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ID0104706700

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    Deutscher Bundestag -- 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, ¿ei f6. März 1950 1589 47. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 16. März 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . . 1590A, 1635D Anfrage Nr. 32 der Fraktion der BP betr. Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (Drucksachen Nr. 409 und 694) . . . . 1590B Anfrage Nr. 49 der Fraktion der BP betr. Verminderung der Überlastung der Landwirtschaft (Drucksachen Nr. 570 und 706) 1590B Anfrage Nr. 50 der Zentrumsfraktion betr. Deutsche Bundesbahn (Drucksachen Nr. 573 und 695) . . . . . . . . . . 1590B Anfrage Nr. 55 der Fraktion der SPD betr. Lehrstellen bei der Bundesbahn (Drucksachen Nr. 583 und 696) 1590C Anfrage Nr. 51 der Abg. Dr. Solleder, Kahn, Dr. Horlacher und Gen. betr. Preisbildung des Hopfens (Drucksachen Nr. 574 und 701) 1590C Zur Tagesordnung 1590C Antrag der Fraktion der SPD betr. Geschäftsführung des Präsidenten . . . 1590D Zur Geschäftsordnung: Ritzel (SPD) 1591A Schröter (CDU) 1592A Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie (Drucksache Nr. 563) 1592B Donhauser (BP) 1592C, 1607B Dr. Greve (SPD), Antragsteller . . 1593A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz . . . . . , . . 1597C Dr. Kiesinger (CDU) 1598B Frau Wessel (Z) 1600B Euler (FDP) 1601D Fisch (KPD) 1603A Dr. von Merkatz (DP) 1604D Clausen (SSW) 1606B von Thadden (DRP) s 1608B Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege (Drucksache Nr. 564) . . . 1609D Zinn (SPD), Antragsteller . 1610A, 1617C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz . . . . . . . . 1611D Dr. Schneider (FDP) 1613A Dr. Mühlenfeld (DP) (zur Geschäftsordnung) . . . 1614D Ewers (DP) 1615A Dr. Kopf (CDU) 1616A Gundelach (KPD) 1617A Erste 'Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abänderung der von der Bundesregierung auf Grund des Artikels 132 des Grundgesetzes erlassenen Ausführungsverordnung (Drucksache Nr. 589) 1618B Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Treibstoffpreise (Drucksache Nr. 620) 1618B Zur Sache: Rademacher (FDP), Antragsteller 1618C, 1623D Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 1619C Vesper (KPD) . . . . . . . . 1620A Loritz (WAV) . . . . . . . . 1620C Schäffer, Bundesminister der Finanzen 1621B Etzel (CDU) 1621B, 1624B Aumer (BP) . . . . . . . . . 1621 D Dr. Bertram (Z) 1623A Zur Geschäftsordnung: Rademacher (FDP) 1624C Dr. Horlacher (CSU) 1624C Euler (FDP) . . . . . . . . 1625A Dr. Preusker (FDP) 1625A Ritzel (SPD) 1625B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesfinanzhof (Drucksache Nr. 630) 1625C Schäffer, Bundesminister der Finanzen 1625D Kiesinger (CDU) (zur Geschäftsordnung) . . . 1626C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Bundesstelle über den Warenverkehr im Bereich der gewerblichen Wirtschaft (Drucksache Nr. 586) (berichtigt) . . . 1626B Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 1626D Rische (KPD) 1627D Juncker (FDP) . . . . . . 1628D Kalbitzer (SPD) . . . . . . . 1629B Aumer (BP) 1630B Etzel (CDU) . . . . . . . . 1630D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht über den Entwurf eines Gesetzes zur Erstreckung und zur Verlängerung der Geltungsdauer des Wirtschaftsstrafgesetzes (Drucksachen Nr. 702 und 554) 1631A Dr. Weber (CDU), Berichterstatter 1631B Dr. Etzel (BP) 1632A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Antrag des Bayerischen Staatsministeriums für Justiz vom 9. Januar 1950 betr. Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Marx (Drucksache Nr. 605) 1633A Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betr. Verhaftung des Landtagsabgeordneten Lehmann (Drucksache Nr. 689) 1633B Kurt Müller (KPD), Antragsteller 1633B Neumann (SPD) . . . . . . . 1634B Interfraktioneller Antrag betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Drucksache Nr. 655) (neu) 1635D Nächste Sitzung 1635D Die Sitzung wird um 14 Uhr 36 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Georg-August Zinn


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! In der Diskussion, die soeben geschlossen worden ist, und die zum Teil recht lebhaft war, in der ich aber neben mancherlei Gegensätzen und mancherlei scheinbaren Widersprüchen auch mancherlei Verbindendes empfunden habe, ist von jenem Terrorsystem der Vergangenheit gesprochen worden, dessen Opfer nicht Tausende, sondern Hunderttausende, ja Millionen waren. Auch in diesem Hause befinden sich in allen Reihen und auf allen Bänken manche Männer und Frauen, die das gleiche oder doch ein ähnliches Schicksal erlitten haben wie jene, denen dieser Entwurf eines Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts auf dem Gebiete der Strafrechtspflege gilt, wie jene Männer und Frauen, die in der Zeit der Tyrannis den Kampf um die Menschlichkeit, den Kampf gegen den totalitären, die menschliche Freiheit auslöschenden Staat gewagt haben. Ich sage das, um auch einmal ein paar verbindende Worte in diesem Hause zu Gehör zu bringen.
    Sehr bald schon nach 1945, als man die ersten Schritte unternahm, in Deutschland wieder eine rechtsstaatliche Ordnung aufzurichten, sind Erlasse, Verordnungen und Gesetze gleichen oder ähnlichen Inhalts verkündet worden. Ich denke an den Justizerlaß des Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamburg vom 2. Oktober 1945, nach dem politische Straftaten gegen den Nationalsozialismus nicht mehr verfolgt werden durften oder durch den Verurteilungen wegen solcher Straftaten aufgehoben wurden. Ich denke an die Verordnung des Zentraljustizamtes -in Hamburg vom 3. Juni 1947, an Landesverordnungen, die in der französischen Zone ergangen sind, und ähnliche gesetzliche Regelungen. Aber alle diese Regelungen trugen den Charakter einer Amnestie. Der aus politischen Gründen Verurteilte blieb verurteilt; seinem nunmehr amnestierten Verhalten wurde der Charakter des Unrechtes nicht genommen, er blieb gewöhnlichen Kriminellen, die zufällig die Gunst eines Straffreiheitsgesetzes genossen, mehr oder weniger gleichgestellt.
    Erst das in den Ländern der amerikanischen Zone gleichlautend erlassene und am 15. Juni 1946 in Kraft getretene Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts auf dem Gebiete der Strafrechtspflege erklärte schlechthin politische Taten, durch die dem Nationalsozialismus Widerstand geleistet wurde, als nicht strafbar. Hier kam zum ersten Mal zum Ausdruck, daß es sich nicht um eine Amnestie, um einen nachträglichen gesetzlichen Gnadenakt gegenüber Kriminellen, sondern um Wiedergutmachung politischen Unrechts handelt. In gewissem Umfang blieb aber auch hier die Aufhebung eines Urteils, das wegen einer politischen Widerstandshandlung ergangen war, von der Stellung eines Antrags binnen einer bestimmten Frist abhängig. Diese Fristen, die wir auch in anderen Gesetzen und Verordnungen dieser Art finden, sind zum Teil abgelaufen.
    Die Rechtsungleichheit, der Umstand also, daß in Teilen des Geltungsbereichs des Grundgesetzes politische Widerstandshandlungen gegen den Nationalsozialismus zwar amnestiert sind, aber weiterhin als Unrecht betrachtet werden, während sie in der amerikanischen Zone schlechthin als nicht strafbar gelten, und der Umstand, daß die Aufhebung dieser Urteile aus der Zeit des Terrors zum Teil an Fristen und Anträge gebunden ist, macht nunmehr eine bundesgesetzliche Regelung notwendig, die übrigens von einigen Generalstaatsanwälten, denen wir diesen Entwurf zur Kenntnisnahme zugeschickt haben, gebilligt worden ist.
    Der von uns vorgelegte Gesetzentwurf erklärt den aus Überzeugung gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und gegen den Krieg geleisteten Widerstand für nicht rechtswidrig. Er bezweckt also die rechtliche, politische und moralische Rehabilitierung desjenigen, der Überzeugungswiderstand gegen die Gewaltherrschaft und gegen den zu ihrer Ausbreitung entfesselten Krieg geleistet hat. Nicht jeder, der sich im Gestrüpp des terroristischen Strafrechts der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft durch ein eigensüchtiges oder meinetwegen defaitistisches Verhalten verirrt hat. ohne das System als solches ablehnen zu wollen. ist mit diesem Gesetzentwurf gemeint, sondern nur der natürliche Gegner des Dritten Reiches und jener. der sich aus der Erkenntnis des verbrecherischen Charakters dieser Herrschaft gegen sie aufgelehnt hat. Unrecht war nicht der Widerstand gegen diese Gewaltherrschaft. Unrecht war die nationalsozialistische Herrschaft als solche und jenes brutale Terrorstrafrecht. das mit einer Fülle sich überstürzender Nebengesetze zum Strafgesetzbuch eigentlich zum klassischen Beispiel gesetzlichen Unrechts geworden ist.
    Es gibt eine staatsrechtliche Auffassung, die das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 als verfassungswidrig ansieht, weil die Zweidrittelmehrheit, die damals außer den Sozialdemokraten und den gewaltsam ausgeschlossenen Kommunisten für es gestimmt hat, auf der Einschüchterung -- wie der Bonner Staatsrechtslehrer Professor Dr. Thoma erklärt — durch zahlreiche Terrorakte und -furchterregende latente Drohungen, teils auf lügnerischen Lockungen beruht. Die auf diesem Gesetz beruhende Machtergreifung -- die Nationalsozialisten sprachen ja bezeichnenderweise von Machtergreifung — ist im Grunde keine echte Revolution, sondern eine Usurpation der Macht gewesen. Denn wenn man auch auf dem Standpunkt stehen sollte. daß eine echte Revolution, die von der Allgemeinheit getragen wird, neues Recht schaffen kann, dann doch nur, wenn dieses vielleicht nicht geläuterte Recht von einer gewandelten Rechtsüberzeugung getragen wird. Die verbrecherischen und — ich möchte beinahe sagen — satanischen Auffassungen Hitlers sind aber niemals von der Gesamtheit .des deutschen Volkes als die Rechtsüberzeugung aller billig und gerecht Denkenden angesehen worden. Deshalb konnte der Widerstand gegen dieses System nicht rechtswidrig sein.
    Ich erinnere daran, daß im März 1933 36 Sondergerichte im alten Reichsgebiet errichtet wurden, daß 36 Hochverratssenate — neben den Untersuchungsrichtern bei den Oberlandesgerichten als Untersuchungsrichter des Reichsanwalts beim Volksgerichtshof -- tätig waren, daß der Volksgerichtshof selbst amtierte, um all jene im Laufe der Jahre abzuurteilen, die als Gegner dieser


    (Zinn)

    Gewaltherrschaft galten oder angesehen wurden. Im Laufe dieser Zeit — und das sollte auch der Herr. Bundesjustizminister bedenken, wenn er das Problem der Vertrauenskrise der Justiz erörtert — sind etwa 1200 bis 1400 Richter und Staatsanwälte an diesen Sondergerichten, Hochverratssenaten und in den Sonderstaatsanwaltschaften tätig gewesen..
    Wir haben keine genauen Unterlagen darüber, wie groß die Zahl der Deutschen ist, die wegen ihres Widerstandes gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verurteilt worden sind. Die Akten sind entweder durch Kriegseinwirkung oder aber durch die nationalsozialistischen Machthaber selbst vor dem Zusammenbruch vernichtet worden. Das Statistische Jahrbuch des Deutschen Reichs für 1933 gibt die Zahl der in den ersten Monaten dieses Jahres aus politischen Gründen Verurteilten aber auch damals schon auf 20 000 an. Die tatsächliche Zahl dürfte weithin höher sein. Die Zahl der gerichtlichen Todesurteile wird von dem früheren Reichsjustizminister Thierack in einem vertraulichen Mitteilungsblatt der NSDAP im Jahre 1941 auf 1292 und im Jahre 1943 auf 5336 angegeben. Wie hoch sie dann im Jahre 1944 gewesen sein muß, brauche ich nicht näher zu erläutern. Darüber liegen begreiflicherweise keine genauen Unterlagen vor. Nach Schätzungen, die man heute glaubt machen zu können, beträgt die Zahl der Deutschen, die zwischen dem März 1933 und dem September 1939 aus politischen Gründen in Schutzhaft genommen, vorübergehend verhaftet, Gefängnis- oder Zuchthausstrafen verbüßt oder sich in Konzentrationslagern befunden haben, 1 1/2 Millionen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Diese Zahlen sind ungenau; wahrscheinlich sind die wirklichen Zahlen noch höher.
    Eines weiß man aber, daß der deutsche Widerstand Menschen aller Richtungen und Auffassungen umfaßte: Angehörige der deutschen Arbeiterbewegung — ich erinnere an Leuschner und Mierendorff und an die zahllosen unbekannten kleinen Funktionäre —, Männer des katholischen Klerus — ich denke an Graf von Galen und an den Kardinal Graf von Preysing —, die Be- kennende Kirche, auch den Hochadel und das Offizierkorps, das den Widerstand bis zum Versuch des Staatsstreiches gesteigert hat. Dieser deutsche Widerstand beruhte auf keiner in sich geschlossenen Organisation. Er konnte es im totalitären Staate, der das gesamte Leben der Nation, das Leben des einzelnen, das der Familie durchdrang und im Grunde völlig entprivatisierte, vielleicht auch nicht sein. Neben der bewußten Aufsicht der Gestapo stand ja die unbewußte der Blockwarte. Aber die soziologische Breite der deutschen Opposition und andererseits die Unmöglichkeit, sich angesichts der totalen Apparatur des nationalsozialistischen Staates zu einer geschlossenen Bewegung zu entwickeln, lassen erkennen, daß der Vorwurf einer Kollektivschuld entweder auf völliger Verkennung des Wesens eines totalitären Staates beruht oder aber auf der Unkenntnis über die Möglichkeiten des Widerstandes in einem solchen Staat.
    Der Widerlegung dieser unwahren Auffassung der Kollektivschuld dient auch dieses Gesetz. Wir wollen mit diesem Gesetz keinen neuen Heroenkult mit dem unangenehmen Beigeschmack des „Alten -Kämpfertums" schaffen; im Gegenteil, wir wissen, daß dem deutschen Widerstand der Erfolg versagt geblieben ist. Sein Weg war ein einziger Opfergang. Wir wissen aber auch, daß auch andere, Millionen anderer Menschen den Weg des Leidens und des Opfers haben gehen müssen. Ein Opfergang war der Weg von Millionen jenseits unserer Grenzen, aber auch Millionen innerhalb unserer Grenzen, die nicht wie die Männer des Widerstandes zu den Wissenden gehörten, sind Opfer dieser Gewaltherrschaft gewesen. Sie sind vielfach zunächst im blinden und später im zagenden Vertrauen jenen gefolgt, die sich ihre Führer nannten. Vor allem aber möchte ich eines sagen. Wohl niemals in der neueren Geschichte ist die gesamte Jugend eines Volkes so hartnäckig und so ruchlos betrogen und mißbraucht worden wie die deutsche Jugend in der Zeit dieser Gewaltherrschaft. Nur dieser Betrug, nur die große Täuschung, die an dieser Jugend begangen worden ist, erklären vielleicht die Gläubigkeit, mit der diese Jugend in Narvik, in der Steinwüste von El Alamein oder aber im Kessel von Stalingrad ohne Hoffnung gestorben ist. Ich möchte sagen, das Schicksal dieser 6. Armee, die dem Wahnwitz eines Tyrannen geopfert wurde — und der auch ich einmal angehört habe —, ist symbolhaft nicht nur für das Schicksal der Widerstandskämpfer, sondern auch für das Schicksal großer Teile unseres Volkes. Ich selbst habe das Schicksal beider geteilt: das Schicksal jener, die wegen ihrer politischen Überzeugung in den Gefängnissen oder Lagern des Dritten Reiches zugebracht haben, aber auch das Schicksal der andern, die in der russischen Steppe oder sonst irgendwo auf dem weiten Kontinent in den schwersten Konflikt, den Konflikt zwischen Vaterland und Menschheit gestellt waren. In diesen Konflikt waren sie irgendwie alle gestellt. Die Gemeinsamkeit dieses Schicksals möge eine Brücke zwischen den Männern und Frauen des deutschen Widerstandes und jenen sein, die durch die Männer von Stalingrad repräsentiert werden. Möge daraus die Sehnsucht nach einer Welt der Freiheit, einer besseren Welt der Menschlichkeit erwachsen!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD, in der Mitte und der FDP.)



Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Nach der Begründung des Antrags treten wir in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Thomas Dehler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Gewaltregimes war es eine der selbstverständlichen ersten Pflichten, das Unrecht, das auf dem Gebiet der Strafrechtspflege den Opfern des Nationalsozialismus angetan worden ist, wiedergutzumachen. Entsprechend der damaligen staatsrechtlichen Struktur lag die Gesetzgebung im wesentlichen bei den Ländern. _Die Dinge sind verschieden gehandhabt worden. Der Herr Abgeordnete Zinn hat schon erwähnt, daß die britische Zone vorausging. Es war die merkwürdige Situation, daß die Oberlandesgerichtspräsidenten Gesetzgeber waren; sie haben Erlasse herausgegeben, durch die Straffreiheit gewährt wurde. Dann haben die Länder der amerikanischen Zone dieses Problem in eingehender Weise gesetzlich geklärt, insbesondere festgelegt, daß bestimmte politische Straftaten, durch die dem National-


    (Bundesminister Dr Dehler)

    ù Sozialismus oder dem Militarismus Widerstand geleistet wurde, nicht strafbar sind. Im übrigen wurde die Möglichkeit gegeben, Urteile der Sondergerichte, die übermäßig hart waren, auf ein angemessenes Maß zurückzuführen. Die französische Zone ist gefolgt, sie hat sich im wesentlichen dem Vorbild der Gesetzgebung der amerikanischen Zone angeschlossen. Man kann sagen: die Dinge sind praktisch erledigt. Es gab im einzelnen Nuancierungen: in der amerikanischen und britischen Zone erfolgte die Aufhebung der Urteile auf Grund der typischen Nazigesetze kraft Gesetzes; in der britischen Zone war der Antrag erforderlich; verschiedene Behandlung im Strafregister und ähnliche Nuancierungen, aber insgesamt ist zu sagen: dieses sehr trübe Kapitel des nationalsozialistischen Strafrechts ist abgeschlossen.
    Deswegen verstehe ich zwar durchaus, daß der Herr Abgeordnete Zinn den Opfergeist beschworen hat, der hinter diesem formalen Gesetz liegt. Aber ich verstehe nicht, warum man mit dem Antrag auf ein Bundesgesetz die Dinge hervorholt. Nach meinen Feststellungen liegt bei den Ländern ein besonderes Bedürfnis, diese Fragen der Aufhebung des nationalsozialistischen Unrechts auf dem Gebiet der Strafrechtspflege jetzt auf der Bundesebene zu regeln, nicht vor. Denkbar, daß wegen des teilweise eingeführten An-tragrechtes noch Schwierigkeiten kommen könnten. Dem müßte man dann begegnen; daß man aber insgesamt die Materie jetzt von uns aus ordnet, halte ich nicht für veranlaßt, ganz ab- gesehen davon, daß der Entwurf, der im wesentlichen dem Vorbild der amerikanischen Zone nachgebildet ist, Mängel aufweisen würde, vieil
    man anscheinend ein Gesetz aus dem Jahre 1947 — das Ergänzungsgesetz der amerikanischen Zone -- nicht berücksichtigt hat: die bedeutsame Frage der Fälle der Tateinheit zwischen politischen Straftaten und allgemein kriminellen Straftaten, auch das Problem der Gesetzeskonkurrenz, auch der Fall, daß übermäßig hohe Urteile von Sondergerichten herabgesetzt werden können, werden in diesem Entwurf nicht berücksichtigt.

    (Abg. Dr. Arndt: Mit Recht! Weil Sie gar nichts davon verstehen! Sie können das doch nicht mit dem Kriminellen zusamenbringen!)

    -- Herr Dr. Arndt, Sie haben eine Diktion, die einem das Arbeiten hier zum Ekel werden läßt. So kann man doch nicht verhandeln.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich habe nicht das hohe Maß Ihrer Intelligenz geerbt, Herr Abgeordneter Arndt -- das Ist mein Schicksal aber ich habe vielleicht andere Qualitäten.

    (Abg. Rische: Warum so bescheiden?)

    Die Dinge spitzen sich auf einen Antrag zu, der in dem Gesetzentwurf der Sozialdemokratischen Partei als das hohe Gedankengut des Herrn Abgeordneten Arndt dargestellt ist — Dinge, die schon in der Rechtslehre umkämpft worden sind und die in einem Gesetz zu ordnen ich für ausgeschlossen halte. Das ist der Antrag, daß im Gesetz festgelegt wird, daß aus Überzeugung geleisteter Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und gegen den Krieg nicht rechtswidrig sein soll; daß das Gesetz das festlegt --- eine überaus schwierige Frage! Es würde
    viel zu weit führen, wenn wir diese Dinge in diesem Rahmen erörtern wollten. Die Probleme sind Ihnen wohl schon nahegebracht worden. Meine Damen und Herren, Sie haben doch die Fälle miterlebt, die in der Presse eingehend erörtert worden sind, daß zum Beispiel sich Deserteure gegen die Verhaftung gewehrt und auf der Flucht den Wachmann körperlich schwer verletzt oder erschossen haben. Frage: war sein Verhalten rechtswidrig oder nicht?

    (Zuruf von der KPD: Sehr interessant, daß das für Sie immer noch eine Frage ist!)

    Das Oberlandesgericht in Kiel hat diese Frage verneint. Ich will auf die Dinge nicht eingehen, ich will mich nur auf einen Mann beziehen, der, glaube ich, auch bei Herrn Kollegen Arndt Ansehen genießt.

    (Zuruf von der KPD: Sehr interessant, daß solche Sachen für Sie noch fraglich sind!)

    -- Jetzt repliziere ich mit den Worten des Herrn
    Arndt: Ich glaube nicht, daß Sie das verstehen!
    Es ist das schwere Problem, daß man selbstverständlich feststellen muß, daß ein Teil der nationalsozialistischen Gesetzgebung Unrecht war

    (Zuruf von der KPD: Das ganze System!)

    und daß der Widerstand gegen diese Bestimmungen zweifellos rechtmäßig und nicht rechtswidrig
    war. Aber die Frage, ob man diese Wertung so
    weit spannen kann, wie es der Gesetzentwurf
    will, ob man sie nicht auf das Unrechtsgut bestimmter Gesetze abstellen muß, kann ich nicht
    besser beantworten, als es Radbruch zusammengefaßt hat. Vielleicht darf ich Ihnen die paar
    Worte -- nicht zur Klärung, sondern nur zur
    Beleuchtung des Problems --- verlesen; er sagt: Wir sind der Meinung, daß es nach zwölf Jahren Verleugnung der Rechtssicherheit mehr als je notwendig ist, sich durch juristische Erwägungen gegen die Versuchungen zu wappnen, welche sich begreiflicherweise für jeden, der zwölf Jahre der Gefährdung und Bedrückung durchlebt hat, leicht ergeben können. Wir haben die Gerechtigkeit zu suchen, zugleich die Rechtssicherheit zu beachten, da sie selber ein Teil der Gerechtigkeit ist, und einen Rechtsstaat wieder aufzubauen, der beiden Gedanken -- der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit -- nach Möglichkeit Genüge zu tun hat. Demokratie ist gewiß ein preisenswertes Gut, Rechtsstaat aber ist wie das tägliche Brot, wie Wasser zum Trinken und wie Luft zum Atmen, und das Beste an der Demokratie gerade dieses, daß nur sie geeignet ist, den Rechtsstaat zu sichern.
    Damit ist das Problem angeschnitten.
    Es ist zweifellos richtig, was der Abgeordnete Zinn gesagt hat; aber es ist nach meiner Überzeugung unmöglich, die Konsequenz zu ziehen, daß wir von Gesetzes wegen sagen, daß allgemein bestimmte Handlungen, wenn sie aus Überzeugung gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft oder gegen den Krieg begangen wurden, rechtmäßig seien. Dadurch würden wir das ganze Gefüge unserer Rechtsordnung nach meiner Auffassung - nicht erschüttern, das ist zuviel gesagt, aber immerhin in gewissem Umfange gefährden.
    Also zusammenfassend: ich bin der Ansicht, daß kein Anlaß besteht, diese Materie vom Bund aus gesetzlich neu zu klären: Wenn wider Er-
    Deutscher Bundestang - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1950 1613

    (Bundesminister Dr. Dehler)

    warten wirklich noch Schwierigkeiten auftreten, ist immer noch Zeit dazu.

    (Zuruf links: „Morgen, morgen, nur nicht heute"!)

    Jetzt erscheint mir der Entwurf als ein Vorstoß aus mehr oder minder politischen Gründen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien, beim Zentrum und auf der äußersten Rechten.)