Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind alle einig darin, daß das Unrecht, das die vergangenen zwölf Jahre — das Nazisystem — angerichtet haben, so weit wiedergutgemacht werden muß, wie unser Volk dazu überhaupt in der Lage ist. Die Frage ist nur die, ob gerade auf dem speziellen Gebiet, das heute hier zur Debatte steht, noch ein zwingender Anlaß dafür besteht, das auf der Bundesebene zu tun. Der Herr Justizminister hat uns soeben schon dargelegt, daß er der Meinung ist, daß das nicht notwendig sei, da mehr oder weniger übereinstimmend in allen Ländern bereits derartige Gesetze erlassen worden sind und daß die wesentlichsten — ja, ich möchte sagen, wahrscheinlich die meisten — Fälle, die übergroße Zahl der Fälle in irgendeiner Form schon erledigt worden sind. Grundlage dieser gesamten Gesetzgebung der Länder war damals die Proklamation Nr. 3 des Alliierten Kontrollrats vom 20. Oktober 1945, die in Artikel 2 Ziffer 5 lautete: „Verurteilungen, die unter dem Hitler-Regime aus politischen, rassischen und religiösen Gründen erfolgten, müssen aufgehoben werden." Das ist, wie gesagt, in den meisten Ländern geschehen und ist auch, was die materielle Regelung anlangt, mehr oder weniger übereinstimmend geschehen, nur ist man in den einzelnen Ländern, was die Beseitigung dieser Urteile im Strafregister betrifft, teilweise verschiedene Wege gegangen. In einzelnen Ländern wurde ohne weiteres gelöscht; in anderen wurde vermerkt. daß das Urteil aufgehoben sei. Man ist da nicht den Schritt gegangen, zu löschen, und zwar nicht etwa, weil man die Strafregistereintragung bestehen lassen wollte, sondern gerade, um diesen Opfern des Nationalsozialismus zu helfen, indem man für alle Zeit einen unwiderleglichen Beweis, nämlich ihre Verurteilung aus politischen Gründen, im Strafregister bestehen ließ.
Ich bin also mit dem Herrn Justizminister der Auffassung, daß eine zwingende Notwendigkeit zur Regelung dieser Materie auf der Bundesebene zur Zeit nicht gegeben ist. Aber wenn man eine andere Meinung vertritt wie die Herren Antragsteller, die da glauben, daß, da die Fristen abgelaufen seien und der eine oder andere Fall nicht mehr aufgegriffen werden könnte und da ferner die Unterschiede in den Länderregelungen so erheblich seien, daß das nun endlich bundeseinheitlich geregelt werden müßte, die Notwendigkeit eines derartigen Gesetzes zu bejahen ist. dann möchte ich mich doch grundsätzlich mit dem Problem dieses Gesetzes auseinandersetzen.
Ich habe schon gesagt, daß jeder unter uns einsieht, daß nationalsozialistisches Unrecht gutgemacht werden muß. Ich kenne die Praxis des Nationalsozialismus. Ich hatte niemals mit ihm zu tun, sondern ich stand als Jurist immer im Kampf mit ihm. Ich war einer der letzten Anwälte in Oberhessen, die es überhaupt wagten, vor dem Sondergericht in Darmstadt zu verteidigen. Ich weiß also, was der Nationalsozialismus teilweise begangen hat.
-- Was der Nationalsozialismus überhaupt begangen hat, auch auf diesem Gebiet! Man kann mir nicht sagen, ich wolle eine Lanze für ihn brechen, wenn ich mich jetzt kritisch zu dem Entwurf der SPD einstelle, und zwar kritisch, gerade was das Grundproblem anlangt. Ich bin aber mit dem Herrn Justizminister der Meinung, daß es der Klärung eines Rechtsproblems nicht dient, Herr Kollege Arndt, wenn man sich gegenseitig in gehässiger Weise anpflaumt oder anzupflaumen versucht, sondern ich bin im Gegenteil der Auffassung, daß man derart schwere Rechtsprobleme namentlich unter Juristen nur in absolut sachlicher Weise erörtern sollte.