Rede von
Gerhard
Jüttemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Unterschied des Einzelplans 13 zu dem des vorangegangenen Haushaltsjahres liegt vor allem darin, daß wir um ein Jahr dichter an den für viele Menschen verheerenden Auswirkungen dran sind, die Sie mit der Postprivatisierung und deren Gestaltung organisieren.
Allerdings gibt es einen zweiten Unterschied: Zur ersten Lesung des Haushalts 1995 hatten wir noch nicht annähernd so viele Briefe von Betroffenen, die ihre teilweise existentiellen Interessen in der anstehenden Gesetzgebung berücksichtigt sehen wollen. Vielleicht sollten Sie die Ängste an der Basis ernster nehmen.
Von kaum vorstellbaren Personalreduzierungen um 60 000 bis 70 000 und den Wettbewerbsnachteilen, die Minister Boetsch der Telekom auferlegen möchte, schreibt beispielsweise der Betriebsrat der Telekom-Niederlassung Gießen und schlußfolgert:
Bei den derzeitigen Vorstellungen des Ministers befürchten wir einen noch größeren Arbeitsplatzverlust bei der Telekom, so daß eine größere Anzahl von Entlassungen zu erwarten ist.
Der Hauptpersonalrat beim Bundesministerium für Post und Telekommunikation kritisiert, daß es keinerlei Personalkonzepte für die beim BMPT Beschäftigten gibt, dafür aber einen § 107 im Diskussionsentwurf des Telekommunikationsgesetzes, der schon einmal ankündigt, daß nur so viel Personal des BMPT übernommen werden wird, wie in der Regulierungsbehörde benötigt werde. Im Referentenentwurf ist dieser Passus zwar gestrichen worden, aber es bleibt weiter unklar, was mit den überzähligen Leuten nun geschehen soll.
Briefe dieser Art sind ein Zeichen dafür, daß die Zahl der Menschen zunimmt, die Ihre Deregulierungsabsichten durchschauen. Postprivatisierung, damit es für den Kunden immer bequemer und billiger wird, damit Beschäftigung gesichert und die Tore zu einer modernen Informationsgesellschaft weit geöffnet werden - diese Legende wird Ihnen immer weniger abgenommen werden, einfach, weil die Tatsachen, die Sie schaffen, jedenfalls bis heute in allem genau das Gegenteil bewirken: Postämter schließen, weil sie nicht rentabel sind, Massenentlassungen stehen bevor, und die Telekom kündigt „Gebührensenkungen" an, die sich bei näherer Betrachtung als Angriff auf die Grundversorgung darstellen, weil für die weitaus meisten privaten Nutzer die Gebühren gar nicht sinken, sondern explodieren werden.
Aber es stellen sich auch noch andere Fragen, etwa die, warum im Referentenentwurf für das Telekommunikationsgesetz nicht einmal das Einfachste und Wichtigste abgesichert wird, nämlich das Recht des einzelnen auf eine Grundversorgung mit unabhängigen Informationen. Offensichtlich will das BMPT mit seinen Regulierungsvorstellungen nach dem Motto „Wer bezahlt, bestellt auch die Musik" hier genau das Gegenteil absichern: Wer die Netze betreibt, bestimmt auch die Inhalte der Information. Ihr Gesetzentwurf schließt gleichzeitig die hohe
Wahrscheinlichkeit ein, daß in der Gesellschaft eine Schicht entstehen wird, die von den Segnungen der Informationsgesellschaft aus materiellen Gründen völlig ausgeschlossen bleibt und daß die Tarifeinheit schon bald ein Märchen aus uralten Zeiten sein wird.
Abgesichert wird von Ihnen vor allem, daß einige millionenschwere Energieversorgungsmonopole im Verbund mit einigen anderen Konzernen die Filetstücke des Marktes unter sich aufteilen werden. Auf der anderen Seite wird der für die Gesellschaft so außerordentlich wichtige Universaldienst lediglich als ein Mindestangebot von Telekommunikationsleistungen beschrieben, bei dem es sich im wesentlichen um die Basistelefonie handelt. Aber dieser Universaldienst ist genau der Anteil, den Otto Normalverbraucher an der sogenannten Informationsgesellschaft haben wird. Ihre Pläne führen also zu nichts anderem, als die kleinen Leute von den positiven Multimediamöglichkeiten abzuschneiden und im übrigen das Land bezüglich der technischen Möglichkeiten auch regional in Erst-, Zweit- und Drittklassigkeit zu untergliedern.
Ähnlich trübe Aussichten lassen die sehr schwammig formulierten Eckpunkte für einen künftigen Regulierungsrahmen im Postwesen erwarten. Vor allem bleibt nach diesen Eckpunkten völlig offen, wie in Zukunft der Universaldienst zuverlässig und kontinuierlich gewährleistet werden kann, obwohl gerade der Fortbestand dieses Universaldienstes nach dem Grünbuch über die Entwicklung des Binnenmarktes für Postdienste das wichtigste postpolitische Ziel sein sollte. Das BMPT hat sich jedoch nicht einmal die Mühe gemacht, diesen Universaldienst konkret zu definieren.
Das Hauptübel der Entwicklung von Post und Telekommunikation in diesem Lande liegt in den Prämissen der politisch Handelnden. Privatisierung und Deregulierung sind für Sie nicht Mittel, sondern Zweck. Dabei bleiben die Interessen von Kunden und Beschäftigten naturgemäß auf der Strecke.
Eben diese Interessen sind jedoch die Prämissen unserer Politik, und sie werden es auch in Zukunft bleiben.
Danke schön.