Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Gewaltregimes war es eine der selbstverständlichen ersten Pflichten, das Unrecht, das auf dem Gebiet der Strafrechtspflege den Opfern des Nationalsozialismus angetan worden ist, wiedergutzumachen. Entsprechend der damaligen staatsrechtlichen Struktur lag die Gesetzgebung im wesentlichen bei den Ländern. _Die Dinge sind verschieden gehandhabt worden. Der Herr Abgeordnete Zinn hat schon erwähnt, daß die britische Zone vorausging. Es war die merkwürdige Situation, daß die Oberlandesgerichtspräsidenten Gesetzgeber waren; sie haben Erlasse herausgegeben, durch die Straffreiheit gewährt wurde. Dann haben die Länder der amerikanischen Zone dieses Problem in eingehender Weise gesetzlich geklärt, insbesondere festgelegt, daß bestimmte politische Straftaten, durch die dem National-
ù Sozialismus oder dem Militarismus Widerstand geleistet wurde, nicht strafbar sind. Im übrigen wurde die Möglichkeit gegeben, Urteile der Sondergerichte, die übermäßig hart waren, auf ein angemessenes Maß zurückzuführen. Die französische Zone ist gefolgt, sie hat sich im wesentlichen dem Vorbild der Gesetzgebung der amerikanischen Zone angeschlossen. Man kann sagen: die Dinge sind praktisch erledigt. Es gab im einzelnen Nuancierungen: in der amerikanischen und britischen Zone erfolgte die Aufhebung der Urteile auf Grund der typischen Nazigesetze kraft Gesetzes; in der britischen Zone war der Antrag erforderlich; verschiedene Behandlung im Strafregister und ähnliche Nuancierungen, aber insgesamt ist zu sagen: dieses sehr trübe Kapitel des nationalsozialistischen Strafrechts ist abgeschlossen.
Deswegen verstehe ich zwar durchaus, daß der Herr Abgeordnete Zinn den Opfergeist beschworen hat, der hinter diesem formalen Gesetz liegt. Aber ich verstehe nicht, warum man mit dem Antrag auf ein Bundesgesetz die Dinge hervorholt. Nach meinen Feststellungen liegt bei den Ländern ein besonderes Bedürfnis, diese Fragen der Aufhebung des nationalsozialistischen Unrechts auf dem Gebiet der Strafrechtspflege jetzt auf der Bundesebene zu regeln, nicht vor. Denkbar, daß wegen des teilweise eingeführten An-tragrechtes noch Schwierigkeiten kommen könnten. Dem müßte man dann begegnen; daß man aber insgesamt die Materie jetzt von uns aus ordnet, halte ich nicht für veranlaßt, ganz ab- gesehen davon, daß der Entwurf, der im wesentlichen dem Vorbild der amerikanischen Zone nachgebildet ist, Mängel aufweisen würde, vieil
man anscheinend ein Gesetz aus dem Jahre 1947 — das Ergänzungsgesetz der amerikanischen Zone -- nicht berücksichtigt hat: die bedeutsame Frage der Fälle der Tateinheit zwischen politischen Straftaten und allgemein kriminellen Straftaten, auch das Problem der Gesetzeskonkurrenz, auch der Fall, daß übermäßig hohe Urteile von Sondergerichten herabgesetzt werden können, werden in diesem Entwurf nicht berücksichtigt.
-- Herr Dr. Arndt, Sie haben eine Diktion, die einem das Arbeiten hier zum Ekel werden läßt. So kann man doch nicht verhandeln.
Ich habe nicht das hohe Maß Ihrer Intelligenz geerbt, Herr Abgeordneter Arndt -- das Ist mein Schicksal aber ich habe vielleicht andere Qualitäten.
Die Dinge spitzen sich auf einen Antrag zu, der in dem Gesetzentwurf der Sozialdemokratischen Partei als das hohe Gedankengut des Herrn Abgeordneten Arndt dargestellt ist — Dinge, die schon in der Rechtslehre umkämpft worden sind und die in einem Gesetz zu ordnen ich für ausgeschlossen halte. Das ist der Antrag, daß im Gesetz festgelegt wird, daß aus Überzeugung geleisteter Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und gegen den Krieg nicht rechtswidrig sein soll; daß das Gesetz das festlegt --- eine überaus schwierige Frage! Es würde
viel zu weit führen, wenn wir diese Dinge in diesem Rahmen erörtern wollten. Die Probleme sind Ihnen wohl schon nahegebracht worden. Meine Damen und Herren, Sie haben doch die Fälle miterlebt, die in der Presse eingehend erörtert worden sind, daß zum Beispiel sich Deserteure gegen die Verhaftung gewehrt und auf der Flucht den Wachmann körperlich schwer verletzt oder erschossen haben. Frage: war sein Verhalten rechtswidrig oder nicht?
Das Oberlandesgericht in Kiel hat diese Frage verneint. Ich will auf die Dinge nicht eingehen, ich will mich nur auf einen Mann beziehen, der, glaube ich, auch bei Herrn Kollegen Arndt Ansehen genießt.
-- Jetzt repliziere ich mit den Worten des Herrn
Arndt: Ich glaube nicht, daß Sie das verstehen!
Es ist das schwere Problem, daß man selbstverständlich feststellen muß, daß ein Teil der nationalsozialistischen Gesetzgebung Unrecht war
und daß der Widerstand gegen diese Bestimmungen zweifellos rechtmäßig und nicht rechtswidrig
war. Aber die Frage, ob man diese Wertung so
weit spannen kann, wie es der Gesetzentwurf
will, ob man sie nicht auf das Unrechtsgut bestimmter Gesetze abstellen muß, kann ich nicht
besser beantworten, als es Radbruch zusammengefaßt hat. Vielleicht darf ich Ihnen die paar
Worte -- nicht zur Klärung, sondern nur zur
Beleuchtung des Problems --- verlesen; er sagt: Wir sind der Meinung, daß es nach zwölf Jahren Verleugnung der Rechtssicherheit mehr als je notwendig ist, sich durch juristische Erwägungen gegen die Versuchungen zu wappnen, welche sich begreiflicherweise für jeden, der zwölf Jahre der Gefährdung und Bedrückung durchlebt hat, leicht ergeben können. Wir haben die Gerechtigkeit zu suchen, zugleich die Rechtssicherheit zu beachten, da sie selber ein Teil der Gerechtigkeit ist, und einen Rechtsstaat wieder aufzubauen, der beiden Gedanken -- der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit -- nach Möglichkeit Genüge zu tun hat. Demokratie ist gewiß ein preisenswertes Gut, Rechtsstaat aber ist wie das tägliche Brot, wie Wasser zum Trinken und wie Luft zum Atmen, und das Beste an der Demokratie gerade dieses, daß nur sie geeignet ist, den Rechtsstaat zu sichern.
Damit ist das Problem angeschnitten.
Es ist zweifellos richtig, was der Abgeordnete Zinn gesagt hat; aber es ist nach meiner Überzeugung unmöglich, die Konsequenz zu ziehen, daß wir von Gesetzes wegen sagen, daß allgemein bestimmte Handlungen, wenn sie aus Überzeugung gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft oder gegen den Krieg begangen wurden, rechtmäßig seien. Dadurch würden wir das ganze Gefüge unserer Rechtsordnung nach meiner Auffassung - nicht erschüttern, das ist zuviel gesagt, aber immerhin in gewissem Umfange gefährden.
Also zusammenfassend: ich bin der Ansicht, daß kein Anlaß besteht, diese Materie vom Bund aus gesetzlich neu zu klären: Wenn wider Er-
Deutscher Bundestang - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1950 1613
warten wirklich noch Schwierigkeiten auftreten, ist immer noch Zeit dazu.
Jetzt erscheint mir der Entwurf als ein Vorstoß aus mehr oder minder politischen Gründen.