Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushaltsentwurf 1996 dieser Bundesregierung ist vor allem durch drei Merkmale gekennzeichnet:
Erstens. Die Ausgaben sollen gegenüber dem Vorjahr sinken. Diese Absicht ist angesichts einer explodierenden Staatsverschuldung und einer nie dagewesenen Steuer- und Abgabenbelastung der Bürger zu begrüßen. Ich würde Ihnen auch gratulieren, Herr Waigel, wenn es denn tatsächlich so wäre. Aber die Absicht, die Ausgaben in diesem Haushalt mögen sinken, steht doch nur auf dem Papier, Denn bei einer ordnungsgemäßen Berücksichtigung der Finanzierungsumstellung des Schienenpersonennahverkehrs liegt tatsächlich ein leichter Anstieg vor. Viel entscheidender ist aber, daß ungelöste Probleme und drohende Risiken, die zu Mehrausgaben führen, einfach nicht benannt werden. Das kann man nicht als solide Haushaltspolitik bezeichnen.
Zweites Merkmal: Der Haushalt steckt mehr denn je in einer Zinsfalle. Der Bund muß mit 95 Milliarden DM Zinszahlungen jede vierte Steuermark nur für Zinsen ausgeben.
Hier rächt sich, daß die Bundesregierung mit ihrer maßlosen Schuldenpolitik den politischen Handlungsspielraum zu Lasten unseres Gemeinwesens eingeengt hat.
Drittes Merkmal: Der Bundesfinanzminister sagt, er spare an allen Ecken und Enden. Das ist nun wirklich unzutreffend. Diese Bundesregierung kürzt zwar die Mittel für die Schaffung neuer Arbeitsplätze, für Investitionen und für den Umweltschutz; gleichzeitig erhöht sie aber die Mittel für den Verteidigungshaushalt und die Kernenergie. Wer so handelt, der setzt die Schwerpunkte falsch, der schwächt den Wirtschaftsstandort Deutschland und gefährdet die Zukunft unserer Kinder, meine Damen und Herren.
Zum ersten Punkt, In Ihrem Haushaltsentwurf rechnen Sie sich reich und klammern offensichtlich bestehende Risiken aus:
Erstens. Die angebliche Einsparung bei der Arbeitslosenhilfe in Höhe von 3,4 Milliarden DM steht doch nur auf dem Papier; denn es handelt sich nicht um Sparen, sondern um einen Verschiebebahnhof in Richtung Sozialhilfe zu Lasten der Gemeinden.
Deswegen bekommen Sie dafür keine Mehrheit. Das gleiche haben Sie doch schon einmal, vor einem Jahr, versucht. Damals hat Graf Lambsdorff zu Recht gesagt: Da könnte man gleich einen Lottogewinn in den Haushalt einstellen. - So ist es auch in diesem Jahr: Luftbuchungen bringen leider kein Geld.
Zweitens. Da die Arbeitslosigkeit leider viel weniger zurückgeht als erhofft, droht bei der Bundesanstalt für Arbeit ein Deckungsloch von drei bis fünf Milliarden DM, für die der Bund nach dem Gesetz einzustehen hat. Sich hier mit geschönten Arbeitslosenzahlen reichzurechnen hilft weder den Arbeitslosen noch dem Bundeshaushalt.
Drittens. Sie haben seit 1990 das Wohngeld nicht erhöht, obwohl Sie ununterbrochen das Gegenteil versprochen haben. Glauben Sie denn ernsthaft, daß Sie angesichts dieser Versprechungen ohne Erhöhung des Wohngeldes über das Jahr 1996 kommen?
Viertens. Beim Asylkompromiß haben Sie zugesagt - ich habe das gut in Erinnerung -, daß sich der. Bund an den Kosten der Bürgerkriegsflüchtlinge beteiligt und die Finanzierung nicht nur - was ungerecht ist - Ländern und Gemeinden überläßt. Wollen Sie 1996
Ingrid Matthäus-Maier
Ihr Versprechen gegenüber Ländern und Gemeinden wieder nicht einlösen?
Fünftens. Das Problem der Altschulden der ostdeutschen Städte und Gemeinden in Höhe von etwa 8 Milliarden DM, die noch zu DDR-Zeiten den Gemeinden für gemeinschaftliche Einrichtungen aufgedrückt wurden, kann man sicher nicht lösen, indem man dem Bund alle diese Schulden zuschiebt. Da sind wir uns einig. Aber umgekehrt ist es völlig sinnlos, daß der Bund auf stur schaltet und keinerlei Kompromißbereitschaft zeigt. Diese Blockadehaltung muß überwunden werden. Es ist doch klar, daß bei einem notwendigen Kompromiß auch eine Bundesbeteiligung herauskommt. Dann sagen Sie das und schreiben Sie das in Ihren Haushalt!
Ein Bundesfinanzminister, der alle diese milliardenschweren Risiken kennt, aber im Bundeshaushalt einfach nicht berücksichtigt - nach dem Motto: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen und erst recht nichts aufschreiben - und dann hier behauptet, das Volumen des Haushaltes sinke 1996, handelt wirklich unseriös, wie wir alle sehen.
Ich frage Sie, Herr Waigel: Wollen Sie es bei den Altschulden der ostdeutschen Gemeinden wirklich wieder dem Verfassungsgericht überlassen, wie entschieden wird? Das kann doch wohl nicht sein. In unserem Lande überläßt die Politik meiner Ansicht nach ohnehin schon genug Probleme den Gerichten, statt sie selber politisch zu lösen.
Speziell dieser Bundesfinanzminister wird immer erst dann aktiv, wenn das Bundesverfassungsgericht ihn dazu zwingt. Reicht es Ihnen nicht, daß Sie praktisch in jedem Jahr Ihrer Amtszeit eine schwere Schlappe vor dem Bundesverfassungsgericht hinnehmen mußten?
Verfassungswidrigkeit des steuerlichen Existenzminimums, Verfassungswidrigkeit des Familienlastenausgleichs, Verfassungswidrigkeit der Zinsbesteuerung, Verfassungswidrigkeit der Besteuerung nach Einheitswerten: Stört es Sie eigentlich nicht, daß aus diesem Grunde Jahr für Jahr Millionen von Steuerbescheiden nur unter Vorbehalt erteilt werden?
Nein, Herr Bundesfinanzminister, wir fordern Sie auf: Lösen Sie die Probleme politisch und überlassen Sie sie nicht den Gerichten!
Da wir schon beim Thema Bundesverfassungsgericht sind - Sie haben das Kruzifix-Urteil erwähnt -, spreche ich Sie als CSU-Vorsitzenden an. Ich rate Ihnen an, dafür zu sorgen, daß in Zukunft nicht mehr solch geradezu üblen Angriffe aus den Reihen Ihrer Partei auf das Bundesverfassungsgericht erfolgen, nur weil Ihnen ein Urteilsspruch nicht paßt.
Vor wenigen Wochen haben wir miterlebt, wie Konservative mit dem höchsten deutschen Gericht umgehen, wenn ihnen das Ergebnis nicht gefällt. Ich erinnere mich z. B. an die Entscheidung zum § 218 vor einigen Jahren und daran, wie Sie mit Frauen umgesprungen sind, die das Urteil kritisiert haben.
Ich sage Ihnen: Wenn Frauen in der Vergangenheit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Abtreibungsparagraphen auch nur ansatzweise so maßlos kritisiert hätten wie Sie das Kruzifix-Urteil, hätten Sie sie überhaupt nicht mehr in den öffentlichen Dienst hineingelassen.
Zwei Ihrer verfassungswidrigen Gesetze haben wir gerade mit dem Jahressteuergesetz 1996 korrigiert: das steuerfreie Existenzminimum und den Familienlastenausgleich. Was wir im Sommer im Vermittlungsausschuß vereinbart haben, ist ein klassischer Kompromiß. Keine Seite konnte ihre Ziele voll durchsetzen.
- Macht nichts.
Ich freue mich darüber, Herr Waigel, daß Sie hier mehrere Punkte lobend erwähnen: höheres Kindergeld und höheres steuerfreies Existenzminimum. Ich muß aber schmunzeln, wenn Sie gerade diese Punkte besonders hervorheben. Denn das waren diejenigen Punkte, die Sie in der Vergangenheit mit Vehemenz bekämpft haben.
Daß jeder Fachmann weiß, daß wir Sozialdemokraten uns in diesen Punkten durchgesetzt haben,
sehen Sie daran, daß das „Handelsblatt" von der „Sozialdemokratisierung der Steuerpolitik der Koalition" spricht. Einen besseren Beweis gibt es gar nicht.
Ingrid Matthäus-Maier
Wir haben uns vor allen Dingen in drei Punkten durchgesetzt. Beispiel Nummer eins: Das steuerfreie Existenzminimum wird nicht, wie von Ihnen vorgesehen, nur auf knapp über 12 000 DM erhöht, sondern in einer zeitlichen Stufenfolge auf 13 000 DM.
Daß dies erst 1999 geschieht, betrübt uns. Uns ist vorhin natürlich aufgefallen, als Sie die Jahreszahlen nannten, daß Sie mit großem Geschick zwar die Jahre 1996, 1997 und 1999 genannt, aber 1998 ganz elegant umschifft haben. Denn hier liegt das Problem. Wir konnten gegen Ihren erbitterten Widerstand leider nicht durchsetzen, daß auch 1998 eine Anhebung erfolgt.
Deshalb ist das, was wir vereinbart haben, zwar ein Erfolg, bewegt sich aber am unteren Rand des rechtlich Zulässigen und politisch Wünschenswerten. Leider haben Sie mit Ihrem erbitterten Widerstand etwas Zusätzliches verhindert, meine Damen und Herren.
Zweitens: die Erhöhung des Kindergeldes. Sie denken, die Leute sind über die Monate vergeßlich. Das ist leider so. Aber Ihr Vorschlag noch vom Februar war doch folgender: Beim Erstkindergeld, das 70 DM betrug, wird überhaupt nichts daraufgelegt, beim Zweitkindergeld 20 DM.
Jetzt ist es uns Sozialdemokraten gelungen - darauf bin ich stolz -, eine Anhebung des Kindergeldes vom ersten Kind an auf 200 DM, ab 1997 sogar auf 220 DM durchzusetzen.
Das ist ein beachtlicher erster Schritt für die Familien mit Kindern. Aber wir werden nicht lockerlassen: Unser Ziel bleiben die 250 DM, meine Damen und Herren.
Bei der Debatte um die 250 DM Kindergeld, die ja unser Ziel sind, ist mir eine besonders unfaire Methode der Diskussion bei Ihnen aufgefallen. Es ist nämlich anscheinend Mode geworden, jemandem, der einen Vorschlag einschließlich Finanzierung macht, wahrheitswidrig vorzuwerfen, das Ganze sei nicht finanzierbar, nur weil man das Finanzierungsinstrument ablehnt. Was meine ich mit diesem etwas komplizierten Satz? Wir haben 250 DM vorgeschlagen, finanziert durch eine maßvolle Begrenzung des Ehegattensplittings.
Bis heute können wir nicht verstehen, daß die bloße Heirat für Spitzenverdiener
- das sind Leute oberhalb von 240 000 DM im Jahr - eine Steuerentlastung von 22 842 DM bringt, auch wenn in der Ehe kein Kind vorhanden ist.
Wir haben zu Recht auch immer die Kirchen angeführt, die sagen gleichzeitig würden Kinder in vielen Familien immer mehr ein Armutsrisiko.
Gegen diese wirklich maßvolle Reform des Splittings, die aus den Gesamtkosten des Splittings in Höhe von 30 Milliarden DM 5 Milliarden DM also wirklich maßvoll - zugunsten der Familien mit Kin-dem umgeschichtet hätte, haben Sie sich mit Händen und Füßen gewehrt. Aber dann sagen Sie doch bitte deutlich, daß Sie aus ideologischen Gründen an der Privilegierung der bloßen Ehe festhalten und daß Sie aus ideologischen Gründen deswegen auch die 250 DM nicht wollen. Die haben Sie verhindert.
Diese Verantwortung bleibt an Ihnen hängen, meine Damen und Herren.
Die Ergebnisse des Jahressteuergesetzes bedeuten vor allem für untere und mittlere Einkommen eine deutliche Entlastung. Nur zwei Beispiele: 1996 wird ein Verheirateter mit zwei Kindern und einem Bruttojahreseinkommen von 60 000 DM um 2 340 DM entlastet. Das sind immerhin netto Monat für Monat 195 DM. Im Jahre 1997 wird er sogar insgesamt um 2 950 DM entlastet. Oder nehmen Sie eine Alleinerziehende mit einem Kind und einem Bruttojahreseinkommen von 36 000 DM! Sie wird Monat für Monat um immerhin 119 DM entlastet, im Jahr also um insgesamt 1 428 DM. Und für diese Steuerzahlerin steigt die Entlastung 1997 auf 1 730 DM.
Nachdem die Steuer- und Abgabenbelastung der Bürgerinnen und Bürger unter dieser Bundesregierung in einer Weise in die Höhe geschnellt ist, wie es sie seit 45 Jahren in dieser Republik noch nicht gegeben hat, empfinden wir Sozialdemokraten große Genugtuung darüber, daß wir Sie dazu gezwungen haben, meine Damen und Herren.
Im Vermittlungsausschuß ist auch ein notwendiger Einstieg in den steuerlichen Subventionsabbau gelungen. Aus unserer Sicht ist dabei ein besonderer Erfolg, daß wir diese Bundesregierung endlich dahin gebracht haben, mit uns zusammen die steuerliche
Ingrid Matthäus-Maier
Absetzbarkeit von Schmiergeldern im Inland abzuschaffen,
ein erster Schritt zwar nur, aber eben ein Schritt in die richtige Richtung! Wie lange hat es gedauert, wie oft habe ich hier im Deutschen Bundestag dafür gesprochen, das abzuschaffen, und habe von Ihnen Spott und Häme geerntet!
Dabei sah doch jeder, daß das Rechtsbewußtsein der Menschen untergraben wird, wenn das Bestechen von Beamten und das Schmieren von Geschäftsleuten auch noch steuerlich honoriert wird, meine Damen und Herren.
Aus Anlaß dieses Punktes frage ich Sie einmal ganz ernsthaft: Warum lehnen Sie eigentlich immer wieder vernünftige Vorschläge nur deswegen ab, weil sie von der SPD kommen? Statt diese Vorschläge unvoreingenommen zu prüfen, rufen Sie immer erst einmal nein, um dann diese Vorschläge, zum Teil mit jahrelanger Verzögerung, teilweise oder ganz zu übernehmen. Das war bei diesem Beispiel der steuerlichen Absetzbarkeit von Schmiergeldern so. Das war beim einheitlichen Kindergeld so. Das ist bei der Eigenheimzulage, die Sie gerade erwähnt haben, so, also bei der Umstellung für die Eigenheimbauer, wo Sie in diesen Tagen unserem Modell weitgehend folgen.
Das war beim Schnellen Brüter so. Von Ihnen kam immer: nein, nein, nein - und heute ist der Schnelle Brüter doch dicht. Das war auch bei Wackersdorf so. Als wir forderten: zumachen!, haben Sie gesagt: nein, nein, nein. Wackersdorf ist dichtgemacht. Ich verhehle nicht: Ich hoffe, daß Sie auch noch beim Jäger 90 einsichtig werden, meine Damen und Herren.
Da ich weiß, daß bei diesem Wort beim Bundesfinanzminister immer die Klappe fällt, frage ich Sie sehr ernsthaft - denn wir wissen alle, daß wir bei dem zunehmenden Flugverkehr Flugzeuge brauchen, die wesentlich weniger Energie benötigen, Flugzeuge, die sehr viel leiser sind; fast jeder kennt já aus seinem Wahlkreis das Problem des Fluglärms -: Wäre es da nicht besser, statt zweistellige Milliardensummen in ein neues Jagdflugzeug zu stecken, einen Teil davon in Arbeitsplätze in Firmen der Forschung und Technologie zu geben, um ein Ökoflugzeug zu entwickeln und damit die Menschen und die Umwelt zu entlasten?
Übrigens: In dem Subventionsabbaupaket des Jahressteuergesetzes gibt es natürlich auch Maßnahmen, die die Menschen hart treffen, insbesondere
wenn man sich an die Subventionen gewöhnt hat. Aber ich sage Ihnen: Die Bareis-Kommission hatte von uns Politikern noch sehr viel härtere Maßnahmen erwartet und kritisiert uns für unseren mangelnden Mut. Insofern ist das Beschlossene schmerzhaft, aber unvermeidlich, um die Staatsschulden nicht noch weiter in die Höhe zu treiben.
Beim Subventionsabbau hat übrigens die F.D.P. eine unrühmliche Bremserrolle gespielt.
Meine Damen und Herren, die Wochenzeitung „Die Zeit" schreibt am 4. August 1995 nach Abschluß der Beratungen so treffend:
Dienern vor der Klientel - Alle Tiere sind gleich. Nur einige sind gleicher. Auf die Finanzpolitik übertragen: Alle Bürger müssen auf Subventionen verzichten. Nur die Klientel der F.D.P. muß verschont werden. Damit ist auf die Dauer kein Staat zu machen.
So schreibt „Die Zeit".
Ich sage Ihnen, meine Meine Damen und Herren von der F.D.P.: Wenn Sie es in den nächsten Wochen und Monaten wagen sollten, hier im Deutschen Bundestag das Wort „Subventionsabbau" noch einmal in den Mund zu nehmen, dann wundern Sie sich nicht, daß wir alle in herzhaftes Gelächter ausbrechen.
Weiterer Subventionsabbau wäre auch nötig, um den Staat finanziell wieder handlungsfähig zu machen. Der Haushalt 1996 zeigt nämlich deutlicher als je zuvor: Die Bundesfinanzen befinden sich in einer Schulden- und damit jetzt in einer Zinsfalle. Allein 1996 beträgt die Zinslast 95 Milliarden DM. Das mache man sich einmal klar. Herr Waigel muß für Zinsen ohne einen Pfennig Tilgung dreiundsiebzigmal soviel Geld wie für den Umwelthaushalt ausgeben. Das ist für uns alle wirklich niederschmetternd und zeigt, wohin uns diese Bundesregierung mit ihrer Schuldenpolitik getrieben hat.
Manche meinen: Wenn ich etwas über Schulden finanziere, dann kostet mich das so recht gar nichts, weil ich es ja nicht direkt bezahlen muß. Nein, wir wissen, wenn ich etwas über Schulden finanziere, muß ich es schon nach kürzester Zeit zwei-, drei-, viermal bezahlen: einmal Tilgung, mehrfach Zinsen.
Rund 21 %, ein Fünftel des gesamten Bundeshaushalts, geben wir 1996 für Zinsen aus. Wenn man die gesamten Steuereinnahemn des Bundes in ein Verhältnis zu diesen 95 Milliarden DM Zinsausgaben setzt, dann braucht der Bundesfinanzminister ein Viertel der gesamten ihm zustehenden Steuern, um überhaupt die Zinsausgaben bedienen zu können.
Ingrid Matthäus-Maier
Ich darf daran erinnern, daß eine Zinssteuerquote - so nennt man das technisch - in eben dieser Größenordnung dem Bundesverfassungsgericht 1992 ausgereicht hat, den Ländern Bremen und Saarland die sogenannte Haushaltsnotlage zu bescheinigen. Nach der mittelfristigen Finanzplanung, die wir heute auch diskutieren, wird diese Zahl bis 1999 noch auf über 108 Milliarden DM ansteigen.
Herr Waigel, Sie sagen an dieser Stelle immer wieder, dies läge an der deutschen Einheit. Jeder weiß, auch wir Sozialdemokraten hätten für dieses große Ziel Aufbau Ost mehr Geld aufnehmen müssen und aufgenommen. Das ist auch gerechtfertigt. Dies durfte aber doch kein Freibrief für eine solch unbegrenzte Staatsverschuldung sein, unter deren Folgen wir jetzt ächzen.
Wir Sozialdemokraten haben sehr früh, ab Winter 1989 und Sommer 1990, eine solide Finanzierung der Einheit von Ihnen eingefordert. Sie haben statt dessen den Menschen über Monate vorgegaukelt, die deutsche Einheit sei quasi aus der Portokasse zu bezahlen. Damals haben Sie die Weichenstellung für eine solide Finanzierung verpaßt, weil Sie den Menschen nicht die Wahrheit sagen wollten.
Ich will noch etwas dazu sagen - das hat mich auch menschlich tief betroffen -: Unsere Warnungen vor den hohen Kosten und den hohen Staatsschulden sowie unser Eintreten für eine solide Finanzierung der Einheit haben Sie sogar noch dazu mißbraucht, uns eine angebliche Gegnerschaft gegen die deutsche Einheit vorzuwerfen.
Sie haben gesagt, das seien alles Horrorzahlen.
Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen. Als ich vor einigen Jahren hier im Bundestag sagte, in 1995 marschierten alle Staatsschulden der öffentlichen Hand über die 2-Billionen-DM-Grenze, haben Sie hier gestanden und gesagt: Horror, Horror, Horror. Was ist geschehen? In 1995 überschreiten die öffentlichen Schulden die 2-Billionen-DM-Grenze. Die Wirklichkeit war bei Ihnen nämlich immer schlimmer als der angeblich von uns vorgeführte Horror.
Deswegen fordere ich Sie auf: Seien Sie doch wenigstens jetzt ehrlich. Die Debatte um die Dauer des Solidaritätszuschlages gibt Ihnen dazu Gelegenheit. Denn die Diskussion, die hier geführt wird, ist zutiefst unehrlich. Auf zehn Jahre - wie Herr Ost von der CDU sagte - will ich mich nicht festlegen. Das erscheint mir zu lang. Aber daß wir den Solidaritätszuschlag noch jahrelang brauchen, nicht nur um den Aufbau Ost zu finanzieren, sondern auch um den enormen Schuldenberg zu reduzieren, den Sie durch die Finanzierung der Einheit auf Pump aufgehäuft haben, scheint mir doch offensichtlich. Wenn einige Politiker aus Ihren Reihen jetzt davon sprechen, den
Solidaritätszuschlag 1997 oder 1998 abzubauen, dann fällt das schon wieder in die Kategorie Wählertäuschung. Es wäre wichtig, daß der Kanzler hier ein klärendes Wort sagt.
Übrigens, welch enormes Schuldenrad wir hier in diesem Lande drehen, sehen Sie an der Bruttokreditaufnahme. Wir reden im Bundestag meistens über die Nettokreditaufnahme, d. h. die Nettoverschuldung, die 1996 knapp unter 60 Milliarden DM bleiben soll. Tatsächlich nimmt der Bund aber 1996 sehr viel höhere Schulden auf, insgesamt 224 Milliarden DM. Das ist die sogenannte Bruttokreditaufnahme. Davon braucht er 164 Milliarden DM, um alte Schulden abzulösen, und 60 Milliarden DM Schulden braucht er, um den Haushalt 1996 zu finanzieren.
Herr Waigel nimmt also in 1996 jeden Tag 614 Millionen DM Schulden auf, Tag für Tag. Von diesen täglich 614 Millionen DM Schulden braucht er jeden Tag allein 450 Millionen DM Schulden zu einem einzigen Zweck, nämlich um alte Schulden durch neue zu ersetzen. Die restlichen 164 Millionen DM braucht er dann, um seinen unausgeglichenen Haushalt zu finanzieren.
Daß dies nicht nur ein Problem auf dem Papier ist, sondern in zweierlei Hinsicht ein Problem, unter dem wir alle leiden, will ich an zwei Beispielen zeigen. Erstens: Diese Zinsausgaben des Bundes beinhalten ein großes Risiko. Zur Zeit profitiert der Bundesfinanzminister davon, daß die Zinsen für neue Kredite sinken. Das kann aber auch einmal umgekehrt sein.
Wenn das Zinsniveau auch nur um einen Prozentpunkt steigt, werden die Zinsausgaben des Bundes explodieren, allein in den darauffolgenden drei Jahren um 6 Milliarden DM.
Was ist noch so schlimm an diesem enormen Schuldenrad? Eine solche Staatsverschuldung führt immer zugleich zu einer enormen Umverteilung von unten nach oben. Das hat Herr Blüm einmal zu Recht beklagt. 95 Milliarden DM Zinsen in einem Jahr, das sind 1200 DM pro Kopf der Bevölkerung, die von den Steuerzahlern in die Taschen der Vermögensbesitzer wandern,
nämlich in die Taschen der Vermögensbesitzer, die Staatsanleihen halten. Das ist in der überwiegenden Mehrheit doch nicht die einfache Bevölkerung in diesem Lande.
Wenn man außerdem noch berücksichtigt, daß in diesem Lande im Zusammenhang mit der Zinsbesteuerung die Scheunentore für die Steuerhinterziehung nach Luxemburg durch diese Bundesregierung weit geöffnet worden sind - schauen Sie sich an, was in diesen Tagen in der Zeitung steht -, kann ich nur sagen: Eine solch enorme Schuldenbelastung der öf-
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fentlichen Haushalte führt zu einer enormen Umverteilung von unten nach oben, und auch deswegen müssen wir sie bekämpfen, meine Damen und Herren.
Zudem sind unser aller Handlungsspielräume auch durch Verpflichtungsermächtigungen kräftig eingeschränkt. Das wissen wir beide, und wir wissen auch, daß wir daran etwas ändern müssen. Verpflichtungsermächtigung heißt, der Bund darf auch für die folgenden Jahre schon Verpflichtungen eingehen, selbst wenn das, wofür man das Geld ausgibt, dann schon vergessen ist.
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Der Bund leistet Zinszuschüsse im Rahmen des Wohnraummodernisierungsprogramms der Kreditanstalt für Wiederaufbau in den neuen Bundesländern. Mit den zinsverbilligten Darlehen können z. B. Reparaturen an Dächern, Fassaden und Fenstern durchgeführt werden. Wir haben dieses Programm mitgetragen und begrüßen es. Das Programm läuft im nächsten Jahr aus, aber die finanziellen Auswirkungen für den Bundeshaushalt bestehen bis weit über das Jahr 2000 hinaus - allein für dieses Programm in Höhe von 11,8 Milliarden DM. Das heißt, wir müssen noch Zahlungen leisten, wenn kein Mensch mehr an die reparierten Fassaden und Fenster denkt.
Warum sage ich das? Ich sage das, um klarzustellen - da sollten wir uns einig sein -: Wir werden uns für den Haushalt 1996 und die mittelfristige Finanzplanung auf sparsamste Haushaltsführung, den Abbau unnötiger Ausgaben und die Konzentration der wirklich knappen Mittel auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Modernisierung der Wirtschaft durch Forschung und Entwicklung und die ökologische Weiterentwicklung der Industriegesellschaft einigen müssen.
Diesen Anforderungen wird der Haushaltsentwurf der Bundesregierung nicht gerecht. Einige Beispiele: Wer wie diese Bundesregierung bei der öffentlichkeitsarbeit schon wieder drauflegt, statt sie um mindestens 150 Millionen DM herunterzufahren, ist alles andere als sparsam. Sie handeln nach dem Motto: Wenn schon die Politik nichts taugt, muß wenigstens die Propaganda verstärkt werden.
Wer gleichzeitig wie diese Bundesregierung die Fördermittel für die Forschung im Mittelstand in den neuen Bundesländern um 71 Millionen DM herunterfährt, setzt die Schwerpunkte falsch und sollte das Wort vom Standort Deutschland besser gar nicht mehr in den Mund nehmen.
Wer wie die Bundesregierung den Bürgern 54 Staatssekretäre zumutet, der sollte hier, wie Sie, Herr Waigel, das so vornehm gesagt haben, nicht von
lean management oder - ich übersetze das einmal - von der Verschlankung der öffentlichen Verwaltung reden. Das ist dann nämlich unglaubwürdig, und ich bin gespannt, wo dann Ihre Kraft zur Reform des öffentlichen Dienstes bleibt.
Wer wie diese Bundesregierung auf die Schnelle in wenigen Tagen 375 Millionen DM außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigungen für den Jäger 90 bereitstellt,
gleichzeitig aber das BAföG für Studentinnen und Studenten herunterfährt, dem ist der Blick für das Notwendige und Machbare verlorengegangen.
Wer wie diese Bundesregierung mal eben 150 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen für Fregatten in die Türkei bereitstellt, sich aber gleichzeitig immer weiter von dem Versprechen eines Entwicklungshilfehaushaltes in Höhe von 0,7 % des Bruttosozialproduktes entfernt, der weiß nicht, was wirklich zur Förderung des Friedens notwendig ist.
Wer wie diese Bundesregierung sich wie die Kesselflicker darüber streitet,
ob der Außenminister oder der Wirtschaftsminister für die Förderung des Außenhandels bei den Botschaften zuständig ist, gleichzeitig aber ganz unbemerkt zuläßt, daß die Mittel für Auslandsmessen und für die Pflege der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland mal eben um 10 Millionen DM gekürzt werden, der darf sich nicht wundern, wenn Franzosen, Japaner und Amerikaner schneller sind.
Wer wie diese Bundesregierung den Verpflichtungsrahmen beim sozialen Wohnungsbau herunterfährt, um einen Teil der Mittel für den Bau des Transrapids abzuzweigen - was hat eigentlich der soziale Wohnungsbau mit dem Transrapid zu tun? -, der hat offensichtlich noch nicht begriffen, daß in diesem Lande 2 Millionen bezahlbare Wohnungen fehlen.
Wer wie diese Bundesregierung im Verkehrshaushalt beim Straßenbau um 750 Millionen DM kürzt,
Ingrid Matthäus-Maier
bei den Investitionsmitteln für die Schiene aber um 2,3 Milliarden DM,
der betreibt eine Verkehrspolitik von gestern und nicht von morgen.
Das ist mein wichtigster Punkt: Wer wie diese Bundesregierung bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit um Milliarden kürzt, gleichzeitig aber 560 Millionen DM beim Verteidigungshaushalt drauflegt, der weiß nicht mehr, wo es in dieser Gesellschaft brennt.
Bei Ihren Kürzungen im Bereich der Arbeitslosen erwecken Sie auch heute morgen wieder den Eindruck, den Arbeitslosen ginge es eh zu gut. Wenn man ihnen nur die Leistung kürzte, dann würde man sie schon an die Arbeit kriegen. Ganz sicher gibt es auch Arbeitslose, die mit Arbeitslosengeld oder -hilfe und Schwarzarbeit über die Runden kommen. Das ist Sozialmißbrauch, und das muß bekämpft werden.
Aber angesichts der Tatsache, daß ganze Teile von Belegschaften mit 100, 200, 500 und mehr Menschen entlassen werden, ganze Standorte stillgelegt werden, ganze Familien ins Unglück gestürzt werden, ist es doch eine Verleumdung, ihnen insgesamt zu unterstellen, sie wollten nicht arbeiten, wie Sie es mit dem Hinweis auf die soziale Hängematte heute morgen wieder gemacht haben.
Die offiziellen Zahlen sind im Moment: 3,5 Millionen registrierte Arbeitslose, 293 000 registrierte offene Stellen. Herr Waigel, da können Sie Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe noch weiter senken: Ihnen wird es nicht gelingen, 3,5 Millionen Menschen, die Arbeit suchen, auf 293 000 offene Stellen zu verteilen.
Nein, Sie kurieren an Symptomen. Nicht der Sozialstaat ist zu teuer, sondern die Arbeitslosigkeit ist zu teuer.
Nach den jüngsten Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gab es allein 1994 140 Milliarden DM an direkten Kosten, entgangenen Steuern und Sozialabgaben. Darin sind die mittelbaren Kosten nicht enthalten.
Wenn man berücksichtigt, daß hohe Arbeitslosigkeit auf Dauer zur Entwertung von Qualifikationen von Menschen, zur Demotivation, zu zunehmender Verarmung und wachsenden Alkohol- und Drogen-
problemen führt - übrigens auch zu Aggressivität und Fremdenfeindlichkeit -, dann weiß man, Massenarbeitslosigkeit ist die größte volkswirtschaftliche Verschwendung. Deswegen müssen wir das Geld zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ausgeben und nicht zum Bezahlen der Arbeitslosen.
Warum kümmern sich denn jetzt besonders die Kirchen um die Langzeitarbeitslosen? Sie tun es, weil sie wissen, welchen Teufelskreis dies für die Kinder bedeutet, insbesondere dann, wenn beide Elternteile arbeitslos sind. Mindestens 1 Million Kinder in unserem Lande sind von Sozialhilfe abhängig. Wir müssen diesen Teufelskreis aufbrechen.
Wenn Graf Lambsdorff - Sie haben dies heute etwas vorsichtiger behandelt - und anderen seiner Fraktion in dieser Situation nichts Besseres einfällt als die Forderung nach Abschaffung der Vermögensteuer, dann spiegelt das ein besonders hohes Maß an Instinktlosigkeit wider, meine Damen und Herren.
Zu den 785 Milliarden DM Steuereinnahmen des Jahres 1994 hat die Vermögensteuer mit 6,6 Milliarden DM gerade einmal mit 0,8 % beigetragen.
Meine Damen und Herren von der F.D.P., daß die Umverteilung von unten nach oben in Ihrem Parteiprogramm steht, das wissen wir. Manchmal wird es aber geradezu peinlich, wenn Sie solche Forderungen aufstellen.
Was wir brauchen, ist eine zukunftsweisende Wirtschaftspolitik, in der drei Dinge zusammengehören: die Modernisierung der Wirtschaft, die ökologische Weiterentwicklung der Industriegesellschaft und die soziale Verantwortung. Wer aus diesem Dreiklang - Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit - eine Säule herausbrechen will, wird das Problem des Standorts Deutschland nicht lösen. Er wird auch, da er die Arbeitslosigkeit nicht in den Griff bekommt, die Haushaltsprobleme nicht lösen.
Dies bedeutet für den Haushalt 1996: Bildung, Ausbildung, Forschung, Technologie und Innovation müssen einen größeren Stellenwert erhalten. Zwar steigt das Volumen des Haushalts des Zukunftsministers im Bereich Forschung und Entwicklung, gleichzeitig aber sinken die Ausgaben im Bereich Bildung und Ausbildung. Dabei brauchen wir doch nicht nur
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Investitionen in Beton, sondern auch Investitionen in Köpfe.
Die Darlehen an BAföG-Studenten sollen auf Bankdarlehen mit Zinsbelastungen von über 8 % umgestellt werden. Das bedeutet, daß diese in Zukunft statt mit 35 000 DM Rückzahlschuld mit 72 000 DM ins Berufsleben gehen. Dieser Abschreckungseffekt hebelt die Chancengleichheit aus. Dies gilt ganz besonders für die neuen Bundesländer, wo die Studierenden stärker vom BAföG abhängig sind. Zudem belastet er auch weibliche Studierende, da diese später auf dem akademischen Arbeitsmarkt ohnehin oft erheblich weniger verdienen als Männer.
Herr Rüttgers, ein sogenannter Zukunftsminister, der die Chancengleichheit zurückfährt, steht nicht für Fortschritt, sondern für Rückschritt. Deswegen werden wir das ablehnen, meine Damen und Herren.
Um Innovationen und zukunftsträchtige Arbeitsplätze in Deutschland zu fördern, brauchen wir zusätzliche Hilfen bei der Markteinführung neuer Technologien. Ich frage Sie: Ist es nicht ein schwerer Fehler, wenn wir zulassen, daß in wenigen Wochen der letzte Solarzellenhersteller Deutschland verläßt und nach Amerika geht, weil dort die Markteinführung zukunftsträchtiger, regenerierbarer Energien gefördert wird? Auch angesichts der knappen Kassen möchte ich Ihnen sagen: Wer wie diese Bundesregierung im Verteidigungsetat die Mittel für Wehrforschung und -erprobung im Haushalt 1996 um sage und schreibe 330 Millionen DM aufstockt, der kann mir nicht erzählen, daß er nicht ein bißchen mehr im zivilen Bereich der Forschung und Entwicklung drauflegen kann.
Außerdem muß man auch einmal unkonventionelle Wege gehen. In Amerika gibt es einen Fonds, in den auch die großen Energieversorgungsunternehmen einzahlen müssen; das ist gesetzlich vorgeschrieben. Mit diesem Geld werden die Erforschung von Energieeinsparmöglichkeiten und die Förderung und Markteinführung neuer Energien finanziert. Nein, Herr Waigel, keine platten Kürzungen, sondern intelligentes Umschichten und phantasievolle Alternativen müssen auf der Tagesordnung stehen.
Auch beim Umweltschutz wird diese Regierungskoalition den drängenden Problemen nicht gerecht. Dabei weiß doch mittlerweile jeder, daß Ökonomie und Ökologie zusammengehören. Der Umweltetat dieser Bundesregierung führt ein Schattendasein. 1,3 Milliarden DM für den Umwelthaushalt, 48,5 Milliarden DM für den Verteidigungshaushalt -
das ist ein groteskes Mißverhältnis, meine Damen und Herren. Wir wissen: Der Verteidigungshaushalt kann sicher nicht der Steinbruch für alles und jedes sein.
Wenn aber in den Zeiten knappster Kassen der Umweltetat um 40 Millionen DM sinkt und der Verteidigungsetat um 560 Millionen DM ansteigt, dann weiß diese Bundesregierung nicht, worauf es in der Zukunft ankommt. Ich bin der festen Überzeugung: Nicht wer die meisten U-Boote und Panzer, sondern wer die besten Umweltschutz- und Energieeinspartechnologien exportiert, wird im Jahre 2000 weltweit die Nase vorn haben.
Frau Merkel, wie können Sie sich die Kürzung um 40 Millionen DM eigentlich gefallen lassen? Ich habe das Gefühl, wenn sich Frau Merkel schon dieses unmögliche Ozon-Gesetz gefallen läßt, dann hat sie auch gar nicht erst den Mut, gegen diese wirklich unverhältnismäßige Kürzung einzuschreiten. Ist es eigentlich wirklich in Ordnung, daß Sie in Ihren Haushalten 2,1 Milliarden DM für Kernenergie und Kernforschung ausgeben? Sie legen übrigens noch 60 Millionen DM gegenüber 1995 drauf. Im Bereich der erneuerbaren Energien sind es 320 Millionen DM. Da legen Sie auch etwas drauf, und zwar 5 Millionen DM. Meine Damen und Herren, die Schere geht damit weiter auseinander. Ich sage Ihnen: Ihre ideologische Verbohrtheit in bezug auf die Kernenergie sieht man an nichts so deutlich wie an diesen Verschiebungen im Bundeshaushalt. Wer so handelt, verschläft die Zukunft unserer Kinder, meine Damen und Herren.
Zu einer zukunftsweisenden Strategie, die moderne Wirtschaft, ökologische Weiterentwicklung und soziale Gerechtigkeit zusammenführt, gehört unser Projekt einer ökologischen Steuerreform. Jedermann weiß, die Lohnnebenkosten sind zu hoch und müssen gesenkt werden. Ich las gestern in der Zeitung: Herr Blüm hat einen Brief an die Fraktion der CDU/CSU geschrieben, also auch an Sie. Darin steht: Die Lohnnebenkosten seien zu hoch, weil die Bundesanstalt für Arbeit so viele Milliarden DM für eine aktive Arbeitsmarktpolitik im Osten Deutschlands ausgibt, was eigentlich der Steuerzahler bezahlen müßte. Da hat Herr Blüm recht.
Jetzt frage ich mich: Was geschieht denn da bei Ihnen? Da schreibt Herr Blüm an den lieben Theo, er solle das doch bitte ändern. Ich nehme an, der liebe Theo schreibt an den lieben Norbert zurück, daß er das nicht tun wolle.
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- Herr Bundeskanzler, es ist gut, daß Sie wieder da sind. Dann kann ich Sie nämlich gleich fragen. Herr Blüm und wir alle wissen, daß die Lohnnebenkosten zu hoch sind, weil aus der Arbeitslosenversicherung Dinge bezahlt werden, die wir alle bezahlen müßten. Das ist doch nicht gerecht, daß Sie und ich und Selbständige und Landwirte das alles nicht mitbezahlen. Sie wissen das. Wir wissen das. Wenn wir gleichzeitig wissen, daß die Kosten, die aus der Energieerzeugung und aus der Energieverwendung resultieren, die Umweltbelastung nicht wirklich widerspiegeln, was bietet sich dann mehr an, als dieses Verhältnis umzudrehen? Das ist unser Konzept.
Unser Konzept ist: Erstens: herunter mit den Arbeitslosenversicherungsbeiträgen um 2 Punkte. Zweitens: maßvolle Anhebung der Mineralölsteuer. Wir haben zwei Modelle vorgeschlagen: Erhöhung um 4 Pfennig oder 10 Pfennig in Stufen.
Drittens: steuerliche Erleichterungen für energiesparende Investitionen im Industriebereich und im Privatbereich. Dieses Modell ist komplett aufkommensneutral. Eine Mehrbelastung von Bürgern und Wirtschaft findet nicht statt.
Das gilt übrigens auch für die Rentner, die im Folgejahr durch die Nettolohnbezogenheit der Rente von der Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge etwas abbekommen.
Ich bin ganz sicher, das geht so, wie ich es eben gesagt habe. Heute sagen Sie noch: nein, nein, nein, aber Sie werden diesem Konzept in einigen Monaten oder Jahren folgen.
Damit möchte ich zu meinem letzten Punkt kommen. Statt solche Dinge aufzugreifen, erschöpft sich Ihre wirtschaftspolitische Kompetenz darin, unkritisch Forderungen der Arbeitgeber nachzuplappern: Löhne herunter, Arbeitszeitverlängerungen, Sonntagsarbeit, Lohnfortzahlung kürzen, Arbeitgeberanteil in der Krankenversicherung einfrieren. Das liest sich doch wie ein Warenhauskatalog, wo die Arbeitgeber alles bestellen können und die Arbeitnehmer ailes bezahlen müssen, meine Damen und Herren.
Dies ist nicht nur wirtschaftspolitisch unsinnig, weil Sie damit z. B. die enormen Währungsunterschiede nicht einebnen können. Daraus resultiert doch ein großer Teil unserer Probleme. Ihre wirtschaftspolitische Primitivstrategie widerspricht auch dem Konsens über Soziale Marktwirtschaft, der dieses Land in den letzten Jahrzehnten stark und zur Exportnation
Nummer 2 gemacht hat. Diese Philosophie heißt: Eine starke Wirtschaft und ein starker Sozialstaat gehören zusammen. Dies bringt sozialen Frieden, und dies bringt den Unternehmen geldwerte Vorteile. Wenn in Deutschland die Zahl der Streiktage geringer als in anderen Ländern ist, dann zeigt dies, daß der soziale Frieden auch für die Unternehmer von Nutzen ist.
Wir sind, wenn nötig, zu Korrekturen im sozialen Bereich bereit. Das haben wir bei der Rentenreform und der Gesundheitsreform gezeigt. Aber wer die Angst der Menschen vor dem Verlust des Arbeitsplatzes mißbraucht, um eine grundsätzlich neue Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer und ihrer Familien herbeizuführen, statt die Kräfte der Gesellschaft in Richtung auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu bündeln, der wird auf den entschiedenen Widerstand der Sozialdemokraten stoßen.