Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob tatsächlich in aller und jeder Beziehung diese Vorlage der SPD durch vorangegangene Ländergesetze oder Gesetze der Militärregierung überholt ist oder nicht. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob nicht in sehr vielen dieser Gesetze nur von Gnadenakten die Rede ist oder ob insbesondere Bestimmungen entsprechend § 6 Absatz 2 hinsichtlich des Ersatzes der Geldstrafe und der Kosten schon überall eingeführt sind. Ich begreife aber, daß die SPD diese Vorlage eingebracht hat nicht ohne Rücksicht darauf, daß der namens meiner Partei in den Bundestag gewählte Abgeordnete Hedler die Widerstandskämpfer in einer Weise in den Kreis seiner Betrachtungen gezogen hat, die der Linie meiner Partei und meiner Fraktion in keiner Weise entspricht, und daß man aus diesem Anlaß die Auffassung gesetzlich verankern möchte, daß wir Heutigen diese Handlungen von Rechts wegen nicht als widerrechtlich ansehen können. Weil ich das weiß, habe ich namens meiner Fraktion zu erklären, daß wir dieser Vorlage grundsätzlich zustimmen.
Wir sind der Ansicht, daß die Frage in engem Zusammenhang mit dem Problem des Tagesordnungspunktes 1 und der entschiedenen Bestrebung auch meiner Partei steht, die „Denazifizierung" endgültig zu beenden. Denn wir müssen einheitlich mit der Vergangenheit Schluß machen, Schluß sowohl mit ihren Widerrechtlichkeiten wie auch mit ihren Irrtümern. Wir müssen reinen Tisch schaffen, brauchen frische Luft und neuen kräftigen Wind. Diesem Zweck kann das vorgelegte Gesetz sehr wohl dienen, und in diesem Sinne ist es uns willkommen.
Es kommt hinzu, daß diese Vorlage viele strafbare Handlungen in den Kreis der Betrachtung zieht, für die nur ein Teil derer bestraft worden ist, die sie tatsächlich begangen haben. Alle Gesetze, die in § 2 der Vorlage im einzelnen aufgeführt sind, sind typische politische Ausnahmegesetze. Die Herren Antragsteller brauchten für ihre Absicht keinen einzigen Paragraphen des Strafgesetzbuches anzutasten. Soweit man das als Anwalt beurteilen und beobachten konnte, wurden diese Ausnahmegesetze in der Mehrzahl der Fälle nur dann vom Strafrichter angewandt, dann aber in einem Verfahren, das zu äußerst drakonischen Strafen führte, wenn sich ein Denunziant fand. Die Akten der Gestapo begannen vielfach mit dem Vermerk: „Von vertraulicher Seite wird gemeldet". Nicht Spürsinn der Polizei, sondern Haß und Rachegefühle der Nachbarn, der ehemaligen Freunde oder ehemaliger Geliebten brachten solche Fälle vor den Richter, und dann wurde in einzelnen Fällen sogar auf Todesstrafe erkannt. Das haben wir alle erlebt, und wir wissen ganz genau, daß es ein unglücklicher Zufall war, wenn jemand wegen solcher Dinge vor den Richter gezogen und dann bestraft wurde. Ich weiß nicht, wieviele Millionen in Deutschland im Kriege die ausländischen Sender gehört haben. Ich weiß aber, daß sich selbst der treueste Parteigenosse in den letzten Jahren des Krieges in steigendem Maße zu einem überaus großen Meckerer entwickelte und daß das Heimtückegesetz oder, schlimmer noch, das Gesetz gegen die Wehrkraftzersetzung beinahe auf geradezu jeden Deutschen hätte angewandt werden können. Deshalb müssen wir diese Leute, die in die Maschen des Nazirechts geraten waren, als zufällige Opfer ansehen, die wir unter allen Umständen mit den übrigen Menschen gleichstellen müssen. Aus diesem entscheidenden Grunde halten wir eine Verlautbarung des Bundestages, also die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes, für durchaus erwünscht.
Was nun die Kontroverse hinsichtlich der Fassung des § 1 anlangt, so muß auch ich sagen, daß die Herren von der Linken dazu neigen, nun einmal gegebene Tatsachen, sei es der Vergangenheit oder der Gegenwart, die nicht aus der Welt zu schaffen sind, zu negieren, und zwar gesetzgeberisch zu negieren. Die Antragsteller sprechen ja selber in ihrem § 1 von der „Herrschaft", die früher gewesen ist. Diese Herrschaft, dieses Regiment, begegnete in Deutschland 12 Jahre hindurch nur. ohnmächtigem Widerstand, das Regime war praktisch unanfechtbar und unangefochten. Es war darüber hinaus von der ganzen Welt anerkannt. Es gab keinen Staat, der nicht mit ihm in Beziehungen stand, der nicht mit ihm Verträge schloß, und viele haben dann nachher Krieg mit ihm geführt. Diese „Herrschaft" hatte ihre eigene Gesetzgebung, und heute in einem Gesetze festzulegen, daß irgend etwas damals kein „Unrecht" war, würde einer geschichtlichen Tatsache widersprechen. Ich bin aber der Meinung, daß alle diese Bedenken leicht überbrückt werden können, wenn man dem Schlußsatz des § 1 von dem Hilfsverbum „war" an etwa folgende Fassung gibt:
Der Widerstand ist nicht rechtswidrig
und ist auch als zur Zeit der Tat nicht rechtswidrig begangen anzusehen.
Wenn man so formuliert, dann haben wir die gesetzliche Vermutung in Ansehung der Vergangenheit, und für die Gegenwart ist damit die Tatsache festgelegt, daß sich die Rechtsauffassungen inzwischen geläutert haben. Auf diese Fassung sollten wir uns einigen, um den von dem Herrn Bundesjustizminister sehr einleuchtend dargestellten juristischen Konflikt zu umgehen, den Konflikt nämlich, ob man in einem Gesetz sich zu evidenten Tatsachen wirksam in Widerspruch setzen kann.
Auf die Frage der Rechtmäßigkeit des Ermächtigungsgesetzes von 1933 heute noch einzugehen, halte ich für müßig; wir haben viel wesentlichere Aufgaben vor uns, Aufgaben in Überfülle, müssen die Vergangenheit auf sich beruhen lassen und statt dessen den heutigen Bedürfnissen Rechnung tragen und uns ihnen widmen.
Das Gesetzgebungswerk, wie es in der Drucksache Nr. 564 hier vorgelegt ist, bedarf also im einzelnen sicherlich noch der Durcharbeitung. Meine Fraktion wird zu einer auf möglichst breiter Basis zu fassenden Entschließung gern das Ihre beitragen.