Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf wirft schwere, ja schwierigste Rechtsprobleme auf, Probleme, die in der kurzen Zeit von 10 Minuten nicht erschöpfend behandelt werden können. Jeder, der die Zeit des nationalsozialistischen Regimes bewußt miterlebt hat, weiß, daß die Justiz in zunehmendem Maße durch das System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gelenkt worden ist, weiß, daß Gesetze gemacht worden sind, deren Inhalt teilweise als Unrecht empfunden werden muß, und daß auf Grund dieser Gesetze Urteile ergangen sind, die nicht anders denn als Fehlurteile bezeichnet werden können. Wir sind daher mit den Antragstellern darin einer Meinung, daß Unrecht, das mit dem Erlaß solcher Strafurteile begangen worden ist, der Wiedergutmachung bedarf.
Auch ich bin der Auffassung, daß diejenigen, die aus Überzeugung Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistet haben, damit nicht rechtswidrige Handlungen begangen ha- ben. Es ist aber die Frage, ob es tunlich und zweckmäßig ist, diesen lapidaren Grundsatz im ersten Paragraphen dieses Gesetzes zu verankern. Die Überzeugung vom Ausschluß der Rechtswidrigkeit kann nach unserer Auffassung nur aus den Grundsätzen des Naturrechts hergeleitet werden, zu denen sich die Bundesrepublik Deutschland im ersten Artikel ihres Grundgesetzes bekannt hat.
Nur deshalb nämlich waren diese Handlungen damals schon nicht rechtswidrig, weil auch damals schon die unveräußerlichen Grundsätze des Naturrechts gegolten haben,
die auch heute noch in der gleichen Weise gelten.
Meines Erachtens aber ist es unmöglich und nicht tunlich, diesen Grundsatz im Wege einer nur positivistischen Gesetzgebung begründen zu wollen. Lassen Sie mich das veranschaulichen durch den Hinweis auf einen Vorgang, von dem wir heute durch einen ungeheuren Abgrund getrennt sind. Das nationalsozialistische Regime hat durch ein Gesetz vom 3. Juli 1934 den Versuch gemacht, Handlungen nachträglich als angebliche Notwehrhandlungen für Rechtens zu erklären, die gegen die Strafgesetze auch des damaligen nationalsozialistischen Reiches in flagranter Weise verstoßen haben. Hier haben wir ein Beispiel dafür, daß der damalige Staat in positivistischer Weise versucht hat, seine Gesetzgebungsbefugnisse zu mißbrauchen und Handlungen für nicht rechtswidrig zu erklären, die nach unserer festen Überzeugung, die nach den damaligen Strafgesetzen und den Grund- sätzen des Naturrechts flagrante Verletzungen gewesen sind.
Darum kann der Grundsatz, den ich mit den Herren Antragstellern teile, nicht daraus hergeleitet werden, daß, nachdem das Reich der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft sein Ende gefunden hat und nunmehr ein neuer Staat gegründet worden ist, diesem Staat die Aufgabe obliege, neue Tafeln der Werte aufzurichten und alte Vorgänge unter neuen Gesichtspunkten zu werten. Nein, es ist so, daß wir durch die Anerkennung dieses Grundsatzes nur das anerkennen, was wir immer gewußt und immer geglaubt haben, und daß wir die Handlungen, die heute als nicht rechtswidrig erklärt werden sollen, schon damals als nicht rechtswidrig empfunden haben. Nur die naturrechtliche Grundlage schafft meines Erachtens den moralischen, aber auch den rechtlichen Boden für die Begründung dieses Gesetzes.
Nun kann man den Weg dieses Gesetzes auf zweierlei Weise beschreiten. Man kann versuchen, die Rechtsüberzeugung in lapidarer Form so zum Ausdruck zu bringen, wie es in § 1 erfolgt ist. Man kann auch den anderen Weg beschreiten und sich mit der faktischen oder praktischen Aufhebung des begangenen Unrechts bescheiden.
Ich möchte den Beratungen des Rechtsausschusses nicht vorgreifen. Ich möchte lediglich sagen, daß gegen die Formulierung dieses Grundsatzes im Gesetze selbst vor allem das eine Bedenken besteht, daß die Rechtswidrigkeit ja nicht nur ihren materiellen, sondern auch ihren formellen Charakter hat und daß dieser Grundsatz sich ja offensichtlich auf die materielle Rechtswidrigkeit, nicht aber auf die formelle Rechtswidrigkeit erstrecken soll.
Aber wie immer auch man hierzu Stellung nehmen wird, es wird notwendig sein, daß die Regierung in der Zwischenzeit über einige Punkte Erhebungen anstellt, die für die weitere Tätigkeit des Rechtsausschusses und die Bearbeitung dieses Entwurfes von entscheidender Bedeutung sein werden. Es bedarf zunächst einmal der Feststellung, inwieweit bereits durch Gesetze der Länder eine Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechtes erfolgt ist. Es liegt mir das Gesetz des Landes Rheinland-Pfalz zur Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege vor, und ich entnehme daraus, daß die Grundgedanken des vorliegenden Gesetzentwurfs durch eine praktische Aufhebung derartiger Strafurteile, sogar durch eine Nachholung der Strafverfolgung und durch Wiederaufnahmemöglichkeiten bereits in großem Umfange verwirklicht worden sind. Es bedarf daher wohl einer Enquete darüber, inwieweit heute, nachdem eine Reihe von Ländern diese Gesetze erlassen haben, noch ein praktisches Bedürfnis zu einer Ergänzung dieser Gesetze im Sinne des vorliegenden Entwurfes besteht.
Es bedarf zweitens der Prüfung — wiederum durch Rückfrage bei den Länderministerien —, inwieweit heute noch die Folgen nationalsozialistischen Unrechtes fortbestehen oder sich in Zukunft noch auswirken können.
Es bedarf schließlich auch vielleicht noch einer Klärung der finanziellen Auswirkungen einer derartigen Gesetzgebung. Es ist selbstverständlich, daß die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Un- rechts nicht von finanziellen Folgewirkungen irgendwelcher Art abhängig gemacht werden kann.
)Sie muß durchgeführt werden um der Wiederherstellung des Rechtes willen und um der Rehabilitierung der seinerzeit Betroffenen willen Aber es wird notwendig sein, sich auch über das Ausmaß der finanziellen Auswirkungen Klarheit zu verschaffen.
Darum möchte ich an die Regierung die Bitte richten, diese Punkte zunächst im Wege einer Enquete zu klären und deren Ergebnis sodann dem Rechtsausschuß vorzulegen. Wir beantragen, dieses Gesetz dem Rechtsausschuß zur Beratung zu überweisen. Wie immer auch die Vorschläge des Rechtsausschusses sein werden, ist es, glaube ich, unsere gemeinsame Rechtsüberzeugung, daß diejenigen Männer und Frauen, die der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Widerstand entgegengesetzt haben, in einer Zeit schwerer Bedrückung in der Verteidigung der Rechte des Menschen mit dem Opfer ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit und ihres Lebens einen guten Kampf gekämpft haben.