Rede von
Dr.
Uwe-Jens
Rössel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung verschärft mit dem Haushaltsentwurf 1996 ganz offenkundig ihre Politik dergestalt, die immensen Probleme des Bundeshaushalts zunehmend auf Kosten sozial Schwacher sowie ebenfalls der Städte, Gemeinden und Landkreise lösen zu wollen. Zusehends wird damit auch kommunale Selbstverwaltung ausgehöhlt. Ich erinnere daran, daß die von der Bundesregierung vorgesehene Befristung der allgemeinen Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre erst im Herbst 1993 am Widerstand der Kommunen und Länder sowie der parlamentarischen Opposition in Bonn gescheitert war. Nun versucht die Bundesregierung einen neuen Anlauf, um Risikofälle des Arbeitsmarktes aus der Zuständigkeit des Bundes auszugrenzen und in die überfüllten Flure der städtischen Sozialämter zu verlagern. Das ist ein unvertretbarer Zustand. Bereits heute werden nämlich etwa 18 % der Arbeitslosigkeit durch die kommunalen Sozialhilfeetats finanziert, ganz oder teilweise. Mehr als
Dr. Uwe-Jens Rössel
600 000 Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger sind arbeitslos.
Einen neuen, radikalen Schritt in Richtung dieser unheilvollen Kommunalisierung der Arbeitslosigkeit unternimmt die Bundesregierung durch Einschnitte im Arbeitsförderungsgesetz sowie durch die vollständige Streichung der sogenannten originären Arbeitslosenhilfe. Das ist kein „Nachwaschen", wie es Herr Waigel heute bezeichnete, sondern ein sozialpolitischer Skandal und ein Schlag ins Gesicht der finanziell und vermögensseitig ohnehin arg gebeutelten Städte, Gemeinden und Kreise in der Bundesrepublik. Allein bei Streichung dieser originären Arbeitslosenhilfe würden 1996 mit einem Schlag 38 000 betroffene Menschen zu Sozialhilfeemfängerinnen und Sozialhilfeempfängern gemacht. Das ist untragbar! Daraus würden sich darüber hinaus auch Mehrbelastungen für die Kommunen in Höhe von rund 600 Millionen DM ergeben.
Während die Bundesregierung mit dem Haushalt 1996 einerseits nichts unversucht läßt, die Folgen verfehlter Arbeitsmarktpolitik auf die Kommunen abzuwälzen, unterläßt sie es andererseits seit Jahren, schwelende Probleme der Städte und Gemeinden einer Lösung zuzuführen. Obwohl 80 % der Gesetze des Bundes auf der kommunalen Ebene realisiert werden, dürfen die Kommunen bei Verhandlungen der Bundesregierung über ihre ureigensten Angelegenheiten in der Regel nur am Katzentisch Platz nehmen. Für die Bundesregierung böte sich in diesem Zusammenhang mit dem für den Herbst angekündigten 2. Standortsicherungsgesetz - ein vielversprechender Name - die Chance, den Startschuß für die dringend gebotene umfassende Reform der Kommunalfinanzierung zu geben, und zwar nicht nur als Anhängsel einer Unternehmensteuerreform.
Natürlich sehen auch wir, daß die Länder ihre Probleme zunehmend auf Kosten der Kommunen lösen wollen. Seit 1995 sind die neuen Länder in den Länderfinanzausgleich einbezogen und verfügen nun über Mehreinnahmen in Höhe von rund 13 Milliarden DM per annum. Allerdings gelangt dieses Geld nicht, wie noch beim Fonds Deutsche Einheit, zu 40 % in die Kommunalhaushalte, sondern bleibt in den Ländern zur Sanierung ihrer Haushalte hängen. Nur gut 1 Milliarde DM wurde durchgereicht. Das ist wahrlich ein Armutszeugnis für die ostdeutschen Länder.
Wie ein Damoklesschwert schweben - viele Kollegen haben davon gesprochen - die sogenannten Altschulden auf gesellschaftliche Einrichtungen über insgesamt 1 200 ostdeutschen Kommunen, und das bei deren ohnehin großer Finanznot. Mittlerweile sollen diese Altschulden nahezu 8 Milliarden DM betragen. Die Rechnung aus Bonn mutet in der Tat, wie die „Mitteldeutsche Zeitung" aus Halle jüngst schrieb, grotesk an. Es kommt schon einem Mysterium gleich, nach Lesart der Bundesregierung anzunehmen, daß Ostberlin schuldenfrei sei, während z. B. Halle/Saale 400 Millionen DM an Schulden, teilweise für stark verschlissene Schwimmbäder und ähnliches, aufbringen soll.
Unser Standpunkt ist: Die betreffenden Altschulden sind keine Schulden der Kommunen gegenüber dem Bund im Sinne des bürgerlichen Rechts. Es gibt im übrigen auch keine Kreditverträge. Die Kommunen in der DDR verfügten nämlich kaum über eigene Einnahmen. Kommunale Selbstverwaltung stand leider nicht einmal auf dem Papier. Sie wäre auch mit der Doktrin vom sogenannten demokratischen Zentralismus, der in Wirklichkeit ein bürokratischer Zentralismus war und kommunale Initiativen in der Tat lähmte, unvereinbar gewesen. Die Ausgaben der Städte, Gemeinden und Kreise in der DDR von Belang wurden deshalb fast vollständig durch Zuweisungen aus dem Staatshaushalt bestritten.
Es widerspricht daher jeder Logik, daß solche rechnerischen Verbindlichkeiten, die dem Wesen nach Staatsschulden sind - das ist unsere Position - und vom Bund als Rechtsnachfolger übernommen werden müssen, nunmehr von der Bundesregierung zu tatsächlichen Schulden der Kommunen erklärt werden sollen. Wir stimmen daher mit den kommunalen Spitzenverbänden überein, daß die betreffenden ostdeutschen Städte, Gemeinden und Landkreise diese sogenannten Altschulden unter keinen Umständen anerkennen dürfen. Bereits der kleinste Schritt in diese Richtung könnte für die Kommunen verheerende Folgen haben.
Eine Lösung à la Altschuldenhilfe für kommunale bzw. genossenschaftliche Wohnungen darf ebenfalls nicht in Frage kommen. Damit würde dieses leidige Problem nämlich vor allem auf die Ebene der Bürgerinnen und Bürger verlegt. Und das kann ja wohl, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht die Lösung sein.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.