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    Plenarprotokoll 13/50 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 50. Sitzung Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneten Leni Fischer (Unna) und des Bundesministers Dr. Norbert Blüm 4095 A Abwicklung der Tagesordnung 4095 B Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996 (Haushaltsgesetz 1996) (Drucksache 13/2000) b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999 (Drucksache 13/2001) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 4095 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 4106B Hans-Peter Repnik CDU/CSU 4114 C Ingrid Matthäus-Maier SPD , . 4116C, 4159A, 4180C Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4120B Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. . 4124B Dr. Christa Luft PDS 4129D Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 4131 D Manfred Hampel SPD . . . . . . . . 4136A Walter Hirche F.D.P 4136D Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU 4138A Dr. Barbara Hendricks SPD 4141 D Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 4143D Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMU 4146D Dr. Liesel Hartenstein SPD 4150 C Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 4152D Dr. Jürgen Rochlitz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4154D Birgit Homburger F D P. 4157 A Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4159B Rolf Köhne PDS 4159 C Eva Bulling-Schröter PDS 4160D Eckart Kuhlwein SPD 4162B Arnulf Kriedner CDU/CSU 4164 B Eckart Kuhlwein SPD 4165D, 4181D Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . 4166 C Matthias Wissmann, Bundesminister BMV 4168D Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4170B, 4180A Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4171 A Hans Georg Wagner SPD 4172 A Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . 4174 B Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4176A Horst Friedrich F.D.P. . . . . . . . . 4178B Elke Ferner SPD 4181 A Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4181B Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . 4181 C Dr. Dagmar Enkelmann PDS . . . . . 4182 C Heide Mattischeck SPD 4183 D Matthias Wissmann CDU/CSU . . . 4184 C Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 4186 C Achim Großmann SPD 4189B Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. 4190D, 4191B Gert Willner CDU/CSU 4192 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4193D Dr. Klaus Röhl F.D.P 4195 B Klaus-Jürgen Warnick PDS 4196C Dieter Maaß (Herne) SPD 4197 D Herbert Frankenhauser CDU/CSU . . 4199C Achim Großmann SPD 4200A Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister BMPT 4201 A Hans Martin Bury SPD 4203 B Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein CDU/CSU 4205 C Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4207C Dr. Max Stadler F D P. 4208D Gerhard Jüttemann PDS 4210A Arne Börnsen (Ritterhude) SPD 4210B Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4211C Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU 4213B Tagesordnungspunkt 2: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksache 13/2245) b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes (Drucksache 13/2246) 4144 D Tagesordnungspunkt 3: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes (Drucksache 13/1444) b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes (Drucksache 13/1446) c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland durch Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren (Drucksache 13/1445) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Kaffee-Übereinkommen von 1994 (Drucksache 13/1667) e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau (Drucksache 13/1887) f) Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung gemäß 56 a der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Technikfolgenabschätzung hier: Neue Werkstoffe (Drucksache 13/ 1696) 4145 A Tagesordnungspunkt 4: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Beschlußfassung über die Weitergeltung der - Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses - Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115 d des Grundgesetzes (Drucksache 13/ 2239) b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 26. Mai 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Thailand fiber die Überstellung von Straftätern und über die Zusammenarbeit bei der Vollstrekkung von Strafurteilen (Drucksachen 13/666, 13/1760) c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 19. Dezember 1988 betr. die Auslegung des Übereinkommens vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften sowie zur Übertragung bestimmter Zuständigkeiten für die Auslegung dieses Übereinkommens auf den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (Drucksachen 13/669, 13/1761) d) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zu den Zielen und Instrumenten einer Währungspolitik (Drucksachen 12/7805, 13/725 Nr. 59, 13/1584) 4145D Nächste Sitzung 4213 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4215* A Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Renate Rennebach (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entschließungsantrag auf Drucksache 13/1835 zum Antrag der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an den Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung des schnellen Einsatzverbandes im früheren Jugoslawien einschließlich der Unterstützung eines eventuellen Abzugs der VN-Friedenstruppen auf Drucksachen 13/1802 und 13/1855 in der 48. Sitzung am 30. Juni 1995 . . . . 4215* D 50. Sitzung Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Beginn: 11.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 5. 9. 95 Andres, Gerd SPD 5. 9. 95 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 5. 9. 95 Formanski, Norbert SPD 5. 9. 95 Frick, Gisela F.D.P. 5. 9. 95 Grießhaber, Rita BÜNDNIS 5. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 5. 9. 95 Hoffmann (Chemnitz), SPD 5. 9. 95 Jelena Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 5. 9. 95 Dr. Jork, Rainer CDU/CSU 5. 9. 95 Dr. Knake-Werner, Heidi PDS 5. 9. 95 Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 5. 9. 95 Angelika 90/DIE GRÜNEN Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 5. 9. 95 Karl-Hans Leidinger, Robert SPD 5. 9. 95 Lemke, Steffi BÜNDNIS 5. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 5. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Lotz, Erika SPD 5. 9. 95 Lüth, Heidemarie PDS 5. 9. 95 Neuhäuser, Rosel PDS 5. 9. 95 Dr. Protzner, Bernd R. CDU/CSU 5. 9. 95 Dr. Rappe (Hildesheim) SPD 5. 9. 95 Hermann Schätzle, Ortrun CDU/CSU 5. 9. 95 Dr. Scheer, Hermann SPD 5. 9. 95 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schenk, Christa PDS 5. 9. 95 Schewe-Gerigk, BÜNDNIS 5.9.95 Irmingard 90/DIE GRÜNEN Schmidt (Aachen), SPD 5. 9. 95 Ursula Schmitt (Langenfeld), BÜNDNIS 5. 9. 95 Wolfgang 90/DIE GRÜNEN Schultz (Everswinkel), SPD 5. 9. 95 Reinhard Dr. Schwaetzer, Irmgard F.D.P. 5. 9. 95 Simm, Erika SPD 5. 9. 95 Thieser, Dietmar SPD 5. 9. 95 Tippach, Steffen PDS 5. 9. 95 Tröscher, Adelheid SPD 5. 9. 95 Vosen, Josef SPD 5. 9. 95 Wieczorek-Zeul, SPD 5.9.95 Heidemarie Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Renate Rennebach (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entschließungsantrag auf Drucksache 13/1835 zum Antrag der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an den Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung des schnellen Einsatzverbandes im früheren Jugoslawien einschließlich der Unterstützung eines eventuellen Abzugs der VN-Friedenstruppen auf Drucksachen 13/1802 und 13/1855 in der 48. Sitzung am 30. Juni 1995 (Seiten 4020 A bis 4022 C) In der Abstimmungsliste ist mein Name bei den Enthaltungen aufgeführt. Ich erkläre, daß ich nach meiner festen Überzeugung mit Ja gestimmt habe.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Ingrid Matthäus-Maier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushaltsentwurf 1996 dieser Bundesregierung ist vor allem durch drei Merkmale gekennzeichnet:
    Erstens. Die Ausgaben sollen gegenüber dem Vorjahr sinken. Diese Absicht ist angesichts einer explodierenden Staatsverschuldung und einer nie dagewesenen Steuer- und Abgabenbelastung der Bürger zu begrüßen. Ich würde Ihnen auch gratulieren, Herr Waigel, wenn es denn tatsächlich so wäre. Aber die Absicht, die Ausgaben in diesem Haushalt mögen sinken, steht doch nur auf dem Papier, Denn bei einer ordnungsgemäßen Berücksichtigung der Finanzierungsumstellung des Schienenpersonennahverkehrs liegt tatsächlich ein leichter Anstieg vor. Viel entscheidender ist aber, daß ungelöste Probleme und drohende Risiken, die zu Mehrausgaben führen, einfach nicht benannt werden. Das kann man nicht als solide Haushaltspolitik bezeichnen.

    (Beifall bei der SPD)

    Zweites Merkmal: Der Haushalt steckt mehr denn je in einer Zinsfalle. Der Bund muß mit 95 Milliarden DM Zinszahlungen jede vierte Steuermark nur für Zinsen ausgeben.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: 30 Milliarden DM stammen von Ihnen! Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie sollten einmal Ihre Länder fragen!)

    Hier rächt sich, daß die Bundesregierung mit ihrer maßlosen Schuldenpolitik den politischen Handlungsspielraum zu Lasten unseres Gemeinwesens eingeengt hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Drittes Merkmal: Der Bundesfinanzminister sagt, er spare an allen Ecken und Enden. Das ist nun wirklich unzutreffend. Diese Bundesregierung kürzt zwar die Mittel für die Schaffung neuer Arbeitsplätze, für Investitionen und für den Umweltschutz; gleichzeitig erhöht sie aber die Mittel für den Verteidigungshaushalt und die Kernenergie. Wer so handelt, der setzt die Schwerpunkte falsch, der schwächt den Wirtschaftsstandort Deutschland und gefährdet die Zukunft unserer Kinder, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Zum ersten Punkt, In Ihrem Haushaltsentwurf rechnen Sie sich reich und klammern offensichtlich bestehende Risiken aus:
    Erstens. Die angebliche Einsparung bei der Arbeitslosenhilfe in Höhe von 3,4 Milliarden DM steht doch nur auf dem Papier; denn es handelt sich nicht um Sparen, sondern um einen Verschiebebahnhof in Richtung Sozialhilfe zu Lasten der Gemeinden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS und des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    Deswegen bekommen Sie dafür keine Mehrheit. Das gleiche haben Sie doch schon einmal, vor einem Jahr, versucht. Damals hat Graf Lambsdorff zu Recht gesagt: Da könnte man gleich einen Lottogewinn in den Haushalt einstellen. - So ist es auch in diesem Jahr: Luftbuchungen bringen leider kein Geld.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Wolfgang Bierstedt [PDS])

    Zweitens. Da die Arbeitslosigkeit leider viel weniger zurückgeht als erhofft, droht bei der Bundesanstalt für Arbeit ein Deckungsloch von drei bis fünf Milliarden DM, für die der Bund nach dem Gesetz einzustehen hat. Sich hier mit geschönten Arbeitslosenzahlen reichzurechnen hilft weder den Arbeitslosen noch dem Bundeshaushalt.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Drittens. Sie haben seit 1990 das Wohngeld nicht erhöht, obwohl Sie ununterbrochen das Gegenteil versprochen haben. Glauben Sie denn ernsthaft, daß Sie angesichts dieser Versprechungen ohne Erhöhung des Wohngeldes über das Jahr 1996 kommen?
    Viertens. Beim Asylkompromiß haben Sie zugesagt - ich habe das gut in Erinnerung -, daß sich der. Bund an den Kosten der Bürgerkriegsflüchtlinge beteiligt und die Finanzierung nicht nur - was ungerecht ist - Ländern und Gemeinden überläßt. Wollen Sie 1996

    Ingrid Matthäus-Maier
    Ihr Versprechen gegenüber Ländern und Gemeinden wieder nicht einlösen?

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Fünftens. Das Problem der Altschulden der ostdeutschen Städte und Gemeinden in Höhe von etwa 8 Milliarden DM, die noch zu DDR-Zeiten den Gemeinden für gemeinschaftliche Einrichtungen aufgedrückt wurden, kann man sicher nicht lösen, indem man dem Bund alle diese Schulden zuschiebt. Da sind wir uns einig. Aber umgekehrt ist es völlig sinnlos, daß der Bund auf stur schaltet und keinerlei Kompromißbereitschaft zeigt. Diese Blockadehaltung muß überwunden werden. Es ist doch klar, daß bei einem notwendigen Kompromiß auch eine Bundesbeteiligung herauskommt. Dann sagen Sie das und schreiben Sie das in Ihren Haushalt!

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Ein Bundesfinanzminister, der alle diese milliardenschweren Risiken kennt, aber im Bundeshaushalt einfach nicht berücksichtigt - nach dem Motto: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen und erst recht nichts aufschreiben - und dann hier behauptet, das Volumen des Haushaltes sinke 1996, handelt wirklich unseriös, wie wir alle sehen.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    Ich frage Sie, Herr Waigel: Wollen Sie es bei den Altschulden der ostdeutschen Gemeinden wirklich wieder dem Verfassungsgericht überlassen, wie entschieden wird? Das kann doch wohl nicht sein. In unserem Lande überläßt die Politik meiner Ansicht nach ohnehin schon genug Probleme den Gerichten, statt sie selber politisch zu lösen.
    Speziell dieser Bundesfinanzminister wird immer erst dann aktiv, wenn das Bundesverfassungsgericht ihn dazu zwingt. Reicht es Ihnen nicht, daß Sie praktisch in jedem Jahr Ihrer Amtszeit eine schwere Schlappe vor dem Bundesverfassungsgericht hinnehmen mußten?

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Verfassungswidrigkeit des steuerlichen Existenzminimums, Verfassungswidrigkeit des Familienlastenausgleichs, Verfassungswidrigkeit der Zinsbesteuerung, Verfassungswidrigkeit der Besteuerung nach Einheitswerten: Stört es Sie eigentlich nicht, daß aus diesem Grunde Jahr für Jahr Millionen von Steuerbescheiden nur unter Vorbehalt erteilt werden?
    Nein, Herr Bundesfinanzminister, wir fordern Sie auf: Lösen Sie die Probleme politisch und überlassen Sie sie nicht den Gerichten!

    (Beifall bei der SPD)

    Da wir schon beim Thema Bundesverfassungsgericht sind - Sie haben das Kruzifix-Urteil erwähnt -, spreche ich Sie als CSU-Vorsitzenden an. Ich rate Ihnen an, dafür zu sorgen, daß in Zukunft nicht mehr solch geradezu üblen Angriffe aus den Reihen Ihrer Partei auf das Bundesverfassungsgericht erfolgen, nur weil Ihnen ein Urteilsspruch nicht paßt.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Vor wenigen Wochen haben wir miterlebt, wie Konservative mit dem höchsten deutschen Gericht umgehen, wenn ihnen das Ergebnis nicht gefällt. Ich erinnere mich z. B. an die Entscheidung zum § 218 vor einigen Jahren und daran, wie Sie mit Frauen umgesprungen sind, die das Urteil kritisiert haben.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Memmingen!)

    Ich sage Ihnen: Wenn Frauen in der Vergangenheit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Abtreibungsparagraphen auch nur ansatzweise so maßlos kritisiert hätten wie Sie das Kruzifix-Urteil, hätten Sie sie überhaupt nicht mehr in den öffentlichen Dienst hineingelassen.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Zwei Ihrer verfassungswidrigen Gesetze haben wir gerade mit dem Jahressteuergesetz 1996 korrigiert: das steuerfreie Existenzminimum und den Familienlastenausgleich. Was wir im Sommer im Vermittlungsausschuß vereinbart haben, ist ein klassischer Kompromiß. Keine Seite konnte ihre Ziele voll durchsetzen.

    (Zuruf von der SPD: Der Waigel hört nicht zu! Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Entschuldigung!)

    - Macht nichts.

    (Otto Schily [SPD]: Der redet gerade mit Herrn Solms, seinem Nachfolger!)

    Ich freue mich darüber, Herr Waigel, daß Sie hier mehrere Punkte lobend erwähnen: höheres Kindergeld und höheres steuerfreies Existenzminimum. Ich muß aber schmunzeln, wenn Sie gerade diese Punkte besonders hervorheben. Denn das waren diejenigen Punkte, die Sie in der Vergangenheit mit Vehemenz bekämpft haben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Sie haben doch gesagt, das ist verfassungswidrig!)

    Daß jeder Fachmann weiß, daß wir Sozialdemokraten uns in diesen Punkten durchgesetzt haben,

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Was? Wo ist der Fachmann?)

    sehen Sie daran, daß das „Handelsblatt" von der „Sozialdemokratisierung der Steuerpolitik der Koalition" spricht. Einen besseren Beweis gibt es gar nicht.

    (Beifall bei der SPD Widerspruch bei der CDU/CSU)


    Ingrid Matthäus-Maier
    Wir haben uns vor allen Dingen in drei Punkten durchgesetzt. Beispiel Nummer eins: Das steuerfreie Existenzminimum wird nicht, wie von Ihnen vorgesehen, nur auf knapp über 12 000 DM erhöht, sondern in einer zeitlichen Stufenfolge auf 13 000 DM.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Daß dies erst 1999 geschieht, betrübt uns. Uns ist vorhin natürlich aufgefallen, als Sie die Jahreszahlen nannten, daß Sie mit großem Geschick zwar die Jahre 1996, 1997 und 1999 genannt, aber 1998 ganz elegant umschifft haben. Denn hier liegt das Problem. Wir konnten gegen Ihren erbitterten Widerstand leider nicht durchsetzen, daß auch 1998 eine Anhebung erfolgt.

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Waren das nicht die Länder?)

    Deshalb ist das, was wir vereinbart haben, zwar ein Erfolg, bewegt sich aber am unteren Rand des rechtlich Zulässigen und politisch Wünschenswerten. Leider haben Sie mit Ihrem erbitterten Widerstand etwas Zusätzliches verhindert, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wie war das mit Herrn Schleußer?)

    Zweitens: die Erhöhung des Kindergeldes. Sie denken, die Leute sind über die Monate vergeßlich. Das ist leider so. Aber Ihr Vorschlag noch vom Februar war doch folgender: Beim Erstkindergeld, das 70 DM betrug, wird überhaupt nichts daraufgelegt, beim Zweitkindergeld 20 DM.

    (Zuruf von der SPD: So war es!)

    Jetzt ist es uns Sozialdemokraten gelungen - darauf bin ich stolz -, eine Anhebung des Kindergeldes vom ersten Kind an auf 200 DM, ab 1997 sogar auf 220 DM durchzusetzen.

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Jetzt bitte rot werden! Jetzt müssen Sie rot werden!)

    Das ist ein beachtlicher erster Schritt für die Familien mit Kindern. Aber wir werden nicht lockerlassen: Unser Ziel bleiben die 250 DM, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD Zurufe von der CDU/ CSU)

    Bei der Debatte um die 250 DM Kindergeld, die ja unser Ziel sind, ist mir eine besonders unfaire Methode der Diskussion bei Ihnen aufgefallen. Es ist nämlich anscheinend Mode geworden, jemandem, der einen Vorschlag einschließlich Finanzierung macht, wahrheitswidrig vorzuwerfen, das Ganze sei nicht finanzierbar, nur weil man das Finanzierungsinstrument ablehnt. Was meine ich mit diesem etwas komplizierten Satz? Wir haben 250 DM vorgeschlagen, finanziert durch eine maßvolle Begrenzung des Ehegattensplittings.

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Aber die Länder doch nicht!)

    Bis heute können wir nicht verstehen, daß die bloße Heirat für Spitzenverdiener

    (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Jetzt ist sie in der alten Leier!)

    - das sind Leute oberhalb von 240 000 DM im Jahr - eine Steuerentlastung von 22 842 DM bringt, auch wenn in der Ehe kein Kind vorhanden ist.

    (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Jetzt kommt die alte Leier, jetzt geht es wieder los! Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Herr Schleußer versteht das!)

    Wir haben zu Recht auch immer die Kirchen angeführt, die sagen gleichzeitig würden Kinder in vielen Familien immer mehr ein Armutsrisiko.
    Gegen diese wirklich maßvolle Reform des Splittings, die aus den Gesamtkosten des Splittings in Höhe von 30 Milliarden DM 5 Milliarden DM also wirklich maßvoll - zugunsten der Familien mit Kin-dem umgeschichtet hätte, haben Sie sich mit Händen und Füßen gewehrt. Aber dann sagen Sie doch bitte deutlich, daß Sie aus ideologischen Gründen an der Privilegierung der bloßen Ehe festhalten und daß Sie aus ideologischen Gründen deswegen auch die 250 DM nicht wollen. Die haben Sie verhindert.

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Die Länder waren das! Herr Schleußer war das doch!)

    Diese Verantwortung bleibt an Ihnen hängen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Ergebnisse des Jahressteuergesetzes bedeuten vor allem für untere und mittlere Einkommen eine deutliche Entlastung. Nur zwei Beispiele: 1996 wird ein Verheirateter mit zwei Kindern und einem Bruttojahreseinkommen von 60 000 DM um 2 340 DM entlastet. Das sind immerhin netto Monat für Monat 195 DM. Im Jahre 1997 wird er sogar insgesamt um 2 950 DM entlastet. Oder nehmen Sie eine Alleinerziehende mit einem Kind und einem Bruttojahreseinkommen von 36 000 DM! Sie wird Monat für Monat um immerhin 119 DM entlastet, im Jahr also um insgesamt 1 428 DM. Und für diese Steuerzahlerin steigt die Entlastung 1997 auf 1 730 DM.
    Nachdem die Steuer- und Abgabenbelastung der Bürgerinnen und Bürger unter dieser Bundesregierung in einer Weise in die Höhe geschnellt ist, wie es sie seit 45 Jahren in dieser Republik noch nicht gegeben hat, empfinden wir Sozialdemokraten große Genugtuung darüber, daß wir Sie dazu gezwungen haben, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Sie wollten doch noch mehr Belastung!)

    Im Vermittlungsausschuß ist auch ein notwendiger Einstieg in den steuerlichen Subventionsabbau gelungen. Aus unserer Sicht ist dabei ein besonderer Erfolg, daß wir diese Bundesregierung endlich dahin gebracht haben, mit uns zusammen die steuerliche

    Ingrid Matthäus-Maier
    Absetzbarkeit von Schmiergeldern im Inland abzuschaffen,

    (Beifall bei der SPD)

    ein erster Schritt zwar nur, aber eben ein Schritt in die richtige Richtung! Wie lange hat es gedauert, wie oft habe ich hier im Deutschen Bundestag dafür gesprochen, das abzuschaffen, und habe von Ihnen Spott und Häme geerntet!

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Nein!)

    Dabei sah doch jeder, daß das Rechtsbewußtsein der Menschen untergraben wird, wenn das Bestechen von Beamten und das Schmieren von Geschäftsleuten auch noch steuerlich honoriert wird, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Das ist doch eine falsche Darstellung!)

    Aus Anlaß dieses Punktes frage ich Sie einmal ganz ernsthaft: Warum lehnen Sie eigentlich immer wieder vernünftige Vorschläge nur deswegen ab, weil sie von der SPD kommen? Statt diese Vorschläge unvoreingenommen zu prüfen, rufen Sie immer erst einmal nein, um dann diese Vorschläge, zum Teil mit jahrelanger Verzögerung, teilweise oder ganz zu übernehmen. Das war bei diesem Beispiel der steuerlichen Absetzbarkeit von Schmiergeldern so. Das war beim einheitlichen Kindergeld so. Das ist bei der Eigenheimzulage, die Sie gerade erwähnt haben, so, also bei der Umstellung für die Eigenheimbauer, wo Sie in diesen Tagen unserem Modell weitgehend folgen.
    Das war beim Schnellen Brüter so. Von Ihnen kam immer: nein, nein, nein - und heute ist der Schnelle Brüter doch dicht. Das war auch bei Wackersdorf so. Als wir forderten: zumachen!, haben Sie gesagt: nein, nein, nein. Wackersdorf ist dichtgemacht. Ich verhehle nicht: Ich hoffe, daß Sie auch noch beim Jäger 90 einsichtig werden, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Da ich weiß, daß bei diesem Wort beim Bundesfinanzminister immer die Klappe fällt, frage ich Sie sehr ernsthaft - denn wir wissen alle, daß wir bei dem zunehmenden Flugverkehr Flugzeuge brauchen, die wesentlich weniger Energie benötigen, Flugzeuge, die sehr viel leiser sind; fast jeder kennt já aus seinem Wahlkreis das Problem des Fluglärms -: Wäre es da nicht besser, statt zweistellige Milliardensummen in ein neues Jagdflugzeug zu stecken, einen Teil davon in Arbeitsplätze in Firmen der Forschung und Technologie zu geben, um ein Ökoflugzeug zu entwickeln und damit die Menschen und die Umwelt zu entlasten?

    (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Sehr schlau! Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Übrigens: In dem Subventionsabbaupaket des Jahressteuergesetzes gibt es natürlich auch Maßnahmen, die die Menschen hart treffen, insbesondere
    wenn man sich an die Subventionen gewöhnt hat. Aber ich sage Ihnen: Die Bareis-Kommission hatte von uns Politikern noch sehr viel härtere Maßnahmen erwartet und kritisiert uns für unseren mangelnden Mut. Insofern ist das Beschlossene schmerzhaft, aber unvermeidlich, um die Staatsschulden nicht noch weiter in die Höhe zu treiben.
    Beim Subventionsabbau hat übrigens die F.D.P. eine unrühmliche Bremserrolle gespielt.

    (Beifall bei der SPD Zurufe von der SPD: Jawohl! Wie immer!)

    Meine Damen und Herren, die Wochenzeitung „Die Zeit" schreibt am 4. August 1995 nach Abschluß der Beratungen so treffend:
    Dienern vor der Klientel - Alle Tiere sind gleich. Nur einige sind gleicher. Auf die Finanzpolitik übertragen: Alle Bürger müssen auf Subventionen verzichten. Nur die Klientel der F.D.P. muß verschont werden. Damit ist auf die Dauer kein Staat zu machen.
    So schreibt „Die Zeit".

    (Beifall bei der SPD Zuruf von der CDU/ CSU: Wahrscheinlich haben Sie ihnen das beigebracht!)

    Ich sage Ihnen, meine Meine Damen und Herren von der F.D.P.: Wenn Sie es in den nächsten Wochen und Monaten wagen sollten, hier im Deutschen Bundestag das Wort „Subventionsabbau" noch einmal in den Mund zu nehmen, dann wundern Sie sich nicht, daß wir alle in herzhaftes Gelächter ausbrechen.

    (Beifall bei der SPD)

    Weiterer Subventionsabbau wäre auch nötig, um den Staat finanziell wieder handlungsfähig zu machen. Der Haushalt 1996 zeigt nämlich deutlicher als je zuvor: Die Bundesfinanzen befinden sich in einer Schulden- und damit jetzt in einer Zinsfalle. Allein 1996 beträgt die Zinslast 95 Milliarden DM. Das mache man sich einmal klar. Herr Waigel muß für Zinsen ohne einen Pfennig Tilgung dreiundsiebzigmal soviel Geld wie für den Umwelthaushalt ausgeben. Das ist für uns alle wirklich niederschmetternd und zeigt, wohin uns diese Bundesregierung mit ihrer Schuldenpolitik getrieben hat.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Manche meinen: Wenn ich etwas über Schulden finanziere, dann kostet mich das so recht gar nichts, weil ich es ja nicht direkt bezahlen muß. Nein, wir wissen, wenn ich etwas über Schulden finanziere, muß ich es schon nach kürzester Zeit zwei-, drei-, viermal bezahlen: einmal Tilgung, mehrfach Zinsen.
    Rund 21 %, ein Fünftel des gesamten Bundeshaushalts, geben wir 1996 für Zinsen aus. Wenn man die gesamten Steuereinnahemn des Bundes in ein Verhältnis zu diesen 95 Milliarden DM Zinsausgaben setzt, dann braucht der Bundesfinanzminister ein Viertel der gesamten ihm zustehenden Steuern, um überhaupt die Zinsausgaben bedienen zu können.

    Ingrid Matthäus-Maier
    Ich darf daran erinnern, daß eine Zinssteuerquote - so nennt man das technisch - in eben dieser Größenordnung dem Bundesverfassungsgericht 1992 ausgereicht hat, den Ländern Bremen und Saarland die sogenannte Haushaltsnotlage zu bescheinigen. Nach der mittelfristigen Finanzplanung, die wir heute auch diskutieren, wird diese Zahl bis 1999 noch auf über 108 Milliarden DM ansteigen.
    Herr Waigel, Sie sagen an dieser Stelle immer wieder, dies läge an der deutschen Einheit. Jeder weiß, auch wir Sozialdemokraten hätten für dieses große Ziel Aufbau Ost mehr Geld aufnehmen müssen und aufgenommen. Das ist auch gerechtfertigt. Dies durfte aber doch kein Freibrief für eine solch unbegrenzte Staatsverschuldung sein, unter deren Folgen wir jetzt ächzen.
    Wir Sozialdemokraten haben sehr früh, ab Winter 1989 und Sommer 1990, eine solide Finanzierung der Einheit von Ihnen eingefordert. Sie haben statt dessen den Menschen über Monate vorgegaukelt, die deutsche Einheit sei quasi aus der Portokasse zu bezahlen. Damals haben Sie die Weichenstellung für eine solide Finanzierung verpaßt, weil Sie den Menschen nicht die Wahrheit sagen wollten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ich will noch etwas dazu sagen - das hat mich auch menschlich tief betroffen -: Unsere Warnungen vor den hohen Kosten und den hohen Staatsschulden sowie unser Eintreten für eine solide Finanzierung der Einheit haben Sie sogar noch dazu mißbraucht, uns eine angebliche Gegnerschaft gegen die deutsche Einheit vorzuwerfen.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie haben gesagt, das seien alles Horrorzahlen.
    Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen. Als ich vor einigen Jahren hier im Bundestag sagte, in 1995 marschierten alle Staatsschulden der öffentlichen Hand über die 2-Billionen-DM-Grenze, haben Sie hier gestanden und gesagt: Horror, Horror, Horror. Was ist geschehen? In 1995 überschreiten die öffentlichen Schulden die 2-Billionen-DM-Grenze. Die Wirklichkeit war bei Ihnen nämlich immer schlimmer als der angeblich von uns vorgeführte Horror.

    (Beifall bei der SPD)

    Deswegen fordere ich Sie auf: Seien Sie doch wenigstens jetzt ehrlich. Die Debatte um die Dauer des Solidaritätszuschlages gibt Ihnen dazu Gelegenheit. Denn die Diskussion, die hier geführt wird, ist zutiefst unehrlich. Auf zehn Jahre - wie Herr Ost von der CDU sagte - will ich mich nicht festlegen. Das erscheint mir zu lang. Aber daß wir den Solidaritätszuschlag noch jahrelang brauchen, nicht nur um den Aufbau Ost zu finanzieren, sondern auch um den enormen Schuldenberg zu reduzieren, den Sie durch die Finanzierung der Einheit auf Pump aufgehäuft haben, scheint mir doch offensichtlich. Wenn einige Politiker aus Ihren Reihen jetzt davon sprechen, den
    Solidaritätszuschlag 1997 oder 1998 abzubauen, dann fällt das schon wieder in die Kategorie Wählertäuschung. Es wäre wichtig, daß der Kanzler hier ein klärendes Wort sagt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS Dr. Hermann Otto Sohns [F.D.P.]: Sie wollen ihn also beibehalten?)

    Übrigens, welch enormes Schuldenrad wir hier in diesem Lande drehen, sehen Sie an der Bruttokreditaufnahme. Wir reden im Bundestag meistens über die Nettokreditaufnahme, d. h. die Nettoverschuldung, die 1996 knapp unter 60 Milliarden DM bleiben soll. Tatsächlich nimmt der Bund aber 1996 sehr viel höhere Schulden auf, insgesamt 224 Milliarden DM. Das ist die sogenannte Bruttokreditaufnahme. Davon braucht er 164 Milliarden DM, um alte Schulden abzulösen, und 60 Milliarden DM Schulden braucht er, um den Haushalt 1996 zu finanzieren.
    Herr Waigel nimmt also in 1996 jeden Tag 614 Millionen DM Schulden auf, Tag für Tag. Von diesen täglich 614 Millionen DM Schulden braucht er jeden Tag allein 450 Millionen DM Schulden zu einem einzigen Zweck, nämlich um alte Schulden durch neue zu ersetzen. Die restlichen 164 Millionen DM braucht er dann, um seinen unausgeglichenen Haushalt zu finanzieren.
    Daß dies nicht nur ein Problem auf dem Papier ist, sondern in zweierlei Hinsicht ein Problem, unter dem wir alle leiden, will ich an zwei Beispielen zeigen. Erstens: Diese Zinsausgaben des Bundes beinhalten ein großes Risiko. Zur Zeit profitiert der Bundesfinanzminister davon, daß die Zinsen für neue Kredite sinken. Das kann aber auch einmal umgekehrt sein.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wir haben eine stabile Wirtschaft!)

    Wenn das Zinsniveau auch nur um einen Prozentpunkt steigt, werden die Zinsausgaben des Bundes explodieren, allein in den darauffolgenden drei Jahren um 6 Milliarden DM.
    Was ist noch so schlimm an diesem enormen Schuldenrad? Eine solche Staatsverschuldung führt immer zugleich zu einer enormen Umverteilung von unten nach oben. Das hat Herr Blüm einmal zu Recht beklagt. 95 Milliarden DM Zinsen in einem Jahr, das sind 1200 DM pro Kopf der Bevölkerung, die von den Steuerzahlern in die Taschen der Vermögensbesitzer wandern,

    (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Wieviel Jäger 90 sind das?)

    nämlich in die Taschen der Vermögensbesitzer, die Staatsanleihen halten. Das ist in der überwiegenden Mehrheit doch nicht die einfache Bevölkerung in diesem Lande.
    Wenn man außerdem noch berücksichtigt, daß in diesem Lande im Zusammenhang mit der Zinsbesteuerung die Scheunentore für die Steuerhinterziehung nach Luxemburg durch diese Bundesregierung weit geöffnet worden sind - schauen Sie sich an, was in diesen Tagen in der Zeitung steht -, kann ich nur sagen: Eine solch enorme Schuldenbelastung der öf-

    Ingrid Matthäus-Maier
    fentlichen Haushalte führt zu einer enormen Umverteilung von unten nach oben, und auch deswegen müssen wir sie bekämpfen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Zudem sind unser aller Handlungsspielräume auch durch Verpflichtungsermächtigungen kräftig eingeschränkt. Das wissen wir beide, und wir wissen auch, daß wir daran etwas ändern müssen. Verpflichtungsermächtigung heißt, der Bund darf auch für die folgenden Jahre schon Verpflichtungen eingehen, selbst wenn das, wofür man das Geld ausgibt, dann schon vergessen ist.
    Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Der Bund leistet Zinszuschüsse im Rahmen des Wohnraummodernisierungsprogramms der Kreditanstalt für Wiederaufbau in den neuen Bundesländern. Mit den zinsverbilligten Darlehen können z. B. Reparaturen an Dächern, Fassaden und Fenstern durchgeführt werden. Wir haben dieses Programm mitgetragen und begrüßen es. Das Programm läuft im nächsten Jahr aus, aber die finanziellen Auswirkungen für den Bundeshaushalt bestehen bis weit über das Jahr 2000 hinaus - allein für dieses Programm in Höhe von 11,8 Milliarden DM. Das heißt, wir müssen noch Zahlungen leisten, wenn kein Mensch mehr an die reparierten Fassaden und Fenster denkt.
    Warum sage ich das? Ich sage das, um klarzustellen - da sollten wir uns einig sein -: Wir werden uns für den Haushalt 1996 und die mittelfristige Finanzplanung auf sparsamste Haushaltsführung, den Abbau unnötiger Ausgaben und die Konzentration der wirklich knappen Mittel auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Modernisierung der Wirtschaft durch Forschung und Entwicklung und die ökologische Weiterentwicklung der Industriegesellschaft einigen müssen.

    (Beifall bei der SPD)

    Diesen Anforderungen wird der Haushaltsentwurf der Bundesregierung nicht gerecht. Einige Beispiele: Wer wie diese Bundesregierung bei der öffentlichkeitsarbeit schon wieder drauflegt, statt sie um mindestens 150 Millionen DM herunterzufahren, ist alles andere als sparsam. Sie handeln nach dem Motto: Wenn schon die Politik nichts taugt, muß wenigstens die Propaganda verstärkt werden.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Wer gleichzeitig wie diese Bundesregierung die Fördermittel für die Forschung im Mittelstand in den neuen Bundesländern um 71 Millionen DM herunterfährt, setzt die Schwerpunkte falsch und sollte das Wort vom Standort Deutschland besser gar nicht mehr in den Mund nehmen.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Margareta Wolf [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    Wer wie die Bundesregierung den Bürgern 54 Staatssekretäre zumutet, der sollte hier, wie Sie, Herr Waigel, das so vornehm gesagt haben, nicht von
    lean management oder - ich übersetze das einmal - von der Verschlankung der öffentlichen Verwaltung reden. Das ist dann nämlich unglaubwürdig, und ich bin gespannt, wo dann Ihre Kraft zur Reform des öffentlichen Dienstes bleibt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Wer wie diese Bundesregierung auf die Schnelle in wenigen Tagen 375 Millionen DM außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigungen für den Jäger 90 bereitstellt,

    (Dr. Hermann Otto Sohns [F.D.P.]: Da ist er schon wieder!)

    gleichzeitig aber das BAföG für Studentinnen und Studenten herunterfährt, dem ist der Blick für das Notwendige und Machbare verlorengegangen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Manfred Müller [Berlin] [PDS])

    Wer wie diese Bundesregierung mal eben 150 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen für Fregatten in die Türkei bereitstellt, sich aber gleichzeitig immer weiter von dem Versprechen eines Entwicklungshilfehaushaltes in Höhe von 0,7 % des Bruttosozialproduktes entfernt, der weiß nicht, was wirklich zur Förderung des Friedens notwendig ist.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wer wie diese Bundesregierung sich wie die Kesselflicker darüber streitet,

    (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    ob der Außenminister oder der Wirtschaftsminister für die Förderung des Außenhandels bei den Botschaften zuständig ist, gleichzeitig aber ganz unbemerkt zuläßt, daß die Mittel für Auslandsmessen und für die Pflege der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland mal eben um 10 Millionen DM gekürzt werden, der darf sich nicht wundern, wenn Franzosen, Japaner und Amerikaner schneller sind.

    (Beifall bei der SPD Michael Glos [CDU/ CSU]: Kesselflicker! Sie Marktschreierin!)

    Wer wie diese Bundesregierung den Verpflichtungsrahmen beim sozialen Wohnungsbau herunterfährt, um einen Teil der Mittel für den Bau des Transrapids abzuzweigen - was hat eigentlich der soziale Wohnungsbau mit dem Transrapid zu tun? -, der hat offensichtlich noch nicht begriffen, daß in diesem Lande 2 Millionen bezahlbare Wohnungen fehlen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wer wie diese Bundesregierung im Verkehrshaushalt beim Straßenbau um 750 Millionen DM kürzt,

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das haben Sie doch immer gefordert!)


    Ingrid Matthäus-Maier
    bei den Investitionsmitteln für die Schiene aber um 2,3 Milliarden DM,

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Jedes Jahr haben Sie Kürzungen im Straßenbau gefordert!)

    der betreibt eine Verkehrspolitik von gestern und nicht von morgen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Das ist mein wichtigster Punkt: Wer wie diese Bundesregierung bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit um Milliarden kürzt, gleichzeitig aber 560 Millionen DM beim Verteidigungshaushalt drauflegt, der weiß nicht mehr, wo es in dieser Gesellschaft brennt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Bei Ihren Kürzungen im Bereich der Arbeitslosen erwecken Sie auch heute morgen wieder den Eindruck, den Arbeitslosen ginge es eh zu gut. Wenn man ihnen nur die Leistung kürzte, dann würde man sie schon an die Arbeit kriegen. Ganz sicher gibt es auch Arbeitslose, die mit Arbeitslosengeld oder -hilfe und Schwarzarbeit über die Runden kommen. Das ist Sozialmißbrauch, und das muß bekämpft werden.
    Aber angesichts der Tatsache, daß ganze Teile von Belegschaften mit 100, 200, 500 und mehr Menschen entlassen werden, ganze Standorte stillgelegt werden, ganze Familien ins Unglück gestürzt werden, ist es doch eine Verleumdung, ihnen insgesamt zu unterstellen, sie wollten nicht arbeiten, wie Sie es mit dem Hinweis auf die soziale Hängematte heute morgen wieder gemacht haben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Die offiziellen Zahlen sind im Moment: 3,5 Millionen registrierte Arbeitslose, 293 000 registrierte offene Stellen. Herr Waigel, da können Sie Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe noch weiter senken: Ihnen wird es nicht gelingen, 3,5 Millionen Menschen, die Arbeit suchen, auf 293 000 offene Stellen zu verteilen.
    Nein, Sie kurieren an Symptomen. Nicht der Sozialstaat ist zu teuer, sondern die Arbeitslosigkeit ist zu teuer.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Nach den jüngsten Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gab es allein 1994 140 Milliarden DM an direkten Kosten, entgangenen Steuern und Sozialabgaben. Darin sind die mittelbaren Kosten nicht enthalten.
    Wenn man berücksichtigt, daß hohe Arbeitslosigkeit auf Dauer zur Entwertung von Qualifikationen von Menschen, zur Demotivation, zu zunehmender Verarmung und wachsenden Alkohol- und Drogen-
    problemen führt - übrigens auch zu Aggressivität und Fremdenfeindlichkeit -, dann weiß man, Massenarbeitslosigkeit ist die größte volkswirtschaftliche Verschwendung. Deswegen müssen wir das Geld zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ausgeben und nicht zum Bezahlen der Arbeitslosen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Dann ändern Sie doch Ihre Politik!)

    Warum kümmern sich denn jetzt besonders die Kirchen um die Langzeitarbeitslosen? Sie tun es, weil sie wissen, welchen Teufelskreis dies für die Kinder bedeutet, insbesondere dann, wenn beide Elternteile arbeitslos sind. Mindestens 1 Million Kinder in unserem Lande sind von Sozialhilfe abhängig. Wir müssen diesen Teufelskreis aufbrechen.
    Wenn Graf Lambsdorff - Sie haben dies heute etwas vorsichtiger behandelt - und anderen seiner Fraktion in dieser Situation nichts Besseres einfällt als die Forderung nach Abschaffung der Vermögensteuer, dann spiegelt das ein besonders hohes Maß an Instinktlosigkeit wider, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])

    Zu den 785 Milliarden DM Steuereinnahmen des Jahres 1994 hat die Vermögensteuer mit 6,6 Milliarden DM gerade einmal mit 0,8 % beigetragen.

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Stimmt! Wir haben das im Jahressteuergesetz anders gemacht!)

    Meine Damen und Herren von der F.D.P., daß die Umverteilung von unten nach oben in Ihrem Parteiprogramm steht, das wissen wir. Manchmal wird es aber geradezu peinlich, wenn Sie solche Forderungen aufstellen.

    (Beifall bei der SPD Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Die übliche Polemik!)

    Was wir brauchen, ist eine zukunftsweisende Wirtschaftspolitik, in der drei Dinge zusammengehören: die Modernisierung der Wirtschaft, die ökologische Weiterentwicklung der Industriegesellschaft und die soziale Verantwortung. Wer aus diesem Dreiklang - Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit - eine Säule herausbrechen will, wird das Problem des Standorts Deutschland nicht lösen. Er wird auch, da er die Arbeitslosigkeit nicht in den Griff bekommt, die Haushaltsprobleme nicht lösen.

    (Beifall bei der SPD)

    Dies bedeutet für den Haushalt 1996: Bildung, Ausbildung, Forschung, Technologie und Innovation müssen einen größeren Stellenwert erhalten. Zwar steigt das Volumen des Haushalts des Zukunftsministers im Bereich Forschung und Entwicklung, gleichzeitig aber sinken die Ausgaben im Bereich Bildung und Ausbildung. Dabei brauchen wir doch nicht nur

    Ingrid Matthäus-Maier
    Investitionen in Beton, sondern auch Investitionen in Köpfe.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Darlehen an BAföG-Studenten sollen auf Bankdarlehen mit Zinsbelastungen von über 8 % umgestellt werden. Das bedeutet, daß diese in Zukunft statt mit 35 000 DM Rückzahlschuld mit 72 000 DM ins Berufsleben gehen. Dieser Abschreckungseffekt hebelt die Chancengleichheit aus. Dies gilt ganz besonders für die neuen Bundesländer, wo die Studierenden stärker vom BAföG abhängig sind. Zudem belastet er auch weibliche Studierende, da diese später auf dem akademischen Arbeitsmarkt ohnehin oft erheblich weniger verdienen als Männer.
    Herr Rüttgers, ein sogenannter Zukunftsminister, der die Chancengleichheit zurückfährt, steht nicht für Fortschritt, sondern für Rückschritt. Deswegen werden wir das ablehnen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])

    Um Innovationen und zukunftsträchtige Arbeitsplätze in Deutschland zu fördern, brauchen wir zusätzliche Hilfen bei der Markteinführung neuer Technologien. Ich frage Sie: Ist es nicht ein schwerer Fehler, wenn wir zulassen, daß in wenigen Wochen der letzte Solarzellenhersteller Deutschland verläßt und nach Amerika geht, weil dort die Markteinführung zukunftsträchtiger, regenerierbarer Energien gefördert wird? Auch angesichts der knappen Kassen möchte ich Ihnen sagen: Wer wie diese Bundesregierung im Verteidigungsetat die Mittel für Wehrforschung und -erprobung im Haushalt 1996 um sage und schreibe 330 Millionen DM aufstockt, der kann mir nicht erzählen, daß er nicht ein bißchen mehr im zivilen Bereich der Forschung und Entwicklung drauflegen kann.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Halo Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])

    Außerdem muß man auch einmal unkonventionelle Wege gehen. In Amerika gibt es einen Fonds, in den auch die großen Energieversorgungsunternehmen einzahlen müssen; das ist gesetzlich vorgeschrieben. Mit diesem Geld werden die Erforschung von Energieeinsparmöglichkeiten und die Förderung und Markteinführung neuer Energien finanziert. Nein, Herr Waigel, keine platten Kürzungen, sondern intelligentes Umschichten und phantasievolle Alternativen müssen auf der Tagesordnung stehen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Auch beim Umweltschutz wird diese Regierungskoalition den drängenden Problemen nicht gerecht. Dabei weiß doch mittlerweile jeder, daß Ökonomie und Ökologie zusammengehören. Der Umweltetat dieser Bundesregierung führt ein Schattendasein. 1,3 Milliarden DM für den Umwelthaushalt, 48,5 Milliarden DM für den Verteidigungshaushalt -
    das ist ein groteskes Mißverhältnis, meine Damen und Herren. Wir wissen: Der Verteidigungshaushalt kann sicher nicht der Steinbruch für alles und jedes sein.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie machen es doch dauernd!)

    Wenn aber in den Zeiten knappster Kassen der Umweltetat um 40 Millionen DM sinkt und der Verteidigungsetat um 560 Millionen DM ansteigt, dann weiß diese Bundesregierung nicht, worauf es in der Zukunft ankommt. Ich bin der festen Überzeugung: Nicht wer die meisten U-Boote und Panzer, sondern wer die besten Umweltschutz- und Energieeinspartechnologien exportiert, wird im Jahre 2000 weltweit die Nase vorn haben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Merkel, wie können Sie sich die Kürzung um 40 Millionen DM eigentlich gefallen lassen? Ich habe das Gefühl, wenn sich Frau Merkel schon dieses unmögliche Ozon-Gesetz gefallen läßt, dann hat sie auch gar nicht erst den Mut, gegen diese wirklich unverhältnismäßige Kürzung einzuschreiten. Ist es eigentlich wirklich in Ordnung, daß Sie in Ihren Haushalten 2,1 Milliarden DM für Kernenergie und Kernforschung ausgeben? Sie legen übrigens noch 60 Millionen DM gegenüber 1995 drauf. Im Bereich der erneuerbaren Energien sind es 320 Millionen DM. Da legen Sie auch etwas drauf, und zwar 5 Millionen DM. Meine Damen und Herren, die Schere geht damit weiter auseinander. Ich sage Ihnen: Ihre ideologische Verbohrtheit in bezug auf die Kernenergie sieht man an nichts so deutlich wie an diesen Verschiebungen im Bundeshaushalt. Wer so handelt, verschläft die Zukunft unserer Kinder, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Zu einer zukunftsweisenden Strategie, die moderne Wirtschaft, ökologische Weiterentwicklung und soziale Gerechtigkeit zusammenführt, gehört unser Projekt einer ökologischen Steuerreform. Jedermann weiß, die Lohnnebenkosten sind zu hoch und müssen gesenkt werden. Ich las gestern in der Zeitung: Herr Blüm hat einen Brief an die Fraktion der CDU/CSU geschrieben, also auch an Sie. Darin steht: Die Lohnnebenkosten seien zu hoch, weil die Bundesanstalt für Arbeit so viele Milliarden DM für eine aktive Arbeitsmarktpolitik im Osten Deutschlands ausgibt, was eigentlich der Steuerzahler bezahlen müßte. Da hat Herr Blüm recht.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Jetzt frage ich mich: Was geschieht denn da bei Ihnen? Da schreibt Herr Blüm an den lieben Theo, er solle das doch bitte ändern. Ich nehme an, der liebe Theo schreibt an den lieben Norbert zurück, daß er das nicht tun wolle.

    (Zuruf von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl)


    Ingrid Matthäus-Maier
    - Herr Bundeskanzler, es ist gut, daß Sie wieder da sind. Dann kann ich Sie nämlich gleich fragen. Herr Blüm und wir alle wissen, daß die Lohnnebenkosten zu hoch sind, weil aus der Arbeitslosenversicherung Dinge bezahlt werden, die wir alle bezahlen müßten. Das ist doch nicht gerecht, daß Sie und ich und Selbständige und Landwirte das alles nicht mitbezahlen. Sie wissen das. Wir wissen das. Wenn wir gleichzeitig wissen, daß die Kosten, die aus der Energieerzeugung und aus der Energieverwendung resultieren, die Umweltbelastung nicht wirklich widerspiegeln, was bietet sich dann mehr an, als dieses Verhältnis umzudrehen? Das ist unser Konzept.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Unser Konzept ist: Erstens: herunter mit den Arbeitslosenversicherungsbeiträgen um 2 Punkte. Zweitens: maßvolle Anhebung der Mineralölsteuer. Wir haben zwei Modelle vorgeschlagen: Erhöhung um 4 Pfennig oder 10 Pfennig in Stufen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Schon wieder Steuererhöhungen!)

    Drittens: steuerliche Erleichterungen für energiesparende Investitionen im Industriebereich und im Privatbereich. Dieses Modell ist komplett aufkommensneutral. Eine Mehrbelastung von Bürgern und Wirtschaft findet nicht statt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein neuer Subventionsapparat!)

    Das gilt übrigens auch für die Rentner, die im Folgejahr durch die Nettolohnbezogenheit der Rente von der Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge etwas abbekommen.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sprechen Sie für die gesamte SPD?)

    Ich bin ganz sicher, das geht so, wie ich es eben gesagt habe. Heute sagen Sie noch: nein, nein, nein, aber Sie werden diesem Konzept in einigen Monaten oder Jahren folgen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Damit möchte ich zu meinem letzten Punkt kommen. Statt solche Dinge aufzugreifen, erschöpft sich Ihre wirtschaftspolitische Kompetenz darin, unkritisch Forderungen der Arbeitgeber nachzuplappern: Löhne herunter, Arbeitszeitverlängerungen, Sonntagsarbeit, Lohnfortzahlung kürzen, Arbeitgeberanteil in der Krankenversicherung einfrieren. Das liest sich doch wie ein Warenhauskatalog, wo die Arbeitgeber alles bestellen können und die Arbeitnehmer ailes bezahlen müssen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Dies ist nicht nur wirtschaftspolitisch unsinnig, weil Sie damit z. B. die enormen Währungsunterschiede nicht einebnen können. Daraus resultiert doch ein großer Teil unserer Probleme. Ihre wirtschaftspolitische Primitivstrategie widerspricht auch dem Konsens über Soziale Marktwirtschaft, der dieses Land in den letzten Jahrzehnten stark und zur Exportnation
    Nummer 2 gemacht hat. Diese Philosophie heißt: Eine starke Wirtschaft und ein starker Sozialstaat gehören zusammen. Dies bringt sozialen Frieden, und dies bringt den Unternehmen geldwerte Vorteile. Wenn in Deutschland die Zahl der Streiktage geringer als in anderen Ländern ist, dann zeigt dies, daß der soziale Frieden auch für die Unternehmer von Nutzen ist.
    Wir sind, wenn nötig, zu Korrekturen im sozialen Bereich bereit. Das haben wir bei der Rentenreform und der Gesundheitsreform gezeigt. Aber wer die Angst der Menschen vor dem Verlust des Arbeitsplatzes mißbraucht, um eine grundsätzlich neue Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer und ihrer Familien herbeizuführen, statt die Kräfte der Gesellschaft in Richtung auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu bündeln, der wird auf den entschiedenen Widerstand der Sozialdemokraten stoßen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächster spricht der Kollege Hans-Peter Repnik.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Peter Repnik


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wirtschaft und Politik stehen auf einem gesunden und festen Fundament. Der wirtschaftspolitische Weg, den die Bundesregierung eingeschlagen hat, garantiert auch in Zukunft Wachstum und Aufschwung. Die vielen Maßnahmepakete, die in den vergangenen Monaten geschnürt wurden, um den Standort Deutschland wetterfest zu machen, bringen spürbare Erfolge.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Lieber Finanzminister Theo Waigel, es war für uns, die Abgeordneten der Koalition, ein außerordentliches Vergnügen, dieser Haushaltsrede zuzuhören. Weil es nicht nur ein Vergnügen war, sondern damit auch harte Arbeit, Kraft, Energie und Phantasie verbunden waren, möchte ich dem Finanzminister im Namen der Koalition ein herzliches Dankeschön aussprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.Zurufe von der SPD)

    - Ich finde schon, daß man sich hier wieder einmal auf eine alte Tugend berufen kann, auch wenn das nicht allen von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, paßt. Ich meine, wir sollten auch insoweit der Kollegin Matthäus-Maier nicht folgen, die zumindest die Tugend der Wahrheit heute sträflichst vernachlässigt hat.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich bin am Sonntagmorgen zur Haushaltsklausur der Koalition gefahren.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Hoffentlich nach dem Hochamt!)


    Hans-Peter Repnik
    - Ich mußte vom Bodensee schon früh weg; deswegen war ich nicht im Hochamt.

    (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)

    - Da ist kein Hochamt, Herr Fraktionsvorsitzender; das ist eine Vorabendmesse.
    Im Zug habe ich einen Artikel in der „Welt am Sonntag" zur Kenntnis genommen. Darin stand u. a.
    - Frau Matthäus-Maier wird zitiert -: Statt Larifari Attacke. - Hoppla, dachte ich, aber jetzt legt sie los.

    (Vorsitz : Vizepräsident Hans Klein)

    Ich kann nur sagen, verehrte Frau Kollegin Matthäus-Maier: Was Sie heute geboten haben, war noch nicht einmal eine Luftnummer; da war die Luft heraus.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Spätestens bei Ihren Ausführungen zu den Kesselflickern und zu dem Streit hatte ich das Gefühl, daß es zu einer Lachnummer wird. Was oder wen sollte sie auch attackieren?

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wie Gefühle eben auch täuschen können, Herr Kollege!)

    Zugegeben, sie hatte heute einen besonders schweren Stand. Wir haben einen ausgezeichneten Haushalt, und wir haben einen ausgezeichneten Finanzminister. Was will sie da glaubwürdig attackieren?

    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Schröder!)

    Sie hat wie jedes Jahr einen Popanz aufgebaut, um ihn dann kräftig zu verprügeln. Sie hat es sich auch jetzt nicht erspart, Prognosen zu geben, die sich am Ende des Jahres wieder als Fehlprognosen herausstellen werden.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es!)

    Verehrte Frau Matthäus-Maier, ich möchte in diesem Zusammenhang gar nicht selbst urteilen. Ein Blick in das „Handelsblatt" von heute genügt. Dort steht:
    Die Sozialdemokraten prognostizieren denn auch bereits für 1996 einen Anstieg der Neuverschuldung auf 70 Milliarden DM. In den letzten Jahren hauten sie mit ähnlichen Horrorprognosen jedoch stets kräftig daneben. Auch 1996 könnte das der Fall sein. Bisher ist es Waigel nämlich immer gelungen, überplanmäßige Löcher mit Minderausgaben an anderer Stelle des Etats zu stopfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie machen das jedes Jahr aufs neue, wohlwissend, daß die Korrekturen ihrer Prognosen in aller Regel von der Öffentlichkeit selten wahrgenommen werden.
    Was mich aber am meisten beschämt hat, Frau Matthäus-Maier, sind die Ausführungen, die Sie zum Verteidigungsetat gemacht haben.

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sehr gut!)

    Angesichts der internationalen Lage, angesichts der Situation im ehemaligen Jugoslawien - der Finanzminister hat zu diesem Thema gerade Ausführungen gemacht -, angesichts der Tatsache, daß der Verteidigungshaushalt früher einmal bei 18,5 % des Gesamtetats angesiedelt war, in den letzten Jahren sukzessive heruntergefahren wurde und jetzt gerade noch 10 % des Haushalts ausmacht, reden Sie einem Abbau der Verteidigungslasten das Wort.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nein!) Dies müssen Sie den Soldaten,


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    dies müssen Sie der Bundeswehr, dies müssen Sie den Tornadopiloten, die in Bosnien für Frieden und Menschenrechte im Einsatz sind, erklären. Wir akzeptieren dies nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)