Rede von
Dr.
Erich
Köhler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, wird das Wort weiter gewünscht? -- Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache der zweiten Beratung.
Ich rufe zunächst § 1 in der Fassung der Drucksache Nr. 702 auf. Es ist der Abänderungsantrag gestellt, die Geltungsdauer bis zum 30. September 1950 zu verlängern. Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich danke und bitte um die Gegenprobe. — Das letztere war die Mehrheit. Damit ist der Abänderungsantrag abgelehnt.
Wer für § 1 in der Fassung der Drucksache Nr. 702 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich danke und bitte um die Gegenprobe. -Das erste war eindeutig die Mehrheit. Der § 1 ist angenommen.
Ich rufe § 2 auf. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich danke und bitte um die Gegenprobe. — Der § 2 ist fast einstimmig angenommen.
Wer für die Einleitung und die Überschrift ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich danke und bitte um die Gegenprobe. — Fast einstimmig angenommen.
Damit ist das Gesetz in zweiter Lesung verabschiedet. Ich eröffne entsprechend dem vorhin gegebenen Einverständnis des Hauses die
dritte Beratung.
Wir kommen zur Aussprache der dritten Beratung. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache der dritten Beratung.
Wer für das Gesetz auf Drucksache Nr. 702 in der soeben in zweiter Lesung angenommenen Fassung im Ganzen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich danke und bitte um die Gegenprobe. — Das Gesetz ist mit eindeutiger Mehrheit angenommen. Damit haben wir diesen neu aufgenommenen Punkt der Tagesordnung erledigt.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Antrag des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 9. Januar 1950 betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Marx .
Der Herr Berichterstatter ist aus dienstlichen Gründen im Augenblick nicht da, wie es auch zu Punkt 8 der Tagesordnung der Fall war. Ich schlage vor, den Punkt 7 zurückzustellen. Den Punkt 8 hatten wir bereits abgesetzt.
Wir kommen damit zu Punkt 9 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Verhaftung des Landtagsabgeordneten Lehmann .
Ich möchte ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß dazu inzwischen ein Abänderungsantrag der Fraktion der SPD eingegangen ist, der als Drucksache Nr. 707 verteilt worden ist.
Wir haben zu Punkt 9 im Ältestenrat zur Begründung durch den Antragsteller eine Redezeit von 8 Minuten und dann die Überweisung an den Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität vorgesehen. Wer von den Herren Antragstellern wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Kurt Müller!
Kurt Müller , -Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor acht Tagen, auf der letzten Sitzung des Bundestags fühlte sich der Herr Bundeskanzler bemüßigt, auf die undemokratischen Verhältnisse und Zustände an der Saar hinzuweisen. Für mich besteht heute Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß die vom Herrn Bundeskanzler gekennzeichneten Zustände in ganz Westdeutschland herrschen.
In der vorliegenden Materie kann man heute N leider nur zu der Frage der Immunität deutscher Abgeordneter und deutscher Parlamente Stellung nehmen. Es handelt sich um einen konkreten Fall. Am 6. März dieses Jahres drang unter Verletzung der Würde und der Immunität des Niedersächsischen Landtags britische Militärpolizei in den Landtag ein, begleitet von deutschen Kriminalbeamten, um den niedersächsischen Landtagsabgeordneten Robert Lehmann zu verhaften. Lehmann wurde im Hause des Landtags verhaftet und mit Gewalt aus dem Landtag geschleppt.
Die Verhaftung erfolgte, weil Lehmann an der Herausgabe eines Flugblattes beteiligt sein soll, das sich gegen die Demontage in WatenstedtSalzgitter wendet. Faktisch -hat Lehmann, selbst wenn er für dieses Flugblatt verantwortlich sein sollte, das getan und die Meinung vertreten, die heute alle Deutschen vertreten, die sich gegen diese widersinnige Demontage wenden.
Dieser Willkürakt der britischen Besatzungsmacht und ihrer Polizei ist ein glatter Rechtsbruch, ein Bruch der Immunität. Denn in der Notverfassung des Niedersächsischen Landtags vom Jahre 1947 ist die Immunität ausdrücklich festgelegt, vom Gebietsbeauftragten dieses Landes sanktioniert und unterschrieben. Ich weise darauf hin, daß das Recht auf Immunität ebenfalls im Grundgesetz verankert ist. Dieses Grundgesetz ist nicht nur von den damaligen Militärgouverneuren unterschrieben worden, sondern nach dem Besatzungsstatut sind die Hohen Kommissare ausdrücklich verpflichtet, das Grundgesetz
einzuhalten und zu achten. Die Vorkommnisse im Niedersächsischen Landtag zeigen also deutlich, daß die im Grundgesetz festgelegten Maßnahmen, soweit darin von demokratischen Rechten des Volkes gesprochen wird, nur auf dem Papier stehen.
Bezeichnend ist, daß vor wenigen Tagen, als in Hannover der Demontagestop-Prozeß stattfand, dort die Frage des Rechtes behandelt wurde und daß der Richter in diesem Prozeß folgendes erklärte: Hier gibt es kein deutsches Recht; was Recht ist, bestimme ich!
Der Bruch der Immunität im Niedersächsischen Landtag und der Demontagestop-Prozeß in Hannover zeigen deutlich, daß es in Westdeutschland kein deutsches Recht gibt, sondern ein Besatzungsrecht, und daß nach einem Kolonialrecht regiert wird. Der Niedersächsische Landtag hat in einer Stellungnahme eindeutig gegen diesen Rechtsbruch durch die britische Militärpolizei Stellung genommen. Er übermittelte dem britischen Unterhaus einen einstimmig angenommenen Protest. -
Meine Damen und Herren! Der Bundestag beschäftigte sich in der 29. Sitzung im Januar 1950 bereits mit der Frage der Immunität. Damals, in dieser genannten Sitzung, beschloß der Bundestag, die Bundesregierung zu beauftragen, bei der Alliierten Hohen Kommission zu erwirken, daß die Immunität der Mitglieder der Landtage und des Deutschen Bundestags von den Behörden der Besatzungsmächte beachtet wird. Das ist
der Beschluß dieses Hauses. Aber leider muß ich feststellen, daß die Bundesregierung diesen Auftrag nicht ausgeführt hat.
Wie soll man das auffassen? Das kann man nur so auffassen, daß die Bundesregierung auch in diesem Fall die Handlung der Militärregierung und der Militärpolizei, den Rechtsbruch der Besatzungsmächte deckt.
Mancher der Damen und Herren schenkt dem Fall des Bruchs der Immunität im Falle Lehmann wenig Beachtung. Es gibt solche Stimmen: Es handelt sich ja um einen Kommunisten! Diesen Damen und Herren möchte ich mit einem Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung" antworten. Diese Zeitung schrieb:
Morgen können genau so Nichtkommunisten an der Reihe sein. Außerdem: das Recht ist unteilbar, und Kommunisten sind nicht Staatsbürger zweiter Klasse.
In der Tat, meine Damen und Herren, als wir in der genannten Sitzung des Bundestags zum Prozeß gegen die „Niedersächsische Volksstimme" Stellung nahmen, wußten wir noch nicht, daß dieser Presseprozeß die Einleitung für weitere Presseprozesse war. Heute ist mir bekannt, daß gegen ein rein bürgerliches Unternehmen in Detmold ebenfalls ein Prozeß von demselben Staatsanwalt in denselben Fragen auf Grund desselben Gesetzes der Hohen Kommissare — Nr. 5 — angestrengt wird. Am ,13. März 1950 hat das Obergericht in Hannover den Verfasser des Flugblattes „Fünf Minuten vor zwölf", das sich mit der Demontage in Watenstedt -Salzgitter beschäftigt.
und den Chefredakteur der „Neuen Volkszeitung" verurteilt. Die Rotationsmaschine der Druckerei wurde beschlagnahmt.
Man plant also nicht nur in diesem Fall, wie das Beispiel Detmold zeigt, sondern auch in anderen Fällen mit solchen Maßnahmen vorzugehen, die deutschen Gesetzen entgegenstehen. Man achtet das deutsche Recht nicht, man bricht es, weil man nach Kolonialmethoden regiert.
Wir bitten Sie, sich gegen diese Praxis zu wenden, deshalb unserem Antrag zuzustimmen und damit gegen den Bruch der Immunität durch die Besatzungspolizei Stellung zu nehmen und mit uns für die Freilassung des Abgeordneten Lehmann zu kämpfen.