Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Wissmann, Sie versuchen, es zu verschleiern. Herr Kalb drückt es wenigstens „kalbwahr" aus. Es nützt alles nichts: Dieser Verkehrshaushalt, so wie er vorliegt, ist der dreiste und offene Versuch, die alte und bekannte Vorrangpolitik zugunsten der Straße und zu Lasten der Schiene weiter zu zementieren, nichts anderes.
Die Sonntagsreden vom Vorrang für die öffentlichen Verkehrsträger erweisen sich wieder einmal als leere Phrasen.
- Ja, das ist ja das Tragische: Wenn Sie immer die gleiche Politik machen, müssen wir immer die gleiche Kritik anbringen.
Bereits im Juni schrillten im Hause Wissmann die Alarmglocken, als - übrigens wieder einmal durch ein Gutachten des Bundesrechnungshofes - bekannt wurde, daß die bisher gehandelten Zahlen für den immerhin größten Investivhaushalt des Bundes unhaltbare Fiktionen darstellten. Insbesondere die Personalkosten der Bahn AG, für die der Bund ja auch nach der Bahnreform über das Bundeseisenbahnvermögen indirekt noch Verantwortung trägt, werden ab sofort und in den Folgejahren zu erheblich höheren Belastungen des Bundeshaushaltes führen, als noch in den Modellrechnungen von 1993/94 vorgesehen.
Das Ergebnis war - man höre und staune -: Der noch druckfrische Dreijahresplan zum Schienenwegeausbau war schon Makulatur, noch bevor er überhaupt beraten werden konnte.
Nach einigem Hickhack zwischen Waigel und Wissmann haben wir nun einen Etat vorliegen, der zwar auch im Straßenbau eine Kürzung in Höhe von 800 Millionen DM vornimmt, aber der umweltfreundlicheren Bahn satte 2,2 Milliarden DM - das ist ein Viertel des bisherigen Investivvolumens - glatt weggestrichen hat. Das ist ein Genickschlag gegen das Unternehmen Bahn, das man erst auf den Weg zur Privatisierung schickt und dann auf halber Strecke hängenläßt.
Herr Kollege Friedrich, 40 Jahre lang wurde die Bahn, das öffentliche Verkehrsmittel Nummer eins, systematisch benachteiligt.
40 Jahre lang wurden Strecken stillgelegt, hat man Bahnhöfe verfallen lassen und geschlossen, während gleichzeitig bis zum heutigen Tag Autostraßen für Hunderte von Milliarden D-Mark aus öffentlichen Kassen finanziert worden sind. Erst dadurch ist doch überhaupt der Nachholbedarf im Investitionsbereich entstanden. Nun sagt die Regierung, die das über Jahrzehnte mit zu verantworten hat: Jetzt muß die Bahn aber einmal ein bißchen kurzertreten. - Das ist zynisch, das ist verlogen und bedroht den Erfolg der Bahnreform in einer besonders kritischen Phase.
Zur unternehmerischen Verantwortung der Bahn, Herr Kollege Friedrich: Der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG, Heinz Dürr, hat nicht umsonst in der Sitzung des Haushaltsausschusses das Schreckgespenst einer Schrumpfbahn à la USA an die Wand gemalt. Denn das Milliardenloch im Verkehrshaushalt ist nicht der Bahn AG, diesem jungen Unternehmen anzulasten, sondern der verkehrten Finanz- und Verkehrspolitik dieser Regierung. Die richtige Konsequenz kann jetzt auch nicht heißen: Kürzen bei der Bahn. Vielmehr müssen wir vom Straßenbau zugunsten der Schiene umschichten.
Das tut der Umwelt gut und entlastet den Bundeshaushalt.
Wir werden Ihnen in den Beratungen mit zahlreichen Änderungsanträgen ausreichend Gelegenheit geben, sich von einer ganzen Reihe verkehrspolitisch entbehrlicher, ökologisch verheerender und im übrigen sehr kostenexplosiver Straßenprojekte zu verabschieden,
z. B. Ihrem Lieblingskind, der A 20, der A 71 oder der A 73, die durch den Thüringer Wald geführt werden soll, und einigen anderen. Da kommen die Milliarden, die man für die Bahn bräuchte, locker zusammen. Das verspreche ich Ihnen schon heute.
Zugleich sollten, meine ich, die Investitionsmittel bei der Bahn AG sinnvoll eingesetzt werden. Das heißt für uns: nicht das ganze Geld auf zwei oder drei Bolzstrecken zu vergraben, z. B. auf der ICE-Neubautrasse Nürnberg-Erfurt, sondern das Schienen-
Albert Schmidt
netz vor allem in der Fläche auszubauen. Im Nahverkehr sind nämlich mit Abstand die meisten Fahrgäste unterwegs. Dort hat jede Mark, die investiert wird, einen wesentlich höheren Nutzeneffekt als auf einer Superschnellstrecke.
Vor diesen Konsequenzen aus der Finanznot drükken Sie sich herum, Herr Minister, und zwar durch miese Bilanz- und Finanztricks - anders kann ich es nicht nennen -, mit denen Sie das wahre Ausmaß des Desasters verkleistern wollen, z. B. durch den Hinweis, die Bahn könne durch den Verkauf nicht mehr benötigter Grundstücke zusätzliche Milliarden für Investitionen lockermachen. Abgesehen von der illusionären Größenordnung, die hier ins Spiel gebracht wird - im letzten Jahr waren es gerade 105 Millionen DM, die auf diese Weise hereingekommen sind -, ist das geplante Vorgehen schlicht unseriös; denn es soll eine neue Tochtergesellschaft der Bahn AG gegründet werden, die die Immobilien erwerben und das Geld in jährlichen, appetitlichen Milliardenhäppchen, unabhängig vom tatsächlichen Weiterverkauf der Grundstücke, an den Bundesfinanzminister überweisen soll. Das einzige Problem dabei ist: Diese Tochtergesellschaft hat das Geld dafür überhaupt nicht. Was tut sie also? Sie finanziert über Bankkredite vor. Wer bürgt für die Bankkredite? Der Bund. Das ist nichts anderes als eine zusätzliche Staatsverschuldung auf Umwegen.
Der Bundesrechnungshof sagt dazu: Dies wird die langfristigen Finanzierungsprobleme nicht lösen, sondern sogar noch verschärfen.
Lassen Sie mich noch etwas zu dem geplanten bzw. mittelfristig geprüften Verkauf von Bahnbedienstetenwohnungen sagen. Das ist unrealistisch; denn die Bahnmitarbeiter und Bahnmitarbeiterinnen sind wegen des niedrigen Mietenniveaus an dem Kauf überhaupt nicht interessiert. Es ist nicht nur ein Wortbruch gegenüber dem Bundestag - den Beschluß habe ich vorhin bei der Zwischenfrage erwähnt -, es geht auch hier nicht um den Konsens mit den Gewerkschaften, Herr Minister, sondern um den Konsens mit einem mit großer Mehrheit gefaßten Beschluß des Deutschen Bundestages. Den müssen Sie herstellen.
Bei der Erschließung neuer Finanzquellen ist man in der Bundesregierung eben erfinderisch.
Da gibt es z. B. die Privatfinanzierung. Elf der zwölf dafür vorgesehenen Straßenprojekte stehen mittlerweile im Bundeshaushalt. Als dreizehntes kommt die ICE-Neubautrasse München-Ingolstadt-Nürnberg hinzu. Privatfinanzierung von Verkehrswegen hört sich für unvoreingenommen zuhörende Menschen erst einmal ganz interessant an. Aber was steckt dahinter? Das pure Gegenteil: eine gigantische Mehrbelastung.
Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel vorrechnen. Die umstrittene ICE-Neubautrasse Ingolstadt, die durch das Altmühltal führt, soll - so der Kabinettsbeschluß vom 5. Juli dieses Jahres - für 7 Milliarden DM gebaut werden. Sie soll durch ein privates Bankenkonsortium vorfinanziert werden. Das läßt den Bundesfinanzminister zunächst einmal außen vor. Nach Fertigstellung des Baus kommt aber der Hammer; denn dann verpflichtet sich der Bund - deswegen stehen all die schönen Verpflichtungsermächtigungen im Haushalt - diese Strecke über einen Zeitraum von 25 Jahren mit Jahresraten von 622 Millionen DM - das sind zusammen 15,6 Milliarden DM - auf Kosten der Steuerzahler und Steuerzahlerinnen von morgen und übermorgen zurückzukaufen. Das ist Privatfinanzierung, das ist Etikettenschwindel, Herr Wissmann, sonst gar nichts.
Das ist ein fantastisches Geschäft für die Banken - überdies völlig risikolos - und ein Draufzahlgeschäft für uns und unsere Kinder. Das erst kürzlich geborene Baby der Familie Waigel wird, wenn es in 18 Jahren zum erstenmal wird wählen dürfen, an diesen Dingen, die ihm sein Papi damals eingebrockt hat, noch abzahlen müssen. Man darf gespannt sein, wie sich das auf die Wahlergebnisse auswirken wird.
Ich würde nichts sagen, wenn es für etwas Sinnvolles wäre. Aber 16 Milliarden DM für einen relativen Fahrzeitgewinn von 11 Minuten - im Vergleich zum Alternativausbau über Augsburg -, also 1,5 Milliarden DM für jede Minute Fahrzeitgewinn, sind für mich politisch nicht mehr vermittelbar. Das ist nicht mehr rational erklärbar. Da fällt mir nur noch ein: Ihnen scheint es das Wichtigste zu sein, daß wir rechtzeitig vor dem ökologischen Abgrund noch schnell die Höchstgeschwindigkeit erreichen.
Die Geschichte hat noch einen anderen Aspekt. Offensichtlich hat der Bayer Theo Waigel seinem CSU-Spezl Horst Seehofer - Wahlkreis Ingolstadt - ein 16-Milliarden-Geschenk auf Kosten der Steuerzahler und Steuerzahlerinnen gemacht. Ich bin gespannt, wie sich der Rest der Republik das gefallen lassen wird.
Dieses Beispiel soll nicht nur belegen, wie unehrlich der Bundesverkehrshaushalt in diesem Punkt argumentiert. Es soll auch zeigen, wie die Bundesregierung verzichtet, Rahmenbedingungen zu setzen, und wie die Bundesregierung darauf verzichtet, vor allem aus der enormen Kostenbelastung, die der Verkehr verursacht, die Konsequenz zu ziehen und endlich eine Anlastung der externen Kosten im Verkehrsbereich zu suchen, auf deutsch gesagt: über die ökologische Steuerreform, über die Mineralölsteuer.
Statt dessen, Herr Wissmann, preisen Sie landauf landab die Telematik als das Allheilmittel gegen
Albert Schmidt
alles, was Probleme macht: gegen den Stau, gegen das Ozon, gegen den LKW-Verkehr, gegen Fußschweiß und Haarausfall und was weiß ich. Das ist nicht Politik, das ist in meinen Augen Quacksalberei.
Sie verzichten mit der stupiden Selbstverliebtheit eines immer noch gläubigen Technokraten auf politische Gestaltungsmöglichkeiten und überlassen die Politik diesen unbefugten Kuhhändlern, diesen Stoibers, diesen Schröders und den Automobilmanagern, die in irgendwelchen konspirativen Treffs ausmachen, was in der Verkehrspolitik wirklich Sache ist. Sie sitzen dabei oder nicht dabei und gucken zu. So schaut es aus.
Ich komme zum Schluß.