Rede von
Heinrich Georg
Ritzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den mir gewordenen Informationen wurde im Ältestenrat der Standpunkt vertreten, daß mit Rücksicht auf die Tatsache — die von uns nichtbestritten wird —, daß der Präsident des Bundestags nach § 14 der Geschäftsordnung für die Dauer der Wahlperiode des Bundestags gewählt worden ist, eine Behandlung unseres Appells, der dahin geht, den Bundestag einzuladen, dem Herrn Präsidenten nahezulegen, aus den in dem Antrag genannten Gründen die Konsequenzen zu ziehen, das heißt, freiwillig zurückzutreten, unzulässig sei. Ich möchte demgegenüber feststellen, daß sich unser Antrag absolut im Rahmen der im § 49 der Geschäftsordnung vorgesehenen Antragsstellungsmöglichkeiten bewegt, und ich möchte betonen, daß es selbstverständlich ist, daß dieser Antrag gemäß §§ 35 ff. der Geschäftsordnung von dem Hohen Hause behandelt werden muß.
Ich möchte zur Begründung dieser Auffassung darauf hinweisen, daß sowohl das Grundgesetz als auch die Übung in Deutschland und außerhalb Deutschlands — wir haben es hier nur mit deutschen Verhältnissen zu tun — die Tatsache kennt, daß selbst eine Persönlichkeit vom Range des Bundespräsidenten bei etwaiger Anwendung des Artikel 61 des Grundgesetzes von seinem hohen Amte abberufen werden könnte und daß die Bestimmung in dem Artikel 67 des Grundgesetzes die Möglichkeit kennt, daß auch der Bundeskanzler ausgewechselt werden kann, und daß es somit angesichts der Tatsache, daß die Wahl des Präsidenten des Bundestags ein Akt des Vertrauens ist, ein Ding der Unmöglichkeit sein muß, nun auf der einmal vollzogenen Wahl stur zu beharren, wenn dieses Vertrauen von einer großen Fraktion nicht mehr geteilt werden kann.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß die Fraktion der SPD schon bei früherer Gelegenheit klipp und klar zum Ausdruck gebracht hat, daß sie leider infolge der Geschäftsführung des Herrn Präsidenten das Vertrauen, das sie seinerzeit dazu bewog, auch ihre Stimme für die Wahl des Herrn Präsidenten des Bundestags abzugeben, nicht mehr besitzt und, nicht mehr besitzen kann, und wir erachten es als einen Akt der Selbstverständlichkeit, daß daraus die nötigen Konsequenzen gezogen werden.
Es wird darauf hingewiesen — das geschah bereits in der Presse —, daß ja im Deutschen Reichstag 1932 ein Vorgang, der dem von heute vergleichbar sei, zu verzeichnen gewesen sei. Damals haben die Nationalsozialisten mit Unterstützung des Herrn Abgeordneten Oberfohren von den Deutschnationalen die Abberufung des damaligen . Präsidenten des Reichstags, unseres Kollegen Herrn Löbe, verlangt. Das war ein politischer Akt; es war ein Ausfluß der politischen Kämpfe der damaligen Zeit. Unser Verlangen entbehrt jeder Art von politischer Würdigung, sondern stützt sich allein auf die sachlichen Ausstellungen in bezug auf die Amtsführung des Herrn Präsidenten Dr. Köhler. Das zu unterstreichen und in der sachlichen Diskussion, sofern sie zustande kommt, zu belegen, ist eine glatte Selbstverständlichkeit.
Meine Damen und Herren! Wir haben den Präsidenten nach der Geschäftsordnung auf vier Jahre gewählt. Man kannte im Deutschen Reichstag früher einmal eine Regelung, wonach der
Präsident alle halbe Jahre neu zu wählen war. Man kennt in anderen Ländern — ich verweise nur auf das Beispiel der Schweiz — die Wahl eines Präsidenten nur für die Dauer eines Jahres und hat so eine gewisse Sicherheit, seine Bewährung zu beurteilen, und die Möglichkeit, eventuell den gleichen Präsidenten neu zu wählen, was in der Schweiz sogar ausdrücklich verboten ist. Was uns veranlaßt, sind keine persönlichen und keine politischen Motive; es ist die Sorge um die objektive Handhabung der Ordnung in diesem Hause.
Wir haben eine ganze Reihe von Ausstellungen vorzubringen, Ausstellungen, die uns wegen des Schicksals dieses Hauses, wegen des Schicksals des demokratischen Parlamentarismus zutiefst bewegen, und ich glaube, daß das Hohe Haus sehr zum Nachteil des demokratischen Gedankens handeln würde, wenn es sich veranlaßt sehen wollte, einen Antrag abzulehnen, gegen den geschäftsordnungsmäßig nicht das Geringste einzuwenden ist; denn es gibt keine Bestimmung der Geschäftsordnung, die es verbietet, einen derartigen Antrag einzubringen. Ich glaube also daß das Hohe Haus dem Gedanken des freien Parlaments gar keinen Gefallen, sondern einen Bärendienst erweisen würde, wenn es sich darauf versteifen wollte, den Antrag einer Entscheidung durch das Parlament selbst zu entziehen.
Leider stehen nur 5 Minuten zur Verfügung, das zu begründen. Wenn das Haus den Antrag als unzulässig zurückweisen sollte, dann wird es Konsequenzen heraufbeschwören, über die man später wie in anderen Fällen sich nur mit Bedauern Rechenschaft wird ablegen können, aber dann, wenn es zu spät ist. Unser Antrag rechtfertigt sich aus den wiederholten Vorgängen und Vorfällen, an deren Wiege leider Ungeschicklichkeiten des Herrn Präsidenten -- ob gewollt oder ungewollt, sei ununtersucht — gestanden haben.
Ich bitte Sie namens meiner Fraktion, in klarer Abstimmung durch Ihren Entscheid zu erkennen zu geben, daß Sie gewillt sind, den Antrag zur sachlichen Behandlung zuzulassen und ihn dann auf die Tagesordnung einer der nächsten Sitzungen zu setzen oder, wenn Sie das nicht wollen, dann mindestens von der Bestimmung des § 119 der Geschäftsordnung Gebrauch zu machen, der sagt:
Eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Auslegung einer Vorschrift der Geschäftsordnung kann nur der Bundestag beschließen, und zwar nur auf Antrag und nach Prüfung durch den Geschäftsordnungsausschuß.
Es handelt sich hier um eine Situation, auf die sich § 119 der Geschäftsordnung deswegen zu Recht anwenden läßt, weil in der Tat keine Bestimmung vorhanden ist, die einen Präsidenten einladen kann, freiwillig zurückzutreten. Er ist auf vier Jahre gewählt. Wenn aber das Vertrauen weiter Teile des Hohen Hauses zu der Amtsführung des Herrn Präsidenten erschüttert ist, dann ist im Interesse einer sachlichen Fortführung der Geschäfte Veranlassung gegeben, mindestens durch den Geschäftsordnungsausschuß die Voraussetzungen nachprüfen zu las-
sen und eine Entscheidung des Hohen Hauses einzuholen.