Herr Präsident! Ich darf, meine Damen und Herren, die Gelegenheit der heutigen haushaltspolitischen Debatte zu einer zusammenfassenden Würdigung des Jahressteuergesetzes 1996 nutzen und zugleich einen Ausblick auf die vor uns liegenden steuerpolitischen Aufgaben geben.
Zu Recht hat das „Handelsblatt" in den letzten Tagen eine „Sozialdemokratisierung" der Steuerpolitik festgestellt. Das ist richtig und auch gut so.
Ich beginne mit dem Familienleistungsausgleich. Die im Jahressteuergesetz enthaltene Neuregelung ist ein deutlicher Schritt in Richtung auf unser sozialdemokratisches Modell eines einheitlichen Kindergeldes. Noch Anfang des Jahres wollten Sie, Herr Bundesfinanzminister, an dem bisherigen System festhalten und lediglich das Kindergeld ab dem zweiten Kind geringfügig anheben - ein völlig unzureichender und nicht verfassungskonformer Vorschlag.
Auf Grund unseres Drucks und des Drucks der gesamten fachkundigen Öffentlichkeit mußten Sie von Ihrem Vorschlag abrücken. Wenn also ab dem nächsten Jahr für rund 95 % aller Steuerpflichtigen das einheitliche Kindergeld von 200 DM für Erst- und Zweitkinder, von 300 DM für die dritten Kinder und für alle weiteren Kinder von 350 DM wirksam wird, so ist das unserem Druck auf die Bundesregierung und die Koalitionsparteien zu verdanken.
Dr. Barbara Hendricks
Ausschließlich der SPD ist es zu verdanken, daß eine weitere Verbesserung für das erste und zweite Kind schon ab 1997 auf dann 220 DM pro Monat durchgesetzt werden konnte.
Zugegeben: Wir haben uns nicht vollständig durchsetzen können. Ihr Optionsmodell sichert Ihrer speziellen Klientel von 5 % der Steuerzahler im obersten Einkommensbereich auch weiterhin eine höhere Entlastung. Wir halten dies für nicht gerechtfertigt und bedauern im übrigen, daß damit wieder einmal eine große Chance zur Steuervereinfachung vertan wurde.
Neben der deutlichen Entlastung für die Familien haben wir Sozialdemokraten durchgesetzt, daß vor allem die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entlastet werden. Die Geschichte der Steuerfreistellung des Existenzminimums ist allerdings eine unendliche Geschichte der Untätigkeit und des Unvermögens dieses Bundesfinanzministers.
Die ganze Herbst- und Winterspielzeit war beherrscht von der Groteske in drei Akten: „Theos Pleiten, Pech und Pannen" .
Erster Akt: die außertarifliche Grundentlastung. In deren Genuß sollten nur Personen mit einem Einkommen von genau 12 000 DM kommen. Sofort danach sollte der Abbau wieder einsetzen, und schon Personen mit einem Einkommen von 30 000 DM sollten überhaupt keine Entlastung mehr bekommen. Allerdings sollte der gesamte Einkommensteuertarif, also auch für Spitzenverdiener, abgesenkt werden.
Noch am selben Tag haben wir Ihnen nachgewiesen, daß dieser „Buckel-Tarif" dazu geführt hätte, daß in vielen Fällen normalverdienende Ehegatten höher besteuert worden wären als unverheiratet Zusammenlebende oder Geschiedene. Der aus solchen Grotesken wohlbekannte bucklige Narr mußte durch Herrn Waigel von der Bühne genommen werden.
Zweiter Akt: Jetzt versucht Theo es mit einer List. Er will dem Publikum immer noch die außertarifliche Grundentlastung schmackhaft machen, aber jetzt will er die Bezieher von Sozialrenten weitgehend von der Grundentlastung ausnehmen. Der Teil des Publikums, der auf dieser Seite des Hauses sitzt, läßt sich blenden. Der kleinere, aber für den Ausgang des Stückes entscheidende Teil des Publikums erkennt allerdings die darin enthaltenen Manipulationsmöglichkeiten.
Es folgt der dritte und entscheidende Akt: In den Beratungen des Finanzausschusses gelingt es dem fachkundigen Teil des Publikums, die andere Seite zu überzeugen. Theo, der bei seinem doppelten Salto rückwärts auf die Nase gefallen ist, wird von der Bühne getragen.
Der Weg ist frei für eine vernünftige Lösung. Der Grundfreibetrag wird beibehalten und angehoben und das Entlastungsvolumen auf die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen konzentriert. Ein voller Erfolg der SPD!
Zwar konnten wir uns bei der Höhe des Existenzminimums von 13 000 DM jetzt noch nicht durchsetzen, aber immerhin ist diese Entlastungshöhe für 1999 nunmehr festgeschrieben - ein weiterer Erfolg der SPD.
Lassen Sie mich, meine Kolleginnen und Kollegen, noch einige Ausführungen zu dem im Vermittlungsausschuß geleisteten steuerlichen Subventionsabbau in Höhe von 4,6 Milliarden DM machen. In Ihrer Koalitionsvereinbarung, natürlich auch von dem CSU-Vorsitzenden Waigel unterschrieben, heißt es - ich zitiere -:
Die Finanzierung des Steuerkonzepts erfolgt durch wachstumsbedingte Steuermehreinnahmen, Umschichtungen im Steuersystem, vor allem eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, d. h. einen weiteren Abbau von Steuervergünstigungen.
Was aber hatte die Bundesregierung im Jahressteuergesetz vorgesehen? - Fast nichts. Auch hier mußte Ihnen die SPD auf die Sprünge helfen. Und jetzt stellen Sie sich auch noch hin und verkaufen es als Erfolg, daß Sie weitergehenden Subventionsabbau verhindert haben. Sie betreiben damit wieder einmal reine Klientelpolitik. Ihre Koalitionsvereinbarung ist das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben steht.
Übrigens, Herr Hauser: Hören Sie doch auf, steuerlichen Subventionsabbau mit Steuererhöhungen gleichzusetzen! Sie wissen doch, daß das nicht stimmt, wenn Subventionsabbau zugleich dazu benutzt werden soll, an anderer Stelle der Steuersenkung zu dienen.
- Steuerlicher Subventionsabbau, der zugleich an anderer Stelle zur Steuersenkung dient, ist keine Steuererhöhung, sondern ist die berühmte Umschichtung im. System, die wir doch alle wollen, wenn ich nach Ihrer Koalitionsvereinbarung gehe.
Meine Damen und Herren, in den nächsten Wochen und Monaten werden wir uns mit neuen, wichtigen steuerpolitischen Vorhaben beschäftigen. Die von uns seit Jahren geforderte Wohneigentumsförderung unabhängig vom Einkommen ist jetzt endlich auch von der Bundesregierung akzeptiert worden. Damit zeichnet sich ein weiterer Erfolg unserer Steuerpolitik ab.
Dr. Barbara Hendricks
Was die ökologische Steuerreform anbelangt, so liegen unsere Vorschläge auf dem Tisch. In diesem Zusammenhang dürfen wir aber nicht vergessen: Die Sozialabgaben und die in den letzten Jahren ständig gestiegene Belastung durch Lohn- und Einkommensteuer müssen zurückgeführt werden.
Wir wollen den umweltschädlichen Energieverbrauch schrittweise und berechenbar stärker belasten und dafür den Faktor Arbeit entlasten. Zugleich wollen wir ökologisch fragwürdige Steuervergünstigungen abbauen und durch ökologisch vernünftige Regelungen ersetzen. So soll z. B. die Kilometerpauschale durch eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale ersetzt werden. Zugleich wollen wir Umweltschutzinvestitionen fördern und dafür privates Kapital mobilisieren, so wie das ja schon einmal im Zusammenhang mit § 82a EinkommensteuerDurchführungsverordnung der Fall war. Dies ist zugleich eine Schnittstelle zur Unternehmensteuerreform. Die steuerliche Förderung von Unternehmen wollen wir konzentrieren auf die Bereiche Forschung, Ausbildung und Ökologie.
Der gesamte Komplex der Gemeindefinanzreform und Unternehmensteuerreform wurde durch die Bundesregierung nur äußerst bruchstückhaft angegangen. Wir Sozialdemokraten sind bereit, in den verabredeten Gesprächen alle Aspekte vorurteilsfrei zu prüfen, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
Erstens. Die Koalition verzichtet auf die von ihr in ihrem Koalitionsvertrag angekündigte Abschaffung der Gewerbesteuer insgesamt.
Zweitens. Die finanziellen Folgen für Länder und Gemeinden müssen umfassend dargelegt werden.
Drittens. Das Ganze wird in eine Gemeindefinanzreform eingebettet, die nicht aus hektisch geschaffenem Stückwerk bestehen darf.
- Es handelt sich um derart vernünftige Bedingungen, daß selbst Sie, Herr Hauser, ihnen folgen könnten.
Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zu den Einheitswerten bieten einen zusätzlichen Anlaß für eine solche umfassende Reform der Gemeindefinanzen. Für uns ist klar, daß sich dadurch keine Erhöhung der Steuerbelastung insgesamt ergeben darf.
Klar ist aber auch, daß die Besteuerung des Vermögens erhalten bleiben muß. Ich weiß schon, daß der Spruch des Bundesverfassungsgerichts uns sehr enge Grenzen setzt, aber wenn wir den Willen haben, Vermögen auch zukünftig zu besteuern, so werden wir sicherlich gemeinschaftlich eine Lösung finden.
Auch nach der Verabschiedung des Jahressteuergesetzes liegt viel Arbeit vor uns. Das Bundesverfassungsgericht hat bei der Vermögensteuer und Erbschaftsteuer einen sehr engen Zeitrahmen vorgesehen. Ich vermute, daß es deshalb einen engen Zeitrahmen gesetzt hat, weil sich die Bundesregierung bei der Umsetzung von Bundesverfassungsgerichtsurteilen bisher immer viel zuviel Zeit gelassen hat. Das muß anders werden.
Wir brauchen endlich wieder in sich schlüssige, wohldurchdachte Gesetzesinitiativen,
und wir brauchen ein verantwortbares Beratungsverfahren.