Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haushaltsberatungen sind immer ein Anlaß, zu einer Bestandsaufnahme der Umweltpolitik zu kommen. Die Debatte, so wie sie heute abläuft, dreht sich im Kreise. Im Grunde genommen war das, was wir heute hörten - ich mache das niemandem speziell zum Vorwurf -, etwas, was wir fast in jeder Debatte hören.
Was mich umtreibt, ist jedoch die Frage: Wie kann es sein, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, daß nicht die Bundesregierung und der Bundestag, sondern die Schlauchboote von Greenpeace die Umweltpolitik in Deutschland machen? Das ist der Punkt, der mich umtreibt.
- Lassen Sie uns das gemeinsam diskutieren. Denn ich glaube, daß das nicht die Frage einer Partei ist, sondern eine Frage der Glaubwürdigkeit unserer Politik insgesamt und ihrer Fähigkeit, noch etwas zu bewegen.
Wie kann in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen: Spektakuläre Aktionen, das bringt etwas, wogegen die Mühsal von Reformpolitik kaum noch zählt?
Ich halte es für durchaus notwendig, daß der Bundestag darüber nachdenkt, ob die These von Herrn Virilio, einem französischen Philosophen, stimmt, daß wir eine Blockade von Politik durch die Art der medialen Auseinandersetzung erleben. Da ist aus unserer Sicht viel dran. Virilio stellt die These auf, daß wir in der Welt einen Kampf erleben zwischen der Politi-
Michael Müller
kerklasse und der Medienklasse, und zwar nach dem Motto: Wer macht Politik? Ich halte das für einen wichtigen Punkt gerade für so komplexe Fragen wie Umweltpolitik, die Kontinuität und Berechenbarkeit brauchen.
- Wissen Sie, ich mache seit mehr als 25 Jahren Umweltpolitik. Dann findet man solche Fragen wie die, die Sie eben gestellt haben, eher nebensächlich.
Wie können wir insgesamt als „die Politik" in einer Gesellschaft, die verkrustet und in ihren Strukturen gefangen ist, wirklich etwas bewegen in Richtung auf unser verbal gemeinsames Ziel - bei allen Unterschieden, die wir sonst haben -, nämlich eine dauerhafte, nachhaltige Entwicklung? Die Frage stelle ich mir.
Es ist keine nachhaltige Politik, wenn wir sagen können, wir hätten 3 % Umweltausgaben im Haushalt erreicht, was ich übrigens in Frage stelle. Und es ist auch nicht nachhaltig, wenn die Frau Ministerin gegen größten Widerstand in ihrem Kabinett eine völlig unzureichende Sommersmogverordnung durchsetzen kann und darauf stolz ist. Ich streite gar nicht ab, daß Sie sich sehr bemüht haben. Aber mit dem Sprung in eine dauerhafte Entwicklung hat das doch nichts zu tun.
Was ist dazu zu sagen, wenn wir heute eine Gesellschaft haben, die darauf stolz ist, daß sie z. B. superschnelle Datenautobahnen herstellt, daß sie die letzten Geheimnisse des Gehirns erforschen kann, aber nicht einmal fähig ist, beispielsweise das Notwendige bei Geschwindigkeitsbegrenzungen zu tun?
- Sie winken da ab. Deshalb nur eine Bemerkung: Die Frage der Geschwindigkeitsbegrenzung ist eine kulturelle Frage. Es ist die Frage, ob wir zur Rücksichtnahme fähig sind. Das ist eine ganz zentrale Zukunftsaufgabe.
Meine Grundfrage ist: Was passiert in der Zukunft, wenn wir angesichts der drei großen Herausforderungen, die die Politik in den nächsten Jahren zu bewältigen hat - erstens die völlige Globalisierung der bisher national ausgerichteten Volkswirtschaften, Unternehmen und Branchen, zweitens die Umwälzung des produktiven Sektors mit einerseits gewaltigen Überkapazitäten und andererseits einer geringerwerdenden Anzahl an Arbeitsplätzen und drittens die ökologischen Grenzen -, heute nicht einmal minimale Schritte in Richtung auf eine verträgliche Form von Entwicklungslogik schaffen? Das ist doch das Problem.
Wenn wir diesen Widerspruch nicht auflösen, brauchen wir uns doch nicht zu wundern, wenn die Mehrheit der Bevölkerung sagt: Dann mache ich lieber bei Greenpeace als in den Parlamenten oder bei den Parteien mit; Greenpeace bewegt wenigstens noch etwas.
- Ich finde es schon interessant, daß von der Regierungsbank ständig Bemerkungen gemacht werden. Auch das ist eine Form von Verfall des Parlamentarismus. Aber das nur als Anmerkung.
Es wäre gut, wenn Sie die Auseinandersetzung in der Sache führten und es nicht immer zu solchen vordergründigen Schuldzuweisungen kommen ließen. Wir nehmen die medialen Strukturen, die uns mit politikunfähig machen, auch selbst auf, beispielsweise mit solchen hämischen Bemerkungen, die uns keinen Schritt weiterhelfen.
Mein entscheidender Punkt ,ist: Was müssen wir machen, um wenigstens wieder Schritte in die Politikfähigkeit zu machen - für die Rehabilitation der Ernsthaftigkeit von Politik?
Frau Ministerin, ich will für unsere Seite sagen: Wir bieten zwei wesentliche Punkte an, wo wir versuchen sollten, uns über die Parteigrenzen hinweg zu verständigen, ohne Unterschiede zu verschweigen. Ich finde, daß es in einer Demokratie wichtig ist, Unterschiede auszutragen, weil erst das Austragen von Unterschieden die Voraussetzung dafür ist, sich zu einigen. Die Verschleierung von Unterschieden bringt nichts. Man soll Unterschiede austragen, soll sagen: Das ist der Punkt, an dem wir stehen, und dann versuchen, sich ein Stück gemeinsam in die richtige Richtung zu bewegen, soweit es geht.
Es gibt zwei wichtige Punkte, wo wir dies versuchen sollten. Der erste Punkt: Die ökologische Steuerreform ist keine Kleinigkeit. Oft wird so getan, als ob es nur darum gehe, an zwei Faktoren zu drehen, und alles sei in Ordnung. So einfach ist das Problem der ökologischen Steuerreform nicht.
Die ökologische Steuerreform ist eine historische Notwendigkeit. Sie ist aber auch mit großen Problemen verbunden, weil sie natürlich - das soll ja so sein - mit erheblichen Umverteilungen und Strukturveränderungen verbunden ist. Wir werden diese für die Zukunft unseres Landes so wichtige Entscheidung nur schaffen, wenn wir ein Mindestmaß an Grundkonsens finden. Es wird nicht anders gehen.
Michael Müller
Ich sage von seiten der SPD: Wir treten für die ökologische Steuerreform ein. Wir werden aber auch den Dialog und, wo es geht, Kompromisse mit anderen Parteien suchen. Er wird notwendig sein.
- Jetzt kommen Sie wieder mit Ihrer kleinkarierten Geschichte über die Fehler, die jeder von uns macht. Ich möchte auch nicht wissen, wie viele Widersprüche es bei Ihnen zwischen christlichem Anspruch und alltäglicher Praxis gibt. Das bringt doch nichts.
Wir wollen unserer Verantwortung als Parlament, als Politiker insgesamt gerecht werden.
- Das ist wirklich wahr, völlig richtig: Wer gar nichts macht, der macht keine Fehler.
Wer Verantwortung übernimmt, macht sich immer angreifbar.
Der zweite Punkt, wo wir den Dialog versuchen sollten: Frau Ministerin, Sie haben hier zu Recht angesprochen, daß die beiden großen Solarzellenproduzenten aus Deutschland abgewandert sind. Wir müssen zu einer Verständigung kommen, um die effiziente Solarenergieversorgung stärker zu fördern. Das ist eine Frage, die weit über parteipolitische Auseinandersetzungen hinausgeht und für die Zukunft von herausragender Bedeutung ist.
Wir sollten uns nicht über die Dinosauriertechnologien von gestern streiten. Wir wollen doch ehrlich sein: An der Kernenergie in Deutschland sind vor allem die interessiert, die damit im Ausland Geschäfte machen wollen. Das ist der eigentliche Punkt, der dahintersteckt, und daß man an diesem Punkt die SPD in die Knie zwingen will. Kein EVU denkt daran, in Deutschland ein Atomkraftwerk zu bauen. Im Gegenteil: Die Energieversorgungsunternehmen denken darüber nach, wie sie Kapazitäten stillegen können.
Nein, wir sollten uns auf das verständigen, was wir alle verbal wollen, nämlich Schritte in die Effizienz- und Solarwirtschaft. Das ist für unser Land wichtiger, als die idiotischen Auseinandersetzungen über den Industriestandort Deutschland auch noch an den letzten unwichtigen Punkten zu führen. Führen wir sie an den wichtigen Punkten,
über die zentralen Zukunftsmärkte und damit über die Entscheidungen, die für unsere Kinder und Kindeskinder wichtig sind.
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine große Gemeinschaftsanstrengung: die Ökologisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Sie ist aus meiner Sicht die Frage der Zukunftsverträglichkeit und der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Sie ist nur zu schaffen, wenn sie mit drei wesentlichen Elementen verbunden ist. Erstens geht es darum, mehr Demokratie zu wagen. Ohne mehr Mitbestimmung, ohne mehr Mitbeteiligung, ohne mehr Demokratie werden wir die Bürger für diese große Gemeinschaftsaufgabe nicht motivieren können.
Der zweite wichtige Punkt ist: Wir müssen die Ökologisierung auch als eine soziale Herausforderung begreifen: Wer glaubt, Umweltpolitik könne ohne soziale Dimensionen erfolgreich sein, versteht das Thema nicht. Die Leute haben begriffen, daß wir vor tiefgreifenden Änderungen stehen. Aber sie haben auch Angst vor den Änderungen, weil sie tiefe Einschnitte verlangen. Deshalb müssen wir die soziale Frage des ökologischen Umbaus thematisieren. Wir müssen den Menschen die soziale Sicherheit zurückgeben, damit der ökologische Strukturwandel eine Zukunftschance für uns alle ist.
Ich will drittens sagen: Der ökologische Umbau bedeutet auch eine Übernahme von mehr Verantwortung durch den Staat. Wer meint, er könne ihn nur den Marktprozessen überlassen, wird sich täuschen.
Es war eine der wesentlichen Aussagen Ludwig Erhards bei der Begründung der Sozialen Marktwirtschaft, daß gerade der Staat die Verantwortung zur Überwindung der alten Strukturen übernehmen müsse. Nur so könne es zu einer fortschrittlichen Entwicklung - so Ludwig Erhard - kommen.
Dieselbe Verantwortung brauchen wir heute. Wir brauchen die sozial-ökologische Marktwirtschaft. Das setzt die Schaffung von politischen Rahmenbedingungen voraus.