Rede von
Prof. Dr.
Jürgen
Rochlitz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Umwelthaushalt von 1,3 Milliarden DM, gerade einmal 3,5 Promille des Bundeshaushalts - daran werden auch Sie nichts än-
Dr. Jürgen Rochlitz
dern können, Herr Lippold -, ist nicht mehr als ein Mauseloch im großen Gebäude der Bundesfinanzausgaben.
Meine Damen und Herren von der Koalition, selbstverständlich haben Sie recht, wenn Sie Ihre Ministerin aufschreiben lassen, daß weit mehr, nämlich ca. 8 Milliarden DM, in den übrigen Ressorts für Umweltschutz ausgegeben werden. Aber auch das ist allenfalls ein Kaninchengang im Haushaltsgebäude - um bei den Naturbildern zu bleiben.
Der Verweis auf die anderen Ressorts hilft auch beim Jahrhundertthema Klimaschutz nicht im geringsten. Auch dort herrschen Stagnation und Kürzung der Mittel vor, Herr Lippold, wenn z. B. das Fernwärmeprogramm für die neuen Bundesländer auf Null reduziert wird oder die CO2-Minderungsmaßnahmen im Wohnungsbau, die Sie hier angesprochen haben, kurzerhand von beim Klimagipfel angekündigten 200 Millionen DM auf ein Zehntel heruntergefahren werden. Damit haben wir es doch schwarz auf weiß, Herr Lippold, daß die Ankündigungen beim Klimagipfel nur heiße Luft gewesen sind.
Selbst für Sie, Frau Ministerin, ist es zutiefst deprimierend, nicht einmal über eine müde Million Mark verfügen zu können, um Ihre Federführungsaufgabe im Klimaschutz voranzubringen. Nun verteidigt die Ministerin für Umwelt die geringen Summen ihres Haushalts erstmals mit dem Argument des Verursacherprinzips. Die Verantwortlichen für Umweltschäden hätten die Kosten für vorsorgende Vermeidung und für die Beseitigung zu tragen. Entscheidend, so die Ministerin, seien daher nicht die Umweltschutzausgaben des Bundes, sondern die Umweltschutzausgaben der Verursacher.
Wie wahr, Frau Ministerin, aber doch wie falsch, wie abgrundtief falsch, wenn damit gesagt werden soll, der vorgelegte Haushalt sei ein strategischer Haushalt, mit dessen Hilfe die umweltpolitische Zukunft Deutschlands gestaltet würde, und wie falsch, wenn Sie suggerieren wollen, sämtliche Verursacher könnten zu Zahlungen herangezogen werden! Nein, das Gegenteil ist doch der Fall. Die Ministerin verkriecht sich in ihr Umweltmauseloch und läßt die strategischen Entscheidungen zuungunsten der Umwelt und der Zukunft auf den oberen Stockwerken des Haushaltsgebäudes geschehen.
Schlimmer noch - heute haben wir es wieder erfahren -: Sie sollen nach dem Willen der Ministerin in den Chefetagen der Industrie sogar in Form von Selbstverpflichtungen stattfinden. Damit, meine Damen und Herren, betreiben diese Ministerin und die Bundesregierung die Selbstaufgabe jeglicher umweltpolitischen Strategie im zuständigen Ministerium.
Der Umwelthaushalt wie auch die Ausgaben für Umweltschutz in den übrigen Ressorts sind überwiegend Mittel zur Vergangenheitsbewältigung. Frau Merkel, Sie haben uns das heute wieder bestätigt. Als Initiativen führen Sie praktisch nur die mumifizierten Verordnungen Ihres Vorgängers an. Die Zukunft findet nur am Rande statt, wenn noch nicht einmal die Entwicklung eines nachhaltig umweltverträglichen Deutschlands zu einem Etatposten geführt hat.
Leider ist es kein Signal, daß Sie, Frau Merkel, sich bei diesem Thema ganz auf ein bekanntes Institut in Wuppertal verlassen wollen. Ich garantiere, Frau Merkel: Es ist ein strategischer Fehler der Umweltministerin, weder ein Vetorecht noch ein Mitspracherecht bei den Umweltausgaben der anderen Ressorts zu haben und es sich noch nicht einmal erkämpfen zu wollen. So bleibt die Umweltministerin nur das possierliche Tierchen, die bescheidene Maus, neben den Panthern und Tigern am Kabinettstisch ohne die nötige Durchsetzungskraft zur Gestaltung der ökologischen Zukunftsaufgaben.
Solange dies ebensowenig erkannt wird wie die Funktion der gegenwärtigen und vom Ministerium geplanten Ausgaben für Umweltschutz, findet nachhaltige umweltpolitische Zukunftssicherung überhaupt nicht statt. In diesem Umwelthaushalt sind die Ausgaben doch allenfalls zur Minderung der bestehenden oder sich abzeichnenden Schäden und keineswegs zur grundsätzlichen Beseitigung der Schadensursachen gedacht. Denn um dies leisten zu können, müßten endlich auch die ökologischen Schäden bilanziert werden, die von den Haushalten der anderen Ressorts Jahr für Jahr ausgelöst werden - durch Straßenbauwahn, durch Technikfanatismus und mangelnde Einsicht.
Wo, wenn nicht im Umweltministerium, müßte eine Ökobilanz über die positiven und bisher vorwiegend negativen Auswirkungen des Bundeshaushalts erstellt werden? Wenn Sie so wollen: Ein Öko-Audit der Bundesregierung muß her. Dann ließen sich endlich die Komponenten der Bundespolitik ausmachen, bei denen vorsorgender Umweltschutz zur Schadensabwehr dringend vonnöten ist.
Denn, meine Damen und Herren, eine Lektion des nachsorgenden Umweltschutzes sollten wir gelernt haben - auch bei Ihnen in der CDU ist das anscheinend mittlerweile angekommen -: Die Phase der End-of-the-pipe-Umweltpolitik sollte in eine Politik überführt werden, die tatsächlich an die Ursachen herangeht, die sich damit auch endlich in die bundesweite breite Debatte um Ökosteuern und die Ökosteuerreform einklinkt. Eine verantwortbare Umweltpolitik müßte bei dem Bestreben, das Verursacherprinzip in Steuerpraxis umzumünzen, praktisch Vorreiterin sein.
Wozu haben denn Enquete-Kommissionen an den Visionen einer zukunftsgerichteten Umweltpolitik gearbeitet? Wozu haben denn die Umweltweisen der Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben, daß ökonomische Anreize für die ökologische Wahrheit
Dr. Jürgen Rochlitz
der Preise sorgen müssen und daß sie seit der Wiedervereinigung nichts als einen gegenreformatorischen Umweltkurs verfolge, wenn daraus keine Lehren gezogen werden?
Genau betrachtet werden doch bei sehr großzügiger Auslegung und Abschätzung des Umwelthaushalts lediglich 50 Millionen DM für Projekte und Investitionen des integrierten, also wirklich zukunftsträchtigen Umweltschutzes eingesetzt. Ansonsten überwiegt im Bundeshaushalt mit mehr als 90 % der vergangenheitsgerichtete, nachsorgende Umweltschutz.
Um nicht mißverstanden zu werden, sei nochmals darauf hingewiesen: Auch dieser nachsorgende Umweltschutz ist selbstverständlich weiterhin vonnöten, aber nicht nur aus strategischen Gründen wäre es erforderlich, endlich deutliche Signale in Richtung zukunftsweisender Investitionen zu setzen.
Aber gerade das Gegenteil passiert doch, wenn der einzige Solarzellenhersteller in Deutschland durch eine immer mehr vernachlässigte Förderung dieser zukunftsweisenden Technik der Energiegewinnung vergrault wird.
Nur ein Beispiel, meine Damen und Herren: Was nützt uns denn das längst überfällige Bodenschutzgesetz - mit dem übrigens in modifizierter Fassung durchaus eine Zukunftssicherung dieses zentralen Umweltmediums möglich sein könnte -, wenn es nahezu keine Haushaltsansätze zum Bodenschutz gibt? Die veranschlagten 5 Millionen DM sind wohl kaum eine solide Basis. Wie wäre es denn gewesen, wenn die Bundesregierung in einem Anfall visionärer Gestaltungskraft zur Umsetzung ihrer Bodenschutzpolitik haushälterisch bereits ein Bundesamt für Bodenschutz eingeplant hätte?
Hier hätte Umweltpolitik nicht nur symbolischen Stellenwert bekommen, hier hätten Forschung und Praxis der Bodenreinhaltung und -sanierung endlich ein gemeinsames Dach bekommen können, hier hätten die Erstellung eines Bodenkatasters und letztlich eine fachlich begründbare Richtlinienkompetenz installiert werden können. Unsere Fraktion würde sich Bodenschutz jedenfalls effektiv etwas kosten lassen - im Gegensatz zur Bundesregierung.
Es ist wahrlich ein umweltpolitisches Armutszeugnis, wenn ausgerechnet bei den Investitionen zur Verminderung und Vermeidung von Umweltbelastungen der Waigelsche Rasenmäher angesetzt wird: Er führt die Investitionsausgaben von 123 Millionen DM im Jahr 1994 über 92 Millionen DM nun auf 58 Millionen DM zurück, von denen aber nur noch 6,5 Millionen DM für neue Vorhaben zur Verfügung stehen.
Schlimmer noch: Mit solchen kameralistischen Husarenstückchen wird die Schieflage des Haushalts zugunsten atompolitischer Ausgaben noch verstärkt. Bei dieser Ausgabenstruktur mit 50 % der Forschungsmittel für Atom- und Strahlenpolitik und in etwa gleich hohen Kosten für das Umweltbundesamt
und das Bundesamt für Strahlenschutz - sprich: Schutz der Atompolitik von Bundesregierung und Industrie - und schließlich mit einem anhaltend hohen Haushaltsanteil von mindestens 37 % für die Atomenergie rutscht das Umweltministerium immer mehr in die Ecke eines Ministeriums zur Sicherung der Atomindustrie.
Wo zeigt sich die atomindustriefreundliche Haushaltsdominanz deutlicher als an der Haltung des Ministeriums zu den sicherheitstechnisch relevanten Rißbefunden an den Schweißnähten älterer Siedewasserreaktoren! Hier wird in der Tat das Umweltministerium zum Sicherheitsrisiko, denn statt dieses Rißproblem endlich zum Anlaß für Stillegungsverfügungen zu nehmen, sieht das Ministerium auch noch einen äußerst kostenträchtigen Untersuchungsschwerpunkt mit Haushaltsrelevanz.
Von noch weiter reichender Verantwortungslosigkeit zeugt die mit immerhin 4,9 Millionen DM dotierte Untersuchung des Lungenkrebsrisikos durch Radon am Beispiel der Beschäftigten im Uranbergbau Sachsens und Thüringens. Meine Damen und Herren, wir kennen doch die Risiken von Lungenkrebs durch Radon. Statt Risikountersuchungen sind schnellstens Präventionsmaßnahmen gegen die voraussichtlichen Erkrankungen angesagt, wenn nicht sogar Wohnsitzänderungen.
Solche unverantwortlichen haushalts- und umweltpolitischen Eskapaden zeigen doch nur eines - wie es schon mit der Vorlage der als Lachgasverordnung bezeichneten Ozonverordnung geschehen ist -: Die Zukunft eines nachhaltig umweltverträglichen, für unsere Kinder und Enkel umweltbewahrenden Deutschlands wird weniger und weniger bedacht.
Frau Ministerin, nicht nur Ihr Haushalt, sondern auch Ihr „think-tank" für die Umwelt ist dabei auszutrocknen. Es fehlt das Feuchtbiotop zur Entwicklung von Ideen, wie einer Industriegesellschaft die ökologischen Grenzen gezeigt werden, wie eine Wohlstandsgesellschaft in eine ökologische Wohlbefindensgesellschaft überführt wird.
Deswegen unser Rat: Kämpfen Sie endlich einmal für mehr Kompetenz und mehr Möglichkeiten der Ideenfindung, gegen Ihre Kollegen im eigenen Kabinett und schon gar gegen den Finanzminister! Vor allem aber hüten Sie sich vor der Mausefalle der Atomindustrie, auch wenn der Speck noch so gut riecht! Hüten Sie sich aber auch vor den schon aufgestellten Selbstverpflichtungsfallen der übrigen Industrie! Wenn Sie nicht bald umsteuern, entgehen Sie ihnen nicht.
Danke schön.