Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 16, der Haushalt des Bundesumweltministeriums, den wir hier gegenwärtig beraten, macht einmal mehr deutlich, daß die Bundesregierung mit Natur und Umwelt wenig im Sinn hat.
Bis heute hat sie die Chancen einer ökologischen Politik für die Zukunft unseres Landes nicht begriffen. Statt aus dem Umweltministerium eine ressortübergreifende Schaltstelle für eine Politik der nachhaltigen und dauerhaften Entwicklung zu machen, werden seine Möglichkeiten immer weiter beschnitten.
Ich gebe zu, daß die Einführung der Finanzamtslösung beim Kindergeld den Vergleich mit der Entwicklung des Gesamthaushalts schwierig macht. Unbestritten bleibt aber, daß von sehr bescheidenen 1,363 Milliarden DM im Jahre 1995 noch einmal 40 Millionen DM für das nächste Jahr herausgestrichen werden sollen; das sind immerhin 3 % des Einzelplans.
Wenn man noch etwas genauer hinsieht und die Mehrausgaben in dem Bereich, der von den Benutzern der Endlagerstätten für radioaktiven Abfall refinanziert wird, abzieht, stellt man fest, daß der Stammhaushalt des Umweltministeriums sogar um 63,7 Millionen DM und damit um 7,6 % gekürzt worden ist. Das ist das traurige Resultat Ihrer Haushaltsverhandlungen, Frau Ministerin.
Für den Finanzminister wie für die Bundesregierung hat die Umweltpolitik höchstens eine Alibifunktion. Wenn man in den Unterlagen, die die Berichterstatter bekommen, noch etwas weiterblättert, findet man die Zahl 9 Milliarden DM Gesamtausgaben im Bundeshaushalt. Man muß sich die Liste genau ansehen, um zu erkennen, was an Reparaturen von Schäden, die durch die Politik verursacht wurden, aufgenommen worden ist. Wenn man weiterliest, findet man die faszinierende Zahl, in der Bundesrepublik Deutschland - Stand 1993 - seien vom produzierenden Gewerbe und vom Staat für Umweltmaßnahmen 43,8 Milliarden DM ausgegeben worden.
Frau Ministerin, wir hätten gern die Gegenüberstellung - dazu gibt es beim Fraunhofer-Institut entsprechende Zahlen -, welche volkswirtschaftlichen Verluste in den Bereichen Umwelt und Gesundheit durch unsere Produktionsweise jährlich entstehen. Dann hätten wir nämlich eine Zahl in der Größenordnung von 600 Milliarden DM, was fast 20 % des Bruttosozialproduktes ausmachte. Der Ehrlichkeit halber - wenn man diese Zahlen auflistet; wir werden das in Zukunft beantragen - müßten auch solche, wenngleich methodisch möglicherweise noch strittige Zahlen aufgelistet werden. Alles andere ist methodisch auch nicht einwandfrei ermittelt, Ihre Liste mit den 9 Milliarden DM schon überhaupt nicht; da tauchen z. B. Schallschutzmaßnahmen an Truppenübungsplätzen auf. Das ist sicherlich kein Umweltschutz, wie wir ihn uns vorstellen.
Die Bundesumweltministerin müßte in ihrer politischen Rolle gestärkt werden. Aber die Fraktionen der Koalition haben keine Neigung gezeigt, dies zu tun. Der Versuch der Opposition, ihr im Kabinett ein Widerspruchsrecht gegen Beschlüsse der Bundesregierung zu verschaffen, die Auswirkungen auf die Umwelt haben, ist am Widerstand von CDU/CSU und F.D.P. gescheitert. Die traurige Wirklichkeit, Frau Merkel, ist: Nicht einmal auf die Umweltpolitiker Ihrer Fraktion können Sie sich verlassen.
Eine stärkere Berücksichtigung ökologischer Belange in der Politik, so wurde im Ausschuß argumentiert, sei nicht über formalisierte Regelungen, sondern nur über ideelle Zustimmung zu erreichen, was immer das ist. Aber die Praxis der Politik der Bundesregierung und dieser Haushalt zeigen, daß es nicht nur an ideeller Zustimmung, sondern auch an materieller Basis fehlt.
An zwei Haushaltstiteln wird das besonders deutlich, an den Pilotprojekten zur Verminderung von Umweltbelastungen und an den Naturschutzgroßprojekten mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung. Die Pilotprojekte werden von 92,4 Millionen DM um fast 35 Millionen DM gekürzt. Damit werden wegen der Vorbelastungen 1996 für die Bewilligung neuer Vorhaben nur etwa 6,5 Millionen DM zur Verfügung stehen. Das ist sehr viel weniger als Peanuts, wie wir wissen.
Gerade dieses Programm hat eine Anstoß- und Multiplikatorwirkung für Luftreinhaltung, Wasserreinigung, Abfallwirtschaft, Lärmbekämpfung und Bodensanierung. Frau Ministerin, wie wollen Sie ein
Eva Bulling-Schröter
Bodenschutzgesetz - wenn Sie es hätten - umsetzen, wenn Sie vorher nicht Pilotvorhaben gefördert haben, mit denen die Technologien, die dafür maßgeblich sein müssen, entwickelt werden?
Dieses Programm könnte einen wichtigen Beitrag zur ökologischen Modernisierung unserer Wirtschaft leisten. Aber die Bundesregierung läßt dieses Programm auf eine Restgröße verkommen.
Die Mittel für Naturschutzgroßprojekte werden von 40 Millionen DM auf 35 Millionen DM gekürzt. Für 1996 wären rund 47 Millionen DM notwendig, wenn auch sieben neue, gut begründete Projekte in die Förderung aufgenommen werden sollen. Ich sage den Abgeordneten der Regierungskoalition auch gern, wo diese Projekte in Thüringen, Brandenburg und Schleswig-Holstein liegen, damit Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, darauf vorbereitet sind, daß Sie in Ihren Wahlkreisen zu Recht Gegenwind ernten werden, wenn diese Projekte am Ende weggeschnitten werden.
Im übrigen sollte der Bund, der internationale Abkommen zum Ausbau des Naturschutzes wie die FFH-Richtlinie der Europäischen Union und die RioKonvention zur biologischen Vielfalt unterschreibt, einen ausreichenden eigenen Beitrag leisten. Frau Merkel, acht Jahre Ankündigung, das Bundesnaturschutzgesetz werde in novellierter Form vorgelegt, sind nicht ausreichend, um die Länder zu motivieren, ihren notwendigen und verfassungsrechtlich gebotenen Beitrag zu leisten.
Sie dürfen sich nicht wundern, wenn die Länder das bei Ihren falschen Signalen ebenfalls auf die lange Bank schieben.
Der Kollege Kriedner hat in der zweiten Lesung des Haushalts für 1995 stolz darauf verwiesen, die Ausgaben für den Naturschutz würden erhöht; er hat sich zu früh gefreut, er hat damals gesagt, wir würden im nächsten Haushalt gemeinsam darüber reden müssen, ob nicht in der Tat bei den Umweltschutzprojekten und beim Naturschutz die Untergrenze endgültig erreicht sei.
Tatsächlich wird sie in diesem Entwurf unterboten, wird in diesem Entwurf ein neuer Tiefstand erreicht. Ich bin sehr gespannt, Herr Kollege Kriedner, ob Ihrer Ankündigung vom März dieses Jahres bei den Haushaltsberatungen im Ausschuß Taten folgen werden.
Nun wird es eine staunende Öffentlichkeit interessieren, was die Bundesregierung mit dem Geld machen will, das sie beim Umwelt- und Naturschutz einspart. Das Umweltministerium muß nämlich 15 Millionen DM an andere Ressorts abgeben, erstens zur Finanzierung der Kohlesubvention nach dem Wegfall des Kohlepfennigs - diese Regierung hat es nämlich nicht geschafft, den Kohlepfennig durch eine Stromsparsteuer zu ersetzen -, zweitens für die Beteiligung an den Kosten für den Transrapid zwischen Hamburg und Berlin, also für das verkehrspolitisch unsinnigste Prestigeprojekt dieses Jahrzehnts,
und drittens für ein vom Bundeskanzler nach dem Berliner Klimagipfel versprochenes CO2-Minderungs-Programm beim Bundesbauministerium, für das Herr Waigel keine Moneten herausgeben will. Das ist offenbar das magere Resultat der großmundigen Erklärung des Kanzlers auf dem Berliner Klimagipfel. Dabei ist er klimapolitisch im Wort, nachdem er in Berlin verkündet hat, Deutschland werde bis zum Jahre 2005 seinen CO2-Ausstoß um 25 % senken.
Meine Damen und Herren, mit Umschichtungen zwischen den Ressorts allein wird dieses Ziel nicht zu erreichen sein. Dazu brauchen wir schon ein ressortsübergreifendes Klimaschutzprogramm, wie es die SPD Anfang dieses Jahres vorgelegt hat. Ich habe im Ausschuß einen führenden Vertreter der Bundesregierung gefragt, ob das Umweltministerium denn glaube, mit den bisher eingeleiteten Maßnahmen dieses Klimaschutzziel des Bundeskanzlers zu erreichen. Er war ganz mannhaft und hat ja gesagt.
Ich hoffe, daß er dieses Wort nicht eines Tages zurücknehmen muß. Ich bin allerdings sicher, daß das, was die Bundesregierung bisher macht, nicht ausreichen wird, um dieses Klassenziel zu erreichen.
Die Energiegespräche sind gescheitert. Statt über Strategien zur Energieeinsparung und zur Nutzung regenerativer Energien zu reden, wollten Sie uns ein Ja zur Kernenergie abzwingen. Wir hätten gern gemeinsam in Bund, Ländern und Gemeinden einen Anlauf in die Effizienz- und Solarrevolution unternehmen können, um die klimapolitischen Ziele zu erreichen. Das hätte auch zur Entschärfung der Energiedebatte in der Bundesrepublik beitragen können.
Der neuerliche Streit um Gorleben und Morsleben zeigt einmal mehr, daß Sie von der Koalition mit Ihrer Politik auf dem falschen Weg sind. Sie werden es auch mit noch so raffinierten Propagandamethoden nicht schaffen, daß die weitere Nutzung der Kernenergie in Deutschland gesellschaftlich akzeptiert wird.
Sie können uns bis heute nicht sagen, wo denn für die nächsten Jahrtausende die abgebrannten Brennelemente sicher verwahrt werden können. Sie setzen auf Gorleben, dessen Eignung in hohem Maße umstritten ist. Sie sind nicht bereit, alternative Standorte zu untersuchen, obwohl die jüngste Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften auch Gesteinsformationen in Bayern und Sachsen als besonders untersuchungswürdig einstuft. Sie müssen uns vor
Eckart Kuhlwein
allem sagen, wie und wann Sie aus der auch von Ihnen gelegentlich so genannten Übergangstechnologie Atomenergie aussteigen und welche Alternativen Sie selber in welcher Form forcieren wollen.
Frau Merkel, was sollen Ihre Nachfolger eigentlich machen, wenn sich im Jahr 2010 endgültig herausstellt, daß, Gorleben nicht sicher ist? Sollen dann wieder 20 bis 30 Jahre lang neue Formationen untersucht werden, während wir uns in der Zwischenzeit mit immer weiteren Zwischenlagern behelfen? Wollen Sie in Morsleben wie bisher mittelaktiven Abfall aus 15 m Höhe in die Endlagerräume kippen, und dies nur deshalb, weil diese Technik durch die Dauerbetriebsgenehmigung zugelassen ist? Können wir uns nicht vielleicht doch darauf einigen, daß wir unseren Kindern und Kindeskindern mit den hohen Staatsschulden nicht noch immer neue und immer weitere Lebensrisiken hinterlassen wollen?
Der Haushaltsentwurf ist ein Signal für ein stures „Weiter so" nicht nur in der Kernenergiepolitik. Er schafft keine Anreize für die notwendige ökologische Modernisierung der Wirtschaft, er drängt den Naturschutz in die Defensive. Waigel, Wissmann und Rexrodt haben Frau Merkel einmal mehr über den Tisch gezogen. Der Bundeskanzler hat ihr nicht geholfen. Das tut uns leid. Aber auf unseren Beifall müssen Sie auch deshalb verzichten, weil wir nicht einmal den Eindruck gehabt haben, daß Sie sich richtig zur Wehr gesetzt haben.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.