Meine Damen und Herren! Ich will den Appell, den Herr Kollege Greve an die Mitte gerichtet hat, aufnehmen und will versuchen, mit all dem Ernst, der dieser Sache geziemt, ihm zu antworten.
Ich habe es bedauert, daß der Herr Kollege Donhauser den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung gestellt hat; nicht etwa deswegen, weil wir nicht eine ganze Reihe von Bedenken, die er hat, teilen. Wir tun das! Ja wir können uns durchaus nicht. vorstellen, daß wir zu einem Gesetz in dieser Form und mit diesem Inhalt ja sagen könnten. Aber wir halten es für wenig klug, bei einer so wichtigen Materie den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung zu stellen. Dazu sind uns die Dinge, um die es hier geht, zu ernst. Wer haben in den Ausschüssen — im Ausschuß zum Schutze der Verfassung und im Rechtsausschuß — Gelegenheit, die Fragen in aller Ruhe, sachlich und nüchtern, zu behandeln. Ich will daher heute Abstand nehmen, wozu jetzt Gelegenheit wäre, im einzelnen zu dem Inhalt dieses Gesetzes Stellung zu nehmen. Wir werden genügend Zeit haben, das zu tun.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir aber bei dieser Gelegenheit im Namen meiner Freunde nur einige grundsätzliche Bemerkungen. Wenn man über den Schutz der Demokratie spricht, dann sollte man doch wohl im Auge haben, daß alle diejenigen in diesem Hause, denen es mit Demokratie ernst ist, durch eine derartige Rede nicht etwa auseinandergerissen, sondern zusammengeführt werden.
Das Wort Demokratie ist vielleicht das meist mißbrauchte Wort unserer Zeit. Ich kann das Wort Demokratie im Sinne einer sozialistischen Demokratie verstehen, wie es unsere Freunde von der Sozialdemokratie tun. Ich kann das Wort Demokratie im Sinne einer liberalen Demokratie verstehen, wie es andere demokratische Freunde in diesem Hause tun. Von denen, die das Wort Demokratie, um ja Glauben zu finden, mit der Tautologie Volksdemokratie belegen, will ich in diesem Zusammenhang schamhaft schweigen.
— Ich habe keine Angst, o nein!
— Demokratie für alle, die die Freiheit wollen, mein Lieber!
Diese Demokratie sieht also in den verschiedenen Köpfen recht verschieden aus. Eine der größten Aufgaben, die wir haben, ist, daß wir uns auf unser demokratisches ideologisches Existenzminimum besinnen, auf das nämlich, was uns gemeinsam ist. Man sollte in einer Rede über die Demokratie nun nicht die Konzeption der sozialistischen Demokratie in den Vordergrund stellen, wenn man Freunde gewinnen will, sondern man sollte in einer Rede zum Schutze dieser Demokratie jenes ideologische Existenzminimum herstellen, das wirklich das erzeugt, was die wirklichen Freunde der Demokratie in diesem Hause wollen, nämlich die begeisterte Zustimmung aller Freunde der Demokratie.
Und dies hat mein verehrter Herr Kollege leider nicht getan. Der bayerische Löwe hat mit Recht gebrummt
— oder gebrüllt —, als ihm vorgeworfen wurde, daß ausgerechnet er nicht mit einem Tropfen demokratischen Öls gesalbt sei; ja, es ist ihm sogar Schlimmeres vorgeworfen worden.
— Ich bin zufrieden, daß Sie mit den historischen
Vergleichen beim 19. Jahrhundert geblieben sind.
Meine Damen und Herren, zu diesem ideologischen Existenzminimum ein paar Worte. Es ist eine Banalität, zu sagen, daß es eines wirksamen Schutzes — ich stimme Ihnen da zu, Herr Kollege Greve —, eines offensiven Schutzes der Demokratie bedarf. Wir sind uns darüber einig, daß man ebensowenig -- um das Wort des Herrn Talleyrand zu wiederholen —, wie man auf Balonettspitzen sitzen kann, sich auf die scharfen Zacken eines Stacheldrahtes von Strafbestimmungen stützen kann, der diese arme Demokratie beschirmen soll. Das wissen wir alle.
Aber wir wissen auch ein weiteres: Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert, wir teilen nicht mehr den Glauben jener Welt, in der mein verehrter Landsmann Friedrich Theodor Vischer einmal gesagt hat, das Moralische, auch im politischen Raum, verstehe sich von selbst.
Leider, meine Damen und Herren: das Moralische, im politischen Raum zumal, versteht sich gar nicht mehr von selbst.
In der Vergangenheit haben wir Dinge erlebt, von denen man fast nicht sprechen will, weil man glaubt, daß man in ein Pathos hineinkommen könnte, das unecht wirken könnte. Wir haben Dinge erlebt, die uns heute noch die brennende Scham ins Herz treiben, den tiefen Schmerz, die tiefe Trauer! Und wenn es heute in deutschen Landen wieder Menschen gibt, die, wenn es wahr ist, über dieses vergangene System urteilend, glauben sagen zu können: „Die Judenfrage wurde nicht glücklich gelöst!" — jene Frage, bei der es sich darum handelt, daß Millionen Unschuldiger in diesem Volk gemordet wurden —, dann allerdings heißt es: Alarm!
Wir werden uns von niemandem vorwerfen
lassen, daß wir diese Gefahrensignale nicht sehen.
Wir glauben nicht mehr an den guten Menschen. Wir sind keine Jünger Jean Jaques Rousseaus,
wenigstens wir christlichen Demokraten nicht, und ich hoffe, eine große Reihe unserer Freunde nicht. Wir wissen, was der Mensch ist. Wir wissen, daß er eben nicht der ist, mit dem man ein irdisches Paradies bauen kann, wie Sie drüben, die Besten von Ihnen, vielleicht meinen, jene klassenlose Gesellschaft, in der, wenn wir nur einmal eine Konservendosenkultur haben, alle Dinge friedlich geschlichtet sein werden. O nein, die Technik löst diese Dinge nicht! Wir leben nicht mehr in jener optimistischen Zeit, und daher wissen wir, daß das „Laisser faire, laisser aller" auch in Staatsschutzdingen nicht mehr gilt, daß in der Tat der Staat sich bewaffnen, daß er eine starke Wehr haben muß.
-- Das ist kein Klassenstaat, der sich um seine Freiheit wehrt!
Wenn wir also wissen, daß wir uns wehren müssen, und wenn wir diese Wehr wollen, dann wissen wir aber auch zu gleicher Zeit, daß diese Wehr nur am Rande in strafrechtlichen Bestimmungen bestehen kann.
Nun sage ich ein ernstes Wort: Ich will den großen Gegensatz zwischen der positivistischen Rechtsauffassung und der naturrechtlichen Rechtsauffassung hier nicht aufreissen; aber ich möchte Sie darauf hinweisen, daß wir es uns nicht leisten können, nur von dem Gedanken der Abschreckung her Recht zu schaffen. Unser Recht gründet sich im ewigen Recht, das unabänderlich ist. Und nur an der Ausrichtung an diesem ewigen Recht wird auch das, was wir zum Staatsschutz an Recht schaffen, Gültigkeit haben; dort wird es gewogen und geprüft werden.
Dazu, meine Damen und Herren, brauchen wir eine gewisse Zeit. Ich weiß, was Sie mir sagen wollen. Aber verfrühte, allzu flüchtige Arbeit auf diesem Gebiet wäre vielleicht ebenso verhängnisvoll, wie es verhängnisvoll wäre, wenn man eine solche Arbeit unterließe. Im übrigen wissen wir, daß der wirkliche Kampf um diesen Staat, um diese Demokratie durch andere Dinge entschieden wird, und darum möchte ich das Wort des Herrn Justizministers aufgreifen : Wir wollen den Teufel nicht unnötig an die Wand malen. Den Herren, die da in deutschen Landen herumreisen mit den verstaubten Parolen eines überlebten Nationalismus, die versuchen, der jungen deutschen Generation — und sie geht bis in die vierziger Jahre hinein — Zukunftsparolen zu geben, den Herren wird diese Jugend nicht nachlaufen. Davon bin ich überzeugt!
Wenn diese junge Generation sich bis jetzt vom Staat und von den öffentlichen Dingen vielleicht zurückgehalten hat, wenn sie sich noch nicht in breiten Zügen in diesen Staat hat einbeziehen lassen, dann hat sie das aus anderen Gründen getan: dann hat sie es getan, weil sie enttäuscht worden ist, weil sie, die Mißbrauchten, zunächst nicht wieder wagten, sofort ihr ganzes Herz — das ist doch nun einmal die Haltung der Jungen — für eine Sache zu geben, deren Parole sie noch nicht sehen. Vielleicht halten wir selbst ein- mal Gewissenforschung im eigenen Herzen, ob wir, die Vertreter, die Repräsentanten, wenn Sie so wollen, die Führer dieser neuen Demokratie schon das Wort gesprochen haben, jenes Wort, auf das diese junge Generation wartet, die junge Generation, die opfern will, die Zucht will, die Ordnung will, die aber keine Despotie mehr will. Ich glaube, wir haben dies Wort noch nicht gefunden. Und in diesen kommenden Jahren sollte unser aller Anstrengung mehr und mehr sein, neben der Tat, neben der Leistung auch das werbende Wort zu finden.
Es gibt eine Ordnung der sozialen Welt, die nicht nur Ihrer Konzeption, Herr Kollege Greve, entspricht. Und nicht nur Sie vertreten die Arbeitermassen, auch in unseren Reihen stehen sie. Nur haben wir den Vorzug, daß in unseren Reihen sie alle stehen, vom Arbeitgeber bis zum Arbeitnehmer. Deswegen glauben wir eine Union des 20. Jahrhunderts zu sein, und die Freunde,
die uns unterstützen, glauben eine Sache des 20. Jahrhunderts zu unterstützen.
Das ist keine Interessenvertretung mehr, das ist keine Klassenvertretung mehr, sondern das ist wirklich der Versuch, einmal etwas Neues zu schaffen.
— Ach, diese ewigen Vergleiche sind langweilig. Ich könnte andere Vergleiche mit Ihnen anstellen. --- Vielleicht fällt dem 20. Jahrhundert auch einmal etwas N es ein. Wir kämpfen nicht für Kleinigkeiten, MT Rankenwerk, für Beiwerk. Dieses Grundgesetz ist ein Anfang. Wir kämpfen um das Grundsätzliche der Demokratie, und ich darf es an dieser Stelle wiederholen: Demokratie als Absolutum, ohne die Fundamente des Rechts, ist eine Barbarei!
Wenn wir von Demokratie sprechen, dann meinen wir damit stets die rechtsstaatliche Demokratie. Für sie zu kämpfen, für sie uns einzusetzen und für sie die adäquaten Schutzmittel zu finden, das soll unsere Aufgabe sein.
Ich beantrage namens meiner Freunde, die Vorlage der SPD federführend an den Ausschuß zum Schutze der Verfassung und gleichzeitig an den Rechtsausschuß zu verweisen, damit sie dort zusammen -- hoffentlich -- mit dem Regierungsentwurf, den wir in der Konzeption, nämlich bezüglich des Einbaus dieser Bestimmungen in das Strafgesetzbuch, bejahen, beraten werden kann.