Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 47. Sitzung des Deutschen Bundestags und erteile zunächst dem Schriftführer Herrn Abgeordneten Karpf das Wort, urn die Liste der abwesenden Mitglieder des Hauses zur Verlesung zu bringen.
Es fehlen wegen Erkrankung die Abgeordneten Frau Dietz, Frau Dr. Gröwel, Kemper, Dr. Müller, Dr. Oesterle, Schütz, Valentin Baur, Bielig, Bettgenhäuser, Hennig, Herrmann, Schönauer, Nadig, Dr. Becker, Dirscherl, Dr. Hoffmann, Margulies, Kuhlemann, Dr. Fink, Wittmann, Nuding, Niebergall, Dr. Miessner, Frommhold. Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Henle, Gengler, Kemmer, Frau Dr. Probst, Dr. Brill, Dr. Suhr, Reimann, Blachstein. Außerdem fehlt der Abgeordnete Goetzendorff.
Meine Damen und Herren! Ich habe außerdem folgende Mitteilungen zu machen.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 9. März 1950 die Anfrage Nr. 32 der Abgeordneter Dr. Seelos, Dr. Etzel und Fraktion der BP betreffend Bekämpfung der Arbeitslosigkeit — Drucksache Nr. 409 — beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 694 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Finanzen hat unter dem 10. März 1950 die Anfrage Nr. 49 der Abgeordneten Dr. Baumgartner, Dr. Etzel und Fraktion der BP betreffend Verminderung der Überlastung der Landwirtschaft Drucksache Nr. 570 — beantwortet. Die Antwort wird unter Drucksache Nr. 706 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 8. März 1950 die Anfrage Nr. 50 der Abgeordneten Dr. Bertram, Frau Wessel und Fraktion des Zentrums betreffend Deutsche Bundesbahn — Drucksache Nr. 573 -- beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 695 vervielfältigt.
Unter dem gleichen Datum hat der Herr Bundesverkehrsminister die Anfrage Nr. 55 der Fraktion der SPD betreffend Lehrstellen bei der Bundesbahn — Drucksache Nr. 583 — beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 696 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 28. Februar 1950 die Anfrage Nr. 51 der Abgeordneten Dr. Solleder, Kahn, Dr. Horlacher und Genossen betreffend Preisbildung des Hopfens Drucksache Nr. 574 — beantwortet. Die Antwort wird unter Drucksache Nr. 701 vervielfältigt.
Ferner darf ich darauf hinweisen, daß auf Grund einer Verständigung heute früh im Ältestenrat die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Erstreckung und zur Verlängerung der Geltungsdauer des Wirtschaftsstrafgesetzes -- Drucksache Nr. 702 — auf die heutige Tagesordnung gesetzt werden soll, weil der Ablauf des Termins bekanntlich am 31. März 1950 ist und der Bundesrat in seiner morgigen Sitzung am 17. März dazu Stellung nehmen muß. Wir waren übereingekommen, daß dieser Punkt hinter Punkt 6 eingesetzt werden sollte.
Ferner hat sich herausgestellt, daß der Berichterstatter über den Punkt 8 der Tagesordnung, Herr Abgeordneter Dr. Brill, heute nicht anwesend ist, so daß gebeten worden ist, diesen Punkt von der Tagesordnung abzusetzen. Darf ich das Einverständnis des Hauses zu dieser Änderung der Tagesordnung feststellen? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist demgemäß beschlossen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich folgenden Antrag der Fraktion der SPD zur Verlesung zu bringen:
Antrag der Fraktion der SPD. Die Arbeit des Bundestages wird durch die Art der Geschäftsführung des gegenwärtigen Präsidenten außerordentlich erschwert. Der Bundestag ersucht deshalb den Präsidenten des Bundestages, sein Amt zur Verfügung zu stellen.
Unterschrift: Ollenhauer und Fraktion.
Ich bitte Herrn Vizepräsidenten Dr. Schäfer, aus hier nicht näher darzulegenden Gründen den Vorsitz zur Erledigung dieses Antrags zu übernehmen.
Meine Damen und Herren! Der soeben verlesene Antrag ist Gegenstand einer Besprechung im Ältestenrat gewesen. Von einer Mehrheit im Ältestenrat wurde die Auffassung vertreten, daß dieser Antrag mit Rücksicht auf die Geschäftsordnung nicht als zulässig angesehen werden könne. Bevor wir also in die Abstimmung über den Antrag eintreten, ist die Frage der Zulässigkeit des Antrags zu klären. Es ist vereinbart worden, daß ein Vertreter, der die Auffassung der Unzulässigkeit, und ein Vertreter, der die Auffassung der Zulässigkeit des Antrages vertritt, hier sprechen soll.
Ich bitte zunächst den Vertreter der antragstellenden Fraktion, sich zur Geschäftsordnung, also zur Begründung der Zulässigkeit zu äußern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den mir gewordenen Informationen wurde im Ältestenrat der Standpunkt vertreten, daß mit Rücksicht auf die Tatsache — die von uns nichtbestritten wird —, daß der Präsident des Bundestags nach § 14 der Geschäftsordnung für die Dauer der Wahlperiode des Bundestags gewählt worden ist, eine Behandlung unseres Appells, der dahin geht, den Bundestag einzuladen, dem Herrn Präsidenten nahezulegen, aus den in dem Antrag genannten Gründen die Konsequenzen zu ziehen, das heißt, freiwillig zurückzutreten, unzulässig sei. Ich möchte demgegenüber feststellen, daß sich unser Antrag absolut im Rahmen der im § 49 der Geschäftsordnung vorgesehenen Antragsstellungsmöglichkeiten bewegt, und ich möchte betonen, daß es selbstverständlich ist, daß dieser Antrag gemäß §§ 35 ff. der Geschäftsordnung von dem Hohen Hause behandelt werden muß.
Ich möchte zur Begründung dieser Auffassung darauf hinweisen, daß sowohl das Grundgesetz als auch die Übung in Deutschland und außerhalb Deutschlands — wir haben es hier nur mit deutschen Verhältnissen zu tun — die Tatsache kennt, daß selbst eine Persönlichkeit vom Range des Bundespräsidenten bei etwaiger Anwendung des Artikel 61 des Grundgesetzes von seinem hohen Amte abberufen werden könnte und daß die Bestimmung in dem Artikel 67 des Grundgesetzes die Möglichkeit kennt, daß auch der Bundeskanzler ausgewechselt werden kann, und daß es somit angesichts der Tatsache, daß die Wahl des Präsidenten des Bundestags ein Akt des Vertrauens ist, ein Ding der Unmöglichkeit sein muß, nun auf der einmal vollzogenen Wahl stur zu beharren, wenn dieses Vertrauen von einer großen Fraktion nicht mehr geteilt werden kann.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß die Fraktion der SPD schon bei früherer Gelegenheit klipp und klar zum Ausdruck gebracht hat, daß sie leider infolge der Geschäftsführung des Herrn Präsidenten das Vertrauen, das sie seinerzeit dazu bewog, auch ihre Stimme für die Wahl des Herrn Präsidenten des Bundestags abzugeben, nicht mehr besitzt und, nicht mehr besitzen kann, und wir erachten es als einen Akt der Selbstverständlichkeit, daß daraus die nötigen Konsequenzen gezogen werden.
Es wird darauf hingewiesen — das geschah bereits in der Presse —, daß ja im Deutschen Reichstag 1932 ein Vorgang, der dem von heute vergleichbar sei, zu verzeichnen gewesen sei. Damals haben die Nationalsozialisten mit Unterstützung des Herrn Abgeordneten Oberfohren von den Deutschnationalen die Abberufung des damaligen . Präsidenten des Reichstags, unseres Kollegen Herrn Löbe, verlangt. Das war ein politischer Akt; es war ein Ausfluß der politischen Kämpfe der damaligen Zeit. Unser Verlangen entbehrt jeder Art von politischer Würdigung, sondern stützt sich allein auf die sachlichen Ausstellungen in bezug auf die Amtsführung des Herrn Präsidenten Dr. Köhler. Das zu unterstreichen und in der sachlichen Diskussion, sofern sie zustande kommt, zu belegen, ist eine glatte Selbstverständlichkeit.
Meine Damen und Herren! Wir haben den Präsidenten nach der Geschäftsordnung auf vier Jahre gewählt. Man kannte im Deutschen Reichstag früher einmal eine Regelung, wonach der
Präsident alle halbe Jahre neu zu wählen war. Man kennt in anderen Ländern — ich verweise nur auf das Beispiel der Schweiz — die Wahl eines Präsidenten nur für die Dauer eines Jahres und hat so eine gewisse Sicherheit, seine Bewährung zu beurteilen, und die Möglichkeit, eventuell den gleichen Präsidenten neu zu wählen, was in der Schweiz sogar ausdrücklich verboten ist. Was uns veranlaßt, sind keine persönlichen und keine politischen Motive; es ist die Sorge um die objektive Handhabung der Ordnung in diesem Hause.
Wir haben eine ganze Reihe von Ausstellungen vorzubringen, Ausstellungen, die uns wegen des Schicksals dieses Hauses, wegen des Schicksals des demokratischen Parlamentarismus zutiefst bewegen, und ich glaube, daß das Hohe Haus sehr zum Nachteil des demokratischen Gedankens handeln würde, wenn es sich veranlaßt sehen wollte, einen Antrag abzulehnen, gegen den geschäftsordnungsmäßig nicht das Geringste einzuwenden ist; denn es gibt keine Bestimmung der Geschäftsordnung, die es verbietet, einen derartigen Antrag einzubringen. Ich glaube also daß das Hohe Haus dem Gedanken des freien Parlaments gar keinen Gefallen, sondern einen Bärendienst erweisen würde, wenn es sich darauf versteifen wollte, den Antrag einer Entscheidung durch das Parlament selbst zu entziehen.
Leider stehen nur 5 Minuten zur Verfügung, das zu begründen. Wenn das Haus den Antrag als unzulässig zurückweisen sollte, dann wird es Konsequenzen heraufbeschwören, über die man später wie in anderen Fällen sich nur mit Bedauern Rechenschaft wird ablegen können, aber dann, wenn es zu spät ist. Unser Antrag rechtfertigt sich aus den wiederholten Vorgängen und Vorfällen, an deren Wiege leider Ungeschicklichkeiten des Herrn Präsidenten -- ob gewollt oder ungewollt, sei ununtersucht — gestanden haben.
Ich bitte Sie namens meiner Fraktion, in klarer Abstimmung durch Ihren Entscheid zu erkennen zu geben, daß Sie gewillt sind, den Antrag zur sachlichen Behandlung zuzulassen und ihn dann auf die Tagesordnung einer der nächsten Sitzungen zu setzen oder, wenn Sie das nicht wollen, dann mindestens von der Bestimmung des § 119 der Geschäftsordnung Gebrauch zu machen, der sagt:
Eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Auslegung einer Vorschrift der Geschäftsordnung kann nur der Bundestag beschließen, und zwar nur auf Antrag und nach Prüfung durch den Geschäftsordnungsausschuß.
Es handelt sich hier um eine Situation, auf die sich § 119 der Geschäftsordnung deswegen zu Recht anwenden läßt, weil in der Tat keine Bestimmung vorhanden ist, die einen Präsidenten einladen kann, freiwillig zurückzutreten. Er ist auf vier Jahre gewählt. Wenn aber das Vertrauen weiter Teile des Hohen Hauses zu der Amtsführung des Herrn Präsidenten erschüttert ist, dann ist im Interesse einer sachlichen Fortführung der Geschäfte Veranlassung gegeben, mindestens durch den Geschäftsordnungsausschuß die Voraussetzungen nachprüfen zu las-
sen und eine Entscheidung des Hohen Hauses einzuholen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schröter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Herr Vorredner hat sich bemüht, den Nachweis zu erbringen, daß dieser Antrag geschäftsordnungsmäßig zulässig sei. Er mußte dabei von vornherein auf verlorenem Posten stehen, und zwar einmal auf Grund des § 14 der Geschäftsordnung, der die Geschäftsordnungswidrigkeit dieses Antrages nachweist. Wenn der Herr Kollege Ritzel sich bemüht hat, den Nachweis zu erbringen, daß zwischen dem damaligen Antrag des deutschnationalen Abgeordneten Oberfohren und dem heutigen Antrag der SPD ein Unterschied bestehe, so entspricht das nicht den Tatsachen. Damals war der Antrag politischer Natur, und dieses Mal ist der Antrag genau so politischer Natur.
Meine Damen und Herren, dieser Antrag wurde unmittelbar im Anschluß an den Fall Seuffert eingebracht, und daraus ergibt sich der politische Charakter.
Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Ritzel mußte aber mit Rücksicht auf Erfahrungen aus der deutschen Parlamentsgeschichte auf verlorenem Posten stehen, und zwar im Hin-. blick auf die Anträge des Abgeordneten Oberfohren und des NSDAP-Abgeordneten Frick. Ich bitte den Herrn Präsidenten darüber abstimmen . zu lassen, ob dieser Antrag geschäftsordnungsmäßig zulässig oder geschäftsordnungswidrig ist. An die Herren von der Sozialdemokratie habe ich nur die eine Bitte, daß sie sich in diesem Falle genau so verhalten, wie sie sich damals im Falle des Antrages des deutschnationalen Abgeordneten Oberfohren verhalten haben.
Meine Damen und Herren! Damit ist die Debatte zur Geschäftsordnung zunächst beendet.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die entsprechend dem letztgenannten und zweifellos weitestgehenden Antrag die Unzulässigkeit dieses Antrages bejahen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Minderheit. Damit ist der Antrag angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der
SPD — —
— Wir sind jetzt bei Punkt 1 der Tagesordnung. Wir können doch nicht fortgesetzt Geschäftsordnungsdebatten führen.
- Den rufe ich ja erst auf!
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten . Entwurfs eines Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie .
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Donhauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der erste Punkt der heutigen Tagesordnung sieht die Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Antrags auf Erlaß eines Gesetzes zur Bekämpfung der Feinde der Demokratie vor. Sie haben ja alle diesen Gesetzentwurf gelesen und studiert. Er ist in seiner gesetzestechnischen Struktur so wenig durchgearbeitet und in vielen Punkten so wenig substantiiert und darüber hinaus — —
Herr Abgeordneter; ich darf darauf aufmerksam machen, daß das keine Ausführungen zur Geschäftsordnung, sondern zur sachlichen Behandlung des Antrags sind.
Herr Präsident, ich spreche zur Geschäftsordnung.
Das ist nicht der Fall.
Ich spreche zur Geschäftsordnung und stelle den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung, und zwar deswegen, weil bekannt ist, daß die Bundesregierung einen Gesetzentwurf in Vorbereitung hat, der zu diesen Fragen Stellung nimmt.
Die Herren von der SPD wissen ganz genau, daß sie in ihrem Antrag eine ganze Reihe von entscheidend wichtigen Grundrechten des Grundgesetzes verletzt haben.
— Ja, mindestens an sechs oder sieben Stellen.
Herr Abgeordneter, ich muß bestreiten, daß das Ausführungen zur Geschäftsordnung sind. Das sind Ausführungen zur sachlichen Behandlung des Gegenstandes, genau so wie der Antrag auf Übergang zur -Tagesordnung kein Antrag zur Geschäftsordnung, sondern .ein Antrag zur gesetzgeberischen Behandlung eines Gesetzentwurfs ist. Sie haben sich bis jetzt nicht zur Geschäftsordnung geäußert.
Herr Präsident, nach § 76 der Geschäftsordnung kann jederzeit der Antrag auf Übergang zur Tagesordnung gestellt werden; also „jederzeit"! Gut, Herr Präsident, ich verzichte auf eine nähere Begründung, warum der Übergang zur Tagesordnung notwendig ist, sage aber in diesem Zusammenhang jetzt schon, daß wir von der Bundesregierung eine Vorlage erwarten, die verfassungstreuer ist als die der SPD.
Meine Damen und Herren! Die Ausführungen, die Sie soeben gehört haben, waren keine Ausführungen zur Geschäftsordnung.
Wir wollen aber die Situation klären. Es ist der Antrag gestellt worden, die Behandlung dieses Antrags der SPD-Fraktion von der Tagesordnung abzusetzen und darüber zur Tagesordnung überzugehen. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit. Der Antrag ist also abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Behandlung des Punktes 1 der Tagesordnung.
Das Wort zur Begründung hat für die Antragsteller Herr Abgeordneter Dr. Greve.
Meine Damen und Herren! Wie notwendig der von meiner Fraktion eingebrachte Antrag auf Erlaß eines Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie ist, haben die Worte meines Herrn Vorredners sehr klar, glaube ich, zum Ausdruck gebracht.
Hier, wenn es sich um die Behandlung eines Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie handelt, einen Antrag dahin zu stellen, zur Tagesordnung überzugehen, das bedeutet etwas mehr, als einen geschäftsordnungsmäßigen Antrag zu stellen.
Meine Damen und Herren, das läßt klar erkennen, wo die Feinde der Demokratie stehen.
Meine Damen und Herren, durch geräuschvolle Kundgebungen wird die Situation, glaube ich, nicht geklärt.
Ich möchte Sie, Herr Abgeordneter Dr. Greve, fragen, ob Sie ein Mitglied des Hauses als Feind der Demokratie haben bezeichnen wollen.
Herr Präsident, ich habe gesagt, daß dieser Antrag erkennen läßt, wo die Feinde der Demokratie stehen.
Ich habe damit selbstverständlich gemeint, in welchem politischen Lager,
auf welcher politischen Seite die Feinde der Demokratie stehen.
Damit habe ich kein Mitglied des Hauses genannt.
Also ich stelle fest, daß der Abgeordnete Greve erklärt hat, daß er mit dieser Äußerung kein Mitglied des Hauses gemeint hat.
Ich bitte den Herrn Redner, in seinen Ausführungen fortzufahren.
Meine Damen und Herren, es ist bezeichnend, daß wir uns, nachdem noch nicht fünf Jahre seit der scheußlichsten Diktatur, die jemals über ein Land gekommen ist, vergangen sind und es noch nicht ganz ein Jahr her ist, seitdem wir das Grundgesetz hier in Bonn verabschiedet haben, schon wieder veranlaßt sehen, uns mit einem Gesetz gegen die Feinde der Demokratie zu befassen. Das mag insbesondere auch Veranlassung seih, uns dessen zu erinnern, daß wir uns in dieser Woche in den Tagen des 13. März und folgenden befinden, in den Tagen, in denen sich zum 30. Male die Woche des Kapp-Putsches jährt. Es mag im gewissen Sinne bedeutungsvoll sein, daß wir dreißig Jahre später, nachdem ein Frontalangriff gegen die Weimarer Republik gestartet wurde, hier gezwungen sind, uns mit Gesetzesvorlagen zu befassen, mit denen auch meine Freunde und ich uns am liebsten überhaupt nicht befassen würden. Und dennoch ist ein wesentlicher Unterschied zwischen der Zeit nach 1918 und der Zeit, die wir heute durchleben. Was war schon in der Zeit der Weimarer Republik vor sich gegangen, als am 26. Februar 1922 die Notverordnung zum Schutze der Republik erlassen wurde, was war vorgegangen, als das Gesetz zum Schutze der Republik erlassen wurde — das übrigens damals von Bayern abgelehnt wurde! —, was war vorgegangen, als die Errichtung des Staatsgerichtshofs zum Schutze der Republik durch Gesetz festgelegt wurde? Wir hatten die Januar-Unruhen des Jahres 1920 gehabt; wir hatten den eben von mir erwähnten KappPutsch im Jahre 1920 gehabt, die Frühjahrsunruhen des Jahres 1921, die Unruhen in Hamburg, im Rheinland; wir hatten die Gründung der staatsfeindlichen Organisationen, wie Orgesch, Brigade Erhard, Roßbach, Yorkbund, Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund, und wie sie alle heißen, in dem Deutschland nach 1918 erlebt.
Im Gegensatz dazu, meine' verehrten Anwesenden, haben wir nach 1945 noch keine derart schweren Erschütterungen gehabt, wie es damals der Fall gewesen ist. Und dennoch sind insbesondere in letzter Zeit — und das wissen wir nach dem, was selbst im Bundestag in den letzten Wochen geschehen ist —
Symptome dafür vorhanden, daß gewisse politische Erscheinungen dieselben wie nach 1918 sind.
— Wenn Sie sich in Ihrem Lager nicht als Feinde der Demokratie betrachten, dann brauchen Sie sich hier nicht aufzuregen, meine Herren von der Rechten!
Es ist gar keine Veranlassung, an dem, was ich hier sage, Anstoß zu nehmen, wenn man sich nicht selbst als Feind der Demokratie betrachtet!
Uns allen ist die Tätigkeit, die bis in die jüngsten Tage hinein auf seiten der politischen Rechten zu verzeichnen ist, nicht unbekannt geblieben. Uns sind auch die Mittel und die Methoden in der Auseinandersetzung offenbar geworden, wie . wir sie schon einmal kennengelernt haben und wie wir sie
nicht wieder in der politischen Auseinandersetzung in Deutschland haben möchten.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie wollen, daß wir uns über diesen bewußten Fall auseinandersetzen, dann gibt es dazu eine andere Möglichkeit als gerade bei diesem Gesetz; und darüber, wer von den Beteiligten, die Sie jetzt meinen, Feind der Demokratie ist, gibt es, glaube ich, keine zwei Meinungen in diesem Hause, sondern nur eine einzige!
Meine Damen und Herren, ich brauche nur auf den Gleichlauf in der Justiz nach 1918 und nach 1945 hinzuweisen. Ich brauche nur Urteile zu erwähnen, wie sie in den Prozessen gegen Petersen, gegen Hedler gefällt worden sind. Ich brauche nur auf das Bielefelder Urteil hinzuweisen.
Ich brauche nur auf die Justiz in der britischen Zone hinzuweisen und auch auf die politische Unzuverlässigkeit eines Teils der Justizminister, die uns Veranlassung genug ist, uns mit Dingen zu befassen, von denen ich sagte, wir würden uns lieber nicht mit ihnen befassen.
Welche Gründe des Vorhandenseins reaktionärer, nationalistischer, neofaschistischer und in ihrer Gesamtheit antidemokratischer Bestrebungen — trotz nicht immer zutage tretender Offenkundigkeit — gegeben sind, das ist vollkommen gleichgültig. Wir alle wissen, daß nach 1945 mancherorts Fehler gemacht worden sind von mancher Seite. Wir wissen, daß für das, was wir heute in Deutschland erleben, auch wir einen Teil der Schuld tragen. Wir müssen es aber auch ganz offen sagen, daß ein Teil der Schuld denjenigen aufzuladen ist, die nach 1945 Gewalt über uns hatten, daß ein wesentlicher Teil der Schuld bei den Besatzungsmächten, in der falschen Handhabung ihrer Mittel gelegen hat.
Hier mag der Hinweis auf die mangelnde Fundierung des Lebens der breiten Massen in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht genügen, insbesondere seit den Tagen nach der Währungsreform.
-- Das Aufkommen der Feinde der Demokratie ist insbesondere sichtbar geworden nach der Währungsreform! Wir sind der Auffassung, daß die Verankerung der Demokratie in den Herzen der Menschen wahrscheinlich sehr viel besser vor sich gehen würde, wenn man in wirtschafts- und sozialpolitischer Hinsicht
etwas fortschrittlicher wäre, als man heute bei uns in der Bundesrepublik ist.
Wir glauben, wir brauchten dann ein Gesetz zum Schutze der Republik und gegen die Feinde der Demokratie nicht, weil der beste Schutz gegen die Feinde der Demokratie die Sicherung der breiten Massen unseres Volkes in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht ist.
Es mag richtig sein, daß wir heute in Deutschland viel empfindlicher geworden sind — man merkt es ja auch heute — und daß wir sehr viel schneller gegenüber den Bestrebungen staatsfeindlicher Kräfte reagieren, als es früher der Fall war. Es ist auch möglich, daß wir uns heute allzusehr im Zustande des gebrannten Kindes befinden, das das Feuer scheut.
Die Tatsache als solche allein aber verpflichtet uns schon, schneller und entscheidender zu handeln, wenn wir die Fehler der Zeit nach 1918 vermeiden und nicht noch einmal begehen wollen.
In letzter Zeit sind in der Presse mehrfach Artikel veröffentlicht und Stimmen laut geworden, die erkennen lassen, daß heute wenigstens dieser Teil der öffentlichen Meinungsbildung die Bedeutung dieser Frage erkannt hat und sich ihrer bewußt ist. Ich darf in diesem Zusammenhang kurz auf das hinweisen, was Ihnen allen in diesen Tagen zugegangen ist, auf den „Informationsdienst" mit einer Presseübersicht „Justiz als Staatsschutz". In diesem „Informationsdienst" sind Ausführungen enthaften, die von meinen Freunden und mir nicht in ihrem vollen Umfang gebilligt werden. Wir haben in verschiedenen Punkten andere Auffassungen darüber, wie man den Staat schützt, wie man sich gegen die Feinde der Demokratie wehrt. Aber trotz aller in diesen Pressestimmen zum Ausdruck kommenden Differenziertheit hinsichtlich Form und Inhalt des Staatsschutzes bzw. des Schutzes gegen die Feinde der Demokratie und der zu treffenden Maßnahmen besteht hier volle Übereinstimmung darin, daß Maßnahmen, gleichviel welcher Art, notwendig sind, wenn wir in Deutschland nicht zum zweiten Male die Demokratie selber verspielen wollen.
Unter diesem Gesichtspunkt glauben wir Sozialdemokraten, daß unser Antrag die nötige Aufmerksamkeit aller derjenigen finden wird, die für den Schutz des Staates, die Verteidigung seiner Prinzipien und seiner Institutionen gegen die Feinde der Demokratie und die Verhinderung des Mißbrauchs der gewährten Freiheiten eintreten. Es ist meines Erachtens nicht zuviel gesagt, wenn ich angesichts der politischen Labilität, in der sich das Leben unseres Volkes und unseres Staates befindet, zum Ausdruck bringe, daß die Vorlage unseres Entwurfes eines Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie aus der ernsten Sorge um das Leben unseres jungen Staates und die Freiheit seiner Bürger geboren ist.
Um diese Gefahr richtig zu beurteilen, ist es notwendig, einmal kurz darzustellen, woher die Gefahren kommen und welche es im einzelnen sind. Wir wissen, daß diese Gefahren sehr vielfältig sind und daß es sehr schwer ist, ihrer im Rahmen eines Gesetzes Herr zu werden. Wir wissen auch, daß sie sehr viel mehr versteckt als offen zutage treten, und wir wissen auch, daß es sich weithin — und darüber kann kein Zweifel bestehen — um ideologische Restbestände aus der Zeit des Nationalsozialismus handelt. Es ist bei der Begründung dieses Gesetzentwurfes nicht meine Aufgabe, auf die Gefahren hinzuweisen, die der Demokratie von
außen drohen. Ausführungen zu diesem Problem sind in den letzten Wochen und auch in diesen Tagen genügend gemacht worden, sodaß ich darauf verzichten kann, es noch einmal zu schildern. Hier handelt es sich für uns darum, die Gefahrenherde aufzuzeigen, die- unserer jungen Republik von in- nen her drohen. Es ist meines Erachtens müßig, auf alle die einzelnen neofaschistischen Gruppen, Parteien, Bruderschaften und wie sie sich alle nennen mögen, hinzuweisen. Es ist auch nicht notwendig, daß wir uns im einzelnen damit befassen, welches die verschiedenartigen Persönlichkeiten — oder besser gesagt Personen dieser neofaschistischen Richtung sind. Dazu mögen sie trotz allen Lärms im einzelnen viel zu unbedeutend sein. Interessant ist es jedoch, auf das hinzuweisen, was kürzlich in einem Bericht des amerikanischen Hohen Kommissars zum Ausdruck gekommen ist über Untergrundbewegungen, über die in den Händen des Herrn Hohen. Kommissars Material vorhanden ist, das uns Deutschen bisher nicht in vollem Umfange zugänglich gemacht wurde.
Es mag gestattet sein, in diesem Zusammenhang unser Bedauern darüber auszusprechen, daß man uns bisher noch keine Möglichkeit gegeben hat, von deutscher Seite diejenigen Kräfte anzusetzen, die zum Aufspüren und Erkennen der Feinde der Demokratie notwendig sind.
— Ja, ich glaube, das wird manchem von Ihnen sehr unangenehm sein, wenn wir uns mit diesem Problem etwas näher befassen, meine Damen und Herren.
Was in letzter Zeit im übrigen an Verächtlichmachung der Republik, der Demokratie, der Symbole unseres Staates und an Beschimpfung und an Verunglimpfung führender politischer Persönlichkeiten möglich gewesen ist,
das im einzelnen zu erörtern, scheint nicht nötig zu sein. Ich glaube, daß die Demokratie allein durch die Art und Weise des Auftretens ihrer Feinde nicht nur diskreditiert wird, sondern sehr ernsten Schaden nimmt, und zwar nicht nur im Inlande, sondern auch im Ausland. Und wir werden es schwer haben, dem Auslande gegenüber unter° Beweis zu stellen, daß uns die Demokratie eine so ernsthafte Angelegenheit ist, wie sie sehr vielen in diesem Hause und auch außerhalb des Hauses tatsächlich ist.
Viel schlimmer und viel gefährlicher aber als alles von mir bisher Geschilderte ist die Tatsache, daß die Feinde der Demokratie auch in den Organen unseres Staates selbst sitzen, daß sie sich weithin als Repräsentanten der Demokratie in irgendeiner Form zeigen, und zwar handelt es sich oft um Leute, die in amtlichen Funktionen in Erscheinung treten, ohne daß sie den ehrlichen Willen haben, überhaupt Diener des demokratischen Staates zu sein.
Die Duldung solcher Zustände kommt, auf die Dauer gesehen, der Selbstaufgabe der Demokratie durch die Demokraten gleich. Es mag hier nur der Hinweis auf die letztbekanntgewordene Untersuchung der amerikanischen Hohen Kommission über die deutschen Parteien genügen, die Sie wohl alle in der „Süddeutschen Zeitung" gelesen haben, in der es heißt, daß „führende Stellungen
in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft von ehemaligen, meist maßgebenden deutschen Nationalisten besetzt sind. Manche hätten zwar aus der Vergangenheit gelernt und sich gebessert. Eine große Zahl, vor allem bei der Polizei, in den Universitäten und in den Studentenvereinigungen, verfolge jedoch ihre alte Linie weiter."
Meine verehrten Anwesenden! Wir wollen nichts verallgemeinern, aber für einen Teil derjenigen, die hier apostrophiert sind, gilt das schon, was hier gesagt wird.
Die Demokratie war schließlich nicht die Staatsform der Nazis, und die ehemaligen Nationalsozialisten, denen nicht der Schutz ihrer Jugend zugute zu halten ist, haben sich als Demokraten erst zu bewähren, auch wenn sie als Abgeordnete in diesem Hause sitzen.
Sie sind uns nicht die geeigneten Garanten für den Kampf gegen die Feinde der Demokratie. Dazu bedarf es Frauen und Männer, denen die Demokratie mehr ist als ein Lippenbekenntnis. Demokrat wird man nach unserer Auffassung durch inneres Erleben, durch Erziehung und durch Überzeugung und durch nichts anderes.
Meine sehr verehrten Anwesenden! Wir erinnern uns alle noch zu gut der Zeit nach 1918, als die Dolchstoßlügner des ersten Weltkrieges am Werke waren, die schließlich die Schuld am zweiten Weltkriege tragen.
Diese Dolchstoßlügner des zweiten Weltkrieges, die heute weithin als Demokraten getarnt auftreten, gilt es zu erkennen und zu treffen, wo wir sie finden.
Von allen, die es mit dem Bestand der Demokratie in Deutschland ernst meinen, müssen wir erwarten, daß sie sich von diesen Dolchstoßlügnern von heute absetzen. Das Gift, das hier schon wieder in das deutsche Volk gespritzt wird, war auch der Stoff in den Reden des Herrn Hedler und nichts anderes. Aber es ist schließlich nicht nur Herr Hedler allein, und es sind nicht nur die anderen Hedlers, die überall in Deutschland in den verschiedensten neofaschistischen Gruppen herumschwirren, die diese Giftspritze als das einzige Instrument in der politischen Auseinandersetzung zu handhaben wissen! Uns sind sehr viel mehr gerade diejenigen besonders suspekt, die seit 1945 meinen, daß Demokrat-sein eine billige Angelegenheit sei, die zu nichts verpflichtet, zu manchem aber nützlich sei.
In gleicher Weise betrachten wir auch diejenigen, denen es nicht schnell genug gehen kann mit dem Tage, an dem sie im Rampenlicht der heutigen Politik aufzutreten vermögen, obwohl sie bei ihrer politischen Vergangenheit oft sehr viel bescheidener und zurückhaltender sein sollten. Leute dieser Art finden wir überall; und sie zu erkennen, gilt es in gleicher Weise.
Für besonders verhängnisvoll allerdings --- und das möchte ich mit ganz besonderem Ernst sagen — halten wir es, wenn von sehr vielen, die wir als Feinde der Demokratie betrachten, in aller Öffentlichkeit politische Probleme erörtert werden und die Erörterungen nicht von der notwendigen
Einsicht und der Toleranz getragen sind, die zu den Elementen jeder Demokratie gehören.
Wer heute von Widerstandskämpfern gegen das nationalsozialistische System im In- und Ausland, wer von den Verfolgten des sogenannten Dritten Reiches, wer insbesondere von den Juden anders spricht als mit Respekt und zugleich mit dem Gefühl tiefer Beschämung, der verdient nach unserer Auffassung nicht den Schutz dieses Staates und seiner Einrichtungen.
Es mag mir in diesem Zusammenhang mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten gestattet sein, auf etwas hinzuweisen, was sicher das Interesse aller finden wird. Sie wissen, daß es in der Zeit des sogenannten Dritten Reiches Judenreferenten gab. Das waren Personen, die bei den diplomatischen Vertretungen des damaligen Deutschen Reiches im Ausland amtlich beschäftigt waren und die antisemitische Propaganda zu leiten hatten. Diese Judenreferenten mußten in gewissen Abständen Tagungen abhalten, um sich über das zu orientieren, was sie als den Erfolg ihrer Arbeit ansahen. So fand zum Beispiel auch am 3. und 4. April 1944 in Krummhubel im Riesengebirge eine solche Besprechung statt, auf der alle möglichen Leute zusammenkamen, um sich hier einmal wieder antisemitisch überholen zu lassen. Bei dieser Gelegenheit wurden Ausführungen gemacht, die ich hier einmal im Wortlaut vorlesen möchte:
Die Juden sind die Urheber des Krieges. Sie haben die Völker in den Krieg hineingetrieben, weil sie an ihm interessiert sind. Die Juden sind das Unglück aller Völker. Ein jüdischer Sieg würde das Ende jeder Kultur sein . Kämpft Deutschland gegen die Juden, so tut es das nicht nur für sich, sondern für die ganze europäische Welt. Der Jude hat hat sich mit diesem Krieg sein eigenes Grab gegraben.
Meine sehr verehrten Anwesenden! Diese Worte hat der Legationssekretär der damaligen Zeit Dr. Kutscher zu den in Krummhübel Versammelten gesprochen. Nun fragt die Zeitung, der „Aufbau" aus New York:
Wo befindet sich heute der Kutscher, der die „Judenreferenten" kutschierte? In einem Zuchthaus? Nein. In einem Gefängnis? Nein. In einem Arbeitslager? Nein. Sprach den Kutscher eine Spruchkammer schuldig? Nein! Wo ist der Kutscher? Antwort: in Bonn!
Dieser Lehrer der Judenreferenten wirkt in Bonn als persönlicher Referent des Bundeswirtschaftsministers Erhard.
Eine Spruchkammer hatte Kutscher als entlastet erklärt. Darauf bewarb er sich sofort um Amt und Würden und war bereits in Frankfurt amtlich tätig, bis ihn der politische Prüfungsausschuß des Wirtschaftsrats seines Postens enthob. Diese Entscheidung hielt Kutscher nicht ab, sich weiter nach vorn zu drängen, bis er im Minister Erhard. einen Gönner fand. Jetzt hält Kutscher täglich Vortrag beim Bundeswirtschaftsminister.
Meine verehrten Anwesenden! Ich glaube, wenn wir gegen die Feinde der Demokratie mit Erfolg kämpfen wollen, dann müssen wir etwas mehr politische Sauberkeit in dieser Beziehung in unseren eigenen hohen und höchsten Organen in der Bundesrepublik haben.
Solange das nicht der Fall ist, solange wir uns nicht von den politischen Läusen in unserem eigenen Pelz gesäubert haben, so lange können wir nicht mit Erfolg gegen die Feinde der Demokratie draußen zu Felde ziehen.
Herr Abgeordneter, darf ich darauf aufmerksam machen, daß die im Ältestenrat vorgesehene Redezeit abläuft.
Meine verehrten Anwesenden, die Feinde der Demokratie stehen also nicht nur außerhalb der politischen Parteien, sondern sie befinden sich in ihnen drin, und sie sitzen auch da, wo wir vermeinten, daß sie nicht säßen und nicht sitzen sollten. Aber die Lösung dieser Frage ist unseres Erachtens nicht nur ein juristisches, sondern ein eminent politisches Problem. Wenn der Staat einmal wirklich in Gefahr kommt, dann sind die toten Buchstaben des Gesetzes keine genügend scharfe Waffe, um ihn zu retten. Dann kommt es unseres Erachtens darauf an, daß es Menschen gibt, die nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen bei diesem Staate stehen und von der Richtigkeit dessen überzeugt sind, daß es ihn zu schützen gilt und es sich auch lohnt, ihn zu schützen. Unsere Gesetze werden nur wirksam sein, wenn wir uns hinter sie stellen, das heißt, wenn wir, die Angehörigen aller derjenigen Parteien, denen das Demokratische in und an diesem Staat nicht nur Mittel zum Zweck, sondern Ausdruck ihres inneren politischen Wesens ist, dem Volke draußen sagen, daß dieser Staat nur als ein demokratischer Staat die letzte Chance ist, die wir in Deutschland und Europa haben, wenn wir in Frieden und Freiheit unter Achtung des Menschen als Menschen leben wollen. Gelingt es uns nicht, meine Damen und Herren, die große Masse des deutschen Volkes davon zu überzeugen — in diesem Zusammenhang darf ich mich einmal mit besonderem Nachdruck an die Rechte oder besser gesagt Halbrechte und an die Mitte dieses Hauses wenden —, daß die Demokratie, von der wir sprechen, es wert ist, daß man sie dem deutschen Volke nahe bringt, daß sie im Raume der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnung aber nur dann bestehen kann, wenn diese Ordnung eine gerechte ist, dann ist all unser Mühen umsonst. Kommt unser Staat wirklich einmal in die Gefahr, daß die Demokraten sich mit dem Leben vor ihn stellen müssen, dann wollen wir hoffen und wünschen, daß es außer der deutschen Arbeiterschaft nicht nur eine Handvoll aufrechter Demokraten gibt, die gewillt sind, ihr Leben für die Demokratie einzusetzen, sondern daß dann die Masse des deutschen Volkes, gleichviel, in welchen demokratischen Parteien sie steht, auch bereit ist, sich mit ihrem Leben für diese Demokratie einzusetzen, und zwar anders, als es 1933 der Fall gewesen ist.
Herr Abgeordneter! Darf ich Sie im Hinblick auf die Vereinbarung im Ältestenrat, der auch ihre Fraktion beigetreten ist, bitten, zum Schluß zu kommen.
Meine verehrten Anwesenden! Die Vorlage, die meine Frak-
tion eingereicht hat, hat in ihrem Charakter weniger Defensives als Offensives. Ich sage es ganz bewußt: Unser Gesetzentwurf ist die offene Kampfansage an alle Feinde der Demokratie.
Es wird hier nicht nötig sein, im einzelnen auf das einzugehen, was in der Gesetzesvorlage enthalten ist. Sie finden Bestimmungen gegen Hochverrat, hochverratsähnliche Delikte, gegen den Verfassungsbruch, gegen den Angriff auf die demokratischen Freiheiten, gegen Sabotageakte, gegen die Verächtlichmachung der Symbole der Republik usw.
Ich komme zum Schluß. Meine Freunde und ich sind sich dessen bewußt, daß es mit der Verabschiedung eines solchen Gesetzes allein nicht getan ist. Wir wissen, daß insbesondere ein solches Gesetz mit seinem spezifisch politischen Charakter in die Hand von Richtern gegeben werden muß, die mehr sind als nur Justizbeamte. Ohne heute eine neue Justizdebatte einleiten zu wollen, darf ich doch sagen, daß es unerläßlich ist, immer wieder darauf hinzuweisen, daß wir auch von der Seite der rechtsprechenden Gewalt her einen anderen Schutz dieses Staates haben müssen, als es in der Zeit nach 1918 der Fall gewesen ist. Ich will noch einmal ausdrücklich betonen, daß weder einer meiner Freunde noch ich selbst eine Politisierung der Justiz oder gar eine Klassenjustiz wünschen.
Wir wünschen aber auch nicht, daß die in der Justiz tätigen Richter das Recht, insbesondere das Recht in einem politischen Prozeß nur gegen eine Klasse von Staatsbürgern anwenden. Nach unserer
Auffassung muß in Ergänzung zu dem von uns vorgelegten Gesetzentwurf gegen die Feinde der Demokratie in unserem Staate die Möglichkeit geschaffen werden, daß wir das politische Verbrechertum legal mit politischen Mitteln bekämpfen können. Wo auch immer dieses politische Verbrechertum auftritt und sich bemerkbar macht, muß es zur Strecke gebracht werden. Wenn die Exekutive und die rechtsprechende Gewalt die Aufgabe haben, darauf zu achten, daß die Gesetze, um die es sich hier handelt, nicht gegen die Demokraten, sondern gegen die Feinde der Demokratie angewendet werden, dann müssen wir von der Legislative her die Möglichkeit dazu schaffen.
Ich komme jetzt zum Schluß.
Gestatten Sie mir nur noch einen Satz. Das Erleben des Nationalsozialismus und sein Wiederaufkommen in den verschiedensten Spielarten von heute sollte uns Verpflichtung genug sein, unser Leben und das Leben unserer Kinder in einer freiheitlichen Demokratie unter den Symbolen, für die nun schon seit mehr als 100 Jahren alle freiheitliebenden Menschen gekämpft haben, zu sichern und die Demokratie zu schützen, bevor es zu spät ist. .
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Ich darf darauf aufmerksam machen, meine Damen und Herren, daß wir für die weitere Beratung im Ältestenrat eine Redezeit von je 10 Minuten für die Sprecher der einzelnen Fraktionen festgesetzt haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung stimmt mit den Antragstellern durchaus überein in der Überzeugung,
daß unsere junge Demokratie mit allen Mitteln geschützt werden muß gegen diejenigen, die sich anschicken, die Grundlagen unseres jungen demokratischen Staates anzugreifen, insbesondere gegen diejenigen, die die Freiheiten dieses demokratischen Staates und seines Grundgesetzes zum Kampfe gegen die Demokratie mißbrauchen. Wir sind uns durchaus bewußt, daß unser Staat schutzwürdiger ist als irgendein anderer.
Es ist das Schicksal der deutschen Demokratie, daß sie nicht gewachsen ist, daß sie nicht von unserem Volk erkämpft wurde, sondern daß sie wieder einmal aus dem Niederbruch zu uns gekommen ist, ohne Glanz, ohne Nimbus, daß sie erst in den Herzen unseres Volkes Wurzel schlagen muß. Deswegen wissen wir, daß sie empfindlich ist und daß sie eines besonderen Schutzes bedarf.
Aber, meine Damen und Herren, Sie werden doch nicht glauben, daß die Demokratie durch das Strafrecht geschaffen wird. Wir werden uns doch dessen bewußt sein — ich hoffe: alle werden sich dessen bewußt sein —, daß die Frage der Auseinandersetzung, die unausweichlich ist, auf anderer Ebene ausgetragen werden muß, auf der politischen Ebene, auf der wirtschaftlichen Ebene, auf der geistigen und am Ende auf der sittlichen Ebene. Aber wir stimmen mit den Antragstellern in bezug auf die Notwendigkeit überein, daß auch dem Strafrichter das erforderliche Rüstzeug in die Hand gegeben werden muß, um die Feinde des Staates zur Räson zu bringen. Wir sind jedoch der Meinung, daß das nach den Grundsätzen des Rechtsstaates geschehen muß. Wir wollen nicht in den Fehler und in die Gefahr verfallen, uns in polizeistaatlichen Vorstellungen zu verfangen.
Wir wollen auch nicht der Gefahr verfallen, in das Gegenteil umzuschlagen und das, was wir im Grundgesetz an Freiheiten feierlich aufgerichtet und garantiert haben, wieder wegzunehmen, der Demokratie den Maulkorb anzulegen.
Man kann über den richtigen Weg, auf dem man vorgehen will, verschiedener Meinung sein. Die Antragsteller wollen . ein Sondergesetz, in dem eine Reihe von Bestimmungen zusammengefaßt wird. Meine Vorstellung ist eine andere, und die Vorlage, die Ihnen in Kürze zugehen wird, soll einen anderen Weg gehen. Ich will kein zeitbedingtes Sondergesetz. Ich will nicht den Anschein erwecken, als ob wir aus irgendeiner Stimmung heraus im Augenblick gesetzliche Bestimmungen treffen.
Ich möchte gesetzliche Bestimmungen schaffen, die auch noch nach Jahrzehnten der objektiven Beurteilung standhalten.
— Ich hoffe, daß wir sie dann gemeinsam, Herr Greve, Sie und ich und manche andere, überwunden haben.
Ob der Weg, der hier eingeschlagen ist, der richtige ist, ob Sie nicht, wenn ich ein persönliches Wort sagen darf, damit der großen Masse Gespenster aufzeigen und dadurch erst Gefahren schaffen,
darüber wollen wir uns heute nicht unterhalten.
Ich möchte meinen, daß das Vorbild des Republikschutzgesetzes, daß auch das Vorbild der Notverordnungen nicht verlockt. Sonderbestimmungen haben nicht die Eignung, in unserem Volk Sympathie zu erwecken, werden als Fremdkörper empfunden. Deswegen meine Anregung: Ich stimme materiell weitgehend mit den Vorschlägen der Sozialdemokratischen Partei überein, wenn ich auch teilweise verfassungsrechtliche Bedenken habe, ich gehe in manchen Bestimmungen über ihre Anträge in meinen Vorschlägen hinaus; ich bin aber der Ansicht, daß diese Bestimmungen in das Strafgesetzbuch eingebaut werden müssen, schon um diesen Strafdrohungen den kriminellen Charakter zu geben, um den Täter abzuschrecken. Er soll nicht unter ein Ausnahmegesetz gestellt werden, sondern er soll wissen, daß er dann, wenn er gegen die Demokratie ankämpft, als Verbrecher bestraft wird.
Ich habe die Vorlage, die sich leider etwas verzögert hat, in den letzten Wochen noch eingehend mit den Ländervertretern, mit den Vertretern der Wissenschaft, mit den Vertretern der obersten Gerichte durchgesprochen und glaube, daß sie ein reifes Werk ist. Ich hoffe, daß sie in den nächsten Tagen ins Kabinett kommt und dann in den Weg der Gesetzgebung gelangen kann. Ich möchte meinen, daß dann die gemeinsame Beratung meiner Vorlage, der Vorlage des Kabinetts, unter Verwendung des Antrags der Fraktion der SPD als Material möglich ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiesinger.
Meine Damen und Herren! Ich will den Appell, den Herr Kollege Greve an die Mitte gerichtet hat, aufnehmen und will versuchen, mit all dem Ernst, der dieser Sache geziemt, ihm zu antworten.
Ich habe es bedauert, daß der Herr Kollege Donhauser den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung gestellt hat; nicht etwa deswegen, weil wir nicht eine ganze Reihe von Bedenken, die er hat, teilen. Wir tun das! Ja wir können uns durchaus nicht. vorstellen, daß wir zu einem Gesetz in dieser Form und mit diesem Inhalt ja sagen könnten. Aber wir halten es für wenig klug, bei einer so wichtigen Materie den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung zu stellen. Dazu sind uns die Dinge, um die es hier geht, zu ernst. Wer haben in den Ausschüssen — im Ausschuß zum Schutze der Verfassung und im Rechtsausschuß — Gelegenheit, die Fragen in aller Ruhe, sachlich und nüchtern, zu behandeln. Ich will daher heute Abstand nehmen, wozu jetzt Gelegenheit wäre, im einzelnen zu dem Inhalt dieses Gesetzes Stellung zu nehmen. Wir werden genügend Zeit haben, das zu tun.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir aber bei dieser Gelegenheit im Namen meiner Freunde nur einige grundsätzliche Bemerkungen. Wenn man über den Schutz der Demokratie spricht, dann sollte man doch wohl im Auge haben, daß alle diejenigen in diesem Hause, denen es mit Demokratie ernst ist, durch eine derartige Rede nicht etwa auseinandergerissen, sondern zusammengeführt werden.
Das Wort Demokratie ist vielleicht das meist mißbrauchte Wort unserer Zeit. Ich kann das Wort Demokratie im Sinne einer sozialistischen Demokratie verstehen, wie es unsere Freunde von der Sozialdemokratie tun. Ich kann das Wort Demokratie im Sinne einer liberalen Demokratie verstehen, wie es andere demokratische Freunde in diesem Hause tun. Von denen, die das Wort Demokratie, um ja Glauben zu finden, mit der Tautologie Volksdemokratie belegen, will ich in diesem Zusammenhang schamhaft schweigen.
— Ich habe keine Angst, o nein!
— Demokratie für alle, die die Freiheit wollen, mein Lieber!
Diese Demokratie sieht also in den verschiedenen Köpfen recht verschieden aus. Eine der größten Aufgaben, die wir haben, ist, daß wir uns auf unser demokratisches ideologisches Existenzminimum besinnen, auf das nämlich, was uns gemeinsam ist. Man sollte in einer Rede über die Demokratie nun nicht die Konzeption der sozialistischen Demokratie in den Vordergrund stellen, wenn man Freunde gewinnen will, sondern man sollte in einer Rede zum Schutze dieser Demokratie jenes ideologische Existenzminimum herstellen, das wirklich das erzeugt, was die wirklichen Freunde der Demokratie in diesem Hause wollen, nämlich die begeisterte Zustimmung aller Freunde der Demokratie.
Und dies hat mein verehrter Herr Kollege leider nicht getan. Der bayerische Löwe hat mit Recht gebrummt
— oder gebrüllt —, als ihm vorgeworfen wurde, daß ausgerechnet er nicht mit einem Tropfen demokratischen Öls gesalbt sei; ja, es ist ihm sogar Schlimmeres vorgeworfen worden.
— Ich bin zufrieden, daß Sie mit den historischen
Vergleichen beim 19. Jahrhundert geblieben sind.
Meine Damen und Herren, zu diesem ideologischen Existenzminimum ein paar Worte. Es ist eine Banalität, zu sagen, daß es eines wirksamen Schutzes — ich stimme Ihnen da zu, Herr Kollege Greve —, eines offensiven Schutzes der Demokratie bedarf. Wir sind uns darüber einig, daß man ebensowenig -- um das Wort des Herrn Talleyrand zu wiederholen —, wie man auf Balonettspitzen sitzen kann, sich auf die scharfen Zacken eines Stacheldrahtes von Strafbestimmungen stützen kann, der diese arme Demokratie beschirmen soll. Das wissen wir alle.
Aber wir wissen auch ein weiteres: Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert, wir teilen nicht mehr den Glauben jener Welt, in der mein verehrter Landsmann Friedrich Theodor Vischer einmal gesagt hat, das Moralische, auch im politischen Raum, verstehe sich von selbst.
Leider, meine Damen und Herren: das Moralische, im politischen Raum zumal, versteht sich gar nicht mehr von selbst.
In der Vergangenheit haben wir Dinge erlebt, von denen man fast nicht sprechen will, weil man glaubt, daß man in ein Pathos hineinkommen könnte, das unecht wirken könnte. Wir haben Dinge erlebt, die uns heute noch die brennende Scham ins Herz treiben, den tiefen Schmerz, die tiefe Trauer! Und wenn es heute in deutschen Landen wieder Menschen gibt, die, wenn es wahr ist, über dieses vergangene System urteilend, glauben sagen zu können: „Die Judenfrage wurde nicht glücklich gelöst!" — jene Frage, bei der es sich darum handelt, daß Millionen Unschuldiger in diesem Volk gemordet wurden —, dann allerdings heißt es: Alarm!
Wir werden uns von niemandem vorwerfen
lassen, daß wir diese Gefahrensignale nicht sehen.
Wir glauben nicht mehr an den guten Menschen. Wir sind keine Jünger Jean Jaques Rousseaus,
wenigstens wir christlichen Demokraten nicht, und ich hoffe, eine große Reihe unserer Freunde nicht. Wir wissen, was der Mensch ist. Wir wissen, daß er eben nicht der ist, mit dem man ein irdisches Paradies bauen kann, wie Sie drüben, die Besten von Ihnen, vielleicht meinen, jene klassenlose Gesellschaft, in der, wenn wir nur einmal eine Konservendosenkultur haben, alle Dinge friedlich geschlichtet sein werden. O nein, die Technik löst diese Dinge nicht! Wir leben nicht mehr in jener optimistischen Zeit, und daher wissen wir, daß das „Laisser faire, laisser aller" auch in Staatsschutzdingen nicht mehr gilt, daß in der Tat der Staat sich bewaffnen, daß er eine starke Wehr haben muß.
-- Das ist kein Klassenstaat, der sich um seine Freiheit wehrt!
Wenn wir also wissen, daß wir uns wehren müssen, und wenn wir diese Wehr wollen, dann wissen wir aber auch zu gleicher Zeit, daß diese Wehr nur am Rande in strafrechtlichen Bestimmungen bestehen kann.
Nun sage ich ein ernstes Wort: Ich will den großen Gegensatz zwischen der positivistischen Rechtsauffassung und der naturrechtlichen Rechtsauffassung hier nicht aufreissen; aber ich möchte Sie darauf hinweisen, daß wir es uns nicht leisten können, nur von dem Gedanken der Abschreckung her Recht zu schaffen. Unser Recht gründet sich im ewigen Recht, das unabänderlich ist. Und nur an der Ausrichtung an diesem ewigen Recht wird auch das, was wir zum Staatsschutz an Recht schaffen, Gültigkeit haben; dort wird es gewogen und geprüft werden.
Dazu, meine Damen und Herren, brauchen wir eine gewisse Zeit. Ich weiß, was Sie mir sagen wollen. Aber verfrühte, allzu flüchtige Arbeit auf diesem Gebiet wäre vielleicht ebenso verhängnisvoll, wie es verhängnisvoll wäre, wenn man eine solche Arbeit unterließe. Im übrigen wissen wir, daß der wirkliche Kampf um diesen Staat, um diese Demokratie durch andere Dinge entschieden wird, und darum möchte ich das Wort des Herrn Justizministers aufgreifen : Wir wollen den Teufel nicht unnötig an die Wand malen. Den Herren, die da in deutschen Landen herumreisen mit den verstaubten Parolen eines überlebten Nationalismus, die versuchen, der jungen deutschen Generation — und sie geht bis in die vierziger Jahre hinein — Zukunftsparolen zu geben, den Herren wird diese Jugend nicht nachlaufen. Davon bin ich überzeugt!
Wenn diese junge Generation sich bis jetzt vom Staat und von den öffentlichen Dingen vielleicht zurückgehalten hat, wenn sie sich noch nicht in breiten Zügen in diesen Staat hat einbeziehen lassen, dann hat sie das aus anderen Gründen getan: dann hat sie es getan, weil sie enttäuscht worden ist, weil sie, die Mißbrauchten, zunächst nicht wieder wagten, sofort ihr ganzes Herz — das ist doch nun einmal die Haltung der Jungen — für eine Sache zu geben, deren Parole sie noch nicht sehen. Vielleicht halten wir selbst ein- mal Gewissenforschung im eigenen Herzen, ob wir, die Vertreter, die Repräsentanten, wenn Sie so wollen, die Führer dieser neuen Demokratie schon das Wort gesprochen haben, jenes Wort, auf das diese junge Generation wartet, die junge Generation, die opfern will, die Zucht will, die Ordnung will, die aber keine Despotie mehr will. Ich glaube, wir haben dies Wort noch nicht gefunden. Und in diesen kommenden Jahren sollte unser aller Anstrengung mehr und mehr sein, neben der Tat, neben der Leistung auch das werbende Wort zu finden.
Es gibt eine Ordnung der sozialen Welt, die nicht nur Ihrer Konzeption, Herr Kollege Greve, entspricht. Und nicht nur Sie vertreten die Arbeitermassen, auch in unseren Reihen stehen sie. Nur haben wir den Vorzug, daß in unseren Reihen sie alle stehen, vom Arbeitgeber bis zum Arbeitnehmer. Deswegen glauben wir eine Union des 20. Jahrhunderts zu sein, und die Freunde,
die uns unterstützen, glauben eine Sache des 20. Jahrhunderts zu unterstützen.
Das ist keine Interessenvertretung mehr, das ist keine Klassenvertretung mehr, sondern das ist wirklich der Versuch, einmal etwas Neues zu schaffen.
— Ach, diese ewigen Vergleiche sind langweilig. Ich könnte andere Vergleiche mit Ihnen anstellen. --- Vielleicht fällt dem 20. Jahrhundert auch einmal etwas N es ein. Wir kämpfen nicht für Kleinigkeiten, MT Rankenwerk, für Beiwerk. Dieses Grundgesetz ist ein Anfang. Wir kämpfen um das Grundsätzliche der Demokratie, und ich darf es an dieser Stelle wiederholen: Demokratie als Absolutum, ohne die Fundamente des Rechts, ist eine Barbarei!
Wenn wir von Demokratie sprechen, dann meinen wir damit stets die rechtsstaatliche Demokratie. Für sie zu kämpfen, für sie uns einzusetzen und für sie die adäquaten Schutzmittel zu finden, das soll unsere Aufgabe sein.
Ich beantrage namens meiner Freunde, die Vorlage der SPD federführend an den Ausschuß zum Schutze der Verfassung und gleichzeitig an den Rechtsausschuß zu verweisen, damit sie dort zusammen -- hoffentlich -- mit dem Regierungsentwurf, den wir in der Konzeption, nämlich bezüglich des Einbaus dieser Bestimmungen in das Strafgesetzbuch, bejahen, beraten werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.
Meine Herren und Damen! Ich möchte zu dem Antrag der SPD auf Drucksache Nr. 563 im Auftrag der Zentrumsfraktion einige grundsätzliche Ausführungen machen. Ich möchte mich dabei nicht irgendwie in die Auseinandersetzungen einmischen, in die meine beiden Herren Vorredner gekommen sind. Der uns vorliegende Gesetzentwurf gegen die Feinde der Demokratie zeigt allgemein — darin sind wir uns wohl in diesem Hohen Hause einig — die Sorge, daß Deutschland vor Entwicklungen bewahrt bleiben muß, die die Weimarer Republik nicht verhindert hat. Es liegt nun einmal im politischen Charakter des deutschen Volkes — ob wir nun links oder rechts oder in der Mitte stehen —, daß die Versuchung, andere zu täuschen, nicht so groß ist als diejenige, sich selbst zu täuschen. Ich glaube, in keinem anderen Lande der Welt wäre es nach den furchtbaren Erlebnissen des Nationalsozialismus überhaupt möglich, daß eine nationalistische Propaganda, mag sie von rechts oder von links kommen, wieder das Volk bedrohen könnte. In keinem anderen Lande der Welt, glaube ich, würde auch die Presse von dem Gebaren ehrgeiziger, unbelehrbarer Wichtigtuer, die sich auf der politischen Bühne produzieren, eine solche Kenntnis nehmen, wie es bei uns der Fall ist.
Wer wird da nicht an die Worte eines Hegel erinnert, die gerade für uns Deutsche geschrieben zu sein scheinen: die Geschichte beweise, daß die Völker aus der Geschichte nichts lernen. Und wer
sich umschaut, der entdeckt doch immer wieder mit Schrecken, wieviel Gestriges, ja Vorgestriges, möchte ich sagen, im politischen Leben Deutschlands zu finden ist und wieviele Deutsche sich doch durch ein kurzes Gedächtnis auszeichnen und nichts, rein gar nichts aus den Erlebnissen der vergangenen 17 Jahre gelernt haben. Deswegen scheint es uns schon notwendig zu sein, die Demokratie mit rechtsstaatlichen Mitteln zu sichern, ein Gesetz gegen Entartung der Politik zu schaffen. Wir wollen nicht ein zweites Mal die deutsche Republik zugrunde gehen lassen an dem Mangel der Demokraten, letzte Verteidigungsbereitschaft zu zeigen.
Trotzdem bedauern wir, daß es überhaupt zu einem solchen Gesetz kommen muß, daß hier der Prüfstein für die Demokratie liegt und strafrechtliche Bestimmungen zur Sicherung des demokratischen Lebens überhaupt notwendig sind. Es wäre auch gefährlich, zu glauben, daß einzig durch ein Gesetz alle gegen die Demokratie gerichteten Handlungen unterbunden werden könnten. Auch die Weimarer Republik hatte bekanntlich ein Gesetz zu ihrem Schutz. Es hat aber den Zusammenbruch nicht verhindert, weil von den Richtern nicht selten unter Berufung auf das Recht krasses Unrecht gesprochen wurde. So konnte man sogar einen Friedrich Ebert des Landesverrats bezichtigen. Das Gegenteil davon haben wir allerdings beim Fall Hedler erlebt.
Nachdem nun die Diskussion über den Rechtsschutz des Staates in Gang gekommen ist, scheint für uns die Frage im Vordergrund zu stehen, ob die strafrechtlichen Bestimmungen, die zum Schutze der Demokratie als notwendig erachtet werden, in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden sollen oder ob man es in Form von Sondergesetzen machen soll. In Abweichung von den Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers sind meine politischen Freunde und ich der Überzeugung, daß die neuen Strafbestimmungen, die sich aus dem Grundgesetz ergeben wir denken hier in erster Linie an die Bestrafung von Handlungen zur Vorbereitung des Angriffskrieges —, selbstverständlich in das Strafgesetzbuch hineingearbeitet werden . müssen. Wir begrüßen es — der Herr Justizminister hat es hier bestätigt --, daß von seiten der Regierung Bestimmungen zum persönlichen Schutz, zum Ehrenschutz vorbereitet werden, die ebenfalls Gegenstand einer Reform des Strafgesetzbuches sein dürften. Denn neben der Sicherung der Demokratie scheint es uns vor allem aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit notwendig zu sein, dafür zu sorgen, daß die in der vorderen Linie der Politik stehenden Männer und Frauen im Ansehen des Volkes nicht durch Verleumdungen verächtlich gemacht werden können.
Was aber über diese Bestimmungen im Strafgesetzbuch hinaus zum Schutz der Demokratie
getan werden muß, sollte unseres Erachtens in-
Form von Sondergesetzen erlassen werden. Wir
legen schon heute größten Wert auf die Feststellung, daß wir so bald wie möglich wieder an einen
Abbau der Strafbestimmungen herangehen müssen,
die heute, da sich die Demokratie unter den denkbar ungünstigsten materiellen Voraussetzungen in
ihrem Anfangsstadium befindet, leider nicht zu
umgehen sind. Auf die Dauer ist es nicht
möglich, die Demokratie durch einen Paragraphenzaun zu schützen. Das kann nur für eine
Übergangszeit zweckmäßig sein. Wir wünschen aber auch deshalb Sondergesetze, weil wir die strafbaren Tatbestände so exakt definiert wissen wollen, daß sie von den Richtern nur in der der Demokratie nützlichen Weise ausgelegt werden können. Gesetze, die das tun, sind aber auf eine ganz bestimmte Zeit und ganz bestimmte Verhältnisse zugeschnitten und unterscheiden sich dadurch von dem dauernd gültigen Strafgesetzbuch.
Weiter legen wir Wert darauf, daß in Prozessen, die zum Schutz der Demokratie geführt werden, nicht nur Berufsjuristen die Urteilsfindung in der Hand haben. Wir halten es deshalb für richtig, daß die leichteren Fälle zum Beispiel vor den Schöffengerichten und die. schweren Fällen vor den Schwurgerichten abgeurteilt werden, um so auch den Nietjuristen die Möglichkeit der Urteilsfindung mit zu geben.
Meine Damen und Herren! Wenn heute Gesetze zum Schutze der Demokratie notwendig sind, so muß es unser aller Bestreben sein — ich darf das wohl auch in diesem Hohen Hause ausführen —, durch demokratisches Handeln und Verhalten die jetzt notwendigen Sondergesetze so bald wie möglich überflüssig zu machen. In erster Linie wird es, wenn die Demokratie überhaupt in unser Volk Eingang finden soll, auf positive Leistungen der Demokratie und ihrer Organe ankommen. Gesunde soziale und wirtschaftliche Verhältnisse sind die Grundvoraussetzungen dafür, daß radikalen Tendenzen wirksam entgegengetreten werden kann. Es ist ein völlig aussichtsloses Beginnen, die Demokratie erhalten zu wollen, falls die Organe der Demokratie vor den praktischen politischen Aufgaben versagen. Ich bin der Überzeugung, daß der die Demokraten beseelende Wille zu positiven Leistungen zum Schutze der Demokratie in Deutschland weit mehr zu vollbringen vermag und in der Tat auch vollbringen wird, als das Strafgesetzbuch tun kann.
Tatsächlich gibt es auch für den demokratischen Gedanken nichts Besseres als die Auseinandersetzung mit den radikalen Gruppen über die konkreten politischen Probleme, sofern diese Auseinandersetzungen in der Form echter Diskussion vor sich gehen.
Ich möchte darauf hinweisen, daß gerade hier im Bundestag solche Diskussionen geführt werden müssen und daß es grundfalsch ist, Abgeordnete, wie zum Beispiel Herrn Hedler oder Herrn Dorls, hier nicht zu Wort kommen zu lassen. .
Wenn der Herr Präsident mit den geschäftsordnungsmäßigen Mitteln unsachliche Diskussionen unterbindet und die Vertreter der radikalen Gruppen dazu zwingt, zur Sache zu sprechen, dann werden hier im Bundestag immer neue Beweise für die geistige Armut des Radikalismus geliefert werden.
Ich kann leider diese Anregung nicht zu einem Antrag formen, ich kann sie auch nicht in Gesetzesform kleiden; aber ich wollte nicht darauf verzichten, heute auf diese Art von Schlagfertigkeit hinzuweisen, mit der man die Rechts- und auch die Linksradikalen erledigen kann, ohne sich selbst dabei ins Unrecht zu setzen. Bisher hat der
Bundestag in dieser Beziehung versagt. Er hat es nicht verstanden, sich in den Mittelpunkt des politischen und öffentlichen Lebens unseres Volkes zu setzen, und ich meine, daß der Bundestag, wenn er Gesetze zum Schutz der Demokratie beschließen will, sich auch darüber klar werden muß, was er selbst zum Schutz der Demokratie tun kann.
Wenn die Zentrumsfraktion Vorgänge, wie sie sich am vergangenen Freitag um den Fall Hedler abgespielt haben, nicht für eine Stärkung des Ansehens des Bundestags hält, so hat das nichts mit irgendeiner Wertschätzung des Herrn Hedler zu tun. Aber wir halten jede Prügelei unter Abgeordneten für eine Gefahr für das Ansehen der Demokratie und ihrer Repräsentation.
Deshalb kann in diesem Hohen Hause die Notwendigkeit zum Maßhalten, zur Besonnenheit und zur Toleranz nicht genug betont werden, wenn unser politisches Leben trotz Staatsschutzgesetz nicht erneut entarten soll. Das, meine Damen und Herren, ist das beste Rezept, daß aus den Deutschen endlich Demokraten werden und wir die neue Demokratie ohne Strafgesetze in die Herzen der Deutschen verpflanzen können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Euler.
An die Spitze meiner Ausführungen möchte ich nicht nur mein persönliches Bekenntnis, sondern vor allem das Bekenntnis meiner politischen Freunde zur Notwendigkeit eines wirksamen strafrechtlichen Schutzes der rechtsstaatlichen Demokratie setzen. Dieser strafrechtliche Schutz eines rechtsstaatlich geordneten Gemeinschaftslebens muß unseres Erachtens insbesondere in drei Richtungen gehen. Zum ersten muß er sich gegen alle Arten von totalitären oder despotischen Bestrebungen wenden; zum zweiten muß er sich gegen alle Formen gewalttätiger Störung des friedlichen Zusammenlebens richten, auch wenn sie von Kräften ausgehen sollten, die in ihrer Tendenz demokratisch eingestellt sind; zum dritten muß er sich gegen die Verächtlichmachung des demokratischen Rechtsstaats, seiner Repräsentanten und Symbole richten, denn wir wissen aus der Zeit vor 1933 und erleben es heute in den verschiedensten demokratischen Ländern, wie die Anhänger eines diktatorischen, despotischen Systems gerade auf dem Wege über die Verächtlichmachung des Rechtsstaats versuchen, ihre Ideologien voranzutragen. Die Verächtlichmachung ist ein Mittel der Fanatisierung, und aus der Fanatisierung ergibt sich ein Hang zur Gewaltanwendung, der einem friedlichen rechtsstaatlichen Zusammenleben feindlich ist.
Aus diesen Erwägungen heraus begrüßen wir jeden Versuch und erwarten mit Dringlichkeit die Bemühung der Regierung um Fertigstellung einer Gesetzesvorlage, die dazu dienen soll, den erforderlichen strafrechtlichen Schutz der rechtsstaat-
lichen Demokratie bzw. die Ausgestaltung dieses strafrechtlichen Schutzes zu bewirken.
Gegen den jetzigen Gesetzentwurf der Sozialdemokratie haben wir zum ersten das formelle Bedenken, ob es richtig ist, den qualifizierten Schutz des rechtsstaatlichen Zusammenlebens in die Form eines Sondergesetzes zu kleiden oder aber zum Bestandteil der normalen strafrechtlichen Schutzordnung der Gemeinschaft zu machen. Wir sind der Auffassung, man sollte den Anschein vermeiden, daß Sonder- oder Ausnahmegesetze erforderlich wären. Es wird damit auch ein Aspekt vermieden, der politisch bedeutungsvoll ist, der Aspekt nämlich einer Anknüpfung an ein Gesetz, das den Zweck nicht erreicht hat, den es einmal erreichen sollte: das Republikschutzgesetz der Zeit vor 1933.
Unseres Erachtens machen es die Erfahrungen in fast allen Ländern erforderlich, einen qualifizierten, verstärkten Schutz des Rechtsstaats zum Bestandteil der normalen strafrechtlichen Ordnung zu machen. Wie sehr das erforderlich ist, beweist letzten Endes im Grunde genommen der Inhalt des Gesetzentwurfes der SPD selbst. Denn fast alle Tatbestände, die dieser Entwurf bringt, stellen Ausweitungen oder Ergänzungen von normalen Straftatbeständen dar, seien es die Tatbestände des Hochverrats und der hochverräterischen Unternehmung oder aber die Tatbestände des Landfriedensbruches und des Aufruhrs oder die Tatbestände der Klassenhetze. Wir finden in dem Entwurf schließlich eine Fortbildung des Rechts der Ahndung der Ehrverletzungen, indem beispielsweise das Widerrufsrecht von der Wiederholungsgefahr gelöst wird oder indem der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens gegeben wird, indem eine besondere Bestimmung über die Wahsehr berechtigter Interessen gegeben wird.
wünschenswert, meine sehr geehrten und Herren, aber die Überlegungen hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen diesen qualifizierten Tatbeständen und den Grundtatbeständen des Strafrechts zeigen, daß es richtig ist, die entsprechenden Vorschriften in das Strafrecht einzubauen. Dies läßt sich meines Erachtens auf eine Weise tun, daß dabei doch nicht der politische Zusammenhang, nämlich gesteigerter Schutz der demokratischen Grundordnung, verlorengeht, indem man versucht, diese qualifizierten Tatbestände weithin in einem besonderen Abschnitt des Strafgesetzbuches zusammenzufassen.
Zum zweiten richten sich unsere Bedenken gegenüber dem Gesetzentwurf der SPD gegen die unzulängliche Formulierung einiger Tatbestände. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Wirksamkeit eines solchen Gemeinschaftsschutzes gesteigerter Art hängt zu einem ganz großen Teil davon ab, daß man dem Richter scharf geschliffene Tatbestände in die Hand gibt, Tatbestände, aus denen klare Normen sprechen, deren Anwendung den Richter nicht unmöglichen Interpretationsschwierigkeiten aussetzt. Denn was hängt daran, wenn man Tatbestände, die nicht hinreichend genau formuliert, die nicht scharf genug zugespitzt sind, dem Richter in die Hand gibt? Es hängt daran die außerordentliche Gefahr, daß über richterliche Willkür eine Rechtsunsicherheit einreißt, die sich sowohl im Rechtsbewußtsein des Volkes als auch in seinen politischen Reaktionen gegen die Demokratie richtet, die geschützt werden soll. Es besteht die doppelte Gefahr, daß dann entweder Interpretationen vorgenommen werden, die zu eng und einschränkend sind, oder Interpretationen, die zu nachgiebig sind, mit dem Ergebnis, daß der Schutz des Staates, den man erreichen will, tatsächlich nicht erreicht wird. Die Folge ist in dem einen Falle eine gesteigerte Verächtlichkeit des Staates, der sich als unfähig erweist, sich über die Justiz selbst zu schützen. Als Folge einer zu ausweitenden, einer zu harten Auslegung droht, daß im Bewußtsein der Bevölkerung so etwas wie demokratischer Terror in Erscheinung tritt. Die eine wie die andere Gefahr sind im gleichen Maße unerwünscht.
Darüber hinaus finden wir in einzelnen Tatbeständen, wie sie der sozialdemokratische Gesetzentwurf zu formulieren versucht, geradezu den Verstoß gegen unverzichtbare Naturrechte. Es ist beispielsweise unmöglich, in § 12 kurzerhand zu sagen, daß jeder, der öffentlich oder geheim für die Anwendung bewaffneter Gewalt gegen andere Völker eintritt, mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft werden soll. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Naturrecht der Notwehr gegen Angriffsakte anderer ist unverzichtbar, und das Eintreten für dieses Notwehrrecht darf auch hinsichtlich des Lebens eines demokratischen Volkes und des Lebens eines demokratischen Staates nicht unter Strafe gestellt werden. In der heutigen Zeit wäre ein solches Beginnen geradezu selbstmörderisch, in einer Zeit, in der alle Völker, die außerhalb des sowjetischen Einflusses leben, darauf bedacht sein müssen, sich gegen die Angriffe, die Aggressionen dieser totalitären, despotischen Macht zu wehren.
Jawohl, Sie wissen sehr genau, was damit gemeint ist; denn Sie kennen ja den Rüstungsstand in der Ostzone.
Aus - diesen grundsätzlichen Erwägungen kommen wir zu dem Ergebnis, daß 3s zwar sehr wünsehenswert ist, auch die Anregung der SPD im Ausschuß ausführlich zu behandeln, daß das aber nicht geschehen sollte, ohne daß zugleich der Entwurf vorliegt, den die Regierung demnächst hier einbringen wird.
Zum Schluß möchte ich auf eins hinweisen, was wahrscheinlich, wenn es von allen Seiten hinreichend beachtet wird, mehr dazu beitragen wird, das rechtsstaatliche friedliche Zusammenleben in unserem Volke und die Überzeugung von seiner Notwendigkeit zu verankern als strafrechtliche Verfolgung: Das ist ein beispielhaftes Verhalten aller politischen Kräfte, die sich gerade dadurch als demokratisch legitimieren müssen, daß sie sich unter allen Umständen in beispielhafter Weise demokratisch verhalten. Wenn wir auf diesen Punkt abstellen, dann können Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie, nicht leugnen, daß Sie in den letzten Wochen und Monaten hier durch Verleumdungen und Verächtlichmachungen, durch Tätlichkeiten wie durch Hetze in der Öffentlichkeit sehr dazu beigetragen haben, das Urteil zu vertiefen, daß gerade diejenigen sich eines beispielhaften demokratischen Verhaltens befleißigen müssen, die das von anderen verlangen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fisch.
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Deutscher Bundestag — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1950 1603
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fisch.
Meine Damen und Herren! Seit Bestehen der Bundesregierung haben wir den Erlaß von zwei Gesetzen erlebt, die mit dem „Schutz der demokratischen Ordnung" firmiert waren. Ich meine das alliierte Pressegesetz vom September 1949 und das Gesetz der Hohen Kommissare zum Schutze der alliierten Interessen vom November 1949. In beiden Fällen hat sich sehr bald erwiesen, wie richtig die Beurteilung dieser beiden Gesetze durch die Kommunistische Partei war, als sie erklärte, daß es sich hier um die juristische Begleitmusik zu Marshallplan und Atlantikpakt, zur Kolonialisierung Westdeutschlands, zur Politik der Demontage und der Remilitarisierung handelt. Wir haben damals erklärt, es handle sich darum, Maßnahmen zu legalisieren, die den Widerstand des deutschen Volkes gegen die Politik der Kolonialisierung niederzwingen und die breite Schichten unseres Volkes in lähmende Angst versetzen sollen, damit sie nicht ihre Interessen verteidigen. Das Urteil des britischen Militärgerichts Hannover von dieser Woche beweist, wie recht wir hatten. Es hat aufrechte Kämpfer gegen brutale Zerstörung und Konkurrenzdemontage zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt.
Meine Damen und Herren! Man sollte meinen, angesichts einer solchen Situation sei es Sache einer Partei, die sich Partei der Opposition in diesem Hause nennt, alles zu tun, um gegen die wirklichen Feinde der Freiheit und der friedlichen Arbeit des deutschen Volkes vorzugehen. Statt dessen erleben wir das sonderbare Schauspiel, daß diese Partei, die SPD, einen unbändigen Wetteifer entwickelt, um jene alliierten Gesetze zur Maßregelung und Erdrosselung der Freiheit noch zu übertrumpfen, ja um auch der Bundesregierung zuvorzukommen, die vor kurzem mitgeteilt hat, daß sie dabei sei, ein neues Staatsschutzrecht zum sogenannten Schutz der Verfassung auszuarbeiten. Wir Kommunisten sind der Meinung, daß nicht der Buchstabe, nicht das Papier für die Wirkung derartiger Gesetze entscheidend ist, sondern daß es darauf ankommt, in wessen Hände ein solches Gesetz und solche Vollmachten gelegt werden und wie der Staat aussieht, der sich solcher Sondervollmachten bedienen kann.
Meine Damen und Herren! Genau einen Tag nach dem Freispruch des Herrn Hedler konnte als erste Zeitung in deutscher Sprache die amerikanische „Neue Zeitung" den Wortlaut des sozialdemokratischen Gesetzentwurfs veröffentlichen.
Meine Damen und Herren, nichts als gerade das
zeitliche Zusammenfallen dieser beiden Ereignisse konnte besser zeigen, welche Sorte Justiz
die Sorge um den „Schutz der Demokratie" in
die Hände nehmen soll, ' in wessen Hände die
Verantwortung für den sogenannten Schutz der
Demokratie gelegt wird. Nichts könnte schlagender beweisen, von welchen Elementen künftighin
Ihr Gesetz und Ihre Vorschläge, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, gehandhabt werden sollen.
Dies Gesetz wird darum, weil sich am Charakter
des Staates der Reaktion nichts geändert hat,
nichts anderes mit sich bringen als den Schutz
der geheiligten Ordnung der Besitzprivilegien,
als den Schutz der Pferdmenges, als den Schutz
des Systems der Arbeitslosigkeit und des Krieges.
Meine Damen und Herren, ich denke, die Erfahrungen der Vergangenheit sollten deutlich genug sein. Auch nach 1918 wurde die damalige Justiz in Amt und Funktion belassen, und die Folge davon war, daß in der Zeit vom November 1918 bis Ende 1922 eine Zahl von 354 politischen Morden von rechts mit einer Gesamt „sühne" von 90 Jahren und zwei Monaten Einsperrung geahndet wurde. Diesen 354 Morden von rechts standen in der gleichen Zeit 22 von links gegenüber, die mit 10 Erschießungen, 3 lebenslänglichen Zuchthausstrafen und etwa 249 Jahren Einsperrung gesühnt wurden.
Meine Damen und Herren, das war die Praxis einer Zeit, in der man die Justiz ebenso mit den alten Gesichtern besetzt hielt wie heute. Und ich denke, daß auch die Praxis der Handhabung des Republikschutzgesetzes gleichfalls eine deutliche Sprache spricht, unter dessen Geltung der damalige Reichspräsident von einem republikanischen Gericht offiziell als Landesverräter bezeichnet werden konnte. Das war eine Justiz, die es zuließ, daß das Reichsgericht den Begriff der „Judenrepublik" offiziell legalisierte und ihn als durch die geschichtlichen Umstände gerechtfertigt bezeichnete.
Meine Damen und Herren, das Republikschutzgesetz wurde nach dem Tode Rathenaus erlassen; aber es wurde von den Freunden der Mörder Rathenaus angewandt.
Und so wie der Gesetzentwurf, der heute zur Beratung steht, einen Tag nach der Freisprechung des Herrn Hedler der Öffentlichkeit bekanntgegeben wurde, so werden seine Paragraphen von den Richtern der Herren Adenauer und Dehler angewandt werden, die nichts anderes sind als die Freunde Hitlers
und die Freunde des Herrn Hedler.
Herr Abgeordneter Fisch, ich weise Sie zurecht. Einen derartigen Vergleich zu ziehen, ist eine Beleidigung.
Ich weise darauf hin, daß 85 Prozent der heute tätigen Staatsanwälte und Richter in höheren Positionen ihr Amt bereits unter Hitler ausgeübt haben. Damit ist meine Behauptung erwiesen, daß es sich bei den Inhabern der heutigen hohen juristischen Stellen um die Freunde Hitlers handelt.
Meine Damen und Herren, es droht die Gefahr der Wiederholung der Praxis von Weimar, daß nicht objektive Tatbestände entscheidend sind, sondern daß eine reaktionäre Clique die Gesinnung des „Täters" als Grundlage für ihre richterlichen Entscheidungen ansieht, daß sie nicht. die Demokratie, sondern die Feinde der Demokratie schützt, daß nicht die Totengräber einer demokratischen Ordnung, sondern die Arbeiter und alle fortschrittlichen Elemente bestraft werden, die eine wirklich 'demokratische, eine echte Herrschaft des Volkes zum Siege führen wollen.
Meine Damen und Herren, die damalige Praxis der Weimarer Justiz wurde konsequent mit den „Notverordnungen gegen politische Ausschreitungen" des Jahres 1931 fortgesetzt, die die Unterschriften der Herren Hindenburg, Brüning und Wirth, jener patentierten Demokraten, trugen und deren Ausführungsbestimmungen die Unterschriften des Herrn Severing und anderer sozialdemokratischer Landesminister trugen. Jene Entwicklung mußte zwangsläufig zu den Ereignissen des 20. Juli 1932 führen, für die der Staatsgerichtshof nichts als ein höhnisches Achselzucken übrig hatte.
Ihre Redezeit ist um, Herr Abgeordneter.
Die Ereignisse mußten zum 30. Januar 1933 und zu den sogenannten „Verordnungen zum Schutze von Volk und Staat" führen, die das Datum des gleichen Tages tragen, an dem der Reichstag durch Göring und seine Kohorten in Brand gesetzt wurde.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist um.
Ich bin sofort fertig.
Meine Damen und Herren, es gab eine Zeit, in der die Sozialdemokratische Partei aus jenen Vorgängen Lehren gezogen hatte: es gab einen Aufruf vom Januar 1934, worin die Sozialdemokratische Partei die Aufhebung der Unabsetzbarkeit der Richter und die Besetzung aller entscheidenden Stellen der Justiz mit Vertrauensmännern einer revolutionären Regierung verlangte. Es gab eine Zeit, in der die Sozialdemokratische Partei die Einsetzung eines Revolutionstribunals, die Aburteilung der Staatsverbrecher, ihrer Mitschuldigen und Helfer in der Politik, in der Bürokatie sowie die entschädigungslose Enteignung des Großgrundbesitzes, der Schwerindustrie, der Großbanken usw. verlangte. Das bezeichnete sie damals — im Jahre 1934 --- als die Voraussetzung für die Errichtung eines demokratischen Staates, der durch eine revolutionäre Justiz geschützt werden sollte. Das war im Jahre 1934, meine Herren! Und dieses Dokument trug die Unterschrift des Herrn Abgeordneten Ollenhauer. Heute sind jene Zeiten vorbei. Heute erinnert man sich nicht mehr an dieses Dokument, sondern schickt einen Neosozialisten wie Sie, Herr Kollege Greve, vor, um das Patent des Schutzes der Demokratie hier zu formulieren.
Meine Damen und Herren, wo die wirklichen
Feinde der Demokratie sitzen, das wurde in
Ihren Reihen selber schon sehr deutlich ausgesprochen —
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist um.
— in Ihren Erklärungen der Kölner Parteivorstandssitzung von 1946 und erst jetzt wieder durch die Erklärungen des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes Böckler.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist um.
Aber es geht nicht so, wie Herr Böckler in seinem Aufruf meint, daß man die Feinde der Demokratie in der Wirtschaft und der Verwaltung dadurch schlagen kann, daß man „der Exekutive die gesetzliche Grundlage" dafür gibt. Welcher Exekutive, meine Damen und Herren? Der Exekutive dieser Regierung Adenauer?
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist um.
Die Exekutive der Herren Pferdmenges und dergleichen, diese Exekutive soll die Demokratie schützen!
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist um. Ich bitte Sie, daß Sie sich genau so danach richten, wie es die andern Mitglieder des Hauses tun.
Ich bin sofort fertig.
Ich bitte, zu Ende zu kommen.
Die kommunistische Fraktion erklärt offen, daß sie beabsichtigt, den gegenwärtigen Zustand, der durch dieses Gesetz oder durch eine ähnliche Vorlage der Regierung ausdrücklich geschützt werden soll, zu beseitigen, weil er ein System der Unfreiheit und der Kolonialherrschaft ist. Wenn aber dieses System beseitigt werden soll, bedarf es des gemeinsamen Handelns aller Arbeitenden, aller fortschrittlichen Menschen. Dann erst, meine Damen und Herren, werden die Rechte des Volkes wirklich geschützt und die Herrschaft des Volkes, die wahre Demokratie gewährleistet.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man hat es einmal, in längst vergangenen Zeiten, „Majestätsverbrechen" genannt. Dann wurde der Hochverratstatbestand geschaffen. Man bestrafte diesen Hochverrat mit Festung, mit ehrenhafter Haft. In der Zeit von 1918 bis 1933 ist von diesen Hochverratsbestimmungen zunehmend Gebrauch gemacht worden. Später kam die Verschärfung der Straffolgen: Zuchthaus. Zahlreiche völlig auf das System des Terrors gegründete Rechtsnormen, Generalklauseln wurden dann in den zwölf Jahren geschaf-
fen, denen Hunderttausende von Menschen zum Opfer gefallen sind.
— Millionen. Worte reichen hier doch nicht aus.
Nach 1945 liegt uns nun erstmalig wieder eine Gesetzesvorlage vor, die den Versuch macht, die Grundlagen des Staates gegen Angriffe zu verteidigen. Ich glaube, daß man mit dem gegenseitigen Vorwerfen zwischen der einen und anderen Richtung, mit dem Denunzieren, wer denn nun der Feind sei: — „Der Feind steht rechts!", „Der Feind steht links!" oder sonstwo — immer weitergeht auf dem Höllenweg, den anzudeuten ich mich bemüht habe, und zwar im Sturmschritt, schließlich mit schnellstem Absturz! Ich denke hier an das Bild von Rubens. Es ist zu befürchten, daß es ungefähr so sein Ende nehmen wird, ein Ende im vollkommenen Chaos, in der Zertrümmerung jeglicher Rechtsnorm und jeglichen Rechtsfundaments.
Ich erinnere daran: zuerst kam das Sozialistengesetz und dann nach 1918 das Republikschutzgesetz, — beides Paukenschläge, wenn man es richtig und gemäß dem historischen Hintergrund betrachtet. Da war etwas ins Rutschen gekommen.
Wenn man den Geist des Grundgesetzes, so wie es im Parlamentarischen Rat in einer — alles in allem genommen — sehr ruhigen und sachlichen Atmosphäre geschaffen worden ist, kennzeichnen will, so darf man wohl sagen, daß es der letzte verzweifelte Versuch ist, die Demokratie durch das Element der Rechtsstaatlichkeit zu retten. Herr Kollege Kiesinger hat in dem Zusammenhang etwas sehr Wahres gesagt: Demokratie ohne Rechtsstaatlichkeit führt zu Barbarei, führt zur Despotie. Wenn man heute hier gewisse Stimmen des Auslandes angeführt hat, die sich über den Zustand in Deutschland beklagen. dann bitte ich doch auf eines hinweisen zu dürfen: Seit wann ist diese abschüssige Bahn angetreten worden, seit wann sind die Fundamente unseres staatlichen Gemeinschaftsgefühls zerbrochen worden? — Man kann ein genaues Datum nennen: dieses Datum heißt 1918, und dieses Zerbrechen geht zurück auf den Versailler Vertrag und seine Folgen!
Von diesem Tage an ist die Grundsubstanz, das sittliche Gefühl für die Zusammengehörigkeit und damit der eigentliche Kern unserer Staatsidee mehr und mehr korrumpiert worden.
Damit wurde auch das, was man Recht nennt, unser Rechtsgefühl und unser Rechtsgewissen korrumpiert. An die Stelle dessen, was auf dem Boden des gemeinsamen Handelns möglich war, traten Terror und Gewalt, indem die Idee nicht mit der Kraft ihrer geistigen Bedeutung, sondern mit der Macht durchgesetzt werden sollte.
Deutschland war 1918 — ich erinnere an das Gesetz zur Parlamentarisierung vom 28. Oktober 1918 auf dem besten Wege, die allmähliche, ruhige Entwicklung zum parlamentarischen und demokratischen System zu beginnen; aus einer Regierung, die nach dem Gesetz f ü r das Volk, aber nicht durch das Volk geschaffen war, sollte eine Regierung f ü r das Volk und durch das Volk werden. Diese Entwicklung eines Systems, das auf einer großen Rechtssicherheit aufgebaut war, ist durch den Zusammenbruch nach dem ersten Weltkrieg zerstört worden, und es blieb ein Volk zurück, das allmählich nicht mehr wußte, was Rechtens und was nicht Rechtens war. In diese zermürbende Situation wurde es weiter und weiter hineingedrängt, indem die Bedingungen der Radikalisierung gesetzt wurden, indem man für Großmut kein Verständnis aufbrachte, insbesondere kein Verständnis dafür, was es für ein Volk heißt, seine Tradition verloren zu haben und nach einer so langen und ruhigen Geschichte den Spannungen revolutionärer Verhältnisse ausgesetzt zu sein, sich darin zu korrumpieren und die sittliche Grundlage seiner Zusammengehörigkeit zu verlieren.
Der Flaggenstreit ist doch eines dieser Beispiele dafür, wie mitten durch den Körper einer Nation ein Schnitt geht, 'einer Nation, die in den Grundlagen ihres Zusammengehörigkeitsgefühls und in der Auffassung dessen, was sie als Staat darstellt, zusammengefügt sein müßte. Alles das waren Warnungszeichen. Man hat Deutschland damals nicht verstanden, man hat nicht die Voraussetzungen gewährt, damit das hätte geschaffen werden können, was man nicht künstlich durch ein Gesetz erreichen und schaffen kann; man hat uns nicht die Ruhe der Entwicklung gegönnt.
Die Frucht, die von 1933 bis 1945 als eine Katastrophe der Welt aus diesem Unverstand hervorgegangen ist, ist so giftig, daß wir an den Folgen dieser Vergiftung immer noch kranken, und vieles, was nun zum Schutze der Demokratie aufgebaut werden soll, trägt in sich genau so den terroristischen und polizeistaatlichen Kern, der uns immer weiter auf den Weg der Korrumpierung führen wird. Es ist nicht möglich, durch Gesetze sittliche Grundlagen zu errichten. Nein, Gesetze beruhen auf ihrer sittlichen Grundlage. Wenn diese Substanz nicht da ist, dann hilft kein noch so gutes Gesetz.
Das Grundgesetz beruht auf einer ganz bestimmten Auffassung von der Demokratie, nämlich einer Demokratie, die auf persönliche Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und soziale Gerechtigkeit gegründet werden soll. Es ist der letzte verzweifelte Versuch, uns aus der Tradition und Grundgesinnung unseres Volkes heraus dem entgegenzustellen, was wir alle als einen Höllensturz erlebt haben. Wenn man also Kritik übt an unserem inneren Gefüge, dann sollte man neben dieser Kritik auch immer die Großmut walten lassen und nicht noch einmal unseren werdenden Staat in eine ähnliche Zwangslage versetzen, wie sie für ihn nach 1918 gegeben war. Wenn es damals nicht einen Mann wie den Reichspräsidenten Ebert gegeben hätte, dann wäre Deutschland wahrscheinlich im Chaos versunken. Die Politiker der Weimarer Zeit konnten objektiv betrachtet bei den damaligen Verhältnissen nicht mit der Not ihrer Zeit fertig werden, und wir stehen heute wahrscheinlich wieder an genau derselben Stelle.
Berücksichtigt man bei diesem Gesetz den eben dargestellten gewaltigen Hintergrund, so scheint es fast vermessen, in so kurzer Zeit zu ihm Stellung zu nehmen. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß nicht ein Sondergesetz geschaffen werden sollte. Wir bejahen grundsätzlich ein solches Gesetz dann, wenn es auf dem Boden der Verfassung, im Geiste des Grundgesetzes, geschaffen wird. Aber wir wünschen nicht ein Sondergesetz, das
dann ein ähnliches Schicksal haben könnte wie das Republikschutzgesetz oder das Sozialistengesetz. Wir wünschen vielmehr, daß diese sittlichen Grundnormen für unser politisches Leben in das Gesamtgefüge unseres Strafrechts eingebaut werden.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Wir sind der Auffassung, daß mit Rücksicht auf die Schwierigkeit dieser Probleme darüber sehr gründlich beraten werden muß, und glauben, daß für eine solche Beratung allerdings der sehr sorgfältig vorbereitete Entwurf der Regierung eine bessere Grundlage bietet als der Entwurf, der heute hier zur Debatte steht, von dem ich leider sagen muß,
daß er aus jakobinischem Geiste hervorgegangen ist.
Das mag den Stil kennzeichnen. Wenn Sie die feuilletonistischen Formulierungen dieses Gesetzantrages betrachten, dann wird offenbar, daß dieses Gesetz eine Schleuse sein kann, aus der der ganze Gespensterrummel, den wir hinter uns haben, wieder hervorbrechen wird.
Meine Fraktion ist der Auffassung, daß man diesen Entwurf dem Ausschuß überweisen sollte. Wir bestehen mit Rücksicht auf den großen Ernst dieser Frage und aus Gründen der Höflichkeit nicht darauf, zur Tagesordnung überzugehen. Diese Dinge müssen gründlich beraten werden,
aber zusammen mit dem Entwurf der Regierung.
Das Wort hat der Abgeordnete Clausen.
Meine Damen und Herren! Es sollte eigentlich in diesem Hohen Hause nicht erforderlich sein, über den Begriff der Demokratie noch eine Diskussion herbeizuführen, geht es doch bei diesem Gesetz um nicht mehr und nicht weniger als um den Schutz der allgemeinen Menschenrechte, die unter dem Hitlersystem so grausam mit Füßen getreten worden sind. Und niemand in diesem Hohen Hause, der es mit der Demokratie und mit der Sicherung der allgemeinen Menschenrechte ernst meint, wird daran zweifeln, daß es richtig ist, gesetzliche Bestimmungen zu schaffen, damit nicht zum zweiten Male Bevölkerungsgruppen die ihnen gegebenen demokratischen Freiheiten mißbrauchen, um die Freiheit zu töten. Wer heute noch für den Hitlerismus schwärmt und Anhänger des gewesenen Nationalsozialismus ist, nachdem durch dieses politische Verbrechertum so unendlich viel Leid über die Welt gekommen ist und das deutsche Volk vor diesem entsetzlichen Trümmerhaufen steht, dem darf man wohl nur sagen, daß solche Menschen als politische Analphabeten zu betrachten sind — oder als Kriminelle. Der Versuch zur Wiederherstellung der politischen Grundlagen des Nazismus ist entweder Wahnsinn oder Verbrechen.
Deshalb ist es notwendig, daß neben den an sich guten Bestimmungen des Grundgesetzes eine weitere gesetzliche Grundlage geschaffen wird, um solchen Zeitgenossen diesmal rechtzeitig das Handwerk zu legen, ehe ein zweites Unglück seinen Lauf nimmt. Dieser Anfang ist aber zweifellos vorhanden, und es wäre nach meiner Auffassung grundverkehrt, den sich zeigenden Neofaschismus zu bagatellisieren. Wir haben aber in diesem Stadium aus den Fehlern der Weimarer Republik zu lernen. Wir Älteren haben es ja erlebt und können hier aus der Erfahrung urteilen. Es sind doch sehr viele in diesem Hohen Hause, die die ganze Zeit ihres Lebens im Kampf um die freien Menschenrechte zugebracht haben, die vor 1933 von Versammlung zu Versammlung zogen und gegen den aufkommenden Faschismus kämpften.
Zu den größten Fehlern der Weimarer Republik muß gerechnet werden, daß diese politisch klar sehenden Kräfte von der Republik damals zu wenig unterstützt worden sind. Und schon wieder hört man besonders oben bei uns in Schleswig-Holstein von organisiertem Saalschutz politischer Gruppen und Parteien. Wir dürfen hier nicht in den Fehler der Weimarer Republik verfallen, die damals den politischen Parteien gestattete, halbmilitärische Organisationen aufzuziehen, die die politische Auseinandersetzung auf die Straße trugen. Ich bin der Auffassung, daß wir davon ausgehen müssen, daß auch in einem demokratischen Staatswesen nur die Polizei für Ruhe und Ordnung zu sorgen hat und daß auch die Polizei nur allein für die ordnungsmäßige Durchführung von politischen Versammlungen zu sorgen und eine solche Versammlung aufzulösen hat, wenn es nicht länger geht.
Der Regierung möchte ich sagen: überlassen Sie dieses Geschäft nicht wieder Knüppelgarden politischer Parteien! -- Und sollten neo faschistische Parteien mit diesem grausamen Spiel wieder anfangen, so möchte ich der Bundesregierung und den Länderregierungen sagen: schützen Sie die staatlichen Grundlagen der jungen deutschen Demokratie, und schützen Sie die aufbauenden Kräfte dieser Demokratie besser, als es in der Weimarer Republik getan worden ist!
Ich habe aber doch hier in diesem Hohen Hause die Überzeugung gewonnen, daß von links bis rechts ein breite Grundlage von Volksvertretern vorhanden ist, die alle dasselbe wollen, nämlich Vorkehrungen zu treffen, daß sich ein 30. Januar 1933 nicht wiederholen kann. Aber ich bin der Überzeugung, daß. hier Arbeiter und demokratische Bürger zu einem einheitlichen Wollen zusammenstehen müssen. Es kommt nur darauf an, eine vernünftige Mittellinie zu finden. Ich bin sogar der Überzeugung, daß der Herr Bundesjustizminister, der zweifellos in der Justizdebatte einen unglücklichen Tag hatte, dasselbe will. Ich kann auch im Namen meiner Wähler, die überwiegend Mitglieder der dänischen Minderheit sind, sagen: wir werden jede Maßnahme unterstützen, die das Ziel hat, gesetzliche Bestimmungen zum . Schutz der freien Menschenrechte zu schaffen. Dann werden unsere Richter eine einwandfreie gesetzliche Grundlage bekommen, um ein gerechtes Urteil zu fällen. Erst dann können wir die Gerichtsurteile besser beurteilen, als es im Hedlerprozeß vielleicht geschehen ist. Wir müssen uns aber bei der Schaffung dieser gesetzlichen Bestimmungen davor hüten, daß wir damit nicht Volksgenossen treffen, die der Demokratie wohlgesinnt sind,
Das scheint mir ganz besonders in den Paragraphen 2 und 3 des Gesetzentwurfes möglich zu sein. Paragraph 2 lautet:
Wer es unternimmt, einen Teil des Bundesgebiets, in dem das Grundgesetz bereits gilt, von der Bundesrepublik Deutschland zu trennen, oder die Gliederung des Bundesgebiets in Länder auf andere Weise, als es das Grundgesetz zuläßt. zu verändern, wird mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft.
Ich bin der Auffassung, daß jeder loyale Staatsbürger es als selbstverständlich ansehen muß, daß Abtrennungen vom Bundesgebiet, eine Änderung der Ländergrenzen oder die Bildung eines neuen Landes nicht mit Gewaltanwendung vorgenommen werden darf. Es muß aber als eine Tatsache angesehen werden, daß die jetzige Gliederung der Länder vorwiegend durch die Besatzungsmächte bestimmt worden ist. Fest steht ferner, daß die Besatzungsmächte bis heute noch ein Interesse an der Neugliederung bzw. an der Änderung der Ländergrenzen haben, weil die Hohen Kommissare zum Artikel 29 des Grundgesetzes den bekannten Vorbehalt gemacht haben. Es ist daher zu verstehen und muß auch als Tatsache angesehen werden, daß deutsche Staatsbürger bisher die Frage der Neugliederung der Länder oder der Änderung der Ländergrenzen mit Vertretern der Alliierten oder mit Vertretern der Besatzungsmächte besprochen haben. Ich stelle daher die Frage: . Sollen diese Gespräche in Zukunft auf Grund des § 2 unter Strafe gestellt oder sogar als Landesverrat angesehen werden? Selbst wenn das nicht beabsichtigt ist, kann der § 2 und insbesondere der § 3 dazu führen, daß jedes Gespräch mit Vertretern der Alliierten über diese Frage der Neugliederung der Länder als Landesverrat angesehen wird. Deshalb können die §§ 2 und 3 nach meiner Überzeugung in der jetzigen Fassung Denunziationen und Verfolgungen Tür und Tor öffnen, insbesondere — wie 'auch in diesem Hohen Hause betont würden ist -- bei der Justizkrise, in der wir uns nun mal befinden.
Ich protestiere daher im Namen meiner politischen und kulturellen Organisationen gegen die Fassung der §§ 2 und 3. Diese Paragraphen dürfen nicht Gesetz werden. Ich halte darüber hinaus den § 2 für überflüssig, weil in dieser Frage ja die Sicherung bereits im Grundgesetz gegeben ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Donhauser.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe heute bei meiner Meldung zur Geschäftsordnung nicht etwa die Absicht gehabt, mich grundsätzlich gegen die Sicherung des Staates gegen undemokratische Elemente zu wenden. Meine Absicht war, vor allem den Antragstellern selbst noch einmal Gelegenheit zu geben, die Unzulänglichkeiten ihrer eigenen Vorlage auf das genaueste zu überprüfen. Die Unzulänglichkeiten liegen in einer ganzen Reihe von Begriffsbestimmungen, die man zum. Ausgangspunkt für die kommende Rechtsfindung in diesen schwierigen Problemen machen will.
Haben Sie sich schon einmal die Terminologie, deren sich diese Vorlage bedient, näher angesehen? „Drohung", „Ernste Gefahr", „Verabredung", „Achtungsverletzung", „Üble Schmähung" und dergleichen mehr; alles Begriffe, die einer sehr vieldeutigen Auslegung fähig sind, ja, nicht nur einer vieldeutigen Auslegung, sondern die geradezu zum Mißbrauch reizen.
Heute hat der Redner der SPD — ich stelle übrigens fest, daß es der Herr Vizepräsident Schäfer, der in diesem Augenblick den Vorsitz führte, nicht für notwendig erachtet hatte einzugreifen — den deutschen Justizministern politische Unzuverlässigkeit vorgeworfen.
Damit allein schon beweist der Redner der SPD, daß der Ausgangspunkt für die Beurteilung von Verstößen gegen die Demokratie recht verschiedenartig sein kann.
Ich bin fest davon überzeugt, daß die übergroße Mehrheit dieses Hauses die politische Beurteilung der von Ihnen angegriffenen Justizminister ganz anders vornehmen würde.
Wenn Sie sich nur einmal den § 3 dieser Vorlage genauer ansehen, dann finden Sie ihn in verdächtiger Verwandtschaft und in verdächtiger Nähe zu den berühmten Aufforderungen zur politischen Denunziation, die wir in der Vergangenheit schon so oft erlebt haben.
Wir wollen nicht, daß man noch einmal mit Hilfe eines Gesetzes weite Kreise unseres Volkes zur politischen Denunziation auffordert.
Meine Damen und Herren! Es ist doch bei der Begriffsbestimmung Demokratie so, daß man sich über die Definition bis zum heutigen Tage weder in diesem Hause noch außerhalb dieses Hauses einig geworden ist.
Die Begriffsbestimmung Demokratie, wie sie beispielsweise das Bonner Grundgesetz gefunden hat, ist sehr reformbedürftig,
und wir haben den Verdacht, daß Sie, meine Herren Antragsteller, eine vernünftige und alsbaldige Reform dieses Grundgesetzes verhindern wollen. Wo steht denn in aller Welt geschrieben — frage ich Sie —, daß die Definition von Demokratie, die Sie damals im Parlamentarischen Rat gefunden haben, auf Ewigkeit durch eine solche Vorlage geschützt werden soll?
Ist Ihnen aus den geschichtlichen Erfahrungen der Vergangenheit nicht aufgefallen, daß vom Republikschutzgesetz über das berühmte und berüchtigte Gesetz zum Schutz von Volk und Staat, ja bis zum Heimtückegesetz sich eine einzige gerade Linie zieht? Wir haben es oft und oft erlebt, daß gerade die Todfeinde der Demokratie in dem Augenblick, in dem sie durch irgendwelche Mächte oder sonstige Zufälligkeiten au] die Regierungsbank oder sonstwie in den Besitz der Exekutive gelangten, sich mit Vorliebe solcher Gesetze bedienten, um die eigentlicher Träger der Demokratie zu vernichten.
Wir haben zu den derzeitigen Trägern der Exekutive das Vertrauen, daß sie gute Demokraten sind. Uns interessiert aber nicht der der. zeitige Träger der Exekutive; meine politischen Freunde und mich interessiert vielmehr der
Ich darf Sie vielleicht einmal auf eine Äußerung verweisen, die erst kürzlich von der amerikanischen Kommission für Pressefreiheit in Chicago über dieses Thema gemacht worden ist. Da heißt es in einem ihrer Generalberichte:
Wir empfehlen die Aufhebung all der Gesetze, die Äußerungen zu, Gunsten einer revolutionären Änderung unserer Einrichtungen untersagen, sofern nicht eine offenkundige und gegenwärtige Gefahr vorliegt, daß solche Auslassungen zu Gewalttätigkeiten führen können.
Heute ist schon mehr als einmal gesagt worden, daß man mit derartigen Paragraphen die Demokratie nicht wirklich schützen kann. Nachdem das Haus offenbar auch in diesem Punkte schon etwas ermüdet zu sein scheint, will ich darauf verzichten, noch einmal das wiederzukauen, was schon einige Male gesagt worden ist. Aber ich darf das Wesentlichste noch einmal kurz in einem einzigen Satz zusammenfassen. Die echte Demokratie kann nicht durch Paragraphen geschützt werden, sondern die echte Demokratie kann nur geschützt werden durch die heiße Liebe zur demokratischen Lebensform, die wir unserem Volke anerziehen.
Der Todfeind der echten Demokratie ist die Gewalttat. Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, daß diese Vorlage gerade in dem Augenblick eingereicht worden ist, in dem die erste ganz grobe politische Gewalttat auf der Schwelle dieses Hauses geschehen ist.
Man hat Friedrich II., den die Preußen den Großen nennen,
ein Wort in den Mund gelegt, das für ihn und seine Zeit bezeichnend war, wenn man ihn seinen Soldaten zurufen ließ: „Warum liebt ihr mich nicht, ihr Hunde?". Wollt ihr vielleicht unsere junge Demokratie in die gleiche Mentalität und in dieselbe unerquickliche Situation hineintreiben, dann bitte beschließen Sie ein solches Gesetz!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Thadden.
Meine Damen und Herren! Nachdem so unendlich viele demokratische Sonnen um die große sozialdemokratische Sonne herumgekreist sind, gestatten Sie mir, bei der Beratung dieses Antrages der SPD mit unseren diesbezüglichen Vorschlägen hervorzutreten.
Dieser Entwurf eines Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie erscheint uns in manchen Punkten außerordentlich verwerflich, in anderen Punkten vorzüglich; wir haben ähnliche Gedanken bereits bei uns erörtert.
-- Wir brauchen uns nicht vor unseren Freunden zu schützen. Ich möchte aber Ihnen, Herr Dr. Greve, nur einmal die folgende Frage vorlegen: In § 5 des Entwurfs, an dessen Fassung Sie ja sicher nicht ganz unmaßgeblich beteiligt waren
-- so, dann habe ich mich geirrt —, steht:
Wer sich an einer Verbindung beteiligt oder sie fördert, die darauf ausgeht, aus Feindschaft gegen die Demokratie die Freiheit der anderen anzugreifen, wird mit Gefängnis nicht unter 6 Monaten bestraft, wenn sich der Angriff gegen die in den Artikeln 3, 4 und 5 des Grundgesetzes gewährleisteten Rechte richtet.
Artikel 5 des Grundgesetzes beinhaltet die Freiheit der Rede, und es heißt dort:
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern.
Ich frage nun die- Herren Antragsteller -- sie wollen sich ja sicher nicht als „Feinde der Demokratie" bezeichnen lassen —: wie geht man mit denen um, die als vermeintliche „Freunde der Demokratie" zum Beispiel die Freiheit der Rede dadurch zu beeinträchtigen suchen, daß sie durch Inszenierung von Saalschlachten und Prügeleien die Ausübung der freien Rede durch politische Gegner verhindern?
Ich möchte hier nur, da so viel von den Feinden von rechts geredet worden ist, mit denen man zweifelsfrei auch meine Fraktion gemeint hat, auf folgendes hinweisen.
-- Herr Dr. Greve, nennen Sie uns einen einzigen Fall, in dem meine politischen Freunde in irgendeiner Art und Weise, sei es durch Inszenierung von Radau, sei es durch Anwendung von Gewalt, Ihnen das Recht zu nehmen versucht hätten, Ihre Meinung frei zu äußern! Sie können mir keinen solchen Fall nennen.
Es blieb Ihrer Partei vorbehalten, die erste Saalschlacht nach 1945 zu liefern.
Und ich .möchte außerdem nicht verheimlichen, daß sich gerade in der letzten Zeit die Fälle immerhin beachtlich mehren -- sie gewinnen Bedeutung durch die gleichzeitige Abgabe von Stellungnahmen Ihres Vorstandes -- in denen man versucht, mit der Organisation von Terror und mit Gewaltakten einen politischen Gegner, mit dem man sich durchaus in sachlicher Rede auseinandersetzen kann,
an der Ausübung dieser freien Rede zu hindern.
Ich möchte Ihnen, meine Herren Antragsteller von der Linken, nur folgenden Rat mitgeben.
— Das ist Ihre subjektive Auffassung, ob ich der geeignete bin; viele erachten mich als geeignet. —
Wie wäre es, wenn Sie bedächten, daß es doch ganz schön wäre, wenn Sie hier einen Passus einbauen würden, der terroristische Handlungen und die Androhung von solchen, seien sie gegen Behörden, Parlamente, Organisationen oder Einzelpersonen gerichtet, unter besondere Strafe stellte.
— Nein, es ist nicht ganz so drin, wie wir es gern sehen würden.
Es mehren sich die Fälle — das können Sie als
Begründung bringen —, wo man durch Androhung und Veranstaltung von Tumulten, Gewalttätigkeiten, Streiks usw. erpresserischen
Druck auf politische Gegner auszuüben versucht.
Wir müssen unter allen Umständen verhindern,
— Herr Greve, Sie wiesen in Ihrer Rede ja darauf hin —, daß Zustände im politischen Kampf, wie sie zwischen 1918 und 1933 gang und gäbe waren, die Zustände des politischen Faustrechts, wieder bei uns Platz greifen. Wir müssen auch ganz entschieden aufpassen,
daß zum Beispiel der Bundestag kein Bundestag mehr ist, sondern eine Kaschemme wird, in der man sich schlägt, und zwar kolonnenweise gegen einzelne.
— Wir waren doch so lange friedlich. Warum wollen wir nicht auch die letzten drei Minuten friedlich bleiben.
Verzeihung! Ihre Redezeit ist sowieso abgelaufen, Herr Abgeordneter.
Ich wollte nur noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen. Es wurde hier von Untergrundbewegungen geredet, die den Amerikanern besonders in die Nase gestiegen sein sollen. Ich möchte hier nur eines erklären: Tant de bruit pour une omelette! Wir werden den Verdacht nicht los, daß gewisse interessierte
Kreise, drüben jenseits des Großen Teiches, durch die Inszenierung einer riesenhaften Zeitungskampagne gegen vermutete Untergrundbewegungen sich eine Legitimation schaffen wollen, die Marshallplangelder, ,die zur Bewilligung anstehen, uns eventuell zu versagen.
Wir wollen, daß die Demokratie für alle gleichermaßen Geltung haben soll.
— Sie reden von den Feinden der Demokratie
und bringen uns damit in diesen Zusammenhang.
Sie sagen: „Sie schleichen sich überall ein". Haben w i r einen Einfluß auf die Personalpolitik der öffentlichen Stellen? Sie zitierten Fälle. Ist das unsere Sache? In keiner Weise. Wir sind lediglich froh, wenn viele Leute, die bisher durch die Tätigkeit der von Ihnen beherrschten Entnazifizierungsausschüsse stellungslos waren, langsam wieder in die Stellungen hineinfinden, in denen sie eine nützliche Arbeit verrichten können.
Was ist denn gesagt worden?
Meine Redezeit ist abgelaufen.
Ich darf zum Schluß nur noch bemerken: Politisches Verbrechertum, wie Sie es hier angeprangert haben, Herr Kollege Greve, bitten auch
wir, mit legalen Mitteln zu bekämpfen, nicht aber
mit Gesetzentwürfen, die eine verzweifelte Ähnlichkeit mit solchen vergangener Perioden haben!
Meine Damen und Herren! Die Rednerliste ist erschöpft. Ich schließe die Aussprache und darf das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß der Gesetzentwurf Drucksache Nr. 563 federführend dem Ausschuß für Verfassungsschutz und außerdem dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen wird.
Wir kommen damit zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege .
Im Ältestenrat ist für die Einbringung des Gesetzentwurfs eine Redezeit von 25 Minuten und für alle übrigen Fraktionen und die politische
Gruppe eine solche von 10 Minuten vereinbart worden.
Wer von den Herren Antragstellern wünscht das Wort? — Ich erteile Herrn Abgeordneten Zinn das Wort.
Meine Damen und Herren! In der Diskussion, die soeben geschlossen worden ist, und die zum Teil recht lebhaft war, in der ich aber neben mancherlei Gegensätzen und mancherlei scheinbaren Widersprüchen auch mancherlei Verbindendes empfunden habe, ist von jenem Terrorsystem der Vergangenheit gesprochen worden, dessen Opfer nicht Tausende, sondern Hunderttausende, ja Millionen waren. Auch in diesem Hause befinden sich in allen Reihen und auf allen Bänken manche Männer und Frauen, die das gleiche oder doch ein ähnliches Schicksal erlitten haben wie jene, denen dieser Entwurf eines Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts auf dem Gebiete der Strafrechtspflege gilt, wie jene Männer und Frauen, die in der Zeit der Tyrannis den Kampf um die Menschlichkeit, den Kampf gegen den totalitären, die menschliche Freiheit auslöschenden Staat gewagt haben. Ich sage das, um auch einmal ein paar verbindende Worte in diesem Hause zu Gehör zu bringen.
Sehr bald schon nach 1945, als man die ersten Schritte unternahm, in Deutschland wieder eine rechtsstaatliche Ordnung aufzurichten, sind Erlasse, Verordnungen und Gesetze gleichen oder ähnlichen Inhalts verkündet worden. Ich denke an den Justizerlaß des Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamburg vom 2. Oktober 1945, nach dem politische Straftaten gegen den Nationalsozialismus nicht mehr verfolgt werden durften oder durch den Verurteilungen wegen solcher Straftaten aufgehoben wurden. Ich denke an die Verordnung des Zentraljustizamtes -in Hamburg vom 3. Juni 1947, an Landesverordnungen, die in der französischen Zone ergangen sind, und ähnliche gesetzliche Regelungen. Aber alle diese Regelungen trugen den Charakter einer Amnestie. Der aus politischen Gründen Verurteilte blieb verurteilt; seinem nunmehr amnestierten Verhalten wurde der Charakter des Unrechtes nicht genommen, er blieb gewöhnlichen Kriminellen, die zufällig die Gunst eines Straffreiheitsgesetzes genossen, mehr oder weniger gleichgestellt.
Erst das in den Ländern der amerikanischen Zone gleichlautend erlassene und am 15. Juni 1946 in Kraft getretene Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts auf dem Gebiete der Strafrechtspflege erklärte schlechthin politische Taten, durch die dem Nationalsozialismus Widerstand geleistet wurde, als nicht strafbar. Hier kam zum ersten Mal zum Ausdruck, daß es sich nicht um eine Amnestie, um einen nachträglichen gesetzlichen Gnadenakt gegenüber Kriminellen, sondern um Wiedergutmachung politischen Unrechts handelt. In gewissem Umfang blieb aber auch hier die Aufhebung eines Urteils, das wegen einer politischen Widerstandshandlung ergangen war, von der Stellung eines Antrags binnen einer bestimmten Frist abhängig. Diese Fristen, die wir auch in anderen Gesetzen und Verordnungen dieser Art finden, sind zum Teil abgelaufen.
Die Rechtsungleichheit, der Umstand also, daß in Teilen des Geltungsbereichs des Grundgesetzes politische Widerstandshandlungen gegen den Nationalsozialismus zwar amnestiert sind, aber weiterhin als Unrecht betrachtet werden, während sie in der amerikanischen Zone schlechthin als nicht strafbar gelten, und der Umstand, daß die Aufhebung dieser Urteile aus der Zeit des Terrors zum Teil an Fristen und Anträge gebunden ist, macht nunmehr eine bundesgesetzliche Regelung notwendig, die übrigens von einigen Generalstaatsanwälten, denen wir diesen Entwurf zur Kenntnisnahme zugeschickt haben, gebilligt worden ist.
Der von uns vorgelegte Gesetzentwurf erklärt den aus Überzeugung gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und gegen den Krieg geleisteten Widerstand für nicht rechtswidrig. Er bezweckt also die rechtliche, politische und moralische Rehabilitierung desjenigen, der Überzeugungswiderstand gegen die Gewaltherrschaft und gegen den zu ihrer Ausbreitung entfesselten Krieg geleistet hat. Nicht jeder, der sich im Gestrüpp des terroristischen Strafrechts der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft durch ein eigensüchtiges oder meinetwegen defaitistisches Verhalten verirrt hat. ohne das System als solches ablehnen zu wollen. ist mit diesem Gesetzentwurf gemeint, sondern nur der natürliche Gegner des Dritten Reiches und jener. der sich aus der Erkenntnis des verbrecherischen Charakters dieser Herrschaft gegen sie aufgelehnt hat. Unrecht war nicht der Widerstand gegen diese Gewaltherrschaft. Unrecht war die nationalsozialistische Herrschaft als solche und jenes brutale Terrorstrafrecht. das mit einer Fülle sich überstürzender Nebengesetze zum Strafgesetzbuch eigentlich zum klassischen Beispiel gesetzlichen Unrechts geworden ist.
Es gibt eine staatsrechtliche Auffassung, die das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 als verfassungswidrig ansieht, weil die Zweidrittelmehrheit, die damals außer den Sozialdemokraten und den gewaltsam ausgeschlossenen Kommunisten für es gestimmt hat, auf der Einschüchterung -- wie der Bonner Staatsrechtslehrer Professor Dr. Thoma erklärt — durch zahlreiche Terrorakte und -furchterregende latente Drohungen, teils auf lügnerischen Lockungen beruht. Die auf diesem Gesetz beruhende Machtergreifung -- die Nationalsozialisten sprachen ja bezeichnenderweise von Machtergreifung — ist im Grunde keine echte Revolution, sondern eine Usurpation der Macht gewesen. Denn wenn man auch auf dem Standpunkt stehen sollte. daß eine echte Revolution, die von der Allgemeinheit getragen wird, neues Recht schaffen kann, dann doch nur, wenn dieses vielleicht nicht geläuterte Recht von einer gewandelten Rechtsüberzeugung getragen wird. Die verbrecherischen und — ich möchte beinahe sagen — satanischen Auffassungen Hitlers sind aber niemals von der Gesamtheit .des deutschen Volkes als die Rechtsüberzeugung aller billig und gerecht Denkenden angesehen worden. Deshalb konnte der Widerstand gegen dieses System nicht rechtswidrig sein.
Ich erinnere daran, daß im März 1933 36 Sondergerichte im alten Reichsgebiet errichtet wurden, daß 36 Hochverratssenate — neben den Untersuchungsrichtern bei den Oberlandesgerichten als Untersuchungsrichter des Reichsanwalts beim Volksgerichtshof -- tätig waren, daß der Volksgerichtshof selbst amtierte, um all jene im Laufe der Jahre abzuurteilen, die als Gegner dieser
Gewaltherrschaft galten oder angesehen wurden. Im Laufe dieser Zeit — und das sollte auch der Herr. Bundesjustizminister bedenken, wenn er das Problem der Vertrauenskrise der Justiz erörtert — sind etwa 1200 bis 1400 Richter und Staatsanwälte an diesen Sondergerichten, Hochverratssenaten und in den Sonderstaatsanwaltschaften tätig gewesen..
Wir haben keine genauen Unterlagen darüber, wie groß die Zahl der Deutschen ist, die wegen ihres Widerstandes gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verurteilt worden sind. Die Akten sind entweder durch Kriegseinwirkung oder aber durch die nationalsozialistischen Machthaber selbst vor dem Zusammenbruch vernichtet worden. Das Statistische Jahrbuch des Deutschen Reichs für 1933 gibt die Zahl der in den ersten Monaten dieses Jahres aus politischen Gründen Verurteilten aber auch damals schon auf 20 000 an. Die tatsächliche Zahl dürfte weithin höher sein. Die Zahl der gerichtlichen Todesurteile wird von dem früheren Reichsjustizminister Thierack in einem vertraulichen Mitteilungsblatt der NSDAP im Jahre 1941 auf 1292 und im Jahre 1943 auf 5336 angegeben. Wie hoch sie dann im Jahre 1944 gewesen sein muß, brauche ich nicht näher zu erläutern. Darüber liegen begreiflicherweise keine genauen Unterlagen vor. Nach Schätzungen, die man heute glaubt machen zu können, beträgt die Zahl der Deutschen, die zwischen dem März 1933 und dem September 1939 aus politischen Gründen in Schutzhaft genommen, vorübergehend verhaftet, Gefängnis- oder Zuchthausstrafen verbüßt oder sich in Konzentrationslagern befunden haben, 1 1/2 Millionen.
Diese Zahlen sind ungenau; wahrscheinlich sind die wirklichen Zahlen noch höher.
Eines weiß man aber, daß der deutsche Widerstand Menschen aller Richtungen und Auffassungen umfaßte: Angehörige der deutschen Arbeiterbewegung — ich erinnere an Leuschner und Mierendorff und an die zahllosen unbekannten kleinen Funktionäre —, Männer des katholischen Klerus — ich denke an Graf von Galen und an den Kardinal Graf von Preysing —, die Be- kennende Kirche, auch den Hochadel und das Offizierkorps, das den Widerstand bis zum Versuch des Staatsstreiches gesteigert hat. Dieser deutsche Widerstand beruhte auf keiner in sich geschlossenen Organisation. Er konnte es im totalitären Staate, der das gesamte Leben der Nation, das Leben des einzelnen, das der Familie durchdrang und im Grunde völlig entprivatisierte, vielleicht auch nicht sein. Neben der bewußten Aufsicht der Gestapo stand ja die unbewußte der Blockwarte. Aber die soziologische Breite der deutschen Opposition und andererseits die Unmöglichkeit, sich angesichts der totalen Apparatur des nationalsozialistischen Staates zu einer geschlossenen Bewegung zu entwickeln, lassen erkennen, daß der Vorwurf einer Kollektivschuld entweder auf völliger Verkennung des Wesens eines totalitären Staates beruht oder aber auf der Unkenntnis über die Möglichkeiten des Widerstandes in einem solchen Staat.
Der Widerlegung dieser unwahren Auffassung der Kollektivschuld dient auch dieses Gesetz. Wir wollen mit diesem Gesetz keinen neuen Heroenkult mit dem unangenehmen Beigeschmack des „Alten -Kämpfertums" schaffen; im Gegenteil, wir wissen, daß dem deutschen Widerstand der Erfolg versagt geblieben ist. Sein Weg war ein einziger Opfergang. Wir wissen aber auch, daß auch andere, Millionen anderer Menschen den Weg des Leidens und des Opfers haben gehen müssen. Ein Opfergang war der Weg von Millionen jenseits unserer Grenzen, aber auch Millionen innerhalb unserer Grenzen, die nicht wie die Männer des Widerstandes zu den Wissenden gehörten, sind Opfer dieser Gewaltherrschaft gewesen. Sie sind vielfach zunächst im blinden und später im zagenden Vertrauen jenen gefolgt, die sich ihre Führer nannten. Vor allem aber möchte ich eines sagen. Wohl niemals in der neueren Geschichte ist die gesamte Jugend eines Volkes so hartnäckig und so ruchlos betrogen und mißbraucht worden wie die deutsche Jugend in der Zeit dieser Gewaltherrschaft. Nur dieser Betrug, nur die große Täuschung, die an dieser Jugend begangen worden ist, erklären vielleicht die Gläubigkeit, mit der diese Jugend in Narvik, in der Steinwüste von El Alamein oder aber im Kessel von Stalingrad ohne Hoffnung gestorben ist. Ich möchte sagen, das Schicksal dieser 6. Armee, die dem Wahnwitz eines Tyrannen geopfert wurde — und der auch ich einmal angehört habe —, ist symbolhaft nicht nur für das Schicksal der Widerstandskämpfer, sondern auch für das Schicksal großer Teile unseres Volkes. Ich selbst habe das Schicksal beider geteilt: das Schicksal jener, die wegen ihrer politischen Überzeugung in den Gefängnissen oder Lagern des Dritten Reiches zugebracht haben, aber auch das Schicksal der andern, die in der russischen Steppe oder sonst irgendwo auf dem weiten Kontinent in den schwersten Konflikt, den Konflikt zwischen Vaterland und Menschheit gestellt waren. In diesen Konflikt waren sie irgendwie alle gestellt. Die Gemeinsamkeit dieses Schicksals möge eine Brücke zwischen den Männern und Frauen des deutschen Widerstandes und jenen sein, die durch die Männer von Stalingrad repräsentiert werden. Möge daraus die Sehnsucht nach einer Welt der Freiheit, einer besseren Welt der Menschlichkeit erwachsen!
Nach der Begründung des Antrags treten wir in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Gewaltregimes war es eine der selbstverständlichen ersten Pflichten, das Unrecht, das auf dem Gebiet der Strafrechtspflege den Opfern des Nationalsozialismus angetan worden ist, wiedergutzumachen. Entsprechend der damaligen staatsrechtlichen Struktur lag die Gesetzgebung im wesentlichen bei den Ländern. _Die Dinge sind verschieden gehandhabt worden. Der Herr Abgeordnete Zinn hat schon erwähnt, daß die britische Zone vorausging. Es war die merkwürdige Situation, daß die Oberlandesgerichtspräsidenten Gesetzgeber waren; sie haben Erlasse herausgegeben, durch die Straffreiheit gewährt wurde. Dann haben die Länder der amerikanischen Zone dieses Problem in eingehender Weise gesetzlich geklärt, insbesondere festgelegt, daß bestimmte politische Straftaten, durch die dem National-
ù Sozialismus oder dem Militarismus Widerstand geleistet wurde, nicht strafbar sind. Im übrigen wurde die Möglichkeit gegeben, Urteile der Sondergerichte, die übermäßig hart waren, auf ein angemessenes Maß zurückzuführen. Die französische Zone ist gefolgt, sie hat sich im wesentlichen dem Vorbild der Gesetzgebung der amerikanischen Zone angeschlossen. Man kann sagen: die Dinge sind praktisch erledigt. Es gab im einzelnen Nuancierungen: in der amerikanischen und britischen Zone erfolgte die Aufhebung der Urteile auf Grund der typischen Nazigesetze kraft Gesetzes; in der britischen Zone war der Antrag erforderlich; verschiedene Behandlung im Strafregister und ähnliche Nuancierungen, aber insgesamt ist zu sagen: dieses sehr trübe Kapitel des nationalsozialistischen Strafrechts ist abgeschlossen.
Deswegen verstehe ich zwar durchaus, daß der Herr Abgeordnete Zinn den Opfergeist beschworen hat, der hinter diesem formalen Gesetz liegt. Aber ich verstehe nicht, warum man mit dem Antrag auf ein Bundesgesetz die Dinge hervorholt. Nach meinen Feststellungen liegt bei den Ländern ein besonderes Bedürfnis, diese Fragen der Aufhebung des nationalsozialistischen Unrechts auf dem Gebiet der Strafrechtspflege jetzt auf der Bundesebene zu regeln, nicht vor. Denkbar, daß wegen des teilweise eingeführten An-tragrechtes noch Schwierigkeiten kommen könnten. Dem müßte man dann begegnen; daß man aber insgesamt die Materie jetzt von uns aus ordnet, halte ich nicht für veranlaßt, ganz ab- gesehen davon, daß der Entwurf, der im wesentlichen dem Vorbild der amerikanischen Zone nachgebildet ist, Mängel aufweisen würde, vieil
man anscheinend ein Gesetz aus dem Jahre 1947 — das Ergänzungsgesetz der amerikanischen Zone -- nicht berücksichtigt hat: die bedeutsame Frage der Fälle der Tateinheit zwischen politischen Straftaten und allgemein kriminellen Straftaten, auch das Problem der Gesetzeskonkurrenz, auch der Fall, daß übermäßig hohe Urteile von Sondergerichten herabgesetzt werden können, werden in diesem Entwurf nicht berücksichtigt.
-- Herr Dr. Arndt, Sie haben eine Diktion, die einem das Arbeiten hier zum Ekel werden läßt. So kann man doch nicht verhandeln.
Ich habe nicht das hohe Maß Ihrer Intelligenz geerbt, Herr Abgeordneter Arndt -- das Ist mein Schicksal aber ich habe vielleicht andere Qualitäten.
Die Dinge spitzen sich auf einen Antrag zu, der in dem Gesetzentwurf der Sozialdemokratischen Partei als das hohe Gedankengut des Herrn Abgeordneten Arndt dargestellt ist — Dinge, die schon in der Rechtslehre umkämpft worden sind und die in einem Gesetz zu ordnen ich für ausgeschlossen halte. Das ist der Antrag, daß im Gesetz festgelegt wird, daß aus Überzeugung geleisteter Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und gegen den Krieg nicht rechtswidrig sein soll; daß das Gesetz das festlegt --- eine überaus schwierige Frage! Es würde
viel zu weit führen, wenn wir diese Dinge in diesem Rahmen erörtern wollten. Die Probleme sind Ihnen wohl schon nahegebracht worden. Meine Damen und Herren, Sie haben doch die Fälle miterlebt, die in der Presse eingehend erörtert worden sind, daß zum Beispiel sich Deserteure gegen die Verhaftung gewehrt und auf der Flucht den Wachmann körperlich schwer verletzt oder erschossen haben. Frage: war sein Verhalten rechtswidrig oder nicht?
Das Oberlandesgericht in Kiel hat diese Frage verneint. Ich will auf die Dinge nicht eingehen, ich will mich nur auf einen Mann beziehen, der, glaube ich, auch bei Herrn Kollegen Arndt Ansehen genießt.
-- Jetzt repliziere ich mit den Worten des Herrn
Arndt: Ich glaube nicht, daß Sie das verstehen!
Es ist das schwere Problem, daß man selbstverständlich feststellen muß, daß ein Teil der nationalsozialistischen Gesetzgebung Unrecht war
und daß der Widerstand gegen diese Bestimmungen zweifellos rechtmäßig und nicht rechtswidrig
war. Aber die Frage, ob man diese Wertung so
weit spannen kann, wie es der Gesetzentwurf
will, ob man sie nicht auf das Unrechtsgut bestimmter Gesetze abstellen muß, kann ich nicht
besser beantworten, als es Radbruch zusammengefaßt hat. Vielleicht darf ich Ihnen die paar
Worte -- nicht zur Klärung, sondern nur zur
Beleuchtung des Problems --- verlesen; er sagt: Wir sind der Meinung, daß es nach zwölf Jahren Verleugnung der Rechtssicherheit mehr als je notwendig ist, sich durch juristische Erwägungen gegen die Versuchungen zu wappnen, welche sich begreiflicherweise für jeden, der zwölf Jahre der Gefährdung und Bedrückung durchlebt hat, leicht ergeben können. Wir haben die Gerechtigkeit zu suchen, zugleich die Rechtssicherheit zu beachten, da sie selber ein Teil der Gerechtigkeit ist, und einen Rechtsstaat wieder aufzubauen, der beiden Gedanken -- der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit -- nach Möglichkeit Genüge zu tun hat. Demokratie ist gewiß ein preisenswertes Gut, Rechtsstaat aber ist wie das tägliche Brot, wie Wasser zum Trinken und wie Luft zum Atmen, und das Beste an der Demokratie gerade dieses, daß nur sie geeignet ist, den Rechtsstaat zu sichern.
Damit ist das Problem angeschnitten.
Es ist zweifellos richtig, was der Abgeordnete Zinn gesagt hat; aber es ist nach meiner Überzeugung unmöglich, die Konsequenz zu ziehen, daß wir von Gesetzes wegen sagen, daß allgemein bestimmte Handlungen, wenn sie aus Überzeugung gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft oder gegen den Krieg begangen wurden, rechtmäßig seien. Dadurch würden wir das ganze Gefüge unserer Rechtsordnung nach meiner Auffassung - nicht erschüttern, das ist zuviel gesagt, aber immerhin in gewissem Umfange gefährden.
Also zusammenfassend: ich bin der Ansicht, daß kein Anlaß besteht, diese Materie vom Bund aus gesetzlich neu zu klären: Wenn wider Er-
Deutscher Bundestang - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1950 1613
warten wirklich noch Schwierigkeiten auftreten, ist immer noch Zeit dazu.
Jetzt erscheint mir der Entwurf als ein Vorstoß aus mehr oder minder politischen Gründen.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß im Ältestenrat die Redezeit für die folgende Debatte auf 10 Minuten je Redner festgesetzt worden ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schneider.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind alle einig darin, daß das Unrecht, das die vergangenen zwölf Jahre — das Nazisystem — angerichtet haben, so weit wiedergutgemacht werden muß, wie unser Volk dazu überhaupt in der Lage ist. Die Frage ist nur die, ob gerade auf dem speziellen Gebiet, das heute hier zur Debatte steht, noch ein zwingender Anlaß dafür besteht, das auf der Bundesebene zu tun. Der Herr Justizminister hat uns soeben schon dargelegt, daß er der Meinung ist, daß das nicht notwendig sei, da mehr oder weniger übereinstimmend in allen Ländern bereits derartige Gesetze erlassen worden sind und daß die wesentlichsten — ja, ich möchte sagen, wahrscheinlich die meisten — Fälle, die übergroße Zahl der Fälle in irgendeiner Form schon erledigt worden sind. Grundlage dieser gesamten Gesetzgebung der Länder war damals die Proklamation Nr. 3 des Alliierten Kontrollrats vom 20. Oktober 1945, die in Artikel 2 Ziffer 5 lautete: „Verurteilungen, die unter dem Hitler-Regime aus politischen, rassischen und religiösen Gründen erfolgten, müssen aufgehoben werden." Das ist, wie gesagt, in den meisten Ländern geschehen und ist auch, was die materielle Regelung anlangt, mehr oder weniger übereinstimmend geschehen, nur ist man in den einzelnen Ländern, was die Beseitigung dieser Urteile im Strafregister betrifft, teilweise verschiedene Wege gegangen. In einzelnen Ländern wurde ohne weiteres gelöscht; in anderen wurde vermerkt. daß das Urteil aufgehoben sei. Man ist da nicht den Schritt gegangen, zu löschen, und zwar nicht etwa, weil man die Strafregistereintragung bestehen lassen wollte, sondern gerade, um diesen Opfern des Nationalsozialismus zu helfen, indem man für alle Zeit einen unwiderleglichen Beweis, nämlich ihre Verurteilung aus politischen Gründen, im Strafregister bestehen ließ.
Ich bin also mit dem Herrn Justizminister der Auffassung, daß eine zwingende Notwendigkeit zur Regelung dieser Materie auf der Bundesebene zur Zeit nicht gegeben ist. Aber wenn man eine andere Meinung vertritt wie die Herren Antragsteller, die da glauben, daß, da die Fristen abgelaufen seien und der eine oder andere Fall nicht mehr aufgegriffen werden könnte und da ferner die Unterschiede in den Länderregelungen so erheblich seien, daß das nun endlich bundeseinheitlich geregelt werden müßte, die Notwendigkeit eines derartigen Gesetzes zu bejahen ist. dann möchte ich mich doch grundsätzlich mit dem Problem dieses Gesetzes auseinandersetzen.
Ich habe schon gesagt, daß jeder unter uns einsieht, daß nationalsozialistisches Unrecht gutgemacht werden muß. Ich kenne die Praxis des Nationalsozialismus. Ich hatte niemals mit ihm zu tun, sondern ich stand als Jurist immer im Kampf mit ihm. Ich war einer der letzten Anwälte in Oberhessen, die es überhaupt wagten, vor dem Sondergericht in Darmstadt zu verteidigen. Ich weiß also, was der Nationalsozialismus teilweise begangen hat.
-- Was der Nationalsozialismus überhaupt begangen hat, auch auf diesem Gebiet! Man kann mir nicht sagen, ich wolle eine Lanze für ihn brechen, wenn ich mich jetzt kritisch zu dem Entwurf der SPD einstelle, und zwar kritisch, gerade was das Grundproblem anlangt. Ich bin aber mit dem Herrn Justizminister der Meinung, daß es der Klärung eines Rechtsproblems nicht dient, Herr Kollege Arndt, wenn man sich gegenseitig in gehässiger Weise anpflaumt oder anzupflaumen versucht, sondern ich bin im Gegenteil der Auffassung, daß man derart schwere Rechtsprobleme namentlich unter Juristen nur in absolut sachlicher Weise erörtern sollte.
Herr Abgeordneter ich glaube, der Ausdruck „in gehässiger Weise" entspricht nicht ganz dem Sachverhalt.
Ich glaube, der Herr Abgeordnete Arndt kennt mich ja. Wenn ich mich im Ausdruck etwas vergriffen haben sollte, dann bitte ich ihn um Verzeihung. Ich meine: nicht sachlich.
Meine Damen und Herren! Ich bitte doch, in Zwiegesprächen nicht solche zugespitzte Werturteile abzugeben.
Herr Abgeordneter Euler, — —
Herr Abgeordneter Euler, Sie haben hier eben Schimpfworte gebraucht. Ich muß Sie zur Ordnung rufen.
Das Rechtsproblem dieser Vorlage liegt in § 1 Absatz 1, wo es kurz und bündig heißt:
Aus Überzeugung geleisteter Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und gegen den Krieg war nicht rechts widrig.
Der Herr Justizminister hat die Schwere des Problems aufgerissen. Er hat darauf hingewiesen, daß sich schon sehr berufene Leute mit diesem Problem befaßt haben, nämlich Professor Radbruch in Heidelberg, der sich schon gelegentlich eines speziellen Falles, einer Verurteilung, mit diesem Problem auseinandergesetzt hat. Dieses Sätzchen in § 1 sieht so einfach aus, enthält aber das schwerste Rechtsproblem überhaupt. Hinter dieser Formulierung des § 1 steht nämlich nicht mehr und nicht weniger als der Versuch, die Realität — so möchte ich es bezeichnen - dieser 12 Jahre Nationalsozialismus in ihren gesamten Erscheinungsformen einfach als rechtswidrig erscheinen zu lassen. In diesem weiten Umfang ist es für mich gänzlich unmöglich, daß man das tun könnte. Als Jurist ist mir das begrifflich gar nicht denkbar. Aber ich möchte mich hier auf das spezielle Gebiet des Strafrechts beschränken.
Es besteht gar kein Zweifel, daß auch auf diesem Gebiete blankes Unrecht geschehen ist, das im Sinne dieser Vorschriften einfach rechtswidrig war. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Tatbeständen, die es zwingend ausschließen, daß man diese generelle, vereinfachende Lösung auf alles anwenden könnte. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen nur ein Beispiel sagen; der Herr Justizminister hat es hier schon angeführt. Es ist der sogenannte Fall Garbe. Der Tatbestand war so, daß ein Soldat, der desertiert war, wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt war. D Das Urteil war rechtskräftig. Es gelang dem Mann zu entfliehen. Er wurde 1944 wiederergriffen. Mit Vorsatz -- um sich eben der Vollstreckung dieses Todesurteils zu entziehen — schlug er den Polizeibeamten, der ihn festzunehmen versuchte, nieder, und zwar mit dem Vorsatz, ihn zu töten. Dieser Mann ist nun nach dem Kriege durch das Oberlandesgericht Kiel mit einigen Monaten Gefängnis bestraft worden.
Herr Kollege Arndt hat gerade dieses Urteil zum Gegenstand seiner Kritik gemacht, und er hat es sehr scharf kritisiert, indem er nachzuweisen versuchte, daß alle diese Dinge, die der Nationalsozialismus damals getan hätte — auch der Krieg in seiner Gesamterscheinung —, einfach rechtswidrig seien und daß ein Mann, der sich diesem Krieg, gleichgültig mit welchen Mitteln, entziehen wollte oder entzogen hat, niemals rechtswidrig gehandelt haben könne. Dieser Standpunkt, den Herr Kollege Arndt vertritt, scheint mir in dieser Form in den letzten Konsequenzen unmöglich zu sein. Denn, meine Damen und Herren, denken Sie an ein praktisches Beispiel. Nehmen Sie an, ein deutscher Soldat begeht aus Widerstand gegen den Nationalsozialismus beispielsweise an der Front einen militärischen Verrat, und die Folge ist der Tod von 50, 100 oder gar 1000 seiner Kameraden. Ich kann mir nicht denken, daß wir dem deutschen Volk klarmachen könnten, daß es ein Unrecht wäre, wenn dieser Mann bestraft wird; denn das würde niemand in unserem Volk begreifen.
Das wäre nicht möglich. Aber dieser Fall müßte
dann auch, wenn wir die Fassung des § 1, wie
er hier vorliegt, in seiner Totalität bejahen, darunter subsumiert werden. Eine weitere Folge, wenn man diese letzten Konsequenzen ziehen würde, wäre die, daß Richter, die ein derartiges Urteil fällten, rechtswidrig gehandelt hätten, daß sie das Recht gebeugt hätten.
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß man nur solche Beispiele anzuführen braucht, um Ihnen klarzumachen, daß die Fassung des § 1, wie sie hier vorgeschlagen wird, in dieser Verallgemeinerung nicht möglich ist. Man kann das nicht gesetzlich festlegen, sondern muß das im einzelnen von Fall zu Fall betrachten, um ein Urteil darüber zu gewinnen, was materiell rechtswidrig oder nicht rechtswidrig gewesen ist. Wenn wir anders verfahren wollten, würde das Rechtsgefühl, der Rechtsbegriff in unserem Volk oder, wenn ich mich einfacher ausdrücken soll, die Rechtssubstanz ganz entscheidend tangiert. Dann würde das Gefühl dafür, was Recht oder Unrecht ist, immer mehr verlorengehen. Es ist tief bedauerlich, daß es schon sehr weitgehend verlorengegangen ist. Wieweit es schon verlorengegangen ist, zeigen auch die Vorfälle, die sich leider in diesem Hohen Hause in der letzten Vergangenheit zugetragen haben. Diese konnten auch nur entstehen, weil das Gefühl für das, was Recht oder Unrecht ist, selbst bis in unsere Reihen hinein nicht mehr klar erkannt wird.
Ich fasse zusammen, da meine Redezeit abgelaufen ist. Wir stimmen der Tendenz des Gesetzes im Grundsätzlichen zu. Wir sind auch bereit, mit uns im Ausschuß darüber reden zu lassen, wie die einzelnen Paragraphen gefaßt werden müssen, nur können wir dem § 1 in seinem Absatz 1 in der jetzt vorliegenden Fassung des Gesetzentwurfs unmöglich zustimmen; denn das würde zu Konsequenzen führen, die wir aus 0 rechtspolitischen und letzten Endes auch aus staatspolitischen Gründen nicht auf uns nehmen wollen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mühlenfeld zur Geschäftsordnung.
Meine Damen und Herren! Wir unterhalten uns hier stundenlang darüber, wie wir unsere Republik und unsere Demokratie sichern können, wie wir mit den Feinden der Demokratie fertig werden und wie wir die nötigen Gesetze schaffen.. Meine politischen Freunde und ich sind der Auffassung, daß hier der Ort ist, an dem in erster Linie das Beispiel für eine gute Demokratie zu geben ist.
Ich muß feststellen, daß hier im Hause zu meiner großen Enttäuschung eine Praxis herrscht, die nicht geeignet ist, das Ansehen der Demokratie und des demokratischen Gedankens im deutschen Volke zu heben. Wenn hier laufend sehr weitgehend von der linken Seite des Hauses provoziert wird, dann muß ich schon sagen: das ist eine Art und Weise, die dem Volk ein schlechtes Bild und kein Vertrauen in dieses Parlament gibt. Wenn es dann der Herr Präsident nicht für nötig hält, Entgleisungen von Abgeordneten der linken Seite zu rügen, die schwere Verdächtigungen der Minister enthalten, dann habe ich keine andere Aufgabe und Pflicht, als den schärfsten Protest meiner Fraktion anzumelden.
Meine Damen und Herren, zu der an meiner Tätigkeit geübten Kritik muß ich feststellen, daß ich bereits den Auftrag gegeben habe, das Stenogramm mit dem Wortlaut der eben gefallenen Äußerungen vorzulegen. Sobald es hier vorliegt, werde ich meine Entscheidung treffen.
Ich glaube, man sollte in diesen Dingen zunächst die sachliche Feststellung ermöglichen. Es ist in dem Augenblick des Gedränges von Rede und Zwischenrufen, bei der Vielseitigkeit der Äußerungen nicht möglich, einen Wortlaut klar festzuhalten.
— Ja, was Sie gehört haben, kann ich nicht alles gehört haben. Ich habe nämlich auf den Redner gehört; dann ist da gerufen worden und dann dort gerufen worden. Ich glaube sagen zu können, daß von hier aus manches anders aussieht.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob tatsächlich in aller und jeder Beziehung diese Vorlage der SPD durch vorangegangene Ländergesetze oder Gesetze der Militärregierung überholt ist oder nicht. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob nicht in sehr vielen dieser Gesetze nur von Gnadenakten die Rede ist oder ob insbesondere Bestimmungen entsprechend § 6 Absatz 2 hinsichtlich des Ersatzes der Geldstrafe und der Kosten schon überall eingeführt sind. Ich begreife aber, daß die SPD diese Vorlage eingebracht hat nicht ohne Rücksicht darauf, daß der namens meiner Partei in den Bundestag gewählte Abgeordnete Hedler die Widerstandskämpfer in einer Weise in den Kreis seiner Betrachtungen gezogen hat, die der Linie meiner Partei und meiner Fraktion in keiner Weise entspricht, und daß man aus diesem Anlaß die Auffassung gesetzlich verankern möchte, daß wir Heutigen diese Handlungen von Rechts wegen nicht als widerrechtlich ansehen können. Weil ich das weiß, habe ich namens meiner Fraktion zu erklären, daß wir dieser Vorlage grundsätzlich zustimmen.
Wir sind der Ansicht, daß die Frage in engem Zusammenhang mit dem Problem des Tagesordnungspunktes 1 und der entschiedenen Bestrebung auch meiner Partei steht, die „Denazifizierung" endgültig zu beenden. Denn wir müssen einheitlich mit der Vergangenheit Schluß machen, Schluß sowohl mit ihren Widerrechtlichkeiten wie auch mit ihren Irrtümern. Wir müssen reinen Tisch schaffen, brauchen frische Luft und neuen kräftigen Wind. Diesem Zweck kann das vorgelegte Gesetz sehr wohl dienen, und in diesem Sinne ist es uns willkommen.
Es kommt hinzu, daß diese Vorlage viele strafbare Handlungen in den Kreis der Betrachtung zieht, für die nur ein Teil derer bestraft worden ist, die sie tatsächlich begangen haben. Alle Gesetze, die in § 2 der Vorlage im einzelnen aufgeführt sind, sind typische politische Ausnahmegesetze. Die Herren Antragsteller brauchten für ihre Absicht keinen einzigen Paragraphen des Strafgesetzbuches anzutasten. Soweit man das als Anwalt beurteilen und beobachten konnte, wurden diese Ausnahmegesetze in der Mehrzahl der Fälle nur dann vom Strafrichter angewandt, dann aber in einem Verfahren, das zu äußerst drakonischen Strafen führte, wenn sich ein Denunziant fand. Die Akten der Gestapo begannen vielfach mit dem Vermerk: „Von vertraulicher Seite wird gemeldet". Nicht Spürsinn der Polizei, sondern Haß und Rachegefühle der Nachbarn, der ehemaligen Freunde oder ehemaliger Geliebten brachten solche Fälle vor den Richter, und dann wurde in einzelnen Fällen sogar auf Todesstrafe erkannt. Das haben wir alle erlebt, und wir wissen ganz genau, daß es ein unglücklicher Zufall war, wenn jemand wegen solcher Dinge vor den Richter gezogen und dann bestraft wurde. Ich weiß nicht, wieviele Millionen in Deutschland im Kriege die ausländischen Sender gehört haben. Ich weiß aber, daß sich selbst der treueste Parteigenosse in den letzten Jahren des Krieges in steigendem Maße zu einem überaus großen Meckerer entwickelte und daß das Heimtückegesetz oder, schlimmer noch, das Gesetz gegen die Wehrkraftzersetzung beinahe auf geradezu jeden Deutschen hätte angewandt werden können. Deshalb müssen wir diese Leute, die in die Maschen des Nazirechts geraten waren, als zufällige Opfer ansehen, die wir unter allen Umständen mit den übrigen Menschen gleichstellen müssen. Aus diesem entscheidenden Grunde halten wir eine Verlautbarung des Bundestages, also die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes, für durchaus erwünscht.
Was nun die Kontroverse hinsichtlich der Fassung des § 1 anlangt, so muß auch ich sagen, daß die Herren von der Linken dazu neigen, nun einmal gegebene Tatsachen, sei es der Vergangenheit oder der Gegenwart, die nicht aus der Welt zu schaffen sind, zu negieren, und zwar gesetzgeberisch zu negieren. Die Antragsteller sprechen ja selber in ihrem § 1 von der „Herrschaft", die früher gewesen ist. Diese Herrschaft, dieses Regiment, begegnete in Deutschland 12 Jahre hindurch nur. ohnmächtigem Widerstand, das Regime war praktisch unanfechtbar und unangefochten. Es war darüber hinaus von der ganzen Welt anerkannt. Es gab keinen Staat, der nicht mit ihm in Beziehungen stand, der nicht mit ihm Verträge schloß, und viele haben dann nachher Krieg mit ihm geführt. Diese „Herrschaft" hatte ihre eigene Gesetzgebung, und heute in einem Gesetze festzulegen, daß irgend etwas damals kein „Unrecht" war, würde einer geschichtlichen Tatsache widersprechen. Ich bin aber der Meinung, daß alle diese Bedenken leicht überbrückt werden können, wenn man dem Schlußsatz des § 1 von dem Hilfsverbum „war" an etwa folgende Fassung gibt:
Der Widerstand ist nicht rechtswidrig
und ist auch als zur Zeit der Tat nicht rechtswidrig begangen anzusehen.
Wenn man so formuliert, dann haben wir die gesetzliche Vermutung in Ansehung der Vergangenheit, und für die Gegenwart ist damit die Tatsache festgelegt, daß sich die Rechtsauffassungen inzwischen geläutert haben. Auf diese Fassung sollten wir uns einigen, um den von dem Herrn Bundesjustizminister sehr einleuchtend dargestellten juristischen Konflikt zu umgehen, den Konflikt nämlich, ob man in einem Gesetz sich zu evidenten Tatsachen wirksam in Widerspruch setzen kann.
Auf die Frage der Rechtmäßigkeit des Ermächtigungsgesetzes von 1933 heute noch einzugehen, halte ich für müßig; wir haben viel wesentlichere Aufgaben vor uns, Aufgaben in Überfülle, müssen die Vergangenheit auf sich beruhen lassen und statt dessen den heutigen Bedürfnissen Rechnung tragen und uns ihnen widmen.
Das Gesetzgebungswerk, wie es in der Drucksache Nr. 564 hier vorgelegt ist, bedarf also im einzelnen sicherlich noch der Durcharbeitung. Meine Fraktion wird zu einer auf möglichst breiter Basis zu fassenden Entschließung gern das Ihre beitragen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kopf.
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf wirft schwere, ja schwierigste Rechtsprobleme auf, Probleme, die in der kurzen Zeit von 10 Minuten nicht erschöpfend behandelt werden können. Jeder, der die Zeit des nationalsozialistischen Regimes bewußt miterlebt hat, weiß, daß die Justiz in zunehmendem Maße durch das System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gelenkt worden ist, weiß, daß Gesetze gemacht worden sind, deren Inhalt teilweise als Unrecht empfunden werden muß, und daß auf Grund dieser Gesetze Urteile ergangen sind, die nicht anders denn als Fehlurteile bezeichnet werden können. Wir sind daher mit den Antragstellern darin einer Meinung, daß Unrecht, das mit dem Erlaß solcher Strafurteile begangen worden ist, der Wiedergutmachung bedarf.
Auch ich bin der Auffassung, daß diejenigen, die aus Überzeugung Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistet haben, damit nicht rechtswidrige Handlungen begangen ha- ben. Es ist aber die Frage, ob es tunlich und zweckmäßig ist, diesen lapidaren Grundsatz im ersten Paragraphen dieses Gesetzes zu verankern. Die Überzeugung vom Ausschluß der Rechtswidrigkeit kann nach unserer Auffassung nur aus den Grundsätzen des Naturrechts hergeleitet werden, zu denen sich die Bundesrepublik Deutschland im ersten Artikel ihres Grundgesetzes bekannt hat.
Nur deshalb nämlich waren diese Handlungen damals schon nicht rechtswidrig, weil auch damals schon die unveräußerlichen Grundsätze des Naturrechts gegolten haben,
die auch heute noch in der gleichen Weise gelten.
Meines Erachtens aber ist es unmöglich und nicht tunlich, diesen Grundsatz im Wege einer nur positivistischen Gesetzgebung begründen zu wollen. Lassen Sie mich das veranschaulichen durch den Hinweis auf einen Vorgang, von dem wir heute durch einen ungeheuren Abgrund getrennt sind. Das nationalsozialistische Regime hat durch ein Gesetz vom 3. Juli 1934 den Versuch gemacht, Handlungen nachträglich als angebliche Notwehrhandlungen für Rechtens zu erklären, die gegen die Strafgesetze auch des damaligen nationalsozialistischen Reiches in flagranter Weise verstoßen haben. Hier haben wir ein Beispiel dafür, daß der damalige Staat in positivistischer Weise versucht hat, seine Gesetzgebungsbefugnisse zu mißbrauchen und Handlungen für nicht rechtswidrig zu erklären, die nach unserer festen Überzeugung, die nach den damaligen Strafgesetzen und den Grund- sätzen des Naturrechts flagrante Verletzungen gewesen sind.
Darum kann der Grundsatz, den ich mit den Herren Antragstellern teile, nicht daraus hergeleitet werden, daß, nachdem das Reich der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft sein Ende gefunden hat und nunmehr ein neuer Staat gegründet worden ist, diesem Staat die Aufgabe obliege, neue Tafeln der Werte aufzurichten und alte Vorgänge unter neuen Gesichtspunkten zu werten. Nein, es ist so, daß wir durch die Anerkennung dieses Grundsatzes nur das anerkennen, was wir immer gewußt und immer geglaubt haben, und daß wir die Handlungen, die heute als nicht rechtswidrig erklärt werden sollen, schon damals als nicht rechtswidrig empfunden haben. Nur die naturrechtliche Grundlage schafft meines Erachtens den moralischen, aber auch den rechtlichen Boden für die Begründung dieses Gesetzes.
Nun kann man den Weg dieses Gesetzes auf zweierlei Weise beschreiten. Man kann versuchen, die Rechtsüberzeugung in lapidarer Form so zum Ausdruck zu bringen, wie es in § 1 erfolgt ist. Man kann auch den anderen Weg beschreiten und sich mit der faktischen oder praktischen Aufhebung des begangenen Unrechts bescheiden.
Ich möchte den Beratungen des Rechtsausschusses nicht vorgreifen. Ich möchte lediglich sagen, daß gegen die Formulierung dieses Grundsatzes im Gesetze selbst vor allem das eine Bedenken besteht, daß die Rechtswidrigkeit ja nicht nur ihren materiellen, sondern auch ihren formellen Charakter hat und daß dieser Grundsatz sich ja offensichtlich auf die materielle Rechtswidrigkeit, nicht aber auf die formelle Rechtswidrigkeit erstrecken soll.
Aber wie immer auch man hierzu Stellung nehmen wird, es wird notwendig sein, daß die Regierung in der Zwischenzeit über einige Punkte Erhebungen anstellt, die für die weitere Tätigkeit des Rechtsausschusses und die Bearbeitung dieses Entwurfes von entscheidender Bedeutung sein werden. Es bedarf zunächst einmal der Feststellung, inwieweit bereits durch Gesetze der Länder eine Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechtes erfolgt ist. Es liegt mir das Gesetz des Landes Rheinland-Pfalz zur Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege vor, und ich entnehme daraus, daß die Grundgedanken des vorliegenden Gesetzentwurfs durch eine praktische Aufhebung derartiger Strafurteile, sogar durch eine Nachholung der Strafverfolgung und durch Wiederaufnahmemöglichkeiten bereits in großem Umfange verwirklicht worden sind. Es bedarf daher wohl einer Enquete darüber, inwieweit heute, nachdem eine Reihe von Ländern diese Gesetze erlassen haben, noch ein praktisches Bedürfnis zu einer Ergänzung dieser Gesetze im Sinne des vorliegenden Entwurfes besteht.
Es bedarf zweitens der Prüfung — wiederum durch Rückfrage bei den Länderministerien —, inwieweit heute noch die Folgen nationalsozialistischen Unrechtes fortbestehen oder sich in Zukunft noch auswirken können.
Es bedarf schließlich auch vielleicht noch einer Klärung der finanziellen Auswirkungen einer derartigen Gesetzgebung. Es ist selbstverständlich, daß die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Un- rechts nicht von finanziellen Folgewirkungen irgendwelcher Art abhängig gemacht werden kann.
)Sie muß durchgeführt werden um der Wiederherstellung des Rechtes willen und um der Rehabilitierung der seinerzeit Betroffenen willen Aber es wird notwendig sein, sich auch über das Ausmaß der finanziellen Auswirkungen Klarheit zu verschaffen.
Darum möchte ich an die Regierung die Bitte richten, diese Punkte zunächst im Wege einer Enquete zu klären und deren Ergebnis sodann dem Rechtsausschuß vorzulegen. Wir beantragen, dieses Gesetz dem Rechtsausschuß zur Beratung zu überweisen. Wie immer auch die Vorschläge des Rechtsausschusses sein werden, ist es, glaube ich, unsere gemeinsame Rechtsüberzeugung, daß diejenigen Männer und Frauen, die der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Widerstand entgegengesetzt haben, in einer Zeit schwerer Bedrückung in der Verteidigung der Rechte des Menschen mit dem Opfer ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit und ihres Lebens einen guten Kampf gekämpft haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Gundelach.
Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde und ich sind der Meinung: man kann bei der Behandlung des vorliegenden Antrages der SPD nicht nur mit dem Rechtsempfinden von Juristen Stellung nehmen,
sondern unsere Auffassung ist die, daß gerade in dieser so wichtigen und ernsten Frage der gesunde Menschenverstand, der Wille der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes zum Durchbruch kommen muß.
Es ist bezeichnend für die politische Situation in Westdeutschland an sich, daß bis heute, fünf Jahre nach der Beseitigung der Hitlerherrschaft, immer noch nicht von Amts wegen die Nichtigkeitserklärung der Strafurteile erfolgt ist, wie sie in dem SPD-Antrage hier erneut aufgeführt worden sind. Dabei möchte ich gleich darauf hinweisen, daß allerdings die Aufzählung der einzelnen Gesetze nicht ganz vollständig ist; denn es gibt auch noch eine Reihe von politischen Notverordnungen, zum Beispiel die politischen Notverordnungen zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933, gegen Verrat am deutschen Volk und hochverräterische Umtriebe vom 28. Februar 1933, zum Schutze des deutschen Volkes vom 4. Februar 1933, zur Erhaltung des inneren Friedens vom 19. Dezember 1932.
Ich bin der Meinung, daß es notwendig sein wird, im Ausschuß noch einmal mit zu überprüfen, ob alle Gesetze und alle Verordnungen erfaßt sind, wo die Straftaten in Betracht kommen, um Nichtigkeitserklärungen zu erlassen. Meine politischen Freunde und ich halten also, um das Versäumte schnellstens nachzuholen, den zur Beratung stehenden Antrag der SPD für absolut berechtigt. Wir sind allerdings der Meinung, daß die Nichtigkeitserklärung nicht auf Antrag zu erfolgen hat, sondern von Amts wegen generell vorzunehmen ist. Wir haben auch Bedenken, die Justizbehörden ohne Kontrolle mit der Erledigung dieser Aufgabe zu betrauen. Es wurde, wie wir das hier aus dem Munde von verschiedenen Abgeordneten bei der Hedler -Debatte erlebt haben, als Tatsache festgestellt, daß 60 bis 80 Prozent der heute leitenden Justizbeamten in Westdeutschland Mitglieder der nationalsozialistischen Partei gewesen sind. Wir sind der Meinung, daß es recht fraglich ist, gerade diesen oberen Beamten der Justizbehörden in Westdeutschland die Befähigung zuzusprechen, allein und ohne Kontrolle eine korrekte Erledigung dieses Antrages durchzuführen. Deshalb sind wir der Auffassung, daß es unbedingt erforderlich ist, die Landesparlamente mit der Kontrolle der von Amts wegen aufzuhebenden Strafurteile, die aus politischen Gründen erfolgt sind, zu beauftragen. Dies ist der Standpunkt der Kommunistischen Partei. Ansonsten stimmen wir dem Antrag der Sozialdemokratischen Partei zu.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Zinn.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir nur noch einige kurze Bemerkungen.
Herr Bundesjustizminister! Es ist ein evidenter Irrtum, wenn Sie annehmen, dap dieses Gesetz von uns aus politischen Erwägungen vorgelegt worden sei, oder wenn man gar vermuten würde, der Fall Hedler sei Anlaß dazu gewesen. Das Gesetz ist beim Büro des Präsidiums zu einem Zeitpunkt eingegangen, als sich der Fall Hedler noch gar nicht ereignet hatte. Im übrigen ist der eigentliche Anreger des Gesetzes der Herr Abgeordnete Dr. Kopf von der CDU, der uns, nachdem wir einmal über das Problem gesprochen haben, veranlaßt hat, diesen Gesetzentwurf vorzulegen. Wir sind auch nicht so überheblich, nun für uns in Anspruch zu nehmen, daß dieses Gesetz vollkommen sei und alle darin niedergelegten Gedanken von uns stammen. Die Fassung, daß die aus politischer Überzeugung begangenen Taten nicht rechtswidrig seien, stammt nicht einmal von uns, sondern von Herrn Dr. Oellers. Es ist immerhin geistiges Gut von verschiedenen Seiten dieses Hauses zusammengetragen worden.
Nun zur Sache selbst. Ich habe nicht die Absicht, hier eine strafrechtliche Spezialvorlesung zu halten. Ich könnte aber eine ganze Reihe konkreter Tatbestände schildern, die von den seither in den Ländern erlassenen Gesetzen nicht erfaßt werden. Außerdem ist der sachliche Umfang der in den Ländern erlassenen Gesetze nicht überall identisch. Aus diesem Grunde und mit Rücksicht auf die in fast allen Gesetzen enthaltene Befristung des Antragrechts erschien uns die Vorlage dieses Gesetzentwurfes notwendig, ganz abgesehen davon, daß er ja auch eine gewisse politische Bedeutung hat, auf die ich bereits hingewiesen habe.
Der Herr Bundesjustizminister hat darauf hingewiesen, daß die Fassung des § 1, bei der Herr Dr. Oellers wesentlich mitgewirkt hat, mit dem Gedanken der Rechtssicherheit unvereinbar sei. Jawohl, es ist zuzugeben: Gerechtigkeit verlangt nicht nur eine gerechte Norm, sondern auch eine gleichmäßige und gleiche Anwendung dieser Norm, also Rechtssicherheit. Man muß es der Rechtssicherheit zuliebe in Kauf nehmen, wenn im Einzelfall die Anwendung der Norm auch einmal unbillig ist. Aber dieses Problem der Rechtssicherheit, von dem auch Radbruch gesprochen hat, hat im Grunde doch nur dann Bedeutung, wenn es sich um die Anwendung einer in sich gerechten Norm und nicht einer Unrechts-Norm handelt. Herr Bundesjustizminister, Sie haben Herrn Professor Dr. Radbruch zitiert, aber Sie haben vergessen, jene seiner Schriften zu zitieren, die die Überschrift trägt „Gesetzliches Unrecht und ungesetztes Recht". Diese Schrift hätten Sie zitieren müssen.
a Im übrigen entsinne ich mich eines Aufsatzes, der die Unterschrift von Herrn Dr. Thomas Dehler trägt und der im Mai vorigen Jahres in der Landeszeitung der FDP in Bayern erschienen ist. In diesem Aufsatz nahm Herr Dr. Dehler im Zusammenhang mit der Frage der Rechtsgültigkeit des Konkordats ebenfalls zu dem Problem der Rechtsgültigkeit der in der Nazizeit erlassenen Normen Stellung. In diesem Aufsatz hat Herr Dr. Thomas Dehler, wenn ich mich nicht irre, die gleiche Auffassung vertreten wie Herr Professor Dr. Thoma, wie ich es heute tue und wie Herr Dr. Arndt sie vor einem Jahr in verschiedenen Aufsätzen vertreten hat.
— Aber das war im Mai! Ich hoffe aber, daß auch aus diesem „März" einmal wieder ein „Mai" werden wird und daß der Herr Bundesjustizminister seine heutige Auffassung einer Revision gemäß seiner alten Auffassung unterziehen wird.
Meine Damen und Herren! Die Aussprache ist geschlossen. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht beantragt. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die Mehrheit. Es ist also so beschlossen.
Inzwischen habe ich das Stenogramm über den Zwischenruf des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt erhalten. Herr Abgeordneter Arndt hat gesagt: Wenn Herr Minister Dehler spricht, ist es jedesmal ein nationales Unglück. — Eine solche Äußerung, meine Damen und Herren, hat ehrverletzenden Charakter und stört die Ordnung des Hauses. Ich rufe daher Herrn Abgeordneten Arndt zur Ordnung.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abänderung der von der Bundesregierung auf Grund des Artikels 132 des Grundgesetzes erlassenen Ausführungsverordnung .
Meine Damen und Herren! Es bestand im Ältestenrat bezüglich Drucksache Nr. 589 mit den Herren Antragstellern dieses Gesetzes darin Übereinstimmung, daß die erste Beratung als erledigt angesehen werden soll mit der Maßgabe, daß keine Debatte stattfindet und der Antrag an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht sowie an den Ausschuß für Beamtenrecht als überwiesen gilt. Darf ich das Einverständnis des Hauses damit feststellen und zugleich die erste Beratung für erledigt erklären? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist demgemäß beschlossen.
Meine Damen und Herren! Wir kommen dann zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Treibstoffpreise .
Bezüglich des Ablaufs der Behandlung dieses Gegenstandes hatten wir im Ältestenrat vorgesehen, daß die Herren Antragsteller etwa fünf Minuten sprechen. Es wird dann eine Erklärung des Herrn Bundeswirtschaftsministers erfolgen und gegebenenfalls von einer Debatte mit der Maßgabe der direkten Überweisung abgesehen werden können.
Wer von den Herren Antragstellern wünscht das Wort? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rademacher.
Meine Damen und Herren! Am 10. Februar hat das Hohe Haus die Drucksache Nr. 501 verabschiedet, die den Mündlichen Bericht des Wirtschaftspolitischen Ausschusses darstellte, der von dem Ausschuß für Verkehrswesen unterstützt worden war. Gravierend bei diesem Antrag und bei diesem Beschluß war die Ziffer 5, die dem FDP-Antrag vom 12. Januar folgte, die Preise wie folgt festzusetzen: für Vergaserkraftstoff auf 53 Pfennig je Liter und für Dieselkraftstoff auf 38 Pfennig je Kilogramm. Ich habe damals in der Debatte zu diesem Beschluß ausgeführt, daß, wenn nicht in absehbarer Zeit die Regierung diesem Antrage folgen würde; die FDP-Fraktion sich vorbehalten müsse, initiativ zu werden. Das ist mit dem vorliegenden Gesetz geschehen. Ich darf das Hohe Haus noch daran erinnern, daß seinerzeit in der Abstimmung auch Herr Minister Erhard und Herr Minister Schäffer für den Antrag gestimmt haben.
Das Gesetz selbst sieht in § 1 vor, die Preise von 53 Pfennig bzw. 38 Pfennig zu akzeptieren, und in § 2, die durch die Preisanordnung 90 in Kraft gesetzten Preise von 60 bzw. 45 Pfennig wieder aufzuheben, schließlich in Absatz 2 des § 2, die bekannten Ausnahmen für die verschiedenen Kategorien bestehen zu lassen. Soviel bekanntgeworden ist, plant das Bundeswirtschaftsministerium, einen Gesetzentwurf einzubringen, der ungefähr auf der gleichen Ebene liegt, aber gleichzeitig einen Abschöpfungsparagraphen für das Zentralbüro für Mineralölbewirtschaftung vorsieht. Außerdem hat der Herr Bundesfinanzminister sich geäußert und die inzwischen bekanntgewordene Frage aufgeworfen, wenn die Preise entsprechend dem Antrag wieder auf 53 bzw. 38 Pfennig reduziert würden, in welcher Weise dann ein Ausgleich für die Ausfälle auf Grund der bekannten Ausnahmen geschaffen würde.
Meine Damen und Herren, diese Begründung ist unverständlich. Es sieht so aus, als ob diese Ausnahmen etwas absolut Neues seien. Das sind sie aber nicht. Sie haben bereits vor 1945 bestanden, und zwar in Form von Zollbegünstigungen. Wenn der Zollsatz nun selbst in seiner Begriffsbestimmung verschiedene Auslegungen erfahren hat, indem er vor 1945 echter Zoll war, in der Zwischenzeit etwas Ähnliches wie eine Abgabe und jetzt nach den neuesten Anordnungen wieder Zoll werden soll, dann sehe ich keinen Unterschied in der damaligen Belastung des Etats und der heutigen. Im Gegenteil, die zugestandene Erhöhung von 53 bzw. 38 Pfennig bringt ohnehin gegenüber den alten Verhältnissen einen erheblichen Aufschlag und Zuschlag für den Staatssäckel.
Warum der Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums mit der Abschöpfung kombiniert wird, ist auch nicht ganz verständlich, weil dadurch ja die komplizierte Gesetzesprozedur wieder in Kraft gesetzt wird und es wahrscheinlich noch wieder Wochen und Monate dauern wird, bis überhaupt der Beschluß des Bundestages vom 10. Februar zur Durchführung kommt. Wir hatten vielmehr erwartet, daß auf Grund des
ganz klaren Beschlusses vom 10. Februar eine einfache Rechtsverordnung genügen würde, um dem Beschluß des Hohen Hauses zu folgen. Es bliebe dann dem Bundesfinanzministerium unbenommen, nebenher ein Gesetz, wie es im Wirtschaftsrat geschehen ist, einzubringen, das sich ausschließlich mit der Abschöpfung befaßt.
Die ganze Frage der Treibstoffpreiserhöhung hat sich allmählich zu einer Tragikomödie entwickelt;
anders kann man es leider nicht mehr bezeichnen. Ich habe daher den Auftrag, im Namen meiner Fraktion Ihnen vorzuschlagen, das Gesetz, das die FDP Ihnen vorlegt, unter Hinweis auf § 47 der Geschäftsordnung — das ist durchaus möglich — heute in allen drei Lesungen zu verabschieden, damit wir endlich mit dieser Angelegenheit fertig werden. Wenn der Herr Bundesfinanzminister dann meint, er müsse auf Grund der Ausführungen, die ich hier gemacht habe und die seine Argumente darstellen, den Ausfall durch eine neue Novelle wieder gutmachen, dann mag das unabhängig von dem von uns vorgelegten Gesetz geschehen; denn das Hohe Haus wird ja entscheiden, ob es diese Zusatznovelle billigt oder nicht.
Um aber die Sache nicht noch einmal an den Ausschuß oder an die Ausschüsse zu überweisen, in denen wirklich genügend geredet worden ist und in denen genügend Untersuchungen angestellt worden sind, sind gewisse Änderungen des Gesetzentwurfs erforderlich, wie er Ihnen vorliegt. Ich darf dem Herrn Präsidenten diese Änderungen als Zusatz überreichen. Danach würde es in § 1 nicht heißen müssen „Der Verbraucherpreis", sondern „Der Verbraucherhöchstpreis". Diese Änderung ist notwendig, weil die beiden bekannten Anträge, einmal der Antrag des Ausschusses des Bundesrats und dann der Antrag des Hohen Hauses selbst, vorliegen, Untersuchungen beim Zentralbüro darüber anzustellen, ob die bekannte Spanne von 11 Pfennig in dieser Höhe berechtigt ist.
Die zweite Änderung bzw. Ergänzung bezieht sich auf Benzol, das einer Sonderregelung unterliegt und mit einem Satz von 63 Pfennig angesetzt werden muß und schließlich als neue Ziffer c für Petroleum für motorische Zwecke mit 35 Pfennig je Liter. Wird der § 1 in dieser Form abgeändert, dann entspricht er absolut dem Gesetzentwurf, den das Bundeswirtschaftsministerium plant.
Schließlich unter Beibehaltung und ohne Änderung des § 2 eine Änderung des § 3 unseres Gesetzes, nämlich: „Dieses Gesetz tritt am 1. April in Kraft und spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 1950 außer Kraft." Dieser Paragraph ist nach meiner Ansicht erforderlich, um, wenn die Untersuchungen beim Zentralbüro andere und günstigere Ergebnisse erbringen, wie zu erwarten ist, dann baldmöglichst eine Änderung dieser Preise von 53 bzw. 38 Pfennig vorzunehmen.
Ich wiederhole nochmals die Bitte, heute so zu beschließen, daß das Gesetz in der abgeänderten Form, wie ich es Ihnen vorgetragen habe, in der ersten, zweiten und dritten Lesung die Geschäftsordnung läßt es nach § 47 zu -- hier verabschiedet wird.
Meine Damen und Herren! Wir haben heute sehr große und schöne Worte über die Demokratie im Zusammenhang mit anderen bedeutenderen Anträgen gefunden. Es gibt auch so etwas wie ein Mosaik der Demokratie. ' Ich glaube, die Treibstoffpreisfrage, die nun seit Monaten die Bevölkerung und vor allen Dingen diejenigen, die damit zu wirtschaften haben, belastet, ist so ein Mosaikstein, an dem wir beweisen können, auch wenn sich einmal eine bestimmte Bank geirrt haben sollte, daß wir bereit sind, einen Schaden zu reparieren. Das wäre endlich praktische Demokratie, auf die 1 Million Menschen, die im Verkehrsgewerbe tätig sind, warten.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie nur darauf aufmerksam machen, daß nach § 37 der Geschäftsordnung Abänderungsanträge bei der ersten Beratung nicht vor deren Schluß gestellt werden können. Ich werde nachher das Einverständnis des Hauses erbitten, daß Ihre Abänderungsanträge in diesem Sinne aufzufassen sind.
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rademacher hat bereits darauf hingewiesen, daß das Wirtschaftsministerium dem Kabinett eine Vorlage zugeleitet hat, derzufolge der Preis für Vergaserkraftstoff auf 53 Pfennig und für Dieselkraftstoff auf 38 Pfennig festgesetzt wird, und zwar als Höchstpreise. Es ist weiter die Abschöpfung der Übergewinne oder der Übererträge aus dem Zentralbüro vorgesehen. Das heißt: die Beträge, die das Zentralbüro über seine Selbstkosten vereinnahmt, fließen dem Haushalt zu und müssen monatlich abgerechnet werden. Ich würde vorschlagen, die Beratung auszusetzen und die Vorlage des Kabinetts abzuwarten.
Meine Damen und Herren! Es war vorgesehen, je nach dem Inhalt der Erklärung des Herrn Bundeswirtschaftsministers in eine Aussprache einzutreten oder nicht. Sollte in eine Aussprache eingetreten werden, so macht der Ältestenrat Ihnen den Vorschlag, daß die Redezeit für alle Redner fünf Minuten betragen soll.
Darf ich zunächst fragen, ob eine Aussprache gewünscht wird.
— Die Aussprache wird gewünscht.
— Da müssen Sie einen Antrag zur Geschäftsordnung stellen.
Meine Damen und Herren, dann eröffne ich die Aussprache und frage das Haus, ob es mit der Redezeit von fünf Minuten, die der Ältestenrat vorgeschlagen hat, einverstanden ist.
-- Nein, das Haus hat im wesentlichen keinen Widerspruch gegen den Vorschlag des Ältestenrats erhoben, mit Ausnahme des Herrn Abgeordneten Loritz. Also stelle ich fest, daß diese Redezeit genehmigt ist.
Wer wünscht das Wort zur Sache? — Bitte, Herr Abgeordneter Etzel!
— Ach, Sie wollten zur Sache sprechen?
— Verzeihung, Sie hatten sich zuerst gemeldet, Herr Abgeordneter Vesper, wie mir von den beiden Schriftführern bestätigt wird. Dann kommen Sie dran, Herr Abgeordneter Loritz, und dann Herr Abgeordneter Etzel.
- Der Sitzungsvorstand stellt fest, daß der Herr Abgeordnete Vesper sich zuerst gemeldet hat. Ich bitte, davon Kenntnis zu nehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vesper.
Meine Damen und Herren! Es ist ein trauriges Kapitel westdeutscher Wirtschaftspraxis, wenn man erleben muß, mit welchen Mitteln interessierte Kreise der Regierungskoalition die Erhöhung der Kraftstoffpreise betreiben. Ist es deshalb verwunderlich, daß diese Regierung und ihre Parteien bereits über drei Monate diskutieren und beraten, ob ein Treibstoffpreisgesetz zum Gegenstand einer Erörterung im Bundestag gemacht werden soll? Die Preisanordnung des Bundeswirtschaftsministers 90/49 hat in der Konsequenz dazu geführt, daß heute bereits ein großer Teil des Verkehrsgewerbes vor dem Ruin steht. Ich führe in diesem Zusammenhang nur den Bestand an Lastkraftwagen und Anhängern mit Fahrberechtigung im Land Nordrhein-Westfalen an. Nach amtlichen Angaben wurden gegenüber dem 1. 1. 1950 bis zum 1. 3. 1950 1304 LKWs und 900 Anhänger stillgelegt.
O Das sind insgesamt 2240 Lastfahrzeuge mit einer Nutzlastkapazität nach technischem Abschlag von zirka 4000 Tonnen. Meine Damen und Herren! Die Gründe für diese Stillegung sind: die geringe Zuteilung an Kraftstoff und die Verteuerung des Treibstoffes auf 60 bzw. 45 Pfennig pro Liter ab 1. Januar 1950. Diese Entwicklung hat neben Konkursen und Zahlungseinstellungen in dem betreffenden Gewerbe auch zu Entlassungen einer großen Zahl von Arbeitern und Angestellten dieses Gewerbes geführt. Das Tauziehen um die Preisgestaltung bei Treibstoff mit oder ohne Steuern im Kabinett läßt eindeutig erkennen, daß hier einflußreiche Kreise der deutschen und ausländischen Erdölgesellschaften durch diese Regierung nach wie vor gestützt werden, die durch weitere Subventionierungen nach wie vor die Hauptnutznießer der Treibstoffpreiserhöhung sind. Auf Grund der unberechtigten enormen Verteuerung der Treibstoffe, wie sie nach der Verordnung 90/49 in Erscheinung tritt, lehnt meine Fraktion den vorliegenden Antrag der FDP ab, weil auch dieser Antrag keine wesentliche .Hilfe für das Verkehrsgewerbe bedeutet.
Herr Präsident, ich erlaube mir, im Namen meiner Fraktion einen Abänderungsantrag der KPD im Sinne der alten Fassung erneut mit der Bitte zu übergeben, diesen Antrag dem Hohen Hause als den weitestgehenden Antrag zur Abstimmung vorzulegen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Loritz.
-- Herr Abgeordneter Loritz, darf ich Ihnen das 1 Wort erteilen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was wir vor einigen Monaten in diesem Hause bereits voraussagten, ist eingetroffen: daß nämlich erstens die Erhöhung der Treibstoffpreise zu einer unerhörten Schädigung des gesamten Verkehrsgewerbes und damit ebenso der gesamten Wirtschaft führen wird, und zweitens, daß durch diese Treibstoffpreiserhöhung der Staat, der Bund selbst, keineswegs die Mehreinnahmen bekommen wird, von denen er sich hat träumen lassen. Überall in Deutschland: Ausstellungen von Arbeitern beim Verkehrsgewerbe! Große Teile der Verkehrsgewerbetreibenden können heute schon ihre Kraftfahrzeugsteuer nicht mehr bezahlen. Andere Teile sind nur unter Aufnahme von Geld zu drückenden Bedingungen noch in der Lage, für die nächsten Monate durchzuhalten.
Und wie -sieht es auf dem Gebiet der Steuereinnahmen aus? Der Absatz an Benzin — der reguläre, nicht der im Schwarzhandel — ist von 83 000 Tonnen im Monat Dezember vorigen Jahres auf nur noch 50 000 Tonnen im Januar heurigen Jahres zurückgegangen.
Ebenso ist der Absatz an Dieselöl — die genauen Ziffern kann ich Ihnen ohne weiteres vortragen — von 76 000 Tonnen Dieselkraftstoff im Dezember auf nur noch 54 000 Tonnen im Januar zurückgegangen. Die Zahlen für Februar werden noch ärger aussehen.
Das ist das Ergebnis der Treibstoffpreiserhöhung gewesen: ein Schlag ins Wasser, und dazu noch ein Schlag, der schwersten Schaden an der ganzen Wirtschaft angerichtet hat. Es gibt nur eines, nämlich, daß die alten Preise wiederhergestellt werden, so wie sie am 1. Dezember 1949 bestanden! Sonst werden Sie auf dem Gebiet des Benzin- und Dieselkraftstoffhandels in kürzester Zeit genau dieselben Erscheinungen sehen wie auf dem Gebiet der Versorgung mit Zigaretten und anderen Rauchwaren, auf dem heute schon über drei Viertel der konsumierten Zigaretten nicht versteuert werden, da sie auf dem Wege über Schwarzhandelskanäle abgesetzt werden.
Das sind die Ziffern! Fragen Sie, wen Sie wollen, Sie werden dann hören, daß heute schon große Teile der Wirtschaft mit „schwarzem" Benzin fahren, das teilweise billiger als das auf normalem Wege verkaufte zu haben ist. Und wenn Sie, Herr Zwischenrufer, wüßten, welch schamlose Dinge bei den Benzinzuweisungen für die Binnenschiffahrt passieren, wie hier mit all diesen Bestimmungen Mißbrauch getrieben wird, wenn Sie über die Schädigungen des Gewerbes erst genau unterrichtet wären, dann würden Sie, Herr Zwischenrufer, sich wahrscheinlich auch mit uns dafür einsetzen, daß endlich die alten Preise wiederhergestellt werden.
Wir sind keineswegs mit der Gesetzesvorlage zufrieden, wie sie die FDP jetzt vorlegt, damit sie bei ihren Wählern draußen noch ein bißchen mehr Gnade finden könnte.
Wir sind damit nicht zufrieden. Wir stellen den
Abänderungsantrag zu diesem Gesetzentwurf, wo-
bei ich, Herr Präsident, darauf hinweisen möchte, daß wir die Geschäftsordnung genau kennen und wissen, daß Abänderungsanträge nur dann zulässig sind, wenn das Gesetz in erster Lesung durchberaten ist und wenn sich am Schluß kein Widerspruch dagegen erhebt.
Wir stellen den Antrag, § 1 wie folgt abzuändern und das Gesetz auf diesen einzigen Paragraphen zu beschränken:
Die alten Benzin- und Dieseltreibstoffpreise, wie sie am 1. Dezember 1949 bestanden haben, werden wiederhergestellt.
Das ist der einzige Antrag, der wirtschaftliche Vernunft bedeutet.
Ich möchte am Schluß meiner Redezeit noch eine Frage an den Herrn Minister richten, sei es an den Herrn Finanzminister oder an den Herrn Wirtschaftsminister, weil ich darüber noch nicht genau informiert bin. Herr Minister, ist es wahr oder nicht, daß die Alliierte Hohe Kommission die Zustimmung zur Erhebung des Benzinzolles von 21 Pfennig verweigert hat? Stimmt das oder stimmt es nicht? Es gehen so Gerüchte herum, und wir wären sehr dankbar, wenn wir hier eine authentische Aufklärung darüber bekämen. Wie dem auch sei, ganz egal ob sich diese Nachricht bewahrheitet oder nicht, wir verlangen, daß die alten Treibstoffpreise wiederhergestellt werden und stellen den Abänderungsantrag zu dem von der FDP-Fraktion vorgelegten Gesetzentwurf, den ich Ihnen eben vorgetragen habe.
Herr Abgeordneter, ich bitte, auf die anderen Redner Rücksicht zu nehmen.
Je länger Sie mit der Wiederherstellung der alten Treibstoffpreise warten, desto schlimmer werden die Schädigungen sein, die durch die Erhöhung der Treibstoffpreise nicht bloß über das Verkehrsgewerbe, sondern über unsere ganze deutsche Wirtschaft gebracht worden sind!
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Meine Damen und Herren! Ich möchte auf die Anfrage des Herrn Abgeordneten Loritz erklären, daß die Hohe Kommission bezüglich des Benzinzolls bisher überhaupt keine Erklärung abgegeben hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Etzel.
Meine Damen und Herren! Wir haben vor einiger Zeit hier in dem Hause und in den zuständigen Ausschüssen die Frage der Benzinpreiserhöhung sehr eingehend behandelt und sehr eingehende Untersuchungen angestellt. Der Ausschuß für Wirtschaftspolitik und der Ausschuß für Verkehrswesen haben dann gemeinsam einen Antrag des Inhalts eingebracht, die Bundesregierung zu ersuchen, eine Gesetzesvorlage auf der Basis 53 Pfennig je Liter Vergasertreibstoff und 38 Pfennig je Kilo Dieselkraftstoff zu machen.
-- Höchstens, richtig! Es ist weiter zum Ausdruck 1 gebracht worden, daß die Verbilligungen der Anordnung 90/49 durchgeführt werden sollen. Während der Beratung dieses Antrags ist hier im Hause ganz klar zum Ausdruck gebracht worden, daß die Finanzierung der Verbilligung, also der Subventionen, gemäß der Anordnung 90/49 noch besonders überlegt und beraten werden soll und daß die Mittel für diese Verbilligung zur Verfügung gestellt werden müssen. Wenn ich recht im Bilde bin — ich will mich nicht absolut auf diese Ziffer festlegen —, kostet diese Verbilligung in der vorgeschlagenen Form 80 Millionen D-Mark. Ich bitte den Herrn Finanzminister, mir das zu bestätigen. -- Er bestätigt, daß es richtig ist. Es kostet also 80 Millionen D-Mark. Diese 80 Millionen D-Mark müssen aufgebracht werden.
Nunmehr haben wir in einer persönlichen Aussprache von dem Herrn Bundesminister der Finanzen gehört, daß die Bundesregierung einen im wesentlichen mit diesem Gesetzesantrag gleichlautenden Antrag vorliegen und zur Zeit in der ministeriellen Beratung hat. Angesichts dieser Sachlage ist es meines Erachtens völlig inopportun, diesen Gesetzesantrag jetzt zu beraten und in dieser übereilten Form hier durch das Hohe Haus zu bringen. Denn wir haben ja die Frage der Deckung der 80 Millionen D-Mark nicht geklärt. Der Gesetzentwurf, wie er hier vorliegt, ist eine Finanzvortage. Nach § 48 a Absatz 3 der Geschäftsordnung ist es erforderlich, für diese Finanzvorlage gleichzeitig einen Vorschlag zur Deckung zu machen. Ein solcher Vorschlag ist heute nicht gemacht worden. Schon aus diesem Grunde muß der Antrag an den Ausschuß verwiesen werden, wobei für diesen Antrag außer dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik sicherlich der Ausschuß für Verkehrswesen und sicherlich auch der Haushaltsausschuß zuständig sind. Diese Dinge müssen vorher beraten werden. Ich sehe deswegen aus gesetzlichen Gründen, aber auch aus Grunden der Vernunft, um nämlich ein anständiges Gesetz zu machen — ein Gesetz, hinter dem schließlich auch eine wirtschaftliche Vernunft und eine finanzielle Möglichkeit stehen —, gar keine andere Möglichkeit als die Verweisung an einen Ausschuß.
Ich beantrage daher die Verweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführenden Ausschuß, ferner an den Ausschuß für Verkehrswesen und gleichzeitig an den Haushaltsausschuß. _
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Aumer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie der Herr Kollege Rademacher bereits ausgeführt hat, hat das Hohe Haus bereits am 10. Februar 1950 beschlossen, dem Antrag der
DP Drucksache Nr. 384 zuzustimmen und damit eine Empfehlung an die Bundesregierung zu richten, den Preis für Benzin auf 53 Pfennig je Liter und für Dieseikraftstoff auf 38 Pfennig je Kilo festzusetzen. Seit diesem Zeitpunkt bis heute, bis zum 16. März, hat man zwar in den Zeitungen Verschiedenes darüber lesen können, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister Verhandlungen in dieser Angelegenheit pflegt. Auch hat der Herr Bundesfinanzminister sich wegen der ihm dadurch eventuell entgehenden Treibstoffsteuer in Höhe von 7 Pfennig geäußert. Jedoch hat man darüber hinaus von einer praktischen
Maßnahme der Bundesregierung, die einzig und allein die Öffentlichkeit interessieren würde, nichts mehr vernommen. An und für sich wurde doch von Anfang an von seiten des Herrn Bundeswirtschaftsministers daran gedacht, im Zuge der freien Marktwirtschaft Benzin und Dieselöl aus der Bezugsbeschränkung herauszunehmen und auch die Preise freizugeben. Umfangreiche Diskussionen haben hierüber im wirtschaftspolitischen Ausschuß und auch im Plenum stattgefunden. Die Ausführung dieses Gedankens des Herrn Bundeswirtschaftsministers wäre von meinen politischen Freunden und mir sehr begrüßt worden, und wir hoffen zuversichtlich, daß sie sich in kurzer Zeit doch noch verwirklichen läßt.
Es scheint nun wiederum die alliierte Seite zu sein, die der Bundesregierung mitgeteilt hat, daß sie sich mit der geplanten Freigabe der Dieselölbewirtschaftung zum 1. April nicht einverstanden erkläre und daß sie noch mehrere Einzelheiten über die Vorratslage bei Dieselöl und über die Auswirkungen einer derartigen Freigabe auf unsere Devisenbilanz zu wissen wünsche. Damit dürfte die Freigabe erneut bis zum 1. Mai auf jeden Fall hinausgezögert sein. Wahrscheinlich beabsichtigen die Alliierten dann aus den Erfahrungen, die nach der Freigabe des Dieselöls im Laufe weiterer Monate gemacht werden, zu ersehen, ob sie einer Benzinfreigabe zustimmen können. Dazu muß gesagt werden, daß zwischen den Verbrauchern von Dieselöl und Benzin ein sehr erheblicher Unterschied besteht und es eigentlich nicht einzusehen ist, warum nicht auch das Benzin freigegeben werden soll. Die in den Zeitungen hierfür genannten Gründe erscheinen mir nicht ganz einleuchtend. Es dürfte wohl unter Umständen auch auf der alliierten Seite noch einige Gründe geben, die hier nicht erwähnt werden. Wenn nun aber Benzin und Dieselkraftstoff freigegeben werden, so ist es doch selbstverständlich, daß man dann andererseits keine Festpreise dafür festsetzen kann. Diese Festsetzung — bei 53 und 38 Pfennig — würde bedeuten, daß zwar der Benzinpreis für die deutsche Produktion ausreichend wäre, der Gasölpreis aber nicht. Nach den von mir eingeholten Erkundigungen wäre ein solcher von 41 Pfennig je Liter in diesem Fall notwendig. Wenn eine Preisfreigabe auf dem gesamten Mineralölsektor, nicht nur an der Pumpe allein, erfolgt, würde der niedrigere Gasölpreis auch von der deutschen Erdölindustrie getragen werden können.
Damit würde auch eine Umwandlung der Ausgleichszahlungen in ein echtes Preisgefüge stattfinden können, die eine Preiseinbuße tragbar erscheinen lassen. Über diese Ausgleichsbeträge, die auch hier im Hause immer wieder als Subventionen bezeichnet werden, ist in der Öffentlichkeit in großem Umfang eine falsche Meinung entstanden. Ich halte es daher für notwendig, dazukurz einmal Stellung zu nehmen.
Die deutschen Rohölpreise, die über 10 Jahre lang unverändert geblieben waren, wurden am 15. September 1948 von der Verwaltung für Wirtschaft um rund ein Drittel erhöht und das Rohöl selbst in drei Qualitätsgruppen eingeteilt. Es handelte sich bei dem diesbezüglichen Preiserlaß Nr. 155/48 um eine Preisfestsetzung und nicht um eine Höchstpreisfestsetzung. Von den Verarbeitern, also den Raffinerien, wurden diese neuen Preise den Erdölproduzenten von dem erwähnten Stichtag an gezahlt, jedoch wurde es den Raffinerien nicht gestattet, die Preiserhöhung ihrerseits auf die Verbraucher abzuwälzen. Die Raffinierie erhielt jedoch im Umfang der erhöhten Rohölpreise eine Ausgleichszahlung aus einem bei dem Zentralbüro gebildeten Fonds, der seinerseits aus den nicht erhobenen Zöllen gespeist wurde. Daraus geht hervor, daß es sich hier nicht um eine Subvention der Erdölindustrie handelt, sondern um eine echte Preiserhöhung. Durch die Gruppeneinteilung wurden auch die Leistungen der besseren und schlechteren Betriebe berücksichtigt.
In der Zwischenzeit haben sich verschiedene Parlamentsausschüsse, insonderheit der von Niedersachsen, mit diesen Ausgleichszahlungen befaßt. Als Ergebnis dieser Diskussionen wurde der deutschen Erdölindustrie von der Verwaltung für Wirtschaft mitgeteilt, daß die Ausgleichszahlungen zwar auch in Zukunft geleistet werden sollten, jedoch nunmehr über den Staatsetat laufen würden. Es ist hier einzufügen, daß die Überschüsse des Zentralbüros bereits seit 1945 von der Finanzverwaltung abgeschöpft worden sind. Seit dem Oktober des vorigen Jahres wurden entgegen der vereinbarten Regelung an die Raffinerien keinerlei Ausgleichszahlungen mehr geleistet. Erst in der letzten Zeit hat der Herr Bundeswirtschaftsminister sich bereit erklärt, 50 Prozent dieser Ausgleichszahlungen allerdings mit Rückforderungsrecht zu gewähren.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist um.
Ich erkenne durchaus an, daß der Herr Bundesfinanzminister auf Grund der vielen Anforderungen, die an ihn dauernd gestellt werden, mit der Aufbringung der Haushaltmittel in eine schwierige Lage gekommen ist und deshalb daran denkt, hier könnte für seinen Säckel eine wichtige Einnahmequelle erschlossen werden. Ich will auch nicht die Berechtigung verneinen, daß ein großer Teil dieses Hauses nur an diejenigen denkt, die gar nichts haben und von der Hand in den Mund leben. Aber immer nur daran zu denken, ist auch nicht möglich. Man muß auch . einmal an diejenigen denken, die die Steuern und Abgaben zahlen. Man kann nicht immer nur Milch verteilen, gleichgültig ob die Melkkuh eingeht oder nicht.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist um.
Die deutsche Erdölgewinnung ist genau wie das Kraftverkehrsgewerbe in ihrer Liquidität auf das äußerste angespannt. Es muß deshalb .für diese Ausgleichszahlungen eine Lösung gefunden werden. Der Herr Bundesfinanzminister hat erklärt, daß er nicht mehr in der Lage sein würde, die zollbegünstigten Gewerbe entsprechend zu unterstützen.
Herr Abgeordneter, bitte, seien Sie so liebenswürdig, Sie reden bereits 2 Minuten über Ihre Zeit.
Ich bin sofort fertig. Die Beträge, die der Herr Bundesfinanzminister aus den neuen Abgaben, den Zöllen bekommt, sind bedeutend höher als das, was er früher vom Zentralbüro abgeschöpft hat. Meinen politischen
Freunden und mir erscheint es als das Richtige, daß die Bewirtschaftung auf diesem Gebiet so schnell wie möglich freigegeben wird. Auf Grund eines alliierten Einspruchs ist dies im Augenblick nicht möglich. Wir halten es daher für richtig, auf jeden Fall die ungerechtfertigte Erhöhung auf 60 Pfennig so schnell wie möglich zu korrigieren.
<Zuruf von der Mitte: Auf 40 Pfennig!)
— Ursprünglich auf 60 Pfennig! — Wir werden daher dem Antrag der Freien Demokratischen Partei zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bertram.
Ich bitte die Herren Abgeordneten, nach Möglichkeit ihre Plätze zu benutzen.
Bei dieser ganzen Angelegenheit sind ja auch schwerwiegende unterirdische Konkurrenzinteressen am Werke. Das muß man meiner Ansicht nach einmal mit deutlichen Worten aussprechen. Die Bundesbahn schneidet mit den Subventionen, die sie schon allein dadurch erhält, daß sie eine Beförderungsabgabe von 174 Millionen 'D-Mark im Jahr nicht an den Bund abliefert, sehr gut bei der finanziellen Zuteilung der gesamten Bundesmittel ab. Weiterhin will die Bundesbahn erhebliche Subventionsmittel im laufenden Etatsjahr haben. Gleichzeitig wird die Konkurrenzlage der Binnenschiffahrt und des Verkehrsgewerbes verschlechtert. Diese ganze Konkurrenzlage der Bundesbahn einerseits, der Binnenschiffahrt und des Verkehrsgewerbes andererseits muß man einmal deutlich hier aussprechen. Dazu ist zu sagen, daß die angeblich schlechte Finanzlage der Bundesbahn ja nicht darauf zurückzuführen ist, daß etwa das Verkehrsaufkommen der Bundesbahn in erheblichem Maße gelitten hätte. Nach den Erklärungen des Präsidenten Hellberg fährt die Bundesbahn fast die gleiche Gütermenge wie 1936 und befördert fast 100 Prozent mehr Personen als im Vergleichsjahr 1936. Wenn' die Bundesbahn also finanziell schlecht fundiert ist, so liegt das an anderen Gründen, jedenfalls nicht an der Gütermenge, und es ist nicht berechtigt, etwa dadurch, daß man dem Verkehrsgewerbe durch die hohen Benzinpreise zusätzliche Lasten auferlegt, die Geschäfte der Bundesbahn zu besorgen.
— Die Zahlen stimmen. — Wenn tatsächlich die Bundesbahn heute finanziell schlecht gestellt ist, so hat das ganz andere Gründe, die vor allem in dem Selbstkostenindex und in dem Tarifindex auf der anderen Seite begründet sein mögen
Wenn wir neben dem Gesichtspunkt der Konkurrenzlage noch einen weiteren Gesichtspunkt beachtet haben müßten, so ist es der Gesichtspunkt der Autorität dieses Hauses. Ich habe schon öfter hier von dieser Stelle auf diesen Gesichtspunkt hinweisen müssen. Es ist schon wiederholt der Fall gewesen, daß dieses Haus einen Beschluß angenommen und dieser Beschluß der Regierung eine gewisse Vollmacht oder einen gewissen Auftrag gegeben hatte — ich erinnere beispielsweise an die Weihnachtsgratifikation von 300 D-Mark, die hier beschlossen worden war — und daß dann trotzdem nach langer Zeit nichts geschehen war. Dieselbe Entwicklung müssen wir hier fürchten. Wir als Parlament haben die Verpflichtung, auch dafür zu sorgen, daß unsere
Beschlüsse durchgeführt werden. Wir können es uns im Interesse des Ansehens des gesamten parlamentarischen Systems nicht gefallen lassen, die Beschlüsse, die wir gefaßt haben, auf die lange Bank geschoben zu sehen. Aus diesem Grunde ist schon der Antrag der FDP berechtigt.
Wenn eingewendet worden ist, der § 48 a schließe die Behandlung dieses Gesetzes aus, so ist es doch Übereinkommen sämtlicher Fraktionen, daß der § 48 a der Geschäftsordnung so lange nicht Anwendung finden kann, als wir überhaupt keinen ordnungsmäßigen Haushaltsplan beschlossen haben. Aus welchem Kapitel und aus welchem Titel sollte denn etwa die Deckungsvorlage genommen werden? Es ist, glaube ich, bei allen bisherigen Anträgen entsprechend verfahren worden, daß der § 48 a der Geschäftsordnung erst vom kommenden Etatsjahr an angewendet wenden soll.
Dann noch ein weiterer Gesichtspunkt: Die Erhöhung der Treibstoffpreise hat ja tatsächlich eine erheblich höhere Gesamteinnahme für die Bundesfinanzen gebracht, und man kann nicht sagen, wenn nun ein Teil der Vergünstigungen gewisse Beträge erfordert, daß das Subventionen seien, die erst neu gedeckt werden müßten, bei denen man erst neu feststellen müßte, woher die Mittel zu nehmen wären. Tatsächlich handelt es sich ja nur darum, daß die erwarteten Einnahmen des Bundes durch die Erhöhung der Treibstoffpreise nicht die Höhe erreichen werden, die der Herr Bundesfinanzminister sich vorher mit seinem Rechenstift ausgerechnet hat. Das ist aber auch ganz richtig. Denn wir können nicht einen Verkehrsträger so stark belasten und den anderen Verkehrsträger ohne Rücksicht auf die gesamte volkswirtschaftliche Bedeutung entsprechend a schonen, wie es bei der Bundesbahn geschieht.
Ich bin deshalb ermächtigt, namens meiner Fraktion zu erklären, daß wir dem Gesetzentwurf der FDP zustimmen werden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Verzeihung; bitte Herr Abgeordneter Rademacher!
Ich glaube, daß meine Ausführungen nicht allseitig richtig verstanden worden sind. Es scheint jedenfalls so.
Zunächst einmal darf ich Herrn Abgeordneten Etzel berichtigen. Der Beschluß, der hier am 10. Februar gefaßt wurde, verlangte nicht die Vorlage eines Gesetzes seitens der Regierung, sondern — wenn Sie es freundlichst nachlesen, meine Damen und Herren — die Inkraftsetzung der Preise von 53 und 38 Pfennig. Uns selbst blieb, dá die erwartete Rechtsverordnung in mehr als fünf Wochen nicht gekommen ist, nichts anderes übrig, als in Form eines Gesetzes initiativ zu werden, das aber keine Finanzvorlage darstellt, sondern lediglich diese Preise nun endlich in Kraft setzen will.
Meine Damen und Herren, ich bin nach wie vor der Meinung, daß der im Auftrag meiner Fraktion gestellte Antrag, das Gesetz heute in erster bis dritter Lesung zu verabschieden, zweifelsohne der weitestgehende ist, und ich bin fer-
ner der Meinung, daß das gesamte Haus und schließlich auch die Regierung eigentlich sehr glücklich sein sollten, daß wir mit einer Angelegenheit endlich fertig werden wollen, die uns schon allzu lange beschäftigt.
Eine letzte Richtigstellung zu der Frage — die leider auch wieder verkehrt aufgenommen worden ist —, ob es sich bei den Ausnahmen um einen echten Ausfall handelt. Ich habe mich doch, glaube ich, sehr klar ausgedrückt. Die Ausnahmen, die für die verschiedenen Kategorien erhalten bleiben sollen, hat es bereits vor 1945 gegeben; sie wurden seinerzeit in Form von Zollvergünstigungen eingeräumt. In der Zwischenzeit sind die Zölle als solche aufgehoben; danach sind die Ausnahmen aus den überschießenden Abgaben bezahlt worden; jetzt werden die Zölle als solche wieder eingeführt. Es hat sich also im ganzen gesehen vom Standpunkt des Staates, von seinem Etat aus, nicht das Geringste geändert, und es ist völlig verkehrt argumentiert, wenn man sagt, daß durch den von uns eingebrachten Gesetzesentwurf --- mit den Ausnahmen — nunmehr ein Ausfall zu erwarten sei; höchstens ein Ausfall deswegen, weil die Preise von 60 und 45 Pfennig untragbar sind und tatsächlich einen erheblichen Rückgang der Abnahme des Treibstoffes mit sich gebracht haben.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe daher die Aussprache über die Drucksache Nr. 620. Darf ich das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß es dem weitestgehenden Antrag seine Zustimmung gibt: Überweisung der Drucksache Nr. 620 an den Ausschuß für Wirtschaft und Verkehr?
— Bei diesem Widerspruch lasse ich abstimmen. Wer für den weitestgehenden Antrag der Überweisung ist, — —
— Verzeihung, ich bin in der Abstimmung!
— Wer für den weitestgehenden Antrag auf Überweisung der Drucksache Nr. 620 an den Wirtschaftsausschuß und Verkehrsausschuß ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, das letzte war die Mehrheit; damit ist der Antrag abgelehnt.
- Jawohl, ich stelle das ausdrücklich fest. Bitte, Herr Abgeordneter Etzel.
Ist ein Antrag auf zweite und dritte Lesung gestellt?
Ich möchte die Frage wiederholen und ausdrücklich an Herrn Abgeordneten Rademacher richten: Ist ein Antrag auf zweite und dritte Lesung von Ihnen in aller Form gestellt?
— Dann muß ich die Frage aufwerfen, wer für den Antrag des Herrn Abgeordneten Rademacher ist.
Meine Damen und Herren, wenn widersprochen wird, kann selbstverständlich nach der Geschäftsordnung eine zweite und dritte Beratung nicht stattfinden.
Zur Geschäftsordnung der Herr Abgeordnete Rademacher!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Einspruch kann das Gesetz heute nicht in allen drei Lesungen verabschiedet werden, und es bleibt mir nichts anderes übrig, als geschäftsordnungsmäßig den Antrag zu stellen, es heute in erster Lesung zu verabschieden und die zweite und dritte Lesung auf die morgige Tagesordnung zu setzen.
— Verzeihung, die erste Lesung kann ja als erledigt angesehen werden; darüber ist ja debattiert worden.
In der ersten Beratung braucht nicht abgestimmt zu werden. Die grundsätzliche Aussprache der ersten Beratung hat stattgefunden. Sämtliche beteiligten Redner haben Stellung genommen. Damit ist die erste Beratung als erledigt anzusehen.
Herr Abgeordneter Dr. Horlacher zur Geschäftsordnung.
Die zweite Beratung kann frühestens am zweiten Tage nach Schluß der ersten Beratung stattfinden.
Ich danke für diesen freundlichen Hinweis; ich wollte ihn eben selber geben.
Sie haben die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Rademacher gehört. Das ist ein Antrag zur Geschäftsordnung, der von der Bestimmung abweicht, die der Herr Abgeordnete Dr. Horlacher eben vorgetragen hat, und der dahin geht, die zweite und dritte Beratung auf morgen zu verlegen. Ich stelle diesen Antrag zur geschäftsordnungsmäßigen Aussprache.
— Meine Damen und Herren, über eins kann kein Zweifel bestehen: wenn 10 anwesende Mitglieder widersprechen, muß die Bestimmung des § 40 eingehalten werden, daß nämlich die zweite Beratung frühestens am zweiten Tage nach Schluß der ersten beginnt und wenn Ausschußberatungen vorangegangen sind. Also, meine Damen und Herren, ich stelle damit folgendes fest: Eine zweite Beratung oder gar dritte Beratung ist morgen nicht möglich, da ein Widerspruch von mehr als 10 Mitgliedern erfolgt ist. Eine zweite Beratung kann aber frühestens nicht nur erst nach zwei Tagen stattfinden, sondern wenn ihr Ausschußberatungen vorangegangen sind.
Das ist eindeutig aus § 40 Absatz 1 der Geschäftsordnung zu ersehen. Es bleibt demnach, wenn wir zu einem praktischen Ergebnis kommen wollen, nichts anderes übrig, als hier festzustellen: Die erste Beratung ist erledigt, und um die Voraussetzungen für die zweite Beratung
im Sinne des § 40 der Geschäftsordnung zu schaffen, muß eine Ausschußberatung vorangehen.
— Verzeihung, an dieser Bestimmung kann niemand vorbeigehen.
— Sie steht eindeutig in § 40 Absatz 1.
— Zur Geschäftsordnung bitte Herr Abgeordneter Euler.
Herr Präsident, ich glaube, Sie sind über den Inhalt des § 40 im Augenblick im Irrtum; denn diese Bestimmung besagt ausdrücklich:
Die zweite Beratung beginnt frühestens am zweiten Tage nach Schluß der ersten und, wenn Ausschußberatung vorausgegangen, frühestens
usw. Die Ausschußberatung ist also nicht erforderlich, sondern es wird nur etwas Besonderes für den Fall einer vorgängigen Ausschußberatung gesagt.
Schön!
Herr Abgeordneter Dr. Preusker zur Geschäftsordnung!
Ich stelle zur Geschäftsordnung den weiteren Antrag: Da das Haus bereits am 10. Februar auf Grund einer eingehenden Beratung des wirtschaftspolitischen Ausschusses einen Beschluß gefaßt hat, der mit unserem Gesetzantrag völlig gleichlautend ist, ist eine weitere Beratung im Ausschuß überflüssig.
Herr Abgeordneter Dr. Preusker, Sie sind eben selbst von Ihrem Kollegen Herrn Euler dahin korregiert worden, daß Ausschußberatungen gar nicht notwendig sind.
Meine Damen und Herren! Ich stelle folgendes fest: Die erste Beratung ist beendet. Nach § 40 findet frühestens zwei Tage nach der ersten Beratung die zweite statt. Das wäre am Sonnabend, und da sind wir nicht zusammen. Also kann die zweite Beratung erst zu Beginn der Plenarsitzung der nächsten Woche stattfinden.
Damit ist im Sinne der Geschäftsordnung die Angelegenheit zweifelsfrei erledigt. Ich darf mich der Zustimmung des Hauses wohl versichern.
Meine Damen und Herren, damit ist die erste Beratung — —
— Zur Geschäftsordnung . bitte, Herr Abgeordneter Ritzel.
Meine Damen und Herren! Ich möchte nur feststellen, daß nicht klar genug zum Ausdruck gekommen ist, daß sich die Herren der Regierungsparteien sehr leicht verständigen können. Sie haben den § 47 zur Verfügung:
Die Fristen zwischen der ersten und zweiten
Beratung können bei der Feststellung der
Tagesordnung verkürzt oder aufgehoben werden,
— bitte, tun Sie das! —,
andere Fristen nur, wenn nicht 10 anwesende Mitglieder widersprechen: Bei Antragen muß außerdem der Antragsteller zustimmen.
Ziehen Sie Ihren Widerspruch zurück, und dann kann abgestimmt werden.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Bertram.
— Es ist erledigt.
Meine Damen und Herren, ich stelle dann noch einmal fest: die erste Beratung ist beendet. Von der Möglichkeit des § 47 wird kein Gebrauch gemacht. Nach § 40 der Geschäftsordnung kann die zweite Beratung frühestens am zweiten Tag nach Schluß der ersten Beratung stattfinden. Ich erkläre damit die Aussprache der ersten Beratung und die erste Beratung selber über den Antrag Drucksache Nr. 620 für beendet.
Wir kommen zum Punkt 5 der Tagesordnung: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesfinanzhof .
Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen dazu folgendes mitteilen. Im Ältestenrat haben wir uns dahin. verständigt, daß die Vorlage durch den Herrn Bundesfinanzminister mit kurzen Ausführungen eingebracht wird, keine Aussprache stattfindet, sondern die sofortige Überweisung an den zuständigen Ausschuß beschlossen wird.
Ich erteile dem Herrn Bundesfinanzminister das Wort.
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat Ihnen den Gesetzentwurf über den Bundesfinanzhof vorgelegt. Der. alte Reichsfinanzhof hat sich in der gesamten Wissenschaft und auch in den Kreisen der Wirtschaft durch seine Tätigkeit ein großes Ansehen erworben, wenigstens bis zum Jahre 1933.
Er war der Gerichtshof, der die gesamte Steuerrechtsprechung mit gesunden wirtschaftlichen Gesichtspunkten befruchtet und. wesentlich zur Ausgestaltung des Steuerrechts im alten deutschen Reich beigetragen hat. All die Steuergesetze, die in den letzten Jahrzehnten erlassen worden sind, haben auf der Rechtsprechung des alten Reichsfinanzhofs aufgebaut.
Im Jahre 1945 mußte der Reichsfinanzhof seine Tätigkeit beenden. Das Land Bayern hat damals den Reichsfinanzhof als Institution übernommen und aufrechterhalten.
Ich bitte doch, mehr Ruhe zu bewahren.
Er hat aber seine Tätigkeit zunächst nur im Gebiete des Landes Bayern, später, vom Jahre 1947 ab, in
der gesamten amerikanischen Zone ausüben können. Dort bestand also eine zweite Beschwerdeinstanz, die eine einheitliche Rechtsprechung für die Länder der amerikanischen Zone festlegen konnte. In der britischen Zone ist damals die Leitstelle entstanden, die gesondert für die britische Zone eine zweite Instanz dargestellt hat. In der französischen Zone war eine Beschwerdeinstanz überhaupt nicht gegeben. Im Gesetz war zwar das Beschwerderecht gegen Urteile der Finanzgerichte erster Instanz gegeben; aber der Gerichtshof, an den sich der Beschwerdeführer hätte wenden können, bestand nicht und besteht heute noch nicht.
Es ist ein dringendes Bedürfnis, in der neuen deutschen Bundesrepublik diesen Zustand zu ändern und gegenüber den Urteilen des Finanzgerichts eine zweite Instanz, eine Beschwerdeinstanz für das gesamte deutsche Bundesgebiet zu schaffen, die für die einheitliche Auslegung des deutschen Steuerrechts verantwortlich ist. Der bisherige Zustand muß rasch beendet werden. Infolgedessen wurde dieser Gesetzentwurf jetzt vorgelegt, da der in Ausarbeitung befindliche sehr umfangreiche und sehr komplizierte Gesetzentwurf über die Finanzgerichtsbarkeit noch nicht vorgelegt werden kann. Um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung auf dem Gebiete des Steuerrechts im Bundesgebiet möglichst rasch herstellen zu können, bitte ich, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Er hält sich an die bisherigen Vorschriften der Reichsabgabenordnung; diese bleiben vorläufig weiterhin anwendbar. Es erfolgt nur eine Anpassung an das Grundgesetz, insbesondere nach der Richtung, daß die Berufung der Richter durch einen Richterwahlausschuß gemäß Artikel 96 des Grundgesetzes geschieht, weil der Bundesfinanzhof ein oberes Bundesgericht im Sinne von Artikel 96 des Grundgesetzes sein wird.
Die wesentlichen Gesichtspunkte des Gesetzentwurfs sind, kurz und stichwortartig zusammengefaßt, folgende. Erstens: Die ausschließliche Zuständigkeit des Bundesfinanzhofs auch in Abgabesachen wird klar herausgestellt. Zweitens: Die Wertgrenze für die Rechtsbeschwerden wird von 500 Mark auf 200 Mark .herabgesetzt. Drittens: Der Bundesfinanzhof soll seine Tätigkeit zwei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes beginnen. Diese Frist ist notwendig, weil zunächst der Richterwahlausschuß in Tätigkeit tritt. Viertens: Bayern, das den Reichsfinanzhof in seiner Eigenschaft als oberster Finanzhof für die amerikanische Zone aufrechterhalten und die Lasten dafür getragen hat, wird für die Zukunft von diesen Lasten freigestellt.
Das sind die wesentlichen Gesichtspunkte des Gesetzentwurfs. Ich bitte, den Gesetzentwurf dem zuständigen Ausschuß zu überweisen, damit er möglichst rasch verabschiedet werden kann.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Einbringung der Gesetzesvorlage entgegengenommen. Ich darf das Einverständnis des Hauses damit feststellen, daß gemäß der getroffenen Abrede die Gesetzesvorlage Drucksache Nr. 630 dem zuständigen Ausschuß für Finanz- und Steuerwesen als überwiesen gilt. Es ist demgemäß beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 6 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Bundesstelle für den Warenverkehr im Bereich der gewerblichen Wirtschaft .
Was die Aussprache anlangt, so darf ich darauf hinweisen, daß wir uns im Ältestenrat über folgendes verständigt haben. Für die Einbringung der Vorlage durch die Regierung werden etwa 10 Minuten vorgesehen, dann ist, eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vorgeschlagen, aller- dings in der Aufschlüsselung: 12, 12, 8, 5, 5, 5, 3.
Herr Präsident, ich bitte sehr um Entschuldigung, ich möchte zum vorigen Punkt der Tagesordnung noch etwas sagen. Da ist ein kleiner Unfall passiert. Wir wollen das Gesetz über den Bundesfinanzhof auch an den Rechtsausschuß überwiesen haben; denn es ist seiner Art nach ein Gesetz, daß in die Zuständigkeit des Rechtsausschusses fällt.
Sie beantragen also Überweisung an die beiden Ausschüsse. Ist das Haus damit einverstanden?
— Der Herr Abgeordnete Kiesinger hat angeregt, daß der Gesetzentwurf über den Bundesfinanzhof nicht nur an den Ausschuß für Finanz- und Steuerwesen, sondern auch an den Ausschuß für Rechtswesen überwiesen wird. Ist das Haus damit einverstanden, oder erhebt sich Widerspruch?
— Federführend ist dann natürlich der Ausschuß für Rechtswesen. Auch damit darf ich das Einverständnis des Hauses feststellen. Ich stelle dann fest: es ist demgemäß beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole, daß die Redezeit für alle Fraktionen und Gruppen zusammen 60 Minuten betragen soll, aufgeteilt nach dem üblichen Schlüssel 12, 12, 8, 5, 5 usw.
Das Wort zur Einbringung des Gesetzentwurfs hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Meine Damen und Herren! Das Fachstellengesetz tritt am 31. März 1950 außer Kraft. Die Aufgaben der Fachstellen lagen in der Durchführung einer gewissen Restbewirtschaftung, in der Bearbeitung von Angelegenheiten der Einfuhr und des Interzonenhandels. Wenn auch auf dem Gebiet der Bewirtschaftung kaum mehr Aufgaben übriggeblieben sind, so sind in ganz wenigen Bereichen doch noch Reste zu verwalten. Im übrigen aber sind die Aufgaben im Zusammenhang mit der Einfuhr und dem Interzonenhandel nicht nur erhalten geblieben, sondern der Kreis dieser Aufgaben hat sich in gewisser Hinsicht noch erweitert.
Die Bundesstelle für den Warenverkehr, mit der sich die Gesetzesvorlage befaßt, ist eine Bundesoberbehörde gemäß Artikel 87 des Grundgesetzes. Die Abgrenzung gegenüber der Wirtschaft ist so vorgenommen, daß alle nicht hoheitlichen Aufgaben der Organisation der Selbstverwaltung verbleiben sollen. Die Bundesstelle übernimmt also nur hoheitliche Aufgaben. Alle nicht zentral zu erledigenden Aufgaben sollen
von den Ländern durchgeführt werden. Das Bundesministerium selbst soll sich auf die rein ministeriellen Aufgaben beschränken, auf die Bearbeitung grundsätzlicher Fragen und selbstverständlich auf die Aufsicht über die Bundesstelle selbst. Der Bundesstelle obliegen die Durchführungsarbeiten, hauptsächlich aber die Einzelentscheidungen.
Diese Aufgliederung bzw. die Zuweisung nicht ministerieller Durchführungsarbeiten an die Bundesstelle bietet den Vorteil, daß die ministeriellen Fachreferate vom Publikumsverkehr entlastet werden und damit die Fachreferate entsprechend klein gehalten werden können. Außerdem gestattet die Organisation der Bundesoberbehörde schnelle Entscheidungen und rasche Anpassung an wechselnde wirtschaftliche und rechtliche Verhältnisse und erleichtert damit den Abbau und die Auflösung der Bundesbehörde nach Wegfall der Aufgaben.
Was die Aufgaben der Bundesstelle im besonderen anlangt, so ist hinsichtlich der Einfuhr zu verweisen auf die Vorbereitung der Verfahrensvorschläge für den interministeriellen Einfuhrausschuß und Ausführung seiner Beschlüsse nach JEIA -Anweisung Nr. 29. Außerdem obliegt ihr die gutachtliche Stellungnahme zum Aufbau der Einfuhrprogramme im Rahmen der Handelsverträge und der ERP, im Zuteilungsverfahren die individuelle Zuteilung durch Ausgabe der Devisenzuteilungsbestätigungen und im Reihenfolgeverfahren endlich die Erfassung bestimmter Einfuhren für den Re-Export und Aufbereitung der von den Außenhandelsbanken erteilten Devisengenehmigungen nach fachlichen Gesichtspunkten.
Eine wesentliche Funktion der Bundesoberbehörde besteht in der Abwicklung des Interzonenhandels, und zwar die Errichtung einer zentralen Kontrolle über die Einhaltung der Wertgrenzen des Interzonenabkommens und der Kontrolle der Bestimmungen über die Vorbehaltslisten. Vom Bundesministerium ist auch vorgesehen, daß diese Bundesoberhehörde gewisse Funktionen in der Ausfuhr zugewiesen erhalten soll. Da hier noch gewisse Differenzen in der Auffassung bestehen, soll darüber in den Ausschüssen noch Klarheit geschaffen werden. Nach Meinung des Ministeriums würde unter diese Aufgaben auch wieder die Kontrolle der Vorbehaltslisten fallen und da insbesondere die Einzelgenehmigungen im Veredlungsverkehrs- und im Gegenseitigkeitsgeschäft.
Bei Eisen und Stahl fallen im Zusammenhang mit dem Besatzungsrecht und dem Ruhrstatut noch gewisse Nebenaufgaben für die Bundesstelle an, wie Aufgaben der Absatzlenkung und der fachlichen Auswertung der Eisenstatistik.
Die Bundesoberbehörde selbst gliedert sich wieder in fachliche Gruppen. Es ist an ungefähr neun bis zehn fachliche Gruppen gedacht und für die generellen Probleme, die alle Gruppen berühren, an die Einrichtung von Querschnittsreferaten, insbesondere also für den Interzonenhandel und für die Regelungen der Einfuhr.
Genau wie die Fachstellen sollen auch diese fachlichen Gruppen Beiräte aus der Wirtschaft und aus den Gewerkschaften erhalten. Das Beratungs- und Mitwirkungsrecht dieser Gruppen in grundsätzlichen Angelegenheiten wird aus dem Fachstellengesetz übernommen, damit auch gleichzeitig der Minderheitenschutz gegen Majorisierung, also durch das Minderheitenvotum.
Der Bundesrat hat zu dem Gesetzentwurf Stellung genommen. Die Bundesregierung ist mit den von ihm gewünschten Abänderungen im wesentlichen einverstanden. Allerdings bestehen Differenzen hinsichtlich der Bildung eines Länderausschusses bei der Bundesstelle, weil nach Auffassung des Wirtschaftsministeriums hier insofern eine Doppelbesetzung stattfinden würde, als bereits bei den Referaten im Bundeswirtschaftsministerium Länderausschüsse bestehen, somit also über die gleichen Fragen sowohl persönlich wie sachlich Doppelberatungen stattfinden müßten.
Auch von bestimmten Wirtschaftskreisen wurden Bedenken gegenüber dieser Behörde erhoben, und zwar nach der Richtung, daß neue Einrichtungen ein sehr starkes Beharrungsvermögen zu zeigen pflegten, daß eine solche Oberbehörde ein eigenes Leben führen oder sich gar zu einer Riesenbehörde auswachsen könnte. Die Tatsachen sprechen allerdings eine andere Sprache. Ich darf darauf verweisen, daß die Fachstellen am 1. Januar 1949 noch 707 Kräfte beschäftigten, am 1. Oktober 1949 nur noch 398, und es ist an einen weiteren nicht unerheblichen Abbau bis zum 1. April 1950 gedacht.
Vor allen Dingen glaubt man, daß zusammen mit den Fachreferaten des Ministeriums eine Doppelarbeit unvermeidlich sei. Ich glaube aber, daß sich eine klare Abgrenzung sehr schnell ergeben wird, da nur die grundsätzlichen Fragen im Ministerium bearbeitet werden, während die Bundesoberbehörde nur Einzelentscheidungen zu fällen hat.
Ein weiteres Bedenken geht dahin, daß keine ausdrückliche Begrenzung der Lebensdauer dieser Bundesoberbehörde vorgesehen sei. Hier muß ich sagen, daß das im wesentlichen aus sozialen Rücksichten auf die Bediensteten der Bundesstelle unterblieben ist, die nicht dauernd unter dem Druck kurzfristiger Verträge stehen können, sondern die Sicherheit eines ruhigen Arbeitens haben müssen.
Im ganzen glaube ich also, daß diese Konstruktion der Bundesoberbehörde gegenüber den vorgetragenen verschiedenartigen Bedenken durchaus standzuhalten vermag. Ich kann die Funktion der Bundesoberbehörde nicht besser charakterisieren als durch eine Wiederholung des Grundsatzes, den sich der Berichterstatter des Bundesrats zu eigen gemacht hat. Er sagte: Es handelt sich bei diesem Gesetz keineswegs darum, gewisse Prinzipien der Wirtschaftspolitik neu zu gestalten und zu konstituieren, sondern ausschließlich darum, einen technischen Apparat für die Durchführung wichtiger zentraler Aufgaben zu schaffen, die ihre Lösung nicht auf ministerieller Ebene finden können.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers gehört; die Vorlage gilt damit als eingebracht.
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat Herr Abgeordneter Rische. Redezeit 5 Minuten.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sehr wenig über die wirtschaftspolitischen Gründe ausgesagt, die schließlich zur Vorlage dieses Gesetzentwurfes führten. Wir sind jedoch der Meinung, daß sich mit der Einbringung dieser Vorlage das Bild
einer Politik der Einflußnahme der Industrie und der übrigen Interessenten auf die Politik der Adenauer-Regierung abrundet.
Das Gesetz über die Errichtung der Bundesstelle für Warenverkehr ist, wenn man es einmal zugespitzt und im Zusammenhang mit der reaktionären Politik der Regierung sieht, die de-facto-Aufrichtung der ehemaligen nazistischen Selbstverwaltung in der Wirtschaft und die Übernahme staatlicher Funktionen durch die großen Verbände der freien Wirtschaft. Die Schaffung der nachgeordneten Dienststelle der Bundesoberbehörde kann nun auch nicht mit dem Wunsche nach einem kleinen Bundeswirtschaftsministerium erklärt werden, weil ja im Grunde genommen die Bürokratie nur verlagert wird. Sie soll aber — das ist wohl der Sinn der Errichtung dieser Oberbehörde - möglichst der Kontrolle des Parlaments entzogen werden.
Nach § 2 hat die neue Bundesbehörde drei Aufgaben: 1. Bearbeitung von Einfuhrangelegenheiten, 2. Bearbeitung von Ausfuhrangelegenheiten, 3. Bearbeitung von Angelegenheiten des Interzonenhandels. Das bedeutet also faktisch die weitgehende Übertragung staatlicher Funktionen an die freie Wirtschaft.
Die Bundesstelle kann ferner Rechtsverordnungen und Rechtsvorschriften zur Regelung des Warenverkehrs erlassen. Damit sind meiner Meinung nach die Wünsche der freien Wirtschaft erneut durch eine Gesetzesvorlage der Bundesregierung weitgehend erfüllt worden.
Nach § 3 ist nichts anderes vorgesehen als die Fortführung der unrühmlich bekannten Fachstellen, die selbst von Vertretern der Wirtschaft mehr als einmal als ein Hindernis kritisiert wurden, das heißt vornehmlich von den kleineren Fabrikanten und den Gewerbetreibenden, die ein Interesse daran haben, möglichst frei zu handeln, insbesondere im Verkehr mit den Wirtschaftsinteressenten in der Deutschen Demokratischen Republik. In erster Linie wurden ja bekanntlich durch die bisherigen Fachstellen die Interessen der Großfirmen vor allem berücksichtigt.
Die vorgesehenen Beiräte in den Fachgruppen der Bundesbehörde dienen unserer Meinung nach auch nur zur Täuschung. Sie sind in Wirklichkeit, wie es nach dieser Gesetzesvorlage ja bestimmt wird, von der Bestellung durch den Bundeswirtschaftsminister abhängig. In den Beiräten der Fachstellen sitzen die maßgeblichen Vertreter der jeweiligen Industriezweige, während der Handel besonders schwach vertreten ist. Im Beirat der Fachstelle Eisen- und Metallverarbeitung entscheiden zum Beispiel über Textilmaschinen -Bezüge unter anderem die Leiter der beiden Arbeitsgemeinschaften Textilmaschinen und Gesamttextil. Dr. Strauß ist Geschäftsführer der Fachgemeinschaft Maschinenindustrie, Dr. Marschner ist Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Gesamttextil. Diese beiden Herren entscheiden über den Kauf von Textilmaschinen aus der Deutschen Demokratischen Republik, das heißt sie sabotieren, wie das die Praxis dieser Stellen bewiesen hat, faktisch diesen Ankauf aus den Werkstätten der Demokratischen Republik. Interessant ist noch, daß diese beiden Herren aus Chemnitz stammen, von Chemnitz geflüchtet sind und früher in der nazistischen Wirtschaftsverwaltung tätig waren.
Man kann sagen, daß die Strauß und Marschner zukünftig in der Bundesbehörde für die praktische Durchführung der Wirtschaftspolitik Professor Erhards ausschlaggebend sein werden. Sie werden sich dabei, wie der Wirtschaftsminister soeben begründete, auf die Richtlinien der JEIA, die Sperr- und Negativlisten zur Abwürgung des innerdeutschen Warenverkehrs und auch zur Abwürgung des Warenverkehrs mit dem Osten stützen. Bei diesem Lichte besehen ist die Bundesbehörde für den Warenverkehr ein Instrument der freien Wirtschaft, ein Instrument der deutschen Industriellen und ihrer Auftraggeber in der Hochkommission und in der Ruhrbehörde.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Bundesbehörde praktisch entsprechend ihren Befugnissen eine Art Überministerium unter der Führung der Wirtschaftsinteressenten darstellen wird. Es entsteht ein Organ der freien Wirtschaft mit ministeriellen Aufgaben zur Lenkung der zentralen Probleme der freien Wirtschaft. Also: die Anti-Planer wollen planen!
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist um.
Ja, ich bin' soweit.
Die Bundesstelle wird praktisch im Außenhandel kartellartige Funktionen ausüben. Sie wird von dieser Stelle aus die Interessen der Großimporteure und die Interessen der Großexporteure in erster Linie berücksichtigen. Aus all diesen Gründen können wir zu dieser Vorlage der Regierung nur Nein sagen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Juncker. Ich bitte: 8 Minuten, vom Anfang der Rede an!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der mit Drucksache Nr. 586 eingebrachte Gesetzentwurf sieht die Errichtung einer Bundesstelle für den Warenverkehr im Bereich der gewerblichen Wirtschaft vor. Die vom Bundeswirtschaftsministerium als nachgeordnete Dienststelle in Form einer Oberbehörde vorgeschlagene Bundesstelle für den Warenverkehr soll als Exekutivorgan für die Fragen auf dem Gebiete des Außen- und des Interzonenhandels dienen, da sie hoheitlichen Charakter haben und deshalb einer zentralen Bearbeitung bedürfen. Die Oberbehörde soll die Bearbeitung von Ein- und Ausfuhrangelegenheiten sowie die Bearbeitung des Interzonenhandels durchführen.
Man hat seinerzeit der Verlängerung des Fachstellengesetzes zugestimmt in der Erwartung, daß dies bis zum 31. 3. ausliefe, und kann in der Schaffung einer Oberbehörde heute nur den Versuch erblicken, die gesamte Apparatur dieser Stellen erneut auf diese Oberbehörde zu übertragen.
Daß Fragen der Einfuhr und des Interzonenhandels von irgendeiner Stelle bearbeitet werden müssen, ist klar. Hierfür aber eine neue Institution zu schaffen, die praktisch die gleichen Aufgaben zu erfüllen hätte, die man vorher den Ministerien abgenommen hat, halte ich für weniger glücklich. Ich glaube auch, auf gewisse Bedenken im Hinblick auf die Bedeutung un-
serer Exportförderung hinweisen zu müssen, wenn Maßnahmen ergriffen werden, die ein bewährtes, von der Wirtschaft durchaus anerkanntes System der Behandlung von Exportangelegenheiten durch • eine staatliche Einrichtung ersetzen. Die für den Außenhandel eingesetzten Exportausschüsse sind eigens gebildet worden, um die Verwaltung für Wirtschaft bei Inkraftsetzung des neuen Ausfuhrverfahrens bei der Prüfung genehmigungspflichtiger Ausfuhren zu unterstützen und haben als regelmäßig tagende Beratungsgremien zweifellos hervorragende Arbeit geleistet. Die Mitarbeit dieser Ausschüsse hat aber nur dann einen Sinn, wenn sie ihre bisherigen Funktionen behalten. Sie werden bedeutungslos, wenn sie in die Rolle von Beiräten abgedrängt würden, wobei es mir allerdings selbstverständlich erscheint, daß diesen Ausschüssen keine Exekutivaufgaben zugestanden werden dürfen. Es verbleibt für eine zentrale Regierungsstelle lediglich die grundsätzliche Koordinierung der Interessen und Ansichten, zum . Beispiel über die Notwendigkeit und Rangreihenfolge von Einfuhren, Ausfuhren und Interzonengeschäften. Es möge dahingestellt bleiben, ob diese koordinierten Aufgaben, solange sie überhaupt noch notwendig sind, dem Ministerium und seinen Fachreferaten zufallen oder für eine gewisse Übergangszeit noch von den Fachstellen abgewickelt werden dürften.
Wenn seitens des Bundeswirtschaftsministeriums argumentiert wird, daß die damaligen Aufgaben der Fachstellen zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr bestehen und damit einer Verlängerung des Fachstellengesetzes über den 31. 3. hinaus nicht zugestimmt werden würde, wenn weiter damit argumentiert wird, daß eine abgetrennte Oberbehörde den Vorzug bietet, bei Wegfall der Aufgaben leichter zu einer Liquidation zu kommen, ohne daß eine Beeinträchtigung der Fortführung der ministeriellen Arbeiten eintritt, so sind wir dessen nicht so sicher, da es sich nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre die gesetzgebenden Stellen sehr leicht gemacht haben, neue Behörden aus dem Boden zu stampfen, statt sie später wieder zu beseitigen. Zweifellos ist es der Wunsch des überwiegenden Teils des Parlaments, und das dürfte auch dem Bedürfnis des Volkes entsprechen, möglichst zu einer Verwaltungsvereinfachung zu kommen. Der allseitig anerkannten Notwendigkeit zur Verwaltungsvereinfachung widerspricht es aber, wenn zur Entlastung der Fachreferate, also neben ihnen, neue Oberbehörden mit praktisch den gleichen Aufgaben geschaffen werden, die vorher den Ministerien abgenommen wurden. Ich schlage deshalb im Namen meiner Fraktion vor, die Drucksache Nr. 586 zur fachlichen Durcharbeitung dieses Gesetzentwurfs an den wirtschaftspolitischen Ausschuß zu überweisen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kalbitzer.
Meine Damen und Herren! Wir halten im Gegensatz zu den Herren Vorrednern diesen Gesetzentwurf in organisatorischer Hinsicht für einen Fortschritt gegenüber den bisherigen Fachstellen und Exportausschüssen, weil wir der Meinung sind, daß es sich hier um staatliche Aufgaben handelt, die demzufolge von Behörden zu erledigen sind. In sachlicher Hinsicht dagegen finden wir diese Regelung außerordentlich mangelhaft, schon allein deswegen, weil sie sich nur auf die Regelung der gewerblichen Wirtschaft beschränkt. Eine Neuorganisation und eine neue Behörde im Bereich des Außenhandels müssen im Hinblick auf eine Vermehrung und Förderung des Außenhandels betrachtet werden. Diese notwendige Aufgabe wird, glaube ich, durch diese Behörde, wie sie hier vorgeschlagen ist, sachlich nicht erfüllt. Die der Behörde gestellten Aufgaben, wie Aufbau der Einfuhrprogramme und Vorbereitung der Unterlagen für die kommenden Außenhandelsverträge, können nicht erfüllt werden, wenn diese Oberbehörde auf die agrarischen Einfuhren keinen Einfluß hat. Jede industrielle Ausfuhr, die wir in Deutschland brauchen, bedingt naturgemäß in der Regel auf der anderen Seite eine agrarische Einfuhr. Deshalb hat es keinen Sinn, nur die eine Hälfte des Außenhandels durch diese Bundesstelle zu erfassen. Die Gegensätze in diesen Fragen innerhalb der Regierung scheinen sich in dieser Bundesstelle wiederzuspiegeln. Ebenso ist es mit den Aufgaben hinsichtlich der ERP-Einfuhren, die diese Bundesstelle gutachtlich bearbeiten soll. Auch diese gutachtliche Beurteilung der ERP-Einfuhren und damit also die faktische Einflußlosigkeit dieser Bundesstelle auf die ERP-Politik spiegelt einen weiteren Gegensatz innerhalb des Kabinetts zwischen den verschiedenen Ministerien, die mit Wirtschaftsfragen befaßt sind, wieder.
Die Bundesstelle für den Warenverkehr muß, wenn sie effektiv werden soll, den Außenhandel bei allen Ministerien, das heißt beim Wirtschafts-, Landwirtschafts- und ERP-Ministerium in sich vereinigen. Außerdem werden in dieser Bundesstelle wichtige Belange der Außenhandelspolitik überhaupt nicht vertreten. Die Förderung des Außenhandels soll in nächster Zeit einer weiteren Oberbehörde übertragen werden, wie man aus Zeitungsmeldungen erfährt. Die Handelsverträge sind nach den Ausführungen des Wirtschaftsministers weiterhin einer Außenhandelsabteilung beim Wirtschaftsministerium unterstellt, und die Förderung der Dollarexporte bleibt in ihren Aufgaben offenbar nach den bisherigen Meldungen beim ERP-Ministerium. Mir scheint, diese Aufteilung der - verschiedenen Außenhandelsaufgaben auf verschiedene Bundesstellen und -ministerien sollte beseitigt und in den Ausschußberatungen behandelt werden. Die andere Aufgabe dieser Bundesstelle, die Beaufsichtigung des Interzonenhandels, ist ebenfalls ein organisatorischer Fortschritt und sachlich, wie beim Außenhandel, sehr mangelhaft gelöst, weil ausreichende Vertrags- und Gesetzesunterlagen für den Interzonenhandel nicht vorhanden sind. Das Frankfurter Interzonenhandelsabkommen kann den Gesamtkomplex des Interzonenhandels, wie die Tatsachen zeigen, nicht regeln. Folglich ist der Interzonenhandel zum Schaden des reellen Handels und eines Teiles der westdeutschen Industrie heute in den Händen von Schwarzhändlern, und der Interzonenhandel ist zugleich ein politischer Streitpunkt zwischen Ost und West geworden, bei dem der Interzonenhandel nur leiden kann.
Wenn die Bundesstelle also ihre Aufgabe in bezug auf den Interzonenhandel erfüllen soll,
dann braucht sie Leitsätze für den Interzonenhandel, die eindeutig ihre Aufgaben in diesem Punkte umreißen. Die bloße organisatorische Zuweisung des Interzonenhandels an die Bundesstelle genügt nicht, um einen wirtschaftspolitischen Effekt zu erzielen.
Der Interzonenhandel braucht im übrigen, wenn er auf eine reelle und erfolgreiche Basis gestellt werden soll, die das Volumen des Interzonenhandels erhöht, auch auf seiten der Bundesrepublik eine straffe Organisation, wie sie auf seiten des Geschäftspartners, der Ostzone, vorhanden ist. Wenn wir den Interzonenhandel nicht ebenfalls unter strenge Kontrolle und Organisation nehmen, dann werden wir vom östlichen Partner überspielt. Die Folge ist, daß wegen des ostdeutschen Währungsverfalls, der etwa 1:7 beträgt,
die Reallöhne in der Ostzone derart tiefer liegen — wenn Sie auch darüber lachen mögen —, daß ein Teil der westdeutschen Arbeiter brotlos wird, weil sie von der ostdeutschen Industrie unterboten werden.
Nun einige kurze Bemerkungen zu dem Organisatorischen dieses Gesetzentwurfs: Der Bundesrat fordert für diese Bundesstelle einen Länderausschuß zur Informierung. Uns scheint ein solcher Länderausschuß angebracht zu sein, wenn die Koordination mit den Länderwirtschaftsministerien hergestellt werden soll. Dann wird in § 6 die Verschwiegenheit der Beiräte festgelegt, die sich auf ein Kriegsgesetz stützt. Mir scheint dieses Gesetz naturgemäß überholt zu sein, und wir sollten ein anderes Gesetz dafür heranziehen.
Aus diesen allgemeinen Beanstandungen des vorliegenden Entwurfs beantrage ich, den Gesetzentwurf einem gemischten Ausschuß zu überweisen, bei dem. alle Ausschüsse beteiligt sind, die mit dem Außenhandel bzw. mit dem Interzonenhandel befaßt sind, als da sind der Wirtschaftsausschuß, der Agrarausschuß, der Außenhandelsausschuß, der ERP -Ausschuß mid der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen. Die Federführung für diesen gemischten Ausschuß hätte naturgemäß beim Wirtschaftsausschuß zu liegen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Aumer.
Meine Damen und Herren! Die Bürokratie scheint einer Hydra zu gleichen. Wenn man ihr einige Köpfe abschlägt und auf diese Weise eine Verwaltungsvereinfachung durchführt, wachsen ihr auf der anderen Seite doppelt soviel. Diese Bundesstelle erscheint mir sogar als ein Wasserkopf. Meinen politischen Freunden und mir erscheint es überflüssig, eine neue Bundesstelle, wie sie in dem Antrag Nr. 586 für den Warenverkehr im Bereich der gewerblichen Wirtschaft gefordert wird, einzurichten.
Ich kann mich in dieser Angelegenheit kurz fassen. Ich bin der Meinung, daß die Arbeit, die dieser Bundesstelle auf Grund des vorliegenden Gesetzes zukommen soll, durchaus von den einzelnen Referaten im Wirtschaftsministerium wie bisher geleistet werden kann. Die Einwände, die nach der Richtung hin gemacht wurden, daß eine starke fachliche Konzentration erzielt werde und daß eine Verkleinerung des Personalbestandes sowie eine bessere Auslastung der Angestellten durch die Errichtung dieser Bundesstelle gewährleistet seien,, sind für mich nicht ausschlaggebend, da auf der anderen Seite eine Ersparnis an Personal auch im Wirtschaftsministerium bei den einzelnen Stellen, die die Ein- und Ausfuhr bearbeiten, bei gutem Willen durchaus möglich sein müßte. Es heißt in den mir gewordenen Mitteilungen, daß mit diesen Arbeiten zur Zeit ea. 450 Personen beschäftigt sind und daß die neue Bundesstelle mit 265 Personen auskäme. Eine solche Ersparnis würde, wie ich schon ausführte, sicherlich auch im Wirtschaftsministerium zu erzielen sein.
Das Ziel, das meinen politischen Freunden und mir vorschwebt, ist, die Bewirtschaftungsaufgaben, die bei den Fachstellen liegen, so schnell wie möglich abzubauen. Ich glaube, daß dies durch die Errichtung der Bundesstelle nur verzögert, wenn nicht gar verhindert wird. Wir haben schon hundertfach erlebt, daß einmal bestehende Ämter aus einem Selbsterhaltungstrieb bis zuletzt versuchen, Aufgaben an sich zu ziehen, um dadurch ihre Existenzberechtigung zu beweisen.
-- Zum Beispiel die Wirtschaftsämter! — Von meinem Gesichtspunkt aus ist die Kernfrage die weitere Existenz der bisher bereits tätig gewesenen Exportausschüsse. Die Wirtschaft hat hier die Möglichkeit einer Selbstverwaltung, die wir weitgehend begrüßen. Ich sehe in dem vorliegenden Gesetz keine entsprechende Verankerung dieser bisher nicht allein auf dem statistischen Gebiet tätig gewesenen Exportausschüsse.
Ich möchte noch einmal rekapitulieren. Maßgebend für uns ist, daß wir uns gegen die Errichtung einer neuen Bundesoberbehörde wenden. Meine Fraktion wird sich daher nicht in der Lage sehen, dem Gesetzentwurf der Regierung ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Etzel.
Meine Damen und Herren! Die bisherige Diskussion hat auch denjenigen Damen und Herren, die sich mit den Dingen bisher nicht befaßt haben, gezeigt, daß das einzige, was sicher ist, die Uneinigkeit ist. Es scheint deswegen wirklich notwendig zu sein, die Dinge im Ausschuß zu besprechen. Ich würde aber bitten, nicht von vornherein einen solchen gemischten Ausschuß zusammenzuberufen, wie Sie, meine Herren von der SPD, es beantragt haben, sondern in der alten Art und Weise zu verfahren und uns dann zu überlassen, in welcher Form wir verfahren oder beraten wollen. Ich habe da nichts anderes zu sagen und zu tun, als den Antrag zu stellen, dieses Gesetz dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführendem Ausschuß, zusätzlich allerdings den anderen zuständigen Ausschüssen, Außenhandelsausschuß usw., zu überweisen.
Deutscher Bundestag — 4'7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1950 1631
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache der ersten Beratung über das Gesetz Drucksache Nr. 586 und darf das Einverständnis des Hauses annehmen, wie es verschiedentlich zum Ausdruck gekommen ist, daß das Gesetz federführend dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik überwiesen wird mit der Maßgabe, daß dieser auch die anderen von Ihnen genannten Ausschüsse jeweils heranzieht, wie es in anderen Fällen bereits geschehen ist. Darf ich das Einverständnis des Hauses mit dieser Regelung annehmen? Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Meine Damen und Herren, nun kommen wir zu einem Punkt, der nicht auf der gedruckten Tagesordnung steht, dessen Aufnahme nach Punkt 6 wir aber heute früh beschlossen haben:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht über den Entwurf eines Gesetzes zur Erstreckung und zur Verlängerung der Geltungsdauer des Wirtschaftsstrafgesetzes .
Dabei möchte ich ausdrücklich noch einmal, um Klarheit in der geschäftsordnungsmäßigen Lage herbeizuführen, feststellen, daß Sie heute früh mit meiner Feststellung einverstanden gewesen sind, daß heute unter Ausschluß aller sonst üblichen Fristen die zweite und dritte Beratung stattfindet.
Das Wort hat zunächst als Berichterstatter Herr Abgeordneter Dr. Weber.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der dem Bundestag vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Erstreckung und zur Verlängerung der Geltungsdauer des Wirtschaftsstrafgesetzes, Drucksache Nr. 554, ist vom Bundestag in seiner 44. Sitzung am. 2. März federführend an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht und an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen worden. Der Rechtsausschuß hat das Gesetz in seiner Sitzung vom 15. März beraten, und ich habe als Berichterstatter des Ausschusses die Ehre, Ihnen das Ergebnis der Beratungen vorzutragen. Der Wirtschaftsausschuß ist über das Ergebnis dieser Beratungen unterrichtet und hat nach Mitteilung seines Vorsitzenden keine Einwendungen gegen das Gesetz und die heute erfolgende Beratung erhoben.
Das Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts, das sogenannte Wirtschaftsstrafgesetz, ist anerkanntermaßen eines der besten und sorgfältigst durchgearbeiteten Gesetzgebungswerke der letzten Jahre. Angesichts dessen, daß es sich nur um eine Verlängerung und Erstreckung des Wirtschaftsstrafgesetzes handelt, ist es nicht geboten, auf den materiellen Inhalt des Gesetzes näher einzugehen. Immerhin sei soviel gesagt, daß die Bedeutung dieses Gesetzes darin lag und liegt, daß einmal das in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen der Kriegs- und Nachkriegszeit zerstreute Wirtschaftsrecht aufgehoben und, soweit es nach den damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen notwendig und zeitgemäß war, in einem Gesetz .zusammengefaßt und damit gleichzeitig übersichtlich und klar gestaltet wurde — deshalb auch Gesetz zur „Vereinfachung" des Wirtschaftsstrafrechts —, sodann, daß weiterhin sowohl im materiellen wie auch im verfahrensrechtlichen Teil neue Rechtsgedanken sich gezeigt haben, wie zum Beispiel in der Behandlung des Irrtums in § 31 und der Einführung des Bußgeldverfahrens an Stelle der Ordnungsstrafen mit richterlichem Überprüfungsrecht, also Herbeiführung eines rechtsstaatlichen Zustandes. Angesichts der ebenso ausgezeichneten wie ausführlichen. Begründung des Gesetzes kann ich mir wohl weitere Darlegungen über die Gründe, weshalb das Gesetz weitergelten und erstreckt werden soll, ersparen und auf diese Begründung verweisen.
In den Erörterungen des Ausschusses war nur die Frage, ob nicht einzelne Bestimmungen des Gesetzes durch die wirtschaftliche Entwicklung bereits überholt und damit gegenstandslos geworden sind oder in nächster Zeit werden und bereits jetzt eliminiert werden sollten, oder ob das Gesetz unverändert auf eine gewisse Zeit weitergelten und inzwischen den geänderten Verhältnissen angepaßt werden sollte. Im Ausschuß bestand Einigkeit darüber, daß das Gesetz, das sich in der Praxis gut bewährt hat, vorerst noch unverändert weitergelten soll. Eine Erörterung entstand nur darüber, ob die Weitergeltung nur auf ein halbes Jahr oder, wie der Entwurf es vorsieht, auf ein Jahr, also bis zum 31. März 1951, festgesetzt werden soll. Der Wirtschaftsrat hatte die Geltungsdauer bis auf den 31. März 1950 festgesetzt. Er wollte die Entscheidung dem Bundestag vorbehalten, und dieser sollte sich schlüssig werden, ob nach der Entwicklung der wirtschaftlichen Lage die Weitergeltung noch notwendig bzw. ob eine Abänderung oder Neufassung geboten ist. Der Ausschuß hat sich in seiner ganz überwiegenden Mehrheit für eine unveränderte Weitergeltung des Gesetzes bis zum 31. März 1951 ausgesprochen. Es wird dabei nicht verkannt, daß eine Reihe von Bestimmungen durch die wirtschaftliche Entwicklung inzwischen weniger aktuell und bedeutungsvoll, wenn auch -- leider -- noch nicht ganz bedeutungslos geworden ist. Man darf erwarten, daß diese Entwicklung in diesem Jahr zu einem gewissen Abschluß kommen wird, so daß das Gesetz dann von den zeitbedingten Bestimmungen befreit werden kann.
Eine Reihe von materiellen Bestimmungen wird aber, worauf die Begründung hinweist, auch dann bestehen bleiben. Vor allem wird aber das Verfahrensrecht seine Bedeutung und Geltung weiter behalten, zumal auf dieses bereits in einer Reihe von weiteren Gesetzen verwiesen wird und nacht den Erklärungen der Vertreter der Regierung in Gesetzen, die sich in Vorbereitung befinden, Bezug genommen werden wird.
In Übereinstimmung mit der Regierungsvorlage hat sich der Ausschuß für eine Verlängerung auf die Dauer von einem Jahr ausgesprochen, wie sie in § 1 Absatz 1 des Gesetzes vorgeschlagen wird. Der Ausschuß hat in der nunmehrigen Fassung der Drucksache Nr. 702, .die heute verteilt worden ist, nur insofern eine Ergänzung vorgenommen, als er die Daten der sogenannten Erstreckungsverordnung, nämlich 24. Januar 1950 und die Seitenzahl des Bundesgesetzblattes, in der die Erstreckungsverordnung auf die Länder Baden, Württemberg-Hohenzollern und den bayerischen Kreis Lindau ausgedehnt wird, eingefügt hat.
§ 1 Absatz 2 sieht die Erstreckung des Gesetzes auf das Land Rheinland-Pfalz vor. Hier galt bisher ein Landesgesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts vom 3. September 1949, das aber ebenfalls am 31. März 1950 außer Kraft tritt. Dieses Gesetz stimmt nun fast wörtlich mit dem Wirtschaftsstrafgesetz der Bizone überein. Das Land Rheinland-Pfalz hatte auch nur deshalb der Erstreckung gemäß Artikel 127 des Grundgesetzes widersprochen, weil sein Gesetz eben nahezu wörtlich mit dem Gesetz der Bizone übereinstimmt und es sowieso am 31. März 1950 außer Kraft tritt. Damit ist dann der Weg für eine einheitliche Regelung dieser Materie im ganzen Bundesgebiet frei.
Dementsprechend habe ich dem Hohen Hause namens des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht den Antrag zu unterbreiten, wie er in Drucksache Nr. 702 niedergelegt ist. Er lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
den Entwurf eines Gesetzes zur Erstreckung und zur Verlängerung der Geltungsdauer des Wirtschaftsstrafgesetzes — Nr. 554 der Drucksachen — in der aus der nachstehenden Zusammenstellung ersichtlichen Fassung zu genehmigen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen und frage, ob das Wort zur zweiten Beratung in der Einzelbesprechung gewünscht wird.
Herr Abgeordneter Dr. Etzel, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen rind Herren! Die Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfs für die in ihm vorgesehene Verlängerung bis zum 31. März 1951 macht in der Hauptsache drei Erwägungen geltend. Erstens habe das Wirtschaftsstrafgesetz die in vielen Gesetzen verstreuten einzeln en Wirtschaftsstrafbestimmungen gesammelt und vereinheitlicht, alle nicht mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen zu vereinbarenden Strafbestimmungen beseitigt, eine strenge Trennung zwischen echten Wirtschaftsstraftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie zwischen kriminellen Strafen und Bußgeldern vorgenommen und die Straflosigkeit bei unverschuldetem Irrtum über das Bestehen oder die Anwendbarkeit einer Bestimmung anerkannt. Das ist die eine Gruppe. Zweitens habe das Wirtschaftsstrafgesetz die Bestimmungen über die Gefährdung der Bedarfsdeckung, die Verbote der Kompensation und der Preistreiberei als selbständige, von den jeweiligen Bewirtschaftungs-
und Preisregelungsvorschriften unabhängige Straftatbestände geschaffen. Damit komme dem Wirtschaftsstrafgesetz der Charakter eines selbständigen Gesetzgebungswerkes zu. Drittens
— so sagt die Begründung -- bezögen sich einige Vorschriften des Kapitalverkehrsgesetzes, des Energienotgesetzes und des Importausgleichsgesetzes auf das Wirtschaftsstrafgesetz, und es sei beabsichtigt, dieses auch bei Vergehen gegen das Militärregierungsgesetz über die Devisenbewirtschaftung und die Kontrolle des Güterverkehrs für anwendbar zu erklären. Tatsächlich aber
— das ist der entscheidende Punkt — beruht der überwiegende Teil des Wirtschaftsstrafgesetzes auf der Unterstellung der Fortdauer früherer oder noch geltender Wirtschafts- und Preisregelungsbestimmungen. Da diese Fortdauer aber
bereits im Zeitpunkte der Verabschiedung des Wirtschaftsstrafgesetzes am 24. Mai 1949 durchaus unsicher war, hat der Wirtschaftsrat selbst die Geltungsdauer des Wirtschaftsstrafgesetzes zunächst nur bis zum 31. März 1950 befristet.
Inzwischen ist die Entwicklung weiter — und zwar sehr rasch — fortgeschritten. - Die Begründung zu dem nur bis zum 30. Juni dieses Jahres geltenden Importausgleichsgesetz führt wörtlich folgendes aus:
Von diesem Zeitpunkte des 30. Juni 1950 an wird eine einschneidende Änderung eintreten, die das gesamte Bewirtschaftungssystem, die Preispolitik, die Subventionen und damit auch die Importausgleiche grundlegend beeinflussen wird.
Da das Importausgleichsgesetz selbst bereits am 30. Juni dieses Jahres abläuft, war die erwähnte Berufung der Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfs auf das Importausgleichsgesetz weder veranlaßt noch berechtigt.
Der Bundesrat hat bei der Verabschiedung des Gesetzentwurfs der Erwartung Ausdruck gegeben, daß während der Verlängerung der Geltungsdauer unter Berücksichtigung der veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse und der inzwischen gesammelten Erfahrungen die weitere Notwendigkeit seiner Strafbestimmungen und deren etwaige Revision geprüft werden. Im Hinblick darauf, daß nach dem 30. Juni dieses Jahres eine umstürzende Änderung in der Bewirtschaftung. und in der Preisregelung eintreten soll, besteht keine Veranlassung, die Geltungsdauer auf ein ganzes Jahr zu verlängern. Eine Verlängerung, die von uns in einem Abänderungsantrag auf den 30. September dieses Jahres begrenzt wird, würde ausreichen, um nach dem 30. Juni die notwendigen Erfahrungen zu sammeln und den beteiligten Fachministerien die Möglichkeit zu geben, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzubereiten, in dem die nicht auf einem bestimmten Bewirtschaftungssystem und besonderen Preisregelungsvorschriften beruhenden, also von ihnen unabhängigen Bestimmungen des Wirtschaftsstrafgesetzes zusammengefaßt werden.
Wir wollen in der Gesetzgebung endlich eine Flurbereinigung und eine Entrümpelung. Ich glaube, es ist die Forderung berechtigt, daß nunmehr mit der Methode Schluß gemacht wird, den Zerfallmoder überholter, veralteter, nicht mehr zeitgemäßer Bewirtschaftungsbestimmungen in einer immer wieder vorgenommenen Verlängerung der betreffenden Gesetze weiterzuschleppen.
Ich plädiere also namens meiner Fraktion dafür: der Bundestag möge beschließen, die Geltungsdauer des Wirtschaftsstrafgesetzes auf den 30. September 1950 zu begrenzen.
Meine Damen und Herren, wird das Wort weiter gewünscht? -- Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache der zweiten Beratung.
Ich rufe zunächst § 1 in der Fassung der Drucksache Nr. 702 auf. Es ist der Abänderungsantrag gestellt, die Geltungsdauer bis zum 30. September 1950 zu verlängern. Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich danke und bitte um die Gegenprobe. — Das letztere war die Mehrheit. Damit ist der Abänderungsantrag abgelehnt.
Wer für § 1 in der Fassung der Drucksache Nr. 702 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich danke und bitte um die Gegenprobe. -Das erste war eindeutig die Mehrheit. Der § 1 ist angenommen.
Ich rufe § 2 auf. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich danke und bitte um die Gegenprobe. — Der § 2 ist fast einstimmig angenommen.
Wer für die Einleitung und die Überschrift ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich danke und bitte um die Gegenprobe. — Fast einstimmig angenommen.
Damit ist das Gesetz in zweiter Lesung verabschiedet. Ich eröffne entsprechend dem vorhin gegebenen Einverständnis des Hauses die
dritte Beratung.
Wir kommen zur Aussprache der dritten Beratung. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache der dritten Beratung.
Wer für das Gesetz auf Drucksache Nr. 702 in der soeben in zweiter Lesung angenommenen Fassung im Ganzen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich danke und bitte um die Gegenprobe. — Das Gesetz ist mit eindeutiger Mehrheit angenommen. Damit haben wir diesen neu aufgenommenen Punkt der Tagesordnung erledigt.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Antrag des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 9. Januar 1950 betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Marx .
Der Herr Berichterstatter ist aus dienstlichen Gründen im Augenblick nicht da, wie es auch zu Punkt 8 der Tagesordnung der Fall war. Ich schlage vor, den Punkt 7 zurückzustellen. Den Punkt 8 hatten wir bereits abgesetzt.
Wir kommen damit zu Punkt 9 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Verhaftung des Landtagsabgeordneten Lehmann .
Ich möchte ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß dazu inzwischen ein Abänderungsantrag der Fraktion der SPD eingegangen ist, der als Drucksache Nr. 707 verteilt worden ist.
Wir haben zu Punkt 9 im Ältestenrat zur Begründung durch den Antragsteller eine Redezeit von 8 Minuten und dann die Überweisung an den Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität vorgesehen. Wer von den Herren Antragstellern wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Kurt Müller!
Kurt Müller , -Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor acht Tagen, auf der letzten Sitzung des Bundestags fühlte sich der Herr Bundeskanzler bemüßigt, auf die undemokratischen Verhältnisse und Zustände an der Saar hinzuweisen. Für mich besteht heute Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß die vom Herrn Bundeskanzler gekennzeichneten Zustände in ganz Westdeutschland herrschen.
In der vorliegenden Materie kann man heute N leider nur zu der Frage der Immunität deutscher Abgeordneter und deutscher Parlamente Stellung nehmen. Es handelt sich um einen konkreten Fall. Am 6. März dieses Jahres drang unter Verletzung der Würde und der Immunität des Niedersächsischen Landtags britische Militärpolizei in den Landtag ein, begleitet von deutschen Kriminalbeamten, um den niedersächsischen Landtagsabgeordneten Robert Lehmann zu verhaften. Lehmann wurde im Hause des Landtags verhaftet und mit Gewalt aus dem Landtag geschleppt.
Die Verhaftung erfolgte, weil Lehmann an der Herausgabe eines Flugblattes beteiligt sein soll, das sich gegen die Demontage in WatenstedtSalzgitter wendet. Faktisch -hat Lehmann, selbst wenn er für dieses Flugblatt verantwortlich sein sollte, das getan und die Meinung vertreten, die heute alle Deutschen vertreten, die sich gegen diese widersinnige Demontage wenden.
Dieser Willkürakt der britischen Besatzungsmacht und ihrer Polizei ist ein glatter Rechtsbruch, ein Bruch der Immunität. Denn in der Notverfassung des Niedersächsischen Landtags vom Jahre 1947 ist die Immunität ausdrücklich festgelegt, vom Gebietsbeauftragten dieses Landes sanktioniert und unterschrieben. Ich weise darauf hin, daß das Recht auf Immunität ebenfalls im Grundgesetz verankert ist. Dieses Grundgesetz ist nicht nur von den damaligen Militärgouverneuren unterschrieben worden, sondern nach dem Besatzungsstatut sind die Hohen Kommissare ausdrücklich verpflichtet, das Grundgesetz
einzuhalten und zu achten. Die Vorkommnisse im Niedersächsischen Landtag zeigen also deutlich, daß die im Grundgesetz festgelegten Maßnahmen, soweit darin von demokratischen Rechten des Volkes gesprochen wird, nur auf dem Papier stehen.
Bezeichnend ist, daß vor wenigen Tagen, als in Hannover der Demontagestop-Prozeß stattfand, dort die Frage des Rechtes behandelt wurde und daß der Richter in diesem Prozeß folgendes erklärte: Hier gibt es kein deutsches Recht; was Recht ist, bestimme ich!
Der Bruch der Immunität im Niedersächsischen Landtag und der Demontagestop-Prozeß in Hannover zeigen deutlich, daß es in Westdeutschland kein deutsches Recht gibt, sondern ein Besatzungsrecht, und daß nach einem Kolonialrecht regiert wird. Der Niedersächsische Landtag hat in einer Stellungnahme eindeutig gegen diesen Rechtsbruch durch die britische Militärpolizei Stellung genommen. Er übermittelte dem britischen Unterhaus einen einstimmig angenommenen Protest. -
Meine Damen und Herren! Der Bundestag beschäftigte sich in der 29. Sitzung im Januar 1950 bereits mit der Frage der Immunität. Damals, in dieser genannten Sitzung, beschloß der Bundestag, die Bundesregierung zu beauftragen, bei der Alliierten Hohen Kommission zu erwirken, daß die Immunität der Mitglieder der Landtage und des Deutschen Bundestags von den Behörden der Besatzungsmächte beachtet wird. Das ist
der Beschluß dieses Hauses. Aber leider muß ich feststellen, daß die Bundesregierung diesen Auftrag nicht ausgeführt hat.
Wie soll man das auffassen? Das kann man nur so auffassen, daß die Bundesregierung auch in diesem Fall die Handlung der Militärregierung und der Militärpolizei, den Rechtsbruch der Besatzungsmächte deckt.
Mancher der Damen und Herren schenkt dem Fall des Bruchs der Immunität im Falle Lehmann wenig Beachtung. Es gibt solche Stimmen: Es handelt sich ja um einen Kommunisten! Diesen Damen und Herren möchte ich mit einem Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung" antworten. Diese Zeitung schrieb:
Morgen können genau so Nichtkommunisten an der Reihe sein. Außerdem: das Recht ist unteilbar, und Kommunisten sind nicht Staatsbürger zweiter Klasse.
In der Tat, meine Damen und Herren, als wir in der genannten Sitzung des Bundestags zum Prozeß gegen die „Niedersächsische Volksstimme" Stellung nahmen, wußten wir noch nicht, daß dieser Presseprozeß die Einleitung für weitere Presseprozesse war. Heute ist mir bekannt, daß gegen ein rein bürgerliches Unternehmen in Detmold ebenfalls ein Prozeß von demselben Staatsanwalt in denselben Fragen auf Grund desselben Gesetzes der Hohen Kommissare — Nr. 5 — angestrengt wird. Am ,13. März 1950 hat das Obergericht in Hannover den Verfasser des Flugblattes „Fünf Minuten vor zwölf", das sich mit der Demontage in Watenstedt -Salzgitter beschäftigt.
und den Chefredakteur der „Neuen Volkszeitung" verurteilt. Die Rotationsmaschine der Druckerei wurde beschlagnahmt.
Man plant also nicht nur in diesem Fall, wie das Beispiel Detmold zeigt, sondern auch in anderen Fällen mit solchen Maßnahmen vorzugehen, die deutschen Gesetzen entgegenstehen. Man achtet das deutsche Recht nicht, man bricht es, weil man nach Kolonialmethoden regiert.
Wir bitten Sie, sich gegen diese Praxis zu wenden, deshalb unserem Antrag zuzustimmen und damit gegen den Bruch der Immunität durch die Besatzungspolizei Stellung zu nehmen und mit uns für die Freilassung des Abgeordneten Lehmann zu kämpfen.
Zur Begründung des Änderungsantrages Drucksache Nr. 707 hat Herr Abgeordneter Neumann das Wort.
Meine Damen und Herren! Im dritten Absatz des kommunistischen Antrags heißt es
Der Bundestag steht ferner auf dem Standpunkt, daß das Recht des Wählers und das demokratische Prinzip der freien Wahl aufgehoben wird, wenn der vom Volke gewählte Abgeordnete durch Strafverfolgung oder Inhaftierung daran gehindert wird, sein Recht wahrzunehmen und seine Pflicht zu erfüllen, dem Auftrag seiner Wähler innerhalb und außerhalb des Parlaments nachzukommen und
denselben von seinem politischen Standpunkt aus zu vertreten.
— Ein sehr schöner Satz, den ich zitiert habe, Herr Kollege; ein sehr schöner Satz! Wir wären froh, wenn er von allen Mitgliedern dieses Hauses vertreten würde.
Heute morgen haben sich im Ausschuß für Immunitätsfragen alle Parteien zu diesen Grundsätzen bekannt. Sie haben erklärt, daß das Recht des Abgeordneten unteilbar ist und daß man nicht nach der Zugehörigkeit zu Parteien sehen sollte, sondern daß das Recht des Abgeordneten überall wirksam werden sollte. Und meine Damen und Hierren, wenn der Herr Kollege Müller vom Rechtsbruch, vom Bruch der Immunität und von dem Schutz sprach, der nur auf dem Papier steht, wenn er von Kolonialjustiz sprach,
so sind das alles schöne Worte, Herr Kollege Rische; es müßten nur nicht die Ostzone und OstBerlin existieren.
Das ist der Schönheitsfehler bei diesen Worten.
Sehen Sie, was nutzt es denn, wenn Sie im Lande herumlaufen, wenn Herr Reimann schöne Worte findet, wie sie folgendermaßen in der „Täglichen Rundschau", Ihrem russischen Regierungsorgan in Berlin, zu lesen sind:
Die Verhaftung des Abgeordneten Robert Lehmann ist ein Angriff auf die elementarsten demokratischen Rechte der deutschen Bevölkerung. Es ist darum die Ehrenpflicht eines jeden aufrechten Deutschen, gegen diesen Willkürakt zu protestieren und um die Freilassung Robert Lehmanns zu kämpfen.
Ich sagte Ihnen schon: die Parteien haben heute
im Ausschuß diesen Grundsatz vertreten, und
Sie sollten jetzt bei der Abstimmung über unseren Zusatzantrag beweisen, daß Sie auch zu dieser Frage grundsätzlich positiv Stellung nehmen.
— Das will ich Ihnen gleich sagen, Herr Kollege Renner. Im übrigen haben Sie schon vor einem Vierteljahr einmal gesagt, daß Sie die Frage der Insassen in den KZ's grundsätzlich prüfen wollten; Sie wollten sich deswegen mit mir in Verbindung setzen.
— Ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind, das hat doch gar keinen Zweck. — Wir haben folgendes festzustellen: Für uns ist hier die Frage des Grundsatzes ganz klar, und wir stimmen infolgedessen auch Ihrem Antrag zu. Wir sagen aber, wenn Sie von der Kolonialjustiz sprechen, dann sollten Sie einmal die Frage der Justiz in der Ostzone überprüfen. Einer der Staatsanwälte in der Ostzone hat in der Angelegenheit eines politischen Prozesses seine Aktentasche liegengelassen, aus der folgendes entnommen werden konnte.
Es ist ein Originalbrief der SED, der in unserem Besitz ist. Es heißt in diesem Brief:
In der Falkensache
— gemeint ist die Verfolgung der Falken, die den lizenzierten „Telegraf" im Ostsektor Berlins verteilt haben —
sind weiter Ulbricht und Edith Baumann der Ansicht, daß es wünschens wert ist, den Termin auf die Zeit vom 15. bis 20. Juni zu verlegen,
-- des Vorjahres —
und zwar sowohl mit Rücksicht auf die Pariser Verhandlungen, die durch einen früheren Termin gestört werden könnten, wie vor
allem mit Rücksicht auf das Pfingsttreffen
der FDJ in Leipzig, wo eine Sammlung der
gesamten Jugend angestrebt werden soll.
Herr Renner, was ist mit diesen jugendlichen
Menschen geschehen, die weiter nichts getan haben, als eine westlich lizenzierte Zeitung im Ostsektor Berlins zu verteilen? Die Jugendlichen
Gerhard Sperling, Lothar Otter, Horst Glank und
Günter Schlierf sind am 7. Juli 1949 zu je 25
Jahren Zwangsarbeitslager verurteilt worden.
25 Jahre, ohne daß diese jugendlichen Menschen das Recht hatten, überhaupt einen Verteidiger zu haben,
ohne daß sie überhaupt die Möglichkeit hatten, vor einem ordentlichen Gericht zu erscheinen!
Nun darf ich Ihnen zum Schluß folgendes sa- gen. Sie haben im vorigen Jahre an die Straßenzäune und an die Mauern geschrieben: „Freiheit für Reimann!" Freiheit für Reimann? Warum so bescheiden? Freiheit für den Mann, der zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wurde und der nach vier Wochen Gefängnisaufenthalt wegen guter Führung entlassen worden ist?! Es ist Ihnen bekannt, daß dieser Herr Reimann, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, die Möglichkeit hatte, am ' zweiten Tage seine Frau zu empfangen; daß er die Möglichkeit hatte, Briefe zu senden und zu empfangen, und daß er nach den Berichten der kommunistischen Presse in Berlin sogar „auf den Druck der werktätigen Massen" Delegationen aus der Ostzone empfangen konnte.
Das ist hier in Westdeutschland.
Wissen Sie, Herr Renner, wir sind nicht so bescheiden. Wir fordern Freiheit für alle Männer und Frauen,
die die Freiheit in der Ostzone erkämpfen wollen. Wir fordern Freiheit für die, die heute in
Kellern und in Bunkern, in Gefängnissen, Zuchthäusern und KZ's für ihre Überzeugung schmachten demokratische Organisationen wieder aufnach der Zerschlagung der Hitler-Diktatur glaubten demokratische Organisationen wieder aufrichten zu können; sie schmachten heute, ohne die
Vorteile Reimanns zu genießen, sie hatten nicht
die Möglichkeit, irgendeinen Familienangehörigen
zu empfangen, sie hatten nicht die Möglichkeit
-- seit viereinhalb Jahren nicht die Möglichkeit —, Nachrichten zu senden oder zu empfangen.
Und darum sagen wir, daß Sie bei aller Berechtigung Ihres Antrages in der Begründung sehr vorsichtig sein und daß Sie vor allen Dingen den Versuch unternehmen sollten, hier die Freiheit eines Abgeordneten wieder zu beschaffen, der jetzt im vierzehnten Monat spurlos verschwunden ist. Herr Kollege Renner, unser Zusatzantrag sagt schon, daß dieser Abgeordnete Werner Rüdiger verhaftet worden ist, weil er auch wieder im Besitz der im Westen Berlins lizenzierten Zeitung „Telegraf" gewesen sein soll. Sie reden große Worte von der Einheit Deutschlands und Sie verfolgen hier wegen des Besitzes einer lizenzierten Zeitung die Menschen auf das grausamste. Werner Rüdiger ist nach Aussage entlassener KZ-Häftlinge nach Rußland abtransportiert worden.
Sie haben dank Ihrer guten Verbindungen also hier die Möglichkeit, dafür zu sorgen, daß Werner Rüdiger genau so wie der Abgeordnete Lehmann sein Mandat ausüben kann. Wenn es Ihnen ernst ist um die Freiheit des Abgeordneten, dann werden Sie nicht nur darum reden und dafür kämpfen, daß Lehmann wieder in Freiheit gesetzt wird, sondern dann werden Sie mit allen anständigen demokratischen Kräften auch dafür sorgen, daß das gleiche für Werner Rüdiger der Fall ist.
Da zur Beratung keine Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität beantragt mit der Maßgabe, daß in der 48. Sitzung am Freitag Berichterstattung erfolgt. Wer für die Überweisung beider Anträge, des Antrages und des Ergänzungsantrages, ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit.
Der Antrag ist angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen zu Punkt 10 der Tagesordnung:
Interfraktioneller Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .
Ich darf wohl annehmen, daß das Haus dem Antrag zustimmt. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Damit ist die heutige Tagesordnung erschöpft.
Ich gebe noch bekannt, daß die Fraktion der FDP morgen um 13 Uhr 30 eine Fraktionssitzung hat.
Der Haushaltsausschuß ist für Freitag vormittag 11 Uhr 30 einberufen. Es werden Vertreter des Finanzausschusses des Bundesrats anwesend sein.
Die nächste Sitzung ist morgen, Freitag, 14 Uhr 30.
Die Sitzung ist geschlossen.