Rede von
Helene
Wessel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Herren und Damen! Ich möchte zu dem Antrag der SPD auf Drucksache Nr. 563 im Auftrag der Zentrumsfraktion einige grundsätzliche Ausführungen machen. Ich möchte mich dabei nicht irgendwie in die Auseinandersetzungen einmischen, in die meine beiden Herren Vorredner gekommen sind. Der uns vorliegende Gesetzentwurf gegen die Feinde der Demokratie zeigt allgemein — darin sind wir uns wohl in diesem Hohen Hause einig — die Sorge, daß Deutschland vor Entwicklungen bewahrt bleiben muß, die die Weimarer Republik nicht verhindert hat. Es liegt nun einmal im politischen Charakter des deutschen Volkes — ob wir nun links oder rechts oder in der Mitte stehen —, daß die Versuchung, andere zu täuschen, nicht so groß ist als diejenige, sich selbst zu täuschen. Ich glaube, in keinem anderen Lande der Welt wäre es nach den furchtbaren Erlebnissen des Nationalsozialismus überhaupt möglich, daß eine nationalistische Propaganda, mag sie von rechts oder von links kommen, wieder das Volk bedrohen könnte. In keinem anderen Lande der Welt, glaube ich, würde auch die Presse von dem Gebaren ehrgeiziger, unbelehrbarer Wichtigtuer, die sich auf der politischen Bühne produzieren, eine solche Kenntnis nehmen, wie es bei uns der Fall ist.
Wer wird da nicht an die Worte eines Hegel erinnert, die gerade für uns Deutsche geschrieben zu sein scheinen: die Geschichte beweise, daß die Völker aus der Geschichte nichts lernen. Und wer
sich umschaut, der entdeckt doch immer wieder mit Schrecken, wieviel Gestriges, ja Vorgestriges, möchte ich sagen, im politischen Leben Deutschlands zu finden ist und wieviele Deutsche sich doch durch ein kurzes Gedächtnis auszeichnen und nichts, rein gar nichts aus den Erlebnissen der vergangenen 17 Jahre gelernt haben. Deswegen scheint es uns schon notwendig zu sein, die Demokratie mit rechtsstaatlichen Mitteln zu sichern, ein Gesetz gegen Entartung der Politik zu schaffen. Wir wollen nicht ein zweites Mal die deutsche Republik zugrunde gehen lassen an dem Mangel der Demokraten, letzte Verteidigungsbereitschaft zu zeigen.
Trotzdem bedauern wir, daß es überhaupt zu einem solchen Gesetz kommen muß, daß hier der Prüfstein für die Demokratie liegt und strafrechtliche Bestimmungen zur Sicherung des demokratischen Lebens überhaupt notwendig sind. Es wäre auch gefährlich, zu glauben, daß einzig durch ein Gesetz alle gegen die Demokratie gerichteten Handlungen unterbunden werden könnten. Auch die Weimarer Republik hatte bekanntlich ein Gesetz zu ihrem Schutz. Es hat aber den Zusammenbruch nicht verhindert, weil von den Richtern nicht selten unter Berufung auf das Recht krasses Unrecht gesprochen wurde. So konnte man sogar einen Friedrich Ebert des Landesverrats bezichtigen. Das Gegenteil davon haben wir allerdings beim Fall Hedler erlebt.
Nachdem nun die Diskussion über den Rechtsschutz des Staates in Gang gekommen ist, scheint für uns die Frage im Vordergrund zu stehen, ob die strafrechtlichen Bestimmungen, die zum Schutze der Demokratie als notwendig erachtet werden, in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden sollen oder ob man es in Form von Sondergesetzen machen soll. In Abweichung von den Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers sind meine politischen Freunde und ich der Überzeugung, daß die neuen Strafbestimmungen, die sich aus dem Grundgesetz ergeben wir denken hier in erster Linie an die Bestrafung von Handlungen zur Vorbereitung des Angriffskrieges —, selbstverständlich in das Strafgesetzbuch hineingearbeitet werden . müssen. Wir begrüßen es — der Herr Justizminister hat es hier bestätigt --, daß von seiten der Regierung Bestimmungen zum persönlichen Schutz, zum Ehrenschutz vorbereitet werden, die ebenfalls Gegenstand einer Reform des Strafgesetzbuches sein dürften. Denn neben der Sicherung der Demokratie scheint es uns vor allem aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit notwendig zu sein, dafür zu sorgen, daß die in der vorderen Linie der Politik stehenden Männer und Frauen im Ansehen des Volkes nicht durch Verleumdungen verächtlich gemacht werden können.
Was aber über diese Bestimmungen im Strafgesetzbuch hinaus zum Schutz der Demokratie
getan werden muß, sollte unseres Erachtens in-
Form von Sondergesetzen erlassen werden. Wir
legen schon heute größten Wert auf die Feststellung, daß wir so bald wie möglich wieder an einen
Abbau der Strafbestimmungen herangehen müssen,
die heute, da sich die Demokratie unter den denkbar ungünstigsten materiellen Voraussetzungen in
ihrem Anfangsstadium befindet, leider nicht zu
umgehen sind. Auf die Dauer ist es nicht
möglich, die Demokratie durch einen Paragraphenzaun zu schützen. Das kann nur für eine
Übergangszeit zweckmäßig sein. Wir wünschen aber auch deshalb Sondergesetze, weil wir die strafbaren Tatbestände so exakt definiert wissen wollen, daß sie von den Richtern nur in der der Demokratie nützlichen Weise ausgelegt werden können. Gesetze, die das tun, sind aber auf eine ganz bestimmte Zeit und ganz bestimmte Verhältnisse zugeschnitten und unterscheiden sich dadurch von dem dauernd gültigen Strafgesetzbuch.
Weiter legen wir Wert darauf, daß in Prozessen, die zum Schutz der Demokratie geführt werden, nicht nur Berufsjuristen die Urteilsfindung in der Hand haben. Wir halten es deshalb für richtig, daß die leichteren Fälle zum Beispiel vor den Schöffengerichten und die. schweren Fällen vor den Schwurgerichten abgeurteilt werden, um so auch den Nietjuristen die Möglichkeit der Urteilsfindung mit zu geben.
Meine Damen und Herren! Wenn heute Gesetze zum Schutze der Demokratie notwendig sind, so muß es unser aller Bestreben sein — ich darf das wohl auch in diesem Hohen Hause ausführen —, durch demokratisches Handeln und Verhalten die jetzt notwendigen Sondergesetze so bald wie möglich überflüssig zu machen. In erster Linie wird es, wenn die Demokratie überhaupt in unser Volk Eingang finden soll, auf positive Leistungen der Demokratie und ihrer Organe ankommen. Gesunde soziale und wirtschaftliche Verhältnisse sind die Grundvoraussetzungen dafür, daß radikalen Tendenzen wirksam entgegengetreten werden kann. Es ist ein völlig aussichtsloses Beginnen, die Demokratie erhalten zu wollen, falls die Organe der Demokratie vor den praktischen politischen Aufgaben versagen. Ich bin der Überzeugung, daß der die Demokraten beseelende Wille zu positiven Leistungen zum Schutze der Demokratie in Deutschland weit mehr zu vollbringen vermag und in der Tat auch vollbringen wird, als das Strafgesetzbuch tun kann.
Tatsächlich gibt es auch für den demokratischen Gedanken nichts Besseres als die Auseinandersetzung mit den radikalen Gruppen über die konkreten politischen Probleme, sofern diese Auseinandersetzungen in der Form echter Diskussion vor sich gehen.
Ich möchte darauf hinweisen, daß gerade hier im Bundestag solche Diskussionen geführt werden müssen und daß es grundfalsch ist, Abgeordnete, wie zum Beispiel Herrn Hedler oder Herrn Dorls, hier nicht zu Wort kommen zu lassen. .
Wenn der Herr Präsident mit den geschäftsordnungsmäßigen Mitteln unsachliche Diskussionen unterbindet und die Vertreter der radikalen Gruppen dazu zwingt, zur Sache zu sprechen, dann werden hier im Bundestag immer neue Beweise für die geistige Armut des Radikalismus geliefert werden.
Ich kann leider diese Anregung nicht zu einem Antrag formen, ich kann sie auch nicht in Gesetzesform kleiden; aber ich wollte nicht darauf verzichten, heute auf diese Art von Schlagfertigkeit hinzuweisen, mit der man die Rechts- und auch die Linksradikalen erledigen kann, ohne sich selbst dabei ins Unrecht zu setzen. Bisher hat der
Bundestag in dieser Beziehung versagt. Er hat es nicht verstanden, sich in den Mittelpunkt des politischen und öffentlichen Lebens unseres Volkes zu setzen, und ich meine, daß der Bundestag, wenn er Gesetze zum Schutz der Demokratie beschließen will, sich auch darüber klar werden muß, was er selbst zum Schutz der Demokratie tun kann.
Wenn die Zentrumsfraktion Vorgänge, wie sie sich am vergangenen Freitag um den Fall Hedler abgespielt haben, nicht für eine Stärkung des Ansehens des Bundestags hält, so hat das nichts mit irgendeiner Wertschätzung des Herrn Hedler zu tun. Aber wir halten jede Prügelei unter Abgeordneten für eine Gefahr für das Ansehen der Demokratie und ihrer Repräsentation.
Deshalb kann in diesem Hohen Hause die Notwendigkeit zum Maßhalten, zur Besonnenheit und zur Toleranz nicht genug betont werden, wenn unser politisches Leben trotz Staatsschutzgesetz nicht erneut entarten soll. Das, meine Damen und Herren, ist das beste Rezept, daß aus den Deutschen endlich Demokraten werden und wir die neue Demokratie ohne Strafgesetze in die Herzen der Deutschen verpflanzen können.