schande.
Gerade hier sollten Arbeitnehmervertreter soziale und Zukunftsaspekte bedenken.
Ich will deswegen ausdrücklich den Mittelstand loben, der seine Ausbildungsleistung seit langen Jahren erbringt und verbessert,
Dr. Wolfgang Weng
oft noch durch Abwerbung aus der Großindustrie gefährdet.
Auch dies zeigt, daß die mittelstandsorientierte Wirtschaftspolitik der Koalition und der F.D.P. der richtige Ansatz ist.
Mit Mittelstand meinen wir ausdrücklich all diejenigen Bürger, die Eigeninitiative zeigen, bei denen Eigenverantwortung an erster Stelle steht, im beruflichen wie im persönlichen Handeln. Derjenige, der als allererstes nach dem Staat ruft, ohne überhaupt die Ärmel hochgekrempelt zu haben, gehört nicht zu den Leistungsbereiten, auf denen unsere Volkswirtschaft aufbauen muß und auf die wir, die F.D.P., setzen.
Daß die Bundesregierung zur Abwehr des Mangels an Ausbildungsplätzen noch ein massives staatliches Programm auf den Weg bringen mußte, ist leider notwendig und damit richtig, aber ordnungspolitisch an sich zu bedauern. Dies nicht nur wegen der Finanzierung, die schwierig werden wird und die noch nicht geklärt ist, sondern auch deshalb, weil der Staat natürlich nicht auf Dauer die gesamte Ausbildungsleistung übernehmen kann. Deswegen nochmals ausdrücklich der Appell an die Verantwortlichen der Wirtschaft, vor allem an die Großindustrie, die hier Nachholbedarf hat, an die Tarifparteien, dies zum Teil ihrer Tarifverhandlungen zu machen.
Bieten Sie unseren jungen Menschen die notwendige Zahl von Ausbildungsplätzen an! Berufslose junge Menschen sind etwas, was eine soziale Gesellschaft niemals hinnehmen darf.
Zusätzlich gefährdet die augenblickliche Situation das erfolgreiche und gute duale Ausbildungssystem, das wir beibehalten, das wir fortentwickeln wollen.
Was fällt den Sozialdemokraten zu diesem Thema ein?
Wie gewöhnlich die Forderung nach einer Abgabe. Gerade die überhöhte Abgabenlast in unserem Lande ist aber teilweise schuld daran, daß so viele Ausbildungsplätze wegrationalisiert worden sind.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer - er wurde schon angesprochen -: In unserem Bemühen, die Situation des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu verbessern, signalisiert eine zunehmende Zahl von Stimmen aus dem Lager der Sozialdemokratie neuerdings die Bereitschaft, wenigstens mit der Abschaffung der arbeitsplatzvernichtenden Gewerbekapitalsteuer einen kleinen Schritt in der richtigen Richtung mitzumachen.
Für die F.D.P. bleibt mittelfristig, auch mit Blick auf die europäische Situation, ebenfalls die Abschaffung der Gewerbeertragsteuer auf der Tagesordnung.
Die Steuerdiskussion ist in den letzten Tagen wieder deutlich entbrannt. Ich finde es gut und richtig, wenn hierbei alle politischen Parteien unseren Bürgern klarmachen, wo ihre Positionen in dieser Debatte sind. Weniger Staat, weniger Steuern, mehr Eigenverantwortung der Bürger, das ist und bleibt Grundposition der F.D.P.
Das vergangene Jahr hat ja gezeigt - ich sage das auch mit Blick auf den Zwischenruf, der hier gerade von der linken Seite kam -, daß man nicht kleinmütig und nicht nur buchhalterisch vorgehen darf, sondern daß auch politischer Druck zusätzliche Sparbemühungen auslöst.
Es waren verschiedene Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die uns zu Steuerveränderungen gezwungen haben, zu Steuerveränderungen, die wir ausdrücklich für richtig hielten und begrüßt haben: steuerfreies Existenzminimum und Verbesserungen für die Familie. Sie wissen, daß wir dies alles trotz schwierigster Haushaltslage auf den Weg gebracht haben.
Mit der Entscheidung, den Kohlepfennig nicht durch eine Ersatzsteuer auszugleichen, hat sich die Koalition zusätzlich selbst gebunden. Daß es der Regierung gelungen ist, den vorgesehenen Finanzrahmen auch bei der Nettoneuverschuldung trotz einer zusätzlichen Belastung von 7 bis 8 Milliarden DM einzuhalten, zeigt, daß das, was wir gemacht haben, richtig war. Das zeigt auch, daß ein Weg aus diese m totalen Steuerstaat hinaus möglich ist.
Deshalb ist es für uns auch unverständlich, daß das neueste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichbehandlung von Vermögenswerten sofort wieder Anlaß ist, über Steuererhöhungen oder zusätzliche Steuern nachzudenken. Wir glauben, daß gerade wegen der überproportionalen Belastung mittlerer Vermögen durch die derzeitige Vermögensteuer, die aus der Begründung hier herauszulesen ist, eine künftige Regelung des Gesamtsteuerkomplexes eher den Fortfall als eine Ausweitung dieser Steuer nach sich ziehen sollte. Aber mit Blick auf die Vermögensteuer sind dies Schlachten von übermorgen. Die wichtige Schlacht von morgen wird auf dem Feld des sogenannten Solidarzuschlags ausgetragen.
Politiker aus mehreren Parteien haben off offensichtlich schnell vergessen, daß dieser Solidarzuschlag ganz ausdrücklich eine Sonderbelastung auf Zeit
Dr. Wolfgang Weng
sein sollte und sein muß. Hieran wird die F.D.P. immer wieder erinnern - ich freue mich, daß der Fraktionssprecher der Union hier gleiches gesagt hat -, solange diese Sondersteuer nicht abgeschafft ist. Eine dauerhafte Erhöhung dieser direkten Besteuerung gerade der Leistungsträger in unserer Gesellschaft ist nicht hinnehmbar.
Es ist manchmal schon erschreckend - eine große Sonntagszeitung hat eine Reihe von Namen auch von Kollegen des Koalitionspartners genannt -, in welcher Weise statisch denkende Politiker und Interessenvertreter rein buchhalterische Rechnungen anstellen, anstatt aktiv gestaltend den notwendigen steuerpolitischen Weg zu gehen.
Der F.D.P. wäre am liebsten - das ist bekannt -, wenn der Solidarzuschlag in einem konkreten Zeitplan, der unseren Bürgern die Sicherheit dieser Entwicklung aufzeigt, abgeschafft werden könnte.
Das heißt aber ausdrücklich nicht - Herr Kollege Krüger, dabei blicke ich Sie an -, daß wir die notwendigen Transferleistungen für die neuen Bundesländer nicht weiter leisten wollen. Dies darf man in diesem Zusammenhang nicht in Bezug setzen.
Mit Blick auf die gemeinsame Erklärung der Hauskälter der Koalition sage ich allerdings ebenfalls, daß auch bei den Leistungen für die neuen Bundesländer künftig stärker differenziert werden muß, daß Dauersubventionen, daß Gießkannensubventionen auch in den neuen Bundesländern in Zukunft schädlich sind. Hier stehen wir an einem Neubeginn.
Da wir wissen, daß der Bundesfinanzminister und die große Zahl der Kollegen der Union unsere Auffassung teilen, daß der Solidaritätszuschlag schnellstmöglich entfallen muß, werden wir diese Kräfte in der Union besonders stark unterstützen, und wir hoffern, daß sie sich in ihren eigenen Reihen durchsetzen. Denn von der Opposition, von den Grünen und der SPD, ist natürlich wie immer bei Steuern hier nichts Positives zu erwarten.
Der Generalsekretär der F.D.P., Guido Westerwelle, hat in einem vielbeachteten Interview unsere Verantwortung für die heranwachsende Generation auch mit Blick auf die steigende Schuldenlast ausgedrückt und für die Freien Demokraten deutlich gemacht, daß es ein Traumziel wäre, eine Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte überhaupt zu untersagen.
Wir wissen, daß man in anderen Staaten, z. B. in den Vereinigten Staaten von Amerika, ebenfalls solche Überlegungen anstellt. Natürlich ist es bis zu diesem Punkt noch ein weiter Weg. Ich sage aber: Bei
unseren Konsolidierungsbemühungen bei allen Haushalten der letzten Jahre, nach dem Wechsel der Koalition, hatten wir ein solches Traumziel durchaus vor Augen. Nicht umsonst haben wir auf seiten der Koalition in der Vergangenheit z. B. beim Bundesbankgewinn und jetzt auch beim Erblastentilgungsfonds Elemente zur Tilgung von Staatsschulden eingebaut;
dies geschah übrigens meistens gegen den Widerstand der Opposition, damals noch im wesentlichen der SPD, bei der ja das Geldausgeben und die Höherbelastung der Bürger immer die erste Idee ist, wenn es um Steuerpolitik geht.
Die Handlungsfähigkeit wird in den künftigen Haushalten durch immer wachsende Zinslasten eingeschränkt; da hat Guido Westerwelle recht. Ich sage aber in aller Deutlichkeit: Wir hätten eine solche Verschuldung ohne die aus der deutschen Einheit resultierende Sondersituation niemals gehabt und auch niemals akzeptiert.
Hinzu kamen die Lasten, die insgesamt aus dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums für die Bundesrepublik Deutschland entstanden sind.
Es sind übrigens nicht nur die steigenden Zinslasten, die künftige Spielräume einschränken. Von vielen Fachleuten wird in letzter Zeit verstärkt darauf hingewiesen, daß auch die künftigen Versorgungslasten dazu führen. Wenn man eine Prognose der Entwicklung anhand von Grafiken sieht, kann man nur erschrecken und froh sein, daß wir uns im Rahmen einer Finanzplanung verhalten, bei der ein Abflachen wieder möglich wird. - Die Koalition ist deshalb auf dem richtigen Weg, da sie durch die Verringerung der Zahl öffentlich Bediensteter solche künftigen Belastungen wieder eingrenzt.
Auch die Ministerpräsidentin Simonis aus Schleswig-Holstein, der SPD zugehörig, hat dies erkannt und sich vom Saulus zum Paulus - da sie eine Frau ist, kann man vielleicht Paula sagen - gewandelt. Obwohl aber bei den Bundesländern die Belastung der Haushalte durch das Personal wesentlich größer ist als beim Bund, ist sie mit ihrer Stimme bisher noch fast alleine. Wir hingegen, die Koalition, haben schon im laufenden Jahr durch eine kegelgerechte Absenkung der Zahl der Bundesbediensteten eine gewisse Entspannung erreicht; dies führen wir fort.
Die F.D.P. will einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst. Gerade deshalb ist es unsere Überzeugung, daß die Zahl der öffentlich Bediensteten ein gewisses Maß nicht überschreiten darf. Da wir eine leistungsfördernde Kegelstruktur im öffentlichen Dienst wollen, muß die Zahl der öffentlich Bediensteten auf das notwendige Maß beschränkt sein.
Meine Damen und Herren, in diesem Bereich liegen große Herausforderungen vor uns, wenn es darum geht, den Umzug nach Berlin und im Zuge
Dr. Wolfgang Weng
der Entscheidungen der sogenannten Föderalismuskommission auch den Umzug einer großen Zahl von Bundesbehörden innerhalb der Bundesrepublik vor allem in Richtung Bonn zu bewältigen. Die mahnenden Stimmen, die uns mit Blick auf die Lasten der jungen Generation vor großzügigen Vorruhestandsregelungen warnen, sind berechtigt.
Gerade weil die F.D.P. vielleicht mehr als andere Parteien auf ein leistungsfähiges Berufsbeamtentum setzt, sind wir dem Koalitionspartner dafür verbunden, daß er die Bereitschaft für notwendige Reformen im Bereich des öffentlichen Dienstrechts zeigt und daß wir hier gemeinsam eine Reihe von notwendigen Maßnahmen in Angriff nehmen können. Bei der SPD ist hier wie immer, wenn es um Zukunftsfragen geht, Fehlanzeige.
Wir glauben, daß sowohl eine Erprobung auf Dienstposten vor der Beförderung als auch eine Probezeit in Führungspositionen eine noch bessere Verwaltung nach sich ziehen wird, und wir glauben, daß auf Grund der Erfahrungen auch im Zusammenhang mit der deutschen Einheit eine Verbesserung des Personaleinsatzes erreicht werden muß. Die Abordnung zu anderen Dienstherren ebenso wie die Versetzung in andere Laufbahnen sollten im Rahmen der Treuepflicht unserer Staatsbediensteten eigentlich fast selbstverständlich sein. Leider war die Erfahrung im Zuge der deutschen Einheit, auch in der Frage der Transparenz bei verschiedenen Gebietskörperschaften, so, daß wir nicht zufrieden sein konnten, daß wir hier, wie Sie wissen, in erheblichem Maße zusätzlich finanzieren mußten. Ich will mit dieser Kritik ausdrücklich nicht diejenigen, die sich hier unter eigenen Opfern bereit erklärt haben, am Aufbau der neuen Bundesländer mitzuwirken, kritisieren. Hier hat es viel lobenswertes persönliches Engagement gegeben.
Aber wir wissen auch und müssen das im Rückblick sagen, daß die Zahl derer, die zu solchem Engagement, solchen Opfern bereit waren, bei weitem nicht ausreichend gewesen ist.
Die F.D.P. wird auch bereit sein, im Rahmen der Haushaltsberatungen in der Frage beamteter Spitzenpositionen in den Bundesministerien Einschränkungen mitzutragen. Wer die Personalhaushalte der Bonner Bürokratie und der nachgeordneten Bürokratie vor und nach der Wiedervereinigung betrachtet, sieht, daß es zu überproportionaler Ausweitung von Stellen gekommen ist. Manches davon war in der aktuellen Situation begründet, aber jetzt muß wieder sorgfältig geprüft und gegebenenfalls reduziert werden. In jedem Fall ist in diesem Zusammenhang die Forderung von F.D.P. und Koalition richtig, daß vor jedem Umzug - nicht nur nach Berlin, auch vor jedem anderen Umzug - eine sorgfältige Organisationsprüfung stattfinden muß. Der Umzug von Behörden, meine Damen und Herren, bietet auch die Chance zu einer leistungsgerechten Neustrukturierung, und diese Chance werden wir nutzen.
Die F.D.P. setzt auf private Initiative. Deregulierung und Privatisierung sind die politischen Mittel der Wahl. Ich staune rückblickend immer wieder, mit welcher Geschwindigkeit die bayerische Landesregierung hier in der Vergangenheit vorgegangen ist, nachdem man dort lange Jahre ganz andere Konzepte verfolgt hatte. Die Bundesregierung hat z. B. im Zusammenhang mit der Bahnprivatisierung eine richtige und neue Strategie entwickelt, die jetzt auch bei der Finanzierung der Bahn ihren Niederschlag findet. Meine Damen und Herren, wenn schon auf Grund der Haushaltsenge nicht alle Investitionswünsche finanzierbar sind, so kann man doch durch Privatisierung zusätzliche Spielräume schaffen. Die privatisierte Bahn muß sich auch wie ein richtiger Privater verhalten.
Zähes Klammern an nicht benötigte Immobilien war in der Vergangenheit falsch. Hier ist uns mancher Ansatz, auch im kommunalen Bereich - da hört man immer wieder Klagen -, von der Bahn blockiert worden. Dies wird künftig noch falscher sein, weil es jetzt kurzfristig Entwicklungsmöglichkeiten der Bahn einschränkt, wenn man hier auf dem Standpunkt beharrt.
Ich bin dem Kollegen Thiele außerordentlich dankbar, daß er unter dem Stichwort „Wohnungen in Bahnbesitz" darauf aufmerksam gemacht hat, daß die Veräußerung einer großen Zahl von bundesbahneigenen Wohnungen an die Mieter erhebliche finanzielle Mittel freisetzen würde. Nicht nur dies, meine Damen und Herren: Der Wegfall einer teueren Verwaltungsbürokratie wäre eine angenehme Begleiterscheinung, vor allem aber die Schaffung von Eigentum bei vielen Menschen gerade mittlerer und niedriger Einkommensgruppen wäre ein außerordentlich positiver zusätzlicher Effekt einer solchen Privatisierungskampagne.
Sie werden die F.D.P. immer auf der Seite derjenigen finden, die breitgestreutes Eigentum für besser halten als sozialistische Verwaltungsmonopole. Deswegen fordern wir die Bahn ausdrücklich auf, diese Privatisierungen in Angriff zu nehmen.
Lassen Sie mich noch einen Satz zu dem auch hier in der Debatte angeklungenen Stichwort sachfremde Leistungen der Sozialversicherungen sagen. Gerade die durch die Wirtschaftskrise 1993 verursachten Zahlungen an die Bundesanstalt für Arbeit haben ja auch den Bundeshaushalt massiv belastet. Das hat Nachwirkungen bei der Finanzplanung. Ich widerspreche denjenigen nicht, die sagen, daß hier eine Reihe von Leistungen eigentlich logischerweise steu-
Dr. Wolfgang Weng
erfinanziert sein müßten. Eine große deutsche Tageszeitung hat ja vor einigen Tagen den Umfang solcher Zahlungen mit 112 Milliarden DM angegeben. Dies ist sicher überzeichnet. Es gibt jedenfalls eine Reihe solcher Leistungen, die steuerfinanziert sein müßten, und es handelt sich hier um erhebliche Dimensionen.
Ich sage noch einmal rückblickend, daß es in der damaligen Situation der deutschen Wiedervereinigung keine andere Wahl gab,
als die Dinge so zu machen, wie die Koalition sie gemacht hat.
Dabei bleibe ich; das habe ich hier mehrfach gesagt. Ich vertrete das weiterhin.
Das ganze - so sage ich es einmal - finanzpolitische Durcheinander dieser Übergangsphase wäre anders nicht zu regeln gewesen. Man konnte es nur so regeln, wie wir es getan haben.
Aber ich sage auch mit Blick auf diejenigen, die jetzt meinen, sie hätten eine neue Geldquelle aufgetan: Ein Umbau könnte hier zunächst einmal nur unter konzentrierter Überprüfung der Leistungen stattfinden. Das heißt, mancher liebgewordene Wildwuchs, der in den Selbstverwaltungen nicht in genügender Weise abgebaut worden ist, würde dann verändert werden. Wenn Sie daran denken, daß die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit so ausgelegt sind, daß der Bundesarbeitsminister einmal in einer Haushaltsdebatte sagen konnte, daß man, wenn man nur ein wenig nachschaue, ganz schnell anderthalb Milliarden Mark einsparen könne, dann zeigt das, daß in der Vergangenheit eine ganze Menge Überflüssiges finanziert wurde.
Zahlreiche ABM-Plätze sorgen, wie Sie wissen, auch dafür, daß keine neuen Arbeitsplätze entstehen können. Öffentliche Beschäftigung ist im Zweifel immer schlechter als die Vergabe von Aufträgen durch die öffentlichen Hände an die freie Wirtschaft.
Ich sage deswegen aber zu all solchen Überlegungen in bezug auf die Umsetzung solcher Leistungen: Hier ist keine neue Geldquelle in Sicht; vielmehr müßte eine solche Umsetzung natürlich durch Senkung der Beiträge voll ausgeglichen werden, da ja in der Konsequenz die steuerlichen Belastungen höher wären.
Allerdings wäre die Senkung von Lohnzusatzkosten eine wünschenswerte Verbesserung für den Wirtschaftsstandort Deutschland, die wir ebenfalls begrüßen.
Ihr Modell zusätzlicher Steuerbelastungen, das Sie immer und immer wieder aufbringen, werden wir nicht mittragen. Was heute von Ihnen zugesagt worden ist, werden wir erst einmal vorgelegt bekommen müssen, damit wir es in den tatsächlichen finanziellen Auswirkungen prüfen können. Bis jetzt haben Sie ja nichts Konkretes, sondern mehr Nebulöses gesagt. Die Erfahrung der Vergangenheit zeigt, daß Sozialdemokraten immer auf der Matte sind, um Mehrbelastungen der Bürger zu verursachen.
Meine Damen und Herren, ich habe dies deswegen so ausdrücklich gesagt, weil es viele, auch Kolleginnen und Kollegen, gibt, die bei dem Stichwort „Sachfremde Leistungen durch die Sozialversicherungen" beifällig nicken und meinen, daß dann neu Geld ausgegeben werden könne. Meine Bitte geht auch an die Bürger im Land: Fragen Sie immer jeden Verteilungspolitiker, der Ihnen solche Versprechungen macht, wer oder wodurch solche Dinge bezahlt werden sollen.
Die F.D.P.-Fraktion wird bei der jetzt anstehenden Detailberatung des Haushalts politische Schwerpunkte setzen; sie wird natürlich zusätzliche Sparvorschläge machen. Vor allem im Bereich der Subventionen dürfen Sie mit uns rechnen. Ich sage aber ebenfalls: Es wird Initiativen für die Steigerung gewisser Aufwendungen geben, im Bereich von Bildung und Kultur ebenso wie bei der Förderung des Mittelstandes.
Haushalt ist Bilanz und aktive Gestaltung. Der Entwurf 1996, die vorgelegte Bilanz der Bundesregierung, ist gut.
Natürlich kann das noch verbessert werden. In die jetzt folgende Gestaltung durch das Parlament wird unsere Fraktion bei gewohnt guter Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner die klare Verfolgung liberaler Ziele einbringen.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Dr. Christa Luft, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Vorlage dieses Haushaltsentwurfs für 1996 und der mittelfristigen Finanzplanung kann der Finanzminister - er telefoniert gerade - selbst mit einer Rede, von der er meint, sie habe ihm
Dr. Christa Luft
Vergnügen bereitet, eines, so finde ich, doch nicht mehr kaschieren: Diese seit eineinhalb Jahrzehnten amtierende Bundesregierung begnügt sich offenbar nicht mehr damit, scheibchenweise den Abbau des Sozialstaates weiterzubetreiben, sondern sie hat die Nachkriegssozialordnung aufgekündigt,
und dies zu einem Zeitpunkt, da sie die Abstinenz aufgegeben hat, deutsche Truppen auf militärische Schauplätze des Auslands zu schicken.
Ich finde, das sind zwei sehr, sehr makabre Zäsuren fünf Jahre nach der deutschen Einheit.
So wie man Frieden nicht erbomben lassen kann,
kann man den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht dadurch attraktiver gestalten - Herr Kollege Weng ist leider weg -,
daß man ihn als Standort geistigen, kulturellen, sozialen Lebens für Millionen Menschen immer weniger erlebbar macht.
Wenn dieses präsentierte Zahlenwerk in seinen Grundkonturen unverändert bleibt, dann wird das Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland am Ende dieses Jahrtausends eine andere Gestalt haben, die sich heute viele vermutlich noch nicht vorstellen können.
Ich will überhaupt nicht bezweifeln, daß die Zahl der Vermögenden vermutlich nicht abnehmen wird. Ich will auch nicht bezweifeln, daß die Menschen, die Arbeit haben - erst recht, wenn es sogar zwei in einer Familie sind -, ein auskömmliches Leben führen werden. Sie werden allerdings wenig Muße haben bei dem zunehmenden Streß. Aber daneben gibt es doch noch etwas: Wir werden mit Massenarbeitslosigkeit als Dauerzustand zu rechnen haben. Die These von der Eigentumsbildung durch fleißige Arbeit werden immer mehr Arbeitswillige als Verhöhnung empfinden müssen. Die Schar der Sozialhilfeempfänger wird anschwellen, und sie wird immer jüngere Leute umfassen. Im Ostteil Berlins ist schon heute die Hälfte aller Sozialhilfeempfänger jünger als 25 Jahre. Im Westteil beträgt der Anteil dieser Altersgruppe 42 %. Ich finde, das ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland kein ermutigendes Zeichen.
Ob Sie die Sozialhilfeempfänger, auch die Obdachlosen - beispielsweise an den Bahnhöfen Berlins - damit vergnügen können, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie Ihnen vorlesen, was ausländische Institute oder Zeitungen Lobendes über die deutsche Finanzpolitik schreiben, scheint mir doch sehr fraglich. Sozialhilfeempfänger werden Sie auch kaum
mit der steuerlichen Wohneigentumsförderung erfreuen können. Diese erwarten ganz einfach etwas anderes als diesen haushaltspolitischen Verschnitt. des sozialen Wohnungsbaus und des Wohngeldes.
Es ist eine einzigartige Entwicklung in der deutschen Geschichte der letzten 200 Jahre, daß die Geburtenrate in Ostdeutschland um mehr als die Hälfte zurückgegangen ist. Man wird Leute mit Kinderwagen zumindest in den neuen Ländern in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch viel seltener auf der Straße treffen. Das ist eindeutig eine Folge der Zukunftsunsicherheit, die die jungen Menschen empfinden.
- Das artikulieren sie in jeder Umfrage; das ist keine Erfindung von uns.
Diese Bundesregierung setzt auf eine Dreifaltigkeitspolitik. Sie fußt auf Deregulierung, Flexibilisierung, Privatisierung. Die Zauberkraft haben diese Begriffe aber längst verloren. Ich sage ja gar nicht, daß man in jedem Fall gegen Privatisierung sein muß. Aber wohin Privatisierung tendiert, haben wir kürzlich wieder mit dem Vorstoß der Telekom erlebt, die Gebühren für Telefongespräche an frequentierten Plätzen dieses Landes ohne zusätzliche Leistung erhöhen zu wollen.
Was Deregulierung bringt, zeigt die Ausbildungsplatzsituation. Sie haben nun eine Minute vor zwölf noch die Notbremse gezogen - ich bin über dieses Programm sehr froh; das sage ich ehrlich -, aber daß Sie mit den Nerven der jungen Leute und deren Eltern über viele Monate Schindluder getrieben haben, scheint Sie einfach kalt zu lassen.
Außerdem greift das Hals über Kopf aufgelegte Ausbildungsprogramm immer noch zu kurz. In Berlin suchten kurz vor Beginn des neuen Lehrjahres 7 000 Schulabgänger einen Ausbildungsplatz. Berlin bekommt ganze 1 500 Stellen aus diesem Schnellprogramm ab. Aber für den Einsatz deutscher Soldaten im früheren Jugoslawien haben Sie ganz locker und ganz fix 350 Millionen DM springen lassen. Sie hätten für dieses Geld gut und gerne 6 000 bis 7 000 weitere Lehrstellen finanzieren können.
Für eine aktive Arbeitsmarktpolitik ist in diesem Haushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung kein finanzieller Rahmen erkennbar. Auch der bis Ende des Jahrtausends zumindest in den neuen Bundesländern weiterhin prekären Situation auf dem Gebiet der Ausbildungsplätze wollen Sie offenbar nur mit weiteren Beschwichtigungen und Appellen begegnen; denn eine angemessene haushaltspolitische Vorsorge ist nicht getroffen worden.
Dr. Christa Luft
In den Haushaltsansätzen für Forschung und Bildung ist kein Horizont erkennbar, der für die Jugend ermutigend wäre. Dieser Haushalt dümpelt mit 15,5 Milliarden DM bis zum Ende des Jahrtausends dahin. Er bietet nicht einmal für den Inflationsausgleich der betroffenen personalintensiven Bereiche Raum.
Unsere Hauptforderungen für das Haushaltsjahr 1996 und die Finanzplanung bis 1999 lauten:
Erstens. Eine Änderung der Prioritäten bei den Ausgaben. Ich kann infolge der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung steht, nur Beispiele nennen. Es gibt offensichtlich einen Widerspruch zwischen dem Wort der Regierung und der haushaltspolitischen Tat. Wenn die Bundesrepublik - wie die Regierung ständig betont - seit dem Zerfall des Ostblocks nur noch von Freunden und Partnern umgeben ist und ein Angriff auf ihr Territorium auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist - glücklicherweise -, dann verzichten Sie doch auf die militärischen Beschaffungsprogramme und die Aufstockung des Rüstungsetats. Beides geht nicht zusammen, zu sagen, wir seien nur noch von Freunden und Partnern umgeben und niemand greife uns an, gleichzeitig aber den Rüstungsetat aufzustocken.
Ich sage jetzt nichts zum Jagdflugzeug; dazu ist schon gesprochen worden. Aber wozu gibt es eine Beteiligung am WEU-Spionagesatellitenprojekt und am Aufbau neuer Raketenabwehrsysteme? Nehmen Sie doch die dafür veranschlagten Milliarden als Grundstock für einen Neuansatz in der aktiven Arbeitsmarktpolitik, z. B. für einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, auch wenn er Herrn Weng nicht zusagt. Damit kämen gut ausgebildete Arbeitsuchende in Lohn und Brot, Kommunen würden von Sozialhilfekosten entlastet, es entstünden zusätzliche Kaufkraft und eine Quelle für neues Steueraufkommen. Ist das wirtschaftspolitisch nichts? Obendrein würden bisher brachliegende gesellschaftlich notwendige Aufgaben endlich in Angriff genommen und lokale Ressourcen stärker genutzt sowie regionale Wirtschaftskreisläufe in Gang gebracht.
Wenn die Regierung Weichen für eine ökologische Marktwirtschaft stellen will: Wie verträgt sich z. B. die vorgesehene Kürzung der Ausgaben für die Bahn damit? Wir fordern eine Revision dieses Bundesverkehrswegeplanes mit drastischen Kürzungen bei Straßenbauprojekten zugunsten der Investitionen in die Schiene.
Wenn die Bundesrepublik für die Zukunft fit gemacht werden soll - wie es immer heißt -, dann kann der Etat des sogenannten Zukunftsministeriums nicht über Jahre hinweg gedeckelt werden. In starkem Kontrast dazu steht der schwammige Haushalt der allgemeinen Finanzverwaltung, der von Jahr zu Jahr beträchtlich aufgestockt wird.
Zweitens fordern wir, bisher nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten für ein höheres Steueraufkommen zu nutzen und den Umgang mit öffentlichen Geldern wirtschaftlich zu gestalten. Ringen Sie sich, Herr Bundesfinanzminister, endlich dazu durch, gemeinsam mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus den EU-Ländern die Erhebung einer Steuer auf Devisenumsätze vorzubereiten. Milliarden kämen zusätzlich in die Kasse.
Kapitaltransfer ins Ausland wäre weniger lohnend. Der Lohnkostenvorteil einiger anderer Länder gegenüber der Bundesrepublik würde relativiert, vielleicht kompensiert.
Wenn Sie Bundesvermögen weiter privatisieren, dann verwenden Sie die Erlöse doch für die Schuldentilgung statt für das Stopfen neuer Haushaltslöcher. Legen Sie die Zurückhaltung bei der Besteuerung von Spekulationsgewinnen sowie bei der Besteuerung der Einkommen jener Bevölkerungs- und Berufsgruppen ab, die öffentliche Leistungen in Anspruch nehmen, ohne einen adäquaten Beitrag an die öffentlichen Kassen zu leisten.
Verhindern Sie, daß zur Förderung vorgesehene Millionen von cleveren „Absahnern" in private Taschen gesteckt werden, statt sie dem Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland zugute kommen zu lassen! Bekämpfen Sie Korruption, Bestechung und Wirtschaftskriminalität! Im Sommer konnte man darüber täglich in jeder Zeitung lesen. Fordern Sie z. B. die an Treuhandmanager gezahlten üppigen Prämien für Privatisierungen zurück, die sich als Flop erwiesen haben!
Sorgen Sie dafür, daß mit den Humanressourcen und dem Sachvermögen in Ostdeutschland endlich wirtschaftlich umgegangen wird und nicht mit politischem Vorurteil wie bisher! Lassen Sie uns dem vielstrapazierten Erblastentilgungsfonds endlich einen Erbzuwachsfonds gegenüberstellen, und setzen Sie sich für dessen bestmögliche Nutzung für das vereinigte Land und seine Menschen ein!
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Adolf Roth.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, der bisherige Verlauf dieser Haushaltsdebatte ist für die Beobachter sehr aufschlußreich. Die zentrale Botschaft, der Tenor der Einbringungsrede unseres Bundesfinanzministers Theo Waigel war klar und unüberhörbar: Die Finanzpolitik der Bundesrepublik steht unter dem Regime einer energischen Sparsamkeit, die aber nicht als Selbstzweck, sondern als Teil einer Strategie zukunftsorientierter Entwicklung und Standortverbesserung verstanden wird.
Sparsamkeit habe ich bei der SPD bis dato nur beim Blick auf die eigenen Beiträge zu einer vernünftigen alternativen Entwicklung von Haushaltspolitik heraushören können. Das, was Sie, Frau Kollegin
Adolf Roth
Matthäus-Maier, vorgetragen haben, war uns wohlbekannt. Es hat jedoch nicht im geringsten dazu beigetragen, nun eine Innovation unserer Haushaltsund Finanzpolitik zu erreichen.
Wenn Sparsamkeit das kategorische Gebot der deutschen Finanzpolitik ist, dann hat, glaube ich, Theo Waigel nicht nur bei diesem Haushalt, sondern auch in den letzten Jahren, die schwer genug waren, eine wirklich vernünftige Haushaltslinie entwickelt, die wir unterstützen. Gerade von uns, dem Parlament, dem Haushaltsgesetzgeber erwarten die Steuerzahler, daß wir in den nächsten Jahren das Dringlichste erreichen, nämlich die überhöhten Steuerlasten in der Bundesrepublik zu senken. Das geht natürlich nur, wenn wir alle Instrumente nutzen, nämlich die Reduzierung der öffentlichen Defizite und die Rückführung des Anteils am gesamten Wirtschaftsergebnis unseres Landes auf das Normalmaß, das wir hatten, bevor 1989/90 der Wiedervereinigungsprozeß begonnen hat.
Wir haben damals eine siebenjährige, kraftvolle Finanzpolitik hinter uns gebracht, die uns optimale Eckwerte bescherte. Genau dorthin wollen wir zurück. SPD und Grüne haben uns leider auf diesem Weg keinen eigenen Beitrag geleistet, wie es eigentlich aus der Mehrheitssituation im Bundesrat ihre Pflicht wäre.
Die ganze Widersprüchlichkeit dieser Politik ist heute in vielem deutlich geworden. Es wird wortreich angegriffen, notwendige Ausgabenbegrenzungen werden diffamiert, Mehranforderungen werden präsentiert. Das Elend der SPD-Finanzpolitik gerade in diesem Jahr ist doch jedem in seinen einzelnen Etappen deutlich geworden.
Im Frühjahr gab es die völlig unsinnige und im Ergebnis Gott sei Dank folgenlose Blockadepolitik gegen den Bundeshaushalt 1995. Im Sommer war es die Politik einer Strategie, die eigenen Taschen aus der Ländersicht heraus zuzunähen und den Bundeshaushalt gleichzeitig durch Mehranforderungen im Rahmen der Steuergesetzgebung weiter zu belasten. Im Herbst soll noch draufgesattelt werden. Es soll sich keiner wundern, wenn im Winter Tränen der Verzweiflung vergossen werden.
Diese Strategie der SPD kann nicht aufgehen, weil sie mit der aktuellen Entwicklung nichts zu tun hat. Wir haben die Finanzierungsdefizite gerade im laufenden Jahr 1995, und zwar gesamtstaatlich, um über 50 Milliarden DM senken können. Das hat den Beifall der OECD gefunden; das hat die Anerkennung der Bundesbank und der Institute gefunden.
Herr Bundesfinanzminister, Sie sind mit diesem Etat auf dem richtigen Weg. Deshalb wird dieser Kurs auch unsere parlamentarische Unterstützung finden.
Meine Damen und Herren von der Opposition, täuschen Sie sich nicht: Mit dieser Strategie werden Sie auch in der Öffentlichkeit keine politischen Punkte sammeln können. Natürlich ist es im einzelnen immer unpopulär und auch mit Opfern verbunden, wenn sich der Staat bestimmten Einschränkungen seiner Aktivitäten unterwirft. Sie reagieren darauf nur mit der abgegriffenen Münze oberflächlicher Sozialpolemik und beantworten die Frage nicht, wo denn die Spielräume für weitere expansive Verteilungsoperationen verfügbar wären. Ich glaube, hier müssen Sie Ihre Politik einer grundsätzlichen Revision unterziehen. Ich hoffe, daß die Haushaltsberatungen in den nächsten Wochen dazu Gelegenheit geben.
Frau Kollegin Matthäus-Maier hat negative Merkmale dieses Bundeshaushalts zu formulieren versucht. Sie waren nicht neu. Ich sage: Dieser Haushalt ist durch mehrere sehr positive Merkmale geprägt:
Erstens. Es ist ein Haushalt der Stabilität; er ist vertrauensbildend und damit zukunftsorientiert. Es geschieht doch zum erstenmal, daß die deutsche Öffentlichkeit nun auch in Zahlen den Beweis geliefert bekommt, daß Sparen nicht eine leere Programmformel ist. Die Ausgabenentwicklung bewegt sich im Minusbereich. Im nächsten Jahr senken wir die Ausgaben bereinigt um 1,3 % gleich 6 Milliarden DM auf 452 Milliarden DM.
Es gibt kein besseres Signal für die Finanzmärkte, für die Investoren, für die Verbraucher in Deutschland.
Das zweite Merkmal, Frau Kollegin MatthäusMaier: Dieser Etat ist konsequent und beispielsetzend auch und gerade beim Blick auf unser strategisches Ziel 2000, das Sie in Ihr Repertoire niemals aufgenommen haben. Wir wollen die überhöhten Staats- und Abgabenquoten senken, wir wollen die Steuerbelastung nach unten führen. Dabei müssen dann allerdings auch die anderen Ebenen, die Bundesländer, die Kommunen und die Sozialversicherungsträger, ihren Beitrag leisten.
Drittens. Der Etat ist bürgerfreundlich und konjunkturgerecht, weil er die Steuerzahler, die Verbraucher entlastet, weil er der Wirtschaft Impulse vermittelt. Mit einem Entlastungsvolumen von 27 Milliarden DM oder 0,8 % des Bruttoinlandsprodukts ist diese positive konjunkturelle Wirkung durchaus erwartbar.
Meine Damen und Herren, CDU und CSU werden deshalb im Haushaltsverfahren keine Aufweichung dieses harten Sparkurses und dieses Kurses der Ausgabenbeschränkung zulassen. Es ist für uns schlichtweg eine Frage der ökonomischen Vernunft und Notwendigkeit, die Ausgaben, so wie es im Finanzplan
Adolf Roth
des Ministers aufgezeigt wurde, bis zum Jahr 1999 im Grunde überhaupt nicht mehr expandieren zu lassen. Mit einem durchschnittlichen Ausgabenanstieg, der knapp über 1 % liegen wird, ist dies real zunächst nur eine Absicherung des seitherigen Ausgabevolumens des Staates. Diese Handschrift des Regierungsentwurfs und der Finanzplanung ist aus unserer Sicht ordnungspolitisch völlig in Ordnung. Wir werden demgemäß keine andere Partitur schreiben. Wir wollen diese vertrauensbildende Politik unterstützen.
Wo wir im Haushaltsverfahren als Parlamentarier Veränderungen vornehmen - das ist unser Recht und unsere Pflicht -, wo wir etwas bewegen, wo wir nachsteuern, da müssen wir strukturell verbessern. Der Haushaltsausschuß ist nicht dafür bekannt, daß er sich durch übertriebene Konzessionsbereitschaft auszeichnen würde, im Grunde auch bei der SPD, jedenfalls den Fachkollegen, nicht. Daraus leiten wir den Schluß ab, daß wir dort, wo wir Strukturen modernisieren können, wo wir etwas nach vorne bringen können, das auch erreichen wollen, aber bitte in den Grenzen der gesamtwirtschaftlichen Vernunft.
Herr Kollege, ich darf Sie einen Moment unterbrechen. Ich bin mir nicht klar, ob Kollege Voigt eine Zwischenfrage stellen will.
Das sieht nicht so aus. Vielleicht versteht er davon auch nicht so viel.
Er hört lieber stehend zu. Bitte, fahren Sie fort.
Herr Präsident, im beschlossenen Regierungsentwurf ist die Nettokreditaufnahme für das nächste Jahr auf 60 Milliarden DM eingedämmt worden. Das war die finanzplangerechte Gestaltung dieses Haushalts - trotz all der Belastungen, trotz 12 Milliarden DM Steuerausfall im Rahmen unserer Steuersenkungspolitik, trotz des höheren Kindergelds, trotz der 8 Milliarden DM Aufwendungen, die wir jetzt für die Kohleverstromung aufbringen müssen, und vieler anderer neuer Belastungen.
Wir wollen in der Koalition und in der gemeinsamen Arbeitsgruppe an dieser Zielmarke festhalten. Kollege Weng hat das schon ausgesprochen. Aber wir erwarten, daß wir die Risiken, die jetzt zusätzlich auf den Haushalt zugekommen sind - an erster Stelle steht die neue Belastung von 1,6 Milliarden DM, die im Vermittlungsverfahren durch die Strategie der Bundesratsmehrheit auf den Bundeshaushalt gedrückt worden ist - durch Umschichtungen und Einsparungen in den Griff bekommen. Dieses bezifferbare Risiko muß weg. Wir werden diese Linie verteidigen.
Wenn Frau Matthäus-Maier mit beredten Worten immer wieder auf die Arbeitsmarktpolitik zu sprechen kommt,
dann habe ich daran zu kritisieren, daß hinter allem eine sehr technizistische Betrachtungsweise steht, als sei dies über den Bundeshaushalt in direkter Form durch Ausgaberichtungen des Bundes zu instrumentalisieren. Unsere Politik der Ausgabenbegrenzung und der Stabilitätsorientierung leistet für Wachstum, Stabilität und Arbeitsplätze in Deutschland weit mehr, als es jede sozialdemokratische Politik einer forcierten Ausgabenexpansion bewirken würde.
Meine Damen und Herren, wir haben jetzt die niedrigste Preissteigerungsrate seit sieben Jahren, seit 1988. Wir haben durch die Entscheidung der Bundesbank parallel dazu Gott sei Dank den niedrigsten Zinssatz seit sieben Jahren. Frau MatthäusMaier, die uns gerade verlassen hat,
hat noch Anfang März in einem „ Expreß " -Interview getönt: Zinsen senken, dann startet die Konjunktur durch. - Eine großartige Botschaft, verbunden mit der Aufforderung an den Finanzminister, durch strikten Sparkurs zum Abbau der Staatsschulden beizutragen, diesen Kurs anzusteuern und damit Erfolge zu erzielen. Ich hätte mir gewünscht, daß sie auf das, was der Finanzminister durch gestaltende Politik erreicht hat, irgendeine Kommentierung dem Haus gegenüber abliefert. Fehlanzeige!
Die beiden sind relativ sportliche Typen. Ich will es darum so ausdrücken: Ob das finanzpolitisch der Sprint oder die Mittelstrecke ist, ich habe das Gefühl, der Bundesfinanzminister trabt Ingrid Matthäus-Maier immer zügig voran und zeigt ihr die Hacken. Wer das in der Vergangenheit nicht gemerkt haben sollte, der hat es heute endgültig begriffen. Auch das ist ein Kompliment für Sie.
Meine Damen und Herren, wir wollen diese gefährliche Staatslastigkeit bekämpfen. Wir haben das getan. Wir haben fünf Jahre nach der Wiedervereinigung ein wichtiges Etappenziel unserer Politik erreicht. Die erste Phase der Transformation, der Übergangsfinanzierung in Deutschland ist abgeschlossen. Seit Jahresbeginn sind die neuen Bundesländer nicht mehr Zuwendungsempfänger, sondern es greift das Föderale Konsolidierungsprogramm. Die Länder haben eine verläßliche Finanzbasis, auf die sie nun allerdings zu einer eigenen Optimierung ihrer Politik angewiesen sind. Wir werden sie dabei unterstützen.
An die Adresse der SPD gerichtet, möchte ich sagen: Wer gegen Schulden und Defizite wirklich ankämpfen will, der kann natürlich nicht nur Umschichtung als Programm formulieren, wie es Frau Matthäus-Maier heute in Interviews wieder gemacht hat. Wenn sie gefragt wird: „Woher kommt das Geld?", dann sagt sie: Umschichten, eine neue Steuer muß her; man muß umverteilen, und dann kommt die Sache in Ordnung. - Nein, es muß auch
Adolf Roth
gespart werden, und das muß der Öffentlichkeit deutlich mitgeteilt werden.
Daß wir das seit Jahren tun, ist am Zahlengerüst dieses Bundeshaushaltes ablesbar. Wir haben 1994 und 1995 insgesamt 40 Milliarden DM Konsolidierungsvorsprung erwirtschaftet, was im Finanzplan so nicht vorgesehen war und was wir den Wählerinnen und Wählern in Deutschland vor der Bundestagswahl nicht einmal als unser Ziel vorstellen konnten. Wir haben das durch strikte Politik erreicht.
Das ist der Einstieg in die Zielstrategie 2000, von dem ich gesprochen habe. Wir werden das fortsetzen, weil wir wollen, daß das Vertrauen weiter gefestigt wird. Die Deutsche Bundesbank mahnt den Bundestag als das nationale Parlament immer wieder, diese vertrauensbildende Politik zu betreiben und die nachhaltig enge Begrenzung des Ausgabenwachstums auch in der Zukunft an die erste Stelle zu setzen und damit, wie die Bundesbank sagt, die grundlegende Vorbedingung für alles übrige zu schaffen.
Noch vor wenigen Monaten - jeder im Haus hat das noch im Ohr - hat die SPD mit erstaunlichsten Prognosen operiert und das Fiasko an die Wand zu malen versucht. Warum leugnen Sie eigentlich diesen erreichten klaren Durchbruch unserer Finanzpolitik? Haben Sie das nötig, obwohl Sie doch gleichzeitig - ich muß es noch einmal sagen, Herr Kollege Schmidt - allein durch die Strategie im Vermittlungsverfahren den Bundeshaushalt für die nächsten Jahre nicht nur um die 1,6 Milliarden DM für 1996 belastet haben, sondern insgesamt um 14,6 Milliarden DM bis 1998?
Wenn wir dann in die Politik der Steuersenkung eintreten wollen, sind das Beträge, die uns fehlen werden und die wir durch energische Sparaktionen dann erbringen müssen.
Wir haben die säkularen Sonderlasten bewältigen können. Wir haben die Folgen der Rezession von 1993 erstaunlich schnell überwinden können. Wir gehen jetzt auf die dritte Stufe der Maastrichtverträge, auf die Europäische Währungsunion, zu. Diese Bundesrepublik unter der finanzpolitischen Regie des Bundeskanzlers und des Finanzministers erfüllt seit 1994 sämtliche Maastricht-Kriterien. Und dabei wird es bleiben. Das werden wir in den nächsten Jahren verteidigen. Wir werden damit auch ein Beispiel für unsere europäischen Nachbarländer geben.
Das sind die Leistungen von Theo Waigel: die Finanzierung der Einheit, die starke D-Mark, das Verteidigen der nationalen Stabilitätsziele der internationalen Währungsstabilität, die Einhaltung all dieser Kriterien. Das ist in den Herausforderungen der letzten Jahre doch kein Pappenstiel gewesen. Daß dies alles gleichzeitig möglich war, muß man glaube ich, unterstreichen, und das verdient auch öffentliche Hervorhebung.
Sparpolitik ist nicht das Ende von Gestaltung. Wenn man den Bundeshaushalt nüchtern analysiert, wird man feststellen: Der Sozialhaushalt bleibt mit 146 Milliarden DM Spitzenreiter mit einem Drittel am Gesamtaufwand. Der Haushalt der Bundeswehr für die 340 000 Soldaten und die deutlich gestraffte Zivilverwaltung ist mit 48,4 Milliarden DM abgesichert und hat damit auch eine vernünftige Planungsgrundlage. Ich habe kein Verständnis dafür, Frau Kollegin Matthäus-Maier, daß Sie nun auch noch - ich muß das indirekt schlußfolgern - die Einkommensverbesserung für unsere Soldaten - das ist der einzige Hintergrund des Haushaltsanstiegs 1996 - auf Kosten einer modernen und guten Materialausstattung unserer Bundeswehr erreichen wollen. Etwas anderes kann ich gar nicht schlußfolgern.
Deshalb weisen wir diese Sparstrategie der Opposition zurück.
Auch für Ostdeutschland hat sich unsere Politik ausgezahlt, und sie wird so fortgesetzt. Mit dem Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost, mit unserer Politik zur Entfaltung der wirtschaftlichen Eigendynamik wollen wir diesen Prozeß vorantreiben.
Wir werden beim Hochschulbau, in der beruflichen Aufstiegs- und Fortbildung, in der mittelstandsorientierten Innovationsförderung und auf vielen anderen Feldern trotz der Haushaltsenge Akzente setzen, auch in unseren internationalen Verpflichtungen, etwa in der Entwicklungspolitik oder im osteuropäischen Reformprozeß. Das sind Ausgaben, die uns im Moment drücken. Aber hier werden keine Abstriche gemacht. Hier wird auf hohem Niveau weiterfinanziert, weil dies auch Investitionen in unsere nationale Zukunft, in unsere Sicherheit, in die friedliche Entwicklung im nächsten Jahrhundert sind.
Meine Damen und Herren, weil alles eng ist, erwarten wir natürlich von jedem einzelnen Mitglied des Bundeskabinetts die besondere Wahrnehmung seiner Chefverantwortung auch in Sachen Kreativität und Prioritätensetzung, d. h. Konzentration auf das Wichtigste. Wir haben den Ausgabenanteil des Bundes am Bruttoinlandsprodukt deutlich zurückgeführt. Er ist jetzt wieder so niedrig wie 1989. Auch das wird von vielen gar nicht bemerkt. Der Anteil beträgt 12,3 % des Bruttoinlandsproduktes. Wir werden das bis 1999 auf 11,3 % absenken können. Damit wird auch die Richtung vorgegeben, daß wir von einer falsch verstandenen Staatslastigkeit weg wollen und den Staat auf die Rolle zurücknehmen, die er braucht, um seine Aufgaben erfüllen zu können.
Adolf Roth
Meine Damen und Herren, wenn wir sagen, wir wollen den Sacherfolg nicht gefährden, wir wollen dieser Bundesregierung Leistung abverlangen, dann bedeutet das auch, daß die organisatorischen Strukturen der Bundesregierung in jedem einzelnen Ressort auf den Prüfstand müssen. Wir werden in wenigen Jahren nach Berlin umziehen. Bevor die Ministerien dorthin umziehen, müssen sie sich auf den Prüfstand begeben.
Nicht jede Abteilung ist da noch notwendig; nicht jedes Referat muß in Berlin wieder so auftauchen, wie es hier in Bonn gesessen hat. Wir wollen, daß das, was der Finanzminister im eigenen Hause schon beispielhaft gemacht hat, eine Rationalisierungsstudie und Organisationsstrukturstudie, in jedem einzelnen Bundesressort möglich wird.
Der Anteil der Personalausgaben an den Gesamtausgaben des Bundes ist seit Mitte der 70er Jahre immerhin um ein Drittel gesunken. Es sind jetzt noch 12 %. Auch im nächsten Jahr werden wir das Bundespersonal deutlich reduzieren. Für die Koalitionsfraktionen ist die im Haushaltsentwurf vorgesehene 1% -Abschmelzmarge die Untergrenze. Wir werden darüber weiter diskutieren, weil wir uns mit dem erreichten Zwischenergebnis noch nicht zufriedengeben. Wir haben gegenüber dem Höchststand von 1992 mittlerweile einen Abbau von über 50 000 Personalstellen erreicht. Wir wollen, daß zum Ende der Legislaturperiode, also 1998/99, der gesamte Personalkörper des Bundes wieder den Stand erreicht, den er 1989 vor der Wiedervereinigung hatte; das sind, rund gerechnet, 300 000 Stellen. Ich glaube, das ist ein Ziel, das unsere Anstrengung verdient.
Meine Damen und Herren, wenn man beim Personal kürzt, muß man auch den Sachaufwand unter die Lupe nehmen. Hier gibt es keine Aufwüchse; hier wird überrollt, hier wird gekürzt. Wir wollen die Marke von 6 % der Gesamtausgaben, die es heute gibt, mindestens verteidigen oder sie senken.
Das Wesentliche, worauf wir uns bei dieser Haushaltsberatung für 1996 konzentrieren, ist, daß wir im Rahmen der investiven Bundesausgaben keine Fehler machen. Ich sage denen, die jetzt oberflächlich kritisieren, es sei ein Minus von 5 Milliarden DM gegenüber dem Vorjahr eingetreten: Sie sollten sich bitte einmal mit den Strukturen dieses Investitionshaushaltes beschäftigen. Darin sind u. a. Milliardenaufwendungen enthalten, die wir als Entschädigung für Bürgschaftsverpflichtungen im Exportgeschäft erstatten müssen. Wenn das im nächsten Jahr um 1 Milliarde DM zurückgeht, Herr Bundesfinanzminister, sind wir damit sehr zufrieden und hoffen, daß sich das in weiteren Jahren noch günstiger entwikkelt.
Unser Schwerpunkt wird bei den Sachinvestitionen des Bundes im Bau- und im Verkehrsbereich liegen, weil wir glauben, daß eine moderne Infrastruktur auch die Grundlage für eine verbesserte Qualität unseres Standortes Deutschland ist. Deshalb müssen wir in diese Strukturen investieren.
Meine Damen und Herren, wir haben mit diesem Haushalt 1996 ganz neue Herausforderungen zu bewältigen: Viele Einnahmen sind weggebrochen; wir haben die zweite Stufe der Bahnreform zu bewältigen. Gott sei Dank sind wir nicht ausgewichen und werden wir nicht ausweichen in eine Politik der Defizitaufschichtung; es gibt auch keine Flucht in Steuer- und Abgabenerhöhungen, wie das die SPD in ihren Unkenrufen vom Frühjahr angekündigt hatte.
Ich rate Ihnen, meine Damen und Herren: Schauen Sie auf die Entwicklung der Finanzmärkte! Diese bewerten den Beitrag dieser Bundesregierung zur Konsolidierung in Deutschland objektiver als SPD und Grüne in diesem Haus. Damit sind wir ganz einverstanden und zufrieden.
Die haushaltspolitische Strenge der Koalition hat sich ausgezahlt; sie wird fortgesetzt. Wir wollen den Solidaritätszuschlag zurückführen. Er bringt im Gesamtvolumen der nächsten Jahre immerhin 165 Milliarden DM in den Staatshaushalt.
Ich hätte mir seinerzeit mit vielen anderen durchaus gewünscht, daß wir zur Vorabauffüllung der Finanzkraft der neuen Bundesländer den Weg der direkten Zweckzuweisung aus dem Bundeshaushalt gegangen wären; das hätte den Rückweg aus dem Solidaritätszuschlag wesentlich erleichtert. Gescheitert ist dies damals am westdeutschen Länderegoismus.
Deswegen müssen wir in dieser Stunde appellieren, daß die westdeutschen Bundesländer, daß die Länder insgesamt bereit sind, die Verteilungsfragen bei der Umsatzsteuer im Lichte der neueren Entwicklung, im Lichte der verstärkten Finanzkraftbildung in den neuen Bundesländern zu überprüfen. Wenn uns das gelingt, haben wir eine weitere Voraussetzung dafür geschaffen, daß wir bei unserem Gesamtziel niedrigerer Belastung in diesem Staat am Ende erfolgreich sind.
Kein Bundeshaushalt beantwortet alle Fragen. Politik kann nie letzte Fragen beantworten. Jedes Jahreshaushaltsgesetz ist insofern vorläufig und nur eine Etappe auf dem weiteren Weg. Jedoch trägt die Konzeption des Bundeshaushalts 1996, wie heute vom Finanzminister präsentiert, durch ihre ausgeprägte Spar- und Entlastungsstrategie dazu bei, daß die Kräfte des Marktes und auch des Arbeitsmarktes in Deutschland gefestigt werden.
Wir werden diese Politik im Ausschuß konsequent begleiten und unterstützen. Wir hoffen, daß die SPD nach ihren Chaoswochen politisch wieder ansprechbar geworden ist, uns dabei irgendwo zu unterstützen.
Herzlichen Dank.
Ich erteile dem Kollegen Manfred Hampel das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe heute in der Einbringungsrede von Herrn Bundesfinanzminister Waigel einige Sätze gehört, die meinen Zweifel, ob er Bach- und fachgerecht über die Verhältnisse in den neuen Bundesländern informiert ist, in erheblichem Maße gesteigert haben.
In einem Satz kann ich Ihnen zustimmen, Herr Waigel: Die Langzeitarbeitslosigkeit ist zu hoch. Es ist auch erfreulich, daß Sie sich zu der Verantwortung bekennen. Aber für die neuen Bundesländer die Langzeitarbeitslosigkeit dem wirtschaftlichen Wachstum zu überlassen ist eine Illusion, die man einfach nicht teilen kann.
Wenn z. B. die Maßnahmen nach § 249h AFG, die nicht unbedingt ein Instrument des zweiten Arbeitsmarktes sind, sondern der Unterstützung des ersten dienen, nicht ausgeschöpft werden, weil sie vielleicht nicht effektiv und effizient genug eingesetzt werden, dann machen Sie sich bitte sehr Gedanken, wie Sie dieses Instrument verbessern können, und kürzen Sie nicht einfach!
Im Haushaltsausschuß hatten wir 1994 den Beschluß gefaßt, daß nicht mehr als 7,5 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt für die Treuhandnachfolge ausgegeben werden dürfen. Diesen Beschluß haben wir mitgetragen. 1995 sind gerade noch knapp über 5 Milliarden DM eingestellt worden. 1996 sollen es nur noch knapp über 3 Milliarden DM. sein, also deutlich weniger als die 7,5 Milliarden DM. Wenn Sie nur einen Bruchteil dieser Mittel z. B. für Maßnahmen nach § 249h verwendet hätten, dann wäre der Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern in erheblichem Maße entlastet.
Ein zweiter Satz, Herr Waigel - ich empfehle Ihnen, diesen Satz in einer Bürgerversammlung in den neuen Bundesländern laut und deutlich zu wiederholen -:
Gebühren und Abgaben der Bürger gehen zurück. Tim Sie mir bitte den Gefallen und versuchen Sie, diesen Satz bei uns zu wiederholen! In jeder Bürgerversammlung wird man erschlagen mit Klagen über Abfallgebührenerhöhurgen,
hohe Anliegerbeiträge für den Straßenbau, steigende Abwassergebühren und ähnliche Dinge. Tun Sie mir also bitte den Gefallen und gehen Sie dort hin!
Sie sprechen das Ausbildungsprogramm an. 14 500 Ausbildungsplätze sollen vom Bund gefördert werden. Das ist zunächt einmal sehr positiv, aber es reicht nicht aus. Es fehlen immer noch 30 000 Ausbildungsplätze; sie stehen nicht zur Verfügung. Auch darüber sollten Sie sich Gedanken machen und sich nicht einfach stolz auf den 14 500 Ausbildungsplätzen ausruhen. Was ist denn mit den 30 000 Menschen, die keine Existenz aufbauen können, weil sie keinen Ausbildungsplatz finden? Das sind Dinge, die im Bundeshaushalt in einem viel stärkeren Maße berücksichtigt werden müßten, als es der Fall ist.
Sie sprechen vom Abbau des Solidaritätszuschlags - vor allem Ihr Koalitionspartner F.D.P. -, am liebsten 1997.
- Ja, aber Sie müssen dabei auch die wirtschaftliche Entwicklung berücksichtigen. Nur aus der Wunschvorstellung heraus, daß dann die Bürger entlastet würden, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen ist doch keine realistische Einstellung.
Wenn die Bedingungen der wirtschaftlichen Entwicklung so sind, daß man den Zuschlag zurückfahren kann, dann werden wir die letzten sein, die ihn weiter aufrecht erhalten wollen. Aber, bitte sehr, die wirtschaftlichen Bedingungen sind doch nicht so, daß man davon ausgehen kann.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege Hampel, ist es nicht umgekehrt so, daß, um die Arbeitsplätze zu stabilisieren, die Produkte, die die Firmen verkaufen, billiger werden müssen, diese aber nur verbilligt werden können, wenn die Kosten gesenkt werden, die auf der Arbeit liegen? Das bedeutet, der Staat muß zuerst etwas tun, um die Kosten zu senken, und dann werden die Arbeitsplätze kommen. Es ist nicht umgekehrt.
Das mag als Rechengröße für eine Volkswirtschaft stimmen; da gebe ich Ihnen völlig recht.
Manfred Hampel
Aber die Verhältnisse in den neuen Bundesländern sind eben noch nicht unter marktwirtschaftlichen Bedingungen vergleichbar.
Sie können sagen: Okay, wir installieren die Marktwirtschaft und lassen es erst einmal crashen, dann sollen sich die Strukturen wie Phönix aus der Asche wieder aufbauen. Es ist ja auch ein gewisser Crashkurs in den letzten Jahren gefahren worden.
Aber, bitte sehr, das hat man doch nicht wollen können.
- Die Volkswirtschaft, die einfach nicht wettbewerbsfähig war. Da gebe ich Ihnen doch recht.
Sie sprechen davon, daß die Investitionsförderung in den neuen Bundesländern gezielt und gestrafft fortgeführt werden müsse. 1996 wird es noch nicht gar so dramatisch sein. Aber wenn ich mir ansehe, daß die Gemeinschaftsaufgabe für die neuen Bundesländer bis 1999 auf lächerliche 855 Millionen DM heruntergefahren wird, dann weiß ich nicht, ob das ausreichend sein wird. Wenn man Stimmen hört, die besagen, daß in den neuen Bundesländern selbst bei einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von durchschnittlich 10 % pro Jahr um die Jahrtausendwende gerade einmal 60 % des westdeutschen Niveaus erreicht sein werden, dann ist das meines Erachtens kein Indikator dafür, jetzt diese Fördermaßnahmen zurückfahren zu können.
Ähnliches gilt für die Innovationsförderung, ähnliches gilt auch für andere Bereiche der Förderung in den neuen Bundesländern.
Einen Punkt möchte ich auch noch anschneiden, den Sie gar nicht erwähnt haben, den aber meine Kollegin Matthäus-Maier schon ziemlich weit ausgeführt hat. Allerdings macht es die Bedeutung dieses Punktes notwendig, wiederholt auf ihn hinzuweisen.
Ich meine die Altschulden der Kommunen auf Gesellschaftsbauten. Bisher sind, ausgehend von 5 Milliarden DM bei der Währungsumstellung, ungefähr 2,4 Milliarden DM an Zinsen angefallen, so daß derzeit rund 7,4 Milliarden DM zu Buche stehen. Der Bund stellt sich auf den Standpunkt, das seien Altschulden, die er mit der Währungsumstellung buchmäßig übernommen habe und jetzt eintreiben wolle.
Dabei ist allerdings folgendes zu beachten. Erstens gibt es eine krasse Ungerechtigkeit zwischen den einzelnen Kommunen. Seitens des Bundes wird immer wieder argumentiert, davon seien nur 14 % der
Kommunen betroffen. Ich weiß aber nicht, wieviel Prozent der Bevölkerung davon betroffen sind; denn 14 % der Kommunen, das könnten auch alle Großstädte sein, alle Millionenstädte, z. B. Berlin. Wenn man die dann alle mit - wie man in Bayern sagen würde - Hintertupfingen in einen Topf wirft, dann wird eine Gemeinde mit 500 oder 1 000 Einwohnern genauso behandelt wie Leipzig, denn das sind zwei Kommunen. Das ist doch keine solide Rechnung.
- Ich habe nicht gesagt, daß es Bundesschulden sind. Aber es sind Schulden, die sicher Bund, Länder und Kommunen gemeinsam abdecken müssen.
Denn es nur auf die Kommunen abschieben zu wollen, das würde deren Handlungsunfähigkeit hervorrufen.
- Ich habe die Länder mit erwähnt; ich habe sie nicht außen vor gelassen. Aber so wie Sie sich im Moment verhalten, wollen Sie die Gelder einzig und allein von den Kommunen eintreiben. Das wird schlicht und ergreifend nicht gehen, weil diese Kommunen dann handlungsunfähig werden.
Hierbei will ich noch einen Punkt anführen: Es gibt eine Reihe von Großkommunen, die dann sehr stark verschuldet wären. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Kommunen, die mit null Schulden aus diesem Spiel herausgehen, einfach weil sie zur damaligen DDR-Zeit zufällig keine Schulden zu Buche stehen hatten.
Das ist doch eine Situation, bei der man fragen muß: Wie schafft man Gerechtigkeit zwischen allen? Das sind Gedanken, die Sie sich machen müssen.
Sie können nicht einfach sagen: Bei den Kommunen, bei denen es zu Buche steht, treibe ich es ein; dort versuche ich auch, es mit Rechtsmitteln durchzusetzen. Das ist wohl nicht praktikabel.
Zum letzten Satz, den Sie gesagt haben, Herr Waigel - da lachen nicht nur die Ostdeutschen -, das Steuersystem sei einfach und überschaubar. Fragen Sie einmal diejenigen in den neuen Bundesländern, die in den vergangenen Jahren Einkommen- und Lohnsteuererklärungen abgeben mußten. Das ist ein
Manfred Hampel
Satz, der auch hier, in den alten Bundesländern, erhebliche Heiterkeit hervorrufen wird.
Schönen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Hansgeorg Hauser.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf des Haushalts 1996, den wir heute in erster Lesung beraten, bietet die Gewähr für eine Fortsetzung der soliden und effektiven Finanzpolitik der Koalition.
Er ist der Start für eine weitere Etappe der erfolgreichen Finanzpolitik von Finanzminister Theo Waigel - ein Erfolg, der um so höher zu bewerten ist, weil er in einem schwierigen gesamtwirtschaftlichen Umfeld hart erkämpft werden mußte.
Es ist heute schon der OECD-Bericht erwähnt worden, in dem von großer Bewunderung über die Gesundung der Staatsfinanzen die Rede ist. Frau Matthäus-Maier, daß Sie den Finanzminister loben, das kann man von Ihnen nicht erwarten.
Aber angesichts dieser internationalen Beurteilung der Finanzpolitik von Theo Waigel hätten Sie zumindest einmal Ihren Respekt vor dieser Leistung zum Ausdruck bringen können.
Statt dessen haben wir heute einen absolut mißratenen Versuch erlebt, die Finanzpolitik der Fraktion wieder in den Mittelpunkt, in das Machtzentrum zu stellen. Ich glaube, das ist gründlich danebengeraten.
Meine Damen und Herren, wir können heute mit Fug und Recht behaupten, daß wir die deutsche Einheit - das ist wahrhaft eine Jahrhundertaufgabe - finanzpolitisch bisher hervorragend bewältigt haben. Allen Kassandrarufen und Schreckensszenarien zum Trotz, mit denen namentlich die SPD den Prozeß der deutschen Einheit begleitet hat: Theo Waigels konsequenter Kurs einer stabilitätsorientierten, auf strikte Sparsamkeit ausgerichteten und gleichzeitig investitionsfreundlichen Finanzpolitik hat sich nach innen und außen ausgezahlt.
In den neuen Ländern geht es wirtschaftlich aufwärts. Das muß mittlerweile sogar der „Spiegel" anerkennen. Alles deutet darauf hin, daß dieser Wiederaufbau- und Aufholprozeß in Zukunft an Dynamik noch gewinnen wird.
Diese Fortschritte wurden auf einer soliden finanzpolitischen Basis erzielt. Der beste Beweis dafür ist
wohl die Tatsache, daß Deutschland bereits seit 1994 die strengen Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrages in vollem Umfang erfüllt. Das wird von allen Fachleuten immer als besonderes Ereignis herausgestellt. Trotz der immensen sozialistischen Erblasten der früheren DDR ist es gelungen, daß auch die Maastricht-Kriterien über Defizit und Verschuldung über den gesamten Zeitraum des Finanzplanes des Bundes von 1995 bis 1999 noch mit deutlichen Spielräumen eingehalten werden können.
Die jüngste Zinssenkung der Deutschen Bundesbank zeigt, daß auch die unabhängige Hüterin der deutschen Währung volles Vertrauen in die solide Finanzpolitik der Koalition hat - eine eindrucksvolle Bestätigung der Politik Theo Waigels.
Daß wir die enormen finanzpolitischen Herausforderungen der letzten Jahre erfolgreich gemeistert haben, darf uns allerdings nicht in Versuchung führen, uns nun auf diesen Lorbeeren auszuruhen. Wir müssen unser Konzept der symmetrischen Finanzpolitik des Abbaus des Staatsdefizits und der Senkung der Steuerbelastung mit Nachdruck fortsetzen. Staatsquote sowie Steuer- und Abgabenbelastung sind einfach zu hoch. Wir müssen hier auf den Stand vor der deutschen Wiedervereinigung zurückkommen.
Dieses Ziel ist ehrgeizig, aber nicht utopisch. Wir in der Fraktion haben uns bereits die entsprechenden Grundlagen dafür geschaffen, daß wir dieses Ziel .konsequent fortsetzen werden.
Mit dem Jahressteuergesetz, das wir in der nächsten Sitzungswoche formal verabschieden werden, sind wir im steuerpolitischen Bereich auf diesem Weg bereits einen Schritt weitergekommen. Dieses Gesetz bringt dem Steuerzahler - man muß das in aller Deutlichkeit immer wiederholen, weil es leider in der Öffentlichkeit viel zuwenig zur Kenntnis genommen wird - endlich die dringend notwendigen Nettoentlastungen. Das steuerfreie Existenzminimum bringt rund 15,5 Milliarden DM, und der Familienleistungsausgleich - das ist der zweite Kernbereich, der, die finanzielle Situation der Familien fühlbar verbessert - bringt weitere 7 Milliarden DM ab 1996 und darüber hinaus noch einmal 4 Milliarden DM ab 1997.
Das Jahressteuergesetz ist zugegebenermaßen ein Kompromiß. Wir hätten eine Nettoentlastung der Bürger in Höhe von 22,5 Milliarden DM vorgezogen, wie es in unserer ursprünglichen Konzeption auch gestanden hat.
- Da täuschen Sie sich leider. Wir haben ein Konzept vorgelegt, in dem wir diese Entlastungen auf den Tisch gelegt haben. Sie haben geglaubt, Sie könnten hier - Adolf Roth hat das sehr treffend ausgedrückt - großartige Versprechungen machen, während die Länder dabeistanden, sich die Taschen zugehalten
Hansgeorg Hauser
haben und gesagt haben: Wir können uns das überhaupt nicht leisten. Das sollten Sie sich wieder einmal zu Gemüte führen. Das haben Sie offensichtlich schon wieder vergessen.
Die Kritik am Vermittlungsergebnis - es sind ja verschiedene Stellungnahmen in der Öffentlichkeit laut geworden - halte ich im Ergebnis für unbegründet. Es wird nämlich außer acht gelassen, daß die SPD mit einer wahren „Horrorliste" von etwa 50 punktuellen Steuererhöhungsforderungen in Höhe von insgesamt 14 Milliarden DM in das Vermittlungsverfahren gegangen ist. Das ist die Wahrheit. Man wollte höhere Steuern und höhere Belastungen für die Wirtschaft sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Höhe von 14 Milliarden DM durchsetzen.
Zu diesen Steuererhöhungsplänen der SPD gehörten massive Belastungen der Wirtschaft und der Arbeitnehmer.
- Frau Fuchs, hören Sie doch mal zu - wie z. B. die Begrenzung der Abschreibungsmöglichkeiten für Betriebs-Pkws - Sie müssen Ihren Herrn Schröder dazu hören, welche Meinungen er dazu vertreten hat -
-- wissen Sie, wenn Sie reden, können Sie nicht zuhören; vielleicht sollten Sie zuerst zuhören und dann reden; das ist sehr sinnvoll -,
die Verschlechterungen bei Rückstellungen, die Einführung einer Entfernungspauschale - auch dazu hat Ihr Herr Schröder sehr deutlich seine Meinung gesagt -
- ja, in diesem Punkt teile ich seine Meinung - und die Einschränkung von Steuervergünstigungen bei Lebensversicherungen - milliardenschwere neue Belastungen, die wir verhindert haben.
Da Frau Matthäus-Maier davon spricht, daß es bei allem um den Subventionsabbau gehe, muß ich sagen: Einige Punkte haben mit Subventionsabbau nichts zu tun. Wir haben leider die Kröte schlucken müssen, daß wir neue Belastungen schaffen, beispielsweise bei der Besteuerung von Teilzeitbeschäftigungen und der Besteuerung der Direktversicherung. Die Anhebung von 15 auf 20 % ist wahrlich keine angenehme Sache gewesen.
- Das nennt die SPD Subventionsabbau. - Das ist lediglich zu verantworten gewesen, weil der Eingangssteuersatz von 19 % auf fast 26 % angehoben wurde. Deswegen ist hier die maßvolle Anhebung von 15 auf 20 % gerade noch vertretbar.
Die jetzt von den SPD-Forderungen im Kompromiß übernommenen Finanzierungsmaßnahmen von insgesamt etwas über 4 Milliarden DM sind nur verkraftbar, wenn man ihnen die erheblichen Entlastungen gegenüberstellt, die das Jahressteuergesetz für Familien und Bürger mit kleinen und mittleren Einkommen bringt. Aber, meine Damen und Herren, das kann nur ein erster Schritt bei dieser Tarifreform sein. Wir müssen auch an die Steuerpflichtigen mit einem zu versteuernden Einkommen von mehr als 55 700 DM - hier hört das Existenzminimum auf - denken und sie steuerlich entlasten. Es kann nicht angehen, daß dieser Personenkreis, zu dem bereits viele Facharbeiter gehören, auf Dauer von Steuerentlastungen ausgeschlossen bleibt.
Noch in diesem Jahr müssen wir weitere steuerpolitische Aufgaben in Angriff nehmen. Ich nenne nur die Fortsetzung der Unternehmensteuerreform und die durch die Entscheidungen des Verfassungsgerichts notwendig gewordene Neuregelung bei der Vermögensteuer, der Erbschaftsteuer und der Einheitsbewertung des Grundbesitzes. Wir müssen diese Probleme zügig angehen.
Ich kann in diesem Zusammenhang nur an die SPD appellieren, mit ihrer totalen Obstruktionspolitik endlich Schluß zu machen. Denn das, was Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, in der Vergangenheit zur Lösung aller dringenden finanz- und steuerpolitischen Fragen beigetragen haben, war nichts anderes als eine sture Blockadepolitik. Sie haben in dieser Legislaturperiode noch nicht ein einziges schlüssiges finanzpolitisches Konzept vorgelegt. Wenn aus der SPD doch mal irgend etwas gekommen ist, waren es die alten ideologischen Wunschvorstellungen,
die so unrealistisch waren, daß die SPD-Bundestagsfraktion von ihren eigenen Finanzministern und Ministerpräsidenten in den SPD-geführten Ländern zurückgepfiffen werden mußte.
Eines muß man auch sagen: Die SPD-Ministerpräsidenten haben das nicht aus Streitlust getan, sondern sie haben es, wie der Kollege Repnik sehr deutlich ausgeführt hat, einfach deshalb getan, weil sie in ihrer Finanzpolitik mit dem Rücken zur Wand stehen, weil sie die Entlastungen, die die CDU- und CSU-geführten Länder mitgetragen haben, nicht bezahlen konnten. Das ist die Wahrheit, und deshalb haben sie sich so ins Zeug gelegt, daß die Entlastungen geringer ausfielen.
Die Reaktion der SPD-Bundestagsfraktion und insbesondere ihres Vorsitzenden Scharping auf Gesetzesinitiativen, nicht nur im steuerpolitischen Bereich, beschränkte sich auf die Ankündigung, man werde dieses und jenes Gesetz im Bundesrat zu Fall bringen. Auseinandersetzung in der Sache? - Fehlan-
Hansgeorg Hauser
zeige. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich damit aus der politischen Diskussion in diesem Parlament selbst ausgeblendet. Das ist ein Armutszeugnis allerersten Ranges.
Wie deutlich das auch der Vorsitzende dieser Fraktion sieht, hat er selbst zum Ausdruck gebracht Wenn er jetzt sagt, daß diese Fraktion wieder zum Machtzentrum werden müsse, ist das doch nichts anderes als eine Bankrotterklärung seiner bisherigen Politik, daß die Entscheidungen im Bundesrat gefällt werden. Dort hat die SPD die Mehrheit, und dort kann man entscheiden.
Meine Damen und Herren, Sie sollten sich wirklich eines Besseren belehren lassen und wieder konstruktiv mitarbeiten.
Meine Damen und Herren, die Fortsetzung der Unternehmensteuerreform ist eines unserer nächsten dringenden Probleme. Die Koalition hat hierfür ein schlüssiges Konzept vorgelegt: Wegfall der Gewerbekapitalsteuer und Ausgleich für die Kommunen durch eine Beteiligung an der Umsatzsteuer. Nachdem nun niemand, wirklich niemand mehr die Notwendigkeit einer Reform der Gewerbesteuer in Zweifel zieht, wird sich die SPD auch hier bewegen müssen, und zwar schnell. Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, daß noch mehr Betriebe ihre Produktion ins Ausland verlagern und dadurch noch mehr Arbeitsplätze verlorengehen.
Meine Damen und Herren, die großen Betriebe haben spektakuläre Verlagerungen und Entlassungen durchgeführt. Dramatisch ist zur Zeit der Wegzug von kleinen und mittleren Betrieben ins Ausland,
die stille Verlagerung von Arbeitsplätzen. Das ist das Dramatische, was zur Zeit passiert. Das ist auch wegen der Gewerbesteuer, wegen unserer hohen Unternehmensteuerbelastung der Fall.
Das Märchen, mit der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer würden Großbanken und Versicherungen auf Kosten mittelständischer Handwerker entlastet, mit dem Sie Anfang des Jahres durch die Lande gezogen sind, ist durch die Verbände des Mittelstandes selber widerlegt worden.
Glaubt man Herrn Scharping - so hat er es zumindest im „Spiegel" diese Woche gesagt -, „setzt die SPD auf sichere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, also eine vorausschauende Politik, die Zukunft schafft und sie nicht durch Nichtstun sabotiert" .
Da kann ich nur sagen: Solchen Lippenbekenntnissen sollten endlich Taten folgen.
Wir werden hier im Parlament die klare Entscheidung der SPD zu den anstehenden steuer- und finanzpolitischen Problemen einfordern. Die betroffenen Betriebe, die betroffenen Arbeitnehmer haben kein Verständnis mehr dafür, daß sich die SPD mit einer doppelzüngigen Strategie aus der politischen Verantwortung
stiehlt.
Leider haben Sie, Herr Kollege Poß, sich in einem Zeitungsbericht und in einer Pressemeldung ganz gegenteilig geäußert. Sie haben gesagt: Die sachlichen Voraussetzungen für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sind nicht gegeben. Sie erklären nun, daß erst die Gemeindefinanzreform ganz ausführlich diskutiert werden muß. Ich habe das Gefühl, daß Sie hier einen neuen Popanz aufbauen, mit dem Sie sich wieder einmal der Verantwortung entziehen wollen.
Andere Leute aus der SPD haben ganz andere Meinungen. Der Ministerpräsident von RheinlandPfalz, Herr Beck, will die Gewerbekapitalsteuer abschaffen - so heißt es in der „FAZ" vom 1. September -, weil sie investitionshemmend sei und als ertragsunabhängige Substanzsteuer nicht mehr in die Zeit passe.
Ich darf Ihnen noch ein Zitat vorlesen: „Der psychologische Schaden, der von der Gewerbekapitalsteuer ausgeht, ist inzwischen größer als der fiskalische Nutzen, den sie stiftet."
Abschließend heißt es in diesen Ausführungen: „Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist übrigens nicht zuletzt im Hinblick auf den jüngsten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der einheitswertabhängigen Steuern ein wichtiger Schritt zur Steuervereinfachung." Geschrieben wurde das von einem Herrn Gernot Mittler, Finanzminister von Rheinland-Pfalz, und zwar - das ist das Amüsante daran - in einer Anregung für das Rundschreiben an die sozialdemokratischen Mandatsträger. Dieses Fax ist dummerweise bei der CDU in Rheinland-Pfalz gelandet.
Hansgeorg Hauser
Meine Damen und Herren, ich habe schon auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Neuregelung der Einheitsbewertung des Grundbesitzes, der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer hingewiesen. Angesichts der kurzen Fristen, die das Gericht dem Gesetzgeber einräumt, gehört die Umsetzung zu den dringendsten, aber auch zu den schwierigsten steuerpolitischen Aufgaben in der nächsten Zukunft.
Herr Weng, das ist keine Schlacht von übermorgen, sondern das ist leider eine Aufgabe, die wir zumindest in den Grundzügen, in den Eckwerten bis zum Jahresende erledigen müssen. Denn das Verfassungsgericht hat vorgegeben, daß wir zumindest für die Erbschaftsteuer die Grundzüge in 1995 festlegen müssen.
Die Entscheidungen enthalten einige erfreuliche Klarstellungen, durch die wir die Politik der Koalition bestätigt sehen. So mußten wir - um nur ein Beispiel zu nennen - in den vergangenen Jahren gegen den Widerstand der Opposition Erleichterungen bei der Steuerbelastung im Zusammenhang mit dem Generationenwechsel bei mittelständischen Betrieben durchsetzen.
Das Gericht hat nun mit erfreulicher Klarheit dargestellt, daß eine Neuregelung der Erbschaftsbesteuerung gewährleisten muß, daß insbesondere die Fortführung mittelständischer Betriebe im Erbfall durch die Erbschaftsteuerbelastung nicht gefährdet werden darf.
Mir ist klar, daß diese und andere Festlegungen des Bundesverfassungsgerichts der Opposition sauer aufstoßen. Es ist ja gerade einmal etwas mehr als ein Jahr her, daß führende Politiker in der SPD eine drastische Erhöhung der Erbschaftsteuer und eine Heranführung der Einheitswerte des Grundvermögens an die Verkehrswerte gefordert haben. Diesen Plänen hat das Verfassungsgericht eine deutliche Abfuhr erteilt.
Wenn Sie darüber lamentieren, wie es der Kollege Poß gemacht hat, daß das Verfassungsgericht bei der Vermögensteuer weit über das Entscheidungsnotwendige hinausgegangen sei, und darüber sinnieren, ob alle Vorgaben des Gerichts durch den Gesetzgeber einzuhalten sind, dann sind Sie auch hier wieder auf dem Holzweg.
Meine Damen und Herren, wir sollten diese Entscheidungen des Verfassungsgerichts zu einem großen Wurf nutzen.
Es ist meine feste Überzeugung, daß als Konsequenz aus diesen Entscheidungen die Vermögensteuer abgeschafft werden muß.
Das Gericht hat in aller Deutlichkeit gesagt, daß die Vermögensteuer nicht zu einer Substanzbesteuerung führen darf. Folglich müßten wir geringes Vermögen ganz kräftig entlasten. Die großen Vermögen dürfen wir nicht stärker besteuern; denn wenn man den Spitzensteuersatz, die Kirchensteuer und den Solidaritätszuschlag zusammen betrachtet, sieht man, daß wir bereits an einer Obergrenze angelangt sind, die wir nicht überschreiten dürfen. Das bedeutete als Konsequenz, daß wir nur die mittleren Vermögen mit Vermögensteuer belasten dürften. Das ist absolut undenkbar.
Auch bei der Erbschaftsteuer sollten wir die Auflagen des Verfassungsgerichtes klipp und klar befolgen, indem wir beispielsweise eigengenutzte Einfamilienhäuser aus der Besteuerung herausnehmen und - darauf hat das Verfassungsgericht Wert gelegt - es nicht mehr auf den Grad der Verwandtschaft zwischen Erben und Erblasser ankommt bei der Übertragung von Betrieben. Hier denke ich insbesondere an die vorweggenommene Erbfolge; denn wir müssen ein Interesse daran haben, daß Betriebe rechtzeitig übergeben werden. Deshalb muß eine entsprechende Freistellung von der Erbschaftsteuer erfolgen, damit eine maßvolle Besteuerung, die wirklich tragbar ist, Platz greift.
Ich bedanke mich.
Ich erteile der Abgeordneten Frau Dr. Barbara Hendricks das Wort.
Herr Präsident! Ich darf, meine Damen und Herren, die Gelegenheit der heutigen haushaltspolitischen Debatte zu einer zusammenfassenden Würdigung des Jahressteuergesetzes 1996 nutzen und zugleich einen Ausblick auf die vor uns liegenden steuerpolitischen Aufgaben geben.
Zu Recht hat das „Handelsblatt" in den letzten Tagen eine „Sozialdemokratisierung" der Steuerpolitik festgestellt. Das ist richtig und auch gut so.
Ich beginne mit dem Familienleistungsausgleich. Die im Jahressteuergesetz enthaltene Neuregelung ist ein deutlicher Schritt in Richtung auf unser sozialdemokratisches Modell eines einheitlichen Kindergeldes. Noch Anfang des Jahres wollten Sie, Herr Bundesfinanzminister, an dem bisherigen System festhalten und lediglich das Kindergeld ab dem zweiten Kind geringfügig anheben - ein völlig unzureichender und nicht verfassungskonformer Vorschlag.
Auf Grund unseres Drucks und des Drucks der gesamten fachkundigen Öffentlichkeit mußten Sie von Ihrem Vorschlag abrücken. Wenn also ab dem nächsten Jahr für rund 95 % aller Steuerpflichtigen das einheitliche Kindergeld von 200 DM für Erst- und Zweitkinder, von 300 DM für die dritten Kinder und für alle weiteren Kinder von 350 DM wirksam wird, so ist das unserem Druck auf die Bundesregierung und die Koalitionsparteien zu verdanken.
Dr. Barbara Hendricks
Ausschließlich der SPD ist es zu verdanken, daß eine weitere Verbesserung für das erste und zweite Kind schon ab 1997 auf dann 220 DM pro Monat durchgesetzt werden konnte.
Zugegeben: Wir haben uns nicht vollständig durchsetzen können. Ihr Optionsmodell sichert Ihrer speziellen Klientel von 5 % der Steuerzahler im obersten Einkommensbereich auch weiterhin eine höhere Entlastung. Wir halten dies für nicht gerechtfertigt und bedauern im übrigen, daß damit wieder einmal eine große Chance zur Steuervereinfachung vertan wurde.
Neben der deutlichen Entlastung für die Familien haben wir Sozialdemokraten durchgesetzt, daß vor allem die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entlastet werden. Die Geschichte der Steuerfreistellung des Existenzminimums ist allerdings eine unendliche Geschichte der Untätigkeit und des Unvermögens dieses Bundesfinanzministers.
Die ganze Herbst- und Winterspielzeit war beherrscht von der Groteske in drei Akten: „Theos Pleiten, Pech und Pannen" .
Erster Akt: die außertarifliche Grundentlastung. In deren Genuß sollten nur Personen mit einem Einkommen von genau 12 000 DM kommen. Sofort danach sollte der Abbau wieder einsetzen, und schon Personen mit einem Einkommen von 30 000 DM sollten überhaupt keine Entlastung mehr bekommen. Allerdings sollte der gesamte Einkommensteuertarif, also auch für Spitzenverdiener, abgesenkt werden.
Noch am selben Tag haben wir Ihnen nachgewiesen, daß dieser „Buckel-Tarif" dazu geführt hätte, daß in vielen Fällen normalverdienende Ehegatten höher besteuert worden wären als unverheiratet Zusammenlebende oder Geschiedene. Der aus solchen Grotesken wohlbekannte bucklige Narr mußte durch Herrn Waigel von der Bühne genommen werden.
Zweiter Akt: Jetzt versucht Theo es mit einer List. Er will dem Publikum immer noch die außertarifliche Grundentlastung schmackhaft machen, aber jetzt will er die Bezieher von Sozialrenten weitgehend von der Grundentlastung ausnehmen. Der Teil des Publikums, der auf dieser Seite des Hauses sitzt, läßt sich blenden. Der kleinere, aber für den Ausgang des Stückes entscheidende Teil des Publikums erkennt allerdings die darin enthaltenen Manipulationsmöglichkeiten.
Es folgt der dritte und entscheidende Akt: In den Beratungen des Finanzausschusses gelingt es dem fachkundigen Teil des Publikums, die andere Seite zu überzeugen. Theo, der bei seinem doppelten Salto rückwärts auf die Nase gefallen ist, wird von der Bühne getragen.
Der Weg ist frei für eine vernünftige Lösung. Der Grundfreibetrag wird beibehalten und angehoben und das Entlastungsvolumen auf die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen konzentriert. Ein voller Erfolg der SPD!
Zwar konnten wir uns bei der Höhe des Existenzminimums von 13 000 DM jetzt noch nicht durchsetzen, aber immerhin ist diese Entlastungshöhe für 1999 nunmehr festgeschrieben - ein weiterer Erfolg der SPD.
Lassen Sie mich, meine Kolleginnen und Kollegen, noch einige Ausführungen zu dem im Vermittlungsausschuß geleisteten steuerlichen Subventionsabbau in Höhe von 4,6 Milliarden DM machen. In Ihrer Koalitionsvereinbarung, natürlich auch von dem CSU-Vorsitzenden Waigel unterschrieben, heißt es - ich zitiere -:
Die Finanzierung des Steuerkonzepts erfolgt durch wachstumsbedingte Steuermehreinnahmen, Umschichtungen im Steuersystem, vor allem eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, d. h. einen weiteren Abbau von Steuervergünstigungen.
Was aber hatte die Bundesregierung im Jahressteuergesetz vorgesehen? - Fast nichts. Auch hier mußte Ihnen die SPD auf die Sprünge helfen. Und jetzt stellen Sie sich auch noch hin und verkaufen es als Erfolg, daß Sie weitergehenden Subventionsabbau verhindert haben. Sie betreiben damit wieder einmal reine Klientelpolitik. Ihre Koalitionsvereinbarung ist das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben steht.
Übrigens, Herr Hauser: Hören Sie doch auf, steuerlichen Subventionsabbau mit Steuererhöhungen gleichzusetzen! Sie wissen doch, daß das nicht stimmt, wenn Subventionsabbau zugleich dazu benutzt werden soll, an anderer Stelle der Steuersenkung zu dienen.
- Steuerlicher Subventionsabbau, der zugleich an anderer Stelle zur Steuersenkung dient, ist keine Steuererhöhung, sondern ist die berühmte Umschichtung im. System, die wir doch alle wollen, wenn ich nach Ihrer Koalitionsvereinbarung gehe.
Meine Damen und Herren, in den nächsten Wochen und Monaten werden wir uns mit neuen, wichtigen steuerpolitischen Vorhaben beschäftigen. Die von uns seit Jahren geforderte Wohneigentumsförderung unabhängig vom Einkommen ist jetzt endlich auch von der Bundesregierung akzeptiert worden. Damit zeichnet sich ein weiterer Erfolg unserer Steuerpolitik ab.
Dr. Barbara Hendricks
Was die ökologische Steuerreform anbelangt, so liegen unsere Vorschläge auf dem Tisch. In diesem Zusammenhang dürfen wir aber nicht vergessen: Die Sozialabgaben und die in den letzten Jahren ständig gestiegene Belastung durch Lohn- und Einkommensteuer müssen zurückgeführt werden.
Wir wollen den umweltschädlichen Energieverbrauch schrittweise und berechenbar stärker belasten und dafür den Faktor Arbeit entlasten. Zugleich wollen wir ökologisch fragwürdige Steuervergünstigungen abbauen und durch ökologisch vernünftige Regelungen ersetzen. So soll z. B. die Kilometerpauschale durch eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale ersetzt werden. Zugleich wollen wir Umweltschutzinvestitionen fördern und dafür privates Kapital mobilisieren, so wie das ja schon einmal im Zusammenhang mit § 82a EinkommensteuerDurchführungsverordnung der Fall war. Dies ist zugleich eine Schnittstelle zur Unternehmensteuerreform. Die steuerliche Förderung von Unternehmen wollen wir konzentrieren auf die Bereiche Forschung, Ausbildung und Ökologie.
Der gesamte Komplex der Gemeindefinanzreform und Unternehmensteuerreform wurde durch die Bundesregierung nur äußerst bruchstückhaft angegangen. Wir Sozialdemokraten sind bereit, in den verabredeten Gesprächen alle Aspekte vorurteilsfrei zu prüfen, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
Erstens. Die Koalition verzichtet auf die von ihr in ihrem Koalitionsvertrag angekündigte Abschaffung der Gewerbesteuer insgesamt.
Zweitens. Die finanziellen Folgen für Länder und Gemeinden müssen umfassend dargelegt werden.
Drittens. Das Ganze wird in eine Gemeindefinanzreform eingebettet, die nicht aus hektisch geschaffenem Stückwerk bestehen darf.
- Es handelt sich um derart vernünftige Bedingungen, daß selbst Sie, Herr Hauser, ihnen folgen könnten.
Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zu den Einheitswerten bieten einen zusätzlichen Anlaß für eine solche umfassende Reform der Gemeindefinanzen. Für uns ist klar, daß sich dadurch keine Erhöhung der Steuerbelastung insgesamt ergeben darf.
Klar ist aber auch, daß die Besteuerung des Vermögens erhalten bleiben muß. Ich weiß schon, daß der Spruch des Bundesverfassungsgerichts uns sehr enge Grenzen setzt, aber wenn wir den Willen haben, Vermögen auch zukünftig zu besteuern, so werden wir sicherlich gemeinschaftlich eine Lösung finden.
Auch nach der Verabschiedung des Jahressteuergesetzes liegt viel Arbeit vor uns. Das Bundesverfassungsgericht hat bei der Vermögensteuer und Erbschaftsteuer einen sehr engen Zeitrahmen vorgesehen. Ich vermute, daß es deshalb einen engen Zeitrahmen gesetzt hat, weil sich die Bundesregierung bei der Umsetzung von Bundesverfassungsgerichtsurteilen bisher immer viel zuviel Zeit gelassen hat. Das muß anders werden.
Wir brauchen endlich wieder in sich schlüssige, wohldurchdachte Gesetzesinitiativen,
und wir brauchen ein verantwortbares Beratungsverfahren.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Abschluß kommen.
An erster Stelle ist hierfür der Bundesfinanzminister verantwortlich. Herr Bundesfinanzminister, nehmen Sie diese Verantwortung endlich wahr!
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung verschärft mit dem Haushaltsentwurf 1996 ganz offenkundig ihre Politik dergestalt, die immensen Probleme des Bundeshaushalts zunehmend auf Kosten sozial Schwacher sowie ebenfalls der Städte, Gemeinden und Landkreise lösen zu wollen. Zusehends wird damit auch kommunale Selbstverwaltung ausgehöhlt. Ich erinnere daran, daß die von der Bundesregierung vorgesehene Befristung der allgemeinen Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre erst im Herbst 1993 am Widerstand der Kommunen und Länder sowie der parlamentarischen Opposition in Bonn gescheitert war. Nun versucht die Bundesregierung einen neuen Anlauf, um Risikofälle des Arbeitsmarktes aus der Zuständigkeit des Bundes auszugrenzen und in die überfüllten Flure der städtischen Sozialämter zu verlagern. Das ist ein unvertretbarer Zustand. Bereits heute werden nämlich etwa 18 % der Arbeitslosigkeit durch die kommunalen Sozialhilfeetats finanziert, ganz oder teilweise. Mehr als
Dr. Uwe-Jens Rössel
600 000 Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger sind arbeitslos.
Einen neuen, radikalen Schritt in Richtung dieser unheilvollen Kommunalisierung der Arbeitslosigkeit unternimmt die Bundesregierung durch Einschnitte im Arbeitsförderungsgesetz sowie durch die vollständige Streichung der sogenannten originären Arbeitslosenhilfe. Das ist kein „Nachwaschen", wie es Herr Waigel heute bezeichnete, sondern ein sozialpolitischer Skandal und ein Schlag ins Gesicht der finanziell und vermögensseitig ohnehin arg gebeutelten Städte, Gemeinden und Kreise in der Bundesrepublik. Allein bei Streichung dieser originären Arbeitslosenhilfe würden 1996 mit einem Schlag 38 000 betroffene Menschen zu Sozialhilfeemfängerinnen und Sozialhilfeempfängern gemacht. Das ist untragbar! Daraus würden sich darüber hinaus auch Mehrbelastungen für die Kommunen in Höhe von rund 600 Millionen DM ergeben.
Während die Bundesregierung mit dem Haushalt 1996 einerseits nichts unversucht läßt, die Folgen verfehlter Arbeitsmarktpolitik auf die Kommunen abzuwälzen, unterläßt sie es andererseits seit Jahren, schwelende Probleme der Städte und Gemeinden einer Lösung zuzuführen. Obwohl 80 % der Gesetze des Bundes auf der kommunalen Ebene realisiert werden, dürfen die Kommunen bei Verhandlungen der Bundesregierung über ihre ureigensten Angelegenheiten in der Regel nur am Katzentisch Platz nehmen. Für die Bundesregierung böte sich in diesem Zusammenhang mit dem für den Herbst angekündigten 2. Standortsicherungsgesetz - ein vielversprechender Name - die Chance, den Startschuß für die dringend gebotene umfassende Reform der Kommunalfinanzierung zu geben, und zwar nicht nur als Anhängsel einer Unternehmensteuerreform.
Natürlich sehen auch wir, daß die Länder ihre Probleme zunehmend auf Kosten der Kommunen lösen wollen. Seit 1995 sind die neuen Länder in den Länderfinanzausgleich einbezogen und verfügen nun über Mehreinnahmen in Höhe von rund 13 Milliarden DM per annum. Allerdings gelangt dieses Geld nicht, wie noch beim Fonds Deutsche Einheit, zu 40 % in die Kommunalhaushalte, sondern bleibt in den Ländern zur Sanierung ihrer Haushalte hängen. Nur gut 1 Milliarde DM wurde durchgereicht. Das ist wahrlich ein Armutszeugnis für die ostdeutschen Länder.
Wie ein Damoklesschwert schweben - viele Kollegen haben davon gesprochen - die sogenannten Altschulden auf gesellschaftliche Einrichtungen über insgesamt 1 200 ostdeutschen Kommunen, und das bei deren ohnehin großer Finanznot. Mittlerweile sollen diese Altschulden nahezu 8 Milliarden DM betragen. Die Rechnung aus Bonn mutet in der Tat, wie die „Mitteldeutsche Zeitung" aus Halle jüngst schrieb, grotesk an. Es kommt schon einem Mysterium gleich, nach Lesart der Bundesregierung anzunehmen, daß Ostberlin schuldenfrei sei, während z. B. Halle/Saale 400 Millionen DM an Schulden, teilweise für stark verschlissene Schwimmbäder und ähnliches, aufbringen soll.
Unser Standpunkt ist: Die betreffenden Altschulden sind keine Schulden der Kommunen gegenüber dem Bund im Sinne des bürgerlichen Rechts. Es gibt im übrigen auch keine Kreditverträge. Die Kommunen in der DDR verfügten nämlich kaum über eigene Einnahmen. Kommunale Selbstverwaltung stand leider nicht einmal auf dem Papier. Sie wäre auch mit der Doktrin vom sogenannten demokratischen Zentralismus, der in Wirklichkeit ein bürokratischer Zentralismus war und kommunale Initiativen in der Tat lähmte, unvereinbar gewesen. Die Ausgaben der Städte, Gemeinden und Kreise in der DDR von Belang wurden deshalb fast vollständig durch Zuweisungen aus dem Staatshaushalt bestritten.
Es widerspricht daher jeder Logik, daß solche rechnerischen Verbindlichkeiten, die dem Wesen nach Staatsschulden sind - das ist unsere Position - und vom Bund als Rechtsnachfolger übernommen werden müssen, nunmehr von der Bundesregierung zu tatsächlichen Schulden der Kommunen erklärt werden sollen. Wir stimmen daher mit den kommunalen Spitzenverbänden überein, daß die betreffenden ostdeutschen Städte, Gemeinden und Landkreise diese sogenannten Altschulden unter keinen Umständen anerkennen dürfen. Bereits der kleinste Schritt in diese Richtung könnte für die Kommunen verheerende Folgen haben.
Eine Lösung à la Altschuldenhilfe für kommunale bzw. genossenschaftliche Wohnungen darf ebenfalls nicht in Frage kommen. Damit würde dieses leidige Problem nämlich vor allem auf die Ebene der Bürgerinnen und Bürger verlegt. Und das kann ja wohl, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht die Lösung sein.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen zur allgemeinen Finanzdebatte vor.
Deshalb rufe ich zunächst die Tagesordnungspunkte 2a und 2b sowie 3a bis 3f auf:
2. a), Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
- Drucksache 13/2245 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
Rechtsausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes
- Drucksache 13/2246 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
3. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes
- Drucksache 13/1444 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr
Rechtsausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes
- Drucksache 13/1446 -
Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr
c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland durch Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren
- Drucksache 13/1445 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Kaffee-Übereinkommen von 1994
- Drucksache 13/1667 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau
- Drucksache 13/1887 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
f) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56a der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Technikfolgenabschätzung (TA)
hier: Neue Werkstoffe - Drucksache 13/1696 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Beim Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes auf Drucksache 13/2245 - das ist Tagesordnungspunkt 2a - soll die Federführung beim Rechtsausschuß liegen. Der Entwurf zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes auf Drucksache 13/1444-das ist Tagesordnungspunkt 3 a- soll zusätzlich an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf: Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Beschlußfassung über die Weitergeltung der
- Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses
- Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115 d des Grundgesetzes
- Drucksache 13/2239 -
b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfes eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 26. Mai 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Thailand über die Überstellung von Straftätern und über die Zusammenarbeit bei der Vollstrekkung von Strafurteilen
- Drucksache 13/666 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/1760 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Dietrich Mahlo Dr. Jürgen Meyer
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfes eines Gesetzes zu den Protokollen vom 19. Dezember 1988 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften sowie zur Übertragung bestimmter Zuständigkeiten für die Auslegung dieses Übereinkommens auf den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
- Drucksache 13/669 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/1761-
Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Gres Ludwig Stiegler
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zu den Zielen und Instrumenten einer Währungspolitik
-Drucksachen 12/7805, 13/725 Nr. 59, 13/1584-
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Steiger
Dabei handelt es. sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Wir stimmen zunächst über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. auf Drucksache 13/2239 ab. Es handelt sich um die Weitergeltung von Geschäftsordnungen, nämlich für den Gemeinsamen Ausschuß und für das Verfahren nach Art. 115d Grundgesetz. Es ist vereinbart worden, über die beiden Punkte getrennt abzustimmen.
Wir stimmen also zunächst über die Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1969, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 25. März 1993, ab. Ich bitte diejenigen um das Handzeichen, die für die Weitergeltung sind. - Gegenprobe! -Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß einstimmig so beschlossen ist.
Wir stimmen jetzt über die Geschäftsordnung für das Verfahren nach Art. 115d Grundgesetz ab. Wer für die Weitergeltung ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich steile fest, daß gegen die Stimmen der PDS so beschlossen worden ist.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4 b: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Vertrag mit dem Königreich Thailand über die Überstellung von Straftätern und über die Zusammenarbeit bei der Vollstrekkung von Strafurteilen, Drucksache 13/666.
Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 1760, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden ist.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4 c: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu den Protokollen zur Auslegung des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht sowie zur Übertragung von Zuständigkeiten auf den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Drucksache 13/669.
Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 1761, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf bei Stimmenthaltungen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen worden ist.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4 d: Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu einer Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Zielen und Instrumenten einer Währungspolitik, Drucksache 13/1584. Ich bitte diejenigen um das Handzeichen, die für diese Beschlußempfehlung stimmen wollen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung im übrigen angenommen worden ist.
Wir kehren jetzt zu den Tagesordnungspunkten 1 a und 1 b, der Beratung des Haushaltsgesetzes 1996 und des Finanzplans des Bundes 1995 bis 1999, zurück.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Einzelplan 16 - auf.
Ich erteile der Bundesministerin Dr. Angela Merkel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte über den Haushalt 1996 findet wenige Tage vor dem 5. Jahrestag der deutschen Einheit statt. Fünf Jahre deutsche Einheit - das sind fünf Jahre Fortschritt im Umweltschutz. 1990 war das Erschrecken groß, als man sich langsam darüber klar wurde, in welchem Zustand sich Wasser, Boden und Luft an vielen Stellen in den neuen Bundesländern befanden. Heute kann man sich fast schon nicht mehr daran erinnern, daß Raubbau an der Natur und nicht nachhaltige Ent-
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Wicklung die Grunddevise planwirtschaftlichen Handelns waren.
Hier haben wir erhebliche Fortschritte erreicht. Ich habe z. B. vor wenigen Tagen die erste Rauchgasentschwefelungsanlage in Jänschwalde eingeweiht. Nur dadurch ist es möglich geworden, daß 97 % des Schwefeldioxids nicht mehr in die Luft gehen, sondern gereinigt werden. Vor wenigen Jahren noch schrieb die schwedische Zeitung „Acid Rain", daß Jänschwalde der drittgrößte europäische Emittent von Schwefeldioxid ist. Solche traurigen Rekorde wird es in Deutschland in Zukunft nicht mehr geben, sondern wir werden andere Rekorde im Umweltschutz halten.
Die Qualität des Elbewassers - und das ist nur ein Beispiel - hat sich drastisch verbessert. Quecksilber- und Stickstoffbelastungen gingen von 1989 bis 1993 um 75 % bis 80 % zurück. Die Elbeschutzkommission arbeitet intensiv. Unser Ziel, daß wir die gleiche Qualität des Wassers erreichen wie im Rhein, ist keine Utopie, sondern wird Realität werden.
70 000 Altlastenverdachtsflächen wurden erfaßt und, wo nötig, auch gesichert.
Mit der Braunkohlesanierung wurde auf einer Fläche von über 100 000 Hektar ein riesiges Umweltsanierungsprojekt in Angriff genommen. - Man muß dort gewesen sein, damit man sich vorstellen kann, was da in Bewegung gebracht wurde. - Bund und Länder werden auch in den nächsten Jahren jedes Jahr 1,5 Milliarden DM allein für die Braunkohlesanierung einsetzen. Für die Sanierung der übrigen Altlasten-Großprojekte werden in den nächsten Jahren 16,5 Milliarden DM aufgewandt. Das ist unsere Politik.
- Da könnte man eigentlich klatschen.
- Ich habe es gesehen, Frau Fuchs, deshalb habe ich es gesagt.
Diese Erfolge sind nicht von ungefähr entstanden, sondern sie sind das Ergebnis konsequenter Aufbauarbeit. Wir sollten auch fünf Jahre nach der deutschen Einheit das Augenmerk auf das richten, was wir für Gesamtdeutschland aus der Aufbauarbeit in den neuen Bundesländern lernen könnten.
Dazu möchte ich zuerst sagen: Umweltschutz hat sich als ein Bereich erwiesen, in dem man Arbeitsplätze schaffen kann. Gerade in der sehr schwierigen beschäftigungspolitischen Situation der neuen Bundesländer sind die Umweltschutzaufgaben Aufgaben, in denen derzeit 20 000 Menschen allein im Braunkohlebereich Beschäftigung finden. Wir werden versuchen, auch in den nächsten Jahren möglichst vielen Menschen eine Brücke in den aktiven Arbeitsmarkt zu bauen und ihnen einen dauerhaften Arbeitsplatz im Bereich des Umweltschutzes zu sichern.
Zweitens. Umweltschutz hat sich in den neuen Ländern als ein Bereich erwiesen, in dem man auch über neue Strukturen nachdenken kann. Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen: Im Abwasserbereich sind 24 000 km öffentlicher Abwasserkanäle zu sanieren oder neu zu bauen. 95 % der Industrieabwässer und zwei Drittel der Haushaltsabwässer müssen an moderne Kläranlagen angeschlossen werden.
Es kommt deshalb nicht von ungefähr, daß gerade in den neuen Bundesländern private Finanzierungsmodelle zunehmend Anwendung finden, weil diese Aufgaben aus öffentlichen Mitteln nicht finanzierbar sind. Ich denke, wir haben hier ein Beispiel für echten Wettbewerb. Ich hoffe, daß wir seitens der Bundesregierung bei der steuerlichen Gleichstellung von privaten und öffentlichen Anbietern im Bereich der Abfall- und Abwasserentsorgung vorankommen.
Es hat sich herausgestellt, daß im Umweltschutz trotz der vielen beklagten Regelungen und der sehr hohen Regelungsdichte Genehmigungen in den neuen Bundesländern in sehr kurzer Zeit erteilt werden konnten. Wer wirklich ein wirtschaftliches Projekt realisieren wollte, der hat auch alle notwendigen Genehmigungen bekommen. Für mich ist das ein Beispiel dafür, daß es vielfach, wenn diskutiert wird „Wie schnell kann in Deutschland eine Genehmigung erteilt werden?", gar nicht um die Frage des Umweltschutzes geht, sondern um die Frage: Wollen wir technologische Entwicklung, wollen wir technischen Fortschritt oder nicht? Die neuen Bundesländer sind hier ein gutes Beispiel.
Meine Damen und Herren, die Menschen stellen nach wie vor - und mit Recht - sehr hohe Anforderungen an die Qualität unserer Umwelt. Ein Beispiel dafür ist für mich die emotionale Diskussion, die wir über das Ozon hatten. Wenn wir einmal zurückblikken, stellen wir fest: Es ging weniger um die Substanz, über deren Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit man sehr unterschiedlicher Meinung sein kann. Es ging eigentlich vielmehr darum, daß es in der Bevölkerung eine große Angst vor Luftverschmutzungen gibt und daß mit dieser Angst leider auch Politik gemacht wurde. Man muß aus dieser Tatsache die Lehre ziehen, daß wir unsere Luft, unser Wasser und unseren Boden konsequent weiter schützen müssen.
Wir wissen, das Ordnungsrecht stößt hier an seine Grenzen. Das Ozongesetz ist in diesem Sommer, nachdem es in Kraft getreten war, sehr viel wegen seiner Nichtvollziehbarkeit kritisiert worden. Ich sage Ihnen, ich bin offen gegenüber allen Vorschlägen, wie man es denn vollziehbarer macht. Ich sage Ihnen aber auch, dies ist ein typisches Beispiel dafür, daß Ordnungsrecht nur bedingt dazu in der Lage ist, bestimmte umweltpolitische Forderungen durchzusetzen.
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Deshalb sind für mich marktwirtschaftliche Instrumente von ganz wesentlicher Bedeutung, damit wir die umweltpolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre bewältigen können. Lassen Sie mich drei Handlungsfelder kurz umreißen.
Erstens das Thema Umwelt und Verkehr: Ich bin der Meinung, dieses Thema wird in der Diskussion der nächsten Jahre weiter eine außerordentlich große Rolle spielen. Wer sich den Energieverbrauch in der Bundesrepublik Deutschland einmal anschaut, der sieht, daß der Primärenergieverbrauch des Verkehrs den der Industrie inzwischen überholt hat.
Das war vor zehn Jahren komplett anders. - Das muß man erst einmal zur Kenntnis nehmen. - Deshalb ist es natürlich von außerordentlicher Bedeutung, daß wir alles tun, um in einer Gesamtstrategie verbesserte Fahrzeugtechniken, umweltverträgliche Kraftstoffe, steuerliche Anreize und informatorische Instrumente zu nutzen, um dieses Problems Herr zu werden. Deutschland ist und bleibt ein Transitland. Wer den Verkehr von Straße, Schiene und möglichst noch Wasserstraßen verbannen will, wird nicht vorankommen.
Mit der Senkung der Mineralölsteuer auf Erd- und Flüssiggas als Kraftstoff sind jetzt Wettbewerbsnachteile für Erdgas erst einmal abgebaut worden. Ich glaube, daß damit die schnelle Einführung einer neuen Generation umweltschonender Antriebe sehr befördert wird. Wir haben dies mit einem speziellen Programm des Bundesumweltministeriums unterstützt. Die Zusage der deutschen Mineralölindustrie, ab September 1995 die Benzinsorte Super Plus schrittweise nur noch mit einem Benzolgehalt von 1 Volumenprozent einzuführen, wird ein wichtiger Schritt sein, um eine neue Kraftstoffqualität in Deutschland einzuführen. Allerdings müssen wir dies von Super Plus auf alle Benzinsorten ausdehnen, und wir müssen zu einer flächendeckenden Bereitstellung von emissionsarmen Kraftstoffen kommen. Eine wichtige Rolle werden hierbei die Vorschläge der Europäischen Kommission spielen, die nach dem in Kürze abgeschlossenen Auto/Öl-Programm der EU zu erwarten sind. Diese Dinge müssen über die nationalen Grenzen hinaus angegangen werden.
Mit dem emissionsarmen Kraftstoff und der dritten EU-Stufe der Schadstoffreduzierung der Pkw und Nutzfahrzeuge werden die technischen Möglichkeiten weitestgehend ausgenutzt. Wir werden es schaffen, gegenüber Anfang der 90er Jahre eine 75%ige Absenkung der Emissionen zu erreichen.
Im Hinblick auf die bereits im Verkehr befindlichen Pkw ist unser Ziel die vollständige Umstellung des Fahrzeugbestands auf den geregelten Katalysator, und zwar möglichst bis zum Jahr 2000. Es muß uns gelingen, dies in einem Gesamtpaket zu leisten, denn ein Auto mit Katalysator ist nun einmal zehnmal schadstoffärmer als ein Auto ohne Katalysator, und dies müssen die Menschen begreifen. Ich denke, daß staatliche Abwrackprämien nicht das Gebot der
Stunde sind. In mir sträubt sich manches dagegen, daß die, die auf Umweltpolitik am langsamsten eingehen, zum Schluß die größte Belohnung bekommen. Ich denke, daß die emissionsbezogene Kfz-Steuer ein weitaus besseres Instrument ist, dieses Ziel bis zum Jahr 2000 zu erreichen.
Meine Damen und Herren, die Automobilindustrie hat in einer Selbstverpflichtung im Frühjahr dem Bundesverkehrsminister und mir zugesagt, daß bis zum Ende des Jahres 2005 die CO2-Emissionen des Straßenverkehrs um mindestens 25 % und die übrigen Abgasemissionen auf weniger als ein Viertel des heutigen Niveaus reduziert werden sollen.
- Pro Auto. Ich habe nichts anderes gesagt.
- Die Autoindustrie kann nicht schon heute die Zahl der von ihr hergestellten Autos planmäßig feststellen. Liebe Leute, ich bin nun fünf Jahre weg von der Planwirtschaft. Das könnt ihr nicht erwarten!
Diese Selbstverpflichtung greift. Auch Sie werden nicht bestreiten, Herr Fischer und Frau Hustedt,
daß es der richtige Ansatz ist, wenn man fragt: „Wie ist der spezifische Flottenverbrauch der in der Bundesrepublik Deutschland verkauften Flotte?" und wenn man nicht allein fragt: „Welche Art von Auto kann ich herstellen?" Denn die bloße Produktion eines Drei- oder Fünfliterautos, das letztlich nicht gekauft oder nicht gefahren wird, ist nicht das, was wir brauchen. Zum Schluß zählen die CO2-Emissionen.
Im Zusammenhang mit der Inkraftsetzung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes brauchen wir eine Regelung für die Altautoverwertung. Ich möchte hier ganz deutlich sagen, daß wir schon vor einem halben Jahr die Autoindustrie darauf hingewiesen haben, daß wir eine freiwillige Selbstverpflichtung gerne annehmen, daß diese aber auch der Produktverantwortung des Produzenten gerecht werden muß, so wie es im Kreislaufwirtschaftsgesetz festgeschrieben ist. Bis jetzt kommen wir hier nur langsam voran. Ich möchte ankündigen: Meine Geduld wird nicht ewig währen können. Im Oktober des nächsten Jahres tritt das Gesetz in Kraft. Wir müssen vorankommen. Es gibt viele Entsorgungsbetriebe, die auf eine sinnvolle Lösung warten. Wenn es also mit der freiwilligen Selbstverpflichtung nicht geht, müssen wir doch auf eine Verordnung hinarbeiten, was wir nicht wollen, was wir aber auch nicht ausschließen können.
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Zweiter Punkt: das Thema Klimaschutz. Ich bin bis zur nächsten Vertragsstaatenkonferenz Präsidentin der Klimakonferenz. Wir haben mit dem Verhandlungsprozeß zum Berliner Mandat begonnen. Wie es nun einmal in der Politik ist: Die Leute interessieren sich für ein bestimmtes Ereignis, wenn es kurz vor der Tür steht, und sie vergessen es dann auch wieder.
Ich will Ihnen nur sagen: Hier ist ein sehr kurzfristiger, zwei Jahre dauernder Prozeß in Gang zu setzen, in dessen Verlauf wir das Berliner Mandat umsetzen müssen. Ich kann an dieser Stelle nur bitten, daß wir alle gemeinsam unsere Kontakte nutzen, um das Berliner Mandat in zwei Jahren in Tokio oder in Kyoto - oder wo auch immer die Konferenz in Japan stattfinden wird - umzusetzen. Es wird ein harter Verhandlungsprozeß; das ist schon jetzt absehbar.
Wir werden unser nationales Klimaschutzprogramm weiterentwickeln, und wir werden als Bundesregierung weiter zu unserem Ziel 25 % CO2-Reduktion bis 2005, bezogen auf das Jahr 1990, stehen. Mit der Industrie konkretisieren wir jetzt das Monitoring, die Überwachung der Selbstverpflichtung. Wir müssen auch über weitere marktwirtschaftliche Instrumente in unserem Steuersystem diskutieren.
- Sie sind auch noch nicht einmal knapp fertig mit dem Diskutieren.
Man kann jedem sagen, was dabei herausgekommen ist, daß nämlich kaum noch ein Arbeitsplatz in Deutschland bestehen würde.
Wir werden das so machen, daß Menschen Arbeit, Lohn, Brot und eine saubere Umwelt in der Bundesrepublik Deutschland finden. Diese Diskussionen werden wir führen, und wir werden dabei verschiedene Dinge in Betracht ziehen. Der Bundesfinanzminister hat schon heute früh angekündigt: Subventionsabbau dort, wo Subventionen ökologisch unsinnig sind
- nicht auf einmal -, Aufspreizungen, wo es ökologisch sinnvoll ist, so wie wir es schon beim bleifreien Benzin gemacht haben, so wie wir es jetzt beim Kraftstoff Erdgas machen, so wie wir es beim benzolarmen Benzin machen könnten usw.
Es wird auch die Frage zu stellen sein: Wie wird sich die Energiebesteuerung in der Bundesrepublik Deutschland mittelfristig entwickeln?
Da möchte ich an das, was Frau Matthäus-Maier heute gesagt hat, anknüpfen. Frau Matthäus-Maier hat gesagt: Es ist alles ganz einfach. Die Lohnnebenkosten sind auf der einen Seite zu hoch,
und auf der anderen Seite ist die Energie nicht genug besteuert.
Sie hat nicht gesagt, daß schon heute die Energie in Deutschland mit immerhin rund 90 Milliarden DM Steuern belastet ist, sondern sie hat nur gesagt: Jedem leuchtet ein, daß das nicht genug ist, weil die aus der Energienutzung entstehenden Kosten höher sind.
Ein kleines Problem - ich sage das, obwohl ich im Grundsatz das EU-Modell für die CO2-/Energiesteuer unterstütze - ist die Frage, die wir alle nicht genau beantworten können: Wie hoch sind eigentlich die Kosten, die aus der Energienutzung entstehen? Sind es 90, 100, 110 Milliarden DM? Wie können wir das genau internalisieren und berechnen? Das ist für die Akzeptanz einer solchen Steuer nicht ganz unwichtig.
Was ich für wichtig halte, ist, daß wir ein solches Modell berechenbar gestalten, sowohl für die Haushalte als auch für die Industrie, und daß wir immer wieder versuchen, ein solches Steuermodell - davon gehe ich nicht ab, auch wenn es noch so verlockend erscheint, es national einzuführen - möglichst EU- weit umzusetzen, weil sonst schlicht und ergreifend die Konsequenz ist, daß Sie weite Teile der energieintensiven Nutzer ausnehmen müssen. So macht es Dänemark, so macht es Schweden, so macht es Norwegen. Das ist nicht besonders beeindruckend. EU-weit könnten wir in einem geschlossenen Wirtschaftsraum sehr viel besser vorgehen.
Das bleibt, auch wenn wir uns nationalen Überlegungen nicht völlig verschließen können.
Die SPD hat sich leider wegen innerer Zerstrittenheit der Fortsetzung der Energiekonsensgespräche erst einmal entziehen müssen. Ich sage es ganz vorsichtig. Es war nicht klar, ob man nun seitens der SPD akzeptieren kann, daß wir die Fähigkeit behalten wollen, neue Typen von Kernkraftwerken zu bauen, oder ob wir diese Fähigkeit nicht behalten wollen. Ich möchte, da meine Zeit jetzt leider knapp ist, an dieser Stelle nur folgendes sagen. Es ist eine ganz tragische Diskussion, wenn wir anfangen, bestimmte Technologien von vornherein auszuschlie-
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Ben und zu sagen: Diese Technologie möchten wir nicht mehr, jene Technologie möchten wir nicht mehr. Denn es endet zum Schluß damit, daß wir alle gemeinsam beklagen, daß ganze Industriebereiche, jetzt z. B. die Solarzellenproduktion, aus der Bundesrepublik Deutschland abwandern.
Sie können nicht sagen: Diesen Industriezweig wünsche ich mir hier, aber die Gentechnologie paßt mir nicht, und die Chipproduktion produziert zuviel Siliciumabfälle. Sie müssen ein investitions- und entwicklungsfreundliches Klima schaffen. Das schließt alle Entwicklungspfade ein.
Ich bitte Sie, denken Sie noch einmal darüber nach. Wir sind bereit, die Energiekonsensgespräche jederzeit fortzusetzen.
Ich will den unangenehmen Realitäten nicht ausweichen. Deshalb zum Abschluß nur dies: Der Stammhaushalt des BMU sinkt um 7,6 %. Das ist bitter. Aber wir können uns den allgemeinen Überlegungen, Erwartungen und auch Notwendigkeiten nicht völlig verschließen. Im übrigen haben wir einige der Ausgabenposten, die wir im vergangenen Jahr hatten, in diesem Jahr nicht mehr in unserem Haushalt, so die Ausgaben für die Klimakonferenz und den Laborneubau für das Wasser-Boden-Luft-Institut in Berlin. Wir werden versuchen, mit dem Haushalt, den wir haben, Schwerpunkte zu setzen. Ich möchte hier nur Maßnahmen zur Förderung von Umweltschutzinvestitionen und Maßnahmen im Naturschutz erwähnen. Ich möchte an dieser Stelle - man kann sicherlich in den parlamentarischen Beratungen auch noch Kleinigkeiten ins Auge fassen - nur sagen: Wir haben dieses Jahr das europäische Naturschutzjahr. Ich würde mich freuen, wenn wir unsere Pilotprojekte im Bereich des Naturschutzes mit Sicherheit fortsetzen können und dadurch auch ein Zeichen setzen können, daß die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, die wir in dieser Legislaturperiode in Angriff nehmen,
dann auch durch praxisrelevante Maßnahmen umgesetzt, durchgesetzt und begleitet werden kann.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und hoffe auf gute Diskussionen im Sinne des Umweltschutzes in der nächsten Stunde.
Ich erteile der Abgeordneten Frau Dr. Liesel Hartenstein das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
In der Debatte zur Regierungserklärung, Kollege Fischer, im November 1994, hat Frau Minister Merkel Erstaunliches verkündet:
Wir werden das Prinzip der umweltgerechten und nachhaltigen Entwicklung Schritt für Schritt zum Maßstab unseres Handelns machen.
Das war ein gewichtiges Wort. Das ließ Hoffnungen aufkommen.
Nur: Heute, fast ein Jahr später, habe ich keine einzige Silbe davon gehört, wie man diese Absicht umgesetzt hat oder versucht hat umzusetzen. Keine einzige Silbe!
- Ich habe sehr gut zugehört!
Im Gegenteil, wenn wir heute zurückblicken, dann muß ich sagen: Die Hoffnungen vom letzten Jahr sind zerstoben. Es macht sich - trotz all dem, was Frau Minister vorgetragen hat - Enttäuschung breit. Von einem wirklichen Umsteuern zu einer nachhaltigen Entwicklung kann überhaupt keine Rede sein.
Im Prinzip ist die Umweltpolitik dieser Bundesregierung durch Stagnation gekennzeichnet, und zwar durch totale Stagnation.
Frau Minister Merkel, ich will gar nichts von dem in Abrede stellen, was Sie hier in bezug auf die neuen Länder vorgetragen haben. Dort ist viel geschehen. Dies ist alles in Ordnung. Aber ob es sich um Rauchgasentschwefelungen handelt oder um was auch immer: Wir müssen doch wissen, hier geht es ausschließlich um nachgeschalteten Umweltschutz, der zu reparieren versucht, was vorher durch unsere Wirtschaftsweise angerichtet worden ist.
Sie haben Umwelt und Verkehr genannt. Das Dreiliterauto wird angestrebt - in Ordnung. Katalysator, Senkung des Benzolgehalts - das sind alles richtige Ziele. Aber strukturell verändert das gar nichts; die Umweltschäden, die durch den Verkehr entstehen, werden weiter zunehmen.
Dr. Liesel Hartenstein
Hier habe ich keinerlei konzeptionelle Vorstellungen von Ihrer Seite gehört. Ich muß das einfach so sagen, weil es aus meiner Sicht Tatsache ist. Solange das Waldsterben immer schlimmere Ausmaße annimmt, solange nichts für den Klimaschutz getan wird,
sollte man besser das Wort „nachhaltige Entwicklung" nicht mehr in den Mund nehmen.
Frau Kollegin Homburger, ich rechne damit, daß der nächste Redner der Koalition mir sagt: und haben wir doch eine Wärmeschutzverordnung! Jawohl, die haben wir.
Aber erstens kam sie viel zu spät, zweitens verlangt sie lediglich eine Reduzierung um 30 % beim Energieverbrauch von Gebäudeheizungen, und dies nur für Neubauten, obwohl technisch viel mehr möglich wäre,
und drittens ist das nur ein winziger Schritt, wirklich nur ein winziger Schritt und kein echter Durchbruch zum Klimaschutz. Das ist unsere Beurteilung.
Ich denke, die Bundesregierung sollte zwei Grundwahrheiten beherzigen, zwei Erfahrungen, die wir alle miteinander gemacht haben:
Erstens. Umweltschutz ist kein Dekorationsstück, das man sich in guten Zeiten ans Revers heftet und das man nach Belieben verschämt wieder ablegt, wenn die Zeiten wirtschaftlich schlechter werden. Nein, Umweltpolitik muß integraler Bestandteil einer vernünftigen Wirtschaftspolitik sein. Das ist bei dieser Bundesregierung nicht der Fall,
Zweitens. Schadensreparatur ist allemal teurer als Schadensvermeidung. Deshalb setzen wir voll auf Vermeidung. Ich habe den Eindruck, die Bundesregierung hat dieses schlichte Einmaleins der Ökologie immer noch nicht gelernt oder es schon wieder vergessen. Die Verbraucher können ein Lied davon singen, wie es ist, wenn Schadensreparaturen Geld kosten, z. B. wenn sie ihre Wasserrechnung erhalten. Die Verschmutzung der Flüsse und die Verseuchung des Grundwassers durch Nitrate und Pflanzenschutzmittel usw. verursachen enorme Kosten bei der Wasseraufbereitung. Das muß der Verbraucher bezahlen, wenn er will, daß sein Trinkwasser sauber ist.
Nur wenn wir endlich einsehen, daß wir nicht mehr Naturgüter verzehren, nicht mehr Wasser verbrauchen, nicht mehr Bäume fällen dürfen, als die Natur wieder bereitstellen kann, wird es auch gelingen, die ökonomischen, nicht nur die ökologischen
Lebensgrundlagen für uns und für die zukünftigen Generationen zu bewahren. Erst dann sind wir auf dem richtigen Weg. Hehre Formeln allein helfen nicht weiter.
Ich möchte versuchen, das Konzept für den ökologischen Umbau sozusagen auf die praktische Ebene herunterzudeklinieren. Das heißt dann doch nichts anderes, als daß wir alle Produktionsformen und alle Verhaltensweisen unterstützen müssen, die a) weniger Rohstoffe verbrauchen, b) weniger Abfälle erzeugen, c) weniger Energie verschwenden, d) weniger Schadstoffe emittieren und e) weniger Boden verbrauchen, sprich: weniger Boden versiegeln. Im Gegenzug müssen wir alle umweltschädlichen Nutzungsformen verteuern. Das verstehen die Leute übrigens auch, wenn man offen mit der Bevölkerung darüber redet.
Das geht nicht ohne die Wirtschaft und auch nicht gegen die Wirtschaft; das ist klar. Aber der Staat muß endlich die richtigen Rahmenbedingungen dafür setzen, und er muß im selben Atemzug für den sozialen Ausgleich sorgen. In diesen Kernfragen bleibt die Bundesregierung bis heute sprachunfähig und handlungsunfähig.
Ich habe nicht nur von fehlender Langzeitperspektive, sondern auch von Stagnation im praktischen Handeln gesprochen. Das gilt auch für das Ordnungsrecht, Frau Minister. Einige Maßnahmen sind wirklich überfällig. Es sind Versäumnisse in den letzten Jahren zu konstatieren. Ich will nur zwei Beispiele nennen.
Erstes Beispiel: 1996 tritt das Kreislaufwirtschaftsgesetz in Kraft. Fast jeder zweite oder dritte Paragraph enthält Verordnungsermächtigungen. Besonders dringlich, ja überfällig wäre z. B. eine genaue Definition von Abfällen und Wirtschaftsgut, ebenso eine genaue Abgrenzung von werkstofflicher und energetischer Verwertung. Hier ist unbedingt eine Klärung nötig, denn es gibt es eine Menge Schlupflöcher. Heute wandern Hunderttausende Tonnen Kunststoffverpackungen in die Hochöfen der Stahlindustrie, Überschrift: Verwertung. So war das in der Verpackungsverordnung nicht gedacht.
Das heißt, hier muß Klarheit geschaffen werden. Heute wird nämlich der Verbraucher in der falschen Vorstellung gehalten, er bezahle mit seinem Obolus für die Rückführung der Stoffe in den Wirtschaftskreislauf. Das ist jedoch nicht der Fall.
Im übrigen, Frau Homburger, war es höchst interessant - das muß ich doch einflechten -, daß gestern in der Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen, der Vertreter der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Politik und der Umweltverbände angehören, die fehlenden Verordnungen
Dr. Liesel Hartenstein
in erster Linie von der Wirtschaft reklamiert wurden, nicht von den Umweltverbänden. Das bedeutet, die Wirtschaft ist verunsichert, weil die Regierung ihre Hausaufgaben schlicht nicht macht.
- Wir haben es doch miteinander gemacht. Sie wissen genausogut wie ich, daß Art. 19 längst in Kraft ist. Aber die Verordnungen sind nicht da.
Zweites Beispiel - meine Redezeit geht zu Ende, und Sie sind sicherlich gleich an der Reihe -: Seit 1991 schmort der Entwurf für eine Mehrwegverordnung in den ministeriellen Schubladen. Inzwischen breiten sich die Einwegdosen sintflutartig aus, insbesondere im Bereich Bier. 21/2 Milliarden Biereinwegdosen überschwemmen heute den deutschen Getränkemarkt. Das ist ziemlich genau die Hälfte aller Getränkedosen überhaupt, auch für Erfrischungsgetränke, die in Deutschland auf dem Markt sind. Nicht umsonst haben die Umweltminister der neuen Länder vor wenigen Tagen die Notbremse gezogen. Sie verlangen ein Pflichtpfand für Einweggetränkedosen. Ich frage die Bundesregierung, wann sie endlich vom § 7 der Verpackungsverordnung Gebrauch machen will und wann sie endlich die überfällige Mehrwegverordnung erlassen will.
Offensichtlich ist sie nicht fähig, die wirtschaftlichen Folgen der Einwegschwemme zu erkennen. Eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion, die im August beantwortet wurde, enthält z. B. die Frage nach den Auswirkungen auf die kleineren und mittelständischen Brauereien. In verblüffender Naivität ist da zu lesen, die Bundesregierung könne nicht erkennen, daß durch den Vormarsch der Einwegdosen Konzentrationstendenzen gefördert würden und daß ein Verdrängungswettbewerb im Brauereibereich stattfinde. - O heilige Einfalt! möchte ich sagen, wenn es nicht eine Blasphemie wäre.
Von knapp 1 300 Brauereien in der Bundesrepublik sind 90 % mittelständische Betriebe. Sie haben regionale Versorgungsgebiete, sie haben kurze Transportwege, sie füllen fast ausschließlich in Mehrwegpfandflaschen ab: alles umweltfreundlich. Je mehr Einwegdosen aber die Supermärkte und Tankstellen überschwemmen - zu Dumpingpreisen wohlgemerkt -, desto akuter wird die Existenzgefährdung für alle diese Betriebe, und desto akuter wird die Gefahr für die Arbeitsplätze, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Die Bundesregierung aber schaut mit geschlossenen Augen zu, bis das Rad nicht mehr zurückzudrehen ist.
Liebe Kollegen vor allen Dingen von der F.D.P.,
was Sie hier zulassen, ist Monopolisierung in Reinkultur,
nach dem Motto: Die Großen fressen die Kleinen. Das heißt, es gibt weniger Markt, es gibt weniger Wettbewerb. Nach Ihrer eigenen Interpretation verstehen Sie sich doch als Hüter des Wettbewerbs. Wir kämpfen aber dafür. Das ist der Unterschied.
- Für den Wettbewerb.
Das waren ein paar kleine, aber typische Beispiele für die Erstarrung der Politik. Ich kann nur sagen: Das alles ist gerade nicht der Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung, den Frau Merkel versprochen hat. Er führt pfeilgerade in die Gegenrichtung. Er zementiert nämlich die Verschwendungswirtschaft.
Wir fordern Sie auf, endlich umzukehren. Wir brauchen Zukunftsorientierung. Wir haben unser Konzept dafür auf den Tisch gelegt. Es ist höchste Zeit, darüber zu reden. Wir laden Sie herzlich dazu ein.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Hartenstein, Ihre Rede war ein Versuch, der bedauerlicherweise nicht zum Tragen kommen konnte, weil Sie die Fakten nicht exakt dargestellt haben.
- Na ja, wenn man von dem Versuch absieht, durch etwas Schlußbeifall das Ganze aufzumotzen, war es ja nicht gerade von Beifall aus Ihrer eigenen Fraktion umrauscht, was Sie hier an Thesen vorgetragen haben. Das läßt sich nur damit erklären, daß in Ihrer eigenen Fraktion noch so viel Sachverstand vorhanden ist, daß die Mangelhaftigkeit Ihrer Thesen auch von Ihren Fraktionskollegen eingesehen wurde.
Insofern, Frau Hartenstein, wollen wir doch jetzt einmal auf einige Punkte eingehen.
Dr. Klaus W. LIppold
Der erste Punkt: Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode mit einer ganzen Reihe von Gesetzen dafür gesorgt, daß wir im Umweltbereich Fortschritte machen.
Zweiter Punkt: Wir haben auch in dieser Legislaturperiode deutlich gemacht, daß wir zur Beschleunigung von Umweltpolitik beitragen. Ich sage dies zunächst mit Blickrichtung auf die Klimakonferenz, die in Berlin stattgefunden hat. Diese Konferenz war ein Erfolg für den weltweiten Umweltschutz, weil der entscheidende Impuls dazu vom Bundeskanzler ausging, nachdem Frau Merkel die Vorbereitungen getroffen hatte.
- Sie wissen doch selbst, daß die Rede des Bundeskanzlers mittlerweile weltweit zirkuliert und als Grundlage genommen wird - egal, wo Sie darüber diskutieren -, wenn es um weltweiten Klimaschutz geht.
Ich möchte Ihnen noch eines sagen, Frau Hartenstein: Sie haben natürlich mit Fug und Recht nur einige Punkte aufgegriffen, von denen Sie dann gesagt haben, dies sei zu wenig. Aber Sie haben seinerzeit genau von diesem Pult aus immer wieder darauf hingewiesen, wir seien nicht in der Lage, ein Energieeinsparprogramm für den Altbaubestand zu realisieren, wir würden es nicht auf die Beine bringen. Jetzt, nachdem wir das - ich gebe zu: gegen einen gewissen Widerstand derer, die es zu zahlen hatten - in der Fraktion und im Bundestag durchgesetzt haben, verlieren Sie kein Wort darüber, daß wir mit dem Programm, das wir aufgelegt haben, über zehn Jahre 10 Milliarden DM für Energieeinsparung im Altbaubestand investieren. Früher kam gerade von Ihnen immer der Hinweis, daß neben dem Verkehrsbereich der Altbaubestand derjenige Bereich ist, bei dem wir primär Umweltschutzpolitik betreiben und Erfolge für den Klimaschutz erzielen müssen. Nachdem wir nun genau dies gemacht haben, verschweigen Sie es wie ein Staatsgeheimnis, weil es natürlich nicht in Ihr Konzept paßt.
Ich sage ganz deutlich, Frau Hartenstein: Zur guten Politik gehört auch ein Stück Fairneß, indem man das, was geleistet wird, wenigstens respektiert. Sie müssen es ja nicht bejubeln; das erwarten wir von Ihnen nicht, und das wäre auch völlig neu für Oppositionspolitik. Aber Sie können doch wenigstens Ihren Respekt zum Ausdruck bringen. Schließlich hätten Sie auch anfügen können, daß Sie dies alles schöner und besser gemacht hätten.
Aber da, wo Sie dran sind, machen Sie es natürlich nicht schöner. Gehen Sie doch jetzt einmal nach Berlin! Dort gibt es einen Bausenator namens Nagel, der vor der Frage stand, wie er in Berlin Wohnungsbestandspolitik machen sollte. Sollte er bei der Sanierung Energieeinsparung betreiben, oder sollte er
doppelt so viele Wohnungen sanieren? Er hat sich dafür entschieden, doppelt so viele Wohnungen zu sanieren, weil es optisch besser aussieht, anstatt sie energetisch wertvoll zu sanieren. Das heißt, Sie kritisieren hier das, was wir sagen, tun aber dort nichts, wo Sie die Verantwortung haben und etwas tun könnten.
Bei diesen fehlsanierten Wohnungen in Berlin wird sich in den nächsten 30 Jahren nichts mehr tun. Frau Hartenstein, das ist ein Skandal. Dort könnten Sie einmal den Finger in die Wunde legen. Der Verantwortliche heißt Nagel und ist Sozialdemokrat. Zu diesen Fakten sagen Sie hier kein Wort. Statt dessen sagen Sie hier, Sie wollten die bessere Umweltpolitik machen.
- Wer das Ressort hat, macht die Vorlagen, und wer die Vorlagen macht, hat die Initiativen, und wer die falschen Initiativen hat, darf nicht hierher kommen und jammern und weinen, das sei kein Schritt in die richtige Richtung. Über diesen Punkt sollten wir einmal gemeinsam nachdenken, damit wir vielleicht etwas ehrlicher miteinander umgehen.
Zu dem etwas ehrlicheren Umgang miteinander möchte ich Ihnen noch folgendes sagen - gelegentlich muß man Sie auch in Erstaunen versetzen -: Bei der Wärmeschutzverordnung, Frau Hartenstein, handelt es sich um einen Punkt, über den man nachdenken kann. Nicht mit allen Punkten, die ich avisiere, kann ich mich durchsetzen. Das ist bei Ihnen auch anders: Sie stellen es hier immer so dar, als sei dies durchsetzbar. Ich sage ganz offen: Es gibt in dieser unserer Republik unterschiedliche Interessenlagen. Ich bin froh, wenn ich in einer Zeit, in der es - wie es damals war - für den Umweltschutz rezessiv ist, wenigstens in Teilschritten Erfolge erzielen kann. Sie aber stellen sich hier hin, als ob Sie in rezessiven Zeiten für den Umweltschutz alles realisieren könnten.
Ich komme nun zur Frage der Mineralölsteuer, über die wir sicherlich noch sprechen werden: Wenn ich mir einmal ansehe, was Sie als Bundestagsfraktion im letzten Wahlkampf alles in den Raum gestellt haben und was Ihr damaliger Kanzlerkandidat mit einer Handbewegung vom Tisch gewischt hat, dann stelle ich fest, daß ich auf einmal der einzige war, der ein Stufenmodell vertreten hat. Ihr Kanzlerkandidat hat nur gesagt: Das kommt nicht mehr in Frage. Da waren Sie ganz schön brav und artig. Heute gibt es einen in Niedersachsen, der ist nicht so artig. Den haben Sie dann eliminiert. Das ist eine andere Frage.
Im Grunde genommen müssen Sie damit leben, daß Sie das, was Sie hier vehement vertreten, immer unter dem Aspekt tun: Ich erwarte von denen, die auf der Regierungsseite reden, daß sie ein Kurzzeit-
Dr. Klaus W. Lippold
gedächtnis haben und daß sie sich an all das nicht mehr erinnern. Bedauerlicherweise, Frau Hartenstein, reicht unser Gedächtnis für diese Dinge. Deshalb werden wir uns damit auseinandersetzen.
Lassen Sie mich deutlich sagen, daß ich in der Frage der Selbstverpflichtung der Automobilindustrie anderer Auffassung bin als die Opposition. Ich glaube, daß dies ein Schritt in die richtige Richtung ist. Wir werden aber darauf achten müssen, daß sie auch umgesetzt wird. Insofern war der vermeintliche Autogipfel nicht das letzte Wort. Das ist selbstverständlich.
Wenn jemand sagt, er habe das Dreiliterauto, die andere Firma das am nächsten Tag dementiert und die dritte Firma sagt, das sei serienmäßig nicht umsetzbar, dann wird es unsere Aufgabe sein, darauf zu achten, daß es umsetzbar wird. Dann werden wir auch über die ökonomischen Anreize nachdenken, damit es umgesetzt wird,
denn wir brauchen nicht drei Öko-Polos, sondern 30 Millionen Öko-Polos. Da ist unser Konzept das bessere. Dazu müssen Sie noch etwas sagen.
Wir haben, weil wir eine lebhafte Fraktion sind, natürlich auch die Frage, wie wir die Emissionen beim Auto herunterfahren können, diskutiert. Ich sage ganz offen: Da besteht noch Diskussionsbedarf. Ich bin in diesen Fragen nicht Ihrer Meinung, weil wir Umweltschutz betreiben können, ohne die Bürger zusätzlich zu belasten. Sie hingegen entwickeln Modelle nach dem Motto, dem Bürger zu 100 % oder doch zu 50 % in die Tasche zu greifen. Das ist nicht meine Politik.
Ich vertrete in dieser Fraktion die Politik, zu sagen: Wir betreiben Umweltschutzpolitik, indem wir umgruppieren, aber die Bürger nicht mehr belasten wollen.
Wenn wir also schon daran denken, bei den Anreizen etwas zu tun, ist es sinnvoll, daß man Elemente wählt,
die erstens flexibel, zweitens effizient und drittens auch verwaltungseinfach sind.
Da könnten Sie einmal über Ihren Schatten springen
und mir recht geben, daß es Punkte wie bei der Kfz-
Besteuerung gibt, zu denen man andere Vorstellungen entwickeln und bei denen man auch einmal darüber reden kann, ob es nicht effizient, ob es nicht flexibel wäre, wenn wir sie auf die Mineralölsteuer umlegen würden.
- Sie haben ja überhaupt keine Ahnung davon. Ich sage das einmal so unverblümt, auch wenn Norbert Blüm nicht hier sitzt. Das ist ein Punkt, über den wir noch einmal diskutieren müssen, weil das eine Frage der Argumente ist.
Lassen Sie mich ein Weiteres anführen: Wir werden das Naturschutzgesetz umsetzen. Da brauchen Sie nicht so zu tun, als sei das ein Ladenhüter, denn Naturschutz ist die primäre Kompetenz der Bundesländer, bei der die das Sagen haben. Sie fordern immer nur Umweltschutz, ohne zu sagen, wie Sie ihn finanzieren wollen. Selbstverständlich erwarten Sie Umweltschutz von uns mit der Maßgabe, daß wir alles finanzieren. Wenn Naturschutz Kompetenz der Länder ist, dann müssen die Länder auch bereit sein, für den Naturschutz in die Tasche zu greifen und etwas zu bezahlen.
Ihre Oberbürgermeisterin in Heidelberg hat zum Klimaschutz Vorstellungen entwickelt, nach denen der Bund zu zahlen hat. Ich habe ihr damals gesagt: Ich möchte endlich im Heidelberger Haushalt einen Ansatz sehen, mit dem sie Gelder für die Klimaschutzpolitik einstellt, statt sich hinzustellen und zu bekunden, sie erwarte Geld von der Bundesregierung, und ohne dieses Geld finde bei ihr in der Stadt kein Klimaschutz statt. Das ist der Punkt.
Sie fordern von anderen. Wo Sie selbst gefordert sind, tun Sie nichts. Wir können nicht all das tun, was wir für wünschenswert halten, aber wir erreichen in der Vorgabe im Umweltschutz wesentlich mehr als Sie. Deshalb können wir uns im Bereich Umweltschutz an all dem, was Sie fordern, messen, weil wir sagen können, daß wir das, was wir angepackt haben, und das, was wir versprochen haben, in weitesten Positionen gehalten haben. Den Rest werden wir zu Ihrem Ärgernis auch noch abarbeiten, denn es wird deutlich werden, daß wir uns im Umweltschutz nicht treiben lassen. Wir sind, wenngleich Regierungskoalition, wesentlich bestimmender als Sie seitens der Opposition, von der ich mir mehr Dampf erwartet hätte. Denn wenn eine Opposition Dampf macht, kann man sich unter Umständen auf ihre Argumente stützen. Bei Ihnen aber ist der Dampf raus, und das ist schade.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Umwelthaushalt von 1,3 Milliarden DM, gerade einmal 3,5 Promille des Bundeshaushalts - daran werden auch Sie nichts än-
Dr. Jürgen Rochlitz
dern können, Herr Lippold -, ist nicht mehr als ein Mauseloch im großen Gebäude der Bundesfinanzausgaben.
Meine Damen und Herren von der Koalition, selbstverständlich haben Sie recht, wenn Sie Ihre Ministerin aufschreiben lassen, daß weit mehr, nämlich ca. 8 Milliarden DM, in den übrigen Ressorts für Umweltschutz ausgegeben werden. Aber auch das ist allenfalls ein Kaninchengang im Haushaltsgebäude - um bei den Naturbildern zu bleiben.
Der Verweis auf die anderen Ressorts hilft auch beim Jahrhundertthema Klimaschutz nicht im geringsten. Auch dort herrschen Stagnation und Kürzung der Mittel vor, Herr Lippold, wenn z. B. das Fernwärmeprogramm für die neuen Bundesländer auf Null reduziert wird oder die CO2-Minderungsmaßnahmen im Wohnungsbau, die Sie hier angesprochen haben, kurzerhand von beim Klimagipfel angekündigten 200 Millionen DM auf ein Zehntel heruntergefahren werden. Damit haben wir es doch schwarz auf weiß, Herr Lippold, daß die Ankündigungen beim Klimagipfel nur heiße Luft gewesen sind.
Selbst für Sie, Frau Ministerin, ist es zutiefst deprimierend, nicht einmal über eine müde Million Mark verfügen zu können, um Ihre Federführungsaufgabe im Klimaschutz voranzubringen. Nun verteidigt die Ministerin für Umwelt die geringen Summen ihres Haushalts erstmals mit dem Argument des Verursacherprinzips. Die Verantwortlichen für Umweltschäden hätten die Kosten für vorsorgende Vermeidung und für die Beseitigung zu tragen. Entscheidend, so die Ministerin, seien daher nicht die Umweltschutzausgaben des Bundes, sondern die Umweltschutzausgaben der Verursacher.
Wie wahr, Frau Ministerin, aber doch wie falsch, wie abgrundtief falsch, wenn damit gesagt werden soll, der vorgelegte Haushalt sei ein strategischer Haushalt, mit dessen Hilfe die umweltpolitische Zukunft Deutschlands gestaltet würde, und wie falsch, wenn Sie suggerieren wollen, sämtliche Verursacher könnten zu Zahlungen herangezogen werden! Nein, das Gegenteil ist doch der Fall. Die Ministerin verkriecht sich in ihr Umweltmauseloch und läßt die strategischen Entscheidungen zuungunsten der Umwelt und der Zukunft auf den oberen Stockwerken des Haushaltsgebäudes geschehen.
Schlimmer noch - heute haben wir es wieder erfahren -: Sie sollen nach dem Willen der Ministerin in den Chefetagen der Industrie sogar in Form von Selbstverpflichtungen stattfinden. Damit, meine Damen und Herren, betreiben diese Ministerin und die Bundesregierung die Selbstaufgabe jeglicher umweltpolitischen Strategie im zuständigen Ministerium.
Der Umwelthaushalt wie auch die Ausgaben für Umweltschutz in den übrigen Ressorts sind überwiegend Mittel zur Vergangenheitsbewältigung. Frau Merkel, Sie haben uns das heute wieder bestätigt. Als Initiativen führen Sie praktisch nur die mumifizierten Verordnungen Ihres Vorgängers an. Die Zukunft findet nur am Rande statt, wenn noch nicht einmal die Entwicklung eines nachhaltig umweltverträglichen Deutschlands zu einem Etatposten geführt hat.
Leider ist es kein Signal, daß Sie, Frau Merkel, sich bei diesem Thema ganz auf ein bekanntes Institut in Wuppertal verlassen wollen. Ich garantiere, Frau Merkel: Es ist ein strategischer Fehler der Umweltministerin, weder ein Vetorecht noch ein Mitspracherecht bei den Umweltausgaben der anderen Ressorts zu haben und es sich noch nicht einmal erkämpfen zu wollen. So bleibt die Umweltministerin nur das possierliche Tierchen, die bescheidene Maus, neben den Panthern und Tigern am Kabinettstisch ohne die nötige Durchsetzungskraft zur Gestaltung der ökologischen Zukunftsaufgaben.
Solange dies ebensowenig erkannt wird wie die Funktion der gegenwärtigen und vom Ministerium geplanten Ausgaben für Umweltschutz, findet nachhaltige umweltpolitische Zukunftssicherung überhaupt nicht statt. In diesem Umwelthaushalt sind die Ausgaben doch allenfalls zur Minderung der bestehenden oder sich abzeichnenden Schäden und keineswegs zur grundsätzlichen Beseitigung der Schadensursachen gedacht. Denn um dies leisten zu können, müßten endlich auch die ökologischen Schäden bilanziert werden, die von den Haushalten der anderen Ressorts Jahr für Jahr ausgelöst werden - durch Straßenbauwahn, durch Technikfanatismus und mangelnde Einsicht.
Wo, wenn nicht im Umweltministerium, müßte eine Ökobilanz über die positiven und bisher vorwiegend negativen Auswirkungen des Bundeshaushalts erstellt werden? Wenn Sie so wollen: Ein Öko-Audit der Bundesregierung muß her. Dann ließen sich endlich die Komponenten der Bundespolitik ausmachen, bei denen vorsorgender Umweltschutz zur Schadensabwehr dringend vonnöten ist.
Denn, meine Damen und Herren, eine Lektion des nachsorgenden Umweltschutzes sollten wir gelernt haben - auch bei Ihnen in der CDU ist das anscheinend mittlerweile angekommen -: Die Phase der End-of-the-pipe-Umweltpolitik sollte in eine Politik überführt werden, die tatsächlich an die Ursachen herangeht, die sich damit auch endlich in die bundesweite breite Debatte um Ökosteuern und die Ökosteuerreform einklinkt. Eine verantwortbare Umweltpolitik müßte bei dem Bestreben, das Verursacherprinzip in Steuerpraxis umzumünzen, praktisch Vorreiterin sein.
Wozu haben denn Enquete-Kommissionen an den Visionen einer zukunftsgerichteten Umweltpolitik gearbeitet? Wozu haben denn die Umweltweisen der Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben, daß ökonomische Anreize für die ökologische Wahrheit
Dr. Jürgen Rochlitz
der Preise sorgen müssen und daß sie seit der Wiedervereinigung nichts als einen gegenreformatorischen Umweltkurs verfolge, wenn daraus keine Lehren gezogen werden?
Genau betrachtet werden doch bei sehr großzügiger Auslegung und Abschätzung des Umwelthaushalts lediglich 50 Millionen DM für Projekte und Investitionen des integrierten, also wirklich zukunftsträchtigen Umweltschutzes eingesetzt. Ansonsten überwiegt im Bundeshaushalt mit mehr als 90 % der vergangenheitsgerichtete, nachsorgende Umweltschutz.
Um nicht mißverstanden zu werden, sei nochmals darauf hingewiesen: Auch dieser nachsorgende Umweltschutz ist selbstverständlich weiterhin vonnöten, aber nicht nur aus strategischen Gründen wäre es erforderlich, endlich deutliche Signale in Richtung zukunftsweisender Investitionen zu setzen.
Aber gerade das Gegenteil passiert doch, wenn der einzige Solarzellenhersteller in Deutschland durch eine immer mehr vernachlässigte Förderung dieser zukunftsweisenden Technik der Energiegewinnung vergrault wird.
Nur ein Beispiel, meine Damen und Herren: Was nützt uns denn das längst überfällige Bodenschutzgesetz - mit dem übrigens in modifizierter Fassung durchaus eine Zukunftssicherung dieses zentralen Umweltmediums möglich sein könnte -, wenn es nahezu keine Haushaltsansätze zum Bodenschutz gibt? Die veranschlagten 5 Millionen DM sind wohl kaum eine solide Basis. Wie wäre es denn gewesen, wenn die Bundesregierung in einem Anfall visionärer Gestaltungskraft zur Umsetzung ihrer Bodenschutzpolitik haushälterisch bereits ein Bundesamt für Bodenschutz eingeplant hätte?
Hier hätte Umweltpolitik nicht nur symbolischen Stellenwert bekommen, hier hätten Forschung und Praxis der Bodenreinhaltung und -sanierung endlich ein gemeinsames Dach bekommen können, hier hätten die Erstellung eines Bodenkatasters und letztlich eine fachlich begründbare Richtlinienkompetenz installiert werden können. Unsere Fraktion würde sich Bodenschutz jedenfalls effektiv etwas kosten lassen - im Gegensatz zur Bundesregierung.
Es ist wahrlich ein umweltpolitisches Armutszeugnis, wenn ausgerechnet bei den Investitionen zur Verminderung und Vermeidung von Umweltbelastungen der Waigelsche Rasenmäher angesetzt wird: Er führt die Investitionsausgaben von 123 Millionen DM im Jahr 1994 über 92 Millionen DM nun auf 58 Millionen DM zurück, von denen aber nur noch 6,5 Millionen DM für neue Vorhaben zur Verfügung stehen.
Schlimmer noch: Mit solchen kameralistischen Husarenstückchen wird die Schieflage des Haushalts zugunsten atompolitischer Ausgaben noch verstärkt. Bei dieser Ausgabenstruktur mit 50 % der Forschungsmittel für Atom- und Strahlenpolitik und in etwa gleich hohen Kosten für das Umweltbundesamt
und das Bundesamt für Strahlenschutz - sprich: Schutz der Atompolitik von Bundesregierung und Industrie - und schließlich mit einem anhaltend hohen Haushaltsanteil von mindestens 37 % für die Atomenergie rutscht das Umweltministerium immer mehr in die Ecke eines Ministeriums zur Sicherung der Atomindustrie.
Wo zeigt sich die atomindustriefreundliche Haushaltsdominanz deutlicher als an der Haltung des Ministeriums zu den sicherheitstechnisch relevanten Rißbefunden an den Schweißnähten älterer Siedewasserreaktoren! Hier wird in der Tat das Umweltministerium zum Sicherheitsrisiko, denn statt dieses Rißproblem endlich zum Anlaß für Stillegungsverfügungen zu nehmen, sieht das Ministerium auch noch einen äußerst kostenträchtigen Untersuchungsschwerpunkt mit Haushaltsrelevanz.
Von noch weiter reichender Verantwortungslosigkeit zeugt die mit immerhin 4,9 Millionen DM dotierte Untersuchung des Lungenkrebsrisikos durch Radon am Beispiel der Beschäftigten im Uranbergbau Sachsens und Thüringens. Meine Damen und Herren, wir kennen doch die Risiken von Lungenkrebs durch Radon. Statt Risikountersuchungen sind schnellstens Präventionsmaßnahmen gegen die voraussichtlichen Erkrankungen angesagt, wenn nicht sogar Wohnsitzänderungen.
Solche unverantwortlichen haushalts- und umweltpolitischen Eskapaden zeigen doch nur eines - wie es schon mit der Vorlage der als Lachgasverordnung bezeichneten Ozonverordnung geschehen ist -: Die Zukunft eines nachhaltig umweltverträglichen, für unsere Kinder und Enkel umweltbewahrenden Deutschlands wird weniger und weniger bedacht.
Frau Ministerin, nicht nur Ihr Haushalt, sondern auch Ihr „think-tank" für die Umwelt ist dabei auszutrocknen. Es fehlt das Feuchtbiotop zur Entwicklung von Ideen, wie einer Industriegesellschaft die ökologischen Grenzen gezeigt werden, wie eine Wohlstandsgesellschaft in eine ökologische Wohlbefindensgesellschaft überführt wird.
Deswegen unser Rat: Kämpfen Sie endlich einmal für mehr Kompetenz und mehr Möglichkeiten der Ideenfindung, gegen Ihre Kollegen im eigenen Kabinett und schon gar gegen den Finanzminister! Vor allem aber hüten Sie sich vor der Mausefalle der Atomindustrie, auch wenn der Speck noch so gut riecht! Hüten Sie sich aber auch vor den schon aufgestellten Selbstverpflichtungsfallen der übrigen Industrie! Wenn Sie nicht bald umsteuern, entgehen Sie ihnen nicht.
Danke schön.
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Birgit Homburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede vom Kollegen Rochlitz hat gerade wieder einmal deutlich gezeigt: Die Grünen reden hier vom Verursacherprinzip und beklagen gleichzeitig, daß die erforderlichen Mittel nicht im Haushalt eingestellt sind. Sie haben überhaupt nicht begriffen, daß „Verursacherprinzip" heißt, daß die Mittel eben nicht im Haushalt eingestellt werden. Vielmehr bedeutet eine konsequente Umsetzung dieses Prinzips, daß die Mittel im Haushalt letztendlich sogar reduziert werden, weil man nämlich beim Verursacher ansetzt und dem Verursacher die Kosten anlastet. Das ist exakt das, was wir wollen.
Die F.D.P. fordert mehr Marktwirtschaft im Umweltschutz; das wissen Sie. Wir wollen ökonomische Instrumente. Das zentrale Element der Marktwirtschaft ist der Wettbewerb.
Wir müssen auf den Wettbewerb setzen, um z. B. - ich will das deutlich sagen; auch die Ministerin hat das angesprochen - die Abwasser- und die Abfallgebühren in den Griff zu bekommen. Das ist so, auch wenn Sie das nicht begreifen wollen.
Durch Ausschreibungen und Wettbewerb unter privaten Betreibern haben Kommunen gezeigt, daß hochmoderne Kläranlagen, die allen gesetzlichen Anforderungen entsprechen oder sie sogar überschreiten, zu Gebühren gebaut und betrieben werden können, die im Durchschnitt liegen.
Wer wie die SPD behauptet, von gewinnorientierten Unternehmen könnte man keine Gebührensenkungen erwarten, der hat überhaupt nicht begriffen, wie Marktwirtschaft funktioniert.
und sollte in der Folge auch nicht von ökologischer Marktwirtschaft reden. Niedrige Preise sind nämlich das Ergebnis von Wettbewerb unter Firmen, die natürlich Gewinn machen wollen. Schutzzäune, wie Sie von der SPD sie wollen, schaffen hohe Preise.
Ich fordere Sie deshalb auf: Gucken Sie sich einmal Anlagen an, beispielsweise Storkow in Brandenburg, Wedemark in Niedersachsen oder Altenburg in Thüringen! Haben Sie den Mut, sich endlich von der ÖTV und von deren Blockadepolitik zu lösen und zu befreien!
Wir sind der Meinung, wir müssen alle Wege beschreiten, um die Belastungen des Bürgers nicht weiter steigen zu lassen.
Die Bereisung, die ich im Juli gemacht habe, zeigt jedenfalls deutlich, daß die Organisationsform der Schlüssel zur Kostensenkung in den Kommunen ist. Kläranlagen kann man eben nicht wie ein Paßamt betreiben. Es sind Wirtschaftsunternehmen, und sie müssen nun einmal wie Wirtschaftsunternehmen organisiert werden.
Die Abwasserentsorgung bei zwei Dritteln unserer Bürgerinnen und Bürger wird noch immer in Behördenform anstatt in Form einer GmbH oder AG organisiert. Dabei ist erwiesen, daß allein durch eine andere Organisationsform die Gebühren um 10 bis 15 % gesenkt werden können.
Frau Ministerin Merkel, ich fordere Sie auf
- es wäre gut, wenn Sie zuhörten -, eine kommunalpolitische Initiative zu starten, um bei den Kommunen für mehr Kosteneffizienz beim Umweltschutz zu sorgen.
Die bisherige Freistellung der Behördenbetriebe von der Umsatzsteuer - auch das wird die SPD ungern hören - behindert diese Umwandlung. Deshalb fordert die F.D.P. nach wie vor die steuerliche Gleichbehandlung von privaten und öffentlich-rechtlichen Abwasser- und Abfallbetrieben.
Wir fordern auch mehr Wettbewerb in der Abfallwirtschaft. Das Duale System darf nicht weiter ein Closed Shop bleiben.
Der kürzlich von Frau Merkel vorgestellte Entwurf zur Novellierung der Verpackungsverordnung greift die Forderung der F.D.P. nach Ausschreibung von Entsorgungs- und Verwertungsverträgen auf. Das reicht uns aber noch nicht. Zusätzlich müssen noch weitere Aspekte, z. B. eine Befristung dieser Verträge, aufgenommen werden, um auch Newcomern eine Chance zum Markteintritt zu geben.
Ich hoffe, Frau Minister Merkel, daß die Bundesregierung Ihren Verordnungsentwurf bald dem Bundestag vorlegt. Sie wissen ja, daß der Bundestag zum erstenmal daran beteiligt werden muß. Ich freue mich schon darauf, daß wir dann darüber intensiv diskutieren werden.
Frau Hartenstein, Sie haben im Zusammenhang mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz gesagt, die nötigen Verordnungen seien noch gar nicht in Kraft. Das, was bisher noch nicht in Kraft ist, betrifft den Teil des
Birgit Homburger
Gesetzes, der zum 1. Oktober 1996 in Kraft tritt. Insofern ist das, was Sie hier vorgetragen haben, völliger Unsinn. Es gibt hier überhaupt nichts, bei dem wir in Verzug wären.
Was den Einsatz von Plastikmüll in Stahlöfen angeht, so kann ich Ihnen nur sagen: Unterhalten Sie sich darüber einmal innerhalb Ihrer eigenen Partei! Es ist bei weitem nicht so, daß alle Ihrer Meinung sind. Im Gegenteil, in Ihrer Partei sind eine ganze Reihe von Leuten in der Tat der Meinung, daß der Einsatz von Plastikmüll in Hochöfen wie z. B. in Bremen als Reduktionsmittel eine stoffliche Verwertung darstellt.
Sogar der ehemalige Umweltsenator Flicks in Bremen von den Grünen war dieser Auffassung und hat sich dafür eingesetzt. Ich hätte gerne einmal eine einheitliche Meinung von Ihnen gehört.
Bei der Verwirklichung der Produktverantwortung bei Altautos und Elektronikschrott setzt die F.D.P. auf freiwillige Lösungen. Ich will hier die Chance nutzen, um ganz klar auch nach draußen zu sagen: Die Uhr dafür läuft ab! Wenn nicht bis Ende Herbst seitens der Wirtschaft umweltpolitisch befriedigende und wettbewerbskonforme Selbstverpflichtungen vorgelegt werden, die nach unserem Willen auch dem Mittelstand in diesem Bereich eine Chance geben müssen, dann müssen wir eben Verordnungen erlassen. Das ist dann unerläßlich; wir kommen an dieser Maßnahme nicht vorbei. Das müssen all diejenigen wissen, die dies im Augenblick verzögern.
Ich wünsche mir, daß die Automobilhersteller nicht nur wieder Studien über Dreiliterautos vorstellen, sondern diese Autos auch zu vernünftigen Preisen auf den Markt bringen. Noch wichtiger ist es, den Verbrauch in allen Fahrzeugklassen zu senken. Wir müssen endlich auch im Straßenverkehr zu realen Absenkungen von Schadstoffemissionen kommen. Mit der Selbstverpflichtung zur Verbrauchsabsenkung bei Neufahrzeugen sind wir auf dem richtigen Weg. Jetzt aber müssen den Worten auch Taten folgen.
Erfreulich ist allerdings - auch das will ich hier sagen -, daß der Mineralölverband vor kurzem beschlossen hat, jetzt bundesweit für eine bestimmte Kategorie von Kraftstoff, für Super Plus, benzolarmes Benzin einzuführen, das nur einen Anteil von 1 % Benzol hat. Ich freue mich, daß es Herrn Staatssekretär Hirche in Verhandlungen gelungen ist, daß dies früher erfolgt, als wir alle es erwartet haben.
Die F.D.P. will auch das Steuersystem ökologisch weiterentwickeln und kontraproduktive Regelungen abschaffen. Wir wollen z. B. die Kfz-Steuer - darüber
haben wir heute schon gesprochen - auf die Mineralölsteuer umlegen, und zwar aufkommensneutral. Neben umweltpolitischen Aspekten hat diese Lösung auch den Charme einer Vereinfachung des Steuersystems.
Darin besteht ein Unterschied zu der emissionsbezogenen Kraftfahrzeugsteuer, wie sie von Frau Merkel vorhin wieder angekündigt wurde. Ich wünschte mir schon, Frau Merkel, daß dieses Konzept der Koalition einmal vorgelegt würde, damit wir nicht immer nur über die Presse hören müssen, was Herr Wissmann und Sie für besser halten.
Durch eine Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer würden wir auch einen Anreiz zur Entwicklung und zum Kauf verbrauchsärmerer Fahrzeuge schaffen. Die F.D.P. will das Dreiliterauto. Deswegen wollen wir auch die ökonomischen Weichen dafür richtig stellen.
Gleichzeitig - auch darin liegt ein Unterschied zu der emissionsbezogenen Kfz-Steuer - schaffen wir durch die Verteuerung des Benzins einen Anreiz, weniger und sparsamer zu fahren. Wir sind der Meinung, daß nicht das Besitzen eines Fahrzeugs, sondern das Bewegen, das sich letzendlich auf die Umwelt- und Verkehrsinfrastruktur auswirkt, belastet werden muß.
Die F.D.P. fordert weiterhin die Umwandlung der Kilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhängige einheitliche Entfernungspauschale.
Auch hier wollen wir Anreize schaffen, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen oder sparsame Fahrzeuge zu nutzen.
Die Einführung der Entfernungspauschale muß allerdings haushaltsneutral sein. Deshalb muß der Satz gesenkt werden. Die von der SPD, von den GRÜNEN und von der PDS geforderten Schnellschüsse, die wir im Frühjahr schon diskutiert haben, haben wir deswegen zu Recht abgelehnt. Diese Vorschläge waren nämlich unausgegoren.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, Ihr Kollege Müller fordert für die SPD im Umweltausschuß eine einheitliche Entfernungspauschale auf der Basis von 50 Pfennig pro Kilometer, von der er behauptet, daß sie haushaltsneutral sei. Andere im Bundesratsfinanzausschuß verlangen 61 Pfennig, anschließend hilfsweise 65 Pfennig.
- Sie sagen jetzt: 60 Pfennig. Hier muß doch erst einmal Klarheit über die Zahlen her. Wo soll man denn anfangen? Wenn diese Maßnahme haushaltsneutral sein soll, dann muß sie auch seriös sein. Wenn sie seriös sein soll, müssen die Zahlen geklärt werden. So
Birgit Homburger
geht es jedenfalls nicht. Ich fordere die Bundesregierung auf, daß sie hier Berechnungen vorlegt, wozu sie bei der Beratung des Jahressteuergesetzes von diesem Hause auch aufgefordert wurde.
Frau Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Matthäus-Maier?
Ja, bitte.
Frau Kollegin, da nach meinen Berechnungen eine aufkommensneutrale Finanzierung möglich ist, wenn Sie bei der Kilometerpauschale und der einheitlichen Entfernungspauschale 60 Pfennig zugrunde legen, frage ich Sie: Können wir dann nicht gemeinsam sagen: Wir machen das, wir berechnen das? Das Ministerium ist hervorragend. Dort kann man das berechnen. Berechnen können sie es im Ministerium gut, nur der Minister tut nicht immer das, was die Leute ihm vorlegen. Was haben Sie dagegen, dann zusammen mit uns eine Entfernungspauschale zu beschließen?
Frau Kollegin, Sie haben mir überhaupt nicht zugehört. Ich habe gerade nichts anderes gesagt. Es war wunderschön, daß Sie mir gerade offiziell die dritte Zahl für die SPD geliefert und damit zu Protokoll gegeben haben. Nach Ihren persönlichen Berechnungen sind es 60 Pfennig, 50 Pfennig sagt Herr Müller, 61 oder 65 Pfennig der Bundesratsfinanzausschuß.
Wenn wir einmal diese Zahlen klären, was ich fordere, dann bin ich mit Ihnen einer Meinung, daß wir gemeinsam zu einer Entfernungspauschale kommen. Damit habe ich überhaupt kein Problem. Aber die Zahlen müssen geklärt werden. Die Lösung muß seriös und haushaltsneutral sein. Es ist überhaupt nicht hilfreich, daß Sie hier verschiedene Zahlen nennen.
Frau Homburger, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Fischer?
Immer.
Frau Kollegin, wieviel würden Sie denn vorschlagen?
Herr Kollege,
ich gehe nicht her und nenne irgendwelche Zahlen.
Da das Finanzministerium dazu da ist, seriöse Zahlen
auf Aufforderung zu liefern, muß das Finanzministerium - genau dazu habe ich es auch aufgefordert -diese seriösen Zahlen liefern. Ich bin nicht bereit, mich an einer Herumhampelei zu beteiligen, bei der einmal diese Zahl und einmal jene Zahl genannt wird. Ich will eine seriöse Politik, und dafür brauchen wir zuverlässige Zahlen, welche wiederum das Ministerium vorzulegen hat.
Frau Kollegin Homburger, da ist noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Köhne.
Wenn er meint, daß es ihm etwas bringt, bitte.
Bitte schön, Herr Köhne.
Frau Kollegin Homburger, waren Sie an dem besagten Tag im Umweltausschuß nicht nur körperlich anwesend, als der Kollege Müller auf unseren Antrag hin den Änderungsantrag eingebracht hat, daß die Geschichte mit der Entfernungspauschale aufkommensneutral sein sollte? Wir erwarten ja eine Zahl vom Ministerium. Das war der Kern dieses Änderungsantrages. Waren Sie an diesem Tag auch geistig anwesend?
Herr Kollege Köhne, ich bin öfter geistig anwesend als Sie, weil ich auch öfter körperlich anwesend bin. Ich will dazu nur sagen, daß ich selbstverständlich mitbekommen habe, was wir da diskutiert haben. Wir waren uns aber auch einig, daß wir nicht einfach einen Beschluß fassen können, daß wir es uns nicht so einfach machen können zu sagen: Wir wollen eine aufkommensneutrale Lösung, und anschließend passiert überhaupt nichts. Deshalb haben wir unsere Forderung im Rahmen der Beratung des Jahressteuergesetzes vorgetragen. Dies ist nichts anderes als das, was wir im Umweltausschuß diskutiert haben. Insofern sehe ich überhaupt nicht Ihr Problem.
- Die F.D.P. unterstützt das voll, die SPD, so hoffe ich, auch. Insofern werden wir dort sicherlich noch zueinander kommen.
Jetzt kommen wir zum Thema CO2-/Energiesteuer, meine Damen und Herren. Die F.D.P. wird im Herbst ein Konzept für eine Klimaschutzsteuer vorlegen, aber wir werden uns nicht an dem Aktionismus von SPD und Grünen beteiligen. Sie verkünden nämlich Konzepte, die später korrigiert werden. Es werden dann wieder andere Berechnungen angestellt, und dann ist wieder alles ganz anders. Beispielsweise hat Ihre Fraktion, Herr Fischer, im Mai mit großem Tamtam eine ökologisch-soziale Steuerreform vorgelegt. Sie wollten mit 70 Milliarden DM einsteigen und bei 250 Milliarden DM aufhören. Jetzt sollen es, wie ich der Presse entnehme, 52,5 Milliarden DM zu Anfang
Birgit Homburger
sein und 264 Milliarden DM in der Endstufe. Herr Steenblock sagt damit, wie ich der Presse entnehme: Die Staatsquote muß steigen. - Sie wollen ja dem Bürger von den Steuermehreinnahmen nur 60 % am Anfang und 74 % am Schluß zurückgeben. Das heißt im Klartext, die Grünen planen eine Steuermehrbelastung von jährlich 21 Milliarden DM am Anfang und von rund 68 Milliarden DM in zehn Jahren.
So, meine Damen und Herren von den Grünen, kann man es nicht machen.
So machen Sie die arbeitende Bevölkerung schlicht und ergreifend zum Sklaven des Staates. Wenn Sie die Abgabenlast hochtreiben, werden Sie von mir weiter hören, daß dazu nur das Wort „abkassieren" paßt.
Herr Fischer, es nützt ja nichts, wenn Sie die ganze Zeit dazwischenschreien. Der Presse entnehme ich nämlich ebenfalls, daß Sie sagen, daß bei der Steuerlast Oberkante Unterlippe erreicht sei und daß die ökologische Steuerreform den Bürger nicht weiter belasten dürfe.
Ich stelle fest: Die F.D.P. will das schon lange. - Schön, daß Sie lernfähig sind.
Wir werden allerdings sehen, ob Sie, Herr Fischer, sich in Ihrer Fraktion durchsetzen können. Die einzige Konsequenz, die Sie ziehen müßten, wenn Sie diese Aussage unterstreichen wollten, wäre: Sie müßten Ihr Konzept schlicht und ergreifend zurückziehen.
Die SPD weiß auch nicht, was sie will. Herr Müller will mit den staatlichen Ausgabenprogrammen aus der Energiesteuer die Steuerlast hochtreiben. Das hat er hier im Rahmen der Diskussion zum Klimaschutzprogramm gesagt. Frau Fuchs - das entnehme ich der Presse - will die Gelder zum großen Teil zurückgeben, die durch eine Ökosteuer eingenommen werden. Herr Scharping sagt: Die Steuer- und Abgabenquote darf nicht weiter steigen. Ich frage also: Bitte schön, was will die SPD? Wer spricht eigentlich für sie?
Die Aufkommensneutralität der Klimaschutzsteuer ist eine absolute Bedingung für die F.D.P., weil wir eben nicht wollen, daß die Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden und weil wir die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland nicht gefährden ' wollen. Wir wollen aber trotzdem eine ökologische Lenkungswirkung erreichen.
Sicherheit für Investoren muß auch beim BundesBodenschutzgesetz geschaffen werden. Anscheinend hat jetzt auch Bayern grünes Licht gegeben. Das ist ja sehr erfreulich, obwohl man sagen muß, daß dies deutlich früher hätte passieren müssen.
Durch einheitliche Sanierungs- und Nutzungsvorgaben werden dann auch das Tohuwabohu bei der Altlastensanierung und die entsprechenden Probleme bei Ländern und Gemeinden beseitigt. Damit werden wir auch die dringend notwendigen Investitionen, vor allen Dingen in den neuen Ländern, beschleunigen.
Auch die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes ist überfällig, und das nicht nur zur Umsetzung der Habitat-Richtlinie.
Ich hoffe, daß die Bundesregierung hierzu ebenfalls bald einen Entwurf vorlegt.
Meine Damen und Herren, ich denke, diese Koalition wird in den nächsten Wochen und Monaten deutlich machen, daß sie die Umweltpolitik voranbringt. Die F.D.P. wird dabei mit Sicherheit eine treibende Kraft sein.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt 1996 ist wie der Finanzplan 1995 bis 1999 nicht nur ein sozialer, sondern auch ein ökologischer Genickschlag. Die Mittel des Umweltministeriums werden 1996 um 40 Millionen DM, also um 3 %, gekürzt. 1997 soll der Haushalt dann zwar wieder um 45 Millionen DM angehoben werden, aber nur, um ein Jahr später um fast 50 Millionen DM zu schrumpfen.
1999 wird er mit dann 1,343 Milliarden DM um 20 Millionen DM unter dem Soll des Jahres 1995 liegen.
Neben dem Volumen deutet auch die Struktur der Umweltausgaben darauf hin, daß sich die Bundesregierung von einem sozial-ökologischen Umsteuern weiter denn je entfernt hat. 1996 werden die Ausgaben für Investitionen zur Verringerung der Umweltbelastungen nicht mehr 123,5 Millionen wie 1994, sondern nur weniger als die Hälfte, nämlich 57,6 Millionen DM, betragen. Die Atomforschung läßt sich die Bundesregierung dagegen 1,8 Milliarden DM kosten.
Eva Bulling-Schröter
Darüber hinaus summiert der Bundesfinanzminister im Finanzbericht 1996 teilweise obskure Titel unter der Überschrift „Ausgaben der Bundesressorts für den Umweltschutz und für Maßnahmen mit umweltverbessernder Wirkung - einschließlich Ausgaben für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz" und kommt somit im Bundeshaushalt 1996 auf Umweltschutzausgaben in Höhe von rund 9,36 Milliarden DM. Dabei handelt es sich zum großen Teil um Ausgaben, die im Zusammenhang mit bereits aufgetretenen Umweltbelastungen entstehen. Dazu werden beispielsweise die sogenannten Verteidigungslasten in Höhe von 480 Millionen DM gezählt, die Posten wie die Beseitigung von Kampfmitteln, Erosionsschutz sowie Schallschutzmaßnahmen an Truppenübungsplätzen umfassen. Auch die als Folge der politisch forcierten Motorisierung entstandenen Lärmbelästigungen führen zu Ausgaben für Schallschutzmaßnahmen an Bundesstraßen in Höhe von rund 66,7 Millionen DM, die im Finanzbericht der Bundesregierung mit demagogischer Selbstverständlichkeit dem Umweltschutz zugeschlagen werden.
Desgleichen werden Ausgaben für die gentechnische Forschung - 12 Millionen DM -, für das Kernforschungszentrum Karlsruhe - 96,4 Millionen DM - oder für die Forschung auf Gebieten der Reaktorsicherheit - 81,5 Millionen DM - auf das Umweltschutzkonto gebucht, obwohl gerade diese Zweckbestimmungen umweltschädigende Folgen nicht ausschließen, sondern größtenteils erst provozieren.
Selbst die Bundeswehr leistet mit 1,16 Milliarden DM ihren angeblichen Beitrag zum Umweltschutz - wahrscheinlich zur Emissionsreduzierung beim ökologischen Stellungs- und Bunkerbau.
Eine Zweckbestimmung von Ausgaben für Maßnahmen zur Verhinderung ökologischer Schäden muß man dagegen mit der Lupe suchen. So sind die Anteile der Ausgaben für die bilaterale finanzielle und technische Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, die dem Umweltbereich zugute kommen, im Einzelplan 23 nicht nur mit jeweils 25 % der entsprechenden Gesamtausgaben geschätzt, sondern sollen auch von 1994 bis 1996 um insgesamt 33 Millionen DM schrumpfen.
Selbst wenn wir - realpolitisch geläutert - die oben genannten 9,36 Milliarden DM als tatsächliche Umweltausgaben betrachten, entsprechen diese nur 2 % des Gesamtetats 1996. 2 % - das ist angesichts der handgreiflichen Umwelt- und Entwicklungsprobleme dieser Welt ein vollkommen unakzeptabler Wert.
Doch woher sollen die Milliarden kommen, die zur Finanzierung eines sozial-ökologischen Umbaus notwendig wären? Eine sprudelnde Quelle, ein Allheilmittel, sozusagen eine eierlegende Wollmilchsau, wird von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie auch von der SPD hofiert:
die ökologische Steuerreform. Marktkräfte nutzen, externe Kosten internalisieren, Umweltverbrauch und -verschmutzung zur betriebswirtschaftlichen Größe machen - ein neues, nunmehr ökologisches Wirtschaftswunder steht angeblich vor der Tür.
Allerdings ist dabei von der alten Losung „Die Preise müssen endlich die ökologische Wahrheit sprechen! " nicht mehr viel übriggeblieben. Auch soll der eigentliche Umbau nunmehr weitgehend dem ökosteuerlich reformierten Markt überlassen werden. Für eine rosa-grüne Alternative in Wartestellung ist dies nachvollziehbar. Schließlich möchte man es sich nicht mit der Wirtschaft verderben.
War noch vor der Sommerpause die Frage der Aufkommensneutralität bei den Bündnisgrünen wenigstens umstritten, so hören wir jetzt von Staatsminister a. D. Joschka Fischer, daß bei Steuern und Abgaben nunmehr „Oberkante Unterlippe" - Sie haben es ja schon gesagt, Herr Schmidt - erreicht sei.
Deshalb ist Kostenneutralität angesagt; deshalb soll auch die schrittweise Anhebung des Benzinpreises auf 5 DM nicht wie ursprünglich in vier, sondern erst in zwölf Jahren erreicht werden.
Nicht mehr Ausgleichszahlungen für untere Einkommensgruppen und die Finanzierung ökologischer Umbauprogramme stehen an erster Stelle, sondern die Abschaffung der Kfz-Steuer, Senkung von Lohnnebenkosten - darin ist sich das Haus ja einig - sowie Verringerung von Einkommen- und Unternehmensteuern bis hin zur Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer. Kurzum: 80 % eines möglichen Ökosteueraufkommens sollen nicht in die Umwelt, sondern in die neoliberale Mottenkiste fließen - Flexibilisierung usw.
Ökosteuern dürfen nicht weh tun, meint auch die SPD. Nach Oskar Lafontaine soll über die Aufkommensneutralität hinaus marktwirtschaftlicher Umweltschutz - was immer das auch sein mag - keinen zusätzlichen Kostendruck auf die Wirtschaft ausüben. So will der saarländische Ministerpräsident besonders energieintensive Branchen wie Kohle, Stahl oder Chemie bei Einführung einer Energiesteuer auch gleich wieder über niedrige Steuersätze bei Laune halten.
Für Teile der SPD ist dies nur konsequent; denn als moderne Wirtschaftspartei war sie im Umgang mit umweltpolitischen Visionen noch nie besonders zimperlich. Sie führte die sogenannten Energiekonsensgespräche, die nichts anderes als Pro-Atom-Einstiegsgespräche sind, und läßt brutale Polizeieinsätze in Gorleben zu.
Abschließend zurück zu Haushalt und Ökosteuer. Die Bundestagsgruppe der PDS vertritt in ihrem Positionspapier zur ökologischen Steuerreform den Standpunkt, daß diese ein notwendiges, aber längst
Eva Bulling-Schröter
nicht hinreichendes Instrument ist. Eine solche Steuerreform muß einkommensschwachen Haushalten für die durch die Reform hervorgerufenen Belastungen einen vollen Ausgleich schaffen, ansonsten aber Mittel beispielsweise für einen ökologischen Umbau des Verkehrssystems, für naturnahe Landschaft und für die soziale Absicherung gravierender wirtschaftlicher Strukturbrüche bereitstellen.
Gebote, Verbote und Kontingentierungen strategischer Ressourcen
- im Fall der Primärenergieträger beispielsweise über eine europäische Energiekommission - sowie eine an umweltpolitischen Zielen ausgerichtete Haushaltspolitik von Bund, Ländern und Gemeinden sind gleichberechtigte Elemente ökologischer Wirtschaftspolitik. Der Haushalt 1996 setzt dafür keinerlei Akzente.
Das Wort hat der Kollege Eckart Kuhlwein, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 16, der Haushalt des Bundesumweltministeriums, den wir hier gegenwärtig beraten, macht einmal mehr deutlich, daß die Bundesregierung mit Natur und Umwelt wenig im Sinn hat.
Bis heute hat sie die Chancen einer ökologischen Politik für die Zukunft unseres Landes nicht begriffen. Statt aus dem Umweltministerium eine ressortübergreifende Schaltstelle für eine Politik der nachhaltigen und dauerhaften Entwicklung zu machen, werden seine Möglichkeiten immer weiter beschnitten.
Ich gebe zu, daß die Einführung der Finanzamtslösung beim Kindergeld den Vergleich mit der Entwicklung des Gesamthaushalts schwierig macht. Unbestritten bleibt aber, daß von sehr bescheidenen 1,363 Milliarden DM im Jahre 1995 noch einmal 40 Millionen DM für das nächste Jahr herausgestrichen werden sollen; das sind immerhin 3 % des Einzelplans.
Wenn man noch etwas genauer hinsieht und die Mehrausgaben in dem Bereich, der von den Benutzern der Endlagerstätten für radioaktiven Abfall refinanziert wird, abzieht, stellt man fest, daß der Stammhaushalt des Umweltministeriums sogar um 63,7 Millionen DM und damit um 7,6 % gekürzt worden ist. Das ist das traurige Resultat Ihrer Haushaltsverhandlungen, Frau Ministerin.
Für den Finanzminister wie für die Bundesregierung hat die Umweltpolitik höchstens eine Alibifunktion. Wenn man in den Unterlagen, die die Berichterstatter bekommen, noch etwas weiterblättert, findet man die Zahl 9 Milliarden DM Gesamtausgaben im Bundeshaushalt. Man muß sich die Liste genau ansehen, um zu erkennen, was an Reparaturen von Schäden, die durch die Politik verursacht wurden, aufgenommen worden ist. Wenn man weiterliest, findet man die faszinierende Zahl, in der Bundesrepublik Deutschland - Stand 1993 - seien vom produzierenden Gewerbe und vom Staat für Umweltmaßnahmen 43,8 Milliarden DM ausgegeben worden.
Frau Ministerin, wir hätten gern die Gegenüberstellung - dazu gibt es beim Fraunhofer-Institut entsprechende Zahlen -, welche volkswirtschaftlichen Verluste in den Bereichen Umwelt und Gesundheit durch unsere Produktionsweise jährlich entstehen. Dann hätten wir nämlich eine Zahl in der Größenordnung von 600 Milliarden DM, was fast 20 % des Bruttosozialproduktes ausmachte. Der Ehrlichkeit halber - wenn man diese Zahlen auflistet; wir werden das in Zukunft beantragen - müßten auch solche, wenngleich methodisch möglicherweise noch strittige Zahlen aufgelistet werden. Alles andere ist methodisch auch nicht einwandfrei ermittelt, Ihre Liste mit den 9 Milliarden DM schon überhaupt nicht; da tauchen z. B. Schallschutzmaßnahmen an Truppenübungsplätzen auf. Das ist sicherlich kein Umweltschutz, wie wir ihn uns vorstellen.
Die Bundesumweltministerin müßte in ihrer politischen Rolle gestärkt werden. Aber die Fraktionen der Koalition haben keine Neigung gezeigt, dies zu tun. Der Versuch der Opposition, ihr im Kabinett ein Widerspruchsrecht gegen Beschlüsse der Bundesregierung zu verschaffen, die Auswirkungen auf die Umwelt haben, ist am Widerstand von CDU/CSU und F.D.P. gescheitert. Die traurige Wirklichkeit, Frau Merkel, ist: Nicht einmal auf die Umweltpolitiker Ihrer Fraktion können Sie sich verlassen.
Eine stärkere Berücksichtigung ökologischer Belange in der Politik, so wurde im Ausschuß argumentiert, sei nicht über formalisierte Regelungen, sondern nur über ideelle Zustimmung zu erreichen, was immer das ist. Aber die Praxis der Politik der Bundesregierung und dieser Haushalt zeigen, daß es nicht nur an ideeller Zustimmung, sondern auch an materieller Basis fehlt.
An zwei Haushaltstiteln wird das besonders deutlich, an den Pilotprojekten zur Verminderung von Umweltbelastungen und an den Naturschutzgroßprojekten mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung. Die Pilotprojekte werden von 92,4 Millionen DM um fast 35 Millionen DM gekürzt. Damit werden wegen der Vorbelastungen 1996 für die Bewilligung neuer Vorhaben nur etwa 6,5 Millionen DM zur Verfügung stehen. Das ist sehr viel weniger als Peanuts, wie wir wissen.
Gerade dieses Programm hat eine Anstoß- und Multiplikatorwirkung für Luftreinhaltung, Wasserreinigung, Abfallwirtschaft, Lärmbekämpfung und Bodensanierung. Frau Ministerin, wie wollen Sie ein
Eva Bulling-Schröter
Bodenschutzgesetz - wenn Sie es hätten - umsetzen, wenn Sie vorher nicht Pilotvorhaben gefördert haben, mit denen die Technologien, die dafür maßgeblich sein müssen, entwickelt werden?
Dieses Programm könnte einen wichtigen Beitrag zur ökologischen Modernisierung unserer Wirtschaft leisten. Aber die Bundesregierung läßt dieses Programm auf eine Restgröße verkommen.
Die Mittel für Naturschutzgroßprojekte werden von 40 Millionen DM auf 35 Millionen DM gekürzt. Für 1996 wären rund 47 Millionen DM notwendig, wenn auch sieben neue, gut begründete Projekte in die Förderung aufgenommen werden sollen. Ich sage den Abgeordneten der Regierungskoalition auch gern, wo diese Projekte in Thüringen, Brandenburg und Schleswig-Holstein liegen, damit Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, darauf vorbereitet sind, daß Sie in Ihren Wahlkreisen zu Recht Gegenwind ernten werden, wenn diese Projekte am Ende weggeschnitten werden.
Im übrigen sollte der Bund, der internationale Abkommen zum Ausbau des Naturschutzes wie die FFH-Richtlinie der Europäischen Union und die RioKonvention zur biologischen Vielfalt unterschreibt, einen ausreichenden eigenen Beitrag leisten. Frau Merkel, acht Jahre Ankündigung, das Bundesnaturschutzgesetz werde in novellierter Form vorgelegt, sind nicht ausreichend, um die Länder zu motivieren, ihren notwendigen und verfassungsrechtlich gebotenen Beitrag zu leisten.
Sie dürfen sich nicht wundern, wenn die Länder das bei Ihren falschen Signalen ebenfalls auf die lange Bank schieben.
Der Kollege Kriedner hat in der zweiten Lesung des Haushalts für 1995 stolz darauf verwiesen, die Ausgaben für den Naturschutz würden erhöht; er hat sich zu früh gefreut, er hat damals gesagt, wir würden im nächsten Haushalt gemeinsam darüber reden müssen, ob nicht in der Tat bei den Umweltschutzprojekten und beim Naturschutz die Untergrenze endgültig erreicht sei.
Tatsächlich wird sie in diesem Entwurf unterboten, wird in diesem Entwurf ein neuer Tiefstand erreicht. Ich bin sehr gespannt, Herr Kollege Kriedner, ob Ihrer Ankündigung vom März dieses Jahres bei den Haushaltsberatungen im Ausschuß Taten folgen werden.
Nun wird es eine staunende Öffentlichkeit interessieren, was die Bundesregierung mit dem Geld machen will, das sie beim Umwelt- und Naturschutz einspart. Das Umweltministerium muß nämlich 15 Millionen DM an andere Ressorts abgeben, erstens zur Finanzierung der Kohlesubvention nach dem Wegfall des Kohlepfennigs - diese Regierung hat es nämlich nicht geschafft, den Kohlepfennig durch eine Stromsparsteuer zu ersetzen -, zweitens für die Beteiligung an den Kosten für den Transrapid zwischen Hamburg und Berlin, also für das verkehrspolitisch unsinnigste Prestigeprojekt dieses Jahrzehnts,
und drittens für ein vom Bundeskanzler nach dem Berliner Klimagipfel versprochenes CO2-Minderungs-Programm beim Bundesbauministerium, für das Herr Waigel keine Moneten herausgeben will. Das ist offenbar das magere Resultat der großmundigen Erklärung des Kanzlers auf dem Berliner Klimagipfel. Dabei ist er klimapolitisch im Wort, nachdem er in Berlin verkündet hat, Deutschland werde bis zum Jahre 2005 seinen CO2-Ausstoß um 25 % senken.
Meine Damen und Herren, mit Umschichtungen zwischen den Ressorts allein wird dieses Ziel nicht zu erreichen sein. Dazu brauchen wir schon ein ressortsübergreifendes Klimaschutzprogramm, wie es die SPD Anfang dieses Jahres vorgelegt hat. Ich habe im Ausschuß einen führenden Vertreter der Bundesregierung gefragt, ob das Umweltministerium denn glaube, mit den bisher eingeleiteten Maßnahmen dieses Klimaschutzziel des Bundeskanzlers zu erreichen. Er war ganz mannhaft und hat ja gesagt.
Ich hoffe, daß er dieses Wort nicht eines Tages zurücknehmen muß. Ich bin allerdings sicher, daß das, was die Bundesregierung bisher macht, nicht ausreichen wird, um dieses Klassenziel zu erreichen.
Die Energiegespräche sind gescheitert. Statt über Strategien zur Energieeinsparung und zur Nutzung regenerativer Energien zu reden, wollten Sie uns ein Ja zur Kernenergie abzwingen. Wir hätten gern gemeinsam in Bund, Ländern und Gemeinden einen Anlauf in die Effizienz- und Solarrevolution unternehmen können, um die klimapolitischen Ziele zu erreichen. Das hätte auch zur Entschärfung der Energiedebatte in der Bundesrepublik beitragen können.
Der neuerliche Streit um Gorleben und Morsleben zeigt einmal mehr, daß Sie von der Koalition mit Ihrer Politik auf dem falschen Weg sind. Sie werden es auch mit noch so raffinierten Propagandamethoden nicht schaffen, daß die weitere Nutzung der Kernenergie in Deutschland gesellschaftlich akzeptiert wird.
Sie können uns bis heute nicht sagen, wo denn für die nächsten Jahrtausende die abgebrannten Brennelemente sicher verwahrt werden können. Sie setzen auf Gorleben, dessen Eignung in hohem Maße umstritten ist. Sie sind nicht bereit, alternative Standorte zu untersuchen, obwohl die jüngste Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften auch Gesteinsformationen in Bayern und Sachsen als besonders untersuchungswürdig einstuft. Sie müssen uns vor
Eckart Kuhlwein
allem sagen, wie und wann Sie aus der auch von Ihnen gelegentlich so genannten Übergangstechnologie Atomenergie aussteigen und welche Alternativen Sie selber in welcher Form forcieren wollen.
Frau Merkel, was sollen Ihre Nachfolger eigentlich machen, wenn sich im Jahr 2010 endgültig herausstellt, daß, Gorleben nicht sicher ist? Sollen dann wieder 20 bis 30 Jahre lang neue Formationen untersucht werden, während wir uns in der Zwischenzeit mit immer weiteren Zwischenlagern behelfen? Wollen Sie in Morsleben wie bisher mittelaktiven Abfall aus 15 m Höhe in die Endlagerräume kippen, und dies nur deshalb, weil diese Technik durch die Dauerbetriebsgenehmigung zugelassen ist? Können wir uns nicht vielleicht doch darauf einigen, daß wir unseren Kindern und Kindeskindern mit den hohen Staatsschulden nicht noch immer neue und immer weitere Lebensrisiken hinterlassen wollen?
Der Haushaltsentwurf ist ein Signal für ein stures „Weiter so" nicht nur in der Kernenergiepolitik. Er schafft keine Anreize für die notwendige ökologische Modernisierung der Wirtschaft, er drängt den Naturschutz in die Defensive. Waigel, Wissmann und Rexrodt haben Frau Merkel einmal mehr über den Tisch gezogen. Der Bundeskanzler hat ihr nicht geholfen. Das tut uns leid. Aber auf unseren Beifall müssen Sie auch deshalb verzichten, weil wir nicht einmal den Eindruck gehabt haben, daß Sie sich richtig zur Wehr gesetzt haben.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Kollege Arnulf Kriedner .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eben ein Beispiel erlebt, wie dissonant der Chor der SPD ist. Hier ist etwa im Bereich der Kernenergie eine Extremposition vertreten worden; die selbst in der SPD nicht nur nicht mehrheitsfähig ist, sondern nur von einer kleinen Minderheit vertreten wird.
Man kann bei Ihnen nie ganz richtig sagen, ob man - gemeinsames Deutsch ist bei Ihnen offenbar nicht mehr drin - Niedersächsisch, Saarländisch oder Pfälzisch hört. Jedenfalls hört man nie, was gemeinsam von allen getragen worden ist.
Sie haben die Energiekonsensgespräche in einer Weise dargestellt, Herr Kuhlwein, in der Sie sie persönlich interpretieren wollten.
Sie haben zum Transrapid etwas gesagt und haben dabei verschwiegen, wie das Abstimmungsverhalten im Haushaltsausschuß gewesen ist. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, wie dort abgestimmt
worden ist und wieviel Kollegen Ihrer Partei dem Transrapid-Konzept zugestimmt haben.
Das muß hier einmal gesagt werden, weil so getan wird, als ob es eine geschlossene Politik gäbe, und ein Zukunftsprojekt, das viele auch Ihrer Kollegen für zukunftsträchtig halten, so dargestellt wird, als ob es dazu eine gemeinsame Meinung der SPD gäbe, was tatsächlich überhaupt nicht der Fall ist. Wenn Sie dazu einmal eine Mitgliederbefragung durchführen, dann werden wir sehen, was dabei herauskommt. Aber das trauen Sie sich nicht.
Meine Damen und Herren, ich möchte folgendes sagen. Herr Kuhlwein, auch atemberaubende Rechenkunststücke bringen Sie doch gar nicht davon weg, daß die Bundesrepublik Deutschland unter allen Industrienationen der Welt die einzige ist, die 3 % ihres gesamten Staatshaushalts für den Umweltschutz ausgibt. Sie tun hier doch so, als ob Umweltschutz nur im Umweltministerium gemacht würde. Wir können darüber sicher trefflich streiten.
- Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich spreche vom Gesamtstaat. Ich spreche davon, daß beim Umweltschutz die Ausführung eine Sache der Länder ist. Dies wird hier völlig verschwiegen. Es wird so getan, als ob das Regelungsministerium bereits das Durchführungsministerium wäre. Wir haben Gott sei Dank eine föderalistische Grundordnung. Wir haben Gott sei Dank nicht eine staatlich gelenkte Umweltschutzpolitik, bei der von einem Ministerium der Versuch unternommen würde, alles zu machen. Das gelingt sowieso nicht.
Ich will hier ein paar Zahlen nennen. Die Länder in der Welt, die am meisten für den Umweltschutz tun, sind ganz kleine Nationen. Dazu gehört Neuseeland. Neuseeland gibt 2,5 % des gesamten Staatshaushalts für den Umweltschutz aus. Es gibt ein einziges Land, das mehr tut. Das ist merkwürdigerweise die Schweiz. Sie gibt über 3 % aus. Wir sind an der zweiten Stelle, wenn man den Gesamtstaatshaushalt betrachtet.
Herr Kuhlwein, ich gebe Ihnen in einem recht: Wir können trefflich darüber streiten, was man rein- oder rausrechnet. Auf den PDS-Beitrag will ich in diesem Zusammenhang wirklich nicht eingehen. Die Dame hat sich selbst disqualifiziert, weil sie Schwierigkeiten beim Vorlesen hatte.
- Ach, sie geht gerade. Es ist auch richtig, daß sie geht.
Arnulf Kriedner
- Ich entschuldige mich, lieber Herr Kollege. Ich entschuldige mich dafür, daß ich ihr das Vorlesen unterstellt habe. Aber es war doch ein sehr schwacher Beitrag. Darüber sind wir uns im Hause doch alle einig.
- Herr Kollege Küster, nun regen Sie sich wieder ab. Ich habe mich entschuldigt, und damit dürfte der Fall doch wohl aus der Welt sein. Ihnen wird hier vorn am Rednerpult auch schon einmal ein Lapsus passiert sein.
Herr Fischer ist auch nicht mehr da.
- Er hat einen ganz interessanten Zwischenruf gemacht. Ihn möchte ich, falls er nicht stenographiert worden ist, ganz gern festhalten, damit die Bürger wissen, was die Grünen vorhaben. Kollege Klaus Lippold hat hier ausgeführt
- jetzt wird ja mitgeschrieben; das brauchen Sie nicht; das können Sie nachlesen -: Wir greifen dem Bürger nicht mit 50 % in die Tasche. Das ist nicht unsere Politik. - Daraufhin warf Herr Fischer ein: Aber unsere! Wir greifen dem Bürger, wenn es nottut, auch mit 150 % und mehr in die Tasche!
Ich will das hier ganz nüchtern festgehalten wissen, damit wir wissen, worüber wir reden.
Meine Damen und Herren, ich will etwas zu der Frage sagen, die hier debattiert worden ist. Ich meine, Kollege Rochlitz hat hier gesagt: Die gesamte Umweltpolitik, die im Bundesumweltministerium gemacht werde, sei nichts anderes als Aufbereitung der Vergangenheit. Wenn 2 Milliarden DM in den verschiedenen Ministerien eingesetzt werden, um in Ostthüringen und in Südsachsen aufzuräumen, was der Sozialismus hinterlassen hat, nämlich eine skandalöse, verstrahlte Landschaft, dann machen Sie uns das zum Vorwurf. Das ist doch wohl fast pervers in der Art und Weise, wie man das hier darstellt.
Lieber Herr Kollege Rochlitz, das ist Zukunftsfürsorge. Aber wollen Sie die Gegend entsiedeln, wie Sie hier empfohlen haben? Oder wie soll ich es mir vorstellen, wenn Sie sagen: „Man müßte notfalls die Leute da herausholen"? Haben Sie einmal mit den Leuten in Ronneburg gesprochen? Ich bin Thüringer Abgeordneter. Ich führe Gespräche vor Ort, vielleicht im Gegensatz zu Ihnen. Auch Sie sollten einmal mit den Leuten reden. Sie sind froh und dankbar, daß es jetzt eine Politik gibt, die sie von den Altlasten befreit.
Das ist auch Vorsorge für die Zukunft. Das ist in vielen Bereichen so.
Ich sage hier ganz bewußt: Ich stehe hinter der Politik dieser Bundesregierung, hinter dem, was im Zusammenhang mit der Atompolitik, die im Osten betrieben worden ist, gemacht wird. Jede Mark, die in der Ukraine, in Belorußland oder in Rußland eingesetzt wird, ist an der richtigen Stelle investiert. Über den Grundsatz „Kernenergie, ja oder nein?" haben wir noch gar nicht debattiert. Dazu mögen Sie Ihre Position haben, ich habe sicher eine andere.
Aber daß wir in diesen Regionen zu größerer Sicherheit kommen müssen und daß die Bundesrepublik bei den betreffenden Maßnahmen weltweit 30 aller Kosten trägt, auch das müssen Sie dem Bürger sagen. Das ist Vorsorgepolitik für die Bürger hier und dort. Denn wir alle wissen, wie die Auswirkungen eines Falles wie Tschernobyl auf die eigenen, aber insbesondere auf die Bürger dort gewesen sind. Ich kann nicht wie die Grünen auf der einen Seite weinselige Veranstaltungen - ich meine jetzt nicht den Wein, den man trinkt - mit Opfern von Tschernobyl machen und auf der anderen Seite die wirksame Hilfe verweigern, die die Bundesregierung leistet. Das ist doppelbödige Politik; diese machen wir nicht mit.
- Das machen Sie mit den Argumenten, die Sie hier vorbringen. Es ist doppelbödig, wenn er sagt, wir geben zuviel aus. Reaktorsicherheit und Vorsorge sind ein bißchen etwas anderes als die von Ihnen hier beschworene Atompolitik, die angeblich dort gemacht wird. Ich glaube auch, Herr Kollege Kuhlwein, Sie sind auf dem falschen Dampfer. Mich würden Ihre Rezepte interessieren, was Sie denn, Herr Kollege Kuhlwein, wenn Atommüll da wäre, mit diesem Atommüll anfangen wollen. Das frage ich mich in der Tat, Herr Kollege Kuhlwein, weil Sie bisher diese Antwort schuldig bleiben. Sie sagen nur alles, was Sie nicht wollen. Aber was Sie wollen, sagen Sie in diesem Zusammenhang nicht. Sie schießen den Atommüll wahrscheinlich in die Sonne oder irgend so etwas. Ein Konzept habe ich von Ihnen nicht gehört, aber Sie wollen sich ja dazu in Frageform an mich wenden.
Sie gestatten die Zwischenfrage? Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Kriedner, wenn Sie noch einmal nachläsen, was ich in der letzten Haushaltsdebatte gesagt habe, und unsere Anträge dazunähmen, dann könnten Sie den Vorwurf nicht aufrechterhalten. Ist Ihnen in Erinnerung, daß
Eckart Kuhlwein
wir einen Antrag gestellt haben, Mittel für die Erforschung anderer Endlagerstätten als Gorleben umzuschichten?
In Schleswig-Holstein?
Meinetwegen auch in Schleswig-Holstein. Die Studie habe ich genannt, die jetzt vorliegt und die auch andere mögliche Endlagerstandorte aufzeigt.
Nur, Herr Kollege Kuhlwein, das hörte sich eben in Ihrer Rede ein bißchen anders an.
Ich will jetzt noch etwas zu Ihrer Eingangsbemerkung sagen. Sie war vielleicht pfiffig, aber sie geht ein bißchen an der Sache vorbei.
Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß die Absenkung der Mittel für den Naturschutz unvertretbar ist. Ich werde hoffentlich mit Ihnen gemeinsam einen Antrag nun zu Lasten dieses gerade erörterten Ansatzes im Bereich Reaktorsicherheit einbringen, um etwas Geld umzupolen und den Titel möglichst in die Nähe des letztjährigen Ansatzes zu bringen. Ich denke, da sind wir sehr schnell auf einer Linie, weil ich mit Ihnen einer Meinung bin. Ich habe das hier gesagt, und ich weiß genau, was ich gesagt habe. Ich halte an so etwas fest. Dort ist eine weitere Absenkung unvertretbar. Ich denke, Frau Ministerin, wir werden einen Weg finden.
Ich warne nur davor, zu glauben, daß wir allzuviel Luft hätten. Denn auch das ist ein bißchen Augenwischerei. Ich sehe das der Opposition nach. Sie können nicht so tun, als ob die Politik der SPD am Dilemma des Kohlepfennigs ganz unschuldig wäre. Wer sich hier hinstellt und das tut, der betreibt wirklich Augenwischerei. Da vergessen Sie die Rolle Ihrer gesegneten Kohleländer vollkommen und tun so, als ob Sie dort überhaupt keine Verantwortung trügen, wiewohl wir wissen, daß sie dort sehr groß ist.
Lassen wir es dabei sein Bewenden haben. Ich will nur noch eines sagen. Wir werden uns den Haushalt wirklich genau ansehen müssen. Wir kennen die Situation dieses Jahres. Mir paßt es nicht, daß die Haushaltsausgaben abgesenkt werden. Ich sage das sehr deutlich: Es paßt mir überhaupt nicht, weil ich schon der Meinung bin - und da stimme ich mit vielen Vorrednern, auch anderer Fraktionen, überein -, daß dies ein Signalhaushalt ist. Es ist nicht der Haushalt, bei dem alles geregelt werden kann, was wünschenswert erscheint. Bei Signalhaushalten sollte man die Ausgaben nicht absenken, auch wenn die Not groß ist. Deshalb, Frau Ministerin, werden wir uns bei der nächsten Runde daran erinnern müssen, daß dies nicht der Haushalt ist, der herhalten muß, auch wenn ich einsehe, daß es andere wichtige gibt, bei denen man vielleicht in diesem Jahr etwas gnädiger umgegangen ist.
Unter dem Strich sage ich folgendes: Ich lege schon Wert darauf, daß es eine Ausgewogenheit zwischen dem Aufgabenbereich Reaktorsicherheit, den dieses Haus zu behandeln hat, und den übrigen Bereichen gibt. Ich wage nicht, zu sagen, was für die Zukunft der Menschen das absolut Bedeutendere ist. Aber Ausgewichtung heißt nicht, daß der eine Teil überwiegen darf. Ich bin ein engagierter Verfechter des Naturschutzes. Deshalb bin ich der Meinung, dort muß etwas nachgelegt werden. Was mich freut, ist, daß es mit der Unterstützung aller Berichterstatterkollegen gelungen ist, eine Versprechung durchzusetzen, nämlich Kolleginnen und Kollegen in Bad Elster in dem von mir damals genannten Umfang eine Dauerarbeitsstätte zu verschaffen. Das ist ein Erfolgserlebnis, das wir nicht oft haben. Deshalb danke ich auch dem Ministerium für seine Mitarbeit. Ich bedanke mich bei allen, die das vorbereitet haben. Wir werden jetzt in die Berichterstattergespräche gehen und versuchen, an der einen oder anderen Stelle noch etwas nachzubessern.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Michael Müller, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haushaltsberatungen sind immer ein Anlaß, zu einer Bestandsaufnahme der Umweltpolitik zu kommen. Die Debatte, so wie sie heute abläuft, dreht sich im Kreise. Im Grunde genommen war das, was wir heute hörten - ich mache das niemandem speziell zum Vorwurf -, etwas, was wir fast in jeder Debatte hören.
Was mich umtreibt, ist jedoch die Frage: Wie kann es sein, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, daß nicht die Bundesregierung und der Bundestag, sondern die Schlauchboote von Greenpeace die Umweltpolitik in Deutschland machen? Das ist der Punkt, der mich umtreibt.
- Lassen Sie uns das gemeinsam diskutieren. Denn ich glaube, daß das nicht die Frage einer Partei ist, sondern eine Frage der Glaubwürdigkeit unserer Politik insgesamt und ihrer Fähigkeit, noch etwas zu bewegen.
Wie kann in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen: Spektakuläre Aktionen, das bringt etwas, wogegen die Mühsal von Reformpolitik kaum noch zählt?
Ich halte es für durchaus notwendig, daß der Bundestag darüber nachdenkt, ob die These von Herrn Virilio, einem französischen Philosophen, stimmt, daß wir eine Blockade von Politik durch die Art der medialen Auseinandersetzung erleben. Da ist aus unserer Sicht viel dran. Virilio stellt die These auf, daß wir in der Welt einen Kampf erleben zwischen der Politi-
Michael Müller
kerklasse und der Medienklasse, und zwar nach dem Motto: Wer macht Politik? Ich halte das für einen wichtigen Punkt gerade für so komplexe Fragen wie Umweltpolitik, die Kontinuität und Berechenbarkeit brauchen.
- Wissen Sie, ich mache seit mehr als 25 Jahren Umweltpolitik. Dann findet man solche Fragen wie die, die Sie eben gestellt haben, eher nebensächlich.
Wie können wir insgesamt als „die Politik" in einer Gesellschaft, die verkrustet und in ihren Strukturen gefangen ist, wirklich etwas bewegen in Richtung auf unser verbal gemeinsames Ziel - bei allen Unterschieden, die wir sonst haben -, nämlich eine dauerhafte, nachhaltige Entwicklung? Die Frage stelle ich mir.
Es ist keine nachhaltige Politik, wenn wir sagen können, wir hätten 3 % Umweltausgaben im Haushalt erreicht, was ich übrigens in Frage stelle. Und es ist auch nicht nachhaltig, wenn die Frau Ministerin gegen größten Widerstand in ihrem Kabinett eine völlig unzureichende Sommersmogverordnung durchsetzen kann und darauf stolz ist. Ich streite gar nicht ab, daß Sie sich sehr bemüht haben. Aber mit dem Sprung in eine dauerhafte Entwicklung hat das doch nichts zu tun.
Was ist dazu zu sagen, wenn wir heute eine Gesellschaft haben, die darauf stolz ist, daß sie z. B. superschnelle Datenautobahnen herstellt, daß sie die letzten Geheimnisse des Gehirns erforschen kann, aber nicht einmal fähig ist, beispielsweise das Notwendige bei Geschwindigkeitsbegrenzungen zu tun?
- Sie winken da ab. Deshalb nur eine Bemerkung: Die Frage der Geschwindigkeitsbegrenzung ist eine kulturelle Frage. Es ist die Frage, ob wir zur Rücksichtnahme fähig sind. Das ist eine ganz zentrale Zukunftsaufgabe.
Meine Grundfrage ist: Was passiert in der Zukunft, wenn wir angesichts der drei großen Herausforderungen, die die Politik in den nächsten Jahren zu bewältigen hat - erstens die völlige Globalisierung der bisher national ausgerichteten Volkswirtschaften, Unternehmen und Branchen, zweitens die Umwälzung des produktiven Sektors mit einerseits gewaltigen Überkapazitäten und andererseits einer geringerwerdenden Anzahl an Arbeitsplätzen und drittens die ökologischen Grenzen -, heute nicht einmal minimale Schritte in Richtung auf eine verträgliche Form von Entwicklungslogik schaffen? Das ist doch das Problem.
Wenn wir diesen Widerspruch nicht auflösen, brauchen wir uns doch nicht zu wundern, wenn die Mehrheit der Bevölkerung sagt: Dann mache ich lieber bei Greenpeace als in den Parlamenten oder bei den Parteien mit; Greenpeace bewegt wenigstens noch etwas.
- Ich finde es schon interessant, daß von der Regierungsbank ständig Bemerkungen gemacht werden. Auch das ist eine Form von Verfall des Parlamentarismus. Aber das nur als Anmerkung.
Es wäre gut, wenn Sie die Auseinandersetzung in der Sache führten und es nicht immer zu solchen vordergründigen Schuldzuweisungen kommen ließen. Wir nehmen die medialen Strukturen, die uns mit politikunfähig machen, auch selbst auf, beispielsweise mit solchen hämischen Bemerkungen, die uns keinen Schritt weiterhelfen.
Mein entscheidender Punkt ,ist: Was müssen wir machen, um wenigstens wieder Schritte in die Politikfähigkeit zu machen - für die Rehabilitation der Ernsthaftigkeit von Politik?
Frau Ministerin, ich will für unsere Seite sagen: Wir bieten zwei wesentliche Punkte an, wo wir versuchen sollten, uns über die Parteigrenzen hinweg zu verständigen, ohne Unterschiede zu verschweigen. Ich finde, daß es in einer Demokratie wichtig ist, Unterschiede auszutragen, weil erst das Austragen von Unterschieden die Voraussetzung dafür ist, sich zu einigen. Die Verschleierung von Unterschieden bringt nichts. Man soll Unterschiede austragen, soll sagen: Das ist der Punkt, an dem wir stehen, und dann versuchen, sich ein Stück gemeinsam in die richtige Richtung zu bewegen, soweit es geht.
Es gibt zwei wichtige Punkte, wo wir dies versuchen sollten. Der erste Punkt: Die ökologische Steuerreform ist keine Kleinigkeit. Oft wird so getan, als ob es nur darum gehe, an zwei Faktoren zu drehen, und alles sei in Ordnung. So einfach ist das Problem der ökologischen Steuerreform nicht.
Die ökologische Steuerreform ist eine historische Notwendigkeit. Sie ist aber auch mit großen Problemen verbunden, weil sie natürlich - das soll ja so sein - mit erheblichen Umverteilungen und Strukturveränderungen verbunden ist. Wir werden diese für die Zukunft unseres Landes so wichtige Entscheidung nur schaffen, wenn wir ein Mindestmaß an Grundkonsens finden. Es wird nicht anders gehen.
Michael Müller
Ich sage von seiten der SPD: Wir treten für die ökologische Steuerreform ein. Wir werden aber auch den Dialog und, wo es geht, Kompromisse mit anderen Parteien suchen. Er wird notwendig sein.
- Jetzt kommen Sie wieder mit Ihrer kleinkarierten Geschichte über die Fehler, die jeder von uns macht. Ich möchte auch nicht wissen, wie viele Widersprüche es bei Ihnen zwischen christlichem Anspruch und alltäglicher Praxis gibt. Das bringt doch nichts.
Wir wollen unserer Verantwortung als Parlament, als Politiker insgesamt gerecht werden.
- Das ist wirklich wahr, völlig richtig: Wer gar nichts macht, der macht keine Fehler.
Wer Verantwortung übernimmt, macht sich immer angreifbar.
Der zweite Punkt, wo wir den Dialog versuchen sollten: Frau Ministerin, Sie haben hier zu Recht angesprochen, daß die beiden großen Solarzellenproduzenten aus Deutschland abgewandert sind. Wir müssen zu einer Verständigung kommen, um die effiziente Solarenergieversorgung stärker zu fördern. Das ist eine Frage, die weit über parteipolitische Auseinandersetzungen hinausgeht und für die Zukunft von herausragender Bedeutung ist.
Wir sollten uns nicht über die Dinosauriertechnologien von gestern streiten. Wir wollen doch ehrlich sein: An der Kernenergie in Deutschland sind vor allem die interessiert, die damit im Ausland Geschäfte machen wollen. Das ist der eigentliche Punkt, der dahintersteckt, und daß man an diesem Punkt die SPD in die Knie zwingen will. Kein EVU denkt daran, in Deutschland ein Atomkraftwerk zu bauen. Im Gegenteil: Die Energieversorgungsunternehmen denken darüber nach, wie sie Kapazitäten stillegen können.
Nein, wir sollten uns auf das verständigen, was wir alle verbal wollen, nämlich Schritte in die Effizienz- und Solarwirtschaft. Das ist für unser Land wichtiger, als die idiotischen Auseinandersetzungen über den Industriestandort Deutschland auch noch an den letzten unwichtigen Punkten zu führen. Führen wir sie an den wichtigen Punkten,
über die zentralen Zukunftsmärkte und damit über die Entscheidungen, die für unsere Kinder und Kindeskinder wichtig sind.
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine große Gemeinschaftsanstrengung: die Ökologisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Sie ist aus meiner Sicht die Frage der Zukunftsverträglichkeit und der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Sie ist nur zu schaffen, wenn sie mit drei wesentlichen Elementen verbunden ist. Erstens geht es darum, mehr Demokratie zu wagen. Ohne mehr Mitbestimmung, ohne mehr Mitbeteiligung, ohne mehr Demokratie werden wir die Bürger für diese große Gemeinschaftsaufgabe nicht motivieren können.
Der zweite wichtige Punkt ist: Wir müssen die Ökologisierung auch als eine soziale Herausforderung begreifen: Wer glaubt, Umweltpolitik könne ohne soziale Dimensionen erfolgreich sein, versteht das Thema nicht. Die Leute haben begriffen, daß wir vor tiefgreifenden Änderungen stehen. Aber sie haben auch Angst vor den Änderungen, weil sie tiefe Einschnitte verlangen. Deshalb müssen wir die soziale Frage des ökologischen Umbaus thematisieren. Wir müssen den Menschen die soziale Sicherheit zurückgeben, damit der ökologische Strukturwandel eine Zukunftschance für uns alle ist.
Ich will drittens sagen: Der ökologische Umbau bedeutet auch eine Übernahme von mehr Verantwortung durch den Staat. Wer meint, er könne ihn nur den Marktprozessen überlassen, wird sich täuschen.
Es war eine der wesentlichen Aussagen Ludwig Erhards bei der Begründung der Sozialen Marktwirtschaft, daß gerade der Staat die Verantwortung zur Überwindung der alten Strukturen übernehmen müsse. Nur so könne es zu einer fortschrittlichen Entwicklung - so Ludwig Erhard - kommen.
Dieselbe Verantwortung brauchen wir heute. Wir brauchen die sozial-ökologische Marktwirtschaft. Das setzt die Schaffung von politischen Rahmenbedingungen voraus.
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit liegen nicht vor.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Einzelplan 12. Das Wort hat der Herr Bundesminister Wissmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Sparen und gestalten" - das ist der Leitgedanke des heute eingebrachten Entwurfs zum Haushalt 1996. Dieser Leitgedanke drückt sich natürlich auch im Verkehrshaushalt aus, der,
Bundesminister Matthias Wissmann
ohne die langfristige Aufgabe der umweltgerechten Sicherung der Mobilität an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend zu vernachlässigen, gleichwohl einen erheblichen Beitrag auch zu den Einsparerfolgen des von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfs für den Haushalt 1996 leistet.
Ich will nicht verhehlen, daß diese eben auch vorhandene Sparaufgabe nicht unerhebliche Schmerzen bereitet;
denn schließlich haben wir in den zurückliegenden Jahren im Verkehrshaushalt schon erhebliche Ausgabenkürzungen getragen und durch Einnahmeverbesserungen in nicht unbeträchtlichem Maße zur Konsolidierung des Gesamthaushaltes beigetragen. Ich denke nur daran, daß die von uns politisch in Europa durchgesetzte Gebühr für Schwerstlastkraftwagen Einnahmen von knapp 800 Millionen DM für den Haushalt erbracht hat..
Trotz aller schmerzlichen Investitionsrückführungen ist es erfreulich, daß wir mit den Investitionsansätzen des Haushaltsentwurfs 1996 und der mittelfristigen Finanzplanung im Verkehrsbereich eine Investitionstätigkeit auf sehr hohem Niveau beibehalten können. Das Ausgabevolumen des Verkehrsetats verringert sich zwar im Jahre 1996 um 4,4 % auf knapp 51 Milliarden DM. Trotzdem bleibt der Einzelplan 12 nach dem Etat für Arbeit und Soziales der zweitgrößte Einzelplan des Bundeshaushalts, und er bleibt vor allem der größte Investitionshaushalt.
Ziel bleibt es für uns in den kommenden Jahren, bei aller Mittelknappheit in den Bereichen Schiene, Straße und Wasserstraße den umweltgerechten Ausbau unserer Verkehrsinfrastruktur voranzubringen. Trotz aller Mittelknappheit gibt es für mich eine ganz klare Priorität - das hört nicht jeder gerne, aber es muß trotzdem gesagt werden -: Auch in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts behalten die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit und die Verkehrsprojekte in den neuen Bundesländern Vorrang in unserer Verkehrspolitik. Das drückt sich auch in allen Zahlen aus. Wir werden diesen Weg weitergehen.
Welche Bedeutung die Investitionen in Höhe von rund 23 Milliarden DM im Verkehrshaushalt haben, zeigt sich an einer Zahl: 1 Milliarde DM an Investitionen sichert rund 12 000 Arbeitsplätze.
Mit dem Beschluß des Bundeskabinetts vom 5. Juli 1995 können wir den planmäßigen Neubeginn der noch ausstehenden Verkehrsprojekte Deutsche Einheit Schiene und der Schienenneubaustrecke KölnRhein/Main sicherstellen. Beide Entscheidungen waren für mich als Bundesverkehrsminister unabdingbare Beiträge zur Verbesserung unserer Schieneninfrastruktur in ganz Deutschland; denn in einer Zeit
dramatisch wachsenden Verkehrs dürfen wir die riesige Modernisierungsaufgabe „Bahn und Schiene" nicht vernachlässigen, sondern müssen sie weiterhin konsequent voranbringen.
Deswegen bin ich auch froh, Ihnen berichten zu können, daß es uns beim Schienenhaushalt 1996 gelingen wird, durch die vorgesehene Grundstücksverwertung nicht bahnnotwendiger Immobilien einen erheblichen Teil dessen aufzufangen, was wir an Kürzungen haben in Kauf nehmen müssen. Langfristig rechnen wir beim Verkauf nicht bahnnotwendiger Grundstücke mit einem Verwertungserlös von über 13 Milliarden DM.
Diese Erlöse werden nach Abzug eines Anteils zur Deckung des Finanzbedarfs des Bundeseisenbahnvermögens den Investitionsmitteln zugeführt.
Eines kann nicht verschwiegen werden - das gilt auch für die Straße -: Trotz aller Bemühungen werden sich angesichts der Haushaltslage Straffungen und Streckungen einzelner Investitionsprojekte nicht vermeiden lassen. Gemeinsam mit der Bahn AG werden wir aber weitere zusätzliche Investitionsspielräume u. a. durch die geplante Zusammenarbeit der Bahn mit professionellen Anbietern auf dem Telekom- und Bahnstromsektor schaffen. Daneben fließen der Bahn AG auf der Grundlage des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes erhebliche Mittel aus dem ÖPNV-Bundesprogramm und den entsprechenden Länderprogrammen zu.
Schließlich - das ist die große Reformaufgabe, die nach dem 1. Januar 1996 beginnt - wird mit der Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs gleichzeitig das größte Aufbau- und Ausbauprogramm der Nachkriegsgeschichte für den Schienenpersonennahverkehr und für den öffentlichen Nahverkehr insgesamt auf den Weg gebracht: im nächsten Jahr rund 8,8 Milliarden DM, 1997 12,1 Milliarden DM, um die Jahrtausendwende etwa 17 Milliarden DM für den Schienenpersonennahverkehr und den öffentlichen Nahverkehr.
Man kann also alles behaupten, nur eines nicht: daß wir den öffentlichen Nahverkehr vernachlässigten. Nein, er bekommt heute eine größere Aufmerksamkeit als je zuvor in der Nachkriegsgeschichte, was die Zahlen eindeutig ausweisen. Es ist das umfassendste Programm zur Förderung des öffentlichen Nahverkehrs, das wir je gehabt haben.
Lassen Sie mich auf einen sensiblen Punkt eingehen. Zur Optimierung der Investitionsmittel für die Schiene prüfen wir derzeit auch eine Veräußerung von im Eigentum des Bundeseisenbahnvermögens stehenden Wohnungen. ,Klar ist: Eine Veräußerung von Wohnungen kann selbstverständlich nur unter Beachtung aller sozialen Aspekte und unter Berücksichtigung der mit der Bahnreform eingegangenen Verpflichtungen erfolgen, d. h., die bei der Deut-
Bundesminister Matthias Wissmann
schen Bahn und Deutschen Reichsbahn erworbenen Besitzstandsansprüche bleiben unangetastet. Der Grundsatz heißt: Kein Eisenbahner soll seine Wohnung verlieren. Das schließt selbstverständlich die im Ruhestand Befindlichen bzw. deren Hinterbliebene mit ein.
Das Prinzip der Sozialbindung schließt aber nicht aus, daß Wohnungen veräußert werden. Dies wird derzeit von uns geprüft. Wir werden bald in enger Abstimmung mit den Beteiligten dem Bundesfinanzministerium ein schlüssiges Konzept vorlegen, bei dem Sozialbindung einerseits und Privatisierung andererseits im Einklang stehen. Wir werden darauf achten, daß alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Wohnraumbewirtschaftung effizienter als heute zu gestalten.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es nicht auf die Zeit anrechnen.
Nein, das wird nicht angerechnet.
Bitte schön.
Herr Minister, ist Ihnen im Zusammenhang mit der Überprüfung des mittelfristig in Aussicht gestellten Verkaufes der Wohnungen von Bahnbediensteten bekannt und sind Sie bereit zu bestätigen, daß es einen Bundestagsbeschluß vom 2. Dezember 1993 gibt, der expressis verbis davon spricht, daß darauf hinzuwirken ist, „daß die für die Wohnungsversorgung der Eisenbahner benötigten Wohnungen nicht an Dritte veräußert werden dürfen"?
Ich bin jederzeit bereit, Ihnen zu bestätigen - ich habe das vorhin auch gesagt; das ist mit den Gewerkschaften der Bahn abgestimmt -, daß wir nichts unternehmen werden, was die Sozialbindung gefährdet, aber daß wir alles tun werden, um die Wohnraumbewirtschaftung effizienter zu machen.
In meinem Wahlkreis in Kornwestheim gibt es Eisenbahnersiedlungen, und ich rede nicht theoretisch über sie, sondern ich kenne sie. Ich kann nur sagen: Wenn ich mir manche Eisenbahnersiedlungen in ihrem heutigen Zustand anschaue, dann kann ich mir sehr wohl vorstellen, daß es eine private und effizientere Gestaltung im Interesse auch der Mieter gibt. Ich will darüber im Konsens mit der Gewerkschaft eine überzeugende Lösung finden.
Sie dürfen nicht vergessen, Herr Kollege: Wir haben die Lufthansa-Privatisierung im Konsens mit den Gewerkschaften gemacht, und wir haben die Bahnreform im Konsens gemacht. Im Bundesverkehrsministerium und in der Bundesregierung wird nichts gemacht, ohne erneut den Versuch zu unternehmen, auch bei solch heiklen sozialen Fragen ökonomischen Fortschritt und soziale Sensibilität miteinander zu verbinden.
Meine Damen und Herren, in einem ähnlichen Geist bringen wir das Thema Binnenschiffahrt einerseits und Seeschiffahrt andererseits voran. Wir haben - Sie wissen das; ich habe das in der letzten Haushaltsdebatte angekündigt - inzwischen ein 100-Millionen-DM-Programm zur Unterstützung vor allem der mittelständischen Binnenschiffahrt und ihrer Modernisierung auf den Weg gebracht und nach einigen Veränderungen auch in Europa die Billigung dafür gefunden.
Unser Ziel ist, den umweltfreundlichen Verkehrsträger Binnenschiff zu stärken; denn wir verlieren nie aus dem Auge, daß ein 2000-Tonnen-Motorgüterschiff die Fracht von fünfzig 40-Tonnen-Lkws befördert und wir deswegen alles tun müssen, um in der schwierigen Krisensituation in der Binnenschiffahrt die Modernisierung auf den Weg zu bringen und gleichzeitig in einer ökologisch vertretbaren Weise die Binnenwasserstraßen auszubauen. Wer nicht allen Güterverkehr der Zukunft auf der Straße haben will, der darf über Binnenwasserstraßen nicht nur reden, sondern er muß sie ökologisch sensibel ausbauen, und er muß die Bahn weiter modernisieren in dem Sinne, wie wir es mit der Bahnreform eingeleitet haben.
Ähnlich engagiert vertreten wir auch die Anliegen der Küstenschiffahrt und der Seeschiffahrt. Wir entwickeln gegenwärtig im Bundesverkehrsministerium ein Konzept „Road to sea", das sich mit der Frage befaßt: Wie können wir mehr Verkehr und Gütertransport, gerade auch im europäischen Gütertransit, auf die Küstenschiffahrt und die Seeschiffahrt verlagern?
Ich will deswegen an dieser Stelle sagen, daß alles getan werden muß, um die Rahmenbedingungen für die Sicherung einer deutschen Handelsflotte, die wettbewerbsfähig ist, weiter zu stärken. Dafür brauchen wir auch in Zukunft angemessene Finanzbeiträge, damit das Förderungsinstrumentarium der Bundesregierung voll zur Geltung kommen kann.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja, gerne.
Ich bin deshalb davon überzeugt, daß wir bei weiteren Beratungen auch hier zu haushaltsrechtlich vertretbaren Lösungen kommen.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Frau Altmann.
Herr Wissmann, zu einer konkurrenzfähigen Handelsflotte gehört auch die Qualifikation der Seeleute, und da ist auch die Sicherheit mit eingebunden. Kann ich Ihren Äußerungen entnehmen, daß auch beabsichtigt ist, den Montageerlaß auf die deutschen Seeleute auszudehnen, die auf ausländischen Frachtern fahren, soweit mit den entsprechenden Ländern ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht?
Ich kann Ihnen eines zusagen, Frau Kollegin. Wir werden weiterhin massiv - so wie wir es auch während unserer Präsidentschaft im europäischen Verkehrsministerrat getan haben - daran arbeiten, daß die hohen Qualifikations- und Sicherheitsniveaus, die wir in Deutschland kennen, Schritt für Schritt auf die gesamte Europäische Union - da haben wir einige wesentliche Fortschritte erreicht -, aber auch die Weltschiffahrt über die Internationale Schiffahrtsorganisation, IMO, übertragen werden.
Ich habe mich in den letzten zwei Jahren bewußt zum Advokaten dieses Anliegens gemacht - ich glaube, in einem parteiübergreifenden Sinne -, weil wir nicht erst reagieren können, wenn Unfälle durch Nachlässigkeit passiert sind, sondern vorher dafür sorgen müssen, daß europa- und weltweit hohe Qualifikationsstandards und hohe Sicherheitsstandards gewährleistet werden. In diesem Sinne greife ich Ihr Anliegen ganz bewußt auf.
Meine Damen und Herren, wir können eines nicht leugnen: Sosehr wir Schiffahrt, Binnenschiffahrt und Bahn stärken und modernisieren, wir werden auch in Zukunft auf das Auto zur Sicherung der Mobilität nicht verzichten können und nicht verzichten wollen. Wir werden deswegen auch einen ökologisch vertretbaren Bundesstraßenbau fortführen müssen.
Ich will nicht leugnen, daß insbesondere die Situation hinsichtlich des Baubeginns in den alten Bundesländern auf der Basis des bestehenden Haushaltsentwurfs nicht einfach ist. Hier kommt es zu erheblichen, ja schmerzhaften Einschnitten.
Klar ist: Sosehr wir auf kompatible und intelligente Verkehrsmanagementsysteme setzen, die den Verkehrsfluß verbessern sollen, sie ersetzen einen sinnvollen, ökologisch vertretbaren Ausbau unseres Straßennetzes nicht, insbesondere nicht den notwendigen Schritt, nahezu überall in Deutschland die Autobahnen sechsstreifig zu gestalten.
Meine Damen und Herren, eines ist klar: In Deutschland hängt jeder fünfte Arbeitsplatz vom Automobil ab. Wir werden deswegen auch in Zukunft
alles dafür tun müssen, daß sich die Rahmenbedingungen für das immer umweltfreundlicher werdende Automobil, das immer weniger Treibstoff verbrauchende Automobil
in den kommenden Jahren nicht verschlechtern, sondern schrittweise wieder verbessern.
Wir werden alles dafür tun müssen, daß der Prozeß zum umweltgerechten Automobil vorankommt. Auch deswegen bin ich dem Bundesfinanzminister dankbar, daß er das Konzept einer emissionsbezogenen Umgestaltung der Kfz-Steuer heute mit solchem Nachdruck vertreten hat. Denn unser strategisches Ziel ist klar: Um die Jahrtausendwende sollten wir dafür gesorgt haben, daß die „Stinker" aus dem Verkehr gezogen werden. 10 % aller Autos verursachen 60 % der Schadstoffbelastungen. Ich finde, das können wir nicht hinnehmen. Das müssen wir Schritt für Schritt verändern.
- Im Unterschied zu Ihnen haben wir gehandelt: Am 1. April 1994 ist mit Unterstützung der gesamten Koalition von CDU/CSU und F.D.P. die ökologische Staffelung der Lkw-Steuern in Kraft getreten.
Seitdem geht die Umrüstung der Lkw-Flotten voran. Nach demselben Muster werden wir auch die emissionsbezogene Umgestaltung der Kfz-Steuer zu erreichen haben. Ich weiß, daß es dazu auch parteiübergreifende Gemeinsamkeiten gibt. Wir werden sie voranbringen.
Ein Letztes kann nicht verschwiegen werden: Wir werden die riesigen Herausforderungen im Verkehrsbereich nur bewältigen, wenn wir konsequent auf moderne Technik setzen.
Wenn wir anders als Sie, Herr Kollege, moderne Technik, Telematik und Transrapid nicht verteufeln,
sondern wenn wir sie voranbringen, hat das MüsliDenken, das einige von Ihnen immer noch praktizieren, keinen Platz. Ohne moderne Technologien werden wir die Verkehrsprobleme in Deutschland und Europa nicht bewältigen.
Wir setzen auf diese Technologien, weil wir wissen, daß sie Zukunft haben. Ich weiß, daß in der ersten Reihe der SPD einige meine Meinung teilen, einige
Bundesminister Matthias Wissmann
nicht. Aber ich bin überzeugt davon, daß sich am Ende auch hier der fortschrittliche Gedanke durchsetzen wird, und die Rückwärtsgewandten unter Ihnen werden am Ende immer weniger Zuspruch finden.
In diesem Sinne bitte ich um Unterstützung unseres Haushaltsentwurfs, der nach vorne weist und der uns hilft, die großen Aufgaben der Zukunft zu meistern.
Das Wort hat der Kollege Wagner, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst eine Vorbemerkung: Ich halte es nicht für gut, wenn der Deutsche Bundestag den zweitgrößten Haushalt, der zudem die höchsten Prozentzahlen an Investitionen aufweist und damit eine erhebliche arbeitsmarktpolitische Bedeutung hat, zu einer Stunde behandelt, in der die Millionen Menschen, die von unseren Entscheidungen betroffen sind, nicht mehr zuhören und nicht mehr zusehen können. Das Ganze ist dann auch noch auf eine Stunde begrenzt. Das kann ich nicht akzeptieren.
Ich bitte die Organisatoren des Ablaufs der zweiten und dritten Lesung, darauf zu achten, daß unsere unterschiedlichen Meinungen in verschiedenen Bereichen für die Öffentlichkeit wahrnehmbar dargestellt werden können. Ich glaube, dies ist ein Anliegen aller, die im Verkehrsausschuß und im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages sitzen.
Ich möchte noch vorschlagen, Herr Kollege Wissmann, daß wir beide unsere geschätzte Kollegin Karwatzki bitten, daß sie morgen früh Herrn Waigel, der jetzt nicht hier sein kann, sagt, daß er nicht rechnen kann. Sie haben eben die richtigen Zahlen vorgetragen.
Herr Waigel hat heute morgen behauptet, daß eine Reduzierung beim Einzelplan 12 nicht stattfinde, sondern daß man auf dem Level von 51 Milliarden DM verbliebe. Sie haben richtig dargestellt, daß das eine Reduzierung um 4,4 % oder etwa 2,5 Milliarden DM ist, und dies exakt bei den Investitionen: Investitionen bei der Bahn, Investitionen bei der Straße, bei der Seeschiffahrt und bei den Wasserstraßen. Die Reduzierungen sind also in dem Bereich, wo es in der Tat um die Sicherung und möglicherweise Schaffung von Arbeitsplätzen geht, was immer als allgemeines Anliegen des ganzen Deutschen Bundestages dargestellt wird.
Sie haben meiner Meinung nach eine etwas zu optimistische Darstellung gegeben, Herr Minister. Ich sage zur mittelfristigen Finanzplanung nur eins: Sie zählt für mich eigentlich nie; denn sie stimmt auch nie.
Sie sind ja ein Beispiel der Betroffenheit von der mittelfristigen Finanzplanung: Bei den Zuschüssen für die Seeschiffahrt stelle ich fest, daß sie in der mittelfristigen Finanzplanung in diesem Jahr mit 40 Millionen DM veranschlagt sind; das ist eine Reduzierung von 100 um 60 auf 40 Millionen DM. Die stehen auch im Haushaltsplan.
Der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages hat einstimmig beschlossen - einstimmig! -, daß man für 1995 und die Folgejahre jeweils 120 Millionen DM für die Seeschiffahrt aufwenden müsse. Wir haben im Haushaltsausschuß, Herr Kollege Kalb, im Frühjahr die 100 Millionen DM für 1995 auch beschlossen.
Das heißt, an diesem Punkt müssen wir genau hinsehen. Denn ich befürchte, daß diese erhebliche Reduzierung zu großen Schwierigkeiten bei den entsprechenden Unternehmen führen wird. Ich glaube, wir alle sind uns doch einig, daß wir ein weiteres Ausflaggen deutscher Schiffe und deutscher Reeder nicht mehr hinnehmen können, wenn die Handelsflotte so bleiben soll wie bisher.
Als viel zu optimistisch sehe ich weiterhin die Aussage an, daß man durch den Verkauf von Bundeseisenbahnvermögen zu Einnahmeverbesserungen von bis zu 13 Milliarden DM kommen könne. Es kann durchaus sein, daß der Gesamtwert der zu veräußernden Grundstücke und Immobilien bei 13 Milliarden DM liegt. Aber jetzt so zu tun, als seien die Einnahmen von 13 Milliarden DM im Jahr 1996 fast sicher, ist mehr als optimistisch. Ich würde sagen, das ist fast unverfroren gegenüber der Öffentlichkeit, die an diese Einnahmen glaubt.
Wenn wir gerade bei den Einnahmen sind: Im Einzelplan 60 steht etwas vom weiteren Verkauf von Anteilen der Lufthansa. Die Privatisierung ist jetzt vollzogen; man kann sie kritisieren, aber das läuft ja. Die entsprechenden 1,6 Milliarden DM stehen allerdings nicht in Ihrem Haushalt, wo Sie das Geld gut gebrauchen könnten, sondern im Einzelplan 60. In Ihrem Einzelplan stehen aber alle Altlasten.
Dazu sage ich: Wenn der Bundesfinanzminister schon so unverfroren ist und die 1,6 Milliarden DM, die eigentlich Ihnen zustehen, als Einnahmen in den Einzelplan 60 holt - der Steinbruch, aus dem alles bezahlt wird -, dann soll er auch die Altlasten, die Ihren Haushalt, den Einzelplan 12, belasten, in den Einzelplan 60 übernehmen. Das wäre konsequent und würde der besseren Kosmetik, der Wahrheit und Klarheit des Haushaltes dienen.
Hans Georg Wagner
Konnte ich im Frühjahr dieses Jahres bei der Beratung des Haushaltes 1995 hier noch feststellen, daß der Investitionsanteil bei Ihnen etwa bei 50 % liegt, so muß man jetzt schmerzlich feststellen, daß dort eine Reduzierung um fast 5 % stattfindet; die Zahlen habe ich vorhin schon genannt.
Das heißt, daß alles das, was hier als allgemeines Ziel verkündet worden ist, etwa das Umsteigen von der Straße auf die Schiene, entweder politisch nicht mehr gewollt ist oder bewußt hintertrieben wird. Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten. Ansonsten hätte man diese erhebliche Reduzierung im Haushaltsentwurf nicht hinnehmen können.
- Natürlich, auch ich kenne die Zahlen; wir beraten sie im Haushaltsausschuß immer sehr intensiv, Herr Kollege.
Wenn Sie die Altlasten mitrechnen, wenn Sie alles zusammen sehen, mag Ihre Summe stimmen. Ich sage nur: Es ist bedauerlich, daß die Investitionsmittel um 5% auf nunmehr nur noch 45 % gekürzt worden sind. Das ist die falsche Tendenz im Einzelplan 12, die wir als Sozialdemokraten nicht akzeptieren.
Auch die Straßenbauer, die immer hoffnungsvoll und mit strahlenden Augen den Haushalt betrachten, sind nicht gut dran: 750 Millionen DM minus machen schon etwas aus. Auch hiervon ist die Bauwirtschaft in erheblichem Maße betroffen, einmal unabhängig davon, ob man die Priorität bei den Finanzen mehr in die Schiene oder mehr in den Straßenverkehr setzt. Immerhin ist auch dort eine Reduzierung vorgenommen worden. Die Zahlen für die Seeschifffahrt habe ich vorhin schon einmal genannt.
Angesichts dieser Reduzierungen Ihres Haushaltes im Investitionsbereich wäre es zumindest ehrlich gegenüber der Öffentlichkeit, wenn Sie, Herr Minister, den Bundesverkehrswegeplan der Realität anpaßten.
Diese illusorische Überschrift „Bundesverkehrswegeplan" erweckt bei der betroffenen Bevölkerung nur Hoffnungen. Jedermann in diesem Hause aber weiß, daß das überhaupt nicht so realisiert werden kann, wie es drinsteht. Deshalb bitte ich sehr herzlich darum, einmal eine Aktualisierung des Bundesverkehrswegeplanes vorzunehmen.
Dann würde man auch manchen Ihrer Kolleginnen und Kollegen die Blamage ersparen, wenn sie vor Ort immer treuherzig verkünden, die Umgehung X oder die Umfahrung Z käme in nächster Zeit. Wir
werden dafür sorgen; meine Fraktion wird das machen. - Sie könnten Ihren Kolleginnen und Kollegen manche Blamage ersparen, wenn Sie einen realitätsbezogenen Bundesverkehrswegeplan vorlegen würden.
- Das werden wir tun.
Sie könnten auch Herrn Dürr von der Bundesbahn einmal bitten, seine Vorstellungen darüber darzulegen, wie es eigentlich gehen soll, wenn die Reduzierungen in Milliardenhöhe für den Bereich der Schiene erfolgen. Ich habe gehört, daß vom „Aufbau Ost" viele Gelder in den Topf des Bundesfinanzministers zurückfließen. Wenn dieses Geld zu Ihnen, Herr Minister, flösse, könnte man noch das eine oder andere Projekt im Westen finanzieren. Aber diese Gelder werden praktisch à fonds perdu an den Finanzminister gegeben. Deshalb hätten wir, was die Bahn angeht, konkret gewußt: Was wird mit diesen Geldern gemacht? Wie werden die Strecken finanziert?
Ein Beispiel: Bei der Schnellverbindungsstrecke von Paris über Metz und Saarbrücken nach Mannheim ist die Bundesbahn seit Monaten im Hintertreffen, was den Antrag auf Finanzierung angeht. Jetzt liegt bei Ihnen, Herr Wissmann, der Antrag für den Ankauf von Grundstücken vor. Es muß aber doch klar sein, daß die Bahn ihre guten Projekte wirklich engagiert durchsetzt. Man muß erkennen, daß wirklich der Wille dahintersteht, dem Vorrang der Schiene zum Durchbruch zu verhelfen.
Ich komme nun zur Lkw-Besteuerung. Sie haben gerade gesagt, das sei eine gute Sache und würde von der Koalition getragen. Ich habe aber nicht den Eindruck, daß deshalb ein Lkw weniger auf der Straße fährt, Herr Kollege Wissmann. Der ökologische Aspekt der Einnahme ist sicherlich nicht spürbar. Natürlich ist dann mehr Geld im Bundeshaushalt. Ich kann aber nicht sehen, daß eine Ökologisierung des Güterverkehrs auf der Straße stattfinden würde. Ich selbst bin betroffener Autofahrer und sehe dann ja die Segnungen dieser Steuer täglich auf den entsprechenden Straßen.
Nun haben Sie eben auch noch einmal die Wunderkerze Transrapid gezündet, die im nächsten Jahr mehr Geld beanspruchen wird. Das sind aber nur 17 Millionen DM für die Planungsgesellschaft. Ich sage „nur", obwohl das angesichts des Haushalts sehr viel Geld ist. Im nächsten Jahr aber geht dann die Finanzierung der Investitionen los. Dann sind die Freuden derer, die heute noch für den Transrapid kämpfen, wahrscheinlich gedämpft; denn der Bundesverkehrsminister muß 56,8 % der Investitionen aufbringen, das andere muß von den anderen Einzelplänen aufgebracht werden. Das heißt: weniger Wohnungsbau, weniger Umweltschutz, weniger soziale Leistungen etc. Dafür wird eine ganze Menge
Hans Georg Wagner
aufgebracht werden müssen. Ich bitte einmal die Berichterstatter dieser Einzelpläne, darüber nachzudenken, was sie dann der Bevölkerung draußen verkaufen wollen.
Noch einen Satz zum Transrapid: Ich bin durchaus der Meinung, daß man neue Techniken erproben sollte und weltweit zeigen muß, daß so etwas im eigenen Land funktioniert. Wir haben unsere Beschlüsse in diese Richtung gefaßt; wir waren nur gegen die Strecke Berlin-Hamburg. Sie aber wollen im Bereich des Bergbaus die Subventionen herunterstreichen, obwohl wir in der Kohlekraftwerkstechnik weltweit führend sind und unsere Sicherheitstechnik in den Bergwerken die sicherste der ganzen Welt ist. Indonesien und Indien kaufen unsere Steinkohlekraftwerkstechnik an, weil sie diese überzeugend finden; und Sie wollen Steinkohlekraftwerke dichtmachen.
Das ist doch ein Widerspruch. Wenn Sie den Sozialdemokraten sagen, sie seien beim Transrapid technologiefeindlich, dann sage ich: Sie sind beim Bergbau noch viel extremer technologiefeindlich. Deshalb sollten wir uns das gegenseitige Vorwerfen abschminken und versuchen, zu einer vernünftigen Lösung zu kommen.
Ich fürchte, daß es in bezug auf die Kürzungen Ihres Haushaltes bei der Umsetzung zu erheblichen Verzögerungen kommen wird. Nichtsdestotrotz werden wir am Montag im Berichterstattergespräch und dann in der Beratung des Haushaltsausschusses versuchen, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Wir werden Anträge stellen. Wenn Sie denen zustimmen, dann haben Sie möglicherweise die Zustimmung hier im Bundestag sicher, Herr Minister.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Kollege Kalb, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der bisherige Verlauf der Debatte hat schon gezeigt, daß dem Verkehrsetat eine ganz besondere Bedeutung auf Grund seines Volumens und insbesondere auf Grund seines hohen Investitionsanteils zukommt. Ich sage auch ganz offen: Wir würden heute alle miteinander sehr viel leichter über den Verkehrsetat reden, wenn wir nicht in einer sehr eingeengten finanziellen Situation wären. Aber ich denke, daß alle miteinander Verständnis haben - zumindest wir von der Koalition wollen es -, daß die Konsolidierung der Bundesfinanzen, die Rückführung der Neuverschuldung oberste Priorität haben muß. An diesem Ziel wollen wir festhalten und nicht rütteln.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei all dieser Problematik der Finanzierbarkeit sollten wir nicht ganz aus dem Auge verlieren, worum es in Wirklichkeit geht. Eine gute Verkehrsinfrastruktur ist ein ganz wichtiger Standortfaktor.
Wir reden so viel über den Wirtschaftsstandort Deutschland und häufig redet auch die Wirtschaft nur über die negativen Standortfaktoren, aber daß diese gute Verkehrsinfrastruktur in Deutschland zweifellos ein sehr positiver Standortfaktor ist, liegt auf der Hand und soll auch in Zukunft so bleiben.
Wir brauchen leistungsfähige Verkehrswege, die allgemein und für jedermann zugänglich sind. Das liegt im Interesse des Gemeinwohls. Es liegt insbesondere im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und der Wirtschaft dieses Landes. Viele Produktionsverfahren und Kooperationen, die die Wettbewerbsfähigkeit verbessern, wären ohne ein leistungsfähiges Verkehrsnetz überhaupt nicht denkbar und darstellbar. Wir brauchen auch in den neuen Ländern eine schnelle Bereitstellung eines guten Verkehrsnetzes, einer guten Verkehrsinfrastruktur. Ich kann aus der Erfahrung, aus einem Gebiet kommend, das viele Jahre lang als benachteiligt galt, feststellen, daß die Subventionen für neue Investitionen sehr hilfreich sind, daß aber die größte Wirksamkeit für die Entwicklung eines Gebietes durch die Verkehrsanbindung erzielt wird. Deswegen kann ich das nur unterstreichen, was Verkehrsminister Wissmann hier zum Ausdruck gebracht hat. Wir wollen daran festhalten und die Verkehrsinfrastruktur auch in den neuen Ländern schnell zur Verfügung stellen.
Auf der anderen Seite wundert es mich schon, wenn, auch unterstützt von den politischen Kräften, sich auch in den neuen Ländern schon erheblicher Widerstand gegen dringend notwendige Verkehrsprojekte abzeichnet. Nachdem ich mich gelegentlich auch in den neuen Ländern aufhalte, vermute ich einmal, daß ich nicht nur wie der Blinde von der Farbe über diese Sache spreche, sondern mit ein bißchen eigener Erfahrung mein Wissen und meine Meinung anreichere. Ich denke, es ist wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung, es ist wichtig für die Schaffung von Arbeitsplätzen, es ist wichtig für die Hebung des allgemeinen Wohlstandsniveaus, und es ist auch wichtig für die Verbesserung der sozialen Situation.
- Ich überlasse es Ihnen, wie Sie das Niveau meiner Rede bewerten. Ich bewerte dann genauso das Niveau Ihrer Zwischenrufe. Dann sind wir wieder quitt. Das können wir durchaus so halten.
Bartholomäus Kalb
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Welt hat sich seit 1989/90 Gott sei Dank dramatisch verändert, d. h. aber auch, daß es Konsequenzen für die Bewältigung der Verkehre gibt. Ob wir es wollen oder nicht, die Ost-West-Verkehre werden zunehmen. Das heißt für uns auch, daß wir vorhandene Verkehrswege optimieren müssen, daß wir sie optimaler nutzen müssen. Es ist vorhin schon bei Verkehrsminister Wissmann ein Zwischenruf gemacht worden. Natürlich müssen modernste technische Möglichkeiten im Bereich der Logistik und der Verkehrsleitsysteme eingesetzt werden, damit wir sowohl auf der Straße wie auch auf der Schiene die Möglichkeiten noch besser nutzen, die diese Verkehrsträger bieten. Wir müssen darüber hinaus natürlich auch weiter am Aus- und Neubau von Verkehrswegen festhalten. Wir müssen die Leistungsfähigkeit steigern und zugleich Neues leisten.
Es ist ja die bevorzugte Politik von Rot-Grün insbesondere in den Rathäusern, daß man Verkehrsleitung so versteht, daß man irgendwo ein paar Betonkübel aufstellt. Ich glaube, es war Herr Pischetsrieder, der einmal gesagt hat: Das Aufstellen von ein paar Betonkübeln ist noch kein intelligentes Verkehrsleitsystem.
Es wird darauf ankommen, daß in der Zukunft für das jeweilige Gut auch der jeweils richtige Verkehrsträger gewählt werden kann. Wir werden darauf angewiesen sein, daß die Wasserstraßen, die Schiene und die Straßen voll zur Verfügung stehen. Wir werden dies auch bei unseren Planungen zu berücksichtigen haben.
Es sind die Ansätze für die Eisenbahninvestitionen kritisiert worden. Wenn wir die Dinge nüchtern betrachten - so ist es auch hier vom Minister vorgetragen worden -, dann werden wir zu der Überzeugung gelangen, daß wir ganz vernünftig zurechtkommen und daß wir die notwendigen Investitionen tätigen können. Die Erfahrung des letzten und wohl auch dieses Jahres beweist, daß hier eine Kapazitätsgrenze erreicht wird.
Wir haben Probleme damit - ich sage das in aller Offenheit -, daß die Ansätze für die Straßenbautitel doch sehr eingeschränkt sind. Mir wäre es lieber, wir könnten hier etwas anderes vermelden. Aber Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, müßte es eigentlich sehr recht sein. Die Verkehrspolitiker der SPD haben im Rahmen der Beratungen des Haushalts 1995 eine Absenkung der Investitionsmittel für den Straßenbau um eine Milliarde DM gefordert.
Kollege Wagner hat diesen Unfug dann im Haushaltsausschuß nicht mehr vertreten. Die Grünen haben seinerzeit gar eine Kürzung um drei Milliarden DM gefordert. Das steht im Widerspruch zu allen anderen Forderungen. Sie, Herr Kollege Wagner, haben ja vorhin auch darauf hingewiesen und gefragt, was wir denn tun wollten, wenn mehr neue Straßen und Umgehungsstraßen gefordert werden. Das steht
natürlich in einem eklatanten Widerspruch zu dem, was Parteifreunde von Ihnen an anderer Stelle sagen. Wir müssen hier schon sehen, daß dringende Maßnahmen anstehen und daß wir die Dinge im Lot halten.
Kollege Wagner hat sehr zu Recht, meine ich, angesprochen: Wir müssen die Signale über den Zustand der Baukonjunktur, insbesondere im Tiefbaubereich, durchaus ernst nehmen. Auch das muß in diesem Zusammenhang angesprochen und gesehen werden.
Wichtig ist mir aber auch, daß wir keine autofeindliche Politik und keine feindliche Politik gegenüber dem Individualverkehr betreiben. So wichtig, so notwendig und so sinnvoll es ist, den Schienenverkehr und den öffentlichen Personennahverkehr zu stärken - das wird ja getan -, so klar müssen wir aber auch erkennen, daß es Gebiete in unserem Lande gibt, in denen diese Möglichkeiten eben nicht zum Ziel führen können. Manche ländlichen oder peripheren Gebiete konnten sich erst entwickeln, als man auf die Möglichkeiten des Individualverkehrs zurückgreifen konnte.
Hier wird der Zwischenruf „Eifel" gemacht. Ich könnte genauso die Mittelgebirgslagen und andere ländliche Gebiete nennen. Ich habe noch eine Zahl aus dem Raumordnungsbericht der damaligen Bundesregierung im Kopf. Es gab bis in die 70er Jahre hinein in all diesen Gebieten negative Wanderungssalden. Erst als dann auf den Individualverkehr zurückgegriffen werden konnte, in der gewerblichen Wirtschaft wie auch privat, hat sich das Blatt für diese Gebiete gewendet, und es konnte die Bevölkerungszahl konstant gehalten werden. Es konnte eine Vielzahl von Arbeitsplätzen geschaffen werden. Viele Menschen konnten dort ihr Zuhause finden oder dort, wo ihr Zuhause war, wohnen bleiben und wurden nicht zur Abwanderung gezwungen. Wir sollten dies klar sehen und erkennen. Die Pläne insbesondere der Grünen mit einer massiven Erhöhung der Mineralölsteuer stehen natürlich in einem eklatanten Widerspruch zu diesen Notwendigkeiten und Zielen.
Es ist in dieser Debatte schon einmal gesagt worden: Wir können keine Politik machen, die sich nur noch stinkreiche Leute - anders kann man das nicht mehr zum Ausdruck bringen - leisten können.
Ihre politischen Vorgänger waren doch jene, die keine Mehrklassengesellschaft haben wollten. Was Sie jetzt vorschlagen, führt doch dazu, daß sich nur noch wenige den ungehinderten Zugang zu den Verkehrswegen leisten können, während die anderen wieder nach hinten katapultiert werden.
Ganze Gebiete werden praktisch mit Sonderlasten befrachtet. Das können, wollen und dürfen wir keinesfalls hinnehmen.
Bartholomäus Kalb
Insofern muß auch hier die Kirche im Dorf bleiben.
Auch in der Zukunft muß eine vernünftige Steuerpolitik gemacht werden, die nicht zu neuen Ungerechtigkeiten führt, die nicht zu neuen Benachteiligungen ganzer Gebiete führt. Die Gerechtigkeit muß aufrechterhalten bleiben. Wir müssen die Entwicklungsmöglichkeiten des gesamten Landes und nicht nur einiger weniger Ballungsgebiete im Auge behalten.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Schmidt .
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Wissmann, Sie versuchen, es zu verschleiern. Herr Kalb drückt es wenigstens „kalbwahr" aus. Es nützt alles nichts: Dieser Verkehrshaushalt, so wie er vorliegt, ist der dreiste und offene Versuch, die alte und bekannte Vorrangpolitik zugunsten der Straße und zu Lasten der Schiene weiter zu zementieren, nichts anderes.
Die Sonntagsreden vom Vorrang für die öffentlichen Verkehrsträger erweisen sich wieder einmal als leere Phrasen.
- Ja, das ist ja das Tragische: Wenn Sie immer die gleiche Politik machen, müssen wir immer die gleiche Kritik anbringen.
Bereits im Juni schrillten im Hause Wissmann die Alarmglocken, als - übrigens wieder einmal durch ein Gutachten des Bundesrechnungshofes - bekannt wurde, daß die bisher gehandelten Zahlen für den immerhin größten Investivhaushalt des Bundes unhaltbare Fiktionen darstellten. Insbesondere die Personalkosten der Bahn AG, für die der Bund ja auch nach der Bahnreform über das Bundeseisenbahnvermögen indirekt noch Verantwortung trägt, werden ab sofort und in den Folgejahren zu erheblich höheren Belastungen des Bundeshaushaltes führen, als noch in den Modellrechnungen von 1993/94 vorgesehen.
Das Ergebnis war - man höre und staune -: Der noch druckfrische Dreijahresplan zum Schienenwegeausbau war schon Makulatur, noch bevor er überhaupt beraten werden konnte.
Nach einigem Hickhack zwischen Waigel und Wissmann haben wir nun einen Etat vorliegen, der zwar auch im Straßenbau eine Kürzung in Höhe von 800 Millionen DM vornimmt, aber der umweltfreundlicheren Bahn satte 2,2 Milliarden DM - das ist ein Viertel des bisherigen Investivvolumens - glatt weggestrichen hat. Das ist ein Genickschlag gegen das Unternehmen Bahn, das man erst auf den Weg zur Privatisierung schickt und dann auf halber Strecke hängenläßt.
Herr Kollege Friedrich, 40 Jahre lang wurde die Bahn, das öffentliche Verkehrsmittel Nummer eins, systematisch benachteiligt.
40 Jahre lang wurden Strecken stillgelegt, hat man Bahnhöfe verfallen lassen und geschlossen, während gleichzeitig bis zum heutigen Tag Autostraßen für Hunderte von Milliarden D-Mark aus öffentlichen Kassen finanziert worden sind. Erst dadurch ist doch überhaupt der Nachholbedarf im Investitionsbereich entstanden. Nun sagt die Regierung, die das über Jahrzehnte mit zu verantworten hat: Jetzt muß die Bahn aber einmal ein bißchen kurzertreten. - Das ist zynisch, das ist verlogen und bedroht den Erfolg der Bahnreform in einer besonders kritischen Phase.
Zur unternehmerischen Verantwortung der Bahn, Herr Kollege Friedrich: Der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG, Heinz Dürr, hat nicht umsonst in der Sitzung des Haushaltsausschusses das Schreckgespenst einer Schrumpfbahn à la USA an die Wand gemalt. Denn das Milliardenloch im Verkehrshaushalt ist nicht der Bahn AG, diesem jungen Unternehmen anzulasten, sondern der verkehrten Finanz- und Verkehrspolitik dieser Regierung. Die richtige Konsequenz kann jetzt auch nicht heißen: Kürzen bei der Bahn. Vielmehr müssen wir vom Straßenbau zugunsten der Schiene umschichten.
Das tut der Umwelt gut und entlastet den Bundeshaushalt.
Wir werden Ihnen in den Beratungen mit zahlreichen Änderungsanträgen ausreichend Gelegenheit geben, sich von einer ganzen Reihe verkehrspolitisch entbehrlicher, ökologisch verheerender und im übrigen sehr kostenexplosiver Straßenprojekte zu verabschieden,
z. B. Ihrem Lieblingskind, der A 20, der A 71 oder der A 73, die durch den Thüringer Wald geführt werden soll, und einigen anderen. Da kommen die Milliarden, die man für die Bahn bräuchte, locker zusammen. Das verspreche ich Ihnen schon heute.
Zugleich sollten, meine ich, die Investitionsmittel bei der Bahn AG sinnvoll eingesetzt werden. Das heißt für uns: nicht das ganze Geld auf zwei oder drei Bolzstrecken zu vergraben, z. B. auf der ICE-Neubautrasse Nürnberg-Erfurt, sondern das Schienen-
Albert Schmidt
netz vor allem in der Fläche auszubauen. Im Nahverkehr sind nämlich mit Abstand die meisten Fahrgäste unterwegs. Dort hat jede Mark, die investiert wird, einen wesentlich höheren Nutzeneffekt als auf einer Superschnellstrecke.
Vor diesen Konsequenzen aus der Finanznot drükken Sie sich herum, Herr Minister, und zwar durch miese Bilanz- und Finanztricks - anders kann ich es nicht nennen -, mit denen Sie das wahre Ausmaß des Desasters verkleistern wollen, z. B. durch den Hinweis, die Bahn könne durch den Verkauf nicht mehr benötigter Grundstücke zusätzliche Milliarden für Investitionen lockermachen. Abgesehen von der illusionären Größenordnung, die hier ins Spiel gebracht wird - im letzten Jahr waren es gerade 105 Millionen DM, die auf diese Weise hereingekommen sind -, ist das geplante Vorgehen schlicht unseriös; denn es soll eine neue Tochtergesellschaft der Bahn AG gegründet werden, die die Immobilien erwerben und das Geld in jährlichen, appetitlichen Milliardenhäppchen, unabhängig vom tatsächlichen Weiterverkauf der Grundstücke, an den Bundesfinanzminister überweisen soll. Das einzige Problem dabei ist: Diese Tochtergesellschaft hat das Geld dafür überhaupt nicht. Was tut sie also? Sie finanziert über Bankkredite vor. Wer bürgt für die Bankkredite? Der Bund. Das ist nichts anderes als eine zusätzliche Staatsverschuldung auf Umwegen.
Der Bundesrechnungshof sagt dazu: Dies wird die langfristigen Finanzierungsprobleme nicht lösen, sondern sogar noch verschärfen.
Lassen Sie mich noch etwas zu dem geplanten bzw. mittelfristig geprüften Verkauf von Bahnbedienstetenwohnungen sagen. Das ist unrealistisch; denn die Bahnmitarbeiter und Bahnmitarbeiterinnen sind wegen des niedrigen Mietenniveaus an dem Kauf überhaupt nicht interessiert. Es ist nicht nur ein Wortbruch gegenüber dem Bundestag - den Beschluß habe ich vorhin bei der Zwischenfrage erwähnt -, es geht auch hier nicht um den Konsens mit den Gewerkschaften, Herr Minister, sondern um den Konsens mit einem mit großer Mehrheit gefaßten Beschluß des Deutschen Bundestages. Den müssen Sie herstellen.
Bei der Erschließung neuer Finanzquellen ist man in der Bundesregierung eben erfinderisch.
Da gibt es z. B. die Privatfinanzierung. Elf der zwölf dafür vorgesehenen Straßenprojekte stehen mittlerweile im Bundeshaushalt. Als dreizehntes kommt die ICE-Neubautrasse München-Ingolstadt-Nürnberg hinzu. Privatfinanzierung von Verkehrswegen hört sich für unvoreingenommen zuhörende Menschen erst einmal ganz interessant an. Aber was steckt dahinter? Das pure Gegenteil: eine gigantische Mehrbelastung.
Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel vorrechnen. Die umstrittene ICE-Neubautrasse Ingolstadt, die durch das Altmühltal führt, soll - so der Kabinettsbeschluß vom 5. Juli dieses Jahres - für 7 Milliarden DM gebaut werden. Sie soll durch ein privates Bankenkonsortium vorfinanziert werden. Das läßt den Bundesfinanzminister zunächst einmal außen vor. Nach Fertigstellung des Baus kommt aber der Hammer; denn dann verpflichtet sich der Bund - deswegen stehen all die schönen Verpflichtungsermächtigungen im Haushalt - diese Strecke über einen Zeitraum von 25 Jahren mit Jahresraten von 622 Millionen DM - das sind zusammen 15,6 Milliarden DM - auf Kosten der Steuerzahler und Steuerzahlerinnen von morgen und übermorgen zurückzukaufen. Das ist Privatfinanzierung, das ist Etikettenschwindel, Herr Wissmann, sonst gar nichts.
Das ist ein fantastisches Geschäft für die Banken - überdies völlig risikolos - und ein Draufzahlgeschäft für uns und unsere Kinder. Das erst kürzlich geborene Baby der Familie Waigel wird, wenn es in 18 Jahren zum erstenmal wird wählen dürfen, an diesen Dingen, die ihm sein Papi damals eingebrockt hat, noch abzahlen müssen. Man darf gespannt sein, wie sich das auf die Wahlergebnisse auswirken wird.
Ich würde nichts sagen, wenn es für etwas Sinnvolles wäre. Aber 16 Milliarden DM für einen relativen Fahrzeitgewinn von 11 Minuten - im Vergleich zum Alternativausbau über Augsburg -, also 1,5 Milliarden DM für jede Minute Fahrzeitgewinn, sind für mich politisch nicht mehr vermittelbar. Das ist nicht mehr rational erklärbar. Da fällt mir nur noch ein: Ihnen scheint es das Wichtigste zu sein, daß wir rechtzeitig vor dem ökologischen Abgrund noch schnell die Höchstgeschwindigkeit erreichen.
Die Geschichte hat noch einen anderen Aspekt. Offensichtlich hat der Bayer Theo Waigel seinem CSU-Spezl Horst Seehofer - Wahlkreis Ingolstadt - ein 16-Milliarden-Geschenk auf Kosten der Steuerzahler und Steuerzahlerinnen gemacht. Ich bin gespannt, wie sich der Rest der Republik das gefallen lassen wird.
Dieses Beispiel soll nicht nur belegen, wie unehrlich der Bundesverkehrshaushalt in diesem Punkt argumentiert. Es soll auch zeigen, wie die Bundesregierung verzichtet, Rahmenbedingungen zu setzen, und wie die Bundesregierung darauf verzichtet, vor allem aus der enormen Kostenbelastung, die der Verkehr verursacht, die Konsequenz zu ziehen und endlich eine Anlastung der externen Kosten im Verkehrsbereich zu suchen, auf deutsch gesagt: über die ökologische Steuerreform, über die Mineralölsteuer.
Statt dessen, Herr Wissmann, preisen Sie landauf landab die Telematik als das Allheilmittel gegen
Albert Schmidt
alles, was Probleme macht: gegen den Stau, gegen das Ozon, gegen den LKW-Verkehr, gegen Fußschweiß und Haarausfall und was weiß ich. Das ist nicht Politik, das ist in meinen Augen Quacksalberei.
Sie verzichten mit der stupiden Selbstverliebtheit eines immer noch gläubigen Technokraten auf politische Gestaltungsmöglichkeiten und überlassen die Politik diesen unbefugten Kuhhändlern, diesen Stoibers, diesen Schröders und den Automobilmanagern, die in irgendwelchen konspirativen Treffs ausmachen, was in der Verkehrspolitik wirklich Sache ist. Sie sitzen dabei oder nicht dabei und gucken zu. So schaut es aus.
Ich komme zum Schluß.
Das wird auch höchste Zeit.
Mein letzter Satz: Es geht nicht um die intelligente oder noch intelligentere Straße. Es geht auch nicht nur um intelligente Technik. Was wir in diesem Land brauchen, ist vor allem eine intelligente Verkehrspolitik und dazu vielleicht einen intelligenten Minister oder noch besser eine intelligente Ministerin. Aber das ist von dieser Regierung vielleicht zu viel verlangt.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Friedrich .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es steht mir nicht zu, dazu etwas zu sagen, weil die F.D.P. noch keinen Ministerpräsidenten in den Ländern stellt.
Einen Ministerpräsidenten als Kuhhändler zu bezeichnen, ist schon ein starkes Stück. Soviel zum Stil der Debatte.
Daß die Debatten über den Verkehrshaushalt in diesem Jahr kein Honigschlecken sein würden, konnte man nicht nur den Zeitungen entnehmen; das war eigentlich jedem, der ein bißchen rechnen kann - das können Betriebswirte normalerweise -, schon vorher klar.
Lieber Herr Wagner, der Unterschied zwischen Ihnen und mir besteht darin, daß Sie versuchen, das
Defizit im Verkehrshaushalt mit 17 Millionen DM beim Transrapid zu suchen, während ich mich um das große Thema Bahn mit 30 Milliarden DM innerhalb des Verkehrshaushaltes kümmere.
Die Erfolgschancen sind bei mir wahrscheinlich bedeutend größer als bei Ihnen. Das ist der Unterschied.
Das Problem des Verkehrshaushaltes ist, daß er leider Gottes im investiven Teil deutlich unter 50 % gesunken ist. Die Tendenz geht eher zu 40 %. Es ist eines der feststehenden Kriterien, daß Deutschland nicht nur von der Autoproduktion sehr abhängig ist, sondern daß eine Milliarde DM investiver Mittel im Verkehrshaushalt schätzungsweise 13 000 Arbeitsplätze in der Bauindustrie mittel- und unmittelbar beeinflussen, und zwar im positiven wie im negativen Sinne. Unter diesem Gesichtspunkt muß der Verkehrshaushalt gesehen werden.
Daß er auf Grund der Eckdaten der Koalition - Begrenzung der Neuverschuldung, absolutes Volumen des Haushaltes - nicht ungeschoren davonkommen konnte, war ebenfalls klar. Ich kann nun so wie Sie im Verkehrsausschuß die Streichung von einer Milliarde DM für Straßenbaumaßnahmen betreiben, aber vor Ort erklären, ich werde dafür sorgen, daß die Ortsumgehung morgen mit absoluter Priorität in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen wird. So kann man es machen; nur löst das nicht die Probleme.
Man muß da anfangen, wo Problemlösungen notwendig sind. Dabei muß man auch, lieber Kollege Schmidt, die unternehmerische Verantwortung der Bahn ernsthaft hinterfragen. Ich habe vorhin schon gesagt: 30 Millarden DM - das sind mehr als 60 % des gesamten Haushaltes - gehen in die Bahn: Personalüberleitung, Rückstand der Deutschen Reichsbahn, Beseitigung von ökologischen Altlasten, Neustrukturierung des Netzes in der Deutschen Reichsbahn und ähnliches.
Es gibt ein Gutachten des Bundesrechnungshofes, in dem gesagt wird: Die Bahn gibt mehr Personal zu Lasten des Bundes, als in der mittleren Finanzplanung vorgesehen ist. Es gibt aber auch Stimmen, die behaupten, durch die Einschaltung des Eisenbahnbundesamtes würden sich die Verfahren nicht verkürzen, sondern verlängern.
Es ist auch eine feststehende Tatsache, daß die Bahn im Jahre 1994 den ihr im Haushalt ausgewiesenen investiven Bedarf von rund 10 Milliarden DM nicht ausgegeben hat. 2 Milliarden DM sind effektiv nicht verbaut worden, 1 Milliarde mußte zurückgegeben werden, und eine konnte durch Vorgriff genommen werden.
Leider Gottes, lieber Kollege Schmidt, wird sie trotz feststehender Planungen wahrscheinlich auch
Horst Friedrich
1995 nicht in der Lage sein, die investiven Mittel auszugeben.
Es ist Tatsache - auch das kann man nicht einfach wegdebattieren -, daß der Verkehrsträger Schiene auf einem Drittel seines gesamten Netzes fast 80 % des gesamten Schienenverkehrs abwickelt. Man muß darüber nachdenken, ob nicht durch intelligentere Organisation des Schienenverkehrs bei bestehenden Strecken ein deutlich größerer Anteil des Verkehrs auf die Schiene umgelegt werden kann. Es kursiert ja in der Bahn ein Plan „Netz 21", der genau dies umsetzen soll. Man muß da anfangen.
Eines hat der Haushalt natürlich auch an sich: Der Zwang, stärker über Privatisierung nachzudenken und sie weiter konsequent zu verfolgen, verstärkt sich natürlich.
- Freilich: Echte Privatisierung. - Wir haben die Lufthansa Gott sei Dank endlich zu einem Unternehmen gemacht, das sich am Markt gerieren kann. Was ist der Erfolg? Wir haben die Flugsicherung gegen viele Widerstände privatisiert. Allein durch die bessere Organisation der Flugsicherung ist die Lufthansa in der Lage, jährlich 25 Millionen DM positiv zum Ergebnis beizutragen, weil die Pünktlichkeitsrate des innerdeutschen Flugverkehrs die der Schiene mittlerweile fast übertrifft. Das ist aber eine Folge der konsequenten Privatisierung. Wir haben weniger Fluglotsen, obwohl wir private und militärische Fluglotsen zusammengeführt haben, und sind in der Leistung besser. Zudem finanzieren sie sich über Gebühren, die vom Nutzer zu zahlen sind. Besser und intelligenter kann man es eigentlich nicht machen. Auch die Bahn muß sich da, wo man es macht, zumindest fragen lassen.
- Das Thema Bodenverkehrsdienste steht an. Es ist etwas Schärfe herausgenommen, lieber Kollege Schmidt, weil sich die Lufthansa mit der FAG in einem langjährigen Vertrag geeinigt hat.
Ich habe überhaupt nichts gegen die Öffnung der Märkte. Wettbewerb ist etwas Schönes - dann, wenn er unter gleichen Wettbewerbsbedingungen stattfindet. Ich glaube, wir sind uns einig, daß es, was Bodenverkehrsdienste angeht, deutlich geschlossenere Geschäfte gibt als ausgerechnet den in Frankfurt. Fangen Sie einmal in Spanien an! Da habe ich 100 % Closed Shop. Da kann ich als Lufthansa nicht anfangen, auf der Bodenseite abzufertigen; ich muß die Iberia nutzen.
Das ist schon lange möglich. Über diese Themen sollte man nachdenken. Zudem muß erst einmal klar sein, daß ein wie auch immer gearteter Mitbewerber es besser macht und daß vor allen Dingen der behauptete Arbeitsplatzeffekt eintritt. Ich habe gelernt:
Langfristig passen sich die Arbeitsplätze dem Bedarf an. Wer vorher Monopolist war und es nicht mehr ist, reduziert die Arbeitsplätze, und die anderen werden genau den Personalanteil aufbauen, den sie brauchen, um den Andrang zu bewältigen, der auf sie zukommt.
Was die Bahn angeht, gibt es ein schon lange bestehendes Dilemma. Es ist von mir schon vielfach genannt und von anderen immer wieder belächelt worden. Die Bahnbus-Holding ist einmal mit dem Auftrag gegründet worden, die Bahnbusgesellschaften zu verkaufen. Davon hört keiner mehr etwas. Alle wundern sich, daß die F.D.P entsprechende Forderungen stellt. Nach wie vor gibt es eine einzige verkaufte private Bahnbusgesellschaft - mit glänzenden Erfolgen, weil man sie endlich agieren läßt.
Es ist nicht so, daß der Nahverkehr im jetzigen Haushalt extrem belastet oder nachteilig behandelt worden wäre. Wir haben nach wie vor 6,3 Milliarden DM im Rahmen des GVFG vorgesehen. Wir geben für die Bahn, wenn ich alles, auch die Ausgleichszahlungen, was den Nahverkehr angeht, zusammenzähle, mittlerweile rd. 17 Milliarden DM aus. Dies steigt bis zur Jahrtausendwende auf 20 Milliarden DM. Im Nahverkehr war noch nie soviel Geld vorhanden.
Das Problem dabei ist, liebe Kollegin Ferner, ob die Landesregierungen und die Ministerpräsidenten das Geld, das zunächst sie kassieren, tatsächlich nach unten an die Verantwortungsträger weitergeben. Es nützt uns nämlich überhaupt nichts - da ist die SPD genauso gefordert -, wenn das Geld vom Bund brav an die Länder gezahlt wird und dort beim Finanzminister versickert, aber die Aufgaben nach unten verlagert werden. Dann ändert sich am Nahverkehr nämlich nichts. Er bleibt weiterhin so, wie er ist. Er kostet nur mehr Geld; aber das bleibt in den Landestöpfen. Genau das darf es auch nicht sein.
Weil wir schon beim Transrapid waren - ich habe es vorhin schon gesagt -: Mich wundert immer wieder, mit welcher Ignoranz manche Leute den Haushaltsansatz gelesen haben, wenn sie ihn überhaupt gelesen haben. Kollege Metzger hat heute vormittag erklärt, bei der Bahn werde zu Lasten des Transrapid gekürzt. Ich kann es noch einmal sagen: Definitiv stehen 17 Millionen DM drin.
Ob das der Bahn im positiven oder negativen Sinne hilft, möchte ich nicht beurteilen. Selbst die in der längerfristigen Finanzplanung vorgesehenen Mittel reichen nicht aus, die Kürzungen zu kompensieren.
Herr Kollege Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne.
Herr Kollege Friedrich, die Zwischenfrage bezieht sich auf das Stichwort Transrapid.
- Nein. Das sage ich nicht. Es ist auch keine Nachricht, sondern etwas ganz anderes.
Herr Kollege, wie finden Sie die Aussage Ihres Parteifreundes Heinrich von Lersner, des von mir sehr geschätzten scheidenden Präsidenten des Umweltbundesamtes - ich zitiere wörtlich -: „Der Transrapid ist überflüssig wie ein Kropf."?
Es steht mir nicht an, diese Aussage zu kommentieren. Tatsache ist, daß die Entscheidungsgremien der F.D.P., die 100. Fraktionsvorsitzendenkonferenz in Berlin einstimmig und die Fraktion mit großer Mehrheit bei zwei Gegenstimmen, den Transrapid - aus meiner Sicht: Gott sei Dank - positiv beschieden haben, weil das endlich einmal wieder eine Technik ist, die in Deutschland erfunden worden ist und die in Deutschland umgesetzt werden kann. Das ist doch das eigentliche Thema.
Es gibt einen, was die Parteizugehörigkeit angeht, vollkommen harmlosen Protagonisten, Herr Kollege Schmidt. Der vielgeschätzte, hochverehrte Kollege Klaus Daubertshäuser, langjähriger verkehrspolitischer Sprecher der SPD, hat ein Buch geschrieben, in dem alles, was zum Transrapid zu sagen ist, zu lesen ist. Besser kann man es nicht auf Papier bringen.
Man muß nur den Mut haben, liebe Kollegin Elke Ferner, das umzusetzen, wenn es soweit ist.
Sie wollten den Transrapid als Fernverkehrsmittel zu einem Nahverkehrsmittel verkrüppeln lassen. Die Vorschläge, die Sie gemacht haben, sind nicht ernsthaft gemeint. Warum ist denn der Betriebsratsvorsitzende von Thyssen Henschel in Kassel aus der SPD ausgetreten? Denken Sie doch einmal über Ihre eigenen Aussagen nach, und lesen Sie, was Klaus Daubertshäuser in seinem Buch geschrieben hat! Ich gebe allerdings zu: Das war schon 1988.
Einen Augenblick, Herr Kollege Friedrich. - Herr Kollege Schmidt, wenn Sie schon nicht stehen bleiben, wenn
Ihre Frage beantwortet wird, müssen Sie dem Redner wenigstens Ihr Gesicht zuwenden.
- Sie müssen darauf achten.
Jetzt können Sie sich wieder setzen. Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? Horst Friedrich : Ja, gerne.
Bitte, Frau Matthäus-Maier.
Herr Kollege, ich halte den Transrapid - das sage ich heute übrigens nicht zum erstenmal - wirklich für ein technisches Wunderwerk - das ist vielleicht etwas übertrieben -, für eine Meisterleistung moderner Technologie und unterstütze ihn ausdrücklich. Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich deswegen gegen den Transrapid bin: Wenn er eine solche Meisterleistung ist, warum sind die Parteien, die Tag und Nacht von Privatisierung reden, dagegen, ihn privat zu finanzieren?
Sie haben vorhin vom Kollegen Schmidt etwas zur Privatfinanzierung gehört. Er hat dabei das Konzessionsmodell angesprochen, das erkennbar keine Privatfinanzierung ist. Wir machen beim Transrapid genau das, was wir auch bei der Schiene machen: Der Bund finanziert den Fahrweg vor, und dann wird er vom Nutzer und Betreiber - das ist in diesem Fall ausschließlich die private Betriebsgesellschaft - in jährlichen Abschreibungsraten zurückgezahlt.
Das gleiche System gilt für die Schiene.
- Lesen Sie doch einmal die Beschlüsse, die Berechnungen und das, was wir alles festgelegt haben! Dann werden Sie mir zustimmen, daß das in genau dieser Form funktioniert.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? Die Uhr wird angehalten.
Ich sehe es. Ja, bitte. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte.
Könnten Sie der staunenden Öffentlichkeit und den Kolleginnen und Kollegen hier im Plenum erklären, welche Konditionen bei der sogenannten Refinanzierung durch den späteren Betreiber - wer immer das sein wird - zugrunde gelegt werden, wenn man schon daran denkt, für den 97er Haushalt erkleckliche Beträge auch aus anderen Bereichen zur Verfügung zu stellen?
Sie wissen genau, verehrte Kollegin Ferner, daß mit dem Betreiber, den Betreibergesellschaften, eine jährliche Rückzahlungsrate festgelegt worden ist, und zwar für den Fall, daß die Technik in Betrieb geht. Das kann dann mehr werden, wenn sich die Fahrgastzahlen entsprechend entwickeln. Das steht in den Verträgen definitiv schwarz auf weiß.
- Dann gilt die Mindestsumme der Zurückzahlung. So steht es in den Verträgen.
- Es gibt einen Teil der Kollegen, die grundsätzlich dagegen sind, weil es eine neue Technik ist. Sie lesen nicht, was in den Unterlagen steht. Aber das nützt ja nichts. Es ist eben so.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig?
Wenn es den Ablauf nicht stört, gerne.
Bitte schön.
Danke schön. - Ich möchte zu den Fahrgastzahlen fragen, ob Sie oder ein anderer ernsthafter Experte glauben, daß zwischen Hamburg und Berlin täglich 40 000 Menschen hin- und herpendeln, und ob Sie dazu vielleicht ein Beschäftigungsprojekt einrichten wollen, das Herr Blüm seinerseits finanziert?
Das Niveau der Zwischenfrage spricht für sich. Man kann auf die neuen Techniken zurückblicken, die eingeführt sind, und die Prognosezahlen vergleichen. Ich nenne den TGV von Paris nach Lyon. Schauen Sie sich an, welche Zahlen für ihn prognostiziert worden sind! Schauen Sie sich einmal an, was tatsächlich jetzt dort auf der Schiene transportiert wird! Das ist um ein Zigfaches mehr als das, was prognostiziert worden ist. Niemand kann - das gebe ich sicher zu - jetzt genau auf Heller, Pfennig und Kopf sagen, wie viele Leute von Hamburg nach Berlin fahren.
Eines zeigt die Historie allerdings auch: Bei neuer Technik, bei entsprechender Leistung wird das auch angenommen; erst recht überall da, wo es dann noch stimmig in die anderen Verkehrsträger eingebunden ist - daran arbeiten wir - und der Umstieg möglich ist. Deswegen ist auch die Behauptung, daß die Strecke teurer oder weniger teurer wird, wenn mehr oder weniger fahren, natürlich nur eine Scheinbehauptung. Die Strecke von Hamburg nach Berlin hat eine bestimmte Länge. Die Fahrstrecke, die darauf gebaut wird, kostet den Betrag X nach den Baukosten. Ob eine Million oder 10 Millionen fahren, ist der Strecke relativ egal, denn sie ist genau 285 km lang. Das sind die eigentlichen Kosten der Situation.
Herr Kollege Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Ja.
Herr Kollege Friedrich, könnten Sie vielleicht dem staunenden Publikum erzählen, warum die rot-grüne hessische Landesregierung dem Transrapid zugestimmt hat?
Das habe ich vorhin in einem Zwischensatz schon erwähnt. Es gibt auch in Hessen Arbeitsplatzsituationen. In Hessen ist nämlich der Hauptbauer dieser Technik. Ich habe vorhin schon angedeutet, daß der Betriebsratsvorsitzende von Thyssen Henschel in Kassel wegen der Haltung der SPD zum Transrapid aus der SPD ausgetreten ist.
- Nachdem jetzt Hessen zugestimmt hat, ist er wahrscheinlich wieder eingetreten. Doch das macht nichts. Er hat ein Zeichen gesetzt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kuhlwein?
Ja. Jetzt kommt die schönste.
Herr Kollege Friedrich, ist Ihnen bekannt, daß nach Aussagen des Bundesverkehrsministers vor etwa einem Jahr in Hamburg auf einer Tagung im gesamten ICE-Netz der Bundesrepublik Deutschland, also bei unserem modernsten schienengebundenen Verkehrsträger, 65 000 Passagiere am Tag zu zählen sind? Wie können Sie sich vorstellen, daß mit der Sucht nach dem Transrapid in Zukunft allein zwischen Hamburg und Berlin 40 000 Passagiere täglich auf den Transrapid entfallen werden?
Das gesamte ICE-Netz in Deutschland ist zwischen Hamburg und Stuttgart
Horst Friedrich
und zwischen Würzburg und Hannover. Da kann es nicht viel her sein; denn nur da kann der ICE seine tatsächlichen Vorteile ausfahren. Der Rest ist das normale Schienennetz. Wenn wir die ICE-Trassen, die wir geplant haben, umsetzen, wird auch da etwas mehr Verkehr rollen. Warum soll nicht zwischen Hamburg und Berlin irgendwann einmal eine tägliche Verkehrsmenge von 40 Millionen Menschen transportiert werden?
- Jährliche; Entschuldigung.
Ich wäre dankbar, wenn jetzt wieder etwas Ruhe einkehren würde. Versprechen kann sich jeder einmal.
Wissen Sie, liebe Kollegin Matthäus-Maier, es gibt ein Unternehmen, das sich Privatwirtschaftliche Gesellschaft für Planung nennt. Diese hat einmal eine Berechnung erstellt, und dabei war es in sich stimmig. Dieselbe Gesellschaft hat es dann kurzfristig widerrufen. Jetzt hat sie wieder gesagt, es sei doch möglich. Ich mache mich nicht schlauer als diese Verkehrsexperten. Das gebe ich zu. Nur, irgend etwas muß daran sein, wenn die das einmal berechnet haben.
- Ich glaube gerne, daß Sie bestimmten Berechnungen nicht glauben, wenn sie nicht von Ihnen sind. Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selber gefälscht habe.
Das ändert nichts an der Tatsache, daß Verkehrswissenschaftler, die bisher Verkehrsplanungen durchgeführt haben, dies seriös untersucht haben. Sie können sich täuschen. Sie können sich auch im positiven Sinne getäuscht haben. Vielleicht sind es auch noch mehr.
- Ich würde empfehlen: Ich gebe einen Termin aus. Wir machen dann ein Privatissimum zum Transrapid. Das ist dann sehr umfangreich.
Ich bitte, daß jetzt in der Debatte fortgefahren wird.
Ich bekomme gerade einen Zwischenruf zum Ministerpräsidenten von Niedersachsen, was die Modernität angeht. Ich will das, was heute vormittag zitiert worden ist, nicht wiederholen. Ich will nur einen Hinweis geben: Wir werden gemeinsam in der Koalition auch noch einmal überlegen müssen, ob die geplanten Finanzbeihilfen für die Seeschiffahrt nicht unter Umständen im Haushalt wieder in die Regionen gebracht werden können, die geplant waren, um eine Planungssicherheit zu geben. Der Ausgleich muß im Einzelplan 12 erfolgen. Wir sollten zumindest den Versuch unternehmen.
Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuß und danke sehr für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Enkelmann, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das Rätsel um die Fahrgastzahlen beim Transrapid aufklären: In der Anhörung im vergangenen Jahr ist u. a. der umwerfende Hinweis gegeben worden, dann könnten endlich die Leute von Berlin nach Hamburg in die Oper fahren. So kommen die Fahrgastzahlen zustande.
- Dann kommen wir irgendwann auf 40 Millionen.
Herr Verkehrsminister, Ihr Haushalt ist eine verkehrspolitische Kapitulationserklärung.
Von einer Wende hin zu einem ökologisch integrierten Gesamtverkehrskonzept sind wir weiter denn je entfernt. Die Maßnahmen, über die Sie vorhin gesprochen haben, sind, entschuldigen Sie bitte, Peanuts.
Die gebetsmühlenartige Wiederholung von Aussagen erhöht nicht deren Wahrheitsgehalt. Sie können hier noch so oft erklären, die Schiene habe eindeutige Priorität, die Fakten und gerade auch dieser Haushalt belegen genau das Gegenteil.
Sie sprechen von einem erfolgreichen Beitrag zum Sparen. Das ist wohl wahr, Herr Kollege Wissmann. Nur sparen Sie genau an der falschen Stelle.
Ihr Rotstift, Herr Minister, trifft wiederum die Bahn am empfindlichsten. Die Ausgaben für Investitionen sollen dort um mehr als zwei Milliarden DM gekürzt und damit auf das Niveau von 1994 begrenzt werden. Der Straßenbau soll lediglich auf 750 Millionen DM verzichten. Irgendwie spekulieren Sie immer noch mit diversen Versuchen von Modellen privater Finanzierung, um diese Lücke zu schließen. Das Nachsehen hat wieder einmal die Bahn. Nun gehörte die PDS zu den wenigen hier im Haus, die das Konzept der Bahnreform so, wie es hier vorgelegen hat, abgelehnt haben. Inzwischen hat sich eine ganze Reihe unserer Argumente - leider, so muß ich sagen - bestätigt.
Einig waren wir uns 1993 u. a. darüber, daß die Bahn über längere Zeit ein Sanierungsfall bleiben werde. Das haben wir bestätigt und gesagt: Insoweit wird sich die Privatisierung schrittweise vollziehen.
Dr. Dagmar Enkelmann
Zumindest verbal sollte die Bahn die gleichen Wettbewerbschancen wie andere Verkehrsträger erhalten. Inzwischen aber sind die Finanzmittel für die DB AG zur Verhandlungsmasse verkommen, mit der man je nach aktueller Haushaltslage hin und her jonglieren kann.
Bis 1999 stehen der Bahn fünf Milliarden DM weniger, als ursprünglich vorgesehen, zur Verfügung. Dringend notwendige Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen sind damit akut gefährdet. Von einer wirklichen Bahnreform kann heute wohl nicht mehr ernsthaft die Rede sein. Der Schwarze Peter wurde erfolgreich der Bahn zugeschoben. Sie muß nun allein eine über Jahrzehnte verfehlte, weil einseitig auf die Straße orientierte, Verkehrspolitik ausbaden. Die Folgen: Streckenstillegungen in großem Umfang - ach, das heißt jetzt Neustrukturierung des Netzes, hat Herr Kollege Friedrich vorhin gesagt -, Schließungen von Bahnhöfen, drastische Kürzungen im Servicebereich und Massenentlassungen insbesondere unter den Beschäftigten der ehemaligen Reichsbahn. Hier geht gerade der Nahverkehr Stück für Stück den Bach runter.
Sicher wird die Bahn auch in den nächsten Monaten prüfen müssen, ob tatsächlich alle Projekte für Infrastrukturinvestitionen auf strikter Wirtschaftlichkeit basieren. Renommierte Verkehrsplanerinnen und Verkehrsplaner haben inzwischen berechnet, daß man hier mehr als 20 Milliarden DM einsparen könne, u. a. durch den Verzicht auf Großprojekte oder durch den Einsatz von Neigetechnik und andere Maßnahmen. Diese Mittel könnten dann sinnvoller in den Ausbau des Nahverkehrs, in Lärmschutzmaßnahmen an Bahnstrecken oder in moderne Sicherheitssysteme fließen.
Nach wie vor steht eine endgültige Entscheidung über die Frage aus, wer nicht bahnnotwendige Immobilien verwertet. Die Übertragung der Verwertung in die Verantwortung der DB AG wäre eine annehmbare Lösung, wenn damit die Auflage verbunden wäre, daß die Erlöse für Investitionen der Bahn zur Verfügung stehen müssen. Diese Aufgabe dem Bund zu übertragen, auf welchen Schleichwegen auch immer, hieße Waigels große Taschen zu füllen, in denen das Geld dann auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde.
Der Bahn blieben höchstens ein paar Appetithäppchen.
Immerhin hat der Finanzminister schon bei den Immobilien der Reichsbahn kräftig zugelangt, die ihm per Einigungsvertrag zugeteilt wurden. Da sind wohl berechtigte Zweifel an den Aussagen des Kollegen Wissmann angebracht. Was nun allerdings überhaupt nicht funktioniert, ist - insofern ist die ganze Privatisierung fraglich -,
daß immer wieder die private Organisationsstruktur der Bahn betont wird, also private Wirtschaftsführung angemahnt wird, und gleichzeitig - sozusagen staatlich, dirigistisch - in deren Haushalt eingegriffen wird. Ja, die Bahn wird im Grunde genommen als Melkkuh mißbraucht.
Genau da ist die Privatisierung inkonsequent. Sind z. B. Gelder - das hat vorhin schon eine Rolle gespielt - bis zum Jahresende nicht abgerufen, hat der Finanzminister sofort seine Hand darauf und verteilt großzügig um. Ich denke, in diesem Punkt sind Regelungen längst überfällig, die sichern, daß die Mittel, die für Investitionen in den Haushalt eingestellt werden, tatsächlich für Investitionen gebraucht werden. Ich weiß, daß sich der Haushaltsausschuß u. a. mit einer Lösung beschäftigt hat, bei der Mittel übertragen werden können, wie es bei einem privaten Unternehmen möglich ist und auch tatsächlich der Fall ist. Genau hier tut sich der Widerspruch auf.
Dieser Haushalt ist eine klare Absage an eine Wende in der Verkehrspolitik. Herr Minister Wissmann hat meines Erachtens den Fight im Kabinettsring verloren. Er sollte das Handtuch werfen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Mattischeck, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die jährlichen Haushaltsberatungen sind immer auch Stunden der Wahrheit. Daran können Sie nicht vorbei und daran können wir nicht vorbei.
Herr Wissmann, auch Sie mußten hinnehmen, daß hier ein wenig abgespeckt wurde, wenn ich das einmal etwas untertreibend sagen darf. Der Finanzminister hat natürlich angesichts der hohen Verschuldungen und der drückenden Zinslast überhaupt keine andere Wahl. Das ist einsichtig. Dem Verkehrsminister kann das nicht gefallen. Zu hochfliegend sind und waren seine Pläne und vor allen Dingen die seines Vorgängers. Das vergißt man leicht. Sie haben in diesem Fall eine große Erblast übernehmen müssen. Auch die Mitglieder der Koalitionsfraktionen haben sehr viele Versprechungen vor Ort gemacht. Diese sind natürlich jetzt sehr schwer einzuhalten. Man muß nun kleine Brötchen backen.
Ich habe jüngst ein typisches Beispiel erlebt. Ich war in meinem Urlaub auf der schönen Insel Rügen. Herr Bohl war dort dienstlich unterwegs. Das finde ich auch ganz prima. Aber er hat den Rüganern versprochen, es werde in absehbarer Zeit ein zweiter
Heide Mattischeck
Rügendamm gebaut werden. Ich sehe noch nicht einmal den ersten Rügendamm im Bau. Ich meine, das ist die Art von Politik, die Politikverdrossenheit erzeugt.
Schon als der Bundesverkehrswegeplan im Jahre 1993 gegen unsere Stimmen verabschiedet wurde, haben wir nachdrücklich davor gewarnt, Erwartungen zu wecken, von denen wir bereits wußten, daß sie der harten finanziellen Realität nicht standhalten würden. Wir sehen uns darin vollends bestätigt.
Ich sage das durchaus ohne Schadenfreude, die man vielleicht unterstellen könnte; denn wir wissen, daß damit sehr viele Enttäuschungen von Menschen verknüpft sind, die an Straßen wohnen, wo dringend Umgehungsstraßen benötigt werden. Diese werden auf Jahre, ja vielleicht auf den Sankt-NimmerleinsTag verschoben.
Nun fallen die Kürzungen beim Straßenbau mit 734 Millionen DM noch relativ gering aus. Das ist schon gesagt worden. Für 1996 bedeutet das jedoch, daß etwa 40 geplante Straßenbauprojekte nicht begonnen werden können. Dazu gehören in erster Linie Projekte, die ich schon nannte: Ortsumgehungen, die ganz, ganz dringend notwendig sind und die viele von Ihnen den Bürgerinnen und Bürgern versprochen haben. Daß' liegt nicht etwa daran, Herr Wissmann, daß wir nur Kürzungen hinnehmen müssen, was in dieser Situation ganz normal ist.
In diesem Punkt hat auch von unserer Seite keiner widersprochen. Aber es kommt hinzu, daß Sie immer dazu neigen, an Großprojekten festzuhalten, statt auch einmal die genannten kleineren Brötchen zu backen.
Ich nenne nur ein Beispiel: die A 71 und die A 73 im Verkehrsprojekt Deutsche Einheit. Wir haben schon bei den Beratungen zum Bundesverkehrswegeplan Vorschläge gemacht, hier die bestehenden Bundesstraßen auszubauen und Ortsumgehungen zu bauen. Das Ganze wäre billiger und käme den Bürgern eher entgegen. Aber Sie können sich von dem, was Sie einmal gesagt haben, offensichtlich nicht trennen. Das halte ich nicht für gestaltende Politik.
Sie halten auch an den großen Ausbaustandards im allgemeinen fest. Sie wissen - es gibt Untersuchungen auch aus Ihrem Ministerium -, daß man durch schmalere Spuren auf den Autobahnen und durch kleinere Radien bei den Kurven nicht nur Gelände, sondern auch erhebliches Geld einsparen kann.
Wo bleiben Ihre Vorschläge, wo bleiben Ihre Konzepte in diesem Bereich?
- Es ist gut, daß Sie mir das Stichwort geben. Ich hätte es sonst der Kürze zum Opfer fallen lassen. Hier gilt natürlich, was in anderem Zusammenhang schon häufig gesagt worden ist: Wir haben im europäischen Rahmen immer wieder ein allgemeines Tempolimit gefordert. Wo sind Ihre Initiativen für ein solches Tempolimit?
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wissmann?
Ja, gerne. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte.
Frau Kollegin, darf ich die Gelegenheit nutzen, wenn ich hier sitze, durch eine Frage Ihren vorherigen Punkt aufzugreifen, und darf ich Ihnen mitteilen, daß wir nach sorgfältiger Überprüfung eine Reduzierung der Ausbaustandards bei Straßen und Schienenwegen auf ein europäisches Normalmaß bereits Anfang des Jahres 1994 durchgesetzt und damit Ihrer Anregung, die ich für wichtig halte, entsprochen haben, weil wir uns in einer Zeit knapper Kassen nicht Luxusstandards erlauben können, die in anderen Ländern selbstverständlich nicht praktiziert werden, und darf ich Sie fragen, ob Sie wissen, daß wir durch diese Normalisierung der Standards bei Straßen und Schienen pro Jahr zwischen 100 und 150 Millionen DM gegenüber den vorherigen Planungen sparen werden?
Herr Minister, ich kann nur antworten, daß ich dies nicht wußte. Offensichtlich liegt das aber daran, daß Sie es nicht für nötig gehalten haben, uns dies mitzuteilen.
Ich bin nicht in der Lage, Ihre Kostenabrechnungen nachzuvollziehen; aber ich bin froh, daß Sie mir das sagen. Den Zusammenhang mit dem Tempolimit möchte ich aber dennoch einmal auch im Verkehrsausschuß diskutieren.
Ist die Senkung der Investitionen für die Straße noch relativ milde ausgefallen, so sieht es bei den Schieneninvestitionen ganz anders aus. Diese werden von 9,9 Milliarden DM auf 7,7 Milliarden DM gekürzt. Berücksichtigt man die Tatsache, daß davon 3,7 Milliarden DM für den Nachholbedarf in den neuen Bundesländern zur Verfügung stehen, was wir für völlig in Ordnung halten - das ist ganz klar -, werden 1996 für Neuinvestitionen ganze 4 Milliarden
Heide Mattischeck
DM zur Verfügung stehen. Dies ist etwas mehr als die Hälfte der Summe, die für den Straßenbau zur Verfügung steht. Diese Zahlen muß man sich einfach immer vor Augen halten.
Hier kann von einer Gleichberechtigung von Straße und Schiene wohl beim besten Willen nicht die Rede sein, und das entspricht auch nicht dem, was Sie uns immer wieder versprechen.
Die Bahnreform, Herr Wissmann, war eine große gemeinsame Anstrengung von beinahe uns allen. Sie erfolgte auch mit großer Unterstützung von und großem Rückhalt bei der Gewerkschaft. Deshalb empfinde ich es als ziemlich unerträglich, was in den letzten Wochen an Gerüchten bezüglich eines Verkaufs von Bahnwohnungen durch die Welt gegangen ist, auch wenn Sie heute sagen, das sei nicht so ganz ernst gemeint und Besitzstände würden gewahrt werden. Das, was ich heute von Ihnen gehört habe, trägt nicht dazu bei, die Bahner zu beruhigen. Es trägt auch nicht dazu bei, uns zu beruhigen; denn uns werden Sie nicht an Ihrer Seite haben, wenn es darum geht, Besitzstände in diesem Bereich zu demontieren. Da können Sie nicht mit uns rechnen.
Es geht nicht darum, das eine oder andere Grundstück zu verkaufen. Aber so geht es nicht! Nein, Herr Wissmann, was Sie gesagt haben, beruhigt mich nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß es diejenigen, die dort wohnen, beruhigt. Das können Sie mir glauben.
Wir erwarten - das ist von meinem Kollegen Wagner auch schon gesagt worden - etwas mehr Klarheit und etwas mehr Wahrheit bei Ihrer Verkehrspolitik. Das gilt sowohl für den Straßenbau als auch für den Schienenbau. Wir erwarten, daß in den Dreijahresplan Schiene endlich Wahrheit hineinkommt, daß Sie uns einen neuen Plan vorlegen, der dem entspricht, was Sie jetzt an Investitionskosten zur Verfügung haben. Wir erwarten das gleiche beim Straßenbau; denn das, was als „Zwanzigjahresplan" vorliegt, wird wohl eher ein Plan für 40 Jahre. Wir meinen, daß Sie da gewaltig abspecken und den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort endlich sagen müssen, was sie zu erwarten und was sie nicht zu erwarten haben.
- So viele Nebelkerzen, ja.
Lassen Sie mich nun noch etwas Positives sagen, weil das in dem Zusammenhang auch einmal vonnöten ist. Wir haben mit Freude festgestellt, daß die zwar relativ kleinen, aber doch sehr wichtigen Summen für die Verkehrssicherheit nicht abgespeckt wurden. Wir sind uns offensichtlich einig, daß dieser Bereich sehr wichtig ist. Aber auch hier muß ich etwas Wasser in den Wein gießen: Es gibt Verkehrssicherheitsmaßnahmen, die relativ wenig kosten. Das ist einmal die Senkung der Promillegrenze, und das ist das Tempo 30 in Wohngebieten. Hierzu hören wir
von Ihnen leider kein Wort. Da siegt die Alkohollobby, da siegt die F.D.P. Wir bedauern es außerordentlich, daß hier, wo Verbesserungen bei der Verkehrssicherheit kostenlos möglich wären, gar nichts passiert.
Zur Schiffahrt noch folgendes: Hier wurden große Versprechungen gemacht; 100 Millionen DM standen im Raum, und wir haben im Verkehrsausschuß endlos darüber diskutiert, wie wir der Seeschiffahrt und der Küstenschiffahrt damit helfen können. Wir haben gute Vorschläge gehabt. Sie haben sogar in Aussicht gestellt, daß diese Summe vielleicht auf 120 Millionen DM erhöht werden könnte. Was jetzt im Haushalt steht, sind 40 Millionen DM. Nun habe ich, nachdem Sie gesprochen haben, noch eine geringe Hoffnung, daß wir vielleicht in den Beratungen im Verkehrsausschuß dazu kommen, diese Summe noch etwas anzuheben. Unter diesen 100 Millionen DM, die eigentlich vorgesehen waren, ist es mit der SPD- Fraktion überhaupt nicht zu machen.
Nun ist es leider so, daß heute von der Koalition nur relativ wenige Verkehrspolitiker anwesend sind. Das hat wohl auch interne Gründe. Ich meine aber, daß Sie als Haushaltspolitiker den Verkehrspolitikern sagen können, daß wir gerne bereit sind, darüber zu diskutieren.
Herr Wissmann und meine Damen und Herren von der Koalition, auch wenn es sehr lästig ist: An das erklärte Ziel Ihrer Regierung, den CO2-Ausstoß bis zum Jahre 2005 um 25 % zu senken, muß immer wieder erinnert werden.
Wie wollen Sie das denn mit dieser Verkehrspolitik erreichen? Nicht einmal zu einer vernünftigen Sommersmog-Regelung waren Sie bereit, weil Sie aus irgendwelchen ideologischen Gründen nicht bereit und in der Lage sind, ein Tempolimit in solchen prekären Situationen zu veranlassen.
Herr Wissmann, das Abschmelzen Ihres Haushalts haben Sie nicht zu verantworten, wohl aber eine phantasie- und konzeptionslose Verkehrspolitik. Sie haben vorhin davon gesprochen, daß man sparen und gestalten muß. Das Sparen hat man uns jetzt hier vorgelegt, das Gestalten fehlt völlig.
Sie tun so, als hätten Sie nur vorübergehend mal eine Finanzflaute. Sie wissen ganz genau, daß das nicht so ist, daß sich diese Flaute fortsetzen wird. Es ist richtig, daß Sie sparen müssen - aber gerade bei der Gestaltung?
Heide Mattischeck
Politik mit vollen Kassen kann jeder machen. Geld ausgeben ist eine relativ leichte Angelegenheit. Aber dann, wenn das Geld knapp wird, zu Sparkonzepten und vernünftigen Konzepten zu kommen, das ist die Kunst der Politik. Daran lassen Sie es ganz erheblich fehlen.
Die Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der Bahn wollen Sie beseitigen. Bei der Investitionspolitik hat das nicht geklappt. Das sehen wir, denn Sie werden den Rückstand dadurch, daß Sie nur die Hälfte der Investitionen im Vergleich zu denen für die Straße zur Verfügung stellen, nicht aufholen - nicht in 20 Jahren und nicht in 50 Jahren.
Bei einer gerechten Kostenanlastung für den Straßengüterverkehr, um diese Wettbewerbsnachteile abzubauen, gibt es auch nur eine Fehlanzeige. Das wissen Sie.
Das, was Sie bis jetzt erreicht haben, hat kaum dazu beigetragen, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Spediteure gegenüber den ausländischen Spediteuren zu erhöhen. Es hat jedoch die Spanne zwischen der Bahn und der Straße noch vergrößert.
Herr Minister, die Ergebnisse der Umweltkonferenz in Berlin waren nach meiner Einschätzung - das ist eine ganz persönliche Einschätzung - nicht Null, aber sie waren mager. In Ihrer Verkehrspolitik finden wir nicht einmal Ansätze einer solchen Umweltpolitik.
Wo ist ein integriertes Verkehrskonzept, das die Vorteile der verschiedenen Verkehrsträger - das betonen Sie verbal auch immer wieder -, Bahn, Wasser, Straße und Luft, nutzt, sie verknüpft sowie Parallelinvestitionen, die immer gerade bei Wasserstraßen und Schiene wieder vorkommen - das kennen wir aus verschiedenen Bereichen sehr genau - verhindert? Ich kann es nicht erkennen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist leider abgelaufen.
Ich bin sofort fertig.
Initiativen für abgasarme Autos z. B. durch Nutzung marktwirtschaftlicher Anreize - wann kommen sie von Ihnen? Wir haben dazu Konzepte vorgelegt. Wir sind gerne bereit, darüber mit Ihnen zu diskutieren. Seien Sie doch endlich bereit, darüber mit uns zu reden und auf diesem Wege weiterzugehen!
Wir haben hier viel zu tun. Wir laden Sie ein, mit uns dabei mitzuwirken.
Ich danke fürs Zuhören.
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr liegen nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Das Wort hat zuerst der Herr Bundesminister Dr. Klaus Töpfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die nüchternen Zahlen des Etats des Ministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zeigen einen Rückgang um 1,7 % gegenüber dem Vorjahr - ein Beleg dafür, daß auch der Haushalt des Bauministers einen Beitrag zu der dringend notwendigen Konsolidierung leistet.
Gerade ein Ministerium, das im Baubereich allein im Wohnungsbau 250 Milliarden DM mit zu verantworten hat, ist wie kaum ein anderes an soliden Staatsfinanzen interessiert. Wenn das nicht gelingt und wir inflationäre Prozesse oder Zinssteigerungen haben, sind alle Förderungen im Haushalt nichts wert. Wir sind an soliden Staatsfinanzen in ganz besonderer Weise interessiert. Dies muß immer wieder gesagt werden.
Ein halbes Prozent Zinssteigerung bringt den Bauherrn um mehr Geld, als eine Förderung ausmachen könnte, die wir vielleicht mit einigen Millionen DM mehr hätten.
Nun gehe ich auf meine Vorrednerin ein. Leider ist es bei uns allen so, daß wir dann, wenn unser Etat besprochen ist, weggehen; das ist heute abend ganz besonders wichtig zu erwähnen. Meine Vorrednerin von der SPD hat eben gesagt: Mit vollen Kassen kann jeder Politik machen. Aber wenn es knapp wird, dann muß man nachdenken, und dann muß man bereit sein, auch das noch einmal zu überprüfen, was sich über viele Jahre als selbstverständlich eingebürgert hat, dann muß man auch bereit sein, offen zu diskutieren und womöglich Zielgenauigkeit und Kreativität zu steigern. Das ist die Zeit, in der wir jetzt sind.
Das läßt sich nur machen, wenn man ein klares eigenes Konzept hat. Sonst wird man nur punktuell dort und hier etwas streichen. Man hat dann möglicherweise einen Beitrag zur Konsolidierung, aber keinen Beitrag zur Verläßlichkeit von Politik geleistet.
Diese Verläßlichkeit brauchen wir ganz dringlich, gerade im Baubereich.
Machen wir uns nichts vor: Es ist nicht ohne Besorgnis zu sehen, wie sich die Baukonjunktur entwickeln könnte. In den ersten fünf Monaten hatten wir in den westlichen Bundesländern einen deutlichen Rückgang der Bauanfragen. Wir bekommen eher eine leichte Abschwächung auf sehr hohem Ni-
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
veau. Wir haben im letzten Jahr fast 600 000 Wohnungen fertiggestellt, und es wird auch in diesem Jahr eine sehr hohe Zahl sein. Aber wir müssen das sehr genau verfolgen, weil andere Baubereiche, der Wirtschaftsbau und der öffentliche Bau, solche Bereiche möglicherweise nicht ausgleichen. Das heißt, Verläßlichkeit und Konzept sind dringend notwendig.
Wenn ich auf das zurückgreife, meine Damen und Herren, was ich in meiner ersten Rede als Bauminister hier sagen konnte, dann glaube ich feststellen zu können: Wir sind ein Stück vorangekommen. Wir haben gesagt: Baupolitik, Wohnungsbaupolitik ist Vermögenspolitik. Wir wollen in breiten Bevölkerungsbereichen die Möglichkeit von Eigentums- und Vermögensbildung über den Immobilienbesitz fördern.
Das wollen wir nachhaltig vorantreiben. Wir haben Anfang August im Bundeskabinett ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Ich glaube, diese Reform des selbstgenutzten Wohneigentums ist ein sehr guter Beitrag, um dem Ziel einer angewandten Vermögenspolitik wirklich näher zu kommen.
Das ist wiederum ein Beleg für angewandte Familienpolitik. Wenn es uns wirklich gelingt - ich hoffe hier auf die Unterstützung des ganzen Hauses -, das Baukindergeld als Zulage auf 1 500 DM zu erhöhen, also um 50 % zu steigern, und vielleicht die Familienkomponente noch weiterzuentwickeln, dann haben wir das in den letzten neun Monaten, seit wir hier das erstemal über Baupolitik als angewandte Familienpolitik sprachen, einen wesentlichen Schritt vorangebracht.
- Ein genaues Nachlesen des Gesetzes, Frau Kollegin, wird Ihnen zeigen, daß das nicht der Fall ist; aber dafür haben wir ja im Ausschuß Zeit. Ich bin jedenfalls nicht der Meinung, daß diese Kürzung, die Sie angesprochen haben, so stattfindet.
Wir haben durch die Reform des selbstgenutzten Wohneigentums, wie ich meine, mit einen guten Beitrag geleistet, um gerade in den Schwellenhaushalten, auch in den sozial schwächeren Bereichen, den Zugang zum Wohneigentum zu schaffen. Ich sage noch einmal: Das ist ein Stück angewandte Sozialpolitik, wie sie besser nicht sein kann. Die beste Mietenpolitik wird immer nur durch eine überzeugende, auch sozial treffsichere Wohneigentumsförderung flankiert werden können. Beides gehört untrennbar zusammen.
Wir wissen, daß wir in der vor uns liegenden wohnungspolitischen Diskussion intensiv weitere Überlegungen einbringen müssen. Vieles ist sicher wünschenswert, aber als Schranke existiert die Konsolidierung. Ich kann natürlich unter dem Gesichtspunkt der ökologischen Interessen noch viele zusätzliche
Forderungen anbringen, Frau Kollegin EichstädtBohlig.
- Ich habe mit Interesse Ihre Vorschläge gelesen. Aber es muß immer wieder gesagt werden: Wir tun allen Bürgern den schlechtesten Gefallen, wenn wir mit den Steuergeldern so umgehen, daß die Signale auf Unseriosität stehen und damit eine Zinspolitik kommen wird, die allen, die bauen, in besonderer Weise nachteilige Folgen bringt.
Herr Kollege Reschke, Sie haben wirklich Anspruch darauf, den Schürmann-Bau anzusprechen. Das muß ich Ihnen zugestehen. Mir hätte sonst auch etwas gefehlt. Deswegen wollte ich Ihnen gegönnt haben, daß Sie ihn angesprochen haben. Es ärgert mich selbst genug. Ich hoffe, daß wir auch diese Frage endgültig beantworten können.
Wir haben unsere Hausaufgaben zum ersten Teilbereich gemacht. Das Gesetz liegt vor. Ich hoffe auf eine konstruktive Zusammenarbeit.
Damit ist in ganz besonderer Weise natürlich auch das Bausparen verbunden. Wir haben von Anfang an den Schwerpunkt auf das Vorsparen gelegt, damit auch jüngere Menschen zum Bauen kommen. Wir bauen in Deutschland im Schnitt zu spät - mit 38 Jahren. Deswegen muß das Vorsparen wirklich gezielt ausgebaut werden. Ich freue mich, daß wir das mit der Vorlage erreicht haben. Ich sehe auch aus allen Teilbereichen breite Zustimmung. Frau Matthäus-Maier, die leider bei dem bedeutsamen Bereich des Bauwesens nicht mehr da ist
- sie ist da; wie konnte ich so etwas auch nur unterstellen, Frau Kollegin! -, hat heute morgen gesagt, wenn ich es richtig gehört habe, wir hätten da eine ganz prima Sache gemacht. Das habe sich die SPD auch schon so gedacht.
- Schon vorgeschlagen und gefördert.
Wissen Sie: Wenn wir immer nur danach fragen, wer das Erstgeburtsrecht für sich beanspruchen kann, kommen wir gar nicht mehr zum Handeln. Entscheidend ist, daß wir es jetzt machen. Da hoffe ich auf die Unterstützung des gesamten Hauses. Das ist für mich der wichtigere Punkt.
Meine Damen und Herren, dies ist auch ein Beispiel für den Ausgleich innerhalb Deutschlands. Das sage ich mit großem Nachdruck; denn daß gerade diese Wohneigentumsförderung für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern unumgänglich notwendig ist, ist für mich ganz unstrittig. Vom jetzigen § 10e haben die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern bisher nichts gehabt.
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Wenn wir dort Eigentum fördern wollen, müssen wir auf die Zulage setzen. Deswegen ist es gerade für diesen Teilbereich der deutschen Einheit ein so wichtiger Auftrag, dies jetzt so umzusetzen.
Zur Bürgschaftsabsicherung kann ich mich dem anschließen, was bereits gesagt wurde: Es ist eine gute, zusätzliche Förderung, weil gerade die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern noch nicht gleich die Kreditfähigkeit haben, so daß eine entsprechende Bürgschaftsabsicherung notwendig und richtig ist.
Der zweite Beitrag ist der soziale Wohnungsbau. Es ist wahr: Die Haushaltszahlen zeigen, daß es hier einen deutlichen Rückgang gibt. Wer das vorzulegen hat, muß sich fragen, wie dies in die von mir vorhin geforderte Konzeption insgesamt einzubinden ist. Das ist für meine Begriffe nur erklärbar und vertretbar, wenn wir uns darüber klarwerden, daß das für den sozialen Wohnungsbau verfügbare Geld effizienter, gezielter gerade für die eingesetzt werden muß, die auf Grund ihrer sozialen Situation diese Unterstützung des Staates brauchen.
Bund und Länder können sich Ineffizienzen in der Förderung nicht mehr erlauben. Wir können nicht mehr oder weniger Lottotreffer verteilen, nach denen der eine etwas bekommt und der andere nicht. Machen wir eine einkommensorientierte Förderung in den Neubauinvestitionen und in den Beständen; dann werden wir nicht weniger, sondern mehr Geld auch für den sozialen Wohnungsbau haben, obwohl wir die Haushaltsansätze bei Bund und Ländern gesenkt haben.
- Ich habe zwölf Minuten Zeit. Ich will gerne die Rechnung mit Ihnen machen, Herr Kollege Großmann.
Wir müssen doch feststellen, daß die Fehlbelegungsabgabe die Differenz zwischen einer Einkommensorientierung und der Bewilligungsmiete am Anfang nicht voll ausgleicht. Das ist auch ganz klar. Die Länder machen es unterschiedlich. Schleswig-Holstein rechnet eigentlich schon so, wie ich mir das vorstellen könnte. Das ist auch nicht irgendein, wie viele Länder das schon wieder glauben, Finanzverteilungsprozeß. Ich will den Ländern nicht die Fehlbelegungsabgabemittel wegnehmen, sondern ich will dazu beitragen, daß wir sozial gezielt fördern und dort, wo es nicht mehr notwendig ist, die Einkommensorientierung entsprechend mit einbinden. Das ist doch eine vernünftige und nachvollziehbare Regelung.
Wenn ich das mit der Wohnungswirtschaft bespreche, bekomme ich doch keine Kopfnüsse. Vielmehr sagen die: Leute, darüber müssen wir reden. Sie sagen als Fußnote dabei: Aber das Geld, das dann kommt, möchten wir gerne bei uns in den Unternehmen behalten. - Das ist eine nachvollziehbare Überlegung.
Aber daß wir in einer solchen Situation sozial gezielter vorangehen müssen, halte ich für gänzlich unumgänglich.
Zum Beitrag Wohngeld: Entgegen anderer Meinung bleibt es bei der Aussage, daß wir das Wohngeld so novellieren, daß es im Jahre 1996 wirksam werden kann. Ich füge aber auch hinzu: Es ist nicht mehr möglich, daß wir zu den bisherigen neun Novellen des Wohngelds schlicht und einfach eine zehnte hinzufügen, indem wir nur die Tabellen fortschreiben. Es muß einmal an die Struktur herangegangen werden.
Es kann doch nicht richtig sein, daß der Bund gegenwärtig knapp 3 Milliarden DM Wohngeld bezahlt, davon knapp zwei Drittel als pauschaliertes Wohngeld - also im Bereich der Sozialhilfe -, wo es voll und ganz dynamisiert ist, wodurch wir eher einen mietentreibenden als einen mietendämpfenden Effekt haben. Das sind strukturelle Fragen. Die Antworten darauf kann man nicht aus dem Ärmel schütteln. Wenn wir nur fortschreiben, dann verlängern wir diese Probleme in die Zukunft. Ich glaube, deren Lösung sollte unser aller Anliegen sein.
Sprechen Sie einmal mit Ihren Kommunalpolitikern darüber. Auch die werden Ihnen sagen: Geht einmal an diese Strukturen heran und überprüft, wie ihr eine solche Verkantung innerhalb des Wohngeldes ändern könnt.
Deswegen noch einmal: Ich bin der festen Überzeugung, daß wir auch von unseren Finanzpolitikern in den Fraktionen aufgefordert werden, an dieses Wohngeldgesetz heranzugehen, um - ich sage es noch einmal - diese Verkantung wegzubekommen.
Nächster Punkt: Wenn wir die Bildung von Wohneigentum gerade auch für Schwellenhaushalte besser fördern wollen, dann setzt das unumgänglich voraus, daß wir uns mit den Baukosten beschäftigen. Es macht keinen Sinn, daß wir besser fördern, diese bessere Förderung aber durch steigende Kosten bei Bauland und Bauobjekt kompensiert wird. Das kann nicht richtig sein; dafür sollten wir uns die Mühe nicht machen.
Deswegen, meine Damen und Herren, gehen wir an diese Frage sehr nachhaltig heran. Sie wissen, daß dafür ein ganzer Strauß von Maßnahmen eingesetzt werden muß. Ich jedenfalls gehe davon aus, daß dies eine breite Unterstützung von der Bauwirtschaft bis zu den planenden Berufen der Architekten und Ingenieure findet.
Damit verbunden ist die ökologische Komponente. Ich möchte mit allem Nachdruck widersprechen, wenn es heißt: Ökologischer bauen heißt teurer bauen. Dies ist nicht richtig. Ökologischer bauen
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
heißt allerdings etwas intelligenter bauen, heißt nachzudenken, wie man Grundrisse macht, wie man Gebäude plaziert, wie man mittelfristig Betriebskosten einspart und diese kapitalisieren kann.
- „Ein bißchen bescheidener" sagt der Kollege Kansy. Das sagt er gerade mir, nachdem er aus dem Urlaub gekommen ist.
Meine Redezeit ist zu Ende. Aber lassen Sie mich mit einem Satz noch auf einen Punkt aufmerksam machen. Wir müssen dahin kommen und weiter daran arbeiten - das ist nicht in erster Linie ein Haushaltsproblem -, daß wir mehr in eine nachhaltige Stadt- und Raumentwicklung investieren können. Wir müssen auch an gesetzlichen Vorgaben arbeiten.
- Sehen Sie, Frau Kollegin Matthäus-Maier, jetzt habe ich wieder jemanden, der das Eigentum nennt. Es ist schon schwierig in diesem Hohen Hause: Wenn du irgend etwas sagst, hat es irgend jemand vorher schon einmal gesagt. In diesem Falle hat auch Frau Eichstädt-Bohlig schon einmal von der nachhaltigen Stadt- und Raumentwicklung gesprochen. Ich möchte das in besonderer Weise unterstreichen.
Ich halte es für extrem wichtig, daß wir solche Dinge wie die Entleerung der Innenstädte nicht einfach passiv hinnehmen. Vielmehr müssen wir alles daran setzen, diese Entwicklung zurückzudrehen. Wir brauchen lebendige, vitale Innenstädte, mit Wohnungen, mit Handel, mit Handwerk. Nur dann können wir einen Amerikanisierungsprozeß unserer Städte und der Raumordnung verhindern. Deswegen ist das nicht ein Anhängsel, sondern eine zentrale Frage für die vor uns liegenden zwölf Monate, in denen auch dieser Haushalt seine Wirkung haben wird.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Das Wort hat jetzt der Kollege Achim Großmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Haushaltsplan gibt nicht nur den finanziellen Rahmen vor; er soll auch Prioritäten setzen, soll Auskunft darüber geben, ob Reformansätze verwirklicht werden können. Er soll natürlich auch Auskunft darüber geben, ob Verbrechen - Entschuldigung: Versprechen - -
- Die Rede führt zu ganz merkwürdigen Assoziationen. Ich wollte das aber nicht so deutlich sagen, sondern ich werde das viel moderater anbringen; Entschuldigung.
Es soll natürlich auch so sein, daß man Versprechen kontrolliert. Das heißt, man kontrolliert: Werden Versprechen eingelöst, die beispielsweise ein Minister oder Koalitionäre in ungezählten Pressekonferenzen gemacht haben?
Wenn das Geld knapp ist und die finanziellen Spielräume eng werden, wird der Blick in den Haushaltsplan besonders spannend: Können die angekündigten Reformprojekte finanziert werden? Gelingt die Aufgabe, die Wohnungsförderung effizienter zu machen und sozial effektiver zu gestalten? Schaffen wir es, daß die Reformvorhaben wirklich seriös finanziert werden können? Erreichen wir mit dem aufgestellten Haushaltsplan auch wirklich die Lösung der Probleme auf dem Wohnungsmarkt? Man könnte diese Fragen fortsetzen.
Es war also spannend, nach einem halbjährigen Töpferschen Ankündigungsmarathon im Haushalt zu überprüfen, wie es mit der Umsetzung aussieht. Das Ergebnis ist enttäuschend; die Spannung ist schnell gewichen. Der Haushaltsplan hält nicht, was der Minister versprochen hat. Er zeigt nicht auf, wie die drängenden Probleme auf dem Wohnungsmarkt gelöst werden können. Er ist vielmehr Ausdruck mangelnder Gestaltungskraft und fehlender Durchsetzungskraft. Ich will dafür den Beweis antreten.
Erstens: Mangel an preiswerten Wohnungen. Nach wie vor - wir haben relativ wenig über Wohnungsnot gehört; wir haben nur etwas über die Erfolge dieser Regierung gehört - fehlen in Deutschland 1,5 bis 2 Millionen Wohnungen, vor allen Dingen - das ist wohl unumstritten - im Bereich des preiswerten, bezahlbaren Wohnraums. Auch die Zahl der vorhandenen Wohnungen mit Belegungs-
und Mietpreisbindungen ist dramatisch zurückgegangen und geht weiter zurück.
In den Koalitionsvereinbarungen hieß es vor wenigen Monaten unter der Überschrift „Mehr preiswerte Wohnungen schaffen" wortwörtlich:
... insbesondere in Ballungsgebieten ist immer noch ein Mangel an preiswerten Wohnungen .. . festzustellen.
Was nutzt es aber den Menschen, wenn auf der einen Seite die politischen Probleme richtig beschrieben werden, gleichzeitig aber auf der anderen Seite die Mittel im sozialen Wohnungsbau im Ballungsgebieteprogramm auf Null gekürzt werden?
700 Millionen DM sind zur Verfügung gestellt worden; diese sind in Zweijahresschritten abgebaut worden. Sie setzen aber im Haushaltsplan 1996 noch eins drauf: Sie streichen weitere 500 Millionen DM beim sozialen Wohnungsbau. Zu einem Zeitpunkt, da wir gerade bei den Menschen, die keine bezahlbare Wohnung finden, deutliche Prioritäten setzen müssen, geht die Bundesregierung hin und streicht innerhalb von zwei Jahren 1,2 Milliarden DM im sozialen Wohnungsbau.
Achim Großmann
Ich will an einigen Zahlen deutlich machen, was da passiert: Wenn der Haushaltsplan so bleibt, stehen im nächsten Jahr insgesamt 2,21 Milliarden DM zur Verfügung, davon 900 Millionen DM für die neuen Bundesländer. Da wird um 10 % gekürzt. Das Ballungsgebieteprogramm verschwindet völlig - Kürzung: 100 %. Die Mittel im zweiten Förderweg werden auf 200 Millionen DM gekürzt - Kürzungsgrad: 50 %. Die Mittel im dritten Förderweg werden um 20 % gekürzt, insgesamt von 3,4 Milliarden DM im Jahr 1994 über 2,8 Milliarden DM im Jahr 1995 auf 2,2 Milliarden DM im Jahr 1996.
Die Förderung, die die alten Bundesländer betrifft, entspricht der Förderung im Jahre 1989. Wir hatten seit 1989 in jedem Jahr mehr Mittel für den sozialen Wohnungsbau als im kommenden Haushalt - wenn es dabei bleibt.
Sie, Herr Bauminister, können nicht hierherkommen und sagen: Das kriegen wir hin, indem wir sozial treffsicherer fördern. Das läßt sich nicht rechnen. Wir haben dies schon Ihrer Vorgängerin mehrfach bewiesen. Das werden wir auch Ihnen beweisen.
Man kann nicht, indem man die Hälfte der Fördermittel streicht, mehr soziale Wohnungen bauen, selbst wenn man noch soviel im Fördersystem ändert. Das ist völlig unmöglich.
Parallel dazu wird diskutiert, den sozialen Wohnungsbau zu reformieren. Da gibt es teilweise völlig abstruse Ideen. Die F.D.P. hat während des Sommertheaters den Vorschlag gemacht, den sozialen Wohnungsbau völlig abzuschaffen. In einer Zeit, da Sie noch nicht einmal das Wohngeld für das jetzt gültige System lockermachen können, glauben Sie, Sie könnten die Wohnungsprobleme der Bundesrepublik Deutschland voll mit Wohngeld abfedern. Was das bringt, hat der Bauminister gerade mit einem wunderschönen Beispiel über das pauschalierte Wohngeld, bei dem keiner auf die Mieten schaut, belegt.
Die F.D.P. schlägt also vor, die Mieten mit Wohngeld und nicht mehr mit Objektförderung zu unterstützen. Das bedeutet: Wir haben demnächst eine mietpreistreibende Mietensubvention.
Die F.D.P. scheint nicht bemerkt zu haben, daß man mit Wohngeld keine einzige Wohnung bauen kann. Das heißt: Das System, das der Minister gerade zu Recht in Frage gestellt hat, soll hier flächendeckend eingeführt werden. Das muß scheitern und wird auch scheitern.
Die CDU/CSU setzt auf eine sehr komplizierte Form der einkommensorientierten Förderung. Wir haben eine Menge von Beispielen von einkommensorientierter Förderung; die funktioniert. Aber da geht es um den sogenannten § 88e, um ein neues Modell.
Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Vielleicht darf ich den Gedanken noch zu Ende vortragen.
Tragen Sie ihn vor.
Hier geht es um ein neues Modell, das gerade in die Erprobungsphase getreten ist. Es hat sich nun gezeigt, daß die Investoren bei diesem neuen Programm nicht Schlange stehen, sondern daß es vom Markt nur sehr zaghaft angenommen wird. Fazit: Die vorgebenen Reformvorschläge im sozialen Wohnungsbau reichen vorne und hinten nicht aus.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Braun?
Ja. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte.
Herr Kollege Großmann, ist Ihnen entgangen, daß der Vorschlag der F.D.P., von dem Sie sprechen, der im August der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, keineswegs den Wegfall des sozialen Wohnungsbaus, sondern des ersten Förderwegs des sozialen Wohnungsbaus beinhaltete? Ist Ihnen weiterhin bekannt, daß in einigen Kommunen in Deutschland die Bewilligungsmiete des sozialen Wohnungsbaus höher liegt als die Marktmiete bei frei finanzierten Wohnungen?
Beides ist mir bekannt. Den ersten Förderweg wollen Sie ganz streichen. Das Geld wollen Sie für kommunale Miethilfen einsetzen mit einer Grundgesetzänderung. Das ist so kurios, daß Verfassungsrechtler mir gesagt haben, dazu sollen die erst einmal einen Aufsatz schreiben.
Das zweite ist: Gerade weil Sie den sozialen Wohnungsbau über den dritten Förderweg deformiert haben, kommen auch im sogenannten sozialen Wohnungsbau inzwischen Marktmieten bis zu 18 DM pro Quadratmeter heraus. Sie wollen mir doch nicht erzählen, daß die Menschen, die bezahlbaren Wohnraum suchen, genau solche Wohnungen brauchen.
Noch ein Wort zur Fehlbelegungsabgabe, die gerade ins Spiel kam. Über die Fehlbelegungsabgabe fließen dem Bund und den Ländern für den Wohnungsbau ungefähr 700 Millionen DM im Jahr zu, und das, obwohl - das ist vom Minister gesagt worden - die Fehlbelegungsabgabe in manchen Bundesländern nur rudimentär erhoben wird. Wer also, ohne
Achim Großmann
sich im Detail darüber Gedanken zu machen, einfach mir nichts dir nichts sagt: „Die Fehlbelegungsabgabe streichen wir", der soll uns erst einmal sagen, wie er die 700 Millionen DM, die dann wegfallen, finanzieren will, woher er die nehmen will oder ob er die Mittel im Wohnungsbau weiter drastisch kürzen will.
Die Rufe schallen meistens sehr laut aus Bayern. Herr Braun, Sie kommen aus Bayern, aus München.
Sie legen sehr großen Wert darauf, daß die Fehlbelegungsabgabe ein falsches Instrument ist. Ich meine, diejenigen, die aus Bayern kommen - obwohl sie nicht unmittelbar politische Verantwortung mit der F.D.P. in Bayern tragen -, sollten einmal ein bißchen leiser rufen; denn dort sind die Einkommensgrenzen für die Fehlbelegungsabgabe so gezogen, daß erst dann, wenn die Einkommensgrenze im sozialen Wohnungsbau um 80 % überschritten wird, überhaupt eine Fehlbelegungsabgabe erhoben wird. Wenn also Leute aus Bayern kommen und sagen, die tauge nichts, dann ist das eine Aufgabe, die in Bayern gelöst werden muß.
Sie war schon einmal mutiger, die Regierung. In den Koalitionsvereinbarungen zur 12. Legislaturperiode stand: Wir werden die Rahmengesetzgebung des Bundes für die Fehlbelegungsabgabe so ändern, daß die Länder gezwungen sind, die Fehlbelegungsabgabe bis zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete zu nehmen. Davon ist keine Rede mehr. Von Ihnen gibt es nur Hinweise, auch im Sommerloch, man wolle die Fehlbelegungsabgabe völlig abschaffen.
Erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Braun?
Nur wenn es nicht auf meine Redezeit angerechnet wird; sonst komme ich nicht durch.
Selbstverständlich. Das mache ich auch, ohne gemahnt zu werden.
Herr Großmann, Sie haben messerscharf erkannt, daß die F.D.P. in der Tat nicht verantwortlich ist für die Definition der Fehlbelegung, wie sie in einem bayerischen Gesetz niedergelegt wurde. Ist Ihnen aber bekannt, daß die SPD - wohlgemerkt: die SPD - dieser Gesetzgebung der Bayerischen Staatsregierung, der CSU, zugestimmt hat?
Das ist mir nicht bekannt, aber ich habe keine Hemmungen, auch die bayerische SPD zu kritisieren, wie ich übrigens auch gleich
Beschlüsse aus dem Vermittlungsausschuß kritisieren werde.
Zweitens. Ich komme zu einem ganz anderen Thema: Zum Märchen von der Stetigkeit oder: Wie beschädige ich die Baukonjunktur? Ich habe vorhin gedacht, nach zwei Minuten hört der Bauminister auf zu reden, weil er gesagt hat: Wenn sich die Zinsen um ein halbes Prozent erhöhen, dann belastet dies den Bauetat mit mehreren Millionen Mark. Wenn man eine solche politische Haltung hat, kann man nicht mehr viel gestalten.
Ich will noch einmal die Koalitionsvereinbarungen zitieren. Dort steht:
Ziel unserer Wohnungspolitik ist es, Rahmenbedingungen für eine Verstetigung des Wohnungsbaus zu schaffen.
Eine Einlösung des Versprechens findet man im Haushalt natürlich nicht. Fast 5 Milliarden DM sind in den letzten zwei Jahren gestrichen worden. Da geht es um den sozialen Wohnungsbau, das selbstgenutzte Wohneigentum, den Wegfall der Schuldzinsen, die Halbierung der Förderung beim Kauf aus dem Bestand, die begrenzte Absetzbarkeit von Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten, um Einschnitte in das Fördergebietsgesetz und um Kürzungen bei der degressiven Abschreibung. Also entzieht man dem Wohnungsmarkt allein von seiten des Bundes staatliche Gelder in Höhe von über 5 Milliarden DM und glaubt dann, man könne hier vor das Publikum treten und von Stetigkeit reden und für Stetigkeit werben. Das funktioniert nicht.
Man muß klipp und klar sagen, daß hier angesichts der hervorragenden Budgetinzidenz der Wohnungsbauförderung ein klassisches Eigentor geschossen wird. Wenn Wohnungen gebaut werden, fließt ungeheuer viel an Steuern - Lohnsteuer, Einkommensteuer, Mehrwertsteuer - an den Staat zurück, so daß man in bezug auf bestimmte Bausummen sogar sagen kann: Das hält sich gegenseitig die Waage. Wer da kürzt, wer die Baukonjunktur an dieser Stelle beschädigt, gefährdet Arbeitsplätze oder vernichtet sie, und er sorgt ebenfalls dafür, daß weniger Steuereinnahmen fließen.
Das war kein reformerischer Ansatz, überhaupt nicht.
Drittens zum frei finanzierten Mietwohnungsbau: Hier haben wir ein System, das verteuernd wirkt. Derjenige, der plant, der Architekt, verdient um so mehr, je teurer er plant. Derjenige, der baut, verdient um so mehr, je teurer er baut. Derjenige, der verkauft, der Makler, lacht sich natürlich ins Fäustchen, wenn er höhere Courtagen erzielen kann. Derjenige, der kauft, freut sich, weil er mehr von der Steuer absetzen kann. Nicht dieses irrsinnige, preistreibende System ist im Vermittlungsausschuß zu Fall gebracht worden, sondern die Renditen im frei finanzierten Mietwohnungsbau. Das heißt, im Moment funktioniert das System wie folgt: Ob jemand vier Wohnun-
Achim Großmann
gen für insgesamt 1,5 Millionen DM oder ob er ein Penthouse für 1,5 Millionen DM baut, interessiert das Finanzamt nicht. Das System, das wir haben, ist ökologisch und ökonomisch blind.
- Ich habe gesagt, Herr Kansy, daß ich in die Richtung austeile, wo Fehler gemacht werden. Dabei interessiert mich im Moment wenig, wer mit den Fehlern angefangen hat. Wir können das ja korrigieren. Auch hier ist meiner Ansicht nach ein Systemfehler gemacht worden.
Zum selbstgenutzen Wohneigentum will ich nicht viel sagen; die Zeit läuft mir davon. Wir haben ja Gelegenheit, über den Gesetzentwurf zu streiten.
Zum Wohngeld will ich noch einen Satz sagen. Ich habe natürlich gemerkt, daß es eine Kurskorrektur gegeben hat. Darauf wird mein Kollege Maaß noch einmal eingehen. Es geht nicht, daß Sie 1,8 Milliarden DM für das Wohngeld zusammenbekommen wollen und wenige Monate später hier eine Rede halten, um uns dahin gehend gefügig zu machen, daß wir es unter Umständen zum Nulltarif reformieren. Das geht nicht!
Fazit: Der Einzelplan 25 bedarf dringend weiterer Beratungen. Er wird in keiner Weise den Maßstäben gerecht, die man an einen solchen Etat anlegen muß.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Gert Willner.
Frau. Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auf den Zuruf aus den Reihen der SPD möchte ich sagen: Es kommt heute kein Gedicht.
Es ist ein vorrangiges Ziel, den Bundeshaushalt zu konsolidieren, die Verschuldung zu begrenzen und die Staatsquote zu senken. Da kann auch der Haushalt des Bauministers angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen vom Kurs der Ausgabenbegrenzungen nicht ausgenommen sein. Zu Beginn der Diskussion um einen Haushalt ist es wichtig, einen Blick zurück auf eine erfolgreiche Wohnungsbaupolitik zu werfen; an sie muß erinnert werden.
Wir können einen Anstieg der Fertigstellungen im Wohnungsbau von rund 209 000 Wohnungen im Jahre 1988 auf fast 600 000 Wohnungen 1994 feststellen. Auch die 166 855 Bewilligungen von neuen Sozialwohnungen 1994 sind ein Spitzenwert - eine enorme Anstrengung von Bund, Ländern, Gemeinden und der Wohnungswirtschaft. Das ist das Ergebnis einer erfolgreichen Wohnungsbaupolitik in den alten und den neuen Bundesländern. „Bauen fördert die Einheit", stellt Ministerpräsident Kurt Biedenkopf richtig fest.
1996 wird ein schwieriges Jahr werden. Nun ist es aber unser aller Ziel, den Wohnungsbau zu verstetigen.
Herr Kollege Großmann, Sie haben eben das Vermittlungsverfahren angesprochen. Offenbar war es im Vermittlungsverfahren zum Jahressteuergesetz 1996 erforderlich, zur Gegenfinanzierung der zusätzlichen Forderungen der SPD die degressive Abschreibung für den frei finanzierten Mietwohnungsbau zu senken. Das ist in der öffentlichen Diskussion zu Recht kritisch bewertet worden. Die Forderungen der SPD zum Jahressteuergesetz 1996 sind die Ursache dafür, daß im Vermittlungsausschuß die Senkung der Abschreibung für Mietwohnungsgebäude beschlossen wurde mit der Folge, daß weniger frei finanzierte Wohnungen entstehen werden.
Das Ziel der SPD war es offenbar, die steuerliche Förderung ganz einzustellen. Wohnungsbaupolitisch wäre dies eine gravierende Fehlentscheidung gewesen.
Herr Schröder hat sich gegen den Subventionsabbau bei VW ausgesprochen. Der ehemalige wirtschaftspolitische Sprecher der SPD wäre gut beraten gewesen, wenn er aus gesamtwirtschaftlicher Sicht im Vermittlungsausschuß den Subventionsabbau gerade beim Wohnungsbau mit verhindert hätte. Was folgt daraus? - Auch Wohnungsbau sollte bei der SPD weniger von den Ministerpräsidenten der Länder und mehr von der Bundestagsfraktion verantwortet werden.
Dann besteht eher als bisher die Chance, sich in wichtigen Fragen auf gemeinsame Wege zu begeben. Daß dies möglich ist, haben die Entscheidungen zum Mietrecht Ost und dem Wohnungsbauförderungsgesetz 1994 in positiver Weise gezeigt.
Hier hätte auch die SPD klatschen können.
Der soziale Wohnungsbau ist eine wichtige Säule der Wohnungsbaupolitik. Wenn das Geld knapp ist, wenn gespart werden muß, kommt es darauf an, die öffentliche Förderung effizienter und treffsicherer zu gestalten. Deshalb ist es geboten, die einkommensorientierte Förderung im sozialen Wohnungsbau konsequent umzusetzen und den Einsatz der Mittel im dritten Förderweg auf die einkommensorientierte Förderung zu konzentrieren.
Um den Wohnungsbau unter den schwierigen finanziellen Bedingungen zu verstetigen, ist ein Maßnahmebündel erforderlich. Dazu gehören neben der
Gert Willner
einkommensorientierten Förderung im sozialen Wohnungsbau u. a. der Wohnungsneubau und die gezielte familiengerechte Steigerung der Eigentumsquote. Die CDU/CSU will durch eine gezielte Wohnungseigentumsförderung für Familien mit Kindern und einem mittleren Einkommen die Möglichkeit schaffen, Haus- oder Grundeigentümer zu werden. Um es klar und deutlich zu sagen: CDU/CSU und F.D.P. wollen mehr Eigentum für junge Familien und Alleinerziehende.
Mit der vorliegenden Initiative zur Wohnungseigentumsförderung hat die Koalition Handlungsfähig-. keit bewiesen. Die beabsichtigte Neuregelung der Wohnungseigentumsförderung ist einfach, überschaubar, familienfreundlich und sozial ausgestaltet. Die deutliche Erhöhung des Baukindergeldes - künftig: Kinderzulage - auf 1 500 DM je Kind ist ein Beitrag zu dieser sozialen und familienfreundlichen Ausgestaltung.
Ich bin sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir uns einig sind in der Feststellung: Wohnungseigentum ermöglicht familiengerechtes Wohnen und schafft Sicherheit im Alter. Wenn es unser gemeinsames Ziel ist, Wohnungseigentum zu fördern und Wohnungsbau zu verstetigen, dann kann die Initiative zur Wohnungseigentumsförderung nur erfolgreich sein, wenn das erforderliche Bauland verfügbar ist. Mit der Bereitstellung von Bauland muß jetzt begonnen werden. Deshalb fordert die CDU/CSU-Fraktion die Städte und Gemeinden auf, die Initiative für mehr Wohnungseigentum durch eine Baulandinitiative zu unterstützen.
- Wenn Sie dazu eine Zwischenfrage stellen, gehe ich gerne darauf ein; sonst geht das von meiner Redezeit ab.
Die CDU/CSU begrüßt es, daß mit diesem Haushalt ein CO2-Minderungsprogramm ab 1996 beschlossen wird. Für das Programm sind fünf Förderjahre mit einem Kreditrahmen von jeweils 1 Milliarde DM vorgesehen. Der Einzelplan 25 des Haushaltsentwurfs 1996 leistet damit einen wichtigen Beitrag zur CO2-Minderung und zur Förderung der Energieeinsparung im Wohnungsbau. Auch mit diesem Programm wird den grundlegenden Veränderungen des energiepolitischen Umfeldes entsprochen.
Lassen Sie mich feststellen: Der Haushaltsentwurf für den Geschäftsbereich des Bauministers enthält nach wie vor als Ausgabenschwerpunkte die Förderung des sozialen Wohnungsbaus und die Städtebauförderung. Für Finanzhilfen an die Bundesländer ist ein Verpflichtungsrahmen von 2,21 Milliarden DM vorgesehen, wie nachlesbar eine Minderung von 550 Millionen DM gegenüber der Finanzplanung. Der Kassenansatz, also die Barmittel, werden mit 2,9 Milliarden DM rund 10 % über dem Vorjahresansatz liegen.
Das Thema der Konzentration der Mittel des sozialen Wohnungsbaus, aber auch die Wohngeldthematik wird - wie eine mögliche Anpassung und die Strukturreform in 1996, von der der Minister eben gesprochen hat - in der Arbeitsgruppe der CDU/CSU intensiv diskutiert werden. Wir werden auch darüber beraten, wie die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit des Ministers erhöht werden können; denn unser Leitgedanke kann doch nicht sein: Wir machen eine gute Politik, aber wir halten sie geheim.
Es muß das Ziel sein, erstens in Zeiten knapper Finanzen im sozialen Wohnungsbau mit weniger Geld je Förderungsfall auszukommen, zweitens die Mittel verstärkt einkommensorientiert einzusetzen, drittens zum Erwerb von Wohnungseigentum zu motivieren und viertens schon jetzt mit Unterstützung der Länder, Gemeinden und Städte sowie der Wohnungswirtschaft die Förderung vorzubereiten und ab 1996 mit einer Baulandinitiative umzusetzen; denn wir wollen jetzt mehr Eigentum für junge Familien und Alleinerziehende. Wohnungseigentum ist die sozialste Form der Mieterunterstützung.
Damit habe ich die Minute, die der Minister überzogen hat, aufgeholt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank auch dafür. - Das Wort hat jetzt die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Töpfer! Ich bewundere immer den begnadeten Schönredner Töpfer - gerade bei diesem Etat.
Herr Willner hat sich Mühe gegeben, ihm nahezukommen.
Ich bin es eigentlich leid, hier immer als die Mekkertante aufzutreten,
und das immer wieder mit denselben Punkten. Aber wenn ich mir den Etat 1996 ansehe und wenn ich bedenke, wie die Etats des Jahres 1997 und der folgenden Jahre aussehen werden, stelle ich fest, daß die dramatisch schlecht sein werden. Ich finde, alle Fraktionen sollten das ernst nehmen und hier nicht darüber hinwegreden;
denn de facto sind wir an einem Punkt, an dem der
Haushalt fast nur noch aus bisherigen Verpflichtungen besteht und quasi keinen neuen Gestaltungs-
Franziska Eichstädt-Bohlig
raum bietet. Wir arbeiten nur noch ab und haben keinen neuen Handlungsspielraum. Ich meine, das ist ein Tatbestand, den wir wirklich nicht herunterreden sollten.
Erstens möchte ich zur Wohnungslosigkeit sprechen. Wir haben intensiv über Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit geredet. Was erscheint im Haushalt dazu? - Nichts. Das finde ich skandalös.
Zweitens möchte ich etwas zum Wohngeld sagen. Im Zusammenhang mit dem Mietenüberleitungsrecht haben wir intensiv über das Wohngeld gesprochen. Herr Töpfer redet ständig davon, eine Strukturreform einleiten zu wollen. Ich habe deutlich verstanden: Es geht um eine Strukturreform, die eine Wohngeldabbaureform und keine Wohngeldsicherungsund -erhöhungsreform ist.
Zum ersten Mal ist sehr deutlich geworden, Herr Töpfer, was Sie unter Strukturreform verstehen. Sie sollten das auch den Mietern so deutlich sagen, und zwar sowohl denen, die pauschaliertes Wohngeld bekommen, als auch denen, die normales Wohngeld bekommen.
Drittens gehe ich auf den sozialen Wohnungsbau ein. Schon oft wurde gesagt, der soziale Wohnungsbau sei offenbar der Steinbruch für Transrapid, für das Wärmedämmprogramm usw. Wir haben praktisch keinen sozialen Wohnungsbau mehr.
Herr Braun, ich empfinde es mittlerweile als Witz, daß Sie den sozialen Wohnungsbau grundsätzlich nur noch als dritten Förderweg verstehen. Ich verstehe darunter einen Wohnungsbau, der für die bedürftigen Gruppen gedacht ist, der preiswerte Wohnungen bereitstellt und nicht den Besserverdienenden zur Verfügung steht.
Mehr brauche ich dazu, glaube ich, nicht zu sagen. Herr Großmann hat das mit Zahlen belegt und im Detail ausgeführt.
Herr Töpfer, ich finde es langsam ein bißchen peinlich, daß Sie im Sommer von großen Reformen des sozialen Wohnungsbaus reden, obwohl wir auf der einen Seite gar keinen Etat mehr haben, der diese Reformen ermöglichen könnte, und obwohl wir auf der anderen Seite Sozialwohnungen im Bestand haben, deren Sozialbindungen schneller auslaufen, als Sie Ihre Reform überhaupt auf den Tisch bringen können. Ich weiß gar nicht, wofür diese Reform gut sein soll.
Ich habe schon mehrfach gesagt: Wir sind mit Ihnen in einigen Punkten d'accord; aber wir möchten diese Diskussion für die Bestandswohnungen im städtischen Bereich, die landeseigenen Wohnungen und die sonstigen öffentlichen Wohnungen führen. Sie haben die Diskussion letztlich nur für die bisherigen noch - bald nicht mehr - existenten Sozialwohnungen geführt.
Wir können uns darüber einigen, wenn Sie bereit sind, mit uns über eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit für die öffentlichen Bestände zu reden; denn die müssen wir zuallererst sichern. Gemeinsam können wir dabei sehr viel Geld sparen. Ich weiß, daß das eine heiße Kartoffel ist, daß die Wohnungsbaugesellschaften nicht gern damit befaßt werden wollen, da es viel bequemer ist, im jetzigen Rechtssystem zu arbeiten, als sich Sozialbindungen zu unterwerfen. Ich denke aber, wir müssen an das Thema herangehen.
Zur Fehlbelegung spare ich mir jedes weitere Wort. Herr Großmann hat dazu sehr schön Stellung genommen. Ich finde es wirklich ein bißchen komisch, daß Sie den Investoren dieses Geld, das dringend gebraucht wird, jetzt praktisch locker über den Tisch reichen wollen.
Zur Stadterneuerung habe ich von Ihnen überhaupt nichts gehört. Ich muß meine Brille schon dreimal putzen, um dazu etwas im Etat zu finden. Die Stadterneuerung West gibt es fast überhaupt nicht mehr: 1996 noch einen kleinen Tropfen, 1997 brauchen wir gar nicht mehr zu erwähnen.
Die Stadterneuerung Ost ist auch nur noch ein Tröpfchen auf den heißen Stein, und das, obwohl wir alle wissen und uns fraktionsübergreifend einig sind, daß Stadterneuerung Mittelstandsförderung, Konjunkturmotor, Stadtkultur, Baukultur, soziale Stabilisierung und ein Damm gegen die Zersiedelung ist. All das wissen wir, und trotzdem passiert in diesem Etat überhaupt nichts. Das heißt, die wirklich vorbildliche bundesrepublikanische Kultur der Stadterneuerung wird schlichtweg demontiert.
Im Osten kommt hinzu, daß das KfW-Programm Ende 1996 ausläuft. Ihr Ministerium stellt lapidar fest: „Volumen Anfang 1997 erschöpft". Wir fragen Sie: Was kommt danach? Wir haben dazu Vorschläge gemacht, Sie haben sie nicht hören wollen.
Unsere zentrale Forderung insbesondere für Ostdeutschland ist: Wir brauchen für die Erneuerung der Bestände, von der Innenstadterneuerung über die Großsiedlungen bis hin zu den 50er-Jahre-Siedlungen, dringend ein wohnungswirtschaftliches Gesamtkonzept. Wir können die Städte und die Baugesellschaften damit nicht alleinlassen. Das reicht von vorn bis hinten nicht aus, und Stadterneuerung West ist eine eigene Diskussion.
Sie sehen, ich fordere Geld. Ich will auch sagen, woher ich es nehmen will. Wir haben ein Alternativkonzept für die Wohnungseigentumsförderung vorgelegt, weil wir der Meinung sind, daß Ihr Konzept -
Franziska Eichstädt-Bohlig
trotz einiger Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Stand - ökologisch nichts anderes ist als die Aufforderung zum Flächenfraß und zur Zersiedelung, daß es den soeben von Ihnen genannten Raumordnungszielen massiv widerspricht. Dieses Programm ist nur in Gebieten mit niedrigen Bodenpreisen interessant, d. h. in Zersiedelungsgebieten; denn sonst greift es überhaupt nicht. In den Großstädten nützt es nichts. Von daher ist es ökologisch sogar kontraproduktiv,
obwohl Sie selbst die ökologische Raumordnung gefordert haben.
Ich bitte die Fraktionen, insbesondere die SPD- Fraktion, und die A-Länder dringend, sich unser Ökobonuspunktesystem und - das ist auch wichtig - unsere Vorschläge für einen schnelleren Abbau der Subvention für Haushalte mit besserem Einkommen, für die Streichung des Vorkostenabzugs und für andere Elemente anzusehen.
Wir können hier Geld sparen. Wir haben uns im Sommer die Mühe gemacht, intensiv zu rechnen. Unser Programm wird 3,6 Milliarden DM billiger als Ihres. Dieses Geld möchte ich zur Umverteilung in Richtung Wohngeld, sozialen Wohnungsbau und Stadterneuerung einsetzen. Hier brauchen wir das Geld. Es geht nicht an, daß eine einseitige Förderung der Eigentumspolitik zu Lasten der anderen Politikbereiche betrieben wird. Denn da finden sich die Haushalte mit niedrigem Einkommen.
Zum Schluß möchte ich noch einen Punkt ansprechen, auch wenn meine Zeit schon überschritten ist. Ich möchte noch ein Wort zum Umzug nach Berlin und zu unseren eigenen Maßnahmen im Bereich Bundestag sagen. Ein Punkt ist - deshalb sehe ich Sie an, Herr Kansy - die Baukommission.
Ein letzter Satz.
Es ist mir äußerst wichtig, daß wir hier anfangen, sparsamer und bescheidener zu werden. Sie selbst haben es heute in der Obleutesitzung gesagt. Ich denke, es geht darum, daß wir kostensparender werden, daß wir die Stellplatzfrage und einige Wünsche und Standards überprüfen. Das sollten wir gemeinsam machen und die neue Bescheidenheit gemeinsam tragen.
In dem Sinne schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Klaus Röhl.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch der Etat im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau -
Einzelplan 25 - unterliegt dem Erfordernis des Sparens. Dabei ist der Spagat zwischen Sparen und Notwendigkeiten in der Wohnungsbaupolitik zu vollführen.
Es ist erreicht worden, daß der Einzelplan 25 um 1,7 % sinkt, trotzdem steigen die Ausgaben für Investitionen um 11,5 %. Dabei sind Ecken und Kanten unvermeidbar. Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, daß der Wohnungsbau eine wichtige Konjunkturlokomotive ist und bleibt.
Dies gilt vor allem für die neuen Bundesländer. Obwohl die Ausgaben für den sozialen Wohnungsbau von rund 2,7 Milliarden DM auf rund 2,9 Milliarden DM steigen, war in der Bilanz mit Verpflichtungsermächtigungen ein Rückgang um 550 Millionen DM unvermeidbar.
An dieser Stelle muß unbedingt daran erinnert werden, daß der Wohnungsbau im ersten Förderweg viel zu teuer ist und, bezogen auf den Mitteleinsatz, zuwenig Wohnungen erbringt. Es besteht einerseits die Notwendigkeit, den dritten Förderweg auszuweiten, andererseits jedoch die einkommensorientierte Förderung beim Wohngeld klarer durchzusetzen. Die Inititative für preisgünstigeres Bauen, initiiert von der ehemaligen Bauministerin Dr. Schwaetzer und als Stafette von Bundesbauminister Töpfer fortgesetzt, mit der Entrümpelung von Vorschriften und vielen anderen Maßnahmen im Wohnungsbaubereich ist ein wichtiges Detail auf dem Weg zu einem effektiven Bauen - nicht nur in bezug auf den dritten Förderweg, die „vereinbarte Förderung". Die Mittel für diesen Förderweg müssen vor Ort regelgerecht umgesetzt werden und dürfen nicht durch länderspezifische Maßnahmen in den ersten Förderweg überführt werden. Bei einer solchen Überführung in den ersten Förderweg würde die gewonnene Effektivität wieder verlorengehen.
Die einkommensorientierte Förderung muß sich im neuen Wohngeldgesetz 1996 niederschlagen. Dieses Gesetz muß spätestens nach der parlamentarischen Sommerpause 1996 erarbeitet sein, damit es - wie vorgenommen - noch im gleichen Jahr wirksam werden kann. Es muß sich sowohl an den Miet- als auch an den Einkommensstrukturen orientieren und soll damit der grundsätzlichen F.D.P.-Forderung nach der Subjektförderung, d. h. der personen- und familienbezogenen Förderung, entsprechen, dies nicht zuletzt auch, um damit eine größere Fördergerechtigkeit herzustellen.
Die notwendige Mittelbereitstellung ist hier schnellstens zu klären. Mit diesem neuen Wohngeldgesetz soll auch eine Vereinheitlichung der Wohngeldzahlungen in den alten und neuen Bundesländern erreicht werden.
Dr. Klaus Röhl
Das Wohnungsbauprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau zur Schaffung zusätzlichen Mietwohnraums in bestehenden Gebäuden — mit Förderungsschwerpunkten bei Modernisierung, Instandsetzung, Dachausbauten etc. - für die neuen Länder ist sehr erfolgreich. Die Ausgaben steigen hier von 500 Millionen DM auf 1,2 Milliarden DM.
Die F.D.P. begrüßt das zum 1. Januar 1996 startende CO2-Minderungsprogramm für den Wohnungsbestand der alten Bundesländer. Mit einem Kreditrahmen von 1 Milliarde DM werden CO2-Minderungs- und Energieeinsparungsmaßnahmen gefördert.
Die Weiterführung der Förderung des Städtebaus sowohl für die neuen Länder als auch für die alten Länder ist nicht nur für Stadtstrukturen und Stadtbilder äußerst wichtig, sondern ebenso für den Erhalt stabiler Arbeitsplätze.
Die F.D.P. setzt sich dafür ein, den Mitteleinsatz hierfür anzuheben, um auf dem begonnenen Niveau nicht stehenzubleiben. Wir haben hier auch Hoffnung auf Erfolg.
Bei den Maßnahmen für die Wohnraumförderung für Angestellte der Bundeswehr, der Verwaltungen des Bundes und Bundestagsfraktionen muß darauf geachtet werden, daß Wohnungen mit realisierbaren Mietpreisen zur Verfügung stehen. Leerstand ist hier unbedingt zu vermeiden.
Die F.D.P. steht klar zu den Umzugsbeschlüssen Bonn/Berlin und damit auch zu den hier notwendigen Investitionen. Alle Mittel für Baumaßnahmen im Umzugsbereich sind ohne Zeitverlust und effizient einzusetzen. Es ist auch zu prüfen, ob sie zeitlich und in der Höhe richtig gestaffelt sind. Auf sparsamen Mittelverbrauch ist streng zu achten. Ausschreibungen für Baumaßnahmen und Bauleitung sollten zusammengeführt werden. Die zügige Durchführung der Baumaßnahmen und die Mittelabführung sind zu garantieren. Die gesetzten Termine sind streng einzuhalten. Unklarheiten und Ungereimtheiten in der Mittelbereitstellung sind in den Berichterstattergesprächen konsequent zu beseitigen.
Ein brisantes Thema: Der Streit um den Abriß oder die Sanierung des Palastes der Republik muß beendet werden. Die F.D.P. spricht sich konsequent gegen den Abriß des Palastes der Republik aus, solange nicht überzeugende und realisierbare Konzepte für seine Sanierung und Nutzung vorgestellt und geprüft oder für eine überzeugende und realisierbare Neubebauung an seiner Stelle erarbeitet worden sind.
Der in Deutschland verbreitete Hang, Bauwerke oder sonstige bildhaft gewordene Zeugen ungeliebter Geschichtsperioden durch Abriß zu beseitigen, ist kein geeigneter Weg zur Verarbeitung der eigenen Geschichte.
Die Geschichte jeglichen Volkes setzt sich aus geliebten und ungeliebten Geschichtsperioden zusammen. Sie ist nur in ihrer Gesamtheit zu verarbeiten und zu verstehen.
Meine Damen und Herren, die Gestaltung der verschiedenen Titel des Einzelplanes 25 muß so gelingen, daß die Bauwirtschaft mit ihren in viele andere Wirtschaftsbereiche hineinragenden, fördernden Wirkungen weiterhin ein kräftiger Wirtschaftsantrieb und eine Arbeitsplatzlokomotive bleibt, wie es die Entwicklung in den neuen Bundesländern zeigt.
Ich danke Ihnen.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Klaus-Jürgen Warnick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Daß der Einzelplan des Bauministeriums eine einzige Schande ist, hat schon meine Vorrednerin deutlich gemacht. Mit diesem Haushaltsplan und seinen Prioritätensetzungen zeigt die Bundesregierung, daß sie nicht gewillt ist, ernsthaft gegen den zunehmenden Mangel an bezahlbaren Wohnungen und gegen die wachsende Zahl der von Obdachlosigkeit bedrohten und betroffenen Menschen vorzugehen.
Die Wohnungspolitik wird zunehmend durch eine sozial ungerechte Vermögenspolitik verdrängt.
Im Etatansatz 1996 wollen Sie die Mittel für den sozialen Wohnungsbau um weitere 650 Millionen DM - das sind rund 23 % - streichen. Kollege Großmann hat das vorhin schon alles erläutert. Klammheimlich wird damit auch die vor wenigen Monaten beschlossene Finanzplanung des Bundes für die Jahre 1994 bis 1998 nach unten korrigiert und damit faktisch wertlos.
Wie Sie sich selbst, Herr Minister, in die Tasche lügen, aber auch die Bürgerinnen und Bürger belügen, wird u. a. an folgendem deutlich. Im Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999 heißt es:
Für den sozialen Wohnungsbau stellen Bund und Länder jährlich erhebliche Finanzmittel bereit, um angesichts der nach wie vor bestehenden Engpässe im preisgünstigen Marktsegment das Wohnungsangebot für Haushalte im unteren bis mittleren Einkommensbereich zu erhöhen.
Zu schön, um wahr zu sein. Die Wirklichkeit sieht anders aus. In den westlichen Bundesländern fallen in diesem Jahr Hunderttausende Wohnungen aus der Sozialbindung. Dieser Prozeß wird auch durch die wenigen neuen Sozialwohnungen nicht abgefangen. In den östlichen Bundesländern gibt es überhaupt keinen nennenswerten Sozialwohnungsbestand.
Klaus-Jürgen Warnick
Die Wohnkosten steigen in Ost und West weiterhin wesentlich schneller als die Einkommen. Der selbst von der Bundesregierung eingestandene Engpaß wird also immer größer. Die Stellungnahme des Bundesbauministeriums dazu:
Die Rückführung der Verpflichtungsrahmen unter das in der Finanzplanung für 1996 vorgesehene Volumen ist aus Sicht des BMBau zu bedauern. Ausschlaggebend waren nicht wohnungspolitische, sondern fiskalische Gesichtspunkte.
Herr Bundesbauminister, Bedauern reicht hier nicht. Ich fordere Sie auf, um eine spürbare Erhöhung der Mittel für die Schaffung und den Erhalt bezahlbarer Wohnungen zu kämpfen,
statt weiterhin einer gescheiterten, sozial und ökologisch verantwortungslosen Eigentumsideologie hinterherzulaufen.
Statt mit einem weiteren 50-Millionen-Programm die Zwangsprivatisierung von kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungen in Ostdeutschland schmackhafter zu machen, sollten Sie dieses Geld für ein zusätzliches Programm zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit einsetzen.
Auch eine Reihe von Haushaltspositionen im Kapitel Baumaßnahmen, Wohnungsfürsorge für Bundesbedienstete und Umzugskosten Bonn-Berlin sind kritisch zu hinterfragen. Warum wird z. B. für Bundesbedienstete die Schaffung von 5 001 Mietwohnungen und Eigenheimen in Berlin mit 790 Millionen DM - das sind im Durchschnitt rund 158 000 DM pro Wohnung - gefördert? Reichen etwa die für alle anderen geltenden Instrumente von der Eigenheimförderung bis zum Wohngeld für diese Personengruppe nicht aus? Ich weiß, daß sie für bezahlbare Wohnungen nicht reichen. Aber das Menschenrecht auf Wohnung gilt für alle. Deshalb muß die Bundesregierung endlich der Fürsorgepflicht für alle Menschen dieses Landes gerecht werden.
Aus Sicht der Partei des Demokratischen Sozialismus sind folgende Dinge notwendig:
Zum ersten eine deutliche Anhebung und Verstetigung der Mittel für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus in Ost und West auf mindestens 5 Milliarden DM. Notwendig ist die verstärkte Förderung des genossenschaftlichen sowie des den Prinzipien der Gemeinnützigkeit verpflichteten Wohnungsbaus, der Programme zur Leerstandsbeseitigung, der Städtebauförderung sowie zur Sanierung und Modernisierung des Wohnungsbestandes. Die erforderlichen Mittel können durch radikalen Abbau ungerechtfertigter Eigentumsförderung kompensiert werden.
Als zweites eine Korrektur des AltschuldenhilfeGesetzes im Interesse der Mieter, Wohnungsunternehmen und Kommunen Ostdeutschlands durch a) die ersatzlose Streichung des § 5, der Zwangsprivatisierung, zumal das kein Geld kostet - im Gegenteil: dabei würde der Bund sogar noch sparen -, b) die Verlängerung der Zinshilfe für die sogenannten Altschulden der ostdeutschen Wohnungswirtschaft für den gesamten Geltungszeitraum des Mietenüberleitungsgesetzes und c) die dauerhafte Übernahme der verbliebenen Altschulden und des Zinsdienstes durch den Bund auf Antrag von kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen, welche als Gegenleistung dauerhafte Belegungsbindungen und Mietpreisbegrenzungen für diese Wohnungen gewährleisten.
Zum dritten eine Erhöhung des Wohngeldes für die westdeutschen Länder zum 1. Januar 1996 als vorgezogene Maßnahme bis zur grundlegenden Wohngeldreform.
Als viertes eine spürbare Reduzierung der Kosten für Gutachten, Wettbewerbe und Hochbaumaßnahmen in Berlin.
Überfällig ist es auch, durch veränderte Aufgabenstellung die Mittel für den ehemaligen Palast der Republik in Berlin nicht für den Abriß, sondern für die Asbestsanierung mit dem Ziel der zügigen Inbetriebnahme als Kultur- und Bildungszentrum einzuplanen. Ich freue mich hier sehr über die Meinungsänderung der F.D.P.
Auch dieser Einzelplan ist nicht alternativlos und unveränderbar. Den vorliegenden Vorschlägen der Koalition können und werden wir nicht zustimmen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dieter Maaß .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach einer ersten Durchsicht des vorliegenden Einzelplans 25 im Bundeshaushalt 1996 stellen wir Sozialdemokraten fest: Wieder einmal werden Einsparungen an der falschen Stelle vorgenommen. Eine sinnvolle Umstrukturierung findet nicht statt, und Prioritäten werden nicht gesetzt.
Ich möchte Ihnen dazu Beispiele nennen. Erstes Stichwort: Auch im nächsten Jahr stehen kaum Mittel für die Städtebauförderung in den alten Bundesländern zur Verfügung, obwohl Sie genau wissen, welche positiven wirtschaftlichen Effekte gerade mit diesen Fördermitteln erzielt werden können. Von den für 1996 im Haushalt vorgesehenen 830 Millionen DM entfallen auf die alten Bundesländer 130 Millionen DM, nochmals 11 Millionen DM weniger als 1995. Daß in den neuen Bundesländern mehr Bedarf besteht, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber 130 Millionen DM Fördermittel West bieten zu wenig Anreiz für Investoren. Was noch schlimmer ist: Sie tragen kaum zur Lösung der großen Probleme in den Städten bei. Das Rechnungsbeispiel, daß 1 DM Städtebauförderung noch 7 DM weiterer, überwiegend privater Investitionen nach sich zieht, gilt immer noch.
Dieter Maaß
Die Städtebauförderung West ist in den vergangenen Jahren rigoros gestrichen worden. Angesichts ihrer wichtigen Anstoßeffekte für weitere Investitionen ist eine deutliche Anhebung dieser Städtebauförderungsmittel unumgänglich.
Auf einer Informationsreise des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau nach Hannover im Frühjahr dieses Jahres konnten wir feststellen, wie notwendig die Städtebauförderung des Bundes ist. Ein ganzer Stadtteil, der zu verslumen drohte, mit all den schlimmen sozialen Folgen für unsere Gesellschaft, kann erhalten werden. Hoffnungsvolle, erfolgreiche Ansätze sind in diesem Projekt deutlich erkennbar. Aber ohne weitere finanzielle Beteiligung des Bundes sind solche Maßnahmen nicht mehr durchzuführen.
Die städtebauliche Entwicklung, das Erhalten von baulicher Substanz ist durch das Zurückziehen des Bundes stark eingegrenzt. - Wahrscheinlich würden diese Chaostage nicht mehr stattfinden, wenn dort mehr gefördert würde. -
Die Aufbereitung von Industriebrachen wird ohne diese Fördermittel noch weiter erschwert, zumal die Städte und Gemeinden bereits finanziell am Ende sind. Unter dieser Haushaltsstelle würden wir Sozialdemokraten wieder höhere Beiträge einsetzen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen einen weiteren Kritikpunkt an Ihrem Haushalt nennen: das Zurückführen des Wohngeldes. Sie senken die Beteiligung des Bundes am Wohngeld in 1996 um ca. 182 Millionen DM gegenüber dem Ist von 1994. Seit 1990 ist das Wohngeld nicht angepaßt worden. In dieser Zeit sind die Mieten um mehr als 30 % gestiegen. Hart getroffen werden Familien mit Kindern und Alleinstehende mit niedrigem Einkommen, vor allem Rentnerinnen. Sie kürzen die Mittel für Wohngeld, obwohl Minister Töpfer schon seit Wochen angekündigt hat, das Wohngeld West solle an die Mietenentwicklung angepaßt werden. Im Rahmen der Beratungen zum Mietenüberleitungsgesetz sind solche Zusagen auch von Mitgliedern der Regierungsfraktionen gemacht worden.
Wenn die Wohngeldtabellen nicht angepaßt werden, entstehen soziale Verwerfungen: zum einen durch die Ungleichbehandlung der Wohngeldempfänger in den alten Bundesländern, zum anderen bei den Wohngeldberechtigten, die durch die Bruttolohnentwicklung aus dem Kreis der Berechtigten ausscheiden. Wir Sozialdemokraten fordern die Erfüllung Ihrer Zusagen für den Haushalt 1996 ein. Sie begehen einen Wortbruch, wenn Sie den Menschen die versprochene Wohngelderhöhung vorenthalten.
Im Rahmen der Haushaltsberatungen sollte auch die Ankündigung des Ministers unter der Überschrift „Das junge Haus" angesprochen werden. Nun begrüßen wir sicher alle einen preiswerten Wohnungsbau. Darüber, wie man so etwas macht, gibt es viele Studien und Vorschläge, auch praktische Beispiele. In Nordrhein-Westfalen gibt es bereits solche Modelle.
Die Bundesregierung hat durch die Expertenkommission Wohnungspolitik Kriterien für kostengünstiges Bauen ausarbeiten lassen. Es fängt damit an, daß die Gemeinden preisgünstiges Bauland zur Verfügung stellen sollen. Die Versorgungswirtschaft soll ihre Anschlußbedingungen und ihre Anschlußpraxis an die Erfordernisse der Kostensenkung anpassen. Es sollen kombinierte Architekten- und Investorenwettbewerbe durchgeführt werden.
Im Ergebnis geht der Schwarze Peter an die Beteiligten am Bau; die Appelle gehen an andere, aber der Bund hält sich zurück. Es wird lediglich der Vorschlag gemacht, die Vergabe der Fördermittel im Subventionswettbewerb und in Verbindung mit Förder- und Kostenobergrenzen anzustreben. Dies ist nicht neu und wird von einigen Bundesländern schon so praktiziert.
Weiter beabsichtigen Sie, einen Koordinierungsausschuß Baukostensenkung einzusetzen. Ist es dazu nicht schon etwas zu spät? Der dringend benötigte Wohnraum muß jetzt zur Verfügung stehen.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt müssen dafür genügend Anreize geschaffen werden. Im Haushalt 1996 vermissen wir Sozialdemokraten hierfür aber einen Titel.
Wenn die Bundesregierung solche Maßnahmen - die, wie schon gesagt, so neu nicht sind - wirklich will, dann muß sie sie auch finanziell fördern. Eine Summe im Haushalt für eine solche Förderung sucht man vergebens. Im Gegenteil: Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau werden stark gekürzt.
Was jedoch bei Ihrer Ankündigung „Das junge Haus" völlig offen bleibt, sind die Grundstückskosten. Wenn die Grundstückskosten durchschnittlich ca. 40 % der Bausumme ausmachen, können nämlich nur 60 % der Baukosten beeinflußt werden. Sie wissen selbst, daß der Hinweis, der Bund werde preiswertes Kasernengelände zur Verfügung stellen, nicht ausreicht. Deshalb fordern Sie dann die Gemeinden auf, preiswerte Grundstücke auszuweisen und Lükken zu schließen. Sie verweigern den Gemeinden aber die dazu notwendigen Instrumente, etwa ein Satzungsrecht für eine Grundsteuer für baureife Grundstücke.
Dieter Maaß
Wieder werden groß angekündigte Neuerungen auf die Gemeinden abgeschoben.
Im übrigen hat meine Heimatstadt kein militärisches Gelände, und sie verfügt auch nicht über ausreichendes Bauland; von preiswertem kann schon gar nicht die Rede sein.
Die politisch Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden müssen dann wieder den Bürgerinnen und Bürgern erklären, wieviel Luft in Ankündigungen der Bundesregierung steckt.
Meine Damen und Herren, ich möchte die heutige Beratung nutzen, um noch einmal ein Thema anzusprechen,
das bereits ein politischer Skandal geworden ist. Es geht um das Trauerspiel Schürmann-Bau. Jeder Besuchergruppe machen wir Abgeordneten des Deutschen Bundestages deutlich: Dies ist die Stein gewordene Unfähigkeit einer amtierenden Bundesregierung.
Es ist schon mehr als erstaunlich, ja, es macht wütend, wie die Bundesregierung hier Steuermittel verschwendet.
Nach unseren Feststellungen sind bereits 350 Millionen DM für den vor sich hin rostenden Rohbau und 150 Millionen DM für das Grundstück ausgegeben worden. Das ist ein Skandal, meine Damen und Herren.
Das gestrige Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und seinen Ministern Waigel und Töpfer hat wiederum zu keinem Ergebnis geführt.
Wir fordern Sie trotzdem noch einmal dringend auf: Treffen Sie eine Entscheidung, damit nicht noch weiteres Geld zum Fenster hinausgeworfen wird!
Bereits am 8. September 1994 hat die SPD mit ihrem Antrag Schürmannbau, Drucksache 12/8470, die Bundesregierung aufgefordert, Vorschläge für eine wirtschaftliche und sinnvolle Verwendung zu unterbreiten.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten werden in den Ausschußberatungen zu den einzelnen Titelgruppen konkrete Vorschläge machen. Sie werden nicht unbedingt zu höheren Ausgaben führen. Die vorhandenen Fördermittel sollen jedoch sozial gerechter und wirtschaftlich effizienter eingesetzt werden.
Vielen Dank.
Ich erteile jetzt dem Kollegen Frankenhauser das Wort.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Zunächst muß ich mich bei dem Kollegen Maaß für einen Zwischenruf entschuldigen. Ich habe Sie nämlich verdächtigt, daß Sie den Schürmannbau dem Genossenschaftsbau zuführen möchten.
- Das bezweifle ich sehr. Aber wir haben ja noch viel Gelegenheit, über das wichtige Thema Genossenschaftsbau zu reden.
- Herr Großmann, Sie kommen gleich dran.
Ich weiß nicht, was Sie dazu geführt hat, Töpfers Ankündigungs-Marathon zu kritisieren. Was Sie ihm abverlangen, ist, daß er den Marathonlauf in der Hundert-Meter-Zeit absolviert. Das ist auch für Töpfer unmöglich.
Aber ich muß Ihnen sagen: Die ersten tausend Meter hat er in Bestzeit zurückgelegt.
Darauf können wir alle zusammen, inklusive der Koalitionsfraktionen, durchaus stolz sein.
- Das schultert er leicht, wenn es denn so wäre.
Wir haben heute eine ganz merkwürdige Entwicklung in vielerlei Hinsicht feststellen dürfen. Daß der Bundesbauminister und die Koalitionsfraktionen nicht so verkehrt mit ihrer Politik liegen, läßt sich allein an den von der SPD genannten Zahlen belegen. Heute mittag hat Frau Matthäus-Maier noch von einem Fehlbestand von 2 Millionen Wohnungen gesprochen. Binnen weniger Stunden, bis heute abend 18 Uhr, sind es schon eine halbe Million weniger geworden.
Das ist natürlich ein Erfolg, von dem wir selber überrascht sind. Aber, ich möchte sehr ernsthaft - -
Herbert Frankenhauser
- Ja gut. Über die Schätzungen können wir natürlich unterschiedlicher Meinung sein.
Sie wissen, es gibt eine neue Schätzung des PestelInstituts, nicht nur was die Zahl der fehlenden Wohnungen anbelangt, sondern auch, inwieweit sich die Entwicklung verändern wird. Nach Ansicht des Instituts kommen in der kommenden Dekade nur noch etwa 150 000 bis 200 000 Haushalte pro Jahr hinzu, was sicherlich Anlaß gibt, zu überlegen, in welchem Umfang wir noch Wohnungen brauchen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Großmann?
Immer. Bitte, gerne.
Bitte.
Herr Frankenhauser, kennen Sie die gesamte Untersuchung des Pestel-Instituts, und ist Ihnen auch der schwere Fehler auf gefallen, daß z. B. bei der Berechnung der Wohnungsbedarfe vergessen worden ist, daß die ostdeutschen Wohnungsinhaber natürlich mehr Wohnraum nachfragen - jetzt gibt es einen Pro-Kopf-Anteil von 26, 27 Quadratmetern -, und daß dieses wissenschaftliche Institut völlig vergessen hat, diese stärkere ProKopf-Nachfrage hinzuzurechnen?
Sie sind zwar auf die besonderen Verhältnisse in den neuen Bundesländern eingegangen. Wie viele Quadratmeter sie nun genau zugrunde gelegt haben, entzieht sich meiner Kenntnis, ändert aber nichts an der Tatsache, daß in der Prognose auch von verminderten Zuwachsraten in den Haushalten ausgegangen wird.
Aber lassen Sie mich zum Wesentlichen zurückkommen. Ich sehe es schon als sehr mutig an, daß sich insbesondere die SPD überhaupt noch getraut, Kritik an dem vorgelegten Einzelplan zu äußern. Wer nämlich ursprünglich beim Jahressteuergesetz das Ziel verfolgt hat, die degressive Abschreibung, eines der ganz wesentlichen Elemente im frei finanzierten Wohnungsbau, völlig abzuschaffen - dies wollte die SPD -,
der hat eigentlich jegliches Recht verwirkt, sich zu irgendwelchen anderen, aus vielerlei volkswirtschaftlich unumstrittenen Zwängen der Haushaltskonsolidierung resultierenden Sparmaßnahmen kritisch zu äußern. Das sollte hier einmal sehr deutlich festgestellt werden.
Herr Kollege Großmann, wenn Sie davon sprechen, es sei so ungeheuerlich erfolgreich, daß insgesamt etwa 700 Millionen DM an Fehlbelegungsabgabe erhoben werden, dann kann ich nur sagen, daß an dem System irgend etwas faul sein muß. Anderenfalls würde am Schluß nicht so viel Geld herauskommen.
Offenbar wohnen viel zu viele Leute in den mit überdurchschnittlichem Aufwand der Steuerzahler - es ist ja nicht so, wie Frau Eichstädt-Bohlig und zum Teil Vertreter der SPD immer tun - -
- Darüber können wir gerne reden. Die sind so gering. Es gibt überhaupt keine Schwierigkeiten. Ein bißchen Luft schadet nicht.
Es ist natürlich nicht möglich, daß Sie hier eine Latte von zusätzlichen Ausgaben aufführen, ohne auch nur den geringsten Hinweis auf Finanzierungsmöglichkeiten zu geben, zumal Ihre finanzpolitische Sprecherin - ich weiß nicht, ob sie noch im Dienst ist; das geht ja sehr schnell bei Ihnen - heute der Regierungskoalition und dem Bundesfinanzminister vorwarf, wir würden zu viele Schulden machen. Für irgend etwas müssen Sie sich also einmal entscheiden. Der Kollege Maaß kritisiert, er finde keine sinnvollen Umstrukturierungen im Haushalt vor, während der Kollege Großmann sagt, es seien zu viele Umstrukturierungen. Dann interpretiert er auch noch Dinge hinein.
- Es geht halt nicht von heute auf morgen. Wenn Sie Ihre alten Haushaltsreden vom letzten und vom vorletzten Mal durchlesen, dann sehen Sie, daß wir bei der Erfüllung unserer Ankündigungen eine Erfolgsquote haben, von der Sie nur träumen können.
In dieser Art und Weise wollen wir auch weitermachen. Damit befinden wir uns im Gegensatz zu den Grünen, auch wenn ich dieses Wunderprogramm nicht kenne, wonach alle Leute mehr bekommen und am Schluß trotzdem noch 3,2 Milliarden DM übrigbleiben. Aber wir beschäftigen uns gern mit dieser Wunderrechnung, auch wenn in der Vergangenheit solche Rechnungen nie gestimmt haben. Insgesamt wird es wohl nicht möglich sein, den Wohnungsbau im Sinne einer konstruierten eierlegenden Wollmilchsau zu betreiben. Wir müssen an die denken, die Wohnungen bauen. Damit erfüllen wir auch die Verpflichtung, für die zu sorgen, die in diesen Wohnungen wohnen wollen und müssen.
Das war der letzte Redner in der Debatte um den Einzelplan 25.
Wir kommen jetzt zum Einzelplan 13, dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation. Das Wort hat zunächst Herr Bundesminister Bötsch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr haben wir die Postreform II mit großer Mehrheit in diesem Hause verabschiedet. Wir haben damit die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Postunternehmen Telekom, Post und Postbank in Unternehmen privater Rechtsform umzuwandeln. Wenn ich „wir" sage, dann waren dies die Koalitionsfraktionen und auch 123 Abgeordnete der SPD-Fraktion, die vor gut einem Jahr der Verfassungsreform aus guten, einleuchtenden Gründen und aus Überzeugung, wie ich annehme, zugestimmt haben.
Dies war eine dringend notwendige Entscheidung, da wir damit die Vorbedingungen dafür geschaffen haben, daß sich die drei Unternehmen in einem zunehmend wettbewerblichen Umfeld auch in Zukunft behaupten können.
Insbesondere die Telekom, aber auch die gelbe Post werden sich künftig international behaupten müssen, da die Märkte zusammenwachsen.
Es ist absehbar, daß die Weltmärkte künftig von einigen wenigen global agierenden Unternehmen, sogenannten Global-Playern, dominiert werden. Diese Global-Player versorgen ihre Kunden weltweit zunächst aus einer Hand.
Diese Entwicklung ist nur möglich, weil sich weltweit auch die Rahmenbedingungen im Bereich der Telekommunikation geändert haben oder noch ändern. Immer mehr Länder setzen gerade in Anbetracht der Bedeutung, die die Telekommunikation für die anderen Wirtschaftsbereiche hat, auf Wettbewerb.
Für uns war klar: Deutschland darf und kann aus dieser weltweiten Entwicklung nicht ausscheren. Vielmehr müssen wir uns an die Spitze der Länder setzen, die einen Marktöffnungskurs betreiben. Denn nur Unternehmen, die zu Hause Wettbewerb gelernt haben, werden es verstehen, sich im weltweiten Wettbewerb auch zu behaupten.
Für unseren Liberalisierungskurs galt es allerdings, Marktöffnungen möglichst abgestimmt mit unseren Partnern in der Europäischen Union vorzunehmen. Deshalb ist es gelungen, bei den Ministerratssitzungen vom 11. Juni 1993 und 11. November 1994 Beschlüsse zu fassen, sowohl das Telefondienstmonopol als auch das Netzmonopol zum 1. Januar 1998 in den Ländern der Europäischen Union grundsätzlich aufzuheben.
Wir haben damit sichergestellt, daß in dem so bedeutsamen Bereich der Telekommunikation eine europäische Lösung gefunden wurde und jetzt eine europäische Lösung in die Tat umgesetzt wird.
Zur Umsetzung dieser Beschlüsse müssen wir jetzt einen neuen gesetzlichen Rahmen schaffen, der das Fernmeldeanlagengesetz ablöst. Einen Referentenentwurf für ein neues Telekommunikationsgesetz habe ich Anfang August der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Ressortabstimmung sollte bis Ende Oktober zu bewältigen sein, so daß das Bundeskabinett Anfang Dezember einen Beschluß fassen kann.
Ich hoffe, daß wir in der Lage sind, das Gesetzgebungsverfahren bis Mitte nächsten Jahres abzuschließen. Parallel dazu führen wir auch jetzt interfraktionell eine Reihe von Gesprächen und Verhandlungen. Denn wir, die Koalition, haben im Deutschen Bundestag die Mehrheit für dieses Gesetzgebungsverfahren, weil ja keine Verfassungsänderung mehr notwendig ist.
Wir würden aber nicht verantwortlich handeln, wenn wir nicht ins Auge fassen würden, daß dieses Gesetz zustimmungspflichtig ist und auch die Mehrheit des Bundesrats gewonnen werden muß.
- Frau Kollegin Fuchs, da wir beide Erfahrung im Umgang miteinander haben, ist es selbstverständlich, daß das zu berücksichtigen ist.
Wir haben in wesentlichen Punkten schon Annäherung, ja Einigung erzielt, zuletzt bei einem Gespräch, das heute nachmittag um 17.17 Uhr zu Ende war. Es ist aber noch einiges offen. Ich meine jedoch, man kann mit etwas Optimismus hoffen, daß wir zu einer Einigung kommen könnten.
Der Gesetzentwurf sieht sehr weitreichende Marktzutrittsmöglichkeiten vor, ohne daß die notwendigen Universaldienstverpflichtungen vernachlässigt werden. Das Errichten und Betreiben von Telekommunikationsnetzen sowie das Angebot des Sprachtelefondienstes als kommerzielle Dienstleistung für die Öffentlichkeit wird künftig einer Lizenzierung unterliegen.
An eine Beschränkung der Anzahl der Lizenzen ist nur dann gedacht, wenn die begrenzte Verfügbarkeit knapper Ressourcen, etwa bei Funkfrequenzen, dies gebietet. An die Antragsteller von Lizenzen sind allerdings auch Anforderungen zu stellen. Beispielsweise - darüber haben wir uns heute nachmittag unterhalten - muß erwartet werden, daß eine Tätigkeit auf Dauer aufgenommen wird, so daß die Voraussetzung gegeben sein muß, daß finanzielle Ressourcen vorhanden sind, die das ermöglichen.
Das Grundgesetz verpflichtet den Gesetzgeber, im Bereich von Post und Telekommunikation flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten. So haben wir es im letzten Jahr gemeinsam in den Art. 87 f der Verfassung hineingeschrieben. Hierbei ist eindeutig - das ist auch in der Begründung zum Grundgesetz ausgeführt worden -, daß staatliche Maßnahmen nur im Rahmen der Grundversorgung erfolgen sollen. Eine ähnliche Position wird auch auf europäischer Ebene vertreten.
Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch
Beim Universaldienst kann es deshalb nicht um ein Luxusangebot gehen, für das überhaupt noch keine Nachfrage besteht. Wir gehen davon aus - jedenfalls ist das die Auffassung der Koalition -, daß der Universaldienst weitgehend vom Markt, d. h. ohne besondere Verpflichtungen, bereitgestellt wird. Es soll nach unserer Auffassung nur dann regulatorisch eingegriffen werden, wenn der Universaldienst von Marktkräften nicht ausreichend erbracht wird. In diesem Fall können marktbeherrschende Unternehmen dazu verpflichtet werden, diesen Universaldienst flächendeckend bereitzustellen.
Nun gibt es Vorstellungen der SPD-Fraktion, jeden Voll-Lizenznehmer zu verpflichten, ein flächendekkendes Angebot bereitzustellen. Das wird im Augenblick dadurch etwas relativiert, daß man sagt: nicht gleich, aber doch in absehbarer Zeit. Darüber wird man noch reden müssen. Wir müssen aber aufpassen, daß sich das bisherige Telekommunikationsmonopol der Telekom nicht in Oligopole von einigen wenigen umwandelt, so daß aus dem bisherigen staatlichen Monopol der Telekom vielleicht einige private Monopole werden. Ich will niemandem etwas unterstellen; aber die Versuchung, daß man dann vielleicht untereinander doch etwas die Preise abstimmt, ist nicht so ganz von der Hand zu weisen.
Ich glaube deshalb auch nicht, daß es richtig ist, die Bedingungen für Lizenzen so hochzuschrauben, daß nur die Telekom und vielleicht wenige Großunternehmer ins Geschäft kommen würden.
Meine Damen und Herren, wir wollen nicht nur die Türschilder austauschen, sondern wir wollen wirklichen Wettbewerb, und zwar sowohl im Interesse der Telekom - wie ich eingangs ausführte -, wenn sie als Global-Player tätig sein will, als auch im Interesse der gesamten Volkswirtschaft. Ein funktionsfähiger Wettbewerb ist nur dann möglich, wenn alle Marktteilnehmer die gleichen Chancen haben. Deshalb müssen - zumindest für den Anfang - marktbeherrschende Unternehmen einer besonderen Regulierung unterworfen werden.
Nachdem ich mich bisher im wesentlichen auf die Telekommunikation beschränkt habe, will ich nun noch einige Anmerkungen zur Postpolitik machen. Ziel unserer Postpolitik ist es, die Leistungsfähigkeit des deutschen Postsektors im Interesse der Postkunden insgesamt zu verbessern und somit auch die Qualität des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu steigern. Wir werden auch hier ab 1998 neue Rahmenbedingungen für die Märkte brauchen. Auch darüber habe ich Überlegungen in der Öffentlichkeit vorgestellt.
Im Kernbereich des Briefdienstes soll die Deutsche Post AG bis 2003 eine gewisse Sonderstellung behalten, wobei die Grenzen des Kernbereichs im einzelnen noch festgelegt werden müssen. Briefe oberhalb der Grenze von 100 Gramm sowie adressierte Massensendungen haben wir bereits ab 1. Januar 1996 im Wettbewerb. Auch in anderen Bereichen wird sich die Post privater Konkurrenz zu stellen haben.
Wir brauchen für beides - zumindest für absehbare Zeit - eine Regulierung, damit eine ausreichende flächendeckende Grundversorgung gewährleistet wird. Darüber, mit welchem Instrumentarium dies geschieht, gibt es noch unterschiedliche Vorstellungen. Ich würde nur jedem, der das schnell einer bereits bestehenden Behörde zuweisen will, empfehlen, sich im Ausland umzuschauen, wie es dort geregelt ist. Vielleicht können wir die eine oder andere Erkenntnis von dort beziehen.
Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsstandort Deutschland braucht einen erstklassigen Kommunikationssektor, um auch in Zukunft im internationalen Wettbewerb mithalten zu können. Als Grundlage dafür bedürfen wir an den Markterfordernissen ausgerichtete Marktbedingungen.
Ich glaube, ich konnte im groben aufzeigen, wie wir uns diesen Wandel vorstellen. Es gibt also für die nächste Zeit noch einiges zu tun, wenn wir diesen Wettbewerb vorbereiten wollen. Wir tragen die Verantwortung für das Funktionieren des Wettbewerbs, und wir tragen die Verantwortung für ein flächendeckendes Angebot für unsere Kunden, für die Bevölkerung.
Deshalb, meine Damen und Herren, brauchen wir auch den Einzelplan 13, der sich eigentlich mit dem Ministerium beschäftigt. Bei den Einnahmen haben wir 1996 eine Verminderung um 3,4 Milliarden DM; das entspricht 68 %. Dieser Rückgang resultiert aus dem Wegfall der Ablieferungen an den Bund, die die drei Postunternehmen bisher zu entrichten hatten. Ab 1996 unterliegen sie der allgemeinen Steuerpflicht und werden so an anderer Stelle des Bundeshaushalts für Mehreinnahmen sorgen. Außerdem fließen die Dividenden der Aktiengesellschaften dem Bundeshaushalt zu.
Die Ausgaben des Einzelplans 13 steigen 1996 - manche haben schon gefragt, warum das so sei - um 3 %. Dies beruht im wesentlichen auf der Verlagerung der Ausgaben für Maßnahmen der zivilen Verteidigung im Aufgabenbereich des Postministeriums aus dem Haushalt des Innenministeriums in den Haushalt des Bundespostministeriums. Ohne diese Verlagerung würde die Ausgabensteigerung 1,2 % betragen. Bei einem Gesamthaushalt von rund 350 Millionen DM - unser Haushalt ist der weitaus kleinste - besagen solche Prozentzahlen natürlich nicht sehr viel.
Ich will die Mitglieder des Haushaltsausschusses nur darauf aufmerksam machen, daß die Zitrone, die vorhanden war und die vielleicht im Jahr 1993 noch etwas Saft hatte, jetzt wirklich trocken ist. Die
Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch
Damen und Herren im Haushaltsausschuß sollten vielleicht ihre Bemühungen nicht auf eine trockene Zitrone richten, sondern ihre Aufmerksamkeit anderswohin lenken.
Denn, meine Damen und Herren, im Personalhaushalt meines Ministeriums tritt durch die Postreform II schon eine merkliche Kürzung ein. Im Zeitraum von 1995 bis 1997 haben wir schon insgesamt 55 Planstellen, ohne die einprozentige Kürzung, die wir zusätzlich tragen, weniger zu verzeichnen.
Mit den Personalkürzungen wurde der Personalhaushalt wirklich auf das Minimum reduziert, das zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs absolut notwendig ist. Gerade angesichts der anstehenden Gesetzgebungsarbeiten und der Umsetzung der Postreform II wird den Beschäftigten des Ministeriums ein hohes Maß an Engagement und Leistungsvermögen abverlangt. Ich möchte es nicht versäumen, an dieser Stelle den Beschäftigten des Hauses meinen Dank und meine Anerkennung für ihre Leistungen auszusprechen.
Ich wünsche den Mitgliedern des Haushaltsausschusses und dem gesamten Hause erfolgreiche Beratungen dieses Haushalts, den wir auch heute wieder im Schutze der Dunkelheit in erster Lesung beraten dürfen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans Martin Bury.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bereits im März bei der Debatte des Bundeshaushalts 1995 die Eckpunkte des Bundespostministers für die Regulierung des Telekommunikationsmarktes diskutiert. Spätestens da ist ihm klargeworden, daß sie so nie im Gesetzblatt stehen werden.
Er hat dann konsequenterweise endlich unserer Forderung Rechnung getragen, interfraktionelle Verhandlungen zu führen, um möglichst rasch zu einer Einigung über diese Rahmenbedingungen zu kommen. Fünf dieser Gespräche haben stattgefunden; das letzte heute nachmittag. Möglicherweise zu Ihrer Überraschung hat die SPD-Verhandlungsdelegation dabei schlüssig und geschlossen argumentiert, während es in der Koalitionsrunde mehr Meinungen als gewählte Mitglieder gab.
Das heißt, die Koalition war auch heute nicht zu einem vernünftigen Abschluß fähig. Die SPD hat deshalb die Verhandlungen unterbrochen, bis die Regierung und die Koalition untereinander einig und damit auch wieder sprach- und verhandlungsfähig
sind. Ich halte das, bei allem Respekt vor dem in diesen Verhandlungen bisher Erreichten, angesichts der Bedeutung des Themas für eine unverantwortliche Schlafmützigkeit,
ebenso wie angesichts eines ehrgeizigen Zeitplans für das Gesetzgebungsverfahren, der nun tendenziell gefährdet ist.
Dabei geht es um einen rasant wachsenden Sektor unserer Volkswirtschaft mit weit überdurchschnittlichem Wachstum von geschätzt 7 % in den nächsten Jahren. Sein Anteil am Bruttosozialprodukt in Europa soll nach den Schätzungen der EU-Kommission schon in fünf Jahren quantitativ gewichtiger sein als selbst der der Automobilindustrie. Sie sehen also, es handelt sich hierbei wirklich um einen Schlüsselsektor.
Es geht aber nicht nur um die quantitative Dimension des einzelnen Sektors. Es geht auch darum, daß sich Information und Kommunikation immer mehr zu unverzichtbaren Grundlagen für die gesamte Volkswirtschaft entwickelt haben, daß sie zu so etwas wie einem vierten Produktionsfaktor geworden sind. Darin stecken Chancen, aber angesichts der Rationaliserungspotentiale natürlich auch Risiken. Wir diskutieren kritisch die Arbeitsplatzentwicklung.
Es muß uns gelingen, hier in Deutschland privates Kapital für Infrastrukturerweiterungen zu mobilisieren, damit Arbeitsplätze in diesem Sektor in unserem Land zu schaffen und andere dadurch zu erhalten, daß wir vernünftige Infrastrukturbedingungen und damit gute .Wettbewerbsbedingungen für die Gesamtwirtschaft bieten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, weshalb wir bei den Verhandlungen Tempo machen müssen, ist der Börsengang der Deutschen Telekom AG.
Denn im Vergleich zu manchem Einzelplan, der in diesen Tagen hier debattiert wird, geht es um gewaltige Beträge. Im zweiten Quartal 1996 sollen in einer ersten Tranche nominal 2,5 Milliarden DM - das entspricht einem ausmachenden Betrag von geplanten 15 Milliarden DM - an die Börse kommen. Die Telekom wird insgesamt von der Börsenkapitalisierung her höher liegen als jedes andere deutsche Unternehmen. Das heißt, es handelt sich um das größte „going public" überhaupt.
Die Deutsche Bank hat in diesem Zusammenhang völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß bei diesem Vorhaben deshalb - ich zitiere - „die internationalen Scheinwerfer auf Deutschland gerichtet" sind. Deshalb müsse alles daran gesetzt werden, daß die Emission reibungslos verlaufe.
Ich befürchte aber, daß, wenn der Bundespostminister und die Koalition weiter herumdilettieren und verzögern, das „going public" zumindest gefährdet ist. Denn die Anleger wollen wissen, in welchem Wettbewerbsrahmen sich ihr Unternehmen zu bewegen hat.
Hans Martin Bury
Diese Unsicherheit ist schlimm für die Telekom AG, sie ist schlimm für ihre Mitarbeiter, denen man ohnehin gewaltige Anpassungsmaßnahmen und einen dramatischen Personalabbau zumutet.
Ich habe zunächst überlegt, ob Sie den erstmals im Haushaltsplan auftauchenden Titel „Zuschüsse an Unternehmen für die Durchführung von Katastrophenschutzübunge'' in diesem Zusammenhang eingestellt haben. Aber Sie haben das gerade anderweitig erläutert.
- Die Situation ist so spaßig nicht. Das geht weit über das Unternehmen hinaus. Der Börsengang der Telekom ist ein Vorhaben, das ein Präzedenzfall für den Finanzplatz Deutschland und für die Zugangsbedingungen deutscher Unternehmen zum internationalen Kapitalmarkt sein wird.
Im Rahmen der Haushaltsdebatte sei zumindest am Rande daran erinnert, daß es noch gewisse Risiken hinsichtlich der Pensionszahlungen der ehemaligen Bundespostunternehmen gibt und daß, wenn die Börsengänge der Unternehmen nicht erfolgreich verlaufen sollten, der Bund diese Risiken abzudecken hat. Wenn sie tatsächlich auf uns zukämen, könnte der Bundesfinanzminister seinen ohnehin wackeligen Haushalt und seine mittelfristige Finanzplanung gleich wegschmeißen.
Wir konnten nachlesen, daß Ihnen Herr Waigel deshalb einen besorgten Brief geschrieben hat. Er hat eine gewisse Wirkung gezeigt, aber ich glaube, er hat nicht ganz gereicht. Die SPD wird dem „Bundesschneckenpostminister" Beine machen.
Wenn es ein Musterbeispiel für die Globalisierung der Märkte gibt - Herr Bötsch, Sie haben darauf hingewiesen -, dann ist es die Telekommunikation. Dann darf man aber konsequenterweise bei der Regulierung nicht klein-klein machen und nicht eine Kommunalisierung der Märkte einführen wollen, die die CDU/CSU und F.D.P. zwar verbal bekämpfen, der sie aber faktisch mit ihrem Modell den Weg ebnen.
Wir müssen vielmehr industriepolitisch dafür sorgen, daß sich die Telekom AG als führender Globalplayer betätigen kann und daneben weitere marktstarke Wettbewerber in Deutschland entstehen können, die international erfolgreich sind, Kapital für Infrastrukturerweiterungen in Deutschland investieren und hier Arbeitsplätze schaffen.
Nicht zuletzt durch die schleppende Behandlung des Themas durch die Bundesregierung und ihre Koalition ist an die Stelle ursprünglicher, teilweise auch überzogener Euphorie jetzt bei potentiellen Investoren nicht nur Ernüchterung, sondern zum Teil sogar Pessimismus getreten. Die SPD will Rahmenbedingungen schaffen, die motivieren. Wir wollen einen Wettbewerb, der sehr rasch allen Kunden und Bevölkerungsgruppen zugute kommt.
Der Postminister selbst hat die Befürchtung geäußert, daß sich die Wettbewerber nur auf Geschäftskunden konzentrieren könnten. Der neue Tarifrahmen der Telekom bestätigt möglicherweise, daß diese Befürchtung nicht völlig unberechtigt ist.
Die Liberalisierung darf aber nicht dazu führen, daß nur einige wenige Großkunden in Ballungsräumen davon profitieren und für die kleinen Kunden und die Familien nachher höhere Tarife gelten. Wir wollen Wettbewerb für alle. Das heißt dann auch: symmetrische Auflagen und eine Verpflichtung, Universaldienst flächendeckend durch alle Anbieter sicherzustellen, und zwar einen dynamischen Universaldienst im Wettbewerb.
Der Regulierungsrahmen des Bundespostministers ist schief und auch unpraktikabel und würde, Herr Bötsch, in der Tat zu einer Mammut-Regulierungsbehörde führen. Ich fürchte, da bauen sich die Beamten, die heute eine Einigung über ein Wettbewerbsmodell verzögern, ihre neue Behörde. Der Postminister läßt sich von denen tatsächlich dazu bringen, sein Haus nicht aufzulösen, sondern nur das Türschild zu wechseln. Wir wären bescheuert, wenn wir das zuließen.
Wir wollen Symmetrie, d. h. gleiche Spielregeln für alle Teilnehmer; denn sie sind die Voraussetzungen für ein faires Spiel. Die SPD hat ein wettbewerbsorientiertes Modell präsentiert. Wir wollen Wettbewerb durch Wettbewerber und nicht durch eine staatliche Behörde sicherstellen. Wir setzen auf Interconnection-Verpflichtungen für alle, d. h. die Zusammenschaltung der Netze aller Marktteilnehmer, weil wir so sehr rasch intensiveren Wettbewerb auch in der Fläche bekommen. Wir werden eine Zerschlagung der deutschen Telekom AG verhindern, setzen aber zugleich auf eine strukturelle Separierung gegenüber Monopolbereichen.
- Nein, wir schaffen Wettbewerb im Telekommunikationsbereich. Es kann aber nicht angehen, daß neue Wettbewerber, die in Monopolbereichen der Energieversorgung Monopolrenditen erwirtschaften, dann ihre Aktivitäten im liberalisierten Telekommunikationsmarkt quersubventionieren.
Deswegen brauchen wir in diesem Bereich eine klare gesellschaftsrechtliche Trennung, Herr Müller. Wir brauchen auch eine getrennte Rechnungslegung bei allen Unternehmen für den lizenzierten Bereich.
Wir setzen auf einen dynamisch definierten, angemessenen Universaldienst im Wettbewerb, weil dieser auch die Voraussetzung für einen erfolgreichen Weg in die Informationsgesellschaft ist. Opas Dampftelefon wird da nicht ausreichen, Herr Minister.
Hans Martin Bury
Die SPD kämpft gegen neue Abgaben, sowohl gegen die vom Bundespostminister geplante Universaldienstleistungsabgabe als auch gegen den Wegezoll, wie ihn die Kommunen fordern. Wir wollen auch keinen Universaldienstleistungsfonds; wir haben schon genug Schattenhaushalte.
Voraussetzung dafür ist allerdings ein Wettbewerbsmodell, nicht das Regulierungsflickwerk des Bundespostministers.
Weil wir an einer raschen Einigung interessiert sind, da die Marktteilnehmer Planungssicherheit brauchen - sowohl die Telekom AG, als auch die anderen, die in den Markt eintreten wollen -, haben wir in den Verhandlungen unsere Kompromißbereitschaft deutlich gemacht.
- Wir haben Sie doch schon im Dezember letzten Jahres zu Verhandlungen aufgefordert. Sie haben Monate gebraucht, bis Sie überhaupt eine eigene Position auch nur in Ansätzen definiert haben. Selbst heute sind Sie sich noch nicht einig.
Nennen Sie uns einmal vernünftige Verhandlungspartner auf Ihrer Seite, die Prokura haben. Dann machen wir heute nacht miteinander den Abschluß.
Wir haben Kompromißbereitschaft bei einer befristeten Asymmetrie zur Marktöffnung signalisiert. Wir haben - auch das hat der Minister angedeutet - Gesprächsbereitschaft bei der Frage der Abgrenzung der Lizenzgebiete gezeigt, weil wir Wettbewerb fördern und nicht behindern wollen. Wettbewerb aber, lieber Kollege Müller, ist kein Selbstzweck. Der Rahmen muß das Entstehen starker Wettbewerber fördern und die flächendeckende Versorgung durch die Telekom und - ich zitiere Art. 87f des Grundgesetzes - „durch andere private Anbieter" sicherstellen.
Das heißt: Wir haben bei der einvernehmlich verabschiedeten Postreform II nicht daran gedacht, daß es möglicherweise in Teilen der Republik weiterhin nur einen Anbieter, die Telekom AG, gibt und sich der Wettbewerb auf Ballungsräume, lukrative Kunden und Nischenmärkte konzentriert. Wir wollten vielmehr von Anfang an sicherstellen, daß alle Kunden die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen Anbietern des Universaldienstes auszuwählen, weil wir so am ehesten zu einem kostengünstigen und qualitativ hochwertigen Angebot kommen würden.
Die Koalition muß deshalb endlich ihre Blockade aufgeben und ihre Verzögerungs- und Hinhaltetaktik beenden. Herr Bötsch, wenn Sie als Postminister das nicht in den Griff kriegen, muß der Kanzler ran. Es geht hier um eine Standortfrage allerersten Ranges.
Wir haben für die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag und die SPD-regierten Länder ein schlüssiges Wettbewerbsmodell vorgelegt. Es ist schon bezeichnend, daß wir ein Wettbewerbsmodell präsentiert haben und der Postminister ein Regulierungsmodell präsentiert hat. Die Überschriften sind in diesem Fall tatsächlich Programm. Wir haben konsensorientiert verhandelt und Einigungsvorschläge unterbreitet. Das ist moderne sozialdemokratische Wirtschaftspolitik. Bei der Regierung herrscht Stillstand. Den zu überwinden genügen jetzt nicht weiter gute Worte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Worte sind genug gewechselt. Wir wollen endlich Taten sehen.
Es spricht jetzt der Abgeordnete von Hammerstein.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Bury, vielleicht darf ich kurz auf Ihre Ausführungen eingehen. Ich glaube, es ist nicht die CDU gewesen, die in puncto Liberalisierung und Privatisierung Pessimismus ausgestrahlt hat.
- Frau Fuchs, wenn nicht wir diesen Optimismus ausgestrahlt hätten, wären wir heute mit der Liberalisierung und der Privatisierung der Post noch nicht soweit. Das muß man klar und deutlich sagen.
- Lieber Arne Börnsen, die SPD hat doch im letzten Jahr den Minister angebettelt, den Gebührenrahmen so einzuführen, wie er ist. Ist es nicht so gewesen?
- Ach so. Dann lassen Sie uns nachher in einem internen Zwiegespräch darüber diskutieren.
Im Einzelplan 13 sind in diesem Jahr leider nicht wieder 3,4 Milliarden DM enthalten, die wir dem allgemeinen Bundeshaushalt zur Verfügung stellen können. Dies liegt am Wegfall der Ablieferung der neuen Aktiengesellschaften der ehemaligen Deutschen Bundespost.
- Nein, das ist nicht alles ausgegeben. Es ist sehr gewissenhaft und sorgfältig, Herr Haushaltsausschußvorsitzender, in den Haushalt eingebracht worden. Das wissen Sie sehr genau.
Es ist geplant, den Einzelplan 13 im Haushaltsjahr 1996 um 3 % zu erhöhen. Auch dieses hat der Minister schon gesagt. Ich greife aber nicht vor, weil die Berichterstattergespräche noch nicht stattgefunden haben, Herr Minister. Ich bin auch nicht ganz Ihrer Auffassung, daß Ihre gelbe Zitrone trocken und matt ist. Ich halte sie immer noch für prall und saftig. Sie können sicherlich mit dem, was die Berichterstatter nachher für Ihr Haus ausgearbeitet haben, zufrieden sein.
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Im Personalhaushalt wird das eingehalten, was im Haushalt 1995 geplant ist, nämlich 25 Stellen in 1995 einzusparen und in den nächsten beiden Haushaltsjahren 1996 und 1997 jeweils 15 Stellen einzusparen. Ich sage mit aller Überzeugung, daß die Arbeitsfähigkeit des Hauses im Blick auf die Umstellungsprobleme gesichert bleibt.
Die Bereiche Post und Telekommunikation befinden sich in einer Phase tiefgreifender Wandlungen. Welche Bedeutung diese Branchen für die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland insgesamt haben, ist oft dargestellt worden und muß hier nicht im einzelnen wiederholt werden. Ich stimme mit Herrn Bury voll überein, daß der Wirtschaftssektor Telekommunikation und Post im Jahr 2000 den großen Wirtschaftssektor Automobilindustrie in der Bundesrepublik vielleicht sogar überholen wird. Deswegen ist schon mit Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit an dieser Reform zu arbeiten.
Mit der Postreform II, die wir im letzten Jahr auf den Weg gebracht haben, wurden wichtige Weichen in Richtung einer dynamischen Entwicklung gestellt. Wer sich mit dieser Materie näher befaßt, erkennt schnell, daß hier noch ein hartes Stück Arbeit zu bewältigen ist. Auf den verschiedenen Seiten bestehen die unterschiedlichsten Erwartungen, in welcher Form und mit welchen Zielen auf die weiteren Entwicklungen Einfluß zu nehmen ist. Einigkeit dürfte weitgehend darin bestehen, daß es mit einem schlichten Sich-Zurückziehen des Staates aus diesem Wirtschaftssektor nicht getan ist.
erstens Erteilung, Versagen und Widerruf von Lizenzen sowie damit verbundene Auflagen, zweitens das Widerspruchsrecht bei Entgelten und allgemeinen Geschäftsbedingungen, drittens die Auferlegung von Universaldienstleistungen und die Abwicklung eines etwaigen Finanzausgleichs, viertens die Regelungen für das Inverkehrbringen von Endeinrichtungen, fünftens die Durchführung von Planfeststellungsverfahren zur Benutzung öffentlicher Wege für Telekommunikationslinien und sechstens die Überwachung der Wahrung des Fernmeldegeheimnisses und des Postgeheimnisses sowie die Sicherstellung des Datenschutzes im Bereich von Telekommunikation und Postwesen.
Ich persönlich lege großen Wert darauf, daß der Zugang zum Zukunftsmarkt Telekommunikation auch mittelständischen Unternehmen offenstehen muß. Dies wirkt sich sicherlich belebend auf den Markt aus. Dieser Markt darf und kann nicht nur einigen wenigen eröffnet werden. Ich bin sehr dafür - auch Herr Bury sprach dies an - , auch internationalen Unternehmen die Möglichkeit zu geben, in den deutschen Markt einzusteigen, wie es auch andere gern wollen.
Bei diesen vielfältigen Aufgaben stellt sich die Frage nach der künftigen Regulierungsbehörde. Lassen Sie mich diese Fragestellung aufgreifen, insbesondere wegen ihres Bezugs zu dem hier zu behandelnden Einzelplan des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation, aus dem heraus diese künftige Behörde in gewisser Weise entstehen soll. Ich meine, bevor wir uns auf die Anzahl der dort zu beschäftigenden Kräfte verständigen, sollten wir uns über die Sachaufgaben klarwerden, die in dieser Regulierungsbehörde zu lösen sein werden. In diesem Zusammenhang mutet es etwas merkwürdig an, wenn jetzt aus Richtung der SPD - nicht von allen - gegen ein angeblich am Horizont erscheinendes Gespenst einer neuen Mammutbehörde geschossen wird. Waren Sie es nicht, die vor der Entstaatlichung der Postunternehmen immer Bedenken hatten, wir würden zu sehr auf das freie Spiel der Marktkräfte vertrauen? Inzwischen erscheint Ihnen - ich sage nicht, Herr Bömsen und Herr Bury, daß das bei allen in der SPD der Fall ist - allerdings Ihre Klientel bei der Telekom einen neuen Weg zu weisen.
Die Regierungskoalition hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie eine Regulierung der Märkte in den Sektoren Post und Telekommunikation für notwendig hält, sowohl um einen fairen Wettbewerb in Gang zu bringen und zu sichern als auch um entsprechend dem Auftrag des Grundgesetzes die Erfüllung infrastruktureller Erfordernisse zu gewährleisten. Die Durchsetzung dieser Ziele kann nur erreicht werden, wenn wir dafür eine kompetente und durchsetzungsfähige Einrichtung haben. Im derzeitigen Bundesministerium sind Fachleute beschäftigt, die meines Erachtens für die unterschiedlichen Detailaufgaben der künftigen Regulierungsbehörde die notwendigen Fähigkeiten und Vorkenntnisse mitbringen. Wir sind gut beraten, wenn wir uns die Kompetenz dieser Leute, die bereits vorhanden ist, zunutze machen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß wir in diesem Wirtschaftssektor nicht nur auf Grund technischer Entwicklungen ständig Neuland betreten. Auch das, was sich an ökonomischen und ordnungspolitischen Fragen um die Privatisierung und Liberalisierung bei Post und Telekommunikation rankt, ist jedenfalls von der Größenordnung her in Deutschland bisher beispiellos. Unter diesen Umständen kann ich nur davor warnen, die vielfältigen Aspekte, unter denen Regulierungsaufgaben wahrzunehmen sein werden, in zu viele voneinander unabhängige Zuständigkeiten zu zersplittern.
Auch für andere Dienstleistungszweige in der Bundesrepublik gibt es eine Bundesbehörde. Ich erwähne hier das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen sowie die Behörden, die für Gesundheit und das Versicherungswesen zuständig sind. Es gibt also viele Beispiele. Ob sie in dieser Größe zu existieren haben oder nicht,
möchte ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls gibt es auch in anderen Fällen in der Bundesrepublik Deutschland Regulierungsbehörden. In diesen Fällen steht die Notwendigkeit von Regulierungsmaßnahmen außerhalb jeder Diskussion, wie ich glaube, auch über Parteigrenzen hinweg. Deswegen bin ich
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
der Auffassung, daß wir auch im Bereich von Post und Telekommunikation eine Regulierungsbehörde einführen sollten. Es gibt viele Beispiele in industriegeführten Nationen der Welt, wie Kanada, USA, Australien, Japan und viele andere mehr, die solche Regulierungsbehörden haben. Sie gewährleisten eine gewisse Kontrolle dieses Privatmarktes, wie ich glaube, gewissenhaft und sorgfältig.
Es gäbe viele Beispiele zu nennen von dem, was in Zukunft noch geregelt werden müßte. Dies gilt z. B. für die Verlegung von Kabeln für Telekommunikation. In Zukunft ist sicher die verstärkte Nachfrage nach Frequenzen zu regeln. Auch hier kann ein ungeregelter Zustand nicht hingenommen werden; denn Frequenzen sind kein „nachwachsender Rohstoff" .
Trotz aller unterschiedlicher Zielrichtung der aufgezeigten Einzelaufgaben stehen diese in einem über Jahrzehnte gewachsenen inneren Zusammenhang. Es wäre deshalb ratsam, das Potential an Wissen um die Zusammenhänge, an Problembewußtsein für die Schwierigkeiten der Postreform, das sich bei den Beschäftigen im Bundesministerium für Post und Telekommunikation angesammelt hat, zusammenzuhalten. Auch wenn weithin Einigkeit besteht, daß der größte Teil dieser Tätigkeiten künftig nicht mehr in der Organisationsform eines Ministeriums ausgeübt werden muß, so kann das keineswegs heißen, daß diese Aufgaben jetzt einfach entfallen können.
Dementsprechend werden wir, auch in Anbetracht unserer leeren Kassen, nicht der Versuchung erliegen, dieses Ressort mit Blick auf sein Verfalldatum" jetzt allmählich auszutrocknen. Dieses Haus und sein Geschäftsbereich sind bereits mit Blick auf 1997 einer gründlichen Aufgabenkritik unterworfen worden. Dafür haben wir meines Erachtens insbesondere mit den im derzeit laufenden Haushalt festgelegten kräftigen Stellenkürzungen bereits gesorgt. Nun muß der Blick darauf gerichtet werden, daß die dort Beschäftigten ihre Sachaufgaben effektiv wahrnehmen können. Auf lange Sicht wäre es fatal, wenn dort eine Abwanderungsbewegung qualifizierter Kräfte einsetzt. Diese Gefahr beschwört aber herauf, wer jetzt dieses Ministerium und die künftige Regulierungsbehörde kleinreden will.
Wie lange wir eine Regulierungsbehörde in der jetzt geplanten Gestalt benötigen, sollten wir zukünftigen Erkenntnissen überlassen. Selbst Skeptiker gestehen ja zu, daß man sie auf absehbare Zeit braucht. Die Frage, welche Zeiträume wir absehen können - ob 5, 10, 15 Jahre oder mehr -, halte ich für müßig. Darum lassen Sie uns heute politisch so handeln, wie es aus heutiger Sicht richtig und notwendig ist. Wir sollten nicht meinen, schon heute entscheiden zu müssen, was die nächste Generation in dieser Frage für gut hält. Aber wir sollten auch Mut haben, diese Behörde wieder aufzulösen, wenn alles geregelt ist.
Der vorgelegte Haushalt, meine Kolleginnen und Kollegen, für das Bundesministerium für Post und
Telekommunikation trägt in dieser Form dieser Abwägung Rechnung.
Ich danke.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Manuel Kiper.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die CDU-Fraktion ist hier ziemlich still und schickt die Haushälter vor. Das zeigt die Sprachlosigkeit.
Herr Bötsch profiliert sich hier vor allen Dingen als Liquidatorundversuchtnoch einmal, die Postreform II, die ja hier gemeinsam mit der SPD verabschiedet worden ist, als großen Erfolg darzustellen. Wir haben in den letzten Monaten aber immer deutlicher gemerkt, daß die Postreform II eine ganze Reihe von Schönheitsfehlern hat und mit einer Reihe von Nachteilen für die Bevölkerung verbunden ist.
Ich möchte nur an das Tarifkonzept II, das in den letzten Monaten öffentlich geworden ist, erinnern: Für Ortsgespräche längerer Dauer ist durchaus mit einer Verdoppelung der Gebühren zu rechnen. Zudem ist vorgesehen, daß bei der Telekom wie bei der Post AG Arbeitsplätze abgebaut werden, in den nächsten drei Jahren bei der Post AG noch 35 000, bei der Telekom 70 000. Die Ausbildungsplätze sind dermaßen reduziert worden, daß bei der Telekom nur noch ein Schrumpfbereich übriggeblieben ist.
In Zukunft wird man wieder festzustellen beginnen, daß eine ganze Reihe großer gesellschaftlicher Verschlechterungen mit dieser Postreform II verbunden sind. Man kann also nicht wie Sie, Herr Minister, von einem großen Erfolg reden. Vielmehr muß man auch die Schattenseiten dieser Postreform ansprechen. Für uns ist es eine Verpflichtung, die nächste Postreform in einer Art und Weise zu gestalten, die solche Fehlschläge und solche Schattenseiten möglichst ausschließt.
Herr Minister, Sie haben Eckpunkte zum Postdienst und mittlerweile auch ein Telekommunikationsgesetz vorgelegt. Ich möchte für unsere Fraktion klarstellen, daß wir nicht gegen die Marktöffnung sind, daß wir auch keineswegs etwas dagegen haben, die Zahl der Lizenzen variabler zu gestalten; es soll möglichst viele von ihnen geben. Im Gegensatz dazu haben wir bei der SPD-Fraktion den Eindruck, daß in diesem Punkt nicht tausend Blumen blühen sollen, sondern daß es ihr lediglich darum geht, dem großen Bündnis von Stoiber und Schröder vorzusitzen. Wirtschaftsminister Wiesheu und Fischer wollen möglichst viele „global players" im Telekommunikationsbereich herauskitzeln. Dabei lassen sie den Mit-
Dr. Manuel Kiper
telstand, mittelständische Unternehmen und Dienste völlig außen vor.
- Genau. Wir sind der Meinung: In diesem Bereich sollte es eine Vielzahl von Lizenzen geben. Es soll tatsächlich eine Marktöffnung vorgenommen werden. Der Markt soll nicht nur für Energieversorgungsunternehmen mit Monopolgewinnen geöffnet werden.
Sie haben Telekommunikationsunternehmen gegründet, um sich mit deren Monopolgewinnen einen weiteren Bereich unserer Wirtschaft unter den Nagel zu reißen. Das sind ungute Vorzeichen. Das ist nicht die Öffnung des Marktes, die wir haben wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine wesentliche Frage der zukünftigen Gestaltung des Telekommunikationsmarktes ist die der Gestaltung des Universaldienstes und seiner Finanzierung. Um bei der Finanzierung anzufangen: Die SPD möchte sie so regeln, daß die großen Player am Markt den Universaldienst innerhalb von drei bis fünf Jahren gewissermaßen finanzieren und die Telekom die Lasten des Universaldienstes bis dahin einseitig trägt.
Ich befürchte, daß dieses Konzept, das auch bei Herrn Wiesheu, bei den Wirtschaftsministern der CSU und inzwischen offensichtlich ein wenig auch bei Herrn Bötsch Anklang findet, nicht dazu beitragen wird, auf einen Universaldienstfonds zu verzichten. Im Universaldienstbereich liegen nämlich Aufgaben an, die von diesen Unternehmen nicht so ohne weiteres abgedeckt werden; ich meine die öffentlichen Telefonzellen.
Man sollte einen Universaldienst entwickeln, bei dem die technischen Möglichkeiten, die heute vorhanden sind und die man braucht, um einen wirklichen Einstieg in die Informationsgesellschaft zu schaffen, so genutzt werden müssen, daß kostengünstig und flächendeckend der Zugang zu ISDN und von vielen Stellen unseres Landes aus der Netzzugang möglich ist. Er darf nicht teuer erkauft werden müssen.
Dieses als Universaldienst festzuschreiben bedeutet auch, daß man im Rahmen eines Fonds letztlich die Mittel bereitstellen muß, um das flächendeckend und nicht nur im Rahmen von Rosinenpickerei in einzelnen Kommunen, in einzelnen hochverdichteten Bereichen und in Bereichen mit zahlungskräftigen Abnehmern zu gewährleisten; es darf nicht in letzteren die Chance für eine Informationsgesellschaft geben.
Meine Damen und Herren, die Politik der Grünen geht dahin, die Tarife kundenfreundlich zu gestalten. Ortgespräche müssen entgegen dem Konzept, das die Telekom jetzt vorgelegt hat, billig bleiben. Wir sehen das als eine Voraussetzung dafür, daß letztlich eine Informationsgesellschaft in aller Breite entwickelt werden kann.
Wir sind dafür, daß die Telekommunikationsunternehmen, sprich: die Telekom und die Post, ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen, was Ausbildung anbelangt. Wir Grüne sind ganz im Gegensatz zur großen Koalition von SPD und CDU der Auffassung, daß die Kommunen nicht enteignet werden sollten, daß die Kommunen selbstverständlich das Wegerecht behalten sollten und letztlich ähnlich wie im Energieversorgungsbereich eine Wegenutzungsgebühr sollten erheben dürfen.
-
Hans Martin Bury [SPD]: Was denn nun?
Soll es billiger oder teurer werden?)
Wir sind der Auffassung, daß man auch den Kommunen eine Chance geben muß und sich auch die Kommunen mit ihren Netzen einbringen können sollten. Nicht nur die großen Player sollten am Markt eine Rolle spielen dürfen, sondern es kommt darauf an, eine Vielzahl von Unternehmen am Markt zu haben und hier auch die Kommunen eine Rolle spielen zu lassen. Die EVU dürfen nach unserer Auffassung auf dem Markt keine so große Bedeutung haben, wie es jetzt vorprogrammiert ist.
Unsere Fraktion möchte nicht, daß die Bürgerpost als Behördenmuff konserviert wird, sondern wir wollen, daß sich durch Konkurrenz viele moderne Serviceunternehmen entwickeln. Wir sind der Auffassung, daß mit dem Gesetzentwurf zur Telekommunikation, Herr Bötsch, wie Sie ihn vorgelegt haben, dieser Weg nicht beschritten wird.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Max Stadler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Weg vom Verständnis der Post als eines Teiles der staatlichen Hoheitsverwaltung hin zu modernen privatisierten Dienstleistungsunternehmen und von der Postversorgung - der Begriff war bezeichnend - durch eine staatliche Monopolanstalt hin zum echten Wettbewerb in einem geöffneten und deregulierten Post- und Telekommunikationsmarkt war und ist lang und mühsam.
Die Koalition hat diesen Prozeß vorangetrieben und in die richtige Richtung gelenkt. Wenn Kollege Bury angemahnt hat, daß das Tempo noch größer sein müßte, so ist zuzugeben, daß aus Sicht der F.D.P. die Postreform II nicht weitgehend genug war. Es hat nicht an uns gelegen, daß wir damit nur eine Organisationsprivatisierung und eine Ablösung des staatlichen Monopols durch ein privates Monopol bekommen haben.
Dr. Max Stadler
Gleichwohl waren auch diese Reformschritte erfolgreich, auch wenn mein verehrter Vorredner das anders sieht. So konnte nach der Telekom AG nun auch die Deutsche Post AG schwarze Zahlen vermelden. Die „gelbe Post" erwartet für 1995 erstmals einen Gewinn in einer Größenordnung von 350 Millionen DM. Das ist für den Steuerzahler eine erfreuliche Nachricht.
Mit der Postreform III steht der entscheidende Reformschritt erst noch bevor. An dieser Stelle habe ich mir im Manuskript notiert, daß die Bedeutung des Telekommunikationsmarktes bald größer sein wird als die der Automobilindustrie. Da das aber schon alle Vorredner gesagt haben, will ich gleich dazu kommen, die zentralen Aspekte der bevorstehenden Reform aus der Sicht der F.D.P. anzusprechen.
Erstens. Die nachhaltige Öffnung der Telekommunikationsmärkte für mehr Wettbewerb muß rasch und möglichst weitgehend vor 1998 erfolgen, damit Deutschland im internationalen Vergleich aufholt. Das betrifft eine aktuelle Thematik, Herr Minister, das betrifft insbesondere die Freigabe alternativer Netze. Unabhängig von der heute von Ihnen zitierten Erklärung meinen wir, daß ein Termin zur Öffnung am 1. Januar 1998 zu spät wäre.
Zweitens. Der Wettbewerb setzt klare ordnungspolitische Rahmenbedingungen voraus, wenn Konkurrenz die Macht einzelner Großunternehmen beschränken und sich Innovation lohnen soll. Dabei hält die F.D.P. im Gegensatz zu den Sozialdemokraten eine sogenannte asymmetrische Regulierung der Telekom in der Anfangsphase für unerläßlich.
Drittens. Der Grundsatz muß lauten: So viel Markt wie möglich, so viel Regulierung wie nötig. Daraus ergeben sich Konsequenzen auch für die Ausgestaltung der Regulierungsbehörden, auf die ich gleich noch zu sprechen komme.
Viertens. Dem Mittelstand oder Kooperationen von mittelständischen Unternehmen müssen faire Chancen eingeräumt werden.
Die Vergabe regionaler Lizenzen muß möglich sein. Dies sollte unserer Meinung nach im Telekommunikationsgesetz ausdrücklich klargestellt werden.
Der Entwurf des Bundespostministers für das Telekommunikationsgesetz ist unter den genannten Prämissen grundsätzlich zu begrüßen. Aber es wäre die Aufgabe der Fraktionen falsch angesehen, Herr Kollege Bury, wenn wir uns mit allem schon jetzt einverstanden erklären müßten. Daher nenne ich als wichtige verbesserungsfähige Punkte:
Erstens. Die Definition des Universaldienstes muß im Gesetz selber festgelegt werden, um die Mitsprache des Bundestages in diesem zentralen Bereich sicherzustellen.
Zweitens. Die Konzeption und die Aufgaben der Regulierungsbehörde im Postbereich wie auch im Telekommunikationsbereich müssen noch einmal überdacht werden. Die Wettbewerbsaufsicht und die Fachaufsicht sollten strikt getrennt sein. Es spricht alles dafür, die Wettbewerbsaufsicht dem Bundeskartellamt zuzuordnen. Dies gewährleistet politische Unabhängigkeit, wie das Kartellamt seit Jahren beweist, und verhindert, daß sich die Wettbewerbsaufsicht durch Bundeskartellamt und Fachbehörde auseinanderentwickeln.
Analoges gilt für die Eckpunkte des Postministers zur Liberalisierung im Postbereich. Diese Eckpunkte sind im Grundsatz zu begrüßen. Jedoch wäre eine besondere Übergangsfrist von fünf Jahren für die Deutsche Post AG im zentralen Bereich des Postdienstes, der Lizenzklasse A für gewöhnliche Briefsendungen, wäre eine Verzögerung der Marktöffnung. Dagegen haben wir schwere Bedenken.
Entscheidend ist, daß es bei der Öffnung der Märkte keine weitere Verzögerung gibt. Daher muß jede Chance, Wettbewerb schon vor 1998 zuzulassen, genutzt werden.
Unverständlich war für uns daher die Haltung des Freistaates Bayern, der mit seiner Stimme am 26. Juni 1995 im Regulierungsrat gegen das Votum des Bundespostministers den Ausschlag dafür gegeben hat, den Mobilfunkbetreibern zu verbieten, schon jetzt Übertragungswege, die sie bisher von der Telekom anmieten müssen, selbst zu errichten. Hier zeigte es sich, daß entgegen landläufiger Meinung Wort und Tat beim bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber manchmal in bemerkenswerter Weise auseinanderklaffen.
Meine Damen und Herren, während wir mit dem Telekommunikationsgesetz insgesamt auf dem richtigen Weg sind, wird in der Öffentlichkeit zu Recht zunehmend die Untätigkeit der Medienpolitik kritisiert. Dies betrifft auch Fragen im Schnittpunkt von Rundfunkrecht, Telekommunikation und neuen Medien. Es erscheint sehr fraglich, ob neue Dienste, die individuell nachgefragt werden, etwa „Video on demand", dem Rundfunkrecht unterliegen. Wir brauchen die baldige Definition, welche neuen Techniken als „Rundfunk" im herkömmlichen Sinn anzusehen sind und welche nicht. Sonst droht durch Untätigkeit der Politik in diesem Bereich der Verlust von Wachstumschancen und damit von Arbeitsplätzen, wie wir ihn auf der anderen Seite durch die Wettbewerbsöffnung im Telekommunikationsbereich gerade noch rechtzeitig verhindern wollen.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Gerhard Jüttemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Unterschied des Einzelplans 13 zu dem des vorangegangenen Haushaltsjahres liegt vor allem darin, daß wir um ein Jahr dichter an den für viele Menschen verheerenden Auswirkungen dran sind, die Sie mit der Postprivatisierung und deren Gestaltung organisieren.
Allerdings gibt es einen zweiten Unterschied: Zur ersten Lesung des Haushalts 1995 hatten wir noch nicht annähernd so viele Briefe von Betroffenen, die ihre teilweise existentiellen Interessen in der anstehenden Gesetzgebung berücksichtigt sehen wollen. Vielleicht sollten Sie die Ängste an der Basis ernster nehmen.
Von kaum vorstellbaren Personalreduzierungen um 60 000 bis 70 000 und den Wettbewerbsnachteilen, die Minister Boetsch der Telekom auferlegen möchte, schreibt beispielsweise der Betriebsrat der Telekom-Niederlassung Gießen und schlußfolgert:
Bei den derzeitigen Vorstellungen des Ministers befürchten wir einen noch größeren Arbeitsplatzverlust bei der Telekom, so daß eine größere Anzahl von Entlassungen zu erwarten ist.
Der Hauptpersonalrat beim Bundesministerium für Post und Telekommunikation kritisiert, daß es keinerlei Personalkonzepte für die beim BMPT Beschäftigten gibt, dafür aber einen § 107 im Diskussionsentwurf des Telekommunikationsgesetzes, der schon einmal ankündigt, daß nur so viel Personal des BMPT übernommen werden wird, wie in der Regulierungsbehörde benötigt werde. Im Referentenentwurf ist dieser Passus zwar gestrichen worden, aber es bleibt weiter unklar, was mit den überzähligen Leuten nun geschehen soll.
Briefe dieser Art sind ein Zeichen dafür, daß die Zahl der Menschen zunimmt, die Ihre Deregulierungsabsichten durchschauen. Postprivatisierung, damit es für den Kunden immer bequemer und billiger wird, damit Beschäftigung gesichert und die Tore zu einer modernen Informationsgesellschaft weit geöffnet werden - diese Legende wird Ihnen immer weniger abgenommen werden, einfach, weil die Tatsachen, die Sie schaffen, jedenfalls bis heute in allem genau das Gegenteil bewirken: Postämter schließen, weil sie nicht rentabel sind, Massenentlassungen stehen bevor, und die Telekom kündigt „Gebührensenkungen" an, die sich bei näherer Betrachtung als Angriff auf die Grundversorgung darstellen, weil für die weitaus meisten privaten Nutzer die Gebühren gar nicht sinken, sondern explodieren werden.
Aber es stellen sich auch noch andere Fragen, etwa die, warum im Referentenentwurf für das Telekommunikationsgesetz nicht einmal das Einfachste und Wichtigste abgesichert wird, nämlich das Recht des einzelnen auf eine Grundversorgung mit unabhängigen Informationen. Offensichtlich will das BMPT mit seinen Regulierungsvorstellungen nach dem Motto „Wer bezahlt, bestellt auch die Musik" hier genau das Gegenteil absichern: Wer die Netze betreibt, bestimmt auch die Inhalte der Information. Ihr Gesetzentwurf schließt gleichzeitig die hohe
Wahrscheinlichkeit ein, daß in der Gesellschaft eine Schicht entstehen wird, die von den Segnungen der Informationsgesellschaft aus materiellen Gründen völlig ausgeschlossen bleibt und daß die Tarifeinheit schon bald ein Märchen aus uralten Zeiten sein wird.
Abgesichert wird von Ihnen vor allem, daß einige millionenschwere Energieversorgungsmonopole im Verbund mit einigen anderen Konzernen die Filetstücke des Marktes unter sich aufteilen werden. Auf der anderen Seite wird der für die Gesellschaft so außerordentlich wichtige Universaldienst lediglich als ein Mindestangebot von Telekommunikationsleistungen beschrieben, bei dem es sich im wesentlichen um die Basistelefonie handelt. Aber dieser Universaldienst ist genau der Anteil, den Otto Normalverbraucher an der sogenannten Informationsgesellschaft haben wird. Ihre Pläne führen also zu nichts anderem, als die kleinen Leute von den positiven Multimediamöglichkeiten abzuschneiden und im übrigen das Land bezüglich der technischen Möglichkeiten auch regional in Erst-, Zweit- und Drittklassigkeit zu untergliedern.
Ähnlich trübe Aussichten lassen die sehr schwammig formulierten Eckpunkte für einen künftigen Regulierungsrahmen im Postwesen erwarten. Vor allem bleibt nach diesen Eckpunkten völlig offen, wie in Zukunft der Universaldienst zuverlässig und kontinuierlich gewährleistet werden kann, obwohl gerade der Fortbestand dieses Universaldienstes nach dem Grünbuch über die Entwicklung des Binnenmarktes für Postdienste das wichtigste postpolitische Ziel sein sollte. Das BMPT hat sich jedoch nicht einmal die Mühe gemacht, diesen Universaldienst konkret zu definieren.
Das Hauptübel der Entwicklung von Post und Telekommunikation in diesem Lande liegt in den Prämissen der politisch Handelnden. Privatisierung und Deregulierung sind für Sie nicht Mittel, sondern Zweck. Dabei bleiben die Interessen von Kunden und Beschäftigten naturgemäß auf der Strecke.
Eben diese Interessen sind jedoch die Prämissen unserer Politik, und sie werden es auch in Zukunft bleiben.
Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Arne Börnsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn ein paar Worte zu den Kollegen sagen, die vor mir gesprochen haben, insbesondere zu dem Kollegen von Hammerstein, der aber, als er sah, daß ich aufgerufen wurde, den Saal verlassen hat, wie ich befürchte.
Arne Börnsen
Herr von Hammerstein - ich begrüße Sie - hat insbesondere auf die Einrichtung der Regulierungsbehörde abgehoben und eingefordert, daß eine solche Behörde möglichst in überschaubarer Größenordnung eingerichtet werden sollte.
Ich würde sehr gerne mit Ihnen und mit anderen über das Thema Regulierungsbehörde diskutieren, aber zum richtigen Zeitpunkt. Wir werden erst einmal die Eckpunkte eines Gesetzentwurfs mit Ihnen gemeinsam erarbeiten müssen: Eckpunkte, die möglichst wenig Regulierung vorsehen. Wenn wir das erreicht haben, wenn wir also die Anforderungen, die durch den Gesetzentwurf an die Behörde künftig hier gestellt werden, wenn wir die Anforderungen möglichst niedriggeschraubt haben, dadurch, daß wir möglichst viele Wettbewerbsmechanismen in einen solchen Gesetzentwurf eingebaut haben, dann werden wir in der Lage sein, eine vernünftig strukturierte Regulierungsinstanz zu bilden und auch abzugrenzen. Aber nicht vorher.
Deswegen lassen Sie uns auf das konzentrieren, was heute leider noch nicht zu einem Abschluß gekommen ist. Aber ich hoffe, daß das innerhalb der nächsten 14 Tage realisiert werden kann, weil tatsächlich nur noch einmal mehr betont werden kann: Uns läuft die Zeit davon. Wir sind sehr wohl unter Druck, wenn wir zum 1. Januar 1998 den Wettbewerb öffnen wollen und nicht nur das Datum schaffen wollen, sondern den Wettbewerbern die Möglichkeit geben, auch schon vorher auch Wettbewerb zu proben und sich auf die Ihnen über Lizenzen auferlegten Auflagen einzurichten. Dann brauchen wir dafür das Jahr 1997, und dann haben wir so viel Zeit nicht mehr.
Herr Kiper, Sie haben hier vorne so gesprochen, daß es wirklich mein Erstaunen und auch meine spontane Erregung verursacht hat, was bei uns Norddeutschen - Sie können das nachempfinden - schon eine Ausnahmesituation ist. Daß ich den Begriff des Spinnens benutzt habe, ist trotzdem nicht nur unparlamentarisch, sondern sicherlich auch unzutreffend.
Nur, ich muß gestehen, ich war etwas verblüfft darüber, daß wir heute nachmittag zusammensaßen und unterschiedliche Konzepte diskutiert haben. Aber zu dem, was wir heute nachmittag diskutiert haben, haben Sie nichts gesagt, mit der einen Ausnahme hinsichtlich der Informationsgesellschaft. Das, was Sie heute abend bei uns kritisiert haben, fehlte heute nachmittag von Ihnen als Diskussionsbeitrag.
Da, meine ich, sollte man schon an dem Platz, an dem man gefordert ist, einen vorliegenden Entwurf zu korrigieren, Einfluß nehmen auf das, was an Schwerpunkten innerhalb des Entwurfs da ist. Eigene Vorstellungen sollte man dort einbringen. Aber dann kann man nicht in einer teilweise ein bißchen neben der Sache hergehenden Art und Weise ausgerechnet uns kritisieren. Wir versuchen ja, das Ding besser zu machen.
Herr Kollege Börnsen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kiper?
Gern. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte.
Herr Börnsen, ist Ihnen klar, daß es sich um eine große Koalition von CDU und SPD handelt, die hier im Augenblick geschmiedet wird, um die Postreform III durchzusetzen? Ist Ihnen in diesem Zusammenhang klar, daß nicht nur Sie, die CDU, vor sich hertreiben, sondern daß bei diesem Deal große Koalition wir Grünen leider auch über den Bundesrat nur geringfügige Einflußmöglichkeiten haben, um nicht zu sagen: eigentlich gar keine Einflußmöglichkeiten?
Das mag zwar sein. In manchen Fällen ist es auch ganz gut so. Andererseits, Herr Kiper, an diesen interfraktionellen Gesprächen nehmen Sie teil, und dort haben Sie die Möglichkeit, Einfluß zu nehmen. Deswegen ist es am Rande der Fairneß, solche Angriffe hier zu starten. Lassen Sie uns konstruktiv an dem Platz, der der richtige Ort ist, streiten, um diesen Gesetzentwurf zu verbessern. Da sind Sie auch gefordert, anstatt daß es hier so geht, daß man gar nicht mehr weiß, wie solche Anwürfe eigentlich zustande kommen.
- Vielen Dank.
Ich möchte auch darauf hinweisen, Herr Kiper, daß das, was Sie zu der Postreform II gesagt haben, daß die Auswirkung der Postreform - -
Herr Kollege Börnsen, Herr Kiper möchte noch eine weitere Zwischenfrage stellen. Sind Sie einverstanden?
Ja. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte.
Herr Börnsen, ist Ihnen eigentlich klargeworden, daß ich heute nachmittag nicht nur geschwiegen habe zu dem, was Sie gesagt haben und was Sie mit Herrn Wiesheu gemeinsam von seiten der SPD im Telekommunikationsmarkt planen? Ist Ihnen klargeworden, daß ich heute nachmittag sehr wohl auch deutlich gemacht habe, daß hier, was den Universaldienst anbelangt, natürlich eine ganz große Aufgabe ist und ich die Chance sehe, daß Sie, die CSU, die CDU und die F.D.P., begreifen, daß es im Interesse der Entwicklung der Informationsgesellschaft notwendig ist, diesen Universaldienst nicht analog, sondern ISDN- fähig zu organisieren? Haben Sie das heute nachmittag verschlafen?
Nein, Herr Kiper, genausowenig wie ich davon ausgehe, daß Sie
Arne Börnsen
festgestellt haben, indem Sie unsere Papiere gelesen haben, daß genau diese Forderung, Universaldienst ISDN-Standard, bei uns in den Papieren steht. Wenn Sie heute abend sagen, Sie würden die anderen auffordern, diesen Qualitätsstandard erst einmal für sich in Anspruch zu nehmen, dann ist da eine gewisse Kluft zwischen Behauptung und Wirklichkeit.
Ich muß Sie auch darauf hinweisen, Herr Kiper, daß in diesem Bereich den Begriff der Großen Koalition zu benutzen nicht angemessen ist. Ich sage das ganz zurückhaltend, weil ich mich schon genügend aufgeregt habe. Er ist nicht angemessen, weil Sie genau wissen, daß es bestimmte Mehrheiten hier im Bundestag und bestimmte Mehrheiten im Bundesrat gibt. Wie anders als durch einen rechtzeitigen Kompromiß zwischen denjenigen, die dort und hier die Mehrheit haben, wollen Sie eigentlich erreichen, daß ein solches Gesetz durch Bundestag und Bundesrat geht?
Sie wissen genau - es ist heute abend einige Male gesagt worden -: Es kommt darauf an, daß wir Planungssicherheit für diejenigen erreichen, die sich an diesem Markt beteiligen wollen. Das kann man nur, indem diejenigen, die an den Entscheidungen qualifiziert beteiligt sind, möglichst frühzeitig ein gemeinsames Modell vereinbaren. Wie anders als so soll man es denn tun?
Herr Kiper, ich will aber nicht den falschen Eindruck erwecken - das wäre vollkommen ungerechtfertigt -, als wären wir es, die sich hier auseinandersetzen. Die Auseinandersetzung findet zwischen Opposition und Bundesregierung statt.
Herr Kiper, ich meine, daß wir uns auch in den Vorgesprächen so weitgehend auf gemeinsame Positionen haben einigen können, daß eine solche Art der Auseinandersetzung nicht gerechtfertigt ist. Lassen Sie mich das in dieser Deutlichkeit sagen.
Wir sind - auch das habe ich eben schon angeführt - bei der Frage des Universaldienstes Ihnen doch viel näher als der Bundesregierung. Denn wir meinen, daß durch die Definition eines Universaldienstes möglichst frühzeitig ein zukunftsorientierter Dienst festgelegt werden muß, damit die möglicherweise erforderlichen Investitionen der privaten Anbieter auch durchgeführt werden. Wenn ein Universaldienst auf ISDN-Standard voraussetzt, daß höhere Kapazitäten im Leitungsnetz realisiert werden, daß dafür die notwendigen Investitionen durchgeführt werden, dann ist das die Zielsetzung, die wir mit einer solchen Definition verbinden wollen. In allen unseren Papieren ist die Ausrichtung auf eine dynamische Interpretation dieses Begriffes enthalten.
- Warum lesen Sie dann die Papiere nicht rechtzeitig? Dann würden wir uns darüber nicht streiten müssen.
Nun kommt aber eines hinzu, Herr Kiper - ich würde graue Haare kriegen, wenn ich sie nicht schon hätte -: Würden wir bei diesem Zukunftsmarkt der Telekommunikation - das geht genauso an Sie, Herr Bötsch - einen wie auch immer gearteten Zustand der Subventionierung durch einen Infrastrukturfonds einführen, der zwar von anderen Firmen bezahlt wird, aber letztendlich darauf hinausläuft, daß für bestimmte Empfänger eine Subventionsmentalität aufkommt, dann verstünde ich die Welt nicht mehr. In diesem Bereich sind am wenigsten Subventionen erforderlich; denn diejenigen, die sich an diesem Markt beteiligen, rechnen auf Gewinne
und gehen diesen Weg nur deswegen, weil sie davon überzeugt sind, sich ein Stück von dem Kuchen dieses enorm wachsenden Marktes abschneiden zu können. Dann braucht man ein solches Modell nicht. Man sollte es dann so organisieren, daß die Eigenfinanzierung eines solchen Universaldienstes ohne Fonds möglich ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einige ergänzende Worte sagen - Herr Stadler, wenn Sie gestatten, möchte ich noch einige Takte zu dem Thema sagen, das Sie eröffnet haben - zu der Frage, ob wir bei diesem - bis jetzt noch - Referentenentwurf des Post- und Telekommunikationsministeriums eigentlich das Thema hinreichend erfaßt haben. Sie haben die Frage der Medienpolitik angesprochen. Man kann nach meiner festen Überzeugung Telekommunikation und multimediale Kommunikation nicht voneinander trennen.
Der Gesetzentwurf geht - ich sage das nicht vorwurfsvoll, sondern nur als Feststellung - bisher davon aus, daß nur die rein technische Seite der Telekommunikation behandelt und reguliert werden soll. Telekommunikation ist aber nur der Träger für die Anwendung künftiger neuer Dienste, die allgemein als Multimediadienste zusammengefaßt werden. Daher frage ich mich, ob nicht unser möglicherweise gemeinsamer Gesetzentwurf unzulänglich wäre, wenn nicht versucht würde, insbesondere im Rahmen der Regulierung das Thema multimediale Kommunikation mit aufzugreifen.
Herr Bundesminister, ich weiß, daß ich damit ein Tabu berühre, weil die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern hier in Frage steht. Es ist bestimmt so, daß Sie von der F.D.P. es sich ein bißchen leichter machen können, weil Sie in den Ländern nicht so viel Verantwortung tragen. Das ist bei uns glücklicherweise anders und soll auch so bleiben. Es darf bloß nicht dazu führen, daß man aus Scheu vor dem Anpacken dieser Probleme die beiden Bereiche auseinanderlaufen läßt. Nachher hat man zwar einen technisch optimalen Gesetzentwurf in Richtung Telekommunikation, aber das, was Anwendung und im Bereich Multimedia auch Beschäftigung verspricht, ist nicht erfaßt worden und bleibt deswegen zurück. Das können wir uns nicht leisten.
Arne Börnsen
Wir müssen die althergebrachten Zuständigkeiten in Frage stellen. Wir müssen fragen: Wie können künftige Anwendungen der multimedialen Kommunikation optimal unterstützt werden? In welcher Form und in welchem Rahmen können wünschenswerte und notwendige Eingriffe optimal ermöglicht werden? Denn aus den Erfahrungen mit der Medienpolitik und den Landesmedienanstalten festzustellen, daß diese Papiertiger sind, wenn es um die Konzentrationskontrolle der großen TV-Anbieter geht, ist, glaube ich, keine große Überraschung. Sie haben nicht die Möglichkeiten, und sie schaffen es nicht.
Nur wird es in Zukunft nicht mehr alleine um Programmanbieter, sondern um eine Kombination von Programmanbietern und technischen Standards gehen. Wie jüngst auf der Berliner Messe feststellbar, können hier durch ein Monopolangebot bestimmter Geräte andere Anbieter aus dem Markt herausgehalten werden. Bei einer solchen Entwicklung fragt keiner mehr nach Ländergrenzen. Da ist die Marktmacht dieses in Rede Stehenden so, daß die Landesmedienanstalten geradezu eine Witzfigur sind.
Herr Kollege Börnsen, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte.
Kollege Börnsen, vielen Dank, daß Sie dieses Thema angesprochen haben.
Kann ich das Ganze so verstehen, daß Sie, die SPD-Fraktion, mit uns gemeinsam dafür eintreten, daß dieser Markt tatsächlich nicht - um den Begriff Ihrer Fraktion zu nehmen - föderalisiert wird, sondern daß wir diesen Markt aus Sicht des Bundes vor allem in der Gesetzgebung gemeinsam vorantreiben, um dafür zu sorgen, daß er als ein Markt zukünftiger Wirtschaftsentwicklung, als ein Standardmarkt der Bundesrepublik Deutschland betrachtet werden kann, d. h. nicht das Ergebnis von Papieren ist, die in den Kaminzimmern der Ministerpräsidenten von Referenten vorbereitet werden?
Herr Kollege Müller, ich weiß, daß die Meinungsbildung innerhalb meiner Fraktion nicht abgeschlossen ist und ich deswegen nicht für die Fraktion sprechen kann. Ich weiß genauso, daß es dort unterschiedliche Strömungen auf Grund der unterschiedlichen Interessenslagen gibt.
Aber ich halte es für notwendig, daß dieses Thema im Zusammenhang mit unserem Gesetzesvorhaben aufgegriffen wird, und möchte das auch noch kurz begründen. Ich teile ohne Zweifel Ihre Meinung, daß, wenn wir diesen Zeitpunkt verschlafen, die
Chancen, an der positiven Entwicklung der multimedialen Kommunikation teilzunehmen, entsprechend geringer werden. Vielmehr werden die Risiken, die damit verbunden sind, eher noch größer. Das können wir uns nicht leisten.
Lassen Sie mich abschließend noch ein kurzes Zitat des Intendanten des Bayerischen Rundfunks, Prof. Dr. Scharf, bringen, der als Intendant an der Landesrundfunkanstalt dazu ausführt - ich werfe ihm das nicht vor; das ist aus seiner Interessenslage wahrscheinlich gar nicht anders möglich -, daß der Föderalismus einen politischen Konsens unterschiedlicher Kräfte erzwinge und daß nicht jede schnellere Entscheidung auch eine gute Entscheidung sei. Deswegen - schließt Herr Scharf -
fallen neue Dienste, auch wenn sie nicht unbedingt als Rundfunk zu qualifizieren sind, in die Regelungszuständigkeit der Länder, soweit es um kulturelle Aspekte geht.
Dann geht alles ganz schön langsam und behäbig. Genau das können wir uns nicht leisten. Ich halte diesen Weg, den Herr Scharf beschreibt, für nicht zukunftsweisend.
Das Ganze sind jetzt etwas schlaglichtartige Betrachtungen zu dem Thema. Ich weiß, daß man sich hierzu etwas umfassender äußern muß. Aber das Prinzip der Langsamkeit auf Multimedia zu übertragen wäre schon etwas kontraproduktiv.
Wir sollten deswegen pragmatisch zusammen mit den Ländern prüfen, welche Form einer bundeseinheitlichen, durch die Lander begleiteten Einrichtung den Belangen eines sich mit rasanter Schnelligkeit entwickelnden Multimedienmarktes gerecht wird. Im Zusammenhang mit dem von uns zu beratenden Telekommunikationsgesetz werden wir, wie behandelt, die Einrichtung einer Regulierungsinstanz beschließen. Ich schlage vor, die Regulierung des Multimediamarktes von dieser Instanz ebenfalls wahrnehmen zu lassen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, jetzt werde ich zu Herrn Kiper gehen, damit wir uns wieder vertragen.
Vielen Dank für den versöhnlichen Abschluß.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir sind damit am Ende der heutigen Sitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Mittwoch, den 6. September 1995, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.