Rede von
Dr.
Christa
Luft
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Vorlage dieses Haushaltsentwurfs für 1996 und der mittelfristigen Finanzplanung kann der Finanzminister - er telefoniert gerade - selbst mit einer Rede, von der er meint, sie habe ihm
Dr. Christa Luft
Vergnügen bereitet, eines, so finde ich, doch nicht mehr kaschieren: Diese seit eineinhalb Jahrzehnten amtierende Bundesregierung begnügt sich offenbar nicht mehr damit, scheibchenweise den Abbau des Sozialstaates weiterzubetreiben, sondern sie hat die Nachkriegssozialordnung aufgekündigt,
und dies zu einem Zeitpunkt, da sie die Abstinenz aufgegeben hat, deutsche Truppen auf militärische Schauplätze des Auslands zu schicken.
Ich finde, das sind zwei sehr, sehr makabre Zäsuren fünf Jahre nach der deutschen Einheit.
So wie man Frieden nicht erbomben lassen kann,
kann man den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht dadurch attraktiver gestalten - Herr Kollege Weng ist leider weg -,
daß man ihn als Standort geistigen, kulturellen, sozialen Lebens für Millionen Menschen immer weniger erlebbar macht.
Wenn dieses präsentierte Zahlenwerk in seinen Grundkonturen unverändert bleibt, dann wird das Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland am Ende dieses Jahrtausends eine andere Gestalt haben, die sich heute viele vermutlich noch nicht vorstellen können.
Ich will überhaupt nicht bezweifeln, daß die Zahl der Vermögenden vermutlich nicht abnehmen wird. Ich will auch nicht bezweifeln, daß die Menschen, die Arbeit haben - erst recht, wenn es sogar zwei in einer Familie sind -, ein auskömmliches Leben führen werden. Sie werden allerdings wenig Muße haben bei dem zunehmenden Streß. Aber daneben gibt es doch noch etwas: Wir werden mit Massenarbeitslosigkeit als Dauerzustand zu rechnen haben. Die These von der Eigentumsbildung durch fleißige Arbeit werden immer mehr Arbeitswillige als Verhöhnung empfinden müssen. Die Schar der Sozialhilfeempfänger wird anschwellen, und sie wird immer jüngere Leute umfassen. Im Ostteil Berlins ist schon heute die Hälfte aller Sozialhilfeempfänger jünger als 25 Jahre. Im Westteil beträgt der Anteil dieser Altersgruppe 42 %. Ich finde, das ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland kein ermutigendes Zeichen.
Ob Sie die Sozialhilfeempfänger, auch die Obdachlosen - beispielsweise an den Bahnhöfen Berlins - damit vergnügen können, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie Ihnen vorlesen, was ausländische Institute oder Zeitungen Lobendes über die deutsche Finanzpolitik schreiben, scheint mir doch sehr fraglich. Sozialhilfeempfänger werden Sie auch kaum
mit der steuerlichen Wohneigentumsförderung erfreuen können. Diese erwarten ganz einfach etwas anderes als diesen haushaltspolitischen Verschnitt. des sozialen Wohnungsbaus und des Wohngeldes.
Es ist eine einzigartige Entwicklung in der deutschen Geschichte der letzten 200 Jahre, daß die Geburtenrate in Ostdeutschland um mehr als die Hälfte zurückgegangen ist. Man wird Leute mit Kinderwagen zumindest in den neuen Ländern in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch viel seltener auf der Straße treffen. Das ist eindeutig eine Folge der Zukunftsunsicherheit, die die jungen Menschen empfinden.
- Das artikulieren sie in jeder Umfrage; das ist keine Erfindung von uns.
Diese Bundesregierung setzt auf eine Dreifaltigkeitspolitik. Sie fußt auf Deregulierung, Flexibilisierung, Privatisierung. Die Zauberkraft haben diese Begriffe aber längst verloren. Ich sage ja gar nicht, daß man in jedem Fall gegen Privatisierung sein muß. Aber wohin Privatisierung tendiert, haben wir kürzlich wieder mit dem Vorstoß der Telekom erlebt, die Gebühren für Telefongespräche an frequentierten Plätzen dieses Landes ohne zusätzliche Leistung erhöhen zu wollen.
Was Deregulierung bringt, zeigt die Ausbildungsplatzsituation. Sie haben nun eine Minute vor zwölf noch die Notbremse gezogen - ich bin über dieses Programm sehr froh; das sage ich ehrlich -, aber daß Sie mit den Nerven der jungen Leute und deren Eltern über viele Monate Schindluder getrieben haben, scheint Sie einfach kalt zu lassen.
Außerdem greift das Hals über Kopf aufgelegte Ausbildungsprogramm immer noch zu kurz. In Berlin suchten kurz vor Beginn des neuen Lehrjahres 7 000 Schulabgänger einen Ausbildungsplatz. Berlin bekommt ganze 1 500 Stellen aus diesem Schnellprogramm ab. Aber für den Einsatz deutscher Soldaten im früheren Jugoslawien haben Sie ganz locker und ganz fix 350 Millionen DM springen lassen. Sie hätten für dieses Geld gut und gerne 6 000 bis 7 000 weitere Lehrstellen finanzieren können.
Für eine aktive Arbeitsmarktpolitik ist in diesem Haushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung kein finanzieller Rahmen erkennbar. Auch der bis Ende des Jahrtausends zumindest in den neuen Bundesländern weiterhin prekären Situation auf dem Gebiet der Ausbildungsplätze wollen Sie offenbar nur mit weiteren Beschwichtigungen und Appellen begegnen; denn eine angemessene haushaltspolitische Vorsorge ist nicht getroffen worden.
Dr. Christa Luft
In den Haushaltsansätzen für Forschung und Bildung ist kein Horizont erkennbar, der für die Jugend ermutigend wäre. Dieser Haushalt dümpelt mit 15,5 Milliarden DM bis zum Ende des Jahrtausends dahin. Er bietet nicht einmal für den Inflationsausgleich der betroffenen personalintensiven Bereiche Raum.
Unsere Hauptforderungen für das Haushaltsjahr 1996 und die Finanzplanung bis 1999 lauten:
Erstens. Eine Änderung der Prioritäten bei den Ausgaben. Ich kann infolge der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung steht, nur Beispiele nennen. Es gibt offensichtlich einen Widerspruch zwischen dem Wort der Regierung und der haushaltspolitischen Tat. Wenn die Bundesrepublik - wie die Regierung ständig betont - seit dem Zerfall des Ostblocks nur noch von Freunden und Partnern umgeben ist und ein Angriff auf ihr Territorium auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist - glücklicherweise -, dann verzichten Sie doch auf die militärischen Beschaffungsprogramme und die Aufstockung des Rüstungsetats. Beides geht nicht zusammen, zu sagen, wir seien nur noch von Freunden und Partnern umgeben und niemand greife uns an, gleichzeitig aber den Rüstungsetat aufzustocken.
Ich sage jetzt nichts zum Jagdflugzeug; dazu ist schon gesprochen worden. Aber wozu gibt es eine Beteiligung am WEU-Spionagesatellitenprojekt und am Aufbau neuer Raketenabwehrsysteme? Nehmen Sie doch die dafür veranschlagten Milliarden als Grundstock für einen Neuansatz in der aktiven Arbeitsmarktpolitik, z. B. für einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, auch wenn er Herrn Weng nicht zusagt. Damit kämen gut ausgebildete Arbeitsuchende in Lohn und Brot, Kommunen würden von Sozialhilfekosten entlastet, es entstünden zusätzliche Kaufkraft und eine Quelle für neues Steueraufkommen. Ist das wirtschaftspolitisch nichts? Obendrein würden bisher brachliegende gesellschaftlich notwendige Aufgaben endlich in Angriff genommen und lokale Ressourcen stärker genutzt sowie regionale Wirtschaftskreisläufe in Gang gebracht.
Wenn die Regierung Weichen für eine ökologische Marktwirtschaft stellen will: Wie verträgt sich z. B. die vorgesehene Kürzung der Ausgaben für die Bahn damit? Wir fordern eine Revision dieses Bundesverkehrswegeplanes mit drastischen Kürzungen bei Straßenbauprojekten zugunsten der Investitionen in die Schiene.
Wenn die Bundesrepublik für die Zukunft fit gemacht werden soll - wie es immer heißt -, dann kann der Etat des sogenannten Zukunftsministeriums nicht über Jahre hinweg gedeckelt werden. In starkem Kontrast dazu steht der schwammige Haushalt der allgemeinen Finanzverwaltung, der von Jahr zu Jahr beträchtlich aufgestockt wird.
Zweitens fordern wir, bisher nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten für ein höheres Steueraufkommen zu nutzen und den Umgang mit öffentlichen Geldern wirtschaftlich zu gestalten. Ringen Sie sich, Herr Bundesfinanzminister, endlich dazu durch, gemeinsam mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus den EU-Ländern die Erhebung einer Steuer auf Devisenumsätze vorzubereiten. Milliarden kämen zusätzlich in die Kasse.
Kapitaltransfer ins Ausland wäre weniger lohnend. Der Lohnkostenvorteil einiger anderer Länder gegenüber der Bundesrepublik würde relativiert, vielleicht kompensiert.
Wenn Sie Bundesvermögen weiter privatisieren, dann verwenden Sie die Erlöse doch für die Schuldentilgung statt für das Stopfen neuer Haushaltslöcher. Legen Sie die Zurückhaltung bei der Besteuerung von Spekulationsgewinnen sowie bei der Besteuerung der Einkommen jener Bevölkerungs- und Berufsgruppen ab, die öffentliche Leistungen in Anspruch nehmen, ohne einen adäquaten Beitrag an die öffentlichen Kassen zu leisten.
Verhindern Sie, daß zur Förderung vorgesehene Millionen von cleveren „Absahnern" in private Taschen gesteckt werden, statt sie dem Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland zugute kommen zu lassen! Bekämpfen Sie Korruption, Bestechung und Wirtschaftskriminalität! Im Sommer konnte man darüber täglich in jeder Zeitung lesen. Fordern Sie z. B. die an Treuhandmanager gezahlten üppigen Prämien für Privatisierungen zurück, die sich als Flop erwiesen haben!
Sorgen Sie dafür, daß mit den Humanressourcen und dem Sachvermögen in Ostdeutschland endlich wirtschaftlich umgegangen wird und nicht mit politischem Vorurteil wie bisher! Lassen Sie uns dem vielstrapazierten Erblastentilgungsfonds endlich einen Erbzuwachsfonds gegenüberstellen, und setzen Sie sich für dessen bestmögliche Nutzung für das vereinigte Land und seine Menschen ein!
Danke schön.