Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bereits im März bei der Debatte des Bundeshaushalts 1995 die Eckpunkte des Bundespostministers für die Regulierung des Telekommunikationsmarktes diskutiert. Spätestens da ist ihm klargeworden, daß sie so nie im Gesetzblatt stehen werden.
Er hat dann konsequenterweise endlich unserer Forderung Rechnung getragen, interfraktionelle Verhandlungen zu führen, um möglichst rasch zu einer Einigung über diese Rahmenbedingungen zu kommen. Fünf dieser Gespräche haben stattgefunden; das letzte heute nachmittag. Möglicherweise zu Ihrer Überraschung hat die SPD-Verhandlungsdelegation dabei schlüssig und geschlossen argumentiert, während es in der Koalitionsrunde mehr Meinungen als gewählte Mitglieder gab.
Das heißt, die Koalition war auch heute nicht zu einem vernünftigen Abschluß fähig. Die SPD hat deshalb die Verhandlungen unterbrochen, bis die Regierung und die Koalition untereinander einig und damit auch wieder sprach- und verhandlungsfähig
sind. Ich halte das, bei allem Respekt vor dem in diesen Verhandlungen bisher Erreichten, angesichts der Bedeutung des Themas für eine unverantwortliche Schlafmützigkeit,
ebenso wie angesichts eines ehrgeizigen Zeitplans für das Gesetzgebungsverfahren, der nun tendenziell gefährdet ist.
Dabei geht es um einen rasant wachsenden Sektor unserer Volkswirtschaft mit weit überdurchschnittlichem Wachstum von geschätzt 7 % in den nächsten Jahren. Sein Anteil am Bruttosozialprodukt in Europa soll nach den Schätzungen der EU-Kommission schon in fünf Jahren quantitativ gewichtiger sein als selbst der der Automobilindustrie. Sie sehen also, es handelt sich hierbei wirklich um einen Schlüsselsektor.
Es geht aber nicht nur um die quantitative Dimension des einzelnen Sektors. Es geht auch darum, daß sich Information und Kommunikation immer mehr zu unverzichtbaren Grundlagen für die gesamte Volkswirtschaft entwickelt haben, daß sie zu so etwas wie einem vierten Produktionsfaktor geworden sind. Darin stecken Chancen, aber angesichts der Rationaliserungspotentiale natürlich auch Risiken. Wir diskutieren kritisch die Arbeitsplatzentwicklung.
Es muß uns gelingen, hier in Deutschland privates Kapital für Infrastrukturerweiterungen zu mobilisieren, damit Arbeitsplätze in diesem Sektor in unserem Land zu schaffen und andere dadurch zu erhalten, daß wir vernünftige Infrastrukturbedingungen und damit gute .Wettbewerbsbedingungen für die Gesamtwirtschaft bieten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, weshalb wir bei den Verhandlungen Tempo machen müssen, ist der Börsengang der Deutschen Telekom AG.
Denn im Vergleich zu manchem Einzelplan, der in diesen Tagen hier debattiert wird, geht es um gewaltige Beträge. Im zweiten Quartal 1996 sollen in einer ersten Tranche nominal 2,5 Milliarden DM - das entspricht einem ausmachenden Betrag von geplanten 15 Milliarden DM - an die Börse kommen. Die Telekom wird insgesamt von der Börsenkapitalisierung her höher liegen als jedes andere deutsche Unternehmen. Das heißt, es handelt sich um das größte „going public" überhaupt.
Die Deutsche Bank hat in diesem Zusammenhang völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß bei diesem Vorhaben deshalb - ich zitiere - „die internationalen Scheinwerfer auf Deutschland gerichtet" sind. Deshalb müsse alles daran gesetzt werden, daß die Emission reibungslos verlaufe.
Ich befürchte aber, daß, wenn der Bundespostminister und die Koalition weiter herumdilettieren und verzögern, das „going public" zumindest gefährdet ist. Denn die Anleger wollen wissen, in welchem Wettbewerbsrahmen sich ihr Unternehmen zu bewegen hat.
Hans Martin Bury
Diese Unsicherheit ist schlimm für die Telekom AG, sie ist schlimm für ihre Mitarbeiter, denen man ohnehin gewaltige Anpassungsmaßnahmen und einen dramatischen Personalabbau zumutet.
Ich habe zunächst überlegt, ob Sie den erstmals im Haushaltsplan auftauchenden Titel „Zuschüsse an Unternehmen für die Durchführung von Katastrophenschutzübunge'' in diesem Zusammenhang eingestellt haben. Aber Sie haben das gerade anderweitig erläutert.
- Die Situation ist so spaßig nicht. Das geht weit über das Unternehmen hinaus. Der Börsengang der Telekom ist ein Vorhaben, das ein Präzedenzfall für den Finanzplatz Deutschland und für die Zugangsbedingungen deutscher Unternehmen zum internationalen Kapitalmarkt sein wird.
Im Rahmen der Haushaltsdebatte sei zumindest am Rande daran erinnert, daß es noch gewisse Risiken hinsichtlich der Pensionszahlungen der ehemaligen Bundespostunternehmen gibt und daß, wenn die Börsengänge der Unternehmen nicht erfolgreich verlaufen sollten, der Bund diese Risiken abzudecken hat. Wenn sie tatsächlich auf uns zukämen, könnte der Bundesfinanzminister seinen ohnehin wackeligen Haushalt und seine mittelfristige Finanzplanung gleich wegschmeißen.
Wir konnten nachlesen, daß Ihnen Herr Waigel deshalb einen besorgten Brief geschrieben hat. Er hat eine gewisse Wirkung gezeigt, aber ich glaube, er hat nicht ganz gereicht. Die SPD wird dem „Bundesschneckenpostminister" Beine machen.
Wenn es ein Musterbeispiel für die Globalisierung der Märkte gibt - Herr Bötsch, Sie haben darauf hingewiesen -, dann ist es die Telekommunikation. Dann darf man aber konsequenterweise bei der Regulierung nicht klein-klein machen und nicht eine Kommunalisierung der Märkte einführen wollen, die die CDU/CSU und F.D.P. zwar verbal bekämpfen, der sie aber faktisch mit ihrem Modell den Weg ebnen.
Wir müssen vielmehr industriepolitisch dafür sorgen, daß sich die Telekom AG als führender Globalplayer betätigen kann und daneben weitere marktstarke Wettbewerber in Deutschland entstehen können, die international erfolgreich sind, Kapital für Infrastrukturerweiterungen in Deutschland investieren und hier Arbeitsplätze schaffen.
Nicht zuletzt durch die schleppende Behandlung des Themas durch die Bundesregierung und ihre Koalition ist an die Stelle ursprünglicher, teilweise auch überzogener Euphorie jetzt bei potentiellen Investoren nicht nur Ernüchterung, sondern zum Teil sogar Pessimismus getreten. Die SPD will Rahmenbedingungen schaffen, die motivieren. Wir wollen einen Wettbewerb, der sehr rasch allen Kunden und Bevölkerungsgruppen zugute kommt.
Der Postminister selbst hat die Befürchtung geäußert, daß sich die Wettbewerber nur auf Geschäftskunden konzentrieren könnten. Der neue Tarifrahmen der Telekom bestätigt möglicherweise, daß diese Befürchtung nicht völlig unberechtigt ist.
Die Liberalisierung darf aber nicht dazu führen, daß nur einige wenige Großkunden in Ballungsräumen davon profitieren und für die kleinen Kunden und die Familien nachher höhere Tarife gelten. Wir wollen Wettbewerb für alle. Das heißt dann auch: symmetrische Auflagen und eine Verpflichtung, Universaldienst flächendeckend durch alle Anbieter sicherzustellen, und zwar einen dynamischen Universaldienst im Wettbewerb.
Der Regulierungsrahmen des Bundespostministers ist schief und auch unpraktikabel und würde, Herr Bötsch, in der Tat zu einer Mammut-Regulierungsbehörde führen. Ich fürchte, da bauen sich die Beamten, die heute eine Einigung über ein Wettbewerbsmodell verzögern, ihre neue Behörde. Der Postminister läßt sich von denen tatsächlich dazu bringen, sein Haus nicht aufzulösen, sondern nur das Türschild zu wechseln. Wir wären bescheuert, wenn wir das zuließen.
Wir wollen Symmetrie, d. h. gleiche Spielregeln für alle Teilnehmer; denn sie sind die Voraussetzungen für ein faires Spiel. Die SPD hat ein wettbewerbsorientiertes Modell präsentiert. Wir wollen Wettbewerb durch Wettbewerber und nicht durch eine staatliche Behörde sicherstellen. Wir setzen auf Interconnection-Verpflichtungen für alle, d. h. die Zusammenschaltung der Netze aller Marktteilnehmer, weil wir so sehr rasch intensiveren Wettbewerb auch in der Fläche bekommen. Wir werden eine Zerschlagung der deutschen Telekom AG verhindern, setzen aber zugleich auf eine strukturelle Separierung gegenüber Monopolbereichen.
- Nein, wir schaffen Wettbewerb im Telekommunikationsbereich. Es kann aber nicht angehen, daß neue Wettbewerber, die in Monopolbereichen der Energieversorgung Monopolrenditen erwirtschaften, dann ihre Aktivitäten im liberalisierten Telekommunikationsmarkt quersubventionieren.
Deswegen brauchen wir in diesem Bereich eine klare gesellschaftsrechtliche Trennung, Herr Müller. Wir brauchen auch eine getrennte Rechnungslegung bei allen Unternehmen für den lizenzierten Bereich.
Wir setzen auf einen dynamisch definierten, angemessenen Universaldienst im Wettbewerb, weil dieser auch die Voraussetzung für einen erfolgreichen Weg in die Informationsgesellschaft ist. Opas Dampftelefon wird da nicht ausreichen, Herr Minister.
Hans Martin Bury
Die SPD kämpft gegen neue Abgaben, sowohl gegen die vom Bundespostminister geplante Universaldienstleistungsabgabe als auch gegen den Wegezoll, wie ihn die Kommunen fordern. Wir wollen auch keinen Universaldienstleistungsfonds; wir haben schon genug Schattenhaushalte.
Voraussetzung dafür ist allerdings ein Wettbewerbsmodell, nicht das Regulierungsflickwerk des Bundespostministers.
Weil wir an einer raschen Einigung interessiert sind, da die Marktteilnehmer Planungssicherheit brauchen - sowohl die Telekom AG, als auch die anderen, die in den Markt eintreten wollen -, haben wir in den Verhandlungen unsere Kompromißbereitschaft deutlich gemacht.
- Wir haben Sie doch schon im Dezember letzten Jahres zu Verhandlungen aufgefordert. Sie haben Monate gebraucht, bis Sie überhaupt eine eigene Position auch nur in Ansätzen definiert haben. Selbst heute sind Sie sich noch nicht einig.
Nennen Sie uns einmal vernünftige Verhandlungspartner auf Ihrer Seite, die Prokura haben. Dann machen wir heute nacht miteinander den Abschluß.
Wir haben Kompromißbereitschaft bei einer befristeten Asymmetrie zur Marktöffnung signalisiert. Wir haben - auch das hat der Minister angedeutet - Gesprächsbereitschaft bei der Frage der Abgrenzung der Lizenzgebiete gezeigt, weil wir Wettbewerb fördern und nicht behindern wollen. Wettbewerb aber, lieber Kollege Müller, ist kein Selbstzweck. Der Rahmen muß das Entstehen starker Wettbewerber fördern und die flächendeckende Versorgung durch die Telekom und - ich zitiere Art. 87f des Grundgesetzes - „durch andere private Anbieter" sicherstellen.
Das heißt: Wir haben bei der einvernehmlich verabschiedeten Postreform II nicht daran gedacht, daß es möglicherweise in Teilen der Republik weiterhin nur einen Anbieter, die Telekom AG, gibt und sich der Wettbewerb auf Ballungsräume, lukrative Kunden und Nischenmärkte konzentriert. Wir wollten vielmehr von Anfang an sicherstellen, daß alle Kunden die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen Anbietern des Universaldienstes auszuwählen, weil wir so am ehesten zu einem kostengünstigen und qualitativ hochwertigen Angebot kommen würden.
Die Koalition muß deshalb endlich ihre Blockade aufgeben und ihre Verzögerungs- und Hinhaltetaktik beenden. Herr Bötsch, wenn Sie als Postminister das nicht in den Griff kriegen, muß der Kanzler ran. Es geht hier um eine Standortfrage allerersten Ranges.
Wir haben für die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag und die SPD-regierten Länder ein schlüssiges Wettbewerbsmodell vorgelegt. Es ist schon bezeichnend, daß wir ein Wettbewerbsmodell präsentiert haben und der Postminister ein Regulierungsmodell präsentiert hat. Die Überschriften sind in diesem Fall tatsächlich Programm. Wir haben konsensorientiert verhandelt und Einigungsvorschläge unterbreitet. Das ist moderne sozialdemokratische Wirtschaftspolitik. Bei der Regierung herrscht Stillstand. Den zu überwinden genügen jetzt nicht weiter gute Worte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Worte sind genug gewechselt. Wir wollen endlich Taten sehen.