Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich. Wir setzen unsere Haushaltsberatungen – Ta-
gesordnungspunkt II – fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2014
Drucksachen 18/700, 18/702
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2013 bis 2017
Drucksachen 17/14301, 18/1026
Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt II.9 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
Drucksachen 18/1023, 18/1024
Berichterstatter sind die Abgeordneten Rüdiger
Kruse, Bernhard Schulte-Drüggelte, Johannes Kahrs,
Gesine Lötzsch, Tobias Lindner und Anja Hajduk.
Über den Einzelplan 04 werden wir später namentlich
abstimmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen vor. Des Weiteren hat die
Fraktion Die Linke einen Entschließungsantrag einge-
bracht, über den wir am Freitag nach der Schlussabstim-
mung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zu diesem Einzeletat 224 Minuten vor-
gesehen. Da wir das vermutlich gleich beschließen wer-
den, verbinde ich es mit dem Hinweis, dass es schön
wäre, wenn wir uns an diese getroffene Beschlussfas-
sung hielten, weil dies wiederum Folgen für den weite-
ren Ablauf der Plenarberatungen am Nachmittag und
Abend hat. Sind Sie mit dieser Vereinbarung einverstan-
den? – Das ist offenkundig der Fall. Dann haben wir das
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.
Einen schönen guten Morgen! Lieber Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Siemich zu Beginn etwas zum Haushalt sagen.
– Sie wissen doch, dass allgemein über Politik geredetund damit abgerechnet wird; das ist ja auch unser gutesRecht.Aber zum Haushalt muss ich Ihnen Folgendes sagen:Bisher, Herr Bundesfinanzminister, galten Sie als je-mand, der immer versucht, die Zahlen einigermaßen se-riös herüberzubringen.
– Nein. – Diesmal sind Sie einen anderen Weg gegan-gen. Sie hatten vorab verkündet, dass die Neuverschul-dung in diesem Jahr 6,5 Milliarden Euro betragen wird.Sie hatten vorab auch verkündet, dass es im nächstenJahr einen ausgeglichenen Haushalt geben wird. Jetztrichten Sie Ihre ganze Politik nur danach, der Pressenicht eingestehen zu müssen, dass Sie sich geirrt haben.Ich nenne Ihnen zwei Beispiele:Erstens haben Sie entgegen der Empfehlung desSachverständigenrates die Steuereinnahmen einfach um1,5 Milliarden Euro erhöht, nur um bei einer Neuver-schuldung von 6,5 Milliarden Euro zu bleiben. Entgegenallen Aussagen haben Sie die Schuldenbelastung einfachum 1,2 Milliarden Euro gesenkt.Zweitens machen Sie, um nächstes Jahr zu einemAusgleichshaushalt zu kommen, zwei Dinge: Zum einenverschieben Sie die Kindergelderhöhung und sagen: Daskönnen wir uns jetzt nicht leisten, da ich sonst keinen
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Dr. Gregor Gysi
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ausgeglichenen Haushalt kriege; das muss verschobenwerden. – Zum anderen verschieben Sie die Abschaf-fung der kalten Progression. Ich will den Leuten einmalerklären, was kalte Progression bedeutet: Das heißt, dasssie bei einer Lohnerhöhung brutto vielleicht 3 Prozentmehr, aber netto nur 0,5 Prozent mehr haben. Diese so-genannte kalte Progression sollte beseitigt werden. Daslassen Sie aber ausfallen.Sie reduzieren außerdem die öffentlichen Investitio-nen, die in diesem Jahr nur 29,8 Milliarden Euro betra-gen, im nächsten Jahr auf 24,7 Milliarden Euro. WissenSie, was das bedeutet? Das bedeutet, dass Straßen, Brü-cken, Schienen, Schulen, Schwimmbäder, Kultureinrich-tungen und IT-Netze dort marode bleiben, wo sie jetztmarode sind, da die Mittel, die wir dringend für Investi-tionen benötigen, fehlen.
Bei der Krankenversicherung, Herr Schäuble, kürzenSie die Zuschüsse in beiden Jahren um 6 MilliardenEuro. Was das Ergebnis ist, können wir uns alle ausrech-nen. Sie haben – zusammen mit der SPD – nämlich dieneue Regelung geschaffen, dass künftig nur noch dieBeiträge der Versicherten erhöht werden können, nichtmehr aber die Beiträge der Unternehmen. Sie heben dieparitätische Finanzierung auf. Die Krankenkassen habenschon jetzt angekündigt, dass sie die Beiträge für dieVersicherten erhöhen werden. Das ist das Ergebnis.Und das machen Sie alles mit, Herr Gabriel? Das ma-chen Sie mit, Herr Oppermann? Stattdessen sollten SieHerrn Schäuble sagen: Dann musst du dich eben korri-gieren und erklären, dass du etwas Falsches gesagthast. –
Nein, Sie stimmen den Regelungen einfach zu. Ich finde,Frau Bundeskanzlerin, auch Sie dürften das nicht zulas-sen.Ich will es mir heute ersparen, etwas zum Affenthea-ter bei der EEG-Umlage zu sagen. Was Sie uns da gebo-ten haben! 200 Seiten an Änderungsanträgen innerhalbvon zwei Stunden lesen zu müssen, ist abenteuerlich.Aber darüber werden wir uns ein andermal unterhalten.
Lassen Sie mich etwas zur Rente sagen. Jetzt habenwir einen Fortschritt bei der Rente erzielt. Immerhin ha-ben Sie festgelegt, dass jemand mit 45 Beitragsjahrenzwei Jahre früher in Rente gehen kann als andere. AberSie ändern doch an der grundsätzlich falschen Entschei-dung nichts, die demografische Entwicklung zur Grund-lage zu machen. Ihre Aussage, die Aussage aller Parteienaußer unserer, lautet: Da die Gesellschaft immer älterwird, muss man immer länger arbeiten und immer späterseine Rente beziehen. – Glauben Sie wirklich, dass daseine Lösung ist? Könnte es nicht sein, dass wir unserenBeruf mit dem Beruf anderer verwechseln? Vielleichtkann man mit 90 Jahren noch im Bundestag herumdö-deln, ohne dass das einer merkt.
Aber man kann mit 90 Jahren kein Dach mehr decken.Das müssen Sie endlich begreifen.
Ich sage Ihnen Folgendes: Wir hatten einmal eine an-dere Bundesrepublik Deutschland. Da war die Produkti-vitätsentwicklung der entscheidende Faktor. So, wie sichdie Produktivität entwickelte, entwickelten sich auch dieLöhne, und so, wie sich die Löhne entwickelten, entwi-ckelte sich auch die Rente. Das führte zu einer Rente, diedie Funktion hatte, dass man den Lebensstandard, denman sich im Erwerbsleben erarbeitet hat, aufrechterhal-ten und fortsetzen konnte. Davon sind wir inzwischendeutlich entfernt.
Was müssen wir tun? Wir müssen die alte Rentenfor-mel wieder einführen. Dann werden Sie fragen: Wie sol-len wir das bezahlen? – Ganz einfach dadurch, dass wirerstens der neuen Generation sagen: Alle mit Erwerbs-einkommen müssen in die gesetzliche Rentenversiche-rung einzahlen, auch Bundestagsabgeordnete, auch Be-amtinnen und Beamte, auch Rechtsanwälte. Alle müsseneinzahlen.
– Ja, ich wusste, dass das Argument kommt, dass dieseMenschen dann auch Ansprüche haben werden.
– Es geht ja noch weiter. – Zweitens müssen wir die Bei-tragsbemessungsgrenzen abschaffen, die willkürlichsind. Wer 14 Millionen Euro verdient, muss dann ebenseinen Beitrag für dieses Einkommen zahlen.
– Ja, passen Sie auf.
– Warum warten Sie denn nicht ab? Sie können nichteinmal zuhören; das ist doch das Mindeste. – Jetztkommt mein dritter Vorschlag: Die Rentenerhöhung fürdie Spitzenverdiener wird abgeflacht. Das erlaubt dasBundesverfassungsgericht.
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Dr. Gregor Gysi
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Dann brauchen wir über Altersarmut überhaupt nichtmehr zu reden, weil alles bezahlt werden könnte.
Eine Große Koalition müsste doch zu einer solch großenReform fähig sein. Aber all das können wir vergessen;das findet nicht statt.
Jetzt sage ich Ihnen noch etwas. Im 24. Jahr der deut-schen Einheit immer noch nicht die gleiche Rente für diegleiche Lebensleistung in Ost und West zu zahlen, ist einSkandal! Ich hatte gehofft, dass Sie wenigstens das über-winden.
Nun sage ich etwas zur Mütterrente.
Da habe ich drei Fragen: an Sie, Frau Bundeskanzlerin,an Ihren Vizekanzler, Herrn Gabriel, und auch an Sie,Herr Fraktionsvorsitzender Kauder.
Meine erste Frage. Warum bekommt man für einKind, das vor 1992 geboren wurde, nach wie vor einengeringeren Rentenzuschlag als für ein Kind, das ab 1992geboren wurde? War es wirklich so viel leichter, Kindervor 1992 aufzuziehen als danach? Erklären Sie das bitteder Bevölkerung. Ich verstehe das nicht.
Meine zweite Frage. Warum ist ein Ostkind für Sie im24. Jahr der deutschen Einheit immer noch weniger wertals ein Westkind? Erklären Sie mir das.
Meine dritte Frage. Da die Mütterrente aus den Bei-trägen zur Rentenversicherung bezahlt wird, bedeutetdas doch Folgendes: Die Lidl-Kassiererin zahlt Beiträgezur Rentenversicherung und mithin auch die Mütter-rente. Dem Bäckermeister entstehen Lohnnebenkosten,auch er zahlt Beiträge in die gesetzliche Rentenversiche-rung und damit auch die Mütterrente. Es gibt aber einProblem: Sie, Frau Bundeskanzlerin, Sie, Herr Gabriel,Sie, Herr Kauder, und ich zahlen die Mütterrente nicht.Denn wir dürfen gar keine Beiträge zur gesetzlichenRentenversicherung zahlen.
– Es gibt aber keinen erhöhten Steuerzuschuss. Sie erhö-hen die Mütterrente ohne einen erhöhten Steuerzuschuss.Ich komme gleich darauf zurück.Kinder, die man zur Welt bringt, ändern an den Bei-trägen gar nichts. Diese Kinder sind eine Leistung fürdie Familie und die Gesellschaft. Wenn die Mütterrentesteuerfinanziert wäre, dann müssten wir vier – also dieBundeskanzlerin, Herr Kauder, Herr Gabriel und ich –deutlich mehr für die Mütterrente zahlen als die Lidl-Kassiererin. Das wäre gerecht.
Sie aber sorgen dafür, dass sie nur von der Lidl-Kas-siererin und dem Bäckermeister bezahlt wird und nichtvon uns. Deshalb lade ich Sie ein, Herr Gabriel und HerrKauder: Wir besuchen zu dritt eine Lidl-Kassiererin, unddann erklären Sie ihr, warum sie die Mütterrente bezah-len muss und wir drei nicht. Ich kann es ihr nicht erklä-ren. Ich höre Ihnen aber gerne zu, wenn Sie es erklären.Ich sage Ihnen: Das ist grob ungerecht. Hören Sie da-mit auf! Diese versicherungsfremden Leistungen dürfendurch nichts anderes als Steuern finanziert werden. Da-für müssen wir endlich sorgen.
– Ich freue mich, dass Sie sich aufregen.
Also scheine ich ins Schwarze zu treffen.Jetzt komme ich zum Mindestlohn. Er soll flächende-ckend und gesetzlich festgelegt sein.
Ich sage Ihnen ganz klar: Es wird höchste Zeit, dass erkommt. Ich begrüße das. Unsere Partei hat dafür schonzu einer Zeit gekämpft, als alle anderen Parteien nochdagegen waren.
Ich freue mich, dass wir es jetzt endlich erleben, dass inDeutschland eine Art flächendeckender gesetzlicherMindestlohn eingeführt wird.
Aber, liebe SPD, liebe Grüne, lieber DGB, 8,50 Eurohabt ihr schon vor Jahren als Mindestlohn gefordert. Isteuch gar nicht aufgefallen, dass das Leben inzwischenetwas teurer geworden ist und man die Höhe des Min-destlohns vielleicht anpassen müsste?
Deshalb fordern wir 10 Euro brutto und eine Anpassungnicht erst 2018, sondern in einem Jahr. Das wäre eigent-lich eine Selbstverständlichkeit, die dringend nötig ist,um ein Leben in Würde zu ermöglichen.
Aber Sie sprechen vom flächendeckenden Mindest-lohn. Flächendeckend heißt: Es darf keine Ausnahmen
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Dr. Gregor Gysi
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geben. Sie machen aber zwei wesentliche Ausnahmen.Ihre erste Ausnahme ist: Jugendliche unter 18 Jahren ha-ben keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn.Das begründen Sie damit, dass sie, wenn sie zu viel ver-dienen, nicht mehr an einer Ausbildung interessiert wä-ren und lieber gleich arbeiten gehen, statt zu lernen. Mitanderen Worten: Sie meinen, Jugendliche sind doof. Wirmeinen das nicht.
Alle Jugendlichen wissen: Wenn sie gut ausgebildetsind, haben sie später ganz andere Zukunftschancen undVerdienstmöglichkeiten. Behandeln Sie doch die Ju-gendlichen nicht, als wären sie doof, und das auch nochgrundgesetzwidrig! Wie wollen Sie denn begründen,dass ein 17-Jähriger für die gleiche Arbeit weniger ver-dient als ein 18-Jähriger? Das ist nicht hinzunehmen.
Ihre zweite Ausnahme betrifft die Gruppe der Lang-zeitarbeitslosen. Sie sehen vor, dass die Langzeitarbeits-losen ein halbes Jahr lang keinen Anspruch auf den ge-setzlichen Mindestlohn haben. Wissen Sie, was dasbedeutet? Sie sagen damit einem Langzeitarbeitslosen,dass er uns, der Gesellschaft, nicht einmal den gesetzli-chen Mindestlohn wert ist. Das ist demütigend. Bittestreichen Sie das!
Er ist ein Mensch, dessen Würde zu achten ist.Das Statistische Bundesamt hat gerade veröffentlicht,dass 20,2 Prozent unserer Beschäftigten weniger als8,50 Euro verdienen. Es wird also höchste Zeit, dass sichwenigstens das ändert, wobei ich wiederholen muss:10 Euro wären angemessen.Das Statistische Bundesamt hat noch etwas veröffent-licht, Frau Bundeskanzlerin, nämlich dass 8 Millionenunserer Bürgerinnen und Bürger nicht einmal jedenzweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit genießen können.Das ist eine Armut, die sich ein so reiches Land wieDeutschland niemals leisten darf. Das ist auch grundge-setzwidrig.
Aber ich muss noch auf einen weiteren Punkt hinwei-sen. Wenn wir den flächendeckenden gesetzlichen Min-destlohn selbst mit Krücken und Ausnahmen irgendwiebekommen, dann führt das natürlich zu einer allgemei-nen Lohn- und Gehaltssteigerung. Sie müssen von Fol-gendem ausgehen: Heute verdient der eine 6 Euro, derzweite 7 Euro, der nächste 8 Euro und ein weiterer9 Euro. Sie werden sicherlich untereinander sagen: Ichkann doch nicht plötzlich wie alle 8,50 Euro verdienenoder nur 50 Cent mehr. Ich mache ja eine qualifiziertereTätigkeit. Also muss auch mein Lohn angehoben wer-den. – Das führt zu einer allgemeinen Lohn- und Ge-haltssteigerung, die wir übrigens auch für die Binnen-wirtschaft dringend benötigen. Unsere Abhängigkeitvom Außenhandel kann auch zu einem Verhängnis wer-den, wenn sich die Situation in anderen Ländern ändert.Deshalb müssen wir die Binnenwirtschaft stärken. Dasgeht nur über Investitionen, Herr Bundesfinanzminister,und nicht über den Abbau von Investitionen. Es geht nurüber die Stärkung der Kaufkraft, das heißt höhere Ren-ten, höhere Löhne und Gehälter sowie höhere Sozialleis-tungen.
Natürlich weiß ich – ich sage das hier auch deutlich,damit Sie mir hinterher nicht vorwerfen, dass ich esnicht gesagt habe –, dass die Preise der Handwerksleis-tungen steigen werden, weil sich die Friseurmeisterinoder der Bäckermeister den Mindestlohn zum Teil nichtanders leisten kann. Aber wenn wir eine allgemeineLohn- und Gehaltssteigerung haben, können wir dasauch verkraften.Lassen Sie mich etwas zur Bildung sagen. Das ist fürmich ein Leidenschaftsthema. Ich kenne niemanden imBundestag, der sagen würde: Ich bin dagegen, dass wirChancengleichheit für Kinder in der Bildung haben. –Ich kenne niemanden, der das sagen würde. Aber dieganze Organisation, die ganze Struktur schließt Chan-cengleichheit aus. Die soziale Stellung der Eltern setztsich in der Bildung der Kinder fort. Dagegen unternimmtdie Regierung gar nichts. Das ist ein wirklich schwer-wiegender Vorwurf.
Was brauchen wir? Wir brauchen ein flächendecken-des Netz aus ganztägigen Kindertagesstätteneinrichtun-gen und Gemeinschaftsschulen mit einem gesunden undvollwertigen Mittagessen, und zwar alles gebührenfrei.Darin müssen wir investieren.
– Ich habe erwartet, dass Sie mir an dieser Stelle sagen,dass das zu teuer ist. Für die Commerzbank haben SieHunderte Milliarden Euro, aber nicht für ein gesundesEssen für die Kinder in den Kindertagestätten und Schu-len.
Das ist nicht hinnehmbar.
Dann brauchen wir gut ausgebildete und gut bezahlteErzieherinnen und Erzieher in den Kindertagesstättensowie gut ausgebildete und gut bezahlte Lehrerinnen undLehrer in den Schulen. Wir brauchen zudem kleinereKlassenfrequenzen. Begreifen Sie doch endlich: DieRessource in Deutschland heißt Bildung. Unsere Gold-
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und Erdölvorkommen können Sie vergessen. UnsereRessource heißt Bildung. Darin müssen wir investieren.
Natürlich brauchen wir auch eine bessere Förderungder Berufsausbildung und der Hochschulausbildung. Wirmüssen das Kooperationsverbot für die Bundesländerbei den Schulen überwinden. Ich bitte Sie! Wir haben16 Bundesländer und deshalb 16 verschiedene Schulsys-teme. Ich bestreite nicht, dass das ein großer Fortschrittim 19. Jahrhundert war. Aber mit dem 21. Jahrhunderthat das nun überhaupt nichts mehr zu tun. Egal wo Kin-der in Deutschland leben, sie müssen eine Chance aufTopbildung und Topausbildung haben, von Mecklen-burg-Vorpommern bis Bayern. Dafür müssen wir endlichsorgen.
Deshalb, Herr Schäuble, ist die von Ihnen ebenso will-kürlich vorgenommene Kürzung der Ausgaben für Bil-dung um 500 Millionen Euro indiskutabel. Ich sage Ih-nen: Leisten Sie einen Beitrag zur Chancengleichheit derKinder in der Bildung! Das wäre ein ganz wichtigesSignal in unserer Gesellschaft.Nun komme ich zu den Steuern.
Es gibt jetzt einen Steuerbericht der EU-Kommission.Lesen Sie den einmal, Herr Kauder! Da steht hinsicht-lich Deutschland Folgendes drin.
– Richtig, ich muss es Ihnen sagen, weil Sie es nicht vonalleine lesen. Ich muss das alles hier nachholen, verste-hen Sie? Aber die Zeit ist immer so kurz.Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie diegesamte Mittelschicht in Deutschland werden – das be-sagt der EU-Bericht – viel zu hoch besteuert. Des Weite-ren besagt der EU-Bericht: Die Bezieherinnen und Be-zieher von Kapitaleinkünften, insbesondere von hohen,werden viel zu niedrig besteuert. Es gibt einen interes-santen EU-Vergleich. Die Einnahmen aus Steuern aufLöhne und Gehälter in Deutschland machen 56,6 Pro-zent des gesamten Steueraufkommens aus. Der EU-Durchschnitt liegt bei nur 51 Prozent.
Die Einnahmen aus Steuern auf Kapitaleinkünfte ma-chen beim gesamten Steueraufkommen in Deutschland16 Prozent aus, im EU-Durchschnitt aber 20,8 Prozent.Daran merken Sie, was passiert. Die Zahl der Dollarmil-lionäre ist um 14 Prozent gestiegen. Weltweit besitzendie Dollarmillionäre ein Vermögen von 40 BillionenEuro. Das sind zwei Drittel der Weltwirtschaftskraft.Auch in Deutschland haben wir einen Anstieg zu ver-zeichnen. Die Zahl der Dollarmillionäre ist von 980 000auf 1,1 Millionen gestiegen. Weltweit hat Deutschlanddie drittmeisten Millionäre. Weltweit die drittmeisten!Auf Platz eins liegen die USA. Auf Platz zwei liegt – daswird einige erstaunen – China.
Auf Platz drei liegt Deutschland. Ich darf nur erwähnen,dass die USA und China ein paar Einwohner mehr habenals Deutschland. Trotzdem nehmen wir Platz drei ein.Und Sie weigern sich, einen halben Euro mehr in der EUund in Deutschland von den Millionären zu verlangen?Sie sagen im Ernst der Friseurin in Athen, sie habe dasGanze zu finanzieren? Es ist absurd, was hier läuft, wirk-lich absurd.
Sie verweigern jeden Schritt zu mehr Steuergerechtig-keit: keine Senkung, keine Erhöhung; Abschaffung derkalten Progression – das habe ich schon gesagt – ver-schoben. Dann gibt es aber noch etwas: den Steuer-bauch. Man sollte nie vergessen: Unsere Einkommen-steuer verläuft nicht linear, sondern es gibt einen Bauch.Es ist die Mitte der Gesellschaft, die alles bezahlt. Deruntere Teil der Gesellschaft kann die Ausgaben nicht fi-nanzieren, an die Reichen trauen Sie sich nicht heran.Deshalb muss die Mitte der Gesellschaft alles bezahlen.Es gibt nur eine Partei im Bundestag, die fordert, denSteuerbauch zu streichen: Das ist die Linke.
Die Mitte der Gesellschaft wird nur von der Linken ver-treten. Das ist die Wahrheit.
Meine Bitte: Einen Schritt könnten Sie doch wagen.Behandeln Sie endlich Kapitaleinkünfte und Arbeitsein-künfte wenigstens gleich. Das wäre schon ein gewaltigerFortschritt.
Nun komme ich zur Außen- und Sicherheitspolitik.Frau Bundeskanzlerin, alle Kriege der letzten Jahre ha-ben die Menschheitsprobleme nicht gelöst, sondern ver-schärft, ganz egal, ob ich an Afghanistan denke, ob ichan den Irak denke oder ob ich an Libyen denke. Was sagtunser Bundespräsident? Wir sollen an noch mehr Mili-täreinsätzen teilnehmen.
Das bedeutet aber nicht, wie er meint, mehr Verantwor-tung, sondern das bedeutet mehr Verantwortungsversa-gen. Das sage ich Ihnen ganz klar.
Der eigentliche Skandal ist, dass Deutschland derdrittgrößte Waffenexporteur weltweit ist. Wir verdienenan jedem Krieg. Hätte unser Schluss aus dem ZweitenWeltkrieg nicht lauten müssen, dass wir nie wieder an
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Kriegen verdienen wollen? Ich glaube, das wäre dasMindeste gewesen.
Jetzt haben wir erfahren, dass Sie, Frau Bundeskanz-lerin, im Jahre 2008 Panzer und auch noch eine Panzer-fabrik, also die Lizenz zum Herstellen deutscher Panzer,an Algerien verkauft haben. Ich frage Sie: Welche Zu-stände haben wir denn in Algerien? Algerien ist kein de-mokratisches Land. Woher wollen Sie eigentlich wissen,welche Zustände in Algerien in fünf Jahren herrschen?Woher wollen wir eigentlich wissen, wer dann dort Pan-zer für welche Zwecke herstellt? Das ist doch Wahnsinn.Sie, Herr Gabriel, sagen nur: Verträge sind einzuhal-ten. – Haben Sie denn wenigstens einmal geprüft, obman aus diesem wahnsinnigen Vertrag aussteigen unddiese Verantwortungslosigkeit überwinden kann? Wobleibt denn wenigstens Ihr Satz, dass es solche Verträgenie wieder geben wird? Das wäre doch wohl das Min-deste.
Ich sage Ihnen auch: Deutschland liefert Waffen anSaudi-Arabien, an Katar und an den NATO-Partner Tür-kei. Was erfahren wir jetzt? Die Al-Qaida-TerrorarmeeISIS erobert immer mehr Territorien im Irak und in Sy-rien.
Kerry, der amerikanische Außenminister, reist jetztdurch den Nahen Osten und versucht, das irgendwie auf-zuhalten. Aber wer hat denn diese Armee bezahlt? DieBezahlung kam aus Saudi-Arabien und Katar. Was hatdie Türkei gemacht? Sie hat diese kämpfenden Terroris-ten mit Waffen ohne jede Beanstandung durch die Tür-kei nach Syrien und Irak durchziehen lassen. Das sindunsere Partner. Was machen Sie dagegen? Fast nichts.Heute haben wir gelesen, dass die ISIS-Armee sogarKinder tötet. Die Konrad-Adenauer-Stiftung sagt plötz-lich, man hätte Assad in Syrien unterstützen müssen. Woleben wir hier eigentlich? Die Zeiten werden immer wir-rer. Merken Sie denn nicht, dass diese ganze Außenpoli-tik falsch ist? Weg von Waffenexporten, hin zu einerfriedlichen Konfliktlösung – das muss die Aufgabe derBundesregierung sein, nichts anderes.
Nun komme ich zur Ukraine. Jetzt gibt es gewisseFortschritte: eine Feuerpause, angeordnet von PräsidentPoroschenko, und die Rücknahme des Beschlusses derFöderationsversammlung in Moskau, wonach Russlandin die Ukraine einmarschieren darf. Auch das ist sehrwichtig. Ich sage Ihnen: Jetzt müssen die EuropäischeUnion und die NATO endlich wirkliche Deeskalations-schritte gehen. Hören Sie auf mit den Sanktionen undmit der Androhung von Sanktionen! Wenn die Wirt-schaftssanktionen wirklich kämen, dann träfen die Ant-worten nicht die USA, die die Sanktionen immer vor-schlagen, sondern die Antworten träfen uns und dieWirtschaft. Wir schützen in diesem Falle auch die Wirt-schaft. Diese Sanktionen hat sie nicht verdient. Das sageich Ihnen klipp und klar.
Frau Göring-Eckardt, Sie haben hier zur Ukraine ge-sprochen und sich mit Sahra Wagenknecht auseinander-gesetzt. Sie haben gesagt, wer die Regierung bzw. derenPolitik nicht unterstütze, der unterstütze nicht die Demo-kratisierung der Ukraine. Wie soll ich das verstehen?Wir sind doch schon gemeinsam gegen Nazis aufgetre-ten. Warum kritisieren Sie nicht ebenso scharf wie wirdie Mitgliedschaft von faschistischen Politikern in derukrainischen Regierung?
Ich sagen Ihnen auch: Was die belgische Regierung dazusagt, ist das eine. Wir haben eine andere Geschichte. Ichfinde, der gesamte Deutsche Bundestag und die gesamtedeutsche Regierung müssten der ukrainischen Regierungsagen: Bevor wir euch helfen, entlasst die faschistischenMinister aus euren Reihen. – Das wäre doch wohl dasMindeste.
Ich höre immer wieder, bei der Präsidentenwahl hättendie Faschisten so wenig Stimmen bekommen. Na, umsobesser! Was gibt es dann für einen Grund, deren Ministernicht aus der Regierung zu entlassen? Dann können wirden Druck ja sogar noch erhöhen.
– Haben Sie Zweifel, dass das Faschisten sind? Ich habehier ja den Vorsitzenden der faschistischen Partei zitiert;ich wiederhole das heute nicht. Aber eins sage ich Ihnen:Die Partei Swoboda hatte ein Institut, das bis zum Jahr2014 den Namen „Joseph Goebbels“ trug. Jetzt hat diePartei es wegen des Drucks von außen umbenannt. Die-ses Institut trug also den Namen „Joseph Goebbels“. Au-ßer der Partei Swoboda hat das sich noch keine rechtsna-tionale Partei nach der Nazidiktatur in Europa getraut.Und da verlangen Sie von uns, dass wir dazu nichts sa-gen. Das ist doch grotesk!
Ich kann das nicht dulden. Ich finde, alles andere ist un-verantwortlich und ahistorisch.Im Kalten Krieg war der Gewinner der Westen. Erzeigte allerdings keine Bereitschaft, aufzuhören, zu sie-gen. Im Kalten Krieg gab es Einflusssphären der USA
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und Einflusssphären der Sowjetunion; aber sie geltennicht mehr – glücklicherweise, kann man sagen; sage ichauch. Das Problem ist nur: Die USA und Russland habenkeine neuen Spielregeln vereinbart. Beide haben Ein-fluss verloren, versuchen, den vorhandenen Einfluss zusichern und auch wieder auszubauen, und kommen sichdabei in die Quere: in Georgien, in Syrien, in derUkraine.Was gibt es für einen Weg hin zu neuen Spielregeln?Nur einen: das Völkerrecht.
Es geht um den vollen Respekt vor dem Völkerrecht.Der Erste, der das Völkerrecht beim Jugoslawien-Kriegüber Bord geworfen hat, war der Westen, weil er sich da-für nicht mehr interessiert hat, weil er gesagt hat: Wirwaren ja die Gewinner des Kalten Krieges; das brauchenwir nicht mehr; wir entscheiden, was läuft. – Genau da-für bekommen wir jetzt die Quittung. Deshalb sage ichIhnen: Es gibt nur einen Lösungsweg, nämlich das Völ-kerrecht wieder voll zur Geltung zu bringen. Deshalbmuss der Westen als Erstes das Völkerrecht in vollemUmfang einhalten.
Kanzler Schröder hat ja bestätigt, dass er das Völker-recht verletzt hat; er macht daraus gar kein Hehl.Ich sage Ihnen noch etwas: Russland wird sich nachdiesem Konflikt ökonomisch stärker nach Asien orien-tieren. Die USA werden verstärkt in Europa, gerade inOsteuropa auftreten. Das ist ein Erfolg für die USA, al-lerdings ein Erfolg, den Obama gar nicht wollte; sokommt das nun einmal in der Politik. Und die EU? Siewirkt völlig hilflos, und sie ist der Verlierer, weil die Ab-hängigkeit von den USA noch zunehmen wird. Daskommt bei alledem heraus. Denken Sie einmal darübernach.Jetzt komme ich zu Europa. Es gab ein Warnsignal:Die Europawahlen haben die rechtsextremen und rechts-nationalen Parteien erheblich gestärkt. Daraus müsstenwir doch alle Schlussfolgerungen ziehen. Frau Bundes-kanzlerin, Ihre falsche Spar- statt Aufbaupolitik gegen-über dem Süden Europas, der Abbau der Demokratie,der Abbau der sozialen Gerechtigkeit, die Tatsache, dassdie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – nicht dieMillionäre – die ganze Bankenkrise zu bezahlen haben,
das alles hat ebenfalls zu diesem Wahlergebnis beigetra-gen.Sie und wir alle haben eine Verpflichtung: Europa sofriedlich, so demokratisch, so sozial gerecht und so öko-logisch nachhaltig wie möglich zu gestalten, damit die-ses Europa die Menschen und vor allem die Jugend nichtverschreckt, sondern endlich wieder anzieht, und damitdiese rechtsnationalen und rechtsextremen Parteien inganz Europa keine Chance haben. Dafür sind wir mitver-antwortlich.
Ich sage Ihnen: Eine Jugendarbeitslosigkeit von60 Prozent in Griechenland macht Europa kaputt. Ichhabe es schon gesagt: Die Zahl der Millionäre hat zuge-nommen. Warum führen Sie in der Europäischen Unionkeine Millionärsteuer ein? Herr Bundesfinanzminister,es gab doch einmal die Idee der Finanztransaktionsteuer,um etwas gegen die Spekulationen und Spielereien anden Börsen zu tun. Wo bleibt sie eigentlich? Wann trittsie eigentlich in Kraft? Das wird man doch wohl nocheinmal fragen dürfen.
Nun komme ich zu Snowden und den USA. DerSpiegel hat vor kurzem veröffentlicht, dass die Ausfor-schungen durch den USA-Geheimdienst NSA noch vielgrößer als bisher angenommen waren und dass es eineenge Zusammenarbeit mit dem BND gab. ProfessorPapier, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungs-gerichts, hat dazu wörtlich Folgendes gesagt:Der Datenaustausch mit ausländischen Diensten,die ihre personenbezogenen Daten weitgehend un-ter Methoden und in einer Art und Weise erlangen,die jenen von mir kurz genannten Mindeststandardsder deutschen und unionsrechtlichen Grundrechteeindeutig nicht genügen, ist insoweit von Verfas-sungsrechts wegen ausgeschlossen.Das heißt mit anderen Worten: Der BND hat sich grund-gesetzwidrig verhalten. Ich möchte wissen, welche Kon-sequenzen Sie daraus ziehen.
Snowden hat bisher immer die Wahrheit gesagt. Erhat gesagt, dass auch die Wirtschaftsdaten weitergereichtwurden. Das ist Wirtschaftsspionage. Auch das ist eineStraftat. Die Einzigen, die die Interessen der Wirtschaftvertreten, sind wieder die Linken und die Grünen in die-sem Fall; Sie nicht. Sie lassen sich das einfach bieten.
Frau Bundeskanzlerin, Sie waren in Washington. Siehaben mit Obama und anderen gesprochen. Sie sindohne ein No-Spy-Abkommen zurückgekommen. Ichsage Ihnen: Sie verhalten sich diesbezüglich gegenüberder US-Administration duckmäuserisch. Sie begründenmir das mit der Freundschaft. Ich sage Ihnen: Duckmäu-sertum erzielt Verachtung, aber keine Freundschaft.Wenn man eine Freundschaft will, muss man sich alsErstes Respekt erarbeiten.
Ich sage Ihnen auch, wie man das machen kann. Ichwürde dem Präsidenten Obama an Ihrer Stelle sagen:
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Wenn Sie kein No-Spy-Abkommen machen, dann werdeich die Diplomaten in der britischen und in der US-Bot-schaft, die Spionage betreiben, jeweils zur Persona nongrata erklären. Ich würde ihm sagen: Die NSA baut ge-rade ein Riesengebäude in Wiesbaden. Das können siegern fertigstellen, aber sie können niemals einziehen. Daschicken wir Attac und andere Organisationen rein, dieim Unterschied zur NSA, die uns hier ausforschen will,etwas Nützliches machen.
Ich würde ihm ebenfalls sagen: Wir können auch dieTTIP-Verhandlungen aussetzen. – Was glauben Sie, wasIhnen das für einen Respekt einbringen würde,
wie die diskutieren würden, wenn Deutschland sich dieSache nicht mehr bieten lässt! Das entspricht IhremAmtseid, nämlich Schaden von unserem Volk abzuwen-den. Deshalb erwarte ich das auch dringend.
Zu den TTIP-Verhandlungen noch einen Satz. Es gehtdoch dabei nicht nur um das Chlorhuhn, was schonschlimm genug wäre, sondern es geht darum, dass Inves-titionshemmnisse verboten werden sollen. Das mussman einmal übersetzen. Wenn ein amerikanisches Unter-nehmen hier seine Wirtschaftstätigkeit beginnt undspäter eine vernünftigere Regierung kommt, die mehrMitbestimmung macht, mehr Wirtschaftsdemokratie,vielleicht sogar etwas höhere Steuern,
dann können die Amerikaner sagen: Investitionshemm-nis! Als wir anfingen, war das nicht so. – Sie machenPolitik unmöglich. Niemals darf das Verbot von Investi-tionshemmnissen vereinbart werden!
Herr Kollege.
Dann muss ich Ihnen zum Schluss noch Folgendes sa-
gen: Ich habe das doch richtig verstanden, Frau Bundes-
kanzlerin? Präsident Obama hat Ihnen gesagt, dass we-
der Sie noch Herr Gauck abgehört werden. Das sind die
Ausnahmen. Zu anderen hat er Ihnen das nicht zugesi-
chert. Das heißt, Herr Bundestagspräsident Professor
Lammert, Sie werden nach wie vor abgehört.
Im Unterschied zu Ihnen trage ich das mit Fassung,
Herr Kollege Gysi.
Ich bin noch nicht fertig! – Das heißt, dass der Bun-
desratspräsident abgehört wird. Das heißt, dass auch der
Bundesverfassungsgerichtspräsident abgehört wird und
dass auch alle anderen Bürgerinnen und Bürger abgehört
werden.
– Passen Sie auf!
Nun muss ich Ihnen Folgendes erklären, Frau Bun-
deskanzlerin: Wenn Sie mit Ihrem Ehemann Professor
Sauer telefonieren oder mit dem Vizekanzler Gabriel
oder mit Staatsminister Altmaier oder mit Ihrem Frak-
tionsvorsitzenden Kauder – die werden alle abgehört –,
dann hört man Sie zufällig mit; wenn Sie gar so dreist
wären, mit mir zu telefonieren, erst recht.
Es gibt einen Einzigen, Frau Bundeskanzlerin, dem Sie
alle Geheimnisse telefonisch und per E-Mail anvertrauen
dürfen, und das ist der Bundespräsident. Aber aus ir-
gendeinem Grund glaube ich, dass Sie dazu gar keine
Lust haben.
Ich hoffe, Sie verstehen, dass wir zu Ihrem Etat nur
mit Nein stimmen können.
Herr Kollege Gysi, ich habe eine Bitte mit Blick aufeine knappe Bemerkung in Ihrer Rede. Wenn wir denBundespräsidenten, seine Reden oder Interviews zumGegenstand unserer parlamentarischen Auseinanderset-zungen machen, was natürlich zulässig sein muss,
dann sollten wir es im Respekt gegenüber dem Staats-oberhaupt
jedenfalls korrekt und präzise tun;
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Präsident Dr. Norbert Lammert
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denn er hat im Unterschied zu jedem anderen keine Ge-legenheit, hier klarzustellen, was er gesagt und gemeinthat.Jetzt hat das Wort die Bundeskanzlerin FrauDr. Angela Merkel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Ich habe vor zehnWochen bei der ersten Lesung des Haushaltes gesagt undwiederhole es heute: Der Regierungsentwurf zum Bun-deshaushalt 2014 und zur mittelfristigen Finanzplanunglöst ein jahrzehntelanges Versprechen ein. Es ist dererste Haushalt ohne neue Schulden seit 1969. Das heißtkonkret, der Haushalt 2014 ist strukturell ausgeglichen.Die für dieses Jahr geplante Nettokreditaufnahme inHöhe von 6,5 Milliarden Euro ist die niedrigste seit40 Jahren. Laut Finanzplan gibt es im nächsten Jahr zumersten Mal die Situation, dass wir keine neuen Schuldenmehr machen. Das gilt dann auch für die kommendenJahre. Das ist eine haushaltspolitisch historische Ziel-marke.
Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen, vor allenDingen denen, die im Haushaltsausschuss sind, ein ganzherzliches Dankeschön sagen; denn die Rahmenbedin-gungen haben sich im Verlauf der parlamentarischen De-batte nicht verbessert.
Deshalb ist es umso begrüßenswerter, dass es gelungenist, die Zielmarken einzuhalten.Ich halte das für einen großen Erfolg, und zwar auchdeshalb, weil die äußeren Rahmenbedingungen natürlichnach wie vor schwierig sind. Die europäische Schulden-krise ist noch nicht ausgestanden. Es gibt eine ganzeReihe weltwirtschaftlicher Risiken. Deshalb betone ichausdrücklich: Der Erfolg besteht nicht allein darin, end-lich einen generationengerechten Bundeshaushalt vorzu-legen. Er besteht vielmehr darin, dass dieser Haushaltauch in Zukunft die Grundlagen für Deutschlands Stär-ken legt.Deutschlands Stärken bemessen sich nicht nur daran,dass Einnahmen und Ausgaben in einem vernünftigenVerhältnis zueinander stehen, sondern sie verlangen vielmehr. Sie verlangen, dass der soziale Zusammenhalt derGenerationen stimmen muss. Sie verlangen, dass dieRahmenbedingungen für diejenigen, die unseren Wohl-stand erarbeiten, stimmen müssen. Wir dürfen nicht ver-gessen, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen nach wievor absolute Priorität bei unseren politischen Vorhabenhat. Unsere Energieversorgung muss zukunftsfest sein.Energie muss sicher, bezahlbar und umweltverträglichsein. Es muss vor allen Dingen in die Zukunft des Lan-des investiert werden: in Bildung, Forschung, Infrastruk-tur.
Meine Damen und Herren, die deutsche Wirtschaft istmit Schwung in das Jahr 2014 gestartet.
Die Bundesregierung erwartet ein Wirtschaftswachstumvon real etwa 1,8 Prozent. Falls die Rahmenbedingun-gen so positiv bleiben, kann es 2015 sogar auf 2 Prozentsteigen. Damit können wir ganz nüchtern feststellen:Deutschland bleibt Stabilitätsanker und Wachstumsmo-tor der Euro-Zone und der ganzen Europäischen Union.
Auch am Arbeitsmarkt steuert Deutschland auf einenBeschäftigungsrekord zu. Die Zahl der Erwerbstätigenwird in diesem Jahr im Durchschnitt voraussichtlich beiüber 42 Millionen liegen.So schön diese Erfolge sind, so ist gleichzeitig richtig:Nachhaltige Politik muss immer nach vorne gerichtetsein. Wir müssen uns fragen: Womit verdienen wir in 5,10 oder 20 Jahren unser Geld? Was sind die Technolo-gien von morgen? Welche Rahmenbedingungen müssenwir heute schaffen, damit wir nicht nur heute, sondernmorgen und übermorgen genauso gut dastehen? Hiersind natürlich die Menschen in unserem Land nach wievor unser wichtigstes Kapital. Auf ihr Wissen, ihr Kön-nen und ihre Motivation kommt es an. Deshalb bleibenInvestitionen in Bildung und Forschung ein Schwer-punkt der Bundesregierung. Das drückt sich auch imHaushalt aus.
Meine Damen und Herren, allein für Bildung undForschung hat der Bund von 2005 bis 2013 seine Ausga-ben um knapp 60 Prozent auf rund 14,4 Milliarden Eurogesteigert – um 60 Prozent! In Deutschland werden mitt-lerweile 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildungund Forschung investiert. Das ist das Ergebnis großerund – ich sage auch – gemeinsamer Anstrengungen so-wohl der Wirtschaft als auch der öffentlichen Hand: inden Ländern und im Bund.Der Bund macht – wir haben das beschlossen undsind jetzt in der Umsetzung – einen historischen Schritt:Wir werden ab 2015 die Finanzierung des BAföG fürSchüler und Studierende zu 100 Prozent übernehmen.Hierdurch entlasten wir die Länder erheblich und struk-turell dauerhaft; pro Jahr sind das knapp 1,2 MilliardenEuro, die bei den Ländern frei werden. Ich will hiermeine Hoffnung ausdrücken – mit dem notwendigenRespekt vor den Ländern –, dass der Großteil dieses Gel-des dann wirklich Hochschulen und Universitäten zugu-tekommt; denn genau dafür haben wir das gemacht. Wirhaben ganz deutlich gesagt: Wir müssen den Unter-schied zwischen der Finanzierung der außeruniversitären
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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und der universitären Strukturen kleiner machen. Ausdiesem Grunde hoffe ich, dass wir mit unserem Entlas-tungsschritt genau dazu beitragen.
Der Bund übernimmt damit weitere gesamtstaatlicheVerantwortung für bessere Forschungs- und Bildungs-kooperationen in der Zukunft.Ich freue mich, dass im Zuge der Übernahme derKosten des BAföG eine andere wichtige Sache verein-bart werden konnte, nämlich eine Grundgesetzänderung,eine Änderung des Artikels 91 b, der sich damit befasst,wie Hochschulen und außeruniversitäre Forschungsein-richtungen miteinander kooperieren können. Wenn wirin den nächsten Jahren international wettbewerbsfähigsein wollen, dann brauchen wir solche Cluster als Mi-schung von universitärer und außeruniversitärer For-schung. Es ist gut, dass wir dafür die Weichen stellenwollen.
Meine Damen und Herren, insgesamt bedeutet das,dass die Bundesregierung in dieser Legislaturperiodenoch einmal 9 Milliarden Euro zusätzlich für Bildungund Forschung zur Verfügung stellen will. Deshalb kön-nen wir mit Fug und Recht sagen: Es war noch nie derFall, dass der Bund so viel Geld für Bildung und For-schung ausgegeben hat. Aber ich bin zutiefst davonüberzeugt, dass es eine richtige Investition in die Zu-kunft ist.
Meine Damen und Herren, zu den großen Herausfor-derungen der Zukunft gehört auch die Umsetzung derEnergiewende. Mit der EEG-Reform, die wir übermor-gen im Bundestag abschließend beraten werden, gehenwir einen wichtigen Schritt in Richtung der Energiever-sorgung von morgen. Es wird vor allem die Steuerungdes Umbaus unserer Energieversorgung mit diesem Ge-setz verbessert. Das Ganze ist also ein Schritt in Rich-tung von mehr Marktintegration. Die erneuerbaren Ener-gien haben die Nischenrolle verlassen. Sie sind einewesentliche Säule unserer Energieversorgung geworden,und deshalb müssen sie Schritt für Schritt in den Marktintegriert werden, ohne dass es zu Fadenrissen kommt,durch die wir den Anschluss verlieren.Ich glaube, es ist uns ein wichtiger Schritt gelungen.Aber ich muss sagen: Es ist nicht der letzte Schritt. Wirwerden uns in dieser Legislaturperiode noch einmal mitdiesen Fragen befassen müssen, und wir werden nochviel Arbeit investieren müssen – der Bundeswirtschafts-minister und auch ich haben das immer wieder getan –,um die Europäische Union davon zu überzeugen, dass esuns jetzt gelingen muss, diesen Weg fortzusetzen,
und dass man nicht einfach anfangen kann, jahrelang be-stehende Fördersysteme infrage zu stellen, ohne sich zuüberlegen, wie man die Übergänge schafft. Dafür wer-den wir in Europa entschieden eintreten, meine Damenund Herren.
Auch das ist wichtig: Planungssicherheit für solche In-vestitionen bekommen wir nur, wenn wir insgesamtklare Rahmenbedingungen haben. Dazu gehören natür-lich auch klare Absprachen mit der Europäischen Kom-mission.Meine Damen und Herren, es ist uns gelungen, dieWettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu erhalten, in-dem wir mit der Besonderen Ausgleichsregelung dienotwendigen Ausnahmen geschaffen haben. Auch daswar ein hartes Stück Arbeit. Aber ich muss sagen: Ar-beitsplätze zu erhalten, die Möglichkeit der Schaffungneuer Arbeitsplätze nicht zu verbauen, das ist eine abso-lute Notwendigkeit. Ansonsten wird die Energiewendeauf keine Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen.
Deshalb ist das der Großen Koalition ein zentrales An-liegen, meine Damen und Herren.
Nach der Verabschiedung des EEG hier im Bundestagund hoffentlich dann auch im Bundesrat wird die Gestal-tung der Energiewende auch in den nächsten Jahren eineHerkulesaufgabe bleiben. Es ist eine nationale Kraftan-strengung notwendig, damit es uns gemeinsam gelingt,die gesamte Energieerzeugung auf eine neue Basis zustellen. Deshalb geht es um Strommarktdesign; deshalbwird es um Kapazitätsmärkte gehen, um Rahmenbedin-gungen für Kraftwerke, um die Steigerung der Energie-effizienz und auch um Fortschritte beim Leitungsausbau.Das heißt, wir sind hier gerade einmal einen wichtigenSchritt vorangekommen, aber das Ganze bedarf nochsehr viel weiterer Anstrengungen.Wenn wir darüber sprechen, wie wichtig es ist, in dieZukunft unseres Landes zu investieren, dann ist einesder großen Themen natürlich auch die voranschreitendeDigitalisierung. Hinter diesem Stichwort verbirgt sich janicht mehr und nicht weniger als eine sehr tiefgehendetechnologische Revolution, aber auch eine gesellschaft-liche Veränderung, auf die in den verschiedenen Berei-chen Antworten gegeben werden müssen.Deshalb arbeitet die Regierungskoalition an einer di-gitalen Agenda, die wir voraussichtlich im August imKabinett beraten werden. Wichtig ist dabei, dass dieTeilhabe aller an den Chancen und Möglichkeiten der di-gitalen Zukunft gegeben ist. Das heißt, wir müssen dieVersorgung mit Breitband verbessern; daran wird gear-beitet. Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit deutscherUnternehmen. Es geht in diesem Zusammenhang darum,dass wir die Telekommunikations- und Netzunterneh-men beim Ausbauprozess durch vernünftige Rahmenbe-dingungen unterstützen, zum Beispiel auch durch dieVersteigerung von Frequenzen aus der digitalen Divi-dende 2, woraus wieder neue Mittel zur Verfügung ste-hen werden, um den Breitbandausbau zu fördern.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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Wir müssen die Sicherheitsaspekte beachten. BeimThema Sicherheit im Netz ist jeder Einzelne und jedesUnternehmen natürlich selbst gefordert, aber wir werdenauch staatliche Rahmenbedingungen brauchen. Ich willin diesem Zusammenhang auch an die Industrie appellie-ren: Sicherheit vor Cyberattacken zum Beispiel kann esnicht geben, wenn es nicht auch eine gewisse Transpa-renz hinsichtlich solcher Attacken gibt. Ich glaube, esdarf nicht immer nur die Sorge vor Rufschädigung ge-ben, sondern man muss diese Dinge sehr offensiv ange-hen.Das, was der Staat zum Schutz der Unternehmen wieder einzelnen Bürger tun kann, das werden wir soschnell wie möglich tun. Die Bundesregierung steht derWirtschaft zur Seite mit der Taskforce „IT-Sicherheit inder Wirtschaft“ und den Bürgerinnen und Bürgern mitdem BSI.Nationale Gesetzgebung stößt hier natürlich an Gren-zen. Deshalb werden wir, wenn wir die tiefgreifendeDiskussion über das, was informationelle Selbstbestim-mung im 21. Jahrhundert bedeutet, führen, mit nationa-ler Gesetzgebung alleine nicht hinkommen. Wir brau-chen zumindest europäische Standards – deshalb dieDiskussion über die Datenschutz-Grundverordnung –,aber wir brauchen auch globale Regelungen. Es ist sehrmühsam, aber auch hier gilt genauso wie bei den Finanz-märkten: Wir müssen dicke Bretter bohren und immerweitermachen. Nur wenn sich die globalen Rahmenbe-dingungen verbessern, wird man das sicherstellen kön-nen, was die Bürgerinnen und Bürger mit Recht erwar-ten.Wenn wir über die Infrastruktur der Zukunft spre-chen, kommen wir natürlich auch zu den Verkehrs-netzen. Die Bundesregierung wird in dieser Legislatur-periode im Vergleich zur letzten Legislaturperiode5 Milliarden Euro mehr für die Verkehrsinfrastruktur zurVerfügung stellen. Wir werden auch die Nutzerfinanzie-rung ausweiten, zum Beispiel im Lkw-Bereich. Wir wer-den aber auch Vorschläge des Bundesverkehrsministersin nächster Zeit bekommen, wie die Nutzer ausländi-scher Kfz an den Verkehrskosten beteiligt werden kön-nen.Deutschland ist und bleibt stark, wenn die Entwick-lung auf dem Arbeitsmarkt weiter so gut verläuft, wiedas in der letzten Zeit der Fall war. Ich sagte es schon:Die Zahl der Erwerbstätigen ist auf einem Rekord-niveau, aber nicht nur die: Auch die Zahl der sozialver-sicherungspflichtig Beschäftigten steigt weiter an.Wir haben einen guten Trend bei der Bekämpfung derJugendarbeitslosigkeit. Der Abbau der Jugendarbeits-losigkeit erfolgt nach Angaben der Bundesagentur imAugenblick schneller als der Abbau der Arbeitslosigkeit.Natürlich muss unser Schwerpunkt sein, die Situationvon Langzeitarbeitslosen zu verbessern. Hier haben wireine viel zu hohe Zahl von Menschen, die über mehr alsein Jahr in Arbeitslosigkeit sind. Natürlich haben wirauch das Problem, dass sich dies in den Zukunftschan-cen der Kinder widerspiegelt. Deshalb müssen wir hierganz gezielt herangehen. Die Bundesarbeitsministerinhat hierzu erste Vorschläge gemacht.Es geht auch darum, faire Arbeitsbedingungen zuschaffen. Deshalb werden wir den Mindestlohn einfüh-ren; aber wir werden auch genau darauf achten – daswird in den abschließenden Beratungen jetzt auch getan –,dass dadurch keine Arbeitsplätze verloren gehen, son-dern dass es gelingt, den Trend, mehr Beschäftigte inDeutschland zu haben, fortzusetzen.Wir wollen natürlich auch – ich habe vom Zusam-menhalt der Generationen und von der Gerechtigkeit ge-sprochen – an alle Generationen denken. Deshalb wardas Rentenpaket ein wichtiger Schritt in dieser Legisla-turperiode. Es bringt Verbesserungen für Mütter, die vor1992 ihre Kinder bekommen haben. Herr Gysi, an dieserStelle will ich nur Folgendes sagen: Rechnen Sie einmalaus, um wie viel höher die Steuerzuschüsse des Bundesin den letzten Jahren im Vergleich zu dem sind, was fürMütterrenten bereits ausgegeben wurde. Dann werdenSie sehen, dass der Schritt, den wir jetzt unternehmen,gut verkraftbar ist. Im Übrigen haben wir gesagt, dasswir ab 2018 Steuerzuschüsse zur Mütterrente dazugeben.Ich finde, um ein Mindestmaß an Wahrheit zu gewähr-leisten, sollten Sie das auch einmal erwähnen.
In der allgemeinen Diskussion wird vielleicht nichtausreichend beachtet, dass im Rahmen des Rentenpake-tes auch die Erwerbsminderungsrente verbessert wurde.Das ist ein ganz wichtiger Punkt; denn wenn wir uns diefaktische, die reale Altersarmut von heute anschauen,stellen wir fest, dass viele Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer aus gesundheitlichen Gründen ihren Arbeits-platz früher verlassen mussten. Deshalb ist dies ein ganzwichtiger Schritt. Natürlich ist auch die abschlagsfreieRente für Menschen, die 45 Jahre lang Beiträge geleistethaben, ein wichtiger Schritt – ohne dass wir die Rentemit 67 damit außer Kraft gesetzt hätten. Auch das musseinmal gesagt werden: Die Rente mit 67 ist nicht beliebt,aber sie ist angesichts der demografischen Herausforde-rungen notwendig.Für viele Menschen, an die wir vielleicht nicht jedenTag denken, sind die Verbesserungen der Rahmenbedin-gungen für die Pflege ein ganz wichtiger Punkt. Dies isteine der großen Aufgaben unserer Gesellschaft. Derkürzlich vom Kabinett beschlossene Entwurf eines Pfle-gestärkungsgesetzes, den wir zum 1. Januar 2015 kon-kret umsetzen wollen, ist ein erster wichtiger Schritt zueiner Reform der Pflegeversicherung. Wir werden dieLeistungen für die Pflegebedürftigen genauso wie dieLeistungen für die Pflegenden spürbar verbessern. Dasgeht einher mit einer angemessenen Beitragserhöhung– ja –, aber wir stehen aus Überzeugung dazu, weil wirsagen: Die Pflege und damit ein würdiges Leben im Al-ter sind für uns als Große Koalition ein Schwerpunkt.
Dabei werden vor allem Familien, die ihre Angehöri-gen zu Hause pflegen, mehr Unterstützung bekommen.Für die Pflegeeinrichtungen soll die Arbeit leichter wer-
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den. Es sollen mehr Betreuungskräfte zur Verfügung ste-hen, und die Betreuungsleistungen werden weiter ausge-baut und auf alle Pflegebedürftigen ausgedehnt.Wir werden in einem zweiten Schritt in Richtung ei-nes neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs gehen. Diesbe-züglich unterstütze ich den Gesundheitsminister absolut:Bei der Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbe-griffs sollten wir Schritt für Schritt vorgehen; denn hier-von sind viele betroffen. Wenn am Ende auch nur we-nige im Vergleich zu heute schlechtergestellt wären,würde das auf Unverständnis stoßen. Deshalb finde ichdiese schrittweise Einführung absolut sachgerecht undpraxisgerecht.
Wir haben auch die Belastungen für künftige Genera-tionen im Blick. Deshalb beginnen wir mit Blick auf dieGenerationengerechtigkeit mit Maßnahmen zum Aufbaueines Vorsorgefonds für die Pflege. Ich glaube, das istein erster wichtiger Schritt. Er ist sicherlich noch nichtausreichend, aber wichtig.So wichtig die ganzen Sachfragen bei der Pflege imDetail sind, will ich doch auch daran erinnern, dass diestillen Helden bei der Pflege zumeist die Mitglieder derFamilien sind. Sie geben ihren zu pflegenden Angehöri-gen den notwendigen Halt. Sie stehen ihnen zur Seite,Tag und Nacht. Vielleicht würdigen wir sie manchmal zuwenig. Deshalb muss das im Zusammenhang mit dieserPflegereform immer wieder erwähnt werden.
In dem Bereich der Pflege zeigt sich im Grunde, wasdas Fundament unserer Gesellschaft ist. In Familienwird nämlich dauerhaft Verantwortung füreinander über-nommen: Eltern für Kinder, aber genauso Kinder späterfür ihre Eltern. Deshalb ist es wichtig, dass wir geradebei dem, was Familien heute besonders am Herzen liegt,weitere Schritte gehen, nämlich bei der Verfügbarkeitvon Zeit. Dies ist wichtig für die Vereinbarkeit von Be-ruf und Familie. Deshalb glaube ich, dass die Einführungdes ElterngeldPlus und der Partnerschaftsbonus einwichtiger weiterer Schritt sind.Spannend ist eigentlich, dass sich in den letzten Jah-ren die Diskussion über Familien richtigerweise immerweiter dahin entwickelt hat, dass wir heute eben nichtnur über Mütter, sondern über Eltern, also über Väterund Mütter, sprechen; denn nur so wird die Vereinbarkeitvon Beruf und Familie wirklich umfassend gelebt wer-den können, meine Damen und Herren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe wieder undwieder gesagt, dass es auch unserem Land auf Dauer nurdann gut geht, wenn es auch Europa gut geht. DieserGrundsatz leitet mich und die Bundesregierung auch beidem morgen beginnenden Europäischen Rat. Ich binüberzeugt: Wenn sich Europa auf die Zukunftsfragenkonzentriert, wird es das Vertrauen der Bürgerinnen undBürger auch wieder zurückgewinnen können. Deshalbwar es richtig, dass wir uns nach den Europawahlen zu-nächst Zeit für Konsultationen genommen haben, umauch über Inhalte und Personen zu sprechen. Deshalbwerden wir auf dem jetzt kommenden Rat aus meinerSicht ein überzeugendes Paket aus inhaltlichen Prioritä-ten und ersten Personalentscheidungen beraten können.Ich hoffe, dass das Ganze eine breite Unterstützung derMitgliedstaaten finden wird.Der Ratsvorsitzende Herman Van Rompuy wird unsam Donnerstag über seine Konsultationen mit den Mit-gliedstaaten, aber auch mit den Fraktionen des Europäi-schen Parlaments berichten. Die Bundesregierung trittfür Jean-Claude Juncker im Amt des nächsten Präsiden-ten der Europäischen Kommission ein.
Hierzu brauchen wir im Rat eine qualifizierte Mehrheit.Ich will noch einmal darauf verweisen, dass dies in denVerträgen auch genauso niedergelegt ist. Es ist also keinDrama, wenn wir nur mit qualifizierter Mehrheit abstim-men würden. Allerdings – das habe ich auch immer wie-der betont – erfolgen alle Konsultationen in einem euro-päischen Geist, was bedeutet, dass die Anliegen allerMitgliedstaaten ernstgenommen werden. In diesemGeist werde ich die Konsultationen in den nächsten bei-den Tagen auch führen.Für eine gute Zukunft der Europäischen Union zu sor-gen, ist letztlich die gemeinsame Verantwortung aller,die in Europa politische Verantwortung tragen. Deshalbmüssen die Institutionen, die Mitgliedstaaten, das Euro-päische Parlament und die Kommission gut zusammen-arbeiten. Deshalb ist es auch gut, dass wir jetzt zum ers-ten Mal über inhaltliche Prioritäten nicht nur unter unsim Rat diskutieren, sondern dabei auch das EuropäischeParlament konsultieren. Es wäre ein riesiger Fortschritt,wenn in den nächsten fünf Jahren auch klar sein würde,dass Rat und Parlament die gleichen Prioritäten setzen.Dies würde die Arbeit der Kommission erheblich er-leichtern.Dazu gehört eine vertiefte Wirtschafts- und Wäh-rungsunion, die dennoch den Zusammenhalt der EU-28erhält. Verstärkte Zusammenarbeit bedeutet immer Of-fenheit – alle für alle – und die Stärkung von Wachstum,Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung unter Berück-sichtigung der sozialen Dimension. Die Arbeitslosigkeitist natürlich das dringendste Problem in Europa.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung istsich einig: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt bietethervorragende Voraussetzungen: einerseits klare Leit-planken und Grenzen und andererseits eine Vielzahl vonFlexibilitätsinstrumenten. Beides müssen wir nutzen, ge-nauso wie es in der Vergangenheit auch schon genutztwurde und wie wir es in unserem Koalitionsvertrag fest-gelegt haben. In dem Koalitionsvertrag bekennen wiruns zu den gestärkten Regeln des Stabilitäts- und Wachs-tumspaktes. Der Wachstumspakt erlaubt die notwendigeFlexibilität, um eine wachstumsfreundliche Haushalts-konsolidierung zu ermöglichen,
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und er macht deutlich, dass stabiles Wachstum nur durchnachhaltige Strukturreformen erreicht werden kann,meine Damen und Herren.
Am zweiten Tag des Europäischen Rates werden wirdann ein relativ umfangreiches Programm haben. Esgeht um drei weitere Themenbereiche:Erstens geht es um die strategischen Leitlinien für dieFortentwicklung des Raums der Freiheit, der Sicherheitund des Rechts. Es geht hier im Wesentlichen natürlichum die akuten Fragen der Asylpolitik, der Migrations-politik. Dabei wird es um die Umsetzung des gemeinsa-men europäischen Asylsystems in allen Mitgliedstaatengehen. Diese muss hohe Priorität haben. Natürlich ist dieSolidarität zwischen den Mitgliedstaaten ein wichtigesPrinzip, aber das setzt voraus, dass jeder Mitgliedstaatseiner eigenen Verantwortung in der Asylpolitik gerechtwird. Wir werden über das integrierte Grenzschutzsys-tem und dessen Weiterentwicklung sprechen und auchüber die weitere Prüfung des sogenannten Smart-Border-Programms, also über alle Fragen, die mit der Grenzsi-cherung – Sie wissen, welch schwere Aufgaben Frontexzu leisten hat – zusammenhängen.Wir wollen die Rückgewinnung – auch das gehörtzum Bereich der inneren Sicherheit, der Innenpolitik undder Justizpolitik – des Vertrauens der Bürgerinnen undBürger im Bereich des Datenschutzes sicherstellen. Des-halb haben, wie ich schon sagte, die weiteren Beratun-gen der Datenschutz-Grundverordnung Priorität.Zweitens werden wir uns mit den für die weitere wirt-schaftliche Entwicklung wichtigen Themen befassen.Die Lage in der Euro-Zone hat sich in gewisser Weiseberuhigt. Der wirtschaftliche Aufschwung, das Wirt-schaftswachstum, kehrt langsam zurück, aber die Kriseist noch nicht endgültig überwunden. Die Situation istfragil. Es ist nach wie vor wichtig, dass in einigen Mit-gliedstaaten Strukturreformen durchgeführt werden. Siesind das Rückgrat eines dauerhaften Aufschwungs.Die Kommission gibt uns, jedem einzelnen Mitglied-staat, mit ihren länderspezifischen Empfehlungen jedesJahr Hinweise, wo Verbesserungen notwendig sind. Wirwerden diese länderspezifischen Empfehlungen auf demRat im Juni, also übermorgen, beraten. Zur Wahrheit ge-hört, dass die Umsetzungsrate dessen, was die Kommis-sion den einzelnen Ländern empfiehlt, nicht so gut ist,dass man sagen könnte: Hiermit können wir zufriedensein.
Deutschland hat einiges umgesetzt. Die Kommission er-kennt im Übrigen in ihren länderspezifischen Empfeh-lungen von diesem Jahr an, dass wir seit dem letzten Jahreiniges gemacht haben. Aber ich gebe auch zu: Im Be-reich der Dienstleistungen sind noch Hausaufgaben zuerledigen, mit denen wir uns zu befassen haben. Insge-samt, auf die anderen Mitgliedstaaten geschaut, gibt eseine große Lücke zwischen den Umsetzungen und derZahl der länderspezifischen Empfehlungen. Deshalb tre-ten wir als Bundesregierung dafür ein, dass die wirt-schaftspolitische Koordinierung verbessert wird, damithier mehr Verlässlichkeit einzieht.Wir haben dann beim Europäischen Rat darüber zubefinden, wie es mit dem Klima- und Energierahmen biszum Jahre 2030 weitergeht. Hier werden keine endgülti-gen Entscheidungen gefällt, sondern wir werden eineZwischendiskussion führen. Die endgültigen Entschei-dungen werden im Oktober zu fällen sein. Wir brauchenverbindliche Ziele bei der Reduktion der Treibhausgaseund beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Hierwürde sich die Bundesregierung noch etwas mehr vor-stellen können, als es die Kommission vorgeschlagenhat. Hinsichtlich der Energieeffizienz sollte die Kom-mission noch vor der Sommerpause einen Vorschlag fürambitionierte Ziele bis 2030 vorlegen.Ich glaube, das ist auch deshalb so wichtig, weil dieVerbesserung der Energieeffizienz ein zentraler Punktist, wenn wir uns über die Verringerung der Abhängig-keit der Energieversorgung von Importen unterhalten.Das ist ja ein ganz aktuelles Thema. Deshalb wollen undmüssen wir uns darüber klar werden, dass wir im Okto-ber endgültige Entscheidungen fällen und natürlich auchan einer gemeinsamen Energiepolitik in der Europäi-schen Union weiterarbeiten.Die Ereignisse in der Ukraine in jüngster Zeit habenuns noch einmal vor Augen geführt, wie abhängig wirvon Energieimporten sind. Die Energieversorgung inEuropa hängt zu über der Hälfte von Importen ab. Dasheißt, jede gesparte Kilowattstunde ist ein Beitrag, umvon Importen unabhängiger zu werden. Daran müssenwir arbeiten. Auf der Grundlage der Mitteilung der Eu-ropäischen Kommission werden wir uns zuerst einmalmit kurzfristigen Maßnahmen für den Winter 2014/2015befassen. Dann müssen wir uns natürlich mittel- undlangfristig mit der Frage der Versorgungssicherheit aus-einandersetzen. Hier werden auch die Energieministereinen wichtigen Beitrag leisten.Der dritte Schwerpunkt – neben den Bereichen Innenund Recht sowie Wirtschaft, Klima und Energie – sinddie Außenbeziehungen der Europäischen Union. Wirwerden die Entscheidung des Rates für Auswärtige An-gelegenheiten, dass Albanien den Status eines Beitritts-kandidatenlandes bekommt, voraussichtlich bestätigen.Es wird bis zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungennoch viele weitere Reformen und Umsetzungsfort-schritte Albaniens brauchen, damit wir dann zu diesemnächsten Schritt kommen können. Die Bundesregierungund der Bundestag stehen hierüber ja in engem Kontakt.Es wird dann am Freitagmorgen am Rande des Rateszur Unterzeichnung der Assoziierungsabkommen undeines tiefen und umfassenden Freihandelsabkommenssowohl mit Moldau und Georgien als auch, was denFreihandelsteil betrifft, mit der Ukraine kommen. Dabeihaben wir festgelegt, dass die Handelserleichterungenim Hinblick auf die Ukraine, um Handelsverwerfungenzwischen der Ukraine und Russland zu vermeiden, nichtsofort in Kraft gesetzt werden, sondern eine Verhand-lungsphase eingebaut wird und darüber dann Gesprächezwischen der Kommission, Russland und der Ukraine
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stattfinden. Aber wir sind der Meinung, wir müssen hierzu Lösungen kommen. Ich habe immer wieder gesagt:Einerseits brauchen wir Verhandlungen mit Russland,auch über die Wirtschaftsfragen. Andererseits kann eskein Entweder-oder geben – entweder Handel mit Russ-land oder Handel mit der Europäischen Union –, sondernbeides muss möglich sein.
Wir werden dann über den Antrag Litauens auf Bei-tritt zur Euro-Zone zum 1. Januar 2015 diskutieren; auchder Bundestag hat sich hiermit befasst. Mit Litauen trittein weiterer Mitgliedstaat der Euro-Zone bei. Das zeigt,dass der Euro attraktiv ist. Litauen ist ein Land, dasdurch einen harten Spar-, Konsolidierungs- und Struk-turreformkurs gezeigt hat, dass es die Voraussetzungenerfüllen möchte.Dann wird uns natürlich die Lage in der Ukraine be-schäftigen. Präsident Poroschenko wird nach der Unter-zeichnung des Assoziierungsabkommens wahrscheinlichauch für kurze Zeit am Rat teilnehmen und uns über dieLage berichten. Präsident Poroschenko ist einen sehrmutigen Schritt gegangen, als er am letzten Freitag eineneinseitigen Waffenstillstand verkündet hat. Wir müssenuns einmal vor Augen führen, was es bedeutet, wenn al-lein am gestrigen Tag elf Soldaten in der Ukraine ihr Le-ben verloren haben – neun durch den Abschuss einesHubschraubers und zwei weitere – und eine Seite einsei-tig einen Waffenstillstand verkündet. Dieser Waffenstill-stand läuft bis Freitag dieser Woche.Wir brauchen substanzielle Fortschritte, damit wir indauerhafte Gespräche eintreten können. Die Erwartungder Ukraine ist natürlich, dass die Europäische Unionauch reagiert, wenn nicht alle Seiten – dazu gehört auchRussland – einen notwendigen Beitrag leisten. ErsteSchritte sind erfolgt. Gerade die gestrige Bitte an denFöderationsrat, den Verzicht auf die Vollmacht, dass inder Ukraine interveniert werden kann, zu erklären, ist inpsychologischer Hinsicht ein wichtiger Punkt.Es war wichtig, dass Präsident Putin gestern den Ab-schuss des Hubschraubers verurteilt hat. Es ist wichtig,dass es in der betroffenen Region zu Gesprächen kommt.Aber ich sage auch: Bis jetzt werden nur langsam Fort-schritte gemacht. Von den Separatisten sind drei Grenz-übergänge zurückerobert worden, und die ukrainischeArmee steht da und hat sich verpflichtet, nichts zu tun.An diesen Grenzübergängen gibt es immer wieder Be-wegung. Die Bundesregierung, der Bundesaußenminis-ter, viele andere und ich werden alles tun, damit wir inden nächsten Stunden bzw. wenigen Tagen Fortschritteerzielen. Aber ich kann Ihnen noch nicht sagen, zu wel-chem Schluss Präsident Poroschenko am Freitag kommt.Wir helfen, wo immer wir können, weil wir sagen: Dip-lomatische Lösungen sind allem anderen vorzuziehen.Ich wiederhole: Sie sind allem anderen vorzuziehen.
Aber wenn nichts anderes hilft, können auch wiederSanktionen auf die Tagesordnung kommen, und zwardiesmal solche der dritten Stufe.Meine Damen und Herren, es gibt in diesen Wochendes großen Gedenkjahres 2014 eine intensive Auseinan-dersetzung mit den Gründen, die zum Ausbruch des Ers-ten Weltkrieges vor 100 Jahren geführt haben. Immerwieder steht die Frage im Raum: Was haben wir dennnun aus der Geschichte gelernt? Der deutlichste Unter-schied zu damals ist: Es gibt heute eine umfassende Ge-sprächskultur in Europa. Staats- und Regierungschefsund Minister kennen sich persönlich, sprechen miteinan-der, tauschen sich aus, und – ja – sie streiten, wenn nötigvon Angesicht zu Angesicht; aber sie reden miteinander.Der Europäische Rat, der morgen beginnt, macht diehistorische Bedeutung der europäischen Einigung nocheinmal deutlich. Denn der Europäische Rat wird unge-wöhnlich beginnen: Präsident Herman Van Rompuy hatdie Regierungschefs dazu eingeladen, im belgischenYpern gemeinsam des Ausbruchs des Ersten Weltkriegsvor 100 Jahren zu gedenken. Gerade die Schlachten inFlandern sind so etwas wie ein Sinnbild der Grausamkeitdes technisierten Massenkrieges: In Ypern wurde zumersten Mal Giftgas eingesetzt. Rund eine halbe Millionjunger Männer starb auf den Schlachtfeldern rund umYpern – ein halbe Million junger Männer! Orte wieYpern oder auch Verdun stehen für die Selbstzerflei-schung eines ganzen Kontinents, Europas.Erfahrungen wie diese bilden auch den Hintergrundder Berliner Erklärung, die wir im März 2007 verab-schiedet haben. Ich darf sie noch einmal zitieren:Wir haben mit der europäischen Einigung unsereLehren aus blutigen Auseinandersetzungen undleidvoller Geschichte gezogen. Wir leben heutemiteinander, wie es nie zuvor möglich war.Wir Bürgerinnen und Bürger der EuropäischenUnion sind zu unserem Glück vereint.Wie dankbar wir für dieses Glück sein müssen, daszeigt sich dieser Tage auch an der Tragödie in Syrienund an der Lage im Irak. Der dramatische Vormarschvon ISIS hat die Lage in der Region natürlich noch wei-ter verschlechtert. Hunderttausende sind auf der Flucht.Der jordanische König war gestern zu einem Besuch inBerlin und hat mir noch einmal über die Lage in seinemLand berichtet. 20 Prozent der Bevölkerung Jordanienssind inzwischen Flüchtlinge aus Syrien – unvorstellbarfür ein Land, das sonst unter vielen fragilen Situationenzu leiden hat. Ähnliches gilt für den Libanon, und natür-lich ist auch die Türkei betroffen.Deshalb werden wir in zwei Richtungen nicht nach-lassen: Einmal werden wir daran mithelfen, dieses Leidzu lindern. Ich denke, die Anstrengungen der Bundesre-gierung sind beachtlich. Danke auch für die Unterstüt-zung aus dem Parlament; aber auch das wird noch nichtausreichen. Deshalb müssen wir zum anderen alles tun,um an politischen Lösungen zu arbeiten. Der Irakbraucht eine Regierung, die alle Bevölkerungsteile miteinbezieht. Dies ist über Jahre nicht gelungen. Geradedeshalb muss der Druck hierauf jetzt erhöht werden.Herr Präsident, meine Damen und Herren, das Ver-sprechen des Glücks des in Frieden und Freiheit verein-ten Europas müssen wir für kommende Generationen
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schützen; das muss die Leitlinie unserer Arbeit für dieBürgerinnen und Bürger sein. Nicht das Recht des Stär-keren wird sich dauerhaft durchsetzen, sondern dieStärke des Rechts; das ist unsere Überzeugung. Sie si-chert Frieden, Freiheit und Wohlstand, und das ist heuteEuropa. Deshalb ist die Europäische Union trotz allerSchwierigkeiten attraktiv und ein gutes Zukunftsmodell.Das Modell des fairen Interessenausgleichs ist nach mei-ner festen Überzeugung nicht nur für Europa das Zu-kunftsmodell. Wer nur seine eigenen Belange in denVordergrund stellt, schadet sich am Ende selbst am meis-ten.Am 28. Mai hatte ich die Gelegenheit, die Sonderaus-stellung des Deutschen Historischen Museums zum Ers-ten Weltkrieg mit vier jungen Leuten zu besichtigen undanschließend mit diesen vier jungen Leuten zu diskutie-ren. Eine Studentin aus Weißrussland sagte dabei, dassfür sie die Europäische Union immer eine Art – Zitat –Schatztruhe gewesen sei, ein Ort von Modernität und Si-cherheit, wie sie es aus weißrussischer Perspektivenannte. Lassen Sie uns Europa bei allem, was uns be-wegt, wieder mehr mit den Augen dieser jungen Leutesehen: als einen Schatz von Frieden, von Freiheit, vonWohlstand und damit auch als einen Schatz für die Zu-kunft.Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Anton Hofreiter fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Kanzlerin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist einLand, das sehr viel kann. Es hat engagierte und solidari-sche Bürgerinnen und Bürger. Deutschland hat innova-tive Unternehmen, die in der ganzen Welt wirtschaftlicherfolgreich tätig sind. Wir haben kreative Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftler, die bereits heute an denLösungen von morgen und übermorgen arbeiten.
Es ist ein wohlhabendes, ein kreatives Land.Deutschland könnte erheblich zur Lösung der großenProbleme unserer Zeit beitragen,
sei es die Klimakatastrophe, sei es die Ungerechtigkeitin Europa und auch in Deutschland selbst oder seien esdie humanitären Katastrophen in Syrien und im Irak.Warum, Frau Merkel, machen Sie und Ihre Regierung sowenig aus diesen Möglichkeiten?
Warum nutzen Sie die Potenziale unseres Landes, um diegroßen Zukunftsherausforderungen zu bewältigen,nicht? Das ist schlicht unverständlich. Aus dieser Regie-rung kommt Deutschland schwächer heraus, als es hi-neingegangen ist.
Fangen wir beim Bundeshaushalt an. Sie finden guteAusgangsbedingungen vor: Die Steuereinnahmen sindhoch, und die Zinsen sind auch dank der vielgescholte-nen EZB historisch niedrig. Sie haben alle Möglichkei-ten, den Haushalt strukturell zu konsolidieren und mitden nötigen Zukunftsinvestitionen zu beginnen.Doch wie wenig machen Sie daraus.
Sie treten auf der Stelle, Sie verwalten, Sie verharren,Sie schummeln wie Schulbuben. Kein Drive, keine Visi-onen, kein Mut: Das ist der Sound dieser Koalition.
Wegen Steuerrückzahlungen und Mindereinnahmenmussten Sie unerwartet 3 Milliarden Euro finanzieren –weniger als 1 Prozent des Bundeshaushaltes. Sie habenaber nicht einmal den Mut, dieses 1 Prozent durch Spa-ren oder bessere Einnahmen solide zu finanzieren. Nein,Sie wetten auf niedrige Zinsen und eine rosige Konjunk-tur. Das ist das Gegenteil von solider Haushaltspolitik.Das ist schlicht das Prinzip Hoffnung.Da das alles noch nicht reicht, ziehen Sie in einernächtlichen Sitzung wie ein billiger Zauberer einfach800 Millionen Euro aus dem Hut. Das ist ein 800-Millio-nen-Euro-Kaninchen. Sie biegen sich die Steuerschät-zung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zurecht. So einenbilligen Trick gab es noch nie.
Sie haben hier eine Mehrheit von 80 Prozent und schaf-fen es nicht, 1 Prozent zu sparen. Je größer die Koalition,desto kleiner sind offensichtlich ihre Entscheidungen.
Stattdessen verplempern Sie, Herr Kauder, munterdas Geld der Bürgerinnen und Bürger. Können Sie sichnoch erinnern? Gleich zu Beginn haben Sie sich diversezusätzliche Staatssekretärsposten gegönnt und das Bun-destagspräsidium aufgebläht. Jetzt schauen Sie einfachzu, Herr Dobrindt, wie Milliarden im märkischen Sandversickern beim Versuch, einen Flughafen zu bauen.Subventionen, erwiesenermaßen kontraproduktiv, dieunserer Umwelt schaden, lassen Sie einfach weiterlau-fen. Das ist pure Ideologie statt Vernunft. Sie gehenschlicht unverantwortlich mit dem Geld der Steuerzahle-rinnen und Steuerzahler um.
Dank all dieser Verschwendung haben Sie nicht mehrausreichend Geld für Sinnvolles. Wo bleibt eine Offen-sive zur Reparatur unserer maroden Straßen und Brü-cken? Das schaffen Sie nicht. Es ist auch nicht drin, dieinternationalen Zusagen zur Entwicklungszusammenar-beit einzuhalten. Kriegen Sie es hin, mehr Geld für den
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3698 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Dr. Anton Hofreiter
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Kampf gegen rechts zur Verfügung zu stellen? Laut Ver-fassungsschutzbericht nimmt die brutale Gewalt starkzu. Hier geht es um sage und schreibe 20 MillionenEuro. Nein, nicht einmal das kriegen Sie hin. Sie bleibensehr weit unter den Möglichkeiten, die Ihnen dieserHaushalt bieten würde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist sogar nochschlimmer: Sie hinterlassen allen nachfolgenden Regie-rungen riesige Probleme. Denn ungeniert plündern Sieunter Ihrer rot-schwarzen Fahne die Sozialkassen. Siepacken mal eben 160 Milliarden Euro an neuen Ausga-ben auf die Schultern der Beitragszahler und Rentner.Für Ihr Rentenpaket zahlen die jungen Menschen amEnde doppelt: durch höhere Beiträge und niedrigereRenten.Die Finanzierung Ihres Rentenpakets ist schlicht un-verantwortlich. Mit dem vielen Geld erreichen Sie dannauch noch so wenig. Denn an denjenigen, die bereitsheute mehr Geld benötigen, also an den heutigen undkünftigen armen Rentnerinnen und Rentnern, fließt Ihrschöner schwarz-roter Geldstrom komplett vorbei; siebleiben leider arm. Das Gleiche gilt für die Menschen,die sich krankgearbeitet haben. Diese Menschen bräuch-ten unsere Solidarität. Für sie ist in Ihrem Rentenpaketaber praktisch nichts enthalten. Ihre Politik ist teuer undunsozial.
In unserem reichen Land lebt jedes fünfte Kind in Ar-mut. Der Kinderschutzbund nennt das: „Arm dran in ei-nem reichen Land.“ Diese Kinder haben schlechtereChancen auf einen guten Bildungsabschluss. Ja, unserBildungssystem verstetigt und verfestigt diese Unge-rechtigkeit sogar noch. Das ist richtig skandalös. Wasaber noch schlimmer ist, ist, wie wenig Chancen diesenKindern geboten werden. Dreimal mehr Kinder aus Aka-demikerhaushalten machen Abitur als Kinder aus Nicht-akademikerfamilien. Statt einer Bildungsrepublik, FrauMerkel, erleben die Kinder aus armen Schichten einenStändestaat.
Deutschland als eines der reichsten Länder dieses Pla-neten sollte doch wohl in der Lage sein, Kinderarmutund Chancenungleichheit zu beseitigen. Ihre Regierungaber verschenkt die Zukunft dieser Kinder mit erschre-ckender Gleichgültigkeit. Jedes Kind hat eine Chanceverdient. Wir wollen gute Schulen und gute Kitas für alleKinder. Es gibt zwar einen großen Konsens in dieser Ge-sellschaft und in diesem Haus, dass wir mehr Geld fürBildung ausgeben müssen, aber wir erreichen noch nichteinmal den Durchschnitt aller OECD-Länder. Ihre Ant-wort darauf ist ein Bildungspäckchen; mehr ist es nicht.
Sie speisen die Länder am Ende mit Brosamen ab.Rechnen wir einmal aus, was Ihr Bildungspäckchen fürein Bundesland wie Bremen konkret bedeutet: Für Bre-men kommen 2 Millionen Euro mehr für Kitaplätze he-raus. Damit kann Bremen sein Personal um 1 Prozentaufstocken. Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst. Das istdoch kein Bildungspaket. Das ist absolut lächerlich.
Nirgendwo ist die Diskrepanz zwischen warmen Wor-ten von Ihnen, Frau Merkel, und bescheidenen Tatengrößer. Sie knausern bei der Bildung und setzen soDeutschlands Zukunft aufs Spiel. Frau Merkel, Sie redenimmer davon, dass Deutschland seine Innovationskrafterhalten müsse. Dafür müsste die Große Koalition aberendlich einmal ihre Möglichkeiten nutzen und einen gro-ßen Schritt in Richtung Bildungsrepublik gehen. Statt-dessen machen Sie ein paar Trippelschritte – mehr nicht.Sie verramschen de facto die Potenziale unseres Landes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Energiewende,der ökologische Umbau unserer Wirtschaft, ist eine his-torische Aufgabe. Hier wird die Zukunftsvision einernachhaltigen Lebensweise konkret: kein Raubbau mehran den Schätzen unseres Planeten, keine Verschwendungmehr von Energie und endlichen Ressourcen, stattdessenRiesenchancen für die Wirtschaft, für die Menschen, fürunsere gemeinsamen Lebensgrundlagen. Wir wollen100 Prozent erneuerbare Energien, statt Öl, Gas undKohle von Putin und Saudi-Arabien zu kaufen. Wir wol-len Wertschöpfung hier vor Ort statt Milliarden für Dik-tatoren.Deutschland könnte Standort Nummer eins für nach-haltige Technologien sein. Das können unsere Bürgerin-nen und Bürger, das können auch unsere innovativenUnternehmen schaffen. Heute gibt es dank des techni-schen Fortschritts erneuerbare Energien, mit denenStrom billiger produziert werden kann als mit jedemKohlekraftwerk. Wir haben die technischen Mittel, umvon endlichen Ressourcen wegzukommen und so dieGrenzen des Wachstums ein Stück weit zu verschieben.Aber Sie, Frau Merkel, Sie, Herr Gabriel, machen ausdiesen Möglichkeiten nichts. Im Gegenteil: Sie ignorie-ren den ökologischen Umbau und sabotieren de factoauch noch die Energiewende.
Herr Gabriel, die EEG-Reform sollte doch Ihr Meis-terstück als Superminister werden. Und nun? Nun ent-puppt sie sich als handwerklich schlecht gemachtesStückwerk. Es ist mir wirklich völlig unverständlich,warum Sie es in den letzten vier Monaten nicht geschaffthaben, eine vernünftige Beratungsgrundlage zu erarbei-ten.
Es geht doch hier nicht um ein paar Details. Die Re-gelungen zur Eigenstromumlage haben dramatischeAuswirkungen auf eine ganze Branche, auf Tausendevon Arbeitsplätzen. Niemals würden Sie es wagen, mittraditionellen Industriebranchen, wie zum Beispiel derAutoindustrie, so umzugehen.
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Dr. Anton Hofreiter
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Aber bei der Photovoltaik sind Sie wenig zimperlich.Mit der spielen Sie einfach russisches Roulette.Eine Verabschiedung der EEG-Novelle in dieser Wo-che ist weder parlamentarisch noch fachlich zu verant-worten. Ihr Umgang mit dem Parlament, einfach überNacht 200 Seiten an Änderungsanträgen, die noch nichteinmal vernünftig abgestimmt worden sind, in die Bera-tung zu geben, ist schlichtweg eine Unverschämtheit.Das sollten auch Sie sich aus den großen Fraktionennicht gefallen lassen.
Das Schlimme ist, dass dieser handwerkliche Murksnur die Spitze des Eisberges ist. Herr Gabriel, Sie ste-cken einfach extrem tief im Kohlezeitalter fest. Sie ste-cken unter Tage fest wie in der Riesending-Höhle. Eswird uns verdammt viel kosten, Sie dort am Ende he-rauszuholen.
Deutschland kann kein Kohleland bleiben und erfolg-reich eine weltweit glaubwürdige Energiewende stem-men. Während der Kohlestrom unsere Netze über-schwemmt, fließen Milliardengewinne an die großenEnergiekonzerne. Aber diese Milliardengewinne sindschlicht schmutziges Geld; denn RWE, Eon und Vatten-fall kassieren diese Gewinne auf Kosten des Klimas unddamit auf Kosten unser aller Zukunft – und das mit IhrerZustimmung.
Sie, Herr Gabriel, haben einfach dem Lobbydruck ausGewerkschaften und Industrie nachgegeben. Sie be-freien die schmutzige Braunkohle von der EEG-Umlage.Sie waren doch schon einmal weiter. Kommen Sie dochendlich einmal raus aus Ihrem Kohleflöz.
Wissen Sie, der Mai 2014 war der wärmste seit Be-ginn der Wetteraufzeichnungen. Es wird bloß leidernicht bei wärmerem Wetter bleiben.
– Es würde Ihnen von der Union nicht schaden, einmalzuzuhören. Gerade bei dem Thema Klimakatastrophekönnten Sie verdammt viel lernen.
Es würde Ihnen verdammt noch mal wirklich nicht scha-den, wenn Sie einmal etwas Verantwortung für die Zu-kunft unserer Kinder und Kindeskinder übernehmenwürden.
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dasauch Ihre Bundesregierung berät – es sollte auch einmaldie Regierungsfraktionen beraten –, stellte kürzlich fest:Im weltweiten Klimasystem sind bereits erste Kipp-punkte überschritten worden: Das Eis der Westantarktisschmilzt unwiederbringlich ab. Das hat zur Folge, dassder Meeresspiegel weiter steigen wird und wir für Mil-lionen von Menschen eine neue Heimat finden müssen.
Die Stürme werden heftiger werden und die Landwirt-schaft auch in Europa durch Extremwetter massiverschwert. Wir gefährden durch die Klimakatastropheunsere eigenen Lebensgrundlagen und die Lebensgrund-lagen unserer Kinder und Kindeskinder.
Aber Sie, Frau Merkel, schenken dem Klimaschutzkaum noch Aufmerksamkeit. Wie sieht denn IhreSchwerpunktsetzung aus? Für das hochproblematischeTTIP-Abkommen setzen Sie sich mit voller Kraft ein.Dafür haben Sie Zeit. Dafür sind Sie sogar bereit, beimDatenschutz gegenüber den USA nachsichtig zu sein.Für den Klimaschutz dagegen finden Sie keine Ener-gie. Dafür haben Sie keine Kraft. Ja, Sie schlagen sogardie Einladung des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moonzum Klimagipfel einfach aus. Das ist bezeichnend fürIhre Prioritäten, die in einer Welt von gestern und vor-gestern verharren.
Ähnlich bezeichnend ist, wen Sie für Deutschlandnach Brüssel schicken wollen: ausgerechnet GüntherOettinger, den Mann, der für Atom und Kohle steht, derFracking einführen will und den Ausbau erneuerbarerEnergien und die Energieeffizienz bekämpft. Das ist eineverräterische und gleichzeitig grausam falsche Personal-entscheidung.
Das ist keine Entscheidung für die Politik von gestern,sondern für die Politik von vorgestern.Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen wir dieVorhaben Ihres ersten Halbjahres: vom Rentenpaketüber die EEG-Reform bis zum Bildungspäckchen. Hin-ter plakativen Überschriften verbergen sich mikrosko-pisch kleine Schritte, wo große Sprünge nötig wären. Sieregieren unser Land weit unter seinen Möglichkeiten,Frau Merkel. „Deutschland kann mehr.“ – Können Siesich noch daran erinnern, Frau Merkel?
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3700 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Dr. Anton Hofreiter
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Sie lassen die Potenziale unseres Landes brachliegen.Um sie auszuschöpfen, müsste diese Regierung sich an-strengen. Sie bräuchte den Mut zur Gestaltung, den Mutzur Veränderung und auch den Mut, Widerstände zuüberwinden. Aber genau der Mut fehlt Ihnen. Trauen Siesich doch endlich einmal etwas! Das gilt ganz besondersfür die Damen und Herren der Union.Konsequente Energiewende? Sie sind dagegen. Ge-rechte Finanzierung unseres Gemeinwesens? Sie sinddagegen. Subventionsabbau? Sie sind dagegen. Hauptsa-che, keine Veränderungen. Das ist im schlechtestenSinne konservativ.Wissen Sie, was Sie sind, meine Damen und Herrenvon der Union? Sie sind eine 40-Prozent-Dagegenpartei.
– Es ist schon ärgerlich, Herr Kauder, wenn man dieKanzlerin stellt und sich trotzdem mit nichts anderembrüsten kann als damit, dass man einige Dinge verhin-dert hat. Aber, wie gesagt, das ist Ihr Problem und leiderauch das des Landes.
Das Problem ist nur: Die Zeche für diese vermurkstePolitik zahlen am Ende unsere Kinder. Ihre Politik ist einSchlag ins Gesicht der nachfolgenden Generationen.Sie machen wirklich wenig aus den Möglichkeitenunseres Landes. Ebenso sehr vernachlässigen Sie dieVerantwortung, die das Potenzial und die Stärke unseresLandes mit sich bringen. Unsere gemeinsame HeimatEuropa steckt nach wie vor in der Krise. Mit den Euro-pawahlen ist deutlich geworden: Es ist nicht nur eineökonomische Krise, sondern auch eine Krise der Legiti-mation.So viele wie nie haben Europagegner gewählt: AfD,Front National, FPÖ. Diese Leute haben nichts Gutesvor mit unserer gemeinsamen Heimat Europa. Es giltmehr denn je, den Kampf gegen sie aufzunehmen, stattdas Problem einfach auszusitzen, wie Sie, Herr Kauder,es vorgeschlagen haben. Doch statt Demokratie undTransparenz nach vorne zu stellen, mauscheln Sie ein-fach weiter im Hinterzimmer.Es ist beinahe absurd, dass ich als Grüner Sie dazudrängen muss, Ihren konservativen Spitzenkandidatenzum EU-Kommissionspräsidenten zu machen. HörenSie endlich auf, das Wahlergebnis zu missachten! HörenSie endlich auf mit dieser Mauschelei und Hinterzim-merpolitik!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ausgang derEuropawahlen war ein Ausdruck eines tiefen Zweifelsdaran, dass es in Europa gerecht und solidarisch zugeht.Sie zeigen ein zunehmendes Misstrauen gegenüberDeutschland. Frau Merkel, Sie haben die Gräben in Eu-ropa größer werden lassen. Wir brauchen endlich einenKurswechsel für Europa. Wir müssen endlich beginnen,neue Brücken in Europa zu bauen. Aber von einemKurswechsel – nicht einmal von einem ernsthaftenNachdenken über den bisherigen Kurs – ist von Ihnennichts zu hören.
„Die EU ist keine Sozialunion“: Das haben Sie selbst,Frau Merkel, den Menschen zugerufen, die sich nach ei-nem gerechteren Europa sehnen. Das war Ihre Ansagean die Verlierer des Wettbewerbs in Europa, ein Satz,wie ihn die AfD nicht kälter hätte formulieren können.Europa baut aber auf ökonomische Stärke sowie auf So-lidarität und Ausgleich.
Das ist die historische Lehre aus den barbarischen Krie-gen im 20. Jahrhundert. Die Idee der EuropäischenUnion ist, den Wettstreit, den Wettbewerb durch eine ge-meinsame Politik der Solidarität und des Ausgleichs ineine menschlichere Richtung zu lenken. Die Menschenwollen ein anderes Europa, ein sozialeres Europa.
Angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit und desAbsturzes der Mittelschicht in vielen Ländern Europaskann man nur sagen: Man kann sich nicht aus der Kriseheraussparen. Man kann allerdings auch nicht einfachziellos Schulden machen und weiterhin Geld für irgend-welche Strohfeuer zum Fenster hinauswerfen, wie es lei-der alte sozialdemokratische Tradition war. Was wirstattdessen brauchen, ist ein Green New Deal, also In-vestitionen in Branchen und Technologien der Zukunft.Das würde den Krisenländern auf Dauer helfen und dieWirtschaft unseres Kontinents auf einen nachhaltigenKurs bringen. Dafür brauchen wir keine neuen Schulden.Wir müssen den Stabilitätspakt noch nicht einmal auf-weichen. Aber wir brauchen das Geld, das den StaatenEuropas sowieso zustehen würde. Wir brauchen eineneuropäischen Steuerpakt gegen Steuertricks, damit sichStarbucks, Amazon, Ikea oder BASF nicht länger vor ih-rem Beitrag zum Gemeinwesen drücken können.
Es kann ja wohl nicht sein, dass das Café hier bei uns umdie Ecke bald mehr Steuern zahlt als der gesamte Star-bucks-Konzern.
Frau Merkel, der europäische Steuerpakt wäre ein soli-darisches Projekt. Setzen Sie sich doch endlich einmaldafür ein, die Kosten der Krise gerecht zu verteilen! Nut-zen Sie doch endlich einmal Ihre große Macht in Europafür mehr Solidarität und Fairness!
Unser Bundespräsident Joachim Gauck hat immerwieder die internationale Verantwortung betont, die sichaus unserem Wohlstand ergibt. Wer auf das Leid und dieKonflikte der Welt schaut, kann ihm nur zustimmen. Be-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3701
Dr. Anton Hofreiter
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vor Sie, meine Damen und Herren von der Linksfrak-tion, wieder laut „Imperialismus!“ schreien, hören Sienoch zwei Minuten zu. Es ist von Herrn Gysi oder FrauWagenknecht genauso unsinnig wie von Frau von derLeyen, daraus zuallererst wieder einmal eine Debatteüber Militäreinsätze abzuleiten.
Solche Einsätze können und dürfen nur das allerletzteMittel sein, genauso wie wir das hier im Bundestag inden letzten zehn Jahren gemeinsam und verantwortungs-voll diskutiert haben. Aber wie ist es sonst um Deutsch-lands internationale Verantwortung bestellt? Richter,Polizisten und Justizberater sind Fachkräfte, die die UNzur Prävention und zur Lösung von Krisen braucht. Neh-men wir als Beispiel nur die Zahl der deutschen Polizis-ten im UN-Einsatz: 19! Ich danke jedem einzelnen vonihnen für seinen schwierigen Einsatz.
Aber gemessen an Deutschlands Möglichkeiten sind esviel zu wenige.Bei der Entwicklungshilfe liegt Deutschland weit un-ter dem Schnitt der reichen Industrieländer. Deutschlandliegt an zwölfter Stelle. Es ist ein reiches Land. Aberdiese Regierung unternimmt so wenig für eine gerech-tere Welt. Das ist einfach beschämend für uns alle.
Ja, Deutschland engagiert sich bei der Flüchtlingshilfe inSyrien. Aber wir könnten viel mehr tun. Aktuell sindmehr als 9 Millionen Syrer auf der Flucht. Allein der Li-banon mit 4 Millionen Einwohnern nimmt 1 MillionFlüchtlinge auf. Die Nachbarstaaten Syriens drohen un-ter dieser Last zusammenzubrechen. Wenn nun auf Ini-tiative der Bundesländer – wohlgemerkt: nicht auf Initia-tive des Bundes – weitere 10 000 Menschen aus Syrienlegal nach Deutschland einreisen dürfen,
dann ist das für jeden einzelnen Betroffenen eine guteNachricht. Aber mehr als 60 000 Frauen, Männer undKinder haben einen Antrag gestellt. Diese lassen Sie ein-fach in den Flüchtlingslagern zurück. Nehmen Sie sichdoch ein Beispiel an Schweden. Dieses Land nimmt – inRelation zur Bevölkerung – zehnmal mehr Flüchtlingeauf. Die Aufnahme weiterer 10 000 Flüchtlinge ist ange-sichts der Möglichkeiten Deutschlands kein Zeichengroßer Verantwortungsbereitschaft. Deutschland kannauch auf diesem Feld deutlich mehr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus großer Kraftfolgt große Verantwortung – für unseren Planeten, fürein nachhaltiges Wirtschaften, für Menschen, denen dasSchicksal nicht so hold war wie uns hier, für eine guteZukunft für unsere Kinder. Dieser Verantwortung stellensich viele Bürgerinnen und Bürger. Sie tun das nicht.Unser Land kann mehr. Ob Ihre Regierung mehr kann,bezweifle ich.Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege
Thomas Oppermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bindem Bundestagspräsidenten dankbar, dass er GregorGysi daran erinnert hat, dass wir bei Debatten über denBundespräsidenten in diesem Parlament korrekt zitierenmüssen. Das erscheint wie ein leichtes Vergehen, ein Ka-valiersdelikt, hat aber enorme Konsequenzen; dennwenn die erste Reihe falsch zitiert, dann fühlen sich diezweite und die dritte Reihe ermuntert, so richtig zuzu-schlagen.
Das, Herr Gysi, hat ein Kollege von Ihnen aus dembrandenburgischen Landtag getan. Wir konnten heute inder Zeitung lesen, was er bei Facebook gepostet hat. Erschreibt zu Joachim Gauck:Mancher bleibt sich treu. Andere werden Bundes-präsident und widerliche Kriegshetzer.Eine so unglaubliche Schmähkritik am Bundespräsiden-ten habe ich noch nie gelesen.
Nun will ich Ihnen sagen, Kollegen von der Linkspar-tei, warum wir Sozialdemokraten sensibel reagieren,wenn demokratisch gewählte Staatsoberhäupter oderStaatspräsidenten mit einer solchen Schmähkritik über-zogen werden; denn das war die Strategie der Nazis inder Weimarer Republik gegen Reichspräsident Ebert.
Nun ist ganz klar, dass ich Sie damit nicht in Verbindungbringen will.
So etwas würde Gregor Gysi selber auch niemals tun,aber durch Ihre demagogische Verdrehung der Äußerun-gen des Bundespräsidenten legen Sie die Grundlage fürsolche unglaublichen Entgleisungen.
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3702 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Thomas Oppermann
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Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung istjetzt seit sechs Monaten im Amt. Ich finde, was die Ko-alition in dieser Zeit umgesetzt hat, kann sich sehen las-sen. In der letzten Sitzungswoche war es das Rentenpa-ket, in dieser Woche ist es die Reform des Gesetzes überdie erneuerbaren Energien, und in der nächsten Wochekommt der gesetzliche Mindestlohn. Wir haben in denersten sechs Monaten viel geleistet, was uns voranbringt.Bei dieser Politik geht es immer um eine klare Leitlinie.Es geht darum, alles dafür zu tun, dass wir unsere Wirt-schaftskraft erhalten, unseren Wohlstand sichern undgleichzeitig dafür sorgen, dass alle Menschen an diesemWohlstand teilhaben können.
Ich denke, wir haben auch bei schwierigen und kon-troversen Themen deutlich gemacht, dass wir vernünftigzusammenarbeiten können. CDU, CSU und SPD sindnicht auf die Welt gekommen, um eine Große Koalitionzu bilden.
Wir sind auch keine Wunschpartner, aber wir sind trotz-dem in der Lage, den Willen und die Fähigkeit zumKompromiss zu zeigen. Für diese Zusammenarbeit, mitder wir schon eine ganze Menge erreicht haben, möchteich mich bei Volker Kauder, bei Gerda Hasselfeldt undbei den Kollegen der Unionsfraktion ganz herzlich be-danken.
Eine ganze Menge erreicht haben wir auch beim Bun-deshaushalt 2014. Wir haben gezeigt, dass wir einenstrukturell ausgeglichenen Haushalt vorlegen können,und wir haben es geschafft, eine Deckungslücke von3 Milliarden Euro ohne weitere Schulden zu schließen.Das ist auch ein starkes Signal dafür, dass wir es 2015schaffen werden, einen voll ausgeglichenen Haushaltvorzulegen. Denn eine Haushaltspolitik zulasten der jun-gen Generation darf es in Zukunft nicht mehr geben.
Morgen wird der Europäische Rat eine Entscheidungüber die Spitze der Europäischen Kommission vorberei-ten. Es ist gut, dass sich jetzt eine Lösung abzeichnet, diedas Ergebnis der Europawahl widerspiegelt. Weil dieextremen Ränder des Europäischen Parlamentes stärkergeworden sind, brauchen wir jetzt eine starkeproeuropäische Koalition im Zentrum. Niemand willund niemand kann wollen, dass Großbritannien die EUverlässt. Aber es kann auch kein Recht auf ein Veto ge-gen erfolgreiche Spitzenkandidaten geben.Dass sich das Europäische Parlament ungefragt zuWort gemeldet hat, als der EVP-Spitzenkandidat demon-tiert zu werden drohte, das war nicht anmaßend, sondernvöllig in Ordnung. Denn wenn es am Ende ohne das Par-lament nicht geht, dann muss das Parlament auch schonam Anfang mitreden können.
Das Parlament hat die Gunst der Stunde genutzt, unddeshalb ist es gestärkt aus diesem Konflikt hervorgegan-gen.
Egal ob Gesetzgebung oder Haushaltsaufstellung:Dieses Parlament hat sich seine Zuständigkeiten in denvergangenen Jahrzehnten Schritt für Schritt hart er-kämpft. Was jetzt noch fehlt, ist ein Recht zur Gesetzes-initiative und ein Recht, den Kommissionspräsidentenvorzuschlagen. Das muss in Zukunft kommen. Ich binganz fest davon überzeugt: Fortschritte bei der Vertie-fung der Europäischen Union werden nur gelingen,wenn das direkt durch die Unionsbürger legitimierte Par-lament in Zukunft weiter gestärkt wird.
Meine Damen und Herren, 10 Millionen Wähler ha-ben in Europa rechtspopulistische oder rechtsextremeParteien gewählt. Das darf uns nicht kaltlassen. Deshalbdarf es bei dem bevorstehenden EU-Gipfel nicht nur umdie Person des Präsidenten der EU-Kommission gehen;vielmehr brauchen wir auch eine Reformagenda mit kla-ren Maßnahmen für die nächsten fünf Jahre, ein Pro-gramm, durch das die Wirtschaftskrise überwunden wirdund durch das endlich die horrende Jugendarbeitslosig-keit in der Europäischen Union beseitigt wird. Wir dür-fen es nicht hinnehmen, dass einer ganzen Generation inEuropa die Zukunft verstellt wird.
Europa kann nur funktionieren, wenn es wirtschaft-lich erfolgreich ist; darauf hat die Bundeskanzlerin hin-gewiesen. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung,dass Italien, Spanien und Frankreich auf einen Wachs-tumskurs zurückkehren. Das ist diesen Ländern bishernicht gelungen. In diesen Ländern ist das Haushaltsdefi-zit nach wie vor hoch, und es fehlt nach wie vor andurchgreifenden Reformen, wie sie zum Beispiel inDeutschland unter Bundeskanzler Gerhard Schröder aufden Weg gebracht worden sind. Die schlechte wirtschaft-liche Lage führt zu politischer Instabilität.Dass nach dem Europawahlergebnis nicht mehr aus-geschlossen werden kann, dass die nächste französischePräsidentin Marine Le Pen heißt – in zwei Jahren könntees so weit sein –, halte ich für eine politische Katastro-phe.
Wie soll die deutsch-französische Achse im Zentrum derEuropäischen Union mit einer rechtsextremen Präsiden-tin funktionieren? Das kann sich kaum einer vorstellen.Deshalb muss uns sehr daran gelegen sein, dass sichFrankreich und Italien wirtschaftlich wieder erholen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3703
Thomas Oppermann
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Wir sind uns darüber einig, dass das auf der Grund-lage des Stabilitätspaktes geschehen muss. Dieser Stabi-litätspakt ist nämlich nicht nur ein Stabilitätspakt, son-dern auch ein Wachstumspakt. Er wurde 2005 soangepasst, dass den reformwilligen Ländern geholfenwerden kann. Schon deshalb wollen und brauchen wirkeine Änderungen an diesem Stabilitätspakt.
Der Pakt enthält alle notwendige Flexibilität, um mit ei-ner wachstumsfreundlichen Konsolidierung zugleichden Haushalt sanieren und Wachstum fördern zu können.Genau diese Möglichkeiten sollen jetzt besser ausge-schöpft werden. Die Grundidee dahinter ist so einfachwie richtig: Wir gewähren mehr Zeit zum Abbau der De-fizite, aber Zug um Zug gegen verbindliche Strukturre-formen. Diese Reformen müssen dann auch wirklichkommen.
Die Zeit kommt von selbst, aber die Reformen kommennicht von selbst. Solche Strukturreformen erfordernenorme politische Anstrengungen. Wir Sozialdemokra-ten wissen, wovon wir reden.
Frankreich ist unser wichtigster Wirtschafts- undHandelspartner. Italien ist ähnlich wichtig für uns. Wennes diesen beiden Ländern auf Dauer schlecht ginge, dannwürde das auch an uns nicht spurlos vorübergehen. Des-halb liegt es in unserem eigenen Interesse, alles dafür zutun, dass diese beiden Länder wieder auf die Beine kom-men. Europa muss wieder gemeinsam wachsen. Das istdie Linie dieser Bundesregierung.
Auch nach der erfolgreichen Wahl ist eine friedliche,stabile Entwicklung in der Ukraine immer noch nicht ge-währleistet. Ich danke dem Außenminister und der Bun-deskanzlerin, dass sie unermüdlich aktiv sind, um denWaffenstillstand, die Waffenruhe in der Ukraine auf-rechtzuerhalten und um eine friedliche Entwicklung indiesem Land zu gewährleisten. Das ist eine Außenpoli-tik, in der sich die ganzen Koalitionsfraktionen uneinge-schränkt wiederfinden.
Im Nahen Osten ist jetzt eine Terrorgruppe entstan-den, vor der sich die ganze Welt fürchtet. Die Regionzwischen Syrien und Irak droht zu einem Schlachtfeldvon Gotteskriegern und religiösen Fanatikern zu werden,wie es Frank-Walter Steinmeier formuliert hat. Dergroße Zulauf zur islamistischen Bewegung ISIS ist dieFolge einer verfehlten Innenpolitik der RegierungMaliki. Sie hat sunnitische Minderheiten ausgegrenztund diskriminiert. Dann kam der Syrien-Krieg nochhinzu als ein weiterer Katalysator. Aber der Zulauf istauch eine fatale langfristige Folge des völlig verfehltenIrakkriegs von 2003 und der anschließenden Politik derBush-Administration.
Der US-Einmarsch in 2003 hat den Menschen im Irakkeinen Frieden gebracht, sondern er hat eine Regionlangfristig destabilisiert. Das sind die Konsequenzen.
Wir haben uns damals zu Recht gegen die Teilnahmeam Irakkrieg entschieden, und auch heute gibt es fürDeutschland im Irak keine militärische Option.
Ich danke der Bundeskanzlerin, dass sie das klargestellthat; unsere Aufgabe ist es, stabile politische Lösungenzu fördern.Verantwortung sollten wir dort übernehmen, wo wirsehr konkret gefragt sind, und das betrifft das Engage-ment für die vom Bürgerkrieg betroffenen Menschen.Immer mehr Menschen kommen nach Deutschland. Siewollen hier arbeiten und suchen Schutz vor Krieg undpolitischer Verfolgung. Im letzten Jahr gab es inDeutschland 120 000 Asylbewerber. In diesem Jahr wer-den es vielleicht bis zu 200 000. Hinzu kommen wie imletzten Jahr wahrscheinlich 400 000 Einwanderer. Welt-weit haben wir im Augenblick die höchsten Flüchtlings-zahlen. Der UNHCR hat auch festgestellt, dass inDeutschland die meisten Asylanträge gestellt werden.
In Europa nimmt Deutschland auch die meisten Flücht-linge aus Syrien auf.Das ist überhaupt kein Grund, uns stolz auf die Schul-ter zu klopfen. Aber was wir jetzt auf gar keinen Fall ge-brauchen können, ist eine parteipolitische Polarisierungin der Flüchtlingsfrage, meine Damen und Herren.
Gerade mit Blick auf die wieder ansteigende Zahl vonGewalttaten, von rechtsextremistischen Straftaten gegenFlüchtlinge haben wir alle miteinander eine große Ver-antwortung dafür, dass die Flüchtlinge in Deutschlandauf- und angenommen werden. Wir müssen die gesell-schaftlichen Voraussetzungen für die Akzeptanz vonAsylbewerbern und Flüchtlingen schaffen, zum Beispielindem wir ihnen angemessene Unterkünfte verschaffenoder für die rasche Erteilung einer Arbeitserlaubnis sor-gen. Aber vor allem gehört zu einer verantwortlichenFlüchtlingspolitik, dass wir uns nicht überall gleichmä-ßig anstrengen, sondern dass wir dort am stärksten hel-fen, wo die Not am größten ist.
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3704 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Thomas Oppermann
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Deshalb danke ich der Innenministerkonferenz, dassBund und Länder ihr Aufnahmeprogramm für Syrer, vorallem im Bereich des Familiennachzuges, noch einmaldeutlich ausgeweitet haben; denn in Syrien herrscht diegrößte humanitäre Katastrophe unserer Zeit.Das allerdings ist auf dem Westbalkan anders, trotzder teilweisen Diskriminierung mancher Bevölkerungs-gruppen, die es dort zweifellos gibt. Mit Serbien laufenEU-Beitrittsverhandlungen. Mazedonien ist ein Landmit Kandidatenstatus. Mit Bosnien-Herzegowina gibt esein Assoziierungsabkommen. In diesen Ländern habenwir andere Möglichkeiten, die Menschenrechte durchzu-setzen, als den Betroffenen ein aussichtsloses Asylver-fahren in Deutschland anzubieten, meine Damen undHerren.
Es kann doch nicht sein, dass wir die Menschen-rechtsprobleme bei EU-Anwärtern mithilfe des deut-schen Asylrechtes lösen. Da müssen wir anders eingrei-fen. Deshalb ist es sinnvoll, wenn wir Asylbewerbern,die mit hoher Wahrscheinlichkeit in ihren Heimatländernkeiner politischen Verfolgung ausgesetzt sind, schnellereine Antwort auf ihren Asylantrag geben können. Des-halb appelliere ich auch an die Grünen: Lassen Sie unsgemeinsam für Akzeptanz für Flüchtlinge werben, umihnen schneller die Möglichkeit zu geben, in Deutsch-land zu arbeiten.
Aber lassen Sie uns auch gemeinsam Prioritäten setzen,
um bei denjenigen, deren Asylanträge aussichtslos sind,keine falschen Hoffnungen zu wecken.Meine Damen und Herren, zu einer erfolgreichenIntegrationspolitik gehört auch ein klares Signal an dieMenschen, die mit zwei Staatsbürgerschaften inDeutschland leben. Wir wollen junge Menschen, die inDeutschland geboren und aufgewachsen sind, nichtmehr zwingen, sich als Deutsche gegen die Heimat unddie Herkunft ihrer Eltern und Großeltern zu wenden.
Deshalb ist die Einführung der doppelten Staatsbür-gerschaft ein großer Schritt in der Integrationspolitik. Erist längst überfällig; denn Deutschland braucht ein mo-dernes Staatsbürgerschaftsrecht. Für die doppelte Staats-bürgerschaft gibt es inzwischen eine breite gesellschaft-liche Zustimmung. Deshalb appelliere ich auch hier andie Grünen: Lassen Sie uns diesen bedeutenden Schrittin der Einwanderungs- und Integrationspolitik gemein-sam gehen.Meine Damen und Herren, die Koalition hat verein-bart, dass der Bund 2015 die Finanzierung des BAföGvollständig übernehmen wird und die Länder so mehrGeld für Investitionen in Bildung haben. Das ist einewichtige Entscheidung; denn wir alle teilen die Grund-überzeugung: Bildungschancen dürfen nicht vom Geld-beutel der Eltern abhängen.
Das war die Überzeugung von Willy Brandt, als er 1971das Bundesausbildungsförderungsgesetz einführte. Die-ser Satz ist auch heute noch das Fundament unserer Bil-dungspolitik. Willy Brandt reagierte damals auf die deut-sche Bildungskatastrophe, vor der der Pädagoge GeorgPicht Ende der 60er-Jahre warnte. Pichts Analyse war:zu wenig Abiturienten, zu wenig Studenten und kaumAufstiegschancen im dreigliedrigen Schulsystem. Erprophezeite damals:Der bisherige wirtschaftliche Aufschwung wird einrasches Ende nehmen, wenn uns die qualifiziertenNachwuchskräfte fehlen, … Wenn das Bildungswe-sen versagt, ist die ganze Gesellschaft in ihrem Be-stand bedroht.Meine Damen und Herren, das BAföG war eine weg-weisende sozialpolitische Antwort auf Pichts alarmie-renden Befund. Heute haben wir weitaus mehr Studien-anfänger als zur damaligen Zeit. Insofern hat das BAföGetwas bewegt. Aber immer noch gilt: Der Bildungserfolgist in Deutschland wie in keinem anderen industrialisier-ten Land dieser Welt abhängig von der sozialen Herkunftder jungen Menschen. Die Chance, dass Akademikerkin-der ein Abiturzeugnis erhalten, ist in vielen Ländernsechsmal höher als bei Arbeiterkindern. Ich finde, hierkönnen wir nicht gleichgültig sein.
Wir dürfen nicht hinnehmen, dass in Deutschland Bil-dung gleichsam schichtenspezifisch vererbt wird.Vor diesem Hintergrund ist es ein großer Fortschritt,dass sozialer Aufstieg mithilfe von BAföG künftig nichtmehr von der Kassenlage der Bundesländer abhängig ist,dass wir als Bund allein darüber entscheiden können,was da passiert.
Der Bund kann und wird das BAföG selbstständig erhö-hen, und die Länder können das Bildungssystem an denStellen verbessern, an denen am stärksten über die Chan-cen unserer Kinder entschieden wird, nämlich in derfrühkindlichen Bildung, in den Kitas, in den Grundschu-len, in den Ganztagsschulen; da müssen wir ansetzen.Lieber Toni Hofreiter, für Bremen fallen nicht nur2 Millionen Euro für Kitas ab; durch den BAföG-Kom-promiss wird das Land Bremen um 20 Millionen Euroentlastet, und das jedes Jahr. Dieses Geld kann nun ge-zielt für mehr Chancengleichheit im Bildungssystemeingesetzt werden.
Sagen Sie das bitte Ihrer Finanzsenatorin.Wir haben in der Koalition außerdem vereinbart, dassder Bund und die Länder im Bereich der Hochschulen
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Thomas Oppermann
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wieder miteinander kooperieren können. Auch das istein wichtiger Fortschritt. Dadurch wird das Glas halbvoll; ganz voll wird es erst, wenn der Bund auch dieSchulbildung mittragen kann. Auf Dauer muss deshalbdas Kooperationsverbot für den Schulbereich fallen; dasist unsere tiefe Überzeugung.
Millionen Menschen in Deutschland freuen sich aufden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Für vielebedeutet er die größte Lohnerhöhung ihres Lebens. DerMindestlohn stärkt die Kaufkraft und sorgt für fairenWettbewerb. Damit haben wir erstmals eine Schrankenach unten eingezogen. Von dieser Schranke aus gehtder Blick nicht mehr nach unten, sondern nur noch nachoben. Das ist für viele Menschen eine spürbare Verände-rung in ihrem Alltags- und Erwerbsleben. Genau daswollen wir. Es ist auch eine Grundidee der sozialenMarktwirtschaft: Alle müssen die Möglichkeit haben,durch eigene Arbeit und Anstrengung ihren Lebensun-terhalt zu verdienen, statt sich am Ende des Monats beimSozialamt anstellen zu müssen.
Meine Damen und Herren, diese Koalition tritt für einLand mit freien und gleichberechtigten Bürgern ein, fürein weltoffenes Land, dem es wirtschaftlich gut geht.Alle sollen die Chance haben, aus eigener Kraft etwasaus ihrem Leben zu machen, die Zugewanderten ge-nauso wie diejenigen, die hier schon immer leben. Wirwollen keine segmentierte Gesellschaft, in der die Be-sitzstandswahrer nur auf die Sicherung ihrer Pfründe be-dacht sind. Wir wollen eine Gesellschaft, in der Integra-tion und Aufstiegsmöglichkeiten selbstverständlich sind,eine Gesellschaft, in der jeder und jede zum Wohlstandbeitragen und an ihm teilhaben kann, eine Gesellschaft,in der jeder von Stabilität und Sicherheit profitierenkann. Wir wollen eine offene Gesellschaft und ein mo-dernes Deutschland.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Volker Kauder.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-legen! Auch ich möchte mich zunächst einmal ausdrück-lich bei unserem Bundestagspräsidenten dafür bedanken,dass er klargestellt hat, was unser Bundespräsident ge-sagt hat und was nicht. Ich möchte Thomas Oppermannzustimmen, der sagte, dass die Art und Weise, wie dieLinke mit solchen Themen umgeht, nicht akzeptabel ist.
Herr Kollege Gysi, da muss ich Sie auch persönlichansprechen. Es geht nämlich nicht, dass man hier imDeutschen Bundestag – oder, wie heute Morgen bekanntgeworden ist, einer Ihrer Parteikollegen in Brandenburg– Attacken loslässt und sich dann entschuldigt.Frau Dağdelen beispielsweise hat sich hier im Deut-schen Bundestag durch Verleumdungen und Angriffe ineiner Art und Weise aufgeführt,
die diesem Haus nicht angemessen war. Danach ent-schuldigen Sie sich zwar öffentlich, aber nachher geht eswieder so weiter.
Das ist kein Umgang, Herr Gysi, das muss ich Ihnenklipp und klar sagen.
Deswegen akzeptiere ich ein solches Verhalten auchnicht. Ich erwarte schon: Bevor Sie andere Fraktionenund Parteien kritisieren, räumen Sie in Ihrem eigenenLaden auf und nicht woanders. Dazu haben Sie allenGrund, Herr Gysi.
Wir legen heute den Haushalt 2014 vor und diskutie-ren in der Regierung bereits den Haushalt 2015. BeideHaushalte müssen zusammen gesehen werden, weil es indieser Großen Koalition zu einem Paradigmenwechsel inder Haushaltspolitik kommt.Schon der Haushalt 2014 ist strukturell ausgeglichen,und ab dem Haushalt 2015 werden keine neuen Schul-den mehr gemacht. Das ist tatsächlich der entscheidendeHinweis darauf, dass wir Generationengerechtigkeit undNachhaltigkeit ernst nehmen. Denn nichts ist für einejunge Generation wichtiger, als dass sie Handlungsspiel-raum hat.Man kann viel über Nachhaltigkeit in anderen Berei-chen reden, aber hinter dem Projekt „Keine neuen Schul-den mehr“ steht die Aussage: Wir wissen um die Verant-wortung für unsere junge Generation.
Dafür sage ich Wolfgang Schäuble und unseren Haus-hältern herzlichen Dank, die diese schwere Aufgabe vo-rangebracht haben.Der von uns eingeschlagene Weg ist der richtige,wenn es darum geht, dass wir in unserem Land Wohl-stand und Sicherheit erhalten können. Wenn wir uns dieSituation in Europa anschauen – die Bundeskanzlerin hatja heute darüber berichtet, wie die Situation in einzelnen
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Volker Kauder
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Ländern ist –, dann stellen wir fest: Diese Situation istnicht irgendwie vom Himmel gefallen, sondern sie istdas Ergebnis falscher politischer Ansätze.Lieber Thomas Oppermann, ich sehe das genauso,dass wir mit Sorge nach Frankreich blicken und uns fra-gen: Wer könnte der nächste Gesprächspartner sein?Aber natürlich hat jedes Land seine Hausaufgaben zumachen.
Deswegen finde ich es völlig richtig, dass auf dem Gip-fel in Paris als Ergebnis nicht herauskam: „Wir werdenden Stabilitätspakt aufweichen“, sondern dass heraus-kam – Herr Gabriel, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie dasso klar gesagt haben –: Es bleibt dabei, der Kurs dieserBundesregierung, der Kurs von Angela Merkel, ist dereinzige, der dazu führen wird, dass Europa wieder ganzgesund werden kann.
Dass Thomas Oppermann heute bestätigt hat, dass derStabilitätspakt nicht angegriffen wird und die notwendi-gen Reformen in den Ländern durchgeführt werden, dasist eine gute Botschaft.Europa ist für uns aber nicht nur eine Frage der wirt-schaftlichen Sicherheit, sondern Europa ist für uns aucheine Frage von Frieden und Sicherheit. Wenn man sichdie Situation in der Welt anschaut, kann man nur sagen:Wir können wirklich dankbar dafür sein, dass wir in die-sem Europa leben dürfen. Wenn dieses Europa nichtmehr erreicht hätte, als dass in diesem Europa Friedenherrscht, dann wäre das schon Grund genug, um jedenTag diesem Europa von Herzen dankbar zu sein, liebeKolleginnen und Kollegen.
Dieses Europa muss natürlich offen sein für Men-schen, die in ihren eigenen Herkunftsländern verfolgtwerden und deswegen dort, zumindest für eine be-stimmte Zeit, keine Perspektive haben. Deswegen ist esrichtig, dass es in Europa eine gemeinsame Asylpolitikgibt, dass die Belastungen in Europa auf die Länder an-gemessen verteilt werden. Dass wir in Deutschland ei-nen entsprechenden Beitrag leisten, habe ich an diesemRednerpult erst vor kurzem festgestellt: Wir nehmen diemeisten Asylbewerber auf. Aber wir haben ein Problem– Thomas Oppermann hat zu Recht darauf hingewie-sen –: Wir nehmen Asylbewerber aus Ländern auf, die inder nächsten Zeit ganz zu Europa gehören wollen. Wirnehmen zurzeit Asylanträge von Menschen entgegen,die in ihren Herkunftsländern sehr wohl leben können,weil sie dort nicht verfolgt werden. Diese Herkunftslän-der haben ein massives Interesse daran, in Europa nichtals Verfolgerländer verunglimpft zu werden. Sie sagen:Wir sind sichere Herkunftsländer.
Deswegen wollen wir in dieser Koalition ein Gesetzverabschieden, in dem wir definieren, welche Länder inEuropa sichere Herkunftsländer sind. Dann wird gesagt:Das können Sie doch machen. Ja, in der Großen Koali-tion haben wir überhaupt kein Problem damit, diesesThema zu erledigen. Aber – und jetzt kommt der Punkt –wir brauchen dafür auch im Bundesrat eine Mehrheit.Ich appelliere an die Grünen, dass sie sich dieser Verant-wortung bewusst werden. Wir werden in den nächstenTagen mit Vertretern der Grünen in den Landesregierun-gen reden. Wir meinen, dass wir noch mehr Flüchtlingeaus Ländern, in denen es wirkliche Probleme gibt, bei-spielsweise aus Syrien, aufnehmen sollten.
Aber wir können doch nicht die Augen vor der Wirklich-keit verschließen: Eine ganze Reihe von Städten undKommunen hat im Augenblick erhebliche Probleme da-mit, Asylbewerber aufzunehmen und unterzubringen,die zu 99 Prozent nachher nicht anerkannt werden undeigentlich wieder in ihre Heimatländer müssten. Wirsollten doch für diejenigen Platz schaffen, die wirklichin tiefster Not aus Syrien zu uns kommen.
Deswegen habe ich die herzliche Bitte – Frau KolleginRoth, ich spreche insbesondere Sie an, da Sie mich vor-hin so angeschaut haben –, dass wir uns diesem Themagemeinsam stellen und dafür sorgen, dass wir dafür imBundesrat eine Mehrheit bekommen können.Ich sage dies auch voller Sorge aus einer Erfahrungheraus, die wir in den 90er-Jahren gemacht haben. Da-mals, noch im Parlament in Bonn, haben wir uns mit derFrage schwergetan, wie wir das Asylrecht neu ordnen.Das Thema Asyl wurde zu einem parteipolitischenKampfthema, an dem sich alle, wir eingeschlossen, be-teiligt haben. Das Ergebnis davon war nicht, dass wir derProblemlösung nähergekommen sind, sondern das Er-gebnis war, dass Rechtsradikale in diesem Land in Land-tage eingezogen sind.
Deswegen ist der Appell völlig richtig: Lassen Sie unsdas Asylthema, das Flüchtlingsthema noch in den nächs-ten Tagen sachgerecht lösen, damit es nicht ein Nährbo-den für rechtsradikale Entwicklungen in unserem Landwird.
Wir sind dazu bereit. Wir sind auch bereit, mit Ihnenüber den einen oder anderen Wunsch in der Diskussionzu sprechen.Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese GroßeKoalition hat, wie ich finde, eine bemerkenswerte Arbeitgeleistet – und dies, obwohl nach dem Wahlergebnis dieFreude auf beiden Seiten – sowohl bei der SPD als auchbei uns – nicht besonders ausgeprägt war, schon wiederin eine Große Koalition zu gehen. Die SPD musste sich
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sogar zunächst einmal mit einem Mitgliederentscheidvergewissern, dass das alles auch klappen kann.
– Wollten Sie! Okay! Dann formuliere ich neutral: Siehaben sich in einem Mitgliederentscheid vergewissert. –Dafür, dass der Start gar nicht so ganz einfach war, ha-ben wir, finde ich, Bemerkenswertes geleistet – nicht füruns, nicht für diese Koalition, sondern für unser Vater-land und für die Menschen, die in diesem Vaterland le-ben. Ich sage dir, lieber Thomas Oppermann, und derSPD-Bundestagsfraktion dafür einen herzlichen Dank,dass dies möglich war.
Ich kann sagen – das ist auch so –, dass wir uns nichtimmer leichttun, zu Entscheidungen zu kommen. Geradefür die nächste Zeit haben wir wichtige Aufgaben voruns, bei deren Bewältigung wir noch miteinander ringenmüssen. Diese müssen wir jetzt aber schnell angehen.Wir müssen jetzt ganz schnell eine Antwort in Bezug aufein Thema finden, das uns alle schwer belastet. Das istdas Thema Kinderpornografie: Wir in dieser Koalitionhaben versprochen, dass wir schnell zu Ergebnissenkommen werden. Das Versprechen sollten wir jetzt aucheinhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen von beidenFraktionen.
Nach der Sommerpause muss hier ein Ergebnis auf denTisch.Es gibt ein weiteres Thema, das uns großen Kummermacht. In unserem Land ist vieles wirklich sehr gut. Ichwürde sogar sagen: Das meiste ist sehr gut. Es ist aberfür uns eine unerträgliche Belastung, dass man in ganzEuropa darüber spricht, dass wir das Land sind, in demam meisten Zwangsprostitution und Frauenhandel statt-finden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das darf unsnicht ruhen lassen. Deswegen gilt auch hier: Wir könnenda nicht noch ewig zuwarten. Wir wollen und müssenzwar die Menschenhandelsrichtlinie der EU umsetzen.Das reicht aber nicht, um dieses Problem zu lösen, son-dern wir müssen auch dafür sorgen, dass Deutschlandnicht das Land ist, in dem in erster Linie in Europa Frau-enhandel und Zwangsprostitution stattfinden.
Auch da können wir nicht mehr lange warten. Ich er-warte auch bei diesem Thema, dass wir im September zuentsprechenden Ergebnissen kommen.Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn ich sage,dass wir viel voranbringen, dann kann ich, glaube ich,auch die Entscheidung zur Energiepolitik nennen, diewir gestern in den Koalitionsfraktionen und dann auchim Wirtschaftsausschuss getroffen haben. Das war keineleichte Aufgabe. Ich weiß sehr genau, wovon ich rede;denn in meiner Zeit als Fraktionsvorsitzender war es dervierte Anlauf zur Änderung des EEG. Jeder Anlauf warnoch schwerer als der vorhergehende, weil unterschiedli-che Interessen aufeinanderstoßen. Da haben wir schoneinen entscheidenden Schritt getan. Wir versuchen, zuverhindern, dass die Kosten für die Stromverbraucherweiter anwachsen, und sorgen dafür, dass die deutscheWirtschaft trotzdem wettbewerbsfähig bleiben kann.Diese beiden entscheidenden Punkte sind es, die diesesEEG in besonderer Weise auszeichnen. Ich sage Ihnen,Frau Bundeskanzlerin, aber auch Ihnen, Herr Bundes-wirtschaftsminister, einen herzlichen Dank für IhrenEinsatz in Brüssel. Ohne diesen Einsatz wäre es nichtgelungen, im Rahmen der Reform des EEG Arbeits-plätze in Deutschland im Wettbewerb zu halten. Dankeschön dafür!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, an diesemBeispiel wird deutlich, dass diese Große Koalition auchschwierige Aufgaben anpackt und schultert.Der letzte Hinweis: Es dürfte für die Zukunft diesesLandes von größter Bedeutung sein, was wir in der Bil-dungspolitik machen. Darauf ist hingewiesen worden.Dazu gehört aber auch, dass wir junge Menschen ausbil-den, die unseren Ruf als die Nation der Erfinder neuerProdukte vorantreiben. Das heißt, wir brauchen an unse-ren dualen Hochschulen, Fachhochschulen und Univer-sitäten Spitzenausbildungen. Dafür stellen wir jetzt Geldzur Verfügung. Ich möchte die Länder bitten, dass dasGeld, das wir für die Hochschulen und Universitäten zurVerfügung stellen, auch dort landet und nicht im allge-meinen Länderhaushalt verschwindet.
Man kann auch nicht sagen, dass wir Geld für die Allge-meinbildung brauchen. Denn auch dafür wird Geld zurVerfügung gestellt. Noch keine Bundesregierung hat soviel für Bildung getan. Jetzt kommt es darauf an, dassdie Länder ihre Aufgabe in dieser Hinsicht ernst neh-men.Ich bin also mit dem, was wir bisher in der GroßenKoalition erreicht haben, durchaus zufrieden. Aber wirwissen auch, dass noch große Anstrengungen von unsgefordert sind, um unser Ziel zu erreichen, dass es denMenschen nach dieser Großen Koalition besser geht alszu ihrem Start. Dafür werden wir arbeiten. Dafür müssenwir in dieser Koalition auch zusammenhalten und dieProjekte, die wir uns vorgenommen haben, jetzt schnellumsetzen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention
hat jetzt der Kollege Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin, ich möchte etwas sagen, weil ichglaube, dass die Rügen in Bezug auf die Kritik an Äuße-rungen des Bundespräsidenten völlig fehl am Platzesind. Der Bundespräsident hat sich auf der Sicherheits-konferenz vor Verteidigungsministern und Generälen ge-
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Dr. Gregor Gysi
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äußert. Er hat gesagt, dass wir uns den Gefahren nichtgenügend stellen:Die Kernfrage lautet doch:– jetzt zitiere ich ihn wörtlich –Hat Deutschland die neuen Gefahren und die Ver-änderung im Gefüge der internationalen Ordnungschon angemessen wahrgenommen?Er meint, dass wir mehr Verantwortung übernehmenmüssen. Damit meint er – das sagte er schließlich vorlauter Generälen und Verteidigungsministern – selbst-verständlich auch militärische Verantwortung. Denn ergeht die ganze Zeit auf Kriege und auf Sicherheitsfragenein. Das ist eine zulässige Interpretation, die auch vonfast allen Medien vorgenommen wurde.
Der Zusammenhang, den Sie zwischen Politikern undNazis herstellen, ist völlig indiskutabel, HerrOppermann. Ich muss Ihnen sagen: Das ist völlig indis-kutabel.
Das Zweite ist: Dass sich dieses Mitglied falsch aus-gedrückt hat, hat die eigene Fraktion in Brandenburgschon klar erklärt.
– Ja, das ist nicht unsere Ausdrucksweise, und das istHerr Gauck auch nicht. Das weise ich genauso zurück. –Aber mir dafür die Verantwortung zu geben, HerrKauder, ist auch völlig albern. Das hatte er schon gesagt,bevor ich hier gesprochen habe. Nein, die Auseinander-setzung mit Äußerungen, die in die Richtung gehen, dasswir militärisch die Probleme der Menschheit lösen kön-nen, muss stattfinden. Ich bin froh, dass die Linke dieseAuseinandersetzung führt. Es kann schon sein, dass dereine oder andere bei uns einmal über das Ziel hinaus-schießt,
aber das ist in der SPD und auch bei der Union nicht an-ders. Soll ich Ihnen einmal Äußerungen von MitgliedernIhrer Partei zu Fragen von Rassismus etc. vorhalten?Niemals habe ich Sie persönlich dafür verantwortlich ge-macht. Das muss hier aufhören.
Keine Partei kann für die Äußerungen jedes einzelnenMitglieds die Haftung übernehmen. Das ist absurd. Dazuhaben wir zu viele Mitglieder; das will ich klar sagen.Das ergeht Ihnen nicht anders.
Deshalb bitte ich, sachlich zu bleiben. Ich werde nie-mals den Bundespräsidenten beleidigen, aber rügen darfich schon, dass auch er verteidigungspolitisch argumen-tiert, obwohl wir diese Menschheitsfragen unbedingt zi-vilrechtlich lösen müssen. Davon bin ich zutiefst über-zeugt. Ich sage es noch einmal: Keiner der Kriege derletzten Jahre hat irgendeinen Fortschritt gebracht, ganzim Gegenteil. Lassen Sie uns doch endlich einmal andersdenken, nicht rüstungspolitisch, sondern friedenspoli-tisch. Es wird höchste Zeit.
Vielen Dank. – Herr Kollege Kauder, möchten Sie er-
widern? – Nein. – Dann hat jetzt das Wort der Kollege
Schneider für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Kauder hat gerade gesagt, er sei mit dieserKoalition ganz zufrieden. Ich sage: Wir Sozialdemokra-ten sind mit den ersten sechs Monaten in dieser Koali-tion sehr zufrieden, nicht nur bezogen auf den Bundes-haushalt, über den wir heute diskutieren, sondern auchim Hinblick auf die anderen Maßnahmen.Das Rentenpaket zum Beispiel, das wir in den letztenWochen beschlossen haben, wurde vielfach unter demGesichtspunkt der Generationengerechtigkeit kritisiert.Der heutige Haushalt ist das Gegenstück dazu. Denn un-ter die Schuldenaufnahme, die in den letzten 40 Jahrenin Deutschland stattgefunden hat, werden wir einenSchlusspunkt setzen; das wird es nicht mehr geben. Be-reits dieser Haushalt 2014 ist strukturell ausgeglichen.2009 hat ein sozialdemokratischer Finanzminister mitZustimmung von SPD und CDU/CSU die Schulden-bremse im Grundgesetz installiert. Ab 2015 werden wir,dann unter einem christdemokratischen Finanzminister,keine neuen Schulden mehr machen. Ich finde, das istein guter Erfolg. Darauf kann man stolz sein.
Die Kollegen von den Grünen, auch Herr Hofreiter,haben ausgeführt, dieser Haushalt sei angeblich vonSubventionen durchsiebt. Klar, es gibt immer Subventio-nen. Klar ist aber auch: Wir wollen sie abbauen. Dabeimachen wir einen sehr großen Schritt.
Denn mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns,die wir nächste Woche hier beschließen werden, wird diegrößte Einzelsubvention, die es im Bundeshaushalt je-mals gab, abgeschafft.
Über 7 Milliarden Euro wird der Staat sparen, weil erkeine Lohnkostenzuschüsse, also keine Subventionenfür Niedriglöhne bzw. für Lohndumping mehr ausgebenwird. Das ist ein großer Erfolg. Das ist der erste Schritthin zum Subventionsabbau, auf den wir Sozialdemokra-ten lange hingearbeitet haben.
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Carsten Schneider
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Der Mindestlohn führt nicht nur zu einer angemesse-nen Bezahlung – zumindest zu einer Untergrenze; ob siefür alle gerecht ist, ist eine andere Frage –, sondern erentlastet auch den Staatshaushalt. Diese Entlastung ha-ben wir in der Finanzplanung noch nicht berücksichtigt,auch nicht für 2015. Ich gehe davon aus, dass uns diesSpielräume eröffnen wird, um im Jahr 2015 und in denfortfolgenden Jahren mehr Zukunftsinvestitionen zu täti-gen.Die positive Ausgangslage in Deutschland, die HerrOppermann und Herr Kauder geschildert haben – guteSteuereinnahmen, niedrige Arbeitslosigkeit, Über-schüsse in der Sozialversicherung –, hat ihre Ursachen ineiner gut ausgebildeten Arbeitnehmerschaft, in einemUnternehmertum, das auf Innovationen setzt, und in er-folgreichen Wissenschaftlern. Aber sie haben ihre Ursa-che auch in den politischen Rahmenbedingungen. Diesepolitischen Rahmenbedingungen wurden in den vergan-genen zehn Jahren unterschiedlich stark gewichtet undverändert. Ich glaube, es ist unstrittig, dass die Hauptur-sache für unser heutiges Standing die Reform derAgenda 2010 ist. Ohne sie stünden wir heute wirtschaft-lich nicht so gut da, wie wir es tun.
Auch die Investitionen, die wir als Antwort auf die Fi-nanzkrise getätigt haben – insbesondere die Konjunktur-programme, die damals vor allen Dingen von PeerSteinbrück, Frank-Walter Steinmeier und Olaf Scholzmit Zustimmung der Unionsfraktion durchgesetzt wur-den –, haben uns gut durch diese Krise gebracht. WennSie, Herr Hofreiter, sagen, das sei sozialdemokratischerBeton und habe nicht funktioniert – ich komme geradenicht auf das Zitat, werde es aber nachlesen –, kann ichnur sagen: Hätten wir dies nicht gemacht, stünden wirheute viel schlechter da.
Das kommunale Investitionsprogramm und die Ab-wrackprämie waren richtig. All die Dinge, die wir ge-macht haben, haben sich ausgezahlt, auch die Bildungs-investitionen. Es hat sich auch ausgezahlt, dass derStabilitäts- und Wachstumspakt, über den heute und inden vergangenen Wochen schon gesprochen wurde, dienotwendige Flexibilität ermöglicht hat. Er wurde 2005und dann noch einmal 2010/2011 reformiert; die Stich-worte lauten Six-Pack und Two-Pack. Im Rahmen desStabilitäts- und Wachstumspaktes kann man in Krisen-zeiten investieren, muss dann aber in guten Zeiten Geldzurückführen.In den vergangenen Jahren haben wir hier sehr oftüber Maßnahmen zur Euro-Rettung abgestimmt; dabeigab es harte Kontroversen. Wir haben den Maßnahmenmit breiter Mehrheiten zugestimmt. Das wurde nicht vonjedem in der Wissenschaft goutiert. Einige sollten sichim Nachklapp einmal fragen, ob sie immer richtig lagen.Heute zeigt sich, dass wir aufgrund der Interventionder Europäischen Zentralbank mehr oder weniger eineVergemeinschaftung von Staatsschulden haben. Das giltaber nicht für die Einnahmeseite, also für die Steuerpoli-tik und im Hinblick auf die Koordinierung der Wirt-schaftspolitik. Die Frau Bundeskanzlerin hat vorhin ge-sagt, dass die wirtschaftspolitische Koordinierung– unabhängig von den Fragen, wer Kommissionspräsi-dent wird und was die Europäische Union und die Kom-mission in den nächsten fünf Jahren tun werden – ganzgezielt in den Mittelpunkt gerückt werden muss, und dasnicht nur auf dem Papier. Was Herr Van Rompuy bishervorgelegt hat – zumindest das, was ich gelesen habe –,ist noch zu wenig. Wir brauchen eine noch stärkere Ko-ordinierung, was die Wirtschaftspolitik betrifft. Wirbrauchen eine noch stärkere Koordinierung und auch ge-meinsames Handeln, insbesondere was die Steuerpolitikbetrifft. Das ist eine grotesk offene Flanke: Bei den Aus-gaben, bei den Staatsschulden sitzen wir, weil wir einegemeinsame Währung haben, mehr oder weniger in ei-nem Boot; bei der Steuerpolitik kann aber jeder mehroder weniger machen, was er will. Das ist ein Konstruk-tionsfehler. Die Vervollständigung hin zu einer Fiskal-union wird für die nächsten fünf Jahre eine der Haupt-aufgaben sein, wenn wir den Euro dauerhaft stabilisierenwollen.
Da haben wir innerhalb der Koalition gute Ansätze,auch aus der alten Regierung noch. Ich denke an die Ini-tiative gegen Steuerdumping bzw. legale Steuergestal-tung – das Ganze steht unter der Chiffre BEPS –, die vonder OECD aufgearbeitet wird. Es geht darum, dass sichgroße Konzerne wie zum Beispiel Amazon, Google etc.die günstigsten Steuersätze aussuchen und ihre Ge-winne und Verluste dann in die entsprechenden Län-der verschieben. Dem muss ein Riegel vorgeschobenwerden.Dazu gehört, dass es auf diesem Gebiet nicht wiederzu großer nationaler Autonomie kommt. Ich sehe mitSorge, dass in Spanien – im Übrigen unter einem Pro-gramm des Rettungsschirms für den Bankensektor – fürden Bereich der Unternehmensteuern jetzt Senkungenangepeilt werden, obwohl das Land noch hohe Defizitehat. Ich persönlich kann das nicht akzeptieren, und icherwarte, dass die Bundesregierung, der Bundesfinanz-minister, das einmal artikuliert. Jedes Land muss ersteinmal selber sehen, dass es ausreichende eigene Steuer-einnahmen generiert.Unseren Freunden in Frankreich – Thomas Oppermannhat darauf hingewiesen – soll Zeit zum Abbau des Defi-zits gegeben werden – wenn denn tatsächlich auchstrukturelle Reformen stattfinden. Wenn wir über dieWeiterentwicklung des Stabilitäts- und Wachstumspak-tes sprechen – das werden wir am Ende des Jahres müs-sen; denn da ist eine Revisionsklausel eingebaut –, gehö-ren zwei Dinge dazu:Erstens. Wenn sich ein Mitgliedstaat in einem Defizit-verfahren befindet, muss die Kontrolle über die wirt-schaftspolitischen Maßnahmen seitens der Kommissionoder des Rates ausgebaut und definitiv gestärkt werden.Das steht bisher nur auf dem Papier und wird nicht ange-wandt. Nicht einmal Deutschland hält sich an die Emp-fehlungen des Europäischen Semesters für die Wirt-schaftspolitik. Das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand;
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denn dann braucht man sich solche Regeln nicht zu ge-ben.Das Europäische Parlament hat ausgewertet, was vonden empfohlenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen tat-sächlich umgesetzt wurde. Es waren nicht einmal12 Prozent. Ich habe mir das für Deutschland noch ein-mal angesehen. Im Rahmen des Europäischen Semestersgibt die Kommission Empfehlungen, und die sind garnicht einmal so verkehrt. So heißt es etwa, dass Deutsch-land die Frauenerwerbsquote erhöhen und die Kinderbe-treuung ausbauen muss. Das ist richtig, das wollen wirauch. Ich glaube, wir müssen dort auch noch mehr tun.Es stellt sich die Frage, wie der Fonds für den Kitaaus-bau, den Ministerin Schwesig zu verwalten hat, im Jahre2015 befüllt wird. Ich erwarte von der Bundesregierung,dass sie dafür die über 500 Millionen Euro, die wir ver-abredet haben, zur Verfügung stellt. Dieses Geld musstatsächlich investiert werden; denn wir brauchen guteKinderbetreuungsplätze in Deutschland, qualitativ undquantitativ.
Die Kommission empfiehlt uns aber auch, dass wir imBereich der Steuerpolitik Änderungen vornehmen. DieSteuer- und Abgabenlast für Geringverdiener sei inDeutschland zu groß. Das ist interessant. Interessant istauch, dass sich der Deutsche Gewerkschaftsbund dafüreinsetzt, dass wir nicht nur die kalte Progression, son-dern auch den steilen Anstieg im unteren Bereich derEinkommensteuersätze korrigieren sollen. Ich wäre sehrdafür zu haben, wenn wir diese Maßnahmen vollständiggegenfinanzieren. Wir Sozialdemokraten glauben, dass wiruns hier nicht vier Jahre lang Stillstand leisten können.Wenn jemand Arbeit aufnimmt, wenn jetzt – ThomasOppermann hat darauf hingewiesen – viele Leute Lohn-erhöhungen bekommen und zum Beispiel nicht mehr,wie bei mir in Erfurt, 5,50 Euro, sondern 8,50 Euro ver-dienen und damit erstmals wieder nicht mehr nur Sozial-abgaben, sondern auch Steuern zahlen, dann soll dasnicht dazu führen, dass sie im Endeffekt weniger haben,als wenn sie Transferleistungen bezögen. Arbeit musssich lohnen; deswegen können wir uns eine Entlastungin diesem Bereich durchaus vorstellen, mit einer Gegen-finanzierung zum Beispiel – der Deutsche Gewerk-schaftsbund hat darauf hingewiesen – im Bereich derAbgeltungsteuer das heißt, der Steuern auf Zinsen undandere Kapitalerträge.Zweitens. Bei der europäischen Koordinierung stelltsich neben der Frage der Verbindlichkeit auch die Frageder politischen Unterstützung. Wenn wir vergleichen,was verschiedene Länder in den letzten Jahren gemachthaben, so ist doch festzustellen, dass insbesondere Län-der, die unter Programmen des ESM oder der EFSF– das sind Abkürzungen, die keiner versteht – stehen,also finanzielle Hilfen aus anderen Euro-Ländern, auchvon uns, bekommen, im Gegenzug Auflagen zu erfüllenhaben, an die sich breite parlamentarische Mehrheiten inden Empfängerstaaten binden mussten. Das gilt zumBeispiel für Portugal und auch für Irland. Dort sind tat-sächlich Reformen angegangen worden, die für einelangfristige Steigerung des Wirtschaftspotenzials sorgen.Von daher finde ich, dass eine weitere Verschärfungdieses Paktes auch darin liegen kann, dass für solcheHilfsmaßnahmen eine breite parlamentarische Mehrheiterforderlich ist. Es kann nämlich nicht sein wie 2010in Griechenland, als der damalige OppositionsführerSamaras dem damaligen Präsidenten der SozialistischenPartei, dessen Name mir gerade nicht einfällt
– Papandreou –, quasi nicht geholfen hat. Er hat dortnicht für eine breite Unterstützung geworben. Wir habenzwei Jahre verloren, bis endlich eine Regierungsmehr-heit stand. Wenn ein Land Finanzhilfen braucht, dann istdort eine breite politische Unterstützung – auch im Par-lament – für die entsprechenden Maßnahmen notwendig.Ich finde, das könnte eine Erweiterung des Stabilitäts-und Wachstumspaktes sein.
Wenn wir über die Ausgaben des Bundeshaushaltessprechen, den wir in dieser Woche beschließen werden,dann nehme ich natürlich auch die Einnahmen mit in denBlick.Zunächst zu den Ausgaben. Mit Blick auf unserWachstumspotenzial sind die Investitionsausgaben zuniedrig. Für den Infrastrukturbereich packen wir in dennächsten fünf Jahren zwar 5 Milliarden Euro drauf, dasheißt aber, dass wir der Empfehlung der Kommission„Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ unterdem Vorsitz von Herrn Bodewig nicht nachkommen, proJahr etwa 6 bis 7 Milliarden Euro zu investieren, um denBestand und die wirtschaftliche Substanz – es geht alsonicht um Neubaumaßnahmen wie Ortsumfahrungen undanderes – zu erhalten. Hier müssten wir deutlich mehrinvestieren.Ich sehe es für die nächsten drei Jahre als unsere Auf-gabe in dieser Koalition an, uns nicht auf den Lorbeerenvergangener Zeiten auszuruhen, sondern auch in die Zu-kunft zu investieren. Es geht um Investitionen in die In-frastruktur, aber auch in die Bildung, und ich schließemich hier den Ausführungen von Herrn Kauder an: DieLänder müssen das Geld, das wir als Bund zur Verfü-gung stellen, auch tatsächlich in den Bildungs- und For-schungsbereich investieren.Daneben müssen wir es denjenigen ermöglichen zustudieren, die dazu aufgrund des Geldbeutels ihrer Elternnicht in der Lage sind. Deswegen ist es gut, dass wir alsBund das BAföG jetzt komplett übernehmen und wir unsals Sozialdemokraten – das haben wir von Anfang an ge-sagt – für eine deutliche Erhöhung des BAföG einsetzen.
Zu den Einnahmen. Wir haben darauf hingewiesen,dass es hier in der Union und in der SPD unterschiedli-che Vorstellungen gibt. In den grundsätzlichen Fragen,aber auch in kleinen Bereichen machen wir Fortschritte.Wir beraten gerade das Kroatien-Gesetz. Das klingttechnisch, aber die Kollegen im Finanzausschuss habenhier schwergewichtige Fragen geklärt.
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Carsten Schneider
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Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, ob in Deutschlandjeder nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert wird. Wirhaben in Deutschland zwar auch eine große Schere zwi-schen den Einkommen, aber vor allen Dingen zwischenden Vermögen.Der Fall des Erben eines großen Automobilherstel-lers, dessen Autos sich die meisten hier nicht leistenkönnen, ist öffentlich geworden. Er verfügt über einMilliardenvermögen. Es liegt zum großen Teil in stillenReserven einer Kapitalgesellschaft und wird nicht ver-steuert, und über eine noch legale Steuergestaltung willer dieses Vermögen nun ins Ausland, in die Alpen, trans-ferieren. Jeder kann sich innerhalb der EuropäischenUnion seinen Wohnsitz suchen, aber klar ist auch: InDeutschland erarbeitetes Vermögen muss auch in Deutsch-land versteuert werden.
Deswegen hoffe ich sehr, dass es uns in der nächstenWoche gelingt, diese Lücke zu schließen und dafür zusorgen, dass nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer sowie die Manager, die hier Einkommen-steuer zahlen, sondern auch diejenigen ihren Beitragleisten, die über hohe Vermögen verfügen, die sie nuraufgrund der Stabilität der Wirtschaft und der Leistungs-fähigkeit der Arbeitnehmer, auch des Unternehmertums,erzielen konnten.Das ist eine Frage der Fairness und wird uns als So-zialdemokraten in den nächsten drei Jahren in dieserGroßen Koalition hier im Deutschen Bundestag auchweiterhin umtreiben. Ich hoffe, wir haben Sie dabei anunserer Seite.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin
Gerda Hasselfeldt, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der vorliegende Haushalt ist für uns alle Anlass zu gro-ßer Freude. Erstmals seit über 40 Jahren verabschiedenwir einen strukturell ausgeglichenen Haushalt, und erst-mals seit über 40 Jahren erwarten wir für das kommendeJahr einen ausgeglichenen Haushalt. Das ist eine histori-sche Zäsur in der Haushaltspolitik dieses Landes, dienicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Ich danke dem Bundesfinanzminister für die Vorlagedieses Entwurfs und den Haushaltspolitikern für die in-tensive Arbeit bei der Beratung, die trotz der in den letz-ten Wochen und Monaten aufgetauchten Schwierigkei-ten dazu geführt hat, dass der Entwurf im Kern, nämlichmit dem Endergebnis „strukturell ausgeglichener Haus-halt“, erhalten werden konnte. Das ist ein ganz wichtigesSignal. Das ist ein großer Erfolg, ein Erfolg, der denMenschen in unserem Land zugutekommt. Das, liebeKolleginnen und Kollegen, ist auch unsere Aufgabe.
Warum machen wir das? Warum ist das so wichtig?Gerade die Erfahrungen der letzten Jahre in einigen eu-ropäischen Ländern haben uns gezeigt, dass eine gutewirtschaftliche Entwicklung und eine gute Beschäfti-gungslage ganz wesentlich mit stabilen öffentlichen Fi-nanzen zusammenhängen. Stabile öffentliche Finanzenauf der einen Seite und Wachstum und Beschäftigungauf der anderen Seite – das sind nicht zwei Gegensätze,sondern das sind zwei Seiten ein und derselben Me-daille. Ohne solide Haushaltspolitik kann es kein Ver-trauen der Menschen und der Wirtschaft in die Politik ei-nes Landes geben, ohne dieses Vertrauen wird es keineInvestitionen geben, und ohne Investitionen gibt es keinWachstum und keine Beschäftigung. Das ist eine ganzeinfache volkswirtschaftliche Rechnung.
Zu soliden Finanzen und Stabilität gehört aber auch,dass mit dem, was der Staat an Steuergeldern einnimmt,sauber und verantwortungsvoll gewirtschaftet wird unddass nicht bei der ersten Schwierigkeit, die sich dabei er-gibt, nach Steuererhöhungen gerufen wird. Mir kommtin der heutigen Debatte fast ein bisschen zu kurz, dassauch dies zu solider Haushaltspolitik gehört: mit demauszukommen, was man einnimmt. Deshalb war es füruns auch so wichtig, zu Beginn der Legislaturperiodeklarzustellen: Es wird keine Steuererhöhungen geben.
Das Ganze gilt natürlich nicht nur für uns, sonderndas gilt auch für Europa. Wir haben in diesem Haus inden vergangenen Jahren, als es darum ging, die Staats-schuldenkrise in Europa zu bewältigen, intensiv überden richtigen Weg diskutiert, gerungen und sogar gestrit-ten. Heute können wir sagen: Der eingeschlagene Kurswar richtig. Die Hartnäckigkeit unserer Bundeskanzlerinin Europa hat sich bewährt. Das Prinzip „Solidarität ja,aber nur in Verbindung mit Solidität“ hat sich bewährt.Das heißt: Hilfe ja, aber nur in Verbindung mit derEinhaltung von Auflagen, nur in Verbindung mit Sparenund solidem Haushalten und in Verbindung mit den not-wendigen Strukturreformen. Heute können wir sagen:Die Programmländer, die schwierigen Länder in dieserStaatsschuldenkrise haben ihre Hausaufgaben zum über-wiegenden Teil gemacht. Die Ergebnisse sind sichtbar.Der Kurs war richtig. Dabei müssen wir auch bleiben.
Wir haben den Stabilitätspakt unter großen Anstren-gungen ein Stück weit verschärft, konkretisiert. Wir ha-ben den Fiskalpakt auf europäischer Ebene eingeführt,etwas, was viele uns Jahre vorher nicht zugetraut hätten.Weil dieser Kurs erfolgreich war, müssen wir daran fest-halten. Es kann kein Aufweichen des Stabilitätspakts in
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Gerda Hasselfeldt
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Europa geben. Es kann auch kein Abweichen von demgeben, was dann in der Folge dieses Stabilitätspakts aufeuropäischer Ebene vereinbart und beschlossen wurde.Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, wenn es darumgeht, in Sachen Stabilität in Europa auf Kurs zu bleibenund für solide Verhältnisse in Europa zu sorgen. JedesLand, auch Frankreich, auch Italien, muss seine Haus-aufgaben im nationalen Bereich machen. Wenn dieseHausaufgaben national gemacht werden, dann wird auchdie Gefahr von rechtsextremen Gruppen in diesen Län-dern geringer werden. Auch das gehört dazu.
Solide Haushaltspolitik machen wir aber nicht nur ausden genannten Gründen, sondern der wesentliche Grunddafür ist unsere Verantwortung für diejenigen, für diewir unsere politische Arbeit eigentlich machen, nämlichdie, die nach uns kommen: unsere Kinder, unsere Enkel-kinder, die Zukunft unseres Landes.Das Beste, was wir unseren Kindern und Enkelkin-dern geben können, ist ein Land ohne Schulden, ohnezusätzliche Verpflichtungen, ein Land, in dem sie dannSpielräume für die Herausforderungen haben werden,denen sie sich in ihrer Zeit gegenübersehen. Deshalb istsolide Haushaltspolitik für uns so wichtig, deshalb istnachhaltige Politik wichtig. Wir sind nicht nur in derVerantwortung für uns und für unsere heutige Genera-tion und für unsere Zeit, sondern wir sind in der Verant-wortung für die Zukunft unseres Landes. Das haben wirvon denen, die vor uns Verantwortung getragen haben,gelernt.
Deshalb ist auch der Aspekt, der vorhin schon mehr-fach angesprochen wurde, Bildung, Forschung und Qua-lifizierung der Menschen, von so großer Bedeutung. Ei-nes will ich aber schon klarstellen, da von einigenRednern der Opposition immer wieder die Situation imBildungswesen schlechtgeredet wurde: Als ich zu mei-ner Schulzeit das Gymnasium besuchen wollte, mussteich ins Internat gehen, weil es keine weiterführendeSchule in der Region gab. Heute sind die Verhältnissevöllig anders – ich rede jetzt von meinem HeimatlandBayern, in vielen anderen Ländern gilt das auch –: Inmeiner Heimat ist es so, dass jedes Kind, egal in welcherRegion es wohnt, ohne Probleme und mit öffentlicherFörderung eine weiterführende Schule besuchen kann.
Dass die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems,von der Grundschule bis zur Universität, heute gewähr-leistet ist, war auch nicht immer so. Das ist auch nichtüberall so. Das ist in unserem Land so, und da solltenwir die Situation nicht schlechter reden, als sie ist.
Ich will dazu noch ein Weiteres sagen. Bei allen Ver-gleichen, gerade bei der Jugendarbeitslosigkeit, mit an-deren Ländern spüren wir doch, dass unsere jungenMenschen gut ausgebildet sind, hochqualifiziert sind.Das hängt nicht nur mit dem System und den politischenEntscheidungen zusammen, sondern das hängt auch vondem Engagement und der Qualifikation der Lehrkräfte,der Professoren ab. Diesen Menschen gebührt herzlicherDank dafür.
Ich will hinzufügen: Der Mensch beginnt nicht erstmit dem Abitur und dem Studium.
Deshalb legen wir großen Wert auf die duale Ausbil-dung, auf das duale Studium, das mittlerweile in vielenBereichen Realität ist. Ich danke all denen in den Unter-nehmen und Betrieben, die diese duale Ausbildungdurchführen, Ausbildungsplätze zur Verfügung stellenund den Jugendlichen damit eine Chance geben, sich gutzu qualifizieren.
Dass wir diesem Aspekt, der Bildung, Forschung,Innovation und Qualifizierung der Menschen, einen ho-hen Stellenwert beimessen, zeigen wir mit diesem Haus-halt. Mit dem Haushalt in diesem Jahr und in den kom-menden Jahren werden wir in dieser Legislaturperiode9 Milliarden Euro zusätzlich und damit noch mehr, alswir schon vorher dafür ausgegeben haben, für Bildungund Forschung ausgeben. Auch dass wir das BAföGvonseiten des Bundes voll übernehmen und für diese Le-gislaturperiode eine Erhöhung des BAföG angekündigthaben und auch vornehmen werden, macht deutlich: Dashat hohen Stellenwert in unserer Politik, und das ist auchgut so.
Zur Entwicklung unseres Landes gehört aber aucheine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Ich will nur auf ei-nen Aspekt eingehen, der in diesen Tagen von besonde-rer Bedeutung ist, und zwar die Energiepolitik. Ichschließe mich dem an, was Volker Kauder gesagt hat: Eswar eine Riesenleistung, das Erneuerbare-Energien-Ge-setz so zu novellieren, dass wir auf der einen Seite dieEntwicklung in Richtung noch mehr erneuerbare Ener-gien durchaus vorantreiben, dass wir aber auf der ande-ren Seite die damit verbundene Kostendynamik bremsenund dass wir zum Dritten unsere Wirtschaft wettbe-werbsfähig erhalten.Da geht es nicht um einige wenige Arbeitsplätze.Vielmehr ging es bei der energieintensiven Industrie undder Frage der Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrieauf internationaler Ebene um Zigtausende von Arbeits-
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Gerda Hasselfeldt
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plätzen. Dass diese gesichert werden konnten, ist dasVerdienst unserer Bundeskanzlerin und des Bundeswirt-schaftsministers. Deshalb möchte auch ich ganz herzlichfür dieses großartige Engagement auf der europäischenEbene danken.
Zur wettbewerbsfähigen Wirtschaft gehört aber auchein gutes Einvernehmen zwischen Sozialpolitik auf dereinen Seite und Wirtschaftspolitik auf der anderen Seite.Diese Balance zu halten, für die Schwächsten, dieSchwachen und Hilfsbedürftigen da zu sein und dieLeistungsfähigkeit unserer Wirtschaft zu erhalten, isteine Aufgabe, die wir in einer sozialen Marktwirtschaftpermanent haben. Ich denke, wir haben sie in unseremLand insgesamt ganz gut bewältigt.Wir haben eine Reihe von neuen Herausforderungen,beispielsweise im Bereich der Familienpolitik mit derVereinbarkeit von Familie und Beruf, in der Pflege undin der Behindertenarbeit. Ich denke, wir haben sie gutbewältigt und werden sie auch weiter bewältigen. Auchin den Bereichen Pflege und Behindertenarbeit ist dieVorarbeit geleistet. Der Gesetzentwurf für die Pflegever-sicherung liegt bereits vor. Daraus wird ersichtlich: Wirnehmen diese Themen ernst.Genau das haben wir auch bei der Rente beachtet. Wirhaben, als wir die Mütterrente beschlossen haben, sehrwohl im Blick gehabt, dass sie finanzierbar sein muss.Aber weil vorhin vonseiten der Linken und der Grünendie Finanzierung angesprochen wurde, will ich auch da-rauf hinweisen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen,dass wir für die Anerkennung von Erziehungszeiten inder Rentenversicherung – nur für diese Leistung – seit1998 100 Milliarden Euro Steuergelder ausgegeben ha-ben. Wir haben mehr ausgegeben, als für diese Leistungerforderlich war.
Das sollte man nicht vergessen, wenn wir über dieseFrage diskutieren, die eine Gerechtigkeitsfrage ist. Dennes ist niemandem klarzumachen, dass eine Mutter, dievor 1992 Kinder geboren hat, schlechter behandelt wirdals diejenige, die nach 1992 Kinder geboren hat.
Wir haben vor wenigen Wochen in diesem Haus andie Verabschiedung und das Inkrafttreten des Grundge-setzes gedacht. Wir haben in diesem Jahr eine Reihe vonGedenkveranstaltungen und Gedenktagen, die uns an diewechselvolle Geschichte unseres Landes erinnern. Dasalles bietet immer wieder Anlass, dankbar zu sein: dank-bar zu sein für das, was die Menschen – nicht nur diePolitiker – in unserem Land geleistet haben, dankbar zusein auch für die Geschenke, die wir mit der europäi-schen Einigung bekommen haben, eine gute, friedvolleEntwicklung – immer wieder mit neuen Herausforderun-gen. Bei aller Dankbarkeit sollten wir uns nicht zurück-lehnen. Vielmehr sollte das für uns Auftrag sein, die er-folgreiche Entwicklung unseres Landes fortzusetzen.Dieser Haushalt ist ein gute Grundlage dafür.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das
Wort die Kollegin Bettina Hagedorn.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat beginnen:Wesentliches Markenzeichen der Großen Koalitionist die solide Haushalts- und Finanzpolitik, die mitweniger Schulden auskommt und gleichzeitig mehrInvestitionen in entscheidende Zukunftsfelder unse-rer Gesellschaft und Wirtschaft vornimmt.Ich finde, das ist eine prima Überschrift für dieseHaushaltswoche. Die Tatsache, dass dieses Zitat aus ei-ner Rede des Finanzministers der letzten Großen Koali-tion, Peer Steinbrück, vom 16. September 2008 stammt,macht deutlich, dass wir sowohl in der letzten als auch inder jetzigen Großen Koalition einen langen roten Fadenund damit eine gemeinsame Tradition insbesondere inder Finanz- und Haushaltspolitik haben, die gut fürDeutschland ist.
Liebe Kollegin Hasselfeldt, ich will ganz gewiss nichtden Anschein eines künstlichen Konflikts erzeugen.Aber Sie haben gerade in Ihrer Rede mit Blick auf dieEinhaltung der Stabilitätskriterien in Europa ständigvom Stabilitätspakt gesprochen. Es ist wichtig, daraufhinzuweisen, dass er sich Stabilitäts- und Wachstums-pakt nennt. Das haben wir – das ist keine Kleinigkeit –auch schon in der letzten Großen Koalition gemeinsamso verstanden. Sie haben eben auch darauf hingewiesen,es sei wichtig, mit dem Geld auszukommen, das manhat. Ich glaube, dem stimmen alle im Haus zunächst ein-mal zu. Aber die letzte Große Koalition hat bewiesen,dass es davon Ausnahmen geben kann. Diese hängen mitdem zusammen, was sich unter dem Begriff „Stabilitäts-und Wachstumspakt“ subsumieren lässt. Als die durchden Zusammenbruch von Lehman Brothers hervorgeru-fene Krise begann, standen wir unmittelbar vor einemstrukturell ausgeglichenen Haushalt; das war schon da-mals unser gemeinsames Ziel. Aber wir haben damalssehr bewusst und richtigerweise das Erreichen diesesZiels hintangestellt, um Konjunkturpakete auf den Wegzu bringen und Wachstumsimpulse, die Deutschland da-mals gebraucht hat, überhaupt erst zu ermöglichen. Wirhaben beispielsweise mit dem Kurzarbeitergeld Men-schen in Lohn und Brot gehalten. Nur dadurch war esmöglich, dass die Wirtschaft später schnell wieder an-springen konnte – und zwar als erste in ganz Europa –und dass Deutschland, wie es die Kanzlerin heute Mor-gen ausgedrückt hat, zur Wachstumslokomotive wurde.Und darum: Sparen ist kein Selbstzweck. Stabilität ist
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Bettina Hagedorn
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gut und richtig. Aber Wachstum gehört dazu. Es istschön, dass wir uns an dieser Stelle einig sind.
Wir sind uns auch über die Schwerpunkte des Haus-halts einig; das haben die Haushaltsberatungen erneutbewiesen. Wir haben schon in der letzten Großen Koali-tion enorme gemeinsame Anstrengungen im Bildungs-bereich unternommen und nicht nur wegen derLissabon-Strategie in Europa erkannt, dass die Bildungs-investitionen erhöht werden müssen; denn nur wenn wirin die Köpfe der jungen Menschen mehr investieren, alses traditionell in den letzten Jahrzehnten der Fall war,geht uns die wichtigste Ressource, die Jugend, nicht ver-loren. Wir brauchen sie, um die wirtschaftliche Stabilitätin unserem Land auch in Zukunft zu erhalten. Das setzenwir in dieser Großen Koalition fort.Es ist schon ein bisschen befremdlich, dass Sie, HerrGysi, als Oppositionsredner sich ausgerechnet die Bil-dung vorgenommen haben, um die Große Koalition zukritisieren. Es ist auch nicht wahr, was Sie gesagt haben,nämlich dass 500 Millionen Euro gekürzt worden seien.
Machen Sie sich einmal bei der Haushaltsausschussvor-sitzenden Frau Lötzsch schlau. Die Wahrheit ist: DasGeld, das 2014 nicht mehr ausgegeben werden kann,weil die Vereinbarungen so sind, wie sie sind,
werden wir in den Folgejahren zur Verfügung stellen.Fakt ist aber, dass wir mit diesem Haushalt Investitio-nen in Höhe von 9 Milliarden Euro – darauf ist vielfachhingewiesen worden – in Bildung tätigen. Das tun wir inerster Linie und maßgeblich über die Länder, aber auchüber die Kommunen; denn wir sind gemeinsam von demGedanken getragen, dass Bildung nicht nur Hochschul-bildung ist, sondern dass Bildung gerade und in ersterLinie in den Schulen, in den Kitas und in den Krippendurch mehr Lehrer und Erzieher qualitativ verbessertwerden muss. Dazu gehört eine verbesserte Ausbildung,damit die hohen Schulabbrecherquoten, die wir inDeutschland immer noch haben – die PISA-Ergebnissewill ich nur am Rande erwähnen –, gesenkt werden.Diese sind nicht nur eine Schande für unser Land undganz furchtbar für junge Menschen, über die wir reden,sondern es ist auch volkswirtschaftlich ein Wahnsinn,wenn wir nicht gegensteuern. Aber wir steuern dagegen.Dafür ist dieser Haushalt ein wichtiges Beispiel.
Ich möchte gerne ein paar Dinge aufgreifen, die inden Haushaltsberatungen der letzten zwei Monate ge-glückt sind. Auch ich möchte mich, wie es schon anderevor mir getan haben, bei meinen Kolleginnen und Kolle-gen der CDU/CSU im Haushaltsausschuss dafür bedan-ken, dass wir unsere Feuerprobe in dieser Legislatur be-standen haben. Für viele war es gar keine Feuerprobe,weil wir schon eine andere Große Koalition erfolgreichhinter uns gebracht haben. Ich will darauf hinweisen,was der Haushaltsausschuss eigentlich gegenüber derersten Lesung, die hier im April stattgefunden hat, ver-ändert hat.Mir ist besonders wichtig – das Thema hatten wireben schon –, dass wir unter anderem 10 Millionen Euromehr für die syrischen Flüchtlinge und 40 MillionenEuro mehr für Integrationskurse in diesem Land zur Ver-fügung gestellt haben. Ich möchte diesen Hinweis aberdamit verbinden – Herr de Maizière ist jetzt nicht da –,dass wir als Haushaltsausschuss auch die Erwartung he-gen, dass wir diese Nachbesserung im zweistelligen Mil-lionenumfang bei den Integrationskursen nicht in jedemHaushaltsjahr wieder machen müssen; wir erwarten viel-mehr von unserer Bundesregierung, dass sie die Integra-tionskurse von Anfang an in dem Umfang ausfinanziert,wie es erforderlich ist. Wir sind jetzt bei 245 MillionenEuro, und das ist das Mindeste, was wir an dieser Stelletun müssen.
Ich möchte das Technische Hilfswerk erwähnen. Wirunterstützen das Technische Hilfswerk mit 10 MillionenEuro mehr. Ich bin sehr froh, dass das gelungen ist. Auchmit Blick auf die Debatte heute will ich nicht unerwähntlassen, dass das Technische Hilfswerk unter anderem inJordanien in den Flüchtlingslagern für die Bereitstellungvon Wasser sorgt. Wir alle wissen, was das für die Ge-sunderhaltung der Flüchtlinge dort bedeutet und vor wel-chen dramatischen Herausforderungen ein Land wie Jor-danien – die Kanzlerin hat darauf hingewiesen – steht.Das deutsche Technische Hilfswerk trägt zuverlässig zurGesunderhaltung der Menschen bei. Dafür unser herzli-cher Dank.
Das Technische Hilfswerk hat eine besondere Struk-tur mit über 80 000 ehrenamtlichen Mitarbeitern, diedort tätig sind. Nur ungefähr 800 hauptamtliche Mitar-beiter halten diese Organisation aufrecht. Wenn wir andie Flut vor einem Jahr in Deutschland denken, so stel-len wir fest, dass es das Technische Hilfswerk war, dasgemeinsam mit anderen herausragende Arbeit geleistethat.Wir wollen das Technische Hilfswerk auf der Ebeneder Ortsvereine maßgeblich stärken. Auf dieser Ebenewird nämlich hervorragende Jugendarbeit geleistet undwird immer wieder Nachwuchs für das THW rekrutiert.Wir investieren in die dortige Aus- und Fortbildung undmit 7 Millionen Euro in die Verbesserung seines Fuhr-parks. Das ist eine gute Sache. Vielen Dank allen, die da-für gesorgt haben, dass uns das gemeinsam geglückt ist.
Wir erhöhen die Mittel für die Bundeszentrale fürpolitische Bildung um 10 Millionen Euro. 3,5 MillionenEuro davon fließen an eine sehr bunte Trägerschaft vonAngeboten in ganz Deutschland, die mit der Bundeszen-trale für politische Bildung kooperiert. Politische Bil-dung in unseren Bundesländern ist nach unserer festen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3715
Bettina Hagedorn
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Überzeugung ein wichtiger Baustein dafür, dass Men-schen Angebote in ihrer Region wahrnehmen können,die letztendlich zu mehr Verständnis und mehr Wert-schätzung gegenüber unserer Demokratie beitragen. Eshandelt sich also um ein wertvolles Instrument imKampf gegen rechts und dessen Nährboden. Die entspre-chenden Angebote werden von jungen Menschen in ei-nem ganz großen Umfang wahrgenommen – Gott seiDank.Neben dem Bundesfreiwilligendienst stärken wir denHeimkinderfonds Ost mit insgesamt 35 Millionen Euro.Für die Finanzierung der HIV-Stiftung stellen wir10 Millionen Euro bereit. Die Zuschüsse für den Asse-Fonds sind verdoppelt worden. In den nächsten Jahrenwerden sie sogar verdreifacht; später werden sie dannverstetigt. Mit der Bereitstellung von 85 Millionen Eurostärken wir den Rückbau von Forschungsreaktoren inDeutschland. Das alles sind wichtige Aufgaben. Ichdenke, es ist besonders wichtig, zu erwähnen, dass wirdas alles machen und am Ende eine Neuverschuldungvon trotzdem nur 6,5 Milliarden Euro vornehmen. Dasist schon eine Leistung.Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dassmein Kollege André Berghegger von der Union seineRede gestern mit einer Fußballerweisheit beendet hat,als er sagte, dass das nächste Spiel immer das schwersteist.
Das nächste Spiel für uns Deutsche findet ja morgen ge-gen die USA statt. Aber für uns Haushälter ist dasnächste Spiel – um im Bild zu bleiben – die Aufstellungdes Haushalts für das Jahr 2015. Dafür haben wir unseine Menge vorgenommen, vor allen Dingen natürlich,die Nettoneuverschuldung auf null zu senken.Wir wissen natürlich auch, dass die Herausforderun-gen 2015 enorm sein werden. Wenn der Bund die Ein-nahmen aus der Brennelementesteuer zurückzahlen muss,sind womöglich Steuerausfälle im Umfang von mindes-tens 3 Milliarden Euro gegenzufinanzieren. Deutschlandprofitiert seit Jahren von historisch unglaublich niedri-gen Zinsen. Das niedrige Zinsniveau hat unseren Bun-deshaushalt in den letzten Jahren um zweistellige Milli-ardenbeträge entlastet. Das heißt, wir haben gespart,ohne uns dafür wirklich anstrengen zu müssen. Das wirdmöglicherweise nicht so bleiben. Wir können also durch-aus irgendwann in Schwierigkeiten kommen. Risikendieser Art schweben über uns. Aber nachdem wir diesenHaushalt so gut und kollegial miteinander aufgestellt ha-ben, bin ich von Zuversicht getragen, dass wir das auchin den nächsten drei Jahren schaffen werden.
Dabei wollen wir den Pfad der verstärkten Investitionenin die Bereiche Bildung und Infrastruktur weitergehen.Für diese Bereiche soll also mehr Geld zur Verfügunggestellt werden, und zwar seriös finanziert.Ich freue mich, dass wir die Beratungen über denHaushalt 2014 erfolgreich abgeschlossen haben. Aberschon mit dem Kabinettsbeschluss nächste Woche star-ten wir in die Beratungen über den Haushalt 2015.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Für den Bundesrat spricht jetzt Sven
Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Ver-
kehr des Landes Sachsen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben heuteMorgen in Ihrer Rede die Frage nach den Rahmenbedin-gungen für eine erfolgreiche Entwicklung in den nächs-ten Jahren gestellt. In der Tat, die Lage ist gut. Die Rah-menbedingungen stimmen aber nicht, zumindest nicht injedem Fall. Es fehlen Investitionen in die öffentliche In-frastruktur, aber es fehlen insbesondere auch Investitio-nen im Bereich der privaten Wirtschaft.Sie haben, Frau Bundeskanzlerin, auf der CeBIT dieEröffnungsrede gehalten und sind auch heute auf dasThema „Industrie 4.0“ eingegangen. Insofern ist schondeutlich geworden: Sie haben die Herausforderungen er-kannt, vor denen wir angesichts dieser technologischenVeränderungen stehen. Die Zielstellung „ein schnellesInternet, flächendeckend in ganz Deutschland, Übertra-gungsraten von 50 Megabit – und das bis 2018“ ist eineZielstellung, die wir nachdrücklich unterstützen. Wennwir uns aber einmal fragen, was bisher erreicht wurde,erkennen wir: Das sieht schon etwas anders aus. Wir ha-ben ein Ministerium für digitale Infrastruktur. Wir habeneinen Minister für digitale Infrastruktur.
Was fehlt, ist das Geld. Wir haben kein Geld für digitaleInfrastruktur. Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie da auf diedigitale Dividende verweisen, dann greifen Sie zu kurz.Die digitale Dividende wird erst im Jahr 2016 zur Verfü-gung stehen. Wenn man 2018 am Ziel sein möchte, kannman nicht erst 2016 anfangen.Nächstes Thema: Verkehrsinfrastruktur. Herr Schneiderhat bereits auf die Beschlüsse der Verkehrsministerkon-ferenz hingewiesen. In der Tat: Es fehlen 40 MilliardenEuro. 2,7 Milliarden Euro – so war der Vorschlag –braucht man jedes Jahr, um allein den Instandhal-tungsrückstau zu beseitigen. Das, was Sie zusätzlichbereitstellen, ist nicht einmal die Hälfte dessen, wasdie Verkehrsminister länderübergreifend und damit auchparteiübergreifend gefordert und als sachgerecht angese-hen haben.Sie wollen die Rente mit 63 mit 160 Milliarden Eurofinanzieren, nehmen aber die Sperrung von Straßen undBrücken billigend in Kauf. Deutschland, sehr geehrte
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Staatsminister Sven Morlok
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Damen und Herren, hätte kein Rentenpaket gebraucht;ein Infrastrukturpaket wäre dringend nötig gewesen.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben das falsche Paket ge-schnürt.Ich möchte das einmal an zwei Ministerien der Regie-rung deutlich machen. Da haben wir das Ministerium fürArbeit und Soziales. Das ist – ich sage es einmal salopp –das Ministerium, in dem das Geld eher verteilt wird.Dann haben wir das Ministerium für Verkehr und digi-tale Infrastruktur. Das ist das Ministerium, in dem maneher in die Zukunft investiert.
Das sind das Gegenwartsministerium und das Zukunfts-ministerium. Wir haben nicht zu wenig Geld im Bundes-haushalt; das Geld steckt im falschen Ministerium.Schauen wir uns die Situation in der Wirtschaft an!„Abschied auf Raten“, das titelte die Welt am Sonntagund schrieb: Deutsche Konzerne flüchten aus der Hei-mat. – In der Tat, es gibt Sorgen um den Investitions-standort Deutschland. Bei den Investitionen hält mansich zurück. Wir haben einen Investitionsstau. Ursachendafür sind die fehlenden Mittel für die öffentliche Infra-struktur und die Rente mit 63; es fehlen Fachkräfte, undjetzt werden zusätzlich welche weggenommen. Auch derMindestlohn ist ein entscheidendes Problem. Sehr ge-ehrte Damen und Herren, es sind eben die Bäcker unddie Fleischer und der kleine Laden um die Ecke in derNahversorgung im ländlichen Raum, bei denen die Ar-beitsplätze verloren gehen werden. Auch im Taxige-werbe können wir eine flächendeckende Versorgung24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche nicht ge-währleisten.
Herr Staatsminister, denken Sie bitte an die Redezeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerne.
Die ist abgelaufen.
Kommen Sie bitte zum Schluss. Einen letzten Satz ge-
währe ich Ihnen noch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Politik, die Sie betreiben – Sie verlagern Kosten
in den nächsten Haushalt; Beispiel Rente: Die Renten-
kassen sind leer –, ist keine nachhaltige Politik. Das, was
Sie machen, erfolgt eher nach dem Motto „Nach mir die
Sintflut“. Das ist nicht generationengerecht und auch
nicht verantwortungsvoll.
Vielen Dank.
Der Kollege Dr. Peter Tauber ist der nächste Redner
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieserHaushalt enthält mehrere Meilensteine. Auf zwei dieserMeilensteine, vor allem aus Sicht der jüngeren Genera-tion, will ich eingehen.Zunächst aber, lieber Herr Gysi – hier muss ich Sie indie Pflicht nehmen –, ein Wort zu Ihnen. Sie haben eineChance verpasst. Sie hätten in Ihrer Replik auf die Redeunseres Fraktionsvorsitzenden die Chance gehabt, gera-dezurücken, was Mitglieder Ihrer Partei an unerträgli-chen Aussagen rund um den Konflikt in der Ukrainevom Stapel lassen. Sie hätten die Chance gehabt, gerade-zurücken, wie es die Linke mit den Institutionen und Re-präsentanten unseres Staates, ganz besonders mit Blickauf den Bundespräsidenten, hält. Das haben Sie nicht ge-tan. Sie haben etwas anderes getan, und das ist noch vielschlimmer. Sie haben den Eindruck erweckt, dass es ineiner großen Partei normal sei, dass einem nicht jedeAussage eines Parteifreundes jeden Tag Freude bereitet.An diesem Punkt gehe ich sogar mit; das kann ich per-sönlich nachvollziehen. Aber der große Unterschiedzwischen den Linken und allen anderen demokratischenParteien in diesem Hohen Hause ist: Wenn es zu einersolchen Entgleisung kommt, dann ist für Christdemokra-ten, Sozialdemokraten und auch für Grüne unmissver-ständlich klar, dass dieser Mann, diese Frau, dieses Mit-glied oder dieser Funktionsträger – in Ihrem Fall redenwir von einem Landtagsabgeordneten; das ist kein belie-biges Parteimitglied – sich entschuldigt und im Zweifelauch die Konsequenzen zieht, zurücktritt und das Amtzur Verfügung stellt. Das geschieht in allen Parteien beieiner entsprechenden Entgleisung, in Ihrer Partei nicht.Deswegen ist die Nivellierung, die Sie betreiben, Hohnund Spott gegenüber den Werten, für die diese Demokra-tie steht. Sie haben wieder bewiesen, wohin Sie eigent-lich gehören und woher Sie kommen.
Zu den zwei wesentlichen Meilensteinen in diesemHaushalt, an denen unsere Fraktion Anteil hat, hier ganzbesonders die jüngeren Kolleginnen und Kollegen in derJungen Gruppe, die bei uns mit 25 Männern und Frauenstark vertreten ist.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3717
Dr. Peter Tauber
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– Ich bin leider ein bisschen zu alt dafür, auch wenn ichim Gegensatz zu Ihnen noch jung genug aussehe, lieberHerr Kollege Kindler.
– Wenn er eine so billige Vorlage macht, muss ich denElfer verwandeln. Das ist wie morgen Abend. Da zähltdas Tor; entscheidend ist auf dem Platz.Der ausgeglichene Haushalt, den wir vor Augen ha-ben, und die strukturelle Neuverschuldung, die so nied-rig ist wie seit Ende der 60er-Jahre nicht mehr, sind einganz klares Signal an die junge Generation, dass wir esmit einem Ausgleich der Interessen von Jung und Alt indiesem Land ernst meinen. Deswegen passen das Ren-tenpaket und der ausgeglichene Haushalt zusammen.Wir haben uns nämlich vorgenommen, dass wir einePolitik für alle Generationen machen, dass wir nieman-den gegeneinander ausspielen. Nach dem Rentenpaketist dies das Signal an die junge Generation.
Der erste Meilenstein ist der ausgeglichene Haushalt,den wir vor Augen haben und den wir realisieren wollen.Es gibt einen zweiten Meilenstein, der für die jungeGeneration mindestens genauso wichtig ist. Das ist derEinzelplan, in dem es um Bildung und Forschung geht.Wir haben seit 2005 die Ausgaben in diesem Bereich um84 Prozent erhöht; das ist fast eine Verdoppelung. Damithängen viele Dinge zusammen: die Finanzierung derExzellenzinitiative bis zum Jahr 2017. Über das BAföG,das der Bund künftig komplett übernimmt, ist schon ge-sprochen worden. Aber neben den Zahlen, die sich ganzkonkret im universitären Alltag und in der Zusammenar-beit mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen ab-bilden, steht ein ganz anderer Gedanke, um den es mirhier geht. Wir müssen deutlich machen, dass diese Repu-blik ihre klügsten Köpfe nicht nur ehrt, wenn sie etwasBesonderes geleistet haben, sondern dass wir sie aufdem Weg dahin begleiten und ihnen eine Grundlage da-für geben, dass Innovation, Forschung und Fortschritt indiesem Land willkommen sind und wir nicht verzagtsind, wenn sich neue Chancen und Technologien erge-ben. Wir wollen, dass Deutschland Vorreiter ist. Wirbrauchen eine neue Gründerzeit in diesem Land. Dasbringen wir mit diesem Etat zum Ausdruck. Deswegenist der Haushalt, den wir auf den Weg bringen, ein ganzwichtiger Meilenstein.
Gestern wurde Karlheinz Brandenburg zum drittenMal die Ehrendoktorwürde verliehen, von der Polytech-nischen Universität Valencia. Jetzt weiß nicht jeder, werKarlheinz Brandenburg ist.
Das ist der Erfinder des MP3-Formats. Wichtig ist, dasswir immer wieder über solche Persönlichkeiten reden.Das sind die Vorbilder, die wir brauchen. Es lohnt sich,diesen Männern und Frauen nachzueifern. Genau dasmüssen wir der jungen Generation vermitteln – deswe-gen mehr Geld für Bildung und Forschung –: Es lohntsich, sich anzustrengen; es lohnt sich, in diesem Land et-was zu leisten. Das ist der Geist, den auch dieser Bun-deshaushalt atmet. Deswegen würde ich Ihnen empfeh-len, zuzustimmen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Martin Dörmann,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir sprechen heute auch über den Haushalt für den Be-reich „Kultur und Medien“. Da ist uns in der Schluss-kurve wirklich ein Coup gelungen. Während der nochvon der Vorgängerregierung erstellte Entwurf eine Ab-senkung des BKM-Haushaltsansatzes um fast 6 Prozentvorsah, konnten wir den Etat nun, da die SPD an den Be-ratungen beteiligt war, im parlamentarischen Verfahrenum 7,5 Prozent, das heißt um 90 Millionen Euro, stei-gern. Insgesamt beträgt er jetzt 1,3 Milliarden Euro. Wir,das sind die Kultur- und Medienpolitiker sowie die zu-ständigen Haushälter beider Koalitionsfraktionen. Beiihnen allen möchte ich mich ebenso herzlich bedankenwie bei unserer Staatsministerin.
Das war eine sehr gute Zusammenarbeit, geprägt vondem Willen, die ehrgeizigen Vorhaben des Koalitions-vertrags umzusetzen und gemeinsam ein deutliches Zei-chen für Kultur und Medien zu setzen. Das ist uns gelun-gen, und daran knüpfen wir im Herbst an, wenn wir denHaushalt für 2015 verhandeln. Ich will daran erinnern,dass es noch nie einen Koalitionsvertrag gab, der sich sokonkret und ausführlich mit dem Bereich „Kultur undMedien“ beschäftigte. Dieses Programm gilt es nunSchritt für Schritt umzusetzen.Lassen Sie mich einige der wichtigsten Verbesserun-gen im Haushalt für 2014 darstellen; meine Fraktions-kollegin Hiltrud Lotze wird weitere benennen. Insge-samt ist es uns gelungen, dafür zu sorgen, dass kulturelleSubstanz gesichert, gleichzeitig aber auch neue Impulsegesetzt werden können. Das sehr erfolgreiche und se-gensreiche Denkmalschutzprogramm beispielsweisewird mit Mitteln in Höhe von 29 Millionen Euro wiederaufgelegt. Dadurch können nicht nur unser national be-deutsames kulturelles Erbe gefördert und Kulturdenkmä-ler gepflegt werden; davon profitieren auch kleine undmittlere Betriebe, die zum Teil noch alte Handwerks-techniken einsetzen. Das ist Kulturförderung im bestenSinne – keine Subvention, sondern eine Investition in dieZukunft.
Nationale Kultureinrichtungen in Ostdeutschland, beidenen es immer noch erheblichen Investitionsbedarfgibt, werden weiterhin mit 4 Millionen Euro jährlich ge-fördert. Das ist ein gutes Signal, gerade 25 Jahre nach
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Martin Dörmann
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der friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung.Es deutet an, welcher kulturelle Wert in den neuen Län-dern vorhanden ist und zum Teil noch wiederentdecktwerden muss. Das wollen wir fördern.Wir setzen zusätzliche Mittel ein, um unser nationalesFilmerbe zu digitalisieren und zukünftig auch auf neuenWegen zugänglich zu machen. Wir wollen auch den Ki-nos in der Fläche helfen, die als kulturelle Orte unheim-lich wichtig sind, aber die Kosten der Digitalisierungnicht alleine tragen können.Als eines der zentralen medienpolitischen Anliegenmöchte ich die Stärkung der Deutschen Welle hervorhe-ben. Ich freue mich, dass es mit diesem Haushalt gelingt,dort eine echte Trendwende hinzubekommen. Nachdemin den vergangenen Jahren die Mittel zwar stabil geblie-ben sind, aber aufgrund der Kostensteigerungen faktischeine Kürzung stattfand, machen wir nun mit einem Auf-wuchs von 10 Millionen Euro deutlich, dass wir dieDeutsche Welle als unseren Auslandssender stärken wol-len. Das gilt umso mehr, als die Welt in vielen Ländernim Umbruch ist, sei es in der Ukraine, im arabischenRaum oder auf dem afrikanischen Kontinent. Mit denverbesserten finanziellen Möglichkeiten wird die Deut-sche Welle in die Lage versetzt, diesen Herausforderun-gen besser zu begegnen. Zudem unterstützen wir denSender ganz wesentlich in seinem derzeitigen Reform-prozess, der neue Schwerpunkte setzt und die Reich-weite der Deutschen Welle weiter erhöhen wird. LassenSie mich als Sozialdemokrat sagen: Ich bin sehr froh,dass dieser Umstrukturierungsprozess laut den Ankündi-gungen des Intendanten ohne betriebsbedingte Kündi-gungen vonstatten gehen wird.Ich möchte auch noch etwas zu einem Projekt sagen,das sich zwar nicht in einem ausgewiesenen Haushaltsti-tel findet, aber von uns umgesetzt wird: der Medienda-tenbank. Nachdem diese 2012 erstmalig realisiert wer-den konnte, geht es nun darum, sie weiterzuentwickeln.Seitens der Länder gibt es bereits Signale, dass sie bereitsind, über die Landesmedienanstalten ihren Anteil zuleisten. Noch bestehende Finanzierungslücken werdenwir – darauf haben wir uns in der Koalition bereits ver-ständigt – im BKM-Haushalt entsprechend abbilden. Diein der Mediendatenbank erfassten Daten ermöglicheneine bessere Beurteilung von Meinungsmacht und derencrossmedialen Auswirkungen. Das ist angesichts des zu-nehmenden Drucks auf die Pressevielfalt ein gutes undnotwendiges Projekt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schlussmöchte ich noch kurz einen Blick auf den nächstenHaushalt werfen; denn bereits nächste Woche legt dieBundesregierung den Entwurf für 2015 vor, der unsgleich nach der Sommerpause im Parlament beschäfti-gen wird. Innerhalb der Koalition sind wir uns einig,dass wir uns in den nächsten Monaten unter anderem mitder Frage auseinandersetzen müssen, wie die vielfältigenVorhaben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ausfi-nanziert werden. Zudem werden wir selbstverständlichden Anspruch des nächste Woche zu verabschiedendengesetzlichen Mindestlohnes auch für den Kultur- undMedienbereich einlösen. Es ist übrigens darüber hinausauch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema, indem zum Teil von hoher Selbstausbeutung geprägtenKultur- und Medienbereich darauf zu drängen, dass überden Mindestlohn hinaus Tarifverträge und soziale Stan-dards nicht nur vereinbart, sondern auch eingehaltenwerden.Lassen Sie mich ein Fazit zum Haushalt für den Be-reich „Kultur und Medien“ ziehen. Die Koalition ist aufeinem guten Weg. Wir halten, was wir versprechen, undwir haben uns für die Zukunft noch einiges vorgenom-men. Gerade in diesen Tagen der Fußballweltmeister-schaft gilt der viel zitierte Satz von Sepp Herberger:Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Übrigens hat er 1954die deutsche Mannschaft zur Fußballweltmeisterschaftgeführt. Ich deute das als gutes Omen. Das ist keinesportliche Prognose, aber dennoch eine Hoffnung. Ichhoffe, sie wird eingelöst.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege
Marco Wanderwitz, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Kollege Dörmann hat in vielem, was er heute gesagthat, recht, zum Beispiel darin, dass wir im Kultur- undMedienausschuss traditionell seit vielen Jahren frak-tionsübergreifend gut zusammenarbeiten. LieberSiegmund Ehrmann, ich glaube, das hat auch etwas da-mit zu tun, dass du als neuer Ausschussvorsitzender wei-ter in diese Kerbe schlägst. Du bist ein guter Ausschuss-vorsitzender; das würden alle deine Ausschussmitgliederunterschreiben. Hab herzlichen Dank dafür.
Die enge Zusammenarbeit der Kultur- und Medien-politiker in der Großen Koalition begann bereits wäh-rend der Koalitionsverhandlungen. Zehn Seiten des Ko-alitionsvertrages gehören dem Bereich „Kultur undMedien“, so viel wie noch nie zuvor. Das zeigt, welchenStellenwert dieses Politikfeld für unsere Koalition hat.Wir sind froh, dass uns das gelungen ist.Wir haben uns natürlich auch Hausaufgaben gegeben,die wir abarbeiten wollen. Wir haben in den Koalitions-vertrag geschrieben: Wir wollen den Kulturhaushalt „aufhohem Niveau weiterentwickeln“. Ich glaube, mit denfür 2014 vorgesehenen 1,29 Milliarden Euro ist uns dasrecht gut gelungen. Ich möchte mich bei unseren Haus-hältern ganz herzlich bedanken – ich sehe Rüdiger Krusefür unsere Fraktion hier sitzen –: Ihr seid einerseits na-türlich Haushälter, so wie Haushälter eben sind – ihrmüsst das Geld zusammenhalten –;
andererseits – und das habe ich bei allen Haushältern imKultur- und Medienbereich wahrgenommen – seid ihr
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Marco Wanderwitz
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auch Kämpfer für Kultur und Medien. Es ist gut, wennman als Fachpolitiker solche Haushälter an seiner Seitehat.Unsere neue Kulturstaatsministerin hat ihre Feuer-taufe bestanden, sowohl in den letzten Wochen und Mo-naten in Bezug auf viele inhaltliche Themen als auchjetzt bei diesem Haushalt. Dass die Schuhe, die BerndNeumann nach acht Jahren hinterlassen hat, ziemlichgroß waren, konnte man nicht nur in den Zeitungen le-sen. Das ist uns allen bewusst, die wir acht schöne Jahremit ihm als Kulturstaatsminister – es waren acht guteJahre für die Kultur in Deutschland – erlebt haben. Ichdenke, liebe Monika Grütters, die Schuhe passen ganzgut. Ich habe gestern Abend Bernd Neumann getroffenund ihm das so gesagt. Ich glaube, auch er ist sehr zu-frieden damit, wie der Übergang funktioniert hat. Er istsehr froh und glücklich, dass Kultur und Medien in unse-rem Land weiterhin in guten Händen sind.
Ich will aufgrund der Kürze der Zeit nur einige we-nige Inhalte ansprechen:Wir haben uns vorgenommen, die Künstlersozialver-sicherung zu reformieren. Das ist ein ganz wichtigeskulturpolitisches Projekt dieser Bundesregierung. DasSchöne ist, dass wir so schnell liefern konnten. DieKünstlersozialversicherung ist eines der wichtigsten In-strumente zur sozialen Absicherung der Künstlerinnenund Künstler. Wir erweitern jetzt die Überprüfungsmög-lichkeiten, stärken die Abgabegerechtigkeit und stabili-sieren den Beitragssatz. Ich glaube, damit hat die Künst-lersozialversicherung in Deutschland Zukunft, und dasist gut so; denn sie sucht in Europa ihresgleichen.
Wenn wir sagen, dass Künstlerinnen und Künstler oft ineiner schwierigen sozialen Lage sind – das wissen wir –,dann müssen wir fast zwangsläufig darüber reden, dassKünstlerinnen und Künstler von ihrer kreativen Arbeitbesser leben können sollen. Damit sind wir bei demThema Urheberrecht in der digitalen Zeit. Dieser Aspektkommt mir in der Debatte immer viel zu kurz. Deswegenwill ich dieses Thema heute ansprechen. Es geht umMenschen, die hinter diesem geistigen Eigentum stehen.Darüber müssen wir reden. Wir als Koalition müssen na-türlich auch an dieser Stelle liefern. Wir haben uns festvorgenommen, hierbei zu Verbesserungen zu kommen.Ich bin sehr optimistisch, dass der zuständige Bundes-justizminister uns in Bälde einen ersten Aufschlag indiese Richtung geben wird.
Ich will einen letzten Punkt ansprechen. NachdemMartin Dörmann zum Thema Deutsche Welle im Grundealles gesagt hat, will ich nur noch Folgendes sagen:Auch wir unterstützen die wichtigen Reformen, die PeterLimbourg als neuer Intendant auf den Weg gebracht hat.Wir werden seine Arbeit in den Gremien der DeutschenWelle begleiten und im Bundestag darüber diskutieren.Ich will noch ganz kurz den deutschen Film anspre-chen. Wir haben es geschafft, die Mittel für den Deut-schen Filmförderfonds auf dem hohen Niveau von60 Millionen Euro zu verstetigen. Unser Ziel ist – sosteht es auch im Koalitionsvertrag –, ihn zu entfristen,um noch mehr Planungssicherheit zu erreichen. Ichdenke, das ist ein gutes Zeichen für den deutschen Film,aber auch für den internationalen Filmstandort Deutsch-land. Deswegen freue ich mich sehr, dass uns auch dasgelungen ist.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Harald Petzold,
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Alle freuen sich über die zusätzlichen 90 Millio-nen Euro im Haushalt 2014 für Kultur und Medien. Ichfreue mich mit.
Das ist gut so. Ich sage Ihnen aber auch: Ob dieses Mehrtatsächlich auch ein Besser sein wird, da habe ich meineZweifel. Das will ich Ihnen an drei Beispielen ganz kurzbegründen und nachweisen:
Das erste Beispiel – Herr Kauder, Sie können gleichgut zuhören – ist das Sonderprogramm Denkmalschutz.Wir freuen uns natürlich, dass dafür 29 Millionen Eurozusätzlich zur Verfügung stehen sollen. Ich sage aberauch: Es bleibt ein Sonderprogramm. Damit haben dieLänder und die Kultur keine Planungssicherheit. Ichsage auch: Sie wissen um die finanziell klamme Situa-tion der Länder und Kommunen. Also werden nur diereichen Bundesländer tatsächlich von diesem ProgrammGebrauch machen können.
Das bleibt unsere Kritik. Da fordern wir Nachbesserun-gen.Zweitens. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür,dass das Sonderprogramm zur Sanierung der Konzentra-tionslager-Gedenkstätten eingestellt werden soll. Wir ha-ben von der Kanzlerin groß und breit etwas über das not-wendige Gedenken aus Anlass des 100. Jahrestages desErsten Weltkrieges gehört. Ich frage mich: Wie sollkünftig das Gedenken an die vielen Tausenden Toten inden Konzentrationslagern finanziert werden, wenn dasSonderprogramm eingestellt wird? Auch hier fordernwir Nachbesserungen. Das halten wir nicht für zulässig.
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Harald Petzold
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Drittens: Medienpolitik. Der Kollege Dörmann hatrichtigerweise gesagt, wir freuen uns über die zusätzli-chen 10 Millionen Euro für die Deutsche Welle. Wennich mir das genau anschaue, stelle ich fest, dass das Re-formprojekt genau das Problem ist.
So wie es aussieht, soll der Sender nämlich in einen Ver-kündigungssender für die deutsche Außenpolitik umge-wandelt werden.
Anstatt die 10 Millionen Euro zu benutzen, um endlichmit den prekären Beschäftigungsverhältnissen, mit denunsicheren Beschäftigungsverhältnissen in diesem Sen-der Schluss zu machen, freuen Sie sich darüber, dass dasohne betriebsbedingte Kündigungen über die Bühne ge-hen soll.
Wer soll denn noch gekündigt werden? Es ist eine großeUnsitte im journalistischen Bereich, mit vielen freienMitarbeitern und prekären Beschäftigungsverhältnissenzu arbeiten. Die Linke wird an diesem Problem dranblei-ben.
Außerdem fordern wir in der Medienpolitik eine grö-ßere Anstrengung sowohl des Bundes als auch der Län-der beim Thema „Medienbildung“. Mein Fraktionsvor-sitzender hat in seinem Redebeitrag heute sehr engagiertüber die Macht der Medien gesprochen.
Wenn wir daraus tatsächlich Konsequenzen ziehen wol-len, dann die, dass wir dem Thema „Medienbildung“ ei-nen viel größeren Stellenwert beimessen, als das gegen-wärtig der Fall ist. Dazu finde ich in unseremBundeshaushalt nichts. Deswegen fordern wir als Linkehier eine vereinigte Initiative von Bund und Ländern ein.
Die Bundeskanzlerin sagt, Deutschland soll künftigsowohl Anker als auch Motor sein. Das mit dem Ankerbekommen wir vielleicht mit dem Bundeshaushalt hinund verharren auf der Stelle. Motor sind wir noch nicht.Da müssen wir noch viel nachbessern.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Hiltrud Lotze.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr verehrte Gäste auf den Besuchertribü-nen! Auch für den Bundeshaushalt 2014 haben die Haus-hälter der Fraktionen wieder eine Allianz für die Kulturgebildet. Die Kulturpolitik bekommt 90 Millionen Euromehr, als im Etat vorgesehen war. Insgesamt beläuft sichder Etat jetzt auf 1,3 Milliarden Euro. Ich sage noch ein-mal herzlichen Dank an alle, die zu diesem Ergebnis bei-getragen haben. Dies zeigt, dass die Parlamentarier indiesem Hohen Hause die Kulturpolitik wertschätzen,und das aus gutem Grund; denn in keinem anderen Poli-tikfeld werden die Fäden so sehr von der Vergangenheitüber die Gegenwart in die Zukunft gesponnen wie in derKulturpolitik.Kultur ist für uns alle identitätsstiftend. Sie ist derNährboden für Vielfalt. Kultur – so hat es DietrichBonhoeffer einmal gesagt – ist der Spielraum der Frei-heit. Sie zu erhalten und zu fördern, ist deswegen eineunserer vornehmsten Aufgaben.Das Gedenken und Erinnern ist ein wichtiger Teil vonKultur. Es bewahrt uns davor, geschichtsvergessen zusein, und es befähigt uns auch, aus der Geschichte zu ler-nen. Erinnern ist Arbeit, kann sehr harte Arbeit sein.Manchmal ist es auch sehr schmerzhaft, nämlich dann,wenn wir die Opfer betrauern oder weil wir über dieAuseinandersetzung mit unserer Geschichte Fehler undVersäumnisse der Vergangenheit erkennen. Zugleichwürdigen wir aber mit Gedenken und Erinnern das Le-bensschicksal von Menschen, von Verfolgten, Flüchtlin-gen und Vertriebenen, um nur drei Gruppen stellvertre-tend zu nennen.Gedenken und Erinnern ist auch Mahnung zu Friedenund Versöhnung. Es kann auch beglückend sein, nämlichdann, wenn wir uns an gelungene Ereignisse unserer Ge-schichte erinnern. In jedem Fall hilft uns Gedenken undErinnern bei der Bewusstseins- und Meinungsbildung.Es hilft uns auch, eine Haltung zur Vergangenheit, zurGegenwart und zur Zukunft zu entwickeln.Diese Auffassung spiegelt sich auch in den Projektenwider, die jetzt finanziell gefördert werden. Als die zu-ständige Berichterstatterin für das Thema „Gedenkenund Erinnern“ will ich vier Projekte benennen. Da gibtes zum Ersten das Denkmalschutz-Sonderprogramm,das mein Kollege Martin Dörmann schon erwähnt hat.Ich will noch einmal auf die Bedeutung von Denkmä-lern als Zeugnisse unserer Geschichte eingehen. Ich binüberzeugt davon, dass sich die Bürgerinnen und Bürgerin unseren Städten und Gemeinden leichter mit ihrerHeimat identifizieren und leichter mit Geschichte aus-einandersetzen, wenn sie sehen, dass vor Ort ein Denk-mal, ein Wahrzeichen oder ein Gebäude saniert und sofür die Nachwelt gesichert wird.In meiner Stadt, der Hansestadt Lüneburg, ist es zumBeispiel das mittelalterliche Rathaus aus dem Jahre 1230.In Lüchow-Dannenberg, das auch zu meinem Wahlkreisgehört, sind es die weltweit einzigartigen Rundlingsdör-fer. Ich glaube, jeder von Ihnen hat vor seinem geistigenAuge Denkmäler aus seiner Stadt, aus seiner Region.Wenn das nicht so ist, dann lohnt es sich vielleicht, einbisschen genauer hinzuschauen, zum Beispiel am Tagdes offenen Denkmals am 14. September. Dass dieses
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Hiltrud Lotze
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Sonderprogramm im Übrigen auch für das Handwerkvor Ort sehr gut ist, hat mein Kollege schon gesagt.Zweitens möchte ich das mehrjährige Projekt „100 JahreGegenwart“ des Hauses der Kulturen der Welt zum Ers-ten Weltkrieg und seinen Folgen nennen. Es wird mit15 Millionen Euro gefördert. Hier geht es um die Aus-einandersetzung mit der Urkatastrophe des 20. Jahrhun-derts. Wir sehen und hören davon in diesen Tagen sehrviel. Es geht darum, aus dieser Erfahrung Schlüsse zuziehen für unser heutiges Zusammenleben, für unsereheutige Gesellschaft und für unsere Art und Weise, Poli-tik zu machen.Drittens möchte ich die Projekte zum Reformations-jubiläum nennen, die jetzt ebenfalls mit zusätzlichemGeld ausgestattet werden. Die Bedeutung der Reforma-tion für Freiheit, Bildung, Politik, Toleranz und Musikgeht weit über den kirchlichen Wirkungskreis hinaus.Die Reformation war ein Wendepunkt der Geschichte,der nicht nur Deutschland, sondern auch Europa für im-mer verändert hat. Deswegen ist es gut, richtig und wich-tig, auch hier Geld einzusetzen.Viertens und abschließend möchte ich das Bauhaus-jubiläum im Jahr 2019 nennen. Die Künstler und Archi-tekten der damaligen Zeit, Walter Gropius, OskarSchlemmer und andere, haben vor fast 100 Jahren mitihrer Utopie den Sprung in die Moderne möglich ge-macht und haben mit ihrem Design Standards gesetzt.Im Jahr 2019 feiern wir 100 Jahre Bauhaus. Das ist einEreignis, das auch international viel Aufmerksamkeit er-regen wird und das der Bund finanziell unterstützt. Für2014 stehen der Stiftung Bauhaus Dessau und dem Bau-haus-Archiv in Berlin zusätzlich jeweils 500 000 Eurofür Planungen zum Jubiläum zur Verfügung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, August Strindberghat einmal gesagt: „Die ganze Kultur ist eine große, end-lose Zusammenarbeit.“ Beim Kulturetat 2014, besondersim parlamentarischen Verfahren, hat die Zusammen-arbeit gut funktioniert und zu einem guten Ergebnisgeführt. Ich denke, das ist auch Anerkennung für Kul-turschaffende und Institutionen. Für uns, für meine Kol-leginnen und Kollegen und mich, ist es zugleich Motiva-tion und Auftrag, im nächsten Haushalt wieder für dieKultur zu streiten. Das werden wir tun.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Ulle Schauws,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Wer Kultur för-dert, der fördert auch die Freiheit, die Demokratie undeine vielfältige Gesellschaft. Aber eine starke Kulturbraucht auch ein starkes Fundament und verlässlicheRahmenbedingungen. Dafür Sorge zu tragen, das mussunser prioritäres Ziel in der Kulturpolitik sein. Sie,meine Damen und Herren von der Bundesregierung,stellen diese verlässlichen Rahmenbedingungen aber ge-rade auf die Probe. Denn bei den laufenden TTIP-Ver-handlungen wäre ein klares Signal für den Schutz derKultur absolut notwendig.
Sie müssen daher sicherstellen, dass dieser Schutz derKultur beim Freihandelsabkommen auch garantiert wird.Beschwichtigende Lippenbekenntnisse reichen da nichtaus, Frau Staatsministerin. Die Kulturschaffenden in die-sem Land und auch wir Grünen werden Ihnen erst voll-ständig glauben, wenn wir einen garantierten und umfas-senden Schutz der Kultur und Medien bei TTIP schwarzauf weiß vor uns haben, ohne Wenn und Aber. So lange– das müssen Sie so hinnehmen – bleiben begründeteund auch berechtigte Zweifel bestehen.Kultur als Handelsware ist ein Worst-Case-Szenario,nicht nur für Kulturschaffende. Gerade der Streit zwi-schen YouTube und den Independent-Labels der Musik-branche muss Sie doch aufhorchen lassen. Er zeigt dochdeutlich, wie schnell eine Schieflage durch ungleicheWettbewerbsbedingungen entsteht. Hier werden letztlichExistenzgrundlagen der Kleinen wirklich gefährdet. Dasfinde ich völlig inakzeptabel.
Ein starkes Fundament für die Kultur braucht aberauch eine solide finanzielle Grundlage. 1,29 MilliardenEuro, das ist ein schöner Ansatz, aber Geld allein machtnoch keine gute Kulturpolitik. Durch die Haushaltspoli-tik der Regierung sind auch in diesem Jahr viele guteund sinnvolle Projekte auf der Strecke geblieben. Ichnenne nur ein paar. Was ist denn mit der Einführung ei-nes Fonds für neue Musik? Fehlanzeige. Den Haushalts-antrag der Grünen-Bundestagsfraktion haben Sie, sehrgeehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,abgelehnt, und dies, obwohl der Koalitionsvertrag voll-mundig die Einführung eines ebensolchen Fonds ver-spricht.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,auch an anderer Stelle haben wir Ihren Einsatz vermisst.Die Stärkung des Deutschen Filmförderfonds haben Sievielerorts angekündigt und versprochen. Am Ende habennur wir Grüne für eine Aufstockung des Fonds plädiert.Das ist bedauerlich, und das können Sie auch nicht mehrkleinreden.
Ich will noch eines sagen: Nur auf unsere Initiativehat der Haushaltsausschuss die finanzielle Stärkung desBundesverbandes Soziokultur und der Kulturstiftung desBundes aufgegriffen. Das wiederum ist wirklich sehr zubegrüßen.Jetzt zu Ihnen, liebe Frau Staatsministerin Grütters.Auch Sie sprechen ja gerne über unser Verständnis alsKulturnation. Allerdings zeigt Ihr Ansatz im Kulturhaus-halt einen eindeutigen Förderschwerpunkt in Berlin. Fürmein Empfinden ist das ein sehr einseitiges Verständnisvon Kulturnation. In Ihrer Antrittsrede haben Sie gesagt:
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Ulle Schauws
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… was in dieser Hauptstadt kulturell gelingt, wirdin den Augen der Welt dem ganzen Land gutge-schrieben.Wenn ich das so höre, dann frage ich mich: Für wen ma-chen Sie Ihre Kulturpolitik? Um was geht es Ihnen? UmBerlin und das kulturpolitische Ansehen Deutschlandsim Ausland oder um die Menschen in diesem Land?
Für mich ist Berlin nicht, wie Sie, Frau Grütters, sa-gen, „unser aller Mittelpunkt“. Berlin ist die Hauptstadt,ja, das ist richtig, und das ist wichtig. Aber die Kultur inBerlin ist nicht mehr wert als die Kultur in jeder anderenStadt in diesem Land oder in den ländlichen Bereichen.Hinzu kommt, dass Berlin jetzt schon mehr als genugkulturpolitische Großbaustellen hat. Die Freiheits- undEinheitsdenkmäler in Berlin, aber zum Beispiel auch inLeipzig, sind 15 Millionen Euro teure Nationalsymbole,die die Nation und die Bürgerinnen und Bürger so jeden-falls nicht wollen. Das ist also keine wirklich gute Idee.Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wirGrüne eine qualifizierte Sperrung der Mittel und ein Mo-ratorium für beide Bauvorhaben, und zwar so lange, bisdie Voraussetzungen für würdige Gedenkorte geschaffensind.
Nun zu der von Ihnen angestoßenen erneuten Debatteüber einen Museumsbau auf der Museumsinsel in Ber-lin. Frau Grütters, Sie machen ja keinen Hehl aus IhrerVision, dass die Alten Meister auf der Museumsinsel zusehen sein sollen. Aber diese Debatte in Zeiten zu füh-ren, in denen sich die Kosten vieler kulturpolitischerBauvorhaben überschlagen, ist eindeutig das falsche Si-gnal.
Nicht zuletzt ist da die größte aller Baustellen: dasBerliner Stadtschloss. Die bauliche Hülle ist nicht daseinzige Problem. Nein, große Fragezeichen gibt es imBereich der inhaltlichen Konzeption des Humboldt-Fo-rums. Bis heute ist nicht klar, wo die Reise überhaupthingehen soll. Stattdessen verschieben Sie diese ent-scheidende Debatte auf den Sankt-Nimmerleins-Tag undreden laut über Personalfragen. Aber das ist doch derzweite vor dem eigentlich ersten Schritt. Davon abgese-hen müssen diese Personalentscheidungen auf jeden Fallöffentlich und durch eine Findungskommission begleitetwerden. Da sage ich Ihnen ganz klar: Eine Entscheidungüber eine Intendanz in Hinterzimmern werden wir nichtakzeptieren.
Noch ein Punkt. Auch über das Thema „Raub- undBeutekunst“ müssen wir reden, wenn wir über dasHumboldt-Forum sprechen. Frau Grütters, gerade in derDebatte um Raub- und Beutekunst dürfen Sie das Thema„Koloniale Kunst“ nicht länger von der Hand weisen.Aus dieser Verantwortung, der wir uns stellen müssen,werden wir Grüne Sie nicht entlassen.
Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, willich noch ein Wort darüber verlieren, worauf es bei derKulturpolitik neben den verlässlichen Rahmenbedingun-gen ganz wesentlich ankommt. Wir brauchen den Wil-len, Kultur für alle erlebbar zu machen. Dazu gehört derMut, finanzielle Mittel auch kleinen Initiativen in derganzen Bandbreite zur Verfügung zu stellen. Auch in derKulturpolitik ist es unsere Pflicht, nachhaltig zu wirt-schaften und die eingesetzten Mittel gerecht zu verteilen.Das gilt für eine Verteilung im ganzen Land, und das giltauch im Hinblick auf eine Verbesserung der sozialen undwirtschaftlichen Lage der Kulturschaffenden. Denn nurso erhalten wir eine Kultur der echten Vielfalt und Frei-heit, und zwar in der gesamten Republik.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Rüdiger Kruse,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Von einigen Vorrednern wurden die Haushälterja gelobt; da haben Sie natürlich recht. Es ist aber so,dass wir im Rahmen zwischen dem Wünschbaren unddem Vertretbaren geblieben sind. Das ist auch die Auf-gabe von Haushältern.Bei Kultur fällt es leicht, mit relativ wenig Geld guteAkzente zu setzen. Für mich ist das vielzitierte Denk-malschutzprogramm die Einstiegsdroge in die Kulturför-derung. Man muss ja mit irgendetwas anfangen, und esist am leichtesten, mit diesem Thema Zustimmung zugewinnen; denn es gibt eine breite Zustimmung – nichtnur hier im Hause, sondern in der ganzen Republik –,dass wir das Vergangene vor dem Vergehen bewahrenwollen.Darin darf sich Kulturpolitik aber nicht erschöpfen.So haben wir auch andere Akzente gesetzt, zum Beispielbeim Reformationsjubiläum, mit dem wir über ein diedeutsche Geschichte prägendes Thema reflektieren.Neu ist der Akzent, den wir mit „100 Jahre Gegen-wart“ setzen. Wenn 100 Jahre zur Gegenwart erklärtwerden, kommt man ins Nachdenken, wie das denn ge-hen soll. Damit ist nicht gemeint, dass wir uns nach lan-gen Sitzungen so fühlen, als wären wir 100 Jahre alt.100 Jahre können jedem Menschen tatsächlich gegen-wärtig sein; denn das ist der Zeitraum, aus dem er di-rekte Informationen bezieht. Meine Großmutter zumBeispiel ist 1903 geboren; somit war sie am Ende desErsten Weltkriegs 15 Jahre alt. Das heißt, ich hatte einenZugang zu einer direkten Zeitzeugin aus dieser Zeit. Wassie mir erzählt hat, ist ganz anders in meinem Bewusst-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3723
Rüdiger Kruse
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sein verankert als der mir natürlich auch bekannte Kriegvon 1870/71; das ist für mich ein geschichtliches Datum,bei dem ich nur auf geschichtliche Quellen zurückgrei-fen kann, weil niemand mir davon direkt berichtenkonnte. So geht es jeder Generation: Die Dinge in einemErlebnisraum von etwa 100 Jahren sind uns tatsächlichgegenwärtig und prägen damit unser aller Entscheidun-gen.Das Narrativ der Europäischen Union setzt bei derJahrhundertkatastrophe des Ersten Weltkriegs und denVeränderungen in der Gesellschaft auf. Es war übrigensauch der Erste Weltkrieg, der als Erster mit der Arm-banduhr geführt worden ist; erst dadurch konnte er über-haupt so werden, wie er war, das heißt, die Industrialisie-rung war dort angekommen. Dies zu reflektieren und dieEntscheidungen zu sehen, die wir vor diesem Hinter-grund treffen, ist eine spannende Aufgabe.Ein wichtiger Akzent ist auch, dass wir zum zweitenMal – nachdem wir das Anthropozän-Projekt gemachthaben, also die Frage, inwieweit der Mensch die Erde in-zwischen so dominiert, dass es rein geologisch schon einZeitalter des Menschen geben müsste – einen offenenDiskurs anregen. Es ist ja nicht üblich, dass Politiker Sa-chen in Auftrag geben, bei denen sie vorher noch keineMeinung haben, was hinterher dabei herauskommt. Aberbei beiden Prozessen machen wir das so. Wir haben ei-nen offenen Prozess für vier Jahre gestaltet, und wir ha-ben ihn jetzt sehr auskömmlich ausgestattet: mit 15 Mil-lionen Euro. Das Ganze findet statt im Haus derKulturen der Welt, das nicht zufällig in absoluter räumli-cher Nähe zu diesem Haus liegt und zum Bundeskanz-leramt. Das heißt, wir haben hier eine Möglichkeit, einenDenkraum zu fördern, zu entwickeln, der uns Impulseliefert und dem wir Impulse geben können, in dem wireinen gesellschaftlichen Diskurs führen können. Ichglaube, es steht dieser Republik sehr, sehr gut an, dasswir in dieser Art und Weise mit Themen umgehen, dieauch internationales Interesse berühren.
Ich glaube, dass dieser Prozess auch etwas verändert,so wie in dieser langen Linie seit der Wiedervereinigungdas Verhalten dieser Nation sich verändert hat: dass wirjetzt – das muss man sich ja einmal vorstellen! –, nach100 Jahren, eine neue Debatte über den Ersten Weltkriegführen. Wenn wir es schaffen, dass wir eine Institutionhaben, der wir als Parlament uns, der sich aber auch dieBundesregierung und alle Bürger dieses Landes undauch die Bürger anderer Länder bedienen können, umsich intellektuell den Themen der Zeit zu nähern, dannhaben wir etwas geleistet, was über unsere sonstige Vier-jahresplanung weit hinausgeht. Das ist die eigentlicheLeistung: dass aus diesem Haus, dass vom Parlamentdieser Impuls ausgegangen ist, dass wir uns diese Mög-lichkeit schaffen, wir gleichzeitig aber gute Haushälterund gute Abgeordnete sind, die die Nachhaltigkeit desHaushaltes nicht infrage stellen.Vielen Dank.
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der letzte Redner
oder die letzte Rednerin vor einer namentlichen Abstim-
mung steht immer vor besonderen Herausforderungen,
weil sehr viel Bewegung entsteht.
Das Wort hat jetzt Annette Schavan, die sich mit ihrer
Rede von uns verabschieden möchte. Ich muss sagen,
nicht nur mich erfüllt das mit Wehmut; denn wir alle
kennen sie als eine engagierte, streitbare, geradlinige,
aufrichtige und immer faire Kollegin. Wir bedauern das
und wünschen alles Gute für die Zukunft. Wir werden
uns sicher wiedersehen.
Danke schön.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Regierung und Oppositionhaben in einer Debatte wie der heutigen – das liegt in derNatur der Sache – unterschiedliche Bilder von demLand, in dem sie leben. Irgendwie fand ich auch heutemorgen, wie an vielen Tagen der letzten Jahre, dass dieseUnterschiedlichkeit nicht nur in dem manchmal so kriti-sierten Sinn Streit ist, sondern auch den Esprit der Poli-tik und der Parlamentsarbeit ausmacht.Wir haben hier in diesem Hause in solchen Debattenganz unterschiedliche Bilder von Deutschland, aber daseine oder andere Thema zog sich durch den ganzen Vor-mittag, zum Beispiel der Paradigmenwechsel, den wirnach vielen Jahren bei der Konsolidierung des Haushaltserreicht haben. Er ist ein starkes Signal an die junge Ge-neration
und macht dieses Land noch zukunftsfähiger und attrak-tiver für junge Leute. Es gilt nicht nur für Berlin, aberhier erleben wir es besonders: Deutschland ist für jungeLeute aus aller Herren Länder immer attraktiver gewor-den.Wenn es so etwas wie politische Ziele eines ganzenParlamentes gibt, dann ist es doch ein solches Ziel, dassDeutschland mit seinen 16 Ländern und vielen attrakti-ven Standorten besonders attraktiv für junge Leute undTalente aus aller Welt ist. Deutschland muss auch in dennächsten Jahren Talentschmiede sein. Dafür legt dieserHaushalt das Fundament.
In mancher Rede ist gefragt worden – zuletzt auch inder Rede über die Kulturpolitik –, ob wir uns nicht bes-ser mehr in Deutschland als international engagierensollten. Durch unser nationales und internationales En-gagement in vielen Politikbereichen wissen wir – auchdas zeigt dieser Haushalt in vielen Ressorts –: Das, waswir in Deutschland und international tun – ich persönlichhabe es in der Bildungs- und Forschungspolitik erlebt –,
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3724 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Annette Schavan
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sind nur zwei Seiten einer Medaille. Das sind keine Al-ternativen. Deutschland ist ein Motor nicht nur in Eu-ropa, Deutschland ist Motor für Innovationen in vielenBereichen auch international, im globalen Dialog und inden globalen Verhandlungen.
Wie in den letzten Jahren auch ist dieser Haushaltwieder einmal ein Haushalt, der die Zukunftschancender jungen Generation verbessert. Wenn man mich fragt,was ich in all den Jahren in der Politik getan habe, dannantworte ich, dass ich in Wirklichkeit nur ein Themahatte: die Zukunftschancen der jungen Generation. Ichbin zutiefst davon überzeugt: Es ist eine der vornehms-ten Aufgaben jeder guten und überzeugenden politischenKultur, nicht gegenwartsverliebt zu agieren und sichnicht in dem zu erschöpfen, was hier und heute wichtigist, sondern bei allen Entscheidungen und allen Projek-ten den Blick auch auf die nächste Generation zu richten,auf deren Kreativität, auf deren Gestaltungswillen, aufderen Leistungsbereitschaft und auf deren Talente.
Ich finde, dass dieser Haushalt über Deutschland hi-naus – ich denke an unsere europäischen Nachbarn, andie Partner, mit denen wir regelmäßig zu tun haben –auch ein starkes Signal dafür ist, dass uns die Zukunfts-chancen der jungen Generation so sehr am Herzen liegenund dass wir es in diesem Parlament nicht akzeptierenwerden und nie akzeptieren dürfen, dass 25 Prozent derjungen Erwachsenen im Alter bis 25 Jahre in Europaohne Berufsperspektive sind.
Das ist ein europäischer Skandal. Wir in Deutschland ha-ben viele Möglichkeiten, aufgrund unserer Erfahrungendeutlich zu machen, wie europäische Weichenstellungenaussehen können.In diesem Zusammenhang möchte ich aber vor einemwarnen. Der eine oder andere Redner hat heute Morgengesagt, das Bildungssystem in Deutschland sei völlig un-durchlässig und produziere nicht das, was junge Leutebrauchen. Das Bildungssystem in Deutschland spiegeltunsere Überzeugung wider – diese ist fraktionsübergrei-fend präsent –, dass eben nicht nur das akademische Stu-dium der Königsweg ist, sondern dass anspruchsvolleberufliche Bildung, die damit verbundenen Berufsbilderund die damit verbundene berufliche Selbstständigkeitfür uns gleichbedeutend und gleichwertig sind. Deshalbdürfen wir uns in diesem Parlament nicht verrückt ma-chen lassen. Die große Bandbreite unseres Bildungssys-tems ist seine Stärke; sie sollte zu einer europäischenStärke werden.
Den Abschluss jeder Haushaltsdebatte über denKanzleretat am Mittwoch bildet die Kulturpolitik. WennBildung und Forschung für uns die Quellen künftigenWohlstands sind und wenn wir davon überzeugt sind,dass die Zukunftschancen der jungen Generation nur ge-wahrt, gestärkt und verbessert werden können, wenn wirdie Quellen des künftigen Wohlstands pflegen, dann istdas, was in der Kulturpolitik geschieht, die Quelle deskulturellen Wohlstands. Auch das gehört zur Attraktivi-tät unseres Landes. Auch das gehört zu dem, was jungeLeute in Deutschland und in Europa suchen: kulturelleSubstanz; Orte, an denen deutlich wird, von welchenÜberzeugungen die Gesellschaft in Deutschland und dieeuropäischen Gesellschaften geprägt sind, was die geis-tige und spirituelle Substanz dieses Kontinentes aus-macht oder, wie Jacques Delors einmal gesagt hat, wasdie Seele Europas ausmacht. Damit hat die Kulturpolitikviel zu tun. Deshalb ist es ein starkes Signal, dass dieKulturpolitik in diesem Jahr erneut einen Zuwachs er-fährt.
Meine Damen und Herren, wir alle haben in den letz-ten Jahren erlebt, was es heißt, dass die Kunst der Politiknicht in erster Linie der Umgang mit dem Bekannten unddem Erwartbaren ist. Vielmehr ist die Kunst der Politikda besonders gefragt, wo es um das Unerwartete geht. Esgeht darum, ob in einer Situation, in der alles anderswird, als es bislang war, die eigenen Ziele, die Prioritä-ten und die Bilder, die wir mit dem jeweiligen Haushaltverbinden, beibehalten werden.Ich finde, gerade angesichts der Veränderungen undder noch nicht überwundenen Finanzkrise gehört zu dengroßen Leistungen der Bundesregierung, der GroßenKoalition, dass sie in diesem Haushalt an ihren Prioritä-ten festhält: Bildung und Forschung, die Kräfte des Zu-sammenhalts in unserer Gesellschaft, die kulturelle Sub-stanz und der große internationale Einsatz. Das ist einzukunftsträchtiger Haushalt, um den uns viele beneiden.Diese Haushaltsdebatte ist ganz anders als viele Haus-haltsdebatten, die in anderen europäischen Parlamentengeführt werden und geführt werden müssen.Meine Damen und Herren, die Präsidentin – jetzt istein Präsident da – hat vorhin gesagt: Meine Fraktion hatmir die Gelegenheit gegeben, heute diese wenigen Wortezu einem Thema zu sagen, das mich zeit meines politi-schen Lebens innerlich bewegt hat. Dafür danke ich sehr.Ich danke für gutes Miteinander und faires Ringen imHohen Hause. Ich danke auch für die Situationen, in de-nen nach einem Streit neue Gemeinsamkeit gewonnenwerden konnte. Zur Gemeinsamkeit kommt man ja nichtohne Streit; man muss zwischendurch auch streiten dür-fen.Ich war gerne Mitglied des Parlamentes. Ich wargerne in der Politik. Ich sage herzlichen Dank für gutesMiteinander und wünsche Ihnen allen, den Mitgliederndes Hohen Hauses, dem Parlament und den Mitgliedernder Bundesregierung, von Herzen persönliches Wohl-ergehen und Gottes Segen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3725
Annette Schavan
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Liebe Kollegin Schavan, gestatten Sie auch mir, Ih-
nen ein dreifaches Dankeschön auszusprechen. Die Kol-
leginnen und Kollegen des Hohen Hauses haben sich er-
hoben, und daran können Sie die Wertschätzung
erkennen, die Sie hier im Deutschen Bundestag bei den
Kolleginnen und Kollegen genießen.
Ich möchte Ihnen für Ihre Rede danken, ich möchte
Ihnen für viele Jahre erfolgreiche, sympathische und vor
allem auch sehr kollegiale Zusammenarbeit in diesem
Hohen Hause danken, und ich möchte Ihnen für viele
Jahre verantwortliche Führung des Ministeriums für Bil-
dung und Forschung danken. Für Ihre neue Aufgabe in
der Ewigen Stadt, 1 500 Kilometer weiter südlich, wün-
schen wir Ihnen Glück und selbstverständlich Gottes Se-
gen.
Damit schließe ich die Aussprache.
Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, möchte
ich Ihnen mitteilen, dass interfraktionell vereinbart wor-
den ist, die Beratung der Einzelpläne 14, Verteidigung,
und 23, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung, zu tauschen. – Nachdem sich kein Widerspruch er-
hebt, gehe ich davon aus, dass Sie alle damit einverstan-
den sind.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in
der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsan-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/1824 vor. Über diesen werden wir zuerst abstim-
men. Wir stimmen also jetzt über den Änderungsantrag
der Grünen ab. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt,
den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Änderungsan-
trag mit den Stimmen der Großen Koalition von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abge-
lehnt.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 04 namentlich
ab. Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen an dieser
Stelle auf drei weitere namentliche Abstimmungen am
heutigen Tag hinweisen. Die namentlichen Abstimmun-
gen über Bundeswehreinsätze werden in etwa einer hal-
ben Stunde bzw. in einer guten Stunde erfolgen. Die
vierte namentliche Abstimmung erfolgt dann zum Ein-
zelplan 23. Durch den soeben beschlossenen Tausch in
der zeitlichen Abfolge wird diese nach jetzigem Stand
bereits gegen 18 Uhr stattfinden.
Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Darf ich
fragen, ob die Plätze an den Abstimmungsurnen besetzt
sind? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich hiermit die Ab-
stimmung über den Einzelplan 04.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Ich sehe jetzt niemanden
mehr, der seine Stimme abgeben möchte. Dann schließe
ich hiermit die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird
Ihnen wie üblich später bekannt gegeben.1)
Ich bitte, jetzt wieder zu einem etwas geringeren Pe-
gel der Besprechungsintensität zurückzukehren, damit
wir in der Tagesordnung fortfahren können.
Ich rufe Tagesordnungspunkt III auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der Multidimensionalen
Integrierten Stabilisierungsmission der Ver-
einten Nationen in Mali auf
Grundlage der Resolution 2100 des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen vom
25. April 2013
Drucksachen 18/1416, 18/1811
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/1812
Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus-
schusses werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in dieser
Debatte ist der Kollege Roderich Kiesewetter, CDU/
CSU, dem ich hiermit das Wort erteile.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beratenheute abschließend über die Fortsetzung desMINUSMA-Mandats, der Multidimensionalen Integrier-ten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen inMali. Blicken wir zurück. Diese Mission ist seit etwa ei-nem Jahr in Kraft und ist zu einem tatsächlichen Stabili-täts- und Erfolgsfaktor in Mali geworden. Die malischeRegierung kann in Teilbereichen des Landes ihre Verant-wortung wahrnehmen, in einigen Teilbereichen abernoch nicht. Trotzdem ist es im November bzw. Dezem-ber letzten Jahres gelungen, eine Präsidentschafts- undeine Parlamentswahl durchzuführen. Einzelne Bereichedes Landes sind aber für humanitäre Hilfe und zivileKrisenprävention nicht erreichbar. Deshalb brauchen wirMINUSMA. Diese Mission besteht aus rund 9 000 Sol-1) Ergebnis Seite 3727 D
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Roderich Kiesewetter
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daten, Polizisten sowie zivilen Helferinnen und Helfern,insbesondere Fachexperten. Die Bundeswehr beteiligtsich mit 150 Soldatinnen und Soldaten.Was ist unsere Aufgabe dabei? Sie besteht zunächst inder Gewährleistung sowohl des Lufttransports von MI-NUSMA-Truppen in das Land als auch des taktischenLufttransports innerhalb des Landes. Des Weiteren leis-ten wir Luftbetankung. Das alles sind sehr sinnvolle undwichtige Aufgaben. Wir sollten daran denken, dass dortinsgesamt 40 Staaten engagiert sind und dass wir einenwesentlichen Beitrag im Bereich der Versorgung leisten.Wenn wir allerdings die Berichterstattung der Medien indieser Woche betrachten, dann stellen wir fest, dass dieVereinten Nationen infolge einer Überarbeitung ihrerTruppenbereitstellung künftig auf deutsche Flugzeugebis auf Weiteres verzichten möchten. Folglich wird dieBundeswehr die beiden Transall-Maschinen zunächstabziehen, aber in Bereitschaft halten. Ich möchte dieHaushaltswoche dazu nutzen, uns ins Bewusstsein zu ru-fen, dass wir für unsere Streitkräfte eine ausreichendeAusstattung brauchen, die dazu geeignet ist, auch inheiklen Klimazonen zu bestehen.
Es ist für uns sicherlich ein gutes Zeichen, dass wirnach einer gewissen Zeit Teile unserer Besatzungen wie-der herauslösen können. Trotzdem möchte ich auf einWort unseres Bundespräsidenten verweisen, der vor kur-zem sehr klar hervorgehoben hat, dass wir in Krisenregi-onen nicht von vornherein die Befähigung zum Einsatzin hochintensiven Gefechten aufgeben dürfen. Das be-deutet aber auch, dass wir in Europa, insbesondere inDeutschland und Frankreich, über unsere Sicherheitskul-tur nachdenken müssen. Unsere rationalen Überlegun-gen in den letzten 20 Jahren haben sich bewährt. Wir ha-ben immer gesagt: Deutschland ist von Freunden undPartnern umgeben. – Aber es geht nicht mehr um unsereFreunde und Partner, weder in der Östlichen Partner-schaft noch im fragilen Süden. Ich nenne als Beispieledie Ukraine und Libyen. Deshalb kommt es mir amRande dieser Haushaltswoche sehr darauf an, auf dienachhaltige Finanzierung unserer Bundeswehr zu drän-gen.In Mali leisten wir nicht nur militärische Einsätze.Die Bundesrepublik Deutschland ist im Rahmen des ver-netzten Ansatzes sehr stark in den Bereichen der zivilenKrisenprävention und der humanitären Hilfe engagiert.Insgesamt sind es rund 20 Millionen Euro seit dem letz-ten Jahr. Das beweist aber auch, dass wir im Rahmen desvernetzten Ansatzes in der Lage sind, wertvolle Hilfeund Beiträge zu leisten. Das ist nicht eine Frage der Zahlder Soldaten oder der unterstützenden und beratendenKräfte. Vielmehr ist es eine Frage der Fähigkeiten, diewir einbringen, sowie der Verlässlichkeit und des Ver-trauens.Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Siemich deshalb abschließend als Außenpolitiker noch aufeinen anderen Aspekt verweisen. Wenn wir in Deutsch-land im Kerngehäuse Europas für unsere Nachbarstaatenund für unsere Freunde verlässlich Sicherheit bereitstel-len, dann müssen wir auch genauso verlässlich und si-cher mit Blick auf Afrika die Lage um Mali bewerten. Esnützt uns nichts, uns ausschließlich auf die Mission inMali zu konzentrieren, wo wir mit einer EU-Mission zurAusbildung malischer Soldaten präsent sind.Wir dürfen eines nicht außer Acht lassen: Eine derHauptursachen für die Krisen und Konflikte im nördli-chen Afrika ist der Staatszerfall in Libyen. Wir habenseinerzeit gut daran getan, uns nicht an der Mission ge-gen Libyen zu beteiligen. Allerdings haben wir auchnicht viel beitragen können, um eine Folgemission zuverantworten. Wir müssen uns in den nächsten Jahren in-tensiv mit Libyen befassen,
um diesen Ort der Proliferation von konventionellenWaffen, diesen Ort des Rückzugsgebiets des internatio-nalen Terrorismus wieder auf ein Niveau zu heben, dasLibyen die Rückkehr in eine gleichberechtigte Partner-schaft mit anderen Staaten in der Region ermöglicht.Ich bitte Sie deshalb abschließend, dem MINUSMA-Mandat zuzustimmen. Wir haben bereits erheblicheFortschritte zu verzeichnen. Ich glaube, das Engagementder Bundeswehr ist aller Ehren wert. Ich danke allen, diefür diesen Einsatz geworben haben.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine
Buchholz, Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! FrauMinisterin von der Leyen, Sie lassen keine Gelegenheitaus, um die Ausweitung der Auslandseinsätze der Bun-deswehr zu bewerben. Letzte Woche haben Sie in NewYork nach dem Gespräch mit UN-Vize Eliasson auch dieLeitung sogenannter UN-Friedensmissionen in Aussichtgestellt. Es soll der Eindruck entstehen: Nicht die Bun-desregierung drängt überall mit Soldaten hin, sonderndie UNO ruft die Bundeswehr.
Dann die große Überraschung: MINUSMA, die UN-ge-führte Militärmission in Mali, erklärt, auf den deutschenBeitrag zum Lufttransport von Soldaten verzichten zuwollen.Ich sage: Wir brauchen weder die alten Transall nochmoderne Transportmaschinen wie den A400M. Wirbrauchen überhaupt keine Bundeswehrmaschinen, dieSoldaten in den Krieg fliegen.
Das Problem, Herr Kiesewetter, ist auch nicht die ver-altete Ausstattung, die nicht auf heikle Klimaregionen
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Christine Buchholz
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ausgerichtet ist, das Problem ist, dass die sogenanntenFriedensmissionen der UNO völlig ungeeignet sind, umFrieden zu schaffen. Das zeigt auch MINUSMA, derUN-geführte Einsatz in Mali.Der Einsatz der Bundeswehr in diesem Rahmen solldie europäische Militärmission EUTM Mali ergänzen.Die dabei ausgebildeten malischen Gefechtsverbände– ich zitiere den Antrag der Bundesregierung – „sollen… im Norden Malis zur … Wiederherstellung der staat-lichen Integrität … eingesetzt werden“. Dieser Auftraghat direkte kriegerische Auseinandersetzungen zur Folgegehabt. Laut Nachrichtenagentur Reuters hat die mali-sche Armee am 21. Mai einen Überraschungsangriff aufdie von Tuareg gehaltene Stadt Kidal gestartet. Mit da-bei: Soldaten aus den mithilfe Deutschlands ausgebilde-ten Gefechtsverbänden. Das ist keine Friedensmission.Das Ergebnis ist ein Desaster. Die Armeeoffensivescheiterte und hinterließ 50 tote malische Soldaten. Dermalische Verteidigungsminister musste zurücktreten.Doch die Bundeswehr meldet: Der nächste Ausbildungs-gang hat schon begonnen. – Es zeigt sich einmal mehr:Es geht nicht um Frieden in Mali. Es geht um die Stabili-sierung einer Regierung, die dem Westen genehm ist.Wie genehm, das können wir nur ahnen.So kündigte die neue Regierung in Bamako im letztenHerbst zunächst die Überprüfung der überaus unvorteil-haften Verträge mit den internationalen Bergbaukonzer-nen an. Dagegen machte die EU Druck. Seitdem habenwir nichts mehr von einer Neuausschreibung gehört.Fakt ist: Die Goldförderung boomt in Mali, doch vondem Reichtum bleibt kaum etwas bei den Menschen imLande. Deswegen sagt die Linke: Nur wenn die sozialenund wirtschaftlichen Probleme angepackt und gelöstwerden, kann es in Mali und der ganzen Sahelregiondauerhaft Frieden geben.
Die internationale Militärintervention, die von Frank-reich geführt und von Deutschland unterstützt wird, hatkein Problem gelöst, aber sie hat humanitäre Notlagenan anderer Stelle massiv verschärft. So sitzen immernoch 140 000 Flüchtlinge in Zeltlagern fest, darunterviele Tuareg. Der österreichische Standard hat in einereindrucksvollen Reportage darüber berichtet. WalletFadimata, die Vorsitzende der Frauen des Flüchtlings-camps Goudebou an der Grenze zu Burkina Faso sagte– ich zitiere –:Wir hatten gehofft, dass Frankreich den Krieg been-den und für Recht und Ordnung sorgen würde.Stattdessen kam es zu zahlreichen Verbrechen ander Zivilbevölkerung. Es ist schlimmer als zuvor.Während im Flüchtlingslager Goudebou verschiedeneEthnien friedlich zusammenleben, hat die malische Ar-mee, ermutigt durch den internationalen Militäreinsatz,einen Rachefeldzug gegen Tuareg durchgeführt. Dochdie Bundesregierung ignoriert diese Realität. Denn eineehrliche Bilanz des Mali-Einsatzes kann nur zu einerSchlussfolgerung führen: die Bundeswehrsoldaten ausMali zurückzuholen, die alten Transall-Maschinen zuverschrotten. Sie brauchen auch keine neuen Transport-maschinen wie den A400M anzuschaffen.
Frau Buchholz, bevor Ihre Redezeit abgelaufen ist,
darf ich Sie noch fragen, ob Sie eine Zwischenfrage oder
eine Anmerkung des Kollegen Otte gestatten?
Eine Zwischenfrage stellen oder eine Anmerkung ma-
chen kann der Kollege Otte gerne, wenn ich den nächs-
ten Satz beendet habe. – Dieses Geld wird an vielen an-
deren Stellen gebraucht, beispielsweise für viele
sinnvolle humanitäre und zivile Projekte in Mali, in der
Sahelregion und an vielen anderen Orten der Welt.
Vielen Dank.
Herr Kollege Otte, ich gebe Ihnen nun im Anschluss
an diese Rede die Möglichkeit zu einer Kurzinterven-
tion.
Herr Präsident, herzlichen Dank. – Ich wollte Frau
Kollegin Buchholz fragen, ob sie bestätigen kann, dass
sie dabei war, als unser Ausschuss mit unserer Verteidi-
gungsministerin Mali besucht hat, und dass die dortigen
Gesprächsteilnehmer uns gesagt haben, dass für sie am
wichtigsten ist, dass sie Stabilität bekommen, dass der
Staat über das Gewaltmonopol verfügt, um so eine
Grundlage für eine wirtschaftlich erfolgreiche und fried-
liche Entwicklung zu schaffen. Oder haben Sie damals
weggehört, als diese Gesprächsteilnehmer das unserer
Delegation gesagt haben?
Frau Kollegin Buchholz, möchten Sie darauf erwi-
dern?
Aber gerne erwidere ich darauf. – Mich wundert es
nicht, dass die Vertreter der malischen Regierung und
des Militärs diese Einschätzung teilen. Aber die vielen
Vertreterinnen und Vertreter von zivilgesellschaftlichen
Organisationen und beispielsweise auch die Menschen
in den Flüchtlingslagern haben einen anderen Eindruck.
Ich bitte Sie, diese Realität zur Kenntnis zu nehmen und
nicht nur auf diejenigen zu hören, auf die Sie hören wol-
len.
Bevor gleich der Kollege Wolfgang Hellmich redenwird, darf ich das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung über den Einzelplan 04, Bundeskanzlerinund Bundeskanzleramt, bekannt geben: abgegebeneStimmen 587. Mit Ja haben gestimmt 471, mit Neinhaben gestimmt 116, Enthaltungen keine. Der Einzel-plan 04 ist damit angenommen.
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Vizepräsident Johannes Singhammer
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 587;davonja: 471nein: 116JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAnnette SchavanAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold Vaatz
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3729
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Oswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeiteDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtDr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesNeinDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize Tank
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3730 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Vizepräsident Johannes Singhammer
(C)
Frank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakHarald WeinbergBirgit WöllertJörn WunderlichPia ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockVolker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinUlle SchauwsDr. Gerhard SchickKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie Wilms
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen WolfgangHellmich, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Anders als die Fraktionder Linken – es ist immer wieder schön, zu sehen, wel-che Vorlagen gegeben werden – bin ich froh darüber,dass die Franzosen den Vormarsch auf Bamako im Sü-den von Mali energisch aufgehalten haben. Sonst stün-den wir hier nämlich und würden darüber reden, wie wirmit einem dschihadistischen Regime in Mali umzugehenhaben, und wir würden nicht über die Frage sprechen,wie wir sozialen und demokratischen Fortschritt sowieSicherheit in diesem Lande mit garantieren können.
Ich glaube, genau darin zeigt sich der Unterschiedzwischen Ihnen und uns: Sie würden einen solchen Vor-marsch einfach in Kauf nehmen, weil Sie nämlich nichtbereit wären, die malinesische Bevölkerung vor solchenAngriffen aus dem Norden zu schützen. An diesemPunkt unterscheiden wir uns grundsätzlich.Wir Sozialdemokraten stimmen der Verlängerung die-ses Mandates auf jeden Fall zu. Die Verlängerung diesesMandates ist nötig, um Fortschritte, die in Mali erzieltworden sind, zu sichern und um darüber hinaus dazu bei-zutragen, dass der begonnene Prozess in Mali vorange-hen kann. Dazu gehört vor allem eine demokratisch ge-wählte und legitimierte Regierung, die in diesem LandeVerantwortung übernehmen will und übernehmen wird.Dass dort überhaupt Wahlen durchgeführt werden konn-ten, ist der Unterstützung durch MINUSMA mit zuzu-schreiben; denn logistische Bemühungen wurden vor al-lem im Rahmen dieses Mandates unterstützt. Es istBestandteil des Mandats, auch an der Stelle für einen de-mokratischen Aufbau in Mali zu sorgen. Das ist gut so.Deshalb brauchen wir diese Mission weiterhin.Wir werden die Mission unterstützen, damit der Dia-log, der mit den Tuareg begonnen worden ist zu derFrage, wie denn ein dezentral organisierter Staat aufge-baut werden kann, so abgesichert stattfinden kann, dasses dort zu einem Fortschritt und nicht zu Rückschrittenkommt. Ansonsten würden wir angesichts der terroristi-schen Bedrohung, die es nach wie vor aus dem NordenMalis gibt und die auch ausgeübt wird, zu keiner Verein-barung mit den Tuareg kommen können.Ich denke, es gibt durchaus eine Verbesserung der hu-manitären Lage in Mali, wenn es um die Wasserversor-gung und auch um die ärztliche Versorgung geht. Ärzteohne Grenzen werden über staatliche Mittel aus der Ent-wicklungszusammenarbeit unterstützt. Ohne alle dieseInitiativen, die auch von NGOs breit mitgetragen wer-den, würde Mali letztendlich in einer Situation versin-ken, die die gesamte Region destabilisieren würde. Allebenachbarten Länder sehen das auch so und unterstützenden Prozess.Es gibt keine Alternative dazu, diesen Weg mitMINUSMA und anderen Elementen konsequent weiter-zugehen. MINUSMA ist nur ein Baustein im Zusam-menhang mit EUTM Mali, wo es um den Aufbau unddie Ausbildung der malischen Armee geht. Es ist einElement im Zusammenhang mit EUCAP, der europäi-schen Mission, in der im Sahel-Bereich und in Mali Poli-zeikräfte, Sicherheitskräfte und andere Kräfte im Be-reich Staatsbildung ausgebildet werden.In diesem gesamten Kontext ist MINUSMA zu sehen.Es ist ein Kernelement, um dieses Land weiter nach vornzu bringen und den Menschen zu helfen. Es geht darum,dafür zu sorgen, dass die 120 Millionen Euro, die imRahmen der Entwicklungszusammenarbeit nach Maligehen, nicht in einer kriegerischen Situation sozusa-gen verfrühstückt werden und letztendlich verlorengehen. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz. Es gilt,deutlich zu machen, worum es uns bei diesem ElementMINUSMA geht.Richtig ist: Der Verzicht auf die Transall – das ist ge-rade genannt worden – ist letztlich eine technische
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Wolfgang Hellmich
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Frage. Auch auf der Grundlage der Anforderungen undBitten der malischen Regierung haben die UN nun eineVeränderung ihres Kräftedispositivs und ihrer Strategievorgenommen und entschieden, sich stärker auf denNorden Malis, aber auch auf den weiteren Ausbau vonhumanitären Hilfen für Mali zu konzentrieren.Das beinhaltet, auch Drohnen in Mali einzusetzen;das will ich an der Stelle dazusagen. Die malische Re-gierung drängt auf diese Fähigkeit und bittet, sie einzu-setzen, weil sie nämlich mit ihren eigenen Streitkräftennicht in der Lage ist, die Region im Norden Malis kom-plett unter Kontrolle zu halten. Es braucht einen breite-ren Ansatz an der Stelle, um die Situation im NordenMalis in den Griff zu bekommen. Das ist der Kern, umden es geht: im Norden Malis zu einer Situation zu kom-men, die es ermöglicht, dass der malische Staat sich wei-ter aufbauen kann. Das ist ein Kernbestandteil dessen,was MINUSMA zu leisten hat.
Unser eigener Beitrag in Mali ist vorhin genannt wor-den: 150 Soldatinnen und Soldaten werden eingesetzt;das ist die Obergrenze. Im Moment ist es vor allemStabsarbeit, und es ist die Ausbildung von Soldatinnenund Soldaten. Es geht aber auch um die Entwicklung dermalischen Armee und den Aufbau der zivilen Verwal-tung.Beispiel Kidal: Es wurde gerade genannt, was in Ki-dal falsch gelaufen ist. Zu entscheiden, mit einer dafürnicht ausgebildeten Truppe in eine kriegerische Aus-einandersetzung zu gehen, war ein Fehler. Dieser Fehlerhat zuerst einmal den malischen Verteidigungsministerdas Amt gekostet. Er hat die Verantwortung übernom-men und ist zurückgetreten. Aber man hat es letztendlichhinbekommen, auch in Gesprächen mit den Tuareg, dieSituation in Kidal wieder in den Griff zu bekommen undzu erreichen, dass die Stadt nicht mehr kriegerisch bela-gert wird und sich nicht mehr in kriegerischen Auseinan-dersetzungen befindet. Auch administrativ hat man dieLage wieder in den Griff bekommen. Das ist ebenfallsein Ergebnis dessen, dass MINUSMA mit den Kräften,die dort sind, in diese Situation hineingegangen ist.Wir sehen zu MINUSMA in Mali keine Alternative.Deshalb stimmen wir der Verlängerung dieses Mandatszu. Wir brauchen dieses Mandat. Wir brauchen die ande-ren Elemente, die anderen Initiativen, die dort tätig sind.NGOs müssen arbeiten können, damit es humanitär wei-tergehen kann und diese Region in Afrika stabilisiert undnicht destabilisiert wird mit der Folge, dass auch alleNachbarregionen destabilisiert werden. Damit sind wirim Einklang mit all denjenigen, die in Afrika, in diesemLand Mali selbst und in den benachbarten Ländern Ver-antwortung tragen. Deshalb stimmen wir der Verlänge-rung dieses Mandats zu.Danke.
Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich jetzt der Kolle-gin Agnieszka Brugger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LetzteWoche war Ministerin von der Leyen in den USA undhat dort auch die Vereinten Nationen besucht. Wie fürSie üblich, Frau Ministerin, gab es viele Schlagzeilen zudieser Reise. Eine davon war: Deutschland soll sich stär-ker innerhalb von VN-Friedensmissionen einbringen.Diese Forderung ist richtig; denn Deutschland ist zwarerfreulicherweise viertgrößter Geldgeber solcher Frie-densmissionen, aber bei der Personalbereitstellung bele-gen wir nur Rang 48. Wir Grüne fordern schon langemehr Verantwortung und ein stärkeres Engagement beider Unterstützung der Vereinten Nationen für mehr Frie-den und Sicherheit auf der Welt.
Aber noch während Sie Ihre schönen Pressestate-ments in New York gaben – zur gleichen Zeit fanden dieBeratungen des deutschen Beitrages zur VN-MissionMINUSMA in Mali statt –, wurden wir von der Bundes-regierung informiert, dass die Transallflugzeuge und ihreBesatzung, die ein Großteil dieses Mandates bilden, inZukunft angeblich nicht mehr gebraucht werden unddemnächst abgezogen werden sollen, obwohl wir sieheute hier mandatieren. Gleichzeitig erfahren wir aber,dass Portugal an dieser Stelle einspringt. Ich finde, daszeigt, wie viel Substanz sich hinter Ihren Versprechenverbirgt. Einerseits versprechen Sie mehr Unterstützungder Vereinten Nationen, und auf der anderen Seite stut-zen Sie das deutsche Engagement bei einer Friedensmis-sion. Das finde ich entlarvend, blamabel und unglaub-würdig.
Aber, meine Damen und Herren, noch wichtiger alsdie Bereitstellung von Transallflugzeugen ist es, eineschlüssige, zivile Gesamtstrategie zur Lösung der Kon-flikte in Mali zu entwickeln. In den letzten Wochen undMonaten gab es sehr besorgniserregende Vorfälle. Siesind hier schon angesprochen worden. In Kidal ist es zuProtesten, Gewaltausbrüchen, Geiselnahmen und Todes-opfern gekommen. Daraufhin haben die malischen Streit-kräfte eine Offensive gestartet. Sie sind von den Rebel-len der Tuareg besiegt worden und mussten fliehen. DieRebellen der Tuareg haben auch wieder Teile des Nor-dens unter ihre Kontrolle gebracht. Ich finde es immerinteressant, wie Sie von der Linkspartei, liebe Frau Kol-legin Buchholz, es schaffen, auszublenden – das gehörtauch zur Wahrheit –, dass es ein Ende der Gewalthand-lungen und einen Waffenstillstand gab und dassMINUSMA dabei eine sehr zentrale und wichtige Rollegespielt hat.
Aber man sollte die Lage in Mali nicht schönreden.Sie ist ernst, und sie bleibt fragil. Das sieht man an den
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Agnieszka Brugger
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zahlreichen Regierungsumbildungen und vielen Rück-tritten von Ministern, insbesondere aber daran, dass derVersöhnungsprozess immer wieder ins Stocken gerätund beide Seiten – sowohl die malische Regierung alsauch die Gruppen im Norden – diesen Prozess immerwieder verzögern, verschleppen, teilweise sogar torpe-dieren und blockieren.Meine Damen und Herren, es gibt viel zu tun. StattSchaufensterreden und wolkigen Debatten über Afrikageht es darum, konkret aufzuzeigen, wie wir mehr Perso-nal für VN-Missionen zur Verfügung stellen können.Hier geht es nicht nur um Militär, sondern vor allem umzivile Expertinnen und Experten sowie um Polizeikräfte.Frau Ministerin von der Leyen, ich erwarte, dass Siedann konkret sagen, wie Sie sich innerhalb der VN-Frie-densmission einbringen wollen und wie Sie die Evalua-tion der Bundeswehrreform daraufhin ausrichten wollen.Das betrifft auch bestimmte Fähigkeiten.
Ganz speziell für Mali gibt es viel zu tun. Aus denVorfällen in Kidal müssen Lehren für die VN-MissionMINUSMA gezogen werden, aber auch für die EU-Aus-bildungsmission, die vor Ort ist. Es ist noch einmal klar-geworden, dass es ganz zentral ist, die politische Kon-trolle über die malischen Streitkräfte zu verstärken. Fürdie Lösung der Konflikte in Mali sind der politische Pro-zess und vor allem die Versöhnungsverhandlungen ganzwichtig. Die internationale Gemeinschaft und auchMINUSMA müssen diese weiter unterstützen und vo-rantreiben und beide Seiten in die Pflicht nehmen.
Den militärischen, zivilen und polizeilichen Einsatz-kräften – auch den Transallbesatzungen der letzenJahre – gehört nicht nur unser Dank, sondern wir solltenalles dafür tun, dass ihr Engagement nicht umsonst warund wir am Ende des Tages einen engagierten und nach-haltigen Beitrag für mehr Frieden, Stabilität und Sicher-heit für die Menschen in Mali leisten.Vielen Dank.
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-
punkt ist der Kollege Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Um die Entwicklungen in Mali richtig beurteilen und be-werten zu können, muss man sowohl kurzfristige Ent-wicklungen betrachten als auch langfristige Entwicklun-gen berücksichtigen. Kurzfristig betrachtet – da sind wiruns alle einig –, gab es natürlich einen Rückschlag. DerBesuch des Premierministers Moussa Mara in Kidal wareine unnötige Provokation. Der Versuch der malischenStreitkräfte, Kidal dann zu erobern, war von vornhereinzum Scheitern verurteilt. Die internationale Gemein-schaft hat Moussa Mara davon abgeraten, diesen Ver-such zu unternehmen; er hat es trotzdem gemacht und istgescheitert. Man hat fast das Gefühl, die malische Regie-rung wollte zu schnell zu viel und hat dadurch genau dasGegenteil erreicht. Die malische Armee ist empfindlichgeschwächt und demoralisiert. Plötzlich steht die Frageim Raum: Wer hat den Angriffsbefehl gegeben? Die Au-torität ist beschädigt, und das Vertrauen in verantwor-tungsvolles Handeln der Regierung ist auf allen Seitengestört.Interessant ist aber, wie man in Mali selbst innenpoli-tisch mit diesem Rückschlag umgegangen ist. Es gab zudem Thema einen Misstrauensantrag im Parlament; esgab eine lange, kontroverse Debatte, die in weiten Teilenlive im Fernsehen übertragen worden ist. Die Regierungkam unter Druck; sie musste sich rechtfertigen und hatumfassende Aufklärung versprochen. Die Art undWeise, wie man damit umgegangen ist, ist für mich einHoffnungsschimmer; denn es zeigt, dass dort zumindestin Teilen wieder demokratische Verhältnisse herrschen,auch wenn der staatliche Einfluss der malischen Regie-rung nicht weit in den Norden reicht.Ein zweiter Lichtblick war, dass bereits zwei Tagenachdem die malische Armee gescheitert ist, ein Waffen-stillstandsabkommen unterzeichnet worden ist und in derZwischenzeit auch die Separatistengruppen und die Re-gierung mit ihren ersten formellen Gesprächen begonnenhaben. Das könnte der Beginn des lange angekündigten,aber bisher noch nicht stattgefundenen Verhandlungs-prozesses sein.Man darf aber auch nicht – das habe ich vorhin schongesagt – die längerfristige Perspektive aus den Augenverlieren. Die Versöhnung zwischen den ethnischenGruppen wird keine Frage von wenigen Monaten odereinigen Jahren sein, sondern eine Frage von Generatio-nen. Der Status Nordmalis ist seit der Gründung desStaates, seit Jahrzehnten umstritten. Konflikte mit denTuareg bestehen seit Jahrhunderten.Es hat sich aber seit dem Putsch im Jahr 2012 einigesverändert. Vielleicht das Wichtigste im Hinblick auf Ver-söhnung und Verhandlungen ist, dass Mali heute relativfest in ein Korsett internationaler Unterstützungs- undStabilisierungsmaßnahmen eingebunden ist. Sie habenes vielleicht mitbekommen: Der Internationale Wäh-rungsfonds und die Weltbank haben im April ihre Zah-lungen gestoppt und gute Regierungsführung eingefor-dert; sie haben die Regierung unter Druck gesetzt unddarauf gedrängt, da zu liefern. Die Nachbarstaaten, zumBeispiel Algerien, übernehmen eine große Verantwor-tung, laden die Rebellengruppen ein, um eine gemein-same Verhandlungsposition zu erarbeiten, und setzen dieRegierung unter Druck.Die Afrikanische Union hat zum Beispiel bei denVerhandlungen über das Waffenstillstandsabkommenmassiv vermittelt, was dazu führte, dass es zustandekommen konnte. Die Vereinten Nationen haben mitMINUSMA eine umfassende Stabilisierungsmission aufden Weg gebracht, die heute Teil der Debatte ist. Die Eu-ropäische Union, insbesondere auch Deutschland, hilftnicht nur mit ihrem Beitrag zu MINUSMA, sondern leis-
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Dr. Reinhard Brandl
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tet auch massive humanitäre Unterstützung und ergreiftEntwicklungshilfemaßnahmen.Ich möchte noch auf das BMZ eingehen. MinisterMüller war vor einigen Wochen in Mali und hat die dor-tigen Projekte besucht. Es geht um die Stabilisierungvon Gemeindestrukturen, um Ernährungssicherung undum die Wiederherstellung der Wasserversorgung. Alleinaufgrund der laufenden Projekte kann dort eine halbeMillion Menschen mit frischem Wasser versorgt werden.Der Beitrag, den wir heute diskutieren, ist ein kleinerBeitrag zu MINUSMA. MINUSMA ist keine Missionunter unserer Führung. Das Angebot, das wir unterbrei-ten, nämlich die Logistik mit Transall-Maschinen zu un-terstützen, darüber hinaus Luftbetankungen durchzufüh-ren und als Berater in den Stäben von MINUSMA zuoperieren, ist ein Mosaikstein und eher ein kleiner Bei-trag. Wie gesagt: Wir sind nicht in der Führung. Wirmüssen deshalb natürlich akzeptieren, wenn die VN auseinsatztaktischen oder vielleicht aus finanziellen Grün-den entscheidet, vorübergehend nicht auf unser Angebotzurückzugreifen.Meine Damen und Herren, wir können nur das anbie-ten, was wir haben. Ich appelliere an Sie, Mali undMINUSMA weiter bei diesem langen Prozess in Rich-tung Frieden und Versöhnung zu unterstützen. Ich bitteSie deswegen um Zustimmung zu diesem Mandat.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission
der Vereinten Nationen in Mali . Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/1811, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 18/1416 anzunehmen.
Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung
namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind die Plätze an den Abstimmungsurnen alle besetzt? –
Dann eröffne ich die Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich hiermit die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekanntgegeben.1)
1) Ergebnis Seite 3734 D
Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der „United Nations
Interim Force in Lebanon“ auf
Grundlage der Resolution 1701 vom
11. August 2006 und folgender Resolutionen,
zuletzt 2115 vom 29. August 2013 des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
Drucksachen 18/1417, 18/1813
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/1814
Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Darf ich die Kolleginnen und Kollegen, die hier vorne
stehen, bitten, sich hinzusetzen, damit wir mit der De-
batte beginnen können?
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Dr. Johann Wadephul, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Wir diskutieren über die Fortsetzung des UNIFIL-Mandats im Libanon, an dem die deutsche Marine betei-ligt ist. Ich möchte Ihnen die Fortsetzung dieses Mandatsfür ein weiteres Jahr, bis zum 30. Juni 2015, empfehlen.Das UNIFIL-Mandat besteht seit vielen Jahren. Ur-sprünglich 1978 zur Stabilisierung des Nahen Ostens,nämlich zum kontrollierten Abzug der israelischen Trup-pen und zur Stabilisierung des Südlibanon, geplant, be-kam es 2006 eine neue Dimension, indem das UNIFIL-Mandat auf eine Maritime Task Force ausgeweitetwurde, an der sich auch deutsche Marineeinheiten mitErfolg beteiligen. Es geht um die Wiedergewinnung derlibanesischen Staatshoheit über den Südlibanon sowiedie Sicherung der Seegrenzen. Es geht um die Ermögli-chung der Entwaffnung der Hisbollah durch libanesi-sches Militär, nicht durch deutsches Militär, sowie dieVerhinderung des seeseitigen Waffenschmuggels. Au-ßerdem geht es – das ist wichtig; das macht unsere Ma-rine mit großem Erfolg – um die Ausbildung der libane-sischen Marine.Dieser Einsatz ist Teil unseres Engagements für denLibanon, das natürlich sehr viel breiter angelegt ist. Wirunterstützen den Libanon, wo sich derzeit sehr viele sy-rische Flüchtlinge aufhalten – das ist heute Morgenschon Gegenstand der Debatte gewesen –, mit etwa100 Millionen Euro für die Flüchtlinge in der Region.Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier war im
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Dr. Johann Wadephul
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Mai noch einmal im Libanon und hat weitere 5 Millio-nen Euro zugesagt. Er bot an, eine internationale Hilfs-konferenz für die syrischen Flüchtlinge im Libanon inDeutschland auszurichten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, so wichtig es ist,dass unser außenpolitischer Fokus in diesen Tagen aufder Ukraine liegt – wir dürfen diesen Konflikt im NahenOsten nicht vergessen. Wir müssen uns um diesen Kon-flikt kümmern.
In Syrien und mittlerweile auch im Irak ereignet sicheine ungeheure humanitäre Katastrophe. Jeder Euro, denwir dort zur Verfügung stellen, ist im Sinne der Mensch-lichkeit gut angelegt. Es ist in dieser Situation richtig,dass Flüchtlinge aus dieser Region zu uns kommen undhier Obhut finden können.
Darin weiß ich mich mit großen Teilen dieses Hauses ei-nig. Wir sollten das fortsetzen.Der Bundeswehreinsatz der Marine hat ganz offen-sichtlich dazu beigetragen, die Waffenschmuggler abzu-schrecken. Wir haben vor allen Dingen eine erfolgreicheZusammenarbeit mit der libanesischen Marine. Dafürmöchte ich an dieser Stelle allen Soldatinnen und Solda-ten der deutschen Marine, die dort eingesetzt werden,ganz herzlich danken. Es ist wie jeder Auslandseinsatzein fordernder, ein schwieriger Einsatz. Man ist von denlieben Menschen zu Hause entfernt und setzt sich natür-lich Gefahren aus. Ein herzliches Dankeschön und allesGute an die Soldaten, die da für uns Dienst tun!
Da wir in dieser Situation darüber debattieren, ob wirdas Mandat fortsetzen sollen – die Linksfraktion hat dasbisher kritisch kommentiert, und man muss befürchten,dass Sie auch heute nicht über Ihren Schatten springen –,möchte ich Ihnen sagen:
Gerade jetzt ist es erforderlich, dass wir aktiv bleibenund uns nicht zurückziehen. Wir erleben, dass sich dortstaatliche Strukturen auflösen und infrage gestellt wer-den. Keiner weiß, wie Syrien aussehen wird, wenn die-ses Schlachten und Morden hoffentlich bald ein Endegefunden haben wird. Keiner kennt die Zukunft des Irak.Die Kurden im Norden des Irak spekulieren schon jetztund sagen: Es wird in Zukunft gar keinen Irak mehr ge-ben.In dieser Situation haben Staaten wie Jordanien undwie der Libanon eine wichtige, stabilisierende Funktion.Sie haben in dieser Weise bisher auch funktioniert. Ins-besondere der Libanon hat als ein Staat funktioniert, indem es einen Ausgleich der Interessen von Religions-gruppen und Volksgruppen gegeben hat. Gerade in die-ser Situation dürfen wir uns von dort nicht zurückziehen,sondern müssen im Libanon bleiben. Das ist unser Bei-trag, den wir beisteuern können.Ich habe schon etwas zur humanitären Hilfe und zuraußenpolitischen Hilfe, die der Bundesaußenminister an-geboten hat, gesagt. Dieses Mandat ist essenziell, damitwir in der Region glaubwürdig bleiben, und es ist einBeitrag dazu, dass nicht noch mehr Konflikte entstehen,sondern eingedämmt werden. In diesem Sinne bitte ichSie herzlich um Zustimmung zur Verlängerung des Man-dats.
Bevor ich der Kollegin Kunert das Wort erteile, gebeich das von den Schriftführerinnen und Schriftführernermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmungüber die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-scher Streitkräfte an der Multidimensionalen IntegriertenStabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali
auf Grundlage der Resolution 2100 (2013)
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April2013 bekannt: abgegebene Stimmen 587. Mit Ja habengestimmt 518, mit Nein haben gestimmt 64, Enthaltun-gen 5. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 587;davonja: 518nein: 64enthalten: 5JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael Fuchs
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3735
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Hans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAnnette SchavanAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De Ridder
Metadaten/Kopzeile:
3736 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Vizepräsident Johannes Singhammer
(C)
(B)
Dr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeitePetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmThomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtDr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinGülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockVolker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsOliver KrischerStephan Kühn
Renate KünastMarkus KurthSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischIrene MihalicÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Manuel SarrazinUlle SchauwsDr. Gerhard SchickKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinSPDKlaus BarthelCansel KiziltepeChristian PetryWaltraud Wolff
DIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin Vogler
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3737
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Halina WawzyniakHarald WeinbergBirgit WöllertJörn WunderlichPia ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENPeter MeiwaldCorinna RüfferHans-Christian StröbeleEnthaltenSPDMarco BülowPetra Hinz
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENSylvia Kotting-UhlMonika LazarBeate Müller-Gemmeke
Jetzt hat das Wort die Kollegin Katrin Kunert, DieLinke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Wadephul, die deutsche Beteiligung andiesem Militäreinsatz scheint für Sie wirklich eine Er-folgsgeschichte zu sein. Ich finde, das kann man aber nurdann so sehen, wenn man sich allein auf die Feststellungbeschränkt, dass es von der Seeseite her keinen Waffen-schmuggel gegeben hat.Wir merken kritisch an: Erstens. Der Einsatz ist sehrgefährlich und die Sicherheitslage im Libanon weiterhininstabil. Zweitens. Inzwischen sind über 1 Million syri-sche Flüchtlinge ins Land gekommen. Drittens. Trotzdes deutschen Marineaufgebotes ist die Hisbollah bes-tens, sogar besser als vor dem Libanonkrieg 2006 be-waffnet. Das ist die bisherige Bilanz. Es ist keine Er-folgsgeschichte.
Nach einem blutigen Bürgerkrieg im Libanon wurde1978 die UNIFIL-Vereinbarung unter dem Dach der Ver-einten Nationen abgeschlossen, um einen Waffenstill-stand zu erreichen. Lange Zeit war diese Vereinbarungeine reine Beobachtermission. Trotzdem wurden seit1978 mehr als 250 UN-Blauhelmsoldaten und zivileHelfer getötet, weil sie sich in umkämpften Gebietenaufhielten.Seit 2006 schippern deutsche Schiffe vor der libanesi-schen Küste. Sie sollen den Waffenschmuggel unterbin-den. Zudem sollen mit dem Einsatz die Ausbildung undder Ausbau der libanesischen Marine unterstützt werden.Hier beginnen die Ungereimtheiten im Antrag der Bun-desregierung. Wenn Ausbildung und Ausbau der MarineBestandteil des UN-Mandats sind: Warum wurde imMärz 2014 noch ein zusätzlicher Vertrag über Ausstat-tungs- und Ausbildungshilfe Deutschlands für die liba-nesischen Streitkräfte abgeschlossen? Warum handeltalso die Bundesregierung ausgerechnet in dieser Frageauf eigene Faust und am UN-Mandat vorbei? Kann essein, dass Sie neue Märkte für deutsche Rüstungsgüterstärker im Blick haben als Frieden und Stabilität im Li-banon?
Die Linke sagt deutlich und einmal mehr: Keine Rüs-tungs- und Waffenexporte und schon gar nicht in Krisen-regionen wie den Nahen Osten!
Wir haben das Mandat bisher abgelehnt, und ichwerde Ihnen auch sagen, warum:Erstens. Wir bemängeln seit Jahren die fehlende Neu-tralität des Mandates. Waffenlieferungen in den Libanonsollen unterbunden werden.
Aber zugleich werden aus Deutschland hochmoderneWaffensysteme nach Israel exportiert. Aus historischenGründen haben wir zweifelsfrei eine große Verantwor-tung gegenüber Israel.
Israel ist bereits die größte Militärmacht im Nahen Ostenund hat die Gründung eines eigenen Staates Palästinabisher verhindert. Hier wird klar, dass Deutschland indieser Region nicht militärisch auftreten und dort nichteinwirken darf.
Zweitens. Das erweiterte UNIFIL-Mandat ist seit2006 nach Artikel 7 der UN-Charta ein Kampfeinsatz.Diese Einsätze lehnen wir ab, selbst wenn die Konflikt-parteien diese Einsätze begrüßen sollten. Die UNO kannihre Friedensaufgaben nur erfüllen, wenn sie dabei nichtselbst Teil eines Konfliktes wird.Drittens. Dieser Marineeinsatz ist völlig überflüssig,weil er praktisch nutzlos ist. Selbst die Stiftung Wissen-schaft und Politik hat bereits vor Jahren das Urteil ge-fällt, dass es sich beim UNIFIL-Mandat um reine Sym-bolpolitik handelt. Bisher wurden bei diesem Einsatzkeinerlei Waffen gefunden. Die Waffenlieferungen, umdie es hier geht – das räumen Sie selber immer wiederein –, erfolgen über den Landweg in den Libanon undnicht über den Seeweg. Deshalb ist es falsch, von einemerfolgreichen Mandat zu sprechen und dieses auch nochverlängern zu wollen.
Was wäre zum Beispiel, wenn es zu Konfrontationenmit israelischen Soldatinnen und Soldaten käme? Es gabin der Vergangenheit bereits Zwischenfälle wie den irr-tümlichen Beschuss des deutschen Bootes „Alster“durch israelische Kampfflugzeuge oder Drohangriffe mitSchnellbooten und Drohnen. Wir haben nicht das Recht,unsere Soldatinnen und Soldaten in solche Situationenzu bringen,
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3738 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Katrin Kunert
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in denen sie unter Umständen gezwungen sein könnten,auf israelische Soldatinnen und Soldaten schießen zumüssen. Wir haben allerdings das Recht, das Mandatheute zu beenden und die geplanten Mittel für zivileZwecke und humanitäre Hilfe einzusetzen.Frieden und Stabilität im Nahen Osten kann es nurdurch politische Verhandlungen geben. Deshalb schlägtdie Linke vor, eine Friedenskonferenz für den Nahen Os-ten nach dem Vorbild der KSZE durchzuführen. Voll-ständiger Gewaltverzicht und umfassende Abrüstungs-schritte von allen Seiten müssen das Ziel sein. Darübersollten wir hier diskutieren.Schönen Dank.
Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege
Dr. Rolf Mützenich.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!UNIFIL war von Beginn an keineswegs nur ein Mandatfür den Einsatz internationaler Streitkräfte im Auftragder Vereinten Nationen. Das Mandat war immer auch einBeitrag, um ein Mindestmaß an Sicherheit, Souveränitätund Staatlichkeit im Libanon durchzusetzen. Ich möchtedaran erinnern: 36 Nationen sind im Auftrag der Verein-ten Nationen heute im Libanon aktiv, entweder seeseitigoder an Land. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zurBewältigung der Herausforderungen, also Sicherheit,Souveränität und Staatlichkeit im Libanon durchzuset-zen.Wir müssen auch daran erinnern: Einige der dort ein-gesetzten Soldatinnen und Soldaten sind während diesesEinsatzes ums Leben gekommen. Es ist in der Tat ein ge-fährlicher Einsatz. Aber nicht nur von Deutschland, son-dern auch von vielen anderen Nationen wird dieses Man-dat befürwortet. Ich finde, wir müssen, wenn wir imDeutschen Bundestag darüber diskutieren, gerade auchan die internationale Solidarität erinnern und daran, dassdies ein hervorragender internationaler Einsatz ist.
Deutschland hat von Beginn an mit Marinekräften imBereich Ausbildung, aber auch mit der Bereitstellungvon Ausrüstung mitgewirkt. Die Bundespolizei, der Zollund zivile Aufbauhelfer sind vor Ort. Genau das verste-hen wir unter einem internationalen Mandat.Wem diese Argumente nicht reichen, der sei an Fol-gendes erinnert: In der jüngsten historischen Entwick-lung ist gerade durch das UNIFIL-Mandat – das sage ichauch in Richtung der Linken – die Quarantäne libanesi-scher Häfen durch israelische Streitkräfte aufgehobenworden. Dies ist unmöglich gemacht worden. Auch dashat zur Herstellung von Souveränität beigetragen. Wennman darüber diskutiert, ob man bei dieser Entscheidungnicht über seinen Schatten springen sollte, dann mussman auch diesen Aspekt berücksichtigen.Wem das nicht reicht, dem sage ich zum Zweiten: DieArmee ist in der Tat einer der wenigen Stabilitätsankerim Land. Deswegen stellt sich auch die Frage der Aus-stattung. Wenn die Armee wirklich eine neutrale Posi-tion im Libanon einnimmt, wie wir es wollen, dann musssie die Mittel, die Ausbildung und letztlich auch dieAusstattung dafür haben.Das dritte Argument für UNIFIL ist: Nur weil wir unsbeteiligen, haben wir auch Einfluss auf die Akteure;denn wir sind dort gewünscht. Es ist gewünscht, dassDeutschland diesen Beitrag leistet. Diese Einladung allerlibanesischen Akteure ist wichtig.
Der Außenminister ist in den Libanon gereist. Er hatgesagt – ich finde, das war ein sehr ehrlicher Stand-punkt –, er sei mit weniger Zuversicht aus diesem Landabgereist. Das deutet insbesondere darauf hin, wie fragildie Situation ist. Da er von Mitgliedern des DeutschenBundestages begleitet wurde, war es richtig, dass er andieser Stelle auch deutlich gemacht hat, dass wir inDeutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen. Daswar ein wichtiges Signal, für die Gespräche innerhalbder Bundesregierung, aber auch für die Gespräche mitden Ländern. Auch ich glaube, das ist nur ein Tropfenauf den heißen Stein. Aber Deutschland leistet einenwichtigen Beitrag, auch im Hinblick auf die Leistungsfä-higkeit der Kommunen.Frau Kollegin Kunert, Sie sagen: Wir lehnen dasMandat ab, weil es gefährlich ist. – Ich habe darauf hin-gewiesen, dass internationale Krisen gefährlich sind. Sielehnen das Mandat außerdem ab, weil Flüchtlinge in denLibanon gekommen sind. Ja, das ist in der Tat so. Ichglaube, die Libanesen wünschen sich am wenigsten, dassnoch mehr Flüchtlinge ins Land kommen. Aber das kanndoch kein Grund sein, dass wir uns nicht daran beteili-gen.
Wenn Sie die Neutralität des Mandates infrage stellen– es handelt sich um ein Mandat im Auftrag der Verein-ten Nationen –, sollten Sie sich fragen: Welcher interna-tionalen Organisation sprechen Sie hier die Neutralitätab? Das ist doch gerade die Idee der internationalen Ord-nung nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich finde, Sie solltensich einmal überlegen, welche Vorwürfe Sie im Hinblickauf dieses Mandat erheben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Tat: Der Li-banon ist in einer sehr schwierigen Situation, im Sog dessyrischen Bürgerkrieges. Der syrische Bürgerkrieg istein Brandbeschleuniger für die inneren Verhältnisse imLibanon, und zwar weiterhin entlang konfessionellerBruchlinien. Die Hisbollah ist dort aktiv, Sunniten, Sala-fisten und viele andere sind es auch. Es gibt keinen neugewählten Präsidenten. Insbesondere die christliche
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3739
Dr. Rolf Mützenich
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Minderheit fühlt sich innerhalb des politischen Systemsnicht repräsentiert. Flüchtlinge verändern das labileGleichgewicht im Libanon, auch das labile Gleichge-wicht zwischen den Konfessionen.Dennoch – ich finde, auch das gehört zu dieser De-batte –: Es gibt auch Beharrungskräfte im Libanon. Washaben wir seit 2011 nicht alles befürchtet! Ich glaube,das zeigt, dass diese Gesellschaft bereit ist, sich im Inne-ren zu versöhnen. Es besteht die Möglichkeit, den Ver-söhnungsprozess mit internationaler Begleitung aus demInneren heraus zu schaffen. Ich glaube, UNIFIL bietetdafür zumindest einen Rahmen, wenn die Akteure bereitsind, diese Vereinbarung zu treffen. Es gibt dort eine Re-gierung, und es gibt die Verabredung von Baabda; daswissen Sie aus den Diskussionen im Auswärtigen Aus-schuss. Ich finde, das gehört zu einer ehrlichen Diskus-sion dazu.Nun möchte ich noch eine grundsätzliche Bemerkungzu den Diskussionen machen, die wir über die Heraus-forderungen im Irak, aber auch im Zusammenhang mitdem Libanon führen. Ich bestreite nicht, dass es auf-grund der historischen Entwicklung konfessionelle Ge-gensätze und auch Bruchlinien in den arabischen Län-dern gibt. Aber ich finde schon, wir sollten eine ehrlicheDiskussion führen und an uns selbst appellieren, nichtdarauf hereinzufallen und einfach zu sagen: Nur darinliegt der Kern des Gegensatzes.Es gibt auch viele gedachte Gegensätze, mit denenversucht wird, zu verschleiern, was die Regierungen bis-her nicht geleistet haben; das hat ja zu den Umbrüchengeführt. Dabei geht es um gute Regierungsführung, so-ziale Gerechtigkeit und viele andere Dinge. Deswegensage ich: Wir müssen das zur Kenntnis nehmen. Aberwir dürfen nicht nur auf das erste Argument, das für dieGegensätze angeführt wird, hören.Wir werden die konfessionellen Gegensätze nichtüberwinden. Aber wir müssen dazu beitragen, für sozialeGerechtigkeit in diesen Ländern zu sorgen, damit zwi-schen den Akteuren Vertrauen geschaffen wird, damit esim politischen System mehr Kompromisse gibt, damitdie schlechte Regierungsführung ein Ende findet und da-mit die Einmischung von außen aufhört, insbesondere inBereichen, in denen es immer wieder zur Anwendungvon Gewalt kommt.Die Umbrüche in der arabischen Welt werden blei-ben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Grenzen Sie dasnicht aus! Blenden Sie das in der Diskussion nicht aus!Es wird lange Konflikte an den europäischen Außen-grenzen geben. Nur eine kluge Diplomatie, die auf dieAkteure zugeht, kann helfen, auch die Ausgegrenzten indiesen Ländern anzusprechen. Deswegen plädiere ichfür eine kluge Diplomatie, die weiterhin mit allen Grup-pen in diesen Ländern zumindest in der Diskussion steht.Dazu zählen für mich durchaus auch – wenn sie von Ge-walt absehen – Vertreter des politischen Islams. Ichglaube, für einen Versöhnungsprozess braucht man letzt-lich alle Gruppen. Das ist es wert, den Libanon weiterhinzu unterstützen.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin AgnieszkaBrugger, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Grünewerden dem heutigen UNIFIL-Mandat für eine UN-Frie-densmission mit übergroßer Mehrheit zustimmen.Diese Mission wird vom Libanon, aber auch von Is-rael als sehr wichtiger Beitrag angesehen, und die deut-sche Beteiligung wurde von beiden Seiten explizit be-grüßt. Ihre Aufgabe ist die Kontrolle des Seegebiets, dieErschwerung von Waffenschmuggel, aber auch die Aus-bildung der libanesischen Streitkräfte, damit sie dieseAufgaben selbst übernehmen können.Über das rein Praktische hinaus leistet diese UN-Frie-densmission einen sehr wertvollen Beitrag zur Deeskala-tion und vor allem auch zur Vertrauensbildung zwischenzwei ehemaligen Kriegsparteien.UNIFIL ist in dieser Region etwas Positives, einHoffnungsschimmer angesichts der vielen besorgniser-regenden Nachrichten, die uns in den letzten Monatenund Jahren erreicht haben. Damit meine ich nicht nur dieblutigen Verbrechen des Assad-Regimes, sondern natür-lich auch die Gräueltaten der ISIS-Milizen, die mittler-weile nicht nur aus Syrien, sondern auch aus dem Irakkommen und zur Destabilisierung, zur Eskalation derGewalt und zum Entstehen von großen Flüchtlingswel-len beitragen.Das alles hat Auswirkungen auf die innenpolitischeLage im Libanon. Die Hisbollah unterstützt das Assad-Regime; darüber hinaus gibt es im Libanon eine Spal-tung entlang konfessioneller Linien. Die Parlaments-wahlen im Libanon wurden schon mehrfach verschoben.Egal wer aus diesen Wahlen als Sieger hervorgeht: Erwird vor der Riesenherausforderung stehen, politischeund religiöse Gräben zuzuschütten und zu verhindern,dass der Libanon in den Strudel der Gewalt hineingezo-gen wird.Meine Damen und Herren, die Eskalation der Gewalt,Menschenrechtsverletzungen, Gräueltaten, der weiterandauernde blutige und schreckliche Krieg in Syrien,das alles darf nicht dazu führen, dass wir uns achselzu-ckend abwenden, nur weil wir keinen Masterplan dafürhaben, wie man diesen Konflikt schnellstmöglich lösenkönnte. Wir müssen uns weiter engagieren, wir müssenuns stärker engagieren, Deutschland ebenso wie die in-ternationale Gemeinschaft.
Auch wenn es gerade aussichtslos erscheint: Man mussimmer wieder den Verhandlungsweg gehen und dabei
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Agnieszka Brugger
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alle Akteure in der Region mit in die Verantwortung neh-men.Dazu gehört aber auch, dass man eine völlig irrsin-nige deutsche Rüstungsexportpolitik beendet: Saudi-Arabien und Katar werden mit deutschen Waffen belie-fert, obwohl dies zwei Staaten sind, aus denen heraus is-lamistische Kräfte, dschihadistische Kräfte, die den Irakund Syrien mit Terror überziehen, massiv unterstütztwerden. Ich fordere Sie auf: Stoppen Sie die Rüstungs-exporte nach Katar und nach Saudi-Arabien!
Auch im Hinblick auf die Flüchtlinge kann man nocheiniges tun. Die UN gehen davon aus, dass es in diesemJahr 4 Millionen Flüchtlinge außerhalb von Syrien ge-ben wird. Das ist eine erschreckende Zahl. Der Libanonist das einzige Land, das seine Grenzen für Flüchtlingeaus Syrien noch offenhält. Im Libanon sind 1 MillionFlüchtlinge registriert; wahrscheinlich halten sich dortaber viel mehr auf. Jeder Vierte im Libanon ist vor demKrieg in Syrien geflüchtet. Die humanitäre Situation die-ser Menschen ist verheerend.Wir diskutieren und streiten hier immer lange um dieErhöhung der Kontingente. Deutschland möchte jetzt20 000 Flüchtlinge aufnehmen. Ich glaube, wenn mansich anschaut, was der Libanon für die Menschen dortleistet, dann wird man feststellen, dass sowohl Deutsch-land als auch die anderen EU-Mitgliedstaaten ihrer Ver-antwortung an dieser Stelle nicht gerecht werden.
Deshalb ist es unheimlich wichtig, dass mehr Mittel fürhumanitäre Hilfe zur Verfügung gestellt werden, dieKontingente aufgestockt werden und eine unbürokrati-sche Aufnahme ermöglicht wird. Das ist nicht nur einGebot von Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe, son-dern das hat auch sicherheitspolitische Gründe; denn diekatastrophale Situation in den Flüchtlingslagern ist na-türlich auch ein Nährboden für Radikalisierung, welcheAnlass zu neuen Spannungen bieten kann.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfrak-tion, angesichts der vielen Hiobsbotschaften aus dieserRegion wäre es verantwortungslos, jetzt eine durchauserfolgreiche Friedensmission dort zu beenden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,mit seiner kleinherzigen und zögerlichen Flüchtlings-politik, aber vor allem auch mit seiner verantwortungslo-sen Rüstungsexportpolitik – ich denke nur an Saudi-Arabien und Katar – droht Schwarz-Rot wiederum, dieFortschritte der positiven Geschichte von UNIFIL zu-nichtezumachen. Kehren Sie hier um; denn wir solltenalles dafür tun, um in der Region – nicht nur im Libanon,sondern auch für die syrischen Flüchtlinge – Leid undGewalt zu mindern.Vielen Dank.
Abschließende Rednerin zu diesem Tagesordnungs-
punkt ist die Kollegin Julia Bartz, CDU/CSU.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Seit inzwischen 36 Jahren unterstützt die interna-tionale Gemeinschaft Israel und den Libanon bei dengemeinsamen Anstrengungen, friedlich miteinander zuleben. Seit nunmehr acht Jahren unterstützen wir mitunseren Streitkräften die maritime Komponente vonUNIFIL und beteiligen uns dabei besonders an der Aus-bildung von Marineeinheiten des Libanon. Hierbei ha-ben wir uns nicht nur den Zuspruch der Vereinten Natio-nen, sondern gleichermaßen auch den Zuspruch Israelsund des Libanon erworben.Bei der Etablierung von UNIFIL und insbesonderebei der Einführung der maritimen Komponente lag dasHauptaugenmerk auf dem israelisch-libanesischen Kon-flikt. Mittlerweile verschärft der anhaltende Bürgerkriegin Syrien die Lage in der Region. Derzeit halten sichcirca 1 Million Flüchtlinge aus Syrien im Libanon auf.Das ist eine beachtliche Zahl, insbesondere wenn manbedenkt, dass der Libanon selbst nur 4 Millionen Ein-wohner hat. Dementsprechend steht die medizinischeund die infrastrukturelle Versorgung kurz vor dem Kol-laps.Deshalb unterstützt Deutschland die notleidenden sy-rischen Flüchtlinge als weltweit viertgrößter Geldgeber.Seit 2012 haben wir den Menschen dort mit knapp100 Millionen Euro geholfen. Wir leisten humanitäreHilfe bei der medizinischen Basisversorgung, bei der Er-nährungs- und Winterhilfe und auch beim Wiederaufbauvon Flüchtlingslagern.Sehr geehrte Damen und Herren, neben der humanitä-ren Lage stehen wir auch vor einer sicherheitsrelevantenBrisanz. In diesen Tagen beobachten wir mit größterSorge die zerstörerischen Bestrebungen der sunnitisch-salafistischen ISIS. Dadurch rückt unser Ziel eines dau-erhaften Friedens im Nahen Osten in weite Ferne. Auchim Hinblick auf unsere nationalen Interessen als Han-delsnation birgt dieser Destabilisierungsprozess Gefah-ren unabsehbaren Ausmaßes.In solchen Zeiten, in denen ISIS auch im Libanon ge-gen die ihnen verhasste schiitische Hisbollah agiert unddamit die fragile Lage weiter religiös aufheizt, ist eswichtig, dass der Dialog zwischen dem Libanon und Is-rael fortgeführt wird. UNIFIL schafft dafür den Rahmenund leistet einen wichtigen Beitrag, um die fragile politi-sche Situation im Libanon zu stabilisieren.
Es liegt in unserem besonderen Interesse, dieser Ver-mittlerrolle in der Region gerecht zu werden. Zum einen
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Julia Bartz
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haben wir als Handelsnation ein Interesse an stabilenHandelspartnern und freien Handelswegen, zum anderen– und das ist noch viel bedeutender – haben wir eine be-sondere Verantwortung gegenüber dem israelischenVolk, der wir mit unserem Einsatz gerecht werden.Die internationale Gemeinschaft ist auch besondersaufgefordert, mit einem weiteren starken Engagementbeim Aufbau der libanesischen Streitkräfte zu helfen.Hier haben wir gute Erfolge erzielt, und diese Aufgabehaben wir inzwischen zu einem Schwerpunkt unseresEngagements gemacht. Dieser Weg ist richtig und solltemit der Verlängerung des Mandats fortgesetzt werden.Erst dann, wenn der Ausbildungsauftrag und die An-strengungen zu einer zeitgemäßen Ausrüstung abge-schlossen sind und der Libanon als souveräner Staat dieSicherungsaufgaben selbst übernehmen kann, kann übereine Beendigung des Mandats nachgedacht werden. Dasist aktuell eher eine langfristige Perspektive. Aber,meine Damen und Herren, wie wir schon vergangeneSitzungswoche im Rahmen der Verlängerung des Ko-sovo-Mandats deutlich gemacht haben, ist es notwendig,über die zeitliche Grenze eines Mandats hinauszuden-ken.Wir sehen auch am Beispiel Libanon, dass aktuelleKrisen Jahrzehnte währen und Generationen beschäfti-gen. Deshalb liegt unser Augenmerk auf der Nachhaltig-keit unseres Engagements. Unsere Hilfe zur Selbsthilfewird diesem Anspruch innerhalb unseres ressortüber-greifenden und damit vernetzten sicherheitspolitischenAnsatzes in besonderem Maße gerecht. Deshalb bitte ichSie, dem Antrag zuzustimmen.Danke.
Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 18/1813 zu dem Antrag der Bundesregie-
rung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der Interimsstreitkraft der Vereinten
Nationen im Libanon, UNIFIL.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung, den Antrag auf Drucksache 18/1417 anzunehmen.
Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die
Plätze an den Abstimmungsurnen schon besetzt? – Das
ist nicht der Fall. Vorne brauchen wir noch jemanden. –
Jetzt sind alle Abstimmungsurnen vorschriftsmäßig be-
setzt. Damit eröffne ich die Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Jetzt sehe ich nie-
manden mehr, der seine Stimme abgeben möchte. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird,
wie üblich, später bekannt gegeben.1)
Wir setzen jetzt die Beratungen der Einzelpläne fort.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt II.10 auf:
Einzelplan 11
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Drucksachen 18/1011, 18/1023
Berichterstatter sind die Kolleginnen und Kollegen
Ekin Deligöz, Axel E. Fischer, Ewald Schurer und
Dr. Gesine Lötzsch.
Zum Einzelplan 11 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Weil ich
keinen Widerspruch höre, ist das damit so beschlossen.
Die Aussprache wird hiermit eröffnet. Das Wort er-
teile ich als erstem Redner dem Kollegen Klaus Ernst,
Die Linke.
– Wie immer! – Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Frau Ministerin! Natürlich freut esuns, dass die Zahl der Arbeitslosen bei uns in der Bun-desrepublik zurückgeht. Es freut uns auch, dass die Zahlder sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigt.Und: Die Zahl junger Menschen ohne Arbeit ist im Ver-gleich zu der anderer Länder geringer. Wer würde sichdarüber nicht freuen?
Aber, Frau Ministerin, das alles darf nicht den Blickauf die Kehrseite der Medaille verstellen: Seit dem Jahr2000 stagnieren in unserem Land die Löhne. Fast25 Prozent der abhängig Beschäftigten sind im Niedrig-lohnbereich tätig und werden, wie Sie wissen, teilweisezu Hungerlöhnen beschäftigt. Wir haben einen der amwenigsten regulierten Arbeitsmärkte in Europa. Die Zahlder Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer liegt beifast 1 Million. Immer mehr Menschen sind nur befristetbeschäftigt oder über Werkverträge in Arbeit. Das istwahrlich keine Erfolgsgeschichte.
Auf den Hauptpunkt will ich noch einmal hinweisen.Mit den Arbeitsmarktreformen wurde uns versprochen:Es kommt zu mehr Arbeit. – Der eigentliche Indikatorfür mehr Arbeit ist die Zahl der geleisteten Arbeitsstun-den.
1) Ergebnis Seite 3745 D
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3742 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Klaus Ernst
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Will man also die Frage nach dem Erfolg der Arbeits-marktpolitik der letzten Bundesregierungen stellen– Herr Straubinger, das gilt auch für Sie –, dann mussman vergleichen, wie viele Arbeitsstunden es im Jahr2000 und wie viele es im Jahr 2013 waren. Wenn mandies tut, stellt man fest, dass diese Zahl annähernd gleichgeblieben ist. Es sind circa 58 Milliarden Arbeitsstun-den.Was zeigt das? Wir können die Arbeit noch so billigmachen, wir können den Arbeitsmarkt noch so stark de-regulieren, wie Sie das gemacht haben: Es führt im Er-gebnis nicht dazu, dass tatsächlich ein Mehr an Arbeits-stunden entsteht. Das Ergebnis der Arbeitsmarktpolitikder letzten Regierungen ist: Arbeit wurde schlechter be-zahlt, und Arbeit wurde auf mehr Menschen verteilt; dasist alles. Das ist keine Erfolgsgeschichte.
Ich erlebe in dieser Frage so viel Eigenlob vonseitender Regierung, dass mir manchmal ganz schwindligwird. Das erinnert mich an den Satz: Das Unterbewusst-sein unterscheidet nicht, wer auf die Schulter klopft. –So haben wir die Regierung in den letzten Tagen erlebt.Es gibt keinen Grund, um sich auf die Schulter zuklopfen. Stichwort „Entwicklung der Langzeitarbeitslo-sen“: Seit 2009 stagniert die Zahl der Langzeitarbeits-losen auf hohem Niveau. Gleichzeitig hatte die letzteBundesregierung die Ausgaben zur Eingliederung Lang-zeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt drastisch gekürzt.Der Etat für Eingliederungsleistungen sank von 6,6 Mil-liarden Euro 2010 auf 3,9 Milliarden Euro 2013. Im ak-tuellen Haushalt wird an dieser Zahl festgehalten. Das istfast eine Halbierung im Vergleich zu dem, was wir vor2010 hatten.Legt man die durchschnittliche Pro-Kopf-Förderungaus dem Jahre 2010, also vor den Kürzungen, zugrunde,Frau Nahles, dann müsste der Etat bei 5,5 MilliardenEuro liegen, also 1,6 Milliarden Euro höher als der, denSie uns vorlegen. Deshalb haben wir in unserem Ände-rungsantrag gefordert, den Etat entsprechend aufzusto-cken, um für die Betroffenen zumindest wieder denStand pro Kopf zu erreichen, den wir vor 2010 hatten.
Meine Damen und Herren insbesondere von derCDU/CSU, Sie versuchen, das Problem der Langzeitar-beitslosigkeit durch Ausnahmen beim Mindestlohn zulösen. Aber wenn in der Frage der Beschäftigung vonLangzeitarbeitslosen tatsächlich der Lohn ausschlagge-bend wäre, dürfte es das Problem gar nicht geben. Zur-zeit gibt es schließlich noch keinen Mindestlohn. Aberdas Problem gibt es trotzdem. Deshalb sagen wir: DieseFrage mit Ausnahmen zu regeln, ist ein Riesenunfug undeine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Die beste Lösung, Langzeitarbeitslosigkeit anzuge-hen, sind die Qualifizierung und entsprechende Hilfenbei der Eingliederung. Genau da setzen Sie leider diePolitik fort, die die alte Bundesregierung gemacht hat.Damals wurde eine Kürzung von 32 Milliarden Euro be-schlossen, allein 16 Milliarden Euro bei der aktiven Ar-beitsmarktpolitik. Der Paritätische Gesamtverband sagtedazu 2014: Was Frau von der Leyen mit ihrer arbeits-marktpolitischen Abrissbirne noch stehen gelassen hat,ist ein Feld arbeitsmarktpolitischer Verwüstung.Wir bräuchten in diesem Bereich einen Ausbau, FrauNahles. Einen solchen Ausbau können wir aber nicht er-kennen.
Wenn wir schon über Kürzungsprogramme reden,will ich übrigens noch eines anführen: Frau von derLeyen hätte eigentlich im Verteidigungshaushalt kürzenmüssen. Die Ausgaben sind aber höher als 2010. Wennsich also noch jemand an diese Vorgaben hält, dann Sie.Andere haben sich schon lange davon verabschiedet. Siebrauchen nicht aus Gehorsam gegenüber der alten Re-gierung Ihre Grundsätze von früher zu vergessen.
Ich möchte noch eine zweite himmelschreiende Un-gerechtigkeit ansprechen. Frau Schwesig hat als Sozial-ministerin in Mecklenburg-Vorpommern Folgendes ge-sagt – Zitat –:Noch nie hat es eine derart tatenlose Bundesfamili-enministerin gegeben, die dem Sparhammer derBundesregierung gegen Familien nicht nur zu-stimmt, sondern dann auch noch öffentlich applau-diert … Schwarz-Gelb streicht der alleinerziehen-den Hartz-IV-Empfängerin das Elterngeld, derHausfrau mit gut verdienendem Ehemann abernicht … Das ist nicht nur sozial unverantwortlich,sondern auch fachlich purer Unsinn.
Damit hat Frau Schwesig vollkommen recht. Ich fragemich: Reden Sie eigentlich nicht mit ihr, dass Sie nachwie vor an dieser Ungerechtigkeit festhalten, die Bezie-her von Arbeitslosengeld II anders zu behandeln als denRest der Welt?Ich fordere Sie auf: Reden Sie mit ihr! Vielleichtkommen Sie dann zu einem anderen Ergebnis.Die letzte Ungerechtigkeit in diesem Haushalt, die ichansprechen möchte, ist die willkürliche Berechnung derHöhe des Existenzminiums im Arbeitslosengeld-II-Be-zug. Es gibt ein Gerichtsurteil aus Berlin, in dem deut-lich gemacht wird, dass die 391 Euro nicht ordentlichberechnet worden sind. Das geht jetzt zum Bundesver-fassungsgericht. Es wäre sinnvoll gewesen, in diesemHaushalt nicht nur den Istzustand fortzuschreiben, son-dern im Zuge dessen, was Sie bei der Wahl gesagt haben,Initiative zu entwickeln, nämlich eine deutliche Aufsto-ckung des Regelsatzes beim ALG II vorzunehmen. Erin-nern Sie sich an das, was Sie vor der Wahl gesagt haben!Dann bekommen Sie auch mehr Zustimmung und müs-sen es nicht immer alleine machen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3743
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Bevor jetzt gleich die Bundesregierung das Wort er-hält, darf ich das Ergebnis der letzten namentlichen Ab-stimmung bekannt geben. Es ging um den Entwurf desEinzelplanes 23 – Geschäftsbereich des Bundesministe-riums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-lung.
– Darüber haben wir noch nicht abgestimmt. Ich bittedarum, mir das richtige Abstimmungsergebnis vorzule-gen, damit ich es bekannt geben kann. Dann machen wirdas später.Jetzt erteile ich der Bundesregierung, vertreten durchdie Bundesministerin Andrea Nahles, das Wort.
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit undSoziales:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerEinzelplan 11 ist das Herzstück des Bundeshaushalts.Zum einen hat das etwas mit dem Umfang zu tun, zumanderen vor allem damit, dass sich in diesem Haushaltdas am meisten abbildet, was Zusammenhalt in unseremLand organisiert: die soziale Marktwirtschaft. Es ist gut,dass wir uns in der heutigen Debatte mit Ihnen und IhrerKritik strittig auseinandersetzen, meine Damen und Her-ren von der Linken, weil es selbstverständlich immerwieder unterschiedliche Ansätze geben kann. Aber alleinIhre Änderungsanträge zur Anhebung des Regelbedarfs,zur Vorabentlastung der Kommunen, zur Anhebung derEingliederungsleistungen, der Wiedereinführung derBundesbeteiligung, der Rentenangleichung Ost/West,6,6 Milliarden Euro mehr für die Mütterrente und500 Millionen Euro mehr für Behindertenpolitik würdenallein insgesamt Mehrkosten bzw. Mehrausgaben inHöhe von 34,2 Milliarden Euro zur Folge haben. Dasmüsste selbst Ihnen zu viel sein.
Selbst Ihnen müsste klar sein, dass das nicht geht. Sieversprechen viel, übernehmen aber keine Verantwortungfür dieses Land und die Finanzen des Bundeshaushalts.
Mit Verlaub, so geht es nicht.Die großen Lebensrisiken müssen in unserem Landnicht von jedem Einzelnen getragen werden, sondernwerden solidarisch bewältigt.
Gerade bei der Alterssicherung haben wir in den letztenJahren Reformen durchgeführt, die den Ausgleich zwi-schen den Generationen herstellen. Mit diesen Reformenwaren harte Einschnitte verbunden, und sie haben denMenschen viel abverlangt. Die gemeinsame Überzeu-gung der diese Regierung tragenden Koalition ist, dasses gerecht und angemessen ist, dass wir dort, wo dieLeistungen eines langen Lebens nicht ausreichend ge-würdigt werden, mehr Anerkennung und Respekt zei-gen.
Das drückt sich in der Mütterrente, die wir beschlossenhaben, der Erwerbsminderungsrente für diejenigen, diegesundheitlich eingeschränkt sind, und der Abschlags-freiheit zugunsten derjenigen aus, die 45 Jahre gearbeitethaben und mit 63 Jahren in Rente gehen. Ja, davon profi-tieren 10 Millionen Menschen. Ja, das kostet auch etwas.Aber das können wir uns leisten. Das ist solide finan-ziert. Dafür stehen diese Große Koalition und diese Bun-desregierung. Wir können das, was wir tun, rechtfertigenund finanzieren es solide.
Ich will Ihnen aber ehrlich sagen, wir müssen auchdafür sorgen, dass dort, wo Arbeitsleistung gebrachtwird, auch anständige Löhne gezahlt werden; denn da-von hängt nun einmal unser gesamtes Sozialversiche-rungssystem ab. Wir sollten nicht nur darauf schauen,was sich wie verteilen lässt, sondern auch darauf achten,dass wir durch Wertschöpfung dafür sorgen, dass ent-sprechende Steuern und Beiträge gezahlt werden kön-nen. Nur so kann unser Gesellschaftsvertrag in diesemLand funktionieren. Deswegen werden wir als nächstesgroßes Projekt einen gesetzlichen Mindestlohn für5 Millionen Menschen, die heute weniger als 8,50 Euroverdienen, in Ost und West sowie in allen Branchen glei-chermaßen einführen. Das ist der nächste Schritt zur Sta-bilisierung unseres Sozialstaats und des Bundeshaus-halts.
Denn es bringt selbstverständlich zusätzliche Einnah-men, wenn wir die Arbeit der Menschen besser vergüten.Wie bereits angesprochen, haben wir über einen rela-tiv langen Zeitraum hinweg sinkende Arbeitslosigkeitund Rekordbeschäftigung zu verzeichnen. Das ist wirk-lich einmal ein Grund, sich zu freuen.
Vielleicht sind Sie schon so sehr in Ihren apokalypti-schen Grundton verfallen, dass Sie es nicht mehr schaf-fen, sich über diesen unbestreitbar positiven Fakt zufreuen. Ich glaube, das können wir alle gemeinsam tun.
Deswegen lasse ich es mir nicht gefallen, dass hier derEindruck vermittelt wird, als würden wir für die Integra-tion von Arbeitslosen weniger tun. Sie haben die Pro-Kopf-Ausgaben, also das, was die Jobcenter pro Kopffür Betreuung und Integration aufwenden, thematisiert.Das ist mir recht; denn im Vorkrisenjahr 2008 haben wirpro erwerbsfähigem Hilfebedürftigen für Eingliederung
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Bundesministerin Andrea Nahles
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und Verwaltung 1 850 Euro zur Verfügung gestellt, wäh-rend es in diesem Jahr 1 892 Euro sind. Es sind nicht we-niger, sondern mehr Mittel, die pro Kopf aufgewendetwerden können, um eine erfolgreiche Integration der Ar-beitslosen in diesem Land zu organisieren. Dass es inden Krisenjahren 2009, 2010 und 2011 mehr Mittel wa-ren, ist doch klar; aber das ist doch dem Umstand ge-schuldet, dass wir ein Riesenproblem hatten. Wenn Sieaber das letzte Jahr, über das wir sagen konnten, dass esein normales Arbeitsjahr mit einer normalen wirtschaft-lichen Situation war, mit der heutigen guten Situationvergleichen, dann stellen Sie fest, dass wir mindestensdieselben Mittel zur Verfügung haben. Also, versuchenSie nicht, mit dem, was Sie hier vortragen, die Leute hin-ter die Fichte zu führen.
– Sie haben die Pro-Kopf-Vergleiche angestellt.
Dann müssen Sie sich auch gefallen lassen, dass ichmich darauf vorbereite und Ihre Frage sehr wohl beant-worten kann.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage derKollegin Pothmer?Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit undSoziales:Nein, im Moment nicht. Danke.
Wir sind nämlich an einem entscheidenden Punkt. Beialler Freude darüber, dass wir weniger Arbeitslosigkeithaben und dass wir pro Kopf immer noch genügend Mit-tel haben, um die Integration sicherzustellen, will ich umeines nicht herumreden: Es gibt eine Gruppe, die nichtim selben Umfang von dieser Entwicklung profitiert.Das sind die Langzeitarbeitslosen. Deren Situation treibtmich um, und darauf will ich mein Augenmerk legen.Wir haben sehr viel probiert, auch meine VorgängerinFrau von der Leyen, zum Beispiel Integrationspro-gramme, Förderungen, ESF-Programm, Bürgerarbeitusw. Ich nenne nur einmal Stichworte, um zu zeigen,was in diesem Bereich investiert wurde. Wir haben mitder Bürgerarbeit viele Menschen in den ersten Arbeits-markt vermittelt – das finde ich nicht schlecht –, aber dieMehrheit leider nicht. Wir müssen feststellen, dass46 Prozent der Langzeitleistungsbezieher im SGB II län-ger als vier Jahre arbeitslos sind und viele Vermittlungs-hemmnisse aufweisen. Ich behaupte, dass wir noch nichtden Stein der Weisen gefunden haben. Aber das darf unsnicht resignieren lassen. Das darf uns auch nicht egalsein, im Gegenteil.Wir haben gestern hier in Berlin eine Aktion gemacht:Deine Geschichte ist Gold! – Sie können überall in derStadt Gesichter von Langzeitarbeitslosen finden, die be-reit waren, ihre Geschichte, die oft mit Umwegen ver-bunden war, zu erzählen. Nadine zum Beispiel hat esnach vielen Umwegen mithilfe des Projekts geschafft,doch noch Pflegekraft zu werden. Es gibt sehr positiveBeispiele, die auch helfen, gerade bei Arbeitgebern mehrOffenheit gegenüber Menschen zu schaffen, die kurvigeWege zurückgelegt haben und die Schwierigkeiten hat-ten, Tritt zu fassen.Das ist die Gruppe von Langzeitarbeitslosen, von derich glaube, dass ihr unser ESF-Programm, das wir imnächsten Jahr auflegen können, wirklich helfen kann.Damit können wir Mittel in die Hand nehmen, und dasist das richtige Programm, das wir auf den Weg bringen.Aber ich glaube, dass darüber hinaus neue Ansätzenotwendig sind. Wir müssen uns auch um die kümmern,die sehr weit von der Integration in den ersten Arbeits-markt entfernt sind. Ich habe den Ausschuss Arbeit undSoziales eingeladen, mit mir dazu eine eigene Sitzung zumachen. Ich will in den Dialog einsteigen. Ich möchtegar nicht so tun, als ob das, was wir tun, der Weisheitletzter Schluss sei. Aber ich verspreche Ihnen, dass dieBekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit gerade imnächsten Halbjahr ein Schwerpunkt meiner Arbeit wer-den wird. Wann, wenn nicht jetzt? Es ist auch nichtschlimm, wenn Leute Umwege gehen, nur aufgeben dür-fen wir nicht. Wir dürfen die Leute nicht aufgeben, unddie Leute selber dürfen nicht aufgeben. Das muss dasentscheidende Ziel sein.
Es ist mir auch wichtig, dass wir uns neben derGruppe der Langzeitarbeitslosen den jungen Menschenwidmen. Wir werden die Fachkräfteinitiative, die wir imKoalitionsvertrag verabredet haben, nutzen, um geradejungen Leuten die Chance zu geben, eine Ausbildung zumachen. Das betrifft auch diejenigen, die vielleicht dieerste Möglichkeit auf eine Ausbildung verpasst haben.Wir brauchen in Zukunft ausgebildete Fachkräfte. JederJugendliche muss eine Ausbildung machen, und sei esmit 25 Jahren. Das muss das Ziel sein. Wir müssen überdie Jugendberufsagenturen und andere Ansätze verhin-dern, dass uns zu viele junge Leute von der Fahne gehen,vielleicht weil sie in der Schule schlechte Erfahrungengemacht haben.
Es muss unser Ehrgeiz sein, alle jungen Leute in Ausbil-dung zu bringen. Dafür werden wir uns auch einsetzen.
Es ist uns ein wichtiges Anliegen, die Jugendarbeits-losigkeit in Deutschland zu bekämpfen: Das hat auch fürmein Haus ganz klar Priorität. Im Vergleich zur Jugend-arbeitslosigkeit in Deutschland ist die Jugendarbeits-losigkeit in Europa dramatisch. Wir haben mit MobiProein Angebot gemacht, das vielen jungen Menschen aus
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den Krisenländern Chancen auf Ausbildung, aber auchauf Beschäftigung eröffnet hat. Die Nachfrage nach Teil-nahme an diesem Programm hat uns überwältigt. Das istaus meiner Sicht ein Indiz dafür, wie stark der Druck indiesen Ländern ist. Natürlich müssen dort auch selberMöglichkeiten geschaffen werden, die Mittel, die auf dereuropäischen Ebene über die Jugendgarantie zur Be-kämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zur Verfügunggestellt wurden, den jungen Leuten auch zukommen zulassen – eine nicht ganz leichte Aufgabe.Ich möchte mich bei den Mitgliedern des Haushalts-ausschusses, bei den Berichterstattern und allen anderen,dafür bedanken, dass es uns gelungen ist, die Mittel fürMobiPro mehrfach aufzustocken
und dass ein weiterer Nachschlag in Höhe von 27 Millio-nen Euro möglich war. Das ist ein Verdienst diesesParlamentes. Das hätte ich aus eigener Kraft, glaube ich,nicht geschafft. Dafür herzlichen Dank, auch im Namender jungen Menschen, die davon profitieren!Genauso wichtig ist es mir, darauf hinzuweisen, dasswir die Finanzierung guter Deutschkurse gesichert ha-ben. Über das Bundesamt für Migration und Flüchtlingewerden diese Kurse – abgekürzt heißen sie „BAMF-Kurse“ – angeboten, und sie werden auch wahnsinniggut angenommen, was ja ein tolles Zeichen ist und denIntegrationswillen zum Ausdruck bringt. Wir haben45 Millionen Euro aufgebracht, um dieses Programmfortzuführen. Durch eine Nachbewilligung konnte derLöwenanteil daran, 34 Millionen Euro – sie stammenaus ESF-Restmitteln –, zur Verfügung gestellt werden.Diese Kurse sollen auch Bestandteil des künftigen ESF-Programms sein, das wir, wie ich hoffe, wieder geneh-migt bekommen.Auch für die Zukunft planen wir, die damit verbunde-nen Anstrengungen fortzusetzen. 17 000 Teilnehmerin-nen und Teilnehmern profitieren in diesem Jahr von die-sem Angebot, und davon profitieren wir alle, weil es dieIntegration der Teilnehmer ungleich mehr fördert alsvieles andere, was wir tun. Deutschkenntnisse sind nuneinmal die Eintrittskarte ins gesellschaftliche Leben undbedeuten eine sehr gute Integrationschance. Ich bin froh,dass die BAMF-Kurse fortgeführt werden, bis im nächs-ten Jahr das neue Programm kommt.
Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass wir eine gute,konstruktive Zusammenarbeit hatten. Ich danke allen imFachausschuss und im Haushaltsausschuss, insbeson-dere den Berichterstattern für die gute, konstruktiveZusammenarbeit. Das darf gerne bei den nächstenHaushaltsberatungen so weitergehen. In diesem Sinnebitte ich Sie um Zustimmung zum Einzelplan.Danke.
Frau Kollegin Pothmer, Sie haben jetzt das Wort zu
einer Kurzintervention.
Frau Ministerin Nahles, ich wollte Sie eigentlich nur
fragen, ob es Ihnen genauso geht wie mir. Denn die Ar-
gumentation, die Sie in Sachen Pro-Kopf-Förderung von
Langzeitarbeitslosen vorgetragen haben, war identisch
mit der Argumentation, die Ihre Vorgängerin in dieser
Frage vorgetragen hat.
Ich jedenfalls kann mich gut daran erinnern, dass Sie
in Ihrer Rolle als Oppositionsabgeordnete diese Argu-
mentation heftigst kritisiert haben.
Wenn ich richtig informiert bin, dann haben Sie in der
letzten Legislaturperiode die Aufstockung der Mittel zur
Förderung von Langzeitarbeitslosen und von Arbeitslo-
sen insgesamt um weit über 1 Milliarde Euro gefordert.
Inzwischen fließen dafür nur noch ein paar Millionen
Euro.
Können Sie mir erklären, welches arbeitsmarktpoliti-
sche Wunder sich inzwischen ereignet haben soll, wes-
wegen die von Ihnen verlangte – wie ich fand, richtige –
Förderung jetzt nicht mehr auf der Tagesordnung steht?
Frau Bundesministerin Nahles, möchten Sie darauferwidern? –
Nein.Ich darf jetzt das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung bekannt geben über die Beschlussempfeh-lung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bun-desregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffne-ter deutscher Streitkräfte an der „United Nations InterimForce in Lebanon“ auf der Grundlage der Re-solution 1701 vom 11. August 2006 und folgen-der Resolutionen, zuletzt 2115 vom 29. August2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen,Drucksachen 18/1417 und 18/1813: abgegebene Stim-men 587. Mit Ja haben gestimmt 513, mit Nein habengestimmt 66, Enthaltungen 8. Die Beschlussempfehlungist damit angenommen.
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 588;davonja: 514nein: 66enthalten: 8JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAnnette SchavanAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje Tillmann
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Vizepräsident Johannes Singhammer
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Astrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeiteDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogThomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekMarina KermerArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtDr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinGülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockVolker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerTom KoenigsOliver KrischerStephan Kühn
Renate KünastMarkus KurthSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischIrene MihalicÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Manuel SarrazinUlle SchauwsDr. Gerhard SchickKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinSPDKlaus BarthelWilli Brase
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Gabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Hilde MattheisRüdiger VeitWaltraud Wolff
DIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakHarald WeinbergBirgit WöllertJörn WunderlichPia ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMonika LazarHans-Christian StröbeleEnthaltenSPDCansel KiziltepeBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMaria Klein-SchmeinkSylvia Kotting-UhlPeter MeiwaldBeate Müller-GemmekeLisa PausCorinna RüfferDr. Harald Terpe
Nächster Redner in unserer Aussprache ist der Kol-lege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/DieGrünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Ministerin, wenn man Ihre Rede so hört,stellt man fest, dass Sie eigentlich weitgehend blind ge-genüber den wichtigsten sozialpolitischen Problemen inDeutschland sind – wie es die Sozialpolitik der GroßenKoalition insgesamt ist.
Wir beobachten in den letzten 15 bis 20 Jahren einenmassiven, dramatischen Anstieg der Armut in Deutsch-land – das ist ein Begriff, der weder im Koalitionsvertragnoch in Ihrer Rede auftaucht –, und das hat sich durchdie gute wirtschaftliche Lage in den letzten Jahren keinbisschen gebessert. Wir haben in Deutschland über7 Millionen Menschen – über 7 Millionen! –, die Grund-sicherungsleistungen beziehen; das sind 9 Prozent derBevölkerung. Wenn man dazu noch diejenigen zählt, dieverdeckt arm sind, also einen Anspruch hätten, den abernicht geltend machen, ist man bei einer Zahl von min-destens 10 Millionen Menschen – vielleicht sind es sogarnoch mehr –, die auf Grundsicherungsniveau leben– „Hartz-IV-Niveau“, vereinfacht gesagt – oder sogardarunter. Über 10 Millionen Menschen! Zu diesen Men-schen haben Sie kein Wort gesagt, und dazu hat dieseBundesregierung kein Konzept.
Am deutlichsten wird diese Politik der Bundesregie-rung, die meines Erachtens weniger zusammenführt alsvielmehr spaltet, bei der Rente. Wenn man sich anguckt,wer alles nicht davon profitiert, dann wird deutlich, wiediese Politik der Großen Koalition funktioniert.Von der Rente mit 63 profitieren alle diejenigen nicht,die weniger als 45 Versicherungsjahre haben. Das sindnicht die Stärksten im Land, sondern das sind eher dieSchwächsten. Diejenigen, die erwerbsgemindert sindund wegen Erwerbsminderung in Rente müssen, müssenAbschläge in Kauf nehmen – im Gegensatz zu denen,die 45 Versicherungsjahre haben.Wer Witwenrente bezieht, bekommt die Mütterrenteteilweise angerechnet, profitiert also nur teilweise da-von.Von keiner Ihrer schönen Maßnahmen profitieren allediejenigen, die in der Grundsicherung im Alter sind oderin der Zukunft in die Grundsicherung im Alter kommenwerden.
Wir haben jetzt schon einen massiven Anstieg der Al-tersarmut in Deutschland. Die Grundsicherungszahlensteigen. Die Armutsziffern steigen auch. Das ist einesder größten Zukunftsprobleme, und da machen Sienichts. Das ist völlig fatal.
Ich nenne so etwas eine exklusive Sozialpolitik,„exklusiv“ im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist nämlicheine ausgrenzende Sozialpolitik für einige wenige, dieim System drin sind, denen es halbwegs gutgeht – auchnicht richtig gut, aber halbwegs gut –, während diejeni-gen, denen es am schlechtesten geht, nicht profitieren.Noch viel schlimmer: Die müssen das Ganze auch noch
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Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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bezahlen: durch höhere Beiträge, durch geringereRenten.Das muss erst einmal jemand hinkriegen: ein Renten-paket mit einem Umfang von 10 Milliarden Euro jähr-lich zu machen, wobei am Ende die Beiträge steigen, dieRenten sinken und nichts gegen Armut passiert. Diesegesamte Rentenreform ist ein absolutes Fehlergebnis.
Statt so einer exklusiven Sozialpolitik brauchen wireine andere Politik, nämlich eine, die darauf aus ist,nicht auszugrenzen, Ausgrenzung in der Gesellschaftmöglichst zu verhindern und selbstbestimmte Teilhabefür alle tatsächlich zu ermöglichen.
Dafür muss man ganz andere Prioritäten setzen, als Siedas tun:Erstens. Bei der Rente muss man mit einer Garantie-rente anfangen. Dazu haben wir einen Änderungsantragzum Haushalt gestellt. Er zeigt, wie wir den Einstieg indie Garantierente hinbekommen.Zweitens. Beim Arbeitsmarkt muss man bei denjeni-gen anfangen, die am schwierigsten in den Arbeitsmarktzu vermitteln sind. Der Kollege Ernst hat es schongesagt: Die Arbeitsmarktentwicklung ist insgesamt be-trachtet durchaus positiv, sie geht aber an den Langzeit-arbeitslosen vorbei; die Langzeitarbeitslosigkeit sinktnur ganz schwach. Der Teil derjenigen, die tatsächlichdauerhaft in der Langzeitarbeitslosigkeit sind, stellt einbesonderes Problem dar. Ich freue mich, dass Sie dasauch so sehen, Frau Nahles.Dazu haben wir einen Vorschlag gemacht, nämlichden Vorschlag zur Einrichtung eines Sozialen Arbeits-marktes. Ich finde, das muss ein Schwerpunkt sein undPriorität haben. Wenn wir das in der nächsten Zeit zu-sammen hinkriegen, ist das sehr positiv. Es ist ein grünerErfolg, wenn wir Sie dazu bekommen, dass Sie beimSozialen Arbeitsmarkt – ich gucke insbesondere dieCDU/CSU-Kolleginnen und -Kollegen an – mitmachen.
Der dritte Punkt betrifft die Grundsicherung. Auchdieser Themenbereich ist von Ihnen überhaupt nicht an-gesprochen worden, obwohl 7 Millionen MenschenGrundsicherungsleistungen beziehen. Wir sagen, dassdas Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Berech-nung der Regelsätze nach wie vor nicht vollständig um-gesetzt ist. Wir müssten den Regelsatz auf mindestens420 Euro erhöhen. Im nächsten Jahr werden wir eineDebatte zur Neuberechnung haben, aber die Erhöhungauf 420 Euro muss sofort erfolgen. Auch dazu haben wireinen Antrag gestellt.
Aber es hilft natürlich nicht, einfach nur den Regel-satz zu erhöhen. Das ist eine notwendige Maßnahme.Wir müssen vielmehr dazu kommen, dass Menschen garnicht erst in die Grundsicherung fallen, damit die Zahlnicht noch weiter steigt. Ich muss zugeben, dass derMindestlohn hierauf durchaus eine Wirkung haben wird.Aber auch vom Mindestlohn wird eine schwacheGruppe, nämlich die Langzeitarbeitslosen, wieder ausge-nommen. Das ist ein Unding. Denjenigen, denen es gutgeht, geben Sie etwas. Denjenigen, denen es schlechtgeht, geben Sie an der Stelle nichts.
Auf Unternehmensseite profitieren davon Unterneh-men, die nicht nach Tarif bezahlen – die anderen könnenja gar nicht weniger an Langzeitarbeitslose zahlen –, diequasi noch subventioniert sind. Gleichzeitig geht es zu-lasten der Langzeitarbeitslosen. Das ist eine Politik, diealles andere als sozial ist.
Das Problem der Armut trotz Erwerbstätigkeit wirddurch den Mindestlohn nur zum Teil behoben. Wir brau-chen auch Maßnahmen zur besseren Absicherung fürTeilzeiterwerbstätige und Selbstständige. Das ist aucheine große und wichtige Baustelle, an die wir noch her-angehen müssen. Wie gesagt: Wir brauchen insgesamteine Politik, die nicht exklusiv ist, sondern wir braucheneine inklusive Sozialpolitik, mit der wir tatsächlichselbstbestimmte Teilhabe für alle schaffen, wovon alleprofitieren und nicht nur ausgewählte Gruppen.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der KollegeAxel E. Fischer.
Axel E. Fischer (CDU/CSU):Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! HerrPräsident, bevor Sie mir entwischen, weil Frau Bulmahnwartet, um die Sitzungsleitung zu übernehmen, möchteich Sie für Ihre Krawatte mit der Deutschlandfahne aus-drücklich loben und ebenso unsere Parlamentarische Ge-schäftsführerin, Frau Noll, für ihre Tasche in denDeutschlandfarben. Ich hoffe, dass es gute Signale fürdas Fußballspiel morgen Abend sind.
Lieber Herr Kollege Strengmann-Kuhn, Sie habenüber die Armut in Deutschland gesprochen.
Ich zitiere aus der heutigen FAZ:Vom Aufschwung bleibt endlich etwas hängen
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Axel E. Fischer
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… Nach Abzug der Teuerung blieb ihnen im erstenQuartal dieses Jahres ein Lohnzuwachs von durch-schnittlich 1,3 Prozent … Dies ist der stärkste An-stieg der Reallöhne seit 2011.
Ich finde, dass die Arbeitnehmer mehr in der Taschehaben, als es bisher der Fall war, ist ein schönes Signal,das wir von den Haushaltsberatungen heute senden kön-nen. Das ist mit ein Erfolg dieser Bundesregierung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundeshaushalt2014, über den wir heute debattieren, ist nach überwun-dener inländischer Wirtschafts- und Finanzkrise ein ers-ter gelungener Wurf der Großen Koalition. Bevor jetzthaufenweise Zwischenfragen kommen, sage ich gleich:Machen Sie nachher eine Kurzintervention, dann werdeich darauf reagieren. Ich werde keine Fragen zulassen,weil ich nicht vorhabe, diese Debatte gewaltig in dieLänge zu ziehen.
Gemeinsam haben wir in der Großen Koalition Ver-antwortung übernommen und neue Akzente im Bereichder Sozialversicherungen, des Arbeitsmarktes und imBildungsbereich gesetzt. Das Rentenpaket, die Entlas-tung von Ländern und Kommunen durch die Übernahmeder Kosten für die Grundsicherung im Alter, MobiPro-EU, ein Programm, das ausländischen arbeitslosenFachkräften und ausbildungswilligen Jugendlichen einePerspektive in Deutschland geben soll, sind einige Stich-worte für die Herausforderungen, derer sich die GroßeKoalition im vergangenen halben Jahr angenommen hat.Ich bin Ihnen, Frau Ministerin, sehr dankbar, dass Siedeutlich gemacht haben, dass MobiPro auch deshalbmöglich war, weil wir hier im Deutschen Bundestag– ich schließe ausdrücklich alle Fraktionen mit ein –ganz klar zu diesem Thema standen und noch einmaleine Schippe drauflegen konnten. Ich danke Ihnen undauch den Mitarbeitern, die hinten sitzen, herzlich, dassvom Ministerium der Hinweis kam, dass man das ausdem Etat heraus finanzieren kann. Ich danke ausdrück-lich auch der Bundesagentur für Arbeit mit Herrn Weisean der Spitze, dass das möglich war. Darüber sollten wiralle uns gemeinsam freuen; denn wir alle haben gemein-sam daran gearbeitet. Ich glaube, es ist ein wichtiges Si-gnal für unseren Arbeitsmarkt, auch für die Zukunft.Meine Damen und Herren, im Bereich des Einzel-plans 11 sind in diesem Jahr Ausgaben des Bundes inHöhe von 121,9 Milliarden Euro vorgesehen. Das sindfast 3 Milliarden Euro mehr, als noch im Haushalt desvergangenen Jahres vorgesehen waren. Gemeinsam set-zen wir aber auch den erfolgreichen Konsolidierungs-pfad der unionsgeführten Koalitionsregierung der Ver-gangenheit fort.
Dafür steht Angela Merkel, dafür steht auch WolfgangSchäuble, dafür steht die gesamte Große Koalition. Dennwir wissen, dass es unverantwortlich wäre, die Chancender jüngeren Generation leichtfertig zu verspielen.Dank unseres mutigen Vorgehens in den vergangenenJahren, insbesondere aber auch dank des Wachstums-pakts und einer zeitgemäßen Modernisierung unseresArbeitsmarkts konnten wir die Krise des Jahres 2009hinter uns lassen. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslo-sigkeit liegt unter 3 Millionen; danach würden sich an-dere Regierungen die Finger lecken. Die Sozialkassensind gut gefüllt.
Die Neuverschuldung erreicht mit 6,5 Milliarden Euro indiesem Jahr den niedrigsten Wert – hören Sie gut zu! –seit 40 Jahren. Meine Damen und Herren, voraussicht-lich im kommenden Jahr werden wir erstmals seit 1969einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorlegen können,ohne Neuverschuldung. Das ist doch wirklich ein Wort.
In Deutschland sind knapp 30 Millionen Menschensozialversicherungspflichtig beschäftigt, so viele wienoch nie. Es kommt nicht von ungefähr, dass wir denBeitragssatz der Rentenversicherung auf unter 19 Pro-zent absenken konnten und jetzt zusätzlich das Renten-paket aus den Rentenversicherungsbeiträgen und den an-gesparten Rücklagen finanzieren können.
Das ist Resultat der erfolgreichen Wirtschafts-, Finanz-und Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre. Es istnur billig, an dieser Stelle die Solidarleistung der Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer hervorzuheben, ohnedie Mütterrente, Rente mit 63 sowie Verbesserungen beider Erwerbsminderungsrente und beim Rehabudgetnicht finanzierbar gewesen wären.Unsere vergleichsweise gute Wirtschaftslage undHaushaltssituation heute dürfen aber nicht den Blick aufdie vor uns liegenden, zukünftigen finanziellen Heraus-forderungen bei der dauerhaften Finanzierung des Ren-tenpakets verstellen.
– Sie werden mir gleich zustimmen; davon bin ich über-zeugt. – Denn den absehbar sinkenden Reserven in derRentenkasse steht eine aufwachsende Verantwortung desBundes für die hier entstehenden zukünftigen Finanzlas-ten gegenüber. – Ich sehe ein Nicken. Das freut mich.Sie stimmen da also zu. –
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3751
Axel E. Fischer
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Dafür müssen wir finanzielle Vorsorge treffen; denndann wird auch die Solidarität der nicht sozialversiche-rungspflichtig beschäftigten Bevölkerungsteile gefragtsein.
Meine Damen und Herren, die Gesamtausgaben fürdie Grundsicherung für Arbeitsuchende, also für Ar-beitslosengeld II, Eingliederungshilfe und Ausgaben fürdie Kosten der Unterkunft, werden in diesem Jahr einenhistorischen Tiefstand von nur gut 31 Milliarden Euroerreichen. Unsere niedrige Arbeitslosigkeit, ein hoherBeschäftigungsstand und die weiterhin guten wirtschaft-lichen Aussichten zeigen, wie erfolgreich die Politik dervergangenen Jahre den Menschen berufliche Perspekti-ven eröffnet hat, sie an den Arbeitsmarkt herangeführtund in den Arbeitsmarkt integriert hat.Eine gute Wirtschaftspolitik ist die beste Sozialpoli-tik, wusste schon Ludwig Erhard, der als Wirtschafts-minister und Bundeskanzler mit dem deutschen Wirt-schaftswunder die wirtschaftliche Basis für unserenheutigen Wohlstand und unsere sozialen Netze mit ge-legt hat. So wollen wir in diesem Jahr und in den kom-menden Jahren trotz gesunkener Arbeitslosigkeit nocheinmal 350 Millionen Euro mehr für die Eingliederungs-hilfe ausgeben als im vergangenen Jahr. Denn auchschwierige Fälle sollen eine berufliche Perspektive ha-ben.An dieser Stelle möchte ich betonen: Arbeitsmarktpo-litik findet nicht im luftleeren Raum statt. Wir hatten2006 Ausgaben für Eingliederungshilfen in Höhe von8 Milliarden Euro für 4,5 Millionen Arbeitslose undnehmen heute noch einmal 350 Millionen Euro mehr indie Hand bei weniger als 3 Millionen Arbeitslosen. Daszeigt, welche Perspektiven wir von der Großen Koalitionden Menschen am Arbeitsmarkt geben wollen.
Wir bringen Menschen wieder in Arbeit. Uns geht es mitder Aufstockung der Mittel um konkrete Hilfe für Be-troffene und nicht um die Konservierung kommunaleroder regionaler Betreuungsstrukturen für Langzeitar-beitslose.Dieser Tage haben die Gewerkschaften den Einstiegin die Rente mit 60 proklamiert.
Bei allem Verständnis und bei aller Sympathie für dieZielsetzung, den Übergang aus dem Arbeitsleben in denletzten Lebensabschnitt flexibler zu gestalten: Die Wir-kung dieser plakativen Forderung ist fatal und steht denErfordernissen für eine ganzheitliche, gedeihliche undnachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft diametralentgegen.Bei einem immer späteren Eintritt ins Arbeitsleben,einer weiter steigenden Lebenserwartung und einer imAllgemeinen immer besseren körperlichen und geistigenVerfassung unserer älteren Mitbürger, bei steigendenLeistungen aus der Rentenversicherung und angesichtsdes heute spürbar zunehmenden Fachkräftemangelskann eine weitere zusätzliche Verkleinerung der Arbeits-kräftebasis nicht die geeignete Antwort sein.Das Renteneintrittsalter für die gesetzliche Renten-versicherung wurde unlängst auf 67 Jahre angehoben.Bei einem durchschnittlichen Eintritt ins Berufsleben imAlter von 22 Jahren und einem Ausscheiden mit 67 Jah-ren würden 45 Beitragsjahre erreicht, bei einem Aus-scheiden mit 60 hingegen nur noch 38 Beitragsjahre.
Das hieße: Ein Arbeitnehmer bezahlt rund 20 Prozentweniger Beiträge, gleichzeitig bezieht er länger Rente.Bei einer Lebenserwartung von 80 Jahren steigt dieDauer des Rentenbezugs von 13 auf 20 Jahre, das heißt,um rund 50 Prozent.
20 Prozent weniger Beiträge und 50 Prozent höhereLeistungen – da fragen wir uns: Wie sollen zukünftigeArbeitnehmer das finanzieren? Es liegen also noch wich-tige Aufgaben vor uns.Ich möchte abschließend unserer Hauptberichterstat-terin herzlichen Dank sagen. Liebe Ekin Deligöz, du hastdas phantastisch gemacht, ganz klasse.
Vielen Dank auch den Mitberichterstattern. Auch demKollegen Ewald Schurer möchte ich – in Abwesenheitder Kollegin Lötzsch – herzlich danken. Es war ein gutesMiteinander. Ich habe es vorhin angesprochen: DasThema MobiPro hat gezeigt, dass man gemeinsam etwaserreichen kann. Mein Dank geht auch an Sie, FrauMinisterin, an Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.Mein Dank gilt auch Herrn Weise und seinem Team.In der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales haben wiretwas Gutes geleistet. Es wäre schade, wenn wir dieseErfolge kaputtreden würden.Vielen Dank.
Eine so nette Danksagung wollte ich nicht unterbre-chen; sie ist ja auch gerechtfertigt. Trotzdem bitte ichalle Kolleginnen und Kollegen noch einmal um Zeitdis-ziplin, weil wir sonst sehr lange in den Abend hinein ta-gen.Herr Kollege Schurer, Sie haben das Wort.
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3752 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
(C)
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte machtdeutlich – die Ministerin hat die Zahlen genannt:121,9 Milliarden Euro und 41 Prozent des gesamtenHaushaltes –, dass der Haushalt für Arbeit und Sozialesdas Herzstück des Bundeshaushaltes ist.Herr Kollege Strengmann-Kuhn, es wäre schön, wennsich die Debattenbeiträge von Regierungsfraktionen undOpposition inhaltlich so weit decken würden, sodassman sagen kann: Wir sprechen über das gleiche Thema.Für uns als Haushälterinnen und Haushälter ist es eineriesige Aufgabe, einen gesellschaftlichen Diskurs überdie gesellschaftliche Entwicklung und die Bekämpfungvon Armut zu führen mit dem Ziel, möglichst viele Men-schen durch Beruf und Ausbildung gesellschaftlich zuintegrieren. Das ist des Pudels Kern auch in einer sol-chen Debatte. Man darf sich hier nicht hinter Zahlen ver-stecken.Ich finde, die Opposition läuft quasi unter der Lattedurch, wenn sie hier per se sagt, dass diese Regierunghinsichtlich der Bekämpfung von Armut nichts leistet.Das stimmt einfach nicht. Fakt ist, dass die Erwerbsmin-derungsrente, die wir im Rahmen des Rentenpakets er-höht haben – wir haben das in der ersten Lesung schondurchdekliniert –, einen manifesten Bestandteil der Be-kämpfung von Armut darstellt. Fakt ist – der KollegeErnst hat die Daten vielleicht übersehen –, dass wir beider Ausstattung der Jobcenter – vier mal 350 Millio-nen Euro – den Trend, den Schwarz-Gelb eingeleitet hat,wieder umdrehen, um in die Bekämpfung von Langzeit-arbeitslosigkeit mehr Substanz hineinzubekommen, umbesser individuell fördern zu können. Fakt ist auch – wirreden noch darüber –, dass der Mindestlohn ein großesProjekt ist, um die in diesem Land seit den 90er-Jahrenauf dem Arbeitsmarkt entstandenen Verwerfungen– Stärkung des Niedriglohnsektors – zu bekämpfen.
Es ist mehr als eine Höflichkeitsformel, wenn ichsage – der Kollege Fischer hat das schon gesagt; auchder Kollegin Deligöz, der Hauptberichterstatterin,möchte ich dafür danken –, dass wir eine sehr gute fach-liche Diskussion geführt haben. Das ist die Grundlagefür gute Inhalte. Dem Haus und seinen Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern ist zu danken; denn mit dem Rentenpa-ket und der Mindestlohngesetzgebung mussten zwei Me-gajobs erledigt werden. Es ist keine Selbstverständlich-keit, dass das gelungen ist. Deshalb gilt mein Dank undmeine Anerkennung – über die Höflichkeit hinaus – demHaus A & S für diese wirklich großartige Arbeit in denletzten Monaten.
Der Haushalt wurde skizziert. Er ist in der Tat dasHerzstück des Bundeshaushalts und hat eine wichtigeFunktion. Man spricht in diesem Zusammenhang nichtnur über die Rente und nicht nur über den Mindestlohn,sondern man spricht auch über integrale, große Bestand-teile einer Volkswirtschaft. Sozialsysteme – das habe ichin der ersten Lesung schon gesagt – sind keine isoliertenBestandteile der makroökonomischen, der volkswirt-schaftlichen Entwicklung, sondern sie tragen in manifes-ter Form durch ausgeschüttete Beiträge, die zum Teilselbst erarbeitet wurden und zum Teil aus Steuerzu-schüssen resultieren, zur Wertschöpfung einer Volks-wirtschaft bei. In Form von Kaufkraft, Ausgaben undBeschäftigung sind Sozialbeiträge immer integraler Be-standteil wirtschaftlichen Handelns. Das muss man ein-fach einmal so sehen.Wir haben zwei große Schwerpunkte. Mit 88,4 Mil-liarden Euro – inkludiert sind die neuen Ausgaben, dieaus dem Rentenpaket resultieren – sind die Zuschüsse andie Rentenversicherung natürlich dominierend. Es gibteinen zweiten großen Block: 31,2 Milliarden Euro fürdie Arbeitsmarktförderung. Das sind in diesem Haushaltnatürlich die größten Posten. Es gibt weitere kleinerePosten wie die Gelder für die Kriegsopferfürsorge unddergleichen mehr, die auch wichtig sind.Mir ist es wichtig, dass wir im Zusammenhang mitder Armut-Reichtum-Debatte auch über die Kommunenreden, die Träger vieler sozialer Leistungen sind. Wirwissen aus der aktuellen Presseberichterstattung, dassdie Kommunen in wirtschaftlich schwierigen Gebietenmit steigenden Sozialkosten kämpfen, weil dort mehrMenschen desintegriert sind. Es gibt reichere Gegendenim Land, und es gibt Gegenden, die große ökonomischeProbleme haben, also mit Folgelasten zu kämpfen haben.Es ist wichtig, dass der Bund 2014 100 Prozent der Kos-ten für die Grundsicherung im Alter übernimmt. Auchdas ist eine Form der Armutsbekämpfung – über dieKommunen, die ein wichtiges Gebilde im Staat sind. Wirhaben über 12 000 Kommunen in Deutschland vorzu-weisen.
Im Sinne einer Zwischenlösung erhalten die Kommu-nen ab 2015, also ab dem nächsten Jahr, bis 2017 jähr-lich 1 Milliarde Euro, und spätestens 2018 – mir wäre2017 lieber – werden wir durch ein Bundesteilhabege-setz mit einer manifesten inhaltlichen Bindung – Inklu-sion – in der Lage sein, mit 5 Milliarden Euro im Inte-resse der Menschen massiv gegenzusteuern. Ich weiß,dass das ein sehr anspruchsvolles Vorhaben des Ministe-riums ist. Mit dem Bundesteilhabegesetz haben wir einanspruchsvolles Gesetz zu gestalten, durch das das Zeit-alter der Integration überführt wird in das Zeitalter derInklusion.
Dieser Prozess wird noch andauern. 2015 werden wir,glaube ich, eine erste Vorlage erhalten. Auf dieserGrundlage können wir dann über den Inklusionsprozessdiskutieren. Das ist ganz wichtig.Das Programm MobiPro ist schon genannt worden.Darauf will ich jetzt nicht mehr ausführlich eingehen, dader Kollege Axel Fischer dazu bereits Ausführungen ge-macht hat. Herzlichen Dank dafür.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3753
Ewald Schurer
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Wir als Haushälter haben unter Zuhilfenahme eurerfachpolitischen Intuitionen, liebe Kolleginnen und Kol-legen, die Mittel auf fast 100 Millionen Euro verdoppelt.Es gibt jetzt 96,1 Millionen Euro für diesen so wichtigenBereich. Ich würde mir bei der Bekämpfung der Jugend-arbeitslosigkeit von der Europäischen Union manchmaldie gleiche Eloquenz und Durchsetzungsfähigkeit beimAuf-die-Strecke-Bringen von Programmen wünschen,die wir an den Tag gelegt haben. Das ist ein kleiner Bau-stein zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und derPerspektivlosigkeit junger Menschen aus europäischenNachbarländern; aber er hat eine hohe Symbolik nichtnur für die Betroffenen, sondern eben auch für unsereWirtschaft, die in manchen Regionen zum Teil an einemMangel auszubildender junger Menschen leidet. Egal, obdie jungen Menschen bei uns bleiben oder vielleicht miteiner Berufsausbildung nach Spanien, Griechenlandoder in andere Länder zurückgehen und dort neue Ar-beitsplätze schaffen: Es ist ein tolles Programm!
Die Sprachkurse des Bundesamtes für Migration undFlüchtlinge sind schon genannt worden.Zum Schluss komme ich, Frau Präsidentin, noch inaller Kürze zum Mindestlohn. Dabei handelt es sich umein sehr großes Reformprojekt; denn es werden 5 Millio-nen Einkommen im Lande erhöht. Die Betroffenen lebenschließlich davon. Man muss sich das einmal vorstellen:Wir reden nicht nur über eine nackte Zahl, sondern5 Millionen Existenzen – sehr oft handelt es sich umFrauen – werden über den Mindestlohn künftig in derGesellschaft deutlich besser abgesichert sein. Die Folge-wirkungen: Es gibt mehr Steuern, mehr Sozialabgaben,mehr Kaufkraft und mehr Binnenkonjunktur. Das wirdsich positiv auswirken.Von daher kann ich sagen: Liebe Freundinnen undFreunde von den Grünen und von der Linkspartei, es isteuer größter Fehler – den habt ihr heute wieder einmalgemacht –, das Mindestlohngesetz zu unterschätzen undso zu tun, als wenn das nicht ein manifester Beitrag zurBekämpfung von Armut in der Gesellschaft sei.
Lasst euch nicht so sehr vom Kurs der Stiftung neue oderalte Soziale Marktwirtschaft beeinflussen. Ihr müsst ei-nen neuen Kurs finden, mit dem ihr euch identifizierenkönnt. Das vermisse ich bei euch.
Ich sage nur: Der Mindestlohn, das ist eine tolle Ge-schichte.
Er stellt eine Zeitenwende, eine Kulturwende mit demZiel dar, dass Menschen auskömmlich und würdevollvon ihrer Arbeit leben können. Sie sollen in der Lagesein, selbstbewusst an dieser Gesellschaft zu partizipie-ren.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als nächster Redner hat Matthias W. Birkwald das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Die Bundesrepublik ist eines der reichsten Län-der der Welt. Davon spüren aber Millionen von Men-schen nichts. Sicher, vielen geht es gut. Es gibt 1,1 Mil-lionen Dollar-Millionäre in Deutschland. Mit anderenWorten: Die soziale Spaltung nimmt zu.Nach aktuellen Zahlen des Deutschen Institutes fürWirtschaftsforschung verfügen knapp 28 Prozent der Er-wachsenen hierzulande über kein oder nur über ein nega-tives Vermögen. So heißt das in der kalten Sprache derWirtschaftsforscher. Auf Deutsch heißt das: Ein Drittelder Menschen in unserem Land hat nur Nullen oderSchulden auf dem Konto, und es gibt 10 MillionenArme. Das, meine Damen und Herren, ist die Realität.Darum brauchen wir dringend eine Umverteilung vonoben nach unten.
Schlägt sich das im Haushalt der Arbeits- und – ichbetone – der Sozialministerin irgendwie nieder? Nein,tut es nicht. Frau Ministerin Nahles, Sie fügen sich demMantra von Finanzminister Schäuble. Der ruft fünfmalam Tag: Keine Steuererhöhung, keine neuen Schulden! –
Das bedeutet: CDU/CSU und SPD ignorieren die sozialeSpaltung. Das darf nicht so bleiben. Wir brauchen einenHaushalt des sozialen Ausgleichs, meine Damen undHerren.
Deshalb fordert die Linke hier und heute:Erstens. Der Regelsatz für Hartz-IV-Beziehende mussendlich auf 500 Euro im Monat angehoben werden.
Zweitens. Für die Grundsicherung im Alter brauchenwir für arme Seniorinnen und Senioren ebenfalls men-schenwürdige Regelsätze.
Drittens. Hartz-IV-Betroffene und ihre Kinder sindauf jeden Cent angewiesen. Darum darf das Elterngeldnicht mehr auf das Arbeitslosengeld II angerechnet wer-den.
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3754 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Matthias W. Birkwald
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Viertens. Lassen Sie die Rentnerinnen und Rentner imOsten nicht länger im Regen stehen und gleichen Sieendlich den Rentenwert Ost an das Westniveau an. EinVierteljahrhundert nach der Einheit müssen 45 JahreArbeit als Verkäuferin oder als Kfz-Mechatroniker – völ-lig egal, ob man in Halle an der Saale oder in Halle inWestfalen wohnt – auch die gleiche Rente bringen. Fünf-tens. Menschen mit Behinderungen haben das gleicheRecht auf Arbeit, auf Mobilität, auf Bildung, auf Thea-ter, auf Reisen und vieles andere wie Menschen ohneBehinderungen. Darum, meine Damen und Herren vonder Koalition, fordere ich Sie auf: Sagen Sie nicht sofort,das Bundesteilhabegesetz dürfe aber nicht so viel kosten,sondern diskutieren Sie mit den Menschen mit Behinde-rungen darüber, was inhaltlich im Gesetz stehen muss,
damit allen Menschen mit Behinderungen die volle undwirksame Teilhabe an der Gesellschaft garantiert werdenkann, bedarfsgerecht und unabhängig von Einkommenund Vermögen.
Frau Ministerin Nahles, legen Sie schnell erste Eck-punkte und einen Fahrplan vor, wie die Expertinnen undExperten in eigener Sache an der Erarbeitung des Bun-desteilhabegesetzes aktiv beteiligt werden sollen. DieMenschen mit Behinderungen werden es Ihnen dankenund wir auch.
Sechstens. Frau Nahles, angesichts des weltweitenFlüchtlingselends sage ich: Fassen Sie sich ein Herz, undsorgen Sie dafür, dass die in Deutschland asylsuchendenMenschen, die Geduldeten und die Bürgerkriegsflücht-linge, beispielsweise aus Syrien, endlich dieselbenGrundsicherungsleistungen erhalten wie alle anderen,die zwischen Rostock und Berchtesgaden auf Hartz IVoder auf Sozialhilfe angewiesen sind.
Ich ahnte schon: Für diese Forderung nach mehr so-zialer Gerechtigkeit rührt sich bei Ihnen, liebe Kollegin-nen und Kollegen von SPD und CDU/CSU, keine Hand.Deshalb, Frau Ministerin Nahles, sage ich: Ihr Haushaltist kein Haushalt des sozialen Ausgleichs. Ihr Haushaltist ein Haushalt der Tricksereien. Das ist durch unddurch schlecht.
– Warum Tricksereien, Frau Weiss? Ich sage es Ihnen.Die sogenannte Mütterrente kostet mehr als 6,5 Milliar-den Euro jährlich. Aber, Wunder, oh Wunder, davontaucht nichts in Ihrem Haushalt auf, auch in den nächs-ten vier Jahren nicht. Danach soll es dann ein paar Euromehr aus dem Steuersäckel geben, aber bis dahin werdendie Beiträge der Rentenversicherten für die Mütterrenteverfrühstückt, wie es Gregor Gysi heute Morgen hier er-läutert hat. Alles gegen jede Vernunft! Das ist getrickst,das ist falsch, und das ist ungerecht.
Das Rentenniveau sinkt immer weiter, durch das Ren-tenpaket noch mehr als bisher. Das ist sozial ungerecht.Mit Lebensversicherung und Riester-Rente können dieallermeisten Menschen die Löcher in ihrer gesetzlichenRente nicht stopfen. Bei den Lebensversicherungen wol-len sie die Auszahlungen jetzt auch noch kürzen und dieGarantiezinsen von mickrigen 1,75 Prozent auf nochmickrigere 1,25 Prozent absenken. Das heißt, 62 Millio-nen Lebensversicherte zahlen für die Krise, die sie nichtverursacht haben. Das ist die Wahrheit.Das zeigt: Die gesetzliche Rentenversicherung mussgestärkt werden. Sie ist viel besser als Riester und Co.Aber Sie pumpen in diese Riester-Verträge in diesemJahr noch einmal 3,5 Milliarden Euro Steuermittel. Dasheißt, bis 2018 werden knapp 44 Milliarden Euro geflos-sen sein. Dazu sage ich: Das ist eine Verschwendung vonSteuermitteln gepaart mit Realitätsverweigerung, sonstnichts.
Warum rede ich jetzt von 2018? Schauen Sie einmalin Ihren Haushaltsplan. Dort stehen nämlich diesen Mil-liardensummen an Riester-Förderung im Jahr 2018 ge-rade einmal 49 Millionen für Ihr nächstes Pseudoboll-werk gegen Altersarmut, die Lebensleistungsrente,gegenüber. 49 Millionen Euro, um Minirenten aufzusto-cken, und 3,5 Milliarden Euro, um gefloppte Riester-Verträge zu retten – 70-mal mehr für Unsinn als gegenAltersarmut, das ist echt nicht zu fassen.
Dabei rechnen Sie selbst im Haushalt mit einem jähr-lichen Anstieg der Zahl der Grundsicherungsbeziehen-den im Alter und bei Erwerbsminderung von jährlich6,6 Prozent. Im Jahr 2018 werden nach Ihren eigenenZahlen also knapp 1,3 Millionen ältere und krankeMenschen am Rande des Existenzminimums leben. Dasmuss unbedingt verhindert werden.
Ich komme zum Schluss. Aus den genannten Gründenfordert die Linke eine solidarische Mindestrente, dieihren Namen verdient. Niemand soll von weniger als1 050 Euro monatlich leben müssen. Deshalb, FrauNahles, will die Linke Steuererhöhungen für Menschenmit hohen Einkommen und Vermögen. Dann hätten wir52 Milliarden Euro mehr im Steuertopf, also deutlichmehr als die 34 Milliarden Euro. Dann könnte manendlich aus dem Haushalt des Ministeriums für Arbeitund Soziales einen Haushalt des sozialen Ausgleichsmachen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3755
Matthias W. Birkwald
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Danke schön.
Jetzt hat die Kollegin Sabine Weiss das Wort.
Schönen Dank. – Verehrte Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!Viele Dinge sind schon angesprochen worden. Abermanche Dinge sind einfach so gut, dass man sie nicht oftgenug wiederholen kann.
Wir freuen uns, dass in Deutschland rund 42 MillionenMänner und Frauen erwerbstätig sind. Wir freuen uns,dass die Arbeitslosenquote deutlich zurückgegangen ist.Wir freuen uns, dass die sozialversicherungspflichtigeBeschäftigung aufwächst. Wir freuen uns, dass Deutsch-land mit 7,9 Prozent die geringste Jugendarbeitslosen-quote in Europa hat.
Anders als in der Vergangenheit steht der Fachkräfte-mangel heute neben der Bekämpfung der Arbeitslosig-keit ganz oben auf der Agenda. Leitbild und Erfolgs-rezept ist die soziale Marktwirtschaft. Sie bringtunserem Land Wohlstand und soziale Sicherheit und gibtuns – dem können Sie nicht widersprechen – eines dersichersten Sozialsysteme der Welt.
Unsere ausgewogene Wirtschaftsstruktur mit einemstarken Mittelstand, einer leistungsfähigen Industrie undder gelebten Sozialpartnerschaft von Gewerkschaftenund Arbeitgeberverbänden bringt uns weltweit Anerken-nung ein. Dem Ergebnis einer Umfrage des britischenSenders BBC zufolge war Deutschland 2013 das belieb-teste Land weltweit. Das ist eben nicht selbstverständ-lich.Seit 2005 haben wir die Bedingungen für die Wirt-schaft entscheidend verbessert. Mittelstand und Industriewachsen und schaffen neue Arbeitsplätze. Seit 2005 hatsich der deutsche Arbeitsmarkt vom Sorgenkind zum in-ternationalen Vorbild entwickelt. 2011 konnte ein Re-kordstand seit der Wiedervereinigung erreicht werden,und das trotz Finanz- und Wirtschaftskrise.
Mittlerweile gilt Deutschland als Vorbild, und das nichtnur für die Krisenbewältigung.Für das Jahr 2014 sieht der Haushalt des Bundes-ministeriums für Arbeit und Soziales Ausgaben von rund122,3 Milliarden Euro vor. Er ist der mit Abstand größteEinzeletat im gesamten Bundeshaushalt, sozusagen– Frau Nahles hat es erwähnt – das Herzstück. Den größ-ten Posten innerhalb dieses Haushaltes nehmen natürlichdie Zahlungen des Bundes an die Rentenversicherungein. Die kürzlich beschlossenen Verbesserungen bei derMütterrente und der Erwerbsunfähigkeitsrente sind hierenthalten. Alles ist solide finanziert.
Demnächst – damit zeigen wir, dass wir keinen Still-stand wollen – werden wir Regelungen für einen flexi-blen Übergang ins Alter erarbeiten. Wer sich fit fühlt undsich noch nicht aufs Altenteil zurückziehen will, sollleichter über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten undseine Rentenansprüche steigern dürfen. Ziel ist hier,nicht so früh wie möglich in Rente zu gehen, sondern solange wie möglich zu arbeiten.
Mehr als 31 Milliarden Euro wenden wir für Arbeits-förderung und Grundsicherung sowie für das Arbeits-losengeld II auf. 1,34 Milliarden Euro fließen für Zwe-cke der sozialen Entschädigung. Wenn uns vorgeworfenwird, wir würden einfach so weitermachen wie bisher,dann kann ich nur sagen: Gut so! Denn wir haben ja Er-folge. Das ist das tolle Resümee, das wir heute ziehenkönnen. Es ist also gut, dass wir in vielen Bereichen soweitermachen wie bisher.
Der Einzelplan 11, der jetzt debattiert wird, ist einwesentlicher Teil des sozialstaatlichen Leistungssystemsin diesem Lande. Aufgrund der sehr guten Konjunktur-und Beschäftigungslage kommt die Bundesagentur fürArbeit auch 2014 wieder ohne Darlehen aus; auch dasmuss gesagt werden.Wir alle in der Großen Koalition wissen aber auch: Esbesteht nicht ausschließlich Anlass zur Selbstzufrieden-heit; denn wir wollen noch besser werden. Frau Nahleshat schon angesprochen, dass wir uns um den relativ sta-tischen Sockel der Langzeitarbeitslosen kümmern wol-len. Ich denke, da werden wir gemeinsam gute Ideen ent-wickeln – wobei man dazusagen muss: Es gibt da nichtden Königsweg; denn jeder Mensch ist ein Einzelfall, je-der Mensch hat seine eigene Lebensgeschichte. Deshalbmüssen wir auf jeden Menschen anders zugehen. JederLangzeitarbeitslose, der den Sprung in die geregelte Be-schäftigung schafft, ist ein Erfolg. Dabei wollen wir deneinzelnen Menschen begleiten.
Ein Beispiel für gut angelegtes Geld ist für mich dasProgramm „Perspektive 50plus“, das ich aus meinemWahlkreis kenne. Die Vermittlungsquote ist gut. DasProgramm wird demnächst neu ausgeschrieben.Wir werden in dieser Wahlperiode – das ist auchschon angesprochen worden – die Teilhabe von behin-derten Menschen vorantreiben. Diese Menschen habenPotenziale, die deutlich besser erschlossen werden müs-sen.
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3756 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Sabine Weiss
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Die Bundesagentur für Arbeit hat hier neue Schwer-punkte gesetzt – das ist gut –, sie will zum Beispiel ver-mehrt mit Handwerksbetrieben das Gespräch suchen,damit Menschen mit Handicaps dort eine Chance be-kommen.
Derzeit kocht die Debatte wieder hoch, dass ein Groß-teil der Anträge zu Hartz IV falsch bzw. fehlerhaft be-schieden werde. Die Gerichte sind mit den vielen – oftberechtigten – Klagen überlastet. Ich denke, hier müssenwir bald etwas ändern.
– Inhaltlich will ich jetzt gar nicht näher darauf einge-hen, Herr Birkwald; das muss mit Sorgfalt erarbeitetwerden.Ich möchte etwas über die Mitarbeiter der Bundes-agentur für Arbeit und der Jobcenter sagen. Sie werdenoft gescholten und wenig gelobt. Viele haben nur befris-tete Arbeitsverhältnisse. Sie haben beim Fördern undFordern eine hochkomplexe Rechtsmaterie anzuwendenund sind in den allermeisten Fällen gute und versierteFachleute. Das ist ein ausgesprochen harter Job. Die Ar-beit dieser Mitarbeiter möchte ich an dieser Stelle aus-drücklich würdigen.
An ihnen liegt es nicht, wenn irgendwo etwas klemmt.Wir engagieren uns weiterhin auf dem Weg zu einemgemeinsamen europäischen Arbeitsmarkt. Auch das istangesprochen worden; aber weil es so gut ist, wiederholeich es: Mit Programmen wie „MobiPro“, der Sprachaus-bildung für zugewanderte Arbeitskräfte, leisten wir einenBeitrag zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit inEuropa. Als die damalige Arbeitsministerin Ursula vonder Leyen 5 000 spanische Jugendliche mithilfe einesAusbildungspakts in deutsche Betriebe bringen wollte,erntete sie Kopfschütteln und Skepsis; manche warfen ihrsogar blinden Aktionismus vor. Mittlerweile hat sich her-umgesprochen, dass man in Deutschland die Chance aufAusbildung hat. Von Beginn des Programms „MobiPro“bis Ende März 2014 haben nahezu 9 000 junge Menschendie Teilnahme beantragt. Mehr als 40 000 Anträge zuden einzelnen Fördermaßnahmen gingen ein. Über dieHälfte stammt allein aus dem ersten Quartal 2014.Im Rahmen eines ESF-Programms zur Sprachausbil-dung haben zudem rund 120 000 Jugendliche und Er-wachsene etwa 6 400 Sprachkurse besucht.Alle diese Programme sind sehr erfolgreich. Wir be-herzigen damit, was Wissenschaftler uns immer gesagthaben – sie sind sich darin einig –: dass der zentraleFaktor für eine gelungene Integration das Bildungsni-veau ist. Entscheidend hierfür ist der Abbau von Sprach-barrieren mithilfe von Deutschkursen; so erreicht maneinen schnellen Zugang zu Ausbildung und Arbeits-markt.Dass erheblich mehr Anträge auf Teilnahme an denProgrammen gestellt wurden als ursprünglich erwartet,hat einige Träger von Sprachkursen in Schwierigkeitengebracht. So hat in meinem Wahlkreis die AkademieKlausenhof, ein hochanerkannter Bildungsträger in derRegion, circa 30 mit ESF-Mitteln geförderte Sprach-kurse durchgeführt.Die Akademie hatte, wie auch andere Träger, großeSorgen, als Anfang April plötzlich ein Programmstoppverkündet wurde. Ich finde es gut und danke der Minis-terin und auch den Haushältern, dass hier Wege gefun-den wurden, kurzfristig noch Finanzmittel für das lau-fende Jahr 2014 zu mobilisieren, um zumindest die bisAnfang April bewilligten Anträge zu bedienen.Jetzt werden die Programme neu ausgeschrieben. DieAkademie Klausenhof wird sich wieder bewerben – undandere Träger auch. Ich persönlich hoffe dabei, dass dieguten Träger die Zeit bis zum Beginn des Nachfolgepro-gramms ab 2015 gut überbrücken können und uns nichtverloren gehen. Daher bitte ich darum, dass die Aus-schreibung für die nächste Förderperiode zügig erfolgt.Wir haben in den vergangenen Jahren viel erreicht, esgibt aber auch noch viel zu tun. Diesen Aufgaben wer-den wir uns stellen.Herzlichen Dank.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Corinna Rüffer
das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Wäre diese Bundesregierung aus ganzem Herzenund mit tiefer Überzeugung daran interessiert, eine in-klusive Gesellschaft zu schaffen, dann sähe dieser Haus-halt anders aus.
Es wäre nämlich erkennbar, dass wir uns von der Förde-rung großer Institutionen wegbewegen, und es würdedeutlich werden, dass sich Unterstützungsleistungenstattdessen an den Bedarfen der Menschen orientieren,die sie tatsächlich brauchen.Ich spreche hier nicht von großen Summen, die neuaufgebracht werden müssten, sondern es geht ganz ein-fach um eine andere Verteilung der Mittel. Es geht da-rum, dass wir von den Sonderwelten für behinderteMenschen wegkommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich mir IhrenHaushalt angucke, dann sehe ich bestenfalls Andeutun-gen, dass Sie verstanden haben, worum es geht. Das istauch deswegen so dramatisch, weil sich die behinderten-politische Debatte mehr und mehr zuspitzt. Mit demGestus des Märtyrertums wagen sich nach und nach die-jenigen hervor, die mit einer inklusiven Gesellschaftnichts anfangen können. Man werde ja quasi gesteinigt,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3757
Corinna Rüffer
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wenn man sich traue, etwas gegen Inklusion zu sagen,behaupten sie. Dann zeichnen sie finstere Bilder: Behin-derte Kinder werden auf Regelschulen Tag für Tag insUnglück gestürzt, egal wie sehr sich ihre Lehrerinnenund Lehrer bemühen; ihre Mitschüler begegnen ihnenmit purem Desinteresse, und so äußern die behindertenSchülerinnen und Schüler schon in der ersten Grund-schulklasse, dass sie nicht mehr leben wollen.Ich habe das gelesen und – ganz ehrlich – meinen Au-gen nicht getraut. Inklusion führt also dazu, dass Kindernicht mehr leben wollen? Das ist der größte Unsinn, denich je gehört habe.
Es gibt natürlich ebenso die weniger drastische Vari-ante. Berichtet wird auch über spuckende, schimpfendeund störende Schmuddelkinder auf Regelschulen. Dawird so lange Problem auf Problem geschichtet, bis alleüberzeugt sind, dass das ja wirklich nicht gehen kann mitder Inklusion.Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich kann In-klusion gelingen. Sie gelingt bereits jeden Tag – Tag fürTag. Es gibt genügend Menschen, die begeistert sind undsich starkmachen. Mittlerweile preisen selbst die Arbeit-geberverbände die Qualitäten behinderter Menschen –glücklicherweise.Wir wissen aber auch: Die Zahl der Plätze in denWerkstätten für behinderte Menschen steigt seit Jahrenan; sie sinkt nicht. Gibt es in Deutschland immer mehrMenschen, die nur in solchen Institutionen arbeiten kön-nen? Ich bezweifle das. Hören Sie endlich auf, nur vonInklusion zu reden! Das ist wie mit den bellenden Hun-den, die nicht beißen: Solange Sie nur von Inklusionsprechen, ändert sich gar nichts. Machen Sie auch in Ih-rem Haushalt deutlich, wohin die Reise gehen muss! Wirhaben jahrzehntelang sehr viel Geld in den Ausbau unddie Finanzierung von Sonderwelten gesteckt. Wer eineinklusive Gesellschaft möchte, der muss das ändern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte etwaskonkreter auf zwei Entscheidungen eingehen, die Sie mitdiesem Haushalt treffen. Wir haben hier schon oft überdie Beteiligung des Bundes an den Kosten der Eingliede-rungshilfe gesprochen. Sie haben im Koalitionsvertragsehr viel versprochen – 5 Milliarden Euro jährlich – undbisher wenig gehalten. Sie zahlen nur 1 Milliarde Euro,Sie zahlen erst ab 2015, und Sie haben das handwerklichschlecht gelöst. Es gibt keinen richtigen Zusammenhangzwischen der Form Ihrer Milliardenunterstützung undden steigenden Kosten in der Eingliederungshilfe. Siehaben sich für einen Weg entschieden, mit dem Sie garnicht sicherstellen können, dass das Geld genau da an-kommt, wo es gebraucht wird.Ich möchte auch auf falsche Entscheidungen zu spre-chen kommen, die weniger im Fokus stehen. Der Slogander Behindertenbewegung „Nichts über uns ohne uns“erfreut sich immer größerer Beliebtheit; das ist sehr gutso. Erst kürzlich hat die Kollegin Kerstin Tack hier imBundestag darauf hingewiesen, dass Gesetzgebungsver-fahren sinnvollerweise nur unter Beteiligung behinderterMenschen stattfinden können. Ich teile diese Auffas-sung, solange es ernst gemeint ist.Wir wissen alle, wie sehr sich behinderte Menschendarum bemühen, an Gesetzgebungsprozessen beteiligtzu werden. Gleichzeitig müssen sie sich um die Finan-zierung ihrer Projekte bemühen und darum kämpfen –Tag für Tag. Es gibt eine große Zahl von Initiativen be-hinderter Menschen, die nicht an etablierte Verbände an-gebunden sind und sich daher von Projektantrag zu Pro-jektantrag hangeln müssen.Wenn ich mir den Haushalt dieser Bundesregierungansehe, dann bekomme ich den Eindruck, dass diesesProblem nicht sonderlich ernst genommen wird. Siefinanziert lieber teure Kongresse an repräsentativen Or-ten, auf denen möglichst häufig „Inklusion“ gesagt wird.Sie finanziert außerdem eine Studie zum Wahlrechtsaus-schluss, die wir gar nicht brauchen. Wenn Sie wollten,dann könnten Sie selbstverständlich dafür sorgen, dassunabhängige Initiativen behinderter Menschen soliderfinanziert werden. Von Beteiligung zu sprechen, ohnesich darum zu kümmern, die Möglichkeiten für Beteili-gung zu verbessern, ist doppelzüngig.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir unsereGesellschaft inklusiv gestalten möchten, dann haben wirnoch sehr viel vor uns. Das ist eine Menge Arbeit, beider wir jede Unterstützung brauchen, die wir kriegenkönnen. Es ist aber nicht in erster Linie Arbeit, und es istnicht in erster Linie ein Haufen Probleme, ganz im Ge-genteil: Es macht Spaß. Es ist eine spannende Herausfor-derung. Für viele Menschen ist es die Chance auf etwasNeues.
Eines ist ganz sicher: Es wäre leichter und ein nochgrößerer Spaß, und nicht zuletzt wären wir erfolgreicher,wenn sich auch die Bundesregierung entscheidenkönnte, ihre Finanzen entsprechend zu ordnen.Vielen Dank.
Jetzt hat der Kollege Ralf Kapschack das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Verehrte Damen und Herren! Wir reden heute über vielGeld, über rund 120 Milliarden Euro – eine Summe, dieman sich eigentlich gar nicht vorstellen kann. Aber esgeht nicht um Zahlen, sondern um Politik und die Frage,was wir mit diesem Geld konkret machen, um den Alltag
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3758 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Ralf Kapschack
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der Menschen in diesem Land zu verbessern; darum gehtes. Darüber streiten wir sehr intensiv, und das ist auchgut so.Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns keineSchaukämpfe, sondern klare Alternativen. Die sind jetztauf den Tisch gekommen. Darüber streiten wir uns; dasist auch gut so. Aber die Bürgerinnen und Bürger erwar-ten kein Wünsch-dir-was.Ich will ein Beispiel nennen: Nach Jahren des Abbausder Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik stoppen wirjetzt den Trend und setzen Akzente. Deshalb, mit Ver-laub, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken,ist es schon ziemlicher Unsinn, wenn Sie in Ihrem An-trag behaupten, die Große Koalition führe die Politik derschwarz-gelben Vorgängerregierung fort.Die Ministerin hat schon etwas zur Finanzierung ge-sagt. Das brauche ich jetzt nicht zu wiederholen; Sie ha-ben es ja auch aufgegriffen. Wir können darüber disku-tieren, dass es immer gerne noch ein bisschen mehr seinkönnte; kein Problem. Man kann auch immer darüberstreiten, ob das Glas halb voll oder halb leer ist: Meinsist drei viertel voll.Wir haben es zum Beispiel hinbekommen, dass fürdie Eingliederung von Langzeitarbeitslosen mehr Geldzur Verfügung steht. Das kann man doch nicht ernsthaftbestreiten.
Bislang war es so, dass nicht verausgabte Mittel amEnde des Jahres in den allgemeinen Haushalt zurückge-flossen sind, Kollege Kurth. Diese Mittel waren für Pro-jekte gegen Langzeitarbeitslose weg. Das haben wir ge-ändert. Damit stehen zusätzliche Mittel zur Verfügung.
Das ist im Koalitionsvertrag so verabredet, und dasmachen wir jetzt auch – Schritt für Schritt. Zugegeben:Es könnte mehr sein. Auch ich könnte mir mehr vorstel-len, aber mehr ist im Moment nicht drin.
– Das ist unsere Einschätzung. Da sind wir unterschied-licher Meinung. Das ist auch in Ordnung so.
– Gut, ich habe kein Problem mit Steuererhöhungen. Ichglaube, darüber haben wir ausreichend gesprochen. Wirhaben einen Koalitionsvertrag; da gibt es Verabredun-gen. Daran halten wir uns; Punkt!Ich möchte etwas zum Thema Eingliederungsmittelsagen. Dass diese Mittel eben nicht mehr wie in der Ver-gangenheit zur Haushaltskonsolidierung genutzt werden,macht deutlich – bei aller Bescheidenheit möchte ich dasdoch sagen –, dass hier auf Initiative der SPD ein Um-denken stattgefunden hat. Das ist auch dringend notwen-dig.Es ist schon angesprochen worden: Die Zahl der Be-schäftigten steigt, auch die der sozialversicherungs-pflichtig Beschäftigten. Aber nur sehr wenige Langzeit-arbeitslose profitieren davon. Das heißt, die, die übrigbleiben, haben so gut wie keine Chance mehr. Ich sageihnen ganz offen: Wir als Sozialdemokraten wollen unsnicht damit abfinden, dass Hunderttausende in diesemLand keine Chance haben, einen Job zu bekommen.
Ob das immer eine Beschäftigung auf dem ersten Ar-beitsmarkt sein muss, darüber kann man streiten. Ich binfroh, dass die Arbeitsministerin angekündigt hat, ab demnächsten Jahr mit ESF-Mitteln ein neues Programm für30 000 Langzeitarbeitslose ohne abgeschlossene Berufs-ausbildung aufzulegen. Anders als bei dem Vorgänger-programm sollen diese Menschen länger, gezielter undintensiver betreut werden. Ich hoffe, dass dieses Pro-gramm gerade auch in den Regionen Früchte trägt, dievon Langzeitarbeitslosigkeit besonders betroffen sind,wie dem Ruhrgebiet. Ich gehe einmal davon aus, dassdas funktioniert.Um es klar zu sagen: Ich halte diesen Ansatz für einenSchritt in die richtige Richtung, aber er reicht auf Dauernicht; das wissen wir alle. Es bleibt dabei – auch dassage ich Ihnen ganz offen –, dass die SPD weiterhin füreinen öffentlich geförderten sozialen Arbeitsmarkt ein-tritt,
um auch denen eine Chance zu geben, für die der ersteArbeitsmarkt praktisch unerreichbar ist. Das ist in dieserLegislaturperiode schwierig, weil das der Koalitionsver-trag nicht hergibt. Das ändert aber nichts an der Richtig-keit des Ziels. Deshalb werden wir das weiterhin offen-siv vertreten und dazu auch Ideen entwickeln.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Jetzt hat die Kollegin Astrid Freudenstein das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen! Liebe Kollegen! Die Ministerin hat ihreRede mit dem Verweis auf die Grundpfeiler der sozialenMarktwirtschaft begonnen, das bietet sich bei Haushalts-debatten an. Auch ich will das tun.Unser Tun dient nicht der Stunde, dem Tag oderdiesem Jahr. Wir haben die Pflicht, in Generationenzu denken und unseren Kindern und Kindeskindernein festes Fundament für eine glückliche Zukunftzu bauen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3759
Dr. Astrid Freudenstein
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Dieses wirklich schöne Zitat stammt von LudwigErhard, dem Vater der sozialen Marktwirtschaft. DieseWorte gelten heute ebenso wie vor 50 Jahren, als sie derBundeskanzler damals in seiner Regierungserklärungvorgetragen hat.Diese Worte haben selten eine solche Bedeutung wiebei Debatten um den Bundeshaushalt. Hier bedeutet „inGenerationen zu denken“ nämlich tatsächlich: keineneuen Schulden zu machen, Schulden, die den nachfol-genden Generationen das Leben schwer machen. In die-sem Jahr wäre Ludwig Erhard vermutlich ausgesprochenstolz auf uns, so stolz wie lange nicht mehr.
Die Nettoneuverschuldung in diesem Jahr ist dieniedrigste seit 40 Jahren und wird im kommenden Haus-haltsjahr auf null reduziert. Das ist ein großes Vorhabender Großen Koalition, vermutlich unser wichtigstes Zu-kunftsprojekt. Dass dies zuletzt ebenfalls einer GroßenKoalition gelungen ist, nämlich der unter BundeskanzlerKiesinger 1969, sei in diesem Zusammenhang auch er-wähnt.Den haushaltspolitischen Erfolg haben wir uns seitder Finanzkrise erarbeitet. Kaum ein anderes Land ist sogut aus der Krise herausgekommen wie wir in Deutsch-land. Von einer positiven wirtschaftlichen Entwicklungbegleitet, haben die unionsgeführten Bundesregierun-gen den manchmal harten, aber sehr konsequenten Kon-solidierungskurs gehalten. Der Erfolg gibt uns recht.
Doch auch der ausgeglichene Bundeshaushalt ist nurdann gut, wenn wir Fachpolitiker die vorhandenen Mit-tel effektiv und effizient einsetzen. Wir müssen das, wasda ist, bestmöglich ausgeben.Der Einzelplan 11 des Bundesministeriums für Arbeitund Soziales, um den es gerade geht, hat mit seinen ge-planten Ausgaben von mehr als 122 Milliarden Euro ei-nen Anteil von gut 40 Prozent am Gesamtetat.
Wenn wir in diesem Bereich gut, effektiv und effizientwirtschaften, dann ist das ein Signal für den gesamtenHaushalt. Der vorliegende Haushaltsplan ist dafür eindurchaus gutes Beispiel, meine Damen und Herren.
Begünstigt wird unsere Politik – auch das zu erwäh-nen, gehört zur Ehrlichkeit in der Debatte – von günsti-gen Rahmenbedingungen. Wir haben in unserem Landeine Rekordbeschäftigung, sinkende Arbeitslosenzahlenund daraus resultierend Rekordüberschüsse in den Kas-sen der Sozialversicherung. Aber auch das kommt nichtvon ungefähr. In den vergangenen Jahren hat die Bun-desregierung die Weichen mit einer klugen Arbeits-markt- und Sozialpolitik entsprechend gestellt.Auch im vorliegenden Plan greifen wir an den not-wendigen Stellen an und setzen die Mittel genau dortein, wo sie gebraucht werden. Trotz der niedrigen Ar-beitslosenzahlen bleibt zum Beispiel – das wurde schonerwähnt – die Zahl der langfristig Arbeitslosen hoch, zuhoch. Deshalb soll an der Höhe der Eingliederungsleis-tungen im SGB II festgehalten werden. Es werden sogarweitere 350 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Sokönnen schwer zu vermittelnde Arbeitslose mit sehr in-dividuellen Biografien besser betreut und vermittelt wer-den.Es ist richtig, dass die Bundesregierung, dass die zu-ständige Ministerin die Bekämpfung der Jugendarbeits-losigkeit zu einem Schwerpunkt machen will. Wir stehenbei diesem Thema zwar vergleichsweise gut da, dochZeiten der Arbeitslosigkeit in jungen Jahren wirken sichausgesprochen negativ auf den Rest der Erwerbsbiogra-fie aus. Deshalb dürfen wir bei diesem Problem nicht lo-ckerlassen.
Ein weiteres positives Beispiel aus dem Einzelplan istdie Aufstockung bei der Förderung der Inklusion vonMenschen mit Behinderung. Hier sind Ausgaben inHöhe von mehr als 260 Millionen Euro geplant: so vielwie nie zuvor. Mit dem Bundesteilhabegesetz wird einneues Kapitel der Behindertenpolitik aufgeschlagen. Aufdessen Konzeption muss nun unser Augenmerk liegen.Wir werden das mit Gründlichkeit und Verantwortungs-bewusstsein tun.Ich möchte ausdrücklich davor warnen, sich darin zuübertreffen, nur immer mehr Geld zu fordern. Die For-mel „Je mehr Geld, umso mehr Teilhabe“ ist zu einfachund wird der Aufgabe nicht gerecht.
Frau Rüffer, ich weiß nicht, was Sie damit bewirkenwollen, die Beschäftigten in Werkstätten Sonderweltenzuzuordnen. Ich glaube nicht, dass das unserem gemein-samen Projekt der Inklusion Vorschub leistet.
In diesem Zusammenhang wird auch immer wiederüber die Entlastung der Kommunen diskutiert. Ichmöchte deshalb noch einmal hervorheben, dass der Bundab diesem Jahr die Ausgaben für die Grundsicherung imAlter und bei Erwerbsminderung komplett übernimmt.Dadurch werden die Kommunen um fast 6 MilliardenEuro entlastet. Auch das ist ein wichtiger Schritt, der denKommunen wieder mehr politischen Gestaltungsspiel-raum eröffnet und den sozialen Zusammenhalt inDeutschland stärkt.
Besonders erfreulich ist auch, dass es in den parla-mentarischen Beratungen noch gelungen ist, die Mittelfür das Bundesprogramm „MobiPro“ zu erhöhen. Damitkönnen wir unsere Zusagen einhalten. Das Programm
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3760 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Dr. Astrid Freudenstein
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bietet vielen Jugendlichen aus Europa wieder einePerspektive. Wir leisten damit ganz konkrete Hilfe fürarbeitslose Jugendliche etwa aus Spanien und zeigenauch, wie attraktiv unser Land für junge Fachkräfte ist.Mit diesen Beispielen aus dem Einzelplan sind natür-lich nur einzelne Punkte angesprochen.Noch einmal erwähnt sei die Mütterrente. Sie war füruns von der Union ein Herzensanliegen. Sie wird9,5 Millionen Frauen in unserem Land helfen und ihreErziehungsleistungen in besonderer Weise würdigen,und das ist gut so.
In der kommenden Woche werden wir über eines un-serer großen Projekte, das Gesetz zur Stärkung der Tarif-autonomie, in zweiter und dritter Lesung im Plenumdiskutieren. Mit diesem Gesetz wird es in Zukunft er-leichtert, abgeschlossene Tarifverträge, die berechtigtenöffentlichen Interessen dienen, für allgemeinverbindlichzu erklären. Das wird für mehr Ordnung auf dem deut-schen Arbeitsmarkt sorgen.Auch der Mindestlohn steht auf unserer Agenda. Umes hier ganz deutlich zu sagen: Als christliche Partei liegtes in unserem ureigenen Interesse, dass Arbeit so ent-lohnt wird, dass der Arbeiter sein materielles, sozialesund kulturelles Dasein angemessen gestalten kann, ohneauf Hilfe vom Staat angewiesen zu sein. Das steht völligaußer Diskussion.
Es muss aber auch klar sein, dass politisches Handelnkeine Arbeitsplätze vernichten darf. Nur eine gute Ar-beitsmarktpolitik ist auch eine gute Sozialpolitik.Doch bei der ganzen Freude über die gute wirtschaft-liche, arbeitsmarktpolitische und haushaltspolitische Si-tuation dürfen die schwierigen Entwicklungen, die unse-ren Einzelplan beeinflussen, nicht vergessen werden.Unser Haushalt ist nicht nur der größte Einzeletat desBundeshaushalts. Er ist auch der Haushalt, der am meis-ten vom demografischen Wandel betroffen ist. Wir spre-chen im Zusammenhang mit dem demografischen Wan-del zumeist von Lösungen für die Mehrheit der vielenalten Menschen, die wir bald in Deutschland sein wer-den: von Barrierefreiheit, von Arbeitsplätzen für alteMenschen und von Pflegekräften. Wir dürfen dabei al-lerdings die Jungen nicht vergessen, die dann mit uns zu-sammenleben werden, die weniger werden und die wirmit unserer Politik nicht über Gebühr belasten dürfen.Der angepeilte ausgeglichene Bundeshaushalt für2015 darf keine Ausnahme sein. Er muss für uns zur Re-gel werden. Dabei sind wirtschaftliche Vernunft undmanchmal auch haushaltspolitische Bescheidenheit ge-fragt. Das ist genau das, was Ludwig Erhard in dem ein-gangs erwähnten Zitat meinte. Als Arbeitsmarkt- undSozialpolitiker sind wir dabei besonders gefordert. Inunseren Händen nämlich liegt das Werkzeug, um „unse-ren Kindern und Kindeskindern ein festes Fundament füreine glückliche Zukunft zu bauen“.Herzlichen Dank.
Jetzt hat die Kollegin Katja Mast das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir setzen mitdiesem Haushalt auf vorsorgende Arbeitsmarktpolitikund vorsorgende Sozialpolitik. Wir machen das in Eu-ropa genauso wie in Deutschland. Das will ich beispiel-haft anhand der Jugendlichen deutlich machen. Vielemeiner Vorrednerinnen und Vorredner haben schon aufdie Erfolge bei „MobiPro“ hingewiesen. Wir haben dieMittel dafür im Haushalt 2014 verdoppelt und werdensie bis 2018 verdreifachen. Es gibt valide Berechnungen,wonach wir noch mehr ausgeben können. Wir eröffnenso Chancen auf Ausbildung und Arbeitsmarktbeteili-gung für die Jugend in Europa hier bei uns in Deutsch-land.
Wir setzen ferner in diesem Haushalt, aber auch mitunserer Politik in dieser Koalition auf vorsorgende Ar-beitsmarktpolitik und Chancenpolitik für die Jugendli-chen in Deutschland. Wir wollen die Teilzeitausbildungund die assistierte Ausbildung fördern. Wir wollen eineKultur der zweiten Chance auf Ausbildung etablieren.Auch jemand, der zwischen 25 und 35 Jahre alt ist, solleine zweite und manchmal sogar eine dritte Chance aufAusbildung bekommen. Wir wissen genau, dass in die-sem Bereich die Lebenschancen entschieden werden. Esist klar: Wer eine abgeschlossene Ausbildung hat, dessenRisiko ist geringer, arbeitslos bzw. langzeitarbeitslos zuwerden. Wir wollen, aufbauend auf vielen Vorbildernaus ganz Deutschland, insbesondere aus Hamburg, Ju-gendberufsagenturen etablieren. Wir setzen dabei auf dieZusammenarbeit von Jugendhilfe, Arbeitsvermittlungund Jobcentern.All das sind Punkte, bei denen die abstrakten Begriffe„vorsorgende Politik“ und „vorsorgende Arbeitsmarkt-politik“ für die Jugend in Deutschland, aber auch in Eu-ropa konkret werden. Wir sind mächtig stolz darauf, dasswir das in dieser Koalition mit unserer Ministerin undmit diesem Hause so umsetzen werden.
Jetzt habe ich noch zweieinhalb Minuten Redezeit.Ich habe meine Rede auf zweieinhalb Minuten konden-siert, weil ich auf ein paar Punkte eingehen möchte, diehier in der Debatte genannt worden sind. Ich habe ge-hört: Ihr in der Koalition macht gar nichts zur Bekämp-fung von Armut. Ich habe gehört: Ihr macht nichts, wasdie Kehrseite des Arbeitsmarkts betrifft. Die Arbeits-
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Katja Mast
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marktzahlen sind gut, viele Menschen sind in Arbeit,viele in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung;aber Antworten, was die Kehrseite des Arbeitsmarktsbetrifft, gibt es keine. – Das kann ich nicht unwiderspro-chen stehen lassen.
Wir kämpfen in dieser Koalition für einen flächende-ckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro in Ostund West, ohne Branchenausnahmen. Darüber werdenwir in der nächsten Sitzungswoche diskutieren. Damitholen wir bis zu 5 Millionen Menschen aus der Erwerbs-armutsfalle heraus. Ich finde: Wenn das kein Programmzur Bekämpfung von Armut ist, dann weiß ich nicht, wasein Programm zur Bekämpfung von Armut in dieser Re-publik ist.
Das gilt insbesondere dann, wenn man weiß, dass Kin-derarmut von der Erwerbsarmut der Eltern abhängt.Auch das ist ein wichtiger Aspekt in dieser Debatte.
Wir haben in unserem Rentenpaket die Erwerbsminde-rungsrente verbessert.
Erwerbsminderungsrentner sind diejenigen, die heutevon Altersarmut betroffen sind. Auch da tun wir etwasgegen Altersarmut, bzw. wir haben es schon getan, undzwar ganz konkret durch unsere Gesetzgebung.
Wir werden die solidarische Lebensleistungsrente ein-führen. – Diese Regierung hat noch nicht einmal zwölfMonate hinter sich, und schon wird ihr vorgeworfen, siewürde nichts tun. Ich finde, das ist eine ganz ordentlicheBilanz für die ersten Monate dieser Koalition.
Dann wird hier behauptet – da muss ich meinen Kol-leginnen und Kollegen von den Gewerkschaften schüt-zend zur Seite stehen –, es werde eine Rente ab 60 gefor-dert. Niemand in den Gewerkschaften hat eine Rente ab60 gefordert. Das ist einfach Quatsch. In den Gewerk-schaften gibt es eine berechtigte Debatte darüber, wiewir Flexibilität beim Übergang in die Rente organisierenkönnen. Dazu gibt es ein Modell, das sich Teilrentenennt. Das wenden heute ungefähr 1 000 Menschen inder Republik an. Deshalb kennt man dieses Modell inder Regel nicht. Diese Teilrente ist starr, unflexibel undunattraktiv. Aber sie ist ein ideales Instrument, um in derErwerbsphase weniger, dafür aber über das Rentenalterhinaus zu arbeiten, um insgesamt eine positive Rentenbi-lanz zu haben. Das ist das, was der DGB in die Debattegeworfen hat. Ich finde es unlauter, zu sagen, die Ge-werkschaften forderten eine Rente ab 60. Das tut tat-sächlich gar niemand.
Ich ärgere mich aber auch – das soll mein letzterPunkt sein, Frau Präsidentin – über manche Diskussio-nen über die Inklusion im Zusammenhang mit dem Teil-habegesetz. Es wird behauptet, dass wir Menschen mitBehinderung nicht an der Erarbeitung des Gesetzes be-teiligen wollten. In unserem Koalitionsvertrag steht klar– Frau Ministerin Nahles hat das auch in unserem Aus-schuss deutlich gemacht –, dass wir Zeit, Geduld undMuße für dieses große Vorhaben brauchen, weil wir dieMenschen mit Behinderung beteiligen wollen. Deshalbwird das auch kein Schnellschuss; denn das ist ein tief-greifendes Reformprojekt. Nichts ohne uns, sondern mituns – das ist unser Grundsatz. Den setzen wir auch zu-sammen um. Im Übrigen werden wir uns an die Finan-zierungszusagen halten, die wir in diesem Zusammen-hang im Koalitionsvertrag gemacht haben. Wichtig ist,dass wir das Bundesteilhabegesetz nur mit den Men-schen und den Betroffenen ändern und nicht ohne sie,schon gar nicht gegen sie; denn wir wollen die Inklusionin Deutschland für alle Menschen erreichen.Vielen Dank.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat jetzt der Kol-
lege Mark Helfrich das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Die heutige Debatte über den Einzelplan 11zeigt eines ganz deutlich: Wir reden über sehr viel Geld.Der Einzelplan 11 stellt auch in diesem Jahr den mit Ab-stand höchstdotierten Einzelplan im Bundeshaushalt dar,und das, obwohl wir die 34,2 Milliarden Euro in Summe,die die Linken in ihren Änderungsanträgen zusätzlichfordern, ablehnen werden. Die Bewilligung der gefor-derten Mittel entspräche sportlichen 28 Prozent on topeines bereits sehr großen Einzeletats.
Das Mantra – keine Steuererhöhungen, keine neueVerschuldung –, das Sie, Kollege Birkwald, vorhin hiervorgetragen haben, stand Ihnen, wie ich finde, sehr gut.Wir alle wissen, dass Wiederholung auch eine Lernme-thode ist. Insofern wünsche ich Ihnen viel Erfolg,
und es bleibt Hoffnung für die nächsten Haushaltsbera-tungen.
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3762 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Mark Helfrich
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Mit der Höhe des Etats wächst zugleich unsere Ver-antwortung dafür, dass die zur Verfügung stehenden Mit-tel effektiv und effizient eingesetzt werden. Sie sollenden Menschen zugutekommen, aber auch ihr arbeitspoli-tisches Ziel nicht verfehlen; denn das macht eine erfolg-reiche Arbeits- und Sozialpolitik aus. Damit diese Poli-tik zukunftsfähig ist, braucht sie eine solide finanzielleBasis und gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Diehaben wir in Deutschland in den letzten Jahren dank ei-ner an Wachstumszielen orientierten und auf sparsamesHaushalten ausgerichteten Politik erreicht.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ziehen wir zunächsteinmal Bilanz, und zwar eine Bilanz, die sich sehen las-sen kann. Wir haben in Deutschland so viel Beschäfti-gung wie seit den Wirtschaftswunderjahren nicht mehr.Wir haben seit zwei Jahren konstant die geringste Ar-beitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Wir haben dieniedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa, und wir ha-ben Rekordüberschüsse in der Sozialversicherung. Dassind gute und nachhaltige Entwicklungen. Wir haben diehöchste Erwerbstätigenquote, die es in dieser Republikjemals gab. Im Übrigen haben wir auch – das zeigen dieneusten Analysen des IAB – einen starken Anstieg desPro-Kopf-Arbeitsvolumens zu verzeichnen. Was heißtdas? Das heißt, dass der Trend zu immer mehr Teilzeit-und Minijobs gebrochen ist. Auch das ist eine guteNachricht.
So viele Menschen wie nie sind in einer sozialversi-cherungspflichtigen Beschäftigung, und der Anteil derüber 55-Jährigen an der Gesamtzahl der beschäftigtenErwerbstätigen liegt bei 61,5 Prozent. Selbst bei denüber 60-Jährigen sind es noch über 46 Prozent. DieseZahlen zeigen, dass in den Unternehmen unseres Landesein Umdenken begonnen hat: Immer mehr Firmen sehenältere Mitarbeiter als Gewinn. Angesichts der demogra-fischen Entwicklung in unserem Land, der steigendenAnzahl von Schul- und Bildungsgescheiterten und desdamit einhergehenden Fachkräftemangels wird qualifi-zierte Arbeit immer knapper. Das wird ein Riesenthemafür uns. Insofern werden ältere Mitarbeiter immer wich-tiger, immer wertvoller. Sie werden einen immer höhe-ren Stellenwert in den Firmen bekommen. Das ist auchgut so; denn sie verfügen über großes Wissen und zumTeil über jahrzehntelange Erfahrung. Sie sind ein un-schätzbares Kapital für unser gesamtes Land.
Genau deshalb ist richtig, was wir mit der Anhebung desRehadeckels und der Anpassung der Rehaleistungen andie demografische Entwicklung angestoßen haben. Dasist ein erster Schritt in die richtige Richtung.Wir sind auch international gut aufgestellt, was dieQuote der älteren Erwerbstätigen angeht. Das EU-2020-Ziel, dass 60 Prozent der 55- bis unter 65-Jährigen er-werbstätig sind, haben wir bereits erreicht. LediglichSchweden macht es derzeit noch besser. Ich bin mir si-cher, dass, wenn wir unsere Bemühungen hier verstär-ken, am Ende doch noch etwas geht und wir an dieserStelle noch besser werden können.Eine altersgerechte Arbeitswelt zu schaffen, um Fach-kräfte für unsere Volkswirtschaft zu sichern, und denMenschen eine auskömmliche Rente zu ermöglichen,das sind zwei gleichberechtigte Ziele. Sie müssen zen-trale Ziele unserer Arbeits- und Sozialpolitik sein undbleiben. Nur dann wird es uns gelingen, den Wohlstandin unserem Land dauerhaft zu sichern.Ich freue mich sehr, dass wir uns nicht nur mit unsselbst beschäftigen, sondern auch ins europäische Aus-land schauen. Mit dem Programm MobiPro-EU ist eineMöglichkeit gegeben, zum einen Probleme, die andereEU-Mitgliedsländer haben, zu lindern und zum anderenFachkräfte für Deutschland zu gewinnen. Es ist uns ge-lungen, im Laufe des Haushaltsverfahrens annäherndeine Verdreifachung der Mittel auf jetzt 96,1 MillionenEuro hinzubekommen. Ich weiß, dass das in den Reihender Opposition kritisch gesehen wird in dem Sinne, dasses zu wenig sei. Ich möchte an der Stelle sagen: Es warnie als ein Regelinstrument der Arbeitsmarktförderunggedacht, sondern immer als ein Sonderprogramm. Natür-lich ist es so, dass wir das nur in dem Umfang machenkönnen, wie wir auch Mittel im Bundeshaushalt zur Ver-fügung stellen können.
Die Hoffnung ist, dass wir hiermit etwas anschieben, dasdann von alleine laufen lernt. Wenn Unternehmen mer-ken, wie gut das funktioniert, dann werden sie ihre Be-mühungen intensivieren. Eine Förderung aller jungenMenschen, die in Europa auf der Suche nach einer quali-fizierten Ausbildung sind, werden wir mit MobiPro-EUnie erreichen können; das zu sagen, gehört zur Ehrlich-keit der Diskussion dazu.Ich will nicht nur in die europäische Ferne schweifen,wenn ich über das Thema Fachkräftemangel rede, son-dern natürlich auch an diejenigen Menschen denken, diebereits hier sind und die durch schwierige Situationen imLeben nicht im Arbeitsmarkt verankert sind. Es gilt, un-ser Augenmerk auf diese Menschen zu richten. Wir wol-len alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um denFachkräftemangel auch aus den eigenen Reihen zu de-cken. Das sind Jobchancen für langzeitarbeitslose Men-schen in unserem Land.Wir haben heute 670 000 Langzeitarbeitslose wenigerals 2007. Das ist ein Rückgang um 39 Prozent. Auch dasist eine Zahl, die ich beeindruckend finde. Es sind aberimmer noch über 1 Million Menschen, über 1 MillionSchicksale. Dies zu ändern, daran arbeiten wir, und da-ran müssen wir in Zukunft verstärkt arbeiten. Wir müs-sen denen, die arbeitslos sind, durch Weiterbildung undQualifizierung helfen, damit sie den Sprung in eine Be-schäftigung schaffen, die dauerhaft und existenzsicherndist. Das ist das Ziel. Deshalb senken wir trotz rückläufi-ger Arbeitslosenzahlen nicht die Mittel für Betreuungund Vermittlung von Menschen, die Arbeit suchen; nein,wir stellen in dieser Legislaturperiode den Jobcentern
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3763
Mark Helfrich
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viermal 350 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung.Wer sich dessen bewusst ist, dass es eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Rechtsvereinfachung im SGB II“ gibt,dem bleibt zumindest die Hoffnung, dass zukünftig mehrGeld für die eigentliche Aufgabe zur Verfügung stehtund weniger Geld für Verwaltung draufgeht. Das istauch noch etwas, von dem ich glaube, dass dadurch dieVermittlungsarbeit in den Jobcentern gestärkt wird.
Unser Ziel ist und bleibt es, die Langzeitarbeitslosig-keit abzubauen und Menschen in den ersten Arbeits-markt zu bringen. In diesem Zusammenhang möchte ichgern noch auf das Sonderprogramm des Bundes „Perspek-tive 50plus“ mit derzeit 78 regionalen Beschäftigungspak-ten für ältere Langzeitarbeitslose über 50 verweisen. Mitdiesem Programm soll die Beschäftigungsfähigkeit älte-rer Menschen verbessert werden, um ihre Chancen aufWiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu er-höhen. Die hier erzielten Erfolge sprechen für sich.930 000 langzeitarbeitslose Menschen wurden von denMaßnahmen erreicht, und knapp 330 000 sind in den all-gemeinen Arbeitsmarkt zurückgekehrt. Das ist eine ganzpositive Bilanz.Meine Damen und Herren, das alles zeigt, dass wir esmit dem Prinzip „Fördern und Fordern“ ernst meinen. Eszeigt, dass wir den Menschen wirklich eine Chance ge-ben, auf den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren. DieArbeitsmarktdaten sind Beweis dafür, dass das Prinzip„Fördern und Fordern“, auf dem gute Arbeitsmarktpoli-tik aufgebaut ist, richtig und wichtig ist.In der letzten Sitzungswoche haben wir hier über ei-nen Antrag der Linken debattiert, mit dem sie die Ab-schaffung der Sanktionsmöglichkeiten bei Hartz IV unddamit quasi ein bedingungsloses Grundeinkommen fürdiesen Personenkreis gefordert haben.
– Für diesen Personenkreis!Meine Damen und Herren, Solidarität ist keine Ein-bahnstraße. Das ist hier gesagt worden, und es bleibt da-bei. Es gehört zu einer verantwortungsvollen Arbeits-und Sozialpolitik – und im Übrigen auch zur Haushalts-politik –, wenn der Staat einfordert, dass Menschen, diearbeiten können und denen Arbeit angeboten wird, diesedann auch annehmen.
Ich bin im Übrigen davon überzeugt, dass die Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter der Jobcenter sehr verantwor-tungsvoll mit dem Instrumentarium der Sanktionen um-gehen und dass wir ihnen sehr dankbar sein können fürdiese gute Arbeitsmarktbilanz, die wir in Deutschlandverzeichnen.
Ihnen bin ich sehr dankbar für die Aufmerksamkeitund dafür, dass Sie mir eine Minute länger zugehört ha-ben, als eigentlich geplant war. Danke schön.
Um präzise zu sein: Es waren anderthalb Minuten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe dieAussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 11 des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialesin der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Ände-rungsanträge der Fraktion Die Linke vor.Ich komme nächst zur Abstimmung über den Ände-rungsantrag auf Drucksache 18/1826. Wer stimmt fürdiesen Änderungsantrag? – Das ist die Fraktion DieLinke. Wer stimmt dagegen? – Das sind alle anderenFraktionen. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist die-ser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab-gelehnt.Ich lasse über den Änderungsantrag auf Drucksa-che 18/1827 abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände-rungsantrag? – Das ist die Fraktion Die Linke. Werstimmt dagegen? – Das sind alle anderen Fraktionen.Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist dieser Ände-rungsantrag gegen die Stimmen der Linken mit denStimmen des Rests des Hauses abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 11 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für denEinzelplan 11 in der Ausschussfassung? – Das sind dieKoalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Bünd-nis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Wer ent-hält sich? – Niemand. Damit ist der Einzelplan 11 in derAusschussfassung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-tionen angenommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages-ordnungspunkt II.12 auf:Einzelplan 23Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und EntwicklungDrucksachen 18/1019, 18/1023Die Berichterstattung haben die AbgeordnetenVolkmar Klein, Sonja Steffen, Michael Leutert und AnjaHajduk.Zu den Beschlussempfehlungen liegen ein Ände-rungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Ände-rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.Über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen werden wir später namentlich abstimmen. Da-rüber hinaus hat die Fraktion Die Linke zwei Entschlie-ßungsanträge eingebracht, über die wir am Freitag nachder Schlussabstimmung abstimmen werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazukeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
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3764 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hatNiema Movassat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein ja-panisches Sprichwort besagt: Der Scherz ist das Loch,aus dem die Wahrheit pfeift. – Herr Minister Müller, ausdem Loch haben Sie letzte Woche laut gepfiffen. Waswar passiert? Sie sind mit der kompletten Spitze IhresMinisteriums zur Deutschen Gesellschaft für Internatio-nale Zusammenarbeit, GIZ, nach Eschborn gereist. Da-nach haben Sie gewitzelt – ich zitiere –: Das ist wie beimStaatsbesuch eines Staatschefs eines Entwicklungslan-des. Er muss alle mitnehmen, damit er wieder zurück-kehren kann und nicht geputscht wird.
Hoppla, was ist Ihnen denn da herausgerutscht? Siesuggerieren damit, dass alle Entwicklungsländer Bana-nenrepubliken sind, in denen ständig Staatsstreiche statt-finden. Das ist, was man dem entnehmen kann.
Auch wenn Sie jetzt sagen, das sei nur ein Scherz – dashat Herr Brüderle damals auch gesagt –: MancheScherze sagen einiges über die Denkweise aus.
Ihr Scherz zeigt: Sie meinen es nicht ernst mit der Ent-wicklungspolitik auf Augenhöhe, von der Sie gerne re-den. Solche Äußerungen sind eines Entwicklungsminis-ters unwürdig.
Sie bringen sonst immer wohlformulierte Worte, de-nen man kaum widersprechen kann; aber diese Kommu-nikationsstrategie hat nun zu bröckeln angefangen. Tatenfolgen den schönen Worten meistens nicht. Sie sagenzum Beispiel, dass Sie soziale und ökologische Mindest-standards für deutsche Unternehmen im Ausland wollen.Das klingt super; denn es muss Schluss damit sein, dassdeutsche Unternehmen im Ausland Menschen- und Ar-beitsrechte verletzen, zum Beispiel im Textilsektor.
Nur werden es die Konzerne nicht freiwillig machen; dashaben sie nie getan. Die Profitmaximierung hatte für sieimmer Vorrang vor Menschenrechten.
Wer will, dass mit Dumpinglöhnen in Bangladesch undCo. und einstürzenden Fabriken, die Menschen untersich begraben, Schluss ist, der muss in Deutschland ver-bindliche gesetzliche Regelungen auf den Weg bringen.
Leere Versprechen erleben wir auch beim Haushalt.1970 wurde international vereinbart, dass die Industrie-staaten mindestens 0,7 Prozent ihres Bruttonationalein-kommens für Entwicklungszusammenarbeit aufwendensollen. Herr Müller, Sie haben sich zu diesem Ziel be-kannt, und auch die Kanzlerin tut das immer wieder.
Aber 44 Jahre später legt diese Regierung einen Haus-halt mit einer kläglichen Quote von 0,38 Prozent vor.Der vorliegende Entwicklungshaushalt ist erneut Betrugan den ärmsten Menschen auf der Welt.
Großbritannien, Schweden, Norwegen, Dänemark undLuxemburg haben die Marke von 0,7 Prozent längstüberschritten. Das müssen wir doch auch schaffen kön-nen.
Für die SPD ist dieser Haushalt ein Offenbarungseid.In der Opposition haben Sie lautstark nach mehr Ent-wicklungsgeldern gerufen. Davon ist nichts geblieben.Sie sind als Tiger gesprungen und als Bettvorleger ge-landet.
Entwicklungszusammenarbeit ist übrigens keine no-ble Geste. Entwicklungszusammenarbeit ist nach jahr-hundertelanger kolonialer Ausbeutung eine historischeVerpflichtung.
Sie ist Kompensation für den Klimawandel, dessenHauptverursacher wir sind. Sie ist Wiedergutmachungfür die Zerstörung von lokalen Märkten durch unfaireund ausbeuterische internationale Handelsbeziehungen.Deshalb brauchen wir endlich mehr Geld für Entwick-lungspolitik.
Aber nicht nur das; es kommt auch auf die richtige Ver-wendung an. Auch hier enttäuscht der Budgetentwurf Ih-res Ministeriums.Nehmen wir zum Beispiel die Sonderinitiative „EineWelt ohne Hunger“. Ich finde es richtig, wenn Sie sagen:„Afrika kann sich selbst ernähren“, und: „Wir müssendie kleinbäuerliche Landwirtschaft stärken“. Allerdingssetzen Sie in der Praxis vor allem auf die Zusammenar-beit mit Unternehmen wie Bayer, BASF oder Metro. Un-ter dem Deckmantel der Hungerbekämpfung fördern Sieso die Expansionsbestrebungen von deutschen Unter-nehmen auf afrikanischen Märkten. Weder stärken Sie
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3765
Niema Movassat
(C)
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damit Kleinbauern noch die Unabhängigkeit der afrika-nischen Landwirtschaft. Eine Welt ohne Hunger werdenSie damit schon gar nicht schaffen. Wir als Linke sagen:Keine Entwicklungshilfe für Agrarkonzerne!
Wie widersprüchlich Ihre Hungerbekämpfungspoli-tik ist, zeigt sich am Beispiel Land Grabbing. Es gibt dieFreiwilligen Leitlinien für Landnutzung. Diese sollenLandraub verhindern. Auf internationaler Ebene setztsich die Regierung für die Umsetzung der Leitlinien ein.Bei Unternehmen, die zu 100 Prozent in deutscherStaatshand sind, nimmt es die Bundesregierung abernicht so genau, etwa bei der DEG, der Deutschen Investi-tions- und Entwicklungsgesellschaft, die mit ihren Fi-nanzierungen Land Grabbing gefördert hat. Ich habedeswegen eine Anfrage an Ihr Ministerium gestellt, obdie DEG die Leitlinien anwendet. Die lapidare Antwortist, dass Ihr Ministerium darüber keine Informationenbesitzt, und das, obwohl Sie den Aufsichtsratsvorsitzstellen. Ihr Einsatz ist nicht ernst zu nehmen, wenn Sienicht einmal bei Ihren eigenen Unternehmen die Leitli-nien durchsetzen.
Kommen wir zur nächsten leeren Ankündigung. HerrMüller, Sie haben letzte Woche gesagt, dass Friedensar-beit, Versöhnungsarbeit und Krisenprävention gestärktwerden müssen.Es ist ja schön, dass Sie das sagen; aber unter IhrerKanzlerin ist Deutschland drittgrößter Waffenexporteurder Welt geworden. Das ist die Friedenspolitik Ihrer Re-gierung. Echte Friedenspolitik heißt: Stopp von Waffen-exporten!
Wenn Sie konsequent sein wollen, müssen Sie zudemden Kooperationsvertrag zwischen der Bundeswehr undder GIZ kündigen; denn zivile Hilfe und Militär gehörennicht zusammen. Deshalb sollten Entwicklungsgelderauch nicht für zivil-militärische Zwecke zur Verfügung ge-stellt werden. Diese Verquickung – wie in Afghanistan –gefährdet Entwicklungshelfer, und damit muss Schlusssein.
Im Koalitionsvertrag haben Sie in Aussicht gestellt,mehr Geld für multilaterale Projekte auszugeben, alsofür internationale Organisationen – das begrüßt dieLinke –; aber im vorliegenden Haushalt spiegelt sich dasnicht wider. Konsequent wäre, den Vereinten Nationenendlich deutlich mehr Geld zur Verfügung zu stellen.
Das wäre besonders im Gesundheitsbereich wichtig;denn der zweitgrößte Geldgeber der UN-Weltgesund-heitsorganisation ist mittlerweile die private Stiftung vonBill Gates. Gesundheit ist aber eine öffentliche Aufgabe,über die wir die demokratische Kontrolle auf keinen Fallweiter verlieren dürfen.
Ich sage Ihnen: Wir können die globalen Problemenur international lösen. Zivile Hilfe und Solidarität, daswäre eine echte Wahrnehmung internationaler Verant-wortung, statt der ständige Ruf nach mehr Militäreinsät-zen.Herr Müller, in den ersten Monaten Ihrer Amtszeithaben Sie durch schöne Worte viele überzeugt. Ichhoffe, im Budgetentwurf für 2015 lassen Sie Ihren Wor-ten auch endlich Taten folgen. Wenn Sie hingegen IhrePolitik der leeren Versprechungen fortführen, müssenSie zwar keinen Putsch befürchten, aber Ihre Glaubwür-digkeit werden Sie damit verlieren.Danke für die Aufmerksamkeit.
Volkmar Klein hat als nächster Redner das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Das war eben, wie erwartet, eine typische Oppo-sitionsrede.
Mehr für einen guten Zweck ausgeben: Wer würde dasnicht wollen?
Das als Opposition zu fordern, ist ja auch einfach;
denn eine Umsetzung ist nicht geplant, da man keineVerantwortung trägt.
Bei der allgemeinen Diskussion heute Morgen haben wiraus ähnlich großer oppositioneller Freiheit heraus bereitsdie Forderung gehört, die Verschuldung schneller zusenken und die Steuersätze vorsichtiger anzusetzen. ImGrunde ist das wie links und rechts gleichzeitig blinken.Das ist dann wie eine Warnblinkanlage, die auf einenProblemfall, meist verbunden mit Fahruntüchtigkeit,hinweist. Genau das scheint mir hier der Fall zu sein.
Das kann man von der Großen Koalition nicht sagen.Wir sind unterwegs, und wir sind gut unterwegs. Wirsind auf dem richtigen Weg. Das dokumentiert der Haus-halt in doppelter Art und Weise.
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3766 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Volkmar Klein
(C)
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Zum einen geben wir sehr viel Geld für Entwicklungszu-sammenarbeit aus. Der Ansatz steigt gegenüber demVorjahr um 2,3 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro, obwohlder Gesamthaushalt um 1,8 Prozent auf unter 300 Mil-liarden Euro sinkt. Das stärkt das komparative Gewichtder Entwicklungszusammenarbeit und unterstreicht,welch große Bedeutung wir diesem Bereich beimessen.
Zum anderen ist es wichtig, für die Nachhaltigkeit unse-rer Haushalte zu sorgen und Haushaltskonsolidierung zubetreiben. Das ist nicht nur ethisch, sondern auch im In-teresse der Stabilität geboten. Das ist aber auch Voraus-setzung dafür, in Zukunft leistungsfähig zu sein, alsostark genug zu sein, um Hilfe leisten zu können. Deswe-gen ist es auch für den Haushalt für den Bereich Ent-wicklungszusammenarbeit so wichtig, dass wir keinstrukturelles Defizit mehr haben und in absehbarer Zeitüberhaupt keine Schulden mehr machen wollen.
Wir wollen auch in Zukunft leistungsfähig sein, auchim Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Das wol-len wir nicht nur sein, sondern das müssen wir sogarsein; denn wir dokumentieren das ausdrücklich alsSelbstverpflichtung. Insgesamt haben wir inzwischen,wie aus dem Haushaltsentwurf für alle sichtbar hervor-geht, rund 30 Milliarden Euro an Verpflichtungsermäch-tigungen für Entwicklungszusammenarbeit, für Techni-sche Zusammenarbeit, für Finanzielle Zusammenarbeit,für die gesamte bilaterale Zusammenarbeit, auch durchKirchen und Private, aber auch Entwicklungsbanken undmultinationale Fonds samt dem Globalen Fonds einge-stellt. In diesem Jahr wurden davon 8 Milliarden Eurozusätzlich ausgebracht. Mit unserem Beschluss werdensie als Verpflichtungsermächtigungen hinzukommen. Inder Summe sind das dann 30 Milliarden Euro. Damitverpflichten wir uns als Parlament, entsprechende Mittelin künftige Haushalte einzustellen. Damit ermöglichenwir es der Regierung schon heute, verbindliche Zusagenfür mehrjährige Programme zu machen. Genau das istwichtig. Kontinuität ist wichtig.
Geld wird auf jeden Fall gebraucht – keine Frage –;aber wir bieten mehr als Geld. Darauf zu schauen, ist,glaube ich, mindestens genauso wichtig. Wir bieten Ex-pertise. Deutsche Expertise in Entwicklungszusammen-arbeitsfragen wird geschätzt, auch von anderen Geldge-bern, die beispielsweise die GEZ beauftragen. An dieserStelle muss man ein bisschen aufpassen, dass die GEZ-Preise nicht höher als die Qualität werden.
– Ein berechtigter Beifall.
Trilaterale Projekte der KfW unterstreichen ebenfalls,wie sehr unsere Expertise geschätzt wird.Wir bieten aber nicht nur Expertise, sondern wir bie-ten auch Vielfalt, und zwar jenseits staatlicher Entwick-lungszusammenarbeit. Wir beauftragen mit dem Gelddes Steuerzahlers auch Private, Kirchen und Stiftungen.Diesen Ansatz haben wir im Rahmen der Haushaltsbera-tungen gegenüber dem ursprünglichen Haushaltsentwurfder Regierung im Übrigen noch einmal gestärkt. In vie-len Entwicklungsländern ist ja gerade der Staat dasProblem und nicht Teil der Lösung. Deswegen ist eswichtig, dass wir den Bereich der internationalen Zu-sammenarbeit mit Regionen noch einmal stärken. Dasbietet nämlich unseren Entwicklungszusammenarbeits-institutionen die Chance, jenseits von völkerrechtlichenVerträgen mit diesen Regionen zusammenzuarbeiten.Wir sind aber auch Katalysator. Deswegen haben wirden Ansatz für die Zusammenarbeit mit der Wirtschafterhöht. Beratungsleistungen der DEG, der Deutschen In-vestitions- und Entwicklungsgesellschaft, von rund20 Millionen Euro werden aus diesem Titel finanziert.Das bedeutet Investitionen, das bedeutet Arbeitsplätze,und das bedeutet am Ende mehr Steuerzahler in den ent-sprechenden Ländern, die ihrerseits in der Lage sind, dienotwendige Infrastruktur zu bezahlen. Ganz abgesehendavon sind steuerzahlende Bürgerinnen und Bürger auchviel selbstbewusster gegenüber ihren oft schlechten Re-gierungen. Sie haben viel mehr Kraft, gute Politik einzu-fordern und den Einsatz der oft erheblichen nationalenMittel zu kontrollieren. Eine starke Bürgergesellschaft,das muss unser Beitrag sein.
Lassen Sie mich noch kurz zwei inhaltliche Punkteansprechen:Der Bereich der politischen Schwerpunkte – „EineWelt ohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen, Flücht-linge reintegrieren“, „Stabilisierung in Nordafrika unddem Nahen Osten“ – ist, glaube ich, mit 160 Millio-nen Euro, die wir für dieses Jahr plus Verpflichtungser-mächtigungen eingestellt haben, ein ganz wichtigerPunkt. Einerseits dienen wir damit den Menschen. Dashilft uns aber auch mit Blick auf unsere Interessen; dennSicherheit und sich langfristig entwickelnde Länder, diedann auch wirtschaftlich für uns interessanter sind, dasist auch in unserem Interesse. Das ist nicht nur ein ethi-sches Gebot, sondern für alle gut.Das wird im Moment natürlich stark überschattet vonden dramatischen Herausforderungen, die wir gegenwär-tig in Syrien und im Irak, in der Nahostregion insgesamterleben. Deswegen ist es gut, dass wir durch all dieseInstrumente aktuell Spielraum haben. Der Minister hatangekündigt, dort 50 Millionen Euro zusätzlich einzu-setzen, um etwas zu bewegen. Wenn man aber die Di-mension des Problems sieht, ist unsere Leistungsfähig-keit – das betrifft auch die 50 Millionen Euro – sicherbegrenzt. Deswegen stellt sich schon die Frage, ob wirauf europäischer Ebene nicht viel lauter eine konzertierteAktion einfordern müssen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3767
Volkmar Klein
(C)
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Die Europäische Union hat ganz andere Möglichkei-ten, einmal im Bereich der eigenen Mittel, aber auch imBereich des Europäischen Entwicklungsfonds, in denwir auch in diesem Jahr wieder 670 Millionen Euro ein-zahlen und der bekanntermaßen Abflussprobleme hat.Was hindert die Europäische Union daran, 1 MilliardeEuro in die Hand zu nehmen, um genau das zu tun, wasunser Minister – dabei geht es um die Richtung, in derwir uns bewegen sollten – bereits angezeigt hat? Dassollte honoriert werden, und es sollte in dieser Richtungetwas bewegt werden. Das wäre eine gute Förderung.
Ich komme zu einem weiteren inhaltlichen Punkt,dem Green Climate Fund. Bei der ersten Beratung hierwar das alles noch viel weniger absehbar. In der Zwi-schenzeit haben sich die Dinge konkretisiert. Deswegenist es auch richtig, 750 Millionen Euro Verpflichtungser-mächtigungen in den Haushalt einzustellen, um sie gege-benenfalls einzubringen. Ich sage „gegebenenfalls“, weilwir natürlich ein Interesse daran haben, das im Gleich-schritt mit anderen zu tun. Deswegen sollten wir diesePosition ziemlich genau beobachten. Wir sind aber in derLage, zu handeln, und 750 Millionen Euro sind ein Wort.Insgesamt geht es darum, genauer hinzuschauen, woGeld ausgegeben wird. In den letzten Wochen ist dasBuch Poor Economics der französischen Autorin EstherDuflo und des indischen Autors Abhijit V. Banerjee er-schienen. Das hat mir gezeigt: Es kommt eben nicht da-rauf an, wie viel Geld insgesamt irgendwo hineinge-pumpt wird, sondern darauf, dass es an der richtigenStelle ausgegeben wird. Deswegen ist es völliger Unfug,die Qualität der Entwicklungszusammenarbeit immernur an der Menge des hineingepumpten Geldes zu be-messen.
Wir brauchen sich selbst tragende Strukturen undLänder, in denen immer mehr Menschen zu Arbeitneh-mern bzw. Steuerzahlern werden, damit sie in der Lagesind, ihre Aufgaben selber in die Hand zu nehmen. Dafürbietet dieser Haushalt, glaube ich, eine gute Vorausset-zung. Vor allen Dingen hat Minister Müller damit einehervorragende Grundlage, seine ausgesprochen gute undanerkannte Arbeit fortzusetzen. Dafür alles Gute undviel Erfolg in unserem gemeinsamen Sinne.Herzlichen Dank.
Jetzt hat die Kollegin Anja Hajduk das Wort.
Frau Präsidentin! Meine werten Kollegen! Lieber
Herr Klein, ich kann es Ihnen nicht so durchgehen lassen
– das will ich auch nicht im Sinne der Sache, über die
wir hier reden –, dass Sie hier die Behauptung aufstellen,
dieser Haushalt sei im Vergleich zu anderen Haushalten,
auch von seiner Ausstattung her, gut aufgestellt. Das ist
schlicht und ergreifend falsch.
Ich will das ganz kurz belegen.
Es ist ein Etat, der lediglich durch eine Verschiebung
des Titels „Internationaler Klimaschutz“ aus dem EKF
überhaupt wächst. Sonst würde er um sage und schreibe
gerade einmal 0,1 Prozent wachsen. Im Übrigen ist er ei-
ner von fünf Etats, die die Große Koalition während der
Haushaltsberatungen gekürzt hat. Er wurde, insgesamt
gesehen, nur um eine kleine Summe – 203 000 Euro –
gekürzt.
– Das haben Sie gar nicht gemerkt, Herr Klein. Wir ha-
ben es einmal überprüft.
Als zweiten Punkt möchte ich – das ist mir auch noch
wichtig – feststellen, dass die Dinge, die Sie gerade in
Bezug auf die Stärkung von Titeln beschrieben haben,
letztendlich Anträge aus der Koalition betreffen, die ich
höchstens als Trostpflaster bezeichnen möchte. Das ist
ein Nullsummenspiel. Sie kürzen 40 Millionen Euro bei
der bilateralen Technischen Zusammenarbeit und vertei-
len sie lediglich neu, um einige Akteure ein bisschen zu
beruhigen. Das nennt man Beruhigungspille oder Ablen-
kungsmanöver. Es hilft aber nicht in der Summe.
Der dritte Punkt ist mir von der Dimension der politi-
schen Botschaft her wichtig. Die ersten beiden Punkte
will ich gar nicht so hochhängen; es sind nur kleine Be-
lege. Der dritte Punkt ist, dass dieser Etat der Rolle und
der Verantwortung Deutschlands in der Welt nicht ge-
recht wird.
Die dramatische Aussage ist, dass wir einen Etat für das
Jahr 2014 und eine Finanzplanung für das Jahr 2015 vor-
legen, bei denen völlig in den Sternen steht, wann
Deutschland die Zusage, eine ODA-Quote von 0,7 Pro-
zent des BIP zu erreichen, einlösen will. Das steht völlig
in den Sternen. Es ist eine Nullaussage. Genau genom-
men ist es eine Absage der deutschen Regierung an die-
ses internationale Ziel. Das ist die schlechte Botschaft,
die diesem Etat innewohnt.
Frau Hajduk, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Klein zu?
Ja, das muss ich wohl.
Frau Kollegin Hajduk, Sie wissen, dass in allen Ein-zelplänen die Ansätze für Öffentlichkeitsarbeit derMinisterien gekürzt wurden, also auch in diesem Einzel-
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3768 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Volkmar Klein
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plan. Der Umstand, dass die Regierung weniger Mittelfür Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung hat, wird norma-lerweise von der Opposition begrüßt.Zweitens. Der beschriebene Umstand, dass sich Geldaus dem EKF im Einzelplan 23 findet, stimmt. Umge-kehrt darf dann aber nicht vergessen werden – das istnachlesbar auf Seite 54 dieses Einzelplans –: 127 Millio-nen Euro, die zufällig im letzten Jahr aus Goldverkäufenund Abführungen an den Internationalen Währungs-fonds im Haushalt standen, stehen nun zusätzlich fürEntwicklungshilfe zur Verfügung. Das heißt, eigentlichkönnen beide Positionen – deswegen habe ich sie ebennicht erwähnt – gestrichen werden, und man kann beidieser deutlichen Steigerung von 2,3 Prozent bleiben.
Werter Herr Kollege, zu den Streichungen: Wenn Siedie Mittel des Ministers für Öffentlichkeitsarbeit kürzen,dann versperren wir uns dem nicht grundsätzlich. Ichwollte nur deutlich machen: Bei anderen Etats haben Siees dann aber an anderer Stelle kompensiert. Das habenSie beim Einzelplan 23 noch nicht einmal in dieser klei-nen Größenordnung geschafft. Deswegen bleibe ich da-bei: Ihre Ausführungen zum Einzelplan 23 sind mitgroßen Worten versehen, aber mit wenigen Zahlen un-terlegt. Wir bleiben bei unserer Analyse, dass es eineVerschiebung ist und dieser Etat nicht ausreichendwächst.
– Ich möchte meine Rede jetzt fortsetzen.Ich habe schon deutlich gemacht – ich möchte nicht,dass dieser Punkt zu kurz kommt –: Der Minister weiß,dass es für ihn auf internationalem Parkett schwierig ist.Es reicht nicht aus, die sogenannte Niebel-Delle auszu-gleichen. Bei der Niebel-Delle trägt im Übrigen auch dieCDU/CSU Verantwortung. Sie haben diese Delle mitverursacht.
Sie dürfen sich jetzt nicht dafür auf die Schulter klopfen,dass Sie diese gerade einmal ausgleichen. Sie haben dieÖffentlichkeit glauben machen wollen, dass Sie die Mit-tel im Entwicklungsbereich um 2 Milliarden Euro erhö-hen. Der Minister hat es eingeräumt: Ja, es ist ein Fort-schritt, aber nur ein Erkenntnisfortschritt. Es sind ja nur1,5 Milliarden Euro. Ein materieller Fortschritt steht aus.Ich muss ganz deutlich sagen: Liebe SPD, es gehtnicht, dass Sie sich in der Großen Koalition zurückleh-nen. Sie haben bei den letzten Haushaltsberatungen indiesem Hause namentlich mit 137 Abgeordneten dafürgestimmt, dass ein Weg aufgezeigt werden muss, wieDeutschland die ODA-Quote erfüllt. Was jetzt bei die-sem Einzelplan herauskommt, ist eine gnadenlos großeEnttäuschung.
Sie müssen nachlegen. Nächste Woche steht der Kabi-nettsbeschluss zum Haushalt 2015 an. Dann muss derMinister liefern. Da müssen Sie liefern. So geht es nichtweiter.
Wir reden hier nicht von Theorie. Die Grünen habenvorgelegt, wie man gegenfinanziert den Weg zur Errei-chung der ODA-Quote bestreiten kann. Wir legen Haus-haltsverbesserungen in Höhe von 1,3 Milliarden Eurovor; unsere Vorschläge sind gegenfinanziert. Ich mussnoch einmal in aller Härte an die Kollegen von der SPDsagen: Ihr haushaltspolitischer Sprecher Johannes Kahrshat uns gestern angegriffen, wir würden ein kleines Karozeichnen, wenn wir uns darüber aufregten, ob 800 Mil-lionen Euro als Steuermehreinnahmen richtig veran-schlagt sind oder nicht. Wenn wir 1,3 Milliarden Euromehr für den Einzelplan 23 zur Verfügung stellen könn-ten mit der festen Aussicht darauf, dass Deutschland dieODA-Quote erreicht, dann ist das kein kleines Karo,sondern eine Aussage mit großer Wirkung.
Wenn Sie selber noch nicht einmal kleine Karos können,wie wollen Sie sich dann überhaupt an solchen interna-tionalen Zielen messen? Da müssen Sie in sich gehenund liefern.
Ich möchte noch ein Wort zum internationalen Klima-schutz sagen. Deutschland hat im Zusammenhang mitder globalen Klimaerwärmung neben der ODA-Quoteeine zweite messbare, wichtige und große internationaleVerantwortung wahrzunehmen. Wir stehen im Wort, wasdie auf dem Klimagipfel in Kopenhagen 2009 selbst ge-gebene Zusage angeht, dass Deutschland dabei ist, wennab 2020 100 Milliarden Euro für die internationale Kli-mafinanzierung zur Verfügung gestellt werden. Deutsch-land trägt daran einen Anteil von 10 Prozent.Wenn man grob kalkuliert, dass sich private und öf-fentliche Hand die Beiträge teilen, was ich richtig finde,dann müssen wir unsere Beiträge bis zum Ende diesesJahrzehnts verdoppeln. Jetzt liegen sie bei 1,8 Milliar-den Euro. Wir müssen aber mindestens an 4 Milliarden,wenn nicht an 5 Milliarden Euro herankommen. Dafür,Herr Minister, müssen Sie einen glaubwürdigen Auf-wuchspfad beschreiben. Das können Sie auch zusammenmit der Kollegin Hendricks tun; das ist an beide Häusergerichtet. Es kann aber nicht die Antwort sein, dass FrauMerkel ihre Teilnahme am New Yorker Ban-Ki-moon-Gipfel absagt und nicht dorthin fährt. Deutschland mussseine internationalen Versprechen halten. Deswegen istes falsch, dass Sie Mittel beim internationalen Umwelt-schutz gekürzt haben.
Wir wollen hier 500 Millionen Euro draufpacken. Neh-men Sie sich ein Beispiel daran. Wenn Sie es diese Wo-che nicht schaffen, haben Sie nächste Woche im Kabi-nett die Gelegenheit dazu. Wir werden Sie daran messen.Schönen Dank.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3769
(C)
(B)
Jetzt hat die Kollegin Bärbel Kofler das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Auch wenn Sie, Frau Kollegin Hajduk, sie als Ba-
gatellen abgetan haben, möchte ich zu Beginn auf einige
Punkte hinweisen, die wir Fachpolitiker uns sehr wohl
überlegt haben, auch wenn sich die Aufwüchse im Milli-
onenbereich bewegen, es manchmal um 5 Millio-
nen Euro und manchmal um 10 Millionen Euro geht.
Außerdem haben wir perspektivisch für die nächsten
Jahre Verpflichtungsermächtigungen eingestellt, also
Planungssicherheit für die Institutionen hergestellt; da-
rauf möchte ich schon hinweisen.
Es geht mir um ein paar Dinge, zum Beispiel um den
Zivilen Friedensdienst. Er ist für uns ein ganz wichtiges
Projekt und nicht zur Beruhigung gedacht. Die Mittel-
aufwüchse inklusive der Verpflichtungsermächtigungen
sollen – das ist mit den Organisationen so besprochen –
einen ordentlichen Aufbau an Expertise und Personal er-
möglichen.
Ich finde eines besonders wichtig – ich unterstreiche
das am Beispiel des Zivilen Friedensdienstes –: Hier
geht es um zivile Krisenprävention und um Konfliktbe-
arbeitung. Es muss uns gelingen, für einen Aufwuchs an
Personal zu sorgen. Der Zivile Friedensdienst sagt ja
selbst, dass er bei einem Mittelaufwuchs wie dem, den
wir beschreiben, mehr Personal in fragile Staaten entsen-
den und dort zur Konfliktbearbeitung beitragen könnte.
Das ist nicht zur Beruhigung gedacht und wird nicht ne-
benbei gemacht, sondern ist ein ganz wichtiger und ent-
scheidender Punkt.
Ähnliches gilt für die Stiftungen. Wir haben hier
schon oft darüber diskutiert, welch herausragendes In-
strument sie für uns in Deutschland im Hinblick auf die
internationale Politik sind. Ich finde es richtig, dass wir
den Baransatz für die Stiftungen um 5 Millionen Euro,
die Verpflichtungsermächtigungen aber um 40 Millio-
nen Euro erhöhen. Damit eröffnen wir eine Perspektive
für die Zukunft, die ich für richtig halte,
um Demokratisierungs- und Friedensinitiativen und die
Entwicklungsförderung voranzutreiben.
Ähnliches gilt – das ist von allen Vorrednern schon
erwähnt worden – für den Green Climate Fund. Es war
nicht selbstverständlich, dass wir die 750 Millionen Euro
jetzt in unserem Haushalt haben. Ich finde es richtig,
dass das BMUB und das BMZ gemeinsam die Verant-
wortung für diese Mittel übernehmen. Auch das ist nicht
etwa Makulatur. Wir wissen ganz genau, dass es dabei
um Anpassungsmaßnahmen geht; Barbara Hendricks,
die Umweltministerin, sagte das ganz deutlich. Es geht
um die Länder, die am stärksten vom Klimawandel be-
troffen sind, aber die geringsten Möglichkeiten haben,
sich zu schützen oder eigene klimapolitische Entwick-
lungen voranzutreiben. Diese Mittel gehören eingestellt.
Selbstverständlich – zu diesem Punkt stehe ich und zu
diesem Punkt kommen wir in den nächsten Haushaltsbe-
ratungen auch noch – kann das nur der erste Schritt sein;
das muss man an dieser Stelle deutlich machen. Wir wis-
sen, welche großen Herausforderungen wir mit der
Langfristfinanzierung in Kopenhagen zugesagt haben
und wie groß der deutsche Anteil in den nächsten Jahren
ungefähr sein wird: 8 Milliarden Euro. Hier haben wir
große Herausforderungen vor uns.
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Hajduk zu?
Sicher.
Frau Kollegin, ich möchte Sie fragen: Stimmen Sie
mir denn zu, dass dieser Antrag, jetzt eine Verpflich-
tungsermächtigung in Höhe von 750 Millionen Euro in
den Haushalt aufzunehmen, letztlich nichts anderes ist
als die Bereinigung einer Lücke, die wir schon gemein-
sam in der ersten Lesung festgestellt haben? Sie ist nö-
tig, damit Deutschland sich – ich würde es mal so be-
schreiben – auf dem Ban-Ki-moon-Gipfel im Herbst
nicht blamiert, wo wir mit leeren Händen dagestanden
hätten. Das ist im Grunde nichts anderes als die Bereini-
gung einer Lücke; schließlich war diese Verpflichtungs-
ermächtigung schon im letzten Etat von Schwarz-Gelb
vorgesehen. Das war eine Pflichtaufgabe, würde ich ein-
mal sagen. Ich würde Sie fragen, ob Sie dem zustimmen –
vielleicht mit einer etwas anderen Rhetorik.
Über die Rhetorik können wir immer streiten. – Aberich bin selbstverständlich der Meinung, dass es einePflichtaufgabe Deutschlands ist, ordentlich Mittel fürden internationalen Klimaschutz einzustellen.Wenn man im ersten Haushaltsentwurf eine Lückefeststellt, ist es doch prima, wenn man bereit ist, an die-ser Lücke zu arbeiten und eine Veränderung vorzuneh-men.
Das gilt im Übrigen auch – zu diesen Punkten möchteich dann auch noch kommen – für eine ganze Menge an-derer internationaler Verpflichtungen. Wir haben hierschon über den Globalen Fonds gesprochen. Ich finde esgut, dass wir den Ansatz für die Barmittel im Vergleichzum Haushaltsansatz 2013 um 45 Millionen Euro erhöhthaben. Aber ich sage auch – das wissen wir alle, die wirhier sitzen –: Das reicht nicht. Gerade der Globale Fondszur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria hatMillionen Menschen das Leben gerettet, Millionen HIV-Infizierten, Millionen Tuberkuloseerkrankten. Greifenwir im Bereich der Malariaprophylaxe Tansania heraus:Mittlerweile können 65 Prozent der Kinder dort unter ei-nem Moskitonetz schlafen. Die Kindersterblichkeit istum 45 Prozent zurückgegangen.
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3770 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Dr. Bärbel Kofler
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Ich erwähne das auch deshalb, weil das ein Beispieldafür ist, dass wir, was die Verpflichtungsermächtigun-gen für den Globalen Fonds anbelangen, noch einiges zutun haben; das möchte ich in diesem Hause ganz deutlichunterstreichen. Die Wiederauffüllungskonferenz für die-sen Fonds steht im Juni 2016 an. Es ist dringend nötig,darzustellen, wie wir uns den Pfad für den deutschenAnteil in Zukunft vorstellen.
Ich sage ganz deutlich – man kann das auch mit Zahlenuntermauern –: Bei den Verpflichtungsermächtigungenmüssen mindestens 750 Millionen Euro für drei Jahreeingestellt werden. Ich halte das für essenziell.Wir haben noch viel zu tun, auch in anderen interna-tionalen Bereichen: Ich erwähne die ImpfkampagneGAVI, für die im Februar des nächsten Jahres eine Wie-derauffüllungskampagne ansteht. Auch hierfür werdenwir Verpflichtungsermächtigungen einstellen müssen,wenn wir beim Schutz von Menschen in Entwicklungs-ländern durch Gesundheitsprävention ordentlich voran-kommen wollen. Das werden Summen sein, die sich inder Größenordnung von 250 Millionen Euro bewegen;das muss man an dieser Stelle deutlich aussprechen.
Das gilt für die nächsten Haushalte.Ähnliches wird auf uns bei der Globalen Bildungs-kampagne, der Partnerschaft für Bildung, zukommen.Wir wissen: Es ist in den letzten Jahren viel in Grundbil-dung investiert worden, sowohl seitens der internationa-len Gemeinschaft als auch seitens der Entwicklungslän-der selbst; es ist viel erreicht worden. Aber wir wissen,dass große Summen nötig sind, um die Bildung qualita-tiv voranzubringen und den Menschen wirklich dauer-haft Zugang zu guter Bildung zu verschaffen. Wirwissen, wir werden auch hier Verpflichtungsermächti-gungen in dreistelliger Millionenhöhe brauchen; dasmuss man an dieser Stelle aussprechen.
Ich nenne diese Zahlen auch deshalb so deutlich, weilich die Hoffnung habe, dass es dem BMZ gelingt, das Fi-nanzministerium – leider ist vom Finanzministerium kei-ner da, wenn es ums Geld geht; schade! –
zu überzeugen, dass Investitionen in diese Bereiche In-vestitionen in die Zukunft sind, die mittelfristig auchGelder sparen werden, auch für Deutschland. Es ist auchökonomisch sinnvoll, in den Klimaschutz, in die Ge-sundheitsvorsorge und in die Bildung zu investieren, undich hoffe, dass das BMZ diese Erkenntnis dem Finanz-ministerium für den Haushalt 2015 nahebringen kann.
Einen Schmerz – es ist vielleicht nur ein kleinerSchmerz – verspüre ich bei diesem Haushalt schon. Ichfinde es sehr schade, dass es nicht gelungen ist, dem An-trag Folge zu leisten, den wir als Fachpolitiker zumThema „Deutsches Institut für Entwicklungspolitik“fraktionsübergreifend eingebracht haben. Ich hoffe, hiergibt es in der nächsten Zeit noch eine konstruktive Lö-sung. Worum geht es? Es geht um geringe Summen undum die Verstetigung der Entwicklungsforschung inDeutschland. Für die, die es nicht wissen: Mit dem Deut-schen Institut für Entwicklungspolitik haben wir einesder weltweit führenden Institute in diesem Bereich.Wenn man sich das Global Think Tank Ranking an-schaut, dann sieht man, dass es auf dem Gebiet der Ent-wicklungsforschung zu den fünf führenden Instituten inEuropa und zu den sieben führenden Instituten weltweitgehört. Ich glaube, das ist ein Bereich, den wir stützendvoranbringen und weiter fördern sollten.
Weil wir über den Haushalt reden, was immer die Ge-legenheit ist, auch noch ein paar andere Akzente zumThema Entwicklungspolitik einzubringen, möchte ichschon auch noch einmal auf eine für mich große Heraus-forderung der Entwicklungspolitik in der nächsten Zeiteingehen. Eine der größten Herausforderungen ist es, fürmenschenwürdiges Leben und Arbeiten in der gesamtenWelt Beiträge zu leisten.Worum geht es? Es geht darum – die ILO nennt er-schreckende Zahlen; das muss man sich wirklich immervor Augen halten –, dass rund 21 Millionen Menschen– das ist eine Zahl der ILO – unter sklavenähnlichen Be-dingungen arbeiten. Ich muss an dieser Stelle auch sa-gen: Für menschenwürdige Arbeitsbedingungen brau-chen wir verbindliche Regeln in der einen Welt.
Freiwillige Selbstverpflichtungen, so schön sie vondem einen oder anderen auch sein sollen und so schönsie von der einen oder anderen Institution auch gemeintsind, reichen hier nicht aus. Sie verbessern die Arbeits-bedingungen der Menschen nicht. Sie schaffen keineneuen Fluchtwege und Sanitäranlagen und sorgen nichtfür Lärm- und Gesundheitsschutzmaßnahmen am Ar-beitsplatz. Das erreichen wir nicht durch freiwillige Re-gelungen. Sie tragen auch nicht dazu bei, dass die Men-schen ausreichende Einkommen erwirtschaften können,von denen sie sich selbst ernähren und zum Beispiel ei-nen Beitrag für die Ausbildung ihrer Kinder in der Zu-kunft leisten können. Hier brauchen wir verpflichtendeStandards und verpflichtende Regeln.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3771
Dr. Bärbel Kofler
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Die Entwicklungspolitik hat die Aufgabe, internatio-nal Anstöße zu geben. Man kann sehr wohl mit Partnernauch einmal über das dortige Arbeitsrecht sprechen.Aber auch wir müssen über unsere nationalen Regelun-gen und darüber nachdenken, wie wir sie verändernmüssen.Ich nenne einmal ein paar Beispiele:Für die Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirt-schaft und Menschenrechte braucht man einen Nationa-len Aktionsplan. Wir brauchen eine EU-Richtlinie zuden Konfliktmineralien, um hier für verbindliche Regelnzu sorgen. Die sozialen Sicherheitssysteme müssen welt-weit vorangebracht werden; denn wer krank ist unddurch seine Krankheit seine Arbeit verliert und mittelloswird, kann sich nicht nachhaltig selbst aus der Armut be-freien. Schließlich geht es auch darum, Ressourcen inden Entwicklungsländern selbst zu gewinnen und die fi-nanziellen Ressourcen der Entwicklungsländer zu stär-ken und zu verbessern. Hierbei geht es um das Steuer-system in diesen Ländern. Dazu kann man sehr vielbeitragen – auch im Rahmen der Entwicklungspolitik –:durch Beratung, Unterstützung und Know-how.Wir müssen aber auch die Frage stellen, wie zum Bei-spiel Transparenz bei Rohstoffentnahmen hergestelltwerden kann, damit die Unternehmen – auch deutsche –,die in Entwicklungsländern tätig sind, ihre Gewinne or-dentlich versteuern und die abgeführten Gelder in dieSysteme der dortigen Länder eingespeist werden kön-nen.
Das zeigt: Es gibt eine Reihe von Herausforderungen,die wir sicher nicht nur alleine im Rahmen der Entwick-lungszusammenarbeit bewältigen können. Hier sindauch die Außenpolitik, die Umweltpolitik, die Energie-politik, die Wirtschaftspolitik, die Rechtspolitik und zumTeil auch die Forschungspolitik gefragt. Ich glaube aber,die Entwicklungspolitik hat hier die Aufgabe, der Motorzu sein und dafür zu sorgen, dass sich die internationaleZusammenarbeit an den Zielen der Armutsbekämpfungund der nachhaltigen Entwicklung orientiert.Danke.
Jetzt hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer das Wort.
Frau Präsidentin! Wir schauen heute gemeinsam aufden Einzelplan 23 des vorliegenden Haushalts. Und wassehen wir? Die Mittel im Haushalt des BMZ wurdennicht zurückgefahren, der Haushalt bleibt stabil. Ichfinde, auch das kann man einmal so sagen. Es ist auchein Bekenntnis Deutschlands, zu seinen Verpflichtungengegenüber den Schwellen- und Entwicklungsländern zustehen und seine Verantwortung in der Welt wahrzuneh-men.Der Haushaltstitel des BMZ ist im Übrigen der zehnt-größte und insgesamt immerhin der zweitgrößte Investi-tionshaushalt. Auch darüber können wir ruhig einmalreden; das ist eine tolle Leistung. Das ist nämlich keineSelbstverständlichkeit. Ein Blick in die Geschichte zeigt,dass 2005 dem Haushalt für Entwicklungszusammenar-beit noch nicht einmal 4 Milliarden Euro zur Verfügungstanden. Heute beläuft er sich auf knapp 6,5 MilliardenEuro. Das ist eine Steigerung von etwa 50 Prozent. Esgibt nur einen einzigen Haushalt in der BundesrepublikDeutschland, der einen größeren Aufwuchs hat: Das istder Haushalt des Ministeriums für Bildung und For-schung.
In beiden Fällen bin ich der Meinung, dass das Geld her-vorragend angelegt ist. Die Anlagen sind auf Nachhal-tigkeit, auf Entwicklung und in unserem Fall auch aufinternationale Zusammenarbeit ausgerichtet.
Was sehen wir noch, wenn wir uns diesen Haushaltanschauen? Wir sehen zum Beispiel drei Sonderinitiati-ven unseres Ministers, die sich zusammen auf insgesamt160 Millionen Euro Barmittel belaufen. Die erste Initia-tive „Eine Welt ohne Hunger“, liebe Freunde, bedeutet,Ernährungssicherung und ländliche Entwicklung mehrdenn je in den Mittelpunkt zu rücken. Das brauchen wirangesichts der großen Anzahl von hungernden Men-schen, nämlich über 1 Milliarde. Deshalb ist es richtig,darauf den Schwerpunkt zu legen, Herr Minister.Die zweite Initiative „Fluchtursachen bekämpfen“widmet sich den Maßnahmen für Flüchtlinge einerseitssowie den Auswirkungen in den Aufnahmeländern oder-regionen andererseits. Dabei stehen natürlich die Kon-flikte, wie zurzeit in Syrien, in der ZentralafrikanischenRepublik, in Mali, im Südsudan, im Fokus. Die humani-tären Katastrophen in diesem Zusammenhang sindunzählig. Ich bin froh, dass Volkmar Klein schon etwasdazu gesagt hat. Wir wollen mit Unterstützung desMinisters versuchen, hier die Europäische Union einzu-beziehen. Ich glaube, das ist dringend notwendig.
Die dritte Sonderinitiative „Nordafrika und NaherOsten“ deckt alle Maßnahmen ab, die zur Stabilisierungdieser Region beitragen. Diese Region betrifft uns, undzwar direkt und unmittelbar. Deshalb sind Maßnahmenzur Demokratisierung, zur Krisenprävention, zur Kon-fliktprävention, zur Stärkung der zivilgesellschaftlichenStrukturen – Maßnahmen, die in unserem ureigenen In-teresse liegen – wichtig. Ich finde es gut, dass wir dieseMaßnahmen ergreifen. Wir helfen vor allen Dingen denMenschen vor Ort. Das ist das Wichtigste, was wirmachen können.Das sind die drei Sonderinitiativen des Ministers. DerMinister hat hervorragende Prioritäten gesetzt. Vielen
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3772 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Sibylle Pfeiffer
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Dank und Anerkennung dafür, lieber Gerd Müller, dasist wirklich eine tolle Leistung. Aber auch wir Abgeord-neten waren nicht untätig. Wir haben unsere eigenenPrioritäten gesetzt. Aber vielleicht darf ich an dieserStelle einen weiteren Dank aussprechen, einen Dank andich, liebe Bärbel Kofler, für die vertrauensvolle und un-komplizierte Zusammenarbeit.Ich danke ausnahmsweise auch einmal den Haushäl-tern.
Das gelingt mir nicht immer. Es ist definitiv das ersteMal, lieber Norbert Barthle, lieber Volkmar Klein, liebeFrau Steffen, dass es uns mit eurer Unterstützung gelun-gen ist, dass vor allem die parlamentarischen Initiativenfast eins zu eins übernommen wurden. Darauf sind wirals Entwicklungspolitiker ganz besonders stolz. Wirhaben auch lange darauf hingearbeitet; das gebe ich zu,das war auch nicht immer ganz einfach. Aber das ist un-sere Art, sicherzustellen, dass die Themen auf unsererPrioritätenliste umgesetzt werden, zum Beispiel dasThema Klima- und Ressourcenschutz, das Thema Ge-sundheit in den Entwicklungsländern, das Thema Unter-stützung des Green Climate Fund, das Thema guteRegierungsführung, aber vor allen Dingen auch dasThema Stärkung der Zivilgesellschaft; das ist für dieUnion ein Herzensanliegen. Deshalb sind wir immerwieder froh über die gute Zusammenarbeit mit den Kir-chen und den Stiftungen vor Ort. Das sind Kontakte,Möglichkeiten, Beziehungen und damit verbundeneErkenntnisse, die wir nicht missen wollen. Das ist fürunsere Zusammenarbeit richtig und gut, und wir könnenuns darauf verlassen. Deshalb sind die Mittel dafür gutangelegtes Geld.Das Bekenntnis zu einer verstärkten Zusammenarbeitmit der deutschen Wirtschaft ist mir persönlich auch einAnliegen. Es gibt keinen Grund, mit Scheuklappen undSchaum vor dem Mund daranzugehen. Es geht um dieIntensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit,und das ist wichtig. Denn wir müssen die wirtschaftlicheZusammenarbeit stärken. Wir müssen die kleinen undmittelständischen Unternehmen in den Entwicklungslän-dern stärken. Sie müssen anfangen, ihre eigene Wirt-schaftsfähigkeit, Überlebensfähigkeit und Lebensfähig-keit für die Zukunft für sich und ihre Kinder zuentwickeln.
– Soll ich kurz unterbrechen? Wollt ihr klatschen?
Ich will so viel sagen. Deshalb muss ich mich schon wie-der beeilen. Das ist doch furchtbar.Auch die Kooperation mit der Wirtschaft trägt dazubei, dass wir peu à peu über das 0,7-Prozent-Ziel redenkönnen. Jawohl, liebe Frau Hajduk – sie hört geradenicht zu –,
auch ich habe die Erklärung unterschrieben. Nicht unter-schrieben habe ich erstens, dass es sofort passieren muss.
Ich habe zweitens nicht unterschrieben, dass ich es unterMissachtung sämtlicher haushalterischer Notwendigkei-ten machen will.
Ich habe zum Dritten nicht unterschrieben, dass ich esunter Missachtung jeglicher gesamtpolitischer Verant-wortung mache, die ich für mich sehr wohl sehe. Ich binzwar Entwicklungspolitikerin, aber ich habe auch eineVerantwortung für die Gesamtpolitik.
Jetzt kommen wir nämlich zu den Milliardenbeträgen,die wir dafür brauchen, liebe Freunde. Das sage ich mitBlick auf die Anträge. Ich komme zuerst zu der Links-fraktion. Ich habe einmal nachgerechnet. Im Ausschusshaben Sie uns 5 Milliarden Euro vorgelegt. Na prima,das ist eine stolze Summe. Das kann man schon machen.Jetzt ist es nur noch 1 Milliarde Euro an Barmitteln ohnejegliche Gegenfinanzierung.
Natürlich habe ich von den lieben Kollegen von den Lin-ken nicht sehr viel mehr erwartet. Meine Erwartungenwaren nicht sehr hoch. Aber bezeichnend ist für mich,dass der Kollege Movassat bis zum heutigen Tag vonEntwicklungshilfe spricht.
Lieber Kollege, darüber sind wir zum Glück schon sehr,sehr lange hinaus.
Was wir machen, ist Entwicklungszusammenarbeit. Wirmachen eine partnerschaftliche Zusammenarbeit. Wir ar-beiten mit den Partnerländern zusammen, zielgerichtetund in Absprache mit ihnen. Das Thema Entwicklungs-hilfe, lieber Freund, haben wir schon lange, lange hinteruns.
Deshalb konnte ich von dem, was Sie uns an Anträgenvorgelegt haben, auch nicht enttäuscht sein.
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Sibylle Pfeiffer
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Die Enttäuschung über die Grünen war extrem vielgrößer, um ehrlich zu sein. Natürlich kann man dieHaushaltsmittel um 800 Millionen Euro anheben.
– Barmittel, nicht gegenfinanziert und schon gar nichtmit entsprechenden Verpflichtungsermächtigungen aufNachhaltigkeit angelegt. In dem Zusammenhang istnichts vorgesehen.Aber machen wir uns nichts vor: Es passt nicht zu-sammen. Wir haben nicht die entwicklungspolitischenStrukturen, durch die wir in der Lage wären, in einemhalben Jahr, wohlgemerkt, diese Menge an Geld zuverteilen. Das hat weder mit Nachhaltigkeit noch mitVerantwortung zu tun. Ich glaube, es ist keine gute Idee,das so zu machen, wie Sie es vorschlagen.
Ich finde es wunderbar und prima, dass wir genau da-rüber namentlich abstimmen. Denn Ihnen fehlt für meineBegriffe die Ernsthaftigkeit.
Insofern bin ich auch froh, dass wir diese Änderungsan-träge ganz seriös mit Nein bescheiden. Denn ich glaube,das nehmen Ihnen auch Ihre Kooperationspartner nichtab. Das alles kann man definitiv unter dem StichwortSchaufensteranträge sehen. Es nimmt Ihnen keiner ab.Es tut mir nur leid; denn es fehlt Ihnen die entsprechendeSeriosität.Mir fehlt in dem Zusammenhang schlicht und einfachIhre gesamtpolitische Verantwortung, die Sie schließlichhaben. In der Rede Ihres Fraktionsvorsitzenden AntonHofreiter hörte es sich plötzlich ganz anders an, als esdarum ging, wie ein Haushalt aussieht und wie finan-zielle Mittel eingesetzt werden. Das ist leider nicht kon-sistent.
Ich glaube, dass wir einen hervorragenden Haushaltvorgelegt haben. Wir wissen, dass wir die 1,5 MilliardenEuro, die in den nächsten drei Jahren noch zu verteilensind, sinnvoll, effektiv und effizient einsetzen. Wir ha-ben mit unserem Herrn Minister einen hervorragendenVerwalter dieser Mittel. Ich glaube, dass wir uns in derEntwicklungszusammenarbeit nicht zu verstecken brau-chen, weder national noch international. Es ist ein tollerHaushalt. Viel Erfolg bei der künftigen Arbeit, lieberGerd Müller! Unsere Unterstützung hast du; das ist ganzklar. Wir freuen uns auf weitere erfolgreiche Jahre.Danke schön.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der
Kollegin Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Kollegin Pfeiffer, ich finde Ihr Ur-
teil sehr heftig, insbesondere weil ich feststellen muss,
dass Sie sich über die von uns beantragten Haushaltsän-
derungen nicht sehr kundig gemacht haben.
Ich möchte das in aller Ruhe noch einmal deutlich sa-
gen: Wir finanzieren selbstverständlich einen Aufwuchs
in Höhe von 1,3 Milliarden Euro zugunsten der ODA-
Quote nicht im eigenen Etat gegen. Das würde zuguns-
ten der ODA-Quote auch gar nicht so gut aufgehen, nur
als kleine Nebenbemerkung. Wenn wir aber schon eine
Prioritätenverschiebung zugunsten der globalen Ent-
wicklungszusammenarbeit und des internationalen
Klimaschutzes vornehmen, dann betrifft das den Haus-
halt des BMZ und den Haushalt des AA, insbesondere
im Hinblick auf die sehr wichtigen Herausforderungen
der dramatischen Flüchtlingsentwicklung und des inter-
nationalen Klimaschutzes; das habe ich sogar in meiner
Rede erwähnt.
Alle diese zusätzlichen Ausgaben sind unserem An-
spruch gemäß gegenfinanziert. Wir haben die Kürzung
vieler Ausgaben für umweltschädliche Subventionen be-
antragt. Sie können inhaltlich dagegen sein. Aber bitte
stellen Sie hier nicht die Behauptung auf, dass es uns
dabei an Ernsthaftigkeit mangelt. Wir halten mit 6,5 Mil-
liarden Euro die gleiche Nettokreditaufnahme als Ziel-
setzung aufrecht. Argumentieren Sie inhaltlich dagegen,
aber sprechen Sie uns nicht die finanzielle Solidität ab.
Das wäre ein bisschen billig. Machen Sie sich die Mühe,
sich unsere Vorschläge zu vergegenwärtigen. Ich lade
Sie dazu ein. Über unsere Anträge wird erst am kom-
menden Freitag abgestimmt. Vielleicht geben sie Ihnen
einen kleinen Ruck im Hinblick auf den Einfluss, den
Sie in Ihrer Fraktion noch ausüben können.
Danke.
Frau Kollegin Pfeiffer.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Hajduk,ich nehme das jetzt schlicht und ergreifend zur Kenntnis.Ich habe sehr wohl das Gefühl, dass es sich bei IhrenVorschlägen um Schaufensteranträge handelt; denn sonsthätten Sie nicht namentliche Abstimmung zu diesemHaushalt beantragen dürfen. Denn das heißt: Wir wollenes in diesem Haushalt, und deshalb stimmen wir überden Einzelplan 23 in diesem Zusammenhang ab. – WennSie uns aufgefordert hätten, uns die anderen Haushalteanzuschauen, dann wäre das in Ordnung gewesen. Aberdann hätten Sie keine namentliche Abstimmung verlan-gen dürfen.
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3774 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
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Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Michael Leutert, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichwollte es heute eigentlich etwas ruhiger angehen lassen.Aber hier wird ja richtig scharf geschossen. Frau Kolle-gin Hajduk, was mich bei Ihrem Redebeitrag etwasgeärgert hat, ist Folgendes: Als 2000 die ODA-Ziele ver-bindlich festgelegt wurden, haben Sie regiert. Wir habenals PDS schon damals die Forderung und entsprechendeAnträge gestellt, die Mittel für die Entwicklungszusam-menarbeit zu erhöhen. Aber 2005, also am Ende der ZeitIhrer rot-grünen Regierung, lag die ODA-Quote bei nur0,3 Prozent. Das ist einfach Fakt.
– Exakt, das ist nicht gut.Nun möchte ich doch versuchen, es etwas gemütli-cher angehen zu lassen. Herr Minister, bestimmt könnenSie es nicht mehr hören, aber bei Ihrem Vor- und Nach-namen drängt sich angesichts der laufenden Fußballwelt-meisterschaft – die deutsche Nationalelf spielt morgenwieder – ein Vergleich auf. Auch Thomas Müller istnicht schlecht und hat bislang schon drei Tore bei derFußballweltmeisterschaft geschossen. Das haben Sie aufdem politischen Spielfeld leider noch nicht geschafft.Trotzdem muss ich sagen: Sie spielen schon souveränund gut, aber eher als Abwehrspieler. Wenn Sie auch einTor schießen wollen, müssen Sie Stürmer werden, mög-lichst links außen.
Was ich damit sagen will, Herr Minister: Es wurdehier viel kritisiert, aber es gibt natürlich auch Dinge, diewir als Linke begrüßen, weil sie gut laufen. Vielleichtbin ich jetzt wegen der Politik Ihres Amtsvorgängers et-was verwöhnt. Richtig ist, dass Sie inhaltliche Schwer-punkte gebildet haben, zum Beispiel mit den Initiativen„Fluchtursachen bekämpfen“, „Eine Welt ohne Hunger“oder „Stabilisierung und Entwicklung in Nordafrika undNahost“. Diese inhaltliche Ausrichtung findet sich folge-richtig auch im Etat wieder. Auch wurde das Ministe-rium strukturell verändert und an diese Aufgaben ange-passt. Strukturelle Fehler des Amtsvorgängers sindkorrigiert worden. Die Instrumente der Entwicklungs-politik – das haben Sie zumindest angekündigt – sollenevaluiert und verbessert werden. Die öffentlichen State-ments, die Sie abgeben, finden auch auf unserer Seitedurchaus Zustimmung. Nur einmal eine Kostprobe: AlsSie in Nigeria waren, haben Sie gesagt: „Armut undPerspektivlosigkeit sind der Nährboden für Terror undUnruhen.“ Genau das ist die richtige Analyse. Jetzt mussdanach gehandelt werden.
Nun müssen, wie gesagt, die Ergebnisse kommen.Die Tore müssen jetzt wirklich fallen, und die Ergeb-nisse müssen die sein, dass in den definierten Ziellän-dern bei den jeweiligen Schwerpunkten wirkliche undnachhaltige Fortschritte erzielt werden. Die Frage istalso: Wird es gelingen, in Nigeria Strukturen aufzu-bauen, die es wirklich ermöglichen, im landwirtschaftli-chen Bereich mit Kleinbauern eine nachhaltige Versor-gung sicherzustellen? Wird es in den nächsten Jahrengelingen, in Mali Strukturen aufzubauen, die eine gesi-cherte Trinkwasserversorgung der Bevölkerung garan-tieren? Wird es gelingen, in Indien Klimaschutzprojektezu installieren, die garantieren, dass die Bevölkerungeine Energieversorgung hat, die ökologisch und ökono-misch sinnvoll ist?Das klingt alles so einfach, aber das sind Mammut-aufgaben. Da setzt auch unsere prinzipielle Kritik an.Die ist jetzt schon mehrfach heftig geäußert worden. Ichbefürchte einfach, dass Sie für diese Aufgaben zu wenigGeld haben. Das hängt ganz einfach damit zusammen,dass Deutschland sein internationales Versprechen,0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwick-lungszusammenarbeit einzusetzen, nicht einhalten wird.Bis nächstes Jahr muss das Ziel erreicht sein, so lautetdie Selbstverpflichtung auf internationaler Bühne. Heutegeben wir lediglich die Hälfte dafür aus.Ich hatte es schon in meiner letzten Rede gesagt undmöchte es jetzt gerne wiederholen: Die GlaubwürdigkeitDeutschlands wird genau an der Erfüllung dieses Ver-sprechens gemessen.
Sie wird nicht daran gemessen, ob wir uns internationalim militärischen Bereich mehr engagieren, sondern da-ran, ob wir diese Aufgabe bewältigen können. Da müs-sen Sie noch ein bisschen Überzeugungsarbeit bei IhrenKollegen im Auswärtigen Amt und im Verteidigungsmi-nisterium leisten.Ich möchte noch ein Thema ansprechen, das auchschon erwähnt worden ist, nämlich den Waffenexport.Wir wollen Fluchtursachen bekämpfen, aber der Waffen-export aus Deutschland, insbesondere der von Klein-und Handfeuerwaffen, ist ein Beitrag dazu, dass bewaff-nete Konflikte überhaupt ausgetragen werden können.Somit ist der Waffenexport ein Hauptgrund für dieFlucht. Es ist doch wirklich absurd, dass aus Deutsch-land Waffen in Konfliktgebiete exportiert werden, insbe-sondere Klein- und Handfeuerwaffen, und Sie als BMZ-Minister dann in diesen Konfliktregionen Projekte star-ten, um wieder Frieden herzustellen und Versöhnungsar-beit zu leisten. Sie als Minister sind Mitglied des Bun-dessicherheitsrates. Sie können direkten Einfluss daraufausüben, dass diese Kleinwaffenexporte nicht stattfin-den. Ich möchte Sie hier auffordern, diesen Einfluss gel-tend zu machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dassind gerade Vorschläge gewesen, die eine hohe Effekti-
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Michael Leutert
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vität haben werden, aber kein Geld kosten. Also könnenSie sofort mit deren Umsetzung beginnen und handeln.Danke.
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Axel Schäfer, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Füreinen Sozialdemokraten ist diese Haushaltsdebatte des-halb ein bisschen schwierig, weil dies die erste Regie-rung mit Beteiligung der SPD in der Geschichte derBundesrepublik Deutschland ist, in der wir nicht dasEntwicklungsministerium führen. Seit 1961 waren es 27von 53 Jahren, in denen wir den Minister gestellt haben.Deshalb ist der Maßstab, den wir an den neuen Ministeranlegen und der von „Ben Wisch“ bis Heidi Wieczorek-Zeul definiert wurde, hoch. Ich wollte deshalb eineseinleitend sagen. Der Kollege Müller ist jemand, der– unabhängig davon, dass es Themen gibt, bei denenman immer wieder Diskussionsbedarf hat und nicht au-tomatisch einer Meinung ist – Sachen offen und fair an-geht, mit dem man sich ordentlich auseinandersetzenkann und der auch zu seinem Wort steht. Ich glaubeschon, dass das eine gute Zusammenarbeitsbasis für dasist, was wir hier gemeinsam in dieser Koalition, in die-sem ganzen Haus und speziell im Ausschuss für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung machen.
Natürlich müssen wir bei den Finanzen immer einStück selbstkritisch sein. Wir haben, wie gesagt, einenMittelaufwuchs von 2,3 Prozent. Das ist für die SPD ak-zeptabel, aber auf jeden Fall ausbaufähig und sogar aus-baunotwendig. Wenn wir über diese Mittel reden, ist eswichtig, dass wir zugleich darauf hinweisen, dass wir alsTeil der Europäischen Union in dieser Gemeinschaft im-merhin mehr als 60 Prozent der internationalen Entwick-lungszusammenarbeit leisten und damit weltweit dergrößte Geber sind.Als größter Binnenmarkt der Welt ist die EU zudemein wichtiger Handelspartner vieler Entwicklungs- undSchwellenländer und hat damit natürlich auch wichtigenEinfluss auf die Welthandelsordnung. Die Kombinationaus finanziellem, wirtschaftlichem und politischemEinfluss macht deshalb die Europäische Union und da-mit einen ganz wichtigen Teil Deutschlands zu einementscheidenden Akteur in der internationalen Entwick-lungspolitik. Diesen Einfluss gilt es für strategische Part-nerschaften wie die mit den USA, China, Brasilien, In-dien, Japan und auch den afrikanischen Staaten zunutzen, um nicht nur für die europäischen, sondern auchfür die universellen Werte wie Demokratie, Grundrechte,Stabilität, Sicherheit, Wohlstand und Chancengleichheitweltweit einzutreten.Eins ist für uns klar: Bilaterale Abkommen sind dabeiinsgesamt nicht nachhaltig. Es wird darauf ankommen,dass die Mitgliedsländer der EU mit einer Stimme spre-chen, damit man stark genug ist, um international wirk-lich Einfluss zu nehmen. Nur wenn wir diesen Einflussnehmen, können wir auch einen Beitrag zur Bekämp-fung von Armut und einen Beitrag zu einer gerechterenWelt leisten. Das ist ja immer noch unser gemeinsamerAnspruch.
Der EU-Afrika-Gipfel im April dieses Jahres hat dieWichtigkeit einer einheitlichen europäischen Linie aber-mals verdeutlicht. Die EU setzt sich für eine kontinuier-liche Unterstützung der Afrikanischen Union zur Wah-rung und Verbesserung der Sicherheitslage in derZentralafrikanischen Republik, in der DemokratischenRepublik Kongo, in der Region der Großen Seen, imSüdsudan, in Somalia und in Mali ein.Wahlbeobachtungen zum Beispiel sind hier ein ganzwichtiger Ansatz. Von unserem Selbstverständnis hermuss sich die EU und müssen wir uns – mittenmang –insbesondere um eine friedliche und dauerhafte Lösungdes internen Konflikts im Südsudan bemühen, der be-kanntlich mit schwerwiegenden Folgen auch auf Nach-barregionen übergreifen könnte.Afrika bildet für die EU und die deutsche Entwick-lungszusammenarbeit einen Schwerpunkt. MinisterMüller wird nicht müde, das zu betonen. Wir betonenunsere Bitte, dass er dabei die Ansätze seiner Vorgänge-rin Heidemarie Wieczorek-Zeul aufnimmt und ihre Poli-tik fortsetzt. – Er nickt. Das ist schon einmal ein ganzgutes Zeichen.
– Nicht alles. Wir sind ja auch nicht eine Partei. UnsereFraktionen bilden ja nur eine Koalition auf Zeit; so ist esnun einmal.Eins ist klar: Afrika ist vom Alter seiner Einwohnerher nicht nur der jüngste Kontinent – ich persönlichhoffe, dass die afrikanischen Länder bei der Fußball-WM ein bisschen erfolgreicher als bisher abschneiden –,sondern zeichnet sich auch durch ein enormes Wachs-tumspotenzial aus, da sich die Anzahl seiner Einwohnerim nächsten Jahrzehnt annähernd verdoppeln wird. Dasist aber nur die eine Seite.Die andere Seite sind die schrecklichen Bilder vonFlüchtlingen auf dem Mittelmeer. Sie verdeutlichen unseinerseits, wie nah uns Afrika ist, und andererseits un-sere besondere Verpflichtung. Als wichtigstes Instru-ment der Europäischen Union für die Zusammenarbeitmit den berühmten AKP-Staaten, also mit Staaten ausAfrika, der Karibik und dem pazifischen Raum, gibt esseit 55 Jahren den Europäischen Entwicklungsfonds.Dieser Fonds finanziert notwendige Projekte und Pro-gramme, die zur wirtschaftlichen, sozialen und kulturel-len Entwicklung der Region beitragen. Er umfasst meh-rere Einzelinstrumente, wie nichtrückzahlbare Hilfe,
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3776 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Axel Schäfer
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Risikokapital und Darlehen auch an den Privatsektor.Der Anteil der Förderung für überregionale Programmeist im mehrjährigen Finanzrahmen bis 2020 immerhinum 15 Prozent erhöht; er umfasst nunmehr fast 27 Mil-liarden Euro. Damit unterstreichen auch wir innerhalbder Europäischen Union und als EU insgesamt, dass dieökonomische Integration als Basis für nationale und lo-kale Entwicklung zu fördern ist.Neben den wichtigen Punkten, die meine VorrednerinBärbel Kofler bereits zum Thema „Gute Arbeit welt-weit“ angesprochen hat, gibt es noch einen anderenwichtigen Prozess: Auf dem Gebiet der Entwicklungszu-sammenarbeit wird der Schwerpunkt weiter auf der Er-reichung der Millenniumsentwicklungsziele sowie aufder Vorbereitung für den neuen Rahmen für nachhal-tige Entwicklung und Armutsbeseitigung in der Zeitnach 2015 liegen. Wir wissen, dass das für uns nochein ordentliches Stück des Weges ist; das muss manselbstkritisch feststellen. Deshalb ist es wichtig, da-rauf hinzuweisen, dass dabei der Europäischen Unioneine Schlüsselrolle zukommt, insbesondere bei der Aus-arbeitung des neuen universellen Rahmens, der auf dreiDimensionen der nachhaltigen Entwicklung ausgerichtetist, nämlich Wirtschaft, Soziales und Umwelt.Die SPD setzt sich konkret dafür ein, dass wir erstensden Kampf gegen Hunger und Armut führen, dass wirzweitens die universellen Menschenrechte vertreten undauf ihre Einhaltung drängen, dass wir drittens gute Ar-beit weltweit sowie ein faires und offenes Handelssys-tem erreichen, dass wir viertens eine krisensichere glo-bale Finanzstruktur mit Steuergerechtigkeit verbindenund dass wir fünftens gemeinsame Maßnahmen zur Be-kämpfung des Klimawandels durchführen.Ich möchte, liebe Kolleginnen und Kollegen, an die-ser Stelle einmal auf einen anderen Punkt eingehen, derin der Entwicklungszusammenarbeit aus meiner Sichteine herausragende Bedeutung hat. Wir werden in Zu-kunft, auch in unserer Diskussion in diesem Haus,schauen müssen, wie wir uns in Europa, im europäischenZusammenhang besser vernetzen, wie wir nicht nur mit-einander arbeiten, sondern auch voneinander lernen kön-nen. Das heißt, auch selbstkritisch zu schauen, wie weitwir bei unseren eigenen Zielen sind und was wir als Bei-trag dazu leisten können.Es gibt einen interessanten Beitrag, finde ich, der bis-her unterschätzt wird. Wenn ich auf Claudia Roth guckeoder auf meinen Freund Frithjof Schmidt, dann kommeich dazu, zu sagen: Wir müssen es fördern, dass Mitglie-der des Europäischen Parlaments auch einmal Mitgliederdes Deutschen Bundestages werden. Das ist in den bei-den Fällen so geschehen. Das ist bei der Linkspartei beiSahra Wagenknecht der Fall. Das ist auch bei der Unionder Fall.
– Es ist auch gut, dass das bei Gerd Müller der Fall ist,
der genau dann in den Bundestag wechselte, als ich insEuropäische Parlament gewählt wurde. So gesehen gibtes da ganz wichtige Verbindungslinien.
Gerade bei einem solchen Thema, bei dem es Gott seiDank nicht darum geht, zu ideologisieren, sondern da-rum, eine gemeinsame Verantwortung wahrzunehmen,können wir so, auch durch Diskussionen in den Fraktio-nen, zu gemeinsamen Ergebnissen kommen.Willy Brandt hat vor langer Zeit einmal gesagt: „DieEntwicklungspolitik von heute ist die Friedenspolitikvon morgen.“ Ich bin als stellvertretender Fraktionsvor-sitzender neben meiner Zuständigkeit für Europa jetztauch im Entwicklungsbereich dabei. Für mich als ehe-maligen Referenten von Willy Brandt, wenn ich das ein-mal persönlich sagen darf, ist das ein bisschen die Rück-kehr zur Basis und zu dem, was es vor 30 Jahren anDritte-Welt-Projekten gegeben hat. Ich lerne noch einbisschen dazu und freue mich auf unsere Diskussionenund die weitere Zusammenarbeit im Ausschuss.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Uwe Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister Müller – ich fange jede meiner Reden mitIhrem Namen an; ich weiß nicht, woran das liegt –, IhrStart war sehr gut. Sie haben mit einer neuen Rhetorikviel Hoffnung geweckt. Es war Ihnen von Anfang anklar, dass Sie natürlich nicht an den Worten bewertetwerden, sondern an den Taten. Damit war Ihnen auchvon Anfang an klar, dass ein angekündigter Paradigmen-wechsel in der Entwicklungspolitik nicht auf Worthülsenbasieren kann. Ein Paradigmenwechsel verlangt vor al-lem Ehrlichkeit und Transparenz, und genau das leistetIhr Haushaltsentwurf nicht. Um nicht ganz bloß dazuste-hen, übernehmen Sie konsequent die kreative Buchfüh-rung Ihres Vorgängers.Der Haushalt brilliert durch Rechentricks, und dafürverdienen Sie – ganz im Zeichen der Fußballweltmeis-terschaft – diese Gelbe Karte hier.
Sie können sich dagegen wehren und sagen: Moment!Das ist doch viel zu hart. – Man könnte diese GelbeKarte auch 80 Prozent des Parlaments geben.
– Ich habe sie extra für Sie vergrößert, damit Sie sie auchdeutlich sehen. – Im Sinne von Fairplay ist das auf jedenFall nicht.
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Uwe Kekeritz
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Aber nicht nur Ihre Buchhaltung ist ein Problem. Eswird immer deutlicher, dass auch Ihre programmatischeAusrichtung sehr fraglich ist. Nehmen wir den Bereichder Ernährung und der ländlichen Entwicklung speziellfür Afrika. Wer den Hunger bekämpfen und die Ernäh-rungssituation verbessern will, darf nicht unkritisch ge-genüber den Folgen der globalen Agrarentwicklung derletzten Jahrzehnte sein.
– Doch, das sind Sie. Sie arbeiten immer noch mit derGerman Food Partnership zusammen. Sie übernehmenimmer noch die westlichen Technologien und versuchen,sie in Afrika zu implementieren.Wir wissen doch, dass mit veralteten westlichenAgrarkonzepten die Ernährungssituation nicht verbessertwerden kann. Diese Konzepte ignorieren die negativenökologischen, klimatischen und sozialen Auswirkungender industriellen Agrarproduktion. Der Verlust derArtenvielfalt, die Verödung der Böden, die Erhöhung derErosion, die Verschlechterung des Grundwassers, nega-tive Klimaauswirkungen, Landflucht und Entwurzelungsind die Folgen. Ernährungssicherheit geht anders.Inhaltliche Schwächen zeigen sich auch in jenenBereichen, die das Ministerium überhaupt nicht angeht.Wo sind Ihre Initiativen gegen das Landgrabbing, dasdramatische ökologische und soziale Folgen hat? Wosind Ihre Analysen über unsere westliche Energiepolitikund Ihre Konsequenzen für die ländliche Entwicklung inAfrika, Asien und Südamerika? Wo sind Ihre Alternati-ven zum Neoextraktivismus, der inzwischen globalpraktiziert wird?Wir kennen die Folgen des heutigen Bergbaus. In kei-nem anderen Industriebereich sind mehr Menschen-rechtsverletzungen zu verzeichnen. Nirgendwo wird dieUmwelt so stark und irreversibel geschädigt wie in die-sem Bereich.Wo und wie setzen Sie sich für strukturelle Verände-rungen in Deutschland und auf europäischer Ebene ein,die in den Entwicklungsländern weit mehr bewirkenkönnen als Projekte? Ich spreche hier zum Beispiel voneinem kontrollierten, fairen globalen Finanz- und Steuer-system, das wir in Europa, Deutschland und weltweitetablieren müssen und das den EntwicklungsländernMilliardeneinnahmen sichern würde. Ich spreche natür-lich auch von der Unternehmensverantwortung, die Sieimmer wieder betonen. Aber Sie erklären den Leuteneben nicht, dass Sie das auf freiwilliger Basis machenmöchten. Genau in dem Bereich der Unternehmensver-antwortung brauchen wir Verbindlichkeit. Alles andereführt nicht zum Ziel.
Wo sind Ihre Initiativen gegen die unsäglichen Frei-handelsverträge? Im Ausschuss erklären Sie, HerrMinister, dass Sie sich wenigstens gegen die Deadlinedes EPA-Vertrages zum 1. Oktober wehren würden.Diese, so Ihre Begründung, sei völlig kontraproduktivund würde vor allen Dingen die ärmsten Länder schädi-gen. Allerdings traue ich nicht allen verbalen Äußerun-gen, und deshalb habe ich schriftlich in Ihrem Hausnachgefragt. Die Antwort ist verblüffend. Sie lautet:Über eine Nichtanwendung der Anpassung derMarktzugangsverordnung liegen der Bundesregie-rung keine Kenntnisse vor.Und:Die Bundesregierung setzt sich gegenüber der Eu-ropäischen Kommission nachdrücklich für einenzügigen … Abschluss der Verhandlungen ein.Die Bundesregierung treibt also die EU voran. Siesetzen den ärmsten Ländern der Welt die Pistole auf dieBrust: Entweder unterschreibt ihr den Vertrag, oder euerprivilegierter Marktzugang nach Europa ist Geschichte.Es ist doch schön, dass ich das schriftlich habe.
Herr Kollege, es gibt einen Wunsch aus der CDU/
CSU-Fraktion. Charles M. Huber möchte Ihnen gern
eine Zwischenfrage stellen.
Herr Huber, gerne.
Herr Kollege Kekeritz, wenn wir über afrikanische
Volkswirtschaften sprechen, sprechen wir in der Regel
von informellen Volkswirtschaften. Ich habe dazu eine
Frage: Wie wollen Sie in einer informellen Volkswirt-
schaft, wo die meisten Unternehmen nicht erfasst sind
– deswegen heißt es „informelle Volkswirtschaft“ –, ein
Steuersystem überhaupt implementieren?
Die Antwort ist ganz einfach: Wenn Sie meinen, dassdas nicht geht, dann sind Sie in diesem Ausschussfalsch.
Das funktioniert einfach nicht. Außerdem ist es völligfalsch, von „informellen Gesellschaften“ zu reden.
Sprechen Sie doch mal mit Kenianern oder mit Senega-lesen und sagen Sie ihnen: „Ihr habt eine informelle Ge-sellschaft“!Meine Antwort ist ganz klar: Ihre Fragestellung isteinfach falsch; die mit der Fragestellung implizierteAussage ist grottenfalsch. Das muss ich Ihnen wirklichsagen.
– Ja, selbstverständlich, „Volkswirtschaften“. Was wol-len Sie denn? Natürlich gibt es in vielen Ländern Steuer-
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Uwe Kekeritz
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systeme. Es gibt das Problem der Korruption – das strei-tet keiner ab –, aber wir müssen das überwinden.
– Wenn Sie es eh wissen, warum fragen Sie dann?
– Natürlich weiß ich das. Ich beschäftige mich schonsehr lange mit der Situation, und ich kenne vor allenDingen auch die Ausgaben des Bundesministeriums, diedamit verbunden sind, dass die GIZ seit Jahren in vielenLändern versucht, entsprechende Strukturen aufzu-bauen. – Herr Bundesminister, hoffentlich sagen Sie ein-mal Herrn Huber, dass Sie mit Ihrer Politik nicht völligfalsch liegen und sie nicht wirkungslos ist. – Dankeschön.Schade, wirklich schade, Herr Minister! Sie sind ge-rade dabei, sich Ihren positiven Ruf, den Sie aufgrundguter Rhetorik gewonnen haben, etwas zu verspielen.Wie glaubwürdig ist eine solche Rhetorik, wenn Sienicht einmal den Schneid haben, einzugestehen, dass Siegerade dabei sind, das 0,7-Prozent-Ziel mithilfe einer be-reitwilligen SPD zu beerdigen!
Das geschieht trotz der Unterschrift von Frau Pfeifferunter einem Aufruf zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels, die offensichtlich nicht mehr weiß, was sie vordrei Jahren unterschrieben hat. Da stand auch drin: „bis2015“.
Daran erinnern Sie sich nicht mehr. Aber Sie meinenganz genau zu wissen, dass die Grünen nicht seriös ar-beiten und an Entwicklungspolitik überhaupt kein Inte-resse haben. Das halte ich für eine reife Leistung.Unsere Partner in den Entwicklungsländern, die inter-national tätigen Organisationen, die Zivilgesellschaft,aber auch der Deutsche Bundestag haben einen An-spruch, zu erfahren, wie Deutschland zukünftig seinenVerpflichtungen nachkommen wird. Dieses mehr als be-rechtigte Interesse, Herr Minister, umspielen Sie, abernicht gut und nicht fair. Diese Politik ist letztlich ein bö-ses Foul an den Ärmsten der Armen. Wer in einem Spielzweimal die Gelbe Karte bekommt,
der bekommt auch die Rote Karte. Aber Sie habenGlück: Jetzt kommen die Sommerferien.
Bei Ihnen droht gleich auch die Rote Karte, weil die
Zeit schon stark überzogen ist.
Jawohl. Ich bin gleich fertig. – Nutzen Sie die Zeit in
den Ferien! Reflektieren Sie noch mal! Wir müssen an-
fangen zu liefern, anders als bisher.
Danke schön.
Frau Pfeiffer möchte eine Kurzintervention machen.
Herr Präsident, vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und
Kollegen, es tut mir leid; aber wenn Kollege Kekeritz
beim Zuhören Fehler macht, dann muss ich das leider
korrigieren. Wenn schon beim Zuhören Fehler gemacht
werden, möchte ich gar nicht wissen, welche Fehler
noch passieren können.
Ich habe mich zu dem Aufruf erklärt. Ich habe gesagt:
Jawohl, ich habe es unterschrieben. – Ich habe nicht
unterschrieben, dass das Ziel sofort, unter Missachtung
jeglicher haushalterischer Notwendigkeiten, schon gar
nicht unter Missachtung meiner gesamtpolitischen Ver-
antwortung, erreicht werden muss. Das möchte ich hier
auch für Sie, Herr Kekeritz, noch einmal zu Protokoll
geben; ich gebe es Ihnen gerne auch schriftlich. Es wäre
ganz nett, wenn Sie mir das nächste Mal zuhören wür-
den, wenn ich da vorne etwas sage, bevor Sie hier ir-
gendwelche Dinge behaupten.
Kollege Kekeritz darf darauf antworten.
Frau Pfeiffer, herzlichen Dank für die Frage.
Sie können sicher sein, dass ich immer zuhöre, wenn Siesprechen – da höre ich besonders aufmerksam zu. Es istfür mich wichtig, festzustellen, dass Sie heute nicht mehrwissen, was Sie damals unterschrieben haben. Es wirdauch nicht dadurch besser, dass Sie Ihre Aussage drei-oder viermal wiederholen.Mit dem Aufruf war ein Aufholplan verbunden. Dasser von heute auf morgen umgesetzt werden soll, standnicht darin; es hat auch kein Mensch gesagt, dass dasvon heute auf morgen geht. Das war vor etwa dreiein-halb Jahren. Wir wollten einen Aufholpfad beschreiten,und das haben Sie unterschrieben. Jetzt ist die Zeit natür-lich fast abgelaufen; es ist jetzt nicht mehr möglich, dasbis 2015 aufzuholen, obwohl das in dem Aufruf, den Sieunterschrieben haben, vorgesehen war.Danke.
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Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wäre ich Schiedsrichter, würde ich jetzt sagen: LieberHerr Kollege Kekeritz – Platzverweis!
Ich glaube, ich muss nicht kommentieren, was Sie vor-hin gesagt haben.
Liebe Claudia, ich habe dein Gesicht gesehen; das hatfür sich gesprochen. Ich möchte deswegen keinen Kom-mentar zu dem abgeben, was der Kollege Kekeritz hiervon sich gegeben hat. Wir kennen ihn. Deswegen lassenwir das einfach so stehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Entwicklungs-politiker kennen es zur Genüge, ob wir hier in Berlinsind oder draußen im Wahlkreis: Wir werden immer wie-der von den Bürgerinnen und Bürgern gefragt: Wofürgebt ihr das Geld aus? Was bewirkt ihr eigentlich mitdem Geld? Es ist ja sehr viel: fast 6,5 Milliarden Euro.Unser Haushalt ist der zweitgrößte Investitionshaushaltmit einem Aufwuchs von fast 150 Millionen Euro in die-sem Jahr. Wir lassen uns diesen Erfolg auch nichtschlechtreden, liebe Kolleginnen und Kollegen von derOpposition. Wir sind froh, dass uns diese Mittel zur Ver-fügung stehen, und wir sind froh, dass wir sie effizienteinsetzen können.Ich glaube, manchmal haben es diejenigen, die in derEntwicklungspolitik tätig sind, etwas schwerer als dieanderen Kollegen aus den anderen Ressorts; sehen Siemir das bitte nach. Denn die Probleme, mit denen wir eszu tun haben, sind sehr komplex und manchmal sehrschwer verständlich für die Öffentlichkeit, für die Bevöl-kerung vor Ort. Die Wirkzeit unserer Programme ist oftlangfristig angelegt, ihre Wertigkeit ist oft nicht über-schaubar. Hinzu kommt, dass der Einzelne bei uns vorOrt nicht unmittelbar betroffen ist.Um Sympathie und Verständnis zu erwecken – unddas wollen wir in der Entwicklungszusammenarbeit –,braucht man ein Gesicht. Das ist immer dann sehr ein-fach, wenn Katastrophenberichte über den Fernseher inunsere Wohnzimmer flimmern. Dann ist die Empathiefür die Opfer sofort da, und die Spendenbereitschaftsteigt. So ist es momentan bei den Flüchtlingen: Wir be-kommen ihr Schicksal zu Hause hautnah mit.Wir sehen die Not in den verschiedenen Krisenregio-nen. Allein im Irak sind seit den letzten Wochen 500 000Menschen auf der Flucht. In der ZentralafrikanischenRepublik, einem Land, das von der Weltgemeinschaftüberhaupt nicht beachtet worden ist, sind über900 000 Menschen auf der Flucht, inzwischen sind diemeisten Schulen geschlossen, und 1,5 Millionen Men-schen vom Hunger bedroht.Der schlimmste Exodus seit dem Massaker von Ru-anda findet in Syrien statt. 160 000 Menschen wurdenmassakriert, und jeden Tag werden es mehr. Allein über10 Millionen Menschen sind auf der Flucht, davon6,5 Millionen Binnenflüchtlinge, über 3 Millionen befin-den sich außerhalb von Syrien im Exil. Jeden Tag kom-men 9 000 Flüchtlinge hinzu – jeden Tag!Viele Kollegen haben das jordanische Flüchtlingsla-ger Za’atari besucht. Dort, wo es früher nur Wüste gab,gibt es jetzt ein Flüchtlingslager, in dem inzwischen85 000 Menschen leben. Die Menschen, die dort leben,müssen sich darauf einstellen, dass sie wahrscheinlichihr ganzes Leben dort bleiben werden. Inzwischen istZa’atari die drittgrößte Stadt in Jordanien. Die Hälfte derBewohner ist minderjährig.Ein Blick nach Syrien zeigt, dass Assad nicht bereitist, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Auch dieFahne des Roten Kreuzes hilft dort nicht weiter. Wirkommen mit unseren humanitären Hilfsaktionen nichtvor Ort an. Aushungern wird als Kriegswaffe benutzt.Zig Dörfer, zig Gegenden sind abgeschottet. Dort gibt eskeinen Zugang zu humanitärer Hilfe, Wasserressourcenwerden einfach gekappt.Jordanien und Libanon erbringen eine riesengroßeLeistung, die uns alle schwer beeindruckt. Dafür gebührtihnen unser Respekt. Das sind Länder, die selbst mitProblemen hinsichtlich ihrer Infrastruktur und ihrerWasserressourcen zu kämpfen haben. Allein der Liba-non, ein Land mit 4,4 Millionen Einwohnern – das istdie Hälfte der Einwohnerzahl von Rheinland-Pfalz –,nimmt 1,1 Millionen Flüchtlinge auf, obwohl das Landselber mit sehr großen Problemen zu kämpfen hat. DieseLänder sind damit längst überfordert. Deshalb bin ichdem Minister sehr dankbar, dass er darauf hingewiesenhat, dass wir die Hilfe für diesen Bereich noch aufsto-cken müssen, dass wir weiterhin unterstützend tätig seinmüssen.
All das zeigt: Wir können uns nicht einfach hinstellenund wie Empörungsrhetoriker die Weltpolitik kritisieren,ohne Lösungen anzubieten. Für mich ist unsere Aufgabeklar. Wir sind gefordert: menschlich, aber auch politisch.Humanitäre Hilfe, so wie wir Entwicklungspolitiker sieverstehen, ist nicht nur eine moralische Verpflichtung,sondern auch politische Vernunft. Wir alle wissen: Wennwir es nicht schaffen, diesen Flächenbrand wirklich ein-zudämmen, wird eine Destabilisierung der ganzen Re-gion die Folge sein.Es ist wichtig, dass wir mehr internationale Verant-wortung übernehmen. Dieser Weg ist richtig. Das heißtjedoch nicht automatisch, was hier manchmal unterstelltwird, dass wir uns militärisch mehr engagieren müssen.In diesem Zusammenhang muss aber eines klar sein: Hu-
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Dagmar G. Wöhrl
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manitäre Hilfeleistungen bleiben wirkungslos, wenn nichtdurch extern bereitgestellte Sicherheitskräfte ein sicheresUmfeld geschaffen wird. Zu einem sicheren Umfeld kön-nen wir beitragen, indem wir diese Länder durch Ausbil-dung befähigen, selbstständig Sicherungsverantwortungzu übernehmen. Wir wollen einen ganzheitlichen, einenvernetzten Ansatz von Sicherheit und Entwicklung. Anallererster Stelle stehen immer die Diplomatie und dieEntwicklungszusammenarbeit.
Internationale Verantwortung zu übernehmen, bedeu-tet auch, die Sorgen der anderen nicht nur als Problem ir-gendwo in der Welt zu betrachten. Das sind auch unsereeigenen Probleme. Es ist nicht so, dass die Mittel derEntwicklungszusammenarbeit milde Gaben sind, dasswir einfach irgendetwas geben. Die Entwicklungszusam-menarbeit wird viel zu wenig als eine Investition ver-standen, die auch in unserem eigenen Interesse liegt.Ich bin froh, dass wir gerade in Bezug auf Syrien un-serer Verantwortung gerecht werden. Ich bin froh, dasswir das Kontingent aufgestockt haben. Ich bin froh, dasswir für Syrien und die Nachbarländer Syriens inzwi-schen über eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung ge-stellt haben.Eines muss aber auch klar sein: Wir können das nichtalleine machen. Ganz wenige Mitgliedstaaten der Euro-päischen Union nehmen in diesem Zusammenhang ihreVerantwortung wahr.
Wir brauchen hier aber eine gesamteuropäische Verant-wortung. Sie muss eingefordert werden. Wir braucheneine europäische Flüchtlingskonferenz, und wir brau-chen, wie es der Minister gesagt hat – das finde ich rich-tig –, einen europäischen Flüchtlingskommissar. In Zu-kunft wird es nicht weniger Flüchtlinge geben. AmWeltflüchtlingstag wurde das deutlich gesagt: Es gibtweltweit 51 Millionen Flüchtlinge. Das sind 6 Millionenmehr als vor einem Jahr. Das ist aber noch nicht dasEnde der Fahnenstange. Die Zahlen steigen; das habenwir auch am Beispiel Irak gesehen.Die Hälfte der Flüchtlinge sind Kinder. Das ist eineverlorene Generation. Der größte Teil davon sind Mäd-chen, die teilweise zwangsverheiratet werden oder dieauf der Flucht zu Survivalsex gezwungen werden, dasheißt, die sich prostituieren müssen, um Lebensmittel zubekommen. Es gibt Kinder, die mit Waffen aufwachsen,die nur den Krieg kennen. Man mag sich nicht vorstel-len, wie die Zukunft dieser Kinder aussieht. Deswegenmüssen wir Unterstützung leisten.Wir können Nothilfe leisten – das ist klar –, wir kön-nen auch humanitäre Hilfe leisten, aber vor allen Dingenmüssen die Ursachen von Armut, Krieg, Hunger undklimabedingten Naturkatastrophen bekämpft werden. Dasind wir gefordert. Die Perspektivlosigkeit dieser jungenMenschen muss beseitigt werden.Es ist wichtig, dass wir uns mit der Flüchtlingsproble-matik beschäftigen. Wir haben Anhörungen dazu durch-geführt. Ich bin froh, liebe Claudia Roth, dass auch derUnterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitikam kommenden Montag dazu eine Anhörung durchfüh-ren wird. Das ist ein wichtiges Thema. Um diese Pro-bleme zu bewältigen, brauchen wir aber das Engagementaller, der Innenpolitiker und der Entwicklungspolitikerin Deutschland und in der Europäischen Union.
Denken Sie bitte an die Redezeit.
Wir haben in diesem Bereich vieles gemacht. Es gibt
Rückkehrprogramme und es gibt Klimaschutzpro-
gramme. Die GIZ ist in diesem Bereich sehr aktiv. Ich
gehe jetzt nicht auf die einzelnen Programme ein.
Klar ist: Das kostet Geld. Aber ich glaube, es ist gut
angelegtes Geld. Dieser Einsatz ist auch in unserem ei-
genen Interesse; denn sonst werden die Probleme in die-
sen Ländern bald die Probleme vor unserer Haustür sein.
Dieses Engagement ist gut für die Menschen in den be-
troffenen Ländern und gut für uns. Uns kann es nur gut
gehen – davon bin ich überzeugt –, wenn es auch den an-
deren Menschen auf der Welt gut geht.
Vielen Dank.
Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Sonja
Steffen, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Gäste! Ich möchte einer schönenTradition folgen und zunächst unserem Hauptbericht-erstatter, Herrn Klein, für die gute Zusammenarbeit dan-ken. Ausdrücklich danken möchte ich auch der Mitbe-richterstatterin Frau Hajduk und dem MitberichterstatterHerrn Leutert. Ich glaube, wir haben ganz gut zusam-mengearbeitet, aber nicht nur wir. Deshalb möchte ichmich an der Stelle auch bei den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern aus den Fraktionen und dem Ausschuss-dienst, aber auch bei denen von uns Abgeordneten be-danken, die eine sehr gute Arbeit geleistet haben.
Dann geht mein Dank auch noch an das Ministerium.Herr Müller, auch mit Ihnen und Ihrem Haus haben wir,glaube ich, ganz gut zusammengearbeitet.Es ist vorhin schon einmal erwähnt worden – ichglaube, Frau Wöhrl, Sie haben das gesagt –, dass es sichum einen Bereich handelt, wo man sehr viel mit beson-deren Begriffen zu tun hat. In dem Bereich der Entwick-lungszusammenarbeit spricht man fast eine eigene Spra-che. Da müssen viele Erklärungen abgegeben werden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3781
Sonja Steffen
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Gerade für jemanden, der neu in diesem Bereich tätig ist,gibt es viele Fragen. Die sind, glaube ich, fast alle beant-wortet worden.In meiner Rede zur ersten Lesung habe ich verschie-dene Wünsche geäußert. Ich hatte gehofft, dass wir imVergleich zu dem Entwurf, der uns damals vorlag, einigeVerbesserungen vornehmen können. Ich muss an dieserStelle sagen, dass uns das gelungen ist. Wir hatten einesehr gute Zusammenarbeit mit den Fachpolitikern. Ge-meinsam mit den Haushältern haben wir einige Dingeerreicht. Das freut mich sehr.Eine Sache, die wir erreicht haben, ist bereits genanntworden. Ich will das aber noch einmal erwähnen, weilich es in meiner ersten Rede ganz am Anfang angeführthatte. Dabei handelt es sich um die Stärkung des zivilge-sellschaftlichen, kommunalen und wirtschaftlichen En-gagements. Hier stellen wir 2014 insgesamt 775 Millio-nen Euro zur Verfügung. Wir haben in diesem Haushaltdie Mittel für die politischen Stiftungen, die kirchlichenOrganisationen und den zivilen Friedensdienst noch ein-mal um jeweils 5 Millionen Euro Barmittel erhöht. DesWeiteren haben wir entsprechend deutliche Erhöhungenbei den Verpflichtungsermächtigungen für die nächstenJahre erreichen können.Bei den privaten Trägern wie CARE und Oxfam ha-ben wir die Verpflichtungsermächtigung für die nächstenJahre um 10 Millionen Euro erhöht. Ich denke, die Stär-kung dieser Organisationen ist schon deshalb besonderssinnvoll, weil sie den großen Vorteil haben, auf beste-hende Strukturen aufbauen zu können. Sie arbeiten zumTeil schon fast seit Jahrzehnten vor Ort und können dortauf diese Strukturen zurückgreifen. Es besteht einegroße Nähe zur Bevölkerung, sodass hier eine gute Hilfegewährleistet ist.
Gerade im Bereich der Nachbetreuung nach Naturkata-strophen, Hungersnöten und Kriegen leisten sie eine un-verzichtbare Arbeit.Wir blicken gerade mit großer Sorge auf Länder wiedie Ukraine, Syrien und den Irak. Es ist vorhin schon ge-sagt worden: Im Augenblick befinden sich – FrauWöhrl, Sie hatten diese Zahl genannt – allein im Irak1,2 Millionen Menschen auf der Flucht. Heute Morgenhat die Kanzlerin erwähnt, dass in Jordanien inzwischen20 Prozent der Bevölkerung aus Flüchtlingen bestehen.Diese Probleme stehen vor uns. Sie werden uns in denkommenden Jahren und Jahrzehnten weiter – wahr-scheinlich noch viel intensiver – beschäftigen.Auch der Klimawandel, meine Damen und Herren,wird weitere Flüchtlinge hervorbringen. Überweidung,Überdüngung, falsche Bewässerungsmethoden und dasAbholzen von Wäldern führen dazu, dass die Qualitätder Böden gerade in den ärmsten Ländern zunehmendabnimmt und die Verfügbarkeit von Wasser immerschlechter wird. Man spricht davon, dass bis 2080 mög-licherweise 1,8 Milliarden Menschen in einem wasserar-men Umfeld leben werden. Bis 2050 rechnet man mit biszu 200 Millionen sogenannten Klimaflüchtlingen. DieseZahlen belegen, dass wir uns noch weit intensiver mitder Flüchtlingsproblematik beschäftigen müssen. Des-halb möchte ich – das habe ich auch in meiner Rede zurersten Lesung schon gesagt – noch einmal betonen, dassich besonders die Sonderinitiative „Fluchtursachen be-kämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“ begrüße.
Nur so können wir dazu beitragen, dass Fluchtursa-chen zukünftig erst gar nicht entstehen. Ich habe michüber das Zitat von Willy Brandt gefreut, das der KollegeAxel Schäfer vorhin gebracht hat – ich will es noch ein-mal wiederholen –: „Entwicklungspolitik von heute istFriedenspolitik von morgen.“ Ich finde, das passt auch indiesem Zusammenhang sehr gut.
Beim Klimaschutz stehen wir als Industriestaat undVerursacher von Umweltverschmutzung in einer großenVerantwortung. In unserem Koalitionsvertrag haben wiruns zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ver-pflichtet und anerkannt, dass Entwicklungsländer bei derAnpassung an den Klimawandel und der Bewältigungseiner Folgen unterstützt werden müssen. Ich bin dahersehr froh, dass wir in der Bereinigungssitzung – HerrKlein hat erklärt, warum das so spät passierte – eine Ver-pflichtungsermächtigung in Höhe von 750 MillionenEuro in den Etat für die Entwicklungszusammenarbeiteinstellen konnten. Diese Mittel sind für den Green Cli-mate Fund, über den heute schon viel geredet worden ist.Es ist in der Tat so: Deutschland und die anderen In-dustrieländer haben zugesagt, dass wir ab 2020 jährlich100 Milliarden US-Dollar für den Klimaschutz zur Ver-fügung stellen wollen. Das ist sehr viel Geld, aber ichdenke, es ist wichtig, dass wir als Industrieländer dastun. Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Wirmüssen bis 2020 den Aufwuchs in der Finanzierung desKlimaschutzes so gestalten, dass wir diese Zusage aucheinhalten können.
Der dritte Bereich, in dem wir gegenüber dem erstenEntwurf des Haushalts mehr Mittel erreichen konnten,betrifft den Gesundheitsbereich. Auch an dieser Stellemöchte ich kurz aus dem Koalitionsvertrag zitieren. Dortheißt es:Gesundheit bildet die Grundlage für nachhaltigeEntwicklung. Der Globale Fonds spielt hierbei einewichtige Rolle, die sich in der Politik der Bundesre-gierung widerspiegeln soll.Wir haben es vorhin schon gehört: Wir haben denGFATM, den Globalen Fonds zur Bekämpfung vonAids, Tuberkulose und Malaria, und wir haben denFonds GAVI; das ist die globale Impfallianz. In beidenFonds haben wir für dieses Jahr zusätzliche Barmitteldurchsetzen können. Im GFATM sind es insgesamt45 Millionen Euro, also 5 Millionen mehr, und bei GAVIsind es 3 Millionen Euro. Ich schließe mich ausdrücklichdem an, was meine Kollegin Bärbel Kofler vorhin schon
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Sonja Steffen
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gesagt hat: Wenn wir den Zielen gerecht werden wollen,dann ist es mit dieser Hilfe nicht getan.Herr Silberhorn – ich weiß nicht, ob er noch da ist; daoben sitzt er – hat vor einigen Wochen auf einem Forumgesagt: Es gilt, „das Ziel von GAVI, bis zum Jahr 2020weitere 300 Millionen Kinder zu impfen, mit aller Kraftzu unterstützen“. Wir Sozialdemokraten, Herr Silberhorn,nehmen Sie an dieser Stelle beim Wort. Insbesondereweil wir 2015 voraussichtlich Ausrichter der GAVI-Konferenz sind, denke ich, sollte Deutschland bei der Fi-nanzierung dieses Fonds mit gutem Beispiel vorange-hen.
Die GFATM-Auffüllungskonferenz steht ebenfalls an,und zwar ein Jahr später im Juni 2016. Ich denke, dasswir auch hier weitere deutliche Zeichen brauchen.
Auch hier hoffen wir Sozialdemokraten auf Ihre Unter-stützung, Herr Minister.
Jetzt will ich noch ganz kurz etwas zum Änderungs-antrag der Grünen sagen. Frau Hajduk, wir lehnen unsbei diesem Etat nicht zurück. Ich und die Koalition ins-gesamt sehen das ganz anders als Sie. Wir haben jetztganz viele Bereiche genannt, in denen wir einiges bewir-ken konnten. Über Ihren Antrag ist vorhin schon mehr-mals gesprochen worden. Ich zitiere jetzt einmal aus die-sem Antrag Ihre Aussage zur Gegenfinanzierung. Sieschreiben:Die Verstärkung der Programme wird über den Ab-bau von umweltschädlichen Subventionen im Ge-samthaushalt gegenfinanziert.
Das ist Ihre Begründung für den Haushalt 2014.
Sie legen eine Reihe von Anträgen vor, aber eine seriöseGegenfinanzierung sieht völlig anders aus.
Es reicht einfach nicht, zu sagen: Abbau von umwelt-schädlichen Subventionen. – Das ist irgendwie alles undnichts.
Zum Schluss möchte ich noch eines sagen. Wir habenhier heute viel über die ODA-Quote geredet. Ich habedies schon in meiner letzten Rede gesagt: Wir Sozialde-mokraten und ich persönlich werden uns weiter dafüreinsetzen, dass die zusätzlichen Mittel in Höhe von ins-gesamt 2 Milliarden Euro keinen Deckel darstellen. Wirhoffen aufgrund des guten, optimistischen Ausblicks aufSteuermehreinnahmen, damit wir auch in diesem Be-reich in den nächsten Jahren noch einiges erreichen kön-nen.Vielen Dank.
Frau Kollegin Hajduk, es folgt jetzt eine erste Rede.
Der Redner ist schon aufgestanden. Wollen wir ihn nicht
reden lassen?
Oder wollen Sie trotzdem?
– Kurz, ja.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Es soll auch kurz sein.Es tut mir leid, dass ich das in meiner Doppelfunktionnicht so schnell realisiert habe.Weil ich von der Kollegin, die mit mir im Haushalts-ausschuss sitzt, persönlich angesprochen wurde, möchteich sagen: Wir haben in der Begründung unseres An-trags, zu dem selbstverständlich ein ausführlicher Ent-schließungsantrag vorliegt, auf die Gegenfinanzierunghingewiesen. Sie könnten das wissen, weil Sie im Haus-haltsausschuss über große Teile unserer Gegenfinanzie-rung schon selber abgestimmt haben, auch wenn Sie ih-nen nicht zugestimmt haben. Denn auch dort haben wirdiesen Entschließungsantrag zur Gegenfinanzierung ein-gebracht.Wir können gerne unterschiedlicher Auffassung da-rüber sein, ob Sie sich diese Gegenfinanzierung zu eigenmachen, ich könnte auch sagen: zutrauen. Aber Sie müs-sen in der Öffentlichkeit bitte eingestehen, dass wir allunsere Forderungen titelscharf mit vollständigem Fi-nanztableau gegenfinanziert haben. Ich werde IhremBüro diesen Antrag zukommen lassen. Das ist ein Ser-vice, den ich Ihnen von Haushaltskollegin zu Haushalts-kollegin anbieten kann. – Das wollte ich an dieser Stellefür meine Fraktion ausdrücklich klarstellen.Schönen Dank.
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Ich setze noch einmal an: Im Leben eines jeden Parla-
mentariers ist es etwas Besonderes, seine erste Rede im
Parlament zu halten. Das hat jetzt der Kollege Dr. Georg
Kippels vor. Wir begrüßen ihn zu seiner ersten Rede im
Deutschen Bundestag.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Wir haben seitens der Opposition schoneinige Ausführungen auf ideologischer und auf philoso-phischer Basis gehört. Bei meinem Einstieg in das parla-mentarische Leben würde ich mich jetzt gerne einigensystematischen Aspekten widmen und hierzu einigeAusführungen machen.Das Spektrum einer nachhaltigen Entwicklungspoli-tik ist stark vernetzt. Zahlreiche Faktoren spielen des-halb eine entscheidende Rolle für den Erfolg der Arbeit.Meinen Fokus möchte ich nun auf die Themen Gesund-heit und Frauenrechte richten. Hier besteht eine inten-sive innere Verbindung. Gesundheit und Frauenrechtesind Fundamente der nachhaltigen Entwicklung einesLandes. Gesundheit ist die Basis von gesellschaftlicherund wirtschaftlicher Entwicklung. Ohne eine gesundeBevölkerung von Kindesbeinen an scheidet eine erfolg-reiche Entwicklung der Gesellschaft aus, weil ganz ein-fach die Selbstgestaltungskräfte fehlen. Gesundheit istdas Fundament von Bildung, Bildung das Fundament ei-ner qualifizierten Arbeit, und qualifizierte Arbeit führtaus der Armut heraus.
Diese Rangfolge findet sich auch im neuen Haushaltdes BMZ wieder. Für den Bereich Gesundheit sind bila-terale Zusagen in Höhe von 250 Millionen Euro ange-setzt. Allein auf Maßnahmen zur Förderung der Gesund-heit von Müttern und Kindern entfallen davon190 Millionen Euro. Damit unterstützen wir klar dieUmsetzung der MDGs 4 und 5. Hier wurden schon Fort-schritte erzielt, aber es müssen weitere Fortschritte ge-macht werden. Es besteht unverändert Handlungsbedarf.Allerdings sind wir mit dieser Ausrichtung auf dem rich-tigen Weg in Richtung der SDGs.Im Rahmen der regionalen Orientierung ist der Fokusauf Afrika gerichtet. Afrika steht vor vielen Herausfor-derungen, gerade im Bereich der Gesundheit. Die Di-mension der Hilfe leitet sich aus der Bevölkerungsent-wicklung und dem demografischen Aufbau derGesellschaft ab. Für den Erfolg des Prozesses ist es des-halb erforderlich, dass die Entwicklung im Dialog undvor allen Dingen auf Augenhöhe stattfindet. Die Selbst-verpflichtung der afrikanischen Staaten, 15 Prozent ihrerBudgets in den Bereich Gesundheit zu investieren, istnoch lange nicht eingelöst. Diese Eigenleistung ist einwichtiger Baustein bei der Implementierung des Ent-wicklungsprozesses.
Dieser Prozess muss durch die Entwicklungsländer aktivmitgestaltet und auch mit verantwortet werden.Gleichwohl bedarf Afrika noch großer Unterstützung.Dies spiegelt sich in der Schwerpunktsetzung des Haus-halts wider: 50 Prozent der regionalen Mittel gehen indie Schwerpunktregion Afrika. Ziel ist eine ganzheitli-che Verbesserung der Lebenssituation der Menschen.Die Gesundheit der Menschen ist der Quell ihrer Schaf-fenskraft und ihrer persönlichen Entfaltungsmöglichkei-ten. Wo keine Gesundheit ist, schwindet die Chance aufein glückliches, selbstverantwortetes und damit erfolg-reiches Leben. Dies beginnt bei den Schwächsten derGesellschaft, den Kindern, die auf eine grundlegendeVersorgung angewiesen sind und für die wir alle Verant-wortung übernehmen müssen.Gerade in diesem Bereich stehen uns – wir haben esgerade schon gehört – leistungsfähige Konzepte zur Ver-fügung, zum Beispiel die Internationale Impfallianz,GAVI, die wir in diesem Jahr mit 15 Millionen Euro un-terstützen.
Die Unterstützung von GAVI ist eine Investition in dieZukunft, weil GAVI erstens kosteneffizient und zweitensanwendungssicher Krankheitsrisiken bekämpft, zumBeispiel durch eine Fünffachimpfung für Säuglinge unddurch Impfkampagnen gegen Meningitis A, Tetanus beiMüttern und Neugeborenen, Masern und Gelbfieber.GAVI hat in den letzten 14 Jahren enorme Erfolge erzieltund die Zahl der Krankheits-, vor allen Dingen aber dieZahl der Sterbefälle massiv reduziert. In über 70 Län-dern wird Kindern dank GAVI eine glückliche Zukunftgeschenkt. Hierbei ist die schrittweise Überleitung in dieEigenverantwortung der Staaten genau das richtige Kon-zept.Die Ausrichtung der GAVI-Wiederauffüllungskonfe-renz in Berlin im Februar 2015 unterstreicht den hohenStellenwert, der GAVI national und international beige-messen wird. Nur dann, wenn Kinder und Jugendlichekörperlich in die Lage versetzt werden, Bildung und diefür ihre Zukunft notwendigen Fähigkeiten zu erwerben,macht die Entwicklungszusammenarbeit Sinn; denndann ist sie nachhaltig.
In die gleiche Richtung zielt die Steigerung des Beitragsan den Global Fund auf in diesem Jahr 245 MillionenEuro; denn auch Aids, Tuberkulose und Malaria sindgroße Feinde der Entwicklung vieler Staaten.Internationales Engagement kann allerdings kein All-heilmittel sein. Wir sollten auch Wert darauf legen, dassdie wissenschaftliche Kompetenz Deutschlands in dieEZ eingebracht wird und eine ressortübergreifende Zu-sammenarbeit von BMG und BMBF mit dem BMZstattfindet. Technische Fortschritte können zu einer ent-sprechenden Mittelkompensation führen. Durch eineSteigerung der Mittel allein lässt sich nicht zwangsläufigeine Verbesserung der Qualität der EZ erreichen. Inso-
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Dr. Georg Kippels
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fern können wir feststellen, dass die ODA-fähigen Aus-gaben des BMG bei immerhin 19 Millionen Euro, diedes BMBF sogar bei 132 Millionen Euro liegen.Ich komme an dieser Stelle zu den Frauenrechten. DiePosition der Frauen in der Gesellschaft ist für den Gradder Freiheit der Menschen und für die Gerechtigkeit ent-scheidend. Die Bedeutung der Frauenrechte wird imHaushalt daran deutlich, dass wir die Mittel für die Un-terstützung des UNFPA verstetigen. Der Prozess derGleichstellung der Frauen lässt sich aber nicht alleindurch entsprechende Mittel umsetzen, dazu bedarf es vorallen Dingen einer zielgerichteten Aufklärungs- und Bil-dungspolitik. Wir müssen mit geeigneten Steuerungsin-strumenten auf einen gesellschaftspolitischen Wandelhinwirken, zu dem unsere international tätigen Entwick-lungspartner wie etwa die GIZ, aber auch die KfW ent-scheidende Beiträge leisten können.
Die Emanzipation verändert auch die demografischeEntwicklung: Je emanzipierter Frauen sind, desto eherist eine verantwortliche Familienplanung möglich, unddie ist für eine Demokratisierung ein wesentlicher Bau-stein. Wenn sich die gesellschaftliche Situation vonFrauen verbessert, stärkt dies den Demokratisierungs-prozess.
Fortschritte in der Mädchen- und Frauenbildung, einAnstieg der weiblichen Erwerbstätigkeit und sinkendeGeburtenraten sind ein wichtiger Motor für Demokrati-sierung. Frauen investieren direkt in die Familie. Erlan-gen Frauen wirtschaftliche Entscheidungskompetenz,führt dies zu einer sachgerechten Verwendung des Ein-kommens für Nahrung, Bildung und vor allen DingenGesundheit und damit letztendlich zu einer Verbesserungder Lebenssituation.Nach Schätzungen der FAO können Frauen mit glei-chem Zugang zu Produktionsmitteln die landwirtschaft-liche Gesamtproduktion um 2,5 bis 4 Prozent steigern.Dies alleine würde für 100 bis 150 Millionen Menschenein Ende des Hungers bedeuten.
Die Gleichstellung der Frau in Staat und Gesellschaft istdeshalb ein weiterer Schwerpunkt der EZ und ein Kern-auftrag an alle handelnden Institutionen. Hierbei sindauch die Stiftungen maßgeblich gefordert.Ich komme zum Schluss. Der Auftrag der Millen-niumsziele findet mithin einen nachhaltigen Nieder-schlag in den Inhalten des Einzelplanes 23. Diese Posi-tionierung ist eine wertvolle Vorlage für dieWeiterentwicklung der SDGs, denen wir uns 2015 wid-men müssen. Das BMZ wird durch seine Arbeit neue Si-gnale setzen, die die Menschen aus Armut, Hunger undKrankheit führen werden.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Wir gratulieren dem Kollegen Dr. Georg Kippels,
CDU/CSU-Fraktion, herzlich zu seiner ersten Rede vor
dem Plenum des Deutschen Bundestages. Wir wünschen
Ihnen eine interessante parlamentarische Arbeit mit vie-
len lebendigen Debatten.
Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich das
Wort dem Abgeordneten Tobias Zech, CDU/CSU-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir habenheute eineinhalb Stunden über den Haushalt des Bundes-ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung gesprochen. Ein paar kleine Schärfungenmöchte ich noch vornehmen.Wir haben schon einige große Themen erwähnt. Dreilebensnotwendige Grundvoraussetzungen möchte ichnoch nennen:Erstens. Über 840 Millionen Menschen fehlt weiter-hin genügend Nahrung und damit die Basis zum Überle-ben.Zweitens. Wie wir der Presse und den Schlagzeilenmittlerweile täglich entnehmen können, nehmen die Si-cherheit und die Stabilität weltweit eher ab statt zu. Diesteigende Anzahl an gewaltsamen Auseinandersetzun-gen – ob direkt an unseren Grenzen, ob in der Zentral-afrikanischen Republik oder in Syrien und im Irak –zeichnet ein äußerst beunruhigendes Bild. Die Konse-quenz für unsere deutsche Entwicklungsarbeit ist un-übersehbar; denn Sicherheit bedingt Entwicklung, sowie Entwicklung Sicherheit bedingt. Fehlende wirt-schaftliche und soziale Perspektiven sind Brandbe-schleuniger in Konflikten. Sie vermehren den sozialenSprengstoff und verhindern den Aufbau von Stabilität.Drittens. Wir blicken auf eine sich verschärfendeFlüchtlingsproblematik.Am 9. April 2014 haben wir vom Minister gehört:Meine Botschaft … ist nicht Resignation, sondernAufbruch, neues Denken und Mut, Investitionen inZukunft, Frieden und das Leben.Herr Minister, das waren die richtigen Worte. Sie habenrecht mit diesem Appell. Es geht um Aufbruch und nichtum Resignation. Das ist auch die Message, die wir in derGroßen Koalition im Bereich der Entwicklungszusam-menarbeit und mit diesem Haushalt unterstreichen.
Herr Kekeritz, Sie haben uns vorhin ja passend zurWM die drei Karten gezeigt. Leider haben Sie dabei eheran die Schiedsrichterleistung im Spiel Uruguay gegenItalien angeknüpft. Ohne der FIFA irgendwie zu nahe
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Tobias Zech
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treten zu wollen, denke ich nämlich, die Bilanz unsererArbeit kann sich sehen lassen. Zur Bewältigung einigerder großen Herausforderungen der zukünftigen Entwick-lungsarbeit wurden bereits die drei Sonderinitiativen„Eine Welt ohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen,Flüchtlinge reintegrieren“ und „Nordafrika und NaherOsten“ angestoßen. Sie versetzen uns in die Lage,schnell zu reagieren, bieten uns aber auch die Möglich-keit, uns nicht nur auf die Bekämpfung von Symptomenzu beschränken.Eine weitere Botschaft lässt sich zudem aus den ers-ten Tagen unserer Regierungsarbeit ablesen: Neues zuschaffen, hat mehr Wert, als zu protestieren.Insgesamt unterstreicht der Einzelplan 23 mit derNeuausrichtung und der Erhöhung um 2,3 Prozent aufeinen Etat von 6,44 Milliarden Euro die Botschaft desMinisters. Im Gegensatz zum gesunkenen Gesamthaus-halt steigt der Anteil für Entwicklungshilfe.
Ja, die Mittel sind nicht unendlich. Umso genauermuss auf ihre Verwendung geachtet werden. Entwick-lungspolitik muss Ursachenbekämpfung sein. Genauhier setzen zum Beispiel die politischen Stiftungen an.Als zuständiger Berichterstatter für die politischen Stif-tungen in meiner Fraktion begrüße ich ganz besondersdie Erhöhung der Ausgaben für die Stiftungen um circa5 Millionen Euro, die für 2014 zur Verfügung stehen.
Ein Blick in die Welt zeigt: Neben der elementarenGrundsicherung sind funktionierende Rahmenbedingun-gen für eine wirklich nachhaltige Entwicklung und fürWohlstand notwendig.Als Grenzgänger zwischen Zivilgesellschaft und Staatsind politische Stiftungen ein für uns entscheidendesInstrumentarium, um bei der Verbreitung und oft auchVerteidigung wesentlicher politischer Menschenrechteanzusetzen. Die Schaffung von Rahmenbedingungenwie Mitsprache, Erwachsenenbildung, Rechtsstaatlich-keit oder Good Governance steht seit jeher im Fokuspolitischer Stiftungen und nun auch im Zielsystem derPost-2015-Agenda mit den Grundprinzipien Menschen-rechte, Chancengerechtigkeit und Nachhaltigkeit.Hierfür ließen sich bei jeder politischen Stiftung un-zählige Beispiele finden. Sie gestatten mir, dass ichheute nur die Tätigkeit der Hanns-Seidel-Stiftung undder Konrad-Adenauer-Stiftung sowohl in Indonesien alsauch in Tunesien erwähne. Nichtsdestotrotz machen allevertretenen politischen Stiftungen sehr gute Arbeit.
Aber vor allem in Tunesien und im Nahen Osten werdenüber die Stiftungen Werte wie Pluralismus, Grundrechteund Good Governance vermittelt und gefördert. Das hilftnicht nur, diese Länder zu stabilisieren, sondern trägtauch dazu bei, ganze Regionen zu stabilisieren. Das sindnur zwei Beispiele aus der Arbeit unserer politischenStiftungen, die wesentlich von lang andauernden und so-mit nachhaltigen Kontakten vor Ort geprägt sind und da-her einer kontinuierlichen Förderung bedürfen.Fehlende funktionierende Rahmenbedingungenschaffen nicht nur politische Unsicherheit. In der Konse-quenz bewirken sie einen politischen und wirtschaftli-chen Dämmerzustand. Als Dominoeffekt ziehen sich In-vestoren und Handel zurück. Die Transaktionskostensteigen und die Korruption verschärft sich.Ich begrüße daher die vom Minister angekündigten20 Millionen Euro, die zusätzlich für die Entwicklungs-zusammenarbeit mit der Ukraine bereitgestellt werden;denn in der Arbeit mit unseren näheren Nachbarn – derFlug von Berlin nach Kiew dauert zweieinviertel Stun-den – müssen wir den Fokus noch stärker auf die Eta-blierung von Rechtsstaatlichkeit legen. Herr Minister,schon einmal vielen Dank für das schnelle Reagierenund das gute Engagement mit Blick auf die Ukraine!
Die aktuelle Lage in der Ukraine steht beispielhaft fürdie beschriebene Kettenreaktion. Es droht ein Staats-bankrott, wenn nicht schnellstmöglich Mittel aus demAusland zur Verfügung gestellt werden. Zur Abwendungder Staatsinsolvenz werden 35 Milliarden Euro benötigt.Ich selbst war im Auftrag des Europarates als Wahlbe-obachter in Kiew und konnte mir vor Ort einen Eindruckverschaffen. In Gesprächen vor und nach der Wahl am25. Mai dieses Jahres wurde vor allem eines deutlich:Die mangelnde Rechtssicherheit stellt ein zentrales Pro-blem dar; denn Rechtssicherheit und nachhaltige wirt-schaftliche Entwicklung verhalten sich zueinander kom-plementär: Das eine kann es ohne das andere nichtgeben.
Zwei Botschaften lassen sich aus dem Fall Ukraineablesen:Erstens. Die Krise in einem Land in unserer direktenNachbarschaft zeigt deutlich, dass Entwicklungsarbeitfür Deutschland nicht nur ethische Verpflichtung ist,sondern damit auch ganz klar deutsche und europäischeWirtschaftsinteressen vertreten werden.Zweitens. Bei den Gesprächen in der Ukraine hat sichauch gezeigt: Deutschland kann mehr als nur Geld trans-ferieren. Es war beeindruckend, welches Interesse mir ander deutschen Expertise – wir schimpfen immer über un-sere Bürokratie – im Bereich der deutschen Verwal-tungsstrukturen entgegengebracht worden ist. Es gingum eine effektive und schlanke Verwaltung und um un-ser Rechtsstaatssystem. Hier können wir mit unseremWissen und mit den Kontakten, die wir haben, noch vielmehr leisten.Diese Vorreiterrolle im Ausland spielen oft auch deut-sche Privatunternehmen mit ihren sozialen Arbeits- undUmweltstandards. Ein besonderes Jubiläum unterstreichtdie Funktion der Wirtschaft in der Entwicklungszu-sammenarbeit: Seit 15 Jahren ist die Bundesregierung
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Tobias Zech
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mit Entwicklungspartnerschaften des Programms„develoPPP.de“ in über 70 Ländern aktiv.Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Entwick-lungsarbeit ist von zahlreichen Kausalitäten gekenn-zeichnet, die wir alle im Blick haben müssen. Einigehabe ich genannt. Unsere Arbeit muss Sicherheit ge-nauso wie ökologische und ökonomische Entwicklungberücksichtigen. Wir müssen die Grundvoraussetzungenzum Überleben – Nahrung, Sicherheit und Menschen-würde – sicherstellen und auch die politischen Rahmen-bedingungen für eine nachhaltige Stabilisierung durch-setzen. Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft und der Staatmüssen Partnerschaften eingehen.Kurz: Unser Ansatz muss umfassend sein. Ich bin derMeinung, wir sind auf dem richtigen Weg.Vielen Dank.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 23 – Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung – in der Ausschussfassung.
Es liegen mehrere Erklärungen gemäß § 31 der Ge-
schäftsordnung vor.1)
Zum Einzelplan 23 liegen zwei Änderungsanträge
vor, über die wir zuerst abstimmen werden. Wir begin-
nen mit dem Änderungsantrag der Fraktion Die Linke.
Wer für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/1846 stimmt, den bitte ich um das Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist
dieser Änderungsantrag gegen die Stimmen der Fraktion
1) Anlage 2
Die Linke mit den Stimmen aller anderen Fraktionen ab-
gelehnt.
Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1847. Wir
stimmen über diesen Änderungsantrag auf Verlangen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen ordnungs-
gemäß besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die
Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht
der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-
zählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern er-mittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung überden Änderungsantrag der Abgeordneten Anja Hajduk,Sven-Christan Kindler, Ekin Deligöz und weiterer Abge-ordneter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu derzweiten Beratung des von der Bundesregierung einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellungdes Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2014,hier: Einzelplan 23, Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung, liegt nun vor: abgegebene Stimmen 559. MitJa, also für diesen Änderungsantrag, haben gestimmt108, mit Nein haben gestimmt 447. Enthalten haben sich4 Kolleginnen und Kollegen. Der Änderungsantrag istdamit abgelehnt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 559;davonja: 106nein: 449enthalten: 4JaDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Diether DehmKlaus ErnstAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKatja KippingJutta KrellmannCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakBirgit WöllertJörn WunderlichPia ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockVolker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringAnja HajdukBritta HaßelmannBärbel HöhnDieter JanecekUwe Kekeritz
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Vizepräsident Peter Hintze
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Katja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinUlle SchauwsDr. Gerhard SchickKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigYvonne MagwasThomas MahlbergGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Andreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas Silberhorn
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Vizepräsident Peter Hintze
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Johannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblThomas StritzlLena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupSabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeiteDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerChristine LambrechtDr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenMahmut Özdemir
Markus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Simone RaatzMartin RabanusGerold ReichenbachAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückClaudia TausendMichael ThewsWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberAndrea WickleinWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesEnthaltenSPDMarco BülowDr. Karamba DiabyDr. Sascha RaabeStefan RebmannJetzt erst stimmen wir über den Einzelplan 23 in derAusschussfassung ab; die Grünen hatten mit ihrem Än-derungsantrag ja beantragt, diese Ausschussfassung zuändern. Das sage ich allen, die das trotz langjähriger par-lamentarischer Erfahrung nicht so ganz auf dem Schirmhatten. Das ist Demokratie.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3789
Vizepräsident Peter Hintze
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Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-plan 23 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist derEinzelplan 23 in der Ausschussfassung mit den Stimmender CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen dieStimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen vom Deutschen Bundestag angenom-men.Ich rufe Tagesordnungspunkt II.11 auf:Einzelplan 14Bundesministerium der VerteidigungDrucksachen 18/1023, 18/1024Berichterstatter sind die Abgeordneten BartholomäusKalb, Karin Evers-Meyer, Michael Leutert undDr. Tobias Lindner.Zum Einzelplan 14 hat die Fraktion Die Linke dreiEntschließungsanträge eingebracht, über die wir amFreitag nach der Schlussabstimmung abstimmen wer-den.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich erteile als erster Rednerin in dieser Debatte dasWort Christine Buchholz, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau vonder Leyen, Herr Steinmeier und Herr Gauck haben denTon für die außen- und sicherheitspolitische Marschrich-tung der Großen Koalition gesetzt, als sie unisono aufder Münchner Sicherheitskonferenz ihre Entschlossen-heit zur Entsendung von mehr deutschen Soldaten insAusland vortrugen. Ziel ist es, wie bereits 2010 zu Be-ginn der Bundeswehrreform erklärt wurde, die Zahl dersich im Einsatz befindenden Soldatinnen und Soldatendurchhaltefähig auf wenigstens 14 000 zu erhöhen. Ge-nau diese Ausrichtung drückt sich in dem vorliegendenHaushalt aus, und genau deshalb lehnen wir ihn ab.
Nehmen wir zum Beispiel den MilitärtransporterA400M. Dieses Flugzeug soll dort eingesetzt werden,wo Truppen und Ausrüstung über weite Strecken inKriegsgebiete geflogen werden. Sie sollen die veraltetenTransall-Maschinen ersetzen. Für den A400M werdenallein im laufenden Haushaltsjahr 900 Millionen Euroversenkt. Dieses Geld könnte eingespart werden.
Daneben werden einige Milliarden für weitere Rüstungs-großprojekte verplant, darunter Hubschrauber, Kampf-flugzeuge, Schiffe, Spähprogramme usw. usf.
Schließlich sieht die Vorlage der Bundesregierung auchnoch 815 Millionen Euro für sogenannte „wehrmilitäri-sche“ Forschung vor.
Rechnen wir das alles zusammen, so ergeben die so-genannten verteidigungsinvestiven Ausgaben, also dasGeld für militärische Beschaffung und Rüstungsfor-schung, 2014 nach der Regierungsvorlage eine Summevon insgesamt 5,5 Milliarden Euro – 5,5 MilliardenEuro, die tatsächlich besser für andere Dinge eingesetztwerden könnten.
Diese immensen Ausgaben sind auf die Zukunft einerBundeswehr im Dauereinsatz gerichtet.Daneben schlagen die laufenden internationalen Ein-sätze in diesem Jahr mit Zusatzkosten von 775 MillionenEuro zu Buche. Schließlich – das sollten wir nicht ver-gessen – kostet uns die Beteiligung an der NATO alleinin diesem Jahr zusätzlich 200 Millionen Euro.
Wir sehen: „Vom Einsatz her denken“ – so die De-vise – führt nicht nur zur Beteiligung an immer mehrKriegs- und Krisenherden der Welt; dieser Ansatz ver-schlingt auch Milliarden, und diese Milliarden fehlen inden Kindergärten, in den Schulen, in den Schwimmbä-dern, in Krankenhäusern, aber auch für Nothilfe undEntwicklungszusammenarbeit in vielen Teilen der Welt.Nun hat Frau von der Leyen
15 Rüstungsgroßprojekte auf Eis gelegt. Es handelt sichum das Eingeständnis, dass die Kosten völlig aus demRuder laufen. Dabei geht es nicht nur um das laufendeHaushaltsjahr.Nehmen wir das Beispiel des Eurofighters. Der Bun-desrechnungshof wirft dem Verteidigungsministeriumvor, den – Zitat – „Überblick über die aufgelaufenen undnoch anfallenden Ausgaben beim EUROFIGHTER“vollständig verloren zu haben. Es ist das mit Abstandteuerste Rüstungsprojekt der Bundesrepublik Deutsch-land. Der Eurofighter wird den Steuerzahler bis zu seinerAusmusterung schließlich 60 Milliarden Euro gekostethaben, so der Bundesrechnungshof.Frau von der Leyen lässt das Projekt jetzt überprüfen.Aber ich sage: Das reicht nicht. Ziehen Sie auch hierendlich die Reißleine! Wir brauchen dieses Kampfflug-zeug nicht.
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3790 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Christine Buchholz
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Vor allem: Neue Milliardengräber wie der Eurofighterdürfen gar nicht erst ausgehoben werden.
Kommen wir in diesem Zusammenhang auf einThema, Frau von der Leyen, das Sie gar nicht so gernmögen: Reden wir über Drohnen! Zur Frage der Kampf-drohnen haben Sie ja keinen Mucks in der Öffentlichkeitgesagt. Jetzt soll erst einmal eine Ethikdebatte im Bun-destag geführt werden.
Doch wer sich die Details anguckt, bemerkt, dass imHaushaltsentwurf längst zwei Titel für das sogenannteSystem zur Abbildenden Aufklärung in der Tiefe desEinsatzgebietes – kurz: SAATEG – enthalten sind. Dabeihandelt es sich um nichts anderes als die Umschreibungfür die Entwicklung und Beschaffung von Drohnentech-nologie. Im laufenden Haushaltsjahr sind dafür beschei-dene 22 Millionen Euro veranschlagt; bis 2018 und da-rüber hinaus sind aber Summen von zusammengerechnetrund 300 Millionen Euro reserviert.Was Sie nicht laut sagen: Das schließt auch die Be-schaffung von Kampfdrohnen ein. So hat die Bundesre-gierung auf Anfrage der Linken jüngst erklärt, für die zubeschaffenden Drohnen sei konzeptionell eine Bewaff-nungsfähigkeit gefordert. Der Haushaltsentwurf zeigtalso: Während die Bundesregierung vorgibt, erst eineEthikdebatte führen zu wollen, sind die Weichen zur Be-schaffung von Kampfdrohnen längst gestellt. Die Linkesagt: Wir brauchen diese Drohnen nicht. Das wollen wirnicht. Das will auch die Bevölkerung nicht.
Noch etwas: Selbst für den Euro-Hawk-Nachfolgerplant die Große Koalition laut Haushaltsentwurf bis2018 und darüber hinaus fast 700 Millionen Euro ein.SPD und CDU/CSU sind gemeinsam dabei, Deutschlandin die nächste Rüstungsspirale hineinzudrehen und zurDrohnennation zu machen. Dem werden wir uns wider-setzen.
Die Bundesregierung hat nun ein Problem. Die Aus-richtung der Bundeswehr auf internationale Einsätzemacht den Dienst immer unattraktiver. Unabhängig vonden Plänen zur Steigerung der Attraktivität, die Sie neu-lich medienwirksam verkündet haben, stehen im Haus-halt für Nachwuchswerbung bereits 30 Millionen Eurozur Verfügung. Davon werden Messestände, PR-Film-chen und Adventure Camps bezahlt – alles Maßnahmen,die nur einen Zweck haben, nämlich jungen Leuten vor-zugaukeln, die Bundeswehr biete ihnen eine Perspektive.
Aber wer sich mit Soldatinnen und Soldaten unter-hält, die mit Posttraumatischen Belastungsstörungen ausdem Einsatz gekommen sind, kennt die Realität dieserEinsätze, eine Realität, die Frau von der Leyen wegwer-ben will. Für die Nachsorge von Traumatisierten stehenim Übrigen viel zu wenig Mittel bereit. Hier wäre dasGeld sinnvoll angelegt.
Dieser Haushalt, meine Damen und Herren, ist inak-zeptabel. Er verspricht der Rüstungsindustrie ein großesGeschäft, mit der die Bundesregierung auch in engemKontakt steht. Buchstäblich im Wochentakt gehen dieSpitzenvertreter von Rüstungsfirmen in den Ministerienein und aus. Das musste die Bundesregierung auf An-frage der Linken einräumen. Schon werden die Stimmenaus den Reihen der Industrie – wen wundert es? –, aberauch der SPD und der CDU lauter, die eine Erhöhungdes Militärhaushaltes verlangen. Wir sagen: Das ist derfalsche Weg. Deutschland muss sich aus den Auslands-einsätzen zurückziehen. Deutschland muss abrüsten,besser heute als morgen.Vielen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Nach langen und intensiven Beratungen imAusschuss haben wir in dieser Woche den Bundeshaus-halt 2014 abschließend zu beraten. Wir sind, wie gesternund heute schon festgestellt werden konnte, zu einemsehr, sehr guten Ergebnis gekommen. Unsere Ziele be-züglich des Haushaltsvolumens und der Nettokreditauf-nahme, die wir uns vorgenommen haben, konnten er-reicht werden. Es ist ganz wichtig, dass wir dievorgesehene Nettokreditaufnahme in Höhe von 6,5 Mil-liarden Euro trotz der Überraschungen, die uns erreichthaben, am Ende der Haushaltsberatungen auch einhaltenkonnten. Wichtig ist auch, dass wir alle Voraussetzungendafür geschaffen haben, dass wir im Jahre 2015 wie ge-plant einen Bundeshaushalt vorlegen und hoffentlichauch verabschieden können, der absolut ausgeglichenist. Das hat etwas mit Generationengerechtigkeit zu tun.Das hat etwas mit Zukunftssicherung zu tun.Ich habe davon gesprochen – Kollege Kahrs wird esmir bestätigen –, dass wir kurz vor der Abschlussrundevon unangenehmen Ereignissen überrascht worden sind:Urteil des Finanzgerichtes Hamburg, Rückzahlung derBrennelementesteuer, weniger Einnahmen. Auf all dieseDinge will ich nicht im Einzelnen eingehen, weil wirjetzt über den Fachetat sprechen. Diese Ereignisse habenaber dazu geführt, dass wir sowohl auf der Einnahme-wie auf der Ausgabenseite noch große Anstrengungenunternehmen mussten.Leider – ich sage: leider – ist auch der Verteidigungs-etat nicht ungeschoren davongekommen. Wir mussteneine globale Minderausgabe in Höhe von 400 Millionen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3791
Bartholomäus Kalb
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Euro einstellen. Schon beim Haushaltsentwurf haben wirim Einzelplan 60, in dem die Kosten für ziviles Über-hangpersonal ausgewiesen sind, zunächst Reduzierun-gen in Höhe von 500 Millionen Euro vorgenommen. Imnächsten Jahr sind es noch einmal 300 Millionen Euro.Diese Mittel werden genauso wie die globale Minder-ausgabe – so wurde es in den Vorgesprächen vom Fi-nanzminister zugesagt – zeitgerecht und bedarfsgerechtzur Verfügung gestellt. Ich sage: Die jetzt vorgenomme-nen Einsparmaßnahmen sind vielleicht optisch nichtschön, aber vertretbar, weil wir im Moment deutlicheVerzögerungen beim Zulauf von entsprechenden Be-schaffungsvorhaben haben. Insofern ist es ganz wichtig,dass dann die jetzt vorgenommenen Einsparungen be-darfsgerecht zur Verfügung gestellt werden.Die Bundeswehr stand und steht auch jetzt ständigvor immer neuen Herausforderungen. Sie steht immerwieder vor der Herausforderung, so aufgestellt sein zumüssen, dass sie ihren Beitrag leisten kann, damitDeutschland nach innen und nach außen seiner Verant-wortung gerecht werden kann. Damit sichert die Bun-deswehr unsere internationale Handlungsfähigkeit. Siedient den Menschen hier im Land, aber auch den Men-schen in der Welt, wo die Angehörigen der Bundeswehrfür Frieden, Freiheit und die Durchsetzung der Men-schenrechte eintreten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ichsage „im Innern“ dann erinnere ich mich, dass ich vorziemlich genau einem Jahr mittags hier noch eine Redehalten sollte, aber wegen der damaligen Flutkatastrophein meinen Wahlkreis musste. Die Bundeswehr hat unsauch hier wieder gezeigt, wie wichtig ihr Einsatz im Zu-sammenwirken mit den anderen Hilfs-, Katastrophen-schutz- und Rettungskräften ist, um den Menschen hierim Lande zu dienen, wenn Not am Mann ist, weil dieFlut kommt.
Wir haben heute wieder über zwei Missionen abge-stimmt. Ich bin sehr froh, dass unsere Bundeswehr, auchwenn wir nicht mehr die allgemeine Wehrpflicht haben,eine Parlamentsarmee bleibt. Ich glaube, wenn es umEinsätze geht, nehmen wir alle jede Entscheidung sehrernst. Keiner macht sich eine solche Entscheidung leicht.So soll es sein und bleiben: Wir entscheiden uns immerwieder in großer Verantwortung für oder gegen den ei-nen oder anderen Einsatz. Die Soldaten, die Angehöri-gen der Bundeswehr müssen immer wissen, dass wir alsParlament hinter ihrem Einsatz stehen und die Verant-wortung dafür übernehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hättegedacht, dass heute Morgen alles Notwendige zu der un-säglichen Aussage eines gewissen Landtagsabgeordne-ten Müller von den Linken gesagt worden ist, der einenSitz im Potsdamer Landtag hat.
Aber Sie sind wieder damit gekommen. Es ist unsäglich,eine solche Aussage über unser Staatsoberhaupt zu tref-fen oder die Ministerin und andere, die sich entspre-chend äußern, verunglimpfen zu wollen.
Ich bin schon ziemlich lange im Parlament; ich weiß,wie wir damals um den ersten Einsatz im Ausland, aufdem Balkan, gerungen haben, vor einem völlig anderenHintergrund, mit einer anderen Sicht auf die Verfas-sungslage. Es wird aus heutiger Sicht niemand abstreitenkönnen, dass wir eine große Verantwortung dafür tragen,wie es beispielsweise am Südrand Europas weitergeht –deswegen diese Dinge.
Sie werden doch nicht abstreiten können, dass wir Bünd-nisverpflichtungen haben, dass wir gesamteuropäischeVerpflichtungen haben, dass wir NATO-Verpflichtungenhaben, dass wir Verpflichtungen im Hinblick auf denFrieden in einer Region haben, in der es auch um die Si-cherheit Israels geht.
Gerade wir Deutsche haben hier eine große Verantwor-tung.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Verantwor-tung zu übernehmen, bedeutet, Frieden und Freiheit zusichern und bereit zu sein, die entsprechenden Mittel undMöglichkeiten zu nutzen. Das bedeutet, den Menschen-rechten Geltung zu verschaffen und die territoriale Inte-grität zu wahren.
Es bedeutet, dem Völkerrecht zu dienen. Deswegenmüssen wir all die Vorwürfe von der Linken zurückwei-sen. Offensichtlich haben solche Aussagen bei IhnenMethode; ich will nicht länger darauf eingehen.Die Bundeswehr steckt mitten in einem großen Um-strukturierungsprozess; sie ist auf dem Weg von der ehe-maligen Wehrpflichtarmee zur neuen Form. Wir werdennur noch 170 000 Berufs- und Zeitsoldaten haben. Wirhaben keine Wehrpflichtigen mehr. Wir gehen davonaus, dass es uns gelingt, 12 500 freiwillig Dienstleis-tende zu gewinnen, und wir beziehen auch die Reservis-ten – ihre geplante Zahl liegt bei 2 500 – ganz intensivmit ein. Auch das zivile Personal wird natürlich entspre-chend reduziert. Es gibt also große Reformen, großeUmbrüche, große Herausforderungen für alle, die in derBundeswehr zivil oder militärisch Dienst leisten. Des-wegen gilt ihnen besonderer Dank und besondere Aner-kennung dafür, dass sie trotz dieser Umstrukturierung ih-ren Auftrag hervorragend erfüllen.
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3792 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Bartholomäus Kalb
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehendemzufolge vor ganz neuen Herausforderungen, was diePersonalgewinnung betrifft, Stichwort „Attraktivitäts-programm“. Wir stehen im Wettbewerb mit anderenBerufsfeldern und Berufsbildern am Arbeitsmarkt.Deswegen begrüße ich ausdrücklich, Frau Ministerin,Ihre Anregung, den Angehörigen der Bundeswehr mehrMöglichkeiten der Weiterbildung und Weiterentwick-lung zu bieten und diese stärker herauszustellen. UnterUmständen können diese Weiterbildungsmaßnahmenmit entsprechenden Zertifikaten abgeschlossen werden,damit diejenigen, die die Bundeswehr nach einer gewis-sen Zeit in die Privatwirtschaft verlassen, ihre Kenntnissebelegen können und dort auch entsprechend Anklang fin-den. Auch diese Form der Qualifizierung scheint mirsehr wichtig zu sein.
Wir erteilen unseren Soldatinnen und Soldaten nichtnur Aufträge, sondern wir müssen auch dafür sorgen,dass sie entsprechend gut ausgerüstet sind. Das ist einepermanente Aufgabe, die von uns im Haushaltsaus-schuss und auch von den Fachkollegen im Verteidi-gungsausschuss wahrgenommen wird.Auf anderen Feldern, Stichwort „Kommunikations-technologie“, beklagen wir, dass wir in Deutschland undauch in Europa überhaupt nicht mehr die entsprechendenFähigkeiten haben. Wir müssen schon dafür sorgen, dasswir auch künftig die technologischen Fähigkeiten haben,die wir brauchen, um unseren Aufgabenstellungen ge-recht werden zu können.Das Verteidigungsbudget in Deutschland und auchdie Verteidigungsbudgets unserer Verbündeten in Europawerden immer kleiner. Die Nachfrage sinkt, und es wirddaher immer schwieriger, die Fähigkeiten zu erhalten. Esnützt uns auch nichts, nur die Fähigkeiten, die wir jetzthaben, zu erhalten. Die Welt wandelt sich sehr schnell,und woanders können im Bereich der militärischen For-schung und Entwicklung Mittel in ganz anderem Um-fang eingesetzt werden.Wir müssen dafür sorgen, dass wir bei der technologi-schen Entwicklung nicht abgehängt werden. Wir müssenuns die Frage stellen: Welche Märkte stehen uns über-haupt zur Verfügung, um unsere Fähigkeiten auch in derZukunft nutzen zu können? Nicht dass unsere Nachfol-ger hier im Parlament möglicherweise feststellen müs-sen: Wir würden ja gerne bestimmte Aufgaben wahrneh-men und die Verantwortung für bestimmte Bereicheübernehmen, aber wir haben nicht mehr die entsprechen-den Fähigkeiten.Ich möchte hinzufügen: So manche Entwicklung, dieim militärischen Bereich stattgefunden hat, weil geradedort der Zwang zur Miniaturisierung und zur Präzisie-rung sehr groß ist, ist im Bereich der zivilen Technolo-gien sehr nutzbringend eingesetzt worden. Auch diesenAspekt sollten wir nicht übersehen.Ich bedanke mich zum Schluss ganz herzlich bei mei-ner Kollegin Mitberichterstatterin, Frau Karin Evers-Meyer, bei Dr. Tobias Lindner und bei Michael Leutert,aber auch bei Ihnen, Frau Ministerin, und Ihren Mit-streitern, Staatssekretären und Mitarbeitern im Haus-haltsreferat – ganz herzlichen Dank! Wir hatten trotzunterschiedlicher Auffassung im Einzelfall eine gute Be-ratung.
Ich bitte die nachfolgenden Redner, nicht einfachdurch Zusammenfalten des Manuskripts beim Präsidiumden Eindruck zu erwecken, der Redner sei fertig, unddann geht es doch noch ziemlich lange.
Bitte halten Sie sich an die Zeit. Das ist auch fair den an-deren Kollegen gegenüber.Als Nächstem erteile ich das Wort dem AbgeordnetenDr. Tobias Lindner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Ich kann Sie, Herr Präsident, beruhigen: Mein Ma-nuskript ist auf Pappe gedruckt, und dadurch wird dasZusammenfalten etwas schwierig.Wir führen die jährliche Debatte über den Verteidi-gungshaushalt. Das ist durchaus eine besondere Debatte,weil wir über die finanziellen Grundlagen des Dienstesunserer Soldatinnen und Soldaten reden, eines Dienstes,der nur schwerlich mit anderen Berufen vergleichbar ist.
Die Debatte in diesem Jahr ist auch besonders, weilwir über den Etat einer Ministerin sprechen, die sich – soist mein Eindruck – auf den selbstgewählten Weg zurKanzlerinnenkandidatur begeben hat. Frau von derLeyen, Sie sind mit großen Schritten – oder besser ge-sagt: mit großen Ankündigungen – in dieses Amt gestar-tet. Sie selbst haben die Maßstäbe, an denen Sie gemes-sen werden, definiert.Wir sprechen beim Einzelplan 14 über einen Etat, dermit über 32 Milliarden Euro der zweitgrößte Fachetat,nach dem Etat des Bundesministeriums für Arbeit undSoziales, des Gesamthaushaltes ist. Wenn am Freitagdieser Haushalt mit den Stimmen der Großen Koalitionbeschlossen werden wird, dann vertrauen Ihnen Unionund SPD eine ganze Menge Geld an. Die Oppositionfragt sich zu Recht, ob die richtigen Schwerpunkte ge-setzt wurden, ob diese 32 Milliarden Euro in die richti-gen Bereiche fließen. Als grüne Fraktion müssen wir vorallem bezweifeln, dass Sie mit dem Geld, das Ihnen an-vertraut wird, Frau von der Leyen, so umgehen, wie esdas Parlament erwarten darf.
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Dr. Tobias Lindner
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Die Aufregung war groß, vor allem bei den Kollegin-nen und Kollegen der Union, als ich hier in der erstenLesung ein Rüstungsmoratorium für die 15 größten Pro-jekte gefordert habe.
Es ist Ihnen natürlich interpretatorisch freigestellt, überwelche unserer Anträge Sie sich aufregen wollen undüber welche nicht. Wir Grünen sind aber schon der Mei-nung, dass man das, was Sie angekündigt haben, Frauvon der Leyen, ernst nehmen sollte.
Da Sie im Frühjahr Projektstatusberichte nicht gebilligthaben, finden wir es recht und billig, dass der Haushalts-ausschuss Gelder für diese Projekte erst dann freigibt,wenn Sie dem Ausschuss einen gebilligten Statusberichtvorlegen und wir sicher sein können, dass zumindest daseigene Haus von diesen Projekten noch überzeugt ist.
Wir wollen nicht – das haben wir in diesen Haushaltsbe-ratungen gezeigt –, dass der Abend, an dem das Rüs-tungsboard tagte, eine bloße Inszenierung mit den tragi-schen Opfern Stéphane Beemelmans und DetlefSelhausen bleibt, sondern, dass daraus echte Konsequen-zen erwachsen.Haushaltsberatungen – das hat Bartholomäus Kalbgerade demonstriert – sind gewöhnlich auch ein Ort desDankes an die Kollegen im Ausschuss, an die Mitarbei-ter und an das Ministerium. Ich will heute besonders denvon mir geschätzten Kollegen Karin Evers-Meyer undBartholomäus Kalb für einen Änderungsantrag in derBereinigungssitzung zum Bundeshaushalt danken. Siehaben es fertiggebracht, dass wir binnen 30 Minuten Be-ratung im Ausschuss den Verteidigungshaushalt um400 Millionen Euro kürzen konnten. Ich zitiere aus derBegründung des Antrags der Koalitionsfraktionen:Begründung:Zu erwartende Minderausgaben aufgrund von Ver-zögerungen im Bereich der militärischen Beschaf-fungen.Vor wenigen Wochen haben Sie sich hier noch überunsere Forderung nach einem Rüstungsmoratorium auf-geregt und mich vielleicht sogar für irre gehalten. Ichgratuliere Ihnen zu dieser kognitiven Leistung und zudieser Konsequenz, die Sie gezogen haben. Auch wenndie Kürzung unserer Ansicht nach deutlich stärker hätteausfallen können, bin ich froh, dass es an dieser Stelle indie richtige Richtung gegangen ist.Dieser Antrag zeigt noch etwas anderes: Die GroßeKoalition
vertraut ihrer eigenen Ministerin nicht.
Wenn man sich fragt, wer der Verlierer oder die Verliere-rin dieser Haushaltsberatungen im Haushaltsausschussist, dann wird schnell klar: Es ist die Bundesministerinder Verteidigung. Sie haben sie selbst dazu auserkoren.
Dieser Haushalt zeigt vor allem noch einen anderenPunkt: Frau Ministerin, Sie befinden sich auf einer haus-haltspolitischen Geisterfahrt. Wenn Sie in dieses Parla-ment einen Haushaltsplan einbringen, aus dem dieeigene Koalition noch am Tag der Bereinigung 400 Mil-lionen Euro herauskürzen kann, dann hat dieser Etatent-wurf wenig mit Haushaltsklarheit und Haushaltswahr-heit zu tun.
Sie haben hier in der ersten Lesung ausgeführt, dass2013 1,5 Milliarden Euro nicht abgeflossen sind. Jetztwurde der Etat noch einmal um 400 Millionen Euro ge-kürzt. Damit sind wir bei einer Kürzung um 1,9 Milliar-den Euro. Sie haben ausgeführt, dass Herr SchäubleIhnen in den kommenden Jahren zusätzlich 800 Millio-nen Euro für Beschaffungsprojekte dazugibt. NachAdam Riese bleibt eine Differenz von 1,1 MilliardenEuro. Selbst wenn die Kosten heute nicht anfallen, wirddie Rechnung für diese Rüstungsaltlasten kommen. ImMoment ist es Ihr Geheimnis, wie Sie sie bezahlen wol-len, zumal Sie angekündigt haben – durchaus zu Recht –,die Attraktivität des Dienstes und die Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf verbessern zu wollen. Das kostet aberGeld. Wir fragen uns, wie Sie das in Zukunft bezahlenwollen, wenn Sie übermorgen die Rechnungen für Rüs-tungsprojekte von vorgestern bekommen, die vielleichtirgendwann einmal zulaufen werden.Zum Abschluss möchte ich noch auf einen anderenPunkt eingehen. Über die Attraktivität ist viel geredetworden, zum Teil wurde auch zu Unrecht Kritik geübt,beispielsweise hinsichtlich der Flachbildschirme und derMinikühlschränke. Ich will das gar nicht flapsig konno-tieren. Ich glaube, dass das durchaus eine Verbesserungdarstellen kann, wenn das nicht die einzige Maßnahmebleibt bzw. man die Verbesserung des Dienstes nicht da-rauf reduziert. Ich bin aber davon überzeugt, dass unsereSoldatinnen und Soldaten, gerade diejenigen, die mo-mentan im Auslandseinsatz sind, in diesen Tagen ganzandere Sorgen haben als fehlende Flachbildschirme oderMinikühlschränke. Ihnen geht es eher um Schutzwestenund aktiven Gehörschutz. Es ist aber vor allem die Sorgedarum, ob ihre Waffe, die sie hoffentlich nie einsetzenmüssen – ich spreche vom Sturmgewehr G36 –, tatsäch-lich unter allen Umständen trifft.Das Ministerium hat seit Jahren diese Probleme klein-geredet. Dann sollte es plötzlich die Munition gewesensein. Schließlich schrieb Ihnen der Rechnungshof vorwenigen Tagen ins Stammbuch, dass es doch erheblicheZweifel an der Waffe selbst gibt und umfangreicheÜberprüfungen notwendig sind. Dann erfahren wir alsgewählte Abgeordnete am Sonntag durch die BAMS,dass nun ein angeblicher Beschaffungsstopp erfolgt seinsoll. Ich glaube, die Menschen in diesem Land stellen
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Dr. Tobias Lindner
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sich unter Beschaffungsstopp vor, dass kein Gewehrmehr reinkommt und kein Geld mehr dafür rausgeht, bisman die Ursache des Problems kennt. Stattdessen, liebeKolleginnen und Kollegen, nimmt das Bundesministe-rium der Verteidigung noch gemäß alten geltenden Ver-trägen in diesem Jahr mehrere Hundert, wenn nicht garTausend G-36-Gewehre ab und wird dafür Millionenzahlen. Das ist das Gegenteil eines Beschaffungsstopps.
Ich will dazu nur sagen: Wenn das Ihre neue Herange-hensweise bei der Reformierung des Beschaffungspro-zesses ist, Frau Ministerin, habe ich den Glauben verlo-ren, dass sich im Herbst tatsächlich etwas ändern wird.Ich komme zum Schluss. Wir Grüne haben in diesenHaushaltsberatungen nicht nur den Finger in die Wundegelegt, sondern auch aufgezeigt, was wir unter „mehrVerantwortung Deutschlands in der Welt“ verstehen. Wirstellen uns darunter vor, dass Deutschland für eine atom-waffenfreie Welt eintritt und eine nukleare Teilhabe auf-gibt. Wir stellen uns darunter vor, dass militärisches Ein-greifen immer noch die Ultima Ratio bleibt. Deswegenbeantragen wir einen Ressortkreis „Zivile Krisenpräven-tion“ im AA, im BMZ und auch im Verteidigungsminis-terium. Das alles haben Sie nicht gewollt. Stattdessen le-gen Sie einen Haushalt vor, der heute die Kosten fürProbleme von gestern präsentiert und sich den Heraus-forderungen der Zukunft verweigert. Deswegen werdenwir diesem Haushalt nicht zustimmen.Ich danke Ihnen.
Für die SPD-Fraktion hat nun Kollegin Karin Evers-
Meyer das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Rüstungsboard, Attraktivitätsoffensive und globale Min-derausgaben waren die etwas negativ aufgeladenenSchlagworte zum Verteidigungsetat in der ersten Jahres-hälfte. Ich hätte mir ein bisschen bessere vorstellen kön-nen. Das aber nur vorweg.Lassen Sie mich heute trotzdem ganz unmissverständ-lich und deutlich sagen, meine Damen und Herren: Wirverabschieden einen Etat, der im Großen und Ganzen inOrdnung ist. Ich bin mit dem Verlauf der vergangenenVerhandlungen zufrieden. Mein Kollege BartholomäusKalb hat das schon ausgeführt. Ich kann mich seinenAusführungen dazu nur anschließen.Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht versäumen,mich bei den Mitberichterstattern, Herrn Kalb, HerrnLindner und Herrn Leutert, herzlich für die gute Zusam-menarbeit zu bedanken. Auch bei Ihnen und IhremHause, Frau Ministerin, möchte ich mich für die guteZusammenarbeit und die stete Bereitschaft, mit uns zureden, bedanken.Der Haushalt umfasst in der vorliegenden Form gut32 Milliarden Euro und bleibt damit weiterhin auf einemstabilen Niveau. Angesichts des schrumpfenden Perso-nalkörpers, der immerhin noch ein Drittel der Gesamt-ausgaben bindet, und in Zeiten der Haushaltskonsolidie-rung ist das für unsere Bundeswehr ein wirklich gutesErgebnis. Dass aus diesem umfangreichen Haushalt im-merhin 148 Millionen Euro zugunsten der Gegenfinan-zierung des Betreuungsgeldes gezogen werden, ist fürmich auch besonders erwähnenswert.Aus meiner Sicht laufen jedoch bisweilen die nicht ab-fließenden Mittel der Wahrheit und Klarheit – genaudarum geht es bei uns im Haushaltsausschuss – der Haus-haltsführung zuwider. Der Bereich der verteidigungs-investiven Ausgaben – dort geht es um einen Anteil anmilitärischen Beschaffungen von fast 15 Prozent – bleibtproblembehaftet. Der Bundesrechnungshof hat entspre-chende Rügen ausgesprochen. Ich kann nur betonen,dass sich solch eine Situation eigentlich nicht so oft wie-derholen sollte. An Vorschlägen und Bereitschaft, diesenMissstand zu beheben, hat es in den vergangenen Mona-ten nicht gemangelt, an der Umsetzung manches Malschon.Die Anträge, die aus der Opposition kamen, warennicht hilfreich. Das muss man leider so sagen. Besondersbefremdet mich in diesem Fall, dass die Linken widerbesseres Wissen von einer Hinwendung zu einer Inter-ventionsarmee sprechen.
Das ist allein aufgrund unserer demokratischen Prinzi-pien so ein Unfug, dass man es kaum wiederholen kann.
Vor allen Dingen – das muss ich hier auch einmal deut-lich sagen – empfinde ich das als Beleidigung gegenüberall denjenigen Männern und Frauen, die sich für einenDienst bei unserer Bundeswehr entscheiden, egal ob inUniform oder ohne.
Die deutsche Gesellschaft, also wir alle, sind unserenSoldatinnen und Soldaten für ihren Dienst zu Dank ver-pflichtet.
– Ich würde jetzt gerne fortfahren.Der Umgang des Ministeriums mit den Herausforde-rungen des ersten Halbjahres war nicht immer ganz so,wie wir uns das gewünscht hätten. Frau Ministerin, wasdie Auslieferung von großen Beschaffungsprojekten be-trifft, so sind Sie ganz bestimmt nicht für die Verzöge-rungen verantwortlich zu machen. Sie müssen aber denDamen und Herren der Industrie endlich einmal sagen,dass eine Aneinanderreihung von Katastrophen nicht
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Karin Evers-Meyer
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vertrauensbildend ist. Zu spät, zu teuer und nicht be-darfsgerecht sind weitere Schlagworte, mit denen wiruns leider ständig herumschlagen müssen. Der soge-nannte Global Deal und der Transporter A400M sindhier nur zwei schlechte Beispiele. Wenn Sie das auch sosehen, Frau Ministerin, dann beteiligen Sie das Parla-ment und seinen Haushaltsausschuss ruhig noch frühzei-tiger, und legen Sie uns alle Fakten vor, ganz so, wie Siees uns versprochen haben.
Transparenz soll die Basis unserer Zusammenarbeitsein. Da wünsche ich mir noch ein bisschen mehr Entge-genkommen von Ihnen. Dann können wir Ihnen ganz si-cher auch helfend zur Seite stehen.
Die Herausforderung einer globalen Minderausgabe von400 Millionen Euro – das ist hier ja schon ausreichendgewürdigt worden – haben wir ja auch zusammen ge-stemmt.Werfen wir aus haushalterischer Sicht noch einenBlick auf die sogenannte Attraktivitätsoffensive. Ich be-grüße Ihren Maßnahmenkatalog, Frau Ministerin. MeineFraktion ist natürlich bereit, Sie weitgehend zu unterstüt-zen. Es bleibt allerdings zu hoffen, dass die anfänglicheSkepsis der Zielgruppe – das sind ja unsere Soldatinnenund Soldaten – endlich in Zustimmung umschlägt. Ichglaube, das Verteidigungsministerium muss da nochKohle drauflegen, noch ein bisschen Überzeugungsar-beit leisten und vor allen Dingen eine noch bessereKommunikationsstrategie fahren.Wer eine Attraktivitätsoffensive wirklich will, mussauch Geld in die Hand nehmen. Ich bin wirklich ge-spannt, ob die 103 Millionen Euro bis 2018 ausreichenwerden und wo dieses Geld eingespart werden soll.Denn eines ist bei diesem ganzen Prozedere offensicht-lich: Für das Personal ist im Sinne der Attraktivitätsstei-gerung noch viel nachzuholen. Ein gutes und zeitgerech-tes Einkommen für die Menschen in der Bundeswehr istdie beste Attraktivitätsoffensive. Ein Beispiel sind dieZulagen in der Bundeswehr. Hier gilt es, seit den 90er-Jahren bestehende Versäumnisse bei der Anpassung derZulagen an die Lebenshaltungskosten nachzuholen. Einweiteres Beispiel ist die Überstundenvergütung. Sogardie Anpassung aus 2012 auf einen Stundensatz von65 Euro für 24 Stunden zusammenhängenden Dienstbleibt hinter dem früheren Anspruch zurück. Das Vertei-digungsministerium hatte schon während der Zeit vonVerteidigungsminister zu Guttenberg eine Anhebung auf95 Euro formuliert. Auch das wäre ein anzustrebenderFortschritt.Bei Ausrüstung und Infrastruktur der Bundeswehrmuss ich vor einem Investitionsstau warnen. Der Bedarffür Modernisierungen ist wirklich sehr groß. Keinersollte auf weitere Klagen aus der Truppe warten. Mitmodernem Equipment zu arbeiten, ist ein wesentlicherFaktor für Berufszufriedenheit. Wir warten ganz ge-spannt auf die Umsetzung der ersten Maßnahmen. DieZeit ist hier ein entscheidender Faktor. Ein junger Offi-zier hat das neulich mir gegenüber ganz toll auf denPunkt gebracht. Er sagte: Wir haben dann Attraktivität,wenn ich meiner Familie meinen Arbeitsplatz, meineUnterkunft und meine Ausrüstung zeigen kann, ohnemich zu schämen. Ich finde, genau so ist das. Darankann man das festmachen. Allen Beteiligten sei gesagt:Angesichts der vergangenen Haushaltsberatungen undeines auf Jahre stabilen und größtmöglich deckungsfähi-gen Etats ist das sicher auch finanzierbar.Damit komme ich auf den Beginn meiner Ausführun-gen zurück. Frau Ministerin, ich hoffe, dass die Schlag-worte, die die nächsten Monate bestimmen, Fortschrittund Modernisierung lauten werden, ganz so, wie es un-sere Soldatinnen und Soldaten verdient haben. Ich bieteIhnen erneut gute Zusammenarbeit an.Vielen Dank.
Das Wort hat die Bundesministerin der Verteidigung,Dr. Ursula von der Leyen.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin derVerteidigung:Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Zunächst einmal möchte auch ich michbei den Haushaltsberichterstatterinnen und -erstattern fürdie ausgesprochen konstruktive Zusammenarbeit bedan-ken.Frau Evers-Meyer, auch ich wünsche mir, dass dieSchlagworte der nächsten sechs Monate oder des nächs-ten Jahres ausschließlich Fortschritt und Modernisierunglauten. Aber ich glaube, ich bin Realistin genug, um zuwissen, dass es angesichts eines so großen Haushalts,hinter dem eine 250 000 Mann starke Belegschaft und,wie wir wissen, immer wieder Großprojekte stehen,blauäugig wäre, zu glauben, es würden sich nicht tagtäg-lich auch Probleme ergeben.
Wir sind ja auch dazu da, diese Probleme zu lösen. Daswollen wir gemeinsam angehen.Ich habe vorhin sehr aufmerksam gelauscht, als sichFrau Buchholz darüber ausgelassen hat,
in welchen Krisen und Konfliktherden die Bundeswehrim Rahmen der Bündnisse einen Beitrag leistet. Wennman sich die ersten sechs Monate dieses Jahres vor Au-gen führt, stellt man fest: Zu Anfang hatten wir nicht denHauch einer Vorstellung davon, was im Osten Europaslos sein wird.
Es gab zwar Konflikte in Afrika, aber von Zentralafrikawar in dieser Dimension noch überhaupt keine Rede.
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3796 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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Die Situation in Mali hatte noch nicht die Brisanz, diewir inzwischen erleben. Schwierig ist nach wie vor dieSituation in Somalia. Hinzu kommt der Krisenbogenvom Norden Afrikas über den Irak, Afghanistan und Pa-kistan; das ist neu. All das sind Themen, von denen wirin dieser Kombination vor sechs Monaten nichts geahnthaben.Die sicherheitspolitische Lage ist und bleibt ange-spannt. Sie ist hochkomplex. Gerade in diesem Zusam-menhang erwarten unsere Bündnispartner, dass sichDeutschland tatsächlich gemäß seinem Gewicht und sei-ner Größe einbringt. Das war der Sinn der Debatte, dieauf der Münchner Sicherheitskonferenz ausgelöst wurdeund jetzt fortgeführt wird.Ich finde es ganz interessant, dass man an dieser De-batte auch sieht, wie dringend es ist, dass wir sie führen.Denn von denjenigen, die sie im Grundsatz ablehnen,wird sie erst einmal nur schwarz-weiß geführt; sie sindgar nicht bereit, sich auf eine differenzierte Debatte ein-zulassen. Deshalb habe ich mich gefreut, Frau Brugger,dass Sie heute Nachmittag in der UNIFIL-Debatte sehrdeutlich gesagt haben: Wir dürfen uns nicht achselzu-ckend abwenden. – Das kommt mir sehr vertraut vor.„Indifferenz ist keine Option“, habe ich stattdessen ge-wählt.Frau Brugger, so wie ich Sie und die Grünen kenne,würde ich niemals so platt wie unter anderem die Linkereagieren – das gilt manchmal aber auch für andere Dis-kutanten – und sagen: Nur weil Sie Verteidigungspoliti-kerin sind, gehe ich davon aus, dass der Satz: „Wir dür-fen uns nicht achselzuckend abwenden“ automatischheißt, dass Sie mehr Militäreinsätze und mehr Kampf-einsätze verlangen. – Nein, so platt würde ich niemalsargumentieren. Gerade weil Sie Verteidigungspolitikerinsind und deshalb den umfassenden sicherheitspolitischenAnsatz, den die große Mehrheit in diesem Hause ver-folgt, teilen, wissen Sie nämlich ganz genau, dass Mili-täreinsätze immer in die vernetzte Sicherheit eingebettetsind, dass Diplomatie und wirtschaftlicher Aufbau im-mer den Vorrang haben. Aber wir wissen eben auch, dassMilitäreinsätze manchmal als Ultima Ratio, also zumSchluss, notwendig sein können, um Völkermord, Geno-zid, zu verhindern, um Parteien, die einander bekämp-fen, zu trennen und dann Versöhnungsarbeit zu leisten.Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir diesesKonzept der vernetzten Sicherheit richtig verstehen unddass wir deshalb auch die Sätze, dass man sich nicht ach-selzuckend abwenden kann oder dass Indifferenz keineOption ist, richtig verstehen. Das sollte die Grundlageunserer differenzierten Debatte sein.
Unsere Bündnispartner erwarten, dass wir uns ein-bringen. Wir sind das größte Mitglied der EU, wir sindder zweitgrößte Beitragszahler in der NATO, wir sinddrittgrößter Beitragszahler bei den Vereinten Nationen,viertgrößter bei den Peacekeeping-Missionen. Das heißt,durch unser Engagement können wir frühzeitig mit-gestalten und dort Einfluss nehmen, wo unser Beitrageinen Unterschied macht. Das ist eine Frage der Grund-haltung.Ich möchte noch einmal auf das Thema von heuteNachmittag, dass sich die Vereinten Nationen einen stär-keren Beitrag von Deutschland wünschen, eingehen. Indiesem Zusammenhang ist die Debatte über die Transallaufgekommen. Ich habe ein bisschen gestaunt, FrauBuchholz, dass Sie jetzt auch noch Friedensmissionender Vereinten Nationen ablehnen.
Das war schon sehr verblüffend. Ich darf vielleicht ein-mal den Vizegeneralsekretär der Vereinten Nationen, JanEliasson, zitieren – Sie können das bei dpa nachlesen;das ist gestern gelaufen –:Wir brauchen Deutschland auch in Afrika …Wir sind für jeden Beitrag dankbar, gerade auch denDeutschen. Deutschland hat viele Fähigkeiten, diefür uns sehr wichtig sind. Wir sind dankbar für jedeUnterstützung und rechnen damit, weiter aufDeutschland zählen zu können …… die Deutschen sollten auch wissen, dass eineUN-Mission anders als jeder andere militärischeEinsatz ist …Wir bitten gerade oft afrikanische Staaten um Sol-daten. Aber bei Logistik und Kommunikation gibtes manchmal Probleme und das ist etwas, was dieEuropäer und gerade die Deutschen sehr gut kön-nen.Klarer kann man nicht sagen, dass der deutsche Beitragvon den Vereinten Nationen aktuell gewünscht wird, unddem wollen wir auch entsprechen.
Ich finde, zu einer differenzierten Debatte gehörtauch, dass wir gerade beim Thema Transall hören, wasdie VN sagen:… wir sind jetzt in einer Phase, in der der strategi-sche Lufttransport nicht mehr Priorität hat. Jetztgeht es darum, innerhalb des Landes entlegene Re-gionen zu erreichen. Die C-160 ist dafür nicht sogut geeignet, zumal das Flugzeug Probleme mit derextremen Hitze bekommen könnte.Das heißt, kein Wort davon, dass die Vereinten Nationenim Grundsatz keinen stärkeren Beitrag von Deutschlandwollen – das Gegenteil ist der Fall. Ich finde es völlig le-gitim, dass die VN auch sagen, sie brauchen das richtigeMaterial für die klimatischen Bedingungen.Das ist auch ein Ausdruck dafür, dass es allerhöchsteZeit wird, dass der A400M auf den Hof kommt, damitwir dieses Flugzeug endlich nutzen können.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3797
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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– Da bin ich ganz bei Ihnen, Frau Evers-Meyer. – Ich er-warte, dass im November dann tatsächlich das ersteFlugzeug ausgeliefert wird, damit wir uns auch mit mo-dernem Material in die Mission einbringen können, liebeKolleginnen und Kollegen.
Diese Diskussion zeigt: Jede Krise ist anders. Ichmöchte der Ordnung halber einmal festhalten – es gab inden letzten Tagen eine Diskussion über den EinsatzActive Fence in der Türkei –: Nein, es ist nicht so, wiezum Teil kolportiert wurde, dass der Einsatz infragesteht, weil Deutschland nicht durchhaltefähig ist. Das istnicht der Fall, Deutschland ist durchhaltefähig beiActive Fence. Der Oberbefehlshaber der NATO hat EndeMai bei der regelmäßigen Überprüfung festgestellt, dassdas Bedrohungspotenzial sinkt. Wir wissen, dass der Ab-transport der syrischen Chemiewaffen erfolgreich ist. Essind schon bis zu 100 Prozent aus dem Land gebracht.Wir wissen noch nicht, ob alle Lager tatsächlich identifi-ziert sind. Aber es gibt bei der NATO bisher keine Fest-legung zur Zukunft des Einsatzes. Deshalb bleibt es auchbei der Verantwortung der Bundeswehr für diesen Ein-satz. Ich will nur noch einmal festhalten: Wir sind beidiesem Einsatz durchhaltefähig.In der Debatte kam in den letzten Tagen – das spiegeltauch unser Haushalt wider – die Frage auf, ob wir in derNATO genügend Beitrag leisten angesichts der Tatsache,dass die Vereinigten Staaten einen hohen Beitrag leistenund dass die Forderung im Raum steht, jedes Landmüsse 2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Ver-teidigungsausgaben dort einbringen. Ich glaube, es lohntsich, diese Debatte zu führen – und das fällt auch unterden Begriff „differenzierte Debatte“ –; denn ich bin derfesten Überzeugung: Wenn ich mir die Entwicklung derVerteidigungsetats der letzten Jahre anschaue, ist dieFrage nicht so sehr, ob 2 Prozent des Bruttoinlands-produkts aufgewendet werden; denn dann müsste manfragen: 2 Prozent wovon? Es gibt Länder, die ihre Ver-teidigungshaushalte in den letzten Jahren drastisch ge-kürzt haben. Das Bruttoinlandsprodukt ist dort zum Teilaber schneller gesunken, als die Verteidigungshaushaltegekürzt werden konnten, sodass in Relation die 2 Pro-zent des Bruttoinlandsprodukts durch eine schrumpfendeWirtschaft eher erreicht wurden. Bei uns ist das Problem– in Anführungsstrichen – eher umgekehrt: Unsere Wirt-schaft ist robust, unser Bruttoinlandsprodukt wächst.Wir alle wissen – darum geht es in der Debatte überdiesen Bundeshaushalt hier –, dass wir uns bemühen,den Anteil des Staates insgesamt zu reduzieren. Deshalbbin ich der festen Überzeugung, dass wir nicht so vieldarüber diskutieren sollten, ob 2 Prozent des Bruttoin-landsprodukts das Maß aller Dinge sind; denn eineschrumpfende Wirtschaftsleistung führt ja nicht zu einerstärkeren Verteidigung, sondern im Gegenteil: Wir soll-ten darüber diskutieren, wie und wofür wir das Geld ein-setzen. Das sollte in der Debatte auf dem nächstenNATO-Gipfel der Weg für uns gemeinsam sein.
Das heißt, wir brauchen Investitionen in Fähigkeiten,in Hochtechnologie und in gutes Personal. Hier bin ichbei Ihnen, Frau Evers-Meyer. Sie haben gefordert, mehrFaktenklarheit über die Großprojekte und die Rüstungs-projekte zu bekommen. Das ist doch genau der Grund,warum wir im Frühjahr dieses Jahres gesagt haben: Wirmüssen eine gemeinsame Basis herstellen, sodass wirwissen, wie die 15 größten Rüstungsprojekte – es laufenweitaus mehr, weshalb auch die Ausgaben weiter getä-tigt werden müssen und der Haushalt nicht in einemMoratorium enden darf – in Bezug auf die Vollkosteninsgesamt zu beurteilen sind. Das ist der Sinn der Exper-tenkommission, die die Statusberichte im Sommer nocheinmal spiegeln wird.Ich bin der Meinung: Es ist gut und an der Zeit, dasswir für diese Transparenz sorgen; denn es ist das obersteGebot und die Pflicht eines Ministeriums, gegenüberdem Souverän und den Haushältern, die die Mittel ge-nehmigen, Transparenz in Bezug auf die tatsächlicheKostenentwicklung und die Risiken herzustellen. Das istmein Ziel, das ich mit dem Einsetzen dieser Experten-gruppe verfolge.Wir haben hier über die globale Minderausgabe von400 Millionen Euro debattiert. Ja, eine globale Minder-ausgabe von 400 Millionen Euro im Verteidigungshaus-halt schmerzt; das sage ich ganz offen. Ich bin aber langegenug Ministerin, um zu wissen, dass eine globale Min-derausgabe, die auch alle anderen Haushalte betrifft,Ausdruck des gemeinsamen Verständnisses ist, dass derBundeshaushalt konsolidiert werden muss. Ich finde dasrichtig.Herr Kalb hat vorhin sehr deutlich über die globaleMinderausgabe und das Geld gesprochen, das zurück-fließt, weil es voraussichtlich nicht ausgegeben wird.Diese Beträge werden in den nächsten Jahren kompen-siert, wenn das Material, das dann geliefert wird, auch zubezahlen ist. Ich finde es klüger, das Geld in einemHaushalt, das voraussichtlich nicht ausgegeben wird, tat-sächlich einzusparen, um das Ziel eines konsolidiertenHaushaltes zu erreichen, als darauf zu sitzen und eifer-süchtig gegenüber den anderen Ressorts darüber zu wa-chen, und ich finde es sehr sinnvoll, die Rechnungen zubegleichen, wenn sie anfallen. Da ich mich auf die Haus-hälter verlasse und weiß, dass ich ihnen vertrauen kann,weiß ich auch, dass die Kostenplanung für den Haushaltin den nächsten Jahren in guten und sicheren Händen ist.
Damit bin ich beim Thema Attraktivität. Frau Evers-Meyer, ich kann Sie beruhigen: Die 103 Millionen Euro,die wir bis 2018 für die Steigerung der Attraktivität zurVerfügung stellen werden, betreffen die untergesetzli-chen Maßnahmen. Ich kann Ihnen versichern, dass einArtikelgesetz, das mehr Kosten nach sich ziehen wird,weil es die ganzen Themen aufgreift, die im Koalitions-vertrag bereits verankert sind, Ende September ins Kabi-nett eingebracht und dann diesem Hohen Haus auch vor-gelegt werden wird. Ich bin ganz Ihrer Meinung, dasswir die Attraktivität der Bundeswehr in der Tat auchdurch konkrete Maßnahmen – in diesem Gesetz werden
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Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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zum Beispiel Zulagen behandelt; das ist ja auch im Ko-alitionsvertrag verankert – weiter steigern müssen.Wir werden, wenn man nach vorne schaut, 2 bis3 Prozent eines jeden Jahrgangs in der Bundeswehrbrauchen – und zwar nicht als Bewerber, sondern alsEinstellungen; 2 bis 3 Prozent sind richtig hohe Zahlen –,wenn wir die Qualität und die Quantität, die in der Neu-ausrichtung vereinbart worden sind, auf Dauer erhaltenwollen. Um das zu erreichen, müssen wir als Arbeitge-ber, als Dienstherr deutlich bessere Rahmenbedingungenschaffen.Ich habe ganz oft den Satz gehört: Soldatin oder Sol-dat zu sein, ist kein Beruf wie jeder andere. – Ja, es istrichtig: Das ist kein Beruf wie jeder andere. Wir verlan-gen von diesen Männern und Frauen viel, mehr als vonvielen anderen, gerade in den Einsätzen. Wir verlangendas Beste von ihnen. Gelegentlich erwarten wir auch,dass sie in Einsätzen Leib und Leben gefährden. Dassollte man deutlich aussprechen.Ich sehe überhaupt nicht ein, warum das ein Grundsein sollte, diese Menschen hier zu Hause im Grundbe-trieb schlechter und anders als jeden anderen und jedeandere Beschäftigte zu behandeln. Ich finde, es musseine Selbstverständlichkeit sein, hier im Land die bestenRahmenbedingungen zu bieten.
Ich sehe gerade mit Schrecken, dass ich meine Rede-zeit schon weit überschritten habe, Frau Präsidentin.Deshalb werde ich einen direkten Schlenker zu meinenSchlussworten machen.Ich bitte Sie darum – Entschuldigung, dass es so langegedauert hat –, gemeinsam eine solide Grundlage zuschaffen, auf der wir den eben skizzierten Herausforde-rungen, die in den nächsten Jahren auf uns zukommenwerden, begegnen können, und freue mich mit Blick aufdiesen Haushalt, den wir hoffentlich in dieser Woche soverabschieden werden, auf eine konstruktive Zusam-menarbeit.Vielen Dank.
Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, zu glauben, dass,
wenn ein Minuszeichen vor der Zeitanzeige der Uhr er-
scheint, die noch verbleibende Redezeit angezeigt wird.
Aber bei einer erfahrenen Parlamentarierin gehe ich da-
von aus, dass sie das Zeichen versteht. Wir werden da-
rüber sicherlich gleich noch verhandeln.
Erst einmal hat der Kollege Michael Leutert für die
Fraktion Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin, ich möchte versuchen, nach Ihrer Redeeiniges zurechtzurücken. Ich muss sagen: Sie sind ganzkühn in Ihr Amt gestartet. Allerdings bewegen Sie sichmittlerweile doch auf sehr dünnem Eis. Sie wussten,dass Sie eines der schwierigsten Ministerien überhauptübernehmen. Sie wussten auch, dass schon einige ge-standene Männer vor Ihnen als VerteidigungsministerSchiffbruch erlitten haben.Aus diesem Grund haben Sie versucht, sowohl perso-nell als auch inhaltlich eine klare Trennlinie zur Vergan-genheit zu ziehen. Der Kollege Lindner hat die personel-len Konsequenzen als „tragische Opfer“ umschriebenund damit Staatssekretär Beemelmanns und Abteilungs-leiter Selhausen gemeint. Ich möchte noch ein tragischesOpfer hinzufügen: Staatssekretär Wolf.Inhaltlich haben Sie versucht, eine Trennlinie zu zie-hen, indem Sie sich in der Öffentlichkeit mit der Attrak-tivitätsoffensive, mit dem Thema „Vereinbarkeit vonDienst und Familie“ und auch mit der Nichtbilligung derStatusberichte von Großprojekten präsentiert haben.Aber ich glaube, dass die Zeit inzwischen abgelaufenist und die Vergangenheit Sie einholt. Die Faktenlagesieht bisher so aus: Sie waren gerade in New York undhaben bei der UN wiederholt zum Ausdruck gebracht,dass sich die Bundeswehr in Zukunft mehr an internatio-nalen Einsätzen beteiligen soll oder will. Zur gleichenZeit kommt von der UN-Mission in Mali die Nachricht,dass sie auf die Unterstützung durch deutsche Transport-flugzeuge gerne verzichten würden. Der Grund: DieTransall-Maschinen sind zu alt und zu schlecht. Hiersieht man ja schon, wie Realität und Anspruch auseinan-derklaffen.Hinzu kommt: Heute beraten wir abschließend denEtat des Verteidigungsministeriums, in dem Sie für alle15 Großprojekte, ob das nun das TransportflugzeugA400M – das ist schon angesprochen worden –, derTransporthubschrauber NH90 oder der Kampfhub-schrauber Tiger ist, frisches Geld vom Parlament habenwollen. Aber Sie haben, wie gesagt, nicht einen einzigenStatusbericht dieser Projekte gebilligt, und zwar – das istklar – wegen massiver Lieferverzögerungen, wegentechnischer Mängel, wegen Kostenexplosionen. Keinemeinzigen Projekt haben Sie das Okay gegeben. Trotzdemwollen Sie heute vom Parlament neues Geld für dieseProjekte haben. Das halte ich für absurd. Dem kann ei-gentlich niemand hier zustimmen.
Dann kommt uns witzigerweise Ihre eigene Koalitionzu Hilfe und streicht Ihnen in der nächtlichen Bereini-gungssitzung 400 Millionen Euro.
Nicht dass wir Linke das nicht gut finden würden. Dasist absolut okay. Sie haben damit schon 10 Prozent unse-rer Forderungen erfüllt. Aber 400 Millionen Euro sindmehr, als alle Auslandseinsätze, von Afghanistan abge-sehen, pro Jahr kosten. Ich würde als Minister diesesVerhalten als Misstrauensvotum betrachten, das IhnenIhre eigene Koalition entgegengebracht hat.
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Michael Leutert
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Hinzu kommt: Seit zwei Tagen wissen wir aus derPresse – so viel zur Transparenz und zur frühzeitigen In-formation des Haushaltsausschusses –, dass es einenneuen Bericht des Bundesrechnungshofs gibt – wir ha-ben ihn erst heute bekommen –, wonach das Sturmge-wehr der Bundeswehr, das G36, nicht weiter beschafftwerden soll, weil die Mängel und die damit verbundenenRisiken mittlerweile so groß sind, dass es nicht mehrvertretbar ist. Jetzt existiert das Problem der Beschaf-fung nicht nur bei den Großprojekten, sondern auch beider Standardausrüstung.Trotzdem wird weiter davon gesprochen, dass deut-sche Soldaten in noch mehr Auslandseinsätze geschicktwerden sollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unab-hängig von prinzipiellen Differenzen zu Auslandseinsät-zen: Bei dieser Ausrüstungssituation halte ich das denSoldatinnen und Soldaten gegenüber für fahrlässig.
Die Bundeswehr ist mittlerweile an 18 Auslandsein-sätzen beteiligt. Wir haben heute wieder über zwei Ein-sätze abgestimmt. Das kostet pro Jahr weit über 1 Mil-liarde Euro. Ich vermute, ein Großteil der Abgeordnetenwäre derzeit nicht mehr in der Lage, alle Einsätze ad hocaufzulisten. Aber auch die Soldaten wissen nicht mehrgenau, warum sie überall eingesetzt werden. Der Ge-samtauftrag ist für sie nicht mehr klar ersichtlich.Ich war vor zwei Wochen vom Reservistenverband zueinem Vortrag in die Führungsakademie der Bundeswehrin Hamburg eingeladen. Dort ist – im Übrigen von akti-ven Soldaten – genau das angesprochen worden. Sie ha-ben da ein Problem, Frau Ministerin. Der Exberichter-statter Koppelin würde jetzt sagen: Es geht umMenschen. Ich darf ihn zitieren; er ist der einzige FDP-Abgeordnete, der immer gegen Auslandseinsätze ge-stimmt hat. Das fehlt uns jetzt im Parlament.Die Soldaten wollen wissen, wann sie warum etwastun sollen. In dieser Frage sind wir als Linke wesentlichkonkreter, Frau Ministerin. Wir sagen Ja zur Bundes-wehr mit dem klaren Auftrag der Landesverteidigung,aber Nein zu Auslandseinsätzen nach dem Motto „Kostees, was es wolle“.
Liebe Frau Ministerin, Sie haben über 32 MilliardenEuro zur Verfügung. Nutzen Sie dieses Geld für Abrüs-tung und Konversion! Dazu haben wir als Linke in denBeratungen ganz konkrete Vorschläge unterbreitet. Undgehen Sie in Zukunft sorgsam mit den Soldatinnen undSoldaten um!Danke schön.
Der Kollege Rainer Arnold spricht nun für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir diskutieren den Verteidigungshaushalt vor dem Hin-tergrund einer Welt, in der an allzu vielen Stellen vielesin Unordnung geraten ist. Die Risiken – die Ministerinhat es beschrieben – rücken näher an Europa heran, undmit der Ukraine haben wir eine Problemzone mitten inEuropa.Um nicht missverstanden zu werden: Keines dieserProbleme ist ausschließlich militärisch zu lösen. Sie sindkomplex. Es gibt keine einfachen Analysen, keine einfa-chen Antworten. Aber sie machen eines sichtbar: Wirbrauchen eine leistungsfähige Bundeswehr. Dies erwar-ten auch die Bürgerinnen und Bürger von der Politik.Wir lernen auch immer mehr. Kein Land, auch nichtdie USA, wird alleine mit diesen großen Herausforde-rungen der Welt fertig. Deshalb ist es notwendig, dasswir als Deutsche in den internationalen Bündnissen einverlässlicher Partner mit angemessenen Fähigkeitensind.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig und überfällig,dass die Rolle und Verantwortung Deutschlands in derWelt diskutiert wird. Davon leiten wir ab, welche Streit-kräfte wir brauchen. Wenn wir merken, dass sich dieWelt verändert hat, brauchen wir auch die Kraft und denMut, darüber zu reden, ob das, was vor zwei Jahren nochalles gegolten hat – auch bei der Reform –, uns heutenoch in die Zukunft führen kann. Dazu gehört auch einauskömmlicher Bundeshaushalt – selbstverständlich. Ichmeine, die 32 Milliarden Euro sind auskömmlich. Ichwill ausdrücklich unserer Haushälterin Karin Evers-Meyer für die nicht nur kollegiale, sondern auch freund-schaftliche Zusammenarbeit in den letzten Monaten dan-ken.Aber: Natürlich tut es Fachpolitikern weh, wenn400 Millionen Euro gestrichen werden. Die 400 Millio-nen Euro sind auch überproportional viel im Vergleichzu anderen Etats.
Da dürfen wir nicht drumherum reden. Die Rechnungenwerden in den Folgejahren kommen; denn hoffentlichfindet dann auch der Zufluss der großen Projekte statt.Das Geld muss dann auch da sein. Wenn uns dies nichtgelingt, werden wir wieder eine Bundeswehr haben, dieplötzlich über neue Geräte verfügt, aber im inneren Ge-füge hohle Strukturen aufweist und gar nicht in der Lageist, diese Geräte tatsächlich so zu verwenden und einzu-setzen, wie es notwendig wäre.Ich verstehe die Haushälter: Wenn es der Regierungnicht gelingt, den Mittelabfluss haushaltskonform zu ge-stalten, darf man nicht unnötig Geld in den Etat einstel-len. Auch wir wollen unseren Beitrag zur Haushaltskon-solidierung leisten. Schließlich sind wir keineFachpolitiker mit Scheuklappen. Aber es ist ganz klar:Die Intransparenz im Verteidigungsressort führt dazu,
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Rainer Arnold
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dass viel zu spät erkannt wird, wo die Risiken in denProjekten liegen, und dass dann nicht mehr rechtzeitiggegengesteuert werden kann. Insofern ist der Weg, dendie Ministerin geschildert hat, richtig. Man darf nichteinfach nur annehmen und Ja sagen, sondern man mussalles noch einmal kontrollieren. Das ist überfällig. Aber,Frau Ministerin, es ist ebenfalls überfällig, dass die Spit-zen, die für diesen Bereich Verantwortung tragen, nunbesetzt werden; das ist notwendig. Wir haben auch keinehundert Tage Zeit mehr für Diskussionen und Einarbei-tung. Wir müssen im Herbst eine ganze Reihe schwieri-ger Entscheidungen treffen.Über das Versagen und die Verantwortung der Rüs-tungswirtschaft wurde hier schon geredet. Wir solltenuns Regressforderungen, die die öffentliche Hand hat,nicht leichtfertig abhandeln lassen, sondern auch einZeichen setzen, das deutlich macht: Versprochen ist ver-sprochen, und Verträge gelten nicht einseitig, sondernfür beide Seiten.
Teil der Debatte über die Verantwortung Deutsch-lands in der Welt ist die Frage: Wollen wir in Zukunft dieKernfähigkeiten der Rüstungswirtschaft in Deutschlanderhalten? Es wird bei schrumpfenden Etats sicherlichnicht gelingen, alle diese Fähigkeiten zu erhalten. Aberwelche sind uns wichtig? Wollen wir abhängig werdenvon amerikanischen Produkten, oder wollen wir imSinne von eigener Souveränität gemeinsam mit der Rüs-tungswirtschaft – deshalb, liebe Kollegen von der Lin-ken, müssen wir mit Vertretern dieser Branche reden –einen Pfad finden und für eine gewisse Grundauslastungsorgen, sodass das Ingenieurwissen, das in vielen Berei-chen in Deutschland sehr gut ist, tatsächlich erhaltenwerden kann? Das hat nichts mit Wirtschaftspolitik zutun, sondern mit Sicherheitspolitik und der Wahrung na-tionaler Interessen. Diesen Pfad müssen wir beschreiten.
Ich finde es interessant, zu sehen, wie reflexhaft man-che in unserer Gesellschaft, aber auch in der Politik – ichmuss nur auf die linke Seite schauen – reagieren, wennPolitiker über die Rolle Deutschlands in der Welt reden.Meine Damen und Herren von der Linken, die Äußerun-gen Ihres Kollegen aus Brandenburg sind wirklich un-entschuldbar. Statt Zurufe zu machen, sollten Sie sichentschuldigen und vielleicht auch ein bisschen schämen,dass jemand aus Ihren Reihen so etwas sagt.
Ich habe mir heute vorgenommen, mich nicht mit Ihnen,meine Damen und Herren von der Linken, auseinander-zusetzen; denn Sie malen sich ein surreales Bild derWelt. Das heißt, das hat mit der Realität nichts zu tun.Das ist ein Fantasie- und Traumgebilde. Auf die Welt,wie Sie sie malen, geben Sie Ihre politischen Antworten.
Dies ist keine Basis für eine ernsthafte Diskussion. Stel-len Sie sich endlich der Wirklichkeit! Dann werden wirlogischerweise über den richtigen Weg zwischen Regie-rung und Opposition streiten. Aber solange Sie sichnicht der Realität stellen, ist alle Mühe in dieser Bezie-hung vergebens.
Der Bundespräsident hat einen nachdenklichen, reflek-tierten Beitrag zu dieser Diskussion geleistet; der ist inOrdnung. Wir sind froh, dass vom Bundespräsidentensolche Impulse kommen.
Es ist doch ganz eindeutig: Dort, wo Politik, dort, woDiplomatie, dort, wo Prävention versagt, und dort, wosich kriminelle Energien mit ethnischen Interessen undübelsten Verbrechen wie Menschenhandel verbindenund wo islamistischer Fanatismus hinzukommt, wird esleider immer nur eine Antwort geben.
Dort, wo Menschenrechte übelst missachtet werden wieim Norden Malis oder in Zentralafrika, wird es Situatio-nen geben, in denen man die Kraft haben muss, sichdazu zu bekennen, dass wir Streitkräfte brauchen, diesich notfalls mit Waffengewalt schützend vor die Men-schen stellen. Etwas anderes ist in solchen Situationennicht möglich.
Man kann mit solchen Menschen nicht verhandeln. Manmuss sie abwehren. Das ist die Wirklichkeit, von der ichspreche.
Nun wird auch durch die Krise in der Ukraine in derNATO der Ruf immer lauter, mehr Geld auszugeben.Das ist eine Illusion. Wir wissen das. Es gibt nicht mehrGeld, auch nicht in Deutschland. Das ist ganz klar. Aberrichtig und wichtig ist auch, dass wir die Befindlichkei-ten der Balten und der Polen, die aus der Historie be-gründet sind, zumindest verstehen. Ich bin sehr froh,dass die deutsche Regierung, insbesondere der Außen-minister, dieses Verständnis aufbringt, gleichzeitig aberauch in den NATO-Gremien mäßigend wirkt.Es kommt nicht darauf an, mehr Soldaten in Osteu-ropa zu stationieren, es kommt nicht darauf an, mehrGeld in die NATO zu pumpen, sondern es kommt in ers-ter Linie darauf an, mehr Intelligenz in die NATO zu ge-ben. Wir müssen mehr darüber nachdenken, wie wir die-ses Bündnis leistungsfähig halten, aber wir sollten esauch nicht schlechtreden. Die NATO gibt insgesamtzehnmal so viel für die Streitkräfte aus, wie es die Rus-sen tun. Die NATO hat auch insgesamt in fast allen Be-reichen zehnmal mehr Fähigkeiten, ganz eindeutig. Das
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Problem ist aber klar: Dies alles gilt nur, wenn man dieUSA mit einbezieht.Wir Europäer haben Defizite. Deshalb ist es richtigund notwendig, die europäischen Fähigkeiten durch einebessere Vernetzung und Verzahnung zu stärken, nichtdurch mehr Geld. Es darf nicht sein, dass wir die260 Milliarden, die Europa ausgibt, so ineffizient einset-zen, wie es in Europa geschieht. Ich bin der Meinung,dass jetzt ein Zeitfenster offen ist, um innerhalb derNATO, zum Beispiel auf dem Gipfel, mit einem Frame-work-Konzept und mit vielen anderen Dingen Impulsezu setzen. Auch in der Europäischen Union wurdendiese Woche gute Impulse gesetzt, und zwar durch dieRede von Herrn Juncker und durch das Ansinnen, dieRüstungswirtschaft enger zu verzahnen. Jetzt brauchenwir eine Bundesregierung, die das als Motor vorantreibt.Wir werden Sie dabei unterstützen. Der entscheidendeWeg ist, eine engere Verzahnung und Arbeitsteilung her-zustellen.An unseren Koalitionspartner und die lieben Freundegerichtet, sage ich: Es geht uns bei dieser Diskussionnicht darum, recht zu haben, ob „Breite vor Tiefe“ rich-tig oder falsch war und ist. Es geht uns darum, eine er-folgreiche Regierung nach dreieinhalb Jahren zu habenund ein lernendes System zu bleiben. Es sind nur nochdrei Jahre, Herr Kollege Otte, die Zeit vergeht. Wirmöchten die Ministerin ermuntern, diese Veränderungenaufzunehmen. Wir sind dankbar und froh und unterstüt-zen dies auch, dass Sie die Aufforderung im Koalitions-vertrag aufgenommen haben und bis Ende des Jahreseine Evaluierung mit den Maßnahmen, die zu Änderun-gen führen, vorlegen werden.Das Stichwort Attraktivität haben Sie schon genannt.Ich sage nur, weil meine Redezeit zu Ende geht: Wirwerden Sie in dem Bereich, den wir immer gefordert ha-ben, auch da, wo Sie neue Impulse setzen und wo Sievieles aufnehmen, was im Koalitionsvertrag steht, gegenalle Störfeuer, egal von welchen Seiten sie kommen mö-gen, verteidigen.
Denn man muss erkennen: Attraktivität und gute Aus-stattung stehen nicht miteinander in Konkurrenz, son-dern das sind zwei Seiten einer Medaille. Wenn eine Prä-gung nicht stimmt, haben wir am Ende eine schlechteBundeswehr. Deshalb werden wir beides in den nächstenJahren voranbringen. Das ist der Schlüssel für den Er-folg. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir all die Dinge,die wir derzeit diskutieren und die wir aufs Gleis setzenwerden, in den nächsten drei Jahren realisieren werden.Das ist anspruchsvoll; wir werden dabei mithelfen, so-weit wir das als Parlamentarier können.
Kollege Arnold, das müssen Sie jetzt mit Ihren Kolle-
gen austragen.
Ich bin gleich fertig. – Dann wird diese Koalition die
Sicherheitsinteressen der Deutschen gut vertreten haben,
diese Koalition wird dann am Ende eine richtig gute Ko-
alition für die Menschen, die in der Bundeswehr sind,
gewesen sein.
Recht herzlichen Dank.
Die Kollegin Doris Wagner hat für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Ver-ehrte Kolleginnen und Kollegen! Solche Haushaltsver-handlungen sind eine verführerische Angelegenheit;denn es geht um wirklich viel Geld. Ich sehe die Gefahr,dass wir bei dem Geschacher um Millionen und Milliar-den aus den Augen verlieren, dass es dabei doch um dieZukunft unseres Landes geht, darum, wie unser Landkünftig aussehen soll und welche Ziele wir ansteuern.Auch in Ihrem Haushaltsentwurf, Frau Ministerin, istleider nirgends zu erkennen, dass Sie tatsächlich eineZielvorstellung davon haben, wie die deutsche Sicher-heits- und Verteidigungspolitik in den kommenden Jah-ren aussehen soll. Dabei haben Sie doch noch bei derMünchner Sicherheitskonferenz im Januar so kühne Vi-sionen in den Raum gestellt. Sie haben sehr präzise be-nannt, welchem Leitmotiv die deutsche Sicherheits- undVerteidigungspolitik unter Ihrer Federführung folgenwird.Damals haben Sie gesagt:Mir scheint, dass wir schon zu viel Zeit auf die na-tionale Nabelschau verwendet haben, statt unserenFokus auf die gemeinsame europäische Perspektivezu richten. Wenn wir Europäer ein ernsthafter si-cherheitspolitischer Akteur bleiben wollen, müssenwir gemeinsam planen und handeln.Jetzt allerdings müssen wir feststellen: Ihre Ankündi-gungen waren bisher nichts als Lippenbekenntnisse.Konkrete Vorschläge für eine Intensivierung der euro-päischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
– Herr Otte, Sie sind gleich dran, glaube ich –
waren aus Ihrem Haus nicht zu hören. Auch Ihr Haus-haltsentwurf zeigt nicht, dass Sie vorhaben, den Parolenvon einer Europäisierung der Verteidigungspolitik wirk-lich Taten folgen zu lassen. Setzen Sie doch bitte Ihreklugen Erkenntnisse auch wirklich in praktische Politikum.
Meine Fraktion hat im Zuge der HaushaltsberatungenÄnderungsanträge eingebracht, um den Weg zu mehrGemeinsamkeit in der europäischen Verteidigung zu eb-nen. Wir haben das Verteidigungsministerium wieder-
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Doris Wagner
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holt aufgefordert, endlich eine realistische Bestandsana-lyse durchzuführen, um eine verlässliche Grundlage fürdie deutsche Sicherheitspolitik zu haben. Diese Analysemuss Fragen beantworten wie: Was soll die Bundeswehreigentlich können? Auf welche Fähigkeiten können wirverzichten, weil andere EU-Staaten sie vielleicht vielbesser einbringen können? Wie können wir die Aufga-ben zwischen den EU-Partnern so verteilen, dass kost-spielige Doppelungen abgebaut werden? Welche Erfah-rungen haben wir in den internationalen Einsätzengewonnen, und welche Schlussfolgerungen ziehen wirdaraus für die Bundeswehr?Der zweite Schritt wäre, endlich Ernst zu machen mitPooling and Sharing, einem Konzept, das seit Jahrenauch von Ihrer Regierung propagiert wird, das bisheraber kaum konkrete politische Konsequenzen nach sichzieht. Auch hierzu brauchen wir zunächst eine Bestands-aufnahme: Welche Ausrüstung haben wir? Was habendie anderen, und was braucht Europa, um seiner außen-und sicherheitspolitischen Verantwortung gerecht zuwerden? Wie können wir dann die benötigten Gerätemöglichst kostengünstig beschaffen? Auf der Grundlagedieser Analysen ließe sich ein konkreter Vorschlag fürdie gemeinsame Streitkräfte- und Einsatzplanung inner-halb der EU erarbeiten.Gleichzeitig könnte der Verteidigungsetat um vieleMilliarden Euro entlastet werden: Viele Rüstungspro-jekte könnten wir uns sparen. Eine kleinere und speziali-siertere Bundeswehr wäre deutlich kostengünstiger alsdie Armee, die wir uns derzeit leisten – und eigentlichgar nicht leisten können. Leider halten Sie, Frau Ministe-rin, an dem von Ihrem Vorgänger beschlossenen Kon-zept „Breite vor Tiefe“ fest und nehmen damit eineÜberstrapazierung nicht nur unseres Haushaltes, sondernauch unserer Soldatinnen und Soldaten in Kauf. Das istdoch keine tragfähige Politik.In der Presse war in den letzten Wochen zu lesen, dassSie beabsichtigen, eine Unternehmensberaterin vonMcKinsey zur neuen Rüstungsstaatssekretärin zu beru-fen. In einigen Berichten hieß es sogar, dass diese Beru-fung das deutsche Engagement für eine EU-Armee er-heblich verstärken werde. Offenbar bedarf es erst einerPerson von außerhalb der Politik, damit die Bundesre-gierung endlich konsequent die Ziele verfolgt, die siesich angeblich schon längst auf die Fahnen geschriebenhat. Das, meine Damen und Herren, ist, wie ich finde,ein Armutszeugnis.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
Henning Otte.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Bera-tung des Bundeshaushaltes geht es im Allgemeinen nichtnur um bloße Zahlen; beim Einzelplan 14 geht es im Be-sonderen darum, immer wieder über die sicherheitspoli-tische Ausrichtung zu diskutieren und zu überlegen, obwir gut aufgestellt sind. Nun erfolgt das vor dem Hinter-grund einer in der Ausdehnung überraschenden Ent-wicklung in der Sicherheitspolitik.Die Haushaltsdiskussionen der vergangenen Jahreüber Außen- und Verteidigungspolitik waren geprägtdurch die Auslandseinsätze in Afghanistan zur Bekämp-fung des internationalen Terrorismus und somit auchzum Schutz unseres Landes oder am Horn von Afrikazur Bekämpfung der Piraterie und somit auch zumSchutz unserer nationalen Handelsflotten.Seit nunmehr einigen Monaten sehen wir uns einerneuen Lage, ja einer sicherheitspolitischen Bedrohungausgesetzt, die neues Denken erfordert. Mit der Anne-xion der Krim durch Russland – der ersten völkerrechts-widrigen Grenzverschiebung seit 1945 – hat sich dieLage elementar verändert. Russland hat mit dieser Vor-gehensweise deutlich gemacht, dass es ihm in einer vonihm selbst definierten Einflusszone klar um die Durch-setzung von Interessen auch mit militärischen Mittelngeht. Diese vielleicht nicht überraschende, aber dochvöllig unerwartete Entwicklung kann uns aufgeklärteEuropäer nicht unberührt lassen. Die Vorgehensweisedes russischen Präsidenten ist mehr als ein unfreundli-cher Akt gegen die liberale und pluralistische Gesell-schaft, wie wir sie in Europa zu leben pflegen.Diese Vorgehensweise Russlands soll offensichtlichauch einen Abstand vom westlich-freiheitlichen gesell-schaftlichen Leben schaffen – zugunsten einer primäram Staatswohl orientierten Gesellschaft. Leider nur zuoft wird diese russische Gesellschaftsdoktrin von derFraktion Die Linke im Deutschen Bundestag ideologischverteidigt und propagiert.
Es wäre gut, Sie würden sich um die Soldatinnen undSoldaten sowie um die Sicherheit unseres Landes soviele Gedanken machen, wie Sie sich offenbar Gedankenum diese Doktrin machen; über die VorgehensweiseRusslands sind Sie ja informiert.
Mit dieser Haltung bedroht Russland den bisherigenWeg einer erfolgreichen wirtschaftlichen europäisch-russischen Kooperation und auch den Weg einer erfolg-reichen sicherheitspolitischen NATO-Russland-Koope-ration.Die NATO hat das Ziel, eine dauerhafte und gerechteFriedensordnung auf Grundlage unseres Wertesystemsim Bündnisgebiet zu erreichen. Genau diese Ziele sinddurch das Vorgehen gefährdet, nämlich die Ideale vonFreiheit, Frieden und Pluralismus. Offenbar ist Russlandsogar bestrebt, mit seiner aktuellen Politik die beiden inEuropa relevanten Bündnisse, EU und NATO, zu schwä-chen. Nur so ist zu verstehen, dass Putin radikal europa-
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Henning Otte
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feindliche Kräfte lobt wie die französische Europageg-nerin Marine Le Pen und – ich füge hinzu; auch Siehaben es eben gesagt – die Partei Die Linke in Deutsch-land.
Meine Damen und Herren, versetzen wir uns dabei indie Lage unserer östlichen Bündnispartner, zum BeispielPolens oder der baltischen Staaten! Sie fühlen sich durchdas aktuelle Vorgehen und das große MilitärpotenzialRusslands konkret bedroht.Russland – und insbesondere Russlands Präsident –bleibt aufgefordert, zukünftig einen stetigen und vertrau-ensbildenden Beitrag zur Schaffung und zum Erhalt ei-ner gerechten Friedensordnung auf dieser Erde zu leis-ten.Die aktuell nicht unberechtigten Sorgen unserer Part-ner dürfen wir in Deutschland nicht ignorieren oder weg-diskutieren. Wir sind aufgefordert, unseren Bündnispart-nern zur Seite zu stehen. Es geht dabei um mehr als nurbloße Sicherheitspolitik; es geht auch darum, für eineArt und Weise, zu leben, einzutreten – und das selbstver-ständlich in erster Linie politisch.
Das russische Vorgehen muss diplomatisch beantwor-tet werden. Alle Kräfte müssen aufgebracht werden, umeine diplomatische Lösung zu bekommen. Genau des-wegen brauchen wir eine schlagkräftige und damitglaubhafte militärische Rückendeckung; denn nur aus ei-ner glaubhaften Position der Stärke heraus können wirerfolgreich diplomatisch agieren und Einfluss geltendmachen.Ich rede hier nicht einem Militäreinsatz das Wort –niemand in der Bevölkerung Europas und auch niemandin der Bevölkerung Russlands will eine militärischeAuseinandersetzung –, aber ich bin der festen Überzeu-gung, dass wir glaubhaft dokumentieren müssen, dassdie NATO als Militärbündnis und dass insbesondereauch unsere Bundeswehr einsatzbereit und einsatzfähigsind.Deswegen ist es richtig, dass der Ansatz „Breite vorTiefe“ bei der Neuausrichtung der Bundeswehr zur An-wendung gekommen ist und wir in der Lage sind, ei-gene, selbst zu wählende Fähigkeiten in die mandatier-ten Strukturen der EU und der NATO einzubringen.Diese Fähigkeiten sind Ausdruck nationaler Souveräni-tät.Das gilt übrigens auch für die Wehrtechnik. Es istvom Kollegen Arnold gesagt worden: Nur mit einerdeutschen Wehrtechnik ist Deutschland auch in derLage, eine eigene Sicherheitsvorsorge zu gewährleistenund darüber hinaus mit einer geregelten Exportpolitikgestaltend, auch politisch gestaltend, tätig zu werden –im Sinne einer Stabilisierungspolitik.
Lassen Sie uns das in der Großen Koalition gemeinsamkonsequent umsetzen!
Wir werden von unseren Partnern um unser breitesFähigkeitsprofil beneidet. Durch eine solide Finanzpoli-tik – ich füge hinzu: eine solide unionsgeführte Finanz-politik – sind wir auch in der Lage, dieses abzubilden.
Lieber Herr Kollege Dr. Lindner, es ist doch ein gutesZeichen, wenn durch die Abschmelzung des Schulden-dienstes der Bundesrepublik der Verteidigungsetat nach„Arbeit und Soziales“ auf Platz zwei kommt. An ersterStelle steht Arbeits- und Sozialpolitik. Aber das allesgeht nur mit Sicherheitspolitik. Deswegen ist das einegute Reihenfolge.
Die Sicherheit ist die Grundlage für Freiheit undWohlstand. Hier dürfen wir keine Abstriche machen. DieStrukturen unserer Streitkräfte sind richtig. Die Ausrüs-tung als Arbeitswerkzeug muss jedoch stets modern, ein-satzbereit und in ausreichendem Maße vorhanden sein.Vor diesem Hintergrund sehe ich durchaus Modernisie-rungsbedarf.Deutschland übernimmt Verantwortung in Europa, inder NATO, in der Welt, weil es als Rechtsstaat mit seinersozialen Marktwirtschaft und mit seiner Parlaments-armee erfolgreich bewiesen hat, verantwortungsvoll fürFrieden und Freiheit einzutreten.
Aber als Verantwortungs- oder Führungsnation in Eu-ropa und als sicherheitspolitischer Anlehnungspartnermüssen wir einen höheren Anspruch haben, als nur überden Etat der Bundeswehr zu sprechen.Um konkret zu werden: Es geht nicht nur um die Frage,ob NATO-Truppen verstärkt an den östlichen GrenzenEuropas, vielleicht in rotierenden Formen, stationiert wer-den sollen, sondern um eine grundlegende Initiative. Wirmüssen nicht nur durch unsere Anstrengungen dafür sor-gen, dass sich unsere östlichen Bündnispartner sicherfühlen, sondern auch dafür sorgen, dass das Bündnis inseinen Fähigkeiten und im Zusammenhalt gestärkt wird.Ich schlage vor, dass wir unseren östlichen Bündnispart-nern eine enge Zusammenarbeit anbieten, wie wir es er-folgreich mit den Niederländern bei der Eingliederungder Luftmechanisierten Brigade demonstriert haben, wieauch unsere Bundesverteidigungsministerin in Stadtal-lendorf sehen konnte. So können wir europäische Fähig-keiten sinnvoll zusammenfassen und den Verteidigungs-etat sinnvoll einsetzen.
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3804 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Henning Otte
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Rein mathematisch addiert sind die Kräfte der NATOüberlegen. Aber wir müssen unsere östlichen Bündnis-partner in die Lage versetzen, auf Augenhöhe zu sein.Der Anspruch ist, für eine Integration im Sinne der An-lehnungspartnerschaft einen vergleichbaren Grad anModernität zu erreichen. Wir müssen die Alliierten ge-rade an der östlichen Grenze unseres Bündnisses in dieLage versetzen, leistungsmäßig an unserer Seite zu ste-hen. Dies ist derzeit nur in Teilbereichen der Fall.Deutschland muss den Partnern eine tiefgreifendestrukturelle Zusammenarbeit und eine umfassende Aus-rüstungsverbesserung anbieten. Das ist Arbeitsteilungim besten Sinne. Dies alles ist nicht zum Nulltarif zu be-kommen. Aber durch eine solide Haushaltsführung,durch eine Bewältigung der Wirtschaftskrise in Europaunter Führung unserer Bundeskanzlerin Angela Merkelsind wir in der Lage, auch über solche Dinge zu diskutie-ren.
Herr Kollege Otte, kommen Sie bitte zum Schluss.
Es darf kein Tabu sein, vermehrt Geld für die Sicher-
heit unseres Landes, die Sicherheit unserer Bürgerinnen
und Bürger in die Hand zu nehmen. Wir müssen uns hier
engagieren. Das sollte uns unsere Sicherheit und Freiheit
wert sein.
Herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Henn.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte FrauMinisterin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bera-ten den Etat des Bundesministeriums der Verteidigung.Sehr geehrte Ministerin, es ist keine Schmeichelei, wennich sage, dass Sie eine schwierige Aufgabe stemmenmüssen, und es ist kein Geheimnis, wenn ich sage, dassSie unsere Unterstützung auch für das Attraktivitätspro-gramm der Bundeswehr haben, übrigens auch deshalb,weil sich hier viele Ideen, Forderungen und Vorschlägevon uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ausden letzten Jahren finden.„Aktiv. Attraktiv. Anders. – Bundeswehr in Führung“,das klingt gut, das klingt spannend und einladend. Auchwenn es insgesamt für die Bundeswehr oder für den öf-fentlichen Dienst schwierig sein dürfte, tatsächlich at-traktiver als die Wirtschaft zu sein, so ist es doch gut undrichtig, dass mit dem Programm zur Attraktivitätssteige-rung der Bundeswehr ein wichtiger Schritt gemacht wor-den ist.Wir Politikerinnen und Politiker kennen das ja gut:Wo neue Ideen sind, ist die Häme nicht weit. Kritik undHäme an den guten Ideen zur Verbesserung der Bundes-wehr waren nicht nur bei manchen Medien zu finden.Flachbildschirme, hübschere Stuben, Kitas und Kosme-tik – mehr scheint bei einigen Redakteuren und Besser-wissern nach der Vorstellung des Attraktivitätsprogram-mes der Bundeswehr nicht hängen geblieben zu sein.Hier möchte ich allen Lästerern mit auf den Weg geben:Man lebt auch bei der Bundeswehr im 21. Jahrhundert,sehr geehrten Damen und Herren.
Man kann sich fragen, ob die Lästerer selber schon imJahre 2014 angekommen sind.
Wer mit Soldatinnen und Soldaten spricht, weiß, wiebescheiden sie sind. Das hat mich insbesondere bei mei-nen Besuchen in Afghanistan und in der Türkei sehr be-eindruckt. Den Bundeswehrangehörigen geht es nichtum WLAN, Flat Screens oder Kuschelkissen; die Bun-deswehrangehörigen wollen ihre Aufgabe so gut wiemöglich erfüllen. Sie erwarten von einem professionel-len Arbeitgeber nur zu Recht, dass ihnen die Ausstattungdie Möglichkeit dazu gibt.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, 103 Millionen Euro kostet das Attraktivitäts-programm – im Vergleich zum Gesamthaushalt einekleine Summe. Und trotzdem: Diese Investition in dieZukunft ist sehr wichtig. Wir wollen gute Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter gewinnen und sie gut ausbilden.Es ist richtig, dass es Versetzungen in Zukunft nurnoch zweimal jährlich zum Halbjahreswechsel an denSchulen geben soll. So viel Planbarkeit ist notwendig.Hier ist es wichtig, dass bei notwendigen Umzügen Hilfeangeboten wird. Natürlich spielt auch die Betreuungs-kommunikation eine wichtige Rolle. Freie Internetnut-zung und das kostenlose Telefonieren aus dem Einsatznach Hause müssen selbstverständlich sein.Wir müssen über die Bundeswehr reden und über denAuftrag, den sie in den nächsten Jahren erfüllen soll. Dasist wichtig. Wir müssen auch sagen, dass unsere Solda-tinnen und Soldaten Trainerinnen und Trainer sind, dasssie im Ausland ausbilden, dass sie helfen, dass sie gerngesehen werden. Unser Sanitätsdienst beispielsweiseleistet Großartiges. In Leer habe ich bestaunen dürfen,wie hervorragend die Ausbildung funktioniert und wiedas scheinbar Unmögliche mit sicheren Handgriffen auf-gebaut wird. Weltweit genießt dieses Sanitätswesen ei-nen guten Ruf. An den Standorten bei uns zu Hause sinddie Bundeswehrkrankenhäuser sehr beliebt. Das Sani-tätswesen braucht aber eine bessere Organisation. Hiermuss schneller reagiert werden können, wenn beispiels-weise durch Elternzeit oder Auslandseinsätze Vakanzenentstehen.Wir müssen aber auch erklären, dass die Soldatinnenund Soldaten unseren Bündnisauftrag mit bester Ausbil-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3805
Heidtrud Henn
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dung und bester Ausrüstung erfüllen sollen. Es ist wich-tig, dass wir alle Bürgerinnen und Bürger mitnehmenund dass wir so über Sicherheits- und Verteidigungspoli-tik sprechen, dass alle verstehen, was wir wollen.Der Arbeitgeber Bundeswehr sind wir alle. Damitmeine ich nicht nur uns Parlamentarier, sondern alleBürgerinnen und Bürger. Unsere Bundeswehr ist fürFrieden und Freiheit unterwegs. Sie ist eine Armee imEinsatz. Aber sie ist keine Armee von Kriegstreibern.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit –
Frau Kollegin Henn, ich setze mich jetzt für das Re-
derecht Ihres Kollegen Felgentreu ein. Bitte machen Sie
einen Punkt.
– das habe ich – und wünsche Ihnen Gottes Segen.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Ingo
Gädechens das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!„Freiheit gibt es nicht umsonst“ – dies stand vor kurzemüber einem sehr lesenswerten Kommentar in der FAZ.Ich denke, dieser richtigen Erkenntnis können wir unsalle anschließen.Meine Damen und Herren, die deutsche Gesellschaftrichtet sich aus meiner Sicht viel zu sehr in einer kom-fortablen Wohlfühlzone ein, als ob innere und äußere Si-cherheit eine Selbstverständlichkeit wären. Der langeZeitraum, die Jahrzehnte in Frieden und Freiheit habendie Sicherheit zu einem ständigen, ja für viele zu einemselbstverständlichen Gut werden lassen. Viele Bürgerin-nen und Bürger sind offensichtlich der Meinung, dassdie Krisen in der Welt keinerlei Auswirkungen auf unserLeben haben könnten. Wir in der CDU/CSU-Fraktion,aber gerade auch unsere Soldatinnen und Soldaten derBundeswehr wissen, dass dem nicht so ist. Unsere Bun-deswehrsoldaten wissen, dass ihr leider nicht immer un-gefährlicher Einsatz dazu beiträgt, ein Mehr an Sicher-heit zu gewährleisten. Sie haben deshalb nicht nurhöchste Anerkennung und Respekt für ihren Dienst ver-dient, sondern auch die bestmögliche Ausbildung, Be-soldung, Ausstattung, Ausrüstung und Unterbringung.
Alle Demokraten sind aufgefordert, das in weiten Tei-len der Bevölkerung grassierende Desinteresse in einehrliches Interesse umzuwandeln,
in Anerkennung für das, was unsere Bundeswehr leistetund wofür unsere Soldatinnen und Soldaten stehen,
und in ein Interesse dafür, warum wir ParlamentarierEinsatzkräfte in weit entfernte Teile der Welt entsenden,nämlich um Humanität und Menschenrechte in einem si-chereren Umfeld entstehen zu lassen und zu wahren.In direkter Umgebung dieser von mir benanntendeutschtypischen „Wohlfühlzone“ gibt es Krisenherde;meine Vorrednerinnen und Vorredner haben es beschrie-ben. Es gibt kriegerische Auseinandersetzungen und re-gionale Instabilität. Die NATO und die EU sind mehrdenn je gefordert, Sicherheit zu gewährleisten oder siedort, wo sie verloren gegangen ist, wiederherzustellen.Als starke Wirtschaftsmacht wird Deutschland zuRecht von den Bündnispartnern in die Pflicht genom-men. Wir müssen unseren Beitrag unter den freien Völ-kern dieser Welt leisten. Ein Wegducken oder Herumla-vieren kann sich Deutschland, wenn es verlässlicheAußen- und Sicherheitspolitik oder verlässliche Verteidi-gungspolitik gestalten will, auf gar keinen Fall leisten.Ich danke der Ministerin, dass sie dies jüngst auf ihrerUSA-Reise so klar und deutlich angesprochen hat. Ja, esstimmt: Wir müssen eine vertiefte Debatte darüber füh-ren, wie Deutschland mehr Verantwortung übernehmenkann und welche Fähigkeiten Deutschland zuverlässigvorhalten muss; denn unser Land ist wie keine andereeuropäische Nation abhängig vom weltweiten Handel.Die Bundeswehr leistet schon heute Herausragendes.Unsere Soldatinnen und Soldaten sind nicht nur gut aus-gebildet, sondern auch hochmotiviert. Der mit der Neu-ausrichtung der Bundeswehr eingeschlagene Weg ist undbleibt richtig. Natürlich verkenne ich nicht die eine oderandere Verunsicherung bei den Kameradinnen und Ka-meraden. Die Beschaffungsprozesse dauern auch mirnoch zu lange – das wurde schon kritisch benannt – underzeugen bei vielen von uns Verärgerung. Den Kamera-dinnen und Kameraden muss man angesichts des Um-bruchs im Zuge der Neuausrichtung bei der Bundeswehrsagen, dass der gute alte Spruch „Einem jeden Menschenrecht getan, ist eine Kunst, die niemand kann“ immernoch Gültigkeit hat. Aber wir bemühen uns, bei der Bun-deswehr weitestmöglich Gerechtigkeit vorzuhalten.Wir sind auf dem richtigen Weg, nicht nur was denBundeshaushalt insgesamt angeht, sondern gerade mitBlick auf den Einzelplan 14, den wir heute in zweiterund dritter Lesung beraten. Wie in jedem Jahr, so auch indiesem: Das Budget ist knapp, aber angemessen. Sosehrich die Forderung, man möge doch 2 Prozent des Brutto-inlandsproduktes für Verteidigungsausgaben einplanen,unterstütze, so sehr habe ich auch die Argumente dafürverinnerlicht, eine dauerhafte und effektive Haushalts-konsolidierung zu gewährleisten.Ich komme zum Schluss, bevor hier „Präsidentin“aufleuchtet. Ich musste ein paar Minuten meiner Rededer Ministerin opfern. Das habe ich gerne getan.
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3806 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Ingo Gädechens
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Einzel-plan 14 ist solide aufgestellt. Ich bitte Sie um Ihre Zu-stimmung.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Fritz Felgentreu für die
SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und
Herren! Parlament kommt von „parler“. Hier ist also ein
Ort, an dem viel geredet und viel gestritten wird. Aber
einmal im Jahr wird es hier ganz handfest und konkret.
Dann drückt sich Politik in konkreten Zahlen aus, näm-
lich immer dann, wenn wir unseren Haushalt aufstellen.
Wer den Haushalt eines Staates lesen kann, der versteht
auch seine Politik. Ich finde es spannend, dieses Ana-
lyseinstrument zugrunde zu legen und den Haushalt, so
wie er uns heute vorliegt, in Beziehung zu den heutigen
Diskussionsbeiträgen zu setzen.
Gleich im ersten Redebeitrag, im Beitrag der Kollegin
Buchholz, wurde gesagt, dass sich Deutschland interna-
tional wesentlich offensiver aufstellt, dass wir Debatten
darüber führen, international mehr Verantwortung zu
übernehmen, an mehr Schauplätzen aktiv zu werden.
Wenn wir uns den Haushalt 2014 anschauen, stellen wir
überraschenderweise etwas anderes fest; auch das hat
Frau Buchholz bereits erwähnt. Schauen wir im Einzel-
plan 14 – jetzt wird es technisch – einfach einmal in das
Kapitel 1403 und da in die Titelgruppe 08: Für Aus-
landseinsätze werden – Frau Buchholz hat es angespro-
chen – 775 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das
ist viel Geld; vollkommen richtig. Wenn wir uns aber die
Vergleichsgröße für 2013 anschauen, stellen wir fest,
dass es im letzten Jahr noch 900 Millionen Euro waren.
Wir geben in diesem Jahr also 125 Millionen Euro weni-
ger für Auslandseinsätze aus als im letzten Jahr. Es lässt
sich leicht nachvollziehen, woran das liegt: Wir geben
insgesamt 45 Millionen Euro weniger für das im Aus-
land eingesetzte Personal aus. Wir geben 45 Millio-
nen Euro weniger für militärische Beschaffungen aus,
also für Waffen und Gerät, und wir geben 15 Millio-
nen Euro weniger für die Beschaffung sogenannter
Quartiermeistermaterialien aus; das ist alles von der Bü-
romaschine bis zur Sanitätseinrichtung. Der Hauptgrund
dafür ist die Rückverlegung aus Afghanistan.
Damit sind wir wieder bei dem Ausgangspunkt mei-
ner Ausführungen: Politik drückt sich in Zahlen aus. Wir
sind zu einer neuen politischen, vielleicht abschließen-
den Bewertung unseres Einsatzes in Afghanistan gekom-
men. Wir haben gemeinsam mit unseren Verbündeten
die Überzeugung gewonnen, dass die Afghanen heute
selber in der Lage sind, die Sicherheitsverantwortung für
ihr Land zu tragen. Sie haben das bei der Durchführung
der Präsidentenwahl im April und bei der Stichwahl im
Juni dieses Jahres eindrucksvoll bewiesen. Deswegen
können wir es uns leisten, weniger Geld für die Aus-
landseinsätze auszugeben, unsere Truppen aus Afghani-
stan größtenteils zurückzuverlegen und gemeinsam mit
den Verbündeten den Auftrag dort neu zu definieren.
Das ist ein großer Fortschritt. Dieser Befund wider-
spricht dem, worüber wir im Moment mit einer gewissen
Aufgeregtheit diskutieren.
Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich das klar-
macht und dass wir uns mit einer gewissen Gelassenheit
den Aufgaben stellen, die auf uns zukommen. Eines ist
sicherlich klar: Auch in Zukunft wird es Auslandsein-
sätze der Bundeswehr geben. Es wird Auslandseinsätze
im Rahmen gemeinsamer Anstrengungen geben. Wir
werden uns dieser Verantwortung nicht entziehen. Wel-
che das konkret sein werden, wissen wir aber noch nicht.
Wir müssen sie im konkreten Einzelfall hier im Deut-
schen Bundestag beraten, mandatieren und finanzieren.
Bei diesen Einzelfallprüfungen werden wir uns von den
Erfordernissen des jeweiligen Auftrags, der jeweiligen
Problemstellung leiten lassen. Wir werden es immer vor-
ziehen – das hat die Ministerin dankenswerterweise noch
einmal gesagt –, Probleme mit diplomatischen Mitteln
und mit den Mitteln der Entwicklungshilfe zu lösen.
Wenn es sein muss, werden wir uns aber auch der Dis-
kussion über eine militärische Verantwortung nicht ent-
ziehen. Das kommt auf uns zu; aber es ist immer einzel-
fallbezogen, und am Ende drückt es sich immer in den
nüchternen Zahlen eines Haushalts aus. Das können wir
aus dem Haushalt 2014, wie ich finde, besonders ein-
drucksvoll lernen. Mit dieser nüchternen Verfahrens-
weise sollten wir uns dem stellen, was in der Zukunft auf
uns wartet.
Vielen Dank.
Abschließend hat für die CDU/CSU-Fraktion die
Kollegin Michaela Noll das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin,die heutige Debatte war für Sie, glaube ich, nicht ganz soeinfach. Wir hatten eine Debattenzeit von 96 Minutenangedacht. Mittlerweile dauert die Debatte aber schonweit über 100 Minuten.Der Einzelplan 14 ist wichtig. Das, was die Ministerinund der Kollege Otte angesprochen haben, sind wichtigePunkte: Die sicherheitspolitische Lage, die Erwartungs-haltung der Bündnispartner, die Investitionen in gutesPersonal und die globale Minderausgabe sind angespro-chen worden. Das heißt, dass wir einen relativ großenBogen gespannt haben. Das, was Ingo Gädechens ebensagte, kann ich zu 100 Prozent unterstreichen: Freiheitgibt es nicht umsonst.
Diese Meinung teilen wir, glaube ich, alle.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3807
Michaela Noll
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Herr Kollege Arnold, ich freue mich, wenn Kollegeneine ausgewogene Rede halten. In Bezug auf einenPunkt kann ich Sie hundertprozentig unterstützen; dasind wir ganz an Ihrer Seite. Zur Attraktivitätsoffensivehaben Sie gesagt, sie sei der Schlüssel zum Erfolg. Dagebe ich Ihnen recht. Ich bin zuversichtlich, dass wir sieentsprechend begleiten werden.Wir sprechen heute zwar über Zahlen. Ich möchteaber auf das, was meine sehr geschätzte Kollegin Hennangesprochen hat, zurückkommen, nämlich auf den In-halt der Attraktivitätsoffensive. Wir waren gemeinsam,Sie, ich und unser Kollege Dr. Felgentreu, in Masar-i-Scharif. Es gab diverse Kommentare, zum Teil in Zei-tungen, in denen die Attraktivitätsoffensive etwas kri-tisch betrachtet wurde. Anscheinend haben die Kom-mentatoren aber nicht mit den Soldaten gesprochen. DieKollegin Henn und ich hatten die Gelegenheit, mit denSoldaten abends in der Oase zu sitzen und einfach ein-mal zu fragen: Was haltet ihr davon? Die Soldaten habenuns gesagt, dass sie an dieser Attraktivitätsoffensiveschätzen, dass sie zum ersten Mal im Mittelpunkt derBetrachtung stehen. Die sicherheitspolitische Lage istdas eine. Den Soldaten geht es aber darum, dass maneinmal den Blick auf sie richtet und sich um sie küm-mert. Die Kultur des Sichkümmerns kommt meiner Mei-nung nach durch diese Attraktivitätsoffensive sehr deut-lich zum Ausdruck.
Ich habe auch die Gelegenheit genutzt – so oft kommtes im Alltag nicht vor, dass wir Soldaten begegnen –, umeinfach einmal zu fragen: Warum sind Sie überhaupt zurBundeswehr gegangen? Was hat die Bundeswehr für Sieso attraktiv gemacht? – Das wurde mit einem Wort be-antwortet: Kameradschaft. Dabei geht es um Kamerad-schaft nicht nur im Sinne des § 12 Soldatengesetz. Esgeht um mehr. Viele von Ihnen können sich vielleichtnoch an den TV-Beitrag von Kerner erinnern. In dessenVerlauf bekam ein junger Sanitäter, Ralf Rönckendorf,einen Sonder-Bambi für seinen Einsatz in Kunduz am2. April. Bei diesem Einsatz setzte er sich für die Ret-tung eines Kameraden ein und verlor dabei sein Augen-licht. Er antwortete auf die entsprechende Frage, dass eres immer wieder tun würde.Leider ist unser Kollege Dr. Jung, ehemaliger Vertei-digungsminister, heute nicht hier. Er war mit einer derje-nigen, die das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz auf denWeg gebracht haben. Nach diesem Gesetz muss der Sol-dat, der im Einsatz verwundet wurde, die Truppe nichtverlassen. Er wird weiter seine Heimat in der Bundes-wehr haben. Auch das war schon ein Signal des Sich-kümmerns. Deswegen glaube ich, dass dieser Weg derrichtige ist.
Ein Satz des Sanitäters ist bei mir besonders hängengeblieben. Er machte eine kleine Pause und sagte: Alsaktiver Soldat hoffe ich einfach auf ein kleines bisschenmehr Anerkennung in unserer Gesellschaft für die Sol-daten. – Meine Damen und Herren, das ist etwas, wasnichts kostet. Es ist eine Frage der Empathie mit denSoldaten. Diese Empathie sollten wir haben; denn wennsich die Soldaten von der Gesellschaft im Stich gelassenfühlen – vielleicht auch gelegentlich an der einen oderanderen Stelle von der Politik; nicht von uns hier, aberwenn ich nach links schaue, könnte das hin und wiederpassieren –, gibt es dringenden Handlungsbedarf. Wirmüssen ihnen das Gefühl geben, dass sie Teil unsererGesellschaft sind.Durch die Wehrpflicht war die Verankerung der Bun-deswehr in der Gesellschaft vorhanden. Durch die Aus-setzung der Wehrpflicht haben wir jetzt ein anderes Bild.Oft findet die Bundeswehr bzw. das Leben in der Bun-deswehr in den Familien nicht mehr statt, weil die jun-gen Menschen nicht mehr gezogen werden. Sie gehenjetzt freiwillig. Ich glaube, da gibt es dringenden Hand-lungsbedarf; denn mittlerweile gibt es in der öffentlichenDiskussion manchmal eine ungute Mischung von Miss-verständnissen und Vorurteilen, meistens gespeist ausUnwissenheit.Es ist nicht Aufgabe der Soldaten, zu erklären, warumsie in einen Auslandseinsatz gehen, sondern es ist unsereAufgabe, zu erklären, warum wir sie dahin schicken, da-mit sie wissen, dass sie mit unserer Rückendeckung ge-hen. Das erhoffe ich mir.
Vielleicht noch ein kleiner Hinweis: Wir haben mor-gen wieder ein Fußballspiel. Das ist schön und gut.Wenn die jungen Fußballer zurückkommen, ist ganzDeutschland euphorisch und feiert sie. Wissen Sie, wasich mir manchmal wünsche? Ich wünsche mir, dass dieSoldaten, wenn sie von einem Einsatz nach Hause kom-men, das Gefühl, in der Heimat willkommen zu sein, ge-nauso vermittelt bekommen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 14 – Bundesministerium der Verteidigung – in derAusschussfassung. Wer stimmt für diesen Einzelplan? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzel-plan 14 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktionund der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FraktionDie Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-genommen.Ich rufe nun Tagesordnungspunkt II.13 auf:Einzelplan 05Auswärtiges AmtDrucksachen 18/1005, 18/1023Berichterstatter sind die Abgeordneten Doris Barnett,Alois Karl, Michael Leutert und Dr. Tobias Lindner.
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3808 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Vizepräsidentin Petra Pau
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Zu dem Einzelplan 05 liegt ein Änderungsantrag derFraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen jetzt zü-gig vorzunehmen, damit wir die notwendige Aufmerk-samkeit für den ersten Redner herstellen können.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für dieFraktion Die Linke der Kollege Dr. Diether Dehm.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Erst haben Sie von der CDU/CSU und von der SPD dieÖffentlichkeit getäuscht, indem Sie gesagt haben, derSpitzenkandidat der stärksten Fraktion würde automa-tisch Kommissionspräsident werden. Dann wackelt dieKanzlerin weg von Herrn Juncker und setzt sich dem Er-pressungsmanöver des David Cameron aus, der für seinebritische Bankenlobby noch mehr aus der EU herausho-len will,
um dann auf dem Katholikentag wieder ein wenig inRichtung Juncker zurückzuwackeln. Die Tagesschausagte zu diesem Geschacher – ich zitiere –:Erst einigen sich die großen Parteifamilien auf Spit-zenkandidaten … Und jetzt wird ein Betrug in allerOffenheit geplant.Seit fünf Jahren schlagen Sie alle Empfehlungen derLinken in den Wind, aus dem Europäischen Parlamentendlich
ein echtes Parlament zu machen. Dann würde nämlichjetzt der Kommissionspräsident einfach nur gewähltwerden. Aber Sie wollten ein kastriertes Parlament wiedie Kastration des europäischen Traums, nämlich dieseEU.
Ich zitiere den EU-Arbeitskommissar Laszlo Andor:Angesichts von beinahe 26 Millionen Arbeitslosenmüssen wir für den Moment schlussfolgern, dassdie soziale Krise weitergeht.Wie anders färbte Herr Gauck gestern in Portugal dieKrise und die Jugendarbeitslosigkeit schön. Der Bundes-präsident spricht für die Menschenrechte der Gläubiger.Für die Gläubigen hingegen und die wirklichen Men-schenrechte sprach jüngst Papst Franziskus – ich zitiere –:Wir schließen eine ganze Generation aus, um einWirtschaftssystem aufrechtzuerhalten, das nichtmehr zu ertragen ist.Ja, diese Krise ist nur gegen den Finanzkapitalismuslösbar.Irgendwann wollte Sigmar Gabriel die Trennung vonSpekulationsbanking und klassischem Kreditgeschäftsogar einmal zum Wahlkampfthema machen. Hoppla,dachte ich mir als früheres SPD-Mitglied, da hat derSigmar an sich heruntergeschaut und eine sozialdemo-kratische Wurzel gesehen. Aber dann fand das im Wahl-kampf überhaupt nicht statt, kein Plakat, nichts derglei-chen, und im Koalitionsvertrag findet sich erst rechtnicht ein Wort über das Trennbankensystem. In der EUbleibt es bei der Macht von fünf Großbanken und dreiRatingagenturen, die sich großspurig wie eine Gottheit„die Finanzmärkte“ nennen und für die Frau Merkel vonder Demokratie Marktkonformität fordert. Aber es sinddoch gerade die EU-Staaten, denen Sie am meisten dasSoziale kaputtgekürzt haben, deren Staatsverschuldungdanach am allerhöchsten gestiegen ist. Hören Sie zumin-dest einmal richtig hin, wenn Linke mahnen!In der letzten Sitzungswoche taten Sie empört, alsmeine Kollegin Dağdelen Brecht zitierte.
Ich wiederhole das mit Genehmigung der Präsidentin.Aus dem Leben des Galilei – ich zitiere –:Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß einDummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lügenennt, der ist ein Verbrecher.Kein Kollege – das wissen Sie so gut wie ich – darfeinen anderen hier „Verbrecher“ oder „Dummkopf“ nen-nen,
und das hat auch niemand getan.
– Und das hat auch niemand getan. Selbst das Bürgerli-che Gesetzbuch unterscheidet zwischen unwissentlichenund falschen Aussagen, die bewusst getroffen werden.
Was können wir als kleine, aber umso konsequentereOpposition denn anderes tun, als öffentlich aufzurüttelnoder Sie als Regierung gegenüber dem Faschismus– nicht nur in der Ukraine, sondern auch in weiten TeilenEuropas – etwas bösgläubiger zu machen? Jetzt könnenSie entscheiden, ob Sie das verdrängen, verharmlosen,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3809
Dr. Diether Dehm
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die Wahrheit eine Lüge nennen oder ob es vielleicht dieWahrheit ist und Sie das nicht widerlegen können. –Wenn Sie mir einen Moment Ihre geschätzte Aufmerk-samkeit schenken würden. – Falls Sie das widerlegenkönnen, wir uns also irren und Sie uns diesen Irrtumnachweisen können, dann tun Sie das.
Ich wiederhole ein paar Fakten – achten Sie darauf;denn dann ist immer noch zu sehen, ob Sie bös- odergutgläubig damit umgehen –:Erstens. Es sind immer noch vier Minister in derukrainischen Regierung lupenreine Faschisten.
– Immer noch vier Minister.Zweitens. Die EU unterstützt das, was der Sozialde-mokrat Günter Verheugen jüngst einen „Epochenbruch“nannte.Drittens. Die Swoboda-Partei hat bei der Präsidenten-wahl zwar nur 2 Prozent erhalten. Aber der nicht minderrechtsextreme Kandidat Oleg Ljaschko bekam 8 Pro-zent.Viertens. Der Generalstaatsanwalt, ein Faschist derSwoboda-Partei, ist zwar von Präsident Poroschenko ab-berufen, aber hernach sofort zum Präsidentenberater ge-macht worden.Fünftens. Im April wurde im Kiewer Zentrum fürzeitgenössische Kunst von sogenannten Maidan-Künst-lern der – ich zitiere – „Ukrainischen Kulturfront“ eineAusstellung mit dem Titel „Vorsicht Russen“ eröffnet.Dort werden russische Menschen in Tierkäfigen mit ei-nem Schild „Bitte nicht füttern“ gezeigt.Sechstens. Mehrere Holocaust-Gedenktage musstenin der Ukraine abgesagt werden. Rabbiner wie der RabbiCohen wurden auf offener Straße verprügelt.
Siebtens. In Riga, in Lettland, wurde gerade erst einfunkelnagelneues Denkmal für die Waffen-SS errichtet. –Nun schreien Sie nicht „Unglaublich!“, sondern widerle-gen Sie die Fakten, die ich Ihnen eben genannt habe!Das sind Fakten, und darüber muss ein Antifaschist hierwütend werden dürfen.
Kollege Dehm, gestatten Sie eine Bemerkung oder
Frage des Kollegen Grund?
Ich gestatte gerne eine Frage.
Ich finde es schwer erträglich, wie der Begriff des Fa-
schismus hier relativiert und jedes Ereignis, jede Bewe-
gung, die Ihnen nicht passt, mit „faschistisch“ etikettiert
wird.
Der Faschismusvorwurf ist immer wieder von Moskau
hervorgeholt worden, wenn im Ostblock, vor der Haus-
tür sozusagen, irgendwelche Freiheitsbewegungen ent-
standen sind. 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn, selbst
1961 beim Mauerbau musste immer der Faschismusvor-
wurf herhalten, den Sie jetzt auf die Freiheitsbewegung
in der Ukraine anwenden.
Instrumentalisieren Sie bitte nicht die jüdische Bevöl-
kerung in der Ukraine für Ihre Argumentation!
Zuletzt hat sich der Oberrabbiner von Lemberg entschie-
den dagegen verwahrt, dass die jüdische Bevölkerung in
der Ukraine in dieses Instrumentalisierungsschema hi-
neingepresst wird.
Die von Ihnen so gescholtene Regierung hat mindes-
tens zwei der Gouverneure, die sie eingesetzt hat, aus
dem jüdischen Teil der Bevölkerung genommen, unter
anderem Igor Kolomoiskij in Dnipropetrowsk.
Noch etwas: Die Faschisten, wenn es solche gibt,
oder die Neofaschisten in Westeuropa pilgern nicht nach
Kiew. Ataka, Jobbik oder auch Le Pen gehen nach
Moskau und suchen sich dort ihre Bündnispartner.
Sie können für die Antwort gerne stehen bleiben. Ichhabe auch nichts gegen eine zweite Frage, weil ich Siezurückfragen würde: Wie, glauben Sie, kommt es bei derjüdischen Bevölkerung in der Ukraine, in der West- oderder Ostukraine oder im Umfeld, an, dass die Swoboda-Partei, auf die ich mich eben bezogen habe, ihre Partei-hochschule bis in den Frühsommer dieses Jahres nachJoseph Goebbels benannt hat? Wie anders ist das zu nen-nen als Faschismus? Wer das nicht Faschismus nennt,der verharmlost den Faschismus, meine Damen und Her-ren.
Dazu möchte ich noch etwas sagen. Es sind dortHolocaust-Gedenktage, die man abhalten wollte, abge-sagt worden, weil die Menschen Angst um ihre Sicher-heit hatten. Wie nennen Sie denn so etwas?
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3810 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Dr. Diether Dehm
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– Ich habe Ihnen einen Namen und Fakten genannt: DerRabbiner Cohen ist auf offener Straße angegriffen undverprügelt worden. Wenn das so ist, wenn solche Dingestattfinden, dann können Sie das nicht einfach wegwi-schen. Das sind keine Lügen.Sie sollten Ihre Politik im Hinblick auf die Ukraineund die Faschisten dort überdenken! Das muss eigentlichdie Moral von dieser Sache sein!
– Das ist schön.
Kollege Dehm, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung des Kollegen Sarrazin?
Aber natürlich.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank für die
Möglichkeit der Frage.
Herr Kollege, wir kennen uns ja ganz gut aus dem
Ausschuss. Wir haben, glaube ich, noch nicht darüber
geredet, dass ich beispielsweise schon während meiner
Schulzeit bei einem Projekt aktiv war, das sich antifa-
schistisch organisiert hat und versucht hat, an Hambur-
ger Schulen gegen Rechtsextremismus, gegen Aus-
grenzung, gegen Fremdenfeindlichkeit zu arbeiten.
Deswegen glaube ich, dass wir uns gegenseitig nicht in
irgendeiner Hinsicht vorwerfen müssen, da nicht auf der
richtigen Seite zu stehen.
Bei meiner letzten Reise habe ich in Kiew Hinweise
bekommen – sozusagen aus berufenem Munde: aus dem
Bereich der Partei der Regionen –, dass an der Finanzie-
rung der hier genannten Partei Swoboda bzw. des Rech-
ten Sektors – die politisch in keinster Weise irgendje-
mandem in diesem Hause, der mir nahesteht, nahestehen –
auch Kreise von Herrn Janukowitsch oder zumindest
Kreise der Partei der Regionen oder des Kreml beteiligt
gewesen sind. Ich glaube, es gehört zur Wahrheit dazu,
sozusagen in Abgrenzung von diesen beiden Gruppie-
rungen – es gibt noch andere, von denen man sich
abgrenzen müsste, zum Beispiel Samoobrona – zu sa-
gen, dass Herr Janukowitsch bzw. die Partei der Regio-
nen auch ein Teil dieser Geschichte sind. Ich glaube, es
ist dann glaubwürdig, sich auch von diesen abzugrenzen.
Ich würde Sie fragen, ob Sie dazu auch bereit sind.
Herr Sarrazin, ich gehe fast jedem Ihrer Hinweise
gerne nach; aber gehen Sie bitte meinen genauso ernst-
haft nach.
Ich will das gerne prüfen. Was Sie jetzt in den Raum
gestellt haben, ist aber erst einmal eine These. Ich habe
Ihnen hier Fakten genannt. Sagen Sie, wo die nicht
stimmen!
Zu den Fakten zählt auch, dass der Chefredakteur des
ukrainischen Fernsehens vor laufender Kamera geprü-
gelt wurde, er gezwungen wurde, Erklärungen zu verle-
sen, die er sonst nicht verlesen hätte. Alle diese Dinge
sind passiert. Wenn ich Ihnen hier diese Beispiele nenne
– auch die Beispiele von den Holocaustgedenktagen, die
nicht stattfinden konnten –, dann sind das doch auch
Hinweise, die Sie nachdenklich machen müssten.
Wenn wir hier in dieser Diskussion erreichen, dass,
statt dass wir uns hier oberlehrerhaft bevormunden,
in irgendeiner Weise Nachdenklichkeit gestiftet wird,
wir den Hinweisen des Andersdenkenden nachgehen,
dann haben wir in dieser Demokratie schon viel gekonnt.
Und wenn, denke ich, das alles keine Lügen sind,
kann man die Politik ja auch ändern. Wie lange warnen
wir hier als linke Opposition vor Krieg und Waffenliefe-
rungen! Als Sie noch Präsident al-Maliki im Irak unter-
stützt haben, während er die Sunniten gezielt diskrimi-
nierte, warben wir für eine Regierung der Versöhnung
und des runden Tisches. Sie haben die Opposition gegen
Assad hochgejubelt. Jetzt schreibt selbst die Konrad-
Adenauer-Stiftung – CDU, genau hinhören, es ist ganz
aktuell –:
Tatsächlich stellt die Opposition in Syrien für viele
Syrer keine vertrauenswürdige Alternative zu
Assad dar.
Wir haben vor Waffenlieferungen in die Türkei gewarnt.
Dort bekommen die ISIS-Kämpfer Unterschlupf ge-
währt, und dort wurden sie mit Waffen gestopft. Desglei-
chen bei den mit Deutschland befreundeten Golfmonar-
chien Katar, Kuwait, Saudi-Arabien: alles gute Kunden
deutscher Waffenexporteure.
Kollege Dehm, Sie reden jetzt auf Kosten des Kolle-
gen Leutert; ich mache Sie nur darauf aufmerksam.
Dann komme ich jetzt gerne zum Schluss dieserRede, weil ich mich auch ganz besonders auf den Kolle-gen Leutert freue.Heute Morgen ist Herr Gauck zitiert worden. Jetztmöchte ich Herrn Gauck ganz präzise zitieren: Es habe„früher eine gut begründete Zurückhaltung“ gegen Mili-täreinsätze gegeben, die die Deutschen jetzt – ich zitiereihn jetzt wörtlich – „vielleicht ablegen“ könnten. Dakann ich nur sagen, wie mein Leipziger KabarettkollegeMeigl Hoffmann Herrn Gauck, über den sich auch vielePfarrer aufregen, genannt hat: die „Worthülse im Patro-nengürtel der NATO“.Da halte ich es lieber mit Papst Franziskus – ich zi-tiere –:
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Dr. Diether Dehm
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Damit das System fortbestehen kann, müssenKriege geführt werden, wie es die großen Imperienimmer getan haben. Einen Dritten Weltkrieg kannman jedoch nicht führen, und so greift man eben zuregionalen Kriegen.So weit Papst Franziskus. Wenn Sie uns schon nichtglauben, glauben Sie wenigstens ihm!
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Doris
Barnett das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zunächst einmal möchte ich mich bei meinen Mitbe-richterstattern Herrn Alois Karl, Herrn Michael Leutertund Herrn Tobias Lindner für die gute Zusammenarbeitbedanken. Mein Dank geht aber auch an meine eigenenMitarbeiter und an das Haus, allen voran an den Minis-ter, aber auch an den Staatssekretär Steinlein und an denLeiter des Haushaltsreferats, Herrn Kindsgrab, und sei-nen Stab, von denen wir vertrauensvoll unterstützt wur-den.Jetzt komme ich aber zum vorliegenden Haushalt.Ohne oberlehrerhaft zu sein, möchte ich sagen, dass wirin dem Haushalt nicht nur eine neue und klare Strukturerkennen, sondern im Vergleich zum ersten Regierungs-entwurf auch deutliche Aufwüchse in wichtigen außen-politischen Feldern und damit die Handschrift des neuenMinisters. Dieser Haushalt umfasst mit etwas mehr als3,7 Milliarden Euro zwar nur 1,2 Prozent des Gesamt-volumens des Bundeshaushalts, aber es ist wie immer imLeben: Es kommt darauf an, was man daraus macht.Gegenüber dem alten Soll von 2013 haben wir zusätz-liche Mittel von über 150 Millionen Euro zur Verfügunggestellt – das ist ein Aufwuchs von 4 Prozent –, die über-wiegend in die Bereiche humanitäre Hilfe und zivileKrisenprävention sowie in den Bildungsbereich fließen.Damit setzen wir auch Zeichen, und die sind angebracht.Der Bürgerkrieg in Syrien kann wohl als die größtehumanitäre Katastrophe der letzten Jahrzehnte gelten.Über 2,8 Millionen Menschen sind ins Ausland geflo-hen, weitere 9,3 Millionen Menschen brauchen in Syrienselbst Hilfe.Ich habe großen Respekt vor dem Libanon, einemLand, das fast 1 Million registrierte Flüchtlinge aufge-nommen hat. Das entspricht etwa einem Viertel derBevölkerung dort. Man stelle sich das im Verhältnis nureinmal in Deutschland vor: Was hier auf den Straßen loswäre!Ja, wir helfen vor Ort – und dürfen dabei nicht dieEinheimischen vergessen, die ebenfalls unmittelbardurch diesen Bürgerkrieg betroffen sind. Wir hören auchden Ruf des Hohen Flüchtlingskommissars der VereintenNationen. Deutschland hat vor wenigen Tagen beschlos-sen, weitere 10 000 Flüchtlinge aus Syrien aufzuneh-men. Damit sind es insgesamt schon 25 000. Ich gebezu: Andere Länder in Europa könnten auch noch etwasmehr tun. Rund 34 000 Syrierinnen und Syrer leben seitBeginn der Krise, also seit 2011, in Deutschland. Vielefanden und finden immer noch Unterkunft und Hilfe beiihren hier lebenden Verwandten. Ich bin mir sicher:Wenn es die Lage erfordert, dann werden wir uns auchüber die bereits eingestellten 303 Millionen Euro hinausengagieren. Das möchte ich all jenen sagen, die meinen,man könne jetzt gar nicht genug Geld bereitstellen.Angesichts der Lage in der Ukraine ist es uns gelun-gen, ein klares Signal zur Unterstützung der dortigenZivilgesellschaft und an die Nachbarländer Moldawien,Georgien und Belarus zu senden. Mit einem Maßnah-menpakt von insgesamt 5 Millionen Euro für 2014 wol-len wir gerade den jungen Menschen dort helfen, sicheine Zukunft aufzubauen. Hier müssen wir vorsichtigvorgehen. Wir dürfen nicht alle über einen Kamm sche-ren, und wir dürfen vor allem nicht das berühmte Kindmit dem Bade ausschütten, sondern wir müssen ihnenauf dem steinigen Weg in die neue Welt zu helfen versu-chen. Das ist mehr als nur ein Zeichen des guten Wil-lens. Es ist unsere unmissverständliche Ansage, den Wegder Ukraine in ein demokratisches, rechtsstaatlichesLand tatkräftig zu unterstützen.
An dieser Stelle will ich auch ausdrücklich auf denguten Einfluss der OSZE bei der Befriedung des Kon-flikts hinweisen. Die Mittel, die wir dafür ausgeben – derMitgliedsbeitrag –, liegen seit Jahren unverändert bei17,5 Millionen Euro. Das ist gut angelegtes Geld, undich rege an, dass der Ministerrat der OSZE unbedingtüber eine Erhöhung des Budgets nachdenken sollte, wasdann auch der Parlamentarischen Versammlung zugute-kommt.Die Stärke der parlamentarischen Seite der Organisa-tion ist: Wir bringen Menschen zusammen. Wir bringensie dazu, miteinander zu reden, sich nicht die Köpfe ein-zuschlagen und sogar zu Ergebnissen zu kommen.Am 11. April 2014 waren wir mit der ukrainischenund der russischen Delegation in Wien. Wir haben er-reicht, dass die Mitglieder dieser Delegation über dreiStunden miteinander gesprochen haben. Ergebnis war,dass erstens über die ukrainischen Rentenbezieher aufder Krim Vereinbarungen getroffen wurden und dasszweitens Vereinbarungen getroffen wurden, wie die Uk-rainer, die auf der Krim leben, an den Wahlen beteiligtwerden. Schon wenige Tage nach diesen Vereinbarungenwurde dann in Kiew ein entsprechendes Gesetz verab-schiedet. Parlamentarier können sich also positiv ein-bringen. Dazu werden aber auch die entsprechendenMittel notwendig sein.Einen klaren Schwerpunkt bei den Beratungen habenwir auf die Stärkung der zivilen Krisenprävention undKonfliktberatung gelegt. Zum einen stehen jetzt zusätzli-
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Doris Barnett
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che Projektmittel zur Verfügung, und zum anderen ver-stärken wir die erfolgreiche Arbeit des Zentrums fürInternationale Friedenseinsätze durch zusätzliches Per-sonal. Auch das war nicht ganz einfach. Aber trotzdemist es uns in den Beratungen gelungen, hierfür zusätzli-che Mittel zu finden und zur Verfügung zu stellen.Es ist mir ein ganz besonderes Anliegen, dass Ausbil-dungspartnerschaften durch das Auswärtige Amt auch inZukunft gefördert werden können und das Engagementverstärkt werden kann. Es stehen jetzt 1 Million Euro zurVerfügung, um erste Projekte in diesem Jahr anzustoßen.
Berufliche Aus- und Weiterbildung nach deutschemVorbild und der Export der dualen Ausbildung sind keinausschließliches Instrument der Entwicklungshilfe. ImGegenteil: Dort, wo deutsche Unternehmen Niederlas-sungen haben, können und sollen Angebote ähnlich derhiesigen Ausbildung gemacht werden. Nicht der Merce-des oder der Volkswagen, die Werkzeugmaschine oderdas Haushaltsgerät allein sind das Qualitätsprodukt.Auch die Ausbildung der Menschen, die diese herstellen,gehört untrennbar dazu.Ausbildung ist ein nachhaltiges und wichtiges Instru-ment einer zukunftsfähigen Außenpolitik, das allerdingsnicht auf die Kooperation der davon profitierenden Wirt-schaft verzichten sollte. Mir geht es dabei nicht um dieEins-zu-eins-Kopie des deutschen Systems. Vielmehr kön-nen wir helfen, die im Ausland vorhandenen Strukturenweiterzuentwickeln. Auch darum geht es bei der Ausbil-dungspartnerschaft.Auch wenn wir über den europäischen Tellerrand bli-cken und uns engagieren, so vergessen wir nicht, dassebenfalls in Europa wichtige Aufgaben zu erledigensind. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in derUkraine ist es wichtig, den Gesprächsfaden in Russlandnicht abreißen zu lassen, sondern den Dialog zu pflegen.Russland war und ist unser Nachbar und Wirtschafts-partner, den wir bei unseren Entscheidungen mit beden-ken müssen. Deshalb werden wir auch den PetersbergerDialog weiterführen und stärken.Wir stellen mit jeweils 1 Million Euro einen Zu-kunftsfonds sowohl für Italien als auch für Griechenlandbereit, mit denen geholfen werden soll, die Vergangen-heit mit Projekten vor Ort aufzuarbeiten. Die in Nürn-berg eingerichtete internationale Akademie NürnbergerPrinzipien werden wir ebenfalls, allerdings nicht alleine,institutionell fördern, weil hier ein Forschungsinstitutzur Weiterentwicklung des internationalen Strafrechts anhistorischem Ort entsteht. Angesichts weltweit zuneh-mender Übergriffe staatlicher Institutionen und auchnichtstaatlicher Gruppierungen, die die Bevölkerung ter-rorisieren, drangsalieren und schwere Menschenrechts-verletzungen begehen – man denke hier nur an Mali –,wird hier die notwendige Arbeit unter anderem mit Rich-tern aus diesen Ländern geleistet. Solche Verbrechen ge-gen die Menschlichkeit dürfen nicht ungestraft bleiben.An diesem Institut wird gelehrt, wie wir seinerzeit inDeutschland Kriegsverbrechen aufgearbeitet haben.Neben diesen wichtigen Anliegen ist auch die Aus-wärtige Kultur- und Bildungspolitik ein Schwerpunkt.Wir wollen sie als tragende Säule der deutschen Außen-politik auf- und ausbauen. Deshalb sind wir froh, dass esuns gelungen ist, die vorgesehenen Kürzungen von17 Millionen Euro beim DAAD weitestgehend zurück-zunehmen. Die Arbeit, die der DAAD und das Goethe-Institut als Mittlerorganisation für Deutschland leisten,können wir gar nicht hoch genug einschätzen.Hier werden junge Menschen an die deutsche Spracheherangeführt, an das, was uns ausmacht. Die zur Verfü-gung gestellten Stipendien helfen, nicht nur Fachleute inDeutschland auszubilden und sie möglichst hier zu be-halten, sondern auch, ein Netzwerk mit Menschen zuknüpfen, die später weltweit an wichtigen Stellen sitzenund Kenner und Fürsprecher für unser Land sind. Des-halb plädiere ich dafür, dass die jetzt zu verteilendenSondermittel für Bildung und Forschung auch für wei-tere Projekte des Auswärtigen Amtes in Sachen Auswär-tige Kultur- und Bildungspolitik zur Verfügung gestelltwerden. Das ist in die Zukunft angelegtes Geld für eingutes und friedliches Miteinander.
Ich gehe davon aus, dass die Opposition mit ihren zu-sätzlichen Anträgen, die mehrere 100 Millionen Euroumfassen, es mit dem Außenministerium eigentlich gutmeint. Aber zugegeben, mangels seriöser Deckungsvor-schläge
bleibt uns letztendlich nichts anderes übrig, als sie abzu-lehnen. Sie können doch nicht das eine Ministerium ge-gen das andere ausspielen und dann sagen, das sei seriös.
Ich würde mich freuen, wenn wir für den von uns vor-gelegten Haushalt die breite Unterstützung des Hausesfinden würden, und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieWelt ist in einem Wandel von atemberaubender Ge-schwindigkeit. Die Konflikte reihen sich aneinander. Siekommen immer schneller, und viele von ihnen gehenauch nicht wieder weg. Im Südchinesischen Meer ist derKonflikt längst nicht gelöst. Die Atomverhandlungenmit dem Iran sind am Scheideweg. Es deutet sich einKrisenbogen von Somalia über Südsudan und die Zen-tralafrikanische Republik bis nach Mali an.
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Omid Nouripour
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Der Nahe Osten ist in einer der schwierigsten Situa-tionen seiner Geschichte. Die Kerry-Initiative steckt zu-mindest derzeit noch in einer Sackgasse. Hoffentlichgibt es zumindest nach diesem Sommer einen Neuan-lauf.Der sogenannte Arabische Frühling ist in vielen Län-dern zu einem Albtraum geworden. Es gibt auch Hoff-nung wie in Tunesien, aber in vielen anderen Ländern istdas alles für viele Menschen mittlerweile nur noch mitgroßem Leid verbunden. Nach Syrien droht nun mit demIrak das zweite große Land im Nahen Osten zu implo-dieren.Herr Außenminister, Sie haben Anfang des Jahres ge-sagt – ich zitiere –: „Deutschland ist ein bisschen zugroß und wirtschaftlich zu stark, als dass wir die Welt-politik nur von der Seitenlinie kommentieren könnten.“Wir teilen diese Auffassung.Auch vieles, was der Bundespräsident sagt, verstehenwir im Gegensatz zu von der Leyen, Gysi und DieterDehm nicht in erster Linie militärisch. Deshalb findenwir mehr Verantwortung – das ist das Leitmotiv IhrerReden in den letzten Monaten gewesen – völlig richtig.
Das Problem ist, dass aus einem Leitmotiv noch langekein gelungenes Musikstück wird. Es ist offenkundig,dass sich ein Land wie Deutschland mit diplomatischenund zivilen Instrumenten um mehr Verantwortung be-müht und dass Konfliktvor- und Konfliktnachsorge sehrviel stärker als bisher in den Mittelpunkt geschoben wer-den müssen.Sie haben in München gesagt – ich zitiere erneut –:„Die Übernahme außenpolitischer Verantwortung mussimmer konkret sein.“ Es gibt nichts Besseres, um dieseKonkretion nachzuweisen, als einen Haushalt. Sie habenmit dem Review-Prozess einen sehr guten Prozess ange-stoßen, um noch einmal genau zu überprüfen, was in derdeutschen Außenpolitik anders werden muss und wo wirstehen. Das ist gut und richtig. Der gesamte Prozess wirdvon uns unterstützt. Aber macht es nicht Sinn, dass manam Anfang eines solchen Prozesses auch auf Großenga-gements schaut und überlegt, was man falsch gemachthat? Macht es nicht Sinn, dass wir endlich eine wissen-schaftliche unabhängige Evaluation vom größten Einsatzin der Geschichte der Bundeswehr in Afghanistan be-kommen? Es wurde immer wieder beantragt, und eswurde immer wieder abgelehnt. Das zeugt nicht unbe-dingt davon, dass der Review-Prozess nun konkret wer-den soll.
– Sie haben Experten eingeladen, denen Sie selbst keinewirklich ernsthaften Fragen gestellt haben.Was die zivile Krisenprävention angeht, ist im Haus-halt mehr Geld für Projekte vorgesehen. Das ist richtig.Unser Anliegen war aber, die Institutionen zu stärken.Wir haben in Anträgen gefordert, den Ressortkreis zustärken. Sie sind abgelehnt worden.Der interfraktionelle Antrag zu Syrien ist daran ge-scheitert, dass die Regierungsfraktionen keine konkretenZahlen zur humanitären Hilfe und zur Aufnahme vonFlüchtlingen drin haben wollten.Bei den diplomatischen und den zivilen Instrumentengeht es auch um Personal, und zwar um Justizpersonal.Wir haben nicht genug Personal. Wo bleibt die Initiative,um mehr Justizpersonal für internationale Einsätze zubekommen?Was Polizeieinsätze angeht, hat mein Fraktionsvorsit-zender heute Morgen die Zahl der aus Deutschland ent-sandten Polizisten bei den VN-Missionen genannt: Essind 19. Jenseits davon hat Deutschland derzeit 236 Poli-zisten in Auslandseinsätzen. Nepal schickt 900. Ichglaube nicht, dass das etwas mit dem Gewicht und derwirtschaftlichen Stärke zu tun hat, die Sie völlig zuRecht angemahnt haben.
Vieles von dem, was Sie in den letzten Monaten kon-kret getan haben, kann und muss man loben, beispiels-weise Ihr Engagement in der Ukraine. Was Sie zusam-men mit der Troika gerade im Februar auf dem Maidanund um den Maidan herum erreicht haben, wurde vonuns gelobt. Wir bleiben auch dabei. Im Übrigen bestrei-tet niemand, dass es auch Faschisten gibt, auch in derukrainischen Regierung.
Auch wir Grüne bestreiten das nicht. Wir bekämpfendiese Faschisten genauso. Aber im Gegensatz zu Ihnen,meine Damen und Herren von der Linken, sind wir nichtbereit, alle in die gleiche Ecke zu stellen und zu behaup-ten, dass alle Faschisten sind, die dort die Macht an sichgerissen haben.
Wenn wir nicht nur zuschauen sollen, frage ich mich,was wir tun sollen. Libyen, ein Land in unmittelbarerNachbarschaft Europas, zerfällt. Die Kollegin Keul hatin den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen,dass wir mehr tun müssen. Es gab sehr viele Gründe,warum wir beim Libyen-Einsatz nicht dabei waren.Wenn wir aber schon nicht dabei waren, stellt sich dieFrage, ob wir mit Libyen überhaupt nichts mehr zu tunhaben wollen oder ob es nicht sinnvoll ist, dass wir dortals Nachsorge des Konflikts deutlich mehr tun. Schließ-lich handelt es sich um einen Nachbarstaat der Europäi-schen Union.
Weitere Beispiele. Die VN schreien gerade regelrechtnach mehr Engagement im Südsudan und bitten umHilfe. Aber wir sind noch nicht einmal bereit, in dieNähe der Mandatsobergrenze zu gehen. Beim Irak ver-
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Omid Nouripour
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hält es sich wie folgt: Gerade weil wir 2003 bei dem Ein-satz, den die Amerikaner begonnen und bei dem sie soviel falsch und kaputt gemacht haben, nicht dabei warenund gerade weil al-Maliki – das ist in diesem HohenHause nun Common Sense – in den letzten drei Jahrenalles getan hat, um die Keime der Dynamik und derHoffnung im Irak zu zerstören, finden wir in diesemLand anders Gehör und besitzen eine andere Glaubwür-digkeit. Ich frage mich aber, wo die Stimme erhobenwird, um Druck zu machen und dafür zu sorgen, dass dienächste Regierung im Irak auf die Belange der Sunnitenanders eingeht.
Sie haben völlig recht: Deutschland ist zu groß, umnur an der Seitenlinie zu stehen. Aber noch einmal: Dasmuss konkret sein. Wir müssen deutlich mehr tun. Das,was bisher gemacht wurde, reicht nicht. Wir sind froh,dass in einigen Bereichen sehr viel mehr gemacht wirdals in der letzten Legislaturperiode. Aber die Ansprüche,die Sie nun formuliert haben, sind deutlich höher als die-jenigen, die in der letzten Legislaturperiode gestellt wur-den. Deshalb werden wir Sie anders messen. Wir wollennicht, dass Deutschland an der Seitenlinie steht. Dabeiist anzumerken: Deutschland steht im Fall Irak gar nichtan der Seitenlinie, sondern sitzt auf der Couch undschaut sich die Bilder im Fernsehen an. Wir wollen aber,dass Deutschland eine andere Rolle in der zivilen Vor-und Nachsorge von Konflikten spielt.Ich möchte ganz zum Schluss noch etwas Persönli-ches sagen. Ich persönlich bin mit vielem, was der HerrAußenminister macht, einverstanden. Ich finde, dass nuneiniges besser ist als in den vier Jahren zuvor. Aber ichmöchte an dieser Stelle – ich glaube, ich spreche hiernicht nur für mich – dem ehemaligen Außenminister vielKraft und seiner Familie viel Geduld wünschen, damit ereine schnelle Genesung erzielen kann. Ich glaube, dassdas in unser aller Sinne ist.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Diesem Wunsch hat sich das gesamte Haus ange-
schlossen.
Nun spricht der Kollege Alois Karl für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren Kollegen des Deutschen Bundestags! Sehr geehr-ter Herr Außenminister! Lieber Herr Steinmeier! Wer imLauf des Tages die Haushaltsdebatten verfolgt hat, stelltfest, dass sich fast alles nach einem gewissen Ritual ab-spielt. Wir als Regierungsfraktionen loben unsere Ein-zelhaushalte quasi über den Schellenkönig
und die Opposition kritisiert.
Herr Nouripour hat allerdings gerade mit dem Loben be-gonnen. Das hat mir gut gefallen. Sie sind auf dem rich-tigen Weg, wenn Sie das so ausdrücken.
Auch wenn das eine oder andere bei manchem Einzel-haushalt kritisiert werden kann, beim Haushalt desAußenministers wirklich nicht. Sie könnten ihm zu-stimmen. Das wäre ein Aufschlag, der durch die Pressegehen würde. Nicht nur Herr Oppermann, sondern auchSie wären dann in der Zeitung.
Das wäre doch einmal etwas. Das würde ich Ihnen gön-nen.
Herr Dehm, Jean-Claude Juncker wird nicht automa-tisch Präsident der Kommission.
Auch bei der Linken kommt die Weisheit nicht automa-tisch. Hier bedarf es einer gewissen Prozedur.
Wir verabschieden heute den Haushalt des Bundes-außenministers, einen Bikinihaushalt, könnte man sagen,kurz und knapp, Herr Steinmeier.
Aber er umfasst doch das Wesentliche, und er erregtAufmerksamkeit. Das sind die Attribute, die man demHaushalt wie auch einem guten Bikini zuerkennenmöchte.Herr Außenminister, Sie haben vor kurzem in einerRede und auch in dem Gespräch mit den Berichterstat-tern gesagt: Es hat den Anschein – so haben Sie sich aus-gedrückt –, als habe Außenpolitik wieder Konjunktur. –Ich habe mir darüber Gedanken gemacht und überlegt:Was hat er denn damit gemeint? In der Tat, es ist schonso, dass sich in den letzten 25 Jahren zum Beispiel vieleaußenpolitische Probleme, die Europa jahrelang undjahrzehntelang im Griff gehabt haben, gelöst haben undaußenpolitische Themen verschwunden sind.Es hat sich vieles zum Guten gewendet. Wenn ich nuran Folgendes denke: die Aussöhnung mit Frankreich, dieWiedervereinigung Deutschlands, Deutschland als ge-achteter Partner in der Welt, der Niedergang des War-schauer Pakts als bedrohliches militärisches Bündnis.All das hat sich in der Tat hervorragend in unserer Ge-genwart entwickelt. Es ist schon so, dass es in der Au-ßenpolitik nicht alle acht Tage Ausschläge wie Amplitu-
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Alois Karl
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den geben kann und spektakuläre Aktionen stattfindenkönnen. Es ist vielmehr eine kontinuierliche und ruhigeArbeit, die von uns Außenpolitikern und von Ihnen, HerrSteinmeier, an erster Stelle gemacht wird. Das Spektaku-läre an der deutschen Außenpolitik ist, glaube ich, dieBerechenbarkeit, die Verlässlichkeit und die Unaufge-regtheit, mit der wir uns unseren Aufgaben stellen. In derTat, Probleme sind immer da, und sie werden nie zurGänze gelöst werden. Das sieht man in Osteuropa, imNahen Osten, im Mittelmeerraum usw.Die Ereignisse vor 25 Jahren haben einem großen Be-drohungspotenzial in Europa ein Ende bereitet. VieleBedrohungsszenarien haben sich verflüchtigt, aber den-noch: Die Welt ist nicht friedlicher geworden. Jeden Tagkann auch über uns wieder Unfriede hereinbrechen. Ichnenne als Beispiel für eine Gefahr den islamistischenTerrorismus. Sicher ist aber, dass wir mit unserer Außen-politik Beiträge leisten können, um Frieden und Freiheitund der Achtung der Menschenrechte in Europa undweltweit Geltung zu verschaffen.Wir meinen, dass wir auf einem richtigen Weg sind.Würden wir Generationen vor uns befragen, so würdensie sagen, dass sie die heutige Situation in Deutschlandfür sich herbeigesehnt hätten, dass diese Situation gera-dezu ihre Idealvorstellung gewesen wäre. Wenn wir dieGeneration von vor 100 Jahren, 1914, befragen würden,die den Beginn des Ersten Weltkriegs erlebt hat, mit20 Millionen Toten am Schluss, dann würde sie in dergleichen Weise antworten wie jene Generation, die vor75 Jahren gelebt und den Beginn des Zweiten Weltkriegserlebt hat, am Ende mit 60 Millionen Toten, 20 Millio-nen davon Russen,
6 Millionen Deutsche und 6 Millionen ermordete Juden.Sie würden in der jetzigen Situation möglicherweisedankbar sein, möglicherweise dankbarer als manche vonuns, die das als völlig selbstverständlich hinnehmen. Dasist die Gefahr, in der wir leben, nämlich dass wir vielesoder gar alles als selbstverständlich hinnehmen.Wir haben erleben können, dass die beiden deutschenStaaten heute wiedervereinigt sind, dass wir von keinemeinzigen äußeren Feind mehr umgeben sind, dass wirseit 1945 fast 70 Jahre Frieden haben. Das ist es, was un-sere aktive Außenpolitik auch in der Zukunft betreibenwird. Wir werden von uns aus in Europa, aber auch inanderen Erdteilen dazu beizutragen, Frieden und Freiheitzu gewährleisten.Meine sehr geehrten Damen und Herren, all das istnatürlich haushaltsmäßig auszustatten. Frau Barnett hatdarüber kurz gesprochen. Es ist, glaube ich – FrauBarnett, ich spreche in Ihrem Namen und auch im Na-men der anderen Kollegen –, durchaus eine schöne Auf-gabe, wenn man an dem Schnittpunkt von Haushalts-politik und Außenpolitik arbeiten kann und wenn manweiß, dass unser Geld gut angelegt ist.Wir sind im westlichen Bündnis fest verankert. Eineder Konstanten unserer Außenpolitik ist, dass wir festauf der Seite des Westens stehen, dass wir uns bemühen,in anderen Ländern als verlässlicher Partner aufzutreten.Diese Konstanten sind allerdings nicht überall Allge-meingut. Ich zitiere eine Umfrage zum Ukraine-Kon-flikt: 45 Prozent der Befragten haben gesagt, wir sollten,fest im Westen stehend, diesen Konflikt zu lösen versu-chen. 49 Prozent, also mehr, haben gesagt, wir solltenuns heraushalten, uns also möglichst nicht einmischen.– Die Maxime der deutschen Außenpolitik ist das nicht.Wir können uns in der Tat nicht heraushalten. Wir müs-sen schon aktiv Außenpolitik betreiben, und wir müssenauch Farbe bekennen.Wenn der Bundespräsident, wenn die Bundeskanzle-rin, wenn die Verteidigungsministerin und wenn Sie,sehr geehrter Herr Außenminister, betont haben, dasswir mehr Verantwortung in der Welt als bisher überneh-men müssen, dann ist das, meine ich, richtig. UnsereVerpflichtung ist es – erwachsend aus der Situation he-raus, dass wir in den letzten 25 Jahren in DeutschlandHervorragendes schaffen konnten –, allen anderen dabeizu helfen, dass auch ihnen der Friede, die Freiheit unddie Achtung der Menschenrechte zugutekommen.Mit Kriegseinsatz hat das natürlich nichts zu tun. HerrDehm, nachdem Ihr junger Kollege aus Brandenburgdiese dummen Sätze gesprochen hat, wäre es gut gewe-sen, wenn Sie oder heute früh Ihr FraktionsvorsitzenderGysi dazu eine ganz deutliche Stellungnahme abgegebenhätten. Das ist nicht geschehen. Es wäre gut, wenn Siemehr sagen würden, als Gysi es getan hat, indem er ge-sagt hat, dass er hier nicht für jeden Genossen und fürjede Äußerung geradestehen kann. Es war eine ganzdumme und ganz unkluge Bemerkung, den Bundespräsi-denten quasi einen Kriegstreiber zu nennen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dem Rechtdes Stärkeren können wir in der Tat nicht das Wort re-den. Wir haben unsere Aufgaben, auch in der Ukraine;das ist angesprochen worden. Herr Steinmeier, Sie warenda, und Sie haben zusammen mit Fabius und Sikorski,dem polnischen Außenminister, viele Gespräche geführt.Ich glaube, Sie haben die Dinge vorangebracht. Es warleider ein Mitglied Ihrer Partei, das gesagt hat, es sehezurzeit keinen, der die Initiative ergreife und der dieDinge in der Ukraine vorwärtsbringen könnte. „Doch!“,würde ich dem früheren Bundeskanzler – er kommtdummerweise aus Ihrer Partei – entgegenhalten. Ichwürde ihm sagen: Steinmeier macht doch etwas.Steinmeier ist jemand, der die Initiative ergriffen hat. –Sie haben dazu beigetragen, dass sich die OSZE an derKonfliktlösung beteiligt, dass der Botschafter Ischingerseinen Beitrag dazu leistet und dass Wahlen in derUkraine stattfinden konnten.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchteauf einen anderen Punkt eingehen – von der Ukrainenicht so weit weg –: auf das Baltikum. Herr Steinmeier,Sie waren vor wenigen Wochen da, weil das Baltikumheuer ein Jubiläum feiert. Auch da sind die Menschen,etwa 2 Millionen, vor 25 Jahren aufgestanden und habenden sogenannten baltischen Weg begründet, als Zeichen
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Alois Karl
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nach außen, dass sie sich von der Herrschaft der Sowjet-union loslösen wollen. Das war einer der Marksteine ne-ben dem Durchschneiden des Eisernen Vorhanges durchden österreichischen Außenminister Alois Mock und denungarischen Außenminister Gyula Horn in Sopron, wo-mit man nach außen deutlich gezeigt hat, dass die Prole-tarier der Welt ihre Ketten abwerfen. Allerdings hat KarlMarx das anders gemeint: Er hat die Ketten des Kapita-lismus gemeint. In Osteuropa hat man aber die Kettendes Kommunismus und des Sozialismus abgeworfen. ImBaltikum erleben wir seit 25 Jahren hervorragende Ent-wicklungen. Die Balten sind Ihnen, Herr Steinmeier, unduns insgesamt dankbar, dass wir in dieser Weise zu ihnenstehen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, Konfliktegibt es mehrfach: im Nahen Osten, im Mittelmeerraumund an anderen Orten. Wir haben vor wenigen Jahrenden Arabischen Frühling erlebt und reiben uns heute mitErstaunen die Augen, wenn wir sehen, dass es geradezueine Trendumkehr gibt: In Ägypten folgt dem autokrati-schen System Mubarak und dem autokratischen Systemder Muslimbrüder möglicherweise ein weiteres autokra-tisches System unter der Herrschaft von al-Sisi. Trotz-dem wollen wir dort Transformationspartnerschaften be-gründen. Dafür geben wir 39 Millionen Euro aus.Weitere 20 Millionen Euro fließen in Wissenschaftspart-nerschaften.Wir verfolgen mit großem Entsetzen die Situation inSyrien. Es sind 2,5 Millionen Binnenflüchtlinge, 1 Mil-lion Flüchtlinge im kleinen Libanon, 600 000 Flücht-linge in Jordanien und 600 000 Flüchtlinge in der Tür-kei. Wir haben in unserem Haushalt mehr als 300Millionen Euro dafür eingestellt, um hier humanitäreHilfe zu leisten. Wir wissen, dass wir da außer- oderüberplanmäßig noch etwas tun müssen.Die Initiative von Bundesminister Gerd Müller,1 Milliarde Euro zusätzlich aufzubringen, finde ich sehrbedenkenswert; allerdings ist das natürlich eine Aufgabeder Gebergemeinschaft der Welt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube,uns fehlt ab und zu der finanzielle Spielraum, weil un-sere Haushalte schon determiniert sind durch dauerhafteAusgaben, zum Beispiel durch Zahlungen an die Verein-ten Nationen und deren Unterorganisationen.Lieber Herr Bundesaußenminister, wir beteiligen unsaugenblicklich an 15 Friedensmissionen – über Jahre beiden einen und über Jahrzehnte bei den anderen. Zu ih-rem Beginn war es sicherlich richtig, dass wir uns betei-ligt haben. Heute, meine ich manchmal, muss man kri-tisch nachfragen, ob alles noch seine Richtigkeit hat, obnicht auch einmal etwas beendet werden kann.Bei der UNRWA ist das das Gleiche. Das ist eine Un-terorganisation, die seit 65 Jahren humanitäre Hilfe inPalästina leistet.
Da muss ich fragen, ob das die nächsten 65 Jahre so wei-tergehen kann.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich bin am Ende, liebe Frau Präsidentin, und komme
zu meinem letzten Schachtelsatz, wenn Sie nichts dage-
gen haben.
Das hängt von Ihren Kollegen ab. Die müssen für den
Schachtelsatz sozusagen bezahlen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind in
einer Zeit, wo wir den Haushalt konsolidieren wollen.
Wir möchten im Herbst dieses Jahres einen Haushalt
vorlegen, der eine Neuverschuldung von null hat. Das
wird eine große Leistung sein – 45 Jahre nachdem zu-
letzt Franz Josef Strauß einen Haushalt mit Nullver-
schuldung vorgelegt hat.
Der Gesamthaushalt sinkt um 4,4 Prozent, der Haus-
halt des Bundesaußenministers steigt um 4,4 Prozent.
Das ist eine gewisse Reverenz an die Arbeit der Mitar-
beiter dort, an unsere Außenpolitik und an Sie persön-
lich, lieber Herr Steinmeier. Wir stimmen dem Haushalt
zu und bitten die anderen Fraktionen, uns das gleichzu-
tun.
Vielen herzlichen Dank.
Danke, Herr Kollege. – Erst einmal schönen guten
Abend von meiner Seite aus!
Jetzt hat das Wort Außenminister Frank-Walter
Steinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Lieber Alois Karl, ganz herzlichen Dank Ihnen und
den Berichterstattern für die offenen und freundlichen
Beratungen, die wir in den letzten Wochen und Monaten
hatten. Danke auch für die humorvolle Eröffnung Ihres
Beitrags eben. Ich kenne mich bei Bikinis überhaupt
nicht aus, aber Sie haben ja mitgeteilt, dass das eine eher
knappe Ausführung sei.
Es kommt auf die Figur an.
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Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister desAuswärtigen:Das kann ich noch weniger beurteilen. – Aber die Er-öffnung lässt einen hoffnungsfroh zurück; denn wenndas der Bikini-Haushalt ist, dann hoffe ich doch darauf– wir stehen vor den Beratungen für den Haushalt2015 –, dass die wärmenden Wollhosen für den nächstenWinter bald nachgeliefert werden, lieber Herr Karl.
Herzlichen Dank Ihnen allen! Ich danke Ihnen auchdafür, dass wir den Einzelplan 05 hier trotz Fußballwelt-meisterschaft beraten können – zwischen zwei Übertra-gungen im deutschen Fernsehen.
Ich freue mich darüber, dass der Haushalt erstens Inte-resse findet und dass hier zweitens ernsthaft über Außen-politik diskutiert wird. Viele haben im Augenblick nurBrasilien und Fußball im Kopf, und Fußball hat wenigmit Außenpolitik zu tun – das gebe ich gerne zu –, wenn-gleich es doch Bezüge gibt.Im Fußball kann immerhin gestritten werden. Es kannzum Beispiel darüber gestritten werden, ob der Elfmeterfür Griechenland gestern Abend berechtigt war odernicht.
Es kann darüber gestritten werden, ob der Biss insSchulterblatt noch regelkonform ist. Aber warum kanndarüber gestritten werden, und warum hat das am Endeetwas mit unserem Thema zu tun? Es kann darüber ge-stritten werden, weil dort Regeln bestehen, weil Spielre-geln bestehen, weil das Spielregeln sind, die im Prinzipanerkannt sind, und weil es eine unabhängige Institutiongibt, die durch einen Pfiff entscheiden kann, was gilt undwas nicht gilt.Das alles fehlt, meine Damen und Herren, in einemgrößer werdenden Teil der internationalen Beziehungen,wobei schon das Wort „Beziehungen“ mit Blick auf dieEntwicklung im Mittleren Osten fast ein Euphemismusist. Wir erleben, wie staatliche Strukturen in Syrien undim Irak gegenwärtig zerfallen. Auch dort, wo im sunni-tisch-schiitischen Ringen um die Vorherrschaft in der is-lamischen Welt das tägliche Blutvergießen kein Endenimmt, auch dort, wo zwischen Bagdad und dem Mittel-meer ein riesiger gesetzloser, herrschaftsloser Raum zuentstehen droht, der zum Tummelplatz von Söldnern,Terroristen und kriminellen Clans werden könnte, auchdort, wo es kein Schwarz-Weiß gibt und die Unterschei-dung zwischen Gut und Böse immer schwerfällt, habenwir in einem gewissen Maß Verantwortung.Die Verantwortung beginnt damit, dass wir überprü-fen, ob die alte Philosophie „Der Feind des Feindes istunser Freund“ noch gültig sein darf. Mit dieser Philoso-phie sind in Syrien Monster gezüchtet worden, Gruppen,die im Kampf gegen Assad begonnen haben, die mode-rate Opposition zu vernichten und Herrschaftsansprüchemit rücksichtsloser Brutalität auch außerhalb Syriens zuverfolgen. Der Feind des Feindes ist nicht schon deshalbunser Freund. Das sollte die Lehre aus diesem Konfliktsein.
Das Vordringen der ISIS-Gruppen mit dieser Ge-schwindigkeit, das wir dort erleben – einige haben eshier zum Ausdruck gebracht –, ist für viele eine Überra-schung gewesen. Wir alle haben das in den letzten Tagenam Fernsehen verfolgt. Ich selbst war in der Türkei undhabe mir die Bedrohungslage in der Nachbarschaft ange-sehen. Ich habe mit den Kurden im Nordirak gespro-chen. Wir müssen uns einfach bewusst sein: So schlimmdie Sache ist, Hilfe von außen ist im Augenblick nurganz schwer möglich. Ich glaube, dass wir zu den Men-schen einfach ehrlich sein müssen. Die Lösung muss imAugenblick eher von innen, aus dem Irak selbst, kom-men.Ich habe heute die Äußerungen von Maliki mit eini-ger Sorge gehört. Ich glaube, es wird überhaupt nur dannChancen für eine politische Lösung im Irak geben, wenndie politische Elite im Irak bereit ist, eine Regierung zuformen, in der alle Religionen und alle Regionen tat-sächlich integriert sind. Nur dann wird es gelingen, dieaugenblickliche Verbindung zwischen ISIS und den vie-len Enttäuschten, vor allen Dingen aus dem sunnitischenLager, wieder aufzubrechen. Nur dann wird dem Vor-marsch von ISIS tatsächlich die Basis entzogen werdenkönnen. Das wird aber nicht reichen. Wir müssen versu-chen – wir sind dabei –, den Nachbarstaaten deutlich zumachen, dass keiner, aber auch wirklich keiner ein Inte-resse am Zerfall der staatlichen Integrität des Irak hat. Eswürde im Zweifel alles noch schlimmer machen in die-ser Region des Mittleren Ostens.Ja, wir müssen auch realisieren, dass ohne den Nach-barstaat Iran am Ende nichts zu erreichen sein wird.Auch mit diesem Tabu müssen wir brechen. Deshalb:Wir müssen im Augenblick – wo wir im Irak nicht überden notwendigen Einfluss verfügen, um die richtigenDinge auf den Weg zu bringen; jedenfalls ist das meineAuffassung – von unserer Seite helfen, die Explosivkraftdieses Konflikts, die ungeheuer ist, vor allen Dingen mitBlick auf die Nachbarregionen zu entschärfen.Viele haben hier gesagt: Das Flüchtlingsdrama ist einFlüchtlingsdrama wegen der Vielzahl der Flüchtlinge.Davon ist nichts zurückzunehmen. Aber es ist eben aucheine Gefährdung für fragile Nachbarstaaten wie den Li-banon oder etwa Jordanien. 1,4 Millionen Flüchtlinge al-lein in Jordanien! Würden alle syrischen Flüchtlinge ihreKinder in die libanesischen Schulen schicken, wärenjetzt mehr syrische als libanesische Kinder in den Schu-len. Damit wäre das Schulsystem überfordert. Faktischist es natürlich so, dass die meisten ihre Kinder gar nichtin die Schule schicken. Das führt dazu, dass jetzt im Liba-non eine Generation Kinder von syrischen Flüchtlingsfa-milien ohne jeden Kontakt mit Bildung aufwächst. Es istdeshalb gut – das sage ich ganz ausdrücklich, auch mit
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3818 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Blick auf die Länder –, dass der Bundesinnenministergemeinsam mit den Landesinnenministern beschlossenhat, mehr Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Es istgut, dass Bundesminister Müller 50 Millionen Euro zu-sätzlich für Flüchtlinge einsetzen wird.Ich bin dennoch davon überzeugt, dass wir mehr tunmüssen. Wir müssen in dem vergleichsweise wohlhaben-den Europa mehr tun, um das Leid vor Ort zu verringern.Das muss sich bei uns in der Haushaltsplanung widerspie-geln. Das tut es in gewissem Umfang auch. Aber es betrifftnicht nur uns, sondern auch die europäischen Partnerstaa-ten. Ich habe gerade die europäischen Partnerstaaten in ei-nem gemeinsamen Brief mit Herrn de Maizière ermuntert,dasselbe zu tun wie wir, nämlich Flüchtlingskontingente ineiner bestimmten Größenordnung aufzunehmen. Ichweiß: 30 000 oder 40 000 Flüchtlinge sind gegenüberden 1,4 Millionen Flüchtlingen, die Libanon bereits auf-genommen hat, wenig. Aber wenn 28 europäische Staa-ten das Gleiche täten, dann ließe sich die Not in der Re-gion wenigstens signifikant verringern. Dazu müssenwir bereit sein.
Ich bin gestern aus Kiew zurückgekommen. Ich binein weiteres Mal in der Region gewesen, weil ich finde,dass wir jetzt in einer historischen und entscheidendenPhase sind. Ich glaube, nur wer sich wirklich mit demKonflikt auseinandersetzt und die Strukturen betrachtet,der weiß, wie das Verhalten des neugewählten Präsiden-ten Poroschenko in einer Situation einzuschätzen ist, inder die Mehrheit der Bevölkerung etwas anderes will alseinen Friedensplan. Die Mehrheit der Bevölkerungwünscht eine aktive Bekämpfung der Separatisten imOsten. Wer sich ein bisschen in diesen Konflikt hinein-kniet, der kann vielleicht nachspüren, was für ein Mutdazugehört, als neugewählter Präsident in einer solchenSituation nicht die Alternative einer aktiven polizeili-chen und militärischen Bekämpfung zu wählen, sonderneinen Friedensplan vorzulegen, der ein Angebot an die-jenigen ist, zu denen das Vertrauen im Augenblick völligzerbrochen ist.Deshalb, lieber Herr Dehm, finde ich das, was Siehier am Mikrofon veranstaltet haben, so infam.
Denn niemand von uns hat in der Vergangenheit irgend-etwas verschwiegen.
Niemand von uns hat gesagt, dass es auf dem Maidankeinen rechten Sektor gab. Niemand von uns hat be-hauptet, dass eine umfängliche Aufklärung aller Verbre-chen stattgefunden hat.
Niemand von uns hat das behauptet. Nur Sie machen essich, verdammt noch mal, viel zu einfach,
indem Sie die gesamte politische Führung in der Ukrainezu Faschisten erklären.Ich will Ihnen nichts von Ihren Meinungen nehmen.Machen Sie weiter so. Sie werden dafür keine Zustim-mung finden, weder im Deutschen Bundestag noch inder Öffentlichkeit. Nur ein Satz, den Sie vielleicht be-denken sollten: Warum werden eigentlich die Separatis-ten von den Faschisten in ganz Europa unterstützt, vonder Front National über Geert Wilders und deutscheNeofaschisten bis hin zu italienischen Neofaschisten?
Wenn Sie den Eindruck haben, dass es dort Faschismusgibt, dann müssen Sie doch thematisieren, warum es ge-rade die Faschisten in ganz Europa sind, die gegen dieseukrainische Regierung kämpfen.
So wird doch ein Zusammenhang daraus. Insofern sageich: Das, was Sie hier tun, ist eine Verzweiflungstat, weilSie schlicht und einfach keine Haltung zu einer Ukraine-Krise finden,
die in der Tat ein bisschen komplexer und schwieriger zuverstehen ist, als Sie hier tun.
Wir haben gestern in Kiew ein langes Gespräch mitdem Präsidenten Poroschenko gehabt. Ich muss Ihnenganz offen sagen: Ich habe Kiew verlassen, bin zumFlughafen gefahren und habe gedacht, dass wir zwarnicht den Durchbruch geschafft haben, aber ein Stückweiter sind.
Ich habe wirklich gedacht, dass wir ein Stück weiter sindund zur Entschärfung der Krise beitragen können,
weil mitten im Gespräch mit Poroschenko die Nachrichthereingekommen war, dass Präsident Putin bereit ist, aufdie vom Föderationsrat erteilte Interventionsvollmachtzu verzichten. Das erschien wie eine wirkliche Entspan-nung der Situation, weil es ein erstes Signal war, dasswir die Talsohle vielleicht durchschritten haben könnten.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3819
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Mit diesem Eindruck bin ich gestartet. Als ich gesternNachmittag in Brüssel landete, erfuhr ich von dem Ab-schuss des Hubschraubers, bei dem es neun Tote gab.Das zeigt, wie fragil die gegenwärtige Lage ist. Eszeigt mir aber auch, dass wir gar keine andere Möglich-keit haben, als zu versuchen, immer wieder anzusetzenund nach Möglichkeiten zu suchen – ich bin immer nochdavon überzeugt, dass es geht –, tatsächlich eine Ent-schärfung der Krise zu erreichen.Ich will mich ganz herzlich auch dafür bedanken, dassdie Ausstattung der Auswärtigen Kulturpolitik mit die-sem Haushalt deutlich besser geworden ist. Ich freuemich darüber, dass Jungs und Mädchen aus aller Welt inder Lage sein werden, unsere verdammt schwere Spra-che zu lernen, vielleicht auf deutsche Schulen zu gehen,hoffentlich deutsche Stipendien zu erhalten.Ich will ebenfalls mit einem persönlichen Wort schlie-ßen; das liegt mir am Herzen. Mein Amtsvorgänger undlangjähriger Kollege Guido Westerwelle ist, wie Sie wis-sen, schwer erkrankt. Im Namen der Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter des Auswärtigen Amts und mit Sicher-heit auch in Ihrem Namen möchte ich sagen: Wir wün-schen Guido Westerwelle alle Kraft, die erforderlich ist,für den Kampf gegen die Krankheit und für eine voll-ständige Genesung.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. Der Bundes-
tag schließt sich diesen Wünschen von Herzen an.
Nächster Redner in der Debatte: Michael Leutert für
Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister, ich will in der Kürze der Zeit versuchen,auf einen Punkt einzugehen. In unserem Berichterstatter-gespräch haben Sie in einem sehr nachdenklichen Bei-trag Ihre Einschätzung darüber gegeben, wie es derzeitin der Welt aussieht. Ich fand es schon sehr bedrückend,was Sie erzählt haben. Man kann den Eindruck bekom-men, dass derzeit vieles um uns herum zusammenbricht;das wurde schon angesprochen. Ob das die Ukraine ist– die gerade Thema war –, ob das Irak, Syrien oder derganze Nahe Osten ist, ob in Afrika, zum Beispiel in derZentralafrikanische Republik: Überall gibt es Probleme.Die Bundeswehr ist derzeit an 18 internationalen Einsät-zen beteiligt. Weltweit gibt es 17 Friedensmissionen derUN.Man denkt immer, das alles ist sehr weit weg, aberdem ist nicht so. Die am weitesten entfernten Krisen-herde liegen 5 000 Kilometer von hier, das sind zehnFlugstunden. Wenn man die Situation auf der Karte be-trachtet, sieht man, dass es in Fernasien und auf demganzen amerikanischen Kontinent keinen einzigen Ein-satz gibt.Die Einsätze finden in den Krisenherden um uns he-rum statt: Afrika, Mittlerer und Naher Osten, aber auchin Europa, und das wird immer wieder vergessen. Alleinin Europa gibt es sechs Einsätze: einen im Kosovo, zweiim Mittelmeer, einen in der Türkei, einen auf Zypern– er hat dieses Jahr im Übrigen 50-jähriges Jubiläum –und einen in der Ukraine. Das bedeutet, die Problemefinden nicht irgendwo da draußen statt, sondern sie sindnicht fern von hier.Ich glaube, wir sind uns alle einig, liebe Kolleginnenund Kollegen: Die Probleme können nicht militärischgelöst werden, aber sie müssen gelöst werden. Wenn ichmir die Debatten der letzten Wochen und Monate hier inDeutschland anschaue, dann bin ich mir nicht ganz si-cher, ob wir in der Lage sind, dazu beizutragen, dieseKonflikte zu lösen.Es gibt viele, die meinen, Deutschland müsse sich in-ternational mehr engagieren, auch militärisch. Viele sindder Meinung, das müsse nicht nur Deutschland tun, son-dern eigentlich Europa. Allerdings befindet sich die Eu-ropäische Union derzeit in einem Zustand, angesichtsdessen man bezweifeln mag, ob sie dazu in der Lage ist:Finanz- und Schuldenkrise, ökonomische Probleme undsoziale Verwerfungen und meines Erachtens auch ganzklar politische Probleme. Dies wird am Postengescha-cher nach der Wahl zum Europäischen Parlamentdeutlich, bei dem es darum geht, ob nun der eine Kom-missionspräsident wird und der andere dafür Parlaments-präsident.
Das ist eine Verhöhnung der Wählerinnen und Wähler,so als hätten wir überhaupt keine Wahlen gehabt.
Wir brauchen in Europa – und darum geht es mir –klare, transparente, verlässliche und demokratischeStrukturen, auf die sich die Menschen verlassen können.Wir brauchen Strukturen und Regeln – über Regeln hatder Außenminister gerade gesprochen –, denen die Men-schen in Europa auch wieder vertrauen. Das geht nur,wenn wir endlich dafür sorgen, dass die EU eine Verfas-sung bekommt, die auch dem Europäischen Parlamentdie notwendigen Rechte zuschreibt, und die Kommis-sion
vom Parlament bestimmt wird, so wie es eine ganz nor-male demokratische Gepflogenheit ist. Egal was in derVergangenheit stattgefunden hat: Das ist die heutigeFaktenlage. Ich bin der Meinung, wir brauchen einenNeustart für eine europäische Verfassung.
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3820 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Michael Leutert
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Diese Debatte zu führen und den Prozess zu beglei-ten, ist auch Aufgabe des Auswärtigen Amts. So stehtzum Beispiel im Vorwort des heute abzustimmendenEtats: Das Auswärtige Amt dient dem Aufbau eines ver-einten Europas. – Das spiegelt sich bei den Ausgabenaber überhaupt nicht wider.Zwei Titel im Etat des Auswärtigen Amts beschäfti-gen sich mit Europa. Der eine Titel lautet „Förderungdes europäischen Gedankens“ und ist mit 800 000 Euroausgestattet, der andere Titel lautet „Intensivierung dereuropäischen Integration“ und hat 2 Millionen Euro.Mehr nicht. Insgesamt sind das 2,8 Millionen Euro. Vor-hin wurde davon gesprochen, dass 3,6 Milliarden Euroein Bikinihaushalt sind. Was sind dann diese 2,8 Millio-nen Euro für die europäische Integration?
Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen derKoalition, ich glaube, es ist ein Fehler, dass wir dafürnicht mehr Geld bereitstellen. Wenn sich Europa nichtschnell zu einer echten politischen, sozialen und wirt-schaftlichen Union weiterentwickelt, werden wir dieKonflikte in und um Europa nicht lösen können. EineWährungsunion allein reicht dafür nicht.
Kommen Sie bitte zum Ende.
Ich bin davon überzeugt – das ist mein letzter Schach-
telsatz –: Nur ein demokratisches, soziales, friedliches
und stabiles Europa wird die Kraft haben, die Krisen um
uns herum und die Krisen in Europa nachhaltig zu lösen.
Dazu sollten wir unseren Beitrag auch im Haushalt leis-
ten.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. Der Schachtelsatz hielt
sich aber in Grenzen.
Nächster Redner ist Philipp Mißfelder für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Herr Leutert, zu Ihren Einschätzungen zur Europa-politik und zu den Aktivitäten des Auswärtigen Amtsmöchte ich nur so viel sagen: Die Bundesregierung be-müht sich, beispielsweise den Europäischen Auswärti-gen Dienst weiter zu stärken und damit der europäischenAußenpolitik ein Gesicht zu geben. Die Bundesregie-rung und der Deutsche Bundestag beteiligen sich aktivan den Bemühungen, die gemeinsame Wirtschafts- undWährungsunion weiter aufrechtzuerhalten.Ich glaube, die Euro-Krise bzw. die Verschuldungs-krise in Europa hat gezeigt, dass gerade die Bundesrepu-blik Deutschland zu Europa steht und mit großen Beträ-gen dafür einsteht. Gradmesser der Europapolitik istnicht, wie viele Broschüren zur Europapolitik mandruckt, sondern ob man bereit ist, in allen Feldern derPolitik Vergemeinschaftungen voranzutreiben, und obman bereit ist, demokratische Kontrolle zu gewähren,was wir im Deutschen Bundestag tun. Ich glaube, dieZahl, die Sie genannt haben, stimmt nicht ganz.Als die Amerikaner ihre Idee, den Fokus ihrer Außen-politik vornehmlich auf Asien zu richten, präsentiert ha-ben, haben sie sich wahrscheinlich nicht träumen lassen,dass dieses Vorhaben – Pivot to Asia – so schnell und sorasant gestoppt würde. Der Arabische Frühling ist nurein Grund, warum man mit dieser geplanten Neupro-grammierung der amerikanischen Außenpolitik stran-dete. Auch wir haben, als wir unsere Schwerpunktset-zung vornahmen, sicherlich mit vielen Krisen auf derWelt gerechnet, aber vor zwölf Monaten hätte kaum je-mand prognostiziert, dass wir uns heute so intensiv mitder Ukraine beschäftigen müssen. Vor sechs Monatenhätte kaum jemand prognostiziert, dass wir bezüglichdes Irak heute nicht über die Förderung staatlicher Struk-turen reden, sondern über die Gefahr der Errichtung ei-nes Gottesstaates diskutieren müssen.Das sind die Fragen, mit denen sich Außenpolitik be-schäftigen muss. Deshalb gilt jetzt, da wir den Etat desAuswärtigen Amts beraten, der Dank den vielen Mitar-beiterinnen und Mitarbeitern, die ihren Dienst im Aus-wärtigen Amt und im Diplomatischen Korps leisten unddie daran beteiligt sind, dass wir als FriedensmachtDeutschland Schwerpunkte setzen. Ich danke allen, diefür unser Land ihren Dienst tun, und insbesondere ihrenFamilien, die häufig über Jahre Entbehrungen hinneh-men, um die Tätigkeit ihres Ehe- bzw. Lebenspartners zuunterstützen. Deshalb gilt mein ganz herzlicher Dank alldenjenigen, die ihren Dienst für Deutschland an dieserStelle tun.
Die Expertise, die wir hier im Haus haben, die Parla-mentarier sammeln, die aber auch die uns nahe stehen-den Stiftungen und die all diejenigen sammeln, die in derAußenpolitik Deutschlands aktiv sind, reicht bei weitemnicht aus, um Ereignisse zu prognostizieren. Die wech-selhaften Ereignisse im Rahmen des Arabischen Früh-lings sind nur ein Beispiel dafür. Deshalb finde ich esrichtig – der Kollege Karl hat es angesprochen –, dasswir in diesem Bereich weiterhin einen Schwerpunkt,auch einen finanziellen Schwerpunkt setzen, um auf Er-eignisse reagieren zu können. Dabei ist zu berücksichti-gen, dass die Situation in den einzelnen Ländern sehr un-terschiedlich ist.Deutschland stand der Intervention in Libyen sehr re-serviert gegenüber. Sicherlich wäre es besser gewesen,wenn man einen Plan für die Zeit nach Gaddafi gehabthätte. Gleiches gilt natürlich für die Intervention im Irak.Deshalb ist es besonders wichtig, jetzt nicht so zu tun,
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Philipp Mißfelder
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als hätte das alles nicht stattgefunden. Vielmehr müssenwir die Länder, die sich im Transformationsprozess be-finden oder in denen der Transformationsprozess voll-kommen ins Stocken geraten ist, weiterhin besondersunterstützen. Ich finde, die politischen Stiftungen, dieaus meiner Sicht eine hervorragende Expertise gesam-melt haben und sehr gute Arbeit leisten, werden zuRecht besonders unterstützt.Was die wechselhaften Ereignisse in der arabischenWelt angeht, möchte ich nur darauf verweisen, dass inder vergangenen Woche der tunesische Premierministerhier war. Trotz aller Schwierigkeiten, die in Ägyptenvorhanden sind, und trotz aller Herausforderungen, diewir in Libyen sehen, sollte nicht vergessen werden, dassTunesien gerade einen sehr großen Fortschritt macht.Das sollten wir an dieser Stelle erwähnen. Wir solltenauch dort genau hinschauen, wo es gut läuft. Das willunsere Fraktion auch tun.
Was den Irak angeht, möchte ich an das anknüpfen,was gerade gesagt worden ist. Ich begrüße es ausdrück-lich, dass unser Außenminister, der im Moment wichtigeTelefonate führt, mit den Kurden gesprochen hat. Dieschlechte Nachricht, die heute aus Bagdad kam, möchteich sehr stark kritisieren. Maliki weigert sich, eine Ein-heitsregierung zu bilden. Ich halte es für einen sehr gro-ßen Fehler, die Sunniten systematisch von der Machtfernzuhalten und die Kurden systematisch an den Randzu drängen. Ich glaube, das wird nicht zur Stabilisierungdes Landes beitragen, ganz im Gegenteil.
Zur Genese dieses Konfliktes muss aktuell gesagtwerden: Wir sollten uns vielleicht um die Länder, in de-nen wir nicht besonders stark diplomatisch und auchnicht durch Militär vertreten sind, intensiver kümmern.Das gilt insbesondere für den Irak. Unsere Fraktionkümmert sich, was die humanitäre Hilfe angeht, um dieBinnenflüchtlinge. Es gibt also nicht nur das Engage-ment von Volker Kauder, der sich vor allem für dieChristen in aller Welt einsetzt. Innerhalb des Irak gibt es2,5 Millionen Binnenflüchtlinge. Es gibt sowohl aus Sy-rien als auch aus dem Süden des Irak einen Riesenan-drang auf Kurdistan. Das zeigt doch, dass dieses Landeventuell vor einer weitaus größeren humanitären Kata-strophe steht, als uns die momentanen Kämpfe um ei-nige Ölhochburgen erahnen lassen.Wenn heute überlegt wird, was wir konkret tun kön-nen und wo Deutschland mehr Verantwortung zeigenkann, kann man nicht von einer Militarisierung der Au-ßenpolitik sprechen, sondern ich glaube, dass wir denhumanitären Beitrag ganz klar in den Mittelpunkt unse-rer Außenpolitik stellen. Das tun wir auch mit diesemBundeshaushalt und mit dem, was wir im Etat von HerrnMüller – und zwar jedes Jahr – mobilisieren.
Was die Situation in Kurdistan und im Irak insgesamtangeht, ist es, glaube ich, schon vonnöten, dass sichDeutschland stärker einbringt. Das gilt auch gerade füreines der wichtigsten außenpolitischen Ziele, das wirverfolgen, nämlich für das Existenzrecht des jüdischenStaates Israel aktiv einzutreten.Gerade das, was sich im Unruheherd Mittlerer Ostentut, zeigt uns doch eigentlich, dass von einer Verschie-bung des Schwerpunktes unserer Außenpolitik nachAsien überhaupt keine Rede sein kann. Ganz im Gegen-teil: Wir werden in Zukunft wahrscheinlich genauso vielAufmerksamkeit wie in der Vergangenheit – wenn nichtsogar mehr – in die Regionen Nordafrika und MittlererOsten investieren müssen. Das wird viele Ressourcenbinden, die uns eventuell an anderer Stelle fehlen wer-den.In den letzten Wochen ist häufig gesagt worden, dasssich die europäische Außenpolitik immer nur um einengroßen Konflikt kümmern kann. Das bereitet mir natür-lich große Sorgen. Ich frage mich: Was sind unsere Ka-pazitäten? Wie können wir sie am effizientesten einset-zen? Ich glaube, dass in dieser Hinsicht der Haushaltgelungen ist.Herr Minister, auch die unter Ihrem Vorgänger GuidoWesterwelle angestoßenen Organisationsreformen habendas Auswärtige Amt fit gemacht, auf diese Herausforde-rungen reagieren zu können. Wir als Parlament wollendas Auswärtige Amt dabei unterstützen.Ich komme zum letzten Punkt. Das kleine Zaunkönig-tum der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist ge-rade schon angesprochen worden. Auch ich freue michdarüber, dass es gelungen ist, etwas mehr Geld zu mobi-lisieren. Es wäre schön, wenn wir es bis zum Herbstschaffen würden, noch deutlich mehr Geld dafür auszu-geben.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Philipp Mißfelder. – Nächster Redner
der Debatte ist Manuel Sarrazin für das Bündnis 90/Die
Grünen.
Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bun-desminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichglaube, dass die Einschätzung, dass sich die Ukraine ineiner entscheidenden Phase befindet, sehr richtig ist. Ichbin sehr froh darüber, dass Herr Steinmeier diesen Ein-druck schon sehr früh zum Ausdruck gebracht hat unddass offenkundig das notwendige Bewusstsein für dieSituation vorhanden ist.Ich glaube, wir müssen uns vor dem Hintergrund derhoffnungerweckenden Nachrichten vor Augen halten,dass die Androhung von Sanktionen, intelligent vorge-tragen, auf die Dauer doch eine gewisse Wirkung hat.Diesen Moment müssen wir jetzt in zweierlei Hinsichtnutzen. Herr Poroschenko muss auf dem Weg, den er
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Manuel Sarrazin
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bisher gegangen ist, gestärkt werden. Da schließe ichmich an das an, was Sie gesagt haben. Außerdem müs-sen wir, so gut es geht, mit der Androhung von Sanktio-nen den Kreml drängen, die Lage, was die Schließungder Grenze angeht, auch von der russischen Seite aus zustabilisieren.Die Kapazität der Europäischen Union, für Stabilitätin ihrer Nachbarschaft zu sorgen, wird entscheidend da-für sein, wie Europa in 5, 10 oder 15 Jahren aufgestelltsein wird. Ich glaube, früher oder später wird der Zeit-punkt kommen, an dem man in der Europäischen Unioneinen mutigeren Ansatz braucht und auch über Beitritteaus diesem Teil der Nachbarschaft reden muss; dennsonst wird man diese Stabilität nicht erreichen.Die neue Legislaturperiode des Europäischen Parla-ments und der Europäischen Kommission ist auch eineChance für einen Neustart in Europa. Viele sagen zuRecht: Im Rahmen der Krise sind Europa und der Eurozumindest nicht zerbrochen. Aber weil die Krise nichtüberwunden ist, brauchen wir einen Neustart. Ichglaube, wir müssen jetzt in der deutschen Europapolitikden Mut finden, aus diesem Neustart heraus Impulse fürEuropa zu geben.Die Bundesregierung hat in den letzten Wochen denFehler gemacht, in der Europapolitik eine Art Kick andRush aufzuführen. Wenn man das tut, dann scheidet man– das hat man ja gesehen – relativ schnell aus.
Kick and Rush ist, dass man den Ball blind nach vornepölt und dann David Cameron sagt, er solle hinterherren-nen in der Hoffnung, dass das schon klappen wird. Soähnlich hat es in dem Fall Frau Merkel – nicht HerrSteinmeier – gemacht. Sie hat in der Frage der Beset-zung der Position des Kommissionspräsidenten monate-lang Herrn Juncker schlechtgeredet, gegen ihn intrigiertund bei Herrn Cameron den Eindruck erweckt: Am Endeverhindern wir den Mann gemeinsam. – Jetzt zeigt sich,dass sich beide verspekuliert haben.
– Sie können doch nicht bestreiten, dass England blama-bel aus der Weltmeisterschaft ausgeschieden ist. Sie kön-nen mir auch nicht einreden, dass Frau Merkel nicht überMonate hinweg versucht hat, Herrn Juncker erst in ihrerParteifamilie zu schwächen und als Kandidaten zu ver-hindern, und dann aus dem Kanzleramt klare Signale ge-sendet hat, man würde den Mann nicht wählen.
Wenn man sich anschaut, welche Auswirkungen dieseSituation in England haben wird, wie Herr Farage unddie Rechtspopulisten jetzt mit Freudengeschrei auf dieseNachricht springen werden, wäre es klüger gewesen, ei-nen anderen Stil in der Europapolitik zu wählen. Manhätte den Engländern eine klare Ansage machen sollen,dass man an den Geist der Verträge glaubt, statt HerrnCameron in sein Verderben laufen zu lassen und amEnde so zu tun, als hätte man damit nichts zu tun gehabt.Herr Außenminister, Sie sind auch der Europaminis-ter. Wir Grüne werden Ihre Arbeit als Minister nicht nurdaran messen, wie Sie in internationalen Krisen handeln,sondern wir wollen auch, dass Sie einen Neustart in derEuropapolitik beginnen und mit Ihrem Amt mehr Im-pulse in der Europapolitik setzen, als es in der letztenLegislaturperiode der Fall war. Wir wollen, dass Sie dasKanzleramt in Fragen der Zukunft der EuropäischenUnion und der europäischen Demokratie sowie in Fra-gen von Wachstum, aber auch Erweiterung herausfor-dern.Wir möchten, dass Deutschland wieder zu einem Mo-tor der europäischen Politik wird, und zwar nicht in derSystematik, wie sie in den letzten Jahren vorgeherrschthat. Da hat man versucht, europäische Institutionen zuschwächen, gegen die gemeinsamen europäischen An-sätze zu arbeiten und mit der berühmten intergouverne-mentalen Unionsmethode Nebenschienen aufzubauen.Wir glauben, dass es Ihre Aufgabe ist, dort Paroli zu bie-ten. Wir als Opposition werden Sie immer unterstützen,wenn Sie an diesen Stellen so handeln, und wenn Sienicht genug liefern, werden wir Sie kritisieren und zumehr Anstrengungen anhalten.
Im großen Konflikt der kommenden Jahre wird es da-rum gehen, dass wir unterschiedliche Wertemodelle ha-ben; diese stehen auch gerade in einer Art kompetitivemWettbewerb. Wenn wir in unsere Nachbarschaft schauen,sehen wir, dass es um Demokratie gegenüber Autokratiegeht. Es geht um die Rechte eines jeden Individuums ge-genüber einer Rekreation von Volkskörpern, die angeb-lich mehr wert seien. Es geht auch um politischen Plura-lismus gegenüber einer eindeutigen ideologischenMeinung, der sich ganze Völker unterordnen sollen.Wir glauben, dass Europa nur dann Stärke und Attrak-tivität haben wird, wenn wir uns trauen, zu unserem Mo-dell zu stehen und mit Überzeugung dafür einzustehen.Wir brauchen eine klare Ansage, dass wir von Europaüberzeugt sind. Das gilt im Europäischen Rat, wenn esum Herrn Juncker und um die Agenda für die Kommis-sion geht. Das gilt gegenüber Herrn Putin und gegenüberder AfD.Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner in der De-
batte Nobert Spinrath für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Vor fünf Wochen ha-ben wir bei der Wahl zum Europäischen Parlament einedeutliche Zäsur erlebt. Der Anteil radikaler, europaskep-tischer oder populistischer Parteien beträgt rund 20 Pro-
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Norbert Spinrath
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zent, eine Entwicklung, die uns sicherlich nicht kaltlas-sen kann.Erstaunlich aber finde ich, wie schnell so mancher dasErgebnis für die eigenen Interessen interpretierte. ImVereinigten Königreich wurde Premier Camerons Parteiabgestraft. Dennoch glaubt er, daraus für sich ein Man-dat zur Fundamentalopposition in Brüssel ableiten zukönnen. Auch wenn es so scheint, als bediene er damitseine nationale Wählergalerie: Seine Politik der Kon-frontation und der Verunglimpfung gegenüber der Ge-meinschaft wird scheitern, weil sie einen künstlichenGegensatz zwischen einem „Wir“ und einem „Die da“schafft.Ich sage: Wirtschaftlichen und politischen Erfolgwerden alle Mitgliedstaaten wie auch das Vereinigte Kö-nigreich nur gemeinsam für sich, aber auch für Europaerzielen können. Wir brauchen nicht weniger Europa,und wir brauchen keine Reduzierung auf einen reinenBinnenmarkt, sondern wir brauchen ein anderes, ein bes-seres Europa, ja, auch ein soziales Europa. Ich bin ganzsicher, dass Frank-Walter Steinmeier, der ja nicht nurAußen-, sondern auch Europaminister ist, gemeinsammit Staatsminister Michael Roth dafür sorgt, dass wir indiesem Sinne in Europa vorankommen.Im Europawahlergebnis spiegelt sich eine tiefe Verun-sicherung der Menschen wider. Gründe sind die Finanz-marktkrise, die Globalisierung, die Zuwanderung, bewaff-nete Konflikte um Europa herum und die zunehmendeKonkurrenz aus Asien. Die Märkte werden als Bedro-hung wahrgenommen. Wirklich etwas zu verlieren aberhaben die Menschen in den Krisenländern. Dadurch ent-steht Angst. Der Sieg von SYRIZA in Griechenland zumBeispiel ist Ausdruck dieser Angst. Die Krise hat dortoftmals Lebensentwürfe, Hoffnungen und Perspektivenzerstört. Dies allein der Troika, der EU und auchDeutschland anzulasten, ist menschlich nachvollziehbar.Es geht aber an den Ursachen vorbei. Diese sind vorJahrzehnten im eigenen Land entstanden.Wir müssen feststellen: Diese Angst beschränkt sichnicht nur auf die derzeitigen Krisenländer, sondern siehat auch den Kern Europas, den Kern der EU erreicht.Das Abschneiden des – ich nenne es einmal so – Fami-lienunternehmens Front National in Frankreich ist Aus-druck einer auch dort tief sitzenden Verunsicherung.Seit Jahren versuchen wir, den Menschen nahezubrin-gen, die Europäische Union als ihr Europa zu begreifen.Dies wird zunehmend schwieriger, wenn sich dieselbenMenschen verunsichert fühlen, wenn sie Ängste entwi-ckeln. Gerade der Stabilitäts- und Wachstumspakt solltedazu dienen, für eine stabile Finanzpolitik der Mitglied-staaten zu sorgen und dadurch auch die Voraussetzungenfür Wachstum und folglich für die Schaffung von Ar-beitsplätzen zu schaffen. Deshalb denke ich, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, dass es möglich bleiben muss,Spielräume zu nutzen. Das bedingt natürlich, dass sichdie betroffenen Staaten dazu verpflichten, nachhaltigeReformanstrengungen in einem überschaubaren Zeit-raum durchzuführen.Wir Deutsche wissen doch, wovon wir reden. Vorzehn Jahren gaben uns unsere EU-Partner den Spiel-raum, eigene Versäumnisse der Vergangenheit durch mu-tige Reformen zu beseitigen. Zugegeben: Das war da-mals nicht immer ganz konfliktfrei. Dass Deutschlandvergleichsweise unbeschadet durch die Krisen gekom-men ist und die wirtschaftliche Entwicklung insgesamtpositiv blieb, beruht auf diesen Reformen. Das deutscheBeispiel ist deshalb das beste Argument für eine klugeAnwendung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.
Was uns Deutschen damals recht war, das müssen wirheute auch anderen zubilligen. Denn wo öffentliche In-vestitionen unterbleiben, wo private Investoren wegender Schwäche der Wirtschaft ausfallen, da braucht es eu-ropäischer Hilfe, um Wachstum zu generieren. Der Sta-bilitätspakt ist eben auch ein Wachstumspakt; man kanndas nicht oft genug sagen, und man muss den Versuch,ihn auf die erste Vokabel zu reduzieren, zurückweisen.Austerität allein – so hat es gestern mein Kollege LotharBinding an diesem Pult erklärt – kann kein nachhaltigesKonzept für Europa sein. Wir Sozialdemokraten verfol-gen deshalb keine andere Strategie. Aber wir wollen dieMöglichkeiten, die der Stabilitäts- und Wachstumspakthergibt, konsequent nutzen. Das Handeln muss dann inden Mitgliedstaaten erfolgen.Ein besseres Europa lässt die Menschen in sozialerSicherheit leben und sichert den gesellschaftlichen Frie-den. Nur dort, wo sozialer Frieden herrscht, kann auchwirtschaftlicher Wohlstand wachsen. Gerade junge Men-schen brauchen eine Perspektive. Es muss möglich sein,zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit Kredite auf-zunehmen, auch für Krisenländer, die sich in der Haus-haltskonsolidierung befinden.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit!
Ich denke an die Zeit, und ich komme zum Schluss;
vielen Dank, Frau Präsidentin.
Ich glaube, wenn die Menschen so weit verunsichert
werden, dass sie sich vielleicht sogar dauerhaft von die-
sem Friedens- und Stabilitätsprojekt Europa abwenden,
dann werden wir möglicherweise einen hohen Preis da-
für zahlen, einen zu hohen Preis, nämlich den Fortbe-
stand der Europäischen Union.
Kommen Sie bitte zum Ende Ihrer Rede!
Ein letzter Satz: Die größte Bedrohung für den sozia-len Frieden innerhalb Europas ist die Perspektivlosigkeitjunger Menschen; denn wer selbst keine Perspektivenhat, wird schwerlich für zukünftige Generationen Per-spektiven und dauerhaften Frieden schaffen können.Vielen Dank.
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3824 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
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Es tut mir leid, wenn ich Sie in dieser spannenden De-
batte auf Ihre Redezeit hinweisen muss.
Aber wir haben heute schon so lange debattiert, dass ich
alle Kolleginnen und Kollegen bitte, sich möglichst an
die Redezeit zu halten.
Nächste Rednerin: Erika Steinbach für die CDU/
CSU.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Lieber Kollege Spinrath, man muss Fehler, die manvor zehn Jahren gemacht hat, nicht wiederholen.
Außerdem enthält unser Koalitionsvertrag eine eindeu-tige Aussage zu der Thematik; so weit dazu.
Die außenpolitischen Herausforderungen, die wir zubewältigen haben, haben sich nach dem Ende des KaltenKrieges signifikant verändert. Die Hoffnungen, die vieledaran knüpften, eine Welt in Frieden zu haben, dieseHoffnungen haben sich leider nicht erfüllt, nicht einmalinnerhalb Europas, wie uns gerade das russische Verhal-ten gegenüber der Ukraine deutlich zeigt. So ist die in-ternationale Staatengemeinschaft noch immer auf derSuche nach Mechanismen, mit denen sich die heutigen,oft sehr unübersichtlichen und komplexen Konflikte undihre Folgen bewältigen lassen.Deutschland stellt sich dieser Aufgabe mit einer Au-ßenpolitik, die sowohl die deutschen Interessen als auchunsere Werte berücksichtigt. Wir machen eine wertgelei-tete Außenpolitik. Mit dem Eintreten für Demokratieund mit dem Eintreten für Menschenrechte hat sich un-ser Land in der Völkergemeinschaft über die Jahre einhohes Ansehen erworben und ist auch zu einem gefrag-ten Partner geworden.Die zahlreichen Brennpunkte weltweit, etwa der Bür-gerkrieg in Syrien, die jüngste Eskalation im Irak oderdie Krisenregionen Afrikas, aber auch die bedrängteUkraine, das alles hält uns zunehmend in Atem. Massen-hafte Menschenrechtsverletzungen und immer neue hu-manitäre Katastrophen stellen uns auch vor immer grö-ßere Herausforderungen. Leider ist ein Ende überhauptnicht abzusehen.Prioritäten zu setzen, ist in Anbetracht der Vielzahlder Konflikte, deren Zahl sich ja gemehrt hat, nichtleicht; letztlich müssen wir sie alle als Herausforderungim Blickfeld behalten und gemeinsam mit unserenPartnern auf der Ebene der Vereinten Nationen, der Eu-ropäischen Union, auf staatlicher Ebene und – unver-zichtbar – natürlich auch mit den Nichtregierungsorgani-sationen an Lösungen arbeiten.Systematische Verstöße gegen Menschenrechte ver-letzen nicht nur die Würde der jeweiligen Opfer, sie kön-nen auch den Frieden und die internationale Sicherheit ineiner ganzen Region bedrohen. Wir bekommen das tag-täglich vor Augen geführt. Das hat Auswirkungen bishierher nach Deutschland. Da mache sich niemand etwasvor: Der Konflikt in Syrien führt uns das in drastischerWeise nun schon seit über zwei Jahren vor Augen.Dieser Bürgerkrieg hat bislang über 160 000 Tote ge-fordert. Rund 1 Million Menschen wurden verletzt. Fast3 Millionen Syrer sind auf der Flucht innerhalb des eige-nen Landes und in die umliegenden Staaten hinein, undsie suchen Zuflucht auch in Europa. Die Aufnahmekapa-zität der Nachbarländer, insbesondere des Libanon, istbereits dramatisch überschritten. Da ist kaum noch Platz.Der Bürgerkrieg in Syrien hat die schwerste humani-täre Katastrophe seit Jahrzehnten verursacht. Deutsch-land hat den Schwerpunkt seiner humanitären Hilfe aufdie syrischen Flüchtlinge vor Ort gelegt. So haben wirseit 2012 rund 520 Millionen Euro bereitgestellt, um dieNot der Menschen vor Ort zu lindern. Mit der zuneh-menden Dauer des Konfliktes hat Deutschland darüberhinaus natürlich auch syrische Flüchtlinge hier im Landeaufgenommen – deutlich mehr als alle anderen EU-Staa-ten. Trotzdem ist das nur ein Tropfen auf den heißenStein.Syrien ist aber nur einer der Brandherde weltweit, dereine ganze Region destabilisieren kann und zu destabili-sieren droht. Wir müssen uns vor Augen führen: Welt-weit sind mehr als 40 Millionen Menschen auf derFlucht. Dieses Elend lässt sich nicht hier bei uns inDeutschland durch die Aufnahme von Flüchtlingen be-heben. Selbst wenn wir es wollten: Es wäre nicht mög-lich.Es lässt sich auch nicht in Europa beheben. Ich sagees jetzt einmal ganz provokant: Das satte und bequemeEuropa wird früher oder später überrollt werden und ausden Fugen geraten, wenn wir nicht gemeinsam versu-chen, die Brandherde zu löschen – möglichst mit allenMöglichkeiten durch Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort
und – das füge ich auch hinzu – als Ultima Ratio auchmit dem Einsatz von Sicherheitskräften, um Leben zuretten.Das trifft in weiten Teilen unserer Bevölkerung nichtauf große Zustimmung. Ich höre das, und Sie hören daswahrscheinlich auch: Was geht uns das eigentlich an?Was haben wir da verloren? Dem müssen wir wirklichmit Engagement entgegenhalten: Wenn wir unserenWohlstand, unsere Demokratie und unsere Werte bewah-ren wollen, dann führt kein Weg daran vorbei, den Mil-lionen Flüchtlingen vor Ort mit allen Möglichkeiten, dieuns geboten sind, zur Seite zu stehen. Ich bin der festenÜberzeugung: Wenn Deutschland, wenn Europa, wenndie demokratischen Staaten dieser Welt nicht gemeinsamalles tun, um dieses massenhafte Elend vor Ort einzu-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3825
Erika Steinbach
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dämmen und zu lindern, dann werden wir früher oderspäter bei uns im Lande selbst die Folgen zu spüren be-kommen.Es wird keine einzige Mauer geben – und sei sie nochso hoch –, die imstande wäre, verzweifelte Bürgerkriegs-und Armutsflüchtlinge abzuhalten. Es wird auch keinMeer geben – und sei es noch so breit –, das hinderndwirken könnte. Die pure Not wird Menschen hierhertrei-ben, wenn wir nicht alles tun, um vor Ort Linderung zuverschaffen.Es ist gut, dass sich die Bundesregierung in ihrer Au-ßenpolitik von dieser Erkenntnis leiten lässt. Jeder dritteEuro des Haushaltes des Auswärtigen Amtes wird ausgutem Grund für Frieden und für Stabilität in Krisenregi-onen ausgegeben. Das ist gut und richtig.Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Steinbach. – Nächster
Redner in der Debatte ist Michael Stübgen für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchteversuchen, in wenigen Sätzen die Ergebnisse der Euro-pawahl – sie ist inzwischen schon ein paar Wochen her –etwas genauer zu analysieren.Vor der Europawahl ist viel diskutiert worden, vieleBedenken sind geäußert worden; denn diese Europawahlstand unter einem besonders schwierigen Vorzeichen.Wir befinden uns nach wie vor – hoffentlich – am Endeder sogenannten Euro-Finanzierungskrise. In der Euro-päischen Union gibt es eine ganze Reihe sogenannterEuro-Krisenländer. Obwohl wir die Stabilität des Euronach außen hervorragend sichern konnten, ist es eindeu-tig, dass gerade in den Euro-Krisenländern die fiskali-schen, sozialpolitischen und arbeitsmarktpolitischen ne-gativen Folgen noch längst nicht überwunden sind.Wenn Menschen Zukunftsangst haben, die Arbeitslo-sigkeit enorm hoch ist, die Jugendarbeitslosigkeit auf-grund fehlender Ausbildungsmöglichkeiten für jungeMenschen grassiert und alte Menschen Angst um ihreRenten haben, dann passiert es oft, dass diese Menscheneher rechten und linken Populisten folgen, die scheinbareinfache Antworten haben und natürlich mit dem Fingerauf andere zeigen, die an allem angeblich Schuld seinsollen.Deshalb haben viele, auch ich, vor dieser EuropawahlBedenken gehabt. Das Ergebnis dieser Europawahl isteindeutig: Vier Fünftel der in ganz Europa gewähltenAbgeordneten gehören Parteien und Gruppierungen an,die sich eindeutig für Europa einsetzen. Diese Abgeord-neten gehören ganz unterschiedlichen politischen Fami-lien an und haben ganz unterschiedliche politische Über-zeugungen, aber sie sind für Europa. Wenn eine Wahl ineiner solchen Krise so ausgeht, zeigt das für mich ganzdeutlich: Das ist ein Stabilitätsbeweis für die Europäi-sche Union. Die Menschen in Europa wollen Europa.Das ist ein gutes Ergebnis dieser Europawahl.
Ich möchte noch kurz auf die Wahlergebnisse in zweiMitgliedsländern eingehen, die mich doch etwas über-rascht haben, weil sie eben nicht typisch waren. Daserste Land ist Großbritannien; es ist schon einige Malegenannt worden. In Großbritannien hat die Partei UKIP– sie nennt sich UK Independence Party – immerhin27 Prozent der Stimmen bekommen. Sie verfolgt als ein-ziges Ziel – das ist der einzige politische Inhalt –, im Eu-ropaparlament dafür zu sorgen, dass Großbritannienmöglichst schnell aus der Europäischen Union austritt.Worin liegen die Ursachen dafür, dass es in Großbri-tannien dazu kommen konnte? Meine Überzeugung ist:Neben der historisch bedingten Tatsache, dass die Insel-lage und ein erhöhtes Selbstbewusstsein – Stichwort:ehemaliges Empire etc. – dazu geführt haben, dass Groß-britannien mental eher unabhängiger agiert als zentraleu-ropäische Länder, liegt ein wesentlicher Grund darin,dass alle politischen Führungen der letzten 20 Jahre, obDavid Cameron oder vor ihm Gordon Brown, ob TonyBlair, John Major oder Maggie Thatcher – ihr Verhaltenin Fontainebleau ist dafür geradezu beispielhaft –, wäh-rend ihrer Regierungszeit immer meinten, dem Volk inerster Linie mit europakritischen Tönen kommen und sa-gen zu müssen, was in Europa alles nicht funktioniert.Ich meine nicht, dass wir über das, was in Europanicht funktioniert, nicht diskutieren sollten; das tun wirin diesem Haus sehr oft. Aber wenn man nicht voran-stellt, wie wichtig und gut Europa ist, dann braucht mansich nicht zu wundern, dass die Menschen dann einerPartei folgen, die sagt: Dann machen wir diesem euro-päischen Elend ein Ende.
Großbritannien braucht politische Führung für Eu-ropa. Das ist entscheidend. Es reicht nicht, ein Referen-dum darüber zu machen, ob man in Europa bleiben willoder nicht. Vielmehr muss sich die politische Klasse zuEuropa bekennen. Ich hoffe, dass das noch geschehenwird. Das, was David Cameron jetzt im Zusammenhangmit der Nominierung des Kommissionspräsidentenmacht, ist das Gegenteil von politischer Führung.Ich will noch kurz auf das Wahlergebnis in Frankreicheingehen. In Frankreich hat eine dezidiert rechtsradikaleund antieuropäische Partei, der Front National, 25 Pro-zent der Stimmen bekommen. Die regierenden Sozialis-ten sind weit abgeschlagen dahinter gelandet. Aber auchdie konservative Partei konnte nicht von der Schwächeder Regierungspartei profitieren.Worin liegen hierfür die Ursachen? In Frankreichfanden 2012 Präsidentschaftswahlen statt. Die Franzo-sen – das ist eindeutig – wollten Sarkozy nicht mehr ha-
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3826 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014
Michael Stübgen
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ben. Der Präsidentschaftskandidat Hollande hat in sei-nem Wahlkampf – daran können sich die meistensicherlich erinnern – den Fehler gemacht, den Menschendas Blaue vom Himmel zu versprechen: früheres Ren-teneintrittsalter – auf der Höhe der Euro-Krise wohlge-merkt –, höhere Renten, höhere Löhne und höheres Ar-beitslosengeld. Er wurde gewählt, mit einemfulminanten Ergebnis.Mittlerweile haben die Franzosen in den vergangenenzwei Jahren allerdings gemerkt, dass es in Frankreichnicht nur nicht besser, sondern kontinuierlich schlechterwird. Neben der Tatsache, dass es jedem Politiker geradeim Wahlkampf eine Lehre sein sollte, nicht so zu agierenund nichts zu versprechen, was man nicht mit hoherWahrscheinlichkeit umsetzen kann, entwickelt sich diesalles auch zu einem gefährlichen europäischen Problem.Frankreich ist das letzte Euro-Land, das faktisch nochnicht mit Fiskal-, Arbeitsmarkt- und Sozialreformen an-gefangen hat. Deshalb wächst seit vier Jahren in Frank-reich die Arbeitslosigkeit kontinuierlich, ohne auch nurein einziges Mal rückläufig zu sein. Sie wächst Jahr umJahr, Monat um Monat. Das Haushaltsdefizit vergrößertsich. Frankreich ist im Defizitverfahren und wird es we-der in diesem noch im nächsten Jahr schaffen, sein Defi-zit abzubauen.Es wird nicht ausreichen, darüber zu reden, ob wirden Fiskalvertrag ändern bzw. aufweichen können undob es möglich ist, dass ein Land mehr Zeit braucht. Na-türlich können wir das. Das beinhalten schon die beste-henden Regeln. Entscheidend ist, dass Frankreich jetztmit Reformen beginnt.Es ist nicht nur eine französische Krise. Wir alle wis-sen spätestens seit der Euro-Finanzierungskrise, dass dieFinanzmärkte, was die Risikobewertung von Euro-Staatsanleihen angeht, manchmal jahrelang vor sich hin-schlummern, ohne etwas zu merken und zu ändern.Wir wissen aber auch und haben es alle bei Staatsan-leihen erlebt, dass die Kapitalmärkte dann ganz plötzlichrabiat, ohne jede Vorwarnung und nicht angemessen,sondern absolut hysterisch reagieren. Das ist eine Gefahrfür ganz Europa. Deswegen halte ich es für notwendig,dass wir einerseits die Flexibilität des Fiskalvertrags unddes Stabilitäts- und Wachstumspaktes auch für Frank-reich nutzen. Andererseits müssen aber auch die neueKommission bzw. der Europäische Rat dafür sorgen,dass die Reformpolitik in Frankreich beginnt. Sonst wer-den die nächsten Jahre für uns und auch für die Europäi-sche Union sehr schwierig sein.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Stübgen. – Letzter Redner
in der Debatte: Dr. Christoph Bergner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Als letzter Redner dieser Debatte möchte ich mit weni-gen Bemerkungen noch einmal die Aufmerksamkeit aufden Einzelplan 05 und die Schlussfolgerungen lenken,die wir für diese Beratungen ziehen sollten. Die Debatteund in besonderer Weise die Rede unseres Bundesaußen-ministers haben uns verdeutlicht, dass die deutsche Au-ßenpolitik gegenwärtig in einer besonderen Verantwor-tung steht, die nicht oder nur schwer mit denHerausforderungen vergleichbar ist, vor denen die deut-sche Außenpolitik in den letzten Jahren gestanden hat.Ich möchte ausdrücklich die Leistungen der Bundes-regierung bei der Krisenbewältigung, Friedenssicherungund Festigung des europäischen Zusammenhaltes würdi-gen und unserem Bundesaußenminister besonders fürseinen Einsatz zur Verständigung in unterschiedlichstenKrisenherden, bei dem er sich wahrlich nicht schont, einausdrückliches Wort des Dankes sagen.
Meine Damen und Herren, eine solche Politik ver-dient Unterstützung, und sie verdient auch ausdrücklichdie Unterstützung durch unsere Haushaltsentscheidun-gen. Dazu möchte ich auf drei Aspekte hinweisen.Der erste Aspekt betrifft den Haushalt in seinem Ge-samtvolumen. Kollege Karl und Frau Barnett haben alsHaushaltsberichterstatter zu Recht darauf hingewiesen:Wir befinden uns in der Phase der Konsolidierung.Trotzdem ist es wichtig, richtig und notwendig, dass dasGesamtvolumen des Haushaltes jetzt ein höheres Niveauhat als der Vorwahlentwurf. Ich denke, das wird den ge-genwärtigen Erfordernissen in besonderer Weise ge-recht.Zweiter Punkt. Wir haben in dieser Wahlperiode Aus-gabenschwerpunkte außerhalb der Außenpolitik: Bil-dung, Forschung, Kommunalfinanzen und Kinderbetreu-ung. Das alles ist in Ordnung. Aber wir sollten geradevor dem Hintergrund der gegenwärtigen Herausforde-rungen darauf achten, dass diese Ausgabenbereiche, diesehr stark mit der Verantwortung der Länder korrespon-dieren, nicht zu Erwartungshaltungen in den Ländernführen, die dann bundeseigene Aufgaben wie die Außen-,Verteidigungs- und Entwicklungspolitik auf andereWeise beschneiden. Da sollten wir als Außenpolitikereine besondere Wachsamkeit entwickeln.
Dritter Punkt. Rasante Entwicklungen im außenpoliti-schen Umfeld stellen uns immer vor die Frage, ob wir la-gebedingte Änderungen am Haushalt vornehmen kön-nen. Die Haushälter haben sich dazu Gedanken gemachtund Entscheidungen getroffen. Ad-hoc-Entscheidungensind immer schwierig; denn es geht zuerst um Ausga-beermächtigungen. Die Umsetzungsvoraussetzungenspielen dann oft nur eine untergeordnete Rolle. Wir ha-ben eine Reduzierung bei den Verpflichtungsermächti-gungen im Bereich der Transformationspartnerschaftenvorgenommen. Ich gebe Kollege Mißfelder recht, dasses nicht möglich ist, das auf null herunterzufahren.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 42. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2014 3827
Dr. Christoph Bergner
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Vor dem Hintergrund der gegenwärtig schwierigenSituation der östlichen Nachbarschaftspolitik der EUund der Ukraine-Krise will ich auf die Bedeutung derAuswärtigen Kultur- und Bildungspolitik gerade für dieöstlichen Nachbarstaaten und die Staaten des östlichenEuropas hinweisen.
Ich habe in einem Positionspapier des AuswärtigenAmts aus dem Jahr 2011 nachgelesen. Damals wurdefestgestellt – ich darf zitieren –:Mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Eisernen Vor-hangs sind die Ressourcen und Präsenzen der Aus-wärtigen Kultur- und Bildungspolitik noch sehr un-gleich zwischen West- und Osteuropa verteilt. Hierbesteht Nachholbedarf.Das wird unter anderem anhand der Goethe-Institute undder Zahl der Auslandsschullehrer belegt.Ich unterstelle, dass seit 2011 eine ganze Menge imSinne des Ausgleichs geschehen ist. Ich finde es trotz-dem richtig, dass die Haushälter unter dem Eindruck deraktuellen Entwicklung zumindest den Versuch unter-nommen haben, mit dem Haushaltstitel „Ausbau der Zu-sammenarbeit mit der Zivilgesellschaft Ukraine, Molda-wien, Georgien und Belarus“ – ich erlaube mir, zu sagen,dass vielleicht bei der nächsten Haushaltsänderung auchArmenien und Aserbaidschan aufgenommen werdensollten – im Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bil-dungspolitik ein Zeichen zu setzen, dass hier mehr getanwerden muss.Wir werden dieser Region in der Auswärtigen Kultur-und Bildungspolitik nicht allein dadurch gerecht, dasswir Erfahrungen und Strukturen des westlichen Europasauf das östliche Europa übertragen. Vielmehr haben wirspezifische Anknüpfungspunkte, derer wir uns bewusstwerden sollten. Ich verweise beispielhaft auf das deut-sche Schulwesen in Rumänien, das über Jahrhundertedie Vermittlung der deutschen Sprache in einer Effizienzbetrieben hat, die mit unseren Mittlern auf keine Weisezu leisten ist. Dabei kommt es mehr auf die Unterstüt-zung des Bestehenden als auf die Erweiterung andererInstitutionen an. Ich verweise auf die vielfältigen kultu-rellen Beziehungen, die wir mit Mittelosteuropa undOsteuropa haben und die ihren Ausdruck noch immer inder Existenz deutscher Minderheiten finden. Das ist einAnknüpfungspunkt für die Auswärtige Kultur- und Bil-dungspolitik, der aus meiner Sicht intensiver genutztwerden sollte.Mit Blick auf die begrenzte Redezeit habe ich nocheinen einzigen Hinweis zu geben. Es hat einmal eineDiskussion darüber gegeben, wie die Auswärtige Kultur-politik konzipiert sein soll: im Sinne einer Interessenver-tretung Deutschlands oder im Sinne eines ergebnisoffe-nen Austauschprozesses. Ich will diese Diskussion hiernicht führen. Aber ich will darauf hinweisen, dass wirgut beraten sind, einen langen Atem zu haben, wenn esdarum geht, in Krisenzeiten Auswärtige Kultur- und Bil-dungspolitik zu betreiben.Konkret gesagt: Obwohl gegenwärtig unsere Bezie-hungen zu Russland erkennbaren Belastungen ausgesetztsind und wir uns bewusst an einem Sanktionsregime be-teiligt haben, sollte das Jahr der russischen Sprache undLiteratur in Deutschland und das Jahr der deutschenSprache und Literatur in Russland uneingeschränktdurchgeführt werden. Ich glaube, hier kann AuswärtigeKultur- und Bildungspolitik ein wichtiges Zeichen set-zen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Bergner. – Ich schließe
die Aussprache.
Ich danke Ihnen für eine sehr intensive Debatte zu ei-
nem sehr späten Zeitpunkt. Ich bin ziemlich sicher, dass
unsere Gäste im Hohen Haus gespürt haben, dass alle
Fraktionen und unser Außenminister in einer Welt, die
voller Konflikte ist und so viel entgrenzte Gewalt er-
fährt, um Antworten auf sehr schwierige Fragen ringen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 05 – Auswärtiges Amt – in der Ausschussfassung.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor, über den wir jetzt zuerst abstim-
men. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/1850? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Zustimmung gab es
vom Bündnis 90/Die Grünen, Ablehnung von der CDU/
CSU und der SPD, Enthaltung von der Linkspartei.
Abstimmung über den Einzelplan 05 – Auswärtiges
Amt – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzel-
plan 05 ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, abgelehnt haben Bündnis 90/Die Grünen und
die Linkspartei.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 26. Juni, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche den Haushältern und Haushälterinnen
noch einen guten Restappetit. Sie haben ihn wirklich
verdient. Ich lade alle Kolleginnen und Kollegen für
morgen Abend – hoffentlich bei schönem Wetter – zum
Sommerfest der Deutschen Parlamentarischen Gesell-
schaft ein. Ich verspreche Fußball inklusive. Einlass ist
circa 17.30 Uhr. Ich garantiere Ihnen, dass wir einen
schönen Abend zusammen verbringen werden.
Die Sitzung ist geschlossen. Einen guten Restabend.