Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie herzlich zur Fortsetzung unserer Haushalts-beratungen – Tagesordnungspunkt 1 –:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2012
– Drucksache 17/6600 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungFinanzplan des Bundes 2011 bis 2015– Drucksache 17/6601 –Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussFür die heutige Aussprache haben wir gestern insge-samt eine Redezeit von acht Stunden beschlossen.Ich hatte gestern bereits auf eine Änderung im Ablaufder Behandlung der Einzelpläne aufmerksam gemacht.AbamdwddFInn–pteddrafoudeRedetDie Fraktionen haben vereinbart, jetzt den Geschäftsbe-reich des Auswärtigen Amtes und anschließend den Ge-schäftsbereich des Bundeskanzleramtes zu beraten. –Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann kön-nen wir so verfahren.Ich rufe den Geschäftsbereich des AuswärtigenAmtes, Einzelplan 05, auf.Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen,Dr. Guido Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Herr Präsident! Meine sehr geehrten Dameren! Kolleginnen und Kollegen! Der heutignicht nur ein Tag, an dem wir uns hier in Ber
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Nachkriegsgeschichte. Dass Sie ihn im Jahre 2011 wie-derholen wollen, ist in Wahrheit unerträglich.
Sie haben mit dieser Haltung die Axt an die WurzelEuropas gelegt. Das wird mittlerweile sogar von denenals eine Fehlentscheidung zugegeben, die damals Ver-antwortung getragen haben. Meine Damen und Herren,dass Sie im Jahre 2004 geglaubt haben, das Schuldenma-chen müsse erleichtert werden, wenn man ein guterEuropäer sein will, ist das eine. Dass Sie uns aber genaudieses gescheiterte Rezept in diesem Jahr für die Zukunftwieder empfehlen, nämlich das Schuldenmachen zu er-leichtern, ist das andere. Diesen historischen Fehler zuwiederholen, das wäre unverzeihlich. Deswegen wirddie Bundesregierung diesen Weg nicht gehen. Wir wol-len keine Schuldenunion in Europa, wir wollen eine Sta-bilitätsunion in Europa. Das ist unser Kompass.
Ich erinnere mich noch sehr genau an die erste De-batte, die wir hier über das Thema Griechenland und dieNotwendigkeit der Hilfspakete geführt haben. Ich weißnoch, dass Sie sich damals hier hingestellt und gesagthaben: Ihr habt Griechenland nicht schnell genug gehol-fen; weil ihr zu lange und zu garstig die Hand auf eureKasse gehalten habt, ist Griechenland überhaupt erst indiese Schwierigkeiten gekommen. – Mittlerweile sehenSie, wie falsch Sie auch vor anderthalb Jahren gelegenhaben; denn inzwischen ist man in ganz Europa derÜberzeugung, dass man einer Schuldenkrise nicht mitneuen Schulden begegnen kann. Nur die deutsche Oppo-sition hat es nicht begriffen,
weil Sie nur eines können: Schulden machen. Das istIhre Antwort für Europa, und das ist ein Fehler.
Als wir vor etwas mehr als einem Jahr begonnen ha-ben, auch in anderen europäischen Hauptstädten daraufzu dringen, zu einer soliden Haushaltspolitik zurückzu-kehren,
die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und Budgets zukürzen, da war das aus Ihrer Sicht eine Politik, die dieKonjunktur gefährdet. Heute sieht man, was die Kon-junktur und die Wirtschaft wirklich gefährdet, nämlichzu viel Schulden in zu kurzer Zeit. Das ist verantwor-tungslose Politik, und deswegen war es richtig, dass dieBundesregierung den Staaten in Europa Hilfe angebotenhat, die in Not und Schwierigkeiten sind. Aber ebensorichtig ist es, dass wir verlangen und auch erwarten dür-fen, dass jedes Land in Schwierigkeiten die eigenenHausaufgaben bei den Reformen erledigt.
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ondern eine Schuldenkrise bekämpft man nur, indeman die Wettbewerbsfähigkeit erhöht; denn eine Wäh-ng ist nur so stark, wie die Volkswirtschaften starkind, die dahinter stehen.
Meine Damen und Herren, es ist ein enormer Erfolg,ass wir es gegen den Willen der Opposition geschafftaben, dass mehr und mehr Staaten in Europa Schulden-remsen in ihre nationalen Verfassungen aufnehmenollen. Ich erinnere mich, welche Haltung Sie zu Be-inn unserer Regierungszeit hatten: Uferloses Schulden-achen, das war Ihr Rezept.
ie haben erklärt, weniger Schulden machen und Haus-altskürzungen, das sei gefährlich für die Wirtschaft undr die Arbeitsplätze.
h kann nur eines sagen: Es ist ein Glücksfall, dass dieundesregierung diesen Einflüsterungen der Oppositionicht gefolgt ist.
ass wir vor allen anderen auf solide Haushaltspolitikesetzt haben,
as war eine gute Entscheidung. Ausdrücklich danke ichafür auch denen in der Regierung, die dem Koalitions-artner angehören. Ich freue mich, dass wir diesen Wegemeinsam gegangen sind. Solide Haushaltspolitik istie Antwort auf die Schuldenkrise.
Bei allem Respekt: Die Zwischenrufe von SPD undrünen kann man ja noch hinnehmen. Aber wenn Sie,eine Damen und Herren von der Linkspartei, dazwi-chenrufen,
öchte ich eines sagen: In der Debatte gestern habe ichnen, Frau Kollegin Lötzsch, zugehört. In jeder Sitzunges Auswärtigen Ausschusses, an der ich teilnehme, ma-hen Sie uns Vorhaltungen in Bezug auf die deutscheußenpolitik, die angeblich mangelnde Werteorientie-ng und die Menschenrechte.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14445
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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Ich will Ihnen mit Blick auf den Rest der heutigen De-batte eines dazu sagen: Wer an Fidel Castro Liebesbriefeschreibt,
soll uns in der Außenpolitik nichts, aber auch gar nichtserzählen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lötzsch?
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Aber bitte, gerne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus den
hinteren Reihen kommt der Zwischenruf „Austausch
von Liebesbriefen!“. Das wird jetzt sicher nicht gesche-
hen; es sind auch Zwischenbemerkungen möglich.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Darauf lege ich auch Wert, aus verschiedenen Grün-
den.
Herr Kollege Westerwelle, nicht nervös werden!
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Nein. Ich möchte Ihnen versichern, Frau Kollegin,
dass ich in Ihrer Anwesenheit noch nie nervös war.
Lieber Herr Kollege Westerwelle, ich biete Ihnen fol-gendes Geschäft an:
Ich ziehe den Brief an Fidel Castro zurück, wenn Sie da-für sorgen, dass der Panzerdeal mit Saudi-Arabien zu-rückgezogen wird.
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Dazu zählt eine entscheidende Nachricht und ein kla-res Signal an unsere Partner in Afghanistan selbst – übri-gens auch an unsere Verbündeten –, nämlich dass wirauch dann zu unserer Verantwortung stehen, wenn dieKampftruppen der internationalen Gemeinschaft nichtmehr in Afghanistan sind. Das heißt: Unsere afghani-schen Partner müssen wissen, dass wir auch nach demJahre 2014 unsere Verantwortung für Afghanistan nichtvergessen. Das ist wichtig, wenn der politische Aussöh-nungsprozess erfolgreich sein soll.Der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten, aberauch der Polizisten und der vielen zivilen Helferinnenund Helfer in Afghanistan ist schwer und gefährlich.Dies wurde uns in diesen Tagen wieder in schrecklicherWeise vor Augen geführt. Das Schicksal unserer beidenLandsleute, die seit Tagen in der Region Parwan ver-misst wurden, erfüllt uns mit tiefer Trauer. Ich muss Ih-nen, nachdem ich heute Nacht darüber von unseren Mit-arbeitern informiert worden bin, leider sagen: Nach einerersten Überprüfung durch deutsche Vertreter muss ichbedauerlicherweise bestätigen, dass es sich bei den vor-gestern aufgefundenen Toten mit an Sicherheit grenzen-der Wahrscheinlichkeit um die beiden vermissten deut-schen Staatsangehörigen handelt. Ihr Tod macht uns allebetroffen. Wir trauern mit den Angehörigen und Freun-den der beiden Deutschen.Ich möchte diese Rede auch zum Anlass nehmen, ei-nen herzlichen Dank zum Ausdruck zu bringen für alldiejenigen, die weltweit, auch in Afghanistan – ob inUniform, ob nicht in Uniform –, für unser Land eintre-ten. Wir wissen um ihre gefährlichen Einsätze, um das,was sie an Bedrohungen aushalten müssen, und um denVerzicht, den ihre Familien erleiden müssen. Wir sinddankbar dafür und versammeln uns mit Respekt hinterden Verstorbenen und ihren Angehörigen.
Meine Damen und Herren, wir spüren, dass wir welt-weit eine Umbruchlage haben. Die Globalisierung, dieals ein ökonomischer Prozess begonnen hat, ist mehrund mehr auch eine Globalisierung der Werte geworden,der Ansichten geworden, der Rechtsstaatlichkeit gewor-den. Das ist eine der erfreulichsten Entwicklungen unse-rer Zeit.Wir haben den Ländern Nordafrikas und der arabi-schen Welt eine Transformationspartnerschaft angebo-ten. Nachdrücklich sage ich: Das gilt nicht nur für dieLänder, die sich durch Revolution – wie in Tunesien undÄgypten – auf den Weg gemacht haben; es gilt auch fürdie anderen Länder, zum Beispiel jetzt für Libyen. Ichwill aber auch hinzufügen: Es wird nicht ausreichen, di-rekt zu helfen, auch beim Aufbau der Zivilgesellschaf-ten; sondern mindestens genauso wichtig ist, dass dieMenschen, die für Demokratie eingetreten sind, auch se-hen, dass es für sie eine Verbesserung der persönlichenLebenschancen mit sich bringt.Wir werden in Europa noch diskutieren müssen, wennes zum Beispiel darum geht, dass wir unsere Märkte öff-nktutiinwIninPdinddkzFbdZueLuunvsMhsDSHA
Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass vielerobleme noch ungelöst sind. Ich denke an Syrien, ichenke natürlich auch an die Lage östlich unseres Landes, Belarus. Auch das darf nie vergessen werden, obwohlie Aufmerksamkeit im Moment woanders liegt.Zum Schluss möchte ich Ihnen noch etwas sagen zuem, was im September vor uns liegt und auf uns zu-ommt, nämlich zur Frage der Nahostpolitik. Die früh-eitige Festlegung auf eine bestimmte Option in derrage der Anerkennung eines palästinensischen Staatesrächte weit mehr Risiken als Nutzen. Deswegen wirdie Bundesregierung das auch nicht tun. Wir werden dieeit bis New York nutzen, um auf alle Parteien im Sinnenserer Leitlinien einzuwirken und einen Korridor fürine möglichst konstruktive, in die Zukunft gerichteteösung zu definieren. Das heißt:Erstens. Die Befassung der Vereinten Nationen sollns dem Ziel von direkten Verhandlungen näher bringennd nicht davon entfernen.Zweitens. Die Art der Befassung der Vereinten Natio-en sollte stets die Gefahr gewalttätiger Eskalationenerringern und nicht erhöhen.Drittens. Eine geschlossene Haltung der Europäi-chen Union ist das Ziel. Sie vergrößert auch unsereöglichkeiten.Viertens. Auch die besondere Qualität unseres Ver-ältnisses zu Israel werden wir bei all dem, was wir tun,tets mitbedenken; denn auch das ist Staatsräson füreutschland.Ich danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun der Kollege Gernot Erler für die
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Außenminister, ich habe vor, tatsächlich über Ihreußenpolitik zu sprechen.
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Dr. h. c. Gernot Erler
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Sie haben eben den Beweis dafür erbracht, dass Sie auchnach zwei Jahren noch immer nicht in diesem Amt ange-kommen sind,
obwohl Sie den Titel tragen. Insbesondere die ersteHälfte Ihres Auftretens war eine Zumutung für diesesHohe Haus.
Herr Außenminister, lange Zeit ist Ihre Außenpolitikvon einer Mehrheit der Kommentatoren als konturlosund ohne Wirkung kritisiert worden. Das war zutreffend,aber noch nicht besorgniserregend. Seit März dieses Jah-res hat sich das geändert. Inzwischen sind Sie zur Perso-nifizierung einer deutschen Außenpolitik von befrem-dender Gestalt und verhängnisvoller Wirkung geworden.
Sie haben durchgesetzt, dass sich Deutschland am17. März im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ent-halten hat, als es um den Schutz der libyschen Zivilbe-völkerung ging.
Dabei haben Sie Deutschland in einer noch nicht dage-wesenen Weise gleichzeitig von so wichtigen Verbünde-ten wie den Vereinigten Staaten, Frankreich und Groß-britannien entfernt. Das von Ihnen verweigerte Ja zurResolution 1973 hat nachweislich dazu geführt, dass einbevorstehendes Massaker an der Zivilbevölkerung vonBengasi, einer Stadt mit 700 000 Einwohnern, erst inletzter Minute verhindert wurde.
Die Problematik dieser Entscheidung ist seither in derdeutschen Öffentlichkeit ausreichend diskutiert worden.Auf Ihre Haltung hat das keinerlei Wirkung gehabt. DerBegriff „Einsicht“ taucht in Ihrem Reaktionsrepertoireoffensichtlich grundsätzlich nicht auf.Ich möchte mich deshalb auf einen anderen Punktkonzentrieren, nämlich darauf, dass Sie in der Folge Ih-rer Entscheidung die ganze deutsche Außenpolitik aufdie schiefe Bahn gebracht haben. Das fing damit an, dassSie am 17. März ein innenpolitisches Kalkül – den Blickauf die Wahlen vom 27. März – zur Grundlage Ihrer Ent-scheidung gemacht haben. Je offensichtlicher diesesKalkül nicht aufging, desto rascher sind Sie auf dieserschiefen Bahn vorangeeilt. Um dem wachsenden Recht-fertigungsdruck zu begegnen, fingen Sie an, unsere Ver-bündeten, die sich zu einem militärischen Vorgehen ent-schlossen hatten, quasi von außen zu kritisieren. Als dasauch nicht weiterhalf, präsentieren Sie einer ziemlichsprachlosen Öffentlichkeit plötzlich eine Neuorientie-rung der deutschen Außenpolitik: Die Welt habe sichverändert, es gebe neue Kraftzentren, etwa um Chinaund Russland, und auf diese müsse sich die deutsche Au-ßdPmawßliRsnPmÜRadddnMVdßkdduligeSWgwGdktoredwraDsUreIcs
enn plötzlich liegt die Richtlinienkompetenz für dieeutsche Außenpolitik beim FDP-Vorsitzenden undicht mehr im Kompetenzzentrum am Werderschenarkt.Wenn man sich das Ganze anschaut, muss man sagen:or allen Dingen ist es ein Tiefpunkt, dass die jetzt ausem Hut gezauberte Reorientierung der deutschen Au-enpolitik auf neue Kraftzentren der Welt Ihre Politik er-lären sollte. Dieser Kurswechsel war als gar nichts an-eres als eine nachträgliche Plausibilitätserklärung fürie Entscheidung des 17. März verstehbar, die im In-nd Ausland eine katastrophale Diskussion zur Verläss-chkeit Deutschlands als Partner ausgelöst hat.In welche gefährliche Ecke uns diese schiefe Bahneführt hat, kann man daran sehen, dass sich gleich zweihemalige Bundeskanzler, Helmut Kohl und Helmutchmidt, veranlasst sahen, in genau dieser Situation dasort zu ergreifen. Diese Wortmeldungen, liebe Kolle-innen und Kollegen, waren nicht beiläufig; hinter ihnenurde eine echte Sorge spürbar, nämlich die um denrundkonsens in der Außenpolitik der Bundesrepublik,er jahrelang parteiübergreifend gegolten hat.Deutschland, mit seiner Verantwortung für zwei Welt-riegskatastrophen im vergangenen Jahrhundert als his-risches Gepäck und als stärkstes und bevölkerungs-ichstes Land Europas muss bei der Selbstintegration inie beiden großen kollektiven Systeme, nämlich in dieestliche Allianz und die Europäische Union, immer vo-ngehen.
iese Selbstintegration bedeutet eine bewusste Ein-chränkung unserer Souveränität, bedeutet die gewolltenterordnung im Kollektiv mit einer starken Rolle unse-r Partner und bedeutet Verzicht auf jeden Sonderweg.h finde es schon erstaunlich, dass Sie hier von Kon-tanten deutscher Außenpolitik reden und gar nicht mer-
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Dr. h. c. Gernot Erler
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ken, dass Sie in den letzten Monaten der größte Beschä-diger dieser Konstanten gewesen sind.
Nur in der Befolgung dieser Prinzipien hat Deutschlandnach 1945 seinen Weg zurück in die europäische Völker-familie gefunden; darauf haben die beiden Bundeskanz-ler hingewiesen. Nur so konnte ein Vertrauen bei unse-ren westlichen und östlichen Nachbarn aufgebautwerden, ohne das es nie zu einer Wiedervereinigung ge-kommen wäre. Nur so wird Deutschland seiner Mitver-antwortung für ein starkes und handlungsfähiges Europagerecht.Verlässlichkeit und Vertrauen kann man verspielen,vertändeln durch Beliebigkeit und Unberechenbarkeit,durch unvorbereitete Neuorientierungen der deutschenAußenpolitik. Herr Außenminister, bitte nehmen Sie zurKenntnis, dass weder die deutsche noch die internatio-nale Öffentlichkeit Ihnen zutraut, all das wieder zurecht-zubiegen.
Wir haben Sie in der Sache kritisiert; aber Ihre eige-nen Leute haben Sie gnadenlos in Ihrer Funktion demon-tiert.
Ihre liberalen Freunde waren es, die Sie zu einem Au-ßenminister auf Abruf degradiert haben. Da schließt sichder Kreis zum 17. März: Wieder steht ein kurzfristigesinnenpolitisches Kalkül hinter der Entscheidung IhrerParteifreunde, Sie noch ein Weilchen Außenministersein zu lassen. Ich kann das nur als äußerst deprimierendbezeichnen, für Sie, für das kompetente und engagierteAmt, dem Sie vorstehen, und für Deutschlands Ansehenin Europa und der Welt.
Es gibt nur einen logischen Schluss aus dieser verhee-renden Bilanz: die Aufforderung an Sie, endlich selberdie Konsequenzen zu ziehen und nicht zu warten, bisdies andere für Sie tun.
Dr. Andreas Schockenhoff ist der nächste Redner für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kri-senhafte Entwicklungen wie die derzeitige Finanzkrisesollten immer Anlass zur Selbstbesinnung sein: Warumbrauchen wir Europa? Welche Konsequenzen müssen wirdaraus ziehen? Wer den rasanten Aufstieg Chinas undseine zunehmende Macht in der Welt sieht – auch andereStaaten wie Indien oder Brasilien werden deutlich anMMkhEsduuklueEnWednruremwSLmbdbshrousHMzSroveFsvjafrsgEwnsd
s geht darum, dass wir unsere Werte und unser Gesell-chafts- und Wirtschaftsmodell nicht nur wahren, son-ern diese auch für andere Länder attraktiv sind. Es gehtm eine eigenständige Rolle Europas in der Welt, umnsere Gestaltungsfähigkeit und unsere Gestaltungs-raft. Wir brauchen in Europa Geschlossenheit, Hand-ngsfähigkeit und Stärke. Wir brauchen mehr Europa.„Mehr Europa“ bedeutet beispielsweise die Gründunginer echten europäischen Wirtschaftsregierung deruro-Zone. Das heißt, wir brauchen eine immer diszipli-iertere Koordinierung und stärkere Harmonisierung derirtschafts- und Finanzpolitik. Wir brauchen nicht nurine Schuldenbremse. Vor allem aber müssen die Länderer Euro-Zone in die Lage versetzt werden, Verstöße ei-es Landes gegen die Regeln der Wirtschafts- und Wäh-ngsunion, die den Euro-Ländern insgesamt schaden,chtzeitig korrigieren zu können, das heißt, im Zusam-enwirken mit EZB, IWF und EU-Kommission aufichtige Haushaltsentscheidungen und Maßnahmen zurteigerung der Wettbewerbsfähigkeit des betreffendenandes durchgehend und durchgreifend Einfluss neh-en zu können, wie wir es bei Griechenland getan ha-en. Wenn wir finanzielle Hilfe gewähren, dann mussie Gegenleistung dafür die durchsetzbare und nachprüf-are Verpflichtung zu einer Stabilitätspolitik und zutrukturellen Reformen zur Stärkung der Wettbewerbsfä-igkeit sein.Wir brauchen also mehr politische Union, damit Eu-pa mit einer gestärkten Wirtschafts- und Währungs-nion seine Interessen gegenüber der übrigen Welt ange-ichts der globalen wirtschafts- und finanzpolitischenerausforderungen vertreten kann.
it dem Vorschlag, eine Wirtschaftsregierung einzuset-en, haben die Bundeskanzlerin und der französischetaatspräsident in gemeinsamer Verantwortung für Eu-pa in schwieriger Zeit Führung bewiesen.„Mehr Europa“ heißt weiterhin, Polen mittelfristigoll in die deutsch-französische Führungsverantwortunginzubeziehen, sodass aus dem Führungsduo ein echtesührungstrio wird. Voraussetzung dafür ist die Mitglied-chaft Polens in der Euro-Zone. Polen ist ein eindrucks-olles Beispiel dafür, wie sich ein Land von den Lastenhrzehntelanger sozialistischer Fehlentwicklungen be-eien und zu einem starken, wettbewerbsfähigen Wirt-chaftspartner entwickeln kann. Ich bin mir sicher, dasserade in einer größer und differenzierter gewordenenU Polen als Mitglied im Führungstrio in seiner Verant-ortung für die gesamte Union auch mit Blick auf dieeuen östlichen Mitglieder seinen Beitrag leisten wird,odass divergierende Interessen besser überwunden wer-en können. Ich denke, ein solches Mehr an Europa liegt
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Dr. Andreas Schockenhoff
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ganz im Sinne größerer Geschlossenheit und Handlungs-fähigkeit Europas.Es ist gut, dass Polen während seiner Präsidentschaftdie Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitikvoranbringen will; denn auch hier brauchen wir dringendmehr Europa. Der NATO-Einsatz in Libyen hat deutlichgezeigt, welche gravierenden Mängel durch Sparzwängenicht nur bei Munition und Durchhaltefähigkeit entstan-den sind.
Es wird deshalb kein Weg daran vorbeiführen, auf derGrundlage der Gent-Initiative möglichst bald zu ent-scheiden, wo wir Fähigkeiten mit anderen teilen wollen,wo wir Fähigkeiten übernational mit anderen einbringenwollen und auf welche Fähigkeiten wir national aus Kos-tengründen verzichten wollen, weil andere sie verläss-lich und günstiger bereitstellen.
Ohne ein solches Pooling und Sharing wird es angesichtsknapper Kassen keine eigenständige europäische Vertei-digungspolitik geben, und ohne eine europäische Vertei-digungspolitik wird Europa ein entscheidendes Instru-ment für seine Selbstbehauptung in der globalisiertenWelt fehlen. Deshalb brauchen wir auch hier mehrEuropa.„Mehr Europa“ heißt auch, das Verhältnis zur Türkeineu zu gestalten. Mit Kroatien wurden in den letztensechs Jahren die Beitrittsverhandlungen über 35 Kapitelbeendet. In derselben Zeit wurde mit der Türkei nur eineinziges Kapitel vorläufig abgeschlossen. Die Verhand-lungen drohen im Sande zu verlaufen. Das aber würdezu einer erheblichen Entfremdung in den Beziehungenzur Türkei führen. Das kann nicht in unserem Interessesein;
denn wir haben nicht nur angesichts des Umbruchs inder arabischen Welt das Interesse, so eng wie möglichmit der Türkei zusammenzuarbeiten.
Dem sollten wir in unseren Beziehungen zur TürkeiRechnung tragen.Was die Beitrittsverhandlungen betrifft, könnte des-halb zunächst ein Zwischenziel angestrebt werden, bei-spielsweise eine spezifische, auf die gemeinsamen Mög-lichkeiten und Interessen ausgerichtete Anbindung,vergleichbar mit dem Europäischen Wirtschaftsraum.Das 2005 vereinbarte Ziel einer möglichen Vollmitglied-schaft gilt weiterhin. Im Bereich der Außen- und Sicher-heitspolitik sollte die EU mit der Türkei allerdings schonheute intensiver und institutionell so eng wie möglichzusammenarbeiten und sie darin einbeziehen.„Mehr Europa“ bedeutet auch, dass wir mehr denn jeein außenpolitisch kohärentes Vorgehen der EU in unse-rer unmittelbaren Nachbarschaft brauchen. Die CDU/CcudWtiEinWVsnlisn1uDDmdDfüDramDdinSwVtrmdli1aTea
ie Entsendung von Bodentruppen war nicht notwendig.er Einsatz wurde nicht als Intervention des Westensissverstanden, es gab keine Demonstrationen gegenie Luftschläge und die NATO in der arabischen Welt.
as Vorgehen der NATO war letztlich mitentscheidendr den Fall Gaddafis.
eshalb danken wir unseren Bündnispartnern, allen vo-n den USA, Frankreich und Großbritannien, die dieaßgebliche Last dieses Einsatzes getragen haben.
en Sieg über Gaddafi und damit seine Freiheit aber hatas libysche Volk errungen. Auch das ist ganz wichtig.
Nach dem Fall Gaddafis sind die Herausforderungen Libyen viel größer als in Tunesien und Ägypten:taatliche Strukturen müssen gänzlich neu aufgebauterden, und die Stämme müssen einbezogen werden.iel ausgeprägter als in den Nachbarländern haben sichaditionelle Strukturen erhalten. Der Wiederaufbauuss rasch angegangen werden. Nun gilt es zuallererst,ie Not der kriegsgeplagten libyschen Bevölkerung zundern. Es ist deshalb richtig, dass die Bundesregierung Milliarde Euro aus eingefrorenen Auslandsgeldern deslten Regimes sofort freigegeben hat und die EU eineneil ihrer Sanktionen umgehend aufgehoben hat.Ferner muss die Übergangsregierung nun umgehendinen demokratischen Fahrplan vorlegen und umsetzen,lso einen Prozess der nationalen Einigung, Versöhnung
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14450 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Dr. Andreas Schockenhoff
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und Anstrengung einleiten, eine Verfassung erarbeitenund zudem zu einem geeigneten zukünftigen ZeitpunktParlamentswahlen durchführen. Wenn nicht Deutschlandund die EU, wer sonst könnte hier Expertise einbringen?Deutschland wird Hilfe beim Aufbau von Strukturenin der Bildung, im Gesundheitswesen und bei der Grenz-sicherung leisten. Ebenso können bei entsprechendenAnfragen aus Libyen zivile Missionen, etwa im Sicher-heitssektor oder beim Aufbau des Justizwesens, von derEU mit deutscher Beteiligung entsandt werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beobachten mitgroßer Sorge die Entwicklungen in Syrien. PräsidentAssad führt einen brutalen Unterdrückungskrieg gegendas syrische Volk. Assad ist für uns kein Partner mehr.Deutschland hat sich bereits auf EU-Ebene erfolgreichfür weitreichende Sanktionen gegen dieses Unterdrü-ckungsregime eingesetzt.
Das Ölembargo der EU ist ein wichtiger Schritt. Es istallerdings skandalös, wenn sich die umfassende Umset-zung aufgrund bestimmter Lieferverträge eines italieni-schen Konzerns bis Mitte November verzögert. Die EUmuss zeigen, dass sie es mit den Sanktionen ernst meint.
Die Vorfälle an der israelisch-syrischen Grenze imFrühjahr dieses Jahres, die jüngsten Spannungen im Si-nai und der zuletzt wieder intensivere Beschuss israeli-scher Städte aus dem Gazastreifen mahnen, dass die his-torischen Veränderungen nicht zu weniger Sicherheit fürIsrael führen dürfen. Gerade wegen der vielen Unwäg-barkeiten in Israels Nachbarländern sind Fortschritte imFriedensprozess notwendig, um Stabilität zu fördern undeinen positiven Impuls für die gesamte Region zu geben.Einseitige Schritte, sei es der Gang der palästinensischenSeite vor die UN-Generalversammlung oder der Bau vonweiteren israelischen Siedlungen, bergen nur die Gefahreiner Verschärfung der Lage und bringen uns einer Lö-sung nicht näher. Die Anerkennung eines palästinensi-schen Staates kann nur die Folge von Verhandlungensein.
Hier muss die EU zu einer gemeinsamen Haltung kom-men.Angesichts dieser Herausforderungen brauchen wirmehr Europa, mehr politische Integration in Europa,mehr Handlungsfähigkeit und mehr politische Gestal-tungskraft, wenn wir Subjekt und nicht Objekt der glo-balen Entwicklungen sein wollen.Herzlichen Dank.
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nde August teilte er via Spiegel mit, dass das Verhaltener Bundesregierung „ein einziges Debakel, vielleichtas größte außenpolitische Debakel seit Gründung derundesrepublik“ sei.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14451
Stefan Liebich
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Worin bestand die Katastrophe, die Abgeordnetenvon CDU/CSU, SPD – das haben wir eben wieder beiHerrn Erler gehört – und Bündnis 90/Die Grünen so un-endlich peinlich ist und den sogenannten Parteifreundendes Außenministers ein willkommener Anlass zu seinscheint, ihn endlich zum Rücktritt zu drängen? Es wardie Entscheidung, einer Beteiligung an einem Bürger-krieg nicht zuzustimmen. Es war die Entscheidung, deut-sche Soldatinnen und Soldaten nicht erneut in ein militä-risches Abenteuer mit offenem Ausgang zu schicken. Eswar die Entscheidung, bei einer vorhersehbaren Fehl-interpretation der Charta der Vereinten Nationen und derVerantwortung zum Schutz der Zivilbevölkerung nichtmitzumachen. Natürlich sind wir alle froh, dass ein Dik-tator weniger im Amt ist. Aber heiligt dieses Ergebnisjedes Mittel?
Es war nach wenigen Tagen der NATO-Bombardierungklar, dass es um mehr geht als um den Schutz von Zivi-listen, wie vom Sicherheitsrat beschlossen.Was passiert wohl mit der Zivilbevölkerung in einemKrieg? Herr Schockenhoff, Amnesty International hatbeiden Konfliktparteien Folter vorgeworfen. Wir wissengar nicht, wie viele Menschen den Truppen Gaddafis,denen der Rebellen und den Bomben der NATO zumOpfer gefallen sind. Die Rebellen selbst sprechen von50 000 Toten. Dass Deutschland daran nicht beteiligt ist,soll das größte außenpolitische Debakel seit dem Zwei-ten Weltkrieg sein? Da fallen mir ganz andere Beispieleein,
die Entscheidung des Bundestages von 1998 zum Bei-spiel, gänzlich ohne völkerrechtliche Legitimierung dieWeichen für eine Bombardierung von Belgrad zu stellen.
Dieser erste Kriegseinsatz in der jüngeren deutschen Ge-schichte war ein Tabubruch. Damals, Herr Erler, ist dieAußenpolitik auf die schiefe Bahn geraten.
Ein weiteres Beispiel ist der Afghanistan-Krieg. Nachden unentschuldbaren Terrorangriffen auf New York undWashington und der Ermordung Tausender standDeutschland an der Seite der Vereinigten Staaten. Bun-despräsident Johannes Rau sagte vor 200 000 Berlinerin-nen und Berlinern unter riesigem Beifall: „Hass darf unsnicht zum Hass verführen. Hass blendet.“
Die Regierung Schröder/Fischer/Schily/Künast re-agierte anders. Unter der Überschrift „UneingeschränkteSolidarität, das heißt auch militärischer Beistand“ führtesie Deutschland in einen seit zehn Jahren andauerndenKrieg, in dem sich in diesem Moment über 5 000 deut-sche Soldatinnen und Soldaten befinden. 52 haben dortbereits ihr Leben gelassen, mit ihnen 2 600 weitere Sol-daten und mehr als 30 000 afghanische Zivilisten, und esgeht immer weiter, und das, obwohl der afghanische Prä-shEDdteEasgGNeisladWGAMBdBBWdNKtumladAnRsbS
as machen die Gewehre von Heckler & Koch inaddafis Palast? Was haben deutsche Panzer in Saudi-rabien zu suchen, was deutsche Polizeiknüppel beiubaraks Sicherheitskräften?
eenden wir die deutschen Waffenexporte! Beenden wirie Ausstattungs- und Ausbildungshilfen für Diktaturen!eenden wir das am besten generell! Das ist der besteeitrag, den Deutschland zur Schaffung einer friedlichenelt leisten kann.Danke schön.
Das Wort erhält nun der Kollege Frithjof Schmidt fürie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Herr Außenminister, die Hälfte der Legisla-rperiode ist um, und was ist Ihre Bilanz? Die Kom-entarlage im In- und Ausland ist eindeutig: Deutsch-nd verliert in der Welt dramatisch an Ansehen. Das ister Kern Ihrer Bilanz, und das ist für einen deutschenußenminister wirklich einzigartig.
In seltener Deutlichkeit haben altgediente Staatsmän-er aus unterschiedlichen Lagern die Außenpolitik Ihreregierung – man muss es so sagen – vernichtend kriti-iert. Deutschland gilt unter Schwarz-Gelb als schwererechenbar. Als Außenminister, Herr Westerwelle, sindie persönlich dafür verantwortlich, die Politik unseres
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Dr. Frithjof Schmidt
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Landes im Ausland zu vermitteln und zu erklären. Andieser Aufgabe scheitern Sie.Herr Westerwelle, Sie haben kürzlich gesagt, es rei-che in der heutigen Welt nicht mehr, „alte Partnerschaf-ten“ zu pflegen, sondern man müsse auch „die neuenKraftzentren der Welt ernst nehmen und neue strategi-sche Partnerschaften aufbauen“. Das ist richtig. UnserePolitik muss den dynamischen Veränderungen in derWelt Rechnung tragen. Das Problem ist nur: Sie habendas in den Zusammenhang mit der deutschen Enthaltungim Sicherheitsrat zur Libyen-Resolution gestellt. Wiesollen unsere Partner in Europa und den USA das dennverstehen? Sie relativieren so die bewährten Partner-schaften der letzten Jahrzehnte
und stellen ihnen dann China, Russland und Indien ge-genüber. Das ist beispielhaft für Ihr politisches Problem:Sie wollen die wachsende Bedeutung der Schwellenlän-der zu Recht ansprechen, aber Sie finden dafür wederden richtigen Ton noch die richtigen Worte noch denrichtigen Zusammenhang.
Zurück bleibt dann ein diplomatischer Scherbenhau-fen nach dem anderen. Ich frage mich schon, was Sie un-ter einer strategischen Partnerschaft verstehen. Wir sindüberzeugt, dass eine solche Partnerschaft mehr seinmuss als schlichte machtpolitische Kooperation mit ei-nem großen Land. Partnerschaft setzt doch eine breiteBasis von gemeinsamen Grundüberzeugungen und Posi-tionen voraus. Deswegen sollten wir diesen Begriff nichtinflationär verwenden, und das tun Sie.Sie vermitteln den Eindruck, dass es Ihnen vor allemdarum geht, der deutschen Außenpolitik größtmöglichennationalen Spielraum zu verschaffen. Das ist der falscheWeg. Notwendig ist eine engere Einbindung Deutsch-lands in die europäische Außenpolitik. Das wäre dannauch der richtige Weg, um neue strategische Bündnissezu schmieden, die die Schwellenländer einbeziehen,nicht allein, sondern im europäischen Gespann.Aber, Herr Westerwelle, die Europapolitik ist bisherohnehin nicht Ihr Feld. Europa, die Europäische Unionist für Deutschlands Zukunft von schicksalhafter Bedeu-tung. Die Europäische Union steht heute auf dem Spiel.Sie muss entschieden und offensiv verteidigt werden.Wir brauchen mehr europäische Integration. Der deut-sche Außenminister sollte hierfür ein begeisterter undentschlossener Vorkämpfer sein.
In entscheidenden Fragen, wie der Schaffung des Eu-ropäischen Stabilitätsmechanismus, haben Sie Rücken-deckung aus der Opposition. Aber wo sind Sie denn indiesen Auseinandersetzungen seit über einem Jahr zufinden? Wo stehen Sie denn? Man muss glauben, dasAuswärtige Amt hätte jegliche Zuständigkeit hierfür mitIhrem schwarz-gelben Koalitionsvertrag abgegeben.wEdroindmsAHlikHbsAagRenhSdEswteswMPhSfuDgßshdsM
Die Außenminister der Bundesrepublik Deutschlandaren immer überzeugte und vor allem überzeugendeuropäer. Sie, Herr Westerwelle, brechen mit dieser Tra-ition: keine große Rede, keine Vision, keine Idee zu Eu-pa. Ich will gerne zugeben: Ein Außenminister hat es Zeiten des Lissabon-Vertrages schwerer, als Taktgeberer Europapolitik zu fungieren. Aber bei Ihnen frage ichich schon, ob Sie überhaupt noch im Orchester sitzen.
Dabei gibt es gerade bei der gemeinsamen europäi-chen Außenpolitik dringend zu erledigende Aufgaben.uf dem Westbalkan schwelen Konflikte vor sich hin.ier wären europäische Initiativen unbedingt erforder-ch. Doch die EU ist in zentralen Punkten wie der Aner-ennung des Kosovo zerstritten und handlungsunfähig.ier, Herr Westerwelle, könnte Deutschland eine trei-ende und produktive Rolle spielen. Wir würden unsehr freuen, wenn Sie hier einmal liefern würden.Meine Damen und Herren von der Koalition, derußenminister ist natürlich nicht alleine für Fehler ver-ntwortlich. Die Probleme erwachsen aus einer grundle-enden außenpolitischen Konzeptionslosigkeit dieseregierung. Dafür trägt die Bundeskanzlerin mindestensbenso sehr die Verantwortung wie der Außenminister.Eine weitere Bemerkung zur Libyen-Politik ist hierötig. Wir haben die deutsche Enthaltung im Sicher-eitsrat damals kritisiert, weil sie ein falsches politischesignal an Gaddafi bedeutet hat, nicht aber die Positioner Bundesregierung, keine deutschen Truppen in deninsatz in den Luftraum über Libyen zu schicken. Dazutehe ich nach wie vor. Aber man kann sich doch freuen,enn der Einsatz der NATO nach vielen Schwierigkei-n und auch Überdehnungen der UN-Resolutionchließlich gut ausgeht und der brutale Diktator gestürztird.
an sollte dabei die Verdienste der NATO würdigen. Ihrroblem war und ist doch, dass Sie das nicht ohne Nach-ilfe zum Ausdruck gebracht haben. Auch hier habenie nicht den richtigen Ton und die richtigen Worte ge-nden. Das kann und darf sich der Chef der deutscheniplomatie eben nicht leisten.
Die weitere Unterstützung des arabischen Frühlingsehört jetzt ins Zentrum deutscher und europäischer Au-enpolitik. Die Solidarität mit dem syrischen Volk undeinem mutigen Kampf gegen die Assad-Diktatur mussier ganz vorne stehen. Da ist es kaum zu fassen, dassie EU erst jetzt ein Ölembargo gegen Syrien beschlos-en hat. Der Diktator massakriert sein Volk, und überonate wird ihm nicht einmal der Ölverkaufshahn zuge-
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Dr. Frithjof Schmidt
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dreht. Es ist ein Skandal, dass das Embargo erst MitteNovember wirklich greifen wird.
Wenn Italien hier blockiert, weil es Versorgungseng-pässe hat, dann muss europäisch ausgeholfen werden.Da muss es doch eine Initiative zur Lösung geben. Hierhätte Deutschland sich entschiedener und sichtbarer ein-setzen müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die arabischen Län-der, die den ersten Schritt in die Freiheit gemacht haben,stehen nun vor großen Herausforderungen. Europa mussjetzt handeln. Daher muss sich die Bundesregierung in-tensiv für den Abbau der EU-Agrarzölle einsetzen. Auchdie derzeitige europäische Abschottungspolitik gehörtbeendet. Die EU muss ihre Grenzen, ihre Arbeitsmärkteund ihre Universitäten für Menschen aus den sich demo-kratisierenden Ländern Nordafrikas öffnen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, eine ab-schließende Bemerkung: Im Einzelplan des AuswärtigenAmtes haben Sie im letzten Jahr eine ganze Reihe vonKürzungen vorgenommen, unter anderem im Bereichder Krisenprävention und bei den humanitären Maßnah-men. Dieses Jahr nehmen Sie diese Kürzungen nun teil-weise wieder zurück. Das ist gut. Aber eine Linie, eineKonzeption ist für mich beim besten Willen nicht er-kennbar. Das ist gerade in Bereichen wie der Krisenprä-vention, wo es um den Aufbau nachhaltiger Strukturengeht, wirklich kontraproduktiv. Leider zeigt also selbstder Haushalt in seinen Einzelheiten, wie unberechenbardie Politik dieser Regierung ist.Mit dieser Halbzeitbilanz, Herr Minister Westerwelle,sind Sie ein Totalausfall für Ihre Koalition und leiderauch für unser Land.Danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun der Kollege Wolfgang Götzer für
die CDU/CSU.
– Es wäre ja gut, wenn mir das auch einer sagte.
Dann erhält jetzt der Kollege Rainer Stinner das Wort,
und der Kollege Götzer kommt einvernehmlich später an
die Reihe. – Bitte.
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Meine Damen und Herren, wer soll diese beiden Par-ien noch ernst nehmen, zumal die beiden großen Pro-gonisten der Sozialdemokratischen Partei, die Herrenabriel und Steinmeier, der Debatte heute vorsichtshal-er ferngeblieben sind – vielleicht um nicht mit ihrer da-aligen Einschätzung konfrontiert zu werden?
In diesem Zusammenhang muss ich ein Zitat des Grü-en-Politikers Cohn-Bendit wiedergeben – mit Verlaub,err Präsident, hoffentlich auch mit Ihrer nachträglichenenehmigung, wenn Sie es gehört haben –, der bezüg-ch der Außenpolitik der Grünen gesagt hat:Ich spreche von Grünen-Politikern, von JürgenTrittin, Omid Nouripour und anderen Klugschei-ßern.err Präsident, ich entschuldige mich für die Wortwahl.ber das ist die Wortwahl der Grünen gewesen.Meine Damen und Herren, das ist die Qualität, miter wir hier im Deutschen Bundestag, mit der die deut-che Öffentlichkeit und mit der die Damen und Herrennks oben von der Presse von der deutschen Opposition
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Dr. Rainer Stinner
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konfrontiert werden. Wenn Sie das berücksichtigen,dann können Sie doch nicht im Ernst einen Anspruch da-rauf erheben, für Deutschland eine bessere Außen- undSicherheitspolitik zu gestalten. Nein, Sie haben deutlichbewiesen, dass Sie das nicht können.
Deshalb stelle ich abschließend völlig einvernehmlichfür die beiden Koalitionsfraktionen und die Bundes-regierung fest: An der klaren Einbettung Deutschlandsins westliche Bündnis und an der klaren Orientierung anWerten und Zielen deutscher und europäischer gemein-samer Politik lassen wir nichts deuteln, auch nicht voninkompetenten Oppositionspolitikern.
Deutschlands Rolle in Europa und der Welt wird sichauch in Zukunft auf der Basis dieser klaren Werteorien-tierung gestalten.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Rolf Mützenich von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Bundesaußenminister, ich finde, dass in den letztenWochen nicht ganz fair mit Ihnen umgegangen wordenist. Sie haben eine Menge Pfeile auf sich gezogen unddamit offensichtlich von dem Komplettversagen der ge-samten Bundesregierung abgelenkt, die nämlich auchden außenpolitischen Herausforderungen nicht gerechtgeworden ist. Deswegen glaube ich – das ist vielleichtein Trost für Sie –: Das Komplettversagen der gesamtenBundesregierung ist blamabel für die deutsche Außen-politik.
Die schlimmen Fehler, die in den vergangenen Wo-chen gemacht worden sind, Herr Bundesaußenminister,sind das eine. Große Sorgen macht mir aber, dass Sie aufTrends, die es innerhalb der deutschen Gesellschaft gibt,offensichtlich nicht rechtzeitig und allenfalls mit Des-interesse eingehen.Ich würde gerne auf eine Allensbach-Umfrage einge-hen, über die im Juli 2011 in der Frankfurter Allgemei-nen Zeitung berichtet wurde. Ich zitiere:Auch die Überzeugung, es sei notwendig, Deutsch-land in internationale Bündnisse einzubinden,scheint allmählich zu erodieren.Ich denke, das muss uns allen, auch dem gesamten Deut-schen Bundestag, große Sorgen machen, Herr Minister.seggrazSmGmw2vsaisshbddmDeeDDRdnBhnddSDSmMgH
ie Bundeskanzlerin schiebt diese Option beiseite. Sierschweren die Einigung bei den Konsultationen mit denuropäischen Außenministern am Wochenende, weileutschland in dieser Frage nicht richtig gehandelt hat.as ist das Komplettversagen.Herr Bundesaußenminister, Sie haben eben in Ihrerede auf Afghanistan Bezug genommen. Sie wissen,ass die Sozialdemokratische Partei der Politik, die sei-erzeit in London kreiert worden ist, bisher gefolgt ist.estandteil dieser Politik war aber auch, dass Sie gesagtaben, bis 2015 würden die Kampftruppen aus Afgha-istan zurückgezogen, und wir würden im nächsten Jahramit beginnen. In Ihrer Rede heute hörte sich das an-ers an.Sie gefährden den innenpolitischen Konsens, wennie das nicht einhalten, was Sie vor einigen Monaten imeutschen Bundestag gesagt haben. Daran werden wirie messen.Ich finde, das Komplettversagen der Bundesregierunguss benannt werden. Wir haben viele verantwortlicheinister, die der deutschen Außenpolitik in den vergan-enen Monaten Schaden zugefügt haben. Ein Beispiel isterr Niebel. Ich empfand es als einen Skandal, als er in
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Dr. Rolf Mützenich
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der Zeit auf die Frage, ob die Lieferung von Panzern anSaudi Arabien mit der Menschenrechtspolitik der Bun-desregierung übereinstimme, geantwortet hat: „Die Sta-bilisierung einer Region trägt durchaus dazu bei, dieMenschenrechte zu wahren …“ – Von welchen Men-schenrechten in Saudi Arabien reden Sie eigentlich? Wassollen denn dort Panzer positiv bewirken?
Das ist der eigentliche Skandal. Ich hätte mir von derBundeskanzlerin deutlichere Worte dazu gewünscht. Dasbetrifft auch die Begründung für die Lieferung, die nach-her wie ein Kartenhaus zusammengefallen ist. Sie habengesagt, die israelische Regierung habe Sie ermutigt, diePanzer nach Saudi Arabien zu liefern.
Weil einige mutige Kollegen aus Ihren Reihen nach-gefragt haben, hat sich herausgestellt, dass das gar nichtstimmt. Das erinnert an eine Situation, die wir schon ein-mal erlebt haben. Man beruft sich auf Israel zur Recht-fertigung einer politischen Handlung. Es gab schon ein-mal eine ähnliche Begebenheit bei der CDU/CSU,nämlich als es um jüdische Vermächtnisse gegangen ist.Es ist ein Skandal, dass Argumente angeführt werden,die in der Realität keine Grundlage haben. Das zeigt dasKomplettversagen der gesamten Bundesregierung.
Herr Bundesaußenminister, ich hätte mir unabhängigvon der Libyen-Entscheidung gewünscht, dass Sie deut-lich gemacht hätten, wie die Haltung der Bundesregie-rung in den Vereinten Nationen zu der Schutzverantwor-tung, der Responsibility to Protect, ist. Sie sind imSicherheitsrat, und der Sicherheitsrat wird die Rolle derSchutzverantwortung im Rahmen des Völkerrechts aus-gestalten müssen. Nach der Libyen-Entscheidung stelltsich insbesondere die Frage, welche Instrumente manden Vereinten Nationen an die Hand gibt, um dieserSchutzverantwortung gerecht zu werden. Die Delegationan andere Institutionen ist offensichtlich falsch. Deshalbmüssen wir eine Diskussion anstoßen – das ist insbeson-dere Ihre Aufgabe –, wie mit der Schutzverantwortungumgegangen wird und welchen Beitrag deutsche Außen-politik in der Zukunft dazu leisten will. Diesen Grund-satzfragen widmen Sie sich überhaupt nicht. Ich hättemir gewünscht, dass das heute in Ihrer Rede eine Rollegespielt hätte.
Zum Schluss möchte ich Ihnen sagen: Ich schätze Ih-ren Versuch in den letzten Monaten, die Lage auf demBalkan zu beruhigen und die Spannungen durch Koope-ration, durch Gespräche und das Zusammenführen derKontrahenten zu entschärfen. Das reicht aber nicht, ins-besondere dann nicht, wenn an der Grenze zum ehemali-gen Jugoslawien ein Mitgliedstaat der EuropäischenUwgmmBEddhntrZsdkdskzGWEztiwrusEwßddeD
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die einzige Konti-uität besteht in den Widersprüchen der von Ihnen be-iebenen deutschen Außenpolitik. Matthias Naß von dereit hat von seinen Reisen in die verschiedenen Haupt-tädte im Juli das Resümee mitgebracht: „Ratlos stehenie Freunde vor der neuen deutschen Unberechenbar-eit.“
Herr Kollege.
Herr Bundesaußenminister, es ist nicht der Kompass,
er Ihnen fehlt; denn der Kompass ist lediglich ein In-
trument. Was Ihnen fehlt, sind Einsichten, Ernsthaftig-
eit und Mut. Das ist bedauerlich, aber wohl nicht mehr
u ändern.
Vielen Dank.
Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Wolfgang
ötzer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!ir alle spüren im Moment ganz besonders, dass sichuropa in der größten Bewährungsprobe seit Unter-eichnung der Römischen Verträge befindet. Die Bewäl-gung der Schuldenkrise einiger Euro-Länder bedeuteteit mehr als das Sichern unserer gemeinsamen Wäh-ng und auch weit mehr als das Sichern unserer Wirt-chafts- und Exportchancen. Es geht vor allem darum,uropa als eine politische Gemeinschaft zu erhalten. Wirürden einen großen Fehler begehen, wenn wir es zulie-en, dass durch die Schuldenkrise ein Schaden an eben-ieser Europäischen Gemeinschaft entsteht.
Europa ist zuallererst ein bedeutender Garant für Frie-en. Sich für den Fortbestand eines friedlichen Europasinzusetzen, ist eine Grundlinie deutscher Außenpolitik.ie deutsche Außenpolitik ist eingebettet in die interna-
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Dr. Wolfgang Götzer
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tionale Staatengemeinschaft und geschieht primär in Ab-stimmung mit der Europäischen Union.Dies bedeutet aber nicht, dass wir in der Schulden-krise unbegrenzt für Euro-Staaten einstehen, die sichnicht solidarisch verhalten. Wer Teil dieser erfolgreichenEuropäischen Gemeinschaft sein will, muss auch solida-risch gegenüber seinen Nachbarn sein. Es darf keine un-begrenzte Einstandspflicht der Euro-Länder geben. EineTransferunion lehnen wir deshalb ab.
Noch etwas möchte ich aus gegebenem Anlass sagen:Wir werden keinesfalls unsere nationale Souveränitätund damit letztlich auch unsere nationale Identität aufge-ben. Damit es ganz klar ist: Die CSU und insbesonderedie CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag möch-te keine Vereinigten Staaten von Europa.
So denkt übrigens auch die übergroße Mehrheit derDeutschen.Die europäischen Staaten sind Ausdruck der Vielfaltund des kulturellen Reichtums Europas. Die Europäi-sche Union beruht auf der Gemeinschaft gleichberech-tigter und souveräner Staaten. Für uns gilt deshalb, dassder Grundsatz der Subsidiarität das am besten geeigneteOrdnungsprinzip für die Aufgabenverteilung auf die ver-schiedenen Ebenen in der Europäischen Union ist. Jedeweitere Übertragung von Kompetenzen auf die Europäi-sche Union darf nur mit Zustimmung des Bundestagesund des Bundesrates erfolgen.Dennoch steht es außer Frage, dass wir in Zukunft un-sere Interessen in der Welt nur im europäischen Rahmenzur Geltung bringen können. Wir wollen und wir brau-chen ein Europa, das immer weiter zusammenwächst.Die EU muss dabei eine in sich gefestigte Wertegemein-schaft innerhalb verlässlicher Grenzen sein. Deshalbdarf ihre Integrationskraft nicht überfordert werden. Dasbedeutet für die Frage der EU-Erweiterung: Mit demeingeleiteten Beitritt Kroatiens ist aus meiner Sicht bisauf Weiteres die Aufnahmefähigkeit der EuropäischenUnion an ihre Grenzen gelangt.
Deshalb sagen wir ein klares Nein zu einem Beitritt derTürkei.
Der Kollege Schockenhoff hat keinen Beitritt gefordert,und den wird es mit uns auch nicht geben.
Ein weiteres wichtiges Handlungsfeld in der deut-schen Außenpolitik ist nach wie vor Nordafrika. SeitMonaten sind wir Zeugen gewaltiger Umwälzungen inder arabischen Welt, die vor einem Jahr noch niemandfüzmmNsinOsssrebLNDhBdpuLsHgnsdasnpEFWGSSudAKGZE
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herresterwelle, Frau Merkel, Sie haben bisher noch keineriechen gerettet, sondern nur die Besitzer griechischerchuldverschreibungen. Das ist die Wahrheit.
ie haben nicht die Spareinlagen der kleinen Leute beins gerettet, sondern Josef Ackermann, der Sie berät unden Sie Geburtstag im Kanzleramt feiern lassen. Derckermann/Merkel-Kurs zwingt die südeuropäischenonjunkturen in die Knie und auf die Knie. Aber wennriechenland und Spanien fallen, wenn Sie die Euro-one nicht halten können, dann können Sie auch unserexportkonzerne einsargen.)
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Dr. Diether Dehm
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Meine Damen und Herren, während DeutschlandsBürger morgen wieder für Ackermann und die Finanz-haie mit gut 253 Milliarden Euro bürgen sollen, schlie-ßen in Kommunen Schwimmbäder und Kulturzentren.Überall wird städtische Daseinsvorsorge in dieser Not zuCashflow gemacht, in die Privatisierung getrieben. „Pri-vare“ ist Lateinisch und heißt „rauben“. Aber die Ge-meinden sind unser Zuhause und kein Fraß für Finanz-haie.
Statt Schuldverschreibungen, meine Damen und Her-ren, brauchen wir Nachfrage in den Verbrauchertaschen.Städte und Gemeinden müssen wieder kaufkräftig wer-den. So müssen auch Löhne und Renten steigen. Das istdas Antikrisenkonzept, das Ihnen neuerdings sogar kon-servative Ökonomen vorrechnen.Was glauben Sie denn, warum Frank Schirrmacher,Herausgeber der größten konservativen Zeitung inDeutschland, der FAZ, vor drei Wochen schrieb; erfürchte, die Linken hätten recht?
Deutsche Billiglohnjobs sind der Motor immer tieferin die Krise hinein. Solange in Deutschland als einzigemund größtem EU-Land die Reallöhne weiter derart sin-ken – in den vergangen zehn Jahren um 4,5 Prozent –und die Exportüberschüsse steigen, solange die LänderSüd- und Osteuropas sich weiter verschulden müssen,weil deutsche Lohnpresser diese Märkte immer schnellermit Produkten aus immer billigerer Arbeit, hergestellt inhöchster Produktivität, überschwemmen, wird die Kriseimmer schlimmer.War da nicht mal die Rede von einer Finanztrans-aktionsteuer? War da nicht mal was mit der Krisenbetei-ligung privater Gläubiger und Großzocker? Das wurdeauf die freiwillige Basis abgeschoben, so als ob man denMarder im Blutrausch bitten könnte, sich selbst dieMaulsperre einzuziehen.
War da nicht mal was mit der Erhöhung der Risikode-ckung der Großzocker, was selbst der InternationaleWährungsfonds erst vergangene Woche gefordert hat?Die Deutsche Bank hat hartes Eigenkapital von 30 Mil-liarden Euro bei einer Bilanzsumme von 2 000 Milliar-den Euro. So sieht die nächste Zeitbombe aus.Das Bundesverfassungsgericht soll ja wohl alle Be-schwerden zurückgewiesen haben. Aber beim Bundes-verfassungsgericht haben wir gelernt, genauestens in dieAuflagen hineinzuschauen. Ich greife dem nicht vor,wenn ich sage: Wer eine umfassende parlamentarischeKontrolle der EFSF, der anderen Pakete ablehnt undsagt, diese sei nicht möglich, weil die Finanzmärkte im-mer schnellere Entscheidungen forderten, der ist einGegner unserer Verfassung.
Wer beim Änderungsgesetz die parlamentarische Mit-wirkung beschneidet, zwingt auch die Linke, erneut nachKbIhAmLg––––dIcgddKsm–ganOadBtuDsmdretiSwuu
das werden Sie von der FDP wahrscheinlich nie be-reifen –, weil es noch Millionen Dinge und Menschenuf dieser Welt gibt, die wir nicht den Märkten unterord-en dürfen.
Die wie ein Gottesurteil beschworenen bzw. wie einlymp angebeteten Finanzmärkte bestehen in Wahrheitus fünf Großbanken und drei Ratingagenturen. Undann gehören noch dem Hauptaktionär der Deutschenank, Blackrock, zwei von den drei größten Ratingagen-ren. Blackrock ist also das Verbindungsglied zwischeneutscher Bank und den Ratingagenturen. So sind dieogenannten Finanzmärkte aufgestellt, denen Sie parla-entarische Entscheidungen unterordnen wollen. Mitiesen fünf Großbanken und diesen drei Ratingagentu-n gehen Kolleginnen und Kollegen, gehen Demokra-nnen und Demokraten in diesem Land nicht konform.ie gehen nach Karlsruhe, sie gehen auf die Straße. Wirerden diese Bankenmacht brechen müssen, wenn unsnsere Demokratie, wenn uns unser Parlament, wennns unser Leben lieb ist.
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14458 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
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Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Rotfront,Genosse!)
Das Wort hat die Kollegin Veronika Bellmann von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Zweifelsohne leben wir in einer politi-
schen Zeitenwende. Europa steht nicht an einem Schei-
deweg, sondern Europa steht an einem Entscheideweg:
Ja zu mehr Europa oder Ja zu weniger Europa? Kollege
Schockenhoff hat diese Frage für die CDU/CSU-Frak-
tion schon beantwortet: Ja zu mehr Europa.
Haushalterisch bzw. vom Einsatz der Finanzmittel her
gesehen war die Finanz- und Wirtschaftskrise wohl eine
Art Jahrhunderthochwasser. Die Bewältigung der Staats-
schuldenkrise kommt einem Tsunami gleich. Einige kri-
tische Vorhersagen von Sachverständigen vor Einfüh-
rung des Euro sind jetzt eingetreten. Auch derzeit gibt es
wieder Sachverständige und Experten, die Entwick-
lungsszenarien aufzeigen und alternative Handlungsan-
sätze zu den von den Euro-Staaten installierten Ret-
tungsschirmen vortragen. Die Vorschläge reichen von
einer neuen europäischen Verfassung, also vom Staaten-
bund zum Bundesstaat, über ein Kerneuropa, also Auf-
spaltung in einen Nord- und in einen Süd-Euro, bis zu ei-
nem Schuldenschnitt und einem Austritt aus der
Währungsunion.
Manchen Experten scheinen die Gipfelbeschlüsse
zwar realpolitisch sinnvoll, aber ökonomisch manchmal
zweifelhaft, Beispiel Griechenland-Paket. Mit einem er-
weiterten EFSF sollen Staatsdefizite finanziert und Zeit
für Strukturreformen gekauft werden. Wurde diese Zeit
bisher genutzt? Wurde tatsächlich gerettet? So lautet
auch das Fazit eines Ökonomen des Bundesverbandes
der mittelständischen Wirtschaft: Sicher ist nur, dass
volkswirtschaftliche Realitäten langfristig immer stärker
sind als realpolitisches Wunschdenken. – Diese Diskre-
panz, die es zwischen diesen beiden Punkten immer wie-
der gibt, hat den Akzeptanzschwund und den Vertrau-
ensverlust der Bürger gegenüber Europa verstärkt.
Vorbei ist die Euphorie über ein freizügiges Europa, über
Reisen ohne Grenzkontrollen.
Zu selbstverständlich ist auch der Frieden geworden,
der Gott sei Dank schon 60 Jahre in Europa herrscht.
Angesichts der Zukunftsängste spielt das bei den Bür-
gern leider keine große Rolle mehr. So manche Richt-
linie aus der Europäischen Union und so manche Stan-
dards – wir können die Stichpunkte ja nennen:
Glühbirnenverbot oder Krümmungsgrad der Gurke; Sie
alle wissen, dass es viele ähnliche Dinge gibt – haben die
Bürger als Schikane der europäischen Bürokratie emp-
funden. Der Umgang mit der Staatsschuldenkrise kommt
bei vielen noch hinzu. Dabei ist europäische Integration
nicht auf Gedeih und Verderb mit einer Währungsunion
verbunden, wie erfolgreiche europäische Länder ohne
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enn diese nehmen den letzten wirtschaftlichen Anreiz
r solides Haushalten. Ich möchte auch erst dann eine
irtschafts-, Währungs-, Fiskal- und Sozialunion und
as damit verbundene Abtreten nationaler Souveränitäts-
chte, wenn sich die EU durch das Einhalten ihrer eige-
en Verträge und Vereinbarungen dafür würdig erwiesen
at. Diesen Beweis ist die Gemeinschaft bisher noch
chuldig geblieben.
Deshalb ist es richtig, einen kritischen Blick auf die
uropäische Union zu behalten, die starke Mitwirkung
es Deutschen Bundestages – auch ohne ein Urteil des
undesverfassungsgerichts, das übrigens soeben alle
lagen und Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen
at – bei allen europäischen Entscheidungen einzufor-
ern und realpolitische Entscheidungen zu treffen, die in
erantwortung für künftige Generationen ökonomisch
ernünftig und vertretbar sind. Es gibt immer einen An-
ng für das Bessere. Um mit Wolfgang Schäuble zu
prechen: Europa muss man richtig machen.
Danke.
Das Wort hat der Kollege Klaus Brandner von der
PD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenamen und Herren! Zunächst gestatten Sie mir, dass ichen Berichterstattern aller Fraktionen und insbesondereen Mitarbeitern des Haushaltsreferats des Auswärtigenmtes für die konstruktive, verlässliche und offene Zu-ammenarbeit in den letzten zwei Jahren danke. Dieseffene Zusammenarbeit, die vor allem von Kontinuitätnd Verlässlichkeit geprägt war, ist etwas, was man lei-er, sehr geehrter Herr Minister – der zurzeit auf Wan-erschaft ist –, von Ihnen nicht sagen kann.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14459
Klaus Brandner
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Gewichtige Persönlichkeiten wie zum Beispiel derAltbundeskanzler Helmut Kohl, der 16 Jahre zusammenmit zwei Ihrer Parteikollegen den außenpolitischen Kursder Bundesrepublik vorgegeben hat, bringt es auf denPunkt: Der Bundesregierung fehlt der außenpolitischeKompass. Das haben Sie, Herr Außenminister, leider ge-rade wieder bestätigt. Denn die Rede, die der Bundes-außenminister hier heute zu seinem eigenen Haushalt ge-halten hat, war alles andere als eine Rede über denHaushalt des Auswärtigen Amtes oder eine Bilanz derdeutschen Außenpolitik. Vielmehr war es eine Bewer-bungsrede als Parteivorsitzender.
80 Prozent der Rede waren Partei- und Finanzpolitik,und höchstens 20 Prozent waren Außenpolitik. Daszeigt: Sie empfinden die Debatte über Ihren eigenen Etatals unwichtig. Das scheint Ihrer Ansicht nach, HerrMinister, etwas für die kleinen Leute, die die Dollars undEuros zusammenkramen, zu sein; aber es eignet sichnicht zur Beratung in diesem Hohen Hause.Und das bestätigt sich im Übrigen sehr deutlich, wennwir auf die Entwicklung des Etats des Auswärtigen Am-tes blicken. Sie fahren mit Ihrem Etat einen ungeheuerli-chen Schlingerkurs, Herr Minister. Darüber ist heutenoch nicht gesprochen worden. Schauen wir uns einmaldie entsprechenden Zahlen an:Im Haushalt des Jahres 2010 gab es ein Plus von166 Millionen Euro; das sind 5,2 Prozent mehr. In 2011gab es ein Minus von 91 Millionen Euro; das entspricht2,8 Prozent weniger. In 2012 soll es wieder ein Plus von203 Millionen Euro geben; das sind 6,5 Prozent. In derVorausschau ist laut der Finanzplanung für das Jahr 2013wieder mit einem Minus von 180 Millionen Euro zurechnen, also 5,4 Prozent weniger. Mit einem solchenZickzackkurs kann man keine planbare und solide Au-ßenpolitik machen. Verlässlichkeit – das müssen wir Ih-nen, Herr Außenminister, sagen – sieht anders aus. Siemuss man auch an den Haushaltszahlen ablesen können.
Ich komme zurück zum Haushaltsentwurf 2012. Diesozialdemokratische Fraktion begrüßt ausdrücklich, dassder Etat um 203 Millionen Euro steigen soll; das sind6,5 Prozent mehr. Dies war nach dem Kahlschlag imletzten Jahr auch dringend notwendig. Gravierende Fehl-entwicklungen, die es im vergangenen Jahr gegeben hat,werden mit diesem Haushaltsentwurf wieder korrigiert.Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz deutlich sa-gen: Sie erfüllen damit die zentralen Forderungen derSPD aus dem letzten Jahr. Dies ist ein schönes Ergebnis.So stehen für Maßnahmen zur Sicherung von Friedenund Stabilität einschließlich humanitärer Hilfsmaßnah-men 83 Millionen Euro mehr zur Verfügung als im ver-gangenen Jahr.Konkret sind für die zivile Krisenprävention und dieFriedenserhaltung 32 Prozent mehr geplant. Für humani-täre Hilfe im Ausland sind 28 Prozent mehr Mittel ver-anschlagt als bisher. Die Mittel für Maßnahmen zurDemokratisierungshilfe und für die Förderung der Men-swwHNkugwtuuÄicdfrferekAßWsdkddnZadWRlinbtäuadsstifrOud
nd welche Vorkehrungen getroffen werden, dass sie inusreichendem Maße sichergestellt ist.
Drittens. Für das prestigeträchtige Sonderprogrammer Bundesregierung im Bereich Forschung und Bildungtehen 12 Milliarden Euro zur Verfügung. Diese Mittelind allgemein etatisiert. Aber im Haushalt des Auswär-gen werden ganz erhebliche Teile davon zweckent-emdet, um Haushaltslöcher zu stopfen. Das ist nicht inrdnung, und das zeigt: Dieser Haushalt ist nach wie vornterfinanziert; auch wenn insgesamt gesehen 2012 eineutlicher Aufwuchs zu verzeichnen ist.
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14460 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Klaus Brandner
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, das vergan-gene Jahr hat es insgesamt überdeutlich gezeigt: Ent-wicklungen wie die internationale Finanzkrise oder Er-eignisse mit epochalem Charakter wie die Umbrüche inder arabischen Welt stellen gerade das Auswärtige Amtvor außerordentliche Herausforderungen. Das Auswär-tige Amt sieht sich in einer stark wachsenden Verantwor-tung.Gerade deshalb sind Verlässlichkeit und finanziellePlanbarkeit gefragter denn je. Deshalb muss Schluss seinmit dem Zickzackkurs. Die deutsche Außenpolitikbraucht endlich wieder einen Kompass, an dem sie sichorientiert und der Verlässlichkeit von Deutschland aus indie Welt ausstrahlt.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Erika Steinbach von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! In dieser Debatte ist viel von Skandalen geredetworden. Nicht die Libyen-Entscheidung war ein Skan-dal. Ich unterstreiche sie ganz ausdrücklich.Ein Skandal – wie wir in dieser Woche nachlesenkonnten – war die Entscheidung der rot-grünen Bundes-regierung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer,Deutschland mit seiner Bundeswehr nach Afghanistanzu schicken, und zwar gegen den erklärten Willen derVereinigten Staaten von Amerika. Sie haben sich aufge-drängt. Heute müssen wir die Suppe auslöffeln, und wirwerden das verantwortungsvoll tun. Es lohnt sich wirk-lich, einmal all das nachzulesen, was damals vor sich ge-gangen ist.
Außenpolitik ist auch Menschenrechtspolitik. Bei alldem, was sich heute im nordafrikanischen Raum an be-grüßenswerten Revolutionen tut, muss sich aber erstnoch erweisen, wie und in welcher Qualität am Ende denMenschenrechten zur Durchsetzung verholfen wird. Ichglaube, mancher wird sich später angesichts dessen, wasdabei herauskommt, noch die Augen reiben.
Die Einhaltung von Menschenrechten ist für alle Län-der ein ethisches Fundament für eine demokratische,kulturelle und sogar für eine wirtschaftliche Entwick-lung. Es ist Teil auch deutscher Außenpolitik. Das inten-sive Engagement der deutschen Bundesregierung unddieses Parlaments für Menschenrechte ist ein wesentli-cher Teil einer wertegeleiteten Außenpolitik.Zu den brennenden und wirklich zutiefst bewegendenund verstörenden Fragen gehört der Umgang mit dembFAzdlibhAFbwkondguhtegeregtidMwdTZvngßddsOdPflInruM
udem wird heutzutage mit Menschenhandel mehr Gelderdient als mit Drogenhandel.Unweigerlich stellt sich natürlich die Frage: Wie kön-en wir helfen und unterstützen? Das muss vor Orteschehen; das macht die Bundesregierung. Durch Au-enpolitik kombiniert mit Entwicklungspolitik und För-ermaßnahmen kann man erreichen, dass dort vor Ortie Not gelindert wird. Es muss im Rahmen unserer be-cheidenen deutschen Möglichkeiten machbar sein, vorrt zugunsten der Flüchtlinge und Vertriebenen zu han-eln. Jedes Lager, das aufgelöst werden kann, ist einlus für die Menschen, die in diesen Lagern ihre Zu-ucht gefunden haben und dahinvegetieren.
Deutschland lassen sich diese Probleme nicht lösen.Vor diesem Hintergrund danke ich der Bundesregie-ng ausdrücklich, dass ihre Außenpolitik immer mitenschenrechtspolitik verknüpft ist.Danke schön.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14461
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Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Ruprecht Polenz von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieHaushaltsdebatte bietet traditionell die Möglichkeit einerGeneralaussprache, auch einer Standortbestimmung. Ichdenke, dass kein Ereignis in den letzten zehn Jahren dieaußenpolitische Situation auf der Welt so stark beein-flusst und verändert hat wie der 11. September 2001. Wirerinnern uns jetzt daran, zehn Jahre, nachdem die An-schläge auf das World Trade Center und auf das Penta-gon in Washington eine unglaubliche Sprengkraft entwi-ckelt haben. Die Anschläge selbst und die Reaktionendarauf haben die letzten zehn Jahre weltweit geprägt.Wir haben heute in einigen Beiträgen wieder überAfghanistan gesprochen. Ich darf daran erinnern: Wenndie Taliban seinerzeit Bin Laden ausgeliefert hätten– das war das Begehren der internationalen Gemein-schaft –, wäre die ganze Entwicklung, auch in Afghani-stan, anders verlaufen. Wir kennen die Geschichte, wirkennen die Opfer, an die wir heute noch einmal erinnerthaben, auch die Kosten. Wir sind jetzt, nach zehn Jahren,dabei, uns langsam militärisch aus Afghanistan heraus-zulösen. Ich halte dabei die Leitlinie „Übergabe in Ver-antwortung“ für richtig. Herr Mützenich, deshalb kannman keine Kalenderdaten angeben. Man muss es als ei-nen Prozess mit materiellen Kriterien verstehen; dennsonst wäre es in der Tat verantwortungslos.Der Außenminister hat zu Recht darauf hingewiesen,dass nach dem Ende des militärischen Engagements mitKampftruppen weiteres Engagement und weitere Hilfefür Afghanistan nötig sein werden. Das Ganze wird aber– da sollten wir uns nichts vormachen – nur funktionie-ren, wenn zwei politische Prozesse, die noch nicht voll-endet sind, zum Erfolg führen: zum einen der Prozess inAfghanistan selbst, also die Verständigung der verschie-denen Kräfte innerhalb des Landes, zukünftig in Friedenmiteinander auszukommen, zum anderen der regionaleProzess, sodass die Nachbarn Afghanistan nicht längerals ihr Hinterland, als ihr Spielfeld für Machtprojektio-nen und Furcht voreinander missbrauchen.Wir haben uns hier viel vorgenommen. Deutschlandwird in wenigen Wochen Gastgeber einer weiteren gro-ßen Afghanistan-Konferenz sein, wo genau hierfürwichtige Impulse gesetzt werden sollen. Ich wünsche Ih-nen, Herr Außenminister, viel Erfolg bei dieser wichti-gen Konferenz. Ich weiß, wie sorgfältig Sie und dasAuswärtige Amt diese Konferenz gegenwärtig vorberei-ten.Der 11. September hat auch zum Irakkrieg geführt.Infolge des Irakkrieges kam es zu Machtverschiebungenin der Region mit einer unerwünschten Nebenfolge,nämlich der Stärkung des Iran. Weil wir lange nichtmehr darüber gesprochen haben, möchte ich heute daraneddNRDcFfodwhw1dnngddAdsDWHswFDfoA„nfüelawnvredkWCPBmlaWß
ie Menschen in Arabien sind für Freiheit, Arbeit undürde und gegen autoritäre Machthaber und ungerechteerrschaft auf die Straße gegangen. Bin Laden hat ge-agt, wir können ungerechte Herrschaft nur durch Ge-alt loswerden. Deswegen ist der Erfolg der arabischenreiheitsbewegung die größte Niederlage für Bin Laden.
eshalb ist es so wichtig, dass diese Bewegung zum Er-lg führt. Das hat auch unmittelbare Bedeutung für dieuseinandersetzung, die wir unter der ÜberschriftKampf gegen den Terrorismus“ geführt haben.Wir haben im Sicherheitsrat immer wieder Anlauf ge-ommen, um beim Thema Syrien voranzukommen. Da-r möchte ich der Bundesregierung danken. Leider istin weiteres Vorgehen an der Haltung Chinas und Russ-nds gescheitert, aber auch Indien und andere Länderollten bisher noch nicht einsehen, dass der internatio-ale Druck auf Syrien zunehmen muss. Ich hoffe, dasson dieser Debatte und der weiteren Politik der Bundes-gierung Signale ausgehen, die dazu führen, dass auchie Syrer ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmenönnen. Dann hätten wir einen wichtigen Schritt getan.ir werden am Ende der Woche debattieren, welchehancen es gibt, dass der Prozess zwischen Israelis undalästinensern vielleicht doch noch vorankommt. Dieundesregierung treibt das aktiv voran. Ich bedankeich dafür. Die Generalaussprache hat gezeigt: Deutsch-nd in einem geeinten Europa für den Frieden in derelt – das ist die richtige Leitlinie für die deutsche Au-enpolitik.
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14462 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Ruprecht Polenz
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Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich
liegen nicht vor.
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanz-
lerin und des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04.
Als erster Redner hat das Wort der Fraktionsvorsit-
zende der SPD-Fraktion, Dr. Frank-Walter Steinmeier.
Frau Bundeskanzlerin, bei aller Schärfe der Aus-einandersetzung gehört es Gott sei Dank immer noch zurpolitischen Kultur unseres Landes, dass wir uns jenseitsder Rolle und jenseits der Funktion, die wir im politi-schen Betrieb innehaben, achten und respektieren. In dervergangenen Woche hat uns die Nachricht vom Tod Ih-res Vaters erreicht. Das ist ein tiefer Einschnitt. Ichmöchte Ihnen im Namen der gesamten Bundestagsfrak-tion unser tiefes Mitgefühl aussprechen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenKolleginnen und Kollegen! Dennoch: Es ist Haushalts-woche, und Demokratie – das wissen Sie alle – verlangtnun einmal den Wettstreit zwischen Regierung und Op-position. Es ist Aufgabe der Opposition, die Regierungzu kontrollieren, Fehler und Versagen aufzuzeigen undFinger in Wunden zu legen. Sie können erwarten, dasswir das mit Ernsthaftigkeit tun. Nur eines geht nicht, ver-ehrter Herr Finanzminister, verehrter Herr Schäuble: Siekönnen sich nicht wie gestern hier an das Rednerpult be-geben und sagen: Seht her! Alles prima! Toller Haushalt!Wir haben die Arbeitslosigkeit reduziert! Wir haben denStaatshaushalt wieder ins Gleichgewicht gebracht!
Klatschen Sie nicht zu früh. – Wen meinen Sie eigent-lich mit „wir“, Herr Finanzminister?
– Schön, dass Sie an dieser Stelle auch klatschen.Glauben Sie eigentlich ernsthaft, dass Ihr seit zweiJahren anhaltendes tägliches Koalitionschaos auch nurim Geringsten einen Beitrag dazu geleistet hat?
Wenn die Konjunktur gut läuft und die Steuereinnahmenwieder fließen, dann nicht wegen dieser Regierung, son-dern trotz dieser Regierung. Das wissen alle in diesemLande.–tesswWtoläBHsdglaIhdmgwtidwWLdKSßgw
Das gefällt Ihnen jetzt nicht ganz so gut. Das weiß ich.
Wenn das alles so toll ist, wie Herr Schäuble das ges-rn gesagt hat – Herr Fricke hat das mit seinem halb-tarken Auftritt von dieser Stelle aus auch noch unter-tützt –,
arum steht die Koalition dann so da?
enn das alles so toll ist und Sie alle miteinander solle Hechte sind, warum werden dann nicht schonngst die Sockel für Ihre Denkmäler gebaut?
austellen sehe ich viele, nur keine, bei denen es umeldenverehrung geht. Das kann ich Ihnen schon jetztagen.
Verehrt worden sind Sie allenfalls für das, was Sie vorer Wahl versprochen haben, aber nicht für das, was Sieetan haben. Sie haben massenhaft Enttäuschung hinter-ssen. Die Leute trauen Ihnen nichts mehr zu. Sie trauennen so, wie Sie jetzt dastehen, noch nicht einmal zu,ass Sie so bis 2013 weiterstolpern. Nicht einmal das,eine Damen und Herren!
Herr Schäuble, ganz ernsthaft: Sie persönlich verbie-en sich doch ein bisschen,
enn Sie auf die gemeinsamen Leistungen dieser Koali-on hinweisen. Ich will Ihren persönlichen Beitrag inen vergangenen Jahren überhaupt nicht bestreiten, aberas bitte ist denn der Beitrag Ihres Koalitionspartners?
o war die FDP in der Krise nach der Pleite vonehman Brothers? Was hat die FDP zur Überwindunger Krise getan? Sie mögen vielleicht, da Sie sich in deroalition befinden, ein bisschen nachsichtiger sein, Herrchäuble. Ich hingegen habe nichts vergessen. Hier sa-en sie alle, Herr Brüderle, Herr Westerwelle und deranze Rest der FDP, und haben gegen alles gestimmt,as uns aus dieser Krise herausgeführt hat.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14463
Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Wenn eine Partei keinen Grund hat, stolz zu sein aufdiese wirtschaftliche Lage und diesen Haushalt, dann istdas die FDP.
Die ganze Wahrheit ist – auch das kann ich Ihnen andem heutigen Tage nicht ersparen –: Wenn es Deutsch-land heute besser geht als den meisten unserer europäi-schen Nachbarn – das weiß inzwischen jeder außerhalbder Regierungsfraktionen –, dann – sagen Sie es ruhig;Sie wissen es doch auch –, weil wir unsere Hausaufga-ben lange vor den anderen gemacht haben und weil wireinen sozialdemokratischen Kanzler hatten, der gesagthat: Erst das Land und dann die Partei.
Ich gönne es Ihnen allen ja, weil es dem Land guttut. InWahrheit ernten Sie aber die Früchte dessen, was Sie niegesät haben. So ist es doch.
Herr Schäuble, ein Zweites zu Ihrer Rede von gestern:Ich stelle – das wissen Sie – Ihre europapolitische Hal-tung nicht infrage. Ich füge ausdrücklich hinzu: Das un-terscheidet Sie wohltuend von vielen anderen in den Re-gierungsfraktionen. Ich muss Ihnen aber auch sagen: Ichbin erstaunt, mit welchem Selbstbewusstsein Sie hiervortragen, was in der Europapolitik angeblich richtigund was angeblich falsch ist. Herr Schäuble, wenn einesin der ganzen Republik aufgefallen ist, dann, dass dieseRegierung vieles hat, nur keine gemeinsame Linie in derEuropapolitik. Die hat sie nun wirklich nicht.
Vermutlich ist das der tiefere Grund dafür, dass Sie,Herr Schäuble, sagen – das haben Sie auch gestern ge-sagt –: Bloß nichts überstürzen. Sie werben hier für einePolitik der kleinen Schritte. Was wir erleben, ist aberkeine Politik der kleinen Schritte. Das ist eine Politik desperiodischen Dementis. Das ist Ihre Europapolitik.
Ich werfe Ihnen gar nicht vor, dass Sie immer mitsechs Monaten Verzögerung auf die Linie gehen, die wirin diesem Parlament vertreten haben.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen eine kleine Er-innerungshilfe geben: Vor gut einem Jahr hieß Ihre Bot-schaft: Keinen Cent für Griechenland. – Daraus wurdenMilliarden Euro.
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Ich weiß nicht, ob Sie es selbst merken, aber keine Ih-r Botschaften hat länger als sechs Monate gehalten.as ist der tiefere Grund für den Verlust von Glaubwür-igkeit. Gestern sagten Sie mit scheinbar ganz großerlarheit: Mit uns gibt es keine Euro-Bonds. Sie dürfenich am Ende nicht wundern, wenn dies in der Öffent-chkeit geradezu als die Ankündigung von gemeinsa-en Anleihen verstanden wird.
Herr Schäuble, ich sage in aller Fairness: Diese kom-en; zum Beispiel mit dem Gesetz, das Sie selbst in die-em Deutschen Bundestag über den EFSF vorlegen. Esröffnet die Möglichkeit, dass eine europäische Einrich-ng – nicht die EZB – Anleihen auf dem Sekundärmarktnkauft. Was ist das anderes als genau solche gemein-ame Anleihen?
Herr Schäuble, ich sage es noch einmal: Dass diesort steht, werfe ich Ihnen nicht vor. Ich glaube auch,ass ein solches Instrument gebraucht wird. Dass Sieber gestern von diesem Pult aus noch einmal so tun, alseien Sie der letzte aufrechte Kämpfer gegen eine ge-einschaftliche Haftung, ist Ausdruck der Unwahrhaf-gkeit, über die ich rede.
Ich verstehe die Not, die man als Regierung manch-al hat, wenn es darum geht, die eigenen Leute bei dertange zu halten. Herr Schäuble, ich bin mir aber ganzicher, dass Sie wissen, dass Sie den Menschen etwasormachen, wenn Sie – wie gestern noch einmal – ge-einsame Anleihen völlig tabuisieren und Euro-Bonds jeglicher Form ausschließen. Auch dies sei an diesertelle gesagt: Sie wissen, dass Sie die Unwahrheit sagen,enn Sie – wie gestern hier – die Behauptung aufstellen,ie SPD sei für die unkonditionierte Einführung diesesstruments. Ich gebe Ihnen gern noch einmal meine In-rviews dazu. Ich sage Ihnen: Das geht nur dann, wennurchgriffsmöglichkeiten auf das Ausgabeverhalten je-er Staaten bestehen, die Hilfe in Anspruch nehmen. Le-en Sie das bitte im Spiegel nach.
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14464 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Sind Sie Spiegel-Leser? – Ich vermute: ja. HerrWesterwelle, lesen Sie es bitte nach.
– Das ist vielleicht Ihre Alternative. Ich würde nicht dieBundeswehr schicken, aber ich würde vielleicht auf ver-tragliche Anpassungen setzen.
Das sagt Ihr Finanzminister auch.Herr Schäuble, ich verstehe Ihre Rede von gesternhier in diesem Parlament, jedenfalls den Teil, der an dieOpposition gerichtet war, überhaupt nicht. Natürlich istes auch einem Finanzminister nicht verboten, den politi-schen Gegner zu beschimpfen, wie Sie das getan haben.Die Frage, die ich Ihnen stelle, ist nur: Ist das am Endewirklich klug? Ich habe angenommen, dass Ihr Bemühenhier im Bundestag darauf gerichtet sei, eine möglichstbreite Mehrheit unter den Fraktionen zu finden. Wenn esIhnen darum geht und wenn es Ihnen um Europa geht,dann müssten Sie hier in diesem Parlament eigentlichanders auftreten, dann müssten Sie um Zustimmungwerben. Ob das besser gelingt, wenn Sie diejenigen, dieIhnen für die EFSF Unterstützung signalisiert haben,auch noch vor den Kopf stoßen, das mag Ihr Geheimnisbleiben. Sie werden im Zweifel wissen, was Sie tun. Ichsage Ihnen nur: Die Rede, die Sie gestern hier gehaltenhaben, hätten Sie im eigenen Koalitionsausschuss haltensollen. Da sind Belehrungen notwendig, hier nicht!
So weit zu der gestrigen Einbringung.Nun ist es natürlich verführerisch, in dieser Haus-haltswoche noch einmal die ganze Bilanz dieser Regie-rung – vom Hoteliersprivileg über Guttenberg bis zumSkandal des Beitragsstopps für die Arbeitgeber bei derKrankenversicherung – anzuführen. Aber ich will michnicht lange damit aufhalten. Das sind Fehlleistungen amStück dieser Bundesregierung. Würde ich damit begin-nen, käme ich zu nichts anderem mehr. Ich habe es vondiesem Pult aus auch schon mehrfach getan. Das Urteilder Öffentlichkeit steht längst fest. Ich ahne, was Ihnenam meisten wehtut – Sie wissen es –: Keine Bundes-regierung hat jemals eine so katastrophale Halbzeit-bilanz abgeliefert wie Sie. Sie haben es zigfach in denZeitungen gelesen: Das ist die schlechteste Regierungseit Jahrzehnten.
Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
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nd das ist Ihr Nichthandeln. – Herr Kauder, dass Ihreraktion so viel Kauderwelsch redet, wundert michicht.Wir befinden uns mitten in der tiefsten Existenzkriseer Europäischen Union, wir leiden an den Folgewirkun-en einer Finanzkrise, die 2008 begonnen hat und nichtu Ende ist. Das alles verlangt Tatkraft der Regierung.ber Sie sitzen auf Ihren Händen und streiten, im Kern nicht einmal mit der Opposition, sondern untereinan-er; das war bis vorgestern Abend und bei der Probeab-timmung ganz offenbar.Ich erinnere mich an vergleichbare Debatten, die wir letzten Jahr hier zweimal geführt haben. Herr Kauder,uch da haben Sie sich zu Wort gemeldet. Sie haben ge-agt, es provoziere, wenn ich hier sage, dass das Nicht-andeln gefährlich ist und dass man die EZB in eine Si-ation bringt, handeln zu müssen, weil Regierungenicht handeln. Das haben Sie damals gesagt. Schauenie sich einmal heute das Ergebnis an!
nleihen im Wert von weit über 120 Milliarden hat dieZB aufgekauft. Warum? Weil politische Entscheidun-en der Regierungen, auch der deutschen Regierung,hlten, weil Mut fehlte und es keine Führung gab. Dast das Problem, in dem wir uns befinden.
Vor einem Jahr haben Sie noch so getan, als sei esusdruck von besonderer Klugheit oder gar Strategie.h sage Ihnen: Aus meiner Sicht gab es wahrscheinlichuch wegen des Ausfalls der Regierungen gar keine Al-rnative für die EZB. Aber eines bleibt am Ende sicher:as, was im letzten Jahr durch die Politik der EZB ge-chehen ist, ist der Aufbau von gemeinsamen Risikennd gemeinsamer Haftung. Das ist durch Nichthandelneschehen. Wir werden als Deutscher Bundestag nichtinmal die Möglichkeit haben, dazu irgendetwas zu sa-en oder in einem Ausschuss Entscheidendes dazu zueraten. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
Damit bin ich nur bei dem Punkt, dass Nichthandelntwas kostet. Nichthandeln hat aber vor allen Dingen ei-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14465
Dr. Frank-Walter Steinmeier
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nen politischen Preis, und dieser politische Preis ist Ver-trauen. Diesen Preis zahlt nicht nur eine Regierung inAgonie; deshalb dürfen Sie auch nicht allein darüberverfügen. Was hier vielmehr bedroht ist, das ist das Ver-trauen in Demokratie, wenn eine Regierung seit einemJahr so orientierungslos herumstolpert. Es darf Sie nichtwundern, dass 74 Prozent der Deutschen die Politik– nicht nur die Regierung, sondern die Politik – nur nochals Getriebene der Märkte sehen. Drei Viertel der Deut-schen trauen weder Regierung noch Parlament, also derPolitik insgesamt, zu, über die Geschicke unseres Lan-des wirklich zu befinden.
Das ist der alarmierende Befund, meine Damen und Her-ren. Über den müssen wir hier in diesem Hause reden,über nichts anderes.
Ich sage Ihnen voraus: Das hat Konsequenzen für Re-gierungspolitik. Wenn es uns nicht gelingt, wieder Re-geln an die Stelle von Regellosigkeit zu setzen,
wenn es uns nicht gelingt, Vernunft und Verantwortungwieder zu Maßstäben in der Politik zu machen, dannbleiben die Leute bei den Wahlen zu Hause, und das gehtan die Grundfesten der Demokratie. Das dürfen wir nichtzulassen, alle miteinander, unabhängig davon, ob wir ei-ner Regierungsfraktion oder der Opposition angehören.
Wie behauptet sich Politik gegen Märkte, die jedesMaß, jede Mitte verloren haben? Das Recht muss dochwohl den Markt regeln und nicht umgekehrt.
Da gibt es einige bei Ihnen, die von Freiheit sprechen,aber nicht sagen, dass ohne Regeln die Freiheit für diemeisten vor die Hunde geht. Das ist doch das Problem.
Ich habe das so verstanden: Um diese Ordnung derFreiheit geht es auch im heutigen Urteil des Bundesver-fassungsgerichts. Darum geht es auch bei den Beteili-gungsrechten des Parlaments im Hinblick auf die EFSF.Weil das eine Kernfrage ist, die das Selbstverständnisdieses Hauses berührt, erwarten wir von Ihnen, HerrKauder und Herr Brüderle, dass Sie gemeinsam mit uns,mit den Oppositionsfraktionen, nach Lösungen suchen,die von einer breiten Mehrheit in diesem Hause getragenwerden können.
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Die Zeitenwende, in der wir sind, dürfte auch an Ih-en nicht ganz vorbeigegangen sein. Früher haben Sieich über Attac und manch anderen Globalisierungsgeg-er aufgeregt. Nervös, mindestens nachdenklich müssteie doch machen, wenn Menschen wie Jürgen Heraeusder Franz Fehrenbach die Politik auffordern – am letz-n Wochenende geschehen –: Legt doch endlich maliese wild gewordenen Finanzmärkte an die Kette!
u denken geben müsste Ihnen auch, wenn Vermögende ganz Europa plötzlich dazu aufrufen: Besteuert uns!h weiß nicht, ob Sie es merken, Herr Kauder: Außernen gibt es in ganz Europa keine einzige Regierung,ie trotz Verschuldung in dieser Situation noch Steuer-enkungen verspricht. Das gibt es in Europa nicht!
Die Grundfrage nach dem Verhältnis von Politik undärkten, bei der ich bin, und die Selbstzweifel, die esiesbezüglich offensichtlich auch im bürgerlichen Lageribt, sind das, was Frank Schirrmacher bei seinem jüngs-n Aufsatz in der FAZ umgetrieben hat. Ich erwarte jaar nicht von Ihnen, dass Sie sagen:
ie Linke hat immer recht. – Das würde ja nicht einmalh sagen. Aber es sollte Ihnen doch zu denken geben,enn Schirrmacher zu dem Ergebnis kommt, dass derusammenbruch der Marktideologie nicht nur die FDP,ondern auch die CDU zu leeren Hüllen gemacht hat undass diese naive Marktgläubigkeit dazu geführt hat, dassie Ihr Wertegerüst schon lange vor der Finanzkrise ab-egeben und entleert haben. Da nützt Ihnen auch die Be-fung auf die Großväter der sozialen Marktwirtschaft,uf Walter Eucken oder Müller-Armack, nichts. Das istlles Geschichte, meine Damen und Herren. Aber das isticht Ihre Orientierung in der Gegenwart. Das ist Ihrroblem.
Dieses seit Herbst 2008 fortgesetzte Marktversagen,as wir erleben, bedeutet den Komplettverlust Ihres poli-schen Koordinatensystems. Die Wirklichkeit hat sich iniesen drei Jahren radikal verändert. In dieser neuen underänderten Wirklichkeit finden Sie sich ganz offenbaricht mehr zurecht. Sie irren von Raum zu Raum wie ininem schlechten Science-Fiction-Film, aber Sie findenicht in die Realität zurück. Das ist der Punkt.
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14466 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Das, was sich verändert, findet auch außerhalb unse-rer Grenzen statt. Die Gewichte, die Achsen verschiebensich. All das habe ich auch hier im Deutschen Bundestagschon beschrieben. Weil das so ist und weil auch ein gro-ßes und reiches Land wie Deutschland allein in dieserWelt nicht mehr zurechtkommt, verstehe ich nicht, dassSie zwischen europäischen Lippenbekenntnissen auf dereinen Seite und europaskeptischen Stammtischparolenauf der anderen Seite hin- und herschwanken.
Letzte Woche war bei uns Jacques Delors zu Gast. Erist keiner derjenigen, die sagen: Früher war alles richtig,und wir haben alles besser gemacht. – Aber eines hat erinteressanterweise schon gesagt: Das, was wir gegen-wärtig erleben, ist nicht die erste Krise der EuropäischenUnion. Nach dem Zusammenbruch des Systems vonBretton Woods waren wir in einer ähnlichen Situation.Damals haben sich Helmut Schmidt und Valéry Giscardd’Estaing zusammengesetzt und haben die Vorausset-zungen für ein neues Währungssystem in Europageschaffen. Als Helmut Kohl und andere für eine ge-meinsame Währung, für den Euro, kämpften, war dieMehrheit der Europäer noch dagegen. Ich sage damitnur: Europa braucht, um voranzukommen, diese Art vonMut und Ideen. Dieser Regierung fehlt es an beidem.Das ist der Punkt.
Die FTD gehörte nicht immer zu meiner Lieblings-lektüre. Ich kann mich daran erinnern, dass sie 2009 fürSie Wahlkampf gemacht hat. In dieser Woche habe icherstaunliche Wandlungen zur Kenntnis genommen: nichtnur, dass in dieser Zeitung massenhaft von der Enttäu-schung über diese Regierung zu lesen war, sondern auch,dass sie sich, was die europapolitischen Positionen an-geht, weitgehend an unserer Seite befindet. Sie sagt: Wirbrauchen eine klare Orientierung, um aus dieser Kriseherauszukommen. Wir brauchen eine Roadmap für eineWährungsunion, die diesen Namen wirklich verdient. –Das ist richtig, weil wir in den vergangenen Krisen nurauf diese Weise Resignation und Stillstand immer wie-der überwunden haben. Der Befund für heute ist: Daseuropäische Schiff treibt orientierungslos herum. AlleWelt wartet auf Berlin. Aus Berlin kommen dröhnendesSchweigen und Streit in der Koalition. Das wird nichtreichen.
Dröhnendes Schweigen auch bei der Regulierung derFinanzmärkte. Herr Kauder, ich sage es einmal positiv:Wir in der Großen Koalition waren uns über einen Satzeinig: kein Produkt, kein Akteur, kein Finanzplatz ohneAufsicht! Das haben wir damals gesagt. Die Frage ist janur: Was ist daraus geworden? Herr Schäuble, was istaus der ehrgeizigen Agenda von Pittsburgh geworden?WruWMuqSzLliVruwAmrünmRlaetuvRSPgAhWsdsa„FDAtahbF
Stattdessen handeln Sie mit der Schweiz ein Abkom-en aus, von dem jedenfalls ich glaube, dass es jedesechtsempfinden eines Steuerzahlers mit Füßen tritt.
Frankreich hat schon erklärt, dass es zu solchem Ab-sshandel nicht bereit ist – die Vereinigten Staatenbenso. Die USA haben der Schweiz gerade ein Ultima-m gestellt. Aber wir segnen das offenbar alles ab underzichten, wie ich gehört habe, sogar vertraglich auf dasecht, anonymen Hinweisen nachzugehen. Und diechweizer Banken reiben sich die Hände.Herr Schäuble, ich weiß nicht, ob Sie sich einmal dieresseerklärung der Schweizerischen Bankiervereini-ung angeschaut haben. Dort heißt es mit Blick auf dasbkommen mit Deutschland: Der Finanzplatz Schweizat mit dem Abkommen einen Meilenstein in seinerachstumsstrategie 2015 gesetzt. Die derzeitige wirt-chaftliche und regulatorische Entwicklung lassen fürie Finanzbranche auf eine anspruchsvolle Zukunftchließen. – Was „anspruchsvolle Zukunft“ heißt, stehtuch noch in dieser Presseerklärung: Man wolle jetztneue margenträchtige Produkte im Bereich Hedgeunds oder Private Equity aus der Schweiz“ anbieten.as ist das Ergebnis dieses Abkommens.Herr Schäuble, Sie können diesen Weg gerne gehen.ber ich sage Ihnen voraus: Die Mehrheit von Bundes-g und Bundesrat werden Sie dabei nicht an Ihrer Seiteaben.
Aber auch das passt am Ende alles ins Bild. Wir ha-en uns ja monatelang auch in diesem Haus über dierage der Gläubigerhaftung bzw. Gläubigerbeteiligung
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14467
Dr. Frank-Walter Steinmeier
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gestritten, also über den Beitrag, den Banken bei derEntschuldung von Notlagenstaaten zu leisten haben.Und Sie lassen sich von Herrn Ackermann und demBankenverband einen Vorschlag zur Gläubigerhaftungaufschwatzen, der am Ende doch nichts als reiner Etiket-tenschwindel ist.Wenn Sie die Wirtschaftspresse gelesen haben, wis-sen Sie: 30 Prozent Wertberichtigung waren bei denBanken lange eingepreist. Sie treffen jetzt eine gemein-same Vereinbarung der europäischen Staaten, nach deres nur 20 Prozent werden. Besser hätte das Geschäft fürdie Banken gar nicht sein können.
Ich sage Ihnen: Das kann und darf nicht das letzte Wortgewesen sein. Sonst verstehe ich die Welt nicht mehr.
Das ist alles schon schwer genug auszuhalten. Aberwenn sich alle diejenigen, die für dieses Desaster auchnoch mitverantwortlich sind, jetzt hinstellen und nachdem Motto „Haltet den Dieb!“ auf den verschwenderi-schen Staat schimpfen, dann fehlt mir jede Gelassenheit.Die Wahrheit ist doch eine ganz andere. Zuerst hat derStaat die Banken gerettet, und jetzt schwingen sich dieFinanzmärkte zum Richter über die Staaten auf. 2008hatten wir unter Peer Steinbrück gesamtstaatlich schoneinen ausgeglichenen Haushalt. Ohne den Bankenret-tungsschirm säßen viele dieser Besserwisser in Nadel-streifen heute auf der Straße, meine Damen und Herren.
Mir geht es überhaupt nicht um Banker-Bashing. Esgibt viele gute Leute darunter. Aber ein wenig Innehal-ten, ein wenig Nachdenklichkeit – –
– Herr Fricke, die Antwort, nur auf die Landesbanken zuverweisen, ist zu einfach. Natürlich sind sie auch einProblem; das gebe ich zu.
Aber was ich über die Banker sage, gönne ich auch Ih-nen: Ein bisschen Innehalten, ein bisschen Nachdenk-lichkeit und manchmal ein bisschen Demut – das dürftenicht zu viel verlangt sein.
Es sollte erst recht nicht von denjenigen zu viel verlangtsein, die sich in den letzten Jahrzehnten als Heerscharenvon Chefvolkswirten, Finanzmarktexperten und Anlage-beratern getummelt haben und denen nur eines gemein-sam ist, nämlich dass sie sich alle geirrt haben und nichtswussten, als es darauf angekommen ist.
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Meine Damen und Herren, wer auch immer nach Ih-en regiert, übernimmt ein schweres Erbe. Ich kannicht verstehen, dass in dieser Situation, in der wir zuecht über Verschuldung diskutieren, nicht auch auf dasigene Land geschaut wird. Ich verstehe nicht und kannicht billigen, dass in einer Situation, in der wir nochicht entscheidend von unserem Schuldenstand herun-rkommen, weiterhin gegenüber der Öffentlichkeit,ein, gegenüber der eigenen Klientel mit Sperenzchenie Steuersenkungen gearbeitet wird.
Es bleibt dabei: Sie haben keine klare Sicht auf eineomplett veränderte Wirklichkeit. Sie finden sich nichtarin zurecht. Sie haben auch keine Sprache dafür. Eseißt immer noch: „Steuern runter!“, „Mehr Netto vomrutto“ und „Markt statt Staat“. Sie haben immer nochie falsche Sprache. Sie haben das falsche Programm,nd Sie haben das falsche Personal.Sie sind aus der Zeit gefallen. Sie haben den Kontaktur Wirklichkeit verloren. Für Deutschland ist jeder Mo-at, den dieses Drama früher zu Ende geht, ein Gewinn.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine Damen und Herren! Herr Steinmeier, nach Ihrerede ist es dringend Zeit, die Dinge wieder ein bisschenu ordnen.
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14468 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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Ihre Rede war konfus. Anders kann ich das nicht be-schreiben. Wir arbeiten daran, Deutschland nach vorn zubringen. Das ist unsere Aufgabe,
und darüber werden wir jetzt sprechen.
Seit mehr als drei Jahren bestimmt die internationaleFinanz- und Wirtschaftskrise täglich die Schlagzeilen.Sie beeinflusst die Wirtschaft und den Arbeitsmarktnicht nur bei uns, sondern weltweit. Sie beeinflusst denAlltag der Menschen, und sie beeinflusst natürlich auchdie Arbeit von Regierung und Parlament.Was mit einer Bankenkrise begann, setzte sich in ei-ner Krise der realen Wirtschaft fort. Diese wurde durchKonjunkturprogramme abgefedert. Heute haben wir eineverstärkte Verschuldung der Staaten. Das genau ist dasUmfeld, in dem die christlich-liberale Bundesregierunginnerhalb von zwei Jahren ein Arbeitsprogramm bewäl-tigt hat, von dem man mit Fug und Recht sagen kann:Das hätte bei anderen für mehr als eine Legislaturpe-riode gereicht.
Wir können heute sagen: Deutschland geht es imSommer des Jahres 2011 gut. Das ist Grund zur Freude.
Wenn wir uns die wirtschaftliche Lage anschauen, dannstellen wir fest: 2009 Wirtschaftseinbruch von 5,1 Pro-zent, letztes Jahr Rekordwachstum von 3,7 Prozent.Auch in diesem Jahr werden wir ein gutes Wachstum ha-ben. Wir haben das Vorkrisenniveau wieder erreicht –schneller, als wir dachten. Bei allen Warnsignalen be-züglich der Weltwirtschaft können wir sagen: Wir sehenkeine Anzeichen für eine Rezession. Das, was wichtigist, auch für Europa, ist: Deutschland ist wieder dieWachstumslokomotive in der Europäischen Union. Auchdarauf können wir stolz sein. Wir leisten damit unserenBeitrag.
Was viel wichtiger ist, als dass es nur der Wirtschaftgut geht, ist, dass es den Menschen besser geht. Wirkonnten den Aufschwung so gestalten, dass er den Men-schen zugutekommt. Die Zahl der Arbeitslosen liegt sta-bil unter 3 Millionen. Nun muss man nicht nachkarten,aber man wird es wenigstens sagen dürfen, dass meingeschätzter Vorgänger versprochen hat, die Zahl der Ar-beitslosen auf 3 Millionen zu senken, er aber mit 5 Mil-lionen Arbeitslosen aus dem Amt geschieden ist, wohin-gegen die christlich-liberale Koalition die Zahl derArbeitslosen auf unter 3 Millionen senken konnte. Dasist die Wahrheit.
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Wir haben die Bankenabgabe eingeführt, damit in Zu-unft nicht der Steuerzahler zahlen muss. Wir haben inuropa verschiedene Regelungen eingeführt, die ichicht alle aufzählen will. Dass wir bis heute keine euro-äische Richtlinie zum Derivatehandel haben, ist einanko. Deutschland macht Druck, und das werden wiruch weiterhin tun.
ber zur Wahrheit gehört auch: Finanzmärkte arbeitenternational. Deutschland ist dabei eine wichtigetimme; die bringen wir ein. Aber allein können wir es
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14469
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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nicht entscheiden, und deshalb sind wir froh über jeden,der mit uns gemeinsam Druck macht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe vor derBundestagswahl gesagt: Deutschland soll stärker aus derKrise herauskommen, als es hineingegangen ist. Wirkönnen heute sagen: Wir haben unser zentrales Wahlver-sprechen gehalten.
Deutschland geht es so gut wie lange nicht. Jetzt, in bes-seren Zeiten, geht es darum, die Fundamente zu stärken.Das zentrale Thema ist die Haushaltskonsolidierung. Dagab es gestern hier ein bisschen Geschrei. Wir hatten imJahre 2010 die Furcht – weil wir die Krise auch mithilfevon Steuergeldern bewältigt haben –, ein Defizit von86 Milliarden Euro zu haben. Wir können froh sein, dasses in diesem Jahr 30 Milliarden Euro sein werden unddass es im nächsten Jahr 27 Milliarden Euro sein sollen.Das heißt, wir sind auf einem guten Weg.Es war richtig, die Schuldenbremse einzuführen. Wirkönnen in diesem Jahr die Defizitkriterien wieder einhal-ten. 1,5 Prozent gesamtstaatliches Defizit, das ist ein gu-tes Ergebnis, auch für Europa. Aber wir dürfen unsnichts in die Tasche lügen: Mit 83 Prozent gesamtstaatli-cher Verschuldung haben wir noch einen weiten Weg voruns, um die 60-Prozent-Grenze der Maastricht-Verträgewieder zu erreichen. Da ist die vielleicht nicht so beach-tete, aber trotzdem wichtige Aussage, dass wir mit80,5 Prozent jetzt die Trendumkehr von 83 Prozent er-reichen werden, mindestens so wichtig wie das tempo-räre gesamtstaatliche Defizit. Denn es geht darum – dasist das eigentliche Thema –: Wie können Staaten die ak-kumulierte Verschuldung über Jahrzehnte wieder ab-bauen?Es war richtig, dass wir im vergangenen Jahr ein Zu-kunftspaket für den mittelfristigen Finanzplanungszeit-raum mit 80 Milliarden Euro Einsparungen aufgelegt ha-ben. Das war nicht leicht. Darüber gab es auchDiskussionen; aber es war richtig. Wir haben gezeigt:Sparen geht, ohne die Konjunktur abzuwürgen. Es istrichtig und gut, dass wir die Schuldenbremse einhalten.
Nun ist es so – das mag für Sie ärgerlich sein –, dassSie im Bund nicht an der Regierung beteiligt sind. AberSie könnten Ihren nationalen Beitrag zur ZukunftDeutschlands dort leisten, wo Sie Verantwortung tragen.Was ist denn da mit Schuldenabbau? Nordrhein-West-falen: verfassungswidriger Haushalt, einmal beklagt,einmal für unrichtig erklärt; sofort folgt der nächste ver-fassungswidrige Haushalt.
Rheinland-Pfalz: In der Regierungszeit von Herrn Becksind zwei Drittel der Gesamtschulden angehäuft worden,ujeInvsreIctrmfoicZuLtusaIcwüwIcngägwGstrdggDgTuJgsdv
h sage: Machen Sie doch dort, wo Sie Verantwortungagen, erst einmal Ihre Hausaufgaben, und dann kom-en Sie zurück. Das wäre die richtige Arbeitsreihen-lge.
Meine Damen und Herren, in normalen Zeiten würdeh jetzt darüber sprechen, wie wir die Fundamente derukunft bauen, wie wir Wachstum fördern, in Bildungnd Forschung investieren, den Zusammenhalt unseresandes stärken. Ich würde über maßvolle Steuerentlas-ngen sprechen, weil es der Steuergerechtigkeit ent-pricht, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerm Wachstum über mehr Erwerbslohn beteiligt werden.h würde über unser Energiekonzept sprechen, darüber,ie wir das durchsetzen – mit einem Monitoring –,
ber Forschung und Bildung, wofür wir so viel ausgebenie keine Bundesregierung jemals zuvor.
h würde über die Pflegereform sprechen, die wir in denächsten Monaten auf den Weg bringen, über die Demo-rafiestrategie, die die Antwort auf die Fragen des ver-nderten Altersaufbaus – das große nationale Problem –ibt, über die Reform der Bundeswehr und darüber, wieir die Kommunen entlastet haben, indem wir dierundsicherung übernehmen.Wir leben aber nicht in normalen Zeiten. Deshalbage ich: Wir stehen vor Herausforderungen, die man ge-ost historisch nennen kann. Ich will nicht sagen, ob esie schwerste oder eine der schweren Herausforderun-en Europas ist; aber wir können sagen: Deutschlandeht es gut. Wir wissen jedoch: Deutschland kann aufauer nicht erfolgreich sein, wenn es nicht auch Europaut geht.
Wir, die Bundesrepublik Deutschland, sind zentralereil der Europäischen Union. Deutschlands Zukunft istntrennbar mit der Zukunft Europas verbunden. Nachahrhunderten langer Kriege war die europäische Eini-ung Garant und Schrittmacher für eine dauerhafte Aus-öhnung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dassies erfolgreich gelungen ist, war alles andere als selbst-erständlich. Auf dieser Grundlage konnte der Wiederauf-
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bau eines zerstörten Kontinents gelingen, auch mithilfedes Marshallplans der Amerikaner in einer ganz schwie-rigen Situation. Auf dieser Grundlage konnte transatlan-tische Partnerschaft entstehen. Auf dieser Grundlagekonnten die Völker Europas nie da gewesenen Wohl-stand erwirtschaften. Auf dieser Grundlage konnte dieWiedervereinigung Deutschlands sowie die EinigungEuropas stattfinden.Daraus ergibt sich unsere heutige Verpflichtung ge-genüber den Gründervätern unseres Landes und diesesEuropas; das sage ich auch sehr persönlich. Die Grün-derväter haben mit ganzer Kraft, mit Mut, mit Ideen undmit vielen Risiken Europa gebaut.
Sie haben es nicht nur für sich getan, sondern vor allenDingen für zukünftige Generationen. Jetzt, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, ist es an uns, im 21. Jahrhundertdiese Erfolgsgeschichte fortzuschreiben, unseren Kin-dern und Enkeln ein intaktes Europa zu übergeben, undzwar nicht in einer Welt, wie es 1950 war, von 2,5 Mil-liarden Einwohnern, in der die Dominanz Europas undder Vereinigten Staaten von Amerika schon durch dieBevölkerung viel klarer war, sondern in einer Welt von7 Milliarden Einwohnern mit einer Vernetzung der Wirt-schaft, wie wir sie nie gekannt haben, und, durch die7 Milliarden Einwohner, mit einem Verbrauch und Ge-brauch von natürlichen Ressourcen, wie es an vielenStellen eine Überstrapazierung dieser Welt ist.Seit bald zehn Jahren können die Menschen in Berlinund Paris, in Rom und Lissabon mit einer gemeinsamenWährung bezahlen. Das ist der Euro. Die Geschichtesagt uns: Länder, die eine gemeinsame Währung haben,führen nie Krieg gegeneinander. Deshalb ist der Euroviel, viel mehr als nur eine Währung.
Der Euro ist der Garant eines einigen Europas, oder an-ders gesagt: Scheitert der Euro, scheitert Europa.
Weil ein Europa der Demokratie und der Freiheit unsereHeimat ist, darf der Euro nicht scheitern, und er wirdnicht scheitern.
Aber wenn ich auf der einen Seite von einer derschwersten Krisen Europas spreche und gleichzeitig vonunserem unbedingten deutschen Interesse an einem star-ken Europa, dann ergibt sich doch daraus die zentraleAufgabe dieser Legislaturperiode. Die zentrale Aufgabedieser Legislaturperiode heißt: So wie Deutschland stär-ker aus der Krise herausgekommen ist, als es hineinge-gangen ist, muss jetzt auch Europa stärker aus der Kriseherauskommen, als es hineingegangen ist.
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ann mit einem Weiter-so nicht bekämpft werden. Einrundsätzliches Umdenken ist nötig. Wir müssen nach-altig wirtschaften und nicht mehr auf Kosten zukünfti-er Generationen.
as muss jetzt zur Erkenntnis aller 17 Staaten werden,ie durch eine gemeinsame Währung verbunden sind;enn auf der einen Seite sind wir durch die gemeinsameährung untrennbar miteinander verbunden, und auf
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der anderen Seite – das ist die Rechtssituation – hat jedeseinzelne dieser 17 Länder die Haushaltshoheit, kann alsoseinen Haushalt auf Basis nationaler Entscheidungenaufstellen.
Genau das entspricht im Kern dem, wenn gesagt wird:Wir haben keine politische Union. Mit dieser Frage müs-sen wir uns auseinandersetzen, und in dieser Situationmüssen wir die richtigen Antworten finden.Was sagen jetzt die Sozialdemokraten und die Grü-nen?
Die Sozialdemokraten und die Grünen sagen: Wir brau-chen in dieser Situation Euro-Bonds. Wenn ich aber nungenau die Situation habe, dass ich auf den Haushalt eineseinzelnen Mitgliedstaats des Euro-Raums keinen Ein-fluss habe, kann es doch nicht angehen – das ist aber IhreAntwort –, dass ich die Schulden in einen Topf werfeund den einzigen Indikator, den ich in diesem Wäh-rungssystem noch habe, nämlich die Zinssätze, verge-meinschafte.
Reden Siemal in Ihre Richtung!)Das ist mit Sicherheit die falsche Antwort, und das zeigt,dass Sie Ihre Fehler fortsetzen.
Nun lese ich heute in der Zeitung von dem einen undhöre hier im Bundestag von dem anderen, dass Sie, auchangesichts des Bundesverfassungsgerichtsurteils, jetzteine Umdefinition der Euro-Bonds vornehmen wollen.Bei Ihnen ist das jetzt nur noch ein Instrument, das fürKrisenländer gemeinschaftlich, vielleicht im EFSF, ver-waltet wird. Dann sagen Sie das aber auch.
Euro-Bonds sind ja definiert – bis heute war das auchnach Ihrem Verständnis so; das ist auch überall außer-halb der Fraktion der Sozialdemokratischen ParteiDeutschlands im Deutschen Bundestag nach wie vor so –als Vergemeinschaftung der Schulden und Einführungeines einheitlichen Zinssatzes für alle.
Das ist die falsche Antwort.
Deshalb werden wir diesen Weg nicht mitgehen.VfünbliKUawgHliStuNsWDsaDwsbwDwhsGmuinhsn
ielmehr geht es darum, dass wir uns auf die Haushalts-hrung jedes einzelnen Mitgliedstaates verlassen kön-en.Euro-Bonds sind der Weg in die Schuldenunion. Wirrauchen eine Stabilitätsunion. Daran arbeitet die christ-ch-liberale Koalition.
eine Generation kann sich ihre Aufgabe aussuchen.nsere Gründerväter mussten ein zerstörtes Deutschlandufbauen und die Erbfeindschaft mit Frankreich über-inden. Unsere Aufgabe ist es nun, den Weg aufzuzei-en, wie eine Stabilitätsunion erreicht werden kann.
ierbei gibt es eine Grundüberzeugung, die die christ-ch-liberale Koalition leitet. Sie lautet: Wir brauchenolidarität und Eigenverantwortung, Eigenverantwor-ng und Solidarität.
icht derjenige, der sofort hilft und jeder Hilfsanfrageofort nachgibt, hat recht, sondern derjenige, der deneg zur Stabilitätsunion aufzeigt.
a hat das Bundesverfassungsgericht uns heute Morgen,oweit ich das in der knappen Zeit überblicken konnte,bsolut bestätigt.
as Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Eigenverant-ortung und Solidarität in einer transparenten, durch-chaubaren Art und Weise, natürlich mit absoluter Mit-estimmung des Parlaments. Das ist genau der Weg, denir gegangen sind.
er dauert manchmal etwas länger und ist zuweilen et-as komplizierter, aber es ist der richtige Weg.Sie können doch sehen, was wir in den letzten andert-alb Jahren erreicht haben. Wir können nicht zufriedenein mit den neuesten Meldungen aus Griechenland.riechenland muss Strukturreformen durchführen. Esuss transparente Strukturen in seinem Land schaffen,nd es muss natürlich – das wird auch immer gesagt –vestieren. Geld ist vorhanden in Europa. Griechenlandat 70 Prozent der Mittel seiner Strukturfonds und Kohä-ionsfonds gar nicht abgerufen. Auch für Portugal stehtoch Geld zur Verfügung.
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Es geht um Strukturen, mit denen man Wachstum gene-rieren kann, und die sind nicht ausreichend vorhanden.Sie sagen immer, dass das Polemik gegen irgendwel-che Länder sei. Meine Damen und Herren, so wie wiruns hier auseinandersetzen, so muss das auch in einemEuropa mit einer Währung stattfinden. Alle Problemeunter den Tisch zu kehren und von Solidarität zu reden,wird uns nicht zu einer Stabilitätsunion bringen. Das istdie Wahrheit.
Deshalb war es richtig, dass wir durchgesetzt haben,dass es Hilfen nur unter strengen Auflagen gibt. Das istdas erste Prinzip, das wir durchgesetzt haben.
Wir haben zweitens durchgesetzt, dass neben der Bewäl-tigung der Krise endlich auch die Ursachen angegangenwerden. Deshalb haben wir mehr Wachstum und mehrWettbewerbsfähigkeit im neuen Stabilitäts- und Wachs-tumspakt niedergelegt. Wir haben ihn nicht aufgeweicht,sondern verstärkt. Ich hoffe, dass die letzten Einigungenmit dem Europäischen Parlament erfolgen. Da geht esnicht nur um das temporäre Defizit, sondern es wird inZukunft auch um die Gesamtverschuldung und die ma-kroökonomische Leistungskraft eines Landes gehen.Das sind genau die Kriterien.Wir haben mit dem französischen Präsidenten allesausgelotet, was unter der jetzigen Vertragssituation anverbindlichen Absprachen möglich ist.
Da habe ich eine Bitte an den Deutschen Bundestag:Wenn wir unseren Haushalt nach Europa schicken undim Rahmen des Europäischen Semesters Kommentareder Europäischen Kommission mit Blick auf die Erfül-lung des Stabilitäts- und Wachstumspakts für jedes ein-zelne Mitgliedsland abgegeben werden, müssen sichauch alle anderen Euro-Staaten verpflichten, diese Kom-mentare zu befolgen, damit sicher ist, dass der Stabili-täts- und Wachstumspakt erfüllt wird.
Wir haben gesagt: Wir wollen, dass alle Länder, ähn-lich wie wir es in Deutschland gemacht haben – da wa-ren wir Vorreiter –, eine Schuldenbremse in ihre Verfas-sung aufnehmen.
Wir haben dabei unerwartete Fortschritte erzielt. Frank-reich denkt darüber nach, Spanien hat es gemacht, Portu-gal ist offen, und Italien macht es jetzt auch. Mit derAussage „Das geht alles nicht“ kann man natürlich keinenSKudmWmswtausgdGdinkuWnwsrudEjesENvwfüuDEcDdssus
m diejenigen zur Einhaltung des Stabilitäts- undachstumspakts zu zwingen, die das nicht können odericht wollen. Deshalb sage ich auch: Wenn wir Europaeiterdenken und wenn wir mehr zukunftsfähiges undtarkes Europa wollen, dann dürfen auch Vertragsände-ngen kein Tabu sein, um ein Mehr an Verbindlichkeitafür zu erreichen.
s gehört zu den Paradoxien, dass die Nichteinhaltungder Richtlinie, beispielsweise aus Bereichen wie Wirt-chaft oder Umwelt, zu einer Verurteilung durch denuropäischen Gerichtshof führt, aber ausgerechnet dieichteinhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktesom Europäischen Gerichtshof gerade nicht verfolgterden darf. Darüber müssen wir nachdenken. Wir sindr ein solches starkes Europa, weil wir eine Stabilitäts-nion wollen.Wir werden Risiken eingehen müssen.
as wird kein einfacher Weg sein. Wir brauchen mehruropa; aber wir müssen es vernünftig und richtig ma-hen. Wir müssen den Menschen auch ganz klar sagen:ie heutigen Probleme wie die übermäßige Verschul-ung sind in Jahrzehnten aufgewachsen. Diese lassenich nicht mit Schlagwörtern wie Euro-Bonds oder Um-chuldung mit einem Paukenschlag einfach wegwischen,nd alles wird wieder gut. Nein, das wird ein langer undchwieriger, aber für die Zukunft richtiger Weg in eine
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zukunftsfähige Europäische Union. Diesen Weg wollenwir gemeinsam gehen.
In Europa leben 500 Millionen Menschen. Wir wis-sen: Die Welt wandelt sich. Sie wandelt sich nicht nur imwirtschaftlichen Bereich. Dort haben wir eine Situation,in der keiner mehr sozusagen aus sich selbst heraus al-leine stark sein kann. Das ist die Botschaft. Schauen Sieauf die Schweiz. Sie hat gestern den Wechselkurs ihrerWährung faktisch an den Euro gekoppelt; denn dieStärke der Schweiz wird zu ihrer eigenen Schwäche,wenn sie sich nicht in das gesamte globale Gefüge ein-ordnet. Das ist die Lehre. Deshalb ist der Euro richtig.
Die Weltwirtschaft ist wie ein feingesponnenes Netz.Wer da an irgendeiner Stelle irgendeinen Faden kappt,der kann das ganze Netz zum Einreißen bringen. Des-halb müssen all diejenigen, die jetzt mit EFSF, ESM undalldem nicht einverstanden sind, eines wissen: Wir ha-ben keine theoretische Diskussion am Reißbrett darüber,wie wir uns eine politische Union vorstellen,
sondern wir haben eine Situation, in der es darum geht,eine eng verwobene Weltwirtschaft auf einen vernünfti-gen Pfad der Stabilität zu führen. Deshalb muss jeder un-serer Schritte kontrolliert sein.
– Nein, Herr Gabriel, ich halte hier eine Rede vor allenAbgeordneten des Deutschen Bundestages.
– Wenn Sie mir Ihre geschätzte Aufmerksamkeit nocheinmal schenken würden.
Die Art und Weise, wie Sie über Umschuldung im euro-päischen Raum sprechen – unkontrolliert und ohne jedeBasis dafür –, ist genauso verantwortungslos wie Äuße-rungen über Euro-Bonds. Auch das gehört zur Wahrheit.
Wir glauben, dass die Staaten die Fähigkeit erlernenmüssen – genauso wie es bei den Banken der Fall war –,mit Insolvenzproblemen umzugehen.DteAuspDsazdDs–ütuDesdawdveMwwdDisE
eshalb haben wir uns für die Schaffung des permanen-n Rettungsschirms eingesetzt.
ber wir können nicht Schlagwörter in die Welt setzen
nd uns anschließend wundern, dass wir damit die ge-amte Finanzwelt verunsichert haben. Das reicht für Op-ositionsarbeit, aber nicht zum Regieren.
as verstehe ich unter einem kontrollierten Prozess.
Wie gesagt: Die Welt wandelt sich, und sie wandeltich nicht nur im ökonomischen Bereich. Wir habenuch gesehen, dass die Freiheit weiter auf ihrem Sieges-ug ist – in diesem Jahr im arabischen Raum. Der Bun-esaußenminister hat über die Verantwortung, dieeutschland in diesem Zusammenhang übernimmt, ge-prochen.
Genau. – Wir werden sehr entschieden von Ägyptenber Tunesien bis Libyen und Syrien unserer Verantwor-ng gerecht werden.
as werden sehr lange Prozesse sein. Dabei wird es aufinen langen Atem ankommen, um den jungen Men-chen in diesen Ländern Hoffnung zu geben und Ausbil-ungspakte zu schließen. All das ist auf dem Weg, undll das stärkt die Demokratie.
In vier Tagen jährt sich der 11. September. Auch dasird uns noch einmal daran erinnern, wie sich die Be-rohungslage zum Anfang des 21. Jahrhunderts weltweitöllig verändert hat. Weil der islamistische Terrorismusine völlig neue, asymmetrische Bedrohung ist, in derenschen ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen, ist es soichtig, dass wir stabile Staaten bauen helfen.Das ist unsere Aufgabe in Afghanistan. Im Dezemberird in Bonn die Afghanistan-Konferenz stattfinden, aufer wir über die Zukunft diskutieren. Wir haben erlebt:er Kampf gegen den Terrorismus ist nicht einfach. Est nicht so einfach, ein stabiles Afghanistan aufzubauen.s war Anfang der 90er-Jahre nicht so einfach, ein stabi-
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les Somalia aufzubauen. Es ist nicht so einfach, die Pira-terie zu bekämpfen.
Wir haben den Sieg über den Kalten Krieg errungen – dakönnen Sie lachen –; aber wir haben es noch nicht ge-schafft, die asymmetrischen Bedrohungen in vollemUmfang in den Griff zu bekommen. Die Antwort derBundesregierung ist: Es wird nicht allein militärisch ge-lingen – die militärische Option kann nicht ausgeschlos-sen werden –, sondern es bedarf immer eines vernetztenVorgehens, einer vernetzten Sicherheitskonzeption, umFrieden und Stabilität auf der Welt zu erreichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, selten hat es soviele Krisen und Großereignisse in so kurzer Abfolgegegeben,
wie wir das in den vergangenen Jahren erlebt haben. Sel-ten gibt es die eine Antwort, die eine Lösung, auch wennuns das so viele Experten jeden Tag vorgaukeln wollen.Aber immer gibt es eine Aufforderung, der insbesonderedie Regierung nachzukommen hat: entschlossen wie be-sonnen den richtigen Weg für unser Land zu finden,
stets das Ganze im Blick und für das Gemeinwohl mitgenau dieser Richtschnur.Die christlich-liberale Koalition will ein Deutschland,das wirtschaftlich stark ist, das auf seine Menschen setzt,das seine soziale Verantwortung kennt, das internationalan der Spitze steht und das Verantwortung für Europaund die Welt übernimmt – ein Deutschland also, dasmenschlich und erfolgreich ist.
Dafür arbeiten wir, und das mit aller Kraft.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun der Fraktionsvorsitzende der Lin-
ken, Dr. Gregor Gysi.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren von Union und FDP, ich be-
danke mich für Ihren langen Begrüßungsbeifall. Abgese-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit dieserRsünuewvIcaDisd2EgSkdDisruteEOgredtuKkgH
Frau Bundeskanzlerin, ich hatte gehofft, dass Sieichts zu Berlin sagen. Aber Sie haben etwas zu Berlinnd der Verschuldung gesagt. Deshalb muss ich Ihnenines ganz klar sagen: Die Verschuldung Berlins ist nunirklich von Eberhard Diepgen und Klaus Landowskyon der Union verursacht worden.
h sage einmal: SPD und Linke haben diesen Karrenus dem Dreck gezogen. Das ist die Wahrheit.
ass Berlin jetzt sogar eine Hauptstadt und Metropolet, liegt nur an den Linken.
Ich komme zu einer Rede des Bundespräsidenten,ie er am 24. August 2011 gehalten hat. An diesem4. August hat er gesagt:Politik muss ihre Handlungsfähigkeit zurückgewin-nen. Sie muss sich endlich davon lösen, hektischauf jeden Kursrutsch an den Börsen zu reagieren.Sie muss sich nicht abhängig fühlen und darf sichnicht am Nasenring durch die Manege führen las-sen, von Banken, von Ratingagenturen …ine härtere Kritik eines Bundespräsidenten an einer Re-ierung und einer Koalition habe ich selten gehört.
ie gehen überhaupt nicht darauf ein.
Der Bundespräsident erklärt damit, dass die Demo-ratie gefährdet ist. Das sagt übrigens ein Bundespräsi-ent erstmals in der Geschichte der Bundesrepublikeutschland seit 1949. Ich sage Ihnen: Die Demokratiet nicht nur gefährdet; wir haben es wirklich mit Zerstö-ng zu tun. Der frühere Kanzler Kohl hat eine vernich-nde Kritik an der Kanzlerin und ihrer Koalition geübt.r hat gesagt, es gebe keinen Kompass, also keinerientierung, keine Grundwerte, keine Grundüberzeu-ungen. Verstehen Sie, ich muss immer Ihre Leute zitie-n, weil Sie uns nicht glauben; aber wahr ist es trotz-em.
Wir haben es in Wirklichkeit mit etwas anderem zun, Frau Bundeskanzlerin – ich bitte Sie, das einmal zurenntnis zu nehmen –: Wir haben es mit einer System-rise zu tun, mit einer Diktatur der Finanzmärkte. Dieroßen privaten Banken, Fonds, Versicherungen undedgefonds machen vor nichts Halt, reißen alle noch be-
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stehenden Dämme nieder und brechen sämtliche Tabus.Sie haben nicht die Kraft und den Mut, endlich etwas da-gegen zu tun. Das ist aber dringend erforderlich.
Dabei geht es nicht nur um Länder wie Griechenland,Portugal, Spanien oder Irland; es geht um die Kernländerdes Kapitalismus. Auch die USA, Frankreich und Italienwerden angegriffen. Private amerikanische Ratingagen-turen, die von großen Banken abhängig sind, stuften dieUSA herunter. Ich bitte Sie! Das macht denen gar nichtsmehr aus; so mächtig sind sie inzwischen geworden. SeitJahren höre ich von Ihnen: „Wir brauchen eine öffent-lich-rechtliche Ratingagentur in Europa.“ Wo ist siedenn? Es wird höchste Zeit, sie zu schaffen.
Es sind nicht die Linken, sondern die Finanzmärkte,die den Kapitalismus von innen heraus zerstören. DieRatingagenturen stürzen inzwischen sogar Regierun-gen, wie in Irland und Portugal. Niemand regt sich da-rüber auf. Früher gab es einmal ein Wahlrecht der Be-völkerung; heute läuft das völlig anders ab. Wir habenes – auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen – miteiner Krise der Demokratien weltweit zu tun, weil wirvon den Finanzmärkten diktatorisch beherrscht werden.Nun waren Sie, Frau Merkel, bei Herrn Sarkozy inParis. – Frau Merkel, hören Sie mir einmal einen Mo-ment zu; ich möchte eine Erklärung haben. Sie habendort mit Herrn Sarkozy ein Papier zur zweiten Griechen-land-Hilfe verabschiedet. Dann höre ich in der heute-Sendung im ZDF, dass dieses Papier wortwörtlich, biszum letzten Komma, von einem Papier des internationa-len Bankenverbandes abgeschrieben ist, dessen Präsi-dent zufällig Josef Ackermann heißt, also genau wie derChef der Deutschen Bank. Ich finde, das ist der Gipfel.Dafür müssen Sie nicht nach Paris fahren; Sie könnenauch am Telefon klären, dass Sie ein Papier nur ab-schreiben.
Ich finde, das offenbart die Abhängigkeit. Wir kennendas – es begleitet uns seit Jahren –: Bei der erstenFinanzkrise wurde auf Wunsch der Banken ein Rettungs-paket im Umfang von 480 Milliarden Euro beschlossen.
Was haben Sie, Herr Rösler – Sie waren dafür verant-wortlich –, bei der Gesundheitsreform gemacht? Sie ha-ben die Wünsche der Pharmaindustrie und der privatenKrankenversicherungen umgesetzt. Bei der Atomenergie– wir wissen es – waren es die vier Energiekonzerne, diesich durchgesetzt haben. Sie zeigen unserer Bevölke-rung, dass nicht Sie die Macht haben, sondern andere da-rüber entscheiden. Das ist wirklich eine Gefährdung derDemokratie. Bekommen Sie das endlich einmal mit!
Ich glaube, dass Sie es bei den Banken, Fonds, Versi-cherungen und Hedgefonds maßlos überzogen haben.Deshalb sind wir jetzt in einer Krise. Wenn Sie mir nichtgamtigvDpheraghssshpReedcGkeSbmHszSdgjegFc–mnfesw
rau Merkel und Herr Rösler, Sie sagen: Ja, wir strei-hen gern das Elterngeld von Hartz-IV-Empfangenden das haben wir ja schon gemacht –, aber von euch Ver-ögenden und Millionären wollen wir nicht einmal ei-en halben Cent. Wissen Sie, warum die Reichen das ru-n? Sie rufen das nicht, weil sie plötzlich alleolidarisch und altruistisch geworden sind und nachtsegen der Armen auf der Erde nicht mehr schlafen kön-
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nen – davon mag es eine Handvoll geben, das will ichnicht ausschließen –, sondern sie rufen das, weil sie ei-nes begriffen haben: Es geht um ihre Existenz. Es gehtum eine Systemfrage. Diese konservative Regierung istnicht klug genug, das zu begreifen.
Wenn Sie schlau wären, würden Sie zur Erhaltung derStruktur den Spitzensteuersatz erhöhen und die Vermö-gensteuer wieder einführen. Sie hätten nicht einmal Wi-derstand von den Vermögensmillionären und -milliardä-ren zu erwarten, aber Sie machen es nicht, weil Sie inIhrer kleinkarierten Ideologie hängen und nicht begrei-fen, welche Fragen auf der Erde und in Europa anstehen.
Wenn Sie mir das nicht glauben, dann nenne ich Ih-nen zwei Zahlen. Die Staatsverschuldung in der Euro-Zone liegt bei 10 Billionen Euro. Die Millionäre derEuro-Zone haben ein Vermögen in Höhe von 10 Billio-nen Dollar. Erklären Sie das einmal den Menschen. InDeutschland haben wir eine Staatsverschuldung inHöhe von 2 Billionen Euro. Die Reichsten der Bevölke-rung – das sind 10 Prozent – besitzen ein Vermögen inHöhe von 3 Billionen Euro. 1 Billion Euro mehr. Erklä-ren Sie den Menschen, warum Sie sagen: Wir wollenvon ihnen keinen halben Cent, keine Steuern, nicht ein-mal einen Euro. Nichts wollen Sie von den Reichen ha-ben. So können Sie keine gerechten Verhältnisse herstel-len. Die Verursacher müssen endlich für die Krisebezahlen, nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer, die Rentnerinnen und Rentner und die Arbeitslosen.
Es stellt sich noch eine andere Frage. Ich will versu-chen, es Ihnen von der Union und der FDP ganz langsamzu erklären. Wie mache ich das bloß? Der Euro gilt vonGriechenland bis Deutschland, das heißt, wir haben eineBinnenwährung. 1998 haben wir im Bundestag darüberdiskutiert. Es gab wie immer vier oberschlaue Fraktio-nen: SPD, Union, FDP und Grüne,
die sagten, alle Voraussetzungen für die Einführung desEuro liegen vor. Die Einzigen, die davor gewarnt haben,waren wir. Aber Sie haben uns oberschlau mitgeteilt, Siewüssten alles besser, und alle unsere Warnungen seienfalsch. Lesen Sie die Reden von damals. Sie werden sicheinigermaßen schämen, wenn Sie das nachlesen.
Alles, was wir an Gefahren beschrieben haben, ist einge-troffen. Damals haben Sie immer vom Export nach Spa-nien und nach Portugal geredet. Ich habe in meiner Rededarauf hingewiesen: Wenn man eine Binnenwährunghat, dann hat man einen Binnenmarkt, und dann gibt eskeinen Export mehr. Sie haben das bis heute nicht ver-standen.Wn–SehBnSbaLbGufoswggRzdDhp–ntemdktecbbsGR
ir exportieren nicht nach Griechenland, auch nichtach Spanien, Irland oder Portugal.
Herr Kauder, hören Sie einmal zu! Vielleicht verstehenie es dann ja auch. Wir haben einen Binnenmarkt mitiner Binnenwährung. Wenn Sie in diesem Zusammen-ang von Export sprechen, müssten Sie auch sagen:ayern exportiert nach Schleswig-Holstein. Sie haben esicht begriffen.
Ihr System sieht folgendermaßen aus: Bayern soll erstchleswig-Holstein ruinieren. Wenn das gelungen ist,auen die Schleswig-Holstein finanziell gesehen wiederuf, und dann ruinieren die es erneut. Erklären Sie deneuten einmal den Sinn davon. Wenn wir einen Euro ha-en, dann haben wir eine Binnenwährung, und zwar vonriechenland bis Deutschland, und damit haben Exportnd Ihr Gebaren nicht zu tun.
Warum ist Deutschland in Sachen Export aber so er-lgreich? Aus einem Grund: Weil Sie die Löhne ge-enkt haben, weil Sie die Renten gesenkt haben,
eil Sie die Sozialleistungen gesenkt haben, und zwaranz erheblich. In den letzten zehn Jahren – das ist übri-ens auch ein Verdienst von SPD und Grünen – sind dieeallöhne um 4,5 Prozent, die Realrenten um 8,5 Pro-ent und die Sozialleistungen um 5 Prozent gesenkt wor-en.
as Ergebnis war, dass der Export billiger wurde. Des-alb können wir so viel nach Spanien, Portugal etc. ex-ortieren.
Natürlich. Sie haben keine Ahnung. Wenn Sie dasoch nicht begriffen haben, müssen Sie das erste Semes-r Volkswirtschaft belegen.
Noch einmal langsam. Dann passiert Folgendes,eine Damen und Herren von der FDP: Nachdem wirie Länder dadurch ruiniert haben, dass sie weniger ver-aufen und nichts nach Deutschland exportieren konn-n, kommen Sie und sagen: Wir müssen Geld hinschi-ken. – Verstehen Sie, dass die Bevölkerung das nichtegreift? Was wir stärken müssen – das haben Sie nieegriffen – ist die Binnenwirtschaft. Aus Gründen derozialen Gerechtigkeit, aber auch aus ökonomischenründen brauchen wir endlich höhere Löhne, höhereenten und höhere Sozialleistungen. Wir brauchen das,
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damit wir nicht abhängig sind vom Export, damit wir un-sere eigene Wirtschaft im Lande stärken.
Ich kann Ihnen ganz klar sagen, was uns die Reich-tumspflege in den letzten Jahren kostete: 300 MilliardenEuro. Und was haben wir in den letzten drei Jahren realfür die Bankenkrise ausgegeben? 300 Milliarden Euro.Das erklären Sie einmal den Leuten. Sie beantragen,dass die Toilette in einer Schule repariert wird, und Siesagen: Kein Geld. – Aber für diese Dinge ist immer ge-nügend Geld vorhanden. Das ist nicht nachvollziehbar.In Brüssel ging es um zwei Dinge: Erstens. Wer be-zahlt die Kosten? Das zweite Thema waren die Euro-Bonds. Nun haben die Banken gesagt, dass sie freiwilligauf 21 Prozent des Wertes ihrer Griechenland-Anleihenetc. verzichten wollen. Das klingt schon fast edel. Nunhat Ihr Wirtschaftsweiser Herr Bofinger aber ausgerech-net, dass sie auf gar nichts verzichten. Die Banken habendie Laufzeit der Anleihen so deutlich verlängert, dass sieam Ende sogar ein Geschäft machen. Darauf kann mansich bei den Banken immer verlassen.Außerdem erwähnen die Banken nicht, dass die Euro-päische Zentralbank – das ist eine Bank, die allen Steu-erzahlerinnen und Steuerzahlern der Euro-Zone gehört,vornehmlich den deutschen Steuerzahlerinnen und Steu-erzahlern – Kredite für 1,25 Prozent an Banken vergibtund diese Banken Griechenland Geld für 11 oder mehrProzent geben. Das ist abenteuerlich. Die Banken ma-chen Geld mit einer Überweisung, ohne irgendetwasherzustellen, weder einen Stuhl noch einen Tisch. Nichtsist hergestellt worden. Das sind reine Spekulationsge-winne, die uns später um die Ohren fliegen werden.
Nun zu den Euro-Bonds. Ich würde gerne auf dieAussagen der Kanzlerin und der FDP zu sprechen kom-men. Sie von der FDP lehnen Euro-Bonds ab. Wenn ichSie richtig verstanden habe, dann hat die FDP den Mutvon 40 Jahren zusammengenommen und gesagt: Wenndie Kanzlerin Euro-Bonds einführen sollte, verlassen wirdie Regierung. Ich habe Sie richtig verstanden? – Gut.Jetzt muss ich Ihnen Folgendes sagen: Wir haben dieEuro-Bonds.
Ich werde es Ihnen ganz kurz belegen – passen Sie auf –:Euro-Bonds heißt, dass man gemeinsam für die Schul-den haftet. Dass das vertragswidrig ist, ist etwas ganz an-deres. Ich sage nur, dass wir sie haben. Warum? Weil dieEuropäische Zentralbank, die all unseren Steuerzahlerin-nen und Steuerzahlern gehört, Staatsschulden von Grie-chenland, Portugal, Irland, Italien und Spanien aufge-kauft hat, und zwar im Wert von 129 Milliarden Euro.Den privaten deutschen Banken und Versicherungen hatsie ein Drittel dieser Staatsschulden abgekauft. Meineerste Frage ist: Wer hat das eigentlich der EuropäischenZentralbank genehmigt?
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Nun soll morgen eine Debatte zum Rettungsfondstattfinden, und zwar dergestalt, dass dieser auf 780 Mil-arden Euro erhöht werden soll. Sagen Sie den Bürge-nnen und Bürgern der Bundesrepublik Deutschlanditte, dass sie nicht mehr für Schulden in Höhe von23 Milliarden Euro haften, sondern dann für Schulden Höhe 211 Milliarden Euro. Das sind 88 Milliardenuro mehr. Das ist doch wohl nicht nichts. Sie könnenicht ernsthaft behaupten, dass Sie damit rechnen, dassas Geld nicht in Anspruch genommen wird. Ich sagte eschon: In den letzten drei Jahren wurden bereits 300 Mil-arden Euro in Anspruch genommen.Warum können Sie darauf nicht hoffen? – Sie könnenicht darauf hoffen, weil Sie einen völlig falschen Wegehen, und zu dem komme ich noch. Was muss jetzt alsoeschehen? – Die Linke wird Ihnen jetzt erklären, wasie eigentlich zu tun hätten.
Wissen Sie, ein bisschen nervt mich das auch, denn Sieören so selten. Langsam hören Sie aber. Sie hören im-er verspätet.Das Erste, was passieren muss, ist dies: Die Bankenüssen auf ihre eigentlichen Funktionen zurückgeführterden. Sie sind Dienstleistungsunternehmen für Unter-ehmen und für Privatpersonen und nichts anderes. Wirrauchen keine Leerverkäufe, wir brauchen keineedgefonds. Sie müssen das endlich regulieren. Habenie einmal den Mut, sich Ackermann gegenüberzustel-n und zu sagen: Schluss, wir machen das jetzt anders.ir sind die demokratisch gewählten Volksvertreterin-en und Volksvertreter.
ir müssen die großen privaten Banken dezentralisierennd öffentlich-rechtlich gestalten. Ich weiß, dass Sie sa-en: Die Landesbanken haben auch nicht funktioniert.
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Dr. Gregor Gysi
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Das stimmt, und die Landesbanken, die pleitegingen,waren alles Banken aus CDU-regierten Ländern. Davoneinmal abgesehen kann ich Ihnen den Fehler nennen. Siesind pleitegegangen, weil man den Landesbanken gesagthat: Ihr müsst spekulieren wie die großen privaten Ban-ken. – Daran sind sie zugrundegegangen. Erst regulie-ren, dann öffentlich-rechtliche Institutionen schaffen.
Die Sparkassen sind nicht unser Problem. Ganz imGegenteil, in Brüssel hat man immer über die Sparkas-sen gemeckert. Jetzt sagt man dort kein Wort mehr, weildie Sparkassen in der Krise tapfer und gut standen; ebenweil sie öffentlich-rechtlich waren und nicht weltweitspekuliert haben.
Wir brauchen in der Euro-Zone eine Bank für öffent-liche Anleihen, die zu günstigen Zinsen Kredite an Staa-ten vergibt. Dort können dann auch die Euro-Bonds,über die ich gesprochen habe, gehalten werden. Euro-Bonds würden den Euro natürlich stabilisieren. Sie kön-nen keine Binnenwährung einführen. Wir haben dagegengestimmt. Sie wollten die Binnenwährung von Grie-chenland bis Deutschland. Nun haben wir sie, jetzt müs-sen wir sie auch retten, aber nicht dadurch, dass wir das– wie Sie – nicht zur Kenntnis nehmen, sondern dadurch,dass wir ernst nehmen, dass es sich um eine Binnenwäh-rung handelt.
Die ganze Welt steht vor einer tiefen Rezession. DieBörsen spielen verrückt, und Ihr einziges Rezept ist Spa-ren. Was machen Sie mit Griechenland? – Was machenSie mit den anderen Ländern? – Sie fordern Lohnkür-zungen und die Kürzungen von Renten und Sozialleis-tungen sowie eine Erhöhung des Renteneintrittsalters.Das ist all das, was Sie in Deutschland schon eingeführthaben. Sie fordern die Streichung von Investitionen undBilligverkäufe von öffentlichem Tafelsilber. Das ist IhrRezept. Sagen Sie mir einmal, wie Griechenland aufdiese Art und Weise Steuern einnehmen soll. Sie führendort alles zurück. Die Griechen dürfen nichts mehr in-vestieren.Sie setzen dadurch all das Geld in den Sand. Das istalbern. Wir hätten nach dem Zweiten Weltkrieg lernenmüssen. Der Marshallplan war richtig. Man muss auf-bauen, dann fließen auch wieder Steuereinnahmen. Esgilt also: Hoch mit den Löhnen, hoch mit den Renten,hoch mit den Sozialleistungen, mehr Investitionen.
Das ist das Rezept für Griechenland und für Deutsch-land.
Frau Bundeskanzlerin, wenn ich etwas zu entscheidengehabt hätte, dann hätte ich den Griechen auch Bedin-gungen gesetzt. Das muss man auch. Wenn man denenGeld gibt, dann darf man das. Ich hätte aber ganz andereBedingungen gesetzt. Ich hätte erstens gesagt: Ab jetztemZheinVLAihlaudvwdsn8dmbgVnucSwdsAüSwJDaWnngd
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14479
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nicht nachvollziehbar. Wir brauchen auch Investitionenin Infrastruktur, Umwelt und Bildung.Nun komme ich zu einem anderen Thema: Libyen. Esstört mich ungeheuer, wie selbstverständlich auch vonSPD und Grünen nach Bomben gerufen wird.
– Ja, ist es falsch? Sie haben immer gesagt: Im Sicher-heitsrat hätte man der Bombardierung Libyens zustim-men müssen. Ihre Theorie lautet doch: Bomben verjagenGaddafi und helfen den Demokratie- und Freiheitskämp-fern. Ich sage Ihnen: Das ist die größte Differenz zwi-schen den Linken und Ihnen. Wir akzeptieren Krieg alsMittel der Politik auf gar keinen Fall.
Hier unterscheiden wir uns diametral.Ich möchte Ihnen das auch begründen. Ich bin jetzt inder Situation, Außenminister Westerwelle verteidigen zumüssen, was ihm wahrscheinlich gar nicht recht ist.
– Trotzdem sage ich es; da müssen Sie durch, HerrWesterwelle. – Ihre Stimmenthaltung war zwar nichtvöllig richtig – ein Nein im Sicherheitsrat wäre bessergewesen –,
aber auf jeden Fall war die Stimmenthaltung viel besserals das Ja, das SPD, Grüne und in Wirklichkeit auchCDU/CSU und immer mehr Teile der FDP verlangt ha-ben. Warum ist es denn so falsch? Wir haben so vieleDiktatoren auf der Welt. Wollen Sie die alle wegbom-ben? Was ist Ihr Maßstab? Erklären Sie das einmal derBevölkerung.Jetzt höre ich: Für 83 Millionen Euro hat die Regie-rung Waffenlieferungen an Gaddafi genehmigt, unddann bombt sie ihn weg. Der amerikanische, der briti-sche und auch der deutsche Geheimdienst haben mitGaddafi zusammengearbeitet. Deutsche Polizisten habendort in ihrer Freizeit ausgebildet. Das alles wurde mitGaddafi gemacht. Eines Tages ändern Sie plötzlich IhreMeinung und sagen: Er ist ein Schurke, und jetzt: Wirbomben ihn weg. Das ist nicht nachvollziehbar. Das istverlogen. Das ist nicht glaubwürdig. Das ist das Ent-scheidende.
Jetzt hören wir, dass Gaddafi sogar G-36-Sturmge-wehre hatte; deren Export ist nie erlaubt worden. Ich
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie sind die dahin gekom-men? Herr Kauder, wenn Sie das nicht wissen, dann ha-ben Sie keine Kontrolle über den Export von Rüstungs-gütern. Das ist unverantwortlich.
Ich möchte wissen, wer wann wohin Waffen verkauft.dgmaBIcke7bsdBrivSmInLd2iswbslibrehfoumalizZhaaIhkWdm
h kann es Ihnen sagen: In Bahrain ist der größte ameri-anische Stützpunkt, in Bahrain sind die Saudi-Araberinmarschiert, an die Sie alle zusammen Waffen für00 Millionen Euro verkauft haben, und die Saudi-Ara-er schießen auf die Freiheits- und Demokratiedemon-tranten. Deshalb kommen Sie gar nicht auf die Idee,ort zu bombardieren.
ei Syrien gibt es auch eine einfache Begründung. Sy-en hat nur ein bisschen Erdöl, und Libyen hat ganziel. Ich sage Ihnen – und das kotzt mich wirklich an –:eit Tausenden Jahren stecken hinter Kriegen – das siehtan, wenn man genau hinschaut – immer ökonomischeteressen.
assen Sie sich da nicht mit hineinziehen, wie Sie es inen letzten Jahren ständig gemacht haben.
An Saudi-Arabien verkaufen wir jetzt auch noch00 Panzer. Eines darf ich noch sagen: Al-Qaida – dast nun wirklich eine Terrorausbildungsorganisation –ird ausschließlich von Saudi-Arabien finanziert. Dieesten Beziehungen der US-Regierung und der deut-chen Regierung bestehen zu Saudi-Arabien. Es ist völ-g unglaubwürdig, zu sagen, dass man für Demokratieombt, wenn man mit den Terroristen und den Diktato-n zusammenarbeitet. Das geht nicht auf. Das sage ichier ganz klar.
Sie haben gesagt, Sie hätten die Arbeitslosigkeit er-lgreich bekämpft. Es gibt immer den Streit, dass Unionnd FDP meinen, es liege an ihnen, und SPD und Grüneeinen, es liege an ihnen. Ich kann Sie beruhigen: Sielle haben Ihren Anteil daran, und zwar, weil in Wirk-chkeit die Vollzeitbeschäftigungsplätze in den letztenehn Jahren um 1,8 Millionen abgebaut wurden. Dieahl der Geringverdiener und der prekär Beschäftigtenat zugenommen. Darauf sind Sie auch noch stolz. Sieuf der einen Seite sagen immer, es sei Ihr Werk, und Sieuf der anderen Seite sagen, es sei Ihr Werk. Es ist leiderr gemeinsames Werk. Aber Geringverdiener und pre-är Beschäftigte sind nicht die Lösung für unser Land.ir brauchen wieder Vollzeitjobs.
Frau Bundeskanzlerin, Sie sagten, Sie seien stolz,ass die Jugendarbeitslosigkeit halbiert wurde. Sie kom-en aus Mecklenburg-Vorpommern, ich war gerade
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Dr. Gregor Gysi
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dort. 75 Prozent der Menschen bis 25 Jahre, die eine Be-schäftigung haben, sind Geringverdienerinnen und Ge-ringverdiener. Das ist doch keine Lösung. Das ist ein zu-nehmendes Problem.
Was glauben Sie, wie sauer die sind? Leider gehen man-che dazu über, die NPD zu wählen, was wir alle nichtwollen. Also müssen wir diese Probleme so schnell wiemöglich lösen, und zwar im Bildungsbereich genausowie auf dem Arbeitsmarkt.
Lassen Sie mich noch sagen, dass wir ein anderesSystem im Gesundheitswesen brauchen. Der Beitrags-satz, den die Arbeitgeber für die Krankenversicherungzahlen müssen, beträgt 7,3 Prozent. Die Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer zahlen schon allein deshalb mehr,nämlich 8,2 Prozent, weil Sie, SPD und Grüne, die pari-tätische Finanzierung aufgegeben haben. Rechnet man2 Prozent für Praxisgebühr und Arzneien und noch biszu 2 Prozent für höhere Versicherungsbeiträge hinzu,sind wir bei 12,2 Prozent.Wir schlagen Ihnen etwas anderes vor: Jede Bürgerinund jeder Bürger zahlt vom gesamten Einkommen einenBeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung. Eine pri-vate Versicherung kann man zusätzlich abschließen, abernicht für die eigentliche Versorgung. Wir schlagen vor,dass wir alle in die gesetzliche Krankenversicherung ein-zahlen, auch Ackermann, auch alle Bundestagsabgeord-neten. Wenn wir das machten, hätten wir einen Beitrags-satz von nur 5,25 Prozent für Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer und von 5,25 Prozent für die Unterneh-men. Wir senkten für die Unternehmen – ich bitte alleUnternehmerinnen und Unternehmer, das zu bedenken,wenn sie wählen – den Beitragssatz zur Krankenversi-cherung von 7,3 Prozent auf 5,25 Prozent. In einer Stu-die wurde nachgewiesen, dass all dies ginge. Warum ge-hen Sie diese Schritte nicht? Warum gehen Sie denumgekehrten Weg und belasten nur Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer?
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich muss zum Ende kommen? Herr Thierse, das tut
mir sehr leid. Ich hätte Ihnen gern noch die Rente er-
klärt; das muss ich dann beim nächsten Mal machen.
Die Steuer hätte ich Ihnen auch gerne noch erklärt; auch
das muss ich beim nächsten Mal machen.
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s tut mir leid, Ihnen das so klar und eindeutig sagen zu
üssen. Das ist die Partei, die bei allen diesbezüglichen
nalysen immer richtig lag, was Sie nur viel zu langsam
egreifen.
s ist die Partei, die Sie alle besonders mögen, nämlich
ie Linke.
Das Wort hat nun Rainer Brüderle für die FDP-Frak-
on.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gysi,h glaube, Sie hatten von früher noch die Melodie imopf: „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht.“
Dieser Haushalt ist ein Stabilitätshaushalt; solideaushalte sind eine Vorsorge gegen Inflation. Dieseraushalt ist ein Zukunftshaushalt; wir klotzen bei Bil-ung und Innovation. Dieser Haushalt ist ein Wirt-chaftswachstumshaushalt; wir verstetigen die Wachs-mschancen. Herr Steinmeier hat sich, als er hier war,ls Schwarzmaler betätigt; da war viel Voodoo, wenigkonomie.Auch ich verfolge die Entwicklung der Börsen under Frühindikatoren und führe viele Gespräche. Wir kri-sieren oft das Quartalsdenken. Wir sollten auch in derolitik in längeren Linien denken, nach klaren Prinzi-ien handeln. Dann verheddern wir uns auch weniger.eutschland kann auch in diesem Jahr stärker wachsenls sein Potenzial; bis zu 3 Prozent ist die Erwartung.ir steuern auf eine Erwerbstätigenzahl von 41 Millio-en zu. So viele Erwerbstätige gab es in Deutschlandoch nie.
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Rainer Brüderle
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Das soll die Opposition einmal zur Kenntnis nehmen.Sie reden Deutschland herunter. Das ist falsch. Das istschlecht. Das ist unverantwortlich.
Deutschland steht gerade in dieser Zeit in einer be-sonderen Verantwortung. Wir sind mit anderen Wachs-tumszentren in den Schwellenländern China, Indien,Brasilien und Russland ein Faktor, der ein Stück Stabili-tät in die Entwicklung hineinbringt. Entscheidend warbeim Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaftsentwick-lung auch der gewerblich-industrielle Sektor. Deshalbwerden wir keine Deindustrialisierung in Deutschlandzulassen.
Die Realwirtschaft muss im Vordergrund stehen. Fürsie müssen wir weiterhin die richtigen Voraussetzungenschaffen. Die Finanzwirtschaft hat eine dienende Funk-tion. Der scheidende Vorsitzende der Deutschen Bankhat recht: Wir müssen weg von einer Seifenschaumöko-nomie, hin zu einer klaren realwirtschaftlichen Orientie-rung. Deutschland ist der Stabilitätsanker in Europa undin der Welt. Wir können uns nicht von der Welt abkop-peln. Aber Deutschland ist gut aufgestellt.Die Lieblingsworte der Opposition lauten „aufPump“. Ich will Ihnen deutlich sagen: Die größte Pump-station sitzt in den Reihen der Sozialdemokraten. DerGenosse Pump war Peer Steinbrück mit 86 MilliardenEuro Schulden.
Das war ein Rekordwert. Wir haben diese Summe aufein Drittel reduziert. Wir werden im nächsten Jahr beider Nettokreditaufnahme unter 30 Milliarden Euro blei-ben. In der Oppositionsbaracke ein Wünsch-dir-was-Pa-pier zu schreiben, ist das eine. Es konkret umzusetzen,ist das andere. Das machen wir.
Da Herr Gabriel immer „Verfassungsbruch“ schreit,wenn er denn hier ist, empfehle ich ihm, nach Nord-rhein-Westfalen zu schauen. Der Bund bringt seineKasse in Ordnung und hilft Ihnen sogar bei der West-LB, dieser Ausgeburt sozialdemokratischer Fehlent-wicklungen.
Wie rot-grüne Haushaltspolitik aussieht, kann man beiFrau Kraft sehen und in Gerichtsurteilen nachlesen. Siefordern eine Entschuldungspolitik, wir machen sie. Siegehen weiter voll in die Schulden hinein, wir machen ge-nau das Gegenteil.wlögvKDleLresSskRMDgInGfeWsliWSVddbHdsppHsfagfa
Wie sehen denn Ihre Vorschläge aus? Sie schlageneitere Steuererhöhungen und utopisch hohe Mindest-hne vor. Ihre Vorschläge sind ein Rezessionspro-ramm. Sie behaupten allen Ernstes, ein Mindestlohnon 8,50 Euro saniere die Sozialkassen. Das ist eineonkurrenz zu Herrn Gysi, der 10 Euro fordert.
as ist offensichtlich ein Wettbewerb: Spieglein, Spieg-in an der Wand, wer ist der schönste Sozi im ganzenand?
Aber die Realität sieht anders aus. Dort, wo Sie regie-n, werden Schulden gemacht, dass es kracht. Rot-Grünteht für Big Government. In Baden-Württemberg habenie die Einführung einer neuen Schuldenobergrenze ver-choben. Sie wollen erst 2020 auf eine Nullverschuldungommen. Sie schaffen dort ein neues Ministerium. Inheinland-Pfalz haben Sie als Erstes zwei weitereinisterien geschaffen. Statt zu sparen, blähen Sie auf.as nennen Sie dann Abbau von Schulden. Das ist dasenaue Gegenteil.
Bremen bekommt ein ausscheidender Senator von denrünen eine staatliche Luxusrente. Rot-Grün macht sichtt am Staat.Wir als christlich-liberale Koalition arbeiten solide.ir achten Vorgaben der Schuldenbremse. Wir setzenie schneller um, als wir das selbst ursprünglich für mög-ch gehalten haben. Wir machen den schlanken Staat.ir erarbeiten uns Spielräume. Wir wollen auch eintück Entlastung schaffen.Ich bin gespannt, wie die Sozialdemokraten mit ihrenorfeldgewerkschaftern dem Bandarbeiter bei VW under Krankenschwester erklären wollen, dass sie durchie kalte Progression netto weniger in den Lohntüten ha-en. Das wird ein interessantes Thema werden.
ier geht es auch um einen Beitrag zur Stabilisierunger Binnennachfrage und um vernünftige Tarifab-chlüsse.Auch bei den Sozialabgaben gibt es Entlastungs-otenzial. Eine Absenkung um mindestens 0,8 Prozent-unkte müsste 2013 möglich sein. Damit kann man rundunderttausend Arbeitsplätze schaffen, wenn wir ent-prechende Kräfte finden. Unser Problem ist heute viel-ch ein Mangel an Fachkräften.Deshalb haben wir den nationalen Ausbildungspakteändert. Statt Lehrstellenmangel haben wir heute viel-ch schon einen Lehrlingsmangel zu beklagen. Deshalb
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Rainer Brüderle
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müssen wir die Ausbildungsreife stärken. Wir brauchenauch eine Zuwanderung in Qualität.
Deshalb rollen wir denjenigen, die Qualitäten haben, beiuns einen roten Teppich – bei Ihrem Schreien keinen ro-ten, sondern besser einen blau-gelben oder notfalls einenschwarzen Teppich – aus.
Wir mobilisieren die Potenziale. Wir müssen auch dieAnreize für ältere Arbeitnehmer verstärken. So erhöhenwir etwa die Hinzuverdienstgrenze für Rentner.Auch der Bundesagentur für Arbeit haben wir Beinegemacht. Es kann doch nicht richtig sein, dass die Bun-desagentur bei 5 Millionen Arbeitslosen 90 000 Beschäf-tigte und bei unter 3 Millionen Arbeitslosen 120 000 Be-schäftigte hat. Hier muss Qualität vor Quantität, mehrVermittlung und weniger Verwaltung die Zielrichtungder Ausgestaltung sein.
Die Grünen faseln dann von einem gespaltenen Ar-beitsmarkt. Ja, diese Spaltpilze haben Sie gepflanzt. Die1-Euro-Jobs waren ein grün-rotes Projekt. Sie habenHunderttausenden Menschen ein Stigma gegeben. Wirmachen aus rot-grünen 1-Euro-Jobs schwarz-gelbe Dau-erjobs – das ist der Unterschied –,
weil richtige Arbeit etwas mit Menschenwürde, mit Teil-habe und mit dem Selbstwertgefühl von Menschen zutun hat.Ich sage hier auch klar: Ich bekenne mich zumWachstum. Ich finde Wachstum gut. Ich finde Wachstumtoll.
– Wir haben ja Wachstum, wenn Sie es noch nicht be-merkt haben. – Ohne Wachstum gibt es keinen weiterenWohlstand. Ohne Wachstum gibt es keine Jobs.
Die Natur zeigt: Was nicht wächst, stirbt. – Frau Roth,Sie müssen einmal Pflanzen betrachten. Dann sehen Siedie Realität.
Wahrscheinlich werden Sie uns demnächst noch aus-gebrannte Autowracks als Wellnessoasen verkaufenwtensDBaresbinGURbWvLanAcwzSnshbremkbswnwssimEz
Das erinnert mich sehr an Herrn Gysi, kurzzeitigirtschafts- und Frauensenator in Berlin. Gestalten underwalten ist etwas anderes, als im Ledersessel zu sitzen.ieber Herr Kollege Gysi, das hatten Sie sich so schönusgemalt: Sie setzen als Parteivorsitzende zwei Mario-etten hin. Gewollt haben Sie wahrscheinlich eine Artugsburger Puppenkiste. Bekommen haben Sie eine Ro-ky Horror Picture Show. Da wird Castro gratuliert; daird der Mauerbau verharmlost. Der männliche Vorsit-ende steht für Hummer, die weibliche Vorsitzende fürichel. So viel Unvernunft hat selbst der Sozialismusicht verdient.
Meine Damen und Herren, die Welt ändert sich ra-ant. In unserer Nachbarschaft, in Nordafrika und im Na-en Osten, weht der Wind des Wandels. Menschen sindereit, für Freiheit, Selbstbestimmung und Menschen-chte ihr Leben zu riskieren. Bemerkenswert ist fürich: Während der Proteste gegen die Despoten wurdeneine amerikanischen oder israelischen Flaggen ver-rannt. Der arabische Frühling zeigt: Freiheit, Selbstbe-timmung und Selbstverantwortung sind universal. Dieestlichen Demokratien müssen Verantwortung über-ehmen. Aus dem arabischen Frühling darf keine Eiszeiterden. Die Freiheitsbewegungen in unserer Nachbar-chaft eröffnen eine große Chance für ein friedliches Zu-ammenleben.Es kann aber auch zu Komplikationen kommen, etwa Verhältnis von Israel zu Ägypten. Für uns ist dasxistenzrecht Israels Staatsräson; darüber gibt es nichtsu diskutieren. Das ist wohl begründet.
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Rainer Brüderle
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Dabei stehen wir historisch wohlbegründet in einer be-sonderen Verantwortung. Wenn ich aber aus der drittenoder vierten Reihe der Opposition gute Ratschläge etwazu Palästina vernehme, kann ich nur sagen: Diese The-men eignen sich nicht für pressepolitische Kurzschluss-handlungen. Der mögliche Frieden in Nahost darf nichtin parteipolitischem Klein-Klein aufs Spiel gesetzt wer-den. Wir sind froh, dass es den Libyern gelungen ist, dasGaddafi-Regime zu stürzen. Dazu hat auch der interna-tionale Militäreinsatz beigetragen. Wir haben Respektfür das, was unsere Partner zur Erfüllung der UN-Reso-lution geleistet haben. Die Bundesregierung wird das li-bysche Volk bei der anstehenden schwierigen Transfor-mation tatkräftig unterstützen. Deutschland gibt diegesperrten Gaddafi-Milliarden frei. Deutschland hilftmit Know-how, Technik und Experten.Dann kommt Joschka Fischer, das grüne Michelin-Männchen aus dem noblen Grunewald, und erklärt unsdie Welt.
Jener Joschka Fischer, der gegen die WiedervereinigungDeutschlands war, der so gerne den Kapitalismus über-winden wollte
und sich heute als gut bezahlter Lobbyist durch die Ber-liner Salons schiebt, hat so oft danebengelegen, dass erlieber schweigen sollte.
Der Platz Deutschlands in dieser Welt, die sich rasantverändert, ist Europa. Deutschland muss den europäi-schen Weg gehen. Auch das ist Staatsräson. Isolationund eine singuläre Position Deutschlands wären fatal.Das sind wir auch unseren Kindern und Enkelkindernschuldig: eine klare europäische Perspektive. Die Jugendwill Europa gestalten. Wir spüren ihre Unruhe, ob inSpanien oder in anderen europäischen Ländern. Von au-ßen sieht Europa zum Teil sehr alt aus. Ja, wir wollenEuropa, und wir brauchen Europa, aber wir müssen esrichtig machen. Europa muss eine klare Konstruktionhaben: eine Stabilitätsgemeinschaft. Ein Übertünchenreicht nicht aus; es muss richtig konstruiert werden.Die Schuldenkrise zwingt uns zu mehr Koordinie-rung. Leider wurde der Stabilitätspakt zerrissen, zuerstvon Deutschland unter Grün-Rot und von Frankreich.68-mal wurde gegen den Stabilitätspakt verstoßen; niegab es eine Sanktion. Damit ist er leider zerrissen.
Deshalb müssen wir einen neuen Stabilitätspakt schaf-fen. Der ESM ist dabei ein zentraler Punkt. Das Verhal-ten Griechenlands ist nicht in Ordnung. Griechenlandmuss sich an die Vereinbarungen halten. Ohne Leistungkeine Gegenleistung! So einfach ist das.OdhwWssvNwhDhDKdwleEmsHHRVkEHmßEnbmnuSu
Ich wundere mich aber über manche Äußerung derpposition. Das gilt vor allem für die SPD. Zuerst hatie SPD überhaupt keine Meinung zu Griechenland. Sieaben sich damals kraftvoll enthalten, wahrscheinlicheil es Sigmar Gabriel, der Sirtaki-Siggi, so wollte.
o waren Herr Steinmeier, der auch jetzt nicht anwe-end ist, und Herr Steinbrück, als es damals um die Ent-cheidung ging? Wo war denn die politische Führungs-erantwortung der SPD, als die Entscheidung anstand?ein, damals haben Sie sich in die Furche gelegt undeggeduckt. Sie konnten weder Ja noch Nein sagen. Sieatten keine Meinung in einer solch wichtigen Frage.as spricht nicht für Führungsstärke und Regierungsfä-igkeit.
amals war von Ihnen weit und breit nichts zu sehen.Heute haben Sie mindestens zwei Meinungen. Ihranzlerkandidat in spe darf für die Galerie über Schul-enschnitte schwadronieren. Ihr Kanzlerkandidat a. D.ollte bislang Euro-Bonds. Er hat aber heute einenichten Rückzieher gemacht. Meine Damen und Herren,uro-Bonds sind der falsche Weg. Das ist Zinssozialis-us, weil sie die Mechanismen des Zinses außer Kraftetzen.
err Steinmeier sollte das auch Herrn Steinbrück underrn Gabriel sagen. Dass er heute im Plenum einenückzieher gemacht hat, hat seinen Grund: weil ihm daserfassungsgericht eine schallende Ohrfeige erteilt undlare Aussagen zu diesem Thema getroffen hat.
uro-Bonds sind ökonomisch, politisch und rechtlich einolzweg. Das müssen Sie einsehen. Sie sind wieder ein-al auf dem falschen Pfad.
Es war falsch von Ihnen, den Stabilitätspakt zu zerrei-en. Auf dem falschen Trip sind Sie wieder mit denuro-Bonds; denn das ist kein Mechanismus, der in ei-em solchen Konstrukt, wie Europa es ist, wirkt. Sie ha-en Ihre Skepsis doch schon eingeräumt. Ich mache miranchmal die Freude und lese Ihre Papiere. In der soge-annten Roadmap der SPD zur Rettung der Währungs-nion heißt es über Euro-Bonds wörtlich:Missbrauch lässt sich … durch ein effektives ge-meinsames europäisches Haushaltsregelwerk ab-stellen.elbst Sie haben die Gefahr des Missbrauchs erkanntnd in Ihrem Papier davor gewarnt. Sie haben aber aus
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14484 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Rainer Brüderle
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populistischen Gründen von Euro-Bonds geschwafelt,obwohl diese keine Lösung darstellen.
Diejenigen, die den Stabilitätspakt beerdigt haben, flüch-ten erneut in Illusionen. Was hat der WeltökonomJoschka Fischer dazu gesagt? Ich zitiere wörtlichJoschka Fischer, den großen Ökonomen und hochbe-zahlten Lobbyisten vieler Konzerne:Wir sind besonders froh über die wirtschaftlichenErfolge Griechenlands und die Anstrengungen, dieunternommen werden, sowie über die FähigkeitGriechenlands, dem Euro beizutreten.So war Ihre Einschätzung. Auch sie war falsch. Sie ha-ben den Grundstein für die Fehlentwicklung gelegt. Siesollten sich hier nicht vom Acker machen und heraus-winden.
Ja, wir brauchen einen Stabilitätspakt II, und zwar mitscharfen Regeln, damit er wirkt. Die Europäische Zen-tralbank kann nicht auf längere Zeit mit dem Aufkaufvon Anleihen fortfahren. Der Bundespräsident hat deut-liche Worte der Kritik gefunden. Man kann ihnen etwasabgewinnen; man kann seine Meinung teilen. Es istfalsch, in der EZB, die eigentlich Geldpolitik machensoll und in der jeder Staat eine Stimme hat, über Maß-nahmen, die weitreichende finanzielle Konsequenzenhaben, zu entscheiden. Das ist Finanzpolitik, keine Geld-politik. Deshalb ist es richtig, dass vom Sondergipfel derEuropäischen Union andere Strukturen auf den Weg ge-bracht werden, sodass sogenannte Sekundärmarktauf-käufe nur unter strengen Auflagen möglich sind. Hierhat Deutschland ein höheres Stimmengewicht. UnserStimmengewicht beträgt etwa 30 Prozent. Wir haben dieBeteiligung privater Gläubiger durchgesetzt. Ein weite-res Stichwort ist die Insolvenzklausel für Staatsanleihen.Der Kernpunkt ist die Wettbewerbsfähigkeit. Die Fehl-entwicklungen der Strukturen sind der Grund für die eu-ropäische Misere. Man hat zu lange die Augen ver-schlossen. Das ist jetzt schlagartig klar geworden: DieStrukturen müssen verändert werden. Deutschland alsMotor der europäischen Entwicklung darf nicht ge-schwächt werden, sondern die Schwächeren müssen ge-stärkt werden, damit sie mithalten können und Europainsgesamt stärker wird.
Bei der Schuldenbremse ist eine glasklare Beteiligungdes Parlaments erforderlich. Auch hierzu hat das Bun-desverfassungsgericht eine klare Aussage getroffen.Das europäische Zeitalter ist vorbei. Zwei Drittel desweltweiten Wirtschaftswachstums werden in denSchwellenländern erzielt, in China, Indien, Brasilien,Russland und anderen Ländern. In wenigen Jahren, imJahre 2040, werden die Vereinigten Staaten von Amerikaund die Europäische Union weniger als 7 Prozent derWeltbevölkerung stellen. Es ist höchste Zeit, dass wirEuropa richtig gestalten und die Probleme anpacken, da-mkkwfaSh–DzSKwcbBdAIcgDkBdDBnzleudSbg–
Glauben Sie ja nicht, dass Ihr Zwischenhoch vonauer sein wird! Frau Roth, wo haben Sie in der Halb-eit gestanden? Das Wasser stand Ihnen über dem Kopf.elbst die Gummistiefel haben Ihnen nichts genutzt.Wir lassen uns nicht beirren. Die christlich-liberaleoalition setzt ihre Politik konsequent fort. Am Schlusserden wir die Bestätigung finden. Ich sehe beste Chan-en, dass wir in zwei Jahren erneut einen Wählerauftragekommen.
Das Wort hat nun Jürgen Trittin für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun-eskanzlerin, Sie stehen in der Mitte Ihrer zweitenmtszeit, und da ist es angemessen, Bilanz zu ziehen.h will Ihnen durchaus zustimmen: Deutschland geht esut. – Der Bundesregierung geht es schlecht.
ieser Feststellung muss man einmal nachgehen: Wasönnte das eine mit dem anderen zu tun haben? Beimilanzziehen will ich mich nicht lange mit dem Problemer FDP aufhalten.
as ist ein Problem mit abnehmender Tendenz. Sie, Herrrüderle, haben hier belegt, warum FDP künftig nuroch mit „Fast Drei Prozent“ übersetzt wird. Fast 3 Pro-ent, das ist auch die Prognose für Berlin.
Frau Merkel, Sie haben darauf verwiesen, was sich al-s in den diversen Bundesländern bewegt. Schauen wirns doch einmal die Akzeptanz der Schwarz-Gelben inen Bundesländern an: In Nordrhein-Westfalen habenie die Mehrheit verloren. In Hamburg hat sich die CDUei Wahlen quasi halbiert. Das hat es historisch noch nieegeben. Sie sind in Baden-Württemberg nach 53 Jahren Sie haben da länger regiert als Gesine Lötzschs Freund
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14485
Jürgen Trittin
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Fidel Castro in Kuba – in die Opposition geschickt wor-den.
Sie sind in Bremen als dritte Kraft hinter den Grünen ge-landet. Auch dieser Tage sind Sie in Mecklenburg-Vor-pommern bitter abgestraft worden. Sie müssen jetzt da-rum betteln, vor der Linkspartei den Vorzug zu erhalten.Sie werden ihn bekommen; da bin ich ziemlich sicher.Anders gesagt: Sie haben in den beiden Jahren, in de-nen Sie regiert haben, Hunderttausende von Wählerin-nen und Wähler verloren. Wenn man das übersetzt: Sieregieren in den Ländern heute 30 Millionen Deutscheweniger als zu dem Zeitpunkt, an dem Sie in die Verant-wortung gewählt worden sind.
Meine Damen und Herren, man kann fast Mitleid mit Ih-nen haben. Sie haben ja alles versucht: Sie haben derCDU in Hamburg eine Modernisierungskur bei den Grü-nen verordnet. – Sie haben sich halbiert. Sie haben alsReaktion darauf gesagt: Okay, wir setzen auf die Re-inkarnation von Franz Josef Strauß und bedienen denrechten Rand mit Stefan Mappus. – Sie haben die Mitteder Gesellschaft und damit die Mehrheit in Baden-Württemberg verloren. Sie haben in Bremen gesagt: Wirtun gar nichts; wir verstecken uns. Das Ergebnis ist: drit-ter Platz.Wissen Sie, was Sie haben? Sie haben den Volkspar-teibazillus. Fragen Sie einmal Sigmar Gabriel, was dasist; die Genossen haben diesen Bazillus schon länger.Das, was diesen Bazillus gefährlich macht, ist, dass diealte Stärke der Volksparteien heute zu ihrem Problemwird: die inhaltliche Breite. Niemand weiß mehr, wofürdie CDU in Wirklichkeit steht. Die CDU unter HelmutKohl, das war Atom, Bundeswehr und Gymnasium.
Sie, die CDU von heute, die Merkel-CDU, wollen dieHauptschule abschaffen, Sie haben die Wehrpflicht aus-gesetzt, und Sie schalten auf einen Schlag die Hälfte derdeutschen Atomkraftwerke ab.
Was ist passiert? Viele Menschen sagen sich: Da kannman doch gleich die Grünen wählen.
Das hat zum Beispiel die Tochter des CDU-Bürgermeis-ters im Eichsfeld getan. Sie kandidiert jetzt auf einerListe der Grünen. Im Bayerischen Wald treten ganzeCSU-Ortsvereine zu uns über.
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chauen wir uns diese beiden Versprechen an; messenir sie an der Wirklichkeit in diesem Land. Chancenum sozialen Aufstieg gibt es immer weniger. Diese Ge-ellschaft ist immer weniger durchlässig geworden. Einechstel aller Kinder lebt in Bedarfsgemeinschaftenach Hartz IV. In Berlin ist es jedes vierte Kind. Diesermut wird vererbt, weil unsere Schulen Armut nichtberwinden, sondern nur noch ein Stück soziale Selek-on erbringen können. Kaum eines der betreffendeninder wird eine Chance auf einen höheren Bildungsab-chluss oder gar auf einen Universitätsabschluss haben.ann kommt Ihre Frau von der Leyen und erfindet einürokratisches Bildungspaket, das kaum einem Kindilft.
Nehmen wir ein anderes Beispiel. Es ist schön, dassie Arbeitslosenzahlen zurückgehen.
Ja, es ist sehr schön. Ich freue mich darüber. Vielleichtin ich da anders gestrickt als Sie.Schauen wir uns aber die Realität in den Gemeinden,ei den Arbeitsagenturen an. Gehen die Ausgaben ei-entlich in gleichem Maße zurück? Bei den Langzeitar-eitslosen ist das nicht der Fall. Was muss ich fernerststellen? 1,4 Millionen Menschen, die jetzt wieder inrbeit sind – noch einmal: ich begrüße das –, sind daraufngewiesen, dass ihr Gehalt aufgestockt wird, sie alsoeiter ALG II beziehen. Was machen Sie in einer Situa-on, in der Sie den Haushalt konsolidieren wollen? Sie
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14486 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Jürgen Trittin
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setzen die Praxis fort und subventionieren ausbeuteri-sche Arbeitsverhältnisse mit Steuergeldern. Sie sind ge-gen einen Mindestlohn.
Ich will Ihnen ein Beispiel aus Mecklenburg-Vorpom-mern nennen. Bei einer Diskussion über den Mindest-lohn im Wahlkampf sagt der FDP-Kandidat, man dürfedoch nicht für einen Mindestlohn sein. Wörtlich fährt erfort: „Dann müssen die Hoteliers an der Ostsee dieLöhne ja komplett selber zahlen.“ Meine Damen undHerren, hier offenbart sich doch ein Abgrund von sozia-ler Verwahrlosung. Wo leben wir denn, dass es als nor-mal empfunden wird, dass der Staat die Löhne bezu-schusst?
Oder nehmen wir den sozialen Ausgleich als Beispiel.Deutschland ist ein wohlhabendes Land. Wir haben2 Billionen Euro Staatsschulden, aber wir haben auch5 Billionen Euro Privatvermögen. Das ist schön. DasProblem ist: Das Vermögen ist sehr ungleich verteilt. Dieobersten 10 Prozent besitzen weit mehr als die Hälfte.Die unteren 30 Prozent haben fast nichts oder Schulden.Jeder zwölfte Haushalt ist überschuldet. Das sind3,4 Millionen Menschen in diesem Land. Diese Un-gleichverteilung, dieses Zerreißen der Gesellschaftnimmt zu. 2007, vor der Krise, gab es 830 000 Millionä-rinnen und Millionäre in Deutschland. Nach der Krisesind es 910 000. In keinem Land der Welt hat es einevergleichbare Entwicklung geben.In dieser Situation reden wir zum Beispiel darüber,wie die Mittel für den Rettungsfonds aufgebracht wer-den sollen. Es ist die Partei Ludwig Erhards, die sich ei-ner Vermögensabgabe verweigert, einer Vermögensab-gabe, die nach eben jenem Modell des Lastenausgleichserhoben werden soll, mit dem Ludwig Erhard nach demZweiten Weltkrieg dieses Land regiert hat. Sie wollenkeinen sozialen Ausgleich. Da Sie ihn nicht wollen: Hö-ren Sie auf, zu behaupten, Sie seien die Partei der sozia-len Marktwirtschaft! Davon sind Sie heute meilenweitentfernt. Sie wollen keinen sozialen Ausgleich.
Wenn Sie es ernst meinten, dann hätten Sie beispiels-weise die Abgeltungsteuer schon lange abschaffen müs-sen; denn sie begünstigt leistungslose Gewinne aus spe-kulativen Geschäften. Dafür muss man weniger Steuernzahlen als jeder Handwerker; denn die Abgeltungsteuerist niedriger als die durchschnittlichen Unternehmen-steuern. Hören Sie doch auf, die Realwirtschaft steuer-lich zu diskriminieren, und schaffen Sie diese Kopfge-burt von Peer Steinbrück, den Sie sonst gernebeschimpfen, endlich ab!
Ich sage Ihnen: Ich möchte keinen allumfassendenStaat. Der Staat soll seine Leistungen solide und verläss-lich erbringen. Er soll für gute Schulen, verlässliche Kin-derbetreuung sorgen. Menschen müssen von ihrer ArbeitlegüuucD–ddre2nvwMwvsmFuSbslikswtuFbGaRDLzw
ill das gar nicht. Schauen Sie sich Martin Kind,ichael Otto an! Sie und viele andere sagen: Nein, wirollen mehr Steuern zahlen, damit diese Gesellschafton ihrem Schuldenstand herunterkommt und damit un-ere Kinder nicht mit einem überschuldeten Staat lebenüssen. Was ist die Antwort aus Ihrer Koalition? DieDP sagt: Dann sollen die doch spenden. Meine Damennd Herren, ich weiß ja, dass Sie sich mit Spenden undponsoring
estens auskennen. Aber zu der Vorstellung eines ge-ponserten Staates kann ich nur sagen: Das ist nun wirk-ch das Allerletzte, was wir in diesem Land gebrauchenönnen.
Ich sage auch nie wieder, dass Sie die Partei der Bes-erverdienenden sind,
eil man damit Martin Kind und Michael Otto unrechtt. Diese Menschen wissen, dass von einer solideninanzierung des Staates, an der sich die Starken stärkereteiligen als die Schwachen, der Zusammenhalt dieseresellschaft abhängt. Deren Interessenvertreter sind Sieber schon lange nicht mehr in diesem Lande.
Herr Brüderle ist ja in seiner Partnerschaft mit Herrnösler noch nicht so lange Fraktionsvorsitzender.
och schauen wir uns einmal deren wirtschaftspolitischeeistung an: Das Einzige, was ihnen eingefallen ist, ist,u erklären, dass sie endlich einmal liefern wollten. Ja,as haben sie geliefert? Die Forderung nach Steuersen-
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kungen. Das ist ungefähr so schmackhaft wie eine in derMikrowelle aufgewärmte Pizza. Schauen Sie sich ihrenBeitrag zur Energiewende an: gleich null. Ihr Beitragzum Entflechtungsgesetz: Es gibt jetzt nach zwei Jahrenschon ein Eckpunktepapier. Neues Insolvenzrecht: Fehl-anzeige.
Die Bilanz von Herrn Rösler und Herrn Brüderle, dieBilanz der FDP in der Wirtschaftspolitik ist katastrophal.
Wenn die Oppositions- und Koalitionsfraktionen mitder Bundeskanzlerin darüber diskutieren, wie es mitEuropa weitergehen soll, und 90 Minuten eine angeregteDiskussion darüber führen, ob wir Euro-Bonds oder eineVertragsänderung brauchen,
wie wir die Beteiligungsrechte des Parlamentes ausge-stalten, beteiligen sich alle daran, außer dem Minister,der in der Bundesregierung für den Binnenmarkt feder-führend zuständig ist.
90 Minuten dröhnendes Schweigen von Herrn Rösler.Selbst Klaus Ernst hatte mehr zu sagen, meine Damenund Herren. Deswegen sollte es bald vorbei sein mit derRegierungsbeteiligung der FDP.
Frau Bundeskanzlerin, bezüglich Europa haben Sie jaeben eine Rede gehalten, die stark in die eigenen Reihengerichtet war.
Aber Sie können es deswegen nicht kommunizieren,weil Sie in vielerlei Hinsicht an Glaubwürdigkeit verlo-ren haben. Das hat einmal damit zu tun, dass Sie dasNotwendige bis heute immer erst zu spät getan haben. Eshat dann auch damit zu tun, dass es für Sie immer min-destens zwei Lösungen gibt – Sie haben ja vorhin gesagt,es gebe nicht die eine Lösung –, die sich dann garantiertwidersprechen.
Sie haben behauptet, Griechenland sei ein Einzelfall.In Wirklichkeit kamen dann Hilfen für weitere Länder.Sie haben gesagt, man müsse möglichst hohe Zinsennehmen. Inzwischen mussten Sie die Zinsen zurückneh-men, weil die hohen Zinszahlungen der Krisenländer dieKrise verlängert und verschärft haben. Sie haben gesagt,wir bräuchten keinen dauerhaften Stabilisierungsmecha-naULdfüHdskdeshwhdBdebSDtrnaSuwhaWddsusDs
Das tun wir vor dem Hintergrund eines guten Urteilses Bundesverfassungsgerichts. Es ist ein gutes Urteilr Europa und auch und gerade für die Rechte diesesohen Hauses. Für Europa ist es ein gutes Urteil, weil esen Weg dafür freimacht, diese Krise europäisch zu lö-en. Für den Bundestag ist es ein gutes Urteil, weil eslarstellt, dass das Haushaltsrecht des Deutschen Bun-estages nicht infrage gestellt werden darf.Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts enthältine kritische Anmerkung zur Rolle des Haushaltsaus-chusses. Ich kann Ihnen eines sagen, Herr Brüderle: Sieätten diese kritische Anmerkung vermeiden können,enn Sie bei der Verabschiedung des EFSF auf uns ge-ört hätten und genau die Forderung, die jetzt auch inem Urteil enthalten ist, nämlich Entscheidung über dieereitstellung von Geldern durch den Deutschen Bun-estag, aufgenommen hätten. Dann hätten Sie jetzt nichtrneut nachbessern müssen. Das ist die Lage.
Frau Merkel, Sie haben da ein Glaubwürdigkeitspro-lem, auch weil Ihre Rede nicht klar ist.
ie haben zum Schüren antieuropäischer Vorurteile ineutschland und in Ihren eigenen Reihen selber beige-agen. Oder wozu sonst sollte das dumme Gerede die-en, dass die Griechen früher in den Ruhestand gingenls die Deutschen, was gar nicht wahr ist? Jetzt sagenie: Das war alles nicht so gemeint; dieses Europa istnd bleibt unsere Zukunft. – Ja, das ist richtig. Aberenn Sie vorher nicht etwas anderes gesagt hätten, dannätte Ihnen der eine oder andere in Ihren Reihen dasuch abgenommen.
Oder nehmen wir das Beispiel einer europäischenirtschaftsregierung. Sie haben gesagt, wir bräuchteniese Wirtschaftsregierung, obwohl Sie anfangs immeragegen gewesen sind. Nun wollen Sie diese Wirt-chaftsregierung beim Rat ansiedeln
nd damit genau dem Mechanismus der Kungelei zwi-chen den Regierungschefs aussetzen. Ich sage Ihnen:amit werden Sie die Europamüdigkeit und Europa-kepsis in diesem Lande weiter befördern.
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14488 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Jürgen Trittin
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Eine europäische Wirtschaftsregierung muss so ge-staltet sein, dass sie nicht in abgeschlossenen Hinterzim-mern agiert. Sie muss die nationalen Parlamente und dasEuropaparlament beteiligen und die Fähigkeiten derEuropäischen Kommission einbeziehen. Sie muss daraufabzielen, dass wir in Europa gemeinsame Unternehmen-steuerbandbreiten, gemeinsame soziale, ökologische undfinanzwirtschaftliche Standards sowie endlich eine ver-nünftige Regulierung der Finanzmärkte erreichen. Dasist etwas, wofür Menschen in diesem Lande streiten wer-den.
Wir wollen dieses Europa. Ob Sie es wollen, wissenSie nicht. Sie wissen nicht einmal, ob Sie eine eigeneMehrheit haben. Ich sage Ihnen auch: Deutschland hatdie schwächste Regierung seit Jahrzehnten. Wann hat esdas je gegeben, dass eine Regierung zur Mitte der Legis-laturperiode fast alles – bis auf die Mövenpick-Subven-tion – zurücknehmen musste?
Aber es ist schlimmer. Diese Regierung hat durch ihrHandeln das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaftschwer beschädigt. Sie hat das Vertrauen vieler Men-schen in die demokratischen Institutionen gefährdet. Soist aus einer Traumkoalition eine Albtraumkoalition fürDeutschland geworden. Die Mehrheit schwindet, dieKanzlerindämmerung ist unübersehbar. Ich glaube, eswird Zeit für einen neuen Morgen.
Volker Kauder hat das Wort für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! In dieser Woche beginnen wir die Beratungen überden Entwurf des Bundeshaushaltes 2012. Wir beginnendie Beratungen darüber, wie wir die Grundlagen dafürlegen können, dass es in diesem Land auch in den nächs-ten Jahren gut weitergeht. Kaum jemand aus der Opposi-tion hat darüber gesprochen.
Ich glaube, man hat deswegen nicht darüber gesprochen,weil man nur Gutes hätte sagen können, und das wollteman nicht. Das ist der wahre Grund für Ihr Verhalten.
Die Bedeutung des Bundeshaushaltes 2012 und dermittelfristigen Finanzplanung für die nächsten Jahrekann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wir alleerleben aktuell schwierige Diskussionen in Europa. Ichmuss es an dieser Stelle einmal klar und deutlich sagen:WEEwcwzEemsAgImEdASheDugRdasjekRGgRS„azSfüesm
mer wenn es darauf angekommen ist, die richtigenntscheidungen für die Zukunft zu treffen, hat die SPDie falschen Entscheidungen getroffen.
ls es damals darum ging, den Euro einzuführen, habenie den Euro kritisiert.Der Euro ist eine Erfolgsgeschichte. Gestern Abendat die Wirtschaft noch einmal deutlich gemacht, dassin Teil des Erfolges und ein Teil des Wohlstandes ineutschland natürlich dem Euro zu verdanken sind. Fürnsere exportorientierte Wirtschaft war der Euro ein Se-en. Sie waren damals dagegen. Kaum waren Sie an deregierung, haben Sie dafür gesorgt, dass das entschei-ende Rückgrat des Euro, nämlich der Stabilitätspakt,ufgelöst worden ist nach dem Motto: Wir haben in die-er Regierung einen Haufen Arbeitslose produziert, undtzt müssen wir Schulden machen, um wieder voranzu-ommen. – Beides war ein großer Fehler. Dafür stehtot-Grün.
Herr Steinmeier, deswegen habe ich vorhin gerufen:ott sei Dank sind diejenigen, die solche Ergebnisse ab-eliefert haben, in dieser schwierigen Zeit nicht an deregierung.
ie haben immer die falschen Rezepte. Jetzt zu sagen:Wir retten Europa, indem wir Euro-Bonds und vielesndere auf den Weg bringen“, ist doch nur die Fortset-ung dieser falschen Politik.
ie wollen die Schulden vergemeinschaften, und dashrt die Staaten, die diese Schulden gemacht haben,ben nicht auf den richtigen Weg. Wir müssen vielmehragen: Wir helfen im Interesse des Euro. Aber dafürüssen auch Anstrengungen unternommen werden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14489
Volker Kauder
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Geld ohne Gegenleistung hat noch nie zur Besserung ge-führt.
Deswegen werden wir dies nicht machen.Heute ist – ja, so kann man es sagen – ein guter Tagfür Europa. Mit diesem Haushaltsentwurf 2012 zeigenwir, dass wir den Weg konsequent weitergehen. Gesternhat sich Herr Kollege Steinbrück aufgeregt, als dieWahrheit darüber gesagt worden ist, welch hohe Neuver-schuldung geplant war,
und als festgestellt worden ist, dass wir jetzt auf demWeg der Konsolidierung sind. Ich habe gedacht, es darfnicht wahr sein. Jetzt kommt die Mentalität Ihrer Parteizum Ausdruck.Die Grünen sitzen im gleichen Boot.
In Baden-Württemberg war man auf dem Kurs der Kon-solidierung. Die neue grün-rote Regierung bringt folgen-den Merksatz heraus: Wir müssen zunächst etwas mehrSchulden machen, um dann sparen zu können. – Einengrößeren Unsinn habe ich in meinem ganzen Leben nochnicht gehört: Wir müssen erst mehr Schulden machen,bis wir sparen können.
Ähnliches wird von Frau Kraft formuliert; von Rhein-land-Pfalz haben wir schon gesprochen. Da kann ich nursagen: Das sind genau die falschen Wege. Wir müssenden Haushalt konsolidieren; und das machen wir auch.Damit sind wir Vorbild. Die Schuldenbremse wird ein-gehalten. Sie muss jetzt in Europa umgesetzt werden.Wir müssen in dieser schwierigen Zeit auch eine Ant-wort darauf geben, wie es in Europa weitergeht. Europawar bisher vor allem in der Vorstellung meiner Genera-tion eine Antwort auf die Geschichte: Nie wieder Krieg;Frieden in Europa. Und wenn Europa nicht mehr erreichthätte als „Nie wieder Krieg“, wäre dies schon eine groß-artige Leistung.
Dies haben wir erreicht. Dies ist vor allem das Ergebnisder Europapolitik, wie sie unter Kanzlerinnen und Kanz-lern der unionsgeführten Regierungen gemacht wordenist.Es reicht aber nicht mehr aus, Europa ausschließlichals Antwort auf die Geschichte zu verstehen. Vielmehrmuss Europa jetzt eine Basis für Wohlstand und Ent-wicklung sein. Europa muss sich verstehen als der Wett-bewerber, weil die Zentren der Entwicklung nicht mehrnur in Europa liegen, sondern auch in Asien.datekvdgEfümbWmGbnnAruwuBbuwDdHmmgzgdbbwfiwtewsdbzsDro
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14490 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
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(Joachim Poß [SPD]: Der einzige richtige Satzin der bisherigen Rede!)Wir in Deutschland gehen da gut voran.Herr Steinmeier, es ist recht, wenn Sie sagen: Wir hel-fen da mit. – Das ist in Ordnung. Aber es zeugt nicht vonpolitischer Klugheit, in der Regierungszeit von Rot-Grün, in der auch Sie im Kanzleramt Verantwortung ge-tragen haben, zunächst einmal die Finanzmärkte zu ent-fesseln
und dann von uns zu verlangen, sie wieder einzufangen.
Sie haben dafür gesorgt – –
– Ich kann doch beweisen, was Sie da alles gemacht ha-ben,
was Herr Eichel alles formuliert hat, was von IhremBundeskanzler unter dem Titel „Deutschland AG“ for-muliert worden ist.
Sie haben einen großen Unsinn gemacht; wir sind geradedabei, das wieder einzusammeln. Das ist die Situation,meine sehr verehrten Damen und Herren.
Heute ist ein guter Tag für Europa, auch weil dasBundesverfassungsgericht eine kluge Entscheidung ge-troffen hat. Ich kenne zwar noch nicht das ganze Urteil,aber der Kernsatz heißt: Die Klagen werden abgewiesen.Was mit den Rettungsschirmen und Stabilitätsprogram-men auf den Weg gebracht worden ist, entspricht derVerfassung.Herr Steinmeier, Sie brauchen sich hier wirklich nichthinzustellen und zu sagen: Wir wollen eine stärkere Be-teiligung des Bundestages. – Sie wissen doch ganz ge-nau, dass ich Ihnen bei der letzten Besprechung, bei deres um die Frage ging, wie wir am Donnerstag mit demweiteren Paket umgehen, klipp und klar gesagt habe: Esgibt eine starke Beteiligung des Deutschen Bundestages.Ich habe ausdrücklich gesagt – Sie haben es sogar bestä-tigt; deswegen habe ich Ihre Einlassung hier nicht ver-standen –,
dass wir die Regelung zur Beteiligung des DeutschenBundestages natürlich auf eine breite Basis stellen wol-len. Bereits heute Nachmittag finden die ersten Gesprä-che zwischen den Koalitionsfraktionen und den Fraktio-nen der Opposition darüber statt, wie wir das aus-geawg–rinWsstaWliIcsmBPkmdinwsdDSnfebWswdWWgDVredinz
ie sind herzlich eingeladen, sich heute und in denächsten Tagen daran zu beteiligen.Wenn ich mir den Haushalt anschaue, dann stelle ichst, dass wir die Voraussetzungen dafür geschaffen ha-en, dass die Entwicklungen wirklich gut weitergehen.ir wissen, dass noch einiges zu tun ist, aber ganz ent-cheidend ist doch – davon ist heute schon gesprochenorden, auch von der Bundeskanzlerin –, dass wir iniesem Land alle beieinander bleiben.
as wir erreicht haben, nämlich dass wir stärker aus derirtschaftskrise herausgekommen sind, als wir hinein-egangen sind, war eine große Gemeinschaftsleistung.ie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben durcherzicht auf Lohn, Weihnachtsgeld und vieles andere ih-n Beitrag geleistet. Es war vor allem ein großer Beitrager mittelständischen Wirtschaft, die die Menschen nicht die Arbeitslosigkeit geschickt hat, auch mit Unterstüt-ung der Politik. Es ist die richtige Politik gemacht wor-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14491
Volker Kauder
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den. Es war eine große Gemeinschaftsleistung, die zudem schönen Ergebnis geführt hat.Es ist doch toll, dass es in Deutschland aufwärtsgeht.Diejenigen, die dazu einen bedeutenden und wichtigenBeitrag geleistet haben, nämlich die Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer, die jeden Morgen aufstehen und zurArbeit gehen und sich um ihre Familien kümmern, sol-len daher ihren Anteil an Wachstum und Wohlstand inunserem Land haben.
Deshalb geht es nicht um die von Ihnen geführte Diskus-sion über eine Steuerreform. Wir, FDP und CDU/CSU,sind diejenigen, die sehr genau wissen, was sozialeMarktwirtschaft heißt, was vor allem „sozial“ heißt.
Während unserer Regierungszeiten sind die bedeutends-ten Sozialgesetze in unserem Land gemacht worden, undnicht in der Regierungszeit von Rot-Grün.
Selbstverständlich ist es richtig, dass wir denjenigen,die in Not geraten sind und sich nicht selbst helfen kön-nen, durch unsere sozialen Leistungen helfen. Aber eskann nicht sein, dass wir jedes Jahr Hartz-IV-Leistungenan Inflation und Kostensteigerungen anpassen, aber die-jenigen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, von einer sol-chen Anpassung nichts haben.
Deswegen ist die Korrektur der kalten Progression eineFrage der Gerechtigkeit und keine Frage der Steuersen-kung.
Jeder trägt dort Verantwortung, wo er steht. Ich binsehr gespannt, liebe Kolleginnen und Kollegen von denGrünen – Sie stellen die Regierung in Baden-Württem-berg –
und von der SPD, ob Sie bereit sind, im Bundesrat zu sa-gen: Ja, wir stimmen dafür, dass die Hartz-IV-Sätze er-höht werden, aber wir sind dagegen, dass die Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer bei steigender Progressionentlastet werden. – Ich bin gespannt, ob Sie die Politikgegen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Bun-dhWtusdaEWVddbFsuEtrWFsrinRvunnisuhwrahImdisBnIca
Wir wissen sehr wohl, dass wir in Europa nochchwierige Aufgaben zu bewältigen haben. Wir wissen,ass Europa unsere Zukunftsperspektive ist. Wir wissenuch, dass wir ohne ein starkes und handlungsfähigesuropa im Wettbewerb mit anderen Regionen in derelt nicht bestehen können. Es ist ein bemerkenswerterorgang – ich bin an der Schweizer Grenze groß gewor-en, mein Wahlkreis liegt nicht weit davon entfernt –,ass ein Land wie die Schweiz, das alles tun will, umloß nicht nach Europa zu kommen, jetzt auf einmal denranken an den Euro bindet, weil man gemerkt hat: Aufich allein gestellt, das führt nicht in eine gute Zukunft.
Das Beispiel Schweiz sollte uns zeigen, wie glücklichnd gut die Entscheidung war, die wir damals für denuro getroffen haben. Aber damals haben wir einen zen-alen Schritt nicht gehen können. Eine gemeinsameährung muss mit einer gemeinsamen Wirtschafts- undinanzpolitik einhergehen.Dieses Thema ist vor allem in der Finanz- und Wirt-chaftskrise zum Tragen gekommen. Deswegen ist eschtig, wenn die Bundeskanzlerin sagt: Wir müssenicht nur zu jeder kleinen Frage, die da kommen mag,ichtlinien aus Europa erhalten, sondern wir brauchenor allem klare Vorgaben mit entsprechenden Kontroll-nd Sanktionsmechanismen für diejenigen, die sichicht an die Haushaltsdisziplin halten. – Ich erinnereoch gut, wie diese Haushaltsdisziplin zerstört wordent. Gerhard Schröder hat damals gesagt: Wir brauchenns an die Stabilitätsmechanismen nicht zu halten; daaut man in Europa einmal auf den Tisch, und dann istieder Ruhe im Karton. – Genau damit wurden die Vo-ussetzungen für die Probleme geschaffen, die wireute haben.
Deswegen brauchen wir ordentliche Mechanismen. Augenblick müssen wir mit dem arbeiten, was uns iner konkreten Rechtssituation zur Verfügung steht. Dast eine ganze Menge. Wir müssen vor allem eine klareotschaft vermitteln. Ich bitte Sie, das mitzutragen undicht falsche Dinge in die Welt zu setzen.
h sage es Ihnen noch einmal: Ihre Botschaft, dass un-bhängig davon, wie gewirtschaftet wird, eine Finanzie-)
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Volker Kauder
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rung zu einem bestimmten Zinssatz auf Dauer möglichsein soll, ist die falsche Botschaft. Nur dadurch, dass wirunterschiedliche Zinssätze haben, wird den betreffendenLändern klar, dass sie handeln müssen. Glauben Sie, Ita-lien und Griechenland hätten die ganzen Maßnahmeneingeleitet, wenn sie nicht so unter Druck gestanden hät-ten? Zu Ihrer Forderung nach Euro-Bonds und Umschul-dung sagen sie: Das ist eine super Geschichte. Wir schul-den um. Einer zahlt, und wir sind die Hälfte derSchulden los. – So stellen wir uns nicht die Zukunft Eu-ropas vor.
Wir brauchen ein Europa der Disziplin, ein Europader Verantwortung.
Das ist ein Europa, in dem junge Leute eine Perspektivehaben. Auf diesem Weg werden wir in den Koalitions-fraktionen weitergehen. Ich lade Sie ein, mitzumachen.
Der Kollege Thomas Oppermann hat das Wort für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DerKollege Kauder hat eben so viele falsche Sachen in dieWelt gesetzt, dass meine Redezeit von wenigen Minutengar nicht ausreicht, um das wieder aus der Welt zu schaf-fen.
Einige Punkte müssen wir aber richtigstellen, HerrKauder.Erstens. Sie haben die Hand gehoben für den Haus-halt 2010
mit einer Nettokreditaufnahme von 80 Milliarden Euro.
Das war die höchste Schuldenaufnahme in der deutschenGeschichte. Dafür trägt Schwarz-Gelb die Verantwor-tung. Sie sind die Schuldenkönige von Deutschland.
Zweitens: die Lockerung der Stabilitätskriterien. Dashat in der Tat stattgefunden. Die Stabilitätskriterien sa-hen – Stichwort „Balance“ – zunächst eine Neuverschul-dung von strikt 3 Prozent vor.–„DbDZsDdüSsIchdGEbbcsriddteznDdfüDeu
Höchstens 3 Prozent. – Dann wurde das geändert inclose to balance“.
as allerdings ist genau die Blaupause für die Schulden-remse, die heute in unserer Verfassung steht.
ie Idee dieser Schuldenbremse ist, dass man in guteneiten Geld einnimmt und zurückhält, damit man inchlechten Zeiten kreditfinanziert dagegenhalten kann.as ist die Idee.
Jetzt zu einer anderen Frage: Herr Brüderle, wo warenenn die Helden der FDP, als im Deutschen Bundestagber die Schuldenbremse abgestimmt wurde? Wo warenie da? Sie haben der Schuldenbremse nicht zuge-timmt.
h will Ihnen genau sagen, warum Sie nicht zugestimmtaben: Sie hatten Angst, dass die Schuldenbremse Siearan hindert, Ihrer Klientel mit auf Pump finanzierteneschenken zu helfen.
ine der wohltuendsten Wirkungen dieser Schulden-remse ist, dass dadurch diese Klientelgeschenke unter-unden werden.
Herr Kauder, wir haben noch einen Punkt zu bespre-hen. Was haben Sie denn 2010 gemacht, als der erstechwarz-gelbe Haushalt kam? Wenn die Stabilitätskrite-en von Rot-Grün zu Unrecht gelockert worden waren,ann wäre in dieser Zeit die beste Gelegenheit gewesen,as zu korrigieren und wieder zu den alten Stabilitätskri-rien zurückzukehren. Stattdessen haben Sie das Defi-itkriterium gerissen. Sie haben eine Nettokreditauf-ahme in Höhe von 80 Milliarden Euro beschlossen.
as haben Sie nicht gemacht, um eine Krise abzuwen-en. Das haben Sie gemacht, um die Klientelgeschenker Unternehmenserben und Hotelketten zu finanzieren.
as ist eine einzige Heuchelei. Sie selbst haben bei derrsten Gelegenheit die neuen Stabilitätskriterien genutztnd Ihre eigene Argumentation verraten. – So viel dazu.
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Herr Oppermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, am Ende können wir noch diskutieren. Ich habenur noch wenige Minuten Redezeit.Der Bundespräsident – wenn ich damit anfangen darf –
hat vor wenigen Tagen festgestellt: Dies ist nach demHerbst der Entscheidungen der Sommer der Ernüchte-rungen. Wer diese diplomatische Sprache des Präsiden-ten in die Alltagssprache übersetzt, der kommt zu derFeststellung, dass er sagen will: Diese Bundesregierungsteht nach zwei Jahren mit leeren Händen da. Selbst das,was Sie gemacht haben, ist fast ausnahmslos das Gegen-teil von dem, was Sie vorher versprochen haben.
Wer an die Versprechungen dieser Bundesregierung ge-glaubt hat, ist bitter enttäuscht worden. Die CDU hatversprochen, die Wehrpflicht aufrechtzuerhalten. Jetztist die Wehrpflicht abgeschafft. Sie haben eine Steuer-senkung von 24 Milliarden Euro versprochen. Davon istnoch nichts zu sehen.
Sie haben versprochen, die Laufzeiten der Atomkraft-werke zu verlängern. Dies haben Sie zunächst um-gesetzt, dann haben Sie die Umsetzung jedoch wiederzurückgenommen. Sie haben das dreigliedrige Schulsys-tem hochgehalten, und heute wollen Sie nichts mehr da-von wissen. Es gelten nur noch Abitur und Oberschule.In der Euro-Krise haben Sie die meisten Haken geschla-gen.Es gibt aber einen roten Faden in diesem ganzen Pro-zess. Sie haben nämlich immer genau das gemacht, wasSie vorher definitiv ausgeschlossen hatten, und immergenau die Entscheidungen getroffen, die Sie vorher defi-nitiv ausgeschlossen hatten. Das ist der rote Faden, dersich durch diese Regierung zieht.
Noch nie gab es so viel Zickzack in der deutschenPolitik. Noch nie sind so viele verwirrende Positions-wechsel vorgenommen worden. Ihre eigenen Leute wis-sen nicht mehr, wo Sie stehen. Deshalb sagen wir: DieseBundesregierung ist die schlechteste Bundesregierung inder Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Dabei will ich Ihnen gar nicht den guten Willen ab-sprechen. Natürlich haben Sie den guten Willen, diesesLand ordentlich zu regieren. Ihr Problem ist: Sie könnenes nicht.
Nicht einmal in den Bereichen, die eine bürgerliche Ko-alition eigentlich in der Kinderstube gelernt habenmsRZdSfarisvNmsliWwdBgBreR–dwmkDDkläaDumnSw
ie missachten auch die Rechtsprechung des Bundesver-ssungsgerichts. Drei Monate nach Ablauf der vom Ge-cht gesetzten Frist haben wir immer noch kein verfas-ungskonformes Wahlrecht. Das muss man sich einmalorstellen.
icht irgendwo in einer Parallelgesellschaft, sondernitten im Staat, mitten im Staatsorganisationsrechtchaffen Sie einen rechtsfreien Raum. Es ist so unerträg-ch, dass wir in dieser Republik kein anwendbaresahlrecht haben, dass ich nur sagen kann: Mit Ihnen istirklich kaum noch Staat zu machen.
Trotzdem werden wir uns zusammensetzen und überie Beteiligung des Parlaments an der EFSF reden. Dasundesverfassungsgericht ist sehr schonend mit der Re-ierungsseite umgegangen.
isher hatte der Haushaltsausschuss kein Zustimmungs-cht, sondern es gab ein Benehmen. Jetzt gibt es harteechte. Wir werden diese Rechte umsetzen.
Herr Fricke, wir werden aber auch darauf achten, dassen Hardlinern in der FDP, die diese Gelegenheit nutzenollen, um die parlamentarische Beteiligung zu instru-entalisieren, damit die EFSF Sand ins Getriebe be-ommt, das Handwerk gelegt wird.
as sind Leute, denen es nicht um mehr Demokratie ineutschland geht, sondern um mehr Handlungsunfähig-eit in Europa. Das werden wir nicht zulassen.
In der FDP haben sich einige Politikstrategen schonngst aufgemacht, um klammheimlich einen Fluchtwegus der schwarz-gelben Koalition zu basteln.
ieser Fluchtweg ist eine klare Position gegen den Eurond gegen Europa, damit Sie sich am Ende mit Populis-us noch einmal über die 5-Prozent-Hürde hieven kön-en. Das ist im Augenblick zu befürchten; das muss unsorge machen. Ich kann nur sagen: Spätestens dann,enn Sie diesen Weg gehen, meine Damen und Herren
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14494 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Thomas Oppermann
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von der FDP, wird sich ein großer Europäer und großerAußenminister, Hans-Dietrich Genscher, angewidert vonder Politik Ihrer Partei abwenden.Sie, Herr Westerwelle, müssten eigentlich das Erbevon Hans-Dietrich Genscher verwalten.
Ich finde, dass Ihnen das – ganz milde formuliert – nichtgut gelingt. Wir sagen Ihnen ganz offen, mit offenem Vi-sier: Wir glauben nicht, dass Sie Deutschland im Aus-land gut vertreten. Wir glauben nicht, dass Sie ein guterAußenminister sind, der die Interessen und das Ansehendieses Landes mehrt. Wir sagen das ganz offen und nichthinter vorgehaltener Hand oder in anonymen Interviewswie manch einer in der FDP. Ich weiß nicht, auf wen inder FDP Sie sich noch verlassen können. Auf uns kön-nen Sie sich verlassen.
Wir werden Ihr entschiedener Gegner bleiben, HerrWesterwelle. Ich füge hinzu: Wer Freunde wie PhilippRösler hat, braucht eigentlich gar keine Gegner.
Wenn die Bundeskanzlerin einmal mit etwas Positi-vem im Gepäck von den Euro-Verhandlungen zurückge-kommen ist, zum Beispiel mit dem Vorschlag einer Wirt-schaftsregierung oder der Finanzmarktbesteuerung, dannwaren es die Leute von der FDP, die sofort K.-o.-Krite-rien formuliert haben. Ich wundere mich, dass die Unionmit diesem Koalitionspartner, der konstruktive Ansätzezur Regulierung von Finanzmärkten immer wiederschon im Ansatz zerstört, weiter zusammen regierenwill.
Dann noch zur Steuersenkung. Das ist das große Pro-jekt, das noch vor uns liegt. 24 Milliarden Euro habenSie versprochen. Jetzt, sagt Herr Kauder, sollen es viel-leicht noch 7 Milliarden Euro werden. Was für ein aber-witziges Projekt!
Inmitten der größten internationalen Schuldenkrise sol-len jetzt noch mehr Kredite aufgenommen werden, da-mit die Steuern gesenkt werden können.
Was ist das für ein aberwitziges Projekt?sreräDradFgtütedvdfiztiSkdsLdfü
Herr Kollege.
Ich komme gleich zum Schluss. – Dieser Amtseid
erpflichtet sie, Schaden von ihren Ländern abzuwen-
en.
Herr Kollege!
Eine Steuersenkung, die Sie über zusätzliche Kredite
nanzieren müssen, würde dieses Land beschädigen.
Ich fasse zusammen.
Die Redezeit ist weit überschritten.
Ich komme zum Ende. – Diese Politik ist ein Armuts-
eugnis. Diese Bundesregierung ist menschlich und poli-
sch ausgebrannt.
ie hat keine Perspektive. Sie haben zwei Jahre lang
eine Probleme gelöst, und wir können nicht erwarten,
ass Sie das in den nächsten zwei Jahren tun werden. Ich
age Ihnen: Mit Ihnen geht es weiter bergab. Für das
and ist das nicht gut, aber für den Regierungswechsel,
er dann ansteht, ist es die richtige Voraussetzung.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Otto Solmsr die FDP-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14495
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Frau Präsidentin! Sehr geehrter Kollege Oppermann,wir sind ohne Weiteres bereit, jede kritische Auseinan-dersetzung zu führen, aber nicht mit Unwahrheiten. Dasist einfach unter Ihrem Niveau, oder Sie haben die Zah-len einfach vergessen. Die 80 Milliarden Euro Neuver-schuldung, von denen Sie geredet haben, standen imHaushaltsplan von Peer Steinbrück im Jahre 2010.
Was ist tatsächlich eingetreten? Wir hatten eine Neuver-schuldung von 44 Milliarden Euro.
Sie war also beinahe halb so hoch. Im Jahre 2011 werdenwir statt 71 Milliarden Euro Neuverschuldung wahr-scheinlich nur noch eine Neuverschuldung von 30 Mil-liarden Euro zu verzeichnen haben. Wir haben uns selbstnicht vorstellen können, dass wir den Turnaround soschnell hinbekommen. Wir freuen uns darüber.
Auch Sie sollten sich darüber freuen – denn das ist fürdie Bundesrepublik Deutschland ein tolles Ergebnis –,anstatt hier mit falschen Zahlen zu agieren.
Im Übrigen: Die Steuersenkungen in Höhe von24 Milliarden Euro, die Sie da wieder erfunden haben,stammen noch aus dem Wachstumsbeschleunigungsge-setz. In diesem Rahmen sind Steuerentlastungen von24 Milliarden Euro beschlossen worden. Jetzt haben wirüberhaupt keine Zahl festgelegt
und gesagt: Wir werden uns nach der Steuerschätzungauf eine vernünftige Größenordnung einigen. So wardas.Ich will noch etwas zur Situation des Euro und zu ei-nigen anderen Punkten sagen. Ich habe im letzten Jahr,als die EFSF eingeführt wurde, hier im Bundestag nichtzugestimmt, und zwar deshalb, weil ich kein Vertrauenhatte, dass die Regelungen, die entwickelt worden wa-ren, tatsächlich zurück zur Stabilitätsunion führen. Ichwar mir nicht sicher, ob nicht doch eine Transferunionentsteht, in der die Haftung vergemeinschaftet wird undzum Schluss diejenigen, die die Ausgaben und Schuldengar nicht zu verantworten haben, die Zeche zu zahlen ha-ben. Das wäre der falsche Weg gewesen.
– Das Thema, das Sie ansprechen wollen, ist erledigt.Ich will jetzt bei diesem Thema bleiben.–IclasgrelagihinfoItreddeSwSdrupshsDvgnGleBMDEtugksdgDskW
Meine Zahlen sind richtig.
h habe sie mir gerade von den Haushältern bestätigenssen.
Unter Mitwirkung der FDP haben wir, auch in ver-chiedenen Entschließungsanträgen im Bundestag, daraufedrungen, dass die Mittel, die im Rahmen der EFSF be-itgestellt werden, an strikte Bedingungen und harte Auf-gen gebunden sind und die einzelnen Länder gezwun-en werden, eine Entschuldungspolitik zu betreiben undre Schuldenpolitik einzustellen. Nun zeigt sich, gerade den letzten Wochen und Monaten, dass diese Politik er-lgreich ist. Das müssen auch Sie erkennen.Schauen Sie sich doch an, was passiert: Gestern hatalien vorgeschlagen, eine Schuldenbremse einzufüh-n; dort will man die Entschuldungspolitik erweitern,ie Mehrwertsteuer erhöhen und andere Maßnahmenurchführen. Spanien hat bereits eine Schuldenbremseingeführt. Sarkozy sagt, er will in Frankreich einechuldenbremse einführen. In Irland ist man schon vieleiter. Dort gehen die Zinsen für die Finanzierung destaates bereits zurück. Die Märkte vertrauen Irland wie-er. Portugal ist in einem umfassenden Umstrukturie-ngsprozess begriffen. In Wirklichkeit ist unser Kern-roblem nur noch – aber immerhin – Griechenland. Wiragen: Wenn Griechenland die Bedingungen nicht ein-ält, kann die Finanzierung nicht auf diese Weise fortge-etzt werden.
a müssen wir konsequent sein. Wenn wir uns anderserhalten würden, dann würden die anderen Staaten sa-en: Wenn die Griechen das machen können, dann kön-en wir das auch machen. Dann geben wir wieder vieleld aus, und zum Schluss müssen die Deutschen zah-n. – Nein, das geht nicht.Dem will ich Ihre Vorschläge bezüglich der Euro-onds gegenüberstellen. Haben Sie Ihren Wählern unditgliedern überhaupt erklärt, was Euro-Bonds sind?as ist ja nur ein Schlagwort. Das versteht doch keiner.uro-Bonds bedeuten, dass eine gesamtstaatliche Haf-ng ausgesprochen wird. Es wird Geld zur Verfügungestellt, für das alle Staaten haften. Aber die Schuldnerönnen auf den Staat zurückgreifen, der finanziell amtabilsten ist. Das heißt auf Deutsch gesagt: Sie fordern,ass die deutschen Steuerzahler für die Schulden deranzen Währungsunion haften.
as ist doch eine abenteuerliche Vorstellung. Schauen Sieich einmal die Dimension der Schulden an. Jedes Landann immer zuerst auf die Deutschen zurückgreifen.
ir müssen das dann finanziell verkraften.
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14496 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Dr. Hermann Otto Solms
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Das ist eine abenteuerliche Vorstellung. Ich glaube,Sie wissen selbst nicht, was Sie da beschlossen haben.
Wenn Sie es wissen, dann gehen Sie nach Hause und tunSie Buße, denn so einen Unsinn kann man doch bei kla-rem Verstand nicht beschließen.
Für die deutschen Steuerzahler und für die deutscheFinanzpolitik ist das ein unzumutbarer Vorschlag. Heutehat das Verfassungsgericht bestätigt, dass dies verfas-sungsrechtlich nicht zulässig ist. So verstehe ich jeden-falls die Pressemeldung des Verfassungsgerichts.Ich sage Ihnen: Sie sind auf dem falschen Weg, undSie haben das Ganze eingeleitet. Eichel hat damals Grie-chenland aufgenommen und Griechenland für seine mu-tigen Konsolidierungsaufgaben bewundert. Alle Zahlenwaren erstunken und erlogen, nichts hat gestimmt. Daswussten fast alle, nur Eichel nicht. Dann haben Schröderund Fischer den Stabilitätspakt aufgeweicht. Nur deswe-gen sind wir überhaupt in diese problematische Situationgekommen.
Ich sage Ihnen: Für diese Art der Stabilitätspolitik, diedazu führt, dass jeder für seine Ausgaben verantwortlichbleibt – auch das wurde übrigens vom Verfassungsge-richt bestätigt –, ist die FDP zentral mitverantwortlich.Die Bundeskanzlerin ist bei den Verhandlungen geradein diesem Jahr vorausgegangen und hat diesen Weg be-schritten. Ohne die FDP wäre dieser Weg aber nie be-schritten worden – das ist meine Überzeugung – und mitIhnen schon gar nicht, wenn Sie an koalitionspolitischeVorstellungen denken.In der Haushaltskonsolidierung ist es ähnlich. Wir, dieFDP, garantieren die Konsolidierung des Haushaltes,und zwar ohne Steuererhöhungen. Mit Ihnen geht es nurmit Steuererhöhungen.
Sie überbieten sich gegenseitig mit Steuererhöhungsvor-schlägen. Das Allertollste ist der neueste Vorschlag derSPD, den Spitzensatz bei der Einkommensteuer auf49 Prozent anzuheben. Sie erwecken den Eindruck, dassdas nur ein paar Multimillionäre zahlen müssten.
Ich sage Ihnen: Die Multimillionäre haben ihre Vermö-gen sowieso so gestaltet, dass Sie gar nicht daran heran-kommen. Wen treffen Sie damit?
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hilipp Rösler und Daniel Bahr haben die Wende einge-itet und für eine Reserve von 2 Milliarden Euro bei denesetzlichen Krankenversicherungen gesorgt.
Frau Schmidt, schön, dass Sie da sind. Dann könnenie sich das anhören. – Jetzt haben die gesetzlichenrankenversicherungen eine Reserve von 2 Milliardenuro. Wodurch? Durch Senkung der Arzneimittelkosten
nd durch Herstellung eines Wettbewerbs zwischen denrankenkassen. Das schafft Effizienzgewinne, undurch diese Effizienzgewinne werden die Kostenesenkt. Deswegen ist wichtig: Auch in der Gesund-eitspolitik muss man auf Eigenverantwortung undettbewerb setzen. Dann kommen wir zu besseren Er-ebnissen. Das ist nicht unsozial.
Diese Politik bekommen Sie nur mit Beteiligung derDP. Das will ich hier sagen, weil manche glauben, sieönnten schon locker über uns hinweggehen. Keineorge, wir haben schon viele schwierige Zeiten über-tanden und finden immer wieder heraus, und zwar ge-utert,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14497
Dr. Hermann Otto Solms
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stärker und intelligenter. Sie hingegen ruhen sich auf Ih-ren momentanen Wahlerfolgen aus. Am Ende werdenSie bei der Bundestagswahl aber wieder die ersten Ver-lierer sein.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Gerda Hasselfeldt hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Haushaltsdebatten, so sagt man, sind die Stunde der Op-position. Da hat sie die Möglichkeit, Alternativen vorzu-legen, Visionen zu entwickeln. Diese Chance, diese Ge-legenheit haben Sie heute aber nicht genutzt. Das isteindeutig.
Diese Debatte findet in Zeiten großer Turbulenzen anden internationalen Finanzmärkten statt. Sie findet in ei-ner Zeit der Verunsicherung der Menschen in der Euro-Zone statt. Gerade in dieser schwierigen Zeit setzt dieserHaushalt notwendige und richtige Akzente, und zwar inzweierlei Hinsicht:Zum Ersten wird deutlich, dass Schuldenabbau einer-seits und Wirtschaftswachstum andererseits keine Ge-gensätze sind, sondern zusammengehören und dass bei-des möglich ist, ja sogar das eine die Voraussetzung fürdas andere ist:
Schuldenabbau und positive wirtschaftliche Entwick-lung – das zeigt dieser Haushalt, das zeigt die Politikdieser Regierung.Zum Zweiten wird deutlich: Das, was Deutschlandkann, muss auch Europa können. Da sind wir noch nichtganz so weit. Aber wir setzen hier Zeichen. Wir sindVorreiter im Schuldenabbau, in einer stabilen Finanz-und Haushaltspolitik. Wir sind Vorreiter im Bereich desWachstums. Diese Rolle müssen wir auch in Zukunftwahrnehmen.Ich möchte der Bundeskanzlerin ganz herzlich fürdiese Arbeit danken; denn all das ist nicht von alleinegekommen. Volker Kauder hat es angesprochen. Es isteine riesige Gemeinschaftsleistung, dass wir heute bes-ser aus der Krise herausgekommen sind, als uns das inallen Prognosen vorhergesagt worden ist. Dass wir bes-ser dastehen als vor der Krise, war und ist nicht selbst-verständlich, sondern liegt an einer riesigen Gemein-schaftsleistung der Menschen im Land, der Wirtschaft,der Arbeitnehmer, aber auch der verantwortlichen Re-gierung.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich denke,dass wir gut daran tun, die Sorgen der Menschen ernst zunapNESWetidhmpguratePsbicnGWssddtedKle–dbdbcme
Sie hatten damals nicht die Kraft dazu. Sie haben da-urch, dass Sie die Kriterien aufgeweicht haben, dazueigetragen, auch andere zum Schuldenmachen einzula-en.
Da helfen auch alle Vergleiche mit der Schulden-remse auf nationaler Ebene nichts, die vorhin angespro-hen wurden. Denn auf europäischer Ebene haben wirit der nicht einheitlichen Finanz- und Haushaltspolitikine völlig andere Grundlage als auf nationaler Ebene.
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14498 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Gerda Hasselfeldt
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Sie waren damals die Brandstifter und möchten heuteder Biedermann sein. So einfach geht das nicht.
Beides waren Fehleinscheidungen von historischerBedeutung, deren Konsequenzen wir heute alle mit-einander zu tragen haben. Wer solche Fehlentscheidun-gen trifft, der sollte sich, denke ich, mit Vorwürfen anandere sehr zurückhalten.
Was wir in dieser schwierigen Lage brauchen, ist ers-tens ein konsequenter Schuldenabbau. Wir sind hierbeiauf einem sehr guten Weg – das ist mehrfach angespro-chen worden – mit der deutlichen Senkung der Netto-kreditaufnahme und der Verschuldung insgesamt.
Wir sind auf einem guten Weg, und zwar auf einem we-sentlich besseren Weg, als es in vielen europäischenLändern der Fall ist.
Zweitens brauchen wir eine stabilitätsorientierte Poli-tik in jedem der Euro-Länder. Drittens brauchen wirwettbewerbsfähige Strukturen in ganz Europa.Die von Ihnen vorgeschlagenen Euro-Bonds sind da-gegen ein völlig falscher Weg. Sie vereinheitlichen da-mit die Zinshöhe. Die Länder, die gut wirtschaften undeine hohe Bonität haben, würden dann einen höherenZinssatz zu bezahlen haben. Das hätte entsprechendeAuswirkungen auf die Haushalte und damit auf die Steu-erzahler.Diejenigen, die schon jetzt schludrig arbeiten undnicht konsolidieren und sparen wollen, hätten durchniedrigere Zinsen noch einen Vorteil. Das wäre praktischeine Einladung zu weniger Konsolidierung, zu wenigerAnstrengungen und zu weiterem Schuldenmachen. Daskönnen wir nicht mitmachen.
Der Druck, sich stabilitätskonform zu verhalten, Ein-sparungen vorzunehmen und Strukturreformen durchzu-führen, würde dadurch wegfallen. Wir brauchen keineSchuldenunion, sondern eine Stabilitätsunion.
Deshalb sind auch alle vorgesehenen Hilfsprogrammeund Maßnahmen mit strikten Auflagen verbunden. Soli-darität in Form von Leistungen und Hilfen kann es nurdann geben, wenn entsprechende Anstrengungen unter-nommen werden, wobei die Anstrengungen und die Ein-haltung der Auflagen auch überprüft werden müssen.Bei Nichteinhaltung müssen entsprechende Konsequen-zWgndsnlitimEsdSSvleSdSuunruFtuliLBakteluVwhzBmdwVtuwMdhwFruis
Diese Bemühungen tragen in einigen Ländern, zumeispiel in Spanien, Früchte. Das sollte uns ermuntern,uf diesem Weg weiterzugehen. Diesen Weg sollten wironkretisieren. Am Ende muss dann die Frage beantwor-t werden, welche vertraglichen und rechtlichen Rege-ngen zu treffen sind.Dass Deutschland in dieser Beziehung eine großeerantwortung hat, sieht und spürt jeder. Diese Verant-ortung nehmen wir wahr. Diese Verantwortung ist des-alb so groß, weil wir beispielgebend sind; denn wir sindugleich Stabilitätsanker und Wachstumslokomotive.eide Aspekte werden in Deutschland gelebt. Die Be-ühungen, diese beiden Aspekte miteinander zu verbin-en, sind nicht nur in Deutschland, sondern auch europa-eit erkennbar. Wir sind bei der Schuldenbremseorbild, wir sind für viele Länder Vorbild bei den Struk-rreformen. Die Schuldenbremse ist nicht nur aktuellichtig; sie bringt vielmehr zum Ausdruck, was dasarkenzeichen dieser Regierung seit Jahren ist: Es istas Bemühen um Generationengerechtigkeit, das Bemü-en um Nachhaltigkeit, und zwar nicht nur in der Um-eltpolitik und in der Sozialpolitik, sondern auch in derinanzpolitik. Das ist das Markenzeichen dieser Regie-ng.
Diese Verantwortung gilt es wahrzunehmen. Deshalbt uns dies so wichtig.
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Gerda Hasselfeldt
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Das kommt im Haushalt zum Ausdruck – Rückfüh-rung der Neuverschuldung –, aber auch im Ergebnis un-serer Politik. Das zeigt die wirtschaftliche Entwicklung,insbesondere die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen.Das wurde im Laufe der Debatte schon mehrfach ange-sprochen. Nachdem wir 5 Millionen Arbeitslose zu Be-ginn unserer Regierungszeit übernommen haben, sindwir jetzt bei unter 3 Millionen. Die Prognosen warenganz anders. Das kann man nicht einfach als Selbstver-ständlichkeit abtun. Jetzt haben wir wieder finanzielleSpielräume und können das Geld, das sonst für Arbeits-losigkeit ausgegeben werden müsste, sinnvoller verwen-den. Die Beiträge konnten gesenkt werden, und jetztkönnen wir die arbeitsmarktpolitischen Instrumente aufdie wesentlichen Personenkreise konzentrieren. Das al-les ist nur möglich, weil die wirtschaftliche Entwicklungund insbesondere die Arbeitsmarktentwicklung so gutist. Der Schwerpunkt Bildung und Forschung wurde an-gesprochen. Auch das ist etwas, was mit Zukunftsgestal-tung zu tun hat.In dieser Situation kommt jetzt die SPD mit Vorschlä-gen aus der Mottenkiste. Sie hat all die Forderungen ausder Mottenkiste geholt, die sie schon früher aufgestellthat: Erbschaftsteuer, Vermögensteuer, Erhöhung derEinkommensteuer. Das hatten wir schon alles. Das allesist Gift für die Konjunktur, Gift für die weitere wirt-schaftliche Entwicklung, Gift für die Beschäftigung derMenschen im Land.
Ihnen fällt zur Haushaltskonsolidierung offensichtlichnichts anderes ein, als das Geld von den Steuerzahlernabzukassieren.
Das ist Ihre Philosophie. Unsere Philosophie war und istschon immer eine andere.Wenn die wirtschaftliche Entwicklung sich gebesserthat und wir wieder Spielräume haben, dann sollen alledavon profitieren, auch diejenigen, die täglich zur Arbeitgehen und Geld verdienen. Es darf nicht sein, dass beiLohnerhöhungen überproportional hohe Abgaben fälligwerden. Diese sogenannte kalte Progression abzubauen,ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit und nichts ande-res.
Angesichts unserer Einkommensteuerverteilung aufder Ebene von Bund, Ländern und Gemeinden muss ichschon sagen: Das Gebot der sozialen Gerechtigkeit ver-bietet eine Diskussion darüber, ob etwas zwar für denBund wichtig ist, für die Länder und die Kommunenaber nicht. Es müssen schon alle mitmachen; Länder undKommunen tragen wie wir, der Bund, Verantwortung fürdie arbeitenden Menschen.
Ihre Rezepte waren schon damals falsch, und sie sindheute wieder falsch. Unser Ansatz, Schulden abzubauen,Wachstum zu fördern und die Betroffenheit der Men-sAbnkHnBwussgKszwgwbtususüzvtuAdgdzDnKfrnjehakdsGG
Zusätzlich werden jetzt 100 Millionen Euro aus demonjunkturpaket II für die Sanierung der kulturellen In-astruktur ausgegeben. In dieser Dimension hat es dasoch nie gegeben. Im ganzen Land sind es allein 80 Pro-kte des Bundes, zum Beispiel die Sanierung des Bau-auses Dessau, der Burg Eltz in Rheinland-Pfalz oderuch des Deutschen Literaturarchivs Marbach. In Berlinonnte ich in diesen Tagen drei Einrichtungen des Bun-es, die mit einem Volumen von über 30 Millionen Euroaniert wurden, wiedereröffnen. So strahlen im neuenlanz das Theater der Berliner Festspiele, der Martin-ropius-Bau und die Akademie der Künste am Hansea-
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Staatsminister Bernd Neumann
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tenweg. Hier werden wir in vorbildlicher Weise der Mit-verantwortung des Bundes für die kulturelle Repräsenta-tion in der Hauptstadt gerecht.
Mit diesem außerordentlichen finanziellen Engage-ment bekennt sich die Bundesregierung zu der besonde-ren Rolle der Kultur für unsere Gesellschaft und zu ihrerVerantwortung als europäische Kulturnation.Es ist eben die Kultur, die unser Wertefundament bil-det. Es sind die Künste, die uns zum Reflektieren undBesinnen ermuntern, die ganz wesentlich die Basis unse-res Gemeinwesens bilden. Darüber hinaus ist Kulturmittlerweile ein nicht zu übersehender Standortfaktor. Esist kein weicher mehr, sondern wegen seiner wirtschaft-lichen Bedeutung ein harter.Lassen Sie mich aus dem vorliegenden Haushaltsent-wurf wegen der Kürze der Zeit nur wenige Punkte stich-wortartig hervorheben.Kulturelle Bildung. Auch im Haushaltsjahr 2012 in-tensiviert der BKM seine Aktivitäten zur kulturellen Bil-dung. Wir haben erneut eine beträchtliche Erhöhung vor-gesehen.
Besonders im Blick sind bundesweit modellhafte Pro-jekte, die diejenigen erreichen sollen, die bisher kaummit Kultureinrichtungen in Kontakt gekommen sind.
Reformationsjubiläum. Das Bundeskabinett hat mir indiesem Jahr die Aufgabe übertragen, die Aktivitäten derBundesregierung zu koordinieren, da es sich hier imKern um eine kulturpolitische Aufgabe handelt. Wir ha-ben bereits in diesem Jahr bedeutsame Veranstaltungenfinanzieren und gemeinsam mit den Ländern authenti-sche Orte der Reformation sanieren können. Das sollsich im kommenden Jahr fortsetzen und hat – wie Siewissen – seinen Höhepunkt im Jahre 2017, dem Jubilä-umsjahr der Reformation. Dann werden wir seitens desBundes mindestens 30 Millionen Euro dazu beigetragenhaben.
Aufarbeitung der SED-Diktatur. Meine Damen undHerren, wir haben vor kurzem der Opfer des Mauerbausgedacht. Es macht traurig und wütend zugleich, dassheute immer noch Menschen – auch mit politischer Ver-antwortung – das System der DDR verharmlosen. OhneZweifel war die DDR ein Unrechtsstaat, der die funda-mentalen Bürgerrechte verweigerte, Andersdenkendebespitzelte, verfolgte und inhaftierte. Uns ist es wichtig,dass dies der jungen Generation vermittelt wird. Daherbeteiligt sich der Bund an vielen Stellen, die authentischsind im Hinblick auf die Repression und Unterdrückungdurch den SED-Staat.
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Zur Medienpolitik abschließend zwei kurze Punkte.eutsche Welle. Wir werden den von den Verantwortli-hen des Senders geplanten Reform- und Umstrukturie-ngskurs uneingeschränkt unterstützen. Die Deutscheelle ist unsere mediale Visitenkarte weltweit. Sie istin unverzichtbarer kompetenter Botschafter Deutsch-nds. Deshalb haben wir – im Gegensatz zu der Regie-ng von Rot-Grün unter Schröder – in den zurücklie-enden Jahren, seit 2005, die Deutsche Welle von derrwirtschaftung der globalen Minderausgabe, die alleessorts erbringen müssen, ausgenommen. Wir habenen Haushaltsansatz sogar um einige Millionen erhöht.Die Deutsche Welle wird im nächsten Jahr einen Bei-ag zur Gesamtkonsolidierung des Haushalts von 2 Mil-onen Euro leisten. Das ist weniger als 1 Prozent. Wirberlassen der Deutschen Welle die finanziellen Mitteldiese sind weitaus höher –, die sie durch die Reform anynergieeffekten erreicht. Das heißt, die Deutsche Welleird damit indirekt gestärkt. Wir hoffen, dass sie ihr Pro-ramm weiter qualifizieren kann.
Der andere Punkt betrifft den Film. Der Film gehörtun zu den besonderen Erfolgsgeschichten unserer Me-ienpolitik. Wir haben Deutschland wieder zu einem in-ressanten Standort für Filmproduktionen gemacht. Weras genauer belegt haben will, möge sich einmal die Pla-ung großer, auch internationaler Produktionen fürieses und nächstes Jahr vom Studio Babelsberg zeigenssen. Der Deutsche Filmförderfonds, den wir 2007 ge-einsam in der Großen Koalition eingerichtet haben, hateradezu zu einem Boom in der deutschen Filmwirtschafteführt. Dies führt letztlich auch zur Qualifizierung weite-r Filme, die sich zunehmend international besser ver-aufen und mehr internationale Preise erhalten.Abschließend mein herzliches Dankeschön an dieitglieder des Haushaltsausschusses. Sie alle haben im-er wieder notwendige zusätzliche Mittel zur Verfügungestellt und damit an der erfolgreichen Kulturpolitik ent-cheidenden Anteil.
leiben Sie bitte auch in Zukunft der Kultur gewogen!
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14501
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Siegmund Ehrmann hat das Wort für die SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Sehr geehrter Herr Staatsminister Neumann! Ichwill gerne bestätigen, dass das Klima der Zusammenar-beit in der Kultur- und Medienpolitik sehr kollegial istund in weiten Teilen auch auf Konsens ausgelegt ist.Gleichwohl lese ich gerade aus dem Haushaltsentwurf2012 eine deutliche Differenz heraus: Ich erkenne nicht,dass hier tatsächlich ernsthaft kulturpolitischer Gestal-tungsanspruch Raum greift.
Ich will das auch kurz begründen.Wenn man nämlich genauer hinsieht, KollegeBörnsen, dann stellt man fest, dass ein Volumen vonetwa 60 Millionen Euro durch neue Titel in den Haushaltdes BKM gelangt ist. Hierbei handelt es sich einerseitsum die Verlagerung von Verantwortlichkeiten aus ande-ren Ministerien: Dabei geht es um die Dienststelle fürdie Benachrichtigung der Angehörigen von Gefallenender ehemaligen Wehrmacht und den InternationalenSuchdienst des Roten Kreuzes in Bad Arolsen. Anderer-seits gibt es auch eine unter dem Gesichtspunkt derHaushaltsklarheit durchaus sinnvolle Sache, nämlichdass das Deutsche Historische Museum Miete bezahlenmuss.Dieses Volumen von 60 Millionen Euro muss nun ge-genfinanziert werden. Ich lese aus dem Entwurf, dass23 Millionen Euro durch das Auslaufen von Projektenfinanziert werden sollen. Das ist absolut nachvollzieh-bar. Das gilt aber – das ist mein erstes Thema – schonnicht mehr dafür, dass ein Klassiker aufgegriffen und derEtat der Bundeskulturstiftung wieder gekürzt wird, alsoder höhere Ansatz, den wir letztes Jahr gemeinsam er-stritten haben, wieder auf den alten Stand zurückgeführtwird. Die Bundeskulturstiftung ist nämlich ein klassi-sches Instrument der Kulturförderung, um dezentral inder Fläche gute Projekte anzuschieben. Zum anderen be-steht bei der Bundeskulturstiftung eine relativ starkeMittelbindung, da mehrjährige Verpflichtungen einge-gangen wurden. Kürzt man das Volumen, sind Ad-hoc-Projekte kleinerer Art, insbesondere auch über dieFonds, gefährdet.Ein zweites Thema möchte ich ansprechen, nämlichden kulturellen Denkmalschutz. Das ist in der Tat eintolles Projekt. Da haben Sie viel umgesetzt. Dass Sie dasweiterführen wollen, wie Sie angekündigt haben, spie-gelt sich im vorliegenden Haushaltsentwurf allerdingsnicht wider. Im Gegenteil, die Mittel sind eingesammeltworden, um die in den Aufgabenbereich des BKM verla-gerten Einrichtungen gegenzufinanzieren.
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Lassen Sie mich noch zwei Punkte ansprechen, dieh als Herausforderung begreife:Der Bereich des Gedenkens und Erinnerns ist auswingenden und guten Gründen ein sehr wichtigeshema, dem wir uns entsprechend widmen. Das Ge-enkstättenkonzept wird immer weiter fortgeschrieben.ir werden auch durch bürgerschaftliche Initiativen mitituationen und Inhalten konfrontiert, die noch nicht an-emessen mit dem Appell „Erinnern für die Zukunft“erbunden präsentiert und gewürdigt werden. Dasngste Projekt, mit dem wir uns auseinandersetzen, ist4. Über die Else-Lasker-Schüler-Stiftung sind alleraktionen auf das Zentrum für verfolgte Künste auf-erksam gemacht worden,
as besondere Biografien würdigt. Durch bürgerschaftli-hes Engagement ist im Bergischen Land auf beeindru-kende Art und Weise eine Sammlung geschaffen wor-en. Ich glaube, dass dieses Thema ein blinder Fleck imationalen Gedenkstättenkonzept ist. Es wäre ein gutertil, wenn wir im Bund gemeinsam, möglichst über alleraktionen hinweg, die örtlichen Akteure im Bergischenand und das Land Nordrhein-Westfalen bei einer ange-esseneren Präsentation dieses wichtigen Gedenkseg-entes unterstützten.
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14502 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Siegmund Ehrmann
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Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich will jetztnur noch ganz kurz auf die Bayreuther Festspiele undden Bericht des Bundesrechnungshofes eingehen. DasThema ist derzeit, glaube ich, auch Gegenstand staatsan-waltschaftlicher Ermittlungen. Nicht nur deshalb wäre eswichtig, dass wir uns noch einmal intensiv mit der Praxisder Kartenvergabe auseinandersetzen. Wir haben das imKulturausschuss erörtert. Der Staatsminister hat das sei-nerzeit sehr zeitnah vorgetragen und bewertet. Es gabdie Verabredung, das in den zuständigen Gremien anzu-sprechen. Mich würde sehr interessieren, was dabei he-rausgekommen ist und auf welche Initiative hin dasEngagement des Bundes dort greift; denn die Subventio-nierung von Fördervereinsmitgliedern kann nicht zwin-gend unsere Aufgabe sein.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe,dass wir in den Beratungen des Ausschusses für Kulturund Medien bei den verschiedenen Punkten einen brei-ten parlamentarischen Konsens erringen können.
Reiner Deutschmann hat jetzt das Wort für die FDP-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenKolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns den Gesamt-haushalt von 306 Milliarden Euro anschauen, so wirktder Kulturetat mit 1 Milliarde Euro auf den ersten Blicketwas bescheiden. Dennoch ist die Beratung über diesenverhältnismäßig kleinen Haushaltsposten ein wichtigesEreignis in der Kulturpolitik unseres Landes. Denn ohneden Kulturetat des Bundes sähe die Kulturlandschaft inDeutschland deutlich ärmer aus.
Obwohl die Zuständigkeit bei den Ländern und Kommu-nen liegt, ist der Etat des Staatsministers für Kultur undMedien – wohlgemerkt möglich gemacht durch das Par-lament – einer der Garanten für die vielfältigen Kultur-angebote in unserem Land.
So setzt die christlich-liberale Koalition mit dem heutezu beratenden Haushalt ihre Politik der soliden und bere-chenbaren Kulturfinanzierung fort.So wie im Koalitionsvertrag beschlossen, werden dieBereiche Bildung, Forschung und Kultur weiter beson-ders gefördert und auch in Zeiten des Sparens bei denKürzungen ausgenommen. Ich denke, diese Verlässlich-keit der christlich-liberalen Koalition weiß jeder, der mitKultur zu tun hat, zu schätzen.
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chließlich beugt ein Besuch in Hohenschönhausen so-ie in anderen Gedenkstätten der Idealisierung und Ver-lärung der DDR am besten vor.
Dieser Haushaltsentwurf ist ausgewogen und stelltine gute Entscheidungsgrundlage dar. Die genanntenspekte sind nur ein kleiner Teil dessen, was unsereulturpolitik ausmacht.Es gibt aber auch Bereiche, denen wir noch mehrufmerksamkeit zukommen lassen müssen. So gehörtum Beispiel die freie Theaterszene inzwischen zum fes-n und nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil derultur unseres Landes. Aber auch die soziale Lage vie-)
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14503
Reiner Deutschmann
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ler Künstlerinnen und Künstler zeigt Handlungsfelderauf, insbesondere bei den Tänzerinnen und Tänzern.Auch das erst vorhin erwähnte Zentrum für verfolgteKünste halte ich für ein hochinteressantes Projekt. Ichhabe mir letzte Woche drei Stunden Zeit genommen, umes mir anzuschauen. Ich denke, es wird im Ausschuss einThema sein.Ich freue mich auf die Beratungen zum Haushalt. DieErfahrungen aus der Vergangenheit stimmen mich zu-versichtlich, dass der Deutsche Bundestag auch weiter-hin alles in seiner Entscheidungskompetenz Stehende fürdie Kultur tun wird.Vielen Dank.
Agnes Krumwiede hat jetzt das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Zustand schwarz-gelber Politik steht unter demMotto „rasender Stillstand“ – auch im Bereich Kultur.Noch immer ist der Kulturstaatsminister keinen ent-scheidenden Schritt weiter, was die Verbesserung der so-zialen Lage von Kulturschaffenden betrifft.
Eine Künstlerförderung, die sich hauptsächlich in derVergabe von Preisen erschöpft, ist nicht nachhaltig. Ineinigen Bereichen des Kulturbetriebs brauchen wir end-lich Mindestlöhne und Honoraruntergrenzen.
Kulturpolitik muss mehr können als ein Geldautomat.Es genügt nicht, nach Gutsherrenart willkürlich Mittelzu verteilen und das mit dem undefinierten Begriff „ge-samtstaatliche Bedeutung“ zu begründen. Warum sindeinige Festspiele und Institutionen von größerer gesamt-staatlicher Bedeutung als andere? Wir brauchen hierendlich ein transparentes und faires Verfahren.
Kulturpolitik darf nicht allein über Förderwürdigkeitvon Kunst und Kultur entscheiden. Es bedarf eines unab-hängigen Expertengremiums zur Mitberatung. Nachdem Geldsegen ist die kulturpolitische Arbeit noch langenicht beendet. Wenn der Bund fördert, übernimmt erauch Verantwortung für die Verwendung der Mittel.Als ich vor einem Jahr die Finanzierung der Bay-reuther Festspiele infrage gestellt habe, löste meine Kri-tik bei einigen Empörung aus. Mittlerweile hat auch derBundesrechnungshof die ausufernden Kartenkontingentekritisiert. Solange nur ein Bruchteil der Karten für dieAllgemeinheit verfügbar ist, profitiert von den Wagner-Festspielen nur eine Elite.
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teuergelder verfehlen ihren Zweck, wenn das Live-rlebnis von Kulturevents nur einem etablierten Stamm-ublikum überlassen bleibt.Viele Menschen empfinden heute klassische Konzerte,per oder Theater als elitär. Es ist unsere Aufgabe, die-er wachsenden Entfremdung entgegenzuwirken. Des-alb muss Kulturpolitik Rahmenbedingungen setzen, dieerhindern, dass nur eine Elite Zugang erhält.
it Zugang meine ich nicht nur eine Karte für die Bay-uther Festspiele. Es geht um eine Stärkung und Auf-ertung kultureller Bildung, um eine Überwindung derrzkonservativen Einteilung in Hoch- und Subkultur. Ju-endkultur ist genauso viel wert wie Klassik. Das mussich auch in der Förderpraxis widerspiegeln.
enn nur dann, Herr Neumann, erreichen Sie auch dieinder und Jugendlichen, von denen Sie vorher gespro-hen haben.
Auch bei der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöh-ung“ ist rasender Stillstand angesagt. Als Kulturstaats-inister und als Vorsitzender des Stiftungsrates tragenie, Herr Neumann, doppelte Verantwortung.
s ist untragbar, dass die Revisionisten Tölg und Saengerls stellvertretende Mitglieder immer noch Teil des Stif-ngsrates sind.
ie tolerieren das und nehmen dafür in Kauf, dass derentralrat der Juden aus Protest bis heute seinen Sitz ru-en lässt.
it Ihrem Einverständnis wurde der Vertreter des Zen-alrats Deutscher Sinti und Roma nicht wieder in denissenschaftlichen Beirat berufen.
Herr Neumann, wenn Mitglieder der Stiftung als Aus-ruck ihres Protestes ihren Sitz ruhen lassen, darf dason Ihnen nicht als Rechtfertigung missbraucht werden,iese Mitglieder auszuschließen.
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Agnes Krumwiede
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Jede Fehlentscheidung und Missstimmung innerhalb derStiftung ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer des Natio-nalsozialismus. Deshalb fordern wir umgehend einenNeustart der Stiftung.Wir begrüßen, dass auch im Kulturhaushalt 2012 derErhalt der KZ-Gedenkstätten in Deutschland gesichertist. Dass sich das Auswärtige Amt dagegen nicht für denErhalt der KZ-Gedenkorte in Polen einsetzt, ist mehr alsbeschämend.
Die ehemaligen Konzentrationslager Sobibor, Majda-nek und Treblinka befinden sich im Zustand substanziel-ler Auflösung. Diese Tatorte nationalsozialistischer Ver-brechen müssen erhalten bleiben – als Mahnmal gegendas Vergessen, als Friedhöfe für die Hinterbliebenen.Herr Westerwelle, es ist zynisch, sich auf Formalis-mus wie die „fehlende Problemanzeige von polnischerSeite“ zu berufen. Wir fordern Sie auf, Polen ein Ange-bot zur Teilfinanzierung der Gedenkorte zu machen.
Zeigen Sie Gespür für unsere historische Verantwor-tung, und bewahren Sie uns vor der Peinlichkeit, die Er-innerungsstätten deutscher Schuld in Polen verfallen zulassen. Es kann doch nicht wahr sein, dass Erinnerungs-kultur für Schwarz-Gelb darin besteht, von der Opposi-tion an ihre Aufgaben erinnert zu werden.
Unser System verursacht, dass wir von allem denPreis kennen, aber nicht den Wert. Der Wert von Kulturist oft höher als ihr Preis. Meistens geht es in der Kultur-politik nicht um große Summen. Grüne Kulturpolitikwill, dass Mittel auch dort ankommen, wo nicht alle hin-sehen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. An dieserStelle noch gute Besserung an unsere Kollegin LucJochimsen von der Partei Die Linke.
Damit verlassen wir den Bereich des Bundeskanzler-amtes und kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14.Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,Thomas de Maizière.
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Es kommen aber auch berechtigte Fragen auf; dieerden wir gleich diskutieren. Wie ist es mit der Ausge-taltung ihres Dienstes in Zukunft? Wie ist es mit derereinbarkeit von Familie und Beruf? Wann fallen diesbesondere sie betreffenden Entscheidungen? Und im-er wieder: Wie ist es mit der einsatzgerechten Ausrüs-ng und Ausstattung? Eine Antwort auf all diese Fragent die Neuausrichtung der Bundeswehr.Deutschland benötigt einsatzbereite und einsatzfähigetreitkräfte, die in Qualität von Ausstattung und Ausbil-ung dem internationalen Stellenwert und Gewicht unse-s Landes entsprechen. Dabei dürfen sich die Streit-räfte und die Öffentlichkeit nicht statisch auf jetztktuelle Einsatzszenarien festlegen. Afghanistan kann,uss aber keineswegs Vorbild für künftige Einsätzeein. Nur ein breites militärisches Fähigkeitsprofil bieteterschiedene Optionen, um den Anforderungen voneute und morgen gerecht zu werden.Das heißt keineswegs, dass zwangsläufig mehr deut-che Soldaten in Auslandseinsätze entsandt werden. Ichage gerade auch angesichts der aktuellen Debatten ganzffen: Wir werden stets souverän entscheiden, woran wirns beteiligen und woran nicht. Dabei ist unsere Bünd-isverpflichtung ein entscheidender Maßstab. Ich fügeinzu: Im Zweifel ist sie der entscheidende Maßstab.
ir werden ebenso in Übereinstimmung mit unserenartnern entscheiden, laufende Einsätze zurückzufahren,ofern entsprechende Rahmenbedingungen gegebenind.Wir müssen in der Lage sein, verantwortbare und ver-ssliche Entscheidungen zu treffen. Dies setzt sicher-eitspolitischen Handlungsspielraum voraus, der nichtuletzt von einer hochwertigen Bundeswehr abhängt.as, was man will, muss man auch können; was manicht kann, sollte man auch nicht wollen.Wie Sie wissen, habe ich im Mai grundlegende Ent-cheidungen zu Personalumfängen im Ministerium und nachgeordneten Bereich getroffen; darüber haben wirnlässlich einer Regierungserklärung diskutiert. Wir ar-eiten jetzt mit Hochdruck an den Einzelheiten: an denünftigen Strukturen, den Folgerungen für den Personal-mbau und damit auch für die Stationierung und die not-endigen Begleitmaßnahmen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14505
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung
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Natürlich stelle ich genauso wie andere eine gewisseUngeduld fest. Dafür habe ich zuallererst Verständnis.Aber es bleibt dabei: Die Entscheidungen müssen gutvorbereitet und durchdacht sein; sie müssen sich aufei-nander beziehen. Deswegen fallen die Entscheidungennach und nach im Herbst. Spätestens bis zur zweiten unddritten Lesung des Haushaltes sind alle Entscheidungengefallen, die Stationierungsentscheidungen in der letztenOktoberwoche.Eine der einschneidendsten Veränderungen in der Ge-schichte der Bundeswehr haben wir bereits umgesetzt:Seit Juli dieses Jahres ist die Bundeswehr eine reineFreiwilligenarmee. Diese Entscheidung war – ich fügehinzu: leider – richtig. Die Zeit für die Vorbereitung aufden neuen freiwilligen Wehrdienst war knapp. Die erstenFreiwilligen sind da. Die Zahlen sind etwas besser alsbefürchtet. Ja, es gehen auch einige weg, aber das ist al-les noch nicht besorgniserregend. Über den Erfolg diesesKonzepts entscheiden nicht der Juli 2011 und nicht derOktober 2011, sondern erst die nächsten Jahre. Deswe-gen sollten wir – das ist eine herzliche Bitte an die Op-position – das Modell des freiwilligen Wehrdienstesnicht kaputtreden, sondern alles dafür tun, dass er ein Er-folg wird.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darum bitten,nicht von einer „Berufsarmee“ zu sprechen. Es wird jetztoft gesagt: „Aus der Wehrpflichtarmee ist eine Berufs-armee geworden.“ Das ist falsch. Es ist eine Freiwilli-genarmee. Warum? Weil das Verhältnis von Berufs- zuZeitsoldaten jetzt ungefähr 1 zu 2,5 beträgt. Das heißt,wir haben mehr als doppelt so viele Zeitsoldaten wie Be-rufssoldaten. Ich finde, das sollte so bleiben. Deswegenist „Freiwilligenarmee“ die richtige Bezeichnung, nicht„Berufsarmee“.
Nun haben wir im Mai diskutiert. Ich erinnere michan Wortbeiträge der Opposition, in denen gesagt wurde:„Ja, Herr Minister, das hört sich alles ganz gut an; aller-dings fehlt die Finanzierungsgrundlage. Ohne Finanzie-rungsgrundlage ist alles heiße Luft.“ Ich habe dann wie-derum gesagt: „Die Kritik hört sich richtig an; aber wirwerden bei der Beratung des Haushalts darüber diskutie-ren, nicht jetzt. Dafür bitte ich um Verständnis.“ Das hatSie geärgert, aber so sind die Spielregeln.
Insofern freue ich mich, Ihnen heute die finanziellenGrundlagen vortragen zu können.Der von der Bundesregierung am 6. Juli beschlosseneEntwurf des Verteidigungshaushalts umfasst mit rund31,7 Milliarden Euro eine durchaus stattliche Summe.Die gesamtstaatliche Herausforderung, die gegenwärtigeFinanzkrise zu bewältigen und die Schuldenlast künfti-ger Generationen zu mindern, zwingt uns wie alle ande-ren Politikfelder auch, Prioritäten zu setzen. Das ist nichtnur für die Stabilität der Wirtschafts- und Währungs-union – über die wir heute diskutiert haben – von Bedeu-tutuKddntrenJresVh–BSdteagmEdmKsÜmsruDksmdlibufüleununwbmuutügruRreE
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14506 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
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Entscheidend für den Erfolg jeder Armee ist nebenden Menschen die Ausrüstung. Das wissen wir. Es istkein Geheimnis, dass die Beschaffungsprozesse bei unserheblich verbessert werden müssen. Ich habe an andererStelle ausführlich darüber gesprochen. Die Verfahrendauern zu lange, Verzögerungen und Verschiebungen be-gründen Bindungen für Material, das unter Umständengar nicht mehr oder nicht mehr im vorgesehenen Um-fang benötigt wird. Das führt dazu, dass uns zwar23 Prozent des Haushaltes für Investitionen zur Verfü-gung stehen, aber nur auf dem Papier. Fast alles ist durchBestellungen, die in der Vergangenheit getätigt wurden,gebunden. Das ist kein Vorwurf; Bestellungen dauernlange. Aber für die Zukunft ist es eine schlechte Nach-richt.Ich habe deswegen die Erarbeitung eines Konzepts inAuftrag gegeben, wie wir mit Blick auf das neue Fähig-keitsprofil der Bundeswehr Spielräume zurückgewinnenkönnen. Das heißt, wir werden die geplanten Rüstungs-beschaffungen unabhängig von der Frage, ob sie vertrag-lich gebunden sind oder nicht, priorisieren. Dann werdeich Vertreter der Rüstungsindustrie einladen und mit ih-nen Folgendes besprechen: Es gibt zwei Varianten. Dieeine Variante ist: Wir bezahlen, was bestellt ist, und stel-len die Dinge, die wir nicht mehr brauchen, auf den Hof;dann können wir nichts Neues bestellen. Die andere Va-riante ist: Wir passen die Planungen an; die Mittel, diedadurch frei werden, können wir für neue Bestellungennutzen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir uns auf denzweiten Weg verständigen können.Ein Wort zur Stationierung. Ich weiß, dass diesesThema viele von Ihnen betrifft. Ich bin im Augenblickeiner der gefragtesten Gesprächspartner der Kolleginnenund Kollegen im Deutschen Bundestag. Ich freue mich,wenn Kollegen zu mir kommen und sagen: Bei mir istkein Standort mehr; mit mir können Sie ganz entspanntreden.
Ich möchte Folgendes sagen: Wir machen das nicht ausJux und Tollerei. Wir machen das auch nicht unter demAspekt der Beliebtheit. Es spielt auch keine Rolle, weram lautesten schreit. Wir machen das nach Kriterien.Wir machen das nach fachlichen Überlegungen. Wir ma-chen das ganz transparent. Wir hoffen, dass am Ende je-der versteht: Diese Entscheidungen sind schmerzlich,aber nötig.Es bleibt dabei – das muss ich leider auch den Vertre-tern der Länder und Kommunen sagen –: Das, was wirtun, basiert auf einer Bundesentscheidung. Wir treffendie Entscheidung nach fachlichen Überlegungen. DieVerteilung von Bundeswehrstandorten ist kein Struktur-programm für die Länder. Ich weiß, dass das strukturelleAuswirkungen hat, dass so etwas in Überlegungen ein-fließt, aber das erkenntnisleitende Motiv kann nicht dieStrukturpolitik für Länder und Kommunen sein, so leidmir das tut.
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Das ist schlecht für unser Land und schlecht für dieeutsche Sicherheitspolitik. Das ist schlecht für die Bun-eswehr. Fehlentscheidungen und Versäumnisse treffenei der Bundeswehr insbesondere Menschen, die keinenlltäglichen Beruf ausüben, die, wenn es notwendig ist,re Gesundheit und ihr Leben für deutsche Sicherheits-teressen riskieren. Deshalb habe ich viel Verständnisafür, wenn Soldaten und Zivilbeschäftigte besondersmpfindlich reagieren, wenn sogenannte Reformenichts anderes sind als die Durchsetzung von Spardikta-n zulasten der Beschäftigten und der Truppe.
Wir Politiker schicken die Frauen und Männer in deninsatz. Deshalb haben sie einen besonderen Ansprucharauf, dass wir verantwortlich mit ihrer Situation umge-en. In den letzten beiden Jahren haben die Koalitions-aktionen – das gilt vor allem für die CDU/CSU-Frak-on, die immer geglaubt hat, dass die Bundeswehr ihrarkenkern ist – im Grunde genommen alles abgenickt,as die Bundesregierung an Falschem vorgeschlagenat. Der schludrige Übergang zu einem freiwilligenrundwehrdienst ist ein Beleg für den schändlichen Um-ang der Bundesregierung mit dem Parlament. Erst iner letzten Woche wurde wieder sichtbar, wie diese Bun-esregierung das Parlament missachtet. Wir haben ge-einsam einen Antrag eingebracht, um die Einsatzver-orgung der Soldaten deutlich zu verbessern. Dieundesregierung scherte sich aber nicht darum, sie be-chloss sogar etwas anderes. Wichtige Punkte wurdenicht aufgenommen.
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Rainer Arnold
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Kolleginnen und Kollegen, Sie werden sich der Fragestellen müssen, ob man bei einem Schädigungsgrad von30 Prozent – vor allen Dingen, wenn es um psychischeErkrankungen geht –, so stark beschädigt ist, dass maneinen Anspruch darauf hat, dass der Arbeitgeber Bun-deswehr einem trotzdem eine Zukunft bietet. Wir wer-den Ihnen diese Frage stellen. Sie werden Gelegenheithaben, dieser Bundesregierung endlich einmal zu wider-sprechen.
Die Koalition versagt bei den sicherheitspolitischenHerausforderungen. Sie zeigt mangelndes Engagementin der internationalen Politik, vor allen Dingen bei dernotwendigen Debatte um eine stärkere Europäisierungder Sicherheitspolitik.Herr Minister, Sie haben von Ihrem Vorgänger eineReform übernommen, die eine Reformruine war. Schonjetzt zeigt sich: Die Bausteine, die Sie derzeit diskutie-ren, sind in zu geringer Anzahl vorhanden und passennicht zusammen. Es bleibt dabei: Die Ausstattung derStreitkräfte nach der mittelfristigen Finanzplanung istunzureichend, und Sie schaffen keine Haushaltsklarheit.Es wird versucht, über andere Haushaltstitel Personal zufinanzieren. Noch besser ist dies: Personal geht in andereRessorts, und dann bekommen die Ressorts das Geld.Das ist alles andere als Transparenz und eine präziseHaushaltspolitik.
– Kommt noch.Sie haben die Wehrpflicht mitten in diesem Jahr aus-gesetzt. Das Geld war aber für das gesamte Jahr veran-schlagt. Es gibt keine Debatte darüber, was mit diesenMitteln geschieht und wofür sie verwendet werden. Ichkönnte noch viele Beispiele anführen.Das Allerschlimmste ist: Diese Finanzpolitik schlägtinzwischen auf die Einsätze durch. Das ist einfach so.Ich gehöre nicht zu denen, die für einfache Lösungenplädieren. Ich weiß auch, dass es keine hundertprozen-tige Sicherheit gibt. Aber dafür, dass die Anzahl derFlugstunden der ohnehin wenigen Hubschrauber auf-grund des Geldes dramatisch beschnitten wird, tragenSie, Herr Minister, die Verantwortung. Wenn in Afgha-nistan Munition fehlt und wenn nicht ausreichend Nacht-sichtgeräte zur Verfügung stehen, dann ist dies Ihre Ver-antwortung. Das ist Ihre Entscheidung.Sie tun immer so, als wäre Sparen unabdingbar. So-lange Ihre Koalition davon träumt, Steuern zu senken,solange Sie den Hoteliers nach wie vor Steuergeschenkegewähren,
so lange erzählen Sie den Soldaten bitte nicht, die Kür-zungen in ihrem Bereich seien unabdingbar. Sie habenandere Spielräume, Sie nutzen sie nicht.Ich komme zum Kern der Reform. Es ist sicher ange-nehm, dass der Minister im Stil anders vorgeht als seinVwpbtigOaddmswHhbgtedssmndtutrratetrsufofolesmjeewWweteDdnuInSmmlaw
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14508 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
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Wir haben unsere Vorstellungen. Dazu gehört vorallen Dingen: Beseitigen Sie den Grundfehler, und geste-hen Sie endlich ein, dass die Vorgaben des Sparens nichtkompatibel sind mit den Anforderungen, die dieseswichtige und große Land Deutschland an seine Streit-kräfte hat. Machen Sie den Haushalt also ehrlich undtransparent.Das Nächste ist: Korrigieren Sie den völlig überzoge-nen geplanten Abbau beim Zivilpersonal. Alle Streit-kräfte, die die Zahl der Soldaten reduziert haben, habendie Relation von Soldaten zu Zivilbeschäftigten zuguns-ten der Zivilbeschäftigten verbessert. Das ist ja auchschlüssig: Die Soldaten müssen sich in einem solche Fallauf ihre Kernaufgaben konzentrieren und brauchen mehrund nicht weniger Unterstützung durch zivile Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter. Herr Minister, lassen Sie vondem Vorhaben ab – Sie haben wahrscheinlich schon ge-merkt, dass dieser Personalabbau so nicht funktioniert –,einen Teil der Zivilbeschäftigten in ein anderes Ressortauszulagern; denn dadurch, dass sie von einem anderenRessort finanziert werden, wird nichts gespart. Sie soll-ten vor allen Dingen deshalb davon ablassen: Wir habenjetzt schon das Problem, dass der Innenminister, undzwar egal welcher Regierung, nicht immer versteht, dassder Soldatenberuf etwas Besonders ist und der Soldatnicht mit anderen Beamten zu vergleichen ist. Wenn Siedas Personalwesen an das Innenministerium übertragen,wird diese Kluft, die zulasten der Soldaten besteht, nichtmehr überbrückt werden können. Herr Minister, wir re-den über Menschen. Das sind keine Figuren auf demSchachbrett, die man beliebig hin- und herschiebenkann. Ich habe manchmal den Eindruck, dass Sie die al-ten Prinzipien des treu dienenden preußischen Beamtenfür sehr wichtig erachten.
Diese kann man auch von Beamten auf A-15- oder B-Stel-len verlangen. Aber die Wirklichkeit bei der zivilenWehrverwaltung ist ganz anders.
70 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdie-nen zwischen 1 300 und 1 550 Euro netto. Diese Men-schen kann man nicht beliebig verschieben. Man mussihnen ihr soziales Gefüge lassen; sie sind zum Beispielalleinerziehend und haben viele Dinge zu bewältigen.
Herr Minister, wir brauchen deren technische Fähig-keiten. Ohne die Zivilbeschäftigten wird kein Fliegerfliegen und kein Schiff auslaufen können. Herr Minister,korrigieren Sie deshalb an dieser Stelle. Sonst würdenwir nur vermeintlich sparen und müssten am Ende fest-stellen, dass uns die zivilen Mitarbeiter fehlen und wirder Wirtschaft deshalb weitere Aufträge geben müssen.Das wird teurer und nicht billiger. Nehmen Sie also denüberzogenen Personalabbau zurück!Ich komme zu der letzten Forderung, die uns beson-ders am Herzen liegt. Ihr Vorgänger hat sich bejubelnlaJmintizfadtehzhbbEvlibhnEpnwbcSdstiSBbnteRsDVlä
chauen Sie doch einmal, wie es die Franzosen und dieriten machen; die Deutschen stehen nur staunend dane-en. Es gibt keine Impulse, nicht vom Außenminister,icht von der Kanzlerin, nicht vom Verteidigungsminis-r. Wie in allen anderen Politikfeldern reagiert dieseegierung nur noch, aber sie agiert nicht mehr mit Ideen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner in un-
erer Debatte ist für die Fraktion der FDP unser Kollege
r. Jürgen Koppelin.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!erehrter Herr Kollege Arnold, die Sommerpause war janger. Sie haben den Haushaltsentwurf sicher schon seit
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14509
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
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einigen Tagen in Ihrem Büro liegen. Ich hätte Ihnendringend geraten, den Entwurf zu lesen, statt Ihren Kas-ten mit den Polemikzetteln herauszuholen.
Sie haben in Ihrem Beitrag nichts dazu gesagt, was dieSozialdemokraten wollen. Sie haben nur Polemik ge-streut, was wohl auch Ihr Ziel war. Das war zumindestmein Eindruck, weil Sie Ihre Polemik so massiv vorge-tragen haben.
Sie wollten die Angehörigen der Bundeswehr verunsi-chern – nichts anderes. Sie wollten vieles kaputtreden.
Ich mache das an einem Beispiel deutlich. Der Minis-ter hat gesagt – das konnten diejenigen, die sich mit Ver-teidigungspolitik beschäftigen, seit Wochen zur Kennt-nis nehmen –: Im Herbst wird das abschließendeKonzept der Bundeswehrreform vorgestellt. Ich kannnur sagen: Ich kenne es derzeit nicht. Natürlich hat unsder Minister dazu bereits Allgemeines vorgetragen; aberdie Feinheiten kennen wir nicht. Wieso können die So-zialdemokraten die Reform schon jetzt beurteilen – ichhabe auch entsprechende Zeitungsartikel mitgebracht, indenen es zum Beispiel heißt, die Bundeswehr marschiertins Chaos usw. –, obwohl sie das Konzept gar nicht ken-nen? So machen Sie Politik. Sie schaden der Bundes-wehr mit dieser Form von Angriffen. Die Bundeswehrist eine Parlamentsarmee. Vielleicht sollte man in derDiskussion über den Verteidigungsetat etwas anders ar-gumentieren als bei anderen Etats.
Der größte Verteidigungsexperte, den wir seit kurzemhaben, ist der SPD-Vorsitzende Gabriel; ich werde nocheinige seiner Aussagen zitieren. Er erklärte zum Bei-spiel, die Reform sei unzureichend. Außerdem sagte er,die SPD hätte vieles anders gemacht. Er sagte zwar nichtkonkret, was, nannte aber zwei Punkte. Da ich diesezwei Punkte sehr interessant finde, möchte ich sie vor-tragen. Forderung Nummer eins lautete: Mehr Geld fürdie Bundeswehr! Denn die Bundeswehr sei chronischunterfinanziert. So haben Sie sich auch heute geäußert;dazu sage ich Ihnen gleich etwas. Zweitens hat HerrGabriel an der Bundeswehr-Universität in Hamburg denVorschlag gemacht – dazu ist heute gar nicht Stellunggenommen worden; das hätte mich allerdings sehr inte-ressiert –, eine europäische Armee zu schaffen. ZumParlamentsvorbehalt und all diesen Dingen hat er sichübrigens überhaupt nicht geäußert.Mich würde interessieren: Erstens: Wie stehen dieVerteidigungspolitiker der SPD dazu? Zweitens: Wiesoll das alles jetzt umgesetzt werden? Ich sage Ihnen:Die Parole des Tages heißt nicht unbedingt „MehrGeld!“, sondern es geht um die Frage: Wo ist das Geld,dregvsbdDnGfiKsnRahggwkRBDheSdisstespdEisHHzuGdsdGbSSleDb
as würde mich sehr interessieren, vor allem, wie Sie sieezahlen wollen.
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14510 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
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Ich stelle fest: 2001 hat Rot-Grün – damals war auchich dafür – für über 1 Milliarde Euro Korvetten bestellt.Das war vor zehn Jahren. Diese Korvetten fahren aberimmer noch nicht, obwohl wir sie schon überwiegendbezahlt haben.
Warum sie nicht fahren und wie damals die Bestellungabgelaufen ist, würde mich ganz besonders interessieren.
– Kleinen Moment! – Ich sage Ihnen Folgendes: Ichzweifle nicht an unserer Marine. Ich habe eher Zweifelam Bundeswehrbeschaffungsamt. Auch das werden wiruns einmal ansehen.
Es ist meine Auffassung, auch das anzugehen. Aber Sieweigern sich, weil man dann – das mag der KollegeArnold nicht hören – vielleicht irgendwelchen Leutenwehtun muss.Ich kann Ihnen für die FDP sagen: Wir werden beiden Haushaltsberatungen unsere Zielsetzungen im Blickbehalten; das ist ganz klar, das ist auch mit KolleginHoff und anderen besprochen worden. Ich nenne sie ih-nen.Erstens – ich hoffe, da sind wir alle einer Meinung,und ich weiß ja, in den Berichterstattergesprächen läuftdas alles sehr harmonisch –: Unsere Soldaten im Einsatzmüssen das beste Material bekommen, das notwendig istund das vor allem auch ihr Leben schützt. Das steht ganzobenan.
Zweitens. Die Einsatzversorgung unserer Soldatinnenund Soldaten muss verbessert werden.
Hier werden und wollen wir an dem Gesetzentwurf derBundesregierung Verbesserungen vornehmen. Ich finde– das muss mit aufgenommen werden, oder wir nehmenes in den Haushaltsentwurf mit auf –,
dass auch die Angehörigen von Soldaten, wenn dieseärztlich behandelt werden müssen, mit betreut werdensollten und wir dafür die Kosten übernehmen müssen.Das halte ich für selbstverständlich.
Drittens. Wir brauchen in allen Bereichen Planstellen-verbesserungen. 6 000 Verbesserungen bei Planstellensind schon fest. Ich sage aber auch: Die Besoldung beider Bundeswehr – das müssen wir uns einmal ansehen –isaSngwlegbFdVeeDmsdRPKTdbdazg–lesUdKjeau
Fünftens. Wie auch beim Haushalt 2011 werden wirreie Demokraten uns intensiv mit dem Sanitätswesener Bundeswehr beschäftigen und, wenn notwendig,erbesserungen herbeiführen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Verteidigungs-tat 2012 – damit komme ich zum Schluss – ist sicherin wichtiger Baustein bei der Reform der Bundeswehr.as ist ein großes Vorhaben. Kollege Arnold, nicht Pole-ik ist zurzeit gefordert, sondern sachliche und realisti-che Beiträge der Opposition sind gefordert. Wenn Sieas nicht können, überlassen Sie das Ihren Kollegen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster auf unserer
ednerliste ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege
aul Schäfer. Bitte schön, Kollege Paul Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen! Vieles dreht sich in diesenagen um den 11. September 2001. Dabei droht ein an-eres Datum in Vergessenheit zu geraten, der 4. Septem-er. Am 4. September vor zwei Jahren wurde in Kunduzurch einen deutschen Oberst der Befehl zum Bomben-ngriff gegeben. Über 100 getötete Zivilpersonen sindu beklagen. Dieses Datum sollten wir nicht ganz ver-essen.
Zurück zum 11.09.
Ich komme noch zum Haushalt. Warten Sie, Frau Kol-gin! – Es ist höchst spannend, noch einmal nachzule-en, was der damalige deutsche Außenminister vor derNO in New York gesagt hat. Es müsse um den Dialoger Kulturen gehen, um zivile Konfliktprävention,ampf gegen die Armut, gerechte Globalisierung und,tzt fast wörtlich, um eine Eine-Welt-Politik, die nichtuf hegemonialen Ansprüchen, sondern auf Kooperationnd Solidarität gründe.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14511
Paul Schäfer
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Das waren die Stichworte. Alles sollte anders werden.Es ist vieles anders geworden, aber in die falsche Rich-tung. Demokratien haben Schaden genommen, Despotienwurden im Rahmen von Antiterrorkoalitionen geadelt,zwei Kriege wurden begonnen. Damit bin ich beimThema.Der hoch angesehene US-Ökonom Joseph Stiglitz hatdie Kosten der USA für die beiden Kriege im Irak und inAfghanistan auf 2 Billionen Dollar geschätzt, also2 000 Milliarden Dollar.
Merken Sie sich diese Zahl. Jeffrey Sachs, ein andererangesehener US-Ökonom, hat gesagt: Wenn wir das UN-Millenniumsziel, die Halbierung der Armut bis 2015, er-reichen wollen, dann müssten die öffentlichen Entwick-lungsausgaben in allen Ländern jährlich um 130 Milliar-den Dollar angehoben werden. Das sind die zwei Zahlen.Sie können sich selber ausrechnen: Das 2001 einge-forderte Programm zur Beseitigung von Hunger, Armutund Elend in der Welt hätte mit den Kriegsausgaben alle-mal finanziert werden können. Das hätte die Konse-quenz aus dem 11. September sein müssen, nicht der tö-richte Krieg gegen den Terror.
Der eine Krieg im Irak hat Gewalt und Terror gera-dezu angefacht. Beim anderen Krieg in Afghanistankann man sagen: Gut, das Land ist von den Taliban be-freit worden. – Aber sie sind längst wieder da. Aus an-fänglich 5 000 sind inzwischen 140 000 NATO-Soldatengeworden. Von einer Eindämmung der Gewalt kannkeine Rede sein.Experten, zum Beispiel aus der Stiftung Wissenschaftund Politik, zeichnen gerade in diesen Tagen ein eherdüsteres Bild, was die Zukunft des geplagten Landes an-geht. Das mag man als Plädoyer dafür lesen, dass dieNATO noch viel länger im Land bleiben muss. Aberdann hat man nicht genau hingeschaut. Wir bleiben da-bei: Krieg gebiert neuen Hass und neue Kämpfer gegendie fremden Truppen. Deshalb ist der Einsatz der NATOursächlicher Teil dieser Konflikteskalation.
Eine weitere Lektion lautet: Man kann den Teufelnicht mit Beelzebub austreiben. Demokratie setzt einenlängeren Entwicklungsprozess in den betreffenden Län-dern selbst voraus, der nicht mit Waffengewalt und nichtvon außen ins Werk gesetzt werden kann. Diese Lektionmüssen wir kapieren.Viele Menschen sehen das genauso. Sie sagen trotzhoher Akzeptanzwerte für die Bundeswehr – das ist jaauch bemerkenswert –: Die Truppen sollten aus Afgha-nistan zurückgeholt werden. – Ich finde, sie haben recht.Die Bundeswehr sollte aus Afghanistan abgezogen wer-den. Aber das Töten sollte nicht erst 2014 oder 2015 be-endet werden, sondern jetzt.
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Fast wortgleich. – Interessanterweise tauchte dort auchrstmals der Gedanke auf, dass die Sicherung der Han-elswege und unseres Rohstoffzuganges eine sicher-eitspolitische Angelegenheit sei. Damals hat man aberoch schnell abgewiegelt und gesagt, mit der Entsen-ung von Soldaten habe das, bitte schön, überhauptichts zu tun.Da sind Sie inzwischen sehr viel weiter. Beim Mari-eeinsatz am Horn von Afrika werden ja bereits Han-elswege gesichert. Diese Philosophie ist also offen-ichtlich schon in den Köpfen der Militärplanererankert und beginnt Realität zu werden.Ich sage Ihnen eines: Die Quintessenz dieser Einsatz-hilosophie – Durchsetzung wirtschaftlicher Interessenit militärischer Gewalt – ist, die wirtschaftliche undolitische Vormachtstellung der NATO- und der EU-taaten notfalls auch mit Waffengewalt aufrechtzuerhal-n. Genau das halten wir für abwegig, ja für abenteuer-ch und lehnen es grundsätzlich ab.
Mit dem vorliegenden Etat soll dieser Umbau derundeswehr vorangetrieben und fortgeschrieben wer-en. Das halten wir für grundfalsch. Wir schlagen Alter-ativen vor.Erstens. Die Bundeswehr darf sich nicht mehr anriegseinsätzen beteiligen. Allein damit sparen wir über Milliarde Euro.Zweitens. Die Bundeswehr sollte innerhalb einesahrzehnts halbiert, also auf 125 000 Menschen reduzierterden, und sie sollte auf die Landesverteidigung imündnis zurückgeführt werden. Diese Art Risikovor-orge ist vertretbar. Ein Sicherheitsrisiko besteht ebenicht, weil wir auf absehbare Zeit nicht militärisch be-roht sind.
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14512 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Paul Schäfer
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Drittens. Mit dieser Neuausrichtung, die zu den Wur-zeln des Grundgesetzes zurückführt – siehe Art. 87 a –,können zugleich milliardenschwere Beschaffungsvorha-ben eingedampft bzw. gestoppt werden. Wir reden hierbeispielsweise über den Eurofighter – 22 Milliarden Euro –und den Lufttransporter A400M – 9 Milliarden Euro –;es kommen noch sehr viele andere Projekte hinzu.Herr Minister, mit diesem Haushaltsentwurf und dervorgelegten mittelfristigen Finanzplanung schreiben Siefest, dass die Rüstungsausgaben auf einem hohenNiveau bleiben – damit aber auch, dass es aus demWehretat keinen nennenswerten Beitrag zur Haushalts-konsolidierung gibt.Trotzdem sage ich Ihnen voraus: Diese Mittel werdennicht ausreichen, damit die Truppe die ihr von Ihnen zu-gedachten Aufträge auch ausführen kann. Dazu wird esnämlich kommen. Das halte ich für keine weitsichtigePolitik. Es ist Fortsetzung des Durchwurstelns. Davonhaben die Angehörigen der Bundeswehr schon mehr alsgenug gehabt.
Noch einmal: Sie sparen fast nichts. Trotz der Redu-zierung um 70 000 Dienstposten bleiben die Gesamtaus-gaben, wenn man den mittleren Zeitraum betrachtet, beideutlich über 30 Milliarden Euro. Respekt!Dabei hatten Sie anderes angekündigt. Erstens. Nochim letzten Jahr hieß es, aufgrund der Haushaltskrise undder knappen Finanzen sollten in den nächsten vier Jahren8,3 Milliarden Euro eingespart werden. Das wäre gewis-sermaßen der Pflichtanteil von 10 Prozent gewesen. Nunsollen es noch etwa 4,3 Milliarden Euro sein, aber infünf Jahren. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Diesen Be-trag holen Sie ja fast allein durch die Aussetzung derWehrpflicht herein. Das ergibt für diesen Zeitraum näm-lich eine Summe von 3,5 Milliarden Euro. Im Grundegenommen kann von Sparen keine Rede sein.Zweitens. Sie verschieben jetzt die Kosten und ver-kaufen es als großen Erfolg, Herr Minister, dass be-stimmte Posten in einem anderen Einzelplan veran-schlagt werden und Sie dadurch 1,5 Milliarden Eurozusätzlich zur Verfügung hätten. Aber die Bürgerinnenund Bürger müssen in jedem Fall dafür zahlen, ob es imEinzelplan 14 oder im Einzelplan 60 veranschlagt ist.
Zudem wird das Ganze unkontrollierter und undurch-sichtiger. Auch das halten wir für falsch.Drittens. Wenn Sie überhaupt sparen, Herr Minister,dann an der falschen Stelle. Wir sind ganz klar dafür,dass beim Rüstungsetat gespart wird. Wir wollen auchumschichten, zum Beispiel 20 Millionen Euro für denZivilen Friedensdienst aus dem Etat des Ministeriumsder Verteidigung. Aber wir sind nicht für Sparen zulas-ten der Menschen im System Bundeswehr.Reden wir über die Soldaten auf Zeit. Hier geht es umdie Reduzierung der Dienstzeiten, um bessere Bezah-lung, in der Tat, um die Optimierung des Übergangs inszAteDZrewisRBdWbFglahdsisSmSBAsbbkHleMnjefasteHdfumWreGcaMB
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14513
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Wir fordern Sie nachdrücklich auf, den Strukturwandelmit einem solchen Bundeskonversionsprogramm positivmitzugestalten.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner unse-
rer Debatte ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
unser Kollege Dr. Tobias Lindner. Bitte schön, Kollege
Tobias Lindner.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Unabhängig davon, wie wir als Mitglieder dieses
Hohen Hauses zu Fragen von Krieg und Frieden oder zu
einzelnen Auslandseinsätzen der Bundeswehr stehen,
sprechen wir heute über einen der größten Einzelpläne
des Bundeshaushalts. Angesichts von mehr als 30 Mil-
liarden Euro gilt es, diese Mittel an der richtigen Stelle
und effizient einzusetzen, auch und gerade aus Verant-
wortung gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten.
Nach nunmehr über einem Jahr Vorbereitungszeit ist
noch immer nicht klar, wohin bei der Bundeswehrreform
die Reise überhaupt gehen soll. Bis heute liegen keine
Konzepte auf dem Tisch. Die Präsentation der Vor-
schläge des Ministeriums steht immer noch aus. Den-
noch, meine Damen und Herren, debattieren wir heute
über den Haushalt des Verteidigungsministeriums, über
einen Haushalt, der morgen schon Makulatur sein kann.
Ohne schlüssiges Reformkonzept kann dieser Etatent-
wurf nämlich nur eine Bundeswehr widerspiegeln, wie
wir sie hoffentlich in der nahen Zukunft von ihrer Struk-
tur her nicht mehr haben werden. Wir Grüne fordern da-
her ein umfassendes Moratorium, vor allem bei milliar-
denschweren Beschaffungs- und Forschungsprojekten.
Ohne klare, richtungsweisende Reformentscheidun-
gen dürfen auch keine Festlegungen im Etat getroffen
werden, mit denen wir uns Handlungsalternativen ver-
bauen würden.
Schaut man sich den Haushaltsentwurf an, so muss man
befürchten – gerade nach dem Beitrag des Ministers –,
dass aus der groß angekündigten Bundeswehrreform
nicht viel mehr als ein Reförmchen geworden ist. Von
der Ankündigung von Minister zu Guttenberg im Mai
letzten Jahres, dass der Verteidigungsetat einen Beitrag
zur Konsolidierung des Haushalts leisten muss, und dem
vollmundigen Versprechen der Regierung, bis 2014
8,3 Milliarden Euro einzusparen, sind wir inzwischen
weit entfernt. Nicht nur wurde das Sparziel gestreckt,
nein, es wurde auch halbiert. Im nächsten Jahr steigt der
Wehretat erst einmal an. Zusätzlich – das wurde schon
erwähnt – wird über 1 Milliarde Euro Personalkosten in
den Einzelplan 60 geschoben. Deutlich ist: Gespart wird
hier nicht.
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14514 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
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Sie haben es geschafft, auf die Sekunde Ihre Redezeiteinzuhalten. Sie haben jetzt den Beifall des ganzen Hau-ses bekommen. Merken Sie sich dies. Es kann sein, dassdas nicht so oft vorkommt.
Der nächste Redner in unserer Debatte ist für dieFraktion der CDU/CSU unser Kollege Ernst-ReinhardBeck. Bitte schön, Kollege Ernst-Reinhard Beck.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Ich muss mich über die schrillen Töne sehr wun-dern, die ich heute vonseiten der Opposition höre.
– Sie wundern sich vielleicht nicht mehr. – Lieber Kol-lege Schäfer, ich schätze Sie für Ihre Arbeit im Aus-schuss. Sie haben hier gesagt: 100 000 Mann; es gibtkeine Bedrohung. Sagen Sie doch ganz ehrlich, dass Siedie Bundeswehr abschaffen wollen. Wenn das geschieht,wird noch sehr viel mehr im Haushalt gespart. Ihre For-derung ist ohne sachliche Begründung. Sie sind auch wi-dersprüchlich. Sie kritisieren, dass man auf der einenSeite an der Fürsorge spart und auf der anderen Seite mitentsprechenden Rüstungsmaßnahmen klotzt. Die SPD,lieber Kollege Arnold, sagt, überall werde vernachläs-sigt.Ich glaube, die Rede des Ministers hätte es verdientgehabt, von Ihnen sachlich gewürdigt zu werden, in ein-zelnen Punkten vielleicht durchaus kritisch. Ich möchte,an den Minister gewandt, ein herzliches Dankeschön sa-gen. Er hat sein Amt in einer schwierigen Phase über-nommen – vielleicht haben Sie es vergessen –: Erst seitMärz ist er der Inhaber der Befehls- und Kommando-gewalt in diesem Land. Damit ist er verantwortlich fürunsere äußere Sicherheit. Ich meine, er hat die entspre-chenden Fäden, die bis dahin unter dem Stichwort „Bun-deswehrreform“ etwas lose in der Luft hingen – auch dassollte man einmal feststellen –, zu einem konstruktiven,zukunftsfähigen Konzept zusammengebunden.
Herr Minister, wir, die CDU/CSU-Fraktion, wünschenIhnen für den weiteren Reformweg alles Gute.Es ist mangelnde Transparenz angemahnt worden.Herr Kollege Arnold, es ist aber nicht wahr, dass es anTransparenz mangelt. Bei der Vorstellung der Verteidi-gungspolitischen Richtlinien kam zum Ausdruck, dasswir die Dinge begleitet haben, mitunter auch kritisch.Dies alles vom Tisch zu wischen, ist nicht unbedingt derrichtige Stil.
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ie haben bemerkt, dass ich mich relativ gemäßigt aus-edrückt habe.Herr Kollege Arnold, eines hat mich irritiert – das lasseh Ihnen schlicht und ergreifend nicht durchgehen –: Sieaben hier in einer, wie ich meine, nicht anständigeneise die Frage der Einsatzversorgung eingebracht. Est richtig: Wir sind im Verteidigungsausschuss in Wahr-ehmung unserer Verantwortung – es geht darum, dassoldaten in gefährliche Einsätze geschickt werden – ge-einsam zu der Erkenntnis gekommen: Wir müssen dieestmögliche Versorgung von verletzten und verwunde-n Soldaten und wir müssen die bestmögliche Versor-ung für Hinterbliebene von Gefallenen gewährleisten.ußerdem müssen wir die notwendigen Anstrengungennternehmen, um zum Beispiel Versehrten den Wieder-instieg ins Berufsleben zu ermöglichen.Wir müssen auch hier einfach einmal feststellen, dass jetzt vorliegenden Entwurf – auch ich hätte ihn mirüher gewünscht; das sage ich ganz offen – wesentlicheorderungen von uns aufgegriffen sind, etwa was diengleichung der Versorgung von Berufs- und Zeitsolda-n, die Rückdatierung des Stichtags und eine ganzeeihe von finanziellen Leistungen – sie sind verdoppeltorden – angeht. Dass wir hier vielleicht noch mehr tunönnen, ist doch klar. Aber all dies vom Tisch zu wi-chen und zu sagen: „Das ist alles nichts; auf unsereunkte geht man nicht ein“, halte ich für keinen gutentil, lieber Kollege Arnold.
Ganz konkret: Die Absenkung des Schädigungs-rades von 50 Prozent auf 30 Prozent für eine Beschäfti-ungsgarantie ist für jemanden, der mit diesen Dingenicht befasst ist, schwer nachzuvollziehen. Das ist übri-ens einer der Gründe, weshalb die Ressortabstimmungo lange gedauert hat. Einige wissen aus eigener Regie-ngserfahrung – Herr Erler sitzt hier vorne –, dass man-he Dinge aufgrund der Ressortabstimmung nicht voneute auf morgen zustande kommen. Das Innenministe-um etwa hat mit Blick auf die Versorgung der Polizis-n Einwände gegen das erhoben, was für die Soldatenut ist. Wenn man beim Schädigungsgrad von 50 Pro-ent auf 30 Prozent herunterginge, wäre dies schlicht-eg mit verfassungsrechtlichen Problemen verbunden.er Zugang zu öffentlichen Ämtern soll nach Eignungnd fachlicher Leistung erfolgen; dies ist einer derrundsätze. Sobald der Erste klagt, dass ihm jemandorgezogen worden ist, weil er entsprechend versehrt ist,äre dies ein Fall für das Verfassungsgericht. Ich glaube,ir sollten uns gut überlegen, was wir tun. Wenn wir iniesem Haus zu einer Regelung kommen, die all demechnung trägt, dann bin ich gern bereit, mitzumachen;
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14515
Ernst-Reinhard Beck
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aber wir sollten die Bedenken nicht einfach beiseite-schieben. Ich glaube, der Minister hat zu Recht das Ziel der Re-form dargestellt: Deutschland benötigt einsatzbereite,einsatzfähige Streitkräfte, die in Qualität, Ausstattungund Ausbildung dem internationalen Standard und demGewicht unseres Landes entsprechen und – ich fügehinzu – die in eine internationale Verantwortung, in eineeuropäische Verteidigung hineinpassen, die im Grundein eine entsprechende multinationale, supranationaleStruktur hineinpassen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht ärgern Siesich jetzt, dass ich anrege, über einige Dinge nachzuden-ken. Der eine oder andere hat es vielleicht auch schongetan. Ich frage: Sind wir mit unserem Parlamentsbetei-ligungsgesetz auch in Bezug auf die Ansprüche, die miteiner Einsatzorientierung einerseits und mit den von unseingegangenen Bündnisverpflichtungen andererseits ein-hergehen, auf dem richtigen Weg? Ich meine, darübersollte man vielleicht einmal nachdenken. Wenn jetzt zumBeispiel die Teilnahme von Soldaten in integrierten Füh-rungsstäben der NATO eingeklagt wird, dies also imGrunde ein Fall für das Verfassungsgericht ist, stellt sichdie Frage, ob wir bei den Einsatzkräften, die wir für einegemeinsame Tätigkeit in der NATO, nämlich beiAWACS, zur Verfügung stellen, jedes Mal darüber dis-kutieren müssen, ob wir die Soldaten aus den Flugzeu-gen herausnehmen oder ob ein eigenes Mandat notwen-dig ist.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich binschon sehr dafür, aus den Erfahrungen mit unserer Ge-schichte mit der Anwendung militärischer Mittel äußerstvorsichtig zu sein.
Wenn wir über Pooling und Sharing im Rahmen derBündnisfähigkeit reden, müssen wir uns auf die Zusageder anderen absolut verlassen können, gleichzeitig aberakzeptieren, dass man von uns verlangt, dass wir unsereFähigkeiten ins Bündnis einbringen und die entsprechen-den parlamentarischen Voraussetzungen dafür schaffen.Was würde eigentlich dagegensprechen, wenn wir beiAufgaben, die wir gemeinsam im Bündnis wahrnehmen,den Rahmen vorher vertraglich festlegen, dies generellmandatieren und dann sagen: „Die Sicherungen unseresParlamentsbeteiligungsgesetzes greifen mit dem Rück-holrecht“? Sie greifen auch schon, wenn die Bundesre-gierung im NATO-Rat einem bestimmten Einsatz nichtzustimmt.
– Herr Gehrcke, das wäre natürlich auch einmal eine Sa-che. Aber man muss doch einfach sagen, dass bestimmteintegrierte Verbände – denken Sie an die EU-Battle-Groups; denken Sie an die NATO-Response-Force –deshalb nicht eingesetzt worden sind, weil das Verfahrenentsprechend kompliziert ist, und dass wir deshalb zumTeil als unsichere Kantonisten im Bündnis gelten.FfäDroüreleDlasuleHBmv–lehGkaMHPsnAimsHbgtizwdPwd2
Wir können das ja dann gemeinsam im Protokoll nach-sen; vielleicht treffen wir uns dann wieder. Vielleichtat auch der eine etwas mehr recht als der andere.Ich will einmal auf Folgendes hinweisen: Herr zuuttenberg war der Ankündigungsminister. Was die An-ündigungen angeht, haben wir ihm auch die 8,3 Milli-rden Euro Einsparungen zu verdanken, die ab heuteakulatur sind. Ich will durchaus zum jetzigen Minister,errn de Maizière, eine Brücke schlagen. Auch vieleunkte, die Sie, Herr Minister, hier angesprochen haben,tellen bisher nur Ankündigungen dar und sind nochicht umgesetzt worden. Also ist es unsere gemeinsameufgabe, an den Punkten zu arbeiten, die sich bisher nur Bereich der Ankündigung befinden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Bundeswehrteht mit dem angekündigten und am 18. Mai durcherrn Minister de Maizière präzisierten Reformvorha-en, der Neuausrichtung unserer Streitkräfte, vor derrößten Herausforderung ihrer Geschichte. Mit der poli-schen Entscheidung des Parlaments, die Wehrpflichtum 1. Juli 2011 auszusetzen und stattdessen einen Frei-illigendienst einzuführen, haben sich die Rahmenbe-ingungen für die Streitkräfte und auch für das zivileersonal substanziell verändert. Diese Veränderungenerden auch gravierende Auswirkungen auf den Vertei-igungsetat haben.Bereits in meinen Ausführungen am 24. November010 anlässlich der zweiten und dritten Lesung des Bun-
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14516 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Bernhard Brinkmann
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deshaushalts 2011 habe ich für die SPD-Bundestagsfrak-tion deutlich gemacht, dass die angekündigten Einspa-rungen – damals noch von Herrn zu Guttenberg – inHöhe von 8,3 Milliarden Euro nicht darstellbar sind. Siesind – das kann ich nur deutlich wiederholen – mit demjetzt vorgelegten Etatentwurf zum Einzelplan 14 auchendgültig Makulatur.Herr Minister de Maizière hat dann in seinen Ausfüh-rungen auf Veränderungen im Milliardenbereich hinge-wiesen. Ich will an dieser Stelle eines deutlich machen:All die Einsparungen, die im 44. Finanzplan festge-schrieben wurden, finden sich aufgrund des Entwurfs2012 verständlicherweise im 45. Finanzplan nicht wie-der. Die Bundeswehr – das liegt auch in diesem Reform-vorhaben begründet – muss natürlich bei dem anstehen-den Reformprozess mitgenommen werden. Auch dasfindet bis heute nur in sehr geringem Umfang und rechtselten statt.Ich war in der parlamentarischen Sommerpause wieviele Kolleginnen und Kollegen im Lande unterwegsund habe mit Soldatinnen und Soldaten und zivilen Mit-arbeiterinnen und Mitarbeitern gesprochen. Es ist keineFrage, sie sind nach wie vor hoch motiviert, aber auchstark verunsichert. Die vorgesehene Reduzierung auf55 000 Zivilbeschäftigte, Herr Minister, kann man nichteinfach dadurch umsetzen, dass man die Betroffenen sohin- und herschiebt, wie es angedacht ist. Darüber müs-sen wir uns auch bei den künftigen Beratungen intensivaustauschen. Man kann nämlich eine zivile Mitarbeiterinaus der Küche oder einen zivilen Mitarbeiter aus derStandortverwaltung nicht einfach in ein anderes Ministe-rium umsetzen. In welcher Größenordnung sich die Be-züge dieser Beschäftigten bewegen, hat der KollegeArnold ja in seinen Ausführungen sehr deutlich ge-macht.Ich hätte mir auch gewünscht, dass man diese Hilfs-brücke, um mehr Luft im Etat zu bekommen – dagegenhat die SPD überhaupt nichts einzuwenden –, nicht inForm einer Verschiebung von bis zu 1 Milliarde Euro inden Einzelplan 60, wie es im Entwurf steht, vollzogenhätte. Es gibt durchaus Annahmen, die von bis zu4 Milliarden Euro ausgehen. Was man dorthin schiebt,kann an anderer Stelle natürlich nicht eingespart werdenoder wird weniger eingespart. Wenn Personal in andereMinisterien verschoben wird, bleibt es letztendlich beiden gleichen Personalausgaben. Nach dem Grundsatzder Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit wäre esbesser gewesen, wenn man für all dies eine separateHaushaltsstelle mit dem Titel „Neuausrichtung der Bun-deswehr“ im Einzelplan 14 vorgesehen hätte. Das wäretransparent und entspräche dem Grundsatz der Haus-haltswahrheit und Haushaltsklarheit.
Auch zur Frage der Attraktivität sind schon entspre-chende Ausführungen gemacht worden. Ich will diePunkte gerne wiederholen, Herr Minister: Vereinbarkeitvon Familie und Beruf, neue Laufbahnen, Stärkung derAus- und Weiterbildung, erleichterter Übergang in Zivil-berufe und, ganz generell, die Bezahlung von Soldatin-nen und Soldaten. Daher wäre es, auch vor dem Hinter-gfüdfrTihaahshsaPgreEAdsdHs5bSnzanSsdBusdzmfe
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14517
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Lieber Kollege Koppelin, in der Frage der Mehrwert-
steuererhöhung befanden wir uns in guter Gemeinschaft
mit Ihrem jetzigen Koalitionspartner. Meine Partei
wollte keine Erhöhung, die Union hat 2 Prozentpunkte
gefordert, daraus sind dann 3 Prozentpunkte geworden.
Ich habe das immer als Mengenlehre bezeichnet, weil
man auch die nicht erklären kann. Aber Sie wissen bes-
ser denn je: In einer Koalition muss man Kompromisse
machen. Auf unserem Papier war damals die Steuerfrei-
heit für Nachtzuschläge und Feiertagszuschläge ein
Punkt, auf dem Papier der Unionsfraktion stand die
Mehrwertsteuererhöhung, und darum ist es dazu gekom-
men.
Zu dem zweiten Punkt, Herr Kollege Koppelin. Bis
vor wenigen Monaten haben wir immer noch die Mons-
tranz vor uns her getragen, dass wir 8,3 Milliarden Euro
einsparen könnten. Von Steuersenkungen will ich gar
nicht reden. Da scheinen ja auch Sie mittlerweile zu an-
deren Überzeugungen zu kommen, nachdem Sie die
Meinung der Bürgerinnen und Bürger dazu von Ihren
Wahlergebnissen ablesen können. Aber Sie haben Ein-
sparungen vorgenommen, ohne Abstimmung mit dem
Minister. Ich weiß noch ganz genau, wie Herrn Minister
zu Guttenberg damals auf der Regierungsbank die Ge-
sichtszüge entglitten sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Beck
hat bereits darauf hingewiesen, dass unsere Soldatinnen
und Soldaten im Land und darüber hinaus bei den Aus-
landseinsätzen einen gefährlichen und harten Job zu er-
füllen haben. Das wird manchmal von der linken Seite
des Hauses kritisiert. Der Hinweis, die Bundeswehr ab-
zuschaffen, kommt nicht von ungefähr. Auch da könnte
man ein bisschen Vergangenheitsbewältigung betreiben.
Ich will das nicht tun. Aber ich möchte die Gelegenheit
nutzen, den Soldatinnen und Soldaten und allen zivilen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie ihren Angehö-
rigen zu danken und ihnen ausdrücklich meinen Respekt
und meine Anerkennung auszusprechen.
Eines bedrückt mich allerdings, und das war auch bei
den Haushaltsberatungen 2010 schon Thema. Am nächs-
ten Morgen ereilten mich dazu aus dem Ministerium
– das hat vielleicht auch etwas mit der Personalstärke zu
tun – innerhalb einer halben Stunde 35 Anrufe. Staats-
sekretär Schmidt weiß, worum es geht. Ich sehe auf der
Besuchertribüne viele Besucherinnen und Besucher, al-
lerdings keinen Soldaten, keinen Bürger in Uniform.
Könnte das daran liegen, Herr Minister, dass die entspre-
chenden Haushaltsmittel ähnlich wie in 2010 schon
Mitte des Jahres aufgebraucht sind und deshalb niemand
im Rahmen der politischen Bildung mehr in die Haupt-
stadt kommen kann? Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn
Sie das überprüfen ließen und mir eine schriftliche
Nachricht zukommen lassen könnten. Die Mitarbeiter
aus dem Ministerium können sich also etwaige Anrufe
morgen früh sparen. Vielen Dank im Voraus dafür.
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14518 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
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zuallererst Folgendes erreichen wollen: flachere Hierar-chien und Transparenz mit Blick auf Strukturen und Ent-scheidungen. Dass dies kein einfacher Weg ist, kannman sich angesichts der Größe einer Organisation wieder Bundeswehr sicherlich lebhaft vorstellen. Jetzt schonvon einem Chaos zu reden – diese Äußerung habe ichvom Kollegen Bartels gehört; Kollege Arnold hat dasebenfalls angedeutet –,
halte ich für vollkommen daneben. Wir stehen gemein-sam in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Bundeswehrhandlungsfähig ist. Wir stehen aber genauso in derPflicht, die Dinge nicht zu zerreden. Wir müssen geradein diesen Bereich Ruhe und Zuverlässigkeit bringen.
Die wesentlichen Eckpunkte, durch die eine Bundes-wehrreform determiniert ist, sind neben den finanziellenRahmenbedingungen die demografischen und natürlichdie sicherheitspolitischen Bedingungen. Wir haben heuteMorgen in der Debatte sehr viel darüber gehört, wiewichtig es ist – auch ich bin dieser Auffassung –, sich inEuropa in vielen elementaren Politikfeldern aufeinanderzuzubewegen. Ich nenne beispielsweise Wirtschaftspoli-tik, Haushaltspolitik und Finanzpolitik. Es ist nicht zu-letzt eine Lehre aus der Diskussion über Libyen, dasswir gemeinsam in Europa schnellstmöglich europäischeSicherheits- und Verteidigungsinteressen definierenmüssen. Daraus können wir ableiten, mit welchen Fähig-keiten und Mitteln wir und die europäischen Partner derVerantwortung gerecht werden können.Es wird sehr viel über Bündnistreue und Bündniszu-verlässigkeit geredet. Wenn ein Land mehr als7 000 Soldatinnen und Soldaten in internationalen Ein-sätzen hat, kann ich beim besten Willen keine Bünd-nisunzuverlässigkeit feststellen. Wenn ich aber – damitkomme ich auf das Thema „Definition der gemeinsameneuropäischen Interessen“ zurück – von einem großenBündnispartner höre, dass in Zukunft an die Europäer,sozusagen vor der eigenen Haustür, andere Anforderun-gen gestellt werden, bedeutet das einen qualitativen Un-terschied innerhalb des Bündnisses. Deswegen solltenwir gemeinsam überlegen – genauso wie wir es vor ei-nem Auslandseinsatz machen und es die Soldaten mitRecht einfordern –, wie wir europäische Sicherheitsinte-ressen definieren und wie wir diese Bereiche kompatibelmachen können, um die Sicherheit unserer Bürgerinnenund Bürger zu gewährleisten.
Zur Demografie. Herr Minister, Sie haben eben ge-sagt, dass der Umbau der Bundeswehr zu einer Freiwilli-genarmee notwendig war. – Sie haben „leider“ gesagt;ich als FDP-Vertreterin würde „Gott sei Dank“ sagen. –Das hat selbstverständlich auch etwas mit der demogra-fischen Entwicklung zu tun. An dieser Stelle möchte ichmich für einen Gedanken starkmachen – das ist ebensFAePtreDsgdw–AuWsbmsdzgtezBnAnAwläHmnnasgteisregwlisHdawm
Ich glaube, dass noch ein ganz dickes Brett zu bohrent. Deswegen bin ich froh, Herr Minister, dass Sie in Ih-n Verteidigungspolitischen Richtlinien einen Satz ein-efügt haben, mit dem Sie Ihr Verständnis der deutschenehrtechnischen Industrie zum Ausdruck bringen, näm-ch dass sie eine dienende Funktion hat. Ich würde michehr freuen, wenn es uns in Zukunft gelingt, vor diesemintergrund die richtigen Entscheidungen zu treffen, so-ass die Industrie zwar einerseits wettbewerbsfähig ist,ndererseits aber in einer angemessenen Zeit das not-endige Material verlässlich zur Verfügung stellenuss.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14519
Elke Hoff
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Ich darf mich sehr herzlich für die Aufmerksamkeitbedanken.
Vielen Dank. – Frau Kollegin, ich konnte die Zwi-
schenfrage nicht mehr zulassen, weil die Redezeit schon
abgelaufen war. Ich glaube, Sie haben das auch so ver-
standen.
Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Omid
Nouripour. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute aufden Tag genau vor zehn Jahren hätte niemand daran ge-dacht und geglaubt, dass wir, der Bundestag, einmal dieBundeswehr nach Afghanistan schicken würden.
Vor wenigen Jahren wäre es nicht denkbar gewesen,über einen Einsatz im Libanon oder im Sudan zu spre-chen. Niemand kann heute wissen, was in 15 Jahren dieHauptherausforderungen bei der Sicherheit unseres Lan-des und die Aufgaben der Bundeswehr sein werden. Werheute behauptet, das für die Zukunft zu wissen, ist ent-weder ein Hellseher oder ein Hochstapler.Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass die Bun-deswehr flexibler wird. Das geht natürlich nur dann,wenn das Geld zusammengehalten wird. Das Geld indiesen Zeiten der Verschuldung zusammenzuhalten, istnatürlich alles andere als einfach. Deshalb war es völligrichtig, dass der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg gesagt hat, er wolle eine großeBundeswehrreform durchführen. Er hat dies am Anfangfälschlicherweise ausschließlich mit dem Finanzdruckbegründet; aber der Finanzdruck ist vorhanden und wirdauch in den nächsten Jahren vorhanden sein.Insofern war es richtig, hier heranzugehen und großeÜberschriften zu produzieren. Die Strukturen müssentatsächlich effizienter gestaltet werden. Die Gesamt-größe der Bundeswehr ist auf den Prüfstand gestellt wor-den; das sollte aus unserer Sicht weiterhin getan werden.Vor allem geht es um Veränderungen bei der Beschaf-fungsphilosophie, die bisher in diesem Land existiert:Seit Jahrzehnten wird mit einem Etat, der eigentlich fürandere Zwecke da ist, Industriepolitik betrieben. Alldiese Punkte sind wichtig.Das Problem beim alten Minister war: Er hat Über-schriften produziert, aber die Seiten des Buches nicht ge-füllt. Das heißt, er hat Ihnen, Herr Minister, ein ziemlichleeres Heftchen hinterlassen. Dadurch können Sie nichtnur verwalten, sondern auch gestalten. Es ist nicht nurschlecht, dass da noch nicht so viel gemacht worden ist,dass die Kärrnerarbeit noch bevorsteht; denn das gibt Ih-nen die Möglichkeit, tatsächlich zu gestalten. Das Pro-blem ist: Wenn ich mir diesen Einzelplan anschaue, dannfinde ich davon nichts wieder. Ich finde in diesem Zah-lesedEsdrepWwDESlegEräswIcfassewemahwhdmmkGrereepVSBvpdgsVfügvw
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14520 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
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nicht gesprochen worden, auch mit anderen Ressortsnicht. Insofern gibt es keine Strategie der Bundesregie-rung. Es gibt nur die grundsätzlichen Gedanken, die Sieformuliert und verschriftlicht haben. Das ist einfachnicht ausreichend.Strategielos ist die Bundesregierung auch, wenn esdarum geht, mit einer Stimme zu sprechen: Die Wider-sprüche zwischen Verteidigungsminister und Außen-minister sind bekannt. Neu ist natürlich, dass sich derVerteidigungsminister und sein eigener Staatssekretärnun auch öffentlich widersprechen, wie wir das vor eini-gen Wochen erfahren durften.Das Problem ist, dass uns Parlamentarierinnen undParlamentariern jetzt die Aufgabe bevorsteht, in dennächsten Wochen alles daranzusetzen, in den Ausschuss-beratungen eine Bundeswehrreform zustande zu brin-gen, die diesen Namen auch verdient. Die Bundeskanz-lerin und andere in der Bundesregierung haben immerwieder gesagt: Es darf keine Sicherheitspolitik nachKassenlage geben. Das ist eine richtige Aussage. DasProblem ist aber, dass Sie weder eine sinnvolle Sicher-heitspolitik machen noch auf die Kassenlage schauen.Das reicht einfach nicht.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner in un-
serer Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU unser
Kollege Thomas Silberhorn. Bitte schön, Kollege
Thomas Silberhorn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerVerteidigungshaushalt für das Jahr 2012 hat weit überdieses Jahr hinaus Bedeutung. Denn er legt die Grund-lage für eine tiefgreifende Neuausrichtung der Bundes-wehr. Dem Bundesverteidigungsminister ist es gelungen,das scheinbar Unvereinbare miteinander zu vereinen.Einerseits leistet der Etat einen wichtigen Beitrag zurKonsolidierung des Haushalts und zur Einhaltung derSchuldenbremse, andererseits macht dieser Etat die Bun-deswehr fit für die Zukunft. Ich möchte anführen, dassdie Truppe im kommenden Jahr zum Beispiel über200 Millionen Euro zusätzlich für Materialerhaltungausgeben kann. Trotz eines kleineren Haushalts für Ver-teidigung gibt es keine Abstriche an den militärischenFähigkeiten. Entscheidend ist, dass die vorhandenenMittel effizient und an den Einsatzerfordernissen orien-tiert verwendet werden.Dieser Etat ist ein Beleg dafür, dass die christlich-liberale Koalition keine Sicherheitspolitik nach Kassen-lage macht. Es war richtig, anhand der Verteidigungs-politischen Richtlinien zuerst die Koordinaten unsererSicherheitspolitik zu bestimmen, die Aufgaben und Fä-higkeiten der Bundeswehr zu präzisieren und danndaraus den erforderlichen Finanzbedarf zu ermitteln. Ih-nhnkeEBDRtiWgsawcsMtrtidngAdKEwaberikNtuwrugSlihevrivtuMsswgkflpK
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14521
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gung geht. Entscheidend ist aber, dass der Kampf einerstrikten Wertebindung unterliegt.Dieses Verständnis für den Dienst in der Bundeswehrmuss unsere Gesellschaft aufbringen. Die Soldaten sol-len das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform leben, aberdie Gesellschaft muss es auch verstehen, damit dieStreitkräfte in ihr fest verankert bleiben. Gerade die Frei-willigenarmee erfordert, dass sich die Gesellschaft zurBundeswehr bekennt.
Die Bundeswehr braucht hochmotivierte Soldaten.Der Bund steht im Wettbewerb mit anderen Arbeitge-bern. Deswegen spielt die Attraktivität der Bundeswehreine wichtige Rolle für den Erfolg dieser Reform. CDU/CSU und FDP diskutieren intensiv über ein ganzes Bün-del von Maßnahmen, um den Dienst in den Streitkräftenattraktiver zu gestalten. Ein wichtiges Anliegen ist derAusbau einer elternfreundlichen Infrastruktur in derBundeswehr. Von der Öffnung für Seiteneinsteiger biszur Mitnahme von Versorgungsanwartschaften gibt eseine breite Palette von Verbesserungsmöglichkeiten. DieKoalitionsfraktionen arbeiten mit Nachdruck, um raschzu Ergebnissen zu kommen.
Mit dem Entwurf eines Einsatzversorgungs-Verbesse-rungsgesetzes, mit dem die Versorgung von Geschädig-ten und Hinterbliebenen verbessert werden soll, hat diechristlich-liberale Koalition in der letzten Woche einewichtige Änderung auf den Weg gebracht. Wir werdendiesen Gesetzentwurf zeitnah verabschieden. Die Ver-besserungen werden bald Realität sein. Im vorliegendenHaushaltsentwurf ist bereits eine Erhöhung der Versor-gungsausgaben um mehr als 60 Millionen Euro für 2012fest eingeplant.
Die Frage nach den künftigen Standorten der Bundes-wehr ist ausgesprochen komplex. Militärische, wirt-schaftliche und personelle Aspekte sowie strukturpoliti-sche Anliegen der Bundesländer und vieles mehrerfordern intensive Abstimmungen. Es geht schlichtwegnicht anders, als sich dafür die nötige Zeit zu nehmen.Uns ist bewusst, dass gerade dieser Punkt einige Verun-sicherung in der Truppe verursacht. Aber gerade weilStandortentscheidungen Konsequenzen für die Soldaten,die Zivilbeschäftigten und ihre Familien haben, müssenwir mit Sorgfalt vorgehen. Der Fahrplan für die Ent-scheidungen steht.Gestatten Sie mir, hier nochmals mit Nachdruck fürdie Präsenz der Bundeswehr in der Fläche zu werben.Die Verwurzelung der Truppe in der Breite unseres Lan-des stärkt ihr Ansehen in der Bevölkerung. Flächende-ckende Präsenz ist eine Voraussetzung dafür, dass dieBundeswehr nicht auf das oft beklagte freundliche Des-interesse stößt.In der Europäischen Union stehen wir vor der Auf-gabe, unsere Armeen besser und enger aufeinander ab-zustimmen. 27 nationale Armeen können unmöglichjeEVvbzVsssKswisdZihleCsuMwwliaTdfüKBPbdgäpsswSu
Es war völlig anders, als Herr Trittin es heute ausge-hrt hat. KT hat – –
arl-Theodor zu Guttenberg hat die Notwendigkeit derundeswehrreform erkannt und durch Einsatz in denarteigremien, wie es sein muss, eine Veränderung her-eigeführt, die auf zwei Parteitagen, dem der CDU undem der CSU, mit breiten Mehrheitsbeschlüssen dazueführt hat, dass die CDU und die CSU ihre Haltung ge-ndert haben und sich den Übergang von einer Wehr-flichtarmee zu einer Freiwilligenarmee aktiv zur Ge-taltung vorgenommen haben.Der eine oder andere wird, wenn er ehrlich zu sichelbst ist, zugestehen – ich war mehrfach mit ihm unter-egs bei der Truppe im Einsatz –: Er hat die Lage deroldaten im Einsatz und das, was die Soldaten dort fürnser Land im Krieg tun, in hervorragender Weise in das
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14522 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Klaus-Peter Willsch
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Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht. Für beides ge-bührt ihm ausdrücklicher Dank.
Leider sind auch im Jahr 2011 nicht alle Soldatenwohlbehalten aus dem Einsatz in Afghanistan zurück-gekehrt. Sieben Kameraden sind in Afghanistan gefal-len. Das macht greifbar, was eine Armee im Einsatz be-deutet. Wir haben nicht nur Gefallene, sondern auchVersehrte zu beklagen. Das ist Anlass genug, bei dieserGelegenheit all denen, die diesen schweren und gefähr-lichen Dienst für unser Land auf sich nehmen, ausdrück-lich zu danken. Hierbei beziehe ich alle Kameraden ein:die Freiwilligen und länger dienenden Zeitsoldaten unddie Berufssoldaten, die früheren Wehrdienstleistenden,die jetzt langsam ausgephast werden, die neuen Freiwil-ligen und die Reservisten.Am 15. September des letzten Jahres habe ich an die-ser Stelle darauf hingewiesen, dass man dem Einzel-plan 14 für das Jahr 2011 seine Unwägbarkeiten ange-sehen hat. Im vergangenen Jahr hat sich viel getan. Wirhaben inzwischen mit Blick auf die neue Bundeswehrund die Freiwilligenarmee viel mehr Informationen aufdem Tisch. Wir können für das Jahr 2012 auf festererGrundlage planen.Natürlich wäre es schön, wenn wir schon das Gesamt-tableau hätten. Der Minister hat es aber angekündigt,und er bewegt sich damit auf der Linie des verkündetenZeitplans: Die Stationierungsentscheidungen stehen imHerbst – im Oktober – an. Dann müssen wir natürlichnachbessern. Der Hinweis darauf, dass diese vor derzweiten und dritten Lesung erfolgen, erlaubt uns viel-leicht, die Entscheidungen im Rahmen der Beratungenan die zukünftigen Gegebenheiten anzupassen.Der Verteidigungshaushalt muss Sparbeiträge brin-gen. Wenn Sie sich den Verteidigungshaushalt an-schauen und die nominalen Beträge betrachten, dannmüssen Sie immer sehen, dass das Selbsterbringen derVersorgungsleistungen und die BImA-Leistungen, alsodie Kosten für die Unterbringung in bundeseigenen Lie-genschaften, für die Miete zu zahlen ist, bei der Bundes-wehr am stärksten zu Buche schlagen. Deshalb ist auchein nominales Fortschreiben eines Plafonds gleichwohleine Verringerung des operativen Spielraums. Es wardringend notwendig, dass wir 1 Milliarde Euro über denEinzelplan 60 mobilisiert haben, um dabei zu helfen, dasgroße Paket der Personalanpassung zu tragen.Der Einzelplan 14 macht im Regierungsentwurf mit31,68 Milliarden Euro 10,4 Prozent des BundeshaushaltsantrwaIcSsdBgzbvgliHMgeSeSgmteeDswePawgDlowmdSmwddDladmükh
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14523
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Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
darf Sie bitten, auf den Plätzen zu bleiben, und darf das
Wort dem Bundesminister der Verteidigung geben. Bitte
schön, Herr Kollege de Maizière.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-
teidigung:
Herr Präsident! Ich möchte keinen Debattenbeitrag
leisten, sondern dem Parlament nur mitteilen, dass der
ehemalige Verteidigungsminister Hans Apel gestorben
ist. Hans Apel war ein großer Sozialdemokrat, er war ein
bedeutender Politiker, und er war auch ein bedeutender
Verteidigungsminister. Unsere Gedanken sind bei den
Angehörigen, der Familie. Über die Trauerfeier und
Ähnliches wird zu sprechen sein. Wir werden das in an-
gemessener Weise in Übereinstimmung mit seiner Fami-
lie tun. Mir war wichtig, die Debatte zu diesem Etat
nicht zu beenden, ohne das hier mitzuteilen.
Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Wir trauern mitden Angehörigen und der sozialdemokratischen Bundes-tagsfraktion. Wir werden als Parlament in geeigneterForm die Arbeit und die Persönlichkeit eines bedeuten-den Bundespolitikers, unseres Freundes Hans Apel, wür-digen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zumnächsten Geschäftsbereich. Ich rufe den Geschäfts-bereich des Bundesministeriums für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung, Einzelplan 23,auf. Ich gebe nun das Wort dem Bundesminister für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, HerrnBundesminister Dirk Niebel. Bitte schön, Kollege DirkNiebel.
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung:Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Erlauben Sie mir, dass auch wir zunächstunserer Trauer über den Tod der beiden deutschen Ent-wicklungshelfer Ausdruck verleihen. Wir können denAngehörigen versichern, nachdem sie 14 Tage gebangtund gehofft haben, dass wir jetzt, in dieser schwerenStunde, an sie denken. In diesem Zusammenhangmöchte ich auch all denjenigen, die überall in der Weltfür Deutschland ihren Dienst tun, sei es in Uniform oderin Zivil, unseren ausdrücklichen Dank aussprechen.In diesem Jahr wird das Bundesministerium für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 50 Jahrealt. Es wurde vor 50 Jahren von Walter Scheel als Bun-desministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit ge-gründet. Der Zusatz „und Entwicklung“ kam erst in den90er-Jahren unter Minister Spranger zustande. Wir kön-nen jetzt den dritten Rekordhaushalt in Folge in denBundestag einbringen. Ich möchte dafür ausdrücklichFrau Bundeskanzlerin Dr. Merkel danken, die diesemPolitikfeld durch ihre ständige Unterstützung auch imKESgWeliMgwadnRdgsglimGWddKsdHezhgtu6laimnoRfe1svuwhbusV
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14524 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
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(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ja! Eine sehrgute Entscheidung! Sehr mutig und sehr rich-tig!)Wir setzen diese Reform fort, indem wir in diesem Haus-halt vorsehen, ein unabhängiges Evaluierungsinstitut zugründen, das die Möglichkeit eröffnet, die Wirkung des-sen, was wir tun, wissenschaftlich nachzuweisen.
Darüber hinaus ist ein Schwerpunkt nach wie vorSubsahara-Afrika. Afrika ist und bleibt trotz allerHerausforderungen ein Chancenkontinent. 47,4 Prozentaller regionalen Mittel werden in Afrika südlich derSahara investiert, und auch dies das erste Mal in 50 Jah-ren auf der Basis eines Bildungskonzepts, das Bildungs-armut ganzheitlich bekämpfen und dadurch zur Bekämp-fung von Armut insgesamt beitragen soll. Wir werdenvon 2009 bis 2013 zu einer Verdoppelung der Mittel fürZusagen im Bildungsbereich in Subsahara-Afrika kom-men.
2009 betrug das Startvolumen 68,5 Millionen Euro. Imnächsten Jahr sind dafür schon 105 Millionen Euro vor-gesehen. Für 2013 sind 137 Millionen Euro anvisiert.Wir stärken weiter die Zusammenarbeit mit der Zivil-gesellschaft und der Wirtschaft. Dafür nehmen wir wei-tere 57 Millionen Euro in die Hand. Wir schaffen eine„Servicestelle bürgerschaftliches und kommunalesEngagement“, um das große gesellschaftliche Engage-ment besser zu integrieren.Wir fördern Ostafrika so, wie es sinnvoll und nötigist. Die Bundesregierung hat auf die Hungerkatastropheunmittelbar reagiert. 33,5 Millionen Euro an bilateralerUnterstützung wurden zur Verfügung gestellt, zusätzlichzu den multilateralen Beiträgen für die Hilfe von EU undWeltbank. Diese werden in der innerdeutschen Diskus-sion gerade von den Multilateralisten, die uns immer sa-gen, wir sollten mehr machen, leider unter den Tisch fal-len gelassen, obwohl sie eine Leistung der deutschenSteuerzahlerinnen und Steuerzahler und unserer Volks-wirtschaft sind. Deshalb gehören sie zwingend dazu.
Nach meinem Besuch im Flüchtlingslager Dadaabstellen wir kurz-, mittel- und langfristig bis zu 118 Mil-lionen Euro zur Verfügung, insbesondere für die Ent-wicklung ländlicher Räume, um besser auf die nächsteHungersnot, die nächste Dürrekatastrophe, die bestimmtkommen wird, vorbereitet zu sein. Es war BärbelDieckmann, die Präsidentin der Deutschen Welthunger-hilfe, übrigens eine ehemalige SPD-Politikerin, die gesagthat: Die ländliche Entwicklung ist in den vergangenenJahren schmählich vernachlässigt worden. – Deswegenarbeiten wir daran, die Menschen zu ertüchtigen, mit sol-chen Dürren besser umgehen zu können. Aber das reichtnicht aus. Wir brauchen politische Lösungen. Aus die-sem Grund unterstützen wir in Somalia die AfrikanischeUnion und die IGAD, die Intergouvernementale Behördefür Entwicklung, damit hier politische Gespräche ge-führt werden können.ppNsfüsmNTItdEuleHgstiRlitaZkDliDnHurims
othilfe da, wo Menschen in Not sind und dringend un-erer Hilfe bedürfen, wirtschaftliche Zusammenarbeitr nachhaltige, dauerhafte Entwicklung, damit Men-chen aus eigener Kraft aus dem Hilfebezug herauskom-en.Ich konnte in der letzten Woche den weltweit größtenationalpark eröffnen: KAZA, Kavango-Zambeziransfrontier Conservation Area, ein Gebiet so groß wiealien, in dem die Kooperation mit der Wirtschaft unden örtlichen Kommunen im Sinne einer nachhaltigenntwicklung für die Zukunft zwingend notwendig ist,m die Biodiversität in dieser Region zu schützen.Lassen Sie mich mit Blick auf meine Redezeit einentzten Punkt ansprechen. Wir schaffen mit diesemaushalt das, was alle Fraktionen in diesem Haus immerewollt haben: Wir schaffen die Grundlage für die politi-che Steuerung der Deutschen Gesellschaft für Interna-onale Zusammenarbeit. Dieser Haushalt versetzt dieegierung, welche auch immer gerade im Amt ist, end-ch wieder in die Lage, das, was politisch gewollt wird,tsächlich auch umzusetzen.
Ich möchte mit einem Zitat aus der Süddeutscheneitung vom 17. August schließen, die bekanntermaßenein Zentralorgan der Freien Demokratischen Partei ist.ort steht geschrieben – das wird vor allem Herr Raabeeben –:Als Chef im Ministerium des guten Willens sprichtDirk Niebel unangenehme Wahrheiten aus. Damitwird nach zwei Jahren im Amt deutlich: Niebelwird niemals der König der Wohlmeinenden wer-den. Er hört auf mit der Botschaft, dass die schiereMasse an Geld allein über die Wirkung entscheidet.Ganz nebenbei entwickelt sich auf diese Weise aus-gerechnet dieser FDP-Minister … zu einem Plus-punkt in der Bundesregierung.
as hätte ich selbst nie gesagt, ich selbst hätte es auchie so schön sagen können. Aber ich hoffe, dass dieseraushalt mit Ihrer Hilfe ein Pluspunkt für Deutschlandnd unsere Partner in der Welt wird.Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Nächste Redne-n in unserer Debatte ist für die Fraktion der Sozialde-okraten unsere Kollegin Frau Dr. Bärbel Kofler. Bittechön, Frau Kollegin Dr. Kofler.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14525
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Allein mit Ihrem Schlusswort, Herr Minister, haben Sie– unbescheiden wie Sie sind – dem Ganzen die Kroneaufgesetzt.
Wenn es Ihr Markenzeichen wäre, unangenehme Wahr-heiten auszusprechen, dann hätten Sie diese Rede nichtmit dem Hinweis auf den Rekordhaushalt beginnen dür-fen.
364 Kollegen aller Fraktionen haben sich redlich be-müht, in den letzten Monaten Mittel und Sympathien fürdie Bekämpfung der Armut und der größten Katastro-phen einzuwerben, die den Planeten und sein Klima be-drohen. Aufgrund dieses Schwungs aus dem Bundestagund dieser Unterstützung des gesamten Plenums hatteich erwartet, dass Sie hier mehr zur Finanzierung desEinzelplans 23 sagen. Sie haben die Chance nicht ge-nutzt, diese große parlamentarische Unterstützung inMittel für die Armutsbekämpfung umzumünzen.
Ich kann Sie nur dringend auffordern, bis zur zweitenund dritten Lesung nachzubessern. Der Haushalt 2012stellt die letzte Chance für die Erreichung der ODA-Quote bis 2015 dar. Das wissen Sie genauso gut wie wir.
Es ist dringend nötig, mit den Zahlenspielereien auf-zuhören. Sie sollten nicht – von einer von Ihnen geplan-ten Absenkung in der Finanzplanung ausgehend – einenRiesenaufwuchs in diesem Jahr darstellen, sondern müs-sen über die Mittel reden, die wirklich für die Armutsbe-kämpfung sowie für die Bekämpfung der Folgen desKlimawandels und der Katastrophen dieser Erde zurVerfügung stehen.
Manchmal ist es hilfreich, den Haushalt und das Stra-tegiepapier aus Ihrem Hause miteinander zu vergleichen.Ich glaube nicht, dass es förderlich ist, wenn Sie selbst inIhrem Strategiepapier die Mittel zur Armutsbekämpfungals heilige Kuh bezeichnen. Ich kann mir nicht vorstel-len, dass Sie am Kabinettstisch Erfolg haben werden,wenn Sie dann Mittel für diese heilige Kuh haben möch-ten. Das war ein Schuss nach hinten, glaube ich.
Wir alle, die den Aufruf unterzeichnet haben, wissen,dass diese Mittel nicht Mittel zum Selbstzweck sind.Diese Mittel sind erforderlich für den Bereich der Not-und Übergangshilfe bei Katastrophen, den Sie selbstgeschildert haben, aber selbstverständlich auch dannnotwendig, wenn es darum geht, Strukturen in Partner-ländern aufzubauen, die vernünftiges, entwicklungspoli-tiSgmenfüghliinWhAruSwdgudreuSBdglueGugduzekinsMcSdagsagkDkfolu8Msh
Gleiches gilt für die Klimapolitik. Ich nenne einenntscheidenden Punkt aus Ihrem Strategiepapier zur Be-ämpfung von Armut als Beispiel. Es geht darum, was den Entwicklungsländern alles nötig wäre, um diechon eingetretenen Folgen des Klimawandels für dieenschen irgendwie erträglich zu gestalten und entspre-hende Anpassungsstrategien zu entwickeln. Was tunie? Wenn man Sie fragt, dann verweisen Sie auf etwas,as ich als eierlegende Wollmilchsau bezeichne, nämlichuf den tollen neuen Energie- und Klimafonds der Re-ierung. In diesem Jahr sind 42,5 Millionen Euro vorge-ehen, die sich das BMU und das BMZ teilen sollen. Wirlle erinnern uns, dass die Kanzlerin 2009 in Kopenha-en über 1 Milliarde Euro zugesagt hat. Es gibt abereine neuen Mittel, obwohl diese dringend nötig wären.as gesamte Geld wird mit den Mitteln für Armutsbe-ämpfung, mit dem Gesundheitsetat, den Gesundheits-nds, die Bildungspolitik oder die ländliche Entwick-ng verrechnet. Berechnungen von Oxfam zufolge sind8 Prozent der Zusagen im Klimabereich umetikettierteittel, zum Teil weit früher zugesagte Mittel zum Bei-piel für Waldschutz und Biodiversität. In diesem Haus-alt ist nichts wirklich Substanzielles vorhanden.
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14526 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Dr. Bärbel Kofler
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Das Thema Gesundheit habe ich schon angesprochen.Ich finde es sehr traurig, dass mit fadenscheinigen Argu-menten Mittel, die nötig sind, um den Ärmsten der Ar-men Zugang zu Medikamenten in der Aids-Bekämp-fung, zu Moskitonetzen zur Malariavorbeugung und zuTuberkulosemedikamenten zu verschaffen, verweigertwerden. Wenn sich Deutschland aus den internationalenProgrammen zurückzieht, dann wird dadurch sicherlichnicht die Stellung Deutschlands im Kontext internationa-ler Geberkonferenzen und Vereinbarungen gestärkt.Deutschland verliert so die Möglichkeit, Einfluss auf dieGestaltung von Programmen zu nehmen. Wenn es aberso läuft, wie Sie angedeutet haben, dann möchte manfast sagen: Das ist gut so.Was den Globalen Fonds angeht, fordere ich Sie nocheinmal auf: Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht,und setzen Sie die Mittel für die Ärmsten der Armen ein!
Wenn man alle Ihre Strategiepapiere mit dem Haus-halt vergleicht, dann stellt man fest: Interessanterweisekommen Frauen nicht mehr vor. Aber insbesondere imBildungsbereich wurde gerade von der Zivilgesellschaft,mit der Sie angeblich in einem guten Dialog stehen, ganzmassiv angemahnt, zu berücksichtigen, dass Frauen eineentscheidende Rolle spielen, was Entwicklung angeht.Nichts davon findet sich in Ihren Strategiepapieren wie-der. Es gibt nur einen kurzen Satz im Zusammenhangmit der Mikrofinanzierung, der sich auf die Rolle derFrauen in der Welt bezieht. Ich finde, das ist deutlich zuwenig.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ja. – Wenn ich Ihr Papier – es beschreibt Ihre politi-
sche Ausrichtung und den Weg, den Sie einschlagen
wollen – mit den Haushaltsmitteln vergleiche und be-
denke, wie Sie versuchen, alles auf seine Wirksamkeit
zu überprüfen, dann muss ich sagen: Sie haben mit die-
sem Haushalt die Möglichkeiten, die Ihnen das Parla-
ment geboten hat, nicht genutzt. Ich finde es wahnsinnig
schade, dass Sie die Initiative von 364 Parlamentariern
nicht aufgegriffen haben und versuchen, sich mit faden-
scheinigen Argumenten aus der Verantwortung zu zie-
hen.
Sie müssen für die zweite und dritte Beratung deut-
lich mehr vorlegen. Vor allem erwarte ich, dass Sie uns
endlich erklären, wie Sie bis zum Haushalt 2015 – auch
wenn Sie gar nicht mehr so lange regieren werden – die
ODA-Quote erfüllen wollen.
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin in unserer Debatte
t für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin
ibylle Pfeiffer. Bitte schön, Frau Kollegin Sibylle
feiffer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichache Entwicklungspolitik für meine Enkeltochter. Siet acht Jahre alt und wird mit den Folgen aller politi-chen Entscheidungen, die wir treffen, leben müssen.eien es die Beschlüsse zum Schuldenabbau, zum Kli-aschutz oder zur Verbesserung des Standorts Deutsch-nds, wir alle müssen unsere Hausaufgaben jetzt ma-hen, damit meine Enkeltochter und die kommendenenerationen in Frieden, Sicherheit, Freiheit und Wohl-tand leben können. Dafür brauchen wir zum Beispieltabile demokratische Partner in der Welt, die mit unsandel treiben und friedlich mit uns zusammenleben.ichts anderes heißt es, die Herausforderungen der Glo-alisierung anzunehmen.Globalisierung und Entwicklungspolitik sind zweieiten einer Medaille. Unsere militärischen Einsätze lie-en immer öfter in Entwicklungsländern. Da brennt es.a riskieren unsere Soldaten ihr Leben. Das kostet unsereld, weil dort die Dinge nicht in Ordnung sind. Ent-icklungszusammenarbeit entscheidet darüber, wieiele Afrikaner, Araber oder Sonstige
ach Europa einwandern wollen, wenn sie in ihrer Hei-at kein Auskommen haben und ihre Familien nicht er-ähren können.
Wenn das das Einzige ist, worüber wir hier diskutie-n! – Öl und andere Rohstoffe wie zum Beispiel Seltenerden kommen fast alle aus Entwicklungsländern undchwellenländern. Deutschland muss all dies importie-n, und deshalb brauchen wir eine solide Entwicklung diesen Ländern und vor allen Dingen ein gutes Ver-ältnis zu ihnen. Dies ist Politik in beiderseitigem Inte-sse.Wir brauchen in den Partnerländern leistungsfähigeegierungen, die in der Lage sind, die Probleme desandes – ihres Landes – zu lösen. Im Ergebnis sind esur Schlaglichter, die zeigen, dass Entwicklungspolitikicht nur eine Idee von Spezialisten und Gutmenschent, sondern als Instrument politischer Gestaltungsfähig-eit Deutschlands in unserem ureigenen Interesse liegt.as beherzigt die jetzige Bundesregierung, und sie setztas in dem vorgelegten Haushalt um. Trotz der Schul-enkrise, der Nachwirkungen der Wirtschafts- undinanzkrise und der Probleme im Euro-Raum stellen wir)
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14527
Sibylle Pfeiffer
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einen Rekordhaushalt – Herr Minister Niebel hat esschon erwähnt – für das BMZ auf. Ich finde, darauf kön-nen wir stolz sein, und das dürfen wir auch laut sagen.
An dieser Stelle Ihnen, Herr Minister Niebel, vielenDank für den Einsatz, den Sie in diesem Zusammenhanggeleistet haben.
Der Haushaltstitel des BMZ ist der siebtgrößte Titelinsgesamt und der zweitgrößte Investitionshaushalt.Dass das keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt ein Blickzurück. 1998 hatten wir einen BMZ-Haushalt von 4 Mil-liarden Euro, 2010 haben wir die 6-Milliarden-Euro-Schwelle zum ersten Mal überschritten. Im Jahr 2012soll der Etat auf 6,3 Milliarden Euro wachsen. Ich finde,das ist eine tolle Leistung, vor allem im Lichte derschwierigen Zeiten, in denen wir heute leben.
Doch allein über die Höhe des Haushalts zu reden,greift einfach zu kurz. Wir müssen die Entwicklungs-politik natürlich sorgfältig finanzieren. Aber ich wieder-hole es immer wieder in jeder Rede: Geld ist nicht alles.
Was wir brauchen, sind Qualität und die Überprüfungder Wirkung. Trotzdem bekennen auch wir uns nach wievor zu dem Ziel von 0,7 Prozent, liebe Kollegin Kofler.Aber das von jetzt auf gleich – da sage ich Ihnen sicher-lich nichts Neues – in der derzeitigen Situation aus Steu-ermitteln zu leisten, ist völlig illusorisch.
– Genau so ist es, Kollege Kekeritz. Die Forderung istalt. – Alle vorherigen Regierungen hätten die Möglich-keit gehabt – da sitzt die ehemalige Ministerin –, konti-nuierlich daran zu arbeiten. Der jetzigen Regierung dieseAufgabe von jetzt auf gleich aufzugeben, halte ich für et-was üppig.
Wir müssen jetzt versuchen, das nachzuholen, was vor-her versäumt worden ist. Dass wir das gemeinsam tunsollten, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Darinsind wir uns, liebe Kollegin Hänsel, sogar einig.Wir müssen versuchen, diesen Rekordhaushalt prak-tisch umzusetzen. Die Umsetzung besteht unter anderemdarin, dass wir dem BMZ zum ersten Mal neue Stellenzur Verfügung stellen, nämlich 180 Stellen im Jahr 2012und weitere im Jahr 2013. Grundsätzlich bin ich nichtdafür, Bürokratie aufzubauen. Ich bin eigentlich einGegner von Bürokratie. Aber hier machen die neuenStellen Sinn. Erstens erhalten die bisherigen Berater re-guläre Stellen. Wer mag da widersprechen? Wir sparenzweitens durch die erfolgreiche Fusion von GTZ,InWEnt und DED Bürokratiekosten ein. Wir müssen zu-dem die Entwicklungspolitik international besser ab-stimmen. Das erfordert den Politikdialog mit den Men-schen vor Ort, mit unseren Partnerregierungen. DashzssmzwawihwsRpUwutiedwüdsHhQswdmEPKwSreDmfüadWtismkK
azu gehört selbstverständlich – ich hoffe, Sie wollenir weiterhin zuhören, Frau Kofler – gute Regierungs-hrung. Sie sollte das oberste Ziel sein. Für unsere Ko-lition ist sie in den Diskussionen mit unseren Partnerner wichtigste Punkt.
ir wollen nämlich, dass Entwicklungspolitik nachhal-g ist. Das bedeutet vor allen Dingen Klimaschutz, Res-ourcenschutz und Biodiversität.Bei all dem dürfen wir nicht vergessen, dass wir im-er wieder an die nachfolgenden Generationen zu den-en haben; ich habe erneut meine Enkelin im Sinn. Inürze werden wir den siebenmilliardsten Erdenbürger
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14528 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Sibylle Pfeiffer
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begrüßen können. 2050 werden auf der Erde unter Um-ständen – wenn die Geburtenrate nicht drastisch gesenktwerden kann – zwischen 12,5 und 13,5 Milliarden Men-schen leben. Das bedeutet, wir haben Probleme mit derErnährung, mit dem Klima, mit der Entwicklung derLänder an sich. Liebe Kollegin Kofler, in diesem Zu-sammenhang kommt es hauptsächlich auf die Frauen an.Ohne die Frauen ist eine Senkung der Geburtenrate nichtzu erreichen. Sexuelle und reproduktive Gesundheit isteines der wichtigsten Themen der Zukunft.
Wenn es uns nicht gelingt, die Geburtenrate zu senken,haben wir, die internationale Gemeinschaft, versagt: DieFolgeprobleme sind nicht lösbar. Dabei geht es auch umdie Bildung, vor allen Dingen um die von Mädchen;denn die Mädchen müssen lernen, dass sie Nein sagendürfen, dass man nicht der Tradition folgen muss, sie-ben, acht oder mehr Kinder zu haben, und dass sie miteiner guten Bildung zum Familieneinkommen beitragenkönnen. All das müssen und werden wir in Zukunft an-packen.Der vorgelegte Haushaltsentwurf ist vor diesem Hin-tergrund sehr gut gelungen. Man kann sicherlich an dereinen oder anderen Stelle noch nachbessern. Das machenwir auch ganz gern: Wir justieren an denjenigen Punktennach, die ich gerade aufgezählt habe. Wir wollen weiter-hin dafür sorgen, dass der BMZ-Haushalt solide finan-ziert ist. Wir dürfen trotz Schuldenbremse darauf hoffen– wir werden daran arbeiten –, dass bei der mittelfristi-gen Finanzplanung noch ordentlich nachgebessert wird.Da bin ich sehr auf Ihrer Seite.
Nachbessern, das können wir; das haben wir bewiesen.Allen Unkenrufen zum Trotz ist es uns im Haushaltsent-wurf 2012 gelungen. Ich glaube, wir werden gemeinsamEnergie darauf verwenden, in diesem Sinne weiterzuma-chen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin für
die Fraktion Die Linke ist unsere Kollegin Heike Hänsel.
Bitte schön, Frau Kollegin Hänsel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Wer die Debatte heute im Bundestag ver-folgt hat, musste feststellen, dass die große Hungerkata-strophe in Ostafrika weitgehend keine Rolle gespielt hat.
Sie ist nicht präsent in den Diskussionen. Auch im Haus-halt, Herr Niebel, schlägt sich die Erfahrung mit derHheSaficWJHseZgheIcCliimcla–wPgAdicwAgphrugSßs
ir fordern einen Sondertitel für Ostafrika, weil es überahre hinweg einer Aufbauarbeit und nicht kurzfristigerilfen bedarf.Zum Gesamtetat des Haushalts. In der Auseinander-etzung um die Erreichung der ODA-Quote möchte ichigentlich nicht zu einer Klein-Klein-Diskussion überahlen kommen, weil wir, 364 Abgeordnete – die Kolle-in Kofler hat es erwähnt –, über alle Fraktionsgrenzeninweg gemeinsam eine Initiative entwickelt haben, dieine Aufstockung des Entwicklungsetats zum Ziel hat.h sehe das in allererster Linie als eine ganz großehance und als eine einmalige Initiative an. Ich appel-ere an Sie, diese Chance zu nutzen. Wir möchten Ihnen Kabinett den Rücken stärken. Sie sollten die Verspre-hen, die Sie machen, ernst nehmen. Mein Appell an Sieutet: Lassen Sie diese große Chance nicht ungenutzt!
Ich möchte jetzt zur politischen Auseinandersetzung das ist für mich das Entscheidende – über Ihren Ent-icklungsansatz kommen. Sie haben vor kurzem zweiapiere entwickelt. Zu beiden möchte ich jetzt etwas sa-en.
ls Erstes zum Menschenrechtspapier. Sie haben vorhinen Menschenrechts-TÜV angesprochen. Dazu möchteh einmal flapsig sagen, Herr Niebel: Ihr TÜV als Ent-icklungsminister ist schon lange abgelaufen.
ber im Ernst, Sie haben in dem Papier folgenden Satzeschrieben – ich zitiere –: „Menschenrechte sind Leit-rinzip deutscher Entwicklungspolitik.“ Fast zeitgleichatte uns die Meldung erreicht, dass die Bundesregie-ng die Lieferung von 200 Panzern nach Saudi-Arabienenehmigt hat. Sie haben zu dieser Panzerlieferung nachaudi-Arabien, ein Land, das auf Demonstranten schie-en lässt und in Bahrain einmarschiert ist, der Zeit ge-agt – ich zitiere –:Die Stabilisierung einer Region trägt durchaus dazubei, die Menschenrechte zu wahren – vielleichtnicht in dem Land, in dem man tätig ist, aber in denNachbarländern. Auch in Zeiten des Kalten Kriegeshat die militärische Abschreckung dazu beigetra-gen, dass der Krieg nicht stattfand.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14529
Heike Hänsel
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Mit solchen Aussagen, Herr Niebel – es wäre ganzgut, wenn Sie zuhörten –, können Sie Ihr ganzes Men-schenrechtspapier in den Mülleimer werfen.
Waffenexporte sind immer tödlich, weil die Waffen frü-her oder später eingesetzt werden. Die Zeit der soge-nannten Abschreckung im Kalten Krieg hat indirekt sehrvielen Menschen das Leben gekostet, weil eine wahnsin-nige Rüstungsspirale in Gang gesetzt und Geld für Waf-fen und nicht für die Armutsbekämpfung ausgegebenwurde.
Sie sehen, dass die Kollegin Schuster von der Frak-
tion der FDP eine Zwischenfrage stellen will.
Aber die möchte ich jetzt nicht beantworten.
Die möchten Sie nicht beantworten. – Frau Kollegin
Schuster, Sie haben es gehört.
Die Kollegin kann am Ende meiner Rede eine Kurz-intervention machen. Ich finde, die FDP sollte jetzt mei-nen Ausführungen zu Waffenexporten folgen.Wir setzen uns für einen Stopp aller Rüstungsexporteein. In unseren Augen sind diejenigen, die Waffen lie-fern, und diejenigen, die das genehmigen, auch verant-wortlich für Leid und Tod und müssten gegebenenfallsstrafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich die neue Ko-operationsvereinbarung der GIZ mit der Bundeswehrkritisieren, Herr Niebel, weil Sie dadurch die zivil-mili-tärische Zusammenarbeit weiter ausbauen. Wir erlebenin Afghanistan, wie lebensgefährlich das ist. Wir sagenganz klar: Heben Sie diese Zusammenarbeit mit derBundeswehr auf! Für uns muss die Entwicklungszusam-menarbeit zivil ausgerichtet sein. Sie darf nicht zur Absi-cherung von Militärinterventionen verkommen.
Jetzt möchte ich noch etwas zu Ihrem neuen entwick-lungspolitischen Konzept sagen. Man liest darin viel vondeutschen Wirtschaftsinteressen, aber wenig von Ar-mutsbekämpfung. Sie setzen darin auf noch mehr Markt,auf noch mehr Freihandel, auf noch mehr Liberalisie-rung für deutsche Unternehmen und auf eine unterneh-merische Entwicklungspolitik. Aber genau in diesemMoment, wo wir die größte ökonomische Krise weltweiterleben, wo die Marktwirtschaft abgewirtschaftet hat,Herr Niebel,wfiluDßwSvmdvDdfebEenIhapZzeBFti
o sich der Kapitalismus in seiner schwersten Krise be-ndet, wollen Sie mit diesen Rezepten zu mehr Entwick-ng im Süden beitragen?
as ist ja absolut ein Witz. Sie lernen nichts aus den gro-en Krisen und erkennen gar nicht, dass wir andere Ent-icklungsmodelle für die Länder des Südens brauchen.
ie wollen mit noch mehr Spekulation, noch mehr Land-erkäufen an Unternehmen, noch mehr Überschwem-ung mit Produkten aus der EU weitermachen. Doch allas sind ganz gravierende Ursachen für die Armut inielen Ländern des Südens.
eshalb ist Ihr Weiter-so ein Beitrag zur Verschärfunger Krise und nicht ein Beitrag zur Armutsbekämpfung.
Den ganzen Tag über in den Debatten mussten wirststellen, dass Sie nichts aus den Krisen lernen. Sie ha-en überhaupt keine Ahnung. Sie werden durch diesesntwicklungsmodell Europa in den Abgrund führen. Wirrleben ja jetzt bei dieser Bundesregierung, dass sie garichts aus der Krise gelernt hat.
Sie, Herr Niebel, sind marktgläubig. Deswegen hatre Politik keine Zukunft. Schauen Sie sich doch einmaln, wie viele Menschen in Europa erkennen, dass es soolitisch nicht weitergehen kann!
u Hunderttausenden versammeln sie sich auf den Plät-en in Madrid, in Athen und anderswo. Sie sagen, dasss so nicht mehr weitergehen kann, und fordern, dieankenmacht zu brechen, sich aus der Macht derinanzmärkte zu befreien und endlich eine andere Poli-k zu entwickeln.
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14530 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Heike Hänsel
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Genau deswegen ist Ihr Entwicklungskonzept das fal-sche Rezept für die Länder des Südens. Wir müssen siemit solidarischen, gerechten Handelsstrukturen unter-stützen, damit sie zu einer selbstbestimmten Entwick-lung kommen können.
Davon sind wir im Moment sehr weit weg.
Das wäre ein schöner Schlusssatz gewesen, weil Ihre
Redezeit schon lange abgelaufen ist.
Herzlichen Dank. – Ich sage Ihnen: Die Linke wird
diese Politik der Bundesregierung und dieses Weiter-so
in den Abgrund nicht hinnehmen. Wir haben andere Ent-
wicklungsvorstellungen als Sie. Dafür werden wir auch
kämpfen, damit wir es nicht mehr erleben, dass täglich
1 Milliarde Menschen auf dieser Welt hungern.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Bevor ich den nächsten
Redner aufrufe, eine Kurzintervention von Frau Kolle-
gin Marina Schuster aus der Fraktion der FDP.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Nachdem Sie, Frau
Hänsel, meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben,
wähle ich dieses parlamentarische Instrument. Sie haben
uns etwas Ungeheuerliches unterstellt, nämlich dass wir
Menschenrechte nicht ernst nähmen und unser Men-
schenrechts-TÜV abgelaufen sei. Ihre Parteivorsitzen-
den schreiben einen Brief an Fidel Castro, in dem das
Wort „Menschenrechte“ kein einziges Mal erwähnt wird.
Das ist eine Verhöhnung der Opfer, die diese Diktatur
aushalten mussten.
Gleichzeitig werfen Sie uns hier vor, wir würden Men-
schenrechte nicht ernst nehmen. Dabei liegt jetzt zum
ersten Mal ein verbindliches Menschenrechtskonzept
vor.
Es waren unser Minister und unsere Staatssekretäre,
die die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit mit
Uganda eingefroren haben, als dort die Einführung der
Todesstrafe für Homosexualität drohte. Es waren unser
Minister und unsere Staatssekretäre, die in gleicher
Weise gegenüber Malawi reagiert haben, als dort die
Presse- und Meinungsfreiheit zurückgefahren worden
ist. Wir haben konditioniert. Wir haben die Menschen-
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Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Danke schön. – Liebe Kollegin Schuster, ich nehme
berhaupt nichts zurück.
enn Herr Niebel sagt, die Panzerlieferungen an Saudi-
rabien seien mit seinem Menschenrechtspapier verein-
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ann – das sage ich noch einmal – ist sein Menschen-
chts-TÜV abgelaufen. Ich halte es für einen Skandal,
ass er als Entwicklungsminister Waffenexporte in die-
es Land rechtfertigt und dass Sie es wagen,
ine Geburtstagskarte an Fidel Castro und die Lieferung
on 200 Panzern zu vergleichen und hier auf einer Ebene
u nennen. Das ist schon mehr als politische Dummheit.
as ist große Dreistigkeit. Ich kann Ihnen nur sagen:
alten Sie sich mit Ihrer dummen und wirklich dreisten
ritik zurück! Denn Sie betreiben weltweit Waffenliefe-
ngen in höchstem Maße und unterstützen Angriffs-
riege. Wenn Sie sich vor diesem Hintergrund über eine
eburtstagskarte aufregen, fehlt mir wirklich jede Rela-
on. Sie könnten sich von vielen Politikern in den Län-
ern des Südens eine Scheibe abschneiden.
Das Wort hat der Kollege Thilo Hoppe für die Frak-
on Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!evor ich zum Haushalt rede, ein Satz zu dem Men-chenrechtsdiskurs in diesem Hause. Wir brauchen, ge-de durch die Entwicklungspolitik unterstützt, eineenschenrechtspolitik, die Menschenrechtsverletzun-en kritisiert, egal wo sie geschehen und von wem sie zuerantworten sind, ob in Kuba, in Bahrain, in Saudi-Ara-ien oder begangen durch Monsanto.
Ich möchte auf das Bild zurückkommen, mit dem Sieegonnen haben, Frau Kollegin Hänsel. Heute war imahmen der Generaldebatte und auch in den Medien viel
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14531
Thilo Hoppe
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von der Euro-Krise die Rede. Europa ist stark mit sichselbst beschäftigt. Es wird von Rettungspaketen undRettungsschirmen geredet. Dabei wird leicht übersehen,dass ein großes Rettungspaket ganz anderer Art noch im-mer nicht vollständig geschnürt worden ist, und zwar einRettungspaket für 12,4 Millionen hungernde Menschen,die von der dramatischen Katastrophe am Horn vonAfrika betroffen sind. Die Bilder sind aus den Medienfast verschwunden. So entsteht der Eindruck: Alles nichtmehr so schlimm; man hat die Lage wohl irgendwie imGriff.Aber weit gefehlt: Noch immer strömen Tag für Tag1 200 Neuankömmlinge ins Flüchtlingslager Dadaab.Das Maßnahmenbündel der Vereinten Nationen ist nachAussage von UN-OCHA noch immer unterfinanziert.Noch immer fehlen 700 Millionen Euro für die Flücht-linge.Einige Flüchtlinge sind nicht erreichbar. Es ist einSkandal, dass menschenverachtende Schabab-Milizen ineinigen Regionen Somalias die notwendige humanitäreHilfe verhindern.
Das müsste auch den Weltsicherheitsrat beschäftigen.Aber viele der Flüchtlinge sind erreichbar, und selbstdiese Flüchtlinge werden immer noch nicht ausreichendmit Nahrungsmitteln, Zelten, Medikamenten und De-cken versorgt, weil immer noch schlicht das Geld fehlt.Das Geld fehlt – das ist jetzt die Verbindung zur Euro-Krise –, weil viele Länder, die bei Hilfsaufrufen der Ver-einten Nationen sonst immer aktiv geworden sind undihren Anteil gezahlt haben, diesmal sehr mit sich selbstbeschäftigt sind, sich selber in einer Krise sehen und alsGeber zum ersten Mal fast vollständig ausfallen, zumBeispiel Italien. Selbst die Bundesregierung hat ziemlichlange gebraucht, bis sie endlich bereit war, den Beitragzu leisten, der ihrer Größe, ihrer Wirtschaftskraft und derHerausforderung entspricht;
aber besser spät als gar nicht. Wir erkennen an, dassDeutschland jetzt, wenn auch verspätet, einen angemes-senen Anteil zahlt.
Der Regierungsentwurf zum Haushalt 2012 ist, zu-mindest bezogen auf den Entwicklungsbereich, eineherbe Enttäuschung. Gegenüber dem letzten Haushaltgibt es einen kleinen Aufwuchs in Höhe von 113,6 Mil-lionen Euro. Im Vergleich zum Eckwertepapier vomMärz dieses Jahres ist null Komma nichts dazugekom-men. Wenn es dabei bleiben sollte, dann können wir dieErreichung des 0,7-Prozent-Ziels bis 2015 vergessen.
Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Noch immer hoffeich, dass der Aufruf – er wurde schon erwähnt –, den in-zwischen 364 Kolleginnen und Kollegen, fast 60 ProzentdvuwzRsztrbudgbd2li0dKmssgreBnFMKnhWemzd
Nur so können wir die letzte Ausfahrt von der Auto-ahn nutzen. Der DAC, der Entwicklungshilfeausschusser OECD-Staaten, hat festgestellt, dass der Haushalt012 der Schicksalshaushalt ist. Wenn es jetzt nicht ge-ngt, in die richtige Richtung zu fahren, dann wird das,7-Prozent-Ziel bis 2015 nicht mehr erreicht.Es wäre doch sehr schade, wenn wir nun meinen wür-en, dass es angesichts von Schuldenbremse, Euro-rise, Rettungspaketen und Rettungsschirmen nichtehr opportun und nicht mehr vermittelbar sei, die Zu-agen für die Ärmsten der Armen einzuhalten. Ich wün-che mir von uns allen viel Zivilcourage. Lassen Sie unsemeinsam ein Zeichen setzen, dass wir Solidarität, Ge-chtigkeit und – jetzt verwende ich einen altmodischenegriff – Barmherzigkeit weder von der Konjunkturoch von der Kassenlage abhängig machen!Danke.
Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Koppelin für die
DP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!an hat mir eben mitgeteilt, dass aus dem Wahlkreis derollegin Hänsel Gäste anwesend seien; die begrüßen wiratürlich herzlich. Sie werden hoffentlich mitbekommenaben, wie schwer wir es mit dieser Kollegin aus Ihremahlkreis haben. Vielleicht haben Sie das nächste Maline andere Kandidatin parat.
Die Kollegin Hänsel hat hier behauptet, der Bundes-inister für wirtschaftliche Zusammenarbeit habe sichu Panzerlieferungen geäußert. Ich will nicht weiterazu Stellung nehmen. Aber ich fordere Sie, Frau Kolle-
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Dr. h. c. Jürgen Koppelin
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gin Hänsel, auf, mir die Dokumente zu geben, die zei-gen, dass er diese Äußerung gemacht hat. Der Bundes-minister sagt, er habe sich nie dazu geäußert.
– Sie liefern das. Dann ist es ja kein Problem.Auch der nächste Punkt ist mir wichtig. In der Haus-haltsdebatte kam immer wieder der Hinweis, die Bun-desregierung oder der Bund würde die Lieferung vonPanzern nach Saudi-Arabien genehmigen. Ich habe eineÄußerung dieser Art von der Bundesregierung bishernicht gehört. Eine solche kann sie auch gar nicht ma-chen; sie wird weder Ja noch Nein sagen. Diejenigen, diebehaupten, wir würden Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien genehmigen, bitte ich, uns die entsprechendenDokumente vorzulegen.
– Warten Sie doch einmal ab, Kollege Erler! Auch Siehaben sich mehrfach dazu geäußert. Zeigen Sie uns dieDokumente oder sagen Sie uns, worin Sie eine Bestäti-gung der Bundesregierung oder des Bundessicherheits-rates sehen. In dem Fall wären Sie klüger als ich, und ichwürde auf Sie zurückkommen. Ich sage Ihnen: Es wirdwahrscheinlich keine Lieferung geben. Nehmen Sie daseinfach zur Kenntnis. Es gibt keine Genehmigung. Dasist meine Kenntnis. Aber die Bundesregierung wird auchdazu nicht Stellung nehmen.Sie sagen, es werde genehmigt. Ich sage: Es wirdnicht genehmigt. Die Bundesregierung – das wissen Siedoch; Sie waren selber einmal Mitglied einer Bundes-regierung – kann dazu nicht Stellung nehmen. Sie habenes viel einfacher. Sie können etwas in die Luft behaup-ten, aber die Regierung kann nicht das Gegenteil vertre-ten, weil sie weder Ja noch Nein sagen darf. Ich sage Ih-nen: Es wird nicht genehmigt. Nehmen Sie das einfachzur Kenntnis!
Nun komme ich zum Etat. Da darf man schon einmalerfreuliche Dinge herausstellen. Nach sehr vielen Jahren– Dirk Niebel hat schon darauf hingewiesen, wann dasMinisterium gegründet wurde – kann ich feststellen,dass es endlich eine ausgesprochen gute Zusammen-arbeit zwischen dem Bundesminister des Auswärtigenund dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammen-arbeit gibt. Darauf haben wir lange gewartet. Das warbei Rot-Grün mit Joschka Fischer nicht möglich. Selbstals die SPD beide Ministerien hatte, war das anschei-nend nicht der Fall. Endlich gibt es eine gute Zusam-menarbeit.
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etzt liegt sie bei 0,38 Prozent. Das ist zwar nicht heraus-gend. Es ist aber allemal besser als das, was wir über-ommen haben – darüber darf man sich doch wohl ein-al freuen –, und das bei der Haushaltssituation, die wiratten.Ich kann nur sagen: In den elf Jahren, in denen die So-ialdemokraten in diesem Ministerium gesessen haben,ätten sie all das machen können, was die verehrte Kol-gin hier angekündigt hat, auch in Bezug auf die,7 Prozent. All diese Wohltaten hätten Sie von der SPD den elf Jahren tun können. Nun kommen Sie aber bitteicht und sagen, Sie wollten wieder in die Regierungnd gerade das Ministerium übernehmen. Diese Chanceaben Sie vertan.
Der Haushaltsentwurf des BMZ zeigt doch eindeutig,ass es endlich einmal eine intensive Einbindung undtärkung aller an der Entwicklungshilfe Beteiligten gibt,eien es die Stiftungen, die Kirchen oder die Nichtregie-ngsorganisationen. Ich sage auch: Ich bin stolz darauf,ass Minister Niebel es geschafft hat, die drei Organisa-onen – GTZ, InWEnt und DED – mit immerhin8 000 Mitarbeitern zusammenzuführen, wenn es auchein leichter Weg war. Das ist eine sehr erfreuliche Er-lgsbilanz, die der Minister vorgelegt hat.Bei den entscheidenden Sitzungen – auch im Auf-ichtsrat – haben die Arbeitnehmer zugestimmt, hat dieewerkschaft Verdi zugestimmt, haben die Anteilseig-er zugestimmt – nur nicht die Vertreter der SPD und derrünen. Das bedaure ich sehr. Selbst die Arbeitnehmernd die Gewerkschaften haben zugestimmt – nur Sie ha-en nicht zugestimmt.
s wäre aber gut gewesen, auch für diese Gesellschaft.Wir wollen mit diesem Haushalt eine Stärkung im Be-ich Bildung, im Bereich der ländlichen Entwicklung
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Dr. h. c. Jürgen Koppelin
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– ein ganz starker Beitrag; wir werden darauf achten,dass wir hier noch zusätzliche Mittel bekommen –, imGesundheitswesen und natürlich bei der Beachtung derMenschenrechte. Zum Gesundheitswesen sage ich noch– und damit komme ich zum Schluss, weil meine Rede-zeit leider abgelaufen ist –: Herr Minister, ich finde esvollkommen richtig, dass Sie die Mittel beim GlobalFund gestoppt haben. Es kann nicht sein, dass wir Kor-ruption bezahlen.
Zunächst müssen die Vorfälle aufgedeckt werden, undwenn wir dann Klarheit haben, können die Mittel freige-geben werden. Wir sagen nicht Nein zum Global Fund,wir sagen Nein zu Korruption; denn mit Korruption hel-fen wir den Menschen nicht.Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
Der Kollege Dr. Sascha Raabe hat für die SPD-Frak-
tion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Herr Kollege Koppelin, man erlebt dochimmer wieder Überraschungen im Parlament. Sie ver-künden hier, dass der Bundessicherheitsrat angeblichnicht die Lieferung von Panzern nach Saudi-Arabien ge-nehmigen wird.Aber das macht doch eigentlich die Haltung des Bun-desentwicklungsministers noch schlimmer. Wenn selbstdiejenigen, die für das Militär im Bundessicherheitsratsitzen, sagen: „Nein, diese Panzerlieferungen nicht“ undausgerechnet der Bundesentwicklungsminister – er sitztnur darum im Bundessicherheitsrat, weil seine Vorgän-gerin, Frau Wieczorek-Zeul, durchgesetzt hat, dass end-lich auch das Entwicklungsministerium vertreten ist,damit vom Bundessicherheitsrat weniger Waffenliefe-rungen in Entwicklungsländer genehmigt werden – sichfür Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien ausspricht,dann ist das ein wahrer Hohn.
– Es ist keine Spekulation, Frau Kollegin, dass MinisterNiebel sich in der Zeit für diese Panzerlieferungen aus-gesprochen hat. Wenn der Minister schon Zeitungen zi-tiert, dann muss er auch die Interviews gegen sich geltenlassen, die er gegeben hat, auch wenn sie ihm heute viel-leicht peinlich sein sollten.Ich glaube aber, diesem Minister ist eigentlich nichtspeinlich. Denn wenn ihm irgend etwas peinlich wäre,dann würde er sich nicht hier hinstellen und von einemRekordhaushalt reden und Pressemitteilungen seinesHauses herausgeben, nach denen in diesem Haushalt einAufwuchs von 750 Millionen Euro steckt. Das ist dochTnssetubdsawdvti2mDewßtindWBiskusOEskMsTcIhnhnKfeH
Ich frage mich auch, wie Herr Minister Niebel jemalsuf einen Aufwuchs kommen möchte, wenn er mittler-eile einer der wenigen Minister in diesem Kabinett ist,ie die Finanztransaktionsteuer immer noch ablehnen.
Das muss man einmal überlegen: Wir brauchen inno-ative Finanzierungsinstrumente. Die Finanztransak-onsteuer ist ein Instrument, das schon vor zehn Jahren,001, Ihre Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul im-er wieder gefordert hat.
ieser Vorschlag kam von Attac und von den NGOs alsin Instrument für Entwicklung. Jetzt sind wir endlich soeit, dass dieser Vorschlag auch von anderen gutgehei-en wird. Anstatt stolz und froh zu sein, dass die Initia-ve der Entwicklungspolitiker, solch eine Steuer zu ge-erieren, endlich umgesetzt wird, sagt ausgerechnetieser Entwicklungsminister erst neulich im Ausschuss:issen Sie, Herr Raabe, mich interessiert nicht, was dieundeskanzlerin sagt, ich bin gegen diese Steuer. – Dast einfach nur noch peinlich, Herr Minister.
Es wurde vorhin Ostafrika angesprochen. Es ist be-annt, dass Sie nicht zum Pathos neigen. Wir würdenns sicherlich das eine oder andere Mal mehr Leiden-chaft wünschen, wenn solche Katastrophen wie instafrika auftreten. Wir würden uns wünschen, dass derntwicklungsminister im Fernsehen, in den Medienichtbar ist und die Bevölkerung auf eine solche Hunger-atastrophe hinweist. Auch in Ihrer heutigen Rede, Herrinister, haben Sie nicht besonders viel zu dieser Kata-trophe gesagt. Es geht mir gar nicht darum, dass Sieränen vergießen; denn die Menschen in Ostafrika brau-hen in der Tat nicht Ihre Tränen, sondern Ihr Geld undre Hilfe. Das kommt aber immer nur zögerlich, immerur auf Druck hin. Das ist zu wenig. Sie verweigern sichier. Angesichts einer solchen Hungerskatastrophe ist esicht in Ordnung, dass Sie im Prinzip immer nur ein paarleckerbeträge bereitstellen. Da müssen wir richtig hel-n, da müssen wir viel helfen. Auch das findet sich imaushalt leider nicht wieder.
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[CDU/CSU]: Es ist eine absolute Frechheit, esso darzustellen!)Es ist schon einiges zu Ihrem entwicklungspolitischenKonzept gesagt worden. Sie sind derjenige, der immererklärt, er mache alles neu. In der Tat taucht auf den27 Seiten 33-mal das Wort „Innovation“ auf. Trotzdemsteht nichts Neues drin, Herr Minister. Ständig wird dasCredo „Wirtschaft! Wirtschaft! Wirtschaft!“ wiederholt.Wir bestreiten nicht die Bedeutung der Wirtschaft; eswaren die Sozialdemokraten – auch in der Regierung –,die mit Public-private-Partnership immer auch auf dieBedeutung der Privatwirtschaft und der Wirtschaftsför-derung hingewiesen haben.
Man darf das aber nicht im Gegensatz zur traditionellenEntwicklungszusammenarbeit sehen, die viele Men-schen vor Ort leisten.Herr Minister, da stört mich schon der abfällige Ton,in dem Sie über Entwicklungshelfer reden. Sie habensich im Spiegel-Interview über den Entwicklungshelferlustig gemacht, „der mit seinem selbstgestricktenAlpaka-Pullover seit den sechziger Jahren durch dieWelt geht“.
Herr Minister, ich sage Ihnen einmal: Mir sind enga-gierte Entwicklungshelfer im Alpaka-Pullover immernoch viel lieber als Entwicklungsminister, die mit derMilitärmütze durch die Gegend reisen,
oder FDP-Businessdelegationen und Yuppies, die glau-ben, sie könnten Afrika im Nadelstreifen entwickeln,oder aber GIZ-Vertreter, die über das FDP-Parteibuch inden Vorstand gekommen sind und meinen, sie müsstenin der ersten Klasse Champagner trinkend im Nadelstrei-fen nach Afrika fliegen.
Da lobe ich mir die Entwicklungshelfer im Alpaka-Pull-over. Ich finde, es gibt keinen Grund, so abfällig überdiese Menschen zu reden.Ebenso habe ich es als sehr stillos empfunden, dassSie das Ministerium, das Sie übernommen haben, gegen-über dem Spiegel als „Almosenministerium der rotenHeidi“ bezeichnet haben. Wissen Sie, es ist eine Fragedes Stils, wie man über seine Vorgängerin redet. Ichhalte es für spätpubertär, peinlich, niveau- und stillos, soüber die Vorgängerin zu reden.
Sie beleidigen mit diesen markigen Sprüchen all die Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium, die seitJahren eine verdammt gute Arbeit für die Menschen ma-chen.SmmtictejeFwPdcInIhMgvmHFdv2hfüWNKN
ie müssen sich nicht von Ihnen als Mitarbeiter des „Al-osenministeriums“ beschimpfen lassen, was auch im-er sie für einen Pullover tragen.
Es ist unglaublich, dass Sie dann auch noch die Dreis-gkeit haben, zu sagen, sie hätten aus diesem vermeintli-hen „Almosenministerium“ ein Globalisierungsminis-rium gemacht. Wissen Sie, Herr Minister, wer wie Siedes internationale Instrument ablehnt, wer beim Globalund die Mittel nicht freigibt,
er multilaterale Arbeit ablehnt, wer nur auf binationalerojekte mit deutschem Fähnchen setzt, ausgerechneter sollte nicht von „Globalisierungsministerium“ spre-hen. Das glaubt Ihnen doch kein Mensch.
Kollege Raabe, gestatten Sie eine – –
Ich komme zum Schluss. – Das Einzige, was an dem
terview stimmt: Als Replik auf die Frage, ob Sie nun
r Ministerium auflösen wollten, sagen Sie, dass es das
inisterium, das Sie abschaffen wollten, nicht mehr
ebe. Das stimmt: Das gute Globalisierungsministerium
on Heidemarie Wieczorek-Zeul gibt es wirklich nicht
ehr.
eute gibt es nur noch ein Ministerium, das sich um die
örderung der deutschen Außenwirtschaft kümmert, das
ie Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit
orantreibt. Wir werden schon dafür sorgen, dass wir
013 das Ministerium zurückbekommen, das wir einmal
atten,
r die Menschen in diesem Land und auf der ganzen
elt.
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete
iebel das Wort.
Vielen Dank. – Ich möchte auf den Zwischenruf derollegin Ex-Staatssekretärin eingehen. Sie kommen ausordrhein-Westfalen. Sie sollten einmal nachlesen, was
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Dirk Niebel
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in Baden-Württemberg gerade passiert ist. Der neue Vor-sitzende der SPD-Fraktion sagte nämlich, die Nach-besetzung mit Sozialdemokraten, die Entlassung allerpolitischen Beamten und die Neubesetzung und Dop-pelbesetzung der Posten im neu gebildeten Wirtschafts-und Finanzministerium seien die Kosten der Demokra-tie, weil man neues Personal brauche, wenn man eine an-dere Politik betreiben wolle. Kehren Sie vor Ihrer eige-nen Haustür!
Frau Präsidentin, ich habe mich zu einer Kurzinter-vention zu der Rede von Herrn Kollegen Raabe gemel-det. Ich habe als Abgeordneter zur Kenntnis genommen,dass er dem Minister Niebel vorgeworfen hat, er hättesich zu Panzerlieferungen geäußert. Ich will, um derRichtigkeit Genüge zu tun, aus dem Zeit-Interview zitie-ren. In diesem Interview fragt Die Zeit:Bekommt Deutschland in Nordafrika ein Problem,weil die Bundesregierung Panzer nach Saudi-Ara-bien liefern will?Antwort von Niebel – Minister in diesem Fall –:Ich kann mich zu dem konkreten Sachverhalt nichtäußern. Generell berücksichtigt die Bundesregie-rung bei derartigen Entscheidungen alle notwendi-gen Aspekte, also auch die politische Situation dergesamten Region. Dort hat Deutschland einen ho-hen Stellenwert.Ich glaube, Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass Siehier schlichtweg einen falschen Sachverhalt geschilderthaben.
Vielen Dank.
Der Kollege Raabe hat das Wort.
Herr Minister, über die Personalpolitik, die Sie am
Anfang angesprochen haben, haben wir hier schon oft
geredet. Ich glaube, da reichen die Aussagen des Perso-
nalrates. Wir wollen hier nicht weiter thematisieren, wie
Sie dort Ihre Parteifreunde mit Posten versorgen und das
auch weiterhin tun.
In dem Interview in der Zeit-Online, das mir vorliegt
– das können die Kameras hier gerne einfangen –, steht
wörtlich – wenn es falsch ist, ist es in Ordnung –:
Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel hält Waf-
fengeschäfte wie die möglichen Panzerlieferungen
an Saudi-Arabien für vereinbar mit dem Menschen-
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Wenn Sie das anders gemeint haben sollten, dann ha-
en Sie es hiermit richtiggestellt. Es hätte uns gefreut,
enn Sie das schon vorher getan hätten. Besser aber eine
päte Einsicht als keine Einsicht. Ansonsten erhoffen wir
ns von Ihnen noch weitere Einsichten, Herr Niebel. Wir
euen uns, wenn Sie die nächsten zwei Jahre dazu nut-
en, zu Einsichten zu kommen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Ruck für die Unions-
aktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnennd Kollegen! Ich nutze gern die Gelegenheit, das Zerr-ild, das die Opposition von unserer Entwicklungspoli-k gemalt hat, zurechtzurücken. Über den Unsinn derinken möchte ich gar nicht erst sprechen. Bärbelofler, deine Einlassungen waren wieder die üblicherbsenzählerei und Wehklage.
as der Kollege Raabe abgeliefert hat, war reine Pole-ik. Inhaltlich hatte er überhaupt nichts zu bieten.
s war so schlimm, wie ich es schon lange nicht mehrrlebt habe. Sascha Raabe, ich habe dir gestern in weiseroraussicht schon gesagt: Du spielst zurzeit wesentlichesser Fußball, als du als Oppositionspolitiker redest. – einer Redezeit von sieben Minuten hast du überhaupteinen sachlichen Beitrag geliefert.
Ich möchte dem Minister Niebel und seinem Teamusdrücklich eine gute Arbeit bescheinigen.
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Dr. Christian Ruck
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Diese Arbeit ist natürlich auch deswegen so gut, weiler engagierte Koalitionsparlamentarier an seiner Seitehat
und weil er sich treu an den Koalitionsvertrag hält, dernicht zuletzt auch von der Union maßgeblich mitgestal-tet wurde, und zwar Wort für Wort. Insofern handelt essich um eine gute Arbeit auf guter Grundlage.Ich möchte darauf hinweisen, dass sich der Haushaltdes Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung durch die zur Verfügung stehen-den 6,33 Milliarden Euro auf Rekordhöhe befindet. Dasist ein Zuwachs um 1,8 Prozent, während der Haushaltinsgesamt nur um 0,1 Prozent wächst. Das entspricht im-merhin einer Erhöhung um 50 Prozent seit dem Amts-antritt von Bundeskanzlerin Merkel. Frau Wieczorek-Zeul, wir beide waren uns schon früher einig, dass Ihremdamaligen Haus nichts Besseres passieren konnte als dieWahl von Bundeskanzlerin Merkel. Danach ging es mitdem Entwicklungshaushalt steil bergauf.
Thilo Hoppe, natürlich sind wir auf der richtigenSpur. Vielleicht vollzieht sich die Entwicklung nicht inder Geschwindigkeit, die wir uns alle erhoffen, aber esgeht von Jahr zu Jahr und zum Teil mit gewaltigenSprüngen aufwärts.Ich möchte ausdrücklich begrüßen, dass das Volumender Verpflichtungsermächtigungen im Bereich der TZund der FZ mit diesem Haushalt sprunghaft angehobenwird.
Ich erinnere daran, dass der Aufwuchs im Bereich derFinanziellen Zusammenarbeit zwischen 1980 und 2010nur 25 Prozent betrug, während der Aufwuchs bei denMitteln für die Weltbank und die regionalen Entwick-lungsbanken 230 Prozent betrug. Wir wollen mit diesemHaushalt – das ist unsere erklärte Politik – wieder etwasmehr bilaterale Zusammenarbeit auf Kosten der interna-tionalen Zusammenarbeit verankern. Dafür gibt es guteGründe. Dazu stehen wir.
Nach dem ganzen Hickhack, nach dem ganzen Hinund Her der letzten Jahre in Bezug auf die notwendigeVorfeldreform möchte ich ausdrücklich sagen: Wir ha-ben in den letzten zwei Jahren bei der Vorfeldreform ei-nen Durchbruch erzielt. Natürlich ist das eine oder an-dere noch zu korrigieren und einiges noch nachzujus-tieren, aber die Hauptarbeit ist erfolgreich verlaufen: Esgibt mehr Effizienz und mehr Kohärenz. Auch dazuherzlichen Glückwunsch.
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ine große Mehrheit in diesem Parlament hat dafür ge-ämpft. Das wurde umgesetzt, und auch dazu stehen wir.
Wir stehen ferner dazu, dass es dieses Mal wieder ei-en erheblichen Mittelzuwachs bei den zivilgesellschaft-chen Trägern gibt, zum Beispiel bei den Kirchen unden politischen Stiftungen. In Zeiten von Umbrüchennd Transformationsprozessen sind diese Partner beson-ers wichtig, weil man mit ihnen flexibel und schnell re-gieren kann.Was Good Governance, also gute Regierungsführung,nd schnelleres Reagieren anbelangt, möchte ich aufwei Dinge eingehen, die uns alle miteinander bewegen.ascha, ich finde, es ist eine Verleumdung, wenn du deminister unterstellst, er würde sich nicht um Afrikaümmern. Ich habe das in den letzten Wochen ganz an-ers empfunden. Ich weiß nicht, ob du im Urlaub oderonst wo warst. Man kann dem Ministerium nun wirk-ch nicht vorwerfen, dass es nicht reagiert und sich nichtngagiert hat.
Ich möchte ganz konkret von einer Reise berichten,ie ich nach Rom gemacht habe. Rom ist nicht weit ent-rnt; diese Reise kann auch jeder andere machen. Inom gibt es drei Organisationen, die sich sehr intensivit den Themen Ernährung, Not- und Hungerhilfe undngfristige Strukturpolitik beschäftigen: die FAO, derAD und das Welternährungsprogramm. Ich gebe zu,ass ich immer gefragt habe: Wofür brauchen wir dreirganisationen? Warum können wir das nicht straffen?ie Koordination ist und bleibt – das ist mir nach diesemesuch völlig klar – eine Herausforderung. Darauf müs-en wir achten. Das ist und bleibt ein Dauerbrenner. Dierei Organisationen sind aber hinsichtlich der gegensei-gen Absprache und Zusammenarbeit – auch das habeh begriffen – einen großen Schritt vorangekommen. Iniesen drei Organisationen gibt es unheimlich viel Enga-ement, zum Beispiel vonseiten unserer Ständigen Ver-etung in Rom und vonseiten der mit viel Expertise aus-estatteten Mitarbeiter.Vielleicht fehlt an der einen oder anderen Stelle tat-ächlich Geld. Die Experten sagen aber im Zusammen-
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Dr. Christian Ruck
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hang mit dem Horn von Afrika, dass es nicht nur immermehr Orte wie das Horn von Afrika geben wird, sonderndass es sie auch schon in der Vergangenheit gegeben hat.Bei der konsequenten und permanenten Strukturarbeit,die darauf abzielt, die Menschen selbst in der Krise stär-ker zu machen, damit sie die nächsten Krisen durch an-dere Anbaumethoden und vieles mehr besser bewälti-gen, haben alle drei Organisationen in den letzten Jahrengroße Erfolge erzielt. Die Folgen der verschärften Dür-ren und die Hungerkatastrophen in den letzten Jahrenhätten viel schlimmer ausfallen können und müssen,wenn diese Arbeit nicht so fruchtbar gewesen wäre.Es wurde gesagt: Man kann in Somalia aus Sicher-heitsgründen nicht so agieren wie sonst. Aber die Arbeitin der Sahelzone, in Pakistan und am Horn von Afrika,die Schlimmeres verhindert hat, muss man tagtäglich,kontinuierlich und dauerhaft unterfüttern, und zwar auchdann, wenn CNN und andere nicht da sind. Es ist unsereAufgabe, diesen Prozess kontinuierlich und dauerhaft zuunterfüttern.
Es war auch viel die Rede von dem neuen Präsidentender IFAD, einem Nigerianer. Er sagte: Wir Afrikanermüssen uns an die eigene Brust fassen. Wir haben dieländliche Entwicklung auch in unseren Regierungspro-grammen schmählich im Stich gelassen. Wir müssen beiuns anfangen. – Das ist eine bemerkenswerte Aussage,auf die wir zurückkommen sollten.Ein weiterer Punkt ist der arabische Frühling. Ichfinde, auch hier haben das BMZ und andere in der Re-gierung mit den drei schnell eingerichteten Fonds zügigreagiert.
Ich bin auch der Meinung, dass wir solche schnell wir-kenden Instrumentarien öfter brauchen, weil unsere nor-malen Prozeduren oft zu langsam sind. Ich glaube, hiersind wir auf einem guten Weg.Jetzt geht es darum, dass die EU insgesamt springt. Esgibt zum Beispiel in Nordafrika nur ganz wenige An-satzpunkte, schnell und dauerhaft Jobs zu schaffen undeine Wirtschaftsbelebung zu bewirken. Dies ist möglichin der Landwirtschaft, im Tourismus und in der Ener-giebranche sowie in einigen wenigen anderen Feldern.Die berufliche Bildung ist auch ganz wichtig, aber dasist eine langfristige Angelegenheit. In den genannten Be-reichen müssen wir jedoch springen. Dort muss auch dieEU springen. Gerd Müller, du weißt, wovon ich spreche,ich meine zum Beispiel Marokko und Spanien. Das be-deutet, dass in der EU mehr Absatzchancen für nordafri-kanische landwirtschaftliche Produkte zugelassen wer-den. Das verstehe ich unter „springen“. Hier sollte mannicht nur die Lippen spitzen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zumSchluss auf die ODA-Quote zu sprechen kommen. Ichbin froh, dass es so viele Kollegen aus allen Parteiengibt, die den Aufruf im Zusammenhang mit den 0,7 Pro-zent unterschrieben haben. Das bedeutet Rückende-cbsDahKtewhF9wdtiJuKtuaczhElacDdwghnvdg
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gernde anwachsen. Auch wenn die Euro-Krise medialesThema Nummer eins ist: Für die internationale Gemein-schaft muss die Hungerkatastrophe Thema Nummer einsbleiben. Menschenleben gehen vor Bankenrettung.
Ich sage Ihnen: Etwas läuft gewaltig falsch, wenn sichBanken und Großspekulanten sicher sein können, dasssie mit Milliarden Euro Steuergeldern immer wieder ge-rettet werden, aber gleichzeitig das Leid der hungerndenMenschen in Ostafrika und in vielen anderen Teilen die-ser Welt für die internationale Gemeinschaft nur einenNebenschauplatz darstellt. Anders kann ich mir nicht er-klären, dass die von der UNO geforderten 1,8 MilliardenEuro zur Linderung der schlimmsten Not in Ostafrikabisher von der internationalen Gemeinschaft nur zu60 Prozent zugesagt wurden. Zum Vergleich: Für dieRettung der Commerzbank hat die Bundesregierung imletzten Jahr problemlos 18 Milliarden Euro aufgebracht.Dass die Bundesregierung sich angesichts dessen unend-lich lange winden musste, ihre anfänglich gerade einmal1 Million Euro zur Bekämpfung der Hungersnot schritt-weise auf 5, 14, 35, 60 bis heute 140 Millionen Euro auf-zustocken, ist erbärmlich.Entlarvend, Herr Niebel, für Ihre sogenannte Ent-wicklungspolitik ist Ihr neues entwicklungspolitischesKonzept. Wessen Chancen dort geschaffen, wessen Zu-kunft entwickelt werden soll, kann man daran sehen, wieoft manche Begriffe erwähnt werden oder nicht. Sotaucht das Wort „Hunger“ kein einziges Mal auf, ge-nauso wenig übrigens wie „Hungerbekämpfung“. „Ar-mutsbekämpfung“, das Hauptziel jeder vernünftigenEntwicklungspolitik, wird auf 27 Seiten Konzeptpapierganze neunmal erwähnt und dann noch mit der Ansage,für Armutsbekämpfung seien die Entwicklungsländerzuständig. Ich sage: Ohne Solidarität der reichen Staatenmit den armen Staaten kann das nicht klappen.
Was ist mit der deutschen Wirtschaft als Akteur in Ih-rem Papier? Sie findet über zwanzigmal Erwähnung. Esgeht Ihnen also nicht vorrangig um die Armuts- undHungerbekämpfung, es geht Ihnen hauptsächlich umWirtschaftsförderung für deutsche Unternehmen. DerTopf dafür wird in Ihrem Haushaltsentwurf jetzt noch-mals vergrößert.Herr Niebel, Sie wollten das Ministerium vor IhremAmtsantritt abschaffen. Faktisch tun Sie dies mit einervölligen Änderung seiner Ziele. Mit Entwicklungspolitikhat das zunehmend nichts mehr zu tun.
Aber nicht nur bei der Armutsbekämpfung ist Ihre Poli-tik ignorant. In Ihrem Haushaltsentwurf haben Sie keineGelder für den Globalen Fonds gegen HIV/Aids, Mala-ria und Tuberkulose vorgesehen. Begründet wird diesmit Korruption. Dabei sagt Kanzleramtsminister PofallainwgnKEdPwmmLmMAddbw6IhswPv
Sie kann das gerne am Ende machen. – Ich zitiereanzleramtsminister Pofalla:Der Zwischenbericht der internationalen Experten-kommission sieht keine Anhaltspunkte für Korrup-tion in den Strukturen des GFATM. … Damit beste-hen keine Anhaltspunkte, wonach Korruption beimGFATM selbst lebensrettende Hilfe für Bedürftigeverhindert habe.s gibt keine Begründung für die Streichung der Gelder;as ist völlig verantwortungslos.
Verantwortungslosigkeit durchzieht sowieso Ihreolitik; denn auch Sie schauen nach wie vor untätig zu,ie Spekulanten an den Börsen die Preise für Nahrungs-ittel in die Höhe treiben. Sie ergreifen keine Maßnah-en dagegen, dass auch deutsche Unternehmen amandraub in Afrika beteiligt sind. So wird ein Unterneh-en aus Bayern in Äthiopien, wo derzeit 4,8 Millionenenschen hungern, auf einer Fläche von 260 000 Hektargrotreibstoffpflanzen anbauen. Sie lassen es zu, dassurch EU-Subventionen deutsche Landwirtschaftspro-ukte wie Milch auf dem afrikanischen Markt künstlichilliger sind als Produkte, die in Afrika selbst erzeugterden, zum Beispiel in Uganda, wo die Existenz von00 000 Viehzüchtern dadurch derzeit gefährdet ist.
re Politik beseitigt Hungersnöte nicht, sondern ver-chärft oder verursacht sie sogar noch. Das ist verant-ortungslos.
Eine nachhaltige Hungerbekämpfung braucht eineolitik, die in Kleinbauern und die lokale Produktion in-estiert. Stattdessen zwingen Sie Entwicklungsländer zu
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14539
Niema Movassat
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Marktöffnungen und fördern europäische Dumping-exporte. Entwicklungspolitik muss sich für Markt- undHandelsbedingungen einsetzen, die eine gerechte Teil-habe der Armen ermöglichen. Stattdessen erhöhen Sienoch die Abhängigkeiten von der westlichen Produktionund Wirtschaft. Ein umfassender Ansatz von Entwick-lung, Armutsreduzierung und Ernährungssouveränitätwäre endlich nötig. Sie machen das Gegenteil: Profit fürdeutsche Konzerne auf Kosten der Armen. Das werdenwir nicht mitmachen.
Kein Kind darf zu keinem Zeitpunkt auf der Welt ver-hungern. Das muss erstes Ziel von Entwicklungspolitiksein. Ich befürchte, dass die schwarz-gelbe Koalitionnicht die Fähigkeit hat, diesen einfachen Grundsatz zuverstehen. Deshalb ist hoffentlich bald Schluss mit Ih-rem Trauerspiel. Das wäre das Beste, für die Menschenhierzulande und für die Menschen im globalen Süden.
Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Pfeiffer
das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Movassat, ich kann es fast nicht mehr hören. Es ist doch
geradezu lächerlich, einfach zu sagen, ländliche Ent-
wicklung und wirtschaftliche Entwicklung hätten nichts
mit Armutsbekämpfung zu tun.
Durch die ländliche Entwicklung sollen die Menschen
befähigt werden, sich selber zu ernähren, selber für ihre
Familie zu sorgen, selber die notwendige Kraft aufzu-
bringen und es ohne fremde Hilfe zu schaffen. Das ist
gezielte Armutsbekämpfung.
Was können wir Besseres tun als in den Entwick-
lungsländern Wirtschaftsförderung zu betreiben, um die
Menschen in kleinen und mittleren Unternehmen in
Lohn und Brot zu bringen? Was ist besser als diese Art
der Armutsbekämpfung? Gute Wirtschaftspolitik ist bes-
ser als jegliche Sozialhilfe oder sonstige staatliche Un-
terstützung; bitte nehmen Sie das einmal zur Kenntnis.
Alles andere sind keine Alternativen.
Sie haben das Wort zur Erwiderung.
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ach der neuen Linie dieses Ministeriums geht es zu-
ehmend darum, Außenwirtschaftsförderung zu betrei-
en. Das ist ein Irrweg der deutschen Entwicklungspoli-
k. Dazu habe ich hier etwas gesagt.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-gin Hinz das Wort.Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-EN):Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alsaushälterin werde ich zunächst einmal versuchen, die-en sogenannten Rekordhaushalt in die richtigen Rela-onen zu rücken. Es ist richtig, dass dem Haushalt diesesinisteriums im künftigen Haushaltsjahr 113 Millionenuro mehr zur Verfügung stehen werden. Das ist einerhöhung, weil in der Finanzplanung eine Absenkungm 300 Millionen Euro vorgesehen war. Das müssen Sieber im Zusammenhang mit der Erreichung des 0,7-Pro-ent-Ziels – dieses Ziel tragen Sie ja immer vor sich her –ehen. 2010 hatten wir eine ODA-Quote von 0,38 Pro-ent. Wenn sich das Wirtschaftswachstum so fortsetzt,ie Sie es im Bundeshaushalt insgesamt zugrunde gelegtaben
ich nehme an, auch in der Kabinettsentscheidung –,ann wird diese Quote schon im nächsten Jahr sinken.eswegen, Frau Kollegin Pfeiffer, ist es nur ein Pfeifen Wald, wenn Sie sich wieder hier hinstellen und sa-en: Wir wollen das 0,7-Prozent-Ziel erreichen, und wiralten daran fest. Wenn Sie sich die Finanzplanung anse-en, stellen Sie fest, dass sogar eine Kürzung der Mittelr die Entwicklungszusammenarbeit um 581 Millionenuro vorgesehen ist. Deswegen wird das Erreichen des,7-Prozent-Ziels mit dem Finanzplan, den Sie vorgelegtaben, gar nicht funktionieren. Der Etat müsste nämlich
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14540 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Priska Hinz
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angesichts dessen, dass Sie in der Finanzplanung einwirtschaftliches Wachstum von 1,5 Prozent zugrunde le-gen, von jetzt etwa 10 Milliarden Euro auf circa 20 Mil-liarden Euro verdoppelt werden.
Wie Sie das erreichen wollen, müssen Sie mir hier inder Haushaltsberatung bitte schön einmal erklären.
Ich glaube eher, Sie bauen darauf, dass Sie in der nächs-ten Regierung nicht mehr im Amt sein werden; davongehe ich jedenfalls fest aus.
Sie hinterlassen der künftigen Regierung einen Scher-benhaufen. Insofern wäre es wirklich wichtig, wenn wirden entwicklungspolitischen Konsens, der von ganz vie-len unterstützt wurde, als Aufbaupfad dafür nehmen, das0,7-Prozent-Ziel gemeinsam zu erreichen.Das ist kein Selbstzweck. Es geht nicht darum, ein-fach nur Geld auszugeben. Ich gebe allen recht, die sa-gen: Viel Geld allein bringt nichts. Aber ohne Geld kom-men wir auch nicht weiter. Wir brauchen Geld für eineBildungsstrategie, für die Erhöhung der Grundbildung.Wir brauchen Geld für die Anpassung an den Klimawan-del. Wir brauchen Geld für die Stärkung der Landwirt-schaft in den Entwicklungsländern. Für all das brauchenwir Geld.Herr Minister, bislang jedenfalls haben Sie nicht er-klären können, wie Sie Ihre Bildungsstrategie finanziellunterfüttern wollen. Sie ist zwar sehr wichtig, aber Siekönnen sie nicht unterfüttern, wenn Sie laut Finanzpla-nung in den nächsten Jahren wieder einen Haufen Geldeinsparen sollen. Dann werden Sie wieder aus anderenTöpfen Geld herausnehmen, und Sie werden die anderenSchwerpunkte, die Ihnen angeblich ach so wichtig sind,nicht mehr setzen können. Von daher haben Sie uns hierdie Quadratur des Kreises angekündigt.
Ein Punkt, den ich noch ansprechen möchte und deruns besonders wichtig ist, ist der Globale Fonds zur Be-kämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria. Sielassen die Finanzierung weiter im Ungewissen. Natür-lich sind 200 Millionen Euro eingestellt, allerdings unterdem Haushaltstitel der Finanziellen Zusammenarbeit.Von daher weiß man nicht, ob das Geld dem Fonds zu-gutekommen wird.Ich gebe Ihnen recht: Man muss Korruption bekämp-fen, wo immer sie auftritt. Auch wir wollen nicht, dassnur 1 Euro in falschen Kanälen versickert. Aber die Kor-ruption wurde vom Globalen Fonds selber aufgedeckt.Im vorgelegten Zwischenbericht werden Reformmaß-nSsumakdkuebobevEdleHnDshwg0edrisdwslineHezSe
nd damit den Globalen Fonds und auch die Menschenit gesundheitlichen Risiken im Ungewissen zu lassen,uf welche Seite sich Deutschland stellt.Ich glaube, das hat etwas mit ideologischen Scheu-lappen zu tun; denn Sie kämpfen schon lange gegeniesen Fonds. Wir haben keine ideologischen Scheu-lappen, auch nicht im Hinblick auf die Zusammenarbeitnd Kooperation mit der Wirtschaft; ich finde es schonrstaunlich, dass die Linke dies nun als ihr Kampffeldetrachtet. Einen durchschlagenden Erfolg bei der Ko-peration mit der Wirtschaft habe ich in Ihrer Amtszeitislang vermisst. Sie reden zwar immer viel davon, abers passiert nicht viel. Wir haben nichts gegen eine sinn-olle Kooperation, wenn sie in eine gute Strategie derntwicklungszusammenarbeit eingebettet ist.Danke schön.
Der Kollege Klaus Riegert hat für die Unionsfraktion
as Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-gen! Trotz Finanzkrise und Euro-Krise sind für diesenaushalt 6,33 Milliarden Euro vorgesehen, so viel wieoch nie zuvor. Sie können das nennen, wie Sie wollen:as ist ein Haushaltsansatz, der sich durchaus sehen las-en kann. Ich glaube, darüber sind wir alle uns insge-eim auch einig.Wir treffen uns wohl auch bei der Einschätzung, dassir innovative Finanzierungsinstrumente brauchen. Ichlaube nicht, dass wir auf Dauer mit Steuergeldern das,7-Prozent-Ziel, an dem wir Fachpolitiker ja festhalten,rreichen können. Vielmehr werden wir uns neue Ge-anken machen müssen. Es freut mich, dass im Ministe-um überlegt wird, etwa ethisch orientierte Bundes-chatzbriefe oder Ähnliches aufzulegen. Ich denke auch,ass der Energie- und Klimafonds eine Chance bietet, et-as für weltweiten Klima- und Umweltschutz zu tun.Außerdem möchte ich gerne auf ein Thema hinwei-en, das von der ODA-Quote ausgeklammert ist. Schäd-che Subventionen und Zollschranken, Handelshemm-isse, Schutzzölle und Exportsubventionen verhindernigene Einnahmen der Entwicklungsländer in doppelteröhe der Mittel aller Geberländer; das muss man sichinmal vor Augen führen. Deswegen gilt: Wenn wir eineukunftsfähige Entwicklung haben wollen und Hilfe zurelbsthilfe erreichen möchten, muss die Doha-Rundendlich erfolgreich abgeschlossen werden.
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Klaus Riegert
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Zur Wirksamkeit der Vorfeldreform wurde schon vielgesagt. Der Minister hat in der ihm zu Recht zugeschrie-benen Bescheidenheit darauf hingewiesen, dass wir da-mit mehr Einfluss auf das operative Geschäft bekom-men. Deswegen stelle ich fest: Die Fusion von GTZ,DED und InWEnt ist wichtig. Damit werden Doppel-strukturen abgeschafft, und wir können perspektivischEinsparungen in Millionenhöhe im Haushalt abbilden.Das unabhängige Institut für Deutsche Entwicklungs-evaluierung wird in Zukunft unsere Maßnahmen in derEntwicklungs- und wirtschaftlichen Zusammenarbeit aufihre Wirksamkeit hin prüfen.Die Servicestelle für bürgerschaftliches und kommu-nales Engagement, eine Anlaufstelle für in Deutschlandund im Ausland Engagierte, ist ebenfalls wichtig und zu-kunftsträchtig. An dieser Stelle sollten wir auch einmalallen im Inland und Ausland bürgerschaftlich und ehren-amtlich Engagierten sowie den sonstigen Engagierten,egal wie sie angezogen sind, unseren herzlichen Dankaussprechen.
Die stärkere Unterstützung von Stiftungen, privatenTrägern, der Wirtschaft und Kirchen sowie dieser Ser-vicestelle spiegelt sich in einem Plus in dem entspre-chenden Ansatz in diesem Haushalt wider.Ich teile die Erkenntnis von Kollegin Sibylle Pfeiffer,dass Entwicklung nicht nur eine Frage des Geldes ist.Entwicklung kann man auch nicht kaufen. Man kannnicht entwickelt werden, sondern muss sich schon selbstentwickeln.
Der in Eritrea geborene Politikwissenschaftler MussieHabte bringt es in dem Beitrag „Afrika neu denken –Krise und Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit“ inBlätter für deutsche und internationale Politik 1/2011auf den Punkt. Ich zitiere:Bei aller Diskussion über die finanziellen Mittel giltjedoch: Der Glaube, dass allein die Aufstockungder Entwicklungshilfe zur Lösung der ProblemeAfrikas beitragen kann, geht in die Irre. Mit Geldlässt sich zwar manches bewirken, aber ob dies derrichtige Weg ist, die strukturellen Probleme desKontinents zu bewältigen, muss ausdrücklich be-zweifelt werden. … Denn zentral für die Lösungder Probleme ist und bleibt das Engagement derafrikanischen Staaten selbst.
Entwicklung heißt zuallererst, es selber zu machenoder – nach einem von der Weltbank geprägten Bild –vom Beifahrer- auf den Fahrersitz zu wechseln. Ent-wicklung muss von innen kommen. Unterstützende Ent-wicklungszusammenarbeit von außen bleibt dann sinn-vasmihbaklänLddSAuvwtuSDisInuregAdaFneläbu
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14542 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Lothar Binding
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Ich möchte noch auf einige Bemerkungen von heuteeingehen. Lange vor Niebel, wenn man das so formulie-ren will, gab es unter einer anderen Ministerin, nämlichHeidi Wieczorek-Zeul, gute Menschenrechtsaktions-pläne mit Stufenplänen. Wenn man immer versucht, dieVergangenheit zu verbrämen und zu verleugnen, tut mansich selber letztlich keinen Gefallen.Ich will es in Erinnerung rufen: Es gab schon 2002 bis2006 und erneut 2005 bis 2010 einen Stufenplan zurHaushaltsentwicklung. Es ist also nichts Neues, überdiese Dinge zu reden.Man sollte den Blick vielleicht darauf richten, wasHerr Niebel gut bzw. schlecht macht. Ich will auch sa-gen, was er gut macht. Wir stimmen in manchen Fragenüberein. Er hat davon gesprochen, die Wirksamkeit zuerhöhen. Wer wollte das nicht? Immer, wenn man einenEuro in die Hand nimmt, sei es privat oder an Steuergel-dern, will man ihn so wirksam wie möglich einsetzen.Das versteht sich zwar von selbst; trotzdem ist es einegute Idee.
Er sagt auch: Wir wollen nicht mit großen Zahlen umuns werfen. – Das finde ich sehr gut. Es wäre klug, sichauch daran zu halten.Gut fand ich auch in Teilen die Fusion von GTZ, DEDund InWEnt zur GIZ. Das ist insgesamt eine gute undkeine ganz neue Idee, um das in Erinnerung zu rufen.Dass es einige Probleme gab, zum Beispiel mit einer Sie-ben-zu-eins-Konstellation von Männern gegen Frauen imVorstand und Beschlüssen, die jetzt umgesetzt werdenmüssen und zu großen Schwierigkeiten führen, stelle ichhintan.Die Idee war gut, und es wurde bereits viel Gutes um-gesetzt. Noch besser finde ich, dass sich der Minister zurODA-Quote bekennt und sie erfüllen will; denn dafürhat er eine Mehrheit im Parlament.Er sagt auch, um noch ein konkretes Beispiel zu nen-nen: Wir wollen die Landwirte vor Ort langfristig er-tüchtigen. – Das ist eine gute Sache; das gilt für die Ver-gangenheit wie für die Zukunft. Das ist ganz klarnotwendig.Gut finde ich auch – es hat darüber gelegentlich Miss-verständnisse gegeben –, dass er durch viele ReisenDeutschland im Ausland vertritt. Ich finde nicht allesgut, was er macht. Das Käppi wurde schon erwähnt.Aber insgesamt finde ich die Präsenz im Ausland gut.Ich glaube, dass man diese guten Dinge auch erwähnenmuss.
Schlecht finde ich, dass er zum Beispiel sagt – das istfür mich eine sehr tiefgehende Aussage –: „Entwick-lungszusammenarbeit ist nichts Altruistisches.“ Ich habees im Duden nachgeschlagen. „Altruismus“ heißt „durchRücksicht auf andere gekennzeichnete Denk- und Hand-lungsweise“. Der Gegensatz ist Egoismus. Wenn dieEntwicklungszusammenarbeit nichts Altruistisches ist,dDDdMeeCvninmdbgDfowsswfeDzHdleEmsdhseddeeRlureiceesPMruD
as ist in gewisser Weise eine gefährliche Entwicklung,ie im Denken zutage gefördert wird. Sie ist für dieenschen, die seit langem in ihrer Arbeit diese Richtunginschlagen, nicht leicht zu verstehen.Eines verwundert mich nicht, aber es erschreckt michin bisschen, nämlich dass Dirk Niebel die riesigehance hat verstreichen lassen, dass mehr als die Hälfteon uns allen fraktionsübergreifend sagt – das kommticht allzu häufig vor –: Wir wollen für die ODA-Quote den nächsten vier Jahren 1,2 Milliarden Euro jährlichehr aufbringen. Das Einvernehmen führte dazu, dassie SPD das nicht im Pakt für Bildung und Entschuldungerücksichtigt hat. Wir sind nämlich davon ausgegan-en, dass der Minister das in seinen Entwurf aufnimmt.ann hätten wir zugestimmt, und es wäre ein großer Er-lg gewesen. Dieser Punkt fehlt jetzt im Pakt der SPD,eil wir dachten, das versteht sich von selbst.Frank-Walter Steinmeier hat unterschrieben, und un-er Parteivorsitzender Gabriel hat unterschrieben. Ichehe gerade, auch Herr Koschyk hat unterschrieben. Esäre eine Superidee, die ODA-Quote jetzt festzuklop-n. Damit würde man den Worten Taten folgen lassen.as wäre eine sehr gute Sache.
Die Finanzierung ist im Übrigen gar nicht so kompli-iert. Die Finanztransaktionsteuer wurde schon erwähnt.inzu käme der Verzicht auf Steuersenkungen. Wer sichie leisten kann, kann sich die ODA-Quote erst rechtisten. Auch die Konzernbesteuerung ist eine schöneinnahmequelle. Es gibt eine ganze Reihe von Einnah-emöglichkeiten, die wir schon im letzten Jahr vorge-chlagen haben.Es gibt eine schleichende Peinlichkeit. Diese hängtamit zusammen, dass der Minister inzwischen gemerktat, welche enorme Kraft die deutsche Entwicklungszu-ammenarbeit, auch die finanzielle Zusammenarbeit,ntfaltet hat. Das BMZ ist gut aufgestellt, ebenso dieurch die Fusion von GTZ, InWEnt und DED entstan-ene GIZ und die KfW. Die NGOs arbeiten weltweitnorm gut. Darin arbeiten Tausende von Menschen, diein großes Netzwerk in der Welt aufgebaut und eine guteeputation erworben haben. Die deutsche Entwick-ngszusammenarbeit steht, wenn man sie mit der ande-r Länder vergleicht, an vorderster Stelle. Deshalb halteh es für sehr problematisch, wenn der Minister meint,r müsse das Ministerium nur deshalb neu erfinden, weilr einmal gesagt hat, er wolle es abschaffen. Den Wider-pruch in dieser Weise auflösen zu wollen, ist ein großesroblem. Dieser Linie werden wir keinesfalls folgen.Ich will ein Wort zu Ostafrika sagen. Da gibt es einissverständnis. Ländliche Entwicklung und die Ernäh-ngssicherung sind langjährige Schwerpunkte der EZ.as waren sie in der Vergangenheit, und das sind auch
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Lothar Binding
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Ihre Schwerpunkte. Seit Mitte Juli gibt es in Ostafrika– das hat jeder gesehen – eine akute Hungersnot. DieKanzlerin war dort und hat 1 Million Euro Hilfe zuge-sagt. Das war ungefähr zu der Zeit, als die Engländer60 Millionen Euro, die sie bereitgestellt haben, für nichtgenug hielten. Damals habe ich dem Minister einenBrief geschrieben. Aber erst vier Wochen später wurdedie Regierung aktiv, weil der Minister sagte: Wir müssenzunächst viele grundsätzliche Dinge in Kraft setzen. –Ich bin in der DLRG. Wenn in der Spree jemand ertrinktund ich erst ein grundsätzliches Konzept zur Verteilungvon Rettungsringen entlang der gesamten Spree in dennächsten Jahren entwickle, hilft das dem Ertrinkendennicht. Ich muss schneller agieren, um den Menschen zuhelfen.
Man muss überprüfen, was für die akute Nothilfe be-reitgestellt werden kann. Zahlenspiele über den Haushalthelfen nicht weiter. Mit dieser Anregung zur Überprü-fung möchte ich Sie gern in die Haushaltsdebatte entlas-sen.Schönen Dank und alles Gute.
Der Kollege Volkmar Klein hat für die Unionsfraktion
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man am Ende der Debatte zum Einzelplan
23, zum Haushaltsplan des Ministeriums für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung, die Argumente
Revue passieren lässt, dann gewinnt man den Eindruck,
dass aus allen Beiträgen, vor allen Dingen aus denen der
Opposition, am Ende Lob für die Arbeit des Ministe-
riums hervorgeht.
Wenn man einmal von den unsachlichen Beiträgen
absieht, dann besteht die Kritik darin, dass es zu wenig
Geld gibt. Man möchte also einen noch größeren Zu-
wachs haben.
Das ist verständlich. Wer wäre dagegen, wenn Geld für
einen guten und sinnvollen Zweck ausgegeben wird,
wenn es vorhanden ist? Insofern ist das ein erwarteter
Kritikpunkt an diesem Haushalt, der gleichwohl kräftig
wächst. Ich komme gleich zu den Zahlen. Die anderen
Kritikpunkte sind kaum sachliche Kritikpunkte, sondern
beziehen sich nur auf Formalitäten. Ich will zu drei Kri-
tikpunkten kurz Stellung nehmen:
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Sie sprechen davon, dass hier 200 Millionen Euro zur
erfügung stehen. Wenn das so ist, dann sorgen Sie doch
itte dafür, dass im Haushalt 200 Millionen Euro veran-
chlagt sind. Dann ist das Ganze klar, ehrlich, transpa-
nt und offen. Im Haushalt nichts zu veranschlagen und
ie entsprechende Stelle mit einem komischen Kom-
entar zu versehen, ist keine haushaltspolitische Maß-
ahme.
Erstens. Es ist für den deutschen Steuerzahler, dessenteressen ich vertrete, relativ egal, auf welcher Ebeneöglicherweise Geld verloren geht, ob an zentralertelle oder vor Ort in den Ländern.
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14544 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011
Volkmar Klein
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Zweitens. Sie können das nicht so genau wissen. Siehaben gesagt: Da steht irgendwo etwas. Es geht aber umeinen Haushaltsvermerk – das ist nach dem deutschenHaushaltsrecht etwas Belastbares –, und genau da ist derBetrag vorgesehen, über den hier diskutiert wird.Ich bleibe bei meinem Hinweis: Hier wird ein Thema,das eigentlich nur eine Formalität ist, herangezogen, umKritik zu üben.
Stichwort „Somalia“: Der Kollege Binding hat ebenzu Recht an Folgendes erinnert: Früher, als die DDR-Grenze entlang des Ufers der Spree direkt hinter demReichstagsgebäude verlief, musste für Rettungsbemü-hungen erst die Zustimmung der Grenzschützer aus demOsten eingeholt werden. Leider ist es in Somalia so ähn-lich: Man behindert die Helfer. Das ändert aber nichts ander Tatsache, dass, auch haushalterisch, Erhebliches fürdie Hilfe in Somalia und am Horn von Afrika vorgese-hen ist – ich finde, zu Recht nicht mit einer separatenHaushaltsposition.
Kollege Klein, es gibt weiteres Interesse an einer
Zwischenfrage, und zwar der Kollegin Wieczorek-Zeul.
– Ach so, Entschuldigung. Das war dann ein Missver-
ständnis.
– Gut. Dann haben wir das jetzt geklärt.
Die Kollegin Wieczorek-Zeul hat das Wort zu einer
Zwischenbemerkung.
Herr Klein, ich selbst habe damals diesen Globalen
Fonds – am Anfang stand eine Initiative von Kofi Annan –
mit in Gang gesetzt. Wir haben die Mittel dafür zuge-
sagt. Übrigens hat in Heiligendamm auch die Bundes-
kanzlerin ihre Zusage gegeben. Dieser Globale Fonds
hat, seitdem er besteht, etwa 7 Millionen Menschenleben
gerettet. Ich muss sagen: Der dauernde Versuch, den
Globalen Fonds mit Korruption in Verbindung zu brin-
gen – seine Betreiber selber haben diese Vorwürfe aufge-
griffen und verfolgt –, ist inakzeptabel und unanständig.
Im Übrigen: Wenn man jetzt bilaterale Kleinprojekte
durchführt, um die Aidsbekämpfung voranzutreiben, wie
Sie es vorschlagen, dann geht genau da etwas verloren,
wo es gebraucht wird, nämlich bei der anständigen Ko-
ordinierung vor Ort über den Globalen Fonds. Dort wer-
den Medikamente zur Verfügung gestellt; dort findet
Beratung statt. Das ist sinnvoller, als Einzelprojekte
durchzuführen.
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Diese Bemerkung ist in der Sache falsch,
eil die Würdigung der guten Arbeit des Globalenonds dazu geführt hat, dass überhaupt ein solcheraushaltsposten im Haushalt drinsteht.Ich habe eben versucht, deutlich zu machen, dassann, wenn die Vorwürfe aus dem Weg geräumt sind,iese Zahlungen selbstverständlich möglich sind. Aufer anderen Seite halte ich es im Interesse unserer Steu-rzahler für grundanständig, diese Fragen vorher zu klä-n und erst dann zu zahlen. Alles andere wäre unverant-ortlich und nicht im Sinne unserer Steuerzahler.
Ich komme zurück zu dem zweiten Kritikpunkt. Füromalia steht nicht nur Erhebliches an Haushaltsmittelnur Verfügung. Der Titel „Not- und Übergangshilfe“ innserem Haushaltsplan ist ja gerade für jeweilige Fällea. Ich kann mich daran erinnern, dass in den zwei Jah-n meiner Mitgliedschaft in diesem Hohen Hause auchiskutiert wurde: Brauchen wir einen separaten Titel füraiti? Brauchen wir einen separaten Titel für Pakistan? –h meine, dass es viel sinnvoller und auch langfristigexibler ist, wenn wir einen Titel „Not- und Übergangs-ilfe“ haben und im Übrigen Gelder – wie im Fall Soma-a ja auch – aus Mitteln des Außenministeriums und ausnseren erheblichen Beiträgen an Weltbank und Euro-äische Union bereitgestellt werden.Bei dem dritten Punkt geht es vielleicht auch eher umormalien. Der Kollege Raabe hat darauf hingewiesen,an könne doch eigentlich nicht die – gegenüber derittelfristigen Finanzplanung – riesigen Steigerungenes Einzelplans 23 im Haushaltsplanentwurf als Grundr Lob heranziehen. Da hat er ja recht. Deswegen ist esiel sinnvoller zu vergleichen: Wie sind denn die tat-ächlichen Ausgaben gewesen? Was hat denn im echtenaushaltsplan in den jeweiligen Jahren gestanden? Dennie mittelfristige Finanzplanung hat – wie wir alle wis-en – ohnehin keine Verbindlichkeit. Dann stellen wirst: Man kann das – das ist eben schon gesagt worden –m Amtsantritt der Bundeskanzlerin Angela Merkel fest-achen. Seit jenem Jahr sind die Ausgaben im Einzel-lan 23 stark gestiegen. Das ist vorher nicht der Fall ge-esen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2011 14545
Volkmar Klein
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Genauso wenig hilfreich ist es, jetzt die mittelfristigeFinanzplanung für 2013 zu nehmen und schon wiederBesorgnis zu haben: Mensch, da könnte es ja einen Ein-bruch geben. – Wir reden über den Einzelplan 23 für dasHaushaltsjahr 2012. Dazu will ich noch einmal festhal-ten: Der Gesamthaushalt stagniert. Es gibt einen mini-malen Aufwuchs. Beim Einzelplan 23 hingegen gibt eseinen Zuwachs von 1,8 Prozent. Klammer auf: Wennman, was man eigentlich könnte, die zusätzlichen Ein-nahmen und die Abführungen an den IWF berücksich-tigt, dann betragen die Steigerungsraten sogar 4,3 Pro-zent und nicht nur 1,8 Prozent.Das ist ein Ausweis für den Bedeutungszuwachs die-ses Bereichs. In den beiden Jahren, die ich überblickenkann, sieht es so aus – damit man die Zahlen wiederfin-den kann –: Von 2010 auf 2012 steigt der Anteil des Ein-zelplans 23 am Gesamthaushalt von 1,9 Prozent auf2,1 Prozent. Das ist einfach die mathematische Folge dererheblich größeren Steigerungsraten. Das ist der Aus-weis dafür, dass uns Verantwortung über unsere Grenzenhinaus einfach wichtig ist. Das ist ablesbar an unserenZahlen im Einzelplan 23.Man könnte noch eine ganze Menge anderer Bei-spiele nennen, wo darüber hinaus – so etwa durch dieSteuerbegünstigung von Spenden in dem Bereich – wei-tere staatliche Gelder zur Unterstützung dieser Arbeitausgegeben werden.Das alles unterstreicht, wie wichtig es für uns ist,nicht nur an die Menschen bei uns, sondern auch an dieMenschen jenseits unserer Grenzen zu denken. Die phi-losophische Betrachtung des Altruismus, die der KollegeBinding angestellt hat, kann ich nicht so ganz teilen;denn wenn wir anderen helfen, ohne selber darunter zuleiden, wenn wir vielleicht noch selbst etwas davon ha-ben, dann tut das doch dem Wert unserer Hilfe keinenAbbruch.
Insofern würde ich uns alle darum bitten, die Zeit derHaushaltsberatungen in den nächsten Wochen zu nutzen,gemeinsam darüber nachzudenken, wie man vielleichtdie Wirksamkeit des eingesetzten Steuergeldes nochsteigern kann. Da gibt es, glaube ich, noch ein paar Mög-lichkeiten, die in den zuständigen Ausschüssen beratenwerden können.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Bevor ich der Kollegin Kopp das Wort zu einer Kurz-
intervention gebe, möchte ich vorsorglich darauf hinwei-
sen, dass es natürlich möglich ist, in den Debatten
sowohl Zwischenfragen zu stellen als auch Zwischenbe-
merkungen zu machen. Nach unserer Geschäftsordnung
sind beide kurz und präzise zu halten. Gleichzeitig muss
es natürlich dem Redner möglich sein, zu antworten.
Dazu bleiben wir üblicherweise nach einer Zwischen-
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b morgen sollten wir es wieder in der alten Form ma-
hen. Kurzinterventionen werden dann nach dem Bei-
ag gehalten.
Kollegin Kopp, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich nehme Bezuguf die Kurzintervention von Frau Kollegin Wieczorek-eul zum Thema GFATM.
h möchte noch einmal ausdrücklich betonen, dass nie-and hier seitens des Ministeriums oder auch der Red-er den Global Fund selbst der Korruption bezichtigtat. Es ging vielmehr darum, dass man bei Stichprobenerausgefunden hat, dass es bezüglich Geldern, die inestimmten Ländern verausgabt werden, Korruptions-orwürfe gibt. Diese muss man natürlich dringend auf-lären.Statt aber jetzt einfach aufzurechnen, wie viele Men-chenleben gerettet und wie viele nicht gerettet wurden,itte ich Sie, zu bedenken, dass es auch nicht dazu bei-ägt, dass Leben gerettet werden, wenn Gelder, die da-r bestimmt sind, nicht bei den Menschen ankommen.re Ausführungen waren wirklich polemisch. Ich finde,ir sollten sachlich bleiben.Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass wir als Ministe-um alles tun, was wir tun können,
nd ich als Abgeordnete alles tue, was ich tun kann, da-it die Gelder dorthin gelangen, wohin sie gehören, unden Menschen zugutekommen.Den entsprechenden Bericht werden wir ja am5. September bekommen. Als Abgeordnete sage ichber noch einmal ausdrücklich, dass es mir wichtig ist,arauf hinzuweisen, dass wir dafür neue Instrumenterauchen, und dass wir prüfen müssen, was falsch läuft.as ist im Sinne der Menschen, die betroffen sind.
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(C)
(B)
Jetzt haben wir ein Problem, weil nach unserer Ge-
schäftsordnung nun wiederum Frau Wieczorek-Zeul
nicht antworten kann, weil mir die Kurzintervention
während der Rede des Kollegen aus der Unionsfraktion
gemeldet worden ist und sie sich auf diese Rede hätte
beziehen müssen.
– Wir schließen das jetzt ab. Ich denke, darauf einigen
wir uns jetzt einfach. Kollegin Wieczorek-Zeul, Sie sind
ja in der Debatte zu Wort gekommen. Damit lösen wir
das Ganze auf.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
mir nicht vor.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 8. September
2011, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.