Rede:
ID0104702900

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 1047

  • date_rangeDatum: 16. März 1950

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag -- 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, ¿ei f6. März 1950 1589 47. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 16. März 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . . 1590A, 1635D Anfrage Nr. 32 der Fraktion der BP betr. Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (Drucksachen Nr. 409 und 694) . . . . 1590B Anfrage Nr. 49 der Fraktion der BP betr. Verminderung der Überlastung der Landwirtschaft (Drucksachen Nr. 570 und 706) 1590B Anfrage Nr. 50 der Zentrumsfraktion betr. Deutsche Bundesbahn (Drucksachen Nr. 573 und 695) . . . . . . . . . . 1590B Anfrage Nr. 55 der Fraktion der SPD betr. Lehrstellen bei der Bundesbahn (Drucksachen Nr. 583 und 696) 1590C Anfrage Nr. 51 der Abg. Dr. Solleder, Kahn, Dr. Horlacher und Gen. betr. Preisbildung des Hopfens (Drucksachen Nr. 574 und 701) 1590C Zur Tagesordnung 1590C Antrag der Fraktion der SPD betr. Geschäftsführung des Präsidenten . . . 1590D Zur Geschäftsordnung: Ritzel (SPD) 1591A Schröter (CDU) 1592A Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie (Drucksache Nr. 563) 1592B Donhauser (BP) 1592C, 1607B Dr. Greve (SPD), Antragsteller . . 1593A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz . . . . . , . . 1597C Dr. Kiesinger (CDU) 1598B Frau Wessel (Z) 1600B Euler (FDP) 1601D Fisch (KPD) 1603A Dr. von Merkatz (DP) 1604D Clausen (SSW) 1606B von Thadden (DRP) s 1608B Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege (Drucksache Nr. 564) . . . 1609D Zinn (SPD), Antragsteller . 1610A, 1617C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz . . . . . . . . 1611D Dr. Schneider (FDP) 1613A Dr. Mühlenfeld (DP) (zur Geschäftsordnung) . . . 1614D Ewers (DP) 1615A Dr. Kopf (CDU) 1616A Gundelach (KPD) 1617A Erste 'Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abänderung der von der Bundesregierung auf Grund des Artikels 132 des Grundgesetzes erlassenen Ausführungsverordnung (Drucksache Nr. 589) 1618B Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Treibstoffpreise (Drucksache Nr. 620) 1618B Zur Sache: Rademacher (FDP), Antragsteller 1618C, 1623D Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 1619C Vesper (KPD) . . . . . . . . 1620A Loritz (WAV) . . . . . . . . 1620C Schäffer, Bundesminister der Finanzen 1621B Etzel (CDU) 1621B, 1624B Aumer (BP) . . . . . . . . . 1621 D Dr. Bertram (Z) 1623A Zur Geschäftsordnung: Rademacher (FDP) 1624C Dr. Horlacher (CSU) 1624C Euler (FDP) . . . . . . . . 1625A Dr. Preusker (FDP) 1625A Ritzel (SPD) 1625B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesfinanzhof (Drucksache Nr. 630) 1625C Schäffer, Bundesminister der Finanzen 1625D Kiesinger (CDU) (zur Geschäftsordnung) . . . 1626C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Bundesstelle über den Warenverkehr im Bereich der gewerblichen Wirtschaft (Drucksache Nr. 586) (berichtigt) . . . 1626B Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 1626D Rische (KPD) 1627D Juncker (FDP) . . . . . . 1628D Kalbitzer (SPD) . . . . . . . 1629B Aumer (BP) 1630B Etzel (CDU) . . . . . . . . 1630D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht über den Entwurf eines Gesetzes zur Erstreckung und zur Verlängerung der Geltungsdauer des Wirtschaftsstrafgesetzes (Drucksachen Nr. 702 und 554) 1631A Dr. Weber (CDU), Berichterstatter 1631B Dr. Etzel (BP) 1632A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Antrag des Bayerischen Staatsministeriums für Justiz vom 9. Januar 1950 betr. Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Marx (Drucksache Nr. 605) 1633A Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betr. Verhaftung des Landtagsabgeordneten Lehmann (Drucksache Nr. 689) 1633B Kurt Müller (KPD), Antragsteller 1633B Neumann (SPD) . . . . . . . 1634B Interfraktioneller Antrag betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Drucksache Nr. 655) (neu) 1635D Nächste Sitzung 1635D Die Sitzung wird um 14 Uhr 36 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Ich will den Appell, den Herr Kollege Greve an die Mitte gerichtet hat, aufnehmen und will versuchen, mit all dem Ernst, der dieser Sache geziemt, ihm zu antworten.
    Ich habe es bedauert, daß der Herr Kollege Donhauser den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung gestellt hat; nicht etwa deswegen, weil wir nicht eine ganze Reihe von Bedenken, die er hat, teilen. Wir tun das! Ja wir können uns durchaus nicht. vorstellen, daß wir zu einem Gesetz in dieser Form und mit diesem Inhalt ja sagen könnten. Aber wir halten es für wenig klug, bei einer so wichtigen Materie den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung zu stellen. Dazu sind uns die Dinge, um die es hier geht, zu ernst. Wer haben in den Ausschüssen — im Ausschuß zum Schutze der Verfassung und im Rechtsausschuß — Gelegenheit, die Fragen in aller Ruhe, sachlich und nüchtern, zu behandeln. Ich will daher heute Abstand nehmen, wozu jetzt Gelegenheit wäre, im einzelnen zu dem Inhalt dieses Gesetzes Stellung zu nehmen. Wir werden genügend Zeit haben, das zu tun.
    Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir aber bei dieser Gelegenheit im Namen meiner Freunde nur einige grundsätzliche Bemerkungen. Wenn man über den Schutz der Demokratie spricht, dann sollte man doch wohl im Auge haben, daß alle diejenigen in diesem Hause, denen es mit Demokratie ernst ist, durch eine derartige Rede nicht etwa auseinandergerissen, sondern zusammengeführt werden.

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

    Das Wort Demokratie ist vielleicht das meist mißbrauchte Wort unserer Zeit. Ich kann das Wort Demokratie im Sinne einer sozialistischen Demokratie verstehen, wie es unsere Freunde von der Sozialdemokratie tun. Ich kann das Wort Demokratie im Sinne einer liberalen Demokratie verstehen, wie es andere demokratische Freunde in diesem Hause tun. Von denen, die das Wort Demokratie, um ja Glauben zu finden, mit der Tautologie Volksdemokratie belegen, will ich in diesem Zusammenhang schamhaft schweigen.

    (Beifall und Heiterkeit in der Mitte und rechts. — Zuruf von der KPD: Sie haben Angst!)

    — Ich habe keine Angst, o nein! (Abg. Rische: Demokratie für wen?)

    — Demokratie für alle, die die Freiheit wollen, mein Lieber!

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Diese Demokratie sieht also in den verschiedenen Köpfen recht verschieden aus. Eine der größten Aufgaben, die wir haben, ist, daß wir uns auf unser demokratisches ideologisches Existenzminimum besinnen, auf das nämlich, was uns gemeinsam ist. Man sollte in einer Rede über die Demokratie nun nicht die Konzeption der sozialistischen Demokratie in den Vordergrund stellen, wenn man Freunde gewinnen will, sondern man sollte in einer Rede zum Schutze dieser Demokratie jenes ideologische Existenzminimum herstellen, das wirklich das erzeugt, was die wirklichen Freunde der Demokratie in diesem Hause wollen, nämlich die begeisterte Zustimmung aller Freunde der Demokratie.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und dies hat mein verehrter Herr Kollege leider nicht getan. Der bayerische Löwe hat mit Recht gebrummt

    (Abg. Dr. Baumgartner: Gebrüllt! — Heiterkeit)

    — oder gebrüllt —, als ihm vorgeworfen wurde, daß ausgerechnet er nicht mit einem Tropfen demokratischen Öls gesalbt sei; ja, es ist ihm sogar Schlimmeres vorgeworfen worden.

    (Abg. Dr. Seelos: Wir waren schon Demokraten, als woanders noch das Dreiklassenwahlrecht war! — Heiterkeit. — Abg. Dr. Greve: Aber ich komme gar nicht aus Preußen, Herr Seelos, sondern aus Mecklenburg!)



    (Kiesinger)

    — Ich bin zufrieden, daß Sie mit den historischen
    Vergleichen beim 19. Jahrhundert geblieben sind.

    (Heiterkeit. — Zuruf von der BP: Das nächste Mal gehe ich weiter zurück!)


    (Erneute Heiterkeit.)

    Meine Damen und Herren, zu diesem ideologischen Existenzminimum ein paar Worte. Es ist eine Banalität, zu sagen, daß es eines wirksamen Schutzes — ich stimme Ihnen da zu, Herr Kollege Greve —, eines offensiven Schutzes der Demokratie bedarf. Wir sind uns darüber einig, daß man ebensowenig -- um das Wort des Herrn Talleyrand zu wiederholen —, wie man auf Balonettspitzen sitzen kann, sich auf die scharfen Zacken eines Stacheldrahtes von Strafbestimmungen stützen kann, der diese arme Demokratie beschirmen soll. Das wissen wir alle.
    Aber wir wissen auch ein weiteres: Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert, wir teilen nicht mehr den Glauben jener Welt, in der mein verehrter Landsmann Friedrich Theodor Vischer einmal gesagt hat, das Moralische, auch im politischen Raum, verstehe sich von selbst.

    (Zuruf des Abg. Rische.)

    Leider, meine Damen und Herren: das Moralische, im politischen Raum zumal, versteht sich gar nicht mehr von selbst.

    (Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    In der Vergangenheit haben wir Dinge erlebt, von denen man fast nicht sprechen will, weil man glaubt, daß man in ein Pathos hineinkommen könnte, das unecht wirken könnte. Wir haben Dinge erlebt, die uns heute noch die brennende Scham ins Herz treiben, den tiefen Schmerz, die tiefe Trauer! Und wenn es heute in deutschen Landen wieder Menschen gibt, die, wenn es wahr ist, über dieses vergangene System urteilend, glauben sagen zu können: „Die Judenfrage wurde nicht glücklich gelöst!" — jene Frage, bei der es sich darum handelt, daß Millionen Unschuldiger in diesem Volk gemordet wurden —, dann allerdings heißt es: Alarm!

    (Lebhafter Beifall in der Mitte, links und rechts.)

    Wir werden uns von niemandem vorwerfen
    lassen, daß wir diese Gefahrensignale nicht sehen.

    (Abg. Rische: Nur nicht die Weiche falsch stellen!)

    Wir glauben nicht mehr an den guten Menschen. Wir sind keine Jünger Jean Jaques Rousseaus,

    (Zuruf des Abg. Rische)

    wenigstens wir christlichen Demokraten nicht, und ich hoffe, eine große Reihe unserer Freunde nicht. Wir wissen, was der Mensch ist. Wir wissen, daß er eben nicht der ist, mit dem man ein irdisches Paradies bauen kann, wie Sie drüben, die Besten von Ihnen, vielleicht meinen, jene klassenlose Gesellschaft, in der, wenn wir nur einmal eine Konservendosenkultur haben, alle Dinge friedlich geschlichtet sein werden. O nein, die Technik löst diese Dinge nicht! Wir leben nicht mehr in jener optimistischen Zeit, und daher wissen wir, daß das „Laisser faire, laisser aller" auch in Staatsschutzdingen nicht mehr gilt, daß in der Tat der Staat sich bewaffnen, daß er eine starke Wehr haben muß.

    (Abg. Rische: Also ein Klassenstaat sein muß!)

    -- Das ist kein Klassenstaat, der sich um seine Freiheit wehrt!

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Wenn wir also wissen, daß wir uns wehren müssen, und wenn wir diese Wehr wollen, dann wissen wir aber auch zu gleicher Zeit, daß diese Wehr nur am Rande in strafrechtlichen Bestimmungen bestehen kann.
    Nun sage ich ein ernstes Wort: Ich will den großen Gegensatz zwischen der positivistischen Rechtsauffassung und der naturrechtlichen Rechtsauffassung hier nicht aufreissen; aber ich möchte Sie darauf hinweisen, daß wir es uns nicht leisten können, nur von dem Gedanken der Abschreckung her Recht zu schaffen. Unser Recht gründet sich im ewigen Recht, das unabänderlich ist. Und nur an der Ausrichtung an diesem ewigen Recht wird auch das, was wir zum Staatsschutz an Recht schaffen, Gültigkeit haben; dort wird es gewogen und geprüft werden.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Dazu, meine Damen und Herren, brauchen wir eine gewisse Zeit. Ich weiß, was Sie mir sagen wollen. Aber verfrühte, allzu flüchtige Arbeit auf diesem Gebiet wäre vielleicht ebenso verhängnisvoll, wie es verhängnisvoll wäre, wenn man eine solche Arbeit unterließe. Im übrigen wissen wir, daß der wirkliche Kampf um diesen Staat, um diese Demokratie durch andere Dinge entschieden wird, und darum möchte ich das Wort des Herrn Justizministers aufgreifen : Wir wollen den Teufel nicht unnötig an die Wand malen. Den Herren, die da in deutschen Landen herumreisen mit den verstaubten Parolen eines überlebten Nationalismus, die versuchen, der jungen deutschen Generation — und sie geht bis in die vierziger Jahre hinein — Zukunftsparolen zu geben, den Herren wird diese Jugend nicht nachlaufen. Davon bin ich überzeugt!

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Wenn diese junge Generation sich bis jetzt vom Staat und von den öffentlichen Dingen vielleicht zurückgehalten hat, wenn sie sich noch nicht in breiten Zügen in diesen Staat hat einbeziehen lassen, dann hat sie das aus anderen Gründen getan: dann hat sie es getan, weil sie enttäuscht worden ist, weil sie, die Mißbrauchten, zunächst nicht wieder wagten, sofort ihr ganzes Herz — das ist doch nun einmal die Haltung der Jungen — für eine Sache zu geben, deren Parole sie noch nicht sehen. Vielleicht halten wir selbst ein- mal Gewissenforschung im eigenen Herzen, ob wir, die Vertreter, die Repräsentanten, wenn Sie so wollen, die Führer dieser neuen Demokratie schon das Wort gesprochen haben, jenes Wort, auf das diese junge Generation wartet, die junge Generation, die opfern will, die Zucht will, die Ordnung will, die aber keine Despotie mehr will. Ich glaube, wir haben dies Wort noch nicht gefunden. Und in diesen kommenden Jahren sollte unser aller Anstrengung mehr und mehr sein, neben der Tat, neben der Leistung auch das werbende Wort zu finden.
    Es gibt eine Ordnung der sozialen Welt, die nicht nur Ihrer Konzeption, Herr Kollege Greve, entspricht. Und nicht nur Sie vertreten die Arbeitermassen, auch in unseren Reihen stehen sie. Nur haben wir den Vorzug, daß in unseren Reihen sie alle stehen, vom Arbeitgeber bis zum Arbeitnehmer. Deswegen glauben wir eine Union des 20. Jahrhunderts zu sein, und die Freunde,


    (Kiesinger)

    die uns unterstützen, glauben eine Sache des 20. Jahrhunderts zu unterstützen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das ist keine Interessenvertretung mehr, das ist keine Klassenvertretung mehr, sondern das ist wirklich der Versuch, einmal etwas Neues zu schaffen.

    (Abg. Rische: Das sagte Goebbels auch schon!) — Ach, diese ewigen Vergleiche sind langweilig. Ich könnte andere Vergleiche mit Ihnen anstellen. --- Vielleicht fällt dem 20. Jahrhundert auch einmal etwas N es ein. Wir kämpfen nicht für Kleinigkeiten, MT Rankenwerk, für Beiwerk. Dieses Grundgesetz ist ein Anfang. Wir kämpfen um das Grundsätzliche der Demokratie, und ich darf es an dieser Stelle wiederholen: Demokratie als Absolutum, ohne die Fundamente des Rechts, ist eine Barbarei!


    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn wir von Demokratie sprechen, dann meinen wir damit stets die rechtsstaatliche Demokratie. Für sie zu kämpfen, für sie uns einzusetzen und für sie die adäquaten Schutzmittel zu finden, das soll unsere Aufgabe sein.
    Ich beantrage namens meiner Freunde, die Vorlage der SPD federführend an den Ausschuß zum Schutze der Verfassung und gleichzeitig an den Rechtsausschuß zu verweisen, damit sie dort zusammen -- hoffentlich -- mit dem Regierungsentwurf, den wir in der Konzeption, nämlich bezüglich des Einbaus dieser Bestimmungen in das Strafgesetzbuch, bejahen, beraten werden kann.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helene Wessel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Herren und Damen! Ich möchte zu dem Antrag der SPD auf Drucksache Nr. 563 im Auftrag der Zentrumsfraktion einige grundsätzliche Ausführungen machen. Ich möchte mich dabei nicht irgendwie in die Auseinandersetzungen einmischen, in die meine beiden Herren Vorredner gekommen sind. Der uns vorliegende Gesetzentwurf gegen die Feinde der Demokratie zeigt allgemein — darin sind wir uns wohl in diesem Hohen Hause einig — die Sorge, daß Deutschland vor Entwicklungen bewahrt bleiben muß, die die Weimarer Republik nicht verhindert hat. Es liegt nun einmal im politischen Charakter des deutschen Volkes — ob wir nun links oder rechts oder in der Mitte stehen —, daß die Versuchung, andere zu täuschen, nicht so groß ist als diejenige, sich selbst zu täuschen. Ich glaube, in keinem anderen Lande der Welt wäre es nach den furchtbaren Erlebnissen des Nationalsozialismus überhaupt möglich, daß eine nationalistische Propaganda, mag sie von rechts oder von links kommen, wieder das Volk bedrohen könnte. In keinem anderen Lande der Welt, glaube ich, würde auch die Presse von dem Gebaren ehrgeiziger, unbelehrbarer Wichtigtuer, die sich auf der politischen Bühne produzieren, eine solche Kenntnis nehmen, wie es bei uns der Fall ist.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Wer wird da nicht an die Worte eines Hegel erinnert, die gerade für uns Deutsche geschrieben zu sein scheinen: die Geschichte beweise, daß die Völker aus der Geschichte nichts lernen. Und wer
    sich umschaut, der entdeckt doch immer wieder mit Schrecken, wieviel Gestriges, ja Vorgestriges, möchte ich sagen, im politischen Leben Deutschlands zu finden ist und wieviele Deutsche sich doch durch ein kurzes Gedächtnis auszeichnen und nichts, rein gar nichts aus den Erlebnissen der vergangenen 17 Jahre gelernt haben. Deswegen scheint es uns schon notwendig zu sein, die Demokratie mit rechtsstaatlichen Mitteln zu sichern, ein Gesetz gegen Entartung der Politik zu schaffen. Wir wollen nicht ein zweites Mal die deutsche Republik zugrunde gehen lassen an dem Mangel der Demokraten, letzte Verteidigungsbereitschaft zu zeigen.
    Trotzdem bedauern wir, daß es überhaupt zu einem solchen Gesetz kommen muß, daß hier der Prüfstein für die Demokratie liegt und strafrechtliche Bestimmungen zur Sicherung des demokratischen Lebens überhaupt notwendig sind. Es wäre auch gefährlich, zu glauben, daß einzig durch ein Gesetz alle gegen die Demokratie gerichteten Handlungen unterbunden werden könnten. Auch die Weimarer Republik hatte bekanntlich ein Gesetz zu ihrem Schutz. Es hat aber den Zusammenbruch nicht verhindert, weil von den Richtern nicht selten unter Berufung auf das Recht krasses Unrecht gesprochen wurde. So konnte man sogar einen Friedrich Ebert des Landesverrats bezichtigen. Das Gegenteil davon haben wir allerdings beim Fall Hedler erlebt.
    Nachdem nun die Diskussion über den Rechtsschutz des Staates in Gang gekommen ist, scheint für uns die Frage im Vordergrund zu stehen, ob die strafrechtlichen Bestimmungen, die zum Schutze der Demokratie als notwendig erachtet werden, in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden sollen oder ob man es in Form von Sondergesetzen machen soll. In Abweichung von den Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers sind meine politischen Freunde und ich der Überzeugung, daß die neuen Strafbestimmungen, die sich aus dem Grundgesetz ergeben wir denken hier in erster Linie an die Bestrafung von Handlungen zur Vorbereitung des Angriffskrieges —, selbstverständlich in das Strafgesetzbuch hineingearbeitet werden . müssen. Wir begrüßen es — der Herr Justizminister hat es hier bestätigt --, daß von seiten der Regierung Bestimmungen zum persönlichen Schutz, zum Ehrenschutz vorbereitet werden, die ebenfalls Gegenstand einer Reform des Strafgesetzbuches sein dürften. Denn neben der Sicherung der Demokratie scheint es uns vor allem aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit notwendig zu sein, dafür zu sorgen, daß die in der vorderen Linie der Politik stehenden Männer und Frauen im Ansehen des Volkes nicht durch Verleumdungen verächtlich gemacht werden können.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Was aber über diese Bestimmungen im Strafgesetzbuch hinaus zum Schutz der Demokratie
    getan werden muß, sollte unseres Erachtens in-
    Form von Sondergesetzen erlassen werden. Wir
    legen schon heute größten Wert auf die Feststellung, daß wir so bald wie möglich wieder an einen
    Abbau der Strafbestimmungen herangehen müssen,
    die heute, da sich die Demokratie unter den denkbar ungünstigsten materiellen Voraussetzungen in
    ihrem Anfangsstadium befindet, leider nicht zu
    umgehen sind. Auf die Dauer ist es nicht
    möglich, die Demokratie durch einen Paragraphenzaun zu schützen. Das kann nur für eine


    (Frau Wessel)

    Übergangszeit zweckmäßig sein. Wir wünschen aber auch deshalb Sondergesetze, weil wir die strafbaren Tatbestände so exakt definiert wissen wollen, daß sie von den Richtern nur in der der Demokratie nützlichen Weise ausgelegt werden können. Gesetze, die das tun, sind aber auf eine ganz bestimmte Zeit und ganz bestimmte Verhältnisse zugeschnitten und unterscheiden sich dadurch von dem dauernd gültigen Strafgesetzbuch.
    Weiter legen wir Wert darauf, daß in Prozessen, die zum Schutz der Demokratie geführt werden, nicht nur Berufsjuristen die Urteilsfindung in der Hand haben. Wir halten es deshalb für richtig, daß die leichteren Fälle zum Beispiel vor den Schöffengerichten und die. schweren Fällen vor den Schwurgerichten abgeurteilt werden, um so auch den Nietjuristen die Möglichkeit der Urteilsfindung mit zu geben.
    Meine Damen und Herren! Wenn heute Gesetze zum Schutze der Demokratie notwendig sind, so muß es unser aller Bestreben sein — ich darf das wohl auch in diesem Hohen Hause ausführen —, durch demokratisches Handeln und Verhalten die jetzt notwendigen Sondergesetze so bald wie möglich überflüssig zu machen. In erster Linie wird es, wenn die Demokratie überhaupt in unser Volk Eingang finden soll, auf positive Leistungen der Demokratie und ihrer Organe ankommen. Gesunde soziale und wirtschaftliche Verhältnisse sind die Grundvoraussetzungen dafür, daß radikalen Tendenzen wirksam entgegengetreten werden kann. Es ist ein völlig aussichtsloses Beginnen, die Demokratie erhalten zu wollen, falls die Organe der Demokratie vor den praktischen politischen Aufgaben versagen. Ich bin der Überzeugung, daß der die Demokraten beseelende Wille zu positiven Leistungen zum Schutze der Demokratie in Deutschland weit mehr zu vollbringen vermag und in der Tat auch vollbringen wird, als das Strafgesetzbuch tun kann.
    Tatsächlich gibt es auch für den demokratischen Gedanken nichts Besseres als die Auseinandersetzung mit den radikalen Gruppen über die konkreten politischen Probleme, sofern diese Auseinandersetzungen in der Form echter Diskussion vor sich gehen.

    (Sehr richtig! bei der FDP und bei der BP.)

    Ich möchte darauf hinweisen, daß gerade hier im Bundestag solche Diskussionen geführt werden müssen und daß es grundfalsch ist, Abgeordnete, wie zum Beispiel Herrn Hedler oder Herrn Dorls, hier nicht zu Wort kommen zu lassen. .

    (Sehr richtig! beim Zentrum und rechts.) Wenn der Herr Präsident mit den geschäftsordnungsmäßigen Mitteln unsachliche Diskussionen unterbindet und die Vertreter der radikalen Gruppen dazu zwingt, zur Sache zu sprechen, dann werden hier im Bundestag immer neue Beweise für die geistige Armut des Radikalismus geliefert werden.


    (Beifall beim Zentrum.)

    Ich kann leider diese Anregung nicht zu einem Antrag formen, ich kann sie auch nicht in Gesetzesform kleiden; aber ich wollte nicht darauf verzichten, heute auf diese Art von Schlagfertigkeit hinzuweisen, mit der man die Rechts- und auch die Linksradikalen erledigen kann, ohne sich selbst dabei ins Unrecht zu setzen. Bisher hat der
    Bundestag in dieser Beziehung versagt. Er hat es nicht verstanden, sich in den Mittelpunkt des politischen und öffentlichen Lebens unseres Volkes zu setzen, und ich meine, daß der Bundestag, wenn er Gesetze zum Schutz der Demokratie beschließen will, sich auch darüber klar werden muß, was er selbst zum Schutz der Demokratie tun kann.
    Wenn die Zentrumsfraktion Vorgänge, wie sie sich am vergangenen Freitag um den Fall Hedler abgespielt haben, nicht für eine Stärkung des Ansehens des Bundestags hält, so hat das nichts mit irgendeiner Wertschätzung des Herrn Hedler zu tun. Aber wir halten jede Prügelei unter Abgeordneten für eine Gefahr für das Ansehen der Demokratie und ihrer Repräsentation.

    (Lebhafter Beifall beim Zentrum., in der Mitte, bei der FDP und bei der DRP.)


    (Sehr gut!)

    Deshalb kann in diesem Hohen Hause die Notwendigkeit zum Maßhalten, zur Besonnenheit und zur Toleranz nicht genug betont werden, wenn unser politisches Leben trotz Staatsschutzgesetz nicht erneut entarten soll. Das, meine Damen und Herren, ist das beste Rezept, daß aus den Deutschen endlich Demokraten werden und wir die neue Demokratie ohne Strafgesetze in die Herzen der Deutschen verpflanzen können.

    (Lebhafter Beifall beim Zentrum undden Regierungsparteien.)