Das Rechtsproblem dieser Vorlage liegt in § 1 Absatz 1, wo es kurz und bündig heißt:
Aus Überzeugung geleisteter Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und gegen den Krieg war nicht rechts widrig.
Der Herr Justizminister hat die Schwere des Problems aufgerissen. Er hat darauf hingewiesen, daß sich schon sehr berufene Leute mit diesem Problem befaßt haben, nämlich Professor Radbruch in Heidelberg, der sich schon gelegentlich eines speziellen Falles, einer Verurteilung, mit diesem Problem auseinandergesetzt hat. Dieses Sätzchen in § 1 sieht so einfach aus, enthält aber das schwerste Rechtsproblem überhaupt. Hinter dieser Formulierung des § 1 steht nämlich nicht mehr und nicht weniger als der Versuch, die Realität — so möchte ich es bezeichnen - dieser 12 Jahre Nationalsozialismus in ihren gesamten Erscheinungsformen einfach als rechtswidrig erscheinen zu lassen. In diesem weiten Umfang ist es für mich gänzlich unmöglich, daß man das tun könnte. Als Jurist ist mir das begrifflich gar nicht denkbar. Aber ich möchte mich hier auf das spezielle Gebiet des Strafrechts beschränken.
Es besteht gar kein Zweifel, daß auch auf diesem Gebiete blankes Unrecht geschehen ist, das im Sinne dieser Vorschriften einfach rechtswidrig war. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Tatbeständen, die es zwingend ausschließen, daß man diese generelle, vereinfachende Lösung auf alles anwenden könnte. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen nur ein Beispiel sagen; der Herr Justizminister hat es hier schon angeführt. Es ist der sogenannte Fall Garbe. Der Tatbestand war so, daß ein Soldat, der desertiert war, wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt war. D Das Urteil war rechtskräftig. Es gelang dem Mann zu entfliehen. Er wurde 1944 wiederergriffen. Mit Vorsatz -- um sich eben der Vollstreckung dieses Todesurteils zu entziehen — schlug er den Polizeibeamten, der ihn festzunehmen versuchte, nieder, und zwar mit dem Vorsatz, ihn zu töten. Dieser Mann ist nun nach dem Kriege durch das Oberlandesgericht Kiel mit einigen Monaten Gefängnis bestraft worden.
Herr Kollege Arndt hat gerade dieses Urteil zum Gegenstand seiner Kritik gemacht, und er hat es sehr scharf kritisiert, indem er nachzuweisen versuchte, daß alle diese Dinge, die der Nationalsozialismus damals getan hätte — auch der Krieg in seiner Gesamterscheinung —, einfach rechtswidrig seien und daß ein Mann, der sich diesem Krieg, gleichgültig mit welchen Mitteln, entziehen wollte oder entzogen hat, niemals rechtswidrig gehandelt haben könne. Dieser Standpunkt, den Herr Kollege Arndt vertritt, scheint mir in dieser Form in den letzten Konsequenzen unmöglich zu sein. Denn, meine Damen und Herren, denken Sie an ein praktisches Beispiel. Nehmen Sie an, ein deutscher Soldat begeht aus Widerstand gegen den Nationalsozialismus beispielsweise an der Front einen militärischen Verrat, und die Folge ist der Tod von 50, 100 oder gar 1000 seiner Kameraden. Ich kann mir nicht denken, daß wir dem deutschen Volk klarmachen könnten, daß es ein Unrecht wäre, wenn dieser Mann bestraft wird; denn das würde niemand in unserem Volk begreifen.
Das wäre nicht möglich. Aber dieser Fall müßte
dann auch, wenn wir die Fassung des § 1, wie
er hier vorliegt, in seiner Totalität bejahen, darunter subsumiert werden. Eine weitere Folge, wenn man diese letzten Konsequenzen ziehen würde, wäre die, daß Richter, die ein derartiges Urteil fällten, rechtswidrig gehandelt hätten, daß sie das Recht gebeugt hätten.
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß man nur solche Beispiele anzuführen braucht, um Ihnen klarzumachen, daß die Fassung des § 1, wie sie hier vorgeschlagen wird, in dieser Verallgemeinerung nicht möglich ist. Man kann das nicht gesetzlich festlegen, sondern muß das im einzelnen von Fall zu Fall betrachten, um ein Urteil darüber zu gewinnen, was materiell rechtswidrig oder nicht rechtswidrig gewesen ist. Wenn wir anders verfahren wollten, würde das Rechtsgefühl, der Rechtsbegriff in unserem Volk oder, wenn ich mich einfacher ausdrücken soll, die Rechtssubstanz ganz entscheidend tangiert. Dann würde das Gefühl dafür, was Recht oder Unrecht ist, immer mehr verlorengehen. Es ist tief bedauerlich, daß es schon sehr weitgehend verlorengegangen ist. Wieweit es schon verlorengegangen ist, zeigen auch die Vorfälle, die sich leider in diesem Hohen Hause in der letzten Vergangenheit zugetragen haben. Diese konnten auch nur entstehen, weil das Gefühl für das, was Recht oder Unrecht ist, selbst bis in unsere Reihen hinein nicht mehr klar erkannt wird.
Ich fasse zusammen, da meine Redezeit abgelaufen ist. Wir stimmen der Tendenz des Gesetzes im Grundsätzlichen zu. Wir sind auch bereit, mit uns im Ausschuß darüber reden zu lassen, wie die einzelnen Paragraphen gefaßt werden müssen, nur können wir dem § 1 in seinem Absatz 1 in der jetzt vorliegenden Fassung des Gesetzentwurfs unmöglich zustimmen; denn das würde zu Konsequenzen führen, die wir aus 0 rechtspolitischen und letzten Endes auch aus staatspolitischen Gründen nicht auf uns nehmen wollen.