Protokoll:
11042

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 42

  • date_rangeDatum: 25. November 1987

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:14 Uhr

Gesamtes Protokol
Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104200000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir setzen die Haushaltsberatungen fort. Ich rufe Tagesordnungspunkt I auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988

(Haushaltsgesetz 1988)

— Drucksachen 11/700, 11/969 —
Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß)

— Drucksachen 11/1051 bis 1079, 11/1081 — Ich rufe die folgenden Einzelpläne auf:
Einzelplan 08
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen
— Drucksachen 11/1058, 11/1081 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Simonis Roth (Gießen)

Zywietz
Frau Vennegerts
Einzelplan 32 Bundesschuld
— Drucksache 11/1074 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Vennegerts Roth (Gießen)

Dr. Weng (Gerlingen)

Frau Simonis
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
— Drucksache 11/1078 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Roth (Gießen) Dr. Pfennig
Borchert
Hoppe
Dr. Weng (Gerlingen)

Esters
Dr. Struck
Diller
Frau Vennegerts
Einzelplan 20 Bundesrechnungshof
— Drucksachen 11/1068, 11/1081 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Zander Dr. Schroeder (Freiburg) Frau Vennegerts
Zu Einzelplan 60 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1332 vor.
Meine Damen und Herren, auf Grund einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Einzelpläne vier Stunden vorgesehen. — Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Apel.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID1104200100
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr hat die Koalitionsmehrheit im Deutschen Bundestag den Haushaltsplan 1987 verabschiedet, damals mit einem Defizit von 22,3 Milliarden DM. Jetzt stellt sich heraus, daß die Neuverschuldung voraussichtlich um etwa 7 Milliarden DM höher, bei fast 30 Milliarden DM, liegen wird. Unsere Warnungen vor zwölf Monaten, daß Ihre Haushaltsansätze unrealistisch seien, wurden damals von der Koalition, wurden damals von Ihnen als Horrormeldungen, als Miesmacherei abgetan.
Heute ist klar: Die Bundesregierung und die Koalitionsmehrheit haben kurz vor den letzten Bundestagswahlen mit ihrer unseriösen Schönfärberei Ende 1986 das Parlament und die Wähler zu täuschen versucht.

(Beifall bei der SPD) Jetzt wiederholen Sie das Verfahren.

Bei der ersten Lesung des Haushaltsentwurfs 1988 mußten wir erneut darauf hinweisen, daß das von der Bundesregierung vorgelegte Zahlenwerk weder bei den Einnahmen noch bei den Ausgaben der heute absehbaren Entwicklung entspricht. Wir haben den Finanzminister wiederholt aufgefordert, seine Ansätze so nachzubessern, daß aus seinem Entwurf ein



Dr. Apel
verabschiedungsreifer Haushalt wird. Der Finanzminister hat sich erneut der eigentlich selbstverständlichen Pflicht der Vorlage realistischer Zahlen entzogen.
So stellen wir heute fest: Im Bundeshaushalt 1988 sind immer noch nicht die zusätzlich fälligen Mittel für die EG und für die Bundesanstalt für Arbeit berücksichtigt. Das allein schon bedeutet ein Haushaltsloch von rund 4 Milliarden DM, die nicht gedeckt sind.
Nun müssen Sie sich entscheiden, meine Damen und Herren von der Koalition:

(Zuruf von der CDU/CSU: Das tun wir auch!)

Sie müssen entweder die Nettokreditaufnahme für das kommende Jahr entsprechend erhöhen oder den Finanzminister auffordern, bereits heute die Wahrheit zu sagen, nämlich daß der Finanzminister 1988 die Steuern erneut erhöhen wird, diesmal die Mineralöl- und die Tabaksteuer.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Wenn Sie oh sagen, so habe ich festgestellt, daß sich der Finanzminister durch seinen Pressesprecher diese Möglichkeit ausdrücklich offengehalten hat. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Aber das kann ja heute hier ausgeräumt werden, wenn Sie an dieser meiner Feststellung Zweifel haben.

(Dr. Spöri [SPD]: Sehr gut!)

Außerdem rechnen Sie sich, meine Damen und Herren, unbeeindruckt von allen Erfahrungen des Haushalts 1987 erneut reich.

(Kolb [CDU/CSU]: Dabei waren Sie aber Weltmeister!)

Wir haben Sie damals darauf hingewiesen, daß Ihre unrealistischen Wachstumsannahmen falsch waren. Heute fehlen Ihnen mehr als 4 Milliarden DM Steuereinnahmen, weil die Konjunktur sehr viel schlechter gelaufen ist, als vor den Wahlen von Ihnen vorgetäuscht worden war. Aber Sie fahren mit dieser Methode fort.
Wir fragen Sie: Woher soll eigentlich im nächsten Jahre ein reales Wirtschaftswachstum von 2,2 % kommen? Es kann doch nicht bestritten werden, daß es der Finanzminister war, der den Steuerschätzern diese unrealistische Zahl aufgezwungen hat, damit sie ihm im nächsten Jahr Steuereinnahmen errechnen, die dann allerdings nichts mit der Realität zu tun haben.
Wie wäre es denn, meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie endlich zur Kenntnis nähmen, daß die turbulenten Kursstürze auf den Aktienmärkten und der dramatische Verfall des Dollars doch nicht ohne Konsequenzen an Konjunktur und Beschäftigung in unserem Lande vorbeigehen werden? Das von Ihnen so hochgepriesene Gutachten des Sachverständigenrates hat Ihnen doch ins Stammbuch geschrieben, daß es im nächsten Jahre allenfalls 1,5 % reales Wachstum geben wird. Die OECD kommt zu demselben Ergebnis. Damit sind Ihre Erwartungen in bezug auf die Steuereinnahmen für das nächste Jahr auf Sand gebaut.
Sie wissen doch selbst, daß der von Ihnen zur Haushaltsfinanzierung eingesetzte Bundesbankgewinn in Höhe von 6 Milliarden DM angesichts des Dollarverfalls in dieser Höhe nicht zur Verfügung stehen wird. Sie halten die Neuschulden 1988 doch nur auf dem Papier unter 30 Milliarden DM.
Aber, meine Damen und Herren, was soll denn das eigentlich? Das sind doch nichts weiter als törichte Manipulationen, die die tatsächliche Lage der Bundesfinanzen überhaupt nicht widerspiegeln.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Bei der zweiten Lesung vor einem Jahr hat der Bundesminister der Finanzen als Antwort auf meine Ausführungen folgendes festgestellt — Originalton Stoltenberg —:
Unsere Finanzpolitik muß kalkulierbar und verläßlich sein und zugleich handlungsfähig sein,
um neuen Herausforderungen zu begegnen.
Weiterhin Originalton Dr. Stoltenberg:
Dazu gehören möglichst realistische Annahmen.
Sie haben sich damals, vor zwölf Monaten, nicht an diese Prinzipien gehalten, und für 1988 verletzen Sie diese eigentlich selbstverständlichen Vorgaben einer seriösen Finanzpolitik erneut.
Auch das Verhalten des Bundesfinanzministers beim Verkauf des Bundesanteils an der Volkswagen AG in den letzten Wochen hat doch für letzte Zweifler deutlich gemacht, daß es für den Finanzminister bei der Privatisierung von Bundesvermögen nicht um eine sinnvolle Neuordnung des Bundesbesitzes geht. Er will Kasse machen. Er verscherbelt die Perlen des Bundesvermögens ohne Rücksicht auf Verluste.

(Beifall bei der SPD)

Das kann sicherlich den Anstieg der hohen neuen Schulden des Herrn Stoltenberg im Jahre 1988 noch einmal bremsen. Aber was macht er, wenn alles verkauft ist?

(Heiterkeit bei der SPD)

„Nach uns die Sintflut" heißt ganz augenscheinlich die Parole.

(Glos [CDU/CSU]: Das müssen ausgerechnet Sie sagen, Herr Apel! Der Schulden-Apel!)

Nun wird die politische Grundstruktur des Finanzministers sichtbar. Als ihm riesenhafte Bundesbankgewinne — in fünf Jahren 55 Milliarden DM — ohne eigenes Zutun in den Schoß fielen, hat er sich als Konsolidierer feiern lassen. Als die Zinsen weltweit schnell zurückgingen, stellte er das ebenso als Verdienst seiner Politik dar wie auch die weltweite Beruhigung der Preise. Nun aber sind die Zeiten des schönen Wetters vorüber.

(Glos [CDU/CSU]: Der Herbst ist da!)

Die Bundesbankgewinne gehen schnell zurück, die Haushaltsdefizite wachsen schnell, die Zinsen sind real viel zu hoch, die Preise beginnen wieder zu steigen, ein neuer Schub von Massenarbeitslosigkeit steht uns bevor.



Dr. Apel
Nun wäre es die Pflicht des Finanzministers, politische Verantwortung zu übernehmen, klare finanzpolitische Vorgaben zu machen,

(Glos [CDU/CSU]: Wie Sie das immer gemacht haben! Ja?)

zu handeln. Er dagegen spricht nur — und ich zitiere ihn wörtlich — von seiner Bereitschaft, höhere Defizite passiv hinzunehmen.

(Dr. Vogel [SPD]: Aha!)

Ist das alles, was wir von Ihnen, Herr Dr. Stoltenberg, angesichts der wachsenden Probleme zu erwarten haben? Es ist eben nicht damit getan, daß Sie von den USA einen Abbau der Defizite fordern und sich nun nach eindeutig unzureichender Aktion in Amerika augenscheinlich erleichtert zurücklehnen.
Damit wir uns nicht mißverstehen: Natürlich waren und sind das amerikanische Haushaltsdefizit, die amerikanische Haushalts- und Finanzpolitik die wesentliche Quelle und Ursache für die weltweiten Turbulenzen und Gefahren. Nur darf dabei nicht übersehen werden, daß die Bundesrepublik über Jahre Nutznießer dieser verfehlten Politik gewesen ist. Ohne sie hätte es nicht einen Exportboom in unserem Lande gegeben, der unserem Land und seinen Arbeitnehmern Beschäftigung gegeben hat. Es war nicht das Ergebnis der deutschen Politik, es waren die Fehler der USA, von denen wir jahrelang profitiert haben. Ohne sie hätten wir heute bereits viele Arbeitslose mehr, wäre die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik der Koalition für jedermann noch schneller und dramatischer sichtbar geworden.
Sie haben die Chancen der letzten Jahre nicht genutzt, mehr für die Stärkung der binnenwirtschaftlichen Nachfrage zu tun. Sie von der Koalition haben einseitig auf die Stärkung der Unternehmensgewinne gesetzt, ohne daß die privaten Investitionen dadurch wesentlich gesteigert wurden. Die notwendige Steigerung der Binnennachfrage haben Sie durch Ihre Umverteilungspolitik, insbesondere durch Ihre ungerechte Steuerpolitik verhindert. Die öffentlichen Investitionen haben Sie verkommen lassen, die wachsende Massenarbeitslosigkeit haben Sie achselzukkend hingenommen.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Er hat keine neuen Ideen mehr!)

Jetzt wächst der Druck aus dem Ausland auf Sie, und, Herr Kollege Dregger, auch der Druck aus den eigenen Reihen wächst. Die Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft — einzelne ihrer Vertreter befinden sich ja hier in Ihren Reihen im Plenum — hat doch von Ihnen eine Kurskorrektur gefordert: mehr öffentliche Investitionen, den energischen Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit, soziale Gerechtigkeit. Die Kollegen, Herr Dr. Stoltenberg, fordern von Ihnen eine Antwort. Sie aber weichen aus.
Graf Lambsdorff hat die Forderungen der Arbeitnehmer in der CDU als SPD-Politik de luxe bezeichnet. Doch uns interessieren nicht die Ausführungen eines einzelnen Herrn vom niederen Adel.

(Dr. Rose [CDU/CSU]: Sie sind von niedrigem Niveau! — Kolb [CDU/CSU]: Sind Sie vom hohen Adel? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Unser Land will wissen, was der Finanzminister tun will, um den drohenden Gefahren, in denen wir uns befinden, zu begegnen.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

Der Finanzminister kann handeln, der Finanzminister kann seine Politik verändern. Schließlich trägt der Finanzminister die Verantwortung dafür, daß die Investitionen des Bundes Jahr für Jahr zurückgehen und in den nächsten Jahren weiter verfallen. Es ist der Finanzminister, der den Gemeinden in den nächsten Jahren fast 1 Milliarde DM für kommunale Verkehrsinvestitionen wegnimmt. Es ist der Finanzminister, der durch seine Steuerpolitik die Investitionskraft der Gemeinden schwächt.
Der Deutsche Städtetag hat — auch mit den Stimmen der Bürgermeister und Oberbürgermeister der Union — am 12. November 1987 folgendes festgestellt — ich zitiere — :
Auf Grund der Steuerpolitik der Bundesregierung ist ein erneuter Rückgang der kommunalen Investitionen unvermeidlich.
Wir, die Opposition — aber ich denke, auch die öffentliche Meinung — , fragen uns: Warum hält der Finanzminister eigentlich an den falschen Zahlen für den Haushalt 1988 und vor allem an der fehlerhaften mittelfristigen Finanzplanung fest?

(Becker [Nienberge] [SPD]: Der steht ganz allein, weil kein Regierungsmitglied außer ihm da ist! Das ist ganz erklärlich! Ich denke, der Finanzminister und diese Koalition halten nur deswegen an den falschen Zahlen fest, weil nur diese falschen Zahlen die heile Welt des Gerhard Stoltenberg und dieser Koalition vortäuschen können und die Rechtfertigung dafür liefern, warum die Bundesregierung ihre Steuerund Finanzpolitik nicht korrigiert und den tatsächlichen Herausforderungen der Weltwirtschaft und der wachsenden Arbeitslosigkeit in unserem Lande anpaßt. Auch in der Finanzpolitik, meine Damen und Herren von der Koalition, haben Lügen kurze Beine. Wem wollen Sie eigentlich weismachen, daß Sie 1988 mit 29,5 Milliarden DM neuen Schulden auskommen — nicht mehr als 1987 — , obwohl die Lohnund die Einkommensteuer um 14 Milliarden DM gesenkt werden und außerdem bereits heute erkennbare riesige Haushaltslöcher klaffen, die mindestens 4 Milliarden DM ausmachen, von den Bundesbankgewinnen und der schlaffen Konjunktur gar nicht zu sprechen? Wem wollen Sie eigentlich weismachen, daß Sie 1990 mit 30,9 Milliarden DM neuen Schulden ausDr. Apel kommen, obwohl Sie dann die Steuern erneut netto um 20 Milliarden DM senken wollen und bereits heute durch Sie beschlossene Mehrbelastungen für 1990 in einer Größenordnung von 6 Milliarden DM feststehen, von den Problemen einer rückläufigen Konjunktur und ihren Auswirkungen auf die Steuereinnahmen gar nicht zu reden? Deshalb fordern wir Sie auf: Stellen Sie endlich ungeschminkt die Lage unserer Staatsfinanzen dar, damit wir beurteilen können, welchen finanziellen Spielraum Bund, Länder und Gemeinden haben, um der drohenden wirtschaftlichen Entwicklung zu begegnen. Kommen Sie uns, Herr Kollege Stoltenberg, bitte nicht mit der Parole, die von Ihnen zu verantwortende Staatsverschuldung sei angesichts der nationalen und internationalen Konjunkturlage geboten. Wir sagen Ihnen: Nur Schuldenmachen — das ist die Konsequenz Ihrer Politik — hat mit aktiver Konjunkturpolitik a priori erst einmal überhaupt nichts zu tun. (Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: Haben Sie das inzwischen gemerkt? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)





(Dr. Spöri [SPD]: Das ist die berühmte Selbstfinanzierung!)

Schuldenmachen allein ist eben noch keine Konjunkturpolitik. Sie verschleudern viele Milliarden für Ihre ungerechte Steuer- und Finanzpolitik. Sie schlagen dadurch die Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden leck, ohne konjunkturell viel zu bewegen. Sie verspielen den finanziellen Handlungsspielraum, den wir konjunkturell dringend brauchen werden.
Meine Damen und Herren von der Koalition, hören Sie endlich auf, in der Steuerpolitik die Wahrheit nur in Raten zu sagen. Vor den Landtagswahlen dieses Jahres haben Sie den Bürgerinnen und Bürgern nur die Entlastungsseite Ihres Steuerpakets 1990 gezeigt. Die war bereits ungerecht genug. Nach den Landtagswahlen haben Sie die Finanzierungsbeschlüsse gefaßt. Die haben die soziale Schieflage Ihres Steuerpakets weiter verstärkt. Jetzt wollen Sie die Mineralölsteuer und die Tabaksteuer erst nach den nächsten Wahlterminen erhöhen.
Franz Josef Strauß hat doch bereits die nächste Katze aus dem Sack gelassen. Laut Pressemeldungen hat er am 2. November erklärt: Die Mehrwertsteuererhöhung kommt, unter anderem zur Finanzierung der Ausgaben für die Landesverteidigung und die Landwirtschaft.

(Dr. Rose [CDU/CSU]: „Unter anderem" sagt er nicht!)

Ich sage Ihnen: Ihre Steuerpolitik besticht nur durch eins, durch eine kaum noch zu überbietende Ungerechtigkeit.

(Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: Begründen! Was lehnen Sie ab? — Glos [CDU/CSU]: Roß und Reiter nennen!)

Die konjunkturellen Folgen Ihrer Steuerpolitik sind verheerend. Von der dringend gebotenen Stärkung der Binnennachfrage kaum eine Spur. Selbst die Sachverständigen kommen doch — wenn Sie dieses Gutachten einmal genau lesen, merken Sie das — zu dem Ergebnis, zu dem auch wir kommen. Ihnen fehlt ganz offensichtlich ein geschlossenes und erfolgversprechendes steuer- und finanzpolitisches Konzept

(Kolb [CDU/CSU]: Das Sie wohl immer hatten?)

zur Stärkung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung.
Herr Kollege Dr. Stoltenberg, wagen Sie eigentlich immer noch, unsere Kritik an Ihrer Steuerpolitik als Schwindeleien zu bezeichnen?

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Ja, so ist es! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Oder, Herr Kollege Dregger, wäre es nicht an der Zeit, daß Sie Ihre Schwindeleien einstellen? Die Wähler beeindrucken Sie damit sowieso nicht mehr.

(Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: Sie müssen sagen, was Sie eigentlich wollen!)

Nun reden wir einfach über die Tatsachen.

(Glos [CDU/CSU]: Das wäre etwas Neues bei Ihnen! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

Die Tatsachen sind die folgenden.
Tatsache Nummer 1: Sie haben eine Steuersenkung versprochen, bei der jeder 1 000 DM mehr in der Tasche behält.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Am 4. November 1987 hat sich allerdings der Bundesminister der Finanzen vorsichtig selbst zurückgenommen. Er hat am 4. November wörtlich gesagt, daß die Steuerreform, abgesehen von ganz wenigen Ausnahmefällen, für die Steuerzahler unter dem Strich insgesamt eine Entlastung bringt. Da wird er schon vorsichtiger. Aber selbst diese Aussage ist falsch. Bei Hunderttausenden von Arbeitnehmern

(Zuruf von der CDU/CSU: 500 000 zahlen keine Steuern mehr! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

in den Druckereien, in der Automobilindustrie, in den Berufsgruppen, in denen zum Wohl der Allgemeinheit nachts, an Feiertagen und an Sonntagen gearbeitet werden muß, wird unter dem Strich weniger herauskommen, und die große Mehrheit der Arbeitnehmer finden Sie mit einem Trinkgeld ab,

(Hinsken [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

das Sie durch weitere Steuererhöhungen verringern werden.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Tatsache Nummer 2: Im Rahmen der Steuersenkung zum 1. Januar 1988 — die steht bereits im Gesetzblatt — mit einem Volumen von 14 Milliarden DM



Dr. Apel
geben Sie dem verheirateten Durchschnittsverdiener mit einem Monatsgehalt von immerhin 3 300 DM 8 DM Steuerentlastung im Monat, 96 DM für das ganze Jahr. Dem Spitzenverdiener mit 25 000 DM Monatseinkommen geben Sie Steuererleichterungen in Höhe von 519 DM im Monat, 6 228 DM für das ganze Jahr.

(Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Tatsachenverdreher! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

Das ist das 66fache. Das verstehen Sie unter Steuergerechtigkeit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Im übrigen: Glauben Sie doch ja nicht, daß von dieser Steuersenkung in Höhe von 14 Milliarden DM die konjunkturelle Wirkung ausgeht, von der Sie immer reden. Die Krankenversicherungsbeiträge steigen. Sie wollen die Mineralölsteuer und die Tabaksteuer erhöhen. Am Ende bleibt konjunkturell nichts nach. Sie täuschen sich selbst, Sie täuschen auch unsere Partner, wenn Sie von dieser Steuerpolitik konjunkturell irgend etwas erwarten.
Tatsache Nummer 3: Ab 1990 wird das eine Prozent Spitzenverdiener durchschnittlich eine Steuerentlastung in Höhe von 20 000 DM im Jahr erhalten. Das eine Prozent Spitzenverdiener bekommt insgesamt, in absoluten Zahlen gerechnet, eine ebenso hohe Steuerentlastung wie die untere Hälfte aller Steuerpflichtigen mit einer durchschnittlichen Steuerentlastung in Höhe von rund 400 DM im Jahr.

(Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört! — Kolb [CDU/ CSU]: Das ist eine abstruse Rechnung!)

Dabei haben wir, meine Damen und Herren, die massiven Steuererhöhungen, die Sie den Arbeitnehmern, Rentnern und Pensionären zumuten, noch gar nicht gegengerechnet.
Das ist der Grund dafür, daß wir sagen: Dieses Steuerpaket 1990 bringt konjunkturell nichts. Es zerschlägt die Finanzkraft der Länder und der Gemeinden und des Bundes. Deswegen ist auch ein Vorziehen dieses Steuerpakets ökonomisch sinnlos.
Tatsache Nummer 4: Die neue Arbeitnehmerpauschale soll verschleiern, daß entgegen Ihren eigenen Versprechungen Arbeitnehmerfreibetrag und Weihnachtsfreibetrag abgeschafft werden. Die Arbeitnehmer sollen das erst nach der nächsten Bundestagswahl merken, beim Weihnachtsgeld und beim Lohnsteuerjahresausgleich. Sie glauben, das hätten Sie besonders schlau eingefädelt. Ich sage Ihnen: Die Bürger fallen auf Ihre Schlaumeiereien nicht mehr herein.

(Beifall bei der SPD — Dr. Spöri [SPD]: Gott sei Dank!)

Tatsache Nummer 5: Sie haben entgegen früheren eigenen Festlegungen die Einführung der Quellensteuer auf Zinseinkünfte beschlossen. Sie nehmen dabei in Kauf, daß viele kleine Sparer, die nach dem
Gesetz eigentlich von der Steuer befreit werden sollen, aus Unwissenheit und Angst vor den Behörden dennoch die Quellensteuer zahlen.

(Glos [CDU/CSU]: Das ist ja Unfug! Erzählen Sie doch einmal, was Sie seinerzeit gewollt haben! — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Was ist denn das für ein Unsinn! — Dr. Spöri [SPD]: Sonst käme doch der Einnahmeeffekt von 3 Milliarden gar nicht zustande!)

Sie geben sich bei den Spitzenverdienern, die ihre Steuern hinterziehen, mit 10 % Steuern zufrieden, obwohl das geltende Recht 56 % Steuern verlangt. Da sagen wir nein.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104200200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID1104200300
Natürlich; ich habe ja noch 16 Minuten.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104200400
Zu einer Zwischenfrage der Abgeordnete Glos.

Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1104200500
Herr Kollege Apel, ich möchte Sie fragen, ob Sie bereit sind, darzulegen, was Sie 1982 vorhatten, in welcher Form Sie die Einführung der Quellensteuer geplant hatten,

(Widerspruch bei der SPD)

mit welchen Steuersätzen Sie dies geplant hatten und wie es nach Ihrer Planung mit den Kontrollmitteilungen, die an die Finanzämter hätten gehen sollen, ausgesehen hat.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID1104200600
Herr Abgeordneter, es hat in der Tat ein Sozialdemokrat solche Vorstellungen formuliert.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nur ein einziger war das?)

Diese Vorstellungen waren nicht die Meinung der sozialdemokratischen Fraktion und sind es nicht, denn wir

(Lachen bei der CDU/CSU)

— einen Augenblick, ich komme sofort zu unserer Position — lehnen diese ungerechte Quellensteuer, die Sie einführen wollen, entschieden ab.

(Zurufe von der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104200700
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Aufmerksamkeit für den Sprecher.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID1104200800
Nun können Sie, Herr Kollege, stehenbleiben oder sich wieder setzen — das ist egal —; ich fahre in meiner Rede fort und erkläre Ihnen, was unsere Position ist und wo wir uns unterscheiden. Wir lehnen die ungerechte Quellensteuer ab. Wir haben vorgeschlagen, Herr Kollege Gloss — —

(Glos [CDU/CSU]: Glos mit gedehntem o! Sonst sage ich „Herr Appel" zu Ihnen!)




Dr. Apel
— Ist in Ordnung, Sie können zu mir sogar „Herr Apfel" sagen, solange Sie nicht zu mir „Herr Birne" sagen; da wäre ich beleidigt!

(Lebhafter Beifall bei der SPD — Heiterkeit bei allen Fraktionen — Frau Matthäus-Maier [SPD]: 1 : 0! — Dr. Spart [SPD]: Sehr gut! Niederschlag in der zweiten Runde!)

Meine Damen und Herren, wir lehnen die ungerechte Quellensteuer ab, und wir wollen Ihnen sagen, Herr Glos,

(Zuruf von der CDU/CSU: Er ist lernfähig!)

was wir vorschlagen. Wir schlagen vor, die Sparerfreibeträge zu verzehnfachen, so daß Zinsen auf Sparvermögen bis etwa 100 000 DM völlig steuerfrei sind. Sie dagegen haben das abgelehnt, weil Sie auf die Spargroschen der kleinen Leute nicht verzichten wollen.
Wir haben vorgeschlagen, durch ein Mitteilungsverfahren dafür zu sorgen, daß die Erträge hoher Kapitalvermögen endlich nach Recht und Gesetz versteuert werden.

(Beifall bei der SPD — Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Also doch das gläserne Sparbuch!)

Auch das hat die Bundesregierung abgelehnt. Sie nimmt bei hohen Kapitalerträgen die Steuerhinterziehung weiterhin bewußt in Kauf.
Herr Kollege Dr. Stoltenberg, Sie haben einen Abbau von Steuervergünstigungen im Volumen von 18 Milliarden DM verkündet. In Wirklichkeit haben Sie nur rund 13 Milliarden DM an dauerhaften Mehreinnahmen zur Finanzierung Ihres Steuerpakets zustande gebracht. Vielleicht schauen Sie einmal in das Sachverständigengutachten hinein. Auch dieses sagt Ihnen, daß Sie hier manipulieren, daß Sie die 18 Milliarden nicht zusammenhaben.
Im übrigen haben wir Ihnen diesen Fehlbetrag vorgerechnet. Wir haben Sie dazu in schriftlichen parlamentarischen Anfragen immer wieder gefragt. Sie haben unsere Sorgen, daß dort etwas fehlt, wenn auch nur verklausuliert, bestätigt. Nur, Ihre offiziellen Berechnungen korrigieren Sie nicht. Denn dann würde ja sichtbar werden, daß sich die riesigen Finanzierungsprobleme von Bund, Ländern und Gemeinden weiter verschärfen.
Wo man auch hinschaut: Verdrehungen, Vernebelungen, Halbwahrheiten, Tricksereien und Schönfärberei. Vertrauen in die Steuer- und Finanzpolitik der Bundesregierung kann sich dabei überhaupt nicht einstellen.

(Beifall bei der SPD)

Sie täuschen sich, die deutsche Öffentlichkeit und unsere Partner in Europa und Amerika, wenn Sie von Ihrer Steuer- und Finanzpolitik eine Belebung unserer Konjunktur erwarten. Wir brauchen — darin sind wir uns sicherlich einig — dringend eine gemeinsame Anstrengung der wichtigsten Industrieländer der Erde, um zu einer Konjunkturstabilisierung zu kommen. Dazu, Herr Kollege Stoltenberg, brauchen wir keinen neuen Gipfel. Denn auf dem Weltwirtschaftsgipfel in
Venedig im Juni dieses Jahres haben ja bereits der Bundeskanzler, der Finanzminister und Herr Bangemann folgende Verpflichtung übernommen — ich zitiere aus dem Kommuniqué des Gipfels —:
Nun müssen wir die Probleme lösen, die trotzdem noch in einigen unserer Länder bestehen: außenwirtschaftliche Ungleichgewichte, die immer noch zu groß sind, unverändert große Arbeitslosigkeit, große staatliche Defizite, hohe reale Zinsen.
Die Situation hat sich inzwischen dramatisch verschärft. Deswegen fordern wir Sie auf: Handeln Sie endlich; hören Sie auf, Worthülsen und inhaltsleere Appelle an Dritte zu produzieren!

(Beifall bei der SPD)

Nur wenn nach den sicherlich unzureichenden und noch zu verbessernden Haushaltsbeschlüssen in den USA, in Japan, in Europa, vor allem aber in der Bundesrepublik ein Kurswechsel vollzogen wird, gibt es eine Chance, die schnell wachsenden Probleme nicht außer Kontrolle geraten zu lassen.
Unsere Arbeitslosigkeit ist doch heute bereits unerträglich hoch. Jeder vierte Arbeitsplatz in unserem Lande und ein Drittel unseres Sozialprodukts hängen vom Export ab. Keine der mit uns vergleichbaren Industrienationen ist gegenüber Störungen in der Weltwirtschaft in ihrem Wohlstand und in ihrer wirtschaftlichen Weiterentwicklung so verletzlich wie die Bundesrepublik Deutschland.
Deswegen fordern wir Sozialdemokraten einen Kurswechsel in der Finanz- und Steuerpolitik. Wir fordern ein Handeln der Bundesregierung in acht Punkten:
Erstens. Wir Sozialdemokraten sagen Ihnen: Wir brauchen eine breit angelegte Investitionsoffensive, d. h. eine nachhaltige Stärkung der privaten und öffentlichen Investitionen.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Ist gleich Steuerreform!)

Dabei müssen Bund, Länder und Gemeinden umgehend durchgeplante öffentliche Investitionen in Angriff nehmen. Sie müssen den finanzschwachen Ländern und Gemeinden bei dieser Finanzierung helfen.
Unser Programm „Arbeit und Umwelt" muß umgesetzt werden,

(Beifall bei der SPD)

weil es ohne zusätzliche Neuverschuldung der öffentlichen Kassen Umweltschutzinvestitionen in Höhe von 20 Milliarden DM jährlich finanziert und damit zusätzlich 400 000 Dauerarbeitsplätze schafft.

(Glos [CDU/CSU]: Zahlen Sie das alles aus der Parteikasse?)

Zweitens. Sie müssen aufhören, die Finanzkraft von Städten und Gemeinden zu schwächen. Im Gegenteil: Die Finanzkraft der Städte und Gemeinden muß gestärkt werden,

(Beifall bei der SPD)




Dr. Apel
weil Stärkung der Finanzkraft mehr Beschäftigung und mehr öffentliche Investitionen bedeutet.
Drittens. Die Koalition muß ihre ungerechten und vom Volumen her überzogenen Steuerpläne verändern. Wirksame Steuersenkungen müssen vor allem den Millionen von Normalverdienern zufließen. Auf die Erhöhung der Verbrauchsteuern muß verzichtet werden. Nur so kann die Binnennachfrage in unserem Lande und damit auch die private Investitionstätigkeit nachhaltig gestärkt werden.
Viertens. Zur Stärkung der Investitionskraft kleiner und mittlerer Unternehmen muß eine steuerfreie Investitionsrücklage eingeführt werden.

(Beifall bei der SPD)

Fünftens. Die Bundesregierung muß endlich ihre Blockade-Politik in Brüssel bei der Reform der EG-Agrarpolitik aufgeben.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen die Verschleuderung von vielen Milliarden DM Steuergeldern, die unseren Bauern überhaupt nicht helfen, aber eine Politik finanzieren, die die Weltmärkte mit Agrarüberschüssen verstopft und damit den traditionellen Agrarexporteuren, auch in der Dritten Welt, auch in Kanada, auch in den USA, Absatzchancen nimmt, beenden.
Sechstens. Bundesbank und Bundesregierung müssen mit allem Nachdruck — mit allem Nachdruck — die Verwirklichung der europäischen Währungsunion vorantreiben. Europa muß unabhängiger werden von den erratischen Schwankungen auf den Weltwährungsmärkten.

(Beifall bei der SPD)

Siebtens. Weitere Zinssenkungen, über das gestrige Maß hinaus, bei uns, abgestimmt mit unseren Partnern, sind dringend geboten, um die Turbulenzen der Wertpapiermärkte und den drohenden weiteren Verfall des Dollars zu stoppen und um den Investoren wieder Mut zu machen.
Achtens. Die Bundesregierung und unser Kreditgewerbe müssen ihre Zuschauerrolle bei der Eingrenzung und schrittweisen Lösung der Weltschuldenkrise aufgeben.

(Beifall bei der SPD)

Es genügt eben nicht, wenn der Sprecher der Deutschen Bank, Herr Herrhausen, seine Eintagsfliege vom teilweisen Schuldenerlaß fliegen läßt. Wir brauchen dringend deutsche' Antworten und international abgestimmte Ansätze zur Überwindung der Weltschuldenkrise.
Damit wir uns nicht mißverstehen: Wir sind nicht größenwahnsinnig.

(Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Was kosten denn diese acht Punkte?)

Wir wissen, daß am deutschen Wesen die Welt nicht genesen kann. Da müssen schon alle mittun, aber eben auch und vor allem wir. Und deswegen fordern wir Sie auf: Stellen Sie sich endlich den Problemen, deren Lösung jetzt nicht weiter aufgeschoben werden darf! Die Zeiten des schönen Wetters sind vorbei. Jetzt brauchen wir klare politische Vorgaben, Führung, Bereitschaft zur Lösung der wachsenden wirtschaftlichen Probleme unseres Landes und der Weltwirtschaft. Die Zeit der Gesundbeterei und der flotten Sprüche der Koalition muß im Interesse unseres Landes und unserer Bürger beendet werden.
Schönen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104200900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Carstens (Emstek).

(Abg. Becker [Nienberge] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Herr Abgeordneter, Sie können gerne Platz nehmen. Es ist noch ein Platz zur Verfügung.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Becker [Nienberge] [SPD]: Ich wollte eine Frage stellen!)

— Ich bitte, daß der Abgeordnete erst einmal mit seiner Rede beginnt.

(Becker [Nienberge] [SPD]: Aber er hat doch das Wort!)


Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1104201000
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen!

(Dr. Vogel [SPD]: Jetzt hat er angefangen! Jetzt geht es!)

— Ich darf ganz zu Beginn um Verständnis dafür bitten, daß ich Fragen, wenn, dann erst im Verlauf der Rede zulassen möchte, und ich bitte, daß sich die Fragesteller der Opposition bis dahin auch zur Ruhe setzen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, im Haushaltsausschuß und in den mitberatenden Ausschüssen die Beratungen beendet und diese Unterlagen als Ergebnisse dem Deutschen Bundestag zugeleitet. Ich meine mit Recht von diesen Beratungsergebnissen sagen zu dürfen, daß sie sehr respektabel sind; denn mit dem Bundeshaushalt 1988 wird der 1982 eingeschlagene Kurs solider Haushaltspolitik

(Lachen bei der SPD)

konsequent fortgesetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das herausragende Merkmal dieser Haushaltspolitik ist die strikte Ausgabenbegrenzung. Meine Damen und Herren, hierzu möchte ich erläuternd sagen, daß diese gewollte sparsame Haushaltsführung der öffentlichen Hand, insbesondere des Bundes, mit gewissen Ausnahmen aber auch der Länder und der Kommunen, letztlich die wesentliche Voraussetzung dafür gewesen ist, daß sich die Fakten und Daten der Wirtschaft heute wieder sehen lassen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Eine anhaltende wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung, stabiles Geld, moderate Zinsen, steigende Reallöhne und Realgewinne, steigende Realrenten, eine regelmäßige Senkung der Steuern bei begrenzter Schuldenneuaufnahme, das alles wäre nicht denkbar



Carstens (Emstek)

gewesen, wenn wir die Ausgaben nicht regelmäßig so begrenzt hätten, wie wir das getan haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wir haben in diesem Jahr die Unterlagen rechtzeitig zugeschickt und die Beratung im Plenum rechtzeitig aufnehmen können. Das ist mittlerweile seit 1983 im Deutschen Bundestag Tradition geworden.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das soll uns einmal einer nachmachen!)

Das gab es vorher so gut wie nie, höchst selten allemal. Auch das gehört zur Haushaltsklarheit

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sehr wahr!) und zur Haushaltswahrheit.

Ich möchte mich an dieser Stelle — ich tue das in aufrichtiger Weise — bei allen Kollegen im Haushaltsausschuß, die an den Beratungen teilgenommen haben, für die wirklich angenehme Zusammenarbeit ganz herzlich bedanken.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

So kontrovers die politischen Standpunkte auch sein mögen, die Mitglieder des Haushaltsausschusses haben sich davon auch in diesem Jahr nicht irritieren lassen. Der kollegiale Umgangston ist bei diesen oftmals schwierigen und langwierigen Verhandlungen einfach Voraussetzung dafür, daß man zu sachgerechten Ergebnissen kommt. Es ist mir geradezu ein Bedürfnis, mich namentlich insbesondere beim Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, beim Kollegen Rudi Walther, für seine faire Verhandlungsführung im Haushaltsausschuß zu bedanken.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, ich bedanke mich ebenso herzlich für die hervorragende Zuarbeit, die wir aus dem Bundesfinanzministerium erhalten haben. Ich bedanke mich insbesondere beim Bundesfinanzminister für die überaus vertrauensvolle Zusammenarbeit in den letzten Monaten und davor.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Lieber Gerhard Stoltenberg, Sie gestatten, daß ich einen Herrn aus Ihrem Hause zusätzlich mit Namen erwähne. Ich meine hier den Haushaltsdirektor Dr. Knott.

(Zuruf des Abg. Andres [SPD])

Er hat uns über Jahre zugearbeitet, wie es nicht besser sein kann. Ich erwähne ihn deswegen jetzt in dieser Debatte, weil das der letzte Bundeshaushalt gewesen ist, den er im Haushaltsausschuß zu betreuen hatte. Ich freue mich mit ihm, daß es uns gelungen ist, die Ausgabenzuwächse auf 2,4 % und die Neuverschuldung auf unter 30 Milliarden DM zu begrenzen. Herzlichen Dank, Herr Dr. Knott.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben darüber hinaus den Mitarbeitern im Haushaltssekretariat und in den Fraktionen und den
Beamten des Bundesrechnungshofes Dank zu sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wir haben es in der Tat schaffen können, die Ausgaben auf einen Zuwachs von 2,4 % zu begrenzen. Die Neuverschuldung haben wir auf 29,5 Milliarden DM begrenzen können. Diese beiden Daten lassen es zu, zu sagen: Die Bundesfinanzen sind weiterhin eindeutig unter Kontrolle. Nichts läuft aus dem Ruder.

(Abg. Becker [Nienberge] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104201100
Herr Abgeordneter Carstens, lassen Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Becker zu?

Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1104201200
Bitte sehr.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1104201300
Herr Kollege Carstens, freuen Sie sich mit mir, daß wir eine Reihe Parlamentarischer Staatssekretäre unter uns haben, und beklagen Sie gleichzeitig mit mir, daß sämtliche Ministerkollegen den Finanzminister ausgerechnet bei diesem Haushalt hier im Stich lassen, und würden Sie nicht mit mir wünschen, daß wenigstens noch ein paar Minister hier erscheinen?

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Glos [CDU/CSU])


Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1104201400
Es wäre wirklich zu empfehlen, daß noch einige Minister zusätzlich kommen, urn an der Debatte teilzunehmen; aber der Minister Gerhard Stoltenberg vertritt die Regierung auf ausgezeichnete Weise, und ich gehe davon aus, daß von den dort sitzenden Parlamentarischen Staatssekretären in Zukunft noch einige Minister werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die Finanzen sind unter Kontrolle, nichts läuft aus dem Ruder, und in diese Phase hinein kommt Hans Apel mit seinen Vorwürfen. Herr Kollege Apel, ich habe Ihnen von diesem Pult schon öfter sagen müssen, daß Sie mit Blick auf die Erfahrungen, die die Bevölkerung mit Ihnen in der Zeit gemacht hat, als Sie Bundesfinanzminister gewesen sind, wenig geeignet sind, auf vermeintliche Fehler und Versäumnisse dieser Bundesregierung hinzuweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn Sie von törichten Manipulationen und davon reden, daß Lügen kurze Beine haben, dann müssen Sie sich doch an sich selbst und an die 70er Jahre erinnern, in denen Sie regiert haben.

(Glos [CDU/CSU]: 20 cm sind seine Beine groß!)

Wenn Sie meinen, uns Vorschläge machen zu sollen, dann sind wir bereit zuzuhören; aber Sie sollten sich einmal überlegen, ob Sie nicht lieber Ihren Parteifreunden in Hamburg diesbezügliche Ratschläge geben sollten, die z. B. im Moment darüber beraten, ob



Carstens (Emstek)

es zur Konsolidierung deren Haushalts nicht notwendig ist, ihre eigene Finanzbehörde zu verkaufen.

(Kolb [CDU/CSU]: Das ist ein guter Beginn!)

Das Haus, in dem das Geld verwaltet wird, muß wahrscheinlich verkauft werden, um dort die Finanzen einigermaßen in Ordnung zu halten.
Herr Kollege Apel, Sie sollten sich auch mal überlegen, ob Sie sich nicht mit Ihrem Parteifreund Lafontaine wegen dessen Luxuskochs in der Landesvertretung im Saarland in Verbindung setzen sollten, der dort so bezahlt werden soll, wie ansonsten nur Ministerialräte bezahlt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch das sollte man einmal sagen und hier vorgetragen haben.
Noch eines, Herr Kollege Apel: Da Sie in Ihrer Rede davon gesprochen haben, daß Gerhard Stoltenberg erneut die Steuern erhöhen muß, frage ich Sie, wo er bislang überhaupt die Steuern erhöht hat. Bislang haben wir die Steuern doch immer gesenkt, und Sie sind es doch gewesen, der ständig die Steuern erhöht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Spöri [SPD]: Das ist ja wohl das letzte!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104201500
Herr Abgeordneter Carstens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Apel?

Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1104201600
Bitte sehr.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID1104201700
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie in der letzten Legislaturperiode bereits einmal die Mehrwertsteuer angehoben haben, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die vielfältigen Belastungen, die Sie den Arbeitnehmern im Zusammenhang mit der Finanzierung des Steuerpakets 1990 zumuten, für diese Steuererhöhungen sind, weil Sie berechtigte Steuervorteile wegstreichen?

(Kolb [CDU/CSU]: Dafür braucht der Lafontaine den Koch!)


Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1104201800
Beim ersten Teil Ihrer Frage muß ich Ihnen zustimmen, weil das eine Tatsache ist. Beim zweiten Teil stimme ich Ihnen in keinster Weise zu; denn wir entlasten auf vielfältige Weise, in einem viel größeren Maße, als wir bei dem Kompensationspaket gegenrechnen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Für fast alle Steuerzahler wird eine erhebliche Entlastung übrigbleiben, vor allen Dingen auch für die Arbeitnehmer in unserem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Müller [Schweinfurt] [SPD]: 1 000 DM? — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: 2 000 DM, Herr Kollege! — Dr. Vogel [SPD]: Bitte ins Protokoll: CDU: 2 000 DM für jeden! Zitierfähig! — Weitere Zurufe von der SPD)

Die Voraussetzung für diese Politik ist gewesen, daß wir über Jahre hinweg sehr sparsam mit den Steuergroschen der Bürger umgegangen sind. Wir haben in den ersten vier Jahren im Jahresdurchschnitt eine Ausgabensteigerung von jeweils 1,7 % gehabt, im Jahre 1987 haben wir wahrscheinlich eine Steigerung von gut 2 %. Selbst wenn man das Jahr 1988 mit der vorgesehenen Steigerungsrate hinzurechnet, wird sich in den sechs Jahren von 1983 bis 1988 eine durchschnittliche Ausgabensteigerung von um 2 % ergeben.
Noch solider, noch sparsamer und sorgsamer kann man einfach mit dem Geld der Steuerzahler nicht umgehen, und das ist Marke Stoltenberg, Marke CDU/CSU und FDP.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese Politik wird fortgesetzt. Daß wir in diesem Jahr zu dem Ergebnis kommen würden, damit haben die meisten Experten in den letzten Wochen kaum gerechnet. Obwohl wir noch einige zusätzliche Ausgaben unterbringen mußten, für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz z. B., zusätzliche Mittel für die Städtebauförderung, z. B. für die Stiftung „Mutter und Kind", z. B. Begrüßungsgeld für DDR-Besucher. Das alles ist in diese Steigerungsrate von 2,4 % mit hineingenommen worden, auch noch das Geld für benachteiligte Gebiete in der Landwirtschaft, der wir nun zusätzliche Mittel und Gelder zukommen lassen können.
Wir haben in den Koalitionsfraktionen immer die politische Mehrheit gehabt für das, was hinzukommen mußte, und für das, was wir auf der anderen Seite einsparen mußten, im Rahmen der Beträge, die wir angesetzt haben. Das hat gezeigt, daß wir eine großartige, partnerschaftliche Zusammenarbeit innerhalb der CDU/CSU gehabt haben, aber auch mit der FDP, wofür ich mich insbesondere beim Kollegen Dr. Weng ganz herzlich bedanken möchte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir haben beim staatlichen Eigenverbrauch gespart. Wir haben keinem Bürger etwas von dem genommen, was er an Anspruch hatte. Wir haben, wie gesagt, in verschiedenen Fällen noch etwas dazugelegt. Beim staatlichen Eigenverbrauch haben wir gespart, und da ist die Einsparung auch am besten untergebracht. Wir haben z. B. beschlossen, daß im Jahre 1988 bei den Ministerien ein Prozent der Stellen eingespart werden müssen — ein Prozent, auf je hundert eine Stelle! Das kann geschafft werden, und das muß geschafft werden.
In einer Zeit, in der die Staatsquote, der Staatsanteil, zurückgeht, in einer Zeit, in der die Bevölkerung in unserem Lande abnimmt, kann es nicht angehen, daß der Anteil der Bediensteten im öffentlichen Dienst ansteigt. Das muß in etwa angepaßt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben bei den sächlichen Verwaltungsausgaben in den Ministerien gekürzt, jeweils um 3 %. Das erbringt auf ein Jahr gerechnet 340 Millionen DM.
Wir haben auch etwas beim Bundesverteidigungsminister gekürzt,

(Zurufe von der SPD: Etwas?)




Carstens (Emstek)

runde 200 Millionen DM zu den eben genannten Beträgen. Das waren zum Teil Auswirkungen des gesunkenen Dollarkurses — es gibt viele Beschaffungsvorhaben, die auf Dollarbasis abgerechnet werden — und sonstiger Einzelheiten, die es nicht lohnt, hier im Bundestag vorzutragen.
Die für 1988 eingestellten Mittel reichen aber aus, um das, was zur Beschaffung vorgesehen ist, auch zu beschaffen. Mehr wird von uns halt nicht eingestellt, damit auf keinem Gebiet mehr ausgegeben wird, als nötig und gut ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben des weiteren eine globale Minderausgabe in Höhe von 400 Millionen DM ausgebracht, um darüber die in den letzten Tagen geschätzte rückläufige Steuereinnahme aufzufangen. Nun hat sich die SPD darüber mokiert; ich verstehe das gar nicht. Ich bin gerne bereit, zu sagen, daß wir eine globale Minderausgabe nie gerne gesehen haben. Aber die entscheidende Frage ist, wie hoch sie ist und ob sie im Verlauf des Jahres auch wirlich eingebracht werden kann. Im Gegensatz zur SPD, die damals über ein Prozent des Haushaltsvolumens als globale Minderausgabe ausgewiesen hatte, was mit Haushaltswahrheit und -klarheit nichts mehr zu tun hat, liegt der von uns ausgewiesene Betrag im Promillebereich, nämlich bei 1,5 Promille. Das ist in Ordnung, das kann erbracht werden. Ich bin sicher, daß der Finanzminister Weihnachten 1988 diesen Betrag in Einzelheit vorlegen wird.
Wir haben also einen Zuwachs von 6,5 Milliarden DM gehabt — das sind diese 2,4 %. Wenn das Geld stabil ist, wenn man kaum eine inflationäre Entwicklung hat, sind 6,5 Milliarden DM zusätzlich eine ganze Menge; dann kann man damit etwas machen, bei 2,4 % fast ohne Geldentwertung viel mehr als bei 4 %, 5 % Mehrausgaben und 6 % oder 7 % Inflationsrate.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß wir nennenswerte Risiken auf der Ausgabenseite haben. Ich bin sicher, daß wir mit diesen 2,4 % plus hinkommen werden. Ich bin davon überzeugt.
Gewisse Risiken auf der Einnahmeseite kann man nicht ausschließen; das muß hier deutlich erklärt werden, das habe ich auch schon vor drei, vier Wochen an dieser Stelle getan. Das steht auch im Zusammenhang mit den Vorwürfen, die der Kollege Apel hier mit Blick auf den Haushalt 1987 vortrug. Bei den Ausgaben werden wir auch dort keine Überraschungen erleben. Die haben wir auch 1987 fest im Griff. Wenn aber die Währung stabiler ist, als man angenommen hat, wenn nicht zuletzt darüber weniger Steuern hereinkommen — das waren im Jahre 1987 4 Milliarden DM — , dann ist es ganz zwangsläufig so, daß um diese Summe im Verlauf des Jahres die Neuverschuldung ansteigt. Da wir aus bekannten Gründen das VW-Paket im Jahre 1987 nicht privatisiert haben, ist es ganz verständlich, daß 1,5 bis 2 Milliarden DM darüber weniger hereinkommen. Das ist aber bewußt so gemacht worden,

(Lachen bei der SPD)

weil die Lage es erforderte, nicht auf Grund unseres Verhaltens, sondern auf Grund von Entwicklungen, die nicht wir zu vertreten haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Derlei Risiken gibt es natürlich auch im Jahre 1988. Wenn jetzt jemand behaupten wollte, er wisse genau, welcher Bundesbankgewinn hereinkommt, der kann nicht ernstgenommen werden.

(Abg. Kühbacher [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104201900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1104202000
Nein, jetzt nicht mehr.
Wenn jemand behauptet, er wisse genau, welche Steuern im Jahre 1988 hereinkommen, der kann nicht ernstgenommen werden. Insofern müssen wir hier erklären, daß dann — das ist immer so gewesen und wird auch immer so sein, wer auch immer regiert —, wenn sich bei diesen Positionen Mindereinnahmen ergeben, die Deckung über eine erhöhte Neuverschuldung in Kauf zu nehmen sein wird. So ist unsere Ausdrucksweise. Das streben wir nicht an. Wir gehen gar nicht davon aus, daß das eintritt.

(Dr. Vogel [SPD]: Schreiben Sie es doch rein! — Poß [SPD]: Dann setzen Sie doch realistische Zahlen ein und türken nicht so viel!)

Wenn es aber so passierte, wäre unsere Reaktion entsprechend, wie ich es hier gesagt habe.
Etwas anderes ist es bei der EG-Finanzierung. Auch das ist in deutschen Landen bekannt. Da geht es nicht um Geheimnistuerei, da geht es nicht um Versteckspielen.

(Zuruf von der SPD: Doch, doch!)

Da sagen wir: Sobald feststeht, welche Anforderungen seitens der EG auf uns zukommen, fordern wir die Bundesregierung auf, dem Deutschen Bundestag eine Vorlage zuzuleiten, die darüber Auskunft zu geben hat, wie die Finanzierung dieser erhöhten EG-Abführungen erfolgen soll. Wir gehen weiter davon aus, daß die entsprechende Handhabung hierfür in den Koalitionsvereinbarungen von Anfang 1987 zu finden ist.

(Dr. Spöri [SPD]: Hört! Hört! Verbrauchsteuererhöhung! — Dr. Apel [SPD]: Wieviel steht denn da drin? Sagen Sie das doch einmal den Wählern!)

Keine Geheimnistuerei, eine klare Aussage, so wie die Bürger das von uns gewohnt sind.
Wenn ich soeben gesagt habe, daß wir uns gar nicht darauf einstellen, weniger Steuereinnahmen oder einen niedrigeren Bundesbankgewinn als 6 Milliarden DM für das nächste Jahr zu bekommen,

(Dr. Vogel [SPD]: Das ist doch Wunschdenken!)

dann gehen wir davon aus, daß die echten Fakten, daß
die echten wirtschaftlichen Daten relativ stabil sind,
stabiler, als sie zuvor in der Nachkriegsgeschichte



Carstens (Emstek)

weltweit meist gewesen sind. Wir haben überhaupt keine Veranlassung, uns nervös machen zu lassen.

(Dr. Apel [SPD]: Nein, nein!)

Wir sollten uns überhaupt nicht auf das einstellen, was Devisen- und Börsengurus zum Besten geben, die schon seit Jahren dabei sind, einen Crash herbeizureden, die schon fast verdrießlich reagieren, daß sie ihre Aussagen immer wiederholen müssen.

(Dr. Vogel [SPD]: Wer sind denn diese Devisengurus?)

Soeben kommen von Amerika die Daten herüber, daß im dritten Quartal eine reale Entwicklung von 4,1 % im Jahresvergleich stattgefunden hat. Auch hier bei uns prognostiziert man für die zukünftigen Monate und für das nächste Jahr eine weitere wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung. Wie wäre es eigentlich mit dem Vorschlag, diese vermeintlich bedeutenden Börsengurus einmal einzuladen — vielleicht sogar auf Staatskosten — , an einem x-beliebigen Ort der Welt für ein Jahr Urlaub zu machen unter der Bedingung, daß es dort keine Telefonleitungen und Telefonanschlüsse gibt.

(Dr. Spöri [SPD]: Was soll denn das? — Dr. Vogel [SPD]: Denken Sie doch einmal nach!)

Dann hätten wir die Möglichkeit, uns auf das einzustellen, was wirklich ist, auf Fakten und nicht auf Spekulationen.

(Poß [SPD]: Es ist aber neu, daß Sie etwas gegen Spekulationen haben!)

Nun soll niemand annehmen, daß ich den Eindruck vermitteln wollte, wir würden die weltweiten Entwicklungen nicht ernst nehmen. Natürlich nehmen wir diese weltweiten Entwicklungen ernst. Wir beobachten genau, was sich vollzieht.

(Dr. Vogel [SPD]: Meinen Sie Herrn Baker?)

Wir stehen in internationalen Absprachen. Die Steuerentlastungen, die 1988 wirksam werden, die Steuerentlastungen, die für 1990 angekündigt sind, werden ihren Beitrag dazu leisten, daß auch die Bundesrepublik Deutschland dazu beiträgt, daß es in der Welt weiter aufwärts gehen kann, insbesondere auch durch die Impulse, die aus unserem Lande kommen. Wenn wir das beherzigen, können wir die Zuversicht haben, daß wir die Turbulenzen, die es zur Zeit weltweit leider gibt, gemeinsam in den Griff bekommen können. Das ist natürlich die Voraussetzung dafür, daß wir auch in Zukunft eine gedeihliche Entwicklung haben.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104202100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Spöri?

Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1104202200
Ich sage Ihnen: Unsere Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik, worüber wir hier beraten, ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, daß es weiter Stabilität und Wohlstandsmehrung, zumindest in weiten Teilen der Welt, geben kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese Politik werden wir fortsetzen, diese Politik der strikten Ausgabenbegrenzung, des Erschließens von weiteren Freiräumen für die private Seite, die die Voraussetzung dafür ist, daß wir in Deutschland weiterhin Erfolg haben: für die Arbeitnehmer, für die Arbeitgeber, für die Rentner, für die Frauen, für die Männer, für jung und alt.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Spöri [SPD]: Bravo! — Zurufe von der SPD: Zugabe! — Dr. Vogel [SPD]: Auf die Insel! Das war eine tolle Rede!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104202300
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Vennegerts.

Christa Vennegerts (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104202400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war schon eine kleine Meisterleistung, wie Herr Seiters gestern versuchte, eine Stoltenberg-Rehabilitationsrede zu halten: zur Rehabilitation in Sachen Steuer- und Finanzpolitik, aber auch zur Rehabilitation als Landesvorsitzender der CDU Schleswig-Holsteins. Ich finde diese Verteidigungspolitik eher peinlich und dem Ruf des Herrn Stoltenberg weiter abträglich. Leider ist Herr Seiters heute nicht da. Er hat wohl gestern schon seine Pflicht getan. Er darf heute freinehmen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Aber die Presseberichte über seine Rede sind hervorragend!)

— Ach, seien Sie jetzt mal still!

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN)

Im Brustton der Überzeugung verkündete der neue Haushaltsexperte — ich vermute, das ist jetzt bei Ihnen der Herr Seiters — : Dieser Haushalt bietet ein zuverlässiges Bild, und Sachverständige geben der Regierung recht.

(Kolb [CDU/CSU]: Sehr richtig! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Eine der besten Reden, die je gehalten worden sind!)

Diese Selbstgerechtigkeit ist fast unerträglich, sind die Risiken, die dieser Haushalt enthält, doch hinlänglich bekannt.
Herr Kollege Carstens, es war fast ein Bild des Erbarmens für mich, Sie hier — sonst schätze ich Sie sehr — zu sehen: In einer Zeit der Wirtschaftskrise, der Krisen insgesamt

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Nein! Der Krise der GRÜNEN! Die Krise ist bei den GRÜNEN!)

stellen Sie sich hier nach dem Motto hin:

(Dr. Vogel [SPD]: Die Gurus ins Lager!)

Der Haushalt ist in Ordnung; Augen zu und durch; am Schluß wird schon wieder alles in Ordnung sein; Sand in die Augen streuen; glaubt nur alle an uns; dann wird es schon gutgehen. — Es war wirklich unheimlich: unheimlich dünn.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Dr. Spöri [SPD]: Infantil war es! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Es ist Ihre Krise, von der Sie reden!)




Frau Vennegerts
Da halte ich mich doch lieber an Kurt Tucholsky als an Sie. Er hat nämlich einmal gesagt, die Nationalökonomie sei die Metaphysik des Pokerspielers. Dieser Satz, den er nach dem Börsenkrach von 1929 geschrieben hat, ist wert, unter dem Eindruck des Börsenkrachs von 1987 in Erinnerung gerufen zu werden.

(Austermann [CDU/CSU]: Was haben Sie eigentlich studiert!)

— Ich glaube, jeder von uns, Herr Austermann, jede Partei und jede Regierung, gleich welcher politischen Couleur, muß sich mit dem schwierigen Problem auseinandersetzen, daß die Daten ökonomischer Entwicklung nicht 100 %ig prognostizierbar sind und die Effekte wirtschaftspolitischer Programme nicht bis in alle Einzelheiten durchkalkulierbar sind.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das ist der einzige richtige Satz, den Sie bisher gesagt haben!)

Deshalb kann man nicht so tun, als wäre alles in Ordnung. Die Probleme wachsen nur dann ins Unerträgliche, wenn man, wie es die Regierung in den letzten Wochen, Monaten und Jahren praktiziert hat, die Metaphysik als bare Münze verkauft und auf ihrer Grundlage Programme wie die Steuerreform verabschiedet, deren Effekte auf die nationale und die internationale Wirtschaftsentwicklung völlig unberechnenbar sind.
Was für eine Rolle spielt es eigentlich, ob die Steuerreform ein Jahr früher oder ein Jahr später durchgezogen wird, wenn sie sich auf der Grundlage eines Datenbündels bewegt, das nicht nur halbjährlich, sondern inzwischen sogar wöchentlich von den Ereignissen überrollt wird? Das müssen Sie sich fragen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Im Mai 1987 prognostizierte die Steuerschätzkommission ein Wachstum des Bruttosozialprodukts von 2,5 %. Mitte November sank diese Zahl im Herbstgutachten der Forschungsinstitute auf 2,2 %. Inzwischen hat der Sachverständigenrat die Erwartung auf 1,5 % korrigiert.
Die Steuereinnahmeprognosen, die das Fundament nicht nur für die Finanzplanung des Haushalts 1988, sondern bis 1991 darstellen sollen, wurden gegenüber den Vorhersagen im Mai im November dieses Jahres korrigiert; die Steuereinnahmen wurden letztendlich um 2,1 Milliarden DM niedriger geschätzt.
Ich möchte an dieser Stelle gar nicht die ganze Liste von Unwägbarkeiten und bösen Überraschungen aufzählen, die Kursverfall und Wirtschaftskrise uns für den vorliegenden Haushaltsentwurf und für folgende Haushaltsentwürfe noch bescheren werden. Ich kann es mir aber nicht verkneifen, zu erwähnen, daß z. B. jeder Pfennig, um den der Dollar sinkt, eine halbe Milliarde DM Verlust an Bundesbankgewinnen zur Folge hat.

(Glos [CDU/CSU]: Na sowas!)

— Ja, ich weiß, das interessiert Sie nicht. Ihr Haushalt mußte letztendlich unter dem Strich stimmen. — In den Haushalt 1988 hat man — optimistisch — 6 Milliarden DM an Einnahmen aus Bundesbankgewinnen eingesetzt. Ich denke, daß man diese Summe erst einmal halbieren sollte, um ein Zeichen zu setzen, daß diese Summe so nicht stimmt. Das halte ich für wesentlich realistischer.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jede Kursdifferenz von 10 Pfennig macht sich in der Zahlenrechnung des Airbus mit 120 Millionen DM Verlust letztendlich bemerkbar. Von einer Mehrbelastung im Rahmen der EG ist hier schon gesprochen worden; auch das ist noch unkalkulierbar. Herr Carstens, Sie haben doch letzthin sogar das Wort Nachtragshaushalt in den Mund genommen.

(Dr. Apel [SPD]: Richtig!)

Wie sieht das denn aus? Ich habe heute davon gar nichts gehört.

(Dr. Spöri [SPD]: In der Haushaltsdebatte hört man nichts davon!)

Hat sich das bei Ihnen wieder einmal geändert?

(Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Nichts war da.

(Zuruf von der CDU/CSU: Na und?)

Eine weitere Imponderabilie — und darauf komme ich jetzt — stellt die Neuverschuldung von weniger als 30 Milliarden DM dar. Ich nenne das Vorgabe, Herr Stoltenberg. Was wurden im Haushaltsausschuß von den Regierungsfraktionen für Klimmzüge unternommen, um die 29,52 Milliarden DM zu halten!

(Dr. Rose [CDU/CSU]: Wir sind sportlich!)

— Bei aller Kollegialität, Herr Kollege Rose: Es wurden Klimmzüge unternommen.

(Kolb [CDU/CSU]: Haben Sie etwas gegen Turnen? — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU und der FDP)

— Sie sollten nicht ablenken. — Ich erinnere nur an die Kürzung der sächlichen Verwaltungsausgaben des Bundes um global 3 % , hier als große Leistung gefeiert. Es war doch Ihre blanke Not, nichts anderes! Sie mußten doch sehen, wo Sie kürzen konnten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD — Widerspruch bei der CDU/ CSU)

Zusätzlich wurde 1 % der Stellen bei Bundesbehörden gestrichen. Eine globale Minderausgabe von 400 Millionen DM steht noch im Raum. Sie soll die erwarteten Steuermindereinnahmen auffangen. Aber, wie gesagt, das alles interessiert hier scheinbar nicht. Unter dem Strich hat es scheinbar zu stimmen, und damit hat sich das. Ich sage, daß diese Neuverschuldung auf Grund dieser Vorgabe richtig frisiert worden ist, und daran hatte sich letztendlich alles auszurichten. Der Herr Kollege Friedmann hat gestern gesagt — ich zitiere — : „Wir standen vor der Aufgabe, die Neuverschuldung auf 29,52 Milliarden DM zu begrenzen." Sie haben mir da echt leid getan; es war tatsächlich so.

(Strube [CDU/CSU]: Aber das haben wir doch geschafft, nicht?! — Hüser [GRÜNE]: Aber wie!)




Frau Vennegerts
Was machen diese Zahlen deutlich? Wenn man pokert, dann sollte man die Karten rechtzeitig offenlegen

(Kolb [CDU/CSU]: Nein, beim Pokern nie! Dann verlieren Sie jedes Spiel, wenn Sie beim Pokern die Karten vorher offenlegen! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Davon versteht er etwas! — Heiterkeit bei der CDU/ CSU — Hüser [GRÜNE]: Pokern ist auch ein Glücksspiel, genauso wie der Haushalt!)

und sich nicht in ideologischen Bastionen verbarrikadieren. Der Verlust an politischer Glaubwürdigkeit, den der Finanzminister und der Wirtschaftsminister dabei erleben — letzterer fehlt, was ich sehr bedaure, aber immerhin ist der Staatssekretär Riedl da; trotzdem finde ich es ein Unding, daß Herr Bangemann nicht hier ist; das möchte ich auch einmal sagen —,

(Dr. Rose [CDU/CSU]: Wo ist denn der Herr Ebermann? — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Den Ebermann habe ich hier seit Monaten nicht mehr gesehen! — Dr. Rose [CDU/CSU]: Gott sei Dank! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU — Glocke des Präsidenten)

schreitet rasant voran. Da kann es einem passieren, daß man auf einmal wieder zu wirtschaftspolitischen Konzepten greifen muß, die man unlängst mit marktschreierischen Gebärden ins Gruselkabinett sozialistischer Mißwirtschaft verbannt hatte.
Nachdem die Löhne 15 Jahre lang die Rolle des Bösewichts spielen durften — sei es als Inflationstreiber, sei es danach als Arbeitsplatz- und Wachstumskiller, wie Herr Bangemann das noch immer sieht —, werden die Bundesbürger jetzt geradezu dazu angehalten, bei den kommenden Tarifverhandlungen ordentlich zuzulangen. Das Wort „Nachfrage" darf wieder in den Mund genommen werden, und Sparen ist keine deutsche Kardinaltugend mehr. Nur bei dem Wort „Ausgabeprogramme " tut sich die Regierung noch sehr schwer.

(Gattermann [FDP]: So ist es! Zu Recht!)

Ausgaben- und Investitionsprogramme der öffentlichen Gebietskörperschaften haben gegenüber der sogenannten Steuerreform den großen Vorteil, daß sie die Schaffung von Arbeitsplätzen und Einkommen,

(Kolb [CDU/CSU]: Und die Folgekosten?)

d. h. die konjunkturelle Stimulierung mit der Bewältigung — und das ist der Unterschied — gesellschaftspolitischer Aufgaben verbinden. Mit ihnen kann man gezielt arbeiten, und ihre Wirkungen sind kalkulierbarer als die Effekte der ominösen sogenannten privaten Initiative, bei der letztendlich nur der individuelle Egoismus überwiegt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sowohl Bangemann als auch Stoltenberg haben signalisiert, daß sie im nächsten Jahr durchaus bereit sind, bei der Verschuldung über die jetzt schon bestehenden 30 Milliarden DM hinauszugehen. Unter dieser Perspektive ist überhaupt nicht mehr einzusehen, warum die Verschuldung die Löcher einer Politik der Einnahmensenkung stopfen soll, aber nicht die Löcher einer Politik der Ausgabensteigerung. Warum sagt man nicht: Statt der Steuerreform machen wir
eine gescheite Ausgabenpolitik, wovon ich vorhin gesprochen habe?
Warum schlägt Minister Stoltenberg bei über 2 Millionen Arbeitslosen die unsolidarische Lösung als konjunkturbelebenden Impuls vor, nämlich eine Erhöhung der Löhne und den Verzicht auf beschäftigungswirksame und umweltschützende Nachfragen öffentlicher Ausgabenprogramme? Das halte ich nach wie vor für einen großen Fehler.
Es ist doch sinnvoller, Herr Stoltenberg, die Arbeitszeit auf 35 Stunden in der Woche zu reduzieren, damit 2,5 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen. Das bedeutet Einnahmen für alle und gleichzeitig höhere Steuereinnahmen für den Staat. Das ist solidarischer, als zu sagen: Jetzt greift mal schön zu bei den Lohnerhöhungen, aber sagt kein Wort über Arbeitszeitverkürzung. —

(Kolb [CDU/CSU]: Bei Betriebswirtschaft haben Sie geschlafen!)

Das halte ich für ganz, ganz unsolidarisch.

(Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das funktioniert nicht!)

— Es funktioniert, Herr Kollege Friedmann, nur in Ihren ideologischen Theorien nicht.

(Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das ist die praktische Erfahrung!)

Es hat sich leider noch immer — selbst in Regierungskreisen nicht herumgesprochen — das bedaure ich — , daß zwischen den wachsenden ökonomischen und ökologischen Problemen unserer Gesellschaft ein direkter Zusammenhang besteht. Wer weiterhin auf den Ausbau des privaten Personenverkehrs in der Hoffnung setzt, Arbeitsplätze in der Automobilindustrie zu erhalten, belastet die öffentlichen Haushalte mit hohen Folgekosten im Bereich Landschaftszerstörung und Personenschäden und versäumt es, Arbeitsplätze im Bereich des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, im Bereich von Baumaßnahmen zur Verkehrsberuhigung und beim Ausbau des öffentlichen Strekkennetzes zu schaffen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Kolb [CDU/ CSU]: Wer hat Ihnen das alles zusammengeschrieben?)

— Ich weiß, daß Ihnen das nicht paßt, aber es ist so.
Wer es weiterhin zuläßt, daß unsere Flüsse zu Transportbändern für Schwermetalle und Kalisalze degenerieren, aus Angst, die unternehmerischen Gewinne zu beschneiden, die dann als profitable Kapitalanlagen im Ausland verschwinden, schafft nicht nur keine Arbeitsplätze, sondern baut sie systematisch ab und verschärft gleichzeitig die Finanzkrise von Länder- und Kommunalhaushalten, die unter den Auswirkungen der Steuerreform ohnehin unerträglich leiden werden.
Die einmalige Chance, in dem Moment, wo unser Wachstumsmodell an seine Grenzen stößt, neue Impulse zu geben und neue Weichen zu stellen für neue Produkte und Produktionstechnologien, für eine neue Stadtentwicklung, für den Aufbau einer neuen Nahrungsmittelproduktion, für die Entwicklung neuer, sanfter chemischer Substanzen — um nur ei-



Frau Vennegerts
nige Beispiele zu nennen; es gibt mehr — wird auch mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf wieder vertan.
Neu an diesem Haushalt ist so gut wie gar nichts. Gedanken- und Einfallslosigkeit paaren sich mit der Fortschreibung alter und längst bekannter Fehler. Das ist Fakt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

In die krisengeschüttelten Altindustrien wird zwecks Fortführung der Produktion all der Produkte, die schon längst keine Abnehmer mehr finden, weiterhin Geld gepumpt. Die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen — dazu hätte ich gern Herrn Bangemann hier — bleibt eine blumige Worthülse für Sonntagsredner. Nur die GRÜNEN haben einen Antrag eingebracht, der die gezielte Herstellung neuer Produkte auf Werften und die Ansiedlung neuer gewerblicher Aktivitäten auf stillgelegten Anlagen fordert. Ich höre immer: Ersatzarbeitsplätze. — Wenn ich Herrn Bangemann konkret nachfrage: wo, wann, wieviel?, dann ist nur ein Kopfschütteln zu ernten und mehr nicht.
Die Klein- und Mittelbetriebe — das müßte Sie, die Herren und Damen von der Regierungskoalition, eigentlich mehr interessieren — , die 49 % unseres Bruttoinlandsproduktes erstellen und 66 % aller abhängig Beschäftigten auf sich vereinigen, sind die großen Verlierer dieser Haushaltsrunde. Wer hätte das gedacht?

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Sie leiden unter der Absenkung der Regionalförderung, der Streichung des Forschungs- und Entwicklungspersonalförderungsprogramms und unter zu geringen Beratungszuschüssen. Nur die GRÜNEN haben sich bei den Haushaltsberatungen ihrer Probleme angenommen, sind aber auf taube Ohren gestoßen. Die Finanzströme des Haushalts 1988 fördern nicht Kenntnisse, Wissen und Können der kleinen und mittleren Unternehmen, sondern letztendlich nur die Großtechnologien.
Da ich sehe, daß meine Redezeit gleich leider schon um ist, möchte ich noch direkt auf ein Problem zu sprechen kommen, das den Widersinn Ihrer Ideologie darstellt, das zeigt, wie schnell Sie sich von Ihrer marktwirtschaftlichen Ideologie verabschieden, wenn es Ihnen in den Kram paßt. Der marode Konzern MBB, der selber von sich behauptet, die Denkfabrik der Nation zu sein, macht 80 % seines Umsatzes über Staatsaufträge. Hier erfolgt ein Bruch mit Ihrer marktwirtschaftlichen Ideologie. Obwohl die Zweifel und die Uneinigkeiten über die Airbus-Finanzierung bis in den Wirtschafts- und Haushaltsausschuß hineinreichen, sind die GRÜNEN bisher die einzigen, die daraus Konsequenzen gezogen und Streichungsanträge gestellt haben. Selbst Staatssekretär Riedl, ein ehemaliger Haushaltsfuchs — das muß ich anerkennen —, befindet sich in diesem Punkt im Dissens mit Minister Stoltenberg, denn er ist der Meinung, daß im Haushaltsplan und in der mittelfristigen Finanzplanung für die Airbus-Risiken finanziell vorgesorgt werden müsse, also über die ca. 900 Millionen DM, die für 1988 eingestellt worden sind. Man höre und staune: Auch der Sachverständigenrat spricht von einem unkalkulierbaren Risiko. Manchmal ist es wirklich wohltuend, daß man auch noch einmal recht bekommt. Das muß ich wirklich sagen. Aber es ist schon traurig, daß Sie in diesem Punkt nicht einmal auf Ihren eigenen Staatssekretär hören.
Jetzt möchte ich aber noch einige Sätze zu einem sehr großen Haushalt, nämlich dem Haushalt des Umweltministers mit einer Finanzausstattung von ganzen 438 Millionen DM verlieren. Mich packt da jedesmal das Mitleid, muß ich sagen. Der großartige Hinweis, in den anderen Einzelplänen seien 1,8 Milliarden DM für umweltverbessernde Maßnahmen enthalten, ist eine reine Angeberei. Ich sage Ihnen einmal, was unter Umweltschutz im Haushalt des Verteidigungsministeriums steht, wo man sich rühmt, 600 Millionen DM für den Umweltschutz auszugeben. Darunter fallen z. B. die Anschaffung von Rattengift für Bundeswehrliegenschaften, die Verlagerung von Tiefflugübungen ins Ausland, die Auflockerung von Panzerfahrrillen sowie das Rasenschneiden auf bundeswehreigenen Wiesen und die Reparatur von Manöverschäden. Da kann man doch nur die Schlußfolgerung ziehen: Je größer der Manöverschaden, desto größer der Umweltschutz. Das ist doch lächerlich.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Es kann nicht angehen, daß sich die Tätigkeit des Umweltministeriums auf eine Handvoll Forschungsprojekte und das Erstellen und den Versand von Informationsbroschüren beschränkt. Wir haben daraus Konsequenzen gezogen und im Rahmen der Haushaltsberatung ein Bund-Länder-Programm zum Schutz des Grundwassers und zur Sicherung der Trinkwasserversorgung gefordert.
Das Land Schleswig-Holstein, in dem Herr Stoltenberg Landesvorsitzender der CDU ist, ist ja auch ein Anrainer der Nordsee. Gestern fand die Nordseeschutz-Konferenz statt. Ich denke, wenn die Nordsee überhaupt noch zu retten ist, woran ich manchmal große Zweifel habe, dann müssen wir unsere Flüsse sauber bekommen, d. h. wir müssen in den nächsten vier bis fünf Jahren ca. 20 bis 30 Milliarden DM zur Reinhaltung unserer Flüsse aufwenden. Da komme ich wieder darauf zu sprechen, daß wir eine falsche Politik betreiben. Wir müssen hier präventiv tätig werden, sonst ist die Nordsee tot. Ich möchte auch einmal etwas von Herrn Stoltenberg dazu hören.
Wir haben in drei Haushaltsplänen Anträge zur Förderung von Konversionstechniken in der chemischen Industrie gestellt. Das wäre ein ganz wichtiger Punkt. Aber ich muß Ihnen einmal sagen, wie es mir im Haushaltsausschuß mit Herrn Töpfer ergangen ist. So etwas habe ich überhaupt noch nicht erlebt. Ich bin total auf Granit gestoßen. Dabei wollte ich ihm nur etwas Gutes tun. Ich wollte seine Kompetenzen ausweiten, ich wollte ihm mehr Mittel zur Verfügung stellen, aber er hat sich bis zuletzt mannhaft gewehrt. Ich bin nicht durchgekommen.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Haben Sie denn die Mittel?)

Ich denke, solange wie der Schutz der Umwelt und die
Schaffung von Beschäftigung für alle nicht zum integralen Bestandteil aller anderen Politikbereiche wer-



Frau Vennegerts
den, so lange werden beide Ziele immer als Störfaktoren gelten — das beobachte ich bei Ihrer Politik —, als Fremdkörper in politischen Programmen, die beide Ziele immer nur unter dem Gesichtspunkt beurteilen: Wieviel kostet das und wieweit reglementiert uns das? Das Konzept der Ökologisierung der Wirtschaft, das von den GRÜNEN entwickelt wurde, betrachtet die einzelnen Politikbereiche — wie die Konjunkturpolitik, die Wohnungs- und Verkehrspolitik, die Umwelt- und die Arbeitsmarktpolitik — nicht mehr in der Optik bornierten Ressortdenkens, sondern sieht die Vernetzung zwischen den Problemfeldern.
Sie wissen, Herr Stoltenberg, daß der Haushaltsentwurf 1988 und die mittelfristige Finanzplanung finanziell auf tönernen Füßen stehen und auf Sand gebaut sind. Gleichzeitig ist dieser Haushalt ein antiquierter Haushalt, der keine Lösung, keine Initiativen für die Bewältigung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Krise unserer Gesellschaft bietet und nicht dem Willen der Bevölkerung entspricht.
Ich möchte zum Schluß meiner Rede noch einmal auf Kurt Tucholsky zurückkommen, dessen volkswirtschaftliche Ausführungen leider nie die rechte Anerkennung in Fachkreisen gefunden haben, was ich sehr bedaure. Eine andere seiner Definitionen lautet: Nationalökonomie ist, wenn die Leute sich wundern, warum sie kein Geld haben. — Wenn sie diesen Haushaltsentwurf 1988 gesehen haben, dann wissen sie es.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104202500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1104202600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Ende der Ausschußarbeit in der vergangenen Sitzungswoche haben wir, die Mitglieder des Haushaltsausschusses, ein paar Tage Zeit gehabt, unsere eigenen Beschlüsse zu überdenken. Das Überdenken ist durch Anregungen von Kollegen aus allen Fraktionen auch erleichtert worden.
Ich möchte hier und heute feststellen: Wir haben im Haushaltsausschuß politisch richtig entschieden, selbst da, wo unsere Entscheidungen sogar Freunden weh getan haben. Ich sage das vor allem auch im Hinblick darauf — ich möchte das auch nochmals allen Kollegen eindringlich bewußt machen — , daß ein Haushalt, der auf der Einnahmenseite über 10 % Nettoneuverschuldung stehen hat, keine freien Spielräume hat.
Wir haben zwar den Kollegen aus den Fachausschüssen für ihre zahlreichen Anregungen zu danken, die sie in unsere Beratungen hineingegeben haben, eine ganze Zahl Anregungen, die wir gerne berücksichtigt hätten. Aber wenn wir das meiste nicht verwirklichen konnten — vieles, wie gesagt, was wir selbst auch als wünschenswert angesehen haben —, dann hatte das ausschließlich Finanzierungsgründe.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU) Das betrifft auch die Anträge der Opposition.

Erlauben Sie mir aber zu Beginn ein Wort zur Arbeit im Ausschuß, ergänzend zu dem, was der Kollege Carstens gesagt hat. Wir haben dem Sekretariat des Ausschusses, den Mitarbeitern des Ausschusses und den beratenden Beamten der Ministerien ausdrücklich zu danken. Herrn Haushaltsdirektor Knott möchte ich aus den genannten Gründen auch namentlich erwähnen. Er hat uns jetzt fünf Haushalte lang begleitet. Ich vermute, daß der jetzige sein schwierigster war. Es ist sicher kein Fehler, jetzt in den Ruhestand zu gehen und dann einmal zu sehen, was die Nachfolger machen.
Ich danke ausdrücklich für das — ich sage das sehr bewußt — oft über das erwartete Maß hinaus gehende Engagement dieser Damen und Herren; denn der zeitliche Umfang — das wird ja in der Öffentlichkeit meistens nicht recht deutlich — , innerhalb dessen wir beraten müssen und gerade in diesem Jahr wiederum beraten haben, stößt manchmal an Grenzen der Belastbarkeit bei uns allen.
Wir haben deswegen auch den Kollegen aller Fraktionen für die weitgehend sachliche gemeinsame Arbeit zu danken. Ich weiß wohl, daß die von uns politisch gewollte Enge der Finanzmittel die Härte der Diskussionen verstärkt hat.
Ich danke insbesondere den Kollegen der CDU/ CSU; denn wir haben im Vorfeld auch oft hart miteinander ringen müssen, um das jetzt mehrheitsfähige Werk dann gemeinsam beschließen zu können.

(Gattermann [FDP]: Vergessen Sie Rudi Walther nicht!)

— Der kommt jetzt. Ich bedanke mich für den Zwischenruf, Herr Kollege Gattermann.
Mein Lob gilt auch dem Vorsitzenden des Ausschusses Rudi Walther. Er ist um seine Aufgabe oft nicht zu beneiden. Er löst sie mit Bravour. — An der Stelle hatte ich Applaus erwartet.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich habe auf diesen Beifall schon deswegen gewartet, weil ich jetzt nämlich sagen muß, daß auf dieses Lob heute leider ein Schatten fällt. Der Vorsitzende hat gestern in der Debatte zum Verteidigungsetat die Kollegin Seiler-Albring der Unwahrhaftigkeit bezichtigt. Das kann nicht stehenbleiben.
Unsere Berichterstatter bemühen sich in ihrer wirklich sehr umfangreichen Arbeit in den einzelnen Ministerien immer, der Tatsache gerecht zu werden, daß sie für die Fraktionen handeln; denn die Auffassung der Mehrheit der Berichterstatter in den Berichterstattergesprächen ist nachher Basis für die Verhandlungen im Haushaltsausschuß. Deswegen sind auch die Anträge der Berichterstatter von großem Gewicht. Ich meine, man kann solche Anträge zwar später zurückziehen, aber man kann nicht behaupten, man habe sie nie gestellt.
Was wäre denn, wenn beispielsweise die hier gestern zur Debatte stehenden Anträge der SPD-Berichterstatter mit der Mehrheit der Berichterstatter angenommen worden wären und dann Verhandlungsgrundlage im Ausschuß gewesen wären? Hätte dann die Haushaltsgruppe der SPD den Antrag gestellt, die



Dr. Weng (Gerungen)

dadurch geschaffene Verhandlungsgrundlage zu ändern?
Wie hätten — auch das muß man bedenken — die Kollegen der Koalition dagestanden, wenn sie den hier angesprochenen SPD-Anträgen gefolgt und dann von der SPD alleingelassen worden wären?
Dieses bedenkend hat die Kollegin Seiler-Albring gestern ausdrücklich die Wahrheit gesagt. Ich will dringend an die Kollegen aus der SPD-Fraktion appellieren, die gestern immer wieder mit Blick auf die Öffentlichkeit einen neuen Umgang miteinander gefordert haben, diese Überlegungen intern zu bedenken.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

Meine Damen und Herren, die Frage eines Journalisten, ob denn die Beratungen im Haushaltsausschuß in Kenntnis des ja nicht riesigen Finanzvolumens, das da bewegt wird, mehr als nur Marginales brächten, macht zwar nachdenklich, aber ich kann die Frage ausdrücklich bejahen, indem ich sage: Sie bringen mehr als Marginales, und zwar nicht nur wegen der — im Rahmen der freien Spielräume relativ geringfügigen — Umschichtungen, die der Ausschuß vornehmen konnte, sondern auch wegen der durch den Ausschuß vorgegebenen politischen Grundtendenz.
Ein Finanzminister, der weiß, daß er im Haushaltsausschuß sparsame Mitstreiter und engagierte Kontrolleure sitzen hat, wird den nicht endenden Wünschen des Kabinetts und der einzelnen Minister im Vorfeld und bei den Spitzengesprächen mit den Ministerien viel besser Widerstand entgegensetzen können. Natürlich ist die Aufgabe der Mehrheit doppelt schwer: obwohl Wünschenswertes aus den eigenen Reihen, auch aus den Reihen der Opposition ablehnend, nicht nur buchhalterisch, sondern gestaltend tätig zu sein. Damit sind wir bei einem weiteren Punkt, der nach meiner Überzeugung deutlich macht, daß sich diese Beratungen lohnen; denn die Chance für die Abgeordneten, der politischen Führung der Häuser direkt Handlungserfordernisse aufzuzeigen, ist ja gerade im Rahmen der Beratungen, der Berichterstattergespräche usw. in den Häusern gegeben.
Lassen Sie mich ein selbst erlebtes Beispiel schildern, daß dies deutlich machen kann. Bei einer Wehrübung im Frühsommer war mir bewußt geworden, daß beim Sanitätsdienst der Bundeswehr, wo es seit längerer Zeit weibliche Sanitätsoffiziere gibt, keine Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen herrscht, denn nur Männer können bei langfristiger Verpflichtung in den Genuß eines von der Bundeswehr bezahlten Medizinstudiums kommen.
Meine schriftlichen Anregungen ins Ministerium blieben liegen, aber bei einer direkten Ansprache des Ministers im Zusammenhang mit dem Berichterstattergespräch habe ich seine Zusage einer direkten und wohlwollenden persönlichen Prüfung bekommen. Wenn jetzt Signale aus dem Ministerium kommen, daß bis zum Ende des Jahres mit einem positiven Bescheid gerechnet werden kann — ich hoffe natürlich fest, daß es tatsächlich so kommt — , dann ist in diesem Zusammenhang nicht nur Herrn Minister Wörner zu danken, sondern ich sage auch: Ohne die
Haushaltsberatungen wäre dies nicht in Gang gekommen. Ich umschreibe das mit dem Stichwort: Gleichberechtigung nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch im politischen Alltag.

(Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Lassen Sie mich einige wenige Beispiele wichtiger politischer Entscheidungen des Ausschusses bei seinen Beratungen nennen. Ich bin mir wohl bewußt, daß man erheblich mehr Beispiele aufzählen könnte, aber im Rahmen einer vorgegebenen kurzen Redezeit muß man sich bemühen, Schwerpunkte zu setzen.
Es ist seit langem ein Anliegen aller Fraktionen, daß aus in der Zeit des Nationalsozialismus begangenem Unrecht herrührende wirtschaftliche Härten — wenigstens diese — gemildert werden sollten. Die Koalitionsfraktionen haben mit ihrem Antrag dem Wunsch Rechnung getragen, über die seitherigen Regelungen hinaus eine endgültige Abschlußregelung zu finden. Der Haushaltsausschuß hat die erste Rate der hierfür erforderlichen Mittel bereitgestellt.
Während der Beratungen — das ist ein weiterer Punkt — ist ein Antrag zur Sanierung von Saar und Mosel, der schon einmal im Bundesrat gestellt worden war, von seiten der Opposition erneut vorgelegt worden. Wir mußten diesen Antrag ablehnen, weil zum einen die Sanierung von Flüssen nicht in die Kompetenz des Bundes fällt; wir mußten diesen Antrag aber auch in dem Bewußtsein ablehnen, daß hinsichtlich einer ganzen Zahl anderer Flüsse und anderer Plätze in der Bundesrepublik — ich denke etwa an den Hamburger Hafen — mit gleicher Berechtigung die gleiche Forderung erhoben werden könnte.
Meine Damen und Herren! Eines muß klar sein — das sollte jeder berücksichtigen, der Anhänger eines föderalen Systems ist, in dem auch bei den einzelnen Gebietskörperschaften echte Kompetenzen vorhanden sind — : Wir haben der Regierung einen Prüfungsauftrag erteilt und haben gebeten, die Sachlage unter dem Gesichtspunkt der gleichen Behandlung aller Fälle darzustellen. Wenn aber die Länder — das könnte man aus dem Bundesratsantrag entnehmen — willens sind, ihre Kompetenzen auf diesem Gebiet aufzugeben und auf den Bund zu übertragen, so wird das natürlich nicht möglich sein, ohne daß die hierfür erforderlichen Haushaltsmittel, die den Ländern im Rahmen der Finanzverteilung zur Verfügung gestellt werden, dem Bund zurückerstattet werden. Die Aussage, daß man eigene Aufgaben einfach auf Kosten anderer erledigen lassen will, mag zwar in der Offentlichkeit bei der einen oder anderen Feierstunde anläßlich der Einweihung von Kanälen für eine gute Stimmung sorgen. Es ist aber keine seriöse Forderung.
Meine Damen und Herren! Aus den vielfältigen Überlegungen bezüglich der künftigen Lage in der Landwirtschaft kann ich an dieser Stelle nur ein kleines, vielleicht aber ein ein wenig typisches Beispiel herausgreifen. Wir haben im Hinblick auf die Nutzung nachwachsender Rohstoffe, die in der Diskussion über die Lage in der Landwirtschaft eine immer wichtigere Rolle spielt, einen Schritt getan, der uns notwendig erschien. Sie wissen vielleicht, daß es in Niedersachsen eine mit staatlichen Mitteln geförderte Anlage zur Bioethanolherstellung gibt. In dieser An-



Dr. Weng (Gerlingen)

lage, die bislang mit einer Kapazitätsauslastung von lediglich rund 40 % gearbeitet hat, wurde Ethanol etwa zum Dreifachen des augenblicklichen Marktpreises erzeugt. Im Augenblick ist also an eine Konkurrenzfähigkeit der Erzeugung nicht zu denken.
Auf Grund unseres Beschlusses werden im kommenden Jahr erstmals ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, um bei dieser Anlage einen Durchlauf mit einer 100 %igen Kapazitätsauslastung fahren zu können. Erst dann kann man die Kostenstruktur realistisch abschätzen; denn die Grundkosten entstehen auch bei einer geringeren Kapazitätsauslastung. Aufgrund des Ergebnisses des kommenden Jahres werden wir einschätzen können, ob hiermit ein vernünftiger und gangbarer Weg der Verwendung landwirtschaftlicher Überproduktion aufgezeigt werden kann. Solche Versuche, die natürlich auch mit anderen landwirtschaftlichen Produkten, die einer Verwertung als Nahrungsmittel nicht zugeführt werden können, durchgeführt werden müssen, sind notwendig. Denn nur derjenige, der entsprechende Erfahrungen vorweisen kann, kann dann die Wege in die Technologie hinein konsequent beschreiten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! Vielen Bürgern ist noch das Hin und Her in Erinnerung — zum Teil verblaßt sie vielleicht schon wieder etwas — , welches sich im Zusammenhang mit dem radioaktiv kontaminierten Molkepulver abgespielt hat, das im Augenblick in Güterwagen auf Bundeswehrnebengleisen zwischengelagert ist. Diese Erinnerung verblaßt deswegen, weil natürlich immer wieder viele offensichtlich wichtigere Dinge im tagespolitischen Gespräch sind.
Im Zusammenhang mit diesem Molkepulver ist sicherlich eine Vielzahl höchst interessanter juristischer Fragen aufgeworfen worden. Das sind aber Fragen, die uns weniger betreffen; denn eine politisch ganz klare Frage liegt auf dem Tisch, die Frage nämlich: wie kann dieses Molkepulver beseitigt werden? Wie kann das Problem einer Erledigung zugeführt werden? Da eine Endlagerung der Gesamtmenge ganz zweifelsfrei viel zu aufwendig wäre, bietet sich hier die Möglichkeit an — und es ist ja fast verpflichtend, daß man diese Möglichkeit auch nutzt — , erstmals einen großtechnischen Versuch der Dekontamination solcher großen Mengen geringfügig radioaktiv verseuchter organischer Substanzen durchzuführen, nachdem man es entsprechend getestet hat.
Hierfür haben wir kurzfristig die erforderlichen Finanzmittel bereitgestellt, wohl wissend, daß hier gegebenenfalls schnelle Entscheidungen nötig sind und daß es dann nicht daran scheitern soll, daß in einem möglicherweise zeitraubenden Verfahren erst nach dem Geld gefragt werden muß, ehe man zur Tat schreiten kann.
Wir haben diese Mittel zur Verfügung gestellt, und ich sage schon heute vorsorglich mit Blick auf den betroffenen Raum: Wer nach dem Motto „nicht hier, nicht jetzt, nicht so" seine Bereitschaft zu konstruktiver Mitarbeit bei der Lösung dieses Problems verweigert, wird sich ins Abseits begeben.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Ich sage dies insbesondere mit Blick darauf, daß meine Hochachtung den Kollegen aus diesem Hohen Hause gilt, die in ihren Heimatwahlkreisen für die notwendige Erfüllung staatlicher Aufgaben engagiert und offen eintreten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, wir haben in unserer Mehrheit die genannten Risiken im Haushalt des kommenden Jahres nicht verschleiert. Wir haben sie zur Kenntnis genommen. Wir haben uns aber auch in Kenntnis dieser Risiken aus allen Spekulationen herausgehalten, und wenn denn Entscheidungen des Haushaltsausschusses tatsächlich irgendwo Ursache für Beruhigungstendenzen an den Börsen, bei den internationalen Turbulenzen an den Devisenmärkten, gewesen sein sollten, dann sicherlich gerade diese Tatsache, daß wir uns in großer Ruhe und Gelassenheit von allen Spekulationen ferngehalten haben. So haben wir nicht den Bundesbankgewinn zum Jahresende spekuliert, der ja am Dollarkurs hängt; jeder kennt ja inzwischen aus der Presse die Zahlen und die Bewertungsgegebenheiten der Deutschen Bundesbank. Wir meinten, den im Regierungsentwurf festgelegten bei der Deutschen Bundesbank erzielten Gewinn auch einsetzen zu sollen, denn alles andere hätte Spekulationen Tür und Tor geöffnet.
Wir haben ebenso darauf verzichtet, die Börsenkurse bei der Privatisierung im kommenden Jahr zu spekulieren. Niemand kann eine sichere Voraussage machen. Für uns bleibt Privatisierung ein ordnungspolitisches Anliegen.
Zu dem, was der Kollege Apel heute morgen wegen der Privatisierung des VW-Anteils des Bundes ausgeführt hat, sage ich: Herr Kollege Apel, es ist nicht nur eine Frage des Börsenkurses, zu dem privatisiert wird; es ist in diesem besonderen Falle sicherlich auch die Frage einer Sondersituation an der Börse gewesen, denn man wird dann, wenn sich die Börse — egal wo — stabilisiert, eine größere Emission immer sinnvoller machen können als zu einem Zeitpunkt, zu dem nun gerade enorme Turbulenzen an der Börse herrschen, wobei ein solches Volumen von Emission einfach zu weiterer Unruhe führen könnte, an der ja nun wirklich niemand Interesse haben kann. Eine Beruhigung ist ja in jedem Fall das Wünschenswerte. Natürlich ist es nicht egal, auf welchem Niveau; das Niveau wird für unsere künftige Arbeit auch eine Rolle spielen. Aber zunächst einmal geht es um Beruhigung, damit wir wieder solide Grundlagen unseres finanzpolitischen Handelns haben, wohl wissend, daß die Risiken erheblich sind, Risiken im Zusammenhang mit dem Dollarkurs, die ja noch an einer ganzen Zahl von anderen Stellen in den Haushalt hineinreichen.
Wir sagen aber auch — das will ich ganz klarmachen — , daß der ordnungsgemäße Termin unserer Beratungen zu einem frühen Zeitpunkt die Ministerien vor die Notwendigkeit stellt, daß sie ihre Haushaltsansätze für das Folgejahr schon in der ersten Jahreshälfte des vorhergehenden Jahres machen müssen, was zwangsläufig nach sich zieht, daß es noch Änderungen gibt, Änderungen auf der Seite der Ausgabenwünsche, aber natürlich auch Änderungen bei der Steuerschätzung, wie wir sie in den allerletzten Tagen



Dr. Weng (Gerlingen)

unserer Beratung noch zur Kenntnis nehmen mußten, woraufhin wir ja auch noch gehandelt haben. Wir sagen aber: Wir werden selbstverständlich die erforderlichen Entscheidungen, wenn sie anliegen, treffen, also dann, wenn haushaltsgerecht Entscheidungen getroffen werden müssen, seien es solche zur Europäischen Gemeinschaft, seien es andere Entscheidungen. Heute über den Inhalt der Entscheidungen, die in drei, vier oder fünf Monaten anstehen, zu spekulieren, ist deswegen nicht sinnvoll, weil wir wirklich nicht wissen, in welcher Ausgangslage wir uns dann befinden. Dafür ist die Situation nach wie vor zu unruhig.
Das Sachverständigengutachten jedenfalls, das in dieser Woche übergeben worden ist, hat deutlich gemacht, daß der Kurs stimmt, daß trotz der Probleme, die nicht übersehen werden, weiterhin mit ordentlicher wirtschaftlicher Entwicklung im kommenden Jahr gerechnet werden kann; dies sollte man nicht von der Hand weisen, wenn auch einige Aspekte dessen, was die Sachverständigen sagen, Handlungserfordernisse aufzeigen.
Ich will von diesen Aspekten einen besonders hervorheben. Die Kollegen von der CSU mögen es mir verzeihen. Denn die Sachverständigen haben ja äußerst große Bedenken zu den Dauersubventionen beim Airbus geäußert, den Subventionen, die über den Aspekt der Entwicklung und Markteinführung hinausgehen. Ich meine, dies müßte die Bundesregierung hellhörig machen. Dieser Aspekt betrifft damit natürlich wieder einen Teil des Gesamtkomplexes der Luft- und Raumfahrt. Sie wissen, daß es bei den vielen genannten und ja auch von der Opposition aufgeführten Einzelprojekten, die man meines Erachtens im Zusammenhang sehen muß, unser Wunsch war, die Haushaltsausgaben und damit eben auch die Risiken zu beschränken. Dieser Ruf nach Minderausgaben ist bei der Bundesregierung ungehört verhallt, so daß die Parlamentarier in Zukunft gefordert sind, die Bedenken selbst mit dem nötigen Nachdruck in die politische Landschaft zu bringen.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch ein letztes Wort zu dem großen Ausgabenkomplex öffentlicher Dienst sagen. Denn ich weiß, daß gerade unser Beschluß zu einer einprozentigen Stellenreduzierung teilweise auf Unverständnis gestoßen ist. Ich meine, wer den Anteil der Personalausgaben und deren Entwicklung in den Gesamthaushalten sieht und wer diesen Anteil nicht weiter anwachsen lassen will, der muß bei sparsamer Haushaltsführung dann eine Verminderung von Stellen akzeptieren, wenn er weiterhin leistungsgerechte Bezahlung und angemessene Aufstiegsmöglichkeiten im öffentlichen Dienst nicht verbauen will. Denn daß Stellenvermehrung im öffentlichen Dienst kein Weg zum Abbau der Arbeitslosigkeit ist, ist unbestritten.
Ich meine, man muß hier in diesem Zusammenhang auch auf die Größenordnungen hinweisen. Nach dem statistischen Bericht, den die Bundesanstalt für Arbeit veröffentlicht hat — es ist zugegebenermaßen ein Schätzbericht; aber an dieser Stelle geht es ja auch nicht anders als mit Schätzungen — sind im Oktober 1987 gegenüber dem Oktober 1986 ca. 114 000 neue Arbeitsplätze in der Wirtschaft entstanden. Wer diese
Größenordnung sieht und die verhältnismäßig kleine Zahl an Reduzierungen, die wir hier vorhaben, dagegen hält, der sieht, daß es ein vernünftiger Weg ist. Natürlich ist dieser Beschluß auch ein Appell an die Sondervermögen des Bundes, an nachgeordnete Bereiche und auch an die übrigen Gebietskörperschaften. Ich sage dies bewußt, weil in vielen Gebietskörperschaften der Anteil der Personalkosten ja eklatant stärker gestiegen ist als beim Bund.
Ich will mich zur Höhe der Forderungen der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr für den öffentlichen Dienst hier an sich nicht äußern. Ich halte den Schwerpunkt der Forderung, nämlich Arbeitszeitverkürzung statt Lohnerhöhung, für durchaus vernünftig. Ich verstehe Herr Finanzminister, Ihre gegenteilige Auffassung hierzu nicht. Denn gerade was den öffentlichen Dienst im Verhältnis zum Haushalt angeht, muß man ja bedenken, daß Lohnerhöhungen eben auch Haushaltsausgaben bedeuten würden. Da ich der Auffassung bin, daß durch Rationalisierung Arbeitszeitverkürzungen in ausreichendem Umfang erreichbar sind, ohne daß die Aufgabenbewältigung des öffentlichen Dienstes Schaden nehmen würde, während hohe finanzielle Abschlüsse die Haushalte stark belasten würden, meine ich, daß hier durchaus eine vernünftige Tendenz vorhanden ist.
In anderen Wirtschaftsbereichen mag es für die möglichen Überlegungen des Finanzministers eher Gründe geben. Denn natürlich weiß man, daß die öffentlichen Hände überproportional an Einkommenssteigerungen beteiligt sind. Aber da wir dies ja gerade durch die Steuerreform ändern wollen, kann ich mir auch nur schwer vorstellen, daß dies die Intention war, die Sie hatten, Herr Kollege Stoltenberg. Ich meine aber, gerade beim öffentlichen Dienst stimmt ja genau dieser Aspekt nicht.
Meine Damen und Herren, eine Politik der Konsolidierung eines öffentlichen Haushaltes bedeutet das Erfordernis langen Atems. Das Jahr 1988 wird Entscheidungen bringen — das ist vorhersehbar — , die darüber fallen werden, ob der Konsolidierungskurs fortgesetzt wird, d. h. auch, ob die Verschuldung weiter abgebaut werden kann oder ob nachträglich dieser Konsolidierungskurs als unvollständig oder gar gescheitert angesehen werden muß. — Ich werde auf diese Fragen bei einem künftigen Ausblick intensiver eingehen können. Der Kollege Vogel von der SPD hat gestern gefordert, daß das Haushaltsdefizit in den USA abgebaut werden müsse, allerdings nicht zu abrupt — so ähnlich waren seine Worte. Was dort richtig ist, meine Damen und Herren, das kann in Kenntnis auch der Gesamtschuldenlage hier bei uns nicht falsch sein; denn wer das ständig steigende Volumen des Schuldendienstes vor Augen hat, dem kann die weitere Entwicklung hier wirklich nur ganz erhebliche Sorgen bereiten.
Ich stelle heute fest, daß der Haushaltsausschuß und hier natürlich insbesondere die demokratisch verantwortliche Mehrheit des Ausschusses ihre Aufgaben erfüllt haben. Meine Fraktion stimmt heute symbo-



Dr. Weng (Gerlingen)

lisch für diese Aufgabenerfüllung den hier aufgerufenen Einzelplänen in zweiter Lesung zu.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Spöri [SPD]: Symbolisch? — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Symbolisch, Herr Kollege, weil hier nicht der ganze Haushalt zur Abstimmung steht!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104202700
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Finanzen.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1104202800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vom Haushaltsausschuß vorgeschlagene Konzeption für den Bundeshaushalt 1988 bedeutet eine Fortsetzung des Kurses verhaltener Ausgabenentwicklung. Trotz einiger unabweisbar gewordener Mehrausgaben gegenüber der Vorlage der Bundesregierung vom Juli soll es bei einer Steigerungsrate von 2,4 % bleiben. Das ist zu begrüßen. Das ist um so mehr hervorzuheben, weil wir durch die internationale Währungsentwicklung der letzten Wochen, die jüngsten Turbulenzen auf den Devisen- und Aktienmärkten bestimmte Risiken auf der Einnahmenseite haben werden. Die erneute Aufwertung der Deutschen Mark gegenüber dem Dollar ist hier ebenso zu erwähnen wie die noch nicht abschätzbaren möglichen Folgen der veränderten Rahmenbedingungen der jüngsten Zeit für die Weltwirtschaft insgesamt.
Ich glaube auch, daß es deshalb richtig ist, heute über diesen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Entwicklungen, Unwägbarkeiten, auch Risiken, und Finanzpolitik in erster Linie zu reden, an Stelle, Herr Apel, schon sattsam bekannte Behauptungen, über die wir uns schon oft gestritten haben, hier zum viertenmal, bis in die Formulierungen hinein, zu wiederholen.
In den letzten Wochen wurden der Wert und die Bedeutung der internationalen Kooperation sowie einer stetigen vertrauensfördernden Politik nun in einer Weise deutlich, wie man sie sich im Grunde nicht wünschen kann. Wir haben gesehen, daß öffentliche Kontroversen von jenseits des Atlantik begannen, die Zusammenarbeit momentan in Frage stellten, und wir haben gesehen, wie die Märkte reagieren. Das muß eine bleibende Lehre für alle sein.
In einem schwierigen, aber letztlich erfolgreichen Abstimmungsprozeß war es seit Februar dieses Jahres gelungen, die zu starke Abwärtsbewegung beim Dollar für acht Monate zum Stillstand zu bringen. Wir hätten diese Anpassungszeit für die deutsche und europäische Wirtschaft bei aller notwendigen Flexibilität gerne bis weit in das nächste Jahr hinein fortgesetzt, um den internationalen Warenaustausch und die Investitionsentscheidungen der Unternehmen wieder auf eine festere Grundlage zu stellen. Herr Kollege Apel, ich weiß, wie das so ist in der Opposition — auch wir als Partei haben das lange erlebt —, wenn die Regierung Probleme bekommt, ist da auch ein gewisses Gefühl der Genugtuung. Das hat es auch in unserer Oppositionszeit gegeben.

(Dr. Apel [SPD]: Bei uns gibt es kein Sonthofen!)

— Ja, bei Ihnen klang schon einiges an, was von mir sehr höflich mit dieser Bemerkung beschrieben wird.

(Dr. Apel [SPD]: Sonthofen gab es nur bei Ihnen!)

— Nein, Herr Kollege Apel, ich beschreibe das sehr höflich und zurückhaltend.
Natürlich haben wir jetzt zusätzliche Probleme und Schwierigkeiten. Aber Sie haben sich das etwas leicht gemacht, wenn Sie Aussagen und Erwartungen von vor der Wahl kritisiert haben. Denn die schlichte Wahrheit ist, daß wir im letzten Quartal 1986 in Europa, auch in Deutschland, in einem bis dahin sehr guten Trend der wirtschaftlichen Entwicklung durch die massive Veränderung der Wechselkurse vor allem durch die Abwertung des Dollars erstmals einen leichten Knick bekommen haben und daß von daher .. .

(Abg. Dr. Apel [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104202900
Herr Bundesminister, gestatten Sie ein Zwischenfrage?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1104203000
Ja, eine, Herr Kollege Apel, gerne. Ich will nur den einen Satz noch zu Ende bringen. ... für uns wie für die andern europäischen Industrieländer durch die zu starke kurzfristige Veränderung der Paritäten eine Abschwächung des Wachstums in den Wintermonaten bis Ende des ersten Quartals zunächst unvermeidbar war.
Bitte sehr, Herr Apel.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID1104203100
Herr Kollege Stoltenberg, ist es richtig, wenn ich feststelle, daß Sie vor den Bundestagswahlen mit einem realen Wirtschaftswachstum von deutlich über 3 % gerechnet haben — wenn ich mich recht erinnere, haben Sie von 31/3 % gesprochen —, und ist es auch richtig, daß sehr bald nach den Wahlen diese eigene Prognose vor den Dollarturbulenzen auf real 1,8 % zurückgenommen wurde, und ist es, wenn diese beiden Aussagen stimmen, nicht auch richtig, daß Sie deswegen mit manipulierten Zahlen, aus welchen Gründen auch immer, in die Berechnung der Steuereinnahmen für den Haushalt 1987 hineingegangen sind?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1104203200
Das sind drei Fragen mit Unterstellungen, die ich nicht akzeptiere, Herr Apel.

(Zurufe von der SPD)

— Ich gebe jetzt darauf eine Antwort. Erlauben Sie mir doch, nach drei Fragen eine Antwort zu geben. — Ich habe im September vergangenen Jahres in erster Lesung, im November in zweiter und dritter Lesung hier einen Bundeshaushalt vertreten, der auf einer Wachstumsschätzung von real 21/2 % beruhte. Das war die Zahl. Sie ist hier eingehend erörtert. Wir haben in der Tat aus den von mir eben kurz angesprochenen Gründen — wie auch die anderen europäischen Länder — hinnehmen müssen, daß das Wachstum in diesem Jahr nicht bei 21/2 %, sondern etwas unter 2 % liegen wird. Mit diesen Gründen sollten Sie sich als sozialdemokratischer Sprecher auseinandersetzen,



Bundesminister Dr. Stoltenberg
ernsthaft auseinandersetzen, mit zukunftweisenden Konzepten, anstatt zu polemisieren, wie Sie das getan haben, Herr Apel, das ist mein Vorschlag. Darüber möchte ich reden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Spöri [SPD]: Kraftvoll, aber substanzlos! — Dr. Apel [SPD]: War auch nicht die Wahrheit!)

Nun muß man aber auch sagen — weil Sie die Grundlagen für den Haushalt 1988 mit einer Wachstumserwartung bis in den Oktober hinein von etwas über 2 % , sehr gut auf der Linie dessen, was bedeutende internationale und nationale Institutionen gesagt haben, kritisieren — , daß wir durch die Anstrengungen für eine Phase stabiler Wechselkurse sehr wohl eine spürbare Belebung unserer Wirtschaftsdaten im zweiten und dritten Quartal zu verzeichnen haben. Nun haben wir vier Wochen, Herr Apel, in denen wir uns mit anderen im In- und Ausland darum bemühen, zu erkennen, was diese Turbulenzen wirklich bringen. Eine solche Erkenntnis ist sehr schwer. Gestern hatten wir eine hervorragende Entwicklung der Aktienmärkte mit über 4 % Plus, und heute haben wir eine Stagnation. Wir wissen, auch wenn es eine zunehmende Beruhigung gibt, alle miteinander noch nicht — darüber zerbrechen sich Experten weltweit die Köpfe — , auf welchem Niveau sich die Aktien- und Devisenmärkte letztendlich einpendeln werden. Das können Sie ebensowenig vorhersagen wie den Dollarkurs zum Bilanzstichtag am 31. Dezember dieses Jahres, auf dem der Bundesbankgewinn beruht.
Geben wir uns hier Mühe, analytisch, im ernsten Wettbewerb der Argumente und Konzepte. Das fand ich bei Ihnen heute morgen etwas enttäuschend.
Wir haben die Einbrüche gehabt. Nun gilt es in einem schwieriger gewordenen wirtschaftlichen Umfeld mit großer Sorgfalt die richtigen Entscheidungen auf der Grundlage der komplexen ökonomischen und politischen Zusammenhänge zu treffen. Wir gewinnen das Vertrauen und die Zuversicht der Märkte nicht dadurch, meine Damen und Herren, daß wir täglich neue Maßnahmenkataloge möglichst noch kontrovers und in der Öffentlichkeit diskutieren oder daß in Alleingängen falsche Signale gegeben werden. Deswegen ist es richtig — der Bundeskanzler hat es angesprochen; ich glaube, einige von Ihnen werden das auch verstehen — , daß die intensiven Kontakte der Finanzminister und Notenbankpräsidenten nicht nur in Europa — ich verweise auf die deutsch-französische Erklärung, auf die Erklärung der EG-Finanzminister — , sondern auch mit den Amerikanern und Japanern zunächst einmal ohne Publizität erfolgen, um festzustellen, wie wir gemeinsame Grundlagen wiedergewinnen können und dann zu gemeinsamen Folgerungen kommen können. Diese Kontakte sind intensiv. Es ist ja auch sichtbar geworden.
Ich hebe einmal als einen Erfolg in den Turbulenzen der letzten Wochen hervor, daß wir durch Zusammenarbeit bis in die Zinspolitik der Notenbanken hinein Stabilität im Europäischen Währungssystem haben, und ich hoffe und rechne auch damit, ohne Prophet zu sein, daß dies für die vor uns liegende Zeit weiter gilt. Das ist wichtig, denn 15 bis 20 % unserer Exporte gehen in den Dollar-Raum — da haben wir die Probleme — , aber 50 % unserer Exporte gehen in diesen europäischen Raum, der vom Europäischen Währungssystem geprägt ist. Ohne Zusammenarbeit der Notenbanken und Regierungen hätten wir, glaube ich, diese stabile Situation nicht sichern können. Dazu gehören übrigens auch die jüngsten Vereinbarungen der Notenbanken von Basel, der Finanzminister von Nyborg, die das Europäische Währungssystem gestärkt haben, gerade rechtzeitig vor einer Belastungsprobe. Ich begrüße auch im Hinblick auf einige kritische Stimmen aus diesem Hause noch einmal ausdrücklich die Bereitschaft der Bundesbank, diese Zusammenarbeit zu stärken, ohne ihre stabilitätspolitische Verantwortung aufzugeben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

So sind wir zu diesen Prognosen gekommen, die Sie kritisiert haben, die aus der Situation des Herbstes gut begründet waren. Ich brauche sie nicht noch einmal zu nennen. Der Sachverständigenrat hat jetzt, weil er im Zeitablauf vier Wochen später als die Institute kam, in der Tat auf Grund der Turbulenzen eine kritischere Prognose gegeben, aber in der Grundtendenz doch zuversichtlich in der Erwartung eines sich wieder verstärkenden Wachstums im nächsten Jahr mit gut 1,5 % für 1988. Uns fehlen noch wesentliche Fakten.

(Poß [SPD]: Was ist daran zuversichtlich?)

— Begründete Zuversicht in Kenntnis von Unwägbarkeiten bei der zunehmenden internationalen Verflechtung der Volkswirtschaften.
Wie vorsichtig man sein muß, meine Damen und Herren, zeigt z. B. der vor zwei Tagen veröffentlichte sehr aussagekräftige Ifo-Konjunkturtest: Bis Ende Oktober, also in der Zeit der Turbulenzen, gibt es bei den befragten Unternehmen keine Eintrübungen der Erwartungen, der insgesamt positiven Erwartungen für das nächste Jahr. Mich hat das beeindruckt. Das ist eine breit angelegte Befragung vor allem auch von leistungsstarken mittelständischen Unternehmen. Wenn ich die unbedachten Reden mancher Spitzenvertreter der deutschen Großindustrie im In- und Ausland nehme, etwa den gestern zitierten Herrn Edzard Reuter — weil er genannt ist, nenne ich ihn auch — in New York, kann ich nur sagen: Die breite Gruppe des deutschen Mittelstandes in Industrie, Handwerk und Handel scheint da besonnener zu sein als einige Leute aus den Chefetagen der deutschen Industrie.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

International haben wir einen ersten wichtigen Schritt mit der Abmachung zwischen der amerikanischen Administration und der Führung des Kongresses zur Verringerung des Haushaltsdefizits. Dies ist zu begrüßen, aber es muß natürlich nun auch bis zum 16. oder 18. Dezember — so ist dort wohl der Terminkalender — vom Kongreß verabschiedet werden, damit das eine endgültig vertrauensbildende Entscheidung wird.
Die Zukunftserwartungen bei Investoren und Verbrauchern sind entscheidend. Hier müssen wir ansetzen. Wir dürfen nicht den Weg in die nationale Isolation, in die Abschottung der Märkte, die Vernachlässigung der vitalen wirtschaftlichen Interessen der Partnerländer gehen, andere dürfen ihn nicht gehen,



Bundesminister Dr. Stoltenberg
weil das wirlich die Gefahr einer weltweiten Krise beschwören würde. Wir brauchen statt dessen eine vertrauensstärkende Politik im nationalen Rahmen, und wir brauchen internationale Zusammenarbeit.
Die Louvre-Vereinbarung vom Februar gehört zu den wichtigen und auch zu den von vielen falsch verstandenen Schritten. Sie soll nach unserer Auffassung Bestand haben. Sicher muß sie auf Grund der jüngsten Erfahrungen in einigen Elementen weiter formuliert und neu akzentuiert werden. Es geht um viel mehr als um eine Begrenzung der zu extremen Wechselkursschwankungen der vergangenen Jahre. Es geht um die bessere Abstimmung der Wirtschafts-, Finanz-, Handels- und Währungspolitik der beteiligten Länder, um Stabilität und Wachstum zu fördern. Natürlich bleibt es bei der Eigenverantwortung der nationalen Institutionen, der Parlamente, der Notenbanken. Es muß ein flexibles System sein; es ist nicht ein System einer Gleichschaltung oder einer zentralen Planungsautorität. Ich sage das, weil wir auch in unserem Land seit Sommer dieses Jahres eine öffentliche Kritik an dieser Zusammenarbeit gehabt haben, die nicht hilfreich war, die vielleicht auch ein Stück zur Schwächung beigetragen hat und in der die Motive dieser Zusammenarbeit und die Intentionen, wie ich glaube, nicht richtig gewürdigt wurden.
Wir haben das verwirklicht, was wir im Februar angekündigt haben. Der Bundeskanzler hat es gesagt. Die Bundesbank hat ihre Bereitschaft zur Kooperation durch eine bewegliche, den Umständen Rechnung tragende Geldpolitik zuletzt durch ihre Beschlüsse zur Senkung der kurzfristigen Zinsen gestern erneut unterstrichen.
Meine Damen und Herren, bei wieder steigenden Haushaltsdefiziten — ein Punkt, der uns, die Haushaltspolitiker aller Fraktionen, schon beschwert, Herr Esters — und sehr reichlicher Geldversorgung von „deflatorischer Politik" zu sprechen ist nun wirklich abwegig.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Das muß man einigen sagen, die aus der anderen Richtung kritisch sprechen. Angesichts ausreichender Kapazitäten und voraussichtlich erneut sinkender Importpreise besteht aber auch kein Anlaß zu aktuellen Inflationssorgen. Das ist die andere Diskussion, die wir und vor allem die Bundesbank zu führen haben.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Das kommt früh genug!)

— Ich sehe das überhaupt nicht, Herr Kollege. — Die jüngste weitere Aufwertung der Deutschen Mark
— sie ist jetzt so nebenbei innerhalb von vier, fünf Wochen um 8, 9 % gegenüber dem Dollar aufgewertet worden — wird, so problematisch sie in anderer Hinsicht ist, ein höheres Maß an Preisstabilität für die Verbraucher und für die Betriebe bringen, als wir in unseren Prognosen noch vor kurzem angenommen haben. Da müßten schon andere schlimme Fehler machen, wenn wir diesen Stabilitätsgewinn nicht nach Hause tragen. Er ist natürlich ein Pluspunkt in der jüngsten Entwicklung, die uns sonst Sorgen macht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage das hier noch einmal so eindringlich, weil der Herr Kollege Apel in seinem Horrorgemälde über unsere wirtschaftlichen Probleme und über unser Versagen nun noch von drohenden Preissteigerungen geredet hat.

(Dr. Apel [SPD]: Wieviel Arbeitslose haben wir denn in unserem Land?)

Ich rede zur Zeit von Preisen. Auch Sie haben von Preisen geredet, dann kann ich hier doch auch Ihre Rede einmal ansprechen, mit der ich mich sonst nicht lange auseinandersetzen will, wie Sie feststellen.

(Dr. Apel [SPD]: Darf ich noch eine Frage stellen?)

— Nein, eine Zwischenfrage reicht, Herr Kollege Apel; es waren gleich drei Fragen darin enthalten. Ich habe sie beantwortet. Ich muß auch an die anderen Kollegen denken, die nach uns noch reden werden. Ich möchte mich kurz mit Ihnen auseinandersetzen: Das hat mit der Realität nichts zu tun. Weil Sie von den drohenden Steuererhöhungen bei Benzin sprachen
— ich könnte Ihre eigenen Interviews vor der Wahl über Überlegungen zur Mineralölsteuererhöhung bei Ihnen noch einmal vortragen; das will ich aber nicht — , will ich Sie doch einmal daran erinnern, daß wir gegenwärtig eine Situation haben, in der der Benzinpreis 38 Pf niedriger ist als vor zwei Jahren. Weil Sie die Energiekosten beschworen haben, will ich Sie daran erinnern, daß die Heizölpreise um 40 % zurückgegangen sind. In Ihrer Zeit hatten wir jährliche Inflationsraten von 4, 6, 7 % mit schlimmen Wirkungen für die Verbraucher und die sozial Schwachen und ständig steigende Steuererhöhungen in diesen Sektoren.

(Frau Traupe [SPD]: Aber nicht so viele Arme, Herr Stoltenberg!)

Und der Herr Apel kommt hierher und greift uns an bei so optimalen Wirkungen der Preisstabilität, angeblich als Anwalt der kleinen Leute, Herr Apel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Man muß schon sagen: Dazu gehört ein ungewöhnliches Maß an Dreistigkeit und auch noch ein ungewöhnlich schlechter Redeschreiber; beides haben wir, glaube ich, heute morgen bei Ihnen hier erlebt. Das war ungewöhnlich schlecht.

(Beifall bei der CDU/CSU — Oh-Rufe bei der SPD — Dr. Apel [SPD]: Eindrucksvoll! Exzellent! Sehr großartig!)

Meine Damen und Herren, man muß anerkennen, daß auch andere Partnerländer wichtige Punkte der in Paris abgesprochenen Politik verwirklichen. Dabei ist der entschlossene und offenbar erfolgreiche Widerstand der amerikanischen Regierung gegen eine protektionistische Handelsgesetzgebung hervorzuheben. Wir haben wenig beachtet, daß jedenfalls in der aktuellen Situation die protektionistischen Kräfte im Kongreß geschwächt sind, ich will nicht sagen, daß die Gefahr überwunden ist. Das ist positiv. Dazu gehören wichtige Entscheidungen zur Steuerreform und Steuersenkung insbesondere in Japan und Frankreich — Steuerreform und Steuersenkung. Ich komme da noch auf Ihre Ausführungen, Herr Kollege Apel.

(Dr. Apel [SPD]: Ich zittere!)




Bundesminister Dr. Stoltenberg
Ich möchte nur einmal darauf verweisen, daß dieses Konzept — niedrigere Tarife, drastische Senkung des Tarifverlaufs für die Regelbesteuerung und weniger Ausnahmen — international immer mehr an Boden gewinnt. Sie konnten am Wochenende in den führenden internationalen Wirtschaftszeitungen das Konzept der griechischen Mehrheitspartei und der griechischen Regierung Papandreou lesen. Diese PASOK in Griechenland ist nun wirklich ein Hort linkssozialistischer Überzeugung und Ideologie. Trotzdem sind sie auf Anraten von einigen hervorragenden Finanzpolitikern jetzt zu einem Konzept mit einer drastischen Tarifsenkung und der Senkung des Spitzensteuersatzes von 63 % auf 50 % gekommen.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Die PASOK in Griechenland unter Papandreou ist gegenüber Apels SPD eine wirklich fortschrittliche und vernünftige Partei geworden, wenn man das miteinander vergleicht,

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei der SPD)

jedenfalls in der Finanz- und Steuerpolitik.

(Dr. Vogel [SPD]: Vereinigung der Freunde Papandreous!)

Herr Apel, wenn wir einmal einen Mitarbeiter ansetzten, wie oft Sie uns in diesen Debatten nun den Vorwurf gemacht haben — nach dem vorbereiteten Manuskript — , wir wollten hier zur Schließung von Haushaltslücken Bundesunternehmen „verscherbeln",

(Dr. Apel [SPD]: Das stimmt doch! Ich bitte Sie!)

dann würden wir das mit Ihrem Namen oder dem Namen von Herrn Roth verbunden mittlerweile sicher fünfzehnmal in den Protokollen des Deutschen Bundestages finden.

(Dr. Vogel [SPD]: Das reicht noch nicht! — Dr. Apel [SPD]: Das stimmt doch leider!)

Es fällt Ihnen nichts Neues mehr ein, obwohl in den sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien Europas in den letzten drei Jahren ein erheblicher Neuorientierungsprozeß eingesetzt hat.

(Dr. Apel [SPD]: Ist das jetzt eine Begründung für Sie, was die Sozialisten in anderen Ländern machen?)

Da brauchen Sie gar nicht bis Griechenland zu gehen. Aufgeklärte sozialdemokratische Politiker wie der österreichische Bundeskanzler Vranitzky und mein Kollege Lacina, der ursprünglich ein Mann der Linken in der Sozialistischen Partei Österreichs war,

(Dr. Apel [SPD]: Oh! So etwas!)

sind heute Vorkämpfer für eine Privatisierung, weil sie erkannt haben, daß dieser Anteil und diese Form der Staatswirtschaft zu einer unerträglichen Last für ihr Land und seine Steuerzahler geworden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Poß [SPD]: In Österreich werden doch ganz andere Dinge verstaatlicht!)

Herr Apel, die französischen Sozialisten, die 1981 und 1982 auf breiter Front sozialisiert haben, erklären heute, daß sie die Privatisierung, die dort von einer liberal-konservativen Regierung durchgeführt wird, nicht mehr rückgängig machen wollen, daß sie die Privatisierungspolitik im Kern akzeptieren. Auch hier ist die deutsche Sozialdemokratie, wie Ihre Reden zeigen, weit hinter der Entwicklung aufgeklärter sozialdemokratischer Parteien in Europa zurück.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, uns wird nun heute wirtschafts- und finanzpolitisch die Frage gestellt, währungspolitisch der Bundesbank, ob wir über die in Paris angekündigten Schritte hinaus Spielraum zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung haben. Das erörtern wir nach der amerikanischen Budgetabsprache, nachdem der wichtigste Partner seine Grundsatzentscheidung getroffen hat, innerhalb der Regierung, Bundesregierung und Bundesbank gemeinsam, auch in ersten engen Kontakten mit unseren europäischen Partnern. Ich glaube nicht, daß wir diese Diskussion auf die lange Bank schieben sollten. Ich glaube, daß wir in relativ kurzer Zeit zu Folgerungen kommen müssen, die dann sicher auch im Hohen Hause diskutiert werden.
Ausgangspunkt aber ist, daß die Finanzpolitik in diesem Zusammenhang mit vollkommen entgegengesetzten Erwartungen konfrontiert wird. Auf der einen Seite fordern ja viele unserer Partner im Ausland, auch Stimmen in der nationalen Diskussion, nachhaltig eine noch expansivere Finanzpolitik, d. h. noch höhere Fehlbeträge, Defizite in unseren öffentlichen Haushalten.
Ich zitiere in diesem Zusammenhang gerne den früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt, der in vielen Artikeln und Reden in den letzten Wochen nachdrücklich verlangt hat, eine erheblich steigende Neuverschuldung in Kauf zu nehmen, um wirtschaftliche Impulse zu geben. Herr Apel, ich habe auch mit Interesse gelesen, was er dabei in der „Zeit" über die Beiträge der sozialdemokratischen Opposition zu dieser Debatte gesagt hat. Das war sehr kritisch.

(Frau Traupe [SPD]: Sie hat er auch nicht gelobt! — Dr. Vogel [SPD]: Sie sind ausnahmsweise in guter Gesellschaft!)

— Das bin ich häufiger, Herr Kollege Vogel, als Sie unterstellen.

(Dr. Vogel [SPD]: Wir wollen nicht wieder über die Sachen reden!)

— Nein, wir reden jetzt über den Deutschen Bundestag und über unsere Arbeit hier in Regierung und Koalition, und ich gebe Ihnen auf eine sehr unfreundliche Zwischenbemerkung eine relativ freundliche Antwort, wie das meiner heutigen Stimmung entspricht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auf der anderen Seite wird warnend auf die Gefahr viel zu hoher neuer struktureller Defizite hingewiesen, übrigens auch in dem am Montag veröffentlichten Gutachten des Sachverständigenrats. Dies war die Position der Finanzminister der Länder und der



Bundesminister Dr. Stoltenberg
Vertreter der kommunalen Spitzenverbände am vergangenen Donnerstag, als wir im Finanzplanungsrat vor allem auch dieses Thema erörtert haben.
Diese Vertreter der Länder sehen zunächst keinerlei Spielraum für weitere Einnahmeausfälle oder zusätzliche Ausgaben. Wir werden deshalb noch diskutieren und dann zu Folgerungen und Vorschlägen kommen. Im Widerstreit der ernst zu nehmenden genannten Argumente ist dies im Grund eine Gratwanderung geworden. Aber auf Grund der guten Fortschritte bei der Rückführung der jährlichen Neuverschuldung — Herr Carstens und Herr Weng haben das zu Recht hervorgehoben — bis 1986

(Walther [SPD]: Welch ein Fortschritt!)

sowie der international beneideten hohen Preisstabilität gehen wir diesen schmalen Weg auf einer festeren Grundlage.
Nun will ich zu Ihrer Frage Stellung nehmen. Wir hatten 1981 eine jährliche Neuverschuldung bei Bund, Ländern und Gemeinden, gemessen an der volkswirtschaftlichen Leistung, von 4,5 % und 1986 von 2,1 %. Jetzt nähern wir uns in der Tat etwas schneller, als uns allen lieb sein kann, wieder den 3 %. Aber das bleibt natürlich ein qualitativer Unterschied gegenüber den Jahren 1981 und 1982 und in der Regel auch gegenüber den 70er Jahren. Insofern ist dies eine Gratwanderung.
Sie kann nur gelingen, wenn zugleich Schluß gemacht wird mit einer Überfülle neuer Anforderungen an die öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir müssen uns in einer wirtschaftlich problemreicheren Zeit — ich mache keine Schwarzweißmalerei; es wäre falsch, das zu übersehen — mit größeren Risiken im internationalen Zusammenhang auf die zentrale, vorrangige Frage konzentrieren, wie wir Wachstumskräfte stärken und die Arbeitsmarktlage verbessern können. Dies erfordert allerdings einen erheblich umfassenderen konzeptionellen Ansatz, als nur auf die Finanzpolitik oder die Geldpolitik zu schauen. Sie kann diese Aufgabe nicht allein meistern. Sie wäre nach den Erfahrungen der 70er Jahre dann schnell überfordert.
Eine herausragende Verantwortung tragen vor allem die Tarifpartner, also Gewerkschaften und Arbeitgeber. Tarifautonomie gehört zu den großen unbestrittenen gesellschaftspolitischen Freiheiten unseres Staatswesens. Die Wirkungen tarifpolitischer Forderungen und Entscheidungen müssen deshalb selbstverständlich umfassend, offen und auch kritisch diskutiert werden, genauso wie die Wirkungen oder Planungen unserer Entscheidungen im Parlament und in der Regierung so diskutiert werden müssen. Sie müssen jederzeit und gerade heute unter dem Vorzeichen erneut verschärfter Bedingungen des Wettbewerbs um Marktanteile und Arbeitsplätze diskutiert werden. Es besteht ja wohl Einvernehmen, daß eine nachhaltigere Entwicklung der Binnennachfrage noch wichtiger für befriedigendes Wirtschaftswachstum und mehr bezahlbare Arbeit wird. Wenn das aber so ist, muß das zu Konsequenzen für die tarifpolitischen Prioritäten des Jahres 1988 führen. Ich bekräftige meine Überzeugung — ich sage gleich etwas zu den Anmerkungen von Herrn Weng — , daß der Spielraum für die kommende Lohnrunde für einen Zuwachs der verfügbaren Arbeitnehmereinkommen genutzt werden sollte, statt im nächsten Jahr Kosten im wesentlichen durch weitere lineare Arbeitszeitverkürzung zu erzeugen. Ich sage das ganz ausdrücklich.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Ich habe das auch von einem größeren Kreis von Journalisten vor acht Tagen gesagt. Weil die Berichterstattung — ich will das hier ausdrücklich sagen — korrekt war, aber ein Journalist das Wort „kräftig" hinzugefügt hat, das ich nicht verwendet hatte, sage ich hier: Ich habe gar nicht die Absicht, jetzt in eine öffentliche Debatte über den Spielraum einzutreten, der für die Lohnrunde des nächsten Jahres zur Verfügung steht. Da wird sich die Bundesregierung intern eine Meinung für den öffentlichen Dienst bilden. Das haben wir noch nicht exakt. Da werden sich auch andere eine Meinung bilden. Es geht mir im Augenblick nicht um eine Diskussion über den Spielraum, sondern um die Priorität: Steigerung der verfügbaren Arbeitnehmereinkommen im nächsten Jahr oder Arbeitszeitverkürzung. Wenn wir die Stärkung der Binnennachfrage wollen, hilft die Steuerentlastung von 14 Milliarden. Aber da muß noch ein Stück mehr dazukommen, auch in der Tarifpolitik selbstverständlich. Deshalb ist das Thema Arbeitszeitverkürzung nicht die richtige Priorität.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Weng, ich bezweifle, daß eine Priorität „Arbeitszeitverkürzung im öffentlichen Dienst 1988" uns wirklich — das war ja Ihre Begründung — eine anhaltende Entlastung in den Ausgaben des Haushalts gäbe. Jedenfalls ist das nicht die Intention derer, die diese Politik betreiben. Mehr will ich dazu im Augenblick nicht sagen.
Dies berührt ja eine weitergehende Frage — ich will sie nicht sehr vertiefen — : die Problematik von Arbeitszeitverkürzung generell. Ich weise eindringlich nur darauf hin: Die Arbeitszeit in der Bundesrepublik Deutschland liegt mittlerweile mit einer Jahresstundenzahl von 1 600 international im untersten Bereich.

(Roth [SPD]: Und wo liegt die Produktivität?)

— Ich nenne Ihnen einige Zahlen, Herr Roth: In der Schweiz wird 200, in Japan 600 und in Südkorea mit 2 300 Stunden sogar 700 Stunden im Jahr länger gearbeitet als bei uns. Ich will hier auch einfach einmal sagen: Nach Berichten in der internationalen Presse der letzten Tage wird Südkorea mit einem realen Wachstum von 12 % in diesem Jahr mit weitem Abstand die Nummer eins in der Dynamik aller Industrieländer sein. Man muß leider auch zugeben, daß Japan die Anpassung an den Binnenmarkt etwas schneller und wirksamer vollzieht als wir in Europa und in der Bundesrepublik Deutschland. Damit sollten wir uns einmal auseinandersetzen, warum das so ist. Die Finanzpolitik und die Geldpolitik sind gar nicht sehr



Bundesminister Dr. Stoltenberg
unterschiedlich, aber die Anpassung funktioniert schneller.
Die Schweiz ist uns wirklich einer ernsthaften Betrachtung wert, in allen Parteien. Wir müssen einmal fragen: Warum hat dieses Land als einziges Land in Europa — ich nehme einmal Liechtenstein, Andorra und auch Luxemburg aus — durch alle Entwicklungen und Erschütterungen der letzten Jahre hindurch Vollbeschäftigung?

(Roth [SPD]: Und Schweden!)

— Nein, Schweden hat es nicht, hat aber eine geringere Arbeitslosigkeit als wir und andere. Vollbeschäftigung im wirklichen, exakten Sinne, Herr Roth, hat nur die Schweiz. Das heißt doch, daß mehr Arbeit nicht gerade ein Hindernis auf dem Wege zur Vollbeschäftigung ist, wenn ich das Schweizer Beispiel für unsere Betrachtung hier richtig interpretiere.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun überrascht es mich schon — ich habe es in den letzten Tagen wieder erlebt —, daß einige Gewerkschaftsfunktionäre und auch Kommentatoren der Bundesregierung oder ihren Mitgliedern das Recht absprechen wollen, derartige Auffassungen öffentlich zu äußern. Das ist schon ein sehr merkwürdiges Demokratieverständnis. Erstens. Die Bundesregierung ist für den öffentlichen Dienst selbst Tarifpartner. Zweitens. Sie trägt unternehmerische Verantwortung. Gerade in meinem Geschäftsbereich gibt es eine große Zahl von Unternehmen und Beteiligungen. Wir wollen die Zahl durch Privatisierung zwar verkleinern, aber sie ist noch beträchtlich. Und vor allem, meine Damen und Herren: Dies ist intellektuell unredlich, weil dieselben Gewerkschaftsführer und auch Unternehmer sehr genau wissen, wie sie den Weg zum Bundesfinanzminister, zum Bundeswirtschaftsminister finden, um neue Subventionen einzuklagen, wenn durch falsche unternehmerische Entscheidungen oder auch falsche Tarifentscheidungen Probleme entstehen. So kann die Arbeitsteilung ja wohl nicht sein!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir müssen uns — man kann sich ja nur wundern — nicht nur in der „Welt der Arbeit" — das überrascht mich nicht —, sondern sogar auch in einem so vornehmen Blatt wie dem „Handelsblatt" mitteilen lassen, wir sollten uns zu diesen Dingen lieber nicht äußern.

(Poß [SPD]: Da können Sie mal sehen, welche Ratschläge jetzt aus welcher Ecke kommen!)

Das zeigt schon eine gewisse ordnungspolitische Verwirrung mancher Kommentatoren. Nein, meine Damen und Herren: Wir sind kein Reparaturbetrieb für das Fehlverhalten von Unternehmen und Gewerkschaftsfunktionären. Das ist mein Staatsverständnis.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Poß [SPD]: Stamokap! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Ja, erinnert an eine bekannte Debatte bei Ihnen. — Wir sind bereit, soziale Anpassungsprozesse zu flankieren.

(Dr. Vogel [SPD]: Wie bescheiden auf einmal!)

Aber man kann sich beim Entscheiden und auch im Fehlverhalten nicht auf Autonomie berufen und sagen: Die Folgen müssen dann der Staat und die Steuerzahler zahlen, was zu neuen Ungerechtigkeiten führt, vor allem gegenüber den kleinen Betrieben des Mittelstandes und ihren Mitarbeitern, die dann so oft die Benachteiligten sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir beteiligen uns an dieser Diskussion, und mit unserer Steuerpolitik leisten wir einen wichtigen Beitrag. Die Stärkung der privaten Nachfrage durch steuerliche Entlastung ist in einer Situation der Unsicherheit über das künftige wirtschaftliche Wachstum besonders wichtig, auch für die Investoren hilfreich. Wir wollen deshalb unsere steuerpolitischen Beschlüsse, die wir im Oktober konkretisiert haben, im vorgesehenen Zeitplan verwirklichen. Aber das Entscheidende ist die langfristige, positive Auswirkung der Steuerreform durch die nachhaltige Verbesserung der Anerkennung beruflicher Leistung, des volkswirtschaftlichen Anreiz- und Lenkungssystems. Wir sollten das wirklich ernsthaft und nicht, wie Herr Apel heute wieder, mit einer Fülle zum Teil falscher, zum Teil irreführender Behauptungen einer oberflächlichen Verteilungsdiskussion diskutieren.

(Dr. Apel [SPD]: Aha! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Ich komme gleich zu Ihnen, machen Sie sich keine Sorge! Nach langer Zeit wende ich mich Ihnen wieder zu, Herr Apel. Sie haben ja pausenlos auf uns eingeredet. Ich rede mehr zur Sache als Sie, aber etwas auch zur Person. — Wenn wir das ökonomisch richtige Konzept zerreden lassen würden, würden wir einen schweren Fehler machen. Dann würden wir im härteren Wettbewerb langfristig nicht die Mittel erwirtschaften können, um den wirklich Hilfsbedürftigen in unserer Gesellschaft jene Unterstützung zu geben, die sie brauchen.
Herr Kollege Apel, Sie begegnen härtester sachverständiger Kritik bis hin zu der eines so bedeutenden Mannes, der Ihnen auch durch die Hansestadt Hamburg eng verbunden ist, wie des früheren Wirtschafts- und Finanzministers Professor Karl Schiller, der heute ja immer noch Mitglied Ihrer Partei ist. Ich will nach den absurden Geschichten, die Sie hier wieder gesagt haben, einmal kurz vortragen, was Karl Schiller in einem lesenswerten Interview in der Zeitschrift „Impulse" im Sommer dieses Jahres ausgeführt hat: Frage an Karl Schiller — ich zitiere mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten — :
Ihre Parteifreunde von der SPD fordern weiter Konjunkturprogramme.
Karl Schiller antwortet:
Ich rede ihnen deswegen auch ins Gewissen, aber leider nicht immer mit Erfolg. Ich halte den Weg der verstärkten Steuersenkung für richtig.



Bundesminister Dr. Stoltenberg
Nächste Frage:
Was halten Sie von der SPD-Kritik an den Steuerbeschlüssen der Regierung?
Karl Schiller antwortet:
Durch die Diskussion um Pro-Kopf-Entlastung wird in der Tat viel Verwirrung gestiftet. Wir haben einen progressiven Lohn- und Einkommensteuertarif, und natürlich muß, wenn diese Steuer gesenkt wird, sich das bei höheren Einkommen stärker auswirken. Wir haben eben keine Kopfsteuer.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dritte und letzte Frage:

Die SPD will Besserverdienende stärker besteuern.
Karl Schiller:
Das ist der Hauptpunkt der Auseinandersetzung. Eine Steuererhöhung zu fordern, wenn die Konjunktur nicht überschäumt, sondern sich eher abschwächt, halte ich konjunkturpolitisch schlicht für falsch.
Zum Schluß wird er dann gefragt, warum er noch in der SPD sei. Da sagt er, er arbeite immer noch daran, daß in seiner Partei der marktwirtschaftliche Gedanke wiederbelebt werde.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich muß nach der heutigen Rede von Herrn Apel sagen: Diese hoch verdienstvollen Bemühungen von Professor Karl Schiller sind leider, wenn man Herrn Apel hört, total aussichtslos.

(Widerspruch bei der SPD)

Der marktwirtschaftliche Gedanke ist in der SPD der Herren Apel, Vogel und Roth in einem verstaubten Archiv wahrscheinlich unter dem Stichwort „Marx" , aber nicht „Markt" abgelegt worden. Das ist die Situation.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Apel [SPD]: Die Marktwirtschaft in der Agrarpolitik des Herrn Stoltenberg! Da lache ich mich doch kaputt!)

— Nun bleiben Sie doch bei der Steuerpolitik, Herr Apel! Sie sind in der Hamburger SPD in allen Tricks der Ablenkung geschult, aber wir reden zur Zeit über die Steuerpolitik und über Ihre Ausführungen.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im Gegensatz zu Ihren wahrheitswidrigen Behauptungen ist diese Politik in der Tat so angelegt, daß sie unseren Mitbürgern, den arbeitenden Menschen und den Betrieben langfristig eine entscheidende Entlastung bringt. Natürlich sind kritische Anmerkungen der Verbände nicht überraschend. Es gibt aber auch grundlegende Widersprüche in der sozialdemokratischen Diskussion. Herr Apel hat gesagt, für die Quellensteuer habe sich vor vielen Jahren einmal ein Sozialdemokrat ausgesprochen, das sei längst erledigt. Dann hat er eine Position entwickelt, die in vollkommenem Gegensatz zu dem steht, was der sozialdemokratische Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Diether Posser, noch vor wenigen Wochen, im November, also in diesem Monat, in einem Interview mit dem schon erwähnten „Handelsblatt" gesagt hat. In diesem Interview — ich zitiere das einmal; es ist kurz, Herr Präsident — heißt es folgendermaßen:
Posser: Notwendig wäre, um die Zinseinkünfte wirklich steuerlich zu erfassen, eine Erhöhung der Quellensteuer von 10 auf 25 %, also auf den Satz der großen Kapitalertragsteuer, und die Aufhebung des Banken-Erlasses.
Nun muß ich sagen: Diether Posser ist ein sehr sachkundiger und ernst zu nehmender Finanzpolitiker, den ich bei allen Meinungsverschiedenheiten schätze. Ich will jetzt nicht zu anderen Kollegen in diesem Haus vergleichend Stellung nehmen — aus Höflichkeit. Diether Posser ist ein Mann, der in Ihrer Partei mindestens dasselbe Gewicht hat wie Sie, Herr Apel. Also klären Sie das zunächst einmal, bevor Sie solche Ausführungen im Deutschen Bundestag wiederholen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Poß [SPD]: Haben wir in Nürnberg beschlossen!)

— Kapitalertragsteuer von 25 % ist der Punkt.

(Dr. Vogel [SPD]: Aufhebung des BankenErlasses, Majestät!)

Entschuldigen Sie, der erste Punkt ist natürlich der wesentlich gravierendere in der jetzigen steuerpolitischen Debatte.

(Dr. Vogel [SPD]: Nein! Der zweite!)

— Also, Herr Vogel, Sie machen jetzt Dialektik. Ich bin dafür vollkommen ungeeignet.

(Dr. Spöri [SPD]: Das ist Kontrollmitteilung! — Poß [SPD]: Das haben wir in Nürnberg beschlossen!)

Jeder kann im Protokoll nachlesen, daß das etwas vollkommen anderes ist als das, was uns Herr Apel hier vorgetragen hat.

(Dr. Vogel [SPD]: Genau das haben wir beschlossen! — Dr. Spöri [SPD]: Das Zitat war ein Flop! — Dr. Vogel [SPD]: Trick mißglückt!)

— Nun seien Sie doch einmal ganz friedlich.
Meine Damen und Herren, ich will hier in aller Deutlichkeit sagen, daß wir eine langfristige und — —

(Poß [SPD]: Wie die ganze Finanzpolitik: ein Desaster! — Dr. Apel [SPD]: Ein Trick!)

— Sie sind in einem Zustand der emotionalen Erregung, der durch meine Ausführungen überhaupt nicht gerechtfertigt wird.
Nein, wir haben hier ein Konzept verwirklicht, dessen Kernstück wirklich der Reformtarif ist. Der Tarif ist die Regelbesteuerung, ist die Normalbesteuerung, ist das, was die ehrlichen Steuerzahler, vor allem diejenigen, die nicht optimale Beratung und expertenhafte Unterstützung für die Nutzung all der Schlupflöcher und Ausnahmebestimmungen haben, zahlen müssen. Deshalb ist die grundlegende Reform und Verbesserung des Tarifs die wirklich soziale Großtat



Bundesminister Dr. Stoltenberg
dieser Steuerreform. Ich will das hier ganz klar sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Natürlich stellen auch wir die Entlastungsvergleiche im Entstehungsjahr an. Sie gehören zur Debatte dazu. Aber das ist für mich gar nicht das Entscheidende. Für mich ist die Dauerhaftigkeit der Entlastung das Entscheidende. Stellen wir uns einmal in der Wirklichkeit des Lebens vor: Ein arbeitender Mensch — Arbeitnehmer, Selbständiger, Mittelständler — damit 35 oder 45 Jahren hat ja in der Regel eine Vorstellung, was er beruflich noch erreichen will, welche Entwicklungs- und Entfaltungschancen für ihn noch vorhanden sind. Deswegen muß man im Hinblick auf die Situation der Menschen in jüngeren und mittleren Jahrgängen — aber das gilt sicher auch noch für einen 50jährigen — einmal diese Zeitperspektive hineinnehmen.
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, was das mit dem neuen Tarif gegenüber dem Tarif, wie er bis 1985 galt, bedeutet. Ein Arbeitnehmer, der 1990 45 000 DM verdient, hat zehn Jahre später bei jährlichen Lohnsteigerungen von 3 % einen Bruttojahresverdienst von 60 500 DM. Nach dem Reformtarif 1990 sind über den 10-Jahres-Zeitraum von 1990 bis 2000 mit dieser nicht unrealistischen Annahme von ihm in der Steuerklasse I insgesamt 38 941 DM oder 25,8 % weniger Steuern zu zahlen als nach dem bis 1985 geltenden Tarif.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Diese Zeitperspektive in der Entlastung bei steigenden Einkommen und vor allem natürlich bei denjenigen, die auch bereit sind, beruflichen Aufstieg und Qualifikation zu bejahen, ist das eigentlich Bedeutende, und das darf jetzt vor all dem Interessentengezänk über einzelne Privilegien von Minderheiten nicht verloren gehen, meine Damen und Herren. Das ist mein Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Weil das so ist, weil die Normalbesteuerung, die Regelbesteuerung der arbeitenden Menschen — von der Beschreibung der Einkommensgruppe sicher ein typischer qualifizierter Arbeiter, von dem wir hier reden, oder ein vergleichbarer Angestellter oder Beamter — eine dauerhafte echte Entlastung bewirken soll, weil Mehreinkommen durch Tarifvereinbarung oder durch beruflichen Aufstieg nicht konfiskatorisch besteuert werden soll, ist dies eine fortschrittliche Konzeption. Das ist viel wichtiger als die Debatte über eine Fülle von Einzelfragen, Probleme von privilegierten Minderheiten, die wir dann weiterführen werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wir haben — das will ich auch einmal zu Ihrer zu pessimistischen Beurteilung, Herr Kollege Apel, sagen — die Ausgaben in diesem Jahr bis jetzt sehr gut unter Kontrolle. Sie stiegen bis Ende Oktober um 2,1 %. Das ist eine sehr niedrige Steigerungsrate. Nun gibt es einen Basiseffekt, und auch wir rechnen damit — ich habe es hier schon einmal gesagt — , daß wir zum Schluß knapp 3 % Zuwachs haben oder durch Sonderfaktoren — unvorhergesehene Mehrausgaben, etwa bei den Bürgschaften — vielleicht auch bei 3 % bleiben. Aber damit liegen wir natürlich noch weit unter dem Zuwachs der Länder und Gemeinden, von früheren Zeiten ganz zu schweigen.
Schon in diesem Jahr haben wir auf Grund der genannten Probleme ja die Schwierigkeiten bei den Einnahmen. Das setzt sich fort. Gewisse ökonomische Schwankungen, die ich hier analysiert habe, vor allem in ihren wechselkursbedingten Ursachen, wirken sich da aus. Allerdings auch das hohe Maß an Preisstabilität kostet uns Einnahmen. Das müssen wir in Kauf nehmen.
Ähnlich ist die Grundstruktur 1988. Über die Risiken ist gesprochen worden. Herr Apel, ich brauche zur Europäischen Gemeinschaft nicht mehr zu sagen, als ich hier am 9. September bei der Einbringungsrede gesagt habe. Manfred Carstens hat es aufgenommen. Wir haben noch nicht die politischen Entscheidungen. Die heutigen Presseberichte im Hinblick auf den Kopenhagener Gipfel sind eher besorgt. Es ist möglich, daß sie erst im Laufe des nächsten Jahres getroffen werden. Aber wenn wir die Entscheidung über einen weiteren Transfer von Ressourcen an die EG haben, dann braucht der Bund einen Ausgleich. Natürlich gilt das, was in der Koalitionsvereinbarung festgehalten ist, wobei Zeitpunkt und Modalitäten offen sind.

(Dr. Apel [SPD]: Nach den Wahlen! Wie immer!)

— Ach, das hat doch gar nichts damit zu tun, Herr Kollege Apel. Ich bitte Sie, wirklich einmal ernsthaft zu werden. In Ihrer Regierungszeit sind die Verbrauchsteuern und die Mehrwertsteuer in einer Zeit der Inflation um 25,6 Milliarden DM jährlich erhöht worden. Wir haben rückläufige Preise vor allem im Energiesektor. Wir haben ein nie gekanntes Maß an Preisstabilität. Wir reden hier ganz offen über die Zukunftsprobleme. Lassen Sie doch diese Zwischenrufe sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir werden, soweit sich durch die jüngsten Entwicklungen Turbulenzen an den Märkten, Abschwächungen im Wachstum ergeben, in einem gewissen Umfang ein höheres Defizit hinnehmen müssen. Aber wir müssen die langfristigen Haushaltsbelastungen durch eine wieder steigende Nettokreditaufnahme dabei sehr ernst nehmen. Das ist der Grund, warum ich auch sage: Wenn wir international dauerhaft neue erhebliche Verpflichtungen übernehmen müssen, muß auch die Frage des Ausgleichs gestellt werden. Das haben auch frühere Finanzminister, vor und nach 1969, nicht anders gesehen.
Wir stehen vor der Aufgabe, die Anpassung unserer Volkswirtschaft an die veränderten Bedingungen zu fördern, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des notwendigen Kapazitätsabbaus in Bereichen sinkender Nachfrage so zu gestalten, daß sie erträglich werden. Aber der entscheidende Teil unserer volkswirtschaftlichen Ressourcen muß den Zukunftsaufgaben zugewandt werden; sonst werden wir zwischen Strukturkonservierung und Strukturflankierung jede Kraft verlieren, auch finanzwirtschaftlich die Zukunftspro-



Bundesminister Dr. Stoltenberg
bleme der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherung zu lösen.
Ich will schließen mit vier vorrangigen Zielen. Wachstum und Beschäftigung unter einem strengeren ökologischen Ordnungsrahmen zu fördern geht über die Finanzpolitik hinaus; sie muß einen Beitrag leisten.
Die Bundesrepublik als Standort für Zukunftsinvestitionen wieder attraktiver zu machen ist entscheidend, wenn Wirtschaft und Arbeitsmarkt einen positiven Trend erhalten und noch in stärkerem Umfang gewinnen sollen.
Auf der Grundlage einer starken Volkswirtschaft soziale Sicherung verläßlich auch unter dem Vorzeichen der großen demographischen Veränderungen der kommenden 20 Jahre zu gestalten, ist die große Herausforderung, vor der wir alle stehen und die ohne eine blühende Volkswirtschaft nicht zu meistern ist.
Schließlich: Das erreichte Höchstmaß an Preisstabilität zu sichern ist wirklich die Voraussetzung dafür, daß wir nicht nur verbal soziale Reden hören, sondern auch soziale Wirklichkeit in unserem Lande gewährleisten. Dafür wollen wir weiter arbeiten. Dafür soll die Finanzpolitik ihren Beitrag leisten.
Schönen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104203300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Esters.

Helmut Esters (SPD):
Rede ID: ID1104203400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich wissen wir, Herr Finanzminister, daß auch in unserer Regierungszeit hin und wieder Verbrauchsteuern erhöht worden sind.

(Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Hin und wieder? — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Nennen Sie die mal, dann ist Ihre Redezeit zu Ende!)

— Natürlich, es waren einige. Nur, in der überwiegenden Zahl der Fälle haben wir den Bürgern vor den Wahlen gesagt, daß wir danach eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vornehmen würden — 1976 z. B. um zwei Punkte —, während Sie vor den Wahlen ausschließlich von großen Steuersenkungspaketen sprechen. Nach den Wahlen kommt dann in der Koalitionsvereinbarung das, was der Bundesfinanzminister angesprochen hat

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

und was der Kollege Carstens mit den Worten bestätigt hat: Wir stehen zur Koalitionsvereinbarung, zu dem, was im einzelnen darin steht. Dort heißt es — nur um das zu erläutern — :
Unter diesen Vorzeichen
— also keine Leistungsgesetze bis Anfang 1989 —
ist 1988 eine Übertragung von Steuereinnahmen des Bundes an die EG von höchstens 0,2 % des mehrwertsteuerpflichtigen Bruttosozialproduktes vertretbar. Hierfür und für eine eventuelle weitere Übertragung 1991 ist ein voller Ausgleich für den Bund erforderlich. Erforderlich dafür ist
ein begrenzter Spielraum bei spezifischen Verbrauchssteuern.
Dies ist der Teil, der in der Koalitionsvereinbarung steht.
Sie haben in einem anderen Punkt, Herr Minister, den Kollegen Carstens leider enttäuscht, indem Sie seine Anregung nicht aufgenommen haben, auf Kosten des Steuerzahlers eine internationale Konferenz
— ich nehme an: in Form eines Feriencamps — der Finanzgurus einzuberufen.

(Heiterkeit — Zuruf des Bundesministers Dr. Stoltenberg)

— Da ist der Einzelplan 60 zuständig. Sie wissen ja, daß dort mittlerweile Teile der Öffentlichkeitsarbeit stehen.
Unter Umständen kann man sich, wenn der Nachtragshaushalt eingebracht wird, darauf verständigen, daß ein Leertitel, den wir qualifiziert sperren, für dieses Feriencamp, für die Zusammenkunft der internationalen Gurus aufgenommen wird.

(Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Ohne Telefonanschlüsse! — Glos [CDU/CSU]: Auch keine Buschtrommeln!)

Wir müssen dabei, Herr Kollege Carstens, allerdings auf eines achten: daß dies nicht ausgerechnet mit der Tagung der Weltbank in Berlin zusammenfällt.

(Heiterkeit — Dr. Apel [SPD]: Sehr gut!)

Dies, meine Damen und Herren, ist der zweite Haushalt in Abfolge, den die Koalition durch gewaltsame Zahlenkorrekturen in ein Datengerüst gepreßt hat, das der Wirklichkeit nicht entspricht. Der Bundeshaushalt 1988 wird in derselben Weise von den Tatsachen überholt, wie dies im Vollzug des Bundeshaushalts 1987 der Fall ist. Wir befinden uns durch die Entscheidungen von Bundesregierung und Koalition in einer Situation der doppelten Buchführung: auf der einen Seite ein geschöntes papiernes Zahlenwerk, das die wahre Haushaltssituation verschleiert; auf der anderen Seite die Realität, die von Ausgabendynamik einerseits und Einnahmeschwund andererseits bestimmt ist.
So wie Sie, verehrte Kollegen der Koalition, sich beim Haushalt 1987 verhalten haben, so verhalten Sie sich auch jetzt beim Haushalt 1988. Zum Haushalt 1987 sagten Sie, Herr Kollege Carstens, damals — ich zitiere — :
Wir sind bei einer Neuverschuldung von 22,3 Milliarden DM gelandet. Das haben zu Beginn der Beratungen im September dieses Jahres
— also im vergangenen Jahr —
selbst die größten Optimisten nicht für möglich gehalten.
Heute steht fest: Wir sind bei einer Neuverschuldung von rund 29 Milliarden DM gelandet.

(Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Ich habe das eben erläutert!)




Esters
In Abwandlung Ihres Zitats fahre ich fort: Das haben damals selbst die größten Pessimisten nicht für möglich gehalten.
Welches waren die Gründe für die damalige Fehleinschätzung? Es sind nämlich im Grunde dieselben Gründe, die auch der Fehleinschätzung des Bundeshaushalts 1988 zugrunde liegen.
Sie haben 1987 an einer Wachstumsprognose festgehalten, die um ein glattes Prozent überzogen war. Sie haben daraus folgend die Steuereinnahmen um runde 4 Milliarden DM für den Bund überschätzt. Während Sie die Einnahmen überschätzt haben, haben Sie die Ausgaben unterschätzt und dabei — höflich formuliert — mindestens fahrlässig gehandelt. Sie haben so viele Schätztitel zu niedrig bemessen und damit eine Flut von überplanmäßigen Ausgaben ausgelöst. Ich nenne dabei nur: Versorgung, Gewährleistungen und Bürgschaften, Erziehungsgeld, Wohngeld und Kosten der Lagerung von Interventionswaren als EG-Risiko. Um das getrübte Bild des Haushalts 1987 weiter zu polieren, haben Sie schließlich die Notoperation über 1,1 Milliarden DM und die globale Minderausgabe in den Einzelplänen 30 und 31 vorgenommen. Dabei steht bis zur Stunde noch nicht fest, ob diese in ihrem vollen Volumen erbracht werden kann.
Sie haben im Jahre 1987 mit den wichtigsten Ihrer Annahmen Schiffbruch erlitten. Nur der hohe Kreditermächtigungsrahmen, den Sie dem Finanzminister im Haushaltsgesetz gewährt haben, hat den Eklat nicht noch größer werden lassen.

(Dr. Spöri [SPD]: So ist es!)

Normalerweise sollte man aus Schaden klug werden. Dies scheint allerdings bei Ihnen nicht durchzuschlagen. Denn sehenden Auges gehen Sie für das Jahr 1988 von schon jetzt überholten Eckwerten aus. Sie halten an einer Wachstumsrate von 2 % bis 2,5 fest, obwohl die Sachverständigen ihre Voraussagen auf 1,5 % zurückgenommen haben, Sie überschätzen deshalb erneut die Steuereinnahmen des Bundes, die um weit mehr als 400 Millionen DM — wie vorausgesagt — zurückgehen werden.
Während Sie die Einnahmen überschätzen, unterschätzen Sie erneut die Ausgaben, indem Sie am Ende der Ausschußberatungen den Plafond, der ohnehin um die Ausgabensperre des Jahres 1987 in Höhe von 1,1 Milliarden DM vermindert ist, eine globale Minderausgabe von insgesamt 590 Millionen DM, eine erneute 3 %ige Haushaltssperre bei bestimmten Titelgruppen, eine 1 %ige Kürzung beim Personal und eine — wie Sie es nennen — Wiederbesetzungsregelung übergestülpt haben. Sie verhalten sich damit so, als hätte der Haushalt überhaupt noch Spielraum.

(Zustimmung des Abg. Dr. Spöri [SPD))

Dieser Spielraum besteht natürlich nicht. Denn auf der Einnahmenseite bleibt ein wegen des Dollarverfalls zweifelhafter Ansatz für den Bundesbankgewinn in Höhe von 6 Milliarden DM eingestellt. Gleichfalls bleibt ein wegen des Aktienkursrisikos ungewisser Ansatz in Höhe von 2,5 Milliarden DM an Privatisierungserlösen eingestellt, während das erhebliche Risiko, das aus dem im Jahre 1988 zwangsläufig eintretenden Ressourcentransfer an die EG herrührt, überhaupt nicht berücksichtigt ist. Nicht veranschlagt sind ferner die mit den Händen greifbaren höheren Zuschüsse im Bereich der Kokskohlebeihilfe und im Bereich des Airbus.
Ich halte es für eine Zumutung, daß der Deutsche Bundestag sehenden Auges einen hoffnungslos überreizten Haushalt verabschieden soll und daß die Kollegen der Koalition bereits in der vorvergangenen Woche über die Notwendigkeit eines Nachtragshaushalts spekuliert haben.
Nichts hat die Klemme, in der sich der Bundesfinanzminister befindet, so grell beleuchtet wie der Versuch, die Kreditaufnahmeermächtigung im Haushaltsgesetz von 3 vom Hundert auf 4 vom Hundert der Haushaltssumme zu erhöhen, um sich Raum für die vorhersehbare höhere Neuverschuldung zu verschaffen. Es war ehrlich, daß sich die Koalitionskollegen im Haushaltsausschuß diesem unkeuschen Versuch widersetzt haben.
Eines will ich allerdings noch deutlich sagen: Versuchen Sie nicht, die viel zu kurz geratene Decke des Bundeshaushalts 1988 im Verlauf des Haushaltsjahres auf die von Ihnen nicht berücksichtigten Auswirkungen der weltwirtschaftlichen Turbulenzen zurückzuführen.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Haushaltsplanentwurf war schon vor den Ereignissen der letzten Wochen überreizt, so daß es sich um einen hausgemachten, nicht um einen fremdbestimmten Tatbestand handelt. Sie haben angekündigt, daß Sie weltwirtschaftliche Einflüsse durch eine Erhöhung der Nettokreditaufnahme über deren jetzt schon hohen Sockel hinaus auffangen wollen. Ein solches antizyklisches Verhalten wird von uns nicht kritisiert; Sie haben es in der von uns ebensowenig beeinflußbaren, jedoch viel schwereren weltwirtschaftlichen Rezession 1981/82 im Interesse der breiten Bevölkerung selbst beobachtet, und zwar mit dem relativen Erfolg einer deutlich geringeren Arbeitslosigkeit als heute. Daß Sie uns aber mit Ihrer Erblast-Parole die damalige weltwirtschaftliche Rezession voll angelastet haben, werden wir zurückgeben, und wir werden darauf hinweisen, daß die Notwendigkeiten bei Ihnen während eines weltwirtschaftlichen Wachstums auftreten, während wir die schwerste Weltwirtschaftsrezession seit den 50er Jahren aufzufangen hatten.
Die Ausgeglichenheit des Bundeshaushalts 1988 bereitet viele Sorgen, noch viel größere Sorgen aber bereitet die Ausgeglichenheit im Zuge der mittelfristigen Finanzplanung.

(Zuruf von der SPD: Das ist überhaupt wahr!)

Sie legen im Bundeshaushalt 1988 durch den Einstieg in einstweilen bescheidene, in weiteren Haushalten aber gewaltig aufwachsende zusätzliche Großvorhaben den Keim für eine Verstetigung der neuen Schulden auf hohem Sockel bis hin zur Jahrtausendwende.

(Beifall bei der SPD)




Esters
Beschlossen ist der Einstieg in die drei Weltraumprojekte und den Panzerabwehrhubschrauber II mit Milliardenkosten;

(Kühbacher [SPD]: Und den Jäger 90! — Walther [SPD]: Und die Haubitze!)

beschlossen wird die Entwicklung des Jagdflugzeuges 90 in der europäischen Version. Diese Projekte werden ihren Kostenhöhepunkt in den 90er Jahren erreichen und dann mit den Mindereinnahmen aus der Steuerreform zusammentreffen.
Weitere Ausgabenrisiken, die man für die Zukunft sehen muß, kommen noch hinzu: Die Reserven der Bundesanstalt für Arbeit werden im Laufe des Jahres 1988 erschöpft sein.

(Walther [SPD]: Ausgeplündert!)

Danach wird Sie die Lastenverschiebung vom Bundeshaushalt auf den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 950 Millionen auf Grund der achten Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes in Gestalt eines Bundeszuschusses an die Nürnberger Anstalt einholen,

(Dr. Apel [SPD]: So ist es!)

sofern Sie nicht Beiträge erhöhen oder Leistungen einschränken wollen, was bei real steigender Arbeitslosigkeit ein sozialer Eklat ohnegleichen wäre.
Absehbar sind weiter: ein höherer Bundeszuschuß für die Rentenversicherungen im Zuge der Rentenreform; höhere Aufwendungen für die Deutsche Bundesbahn, die zur Zeit ihre unerwartet gestiegene Verschuldung auf dem Kreditmarkt finanziert; höhere nationale Subventionen für die Landwirtschaft, um sie für die europäische Binnenwirtschaft 1992 wettbewerbsfähig zu gestalten; Personalkostenzuwächse bei der Bundeswehr, um deren Attraktivität angesichts der demographischen Entwicklung zu wahren.
Zur Ehrenrettung der Kollegen im Haushaltsausschuß muß ich sagen, daß die bedrückenden Perspektiven einer sich ständig öffnenden Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben sehr wohl bekannt sind und daß die Zustimmung zu den genannten Großvorhaben eher abgezwungen wurde als freundlich erteilt worden ist. Die Kollegen weichen hier den stärkeren Bataillonen ihrer Vormänner in den Fraktionen oder in der Bundesregierung.
Daß sich aber der Bundesfinanzminister offenbar nur noch auf den Haushaltszeitraum des jeweils nächsten Jahres beschränkt und den Blick vor der bedrohlischen mittelfristigen Perspektive verschließt, gehört zu der Entzauberung des Bildes, das sich die Öffentlichkeit von ihm gemacht hat. Ich will nicht verschweigen, daß ich von dieser Konzeptionslosigkeit und mangelnden Vorsorge persönlich tief enttäuscht bin. Es mag probat sein, die zahlreichen parteipolitischen Konflikte in der Koalitionsregierung auszusitzen. Dies kann aber nicht die Maxime der Haushalts- und Finanzpolitik sein.
Zum Schluß will ich noch ein Wort an die Kollegen der Freien Demokraten richten. Herr Kollege Hoppe, 1982 haben Sie unter anderem wegen der Höhe der Neuverschuldung die Koalition gewechselt. Vor den Realitäten der jetzigen Haushalte erscheint mir diese Begründung allerdings wie ein Hohn. Die Staatsverschuldung jedenfalls entfällt nach dem, was wir hier in dieser Woche beschließen, hinfort als ein Legitimationsgrund der christlich-liberalen Koalition.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104203500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spilker.

Dr. Karl-Heinz Spilker (CSU):
Rede ID: ID1104203600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Vorredner, Herr Kollege Esters, meinte vorhin, hin und wieder habe auch die SPD in ihrer Regierungszeit die Steuern erhöht. Schade, daß er sie nicht einzeln aufgezählt hat; dann wäre nämlich seine Redezeit bereits beendet gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich wollte damit auch auf den Zuruf des Herrn Kollegen Apel reagieren, ich solle mich ein bißchen beeilen.
In einer Haushaltsdebatte — damit möchte ich beginnen — versucht jede Opposition, mit der Regierungspolitik abzurechnen; das ist ihre Pflicht. Ob sie das kann und ob sie das mit Erfolg kann, ist allerdings eine andere Frage, die Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, nach all dem, was ich gehört habe, gewiß anders beantworten bzw. beurteilen.
Heute debattieren wir über den Haushalt des Bundesfinanzministers und damit über seine Politik. Daß sie gut und erfolgreich war, steht — so glauben wir — außer Zweifel und kommt auch in Zustimmungen aller Art aus der Bevölkerung zum Ausdruck. Sie können sich an dieser Zustimmung natürlich nicht beteiligen, weil Sie selbst in Ihrer Regierungszeit auf allen einschlägigen Gebieten, über die wir hier diskutieren, erfolglos waren. Wie sagte gestern mein Kollege Seiters in Anlehnung an Voltaire: Wer selbst keinen Erfolg hat, verleugnet ihn? Ich würde sagen: verleugnet ihn vorsichtshalber.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie bringen statt dessen — das überrascht uns gar nicht — Ihre alten Parolen und Redensarten. Schwarzmalerei, Besserwisserei und düstere Prophezeiungen stehen im Mittelpunkt Ihrer Reden. Das muß ich leider für Sie, Herr Apel, ausdrücklich sagen. Erinnern Sie sich noch an Ihre Worte in der Aussprache zur Regierungserklärung am 19. März dieses Jahres? Ich darf zitieren:
Der Bundesfinanzminister und die Koalition reden von einem Umschichtungsbedarf in Höhe
von 19 Milliarden DM für dieses Steuerpaket.
Sie meinten weiter:
Nun wissen wir doch alle, was das in Klartext bedeutet . . .: Erhöhung der Mehrwertsteuer, Erhöhung der Verbrauchsteuern.
Das sagten Sie, der Spezialist für Steuererhöhungen. Herr Spöri, der Ihnen wahrscheinlich vorher den Handzettel dafür gefertigt hatte,

(Dr. Spöri [SPD]: Die Funktion ist zu hoch für mich!)

sagte schon in einer Debatte Ende 1986 — ich zitiere — :
Danach ist zu erwarten, daß Sie



Spilker
— die Bundesregierung —
die Arbeitnehmer nicht nur über die Mehrwertsteuer und die Verbrauchsteuern, sondern auch über die einseitige Beseitigung arbeitnehmerbezogener Freibeträge ... heranziehen und zahlen lassen.

(Dr. Apel [SPD]: Habt ihr doch alles gemacht! — Abg. Westphal [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104203700
Herr Abgeordneter Spilker, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Karl-Heinz Spilker (CSU):
Rede ID: ID1104203800
Ich werde noch darauf zurückkommen.

(Dr. Apel [SPD]: Ich auch!)

Ich wäre dankbar, wenn Sie mich nicht unterbrechen würden, denn ich habe die vorbereitete Rede umgebaut, weil ich mit einigen Bemerkungen auf die Ausführungen von Herrn Kollegen Apel eingehen möchte. Darum will ich jetzt auch nicht gestört werden. Ich habe ihm lange zugehört und nehme für mich das Recht in Anspruch, jetzt auf Ihre Rede, Herr Dr. Apel, zu reagieren.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Apel [SPD]: Bringt den Mann nicht aus dem Konzept! Sonst wird er noch langsamer!)

— So ist das, Herr Apel. Ich weiß, Ihre Fürsorgepflicht nehmen Sie immer sehr ernst. Aber bei mir ist sie nicht angezeigt. Ich kann hier schon selbst fertig werden. Ich brauche weder Ihre Agitation noch Ihre Polemik.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Dr. Apel [SPD]: Das ist auch richtig!)

Meine Damen und Herren, ich kann von Ihnen natürlich nicht erwarten, daß Sie Ihre Prophezeiungen zurücknehmen. Das wäre wohl zuviel verlangt. Ich möchte aber wenigstens feststellen, daß die von der Koalition gestaltete Politik ganz andere Tatsachen ergeben hat.

(Zuruf von der SPD: Leider!)

Das, was Sie gesagt haben, ist schlicht und einfach unwahr.
Jetzt kommen Sie so ein bißchen geheimnisvoll aus dem Wahlkreis oder woher immer, Herr Kollege Apel, mit anderen Zahlen, die Sie je nach Bedarf in Ihrer Art und Weise — hin und wieder sehr demagogisch — auslegen. Ich möchte damit an Ihr berühmtes Flugblatt erinnern, daß Sie in den letzten Tagen Ihren gesammelten Werken hinzugefügt haben. Sie sprechen in diesem von dem Verhältnis der Steuersenkungen in den verschiedenen Einkommensgruppen zur Steuersenkung des Durchschnittsverdieners, um daraus einen Beweis für soziale Ungerechtigkeit abzuleiten. So habe ich das verstanden. Welche Irreführung! Was ist das für eine oberflächliche Darstellung.
Sie wissen ganz genau, daß Steuersenkungen bei einzelnen Gruppen zu Steuerbelastungen in eben diesen Gruppen ins Verhältnis gebracht werden müssen, um zuverlässige Zahlen zu bekommen. Das tun Sie
aber nicht, weil dann ganz andere, für Sie nicht günstige Zahlen herauskommen.

(Westphal [SPD]: Noch schlimmer!)

Sie appellieren — das ist Ihre alte Taktik, vielleicht sogar Strategie — mal wieder an den Neid und übersehen, daß Sie mit dieser Methode seit vielen Jahren bei unserer aufgeschlossenen Bevölkerung keinen Erfolg mehr haben.

(Zuruf von der SPD: Das sehen Sie an den Umfragen!)

Vielleicht brauchen Sie diese Auftritte, um wieder mehr Boden in Ihrer Partei oder in Ihrem Wahlkreis zu gewinnen, wo Sie ja einiges an Schwierigkeiten hatten.
Im übrigen, sehr geehrter Herr Apel, haben Sie als Finanzminister andere Rechnungen vorgelegt und vieles vernebelt, was Sie getan und was Sie politisch zu verantworten haben. Gerade weil Sie das nicht gerne hören, sage ich das jetzt hier; denn ich habe Sie schließlich auch anhören müssen.
Haben Sie z. B. einmal erwähnt, daß die SPD in Ihrer Regierungszeit die Verbrauchsteuern sage und schreibe 17mal erhöht und damit den Bürgern zusätzlich 25 Milliarden DM aus der Tasche gezogen hat? Fast ein Drittel davon entfällt auf Ihre Amtsperiode als Finanzminister. Und Sie wissen: Dies führte dazu, daß die volkswirtschaftliche Steuerquote nach oben ging, also die Belastung von Bürgern und Wirtschaft anwuchs. Und heute stellen Sie sich hier hin und kritisieren eine Steuerreform mit einer Nettoentlastung von 50 Milliarden DM für Wirtschaft und Bürger. Das begreift doch kein Mensch mehr.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Da kann man nur sagen: Welch ein Hohn. Wo sind wir denn hingekommen? Sie wissen auch, lieber Herr Apel, daß in Ihrer Zeit die Bundesausgaben explodierten und die Investitionsquote ganz wesentlich absackte. Auch die Explosion der Schulden mit vielen, vielen Milliarden D-Mark geht auf Ihr Konto.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Man kann schon von einer merkwürdigen Moral reden, wenn Sie sich dann hierherstellen und über Nettoverschuldung sprechen. Ich hätte gar nicht mehr den Mut dazu, so etwas in den Mund zu nehmen.

(Poß [SPD]: Sie sind doch sonst so mutig!)

Ausgerechnet Sie ernennen sich dann auch noch zum Vorreiter gegen den von der Bundesregierung vorgelegten Haushalt 1988, den wir trotz unvorhergesehener Belastungen — das können Sie glauben — fest im Griff haben. Wir unterscheiden uns da sehr wesentlich von Ihnen. Auch wir wissen, daß es in einem laufenden Haushalt Risiken gibt. Das war immer so. Das ist gar nichts Neues. Im übrigen darf ich Sie erinnern, daß Sie auf diesem Gebiet mit Ihren zahlreichen Nachtragshaushalten und mit übermäßiger Kredit- bzw. Schuldenaufnahme einige Erfahrungen haben.
Vielleicht reicht Ihnen das im Augenblick. Sonst könnte ich diesen Beispielen noch einige hinzufügen. Denn wir haben nicht vergessen, Herr Apel, daß die



Spilker
Bundesregierung 1969 unter Führung der Sozialdemokraten mit einem Haushaltsvolumen von 82 Milliarden DM anfing, um 1982 mit über 240 Milliarden DM abzutreten. Das ist eine gewaltige Steigerung, die geht in die Hunderte von Prozenten. Ihre jährliche Steigerungsrate betrug 9 %.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Wenn Sie einmal davon ausgehen, daß diese bei uns bei 1,7 To liegt, und wenn Sie für einen Augenblick unterstellen, daß auch Sie mit solchen Steigerungsraten gearbeitet hätten: Mein Gott, hätten wir hervorragende Verhältnisse, um noch viel mehr tun zu können, für alle die Bürger, die wir auf Grund der Situation und der Kassenlage da oder dort vielleicht noch nicht genügend entlasten können.
Herr Apel, wir haben eine Entlastung um 50 Milliarden DM auf die Beine gestellt. Sie haben die Bürger um 25 Milliarden DM mehr belastet. Wenn das kein Unterschied ist wie Tag und Nacht, dann weiß ich überhaupt nicht mehr, wie ich das kommentieren soll.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Gründe, daß sich die Steigerungsquote 1988 auf 2,4 % erhöhen wird, kennen Sie ganz genau. Hierdurch wird auch eine Nettokreditaufnahme von 29,5 Milliarden DM leider erforderlich. Ich sage: leider. Man hat auch in der Politik zu reagieren, ich sagte eben schon: Es gibt keinen Haushalt ohne Risiken.
Ich möchte Ihnen hier noch etwas ins Stammbuch schreiben, damit Sie nicht unberührt davonkommen. Früher war es nämlich auch in der Politik üblich — zu Hause ist das ja Norm —, daß man für unvorhergesehene Entwicklungen Reserven hat. Ich darf hier einmal an den früheren Bundesfinanzminister Schäffer erinnern und an den Juliusturm, den Sie dann leider sehr schnell geplündert haben.

(Lachen bei der SPD)

Statt dessen — das muß ich anerkennenderweise sagen — haben Sie uns einen Berg hinterlassen. Nur bestand dieser nicht aus Geld, sondern aus Schuldscheinen, eine Erbschaft, die man als Folgeregierung leider nicht ausschlagen kann. Das ist das Schicksal einer jeden Regierung.

(Glos [CDU/CSU]: Grauenvolle Erbschaft! — Zuruf von der SPD: Die Bundesbankgewinne!)

— Hören Sie doch auf mit den Zwischenrufen! Tun Sie nicht so, als wenn Sie die Bundesbankgewinne wohltätigen Zwecken zur Verfügung gestellt hätten. Auch die Neue Heimat hat davon nichts bekommen.

(Poß [SPD]: Airbus! Bundesbankgewinne in den Airbus!)

Seit einigen Wochen und Monaten, meine Damen und Herren, gibt es Schwierigkeiten — das Wort „Turbulenzen" fiel hier bereits — auf den internationalen Geld- und Kapitalmärkten, auch an den Börsen. Das sind traurige Entwicklungen, denen wir mit großer Sorge begegnen, die wir aber mit Sicherheit nicht wegreden können. Das sind Entwicklungen, denen wir uns zu stellen haben und denen wir uns mit Sicherheit nicht entziehen können. Trotz ihrer Auswirkungen — das sollte man vielleicht ein wenig mehr
beachten — auf unsere Volkswirtschaft und deren Auswirkungen wiederum auf den Bundeshaushalt können wir einen ausgewogenen Etat vorlegen, zu dem mein Freund Carstens bereits einiges gesagt hat. Dieser Finanzminister hat von Anfang an auf einer soliden und sparsamen Haushaltspolitik bestanden. Das war überhaupt die Geschäftsgrundlage bei Übernahme seines Amtes. Daran hat er sich strikt gehalten, und gottlob ist er nicht auf Vorschläge von Ihnen eingegangen.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Es war seine Politik, die in der Fraktion und Koalition realisiert wurde, es war seine Politik, die Freiräume schaffte, durch die u. a. die größte Steuerreform möglich wurde, die wir je in dieser Bundesrepublik hatten. Wir haben gegeben, zurückgegeben, Sie haben genommen. Das ist der Unterschied.

(Glos [CDU/CSU]: Und Geben ist seliger als Nehmen!)

Jetzt kommen Sie — Herr Spöri, Sie telefonieren gerade, aber ich will Sie trotzdem stören — und fangen wieder an, von der Umverteilung von unten nach oben zu reden. Das ist die ständige Platte, die langsam schon einige Risse hat. Jetzt will ich Ihnen mal sagen, was ich unter Umverteilung verstehe : Umverteilung war das Zusammenwirken von Inflation, Explosion der Staatsverschuldung, steigender Steuerabgaben und Zinslasten zu Ihrer Regierungszeit.

(Beifall bei der CDU/CSU — Poß [SPD]: Jetzt sinken die Steuern und Abgaben?)

Sie reden von Umverteilung, wir reden von Entlastung.

(Sellin [GRÜNE]: Und von Nettoneuverschuldung!)

— Davon reden Sie, weil Sie „große Erfahrung" auf dem Gebiet haben.

(Zuruf von der SPD: Die GRÜNEN doch nicht!)

Durch die Steuerreform 1990, meine verehrten Damen und Herren, sollen unsere Bürger und die Wirtschaft nicht nur massiv entlastet werden. Wir wollen aber auch zur Steuervereinfachung und Steuergerechtigkeit beitragen. Gerechtigkeit, — da gebe ich Ihnen allerdings recht — hat bei uns einen anderen Stellenwert als bei Ihnen. Das hat nichts mit Gleichmacherei zu tun. Gerecht sein heißt Leistung belohnen. Gerecht und sozial sein heißt Steuerbürger entlasten, fühlbar und auf Dauer entlasten. Leistung immer mehr zu belasten oder bei Mehrarbeit sogar noch zu bestrafen ist und bleibt unsozial.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies paßt nicht zu unserer Politik für den Menschen und gehört auch nicht in einen sozialen Rechtsstaat, dem wir von der CDU/CSU uns verbunden fühlen und dem wir alle hier in diesem Hause grundgesetzlich verpflichtet sind.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104203900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth (Gießen).

Adolf Roth (CDU):
Rede ID: ID1104204000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Einen finanzpolitischen Kurswechsel wird es nicht geben. Ich glaube, das kann man als Resümee im Schlußteil dieser Haushalts- und Finanzdebatte des heutigen Vormittags jetzt schon ziehen.

(Zurufe von der SPD)

Ihr nostalgischer Rückgriff auf die gescheiterten Rezepte von vorgestern war nicht so faszinierend, daß wir von dem Weg, den wir jetzt fünf Jahre mit Erfolg beschritten haben, ausgerechnet Ihnen zuliebe abgingen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wohin sollte uns ein solcher Kurswechsel auch führen? Wir brauchen jetzt nicht den hektischen Aktionismus täglich neuer wenig ausgereifter Vorschläge, sondern wir brauchen mehr Konsequenz in der Durchsetzung dessen, was man als richtige Politik erkannt hat. Dort gibt es immer Schwächen. Aber das konsequent weiterzuführen ist unser eigentlicher Parlamentsauftrag.

(Dr. Spöri [SPD]: Die Umfragen lauten anders!)

Meine Damen und Herren Redner der Opposition, die Bürger haben nicht vergessen, welcher finanzpolitische Kurs für diesen verhängnisvollen Marsch in Inflation, Staatsverschuldung, wirtschaftliche Krisen, Arbeitsplatzvernichtung und alles andere verantwortlich gewesen ist.

(Dr. Spöri [SPD]: Diese alte Platte! Riesige Arbeitsplatzvernichtung und alles!)

Diese Bürger wissen auch ganz genau, wer nach 1982 die Karre wieder aus dem Dreck gezogen hat — um Ihnen das ganz klar zu sagen. Wir lassen uns auf diesem Erfolgsweg nicht beeinträchtigen. Wir werden ihn auch in den nächsten Jahren fortsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Bundesfinanzminister, den Sie heute so heftig attackiert haben, ist am 4. Oktober fünf Jahre im Amt gewesen, länger als jeder seiner sechs sozialdemokratischen Amtsvorgänger. Von denen hat nicht ein einziger eine vergleichbare Regierungsleistung vorzuweisen wie Herr Dr. Stoltenberg.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte unmittelbar an die Adresse des Kollegen Apel, den ich hier nicht mehr sehe, sagen: Man möchte ihm eigentlich wünschen, er hätte als Betroffener von damals bessere Karten in der Hand, denn dann wäre uns manches in der Aufräumarbeit der letzten Jahre leichter gemacht worden.
Meine Damen und Herren, ich höre noch Ihre hämische Frage von früher: Wo ist denn die Alternative der Opposition? Es gäbe eine solche nicht. Wir haben jetzt in fünf Jahren den Gegenbeweis antreten können, was eine durchdachte und konsequent durchgesetzte Politik vollbringen kann.
Das wichtigste Startkapital bei einer neuen Phase wirtschaftspolitischer Bewährung ist die wiedergewonnene Handlungsfähigkeit des Staates.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb steht auch das Etatjahr 1988, nachdem wir jetzt in das sechste Jahr eines kontinuierlichen wirtschaftlichen Aufschwungs eintreten,

(Poß [SPD]: Besonders kräftig jetzt!)

unter dem Regime der weiterhin strengen Ausgabenbegrenzung. Bewußt auf zwei Prozent heruntergedrückte Ausgabenzuwachsraten in sechs Haushaltsjahren, dies war das wirkungsvollste Gesundungsprogramm. Nur auf dieser Grundlage konnten wir die dem Wähler versprochene Politik durchsetzen; denn wir haben zwei Dinge angekündigt: Wir wollten wieder Ordnung ins Staatsgeschehen bringen, wir wollten die Staatsfinanzen sanieren und konsolidieren, und wir wollten, wenn gespart wird, daß der Bürger etwas davon hat: Wir wollten nämlich dauerhaft die Steuern senken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf der Abg. Frau Traupe [SPD])

— Kein Mensch, Frau Kollegin Traupe, hätte Ende 1982 auch nur zu denken gewagt, daß die neue Regierung schon nach fünf Jahren

(Poß [SPD]: Am Ende ist!)

in der Lage wäre, die Steuern um 50 Milliarden DM netto zugunsten der Bürger zu senken.
Meine Damen und Herren, es ist allein diese Form der Selbstbeschränkung des Staates, die Kontinuität einer disziplinierten Finanzpolitik, die Handlungsspielräume für beides geschaffen hat: für Konsolidierung und für Steuersenkung.
Wer hat sich denn wirklich einmal klargemacht, daß unser Bruttosozialprodukt seit 1982 um ein volles Drittel, um 500 Milliarden DM, gewachsen ist? Das sind bis 1988 rund 33%. In diesem Zeitraum sind aber die Ausgaben des Bundes nur um 12,4 % gestiegen. Dahinter verbergen sich doch keine Scharlatanerie und auch keine sinnlosen Sparziele, dahinter verbirgt sich der Grundstock für weniger Schulden und für sinkende Steuerbelastung.
Der Haushalt 1988 — das ist mehrfach angeklungen — bleibt mit seiner moderaten Zuwachsrate von 2,4 merklich unter dem geschätzten Zuwachs des Bruttosozialprodukts. Trotz des Aderlasses auf der Steuereinnahmenseite wird der beschlossene Ausgabenzuwachs keine Finanzierungslöcher aufreißen. Das Finanzgefüge bleibt auch nach der zweiten Steuersenkungsstufe intakt, die bekanntlich den Staat auf der Einnahmenseite ein erhebliches Opfer kosten wird. Wir werden die Kreditaufnahme unter 30 Milliarden DM eingrenzen können.
Man kann sich jeden Bundeshaushalt, jeden öffentlichen Haushalt, schöner vorstellen, als er in Wahrheit ist; aber das, was wir in 200 Beratungsstunden als Zahlenwerk erarbeitet haben, ist solide und ist Ausdruck unserer ehrgeizigen finanzpolitischen Linie.
Unsere Ausgabendisziplin hat in vielen Fällen — das möchte ich anerkennend sagen — ja auch die konstruktive Unterstützung der SPD gefunden. Meine



Roth (Gießen)

Damen und Herren, was ich nicht verstehen kann, ist Ihre fundamentale Kritik an der Kreditaufnahme. Zunächst einmal muß wiederholt werden, daß es ohne die Zinsverpflichtungen auf die Schulden Ihrer Regierungsjahre für die neue Bundesregierung nie notwendig gewesen wäre, auch nur einen Pfennig Kredit aufzunehmen. Im nächsten Jahr werden die Zinsausgaben um volle 6 Milliarden DM höher liegen als die geplante Kreditaufnahme. Die Kreditaufnahme wird auf Dauer mit dem Kapitel „Bewältigung der sozialdemokratischen Vergangenheit" verbunden sein.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Deshalb : Wenn schon die Kreditaufnahme nicht mehr verfügbar ist für operative Regierungspolitik, weil man in früheren gesunden Jahren die Erfordernisse einer vernünftigen Finanzpolitik mißachtet hat, dann sollten Sie heute diese Kritik nicht erheben.
Das ist aber nur die eine Seite. Die andere Seite ist eine Rückblende auf das Ende Ihrer Regierungszeit, auf das Jahr 1982. Damals hatten Sie, Frau Kollegin Matthäus-Maier, 37 Milliarden DM neue Schulden.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Aber wir haben Subventionen gezahlt!)

— Was Sie neu gemacht haben, das will ich Ihnen sagen. Sie haben damals aus aktuellen Steuererhöhungen — auf Benzin, auf Tabak, auf Diesel, auf Schaumwein, auf Branntwein — im Haushalt 1982 5 Milliarden DM beim Bürger abkassiert.

(Dr. Apel [SPD]: Keine Aufregung!)

Sie hatten einen Bundesbankgewinn, der um 4,5 Milliarden DM höher gewesen ist, nämlich 10,5 Milliarden DM, als er jetzt eingestellt wird.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Nein, in 13 Jahren 13 Milliarden!)

Von Steuersenkungen war damals überhaupt keine Spur, und da setzen Sie sich heute auf das hohe Roß der Kritik und meinen, Sie könnten uns etwas vorhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Abg. Frau Matthäus-Maier [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Nein, ich lasse keine Frage zu. — Dennoch sind Sie mit Ihrer Politik gescheitert.
Meine Damen und Herren, 1988 sieht das Zahlenbild nun wirklich anders aus. Wir verkraften 11 Milliarden DM Mindereinnahmen aus den beiden Stufen der Steuersenkungspolitik. Wir haben den niedrigeren Gewinn der Bundesbank. Wir verzichten auf der Einnahmenseite im Steuerkapitel auf 689 Millionen DM in Gestalt höherer Bundesergänzungszuweisungen an die Bundesländer.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Die Nachteile hat NRW!)

Meine Damen und Herren, trotzdem ist der Anteil der Kreditaufnahme am Gesamthaushalt in diesem Haushaltsjahr 1988 mit gut 10 % ein volles Drittel niedriger als Ihr damaliger Kreditanteil beim Haushalt 1982. Wenn Sie diesen Fortschritt bestreiten, bestreite ich die Fairneß in Ihrer Argumentation.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir werden 1988 die gesamtwirtschaftliche Steuerquote auf den neuen Tiefstand von 22,7 % gedrückt haben, auch dies Ausweis der erfolgreichen Steuersenkungspolitik zugunsten der Bürger, wo wir auf hohe Milliardenbeträge verzichtet haben.
Wir können aber allen Haushaltsverpflichtungen gerecht werden. Sie sind vernünftig abgedeckt. Alle Haushalte stehen selbstverständlich unter Vorbehalt. Sie sind nicht frei von Risiken. Das wird auch die SPD anerkennen müssen, die allein vor 1982 fünf Nachtragshaushalte nötig hatte. Natürlich sind in einem Zahlenwerk von 275 Milliarden DM Unwägbarkeiten enthalten. Auch 1988 werden wir im Haushaltsausschuß der Leistung überplanmäßiger und außerplanmäßiger Ausgaben in begründeten Einzelfällen zustimmen müssen. Damit bestätigen wir ja gerade, daß es solche Ausgaben gibt, die nicht vorhersehbar, allerdings unabweisbar sind. Einzelfallentscheidungen dieser Art, Herr Esters, rechtfertigen doch nicht, daß Sie schon heute die Solidität des Gesamtwerks in Frage stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

So wie der Haushalt jetzt in zweiter und dritter Lesung verabschiedet wird, berücksichtigt er alle rechtlichen und sonstigen Verpflichtungen, die an ihn gestellt sind. Spekulative Positionen haben im Haushalt nichts zu suchen!
Im Verlauf der Haushaltsberatungen hat es erhebliche Veränderungen gegeben. 2,5 Milliarden DM zusätzliche Anforderungen mußten abgedeckt werden. Die Stichworte sind bekannt: Rentenversicherung, Kriegsopferversorgung, Arbeitslosenhilfe, Erziehungsgeld, Stiftung Mutter und Kind, Begrüßungsgeld für DDR-Besucher, Städtebauförderung, Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Alles haben wir abgedeckt und aufgefangen.
Aber wir mußten, wenn wir den Gesamtrahmen, den wir uns vorgenommen hatten, nicht überschreiten wollten, auch entsprechende Eingriffe machen. Es war unumgänglich, bei den sächlichen Verwaltungsausgaben 3 % einzusparen. Das sind 340 Millionen DM. Wir mußten eine globale Minderausgabe von 400 Millionen DM einstellen. Und wir mußten einen Eingriff in den Stellenbestand mit 1 To vornehmen.
Mit alledem wächst natürlich die Anforderung an den staatlichen Sektor, seine für unser Gemeinwesen wichtige Dienstleistungsfunktion in Zukunft noch rationeller und effizienter zu erbringen. Kreativität und Anpassungsbereitschaft, Umstellungen und Verbesserungen sind unausweichlich. Auf keinen Fall aber — darauf lege ich Wert — dürfen in unseren Ministerien und Dienststellen dann die Belastungen solcher Eingriffe gedankenlos nach unten abgewälzt werden. Da sollten wir uns auch als Haushaltsgesetzgeber verantwortlich fühlen.
Alles in allem: Wir haben die Kontrolle über die Haushaltsausgaben — das ist der wichtigste parlamentarische Auftrag — zu keinem Zeitpunkt verloren; und das wird auch 1988 der Fall sein. Wir werden die finanzpolitische Linie hin zu besseren Rahmenbedingungen und zur weiteren Stärkung der Binnennachfrage auch in der neuen Phase der wirtschaftlichen Herausforderungen durchhalten. Es muß alles



Roth (Gießen)

getan werden, damit es nicht zu einem — befürchteten — Export deutscher Arbeitsplätze kommt. Der Industriestandort Bundesrepublik steht im internationalen Wettbewerb der Kosten und der Steuersysteme. Deshalb müssen wir alles tun, damit die Bundesrepublik für deutsches wie für ausländisches Investitionskapital attraktiv bleibt und daß wir einer Veränderungsscheu in Teilen unserer Gesellschaft auch politisch entgegenwirken.
Mit Recht wird von vielen die ordnungspolitische Erneuerung im Sinn von Marktöffnung und mehr Flexibilität und Hinführung zu eigenverantwortlichem Handeln eingeklagt. Wir tragen dem durch das Signal der Privatisierung von Bundesvermögen Rechnung. Auch im nächsten Jahr wollen wir konsequent industriellen Beteiligungsbesitz abgeben:

(Beifall bei der CDU/CSU)

bei VW, bei der VIAG, bei der DSL-Bank und bei der Deutschen Pfandbriefanstalt.

(Dr. Spöri [SPD]: Tolle Leistung!)

— Privatisierung, Herr Spöri, ist Ordnungspolitik und keine Fiskalpolitik.

(Dr. Apel [SPD]: Aber natürlich ist es Fiskalpolitik! Ich bitte Sie!)

Das war von Anfang an so. Wir werden auch damit unseren Beitrag zur Revitalisierung der Sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik leisten. Wir brauchen mehr rentable Arbeitsplätze.

(Dr. Spöri [SPD]: Sehr wahr! Durch Privatisierung: Arbeitsplätze!)

Da müssen wir Marktanreize schaffen, die investitionsbereites Kapital auch in produktive Verwendungsrichtungen in unseren Binnenmarkt hineinlenken. Dies müssen wir fördern. Das ist die Politik des Finanzministers, der unser volles Vertrauen genießt. Staatsausgaben, wie von Ihnen heute massiv verlangt,

(Dr. Spöri [SPD]: Lesen Sie mal bei Franke nach, Ihrem Parteifreund Franke!)

die den Kapitalmarkt absaugen und Verbrauchern wie Investoren die Mittel entziehen, führen nicht zu höherer Beschäftigung. Deshalb lehnen wir diese Kurskorrektur ab.
Wir bleiben bei unserer Haushaltslinie, die in ihrem bewährten Rahmen auch 1988 Erfolg bringen wird.

(Dr. Spöri [SPD]: Weiter so! Abwärts so!)

Deshalb stimmen wir den hier beratenen Einzelplänen ausdrücklich zu.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104204100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Poß.

Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1104204200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Spilker, als ich Sie über all das, was wir Ihnen hinterlassen haben, so habe reden hören, habe ich mich an ein Wort Ihres werten Parteivorsitzenden Strauß erinnert. Der hat 1982 nämlich gesagt:
Eine neue Regierung ist das beste Beschäftigungsprogramm.
Sie haben von Steuern und Abgaben gesprochen. Die bewegen sich heute in Rekordhöhen, ebenso wie die Verschuldung. Ich frage also: Worüber reden Sie eigentlich?

(Beifall bei der SPD)

Ich habe mich bei Ihren Beiträgen sehr wundern müssen.
Das gilt auch für den Herr Roth.

(Dr. Spöri [SPD]: Roth von der CDU!)

Denn eines ist doch klar: Sie müssen sich an den selbstgesetzten Ansprüchen messen lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das gilt in erster Linie für den ach so soliden Herrn Bundesfinanzminister Stoltenberg. Wie hilflos der Herr Stoltenberg inzwischen geworden ist, konnte man vorhin feststellen, als er meinte, die Quellensteuer ins Feld führen zu müssen, um Meinungsunterschiede bei den Sozialdemokraten festmachen zu können, und sich dabei heillos verheddert hat. Denn das, was Herr Posser ausgedrückt hat, bewegt sich voll auf dem Boden gemeinsamer Beschlüsse der Sozialdemokraten. Wir wollen die Kontrollmitteilung und haben daraus auch nie ein Hehl gemacht, so wie es ja auch der Erzsozialist Reagan in den USA, glaube ich, praktiziert.

(Beifall bei der SPD)

Aber der Herr Stoltenberg hat es ja in diesen Tagen, wie wir wissen, sowieso schwer. Selbst alle Minister lassen ihn im Stich. Also, Sie könnten einem fast schon leid tun, Herr Stoltenberg. Wer hätte gedacht, daß es mit diesem Bundesfinanzminister politisch so schnell bergab geht?!

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Wir! — Widerspruch bei der CDU/CSU)

— Ja, aber uns hat ja kaum jemand geglaubt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ihnen glaubt noch immer keiner!)

Inzwischen ist das doch weitverbreitete Meinung, das ist doch ein Fortschritt.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben es fertiggebracht, Herr Stoltenberg, Ihre Glaubwürdigkeit innerhalb eines Jahres sehr stark zu reduzieren, um einmal in Ihrer Diktion zu bleiben, und das ist noch sehr vornehm umschrieben. Nicht nur die Bonner, sondern bekanntlich auch die Kieler Verhältnisse haben dazu beigetragen.
Und jetzt will ich Sie einmal an Ihren Ansprüchen messen, Herr Dr. Stoltenberg. Selbstgerecht, wie das Ihre Art ist, haben Sie auf den Tag genau vor einem Jahr, am 25. November 1986, die Kalkulierbarkeit und Verläßlichkeit als Grundsatz Ihrer Finanzpolitik beschworen.

(Gattermann [FDP]: Das hat doch Herr Apel schon zitiert! — Dr. Apel [SPD]: Das kann man gar nicht oft genug machen!)




Poll
— Ja, aber ich zitiere ein Weiteres, lieber Herr Gattermann. — Und Sie haben uns damals vorgeworfen:
In den Jahren der SPD-geführten Bundesregierung wurde der Haushaltsrahmen immer wieder gesprengt. So war die Neuverschuldung des Bundes 1980 um 2,9 Milliarden DM höher, als in dem vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Etat veranschlagt, 1981 um 3,6 Milliarden DM, . . .
Wie schlimm! Das hätten Sie aber besser nicht sagen sollen, Herr Dr. Stoltenberg. Denn in diesem Jahr stellt sich heraus, daß Sie die im Haushaltsgesetz 1987 vorgesehene Neuverschuldung nicht nur um 2,9 Milliarden DM oder 3,6 Milliarden DM, sondern um sage und schreibe 7 Milliarden DM überschreiten.

(Beifall bei der SPD — Glos [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht, das sind doch falsche Zahlen! Zahlen waren noch nie Ihre Stärke! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Sie werden nun von Ihrer Vergangenheit auf Schritt und Tritt eingeholt.
In Ihrer Haushaltsrede haben Sie postuliert, daß unsere Finanzpolitik handlungsfähig sein muß, um den Herausforderungen zu begegnen. Spätestens jetzt ist die Situation da. Spätestens jetzt muß angesichts der rapide verschlechterten Wirtschaftsdaten gehandelt werden. Jahrelang haben Sie der Offentlichkeit den Eindruck vermittelt, Sie hätten für diesen Fall einen gut gefüllten Vorratsschrank. Jetzt stellt sich heraus: Der Vorratsschrank ist leer. Sie haben keine Vorsorge für schlechtere Zeiten getroffen. Sie haben die Reserven aufgebraucht, jetzt verscherbeln Sie das Familiensilber.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Die Handlungsalternativen, die Sie anbieten, sind geradezu peinlich. Die genannte Privatisierung von Bundesunternehmen geschieht aus rein fiskalischen und nicht aus ordnungspolitischen Gründen. Damit wollen Sie nur Kasse machen, um den Anstieg der hohen Neuverschuldung abzubremsen. Das, was z. B. Herr Franke, Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, oder die CDA — ist hier heute morgen auch ein CDA-Vertreter? —

(Bohl [CDU/CSU]: Viele! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

verlangt, also Leute aus Ihren eigenen Reihen, ist sozusagen bei der SPD abgeschrieben worden. Sie verlangen jetzt Dinge, die ja noch vor Jahr und Tag als sozialistisches Teufelszeug gebrandmarkt wurden. Das heißt: Selbst wenn Sie wollten, könnten Sie diesen Forderungen auf Grund der leeren Kassen gar nicht mehr nachkommen. Und auf die konjunkturschädliche Erhöhung von Verbrauchsteuern wollen Sie offenbar auch nicht verzichten. Das haben sowohl Sie als auch Herr Carstens heute morgen hier zum Ausdruck gebracht.
Sie haben, Herr Dr. Stoltenberg, die konjunktur-
und beschäftigungspolitische Handlungsfähigkeit des Staates schwer beschädigt. Indem Sie die Kassen leeren und leeren, entziehen Sie dem Staat auf Dauer die Möglichkeit, aktive Beschäftigungspolitik zu betreiben, notwendige Umweltinvestitionen vorzunehmen.

(Glos [CDU/CSU]: Das sind doch alles Scheinrezepte, Herr Kollege!)

Und was noch peinlicher ist: daß Sie mit schon unverhüllter Deutlichkeit die Tarifvertragsparteien zu höheren Lohnsteigerungen auffordern, um mehr Steuern kassieren zu können. Da können Sie reden, was Sie wollen: Das ist ein erneuter Eingriff in die Tarifpolitik,

(Dr. Apel [SPD]: So ist es, natürlich!)

und Sie haben sich ja nicht nur zum öffentlichen Dienst geäußert. In der Vergangenheit haben Sie, Ihrer konservativen Ideologie folgend, hohe Tarifabschlüsse für die Massenarbeitslosigkeit verantwortlich gemacht. Das war immer falsch. Jetzt sollen höhere Tarifabschlüsse den weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit abbremsen und die von Ihnen geplünderten Kassen füllen. Denken Sie denn, Herr Bundesfinanzminister, überhaupt noch an Ihre Glaubwürdigkeit?
Ihre Finanzpolitik richtet sich nicht nach staatspolitischen Notwendigkeiten, sondern nach Wahlterminen.
Für die Folgen dieser verheerenden Politik ein Beispiel: Noch im November des letzten Jahres haben Sie für die Steuerschätzung Ihre Erwartungen für das wirtschaftliche Wachstum für 1987 mit nominell 4,9 % vorgegeben. Dies war drei Monate vor der Bundestagswahl und offensichtlich in Wahlkampfstimmung geschätzt. Dann kam die neugewählte Bundesregierung ins Amt.

(Glos [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)

Schon wurde das hochgesetzte Wirtschaftswachstum wieder nach unten geschätzt, und zwar um 40 Milliarden DM, aber dies schon mitten im laufenden Haushaltsjahr und mit der Konsequenz, daß die Einnahmen in den öffentlichen Haushalten plötzlich um 10 Milliarden DM reduziert werden mußten. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit Steuersenkung zu tun. Das war, Herr Dr. Stoltenberg, die scheibchenweise Rückkehr aus dem Bundestagswahlkampf 1986/87 in die wirtschaftliche Realität.

(Beifall bei der SPD)

Die Folge war die Erhöhung der Neuverschuldung aller öffentlichen Haushalte von 40,5 Milliarden DM auf 54 Milliarden DM. Das war der Preis, Herr Dr. Stoltenberg, für die mangelnde Verläßlichkeit Ihrer Daten.
Für das Jahr 1988 sieht es schon jetzt nicht anders aus. Hier hat die Steuerschätzung im Laufe dieses Jahres Korrekturen bei den Steuereinnahmen von 21,2 Milliarden DM gebracht. Wollen Sie, Herr Dr. Stoltenberg, die Hand dafür ins Feuer legen, daß wir nicht schon am Ende des Jahres 1988 mit 64,5 Milliarden DM die Verschuldenshöhe erreicht haben werden, die Sie für die Neuverschuldung 1990 vorgesehen haben?
Jetzt stehen Sie plötzlich mit dem Rücken an der Wand und pfeifen die Melodie „Rote Schulden, schlechte Schulden; schwarze Schulden, gute Schul-



Poß
den". Dabei waren die roten Schulden für Zukunftsinvestitionen und Umweltinvestitionen,

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

für Investitionen, von denen unsere Kinder und Kindeskinder noch etwas haben werden.
Sie verschleudern das Geld für Einkommensteuersenkungen für Spitzenverdiener, die in den letzten Jahren sowieso reichlich verdient haben. Die Vorstände in den deutschen Aktiengesellschaften, Unternehmen und Banken haben sich in den letzten Jahren pro Nase 50 000 bis 150 000 DM zusätzlich genehmigt
— nach dem Motto „Leistung muß sich wieder lohnen" . Weil das nicht ausreicht, kommt jetzt die Steuersenkung mit noch einmal 20 000 bis 40 000 DM dazu. Das alles geschieht im Zeichen der geistig-moralischen Erneuerung. Also wenn das nichts ist, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Sie rechnen ab 1989, Herr Dr. Stoltenberg,

(Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sozialneid war schon immer Ihre Stärke!)

immer noch mit euphorischen Annahmen eines wirtschaftlichen Wachstums von jährlich 4,6 %.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Schreihals!)

— Herr Weng, es ist besser, manchmal deutlich und laut zu reden, als bei Ihrer Rede einzuschlafen.

(Beifall bei der SPD)

Daß Ihre Glaubwürdigkeit so schwindet, ist auch eine Folge Ihrer unseriösen Steuerpolitik. Im Wahlkampf wurde für 1990 jedem Bürger eine Steuerentlastung von 1 000 DM versprochen.

(Walther [SPD]: Mindestens!)

Ich kann hier Herrn Dregger zitieren. Ich habe mir das mitgenommen. Da ist dies definitiv festgestellt. Sie wollen doch wohl nicht sagen, daß der Herr Dregger bei Ihnen inzwischen zu einer politischen Restgröße degeneriert ist. Ich meine, sein Wort hat doch wohl immer noch Gewicht. Inzwischen versuchen Sie, von Ihrem Wahlversprechen herunterzukommen. Jetzt ist es für Sie schon ein großer Erfolg — ich zitiere Herrn Häfele in einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage —, daß „bis auf wenige Ausnahmefälle für alle Steuerzahler ,unter dem Strich' eine Entlastung" kommen soll. So groß ist der Unterschied zwischen den vollmundigen Ankündigungen und dem, was nachher übrigbleibt.
Ich sage — ich sage das bewußt — : Das ist die Steuerlüge dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben das Wort Lüge in die deutsche Politik eingeführt. Das ist die Steuerlüge dieser Bundesregierung.

(Seiters [CDU/CSU]: Bei den Lügen habt ihr doch eure Erfahrungen!)

— Sie verstehen davon ja auch eine Menge, Herr Seiters.
Angesichts dieser Steuerlüge erklärte Herr Scharrenbroich hier im Bundestag am 15. Oktober:
Ich gebe zu, ich habe selten so gerne einen Reformbeschluß der Koalition verteidigt und vertreten wie diesen hier.

(Glos [CDU/CSU]: Er ist ein guter Mann! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Aus Arbeitnehmersicht — lieber Herr Glos, Sie sind ja keiner — kann man das nur als Masochismus bezeichnen, was der Herr Scharrenbroich hier für sich und für die CDA erklärt hat. Aber Herr Scharrenbroich bleibt da ja in der Tradition von Blüm, der bei der Senkung des Spitzensteuersatzes vom Faustschlag ins Gesicht der Malocher sprach und anschließend das Steuerpaket als sozial ausgewogen bezeichnete.
Noch am 15. Mai hat Herr Blüm in einem Schreiben die drohende Streichung des Weihnachtsfreibetrages weit von sich gewiesen. Dr. Stoltenberg sagte am 9. September bei der ersten Lesung des Bundeshaushalts:
Unwahr ist auch, daß ich den Weihnachtsfreibetrag abschaffen will.
Wenige Wochen darauf haben Sie dennoch beschlossen, den Arbeitnehmerfreibetrag und den Weihnachtsfreibetrag abzuschaffen.

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

— Wenn Sie sich in diesen Fragen nicht so auskennen, dann lesen Sie erst einmal nach. Natürlich ist das eine Abschaffung beider Freibeträge und nichts anderes.

(Beifall bei der SPD)

Wolfgang Vogt, Parlamentarischer Staatssekretär und CDA-Boß in Nordrhein-Westfalen, erklärte am 30. Juli in der „Rheinischen Post" zu der Absicht, die Zuschläge zu Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit zu besteuern, daß sowohl Blüm als auch die CDA entschieden gegen die Besteuerung der Erschwerniszuschläge angehen würden. Orginalton Vogt:
Niemand macht aus Jux und Tollerei Nachtarbeit oder arbeitet an Sonn- oder Feiertagen.
Da kann ich nur sagen: Gut gebrüllt, Löwe! Aber wo blieb der Widerstand der CDA? Wo blieb der Widerstand von Minister Blüm?

(Zustimmung bei der SPD)

Wenn es um flotte Sprüche geht, ist Herr Blüm sehr
stark. Wenn aber Taten von ihm gefordert sind
— siehe auch Länderfinanzausgleich — , ist er auf Tauchstation. Die CDA, die christlichen Sozialausschüsse, sind so wie Hühner ohne Eierstock: Sie gakkern, aber legen nicht.

(Heiterkeit bei der SPD)

Herr Blüm ist das Oberhuhn in dieser Gruppe.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104204300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann?

Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1104204400
Nein, meine Redezeit ist gleich zu Ende. Es tut mir leid, Herr Gattermann.



Poß
Herr Blüm ist und bleibt der Minister für die Täuschung und Beschwichtigung der Arbeitnehmer.

(Seiters [CDU/CSU]: Haben Sie das alles wirklich vorher aufgeschrieben?)

Ich will jetzt nicht alle 42 Steuererhöhungsmaßnahmen untersuchen und die sich daraus ergebenden Belastungswirkungen darstellen. Klar ist jedoch, meine Damen und Herren — weder Herr Stoltenberg noch die anderen Redner haben andere Zahlen und Beispiele bringen können —, daß die ganz große Mehrzahl der Bürger durch Ihr Steuerpaket 1990

(Zuruf von der CDU/CSU: Entlastet wird!)

um weit weniger als 1 000 DM entlastet wird und daß es in nicht wenigen Fällen sogar zu absoluten Mehrbelastungen kommt. Dies ist die historische Wahrheit. Das ist am Tarif ablesbar.

(Glos [CDU/CSU]: Nennen Sie mal ein Beispiel!)

— Herr Apel hat schon für 1988 ein Beispiel gebracht; man kann es für 1990 fortsetzen. — Dagegen können Einkommensmillionäre 1990 mit einer Steuerentlastung von über 30 000 DM rechnen. Das und nichts anderes ist der wahre Inhalt Ihrer Steuerpolitik.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Nun versuchen Sie, durch globale Berechnungen über die Anteile einzelner Einkommensgruppen am Entlastungsvolumen von den tatsächlichen Auswirkungen Ihrer Steuerpolitik auf die Bürger abzulenken. Abgesehen davon, daß diese Zahlen für die einzelnen Bürger relativ uninteressant sind, muß man doch feststellen, daß Sie mit diesen Zahlen zu täuschen versuchen. Sie manipulieren, indem Sie die Einkommensgruppen so bilden, daß die Bezieher normaler, durchschnittlicher Einkommen mit Spitzenverdienern zusammengefaßt werden. Damit vertuschen Sie, daß Steuerpflichtige in der mittleren Einkommensgruppe von 25 000 bis 75 000 DM Jahreseinkommen gemessen an ihrem Beitrag zum bisherigen Steueraufkommen unterproportional, dagegen Steuerpflichtige mit einem zu versteuernden Einkommen von 75 000 bis 250 000 DM überproportional am Entlastungsvolumen beteiligt sind. Diese Zahlen stammen nicht von Poß, diese Zahlen stammen vom Münchener Ifo-Institut.
Ich bin sicher, daß derartige Berechnungen auch im Hause des Bundesfinanzministers durchgeführt wurden. Aber die wurden geheimgehalten, weil Ihnen damit der letzte Strohhalm, an den Sie sich bisher geklammert haben, um Ihre Steuerpolitik als gerecht darzustellen, aus der Hand gerissen wird.
All das spricht eigentlich, Herr Bundesfinanzminister Stoltenberg, für ein Innehalten und Überdenken Ihrer steuerpolitischen Pläne. Aber die Bundesregierung ist ja, was Ratschläge angeht, unbestechlich. Sie nimmt nicht einmal Vernunft an, schon gar nicht von der sozialdemokratischen Opposition.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Weil sie keine hat! — Seiters [CDU/CSU]: Sehr überzeugend, was Sie da sagen!)

— Ich wiederhole: Die Vertreter der Koalitionsfraktionen sind unbestechlich; denn sie nehmen nicht einmal Vernunft an. Haben Sie das jetzt verstanden?
Während der sozialliberalen Regierungszeit blieb die Lohnsteuerquote konstant. Demnächst werden sich 95 % aller Steuerzahler in der Progression befinden. Wollen Sie das etwa leugnen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Die verdienen ja auch mehr!)

1982 waren das noch 55 %.
Sie versuchen in der Tat, die bundesdeutsche Bevölkerung hinters Licht zu führen. Sie geben sich der Selbsttäuschung hin, mit dieser Art von Steuerpolitik würde ein konjunktureller Schub erfolgen. Diese Rechnung wird nicht aufgehen.
Was die Steuererhöhungen in der sozialliberalen Koalition angeht: Begonnen hat die Amtszeit des Bundesfinanzministers Stoltenberg mit Steuersenkungen für die Wirtschaft. Aber die wurden sofort kompensiert durch die Anhebung der Mehrwertsteuer — das ist doch nicht zu leugnen —, was auch 10 Milliarden DM gebracht hat. Von den Steuersenkungen für die Wirtschaft spricht seit 1984 keiner mehr, obwohl das jetzt mit in die Betrachtung eingeführt werden müßte.
Herr Dr. Stoltenberg, das Wasser steht Ihnen bis zum Hals.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Und Sie sind untergetaucht! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

Eigentlich müßte Ihnen das zu denken geben. Wir Sozialdemokraten sind ja sogar bereit, uns mit unserem Sachverstand zur Verfügung zu stellen,

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

weil das deutsche Volk keinen Schaden nehmen soll. Denn wenn Sie Ihre Katastrophenpolitik so fortsetzen, werden wir alle insgesamt Schaden nehmen. Davor behüte uns Gott.
Danke.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Das war eine jämmerliche Rede!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104204500
Das Wort hat der Abgeordnete Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1104204600
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Debatten in dieser Form geführt werden, ist es nicht schwierig, sich vorzustellen, daß die Bürger von uns enttäuscht sind und die Kollegen aus dem Saal getrieben werden; denn die Wiederholung von abgestandener Polemik oder von unwahren Behauptungen kann eine Klärung dieses komplizierten Sachverhalts nicht herbeiführen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Poß [SPD]: Waren die Zahlen falsch?)

Die Aufgabe der Regierung und der Regierungskoalition ist es, ein Konzept vorzulegen und sich der öffentlichen Diskussion zu stellen. Die Aufgabe der Opposition wäre es, dieses Konzept kritisch zu beglei-



Dr. Solms
ten, aber nicht destruktiv kritisch, indem es einfach nur niedergemacht wird. Vielmehr ist eine eigene Alternative, die ernstgemeint ist, erforderlich, um mit ihr vor der Öffentlichkeit einen Vergleich zu ermöglichen und damit der Öffentlichkeit auch eine Entscheidungshilfe für die Beantwortung der Frage zu geben, wer das bessere Konzept hat.
Die SPD hat im vergangenen Jahr, vor der Bundestagswahl 1987, ein eigenes Konzept entwickelt. Das war der sogenannte Rau-Tarif, von dem heute nicht mehr gesprochen wird. Wir haben darüber in diesem Hause intensiv diskutiert. Herr Spöri hat sich seinerzeit beschwert, daß wir den Rau-Tarif anführen. Er hat gesagt, das sei nicht Ihr Konzept, Sie würden ein neues entwickeln. Bis heute ist kein neues Konzept hier. Ich kann mich an diese Diskussion sehr genau erinnern.
Ich habe damals die Graphik, die ich hier jetzt hochhalte, vorgezeigt, um allen vorzuführen, wie die unterschiedlichen Interessen und Standpunkte sind.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Das war falsch und ist falsch!)

Herr Präsident, Sie sehen, es ist ein sauberes Bild. Herr Spöri hat das seinerzeit den „Steuerporno" genannt. Das ist richtig; denn diese Graphik entblößt die SPD hinsichtlich dessen, was sie steuerpolitisch will.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Abg. Dr. Apel [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich kann keine Zwischenfrage zulassen; ich habe nur fünf Minuten Redezeit, Herr Apel.

(Dr. Apel [SPD]: Das finde ich stark: Sie polemisieren und sind dann zu feige, eine Zwischenfrage zuzulassen. Sie sind ein Feigling!)

Ich will ganz deutlich sagen: Nach diesem RauTarif, der Grundlage Ihres Wahlkampfes war, Herr Apel, würde der durchschnittlich verdienende Arbeitnehmer bereits mehr belastet. Wenn Sie heute nicht mehr zu diesem Tarif stehen, müssen Sie einen neuen Tarif entwickeln und uns eine Alternative anbieten, so daß wir mit den verschiedenen Modelle in einen Wettkampf eintreten können.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Apel [SPD])


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104204700
Herr Abgeordneter Apel, haben Sie den Redner als „Feigling" bezeichnet?

(Dr. Apel [SPD]: Das habe ich getan, weil er keine Zwischenfrage zuläßt!)

— Herr Abgeordneter Apel, ich rufe Sie zur Ordnung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Spöri?

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1104204800
Wenn es nicht angerechnet wird.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104204900
Es wird nicht angerechnet. — Bitte schön.

(Dr. Apel [SPD]: „Feigling" wird zurückgenommen!)


Dr. Dieter Spöri (SPD):
Rede ID: ID1104205000
Herr Kollege Solms, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß nach dem Rau-Tarif, den Sie hier angeführt haben, 1988 70 % der Ledigen und 80 % der Verheirateten sich finanziell besserstehen als bei Ihrer Konzeption und deshalb Ihre Behauptung unredlich ist?

(Glos [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1104205100
Herr Kollege Spöri, das stimmt mit den Tatsachen nicht überein. Ich habe das unabhängig von einem Steuerberater überprüfen lassen. Das, was Sie damals in Nürnberg beschlossen haben, führt zu einem Tarif, bei dem die Mehrheit der Arbeitnehmer stärker belastet wird als heute. Unser Tarif führt dazu, daß der durchschnittlich verdienende Arbeitnehmer — verheiratet, zwei Kinder — 1990 um genau 1 966 DM gegenüber 1985 entlastet wird. Das sind 40 % Steuerentlastung.
Wenn Ihnen dieser Rau-Tarif nicht mehr genehm ist, dann machen Sie bitte ein neues Modell, eine neue Alternative, dann können wir uns miteinander darüber auseinandersetzen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Spöri [SPD]: 80 % stehen sich besser!)

Die laufende Wiederholung von unwahren Zahlen und Behauptungen führt uns hier nicht weiter.
Zum Abschluß möchte ich noch ein Wort zur Quellensteuer sagen, die Sie, Herr Apel, auch angesprochen haben.

(Abg. Dr. Apel [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104205200
Herr Abgeordneter Solms, es wird nicht angerechnet. Wir kommen nur etwas aus der Zeitberechnung.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1104205300
Bitte sehr.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104205400
Herr Apel, bitte sehr.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID1104205500
Herr Abgeordneter, nachdem Sie jetzt eine Zwischenfrage zulassen, möchte ich mich, Herr Präsident, für den Zuruf „Feigling " bei Ihnen ausdrücklich entschuldigen.
Aber jetzt die Frage: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß Sie Unvergleichbares miteinander vergleichen?
Wir haben zu Ihrem Steuerkonzept 1988 eine Alternative vorgelegt. Sie ist genauso zu bewerten, wie Herr Spöri es dargestellt hat. Eigentlich könnten Sie nur einen anderen Vorwurf erheben, nämlich den, daß derzeit zu Ihren Plänen für 1990 noch keine sozialdemokratische Initiative vorliegt. Das könnten Sie in der Tat — das hat auch der Bundesfinanzminister schon einmal getan — gegen uns geltend machen.
Darf ich Ihnen dazu sagen, daß Sie rechtzeitig vor der Debatte hier im Deutschen Bundestag, dann,



Dr. Apel
wenn die Vorschläge der Regierung vorliegen, unsere Alternative haben werden?

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Das war ein Korreferat!)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1104205600
Herr Kollege Apel, ich bin neugierig auf die Alternative. Da wir heute darüber diskutieren und wir unsere Vorschläge seit langem gemacht haben, hätte man von einer großen Partei wie der SPD eigentlich erwarten können, daß sie die Zeit nutzt, um eine eigene Alternative zu entwickeln.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Im Gegensatz dazu haben Sie im Sommer Behauptungen über die Steuerpolitik der Koalition aufgestellt, die nicht richtig, die erwiesenermaßen unwahr waren.

(Roth [SPD]: Ihr habt noch nicht einmal einen Gesetzentwurf!)

— Entschuldigen Sie, die Beschlüsse liegen auf dem Tisch. Der Gesetzentwurf wird bis Mitte des nächsten Jahres auf dem Tisch liegen. Dann können wir in den Ausschüssen darüber diskutieren. Das ist doch gar kein Problem.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Sie wollen nur von 1988 ablenken!)

Jetzt möchte ich noch etwas zur Quellensteuer erklären, weil Sie gesagt haben, Ihr Modell — es ist nicht das von Herrn Lahnstein; davon haben Sie sich inzwischen auch gelöst — bestehe in der Aufhebung des Banken-Erlasses und der Einführung von Kontrollmitteilungen. Das ist eine Alternative. Da kann man wirklich sagen: Das ist eine Alternative.
Aber wozu würde sie führen? Das Vertrauen in die private Finanzsphäre der Bürger würde total zerbrochen. Das hieße, daß das Bankkonto beim Finanzamt sozusagen parallel mit geführt wird.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: In ganz Amerika ist das der Fall!)

— Amerika muß nicht immer unser Beispiel sein. Genau das widerspricht meinen und unseren Überzeugungen zu 100%; denn wir wollen die private Sphäre vertraulich gestalten und bewahren. Das gehört auch zum Grundsatz des Datenschutzes.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn man die private Sphäre schützt, kann man auf der anderen Seite durchaus dazu kommen, eine Quellensteuer einzuführen, um die Steuerschuldner dazu zu bringen, die Steuern angemessen zu zahlen.
Ich bin sogar der Meinung — wir werden darüber diskutieren — , daß man den Banken-Erlaß gesetzlich normieren sollte, um deutlich zu machen, daß das Bankkonto in Deutschland ein geschütztes, ein vertrauenswürdiges Konto ist. Damit werden wir im Verhältnis zu den Bankkonten in der Schweiz und in anderen Nachbarländern wettbewerbsfähig werden. Das wird für die Kapitalmärkte in der Bundesrepublik sicherlich gut sein.
Alles in allem: Die Steuerreform muß kommen. Die Masse der Arbeitnehmer, die zu vertreten die SPD vorgibt, muß entlastet werden; denn die Arbeitnehmer werden heute zu hoch besteuert. Auch die breite Masse der mittelständischen Unternehmen muß entlastet werden, damit diese international wettbewerbsfähig bleiben bzw. das wieder werden können. Hierzu gibt es keine Alternative. Alternativen kann es nur hinsichtlich der Ausgestaltung geben. Wie gesagt, ich erwarte Ihr Konzept.
Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104205700
Das Wort hat der Abgeordnete Pfennig.

Dr. Gero Pfennig (CDU):
Rede ID: ID1104205800
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich in einem speziellen Bezug etwas über den Zusammenhang von Haushaltsausgaben, Steuerreform und Subventionsabbau sagen.
Ich habe bei den Haushaltsberatungen des vergangenen Jahres darauf hingewiesen, daß wir bei der Bundeshilfe für Berlin seit 1981 eine bemerkenswerte Trendumkehr zu verzeichnen haben. Deren Anteil am Volumen des Berliner Haushalts ist seit 1981 von 54,1 % auf 51,9 % gesunken, obgleich die Zuwachsrate etwas über der Steigerungsrate des Bundeshaushalts lag. Im Jahre 1988 wird der Anstieg der Bundeshilfe trotz der Steigerung auf 12,2 Milliarden DM mit 2,2 % etwas unter der Steigerungsrate des Bundeshaushalts von 2,4 % liegen.
Dennoch ist dies kein Grund zum Lamentieren. Der Anteil der Bundeshilfe am Volumen des Berliner Haushalts verändert sich nämlich kaum und liegt fast unverändert bei 51,7 %. Damit zeigen der Bund, aber auch Berlin selbst, daß eine solide Haushaltspolitik betrieben werden kann, ohne die zukunftsorientierte gesamtstaatliche Funktion Berlins aus den Augen zu verlieren. Die Hilfe des Bundes beweist, daß — entgegen Äußerungen aus den Reihen der Opposition — Bundespolitik für Berlin nicht nur in leere Treue- und Beistandsbekundungen mündet, sondern daß der Bund unverändert finanziell dazu steht, Berlin als Hauptstadt der Deutschen zu erhalten, d. h. die Sicherung der Lebensfähigkeit Berlins als nationale Aufgabe versteht.
Die Bundeshilfe für Berlin und die Berlin-Förderung sind vor allem Ausdruck dieses politischen Willens und nicht etwa nur gesetzlicher Verpflichtungen. Die Berlin-Hilfe hat deshalb ihre eigene Aufgabe, unabhängig von sonstigen Maßnahmen des Bundes, die neben anderen auch Berlin zugute kommen mögen, wie etwa das finanzielle Engagement des Bundes gegenüber der DDR bei Umweltschutzmaßnahmen oder auch beim künftigen Ausbau der Eisenbahntrasse Hannover—Berlin, das der Ausdruck deutschland- und europapolitischer Aufgaben der Bundesrepublik Deutschland ist.
Beide, Bundeshilfe für Berlins Haushaltsfehlbetrag und Berlin-Förderung für die Wirtschaft, sind deshalb auch keine Subventionen. Auf die unzutreffende Verwendung des Begriffs Subvention im Zusammenhang mit der Berlin-Hilfe hat dankenswerterweise zuletzt der Bundeskanzler am 3. Juni 1986 auf der Jahrestagung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie hingewiesen. Der Nichtsubventionscharakter der Ber-



Dr. Pfennig
lin-Förderung hat sich die Bundesrepublik Deutschland sogar durch deren Qualifizierung in Art. 92 des EWG-Vertrages zusichern lassen. Beide, Bundeshilfe und Berlin-Förderung, haben sich deshalb in ihrer Höhe konkret danach zu richten, was in der jeweiligen Situation zum Ausgleich des vorhandenen Ungleichgewichts in den Lebensverhältnissen oder zum Ausgleich von Standortnachteilen notwendig ist.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104205900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?

Dr. Gero Pfennig (CDU):
Rede ID: ID1104206000
Nein, ich möchte keine Zwischenfrage zulassen, weil ich auf die Mittagspause für die Kollegen Rücksicht nehmen will.

(Roth [SPD]: Ich sage auch nicht „Feigling" !)

Insoweit gilt für die Höhe der Bundeshilfe, daß unbestreitbar auch zukünftig mehr als 50 % des Haushaltsvolumens Berlins durch die Bundeshilfe abgedeckt werden müssen, daß sich aber unabhängig von Regelungen im Länderfinanzausgleich samt Ergänzungszuweisungen und unabhängig von Kalkulationen in den Finanzplänen des Bundes und des Landes Berlin die Höhe der Bundeshilfe im jeweiligen Haushaltsjahr nach der konkreten Situation und insbesondere nach den Nachteilen Berlins hinsichtlich der Lebensverhältnisse richten muß. Das ergibt sich ganz unzweideutig aus § 16 des Dritten Überleitungsgesetzes, wonach Berlin einen Bundeszuschuß zur Dekkung eines auf andere Weise nicht auszugleichenden Haushaltsfehlbetrages erhält, der so zu bemessen ist, daß das Land Berlin befähigt wird, die durch seine besondere Lage bedingten Ausgaben zur wirtschaftlichen und sozialen Sicherung seiner Bevölkerung zu leisten und seine Aufgaben als Hauptstadt eines geeinten Deutschlands zu erfüllen. So sagt es der Gesetzestext.
Die Bundesregierung und auch der Senat von Berlin können stolz darauf sein, daß ihre Politik für Berlin in den letzten Jahren dazu geführt hat, daß Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen in Berlin gestiegen sind und auch zu einer besseren wirtschaftlichen Entwicklung geführt haben, die, verbunden mit einer soliden Haushaltspolitik, die für den Berliner Haushalt notwendige Bundeshilfe hat sinken lassen. Wir alle können nur hoffen, daß diese Entwicklung anhält.

(Roth [SPD]: Ja, jetzt sagen Sie doch, daß Sie gegen die Streichungen von Stoltenberg sind! So umständlich brauchen Sie sich doch nicht auszudrücken! — Beifall bei der SPD)

— Lieber Herr Roth, sagen Sie doch einmal, ob Sie dagegen sind!

(Dr. Apel [SPD]: Wir sind dagegen!)

Verschlechterte sich nämlich die durch die Anstrengungen der Berlin-Kommission der Parteien beim Bundespräsidenten — auch Ihrer Partei, Herr Roth —, durch das persönliche Engagement des Bundeskanzlers, durch die Anstrengungen der deutschen Wirtschaft und durch die Senatspolitik endlich verbesserte wirtschaftliche und soziale Position Berlins, könnte dies langfristig zu wesentlich höheren Kosten für den Bund führen. Durch diese Anstrengungen ist erreicht
worden, daß das Bruttosozialprodukt erstmalig auch in Berlin im Bundesdurchschnitt liegt, daß seit wenigen Jahren ein konstanter, wenn auch kleiner Zuwachs der deutschen Wohnbevölkerung zu verzeichnen ist

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

und daß der hohe Verlust von Arbeitsplätzen gestoppt ist.
Dies alles ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß der Präferenzvorsprung Berlins zum Grundsatz der Berlin-Politik aller Parteien erhoben wurde.

(Zustimmung des Abg. Kittelmann [CDU/ CSU])

An diesem erfolgreichen, von allen in der Berlin-Kommission vertretenen Parteien gemeinsam getroffenen Beschluß sollte niemand rütteln. Die Nachteile würden uns allen zu schaffen machen.
Das sollte auch bei der Diskussion über den Subventionsabbau bedacht werden, in die eine Veränderung der Berlin-Förderung nicht hineingehört, weil Berlin-Förderung eben keine Subvention ist, sondern Ausgleich der durch die Teilung Deutschlands verursachten wirtschaftlichen Nachteile.
In diesem Zusammenhang bin ich für die Feststellung von Bundesfinanzminister Stoltenberg in einem Interview für die Wochenzeitschrift „Die Zeit" vom 3. Juli 1986 dankbar, daß alles, was mit der BerlinFörderung zusammenhängt, politisch nicht zur Disposition stehen kann.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Sehr gut! — Dr. Apel [SPD]: Das war aber vor den Beschlüssen!)

Entgegen manch landläufiger Meinung ergeben sich nämlich die Nachteile Berlins — das muß man auch bei der Beschlußfassung über den Bundeshaushalt berücksichtigen — nicht nur durch die Insellage mit ihren höheren Aufwendungen für Transport-, Energie-, Grundstücks-, Bau-, Wohnungs-, Reise- und Entsorgungskosten. Die Nachteile ergeben sich auch dadurch, daß z. B. ein alliiertes Verbot der Produktion von Rüstungsgütern im Bereich ziviler Produktion — nämlich wenn diese militärisch nutzbar gemacht werden kann — Auswirkungen hat, und es wirkt sich für Berlin auch nachteilig aus, daß Berlin beispielsweise nicht am Bundeswehrauftragsvolumen von 65 Milliarden DM partizipieren kann oder daß z. B. die Investitionen für Raum- und Luftfahrt und auch die Bundesbahninvestitionen von 20 Milliarden DM fast ganz an Berlin vorbeigehen.
Es wird häufig übersehen, daß die letztgenannten Nachteile selbst dann bestehenblieben, wenn sich die politische Situation um Berlin herum nachhaltig weiter verbessern würde. Dies sollte in der bezüglich Berlins noch nicht abgeschlossenen Diskussion über die Finanzierung der Steuerreform bedacht werden.
Dabei will ich weder auf die laufenden Verhandlungen Einfluß nehmen, noch möchte ich auf Einzelheiten eingehen,

(Dr. Apel [SPD]: Schade!)




Dr. Pfennig
z. B. darauf, ob der vom DGB Berlin mit 500 Millionen DM bezifferte Subventionsabbauanteil der Wirklichkeit entspricht

(Zuruf von der CDU/CSU: Nein, das ist nicht richtig!)

oder ob die schon 1981 vom damaligen Wirtschaftminister Lambsdorff angekündigte Kürzung der Abnehmerpräferenz von 4,2 % auf 3,5 % vertretbar ist

(Kittelmann [CDU/CSU]: Unvertretbar!)

— da war die SPD noch in der Regierung — oder wie es sich gar mit der noch bis vor kurzem in Erwägung gezogenen Kürzung der Arbeitnehmerzulage verhält.
Der Erfolg der Steuerreform begünstigt auch Berlin.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Deshalb ist es selbstverständlich, daß Berlin auch zur Finanzierung der Steuerreform beitragen wird,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

allgemein und auch speziell, z. B. durch die vorgesehene Kürzung bei der Investitionszulage, die kein Berlin-spezifischer Tatbestand ist. Im übrigen muß es aber dabei bleiben: Veränderungen in der Berlin-Förderung bedürfen der Begründung, daß sie nicht zu Nachteilen für Berlin und seine Wirtschaftskraft führen — und damit letztendlich zu höheren ungedeckten Ausgaben im Haushalt Berlins,

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

die wir dann wiederum durch den Bundeshaushalt ausgleichen müßten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104206100
Meine Damen und Herren! Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Abstimmung über Einzelplan 08. Wer dem Einzelplan 08 — Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist mit Mehrheit und ohne Enthaltungen angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 32. Wer dem Einzelplan 32 — Bundesschuld — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Einzelplan ist mit Mehrheit und ohne Enthaltungen angenommen.
Wir kommen zum Einzelplan 60, und zwar zuerst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1332. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist gegen zwei Stimmen abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 60 ab. Wer dem Einzelplan 60 — Allgemeine Finanzverwaltung — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Einzelplan ist mit Mehrheit und ohne Enthaltungen angenommen.
Ich rufe jetzt den Einzelplan 20 — Bundesrechnungshof — in der Ausschußfassung zur Abstimmung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Beratung über den Einzelplan 09 fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechung von 13.02 bis 14.00 Uhr)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104206200
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe auf:
Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
— Drucksachen 11/1059, 11/1081 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Glos Dr. Weng (Gerlingen) Frau Simonis
Frau Vennegerts
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1228 bis 11/1238 sowie ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP auf Drucksache 11/1337 vor.
Wir können ja vielleicht jetzt schon mit der einen anwesenden Dame der Fraktion der GRÜNEN vereinbaren, daß wir die zehn Anträge dann in einem Ruck verabschieden.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Dazu habe ich leider kein Recht!)

— Aber helfen Sie mir, daß wir das nachher schneller hinkriegen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Ja!)

Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Simonis.

Heide Simonis (SPD):
Rede ID: ID1104206300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe das Gefühl, Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie waren wohl der Meinung, daß Ihnen etwas Blitzgescheites eingefallen sei, als Sie just in dem Moment, als der Finanzminister vor dem Haushaltsausschuß sich, uns, und dem Rest der Welt versicherte, sein Haushalt sei solide, ordentlich durchgerechnet und somit ein positives Signal für die Wirtschaft, ausgerechnet jenen Staatssekretär damit beauftragten, einen Brief an den Finanzminister und den Bundeskanzler zu schreiben, der das doch schon mal gemacht hat, damals allerdings an einen anderen Kanzler und einen anderen Finanzminister. Klammheimlich nehmen Sie Distanz von dem, was der Finanzminister öffentlich verkündet, und drohen, daß für das nächste Jahr Löcher in Milliardenhöhe im Haushalt anstehen würden, daß Sie mitnichten der Meinung seien, daß dieses ein solides Zahlenwerk sei.



Frau Simonis
Und Sie verabschieden das Ganze — so ein bißchen hatte man jedenfalls aus dem Brief das Gefühl — als finanzpolitische Gesundbeterei. Und damit auch alle mitbekommen, welche Sorgen Sie da umtreiben, wird genau an demselben Tag, offensichtlich mit einem Hintergrundgespräch, aus Ihrem Hause dieser Brief mit kommentierenden und offensichtlich auch richtigen Zahlen der Bonner Presse zugespielt und damit also auch in den Zeitungen veröffentlicht.
Den Bundesfinanzminister muß er schon ziemlich geärgert haben, der ungebetene Rat von Ihnen, er könne kurzfristig ruhig die Staatsschulden erhöhen; denn er rächte sich nun seinerseits umgehend, indem er eine „heilige Kuh" der Koalition schlachtete und zwei Tage später die Gewerkschaften öffentlich aufforderte, bei den anstehenden Lohnrunden ordentlich für höhere Löhne zu kämpfen.

(Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

Noch im September, also vor knapp drei Monaten, anläßlich der ersten Lesung dieses Flickwerks von Haushalt, haben Sie beide doch unisono gegen zu hohe Löhne und zu hohe Staatsschulden gewettert. Es mag zwar für uns amüsant sein, zu beobachten, wie Sie sich nun Stück für Stück von Ihren eigenen Reden des September verabschieden, aber es ist letztlich der Beweis dafür, daß die Regierungskoalition mit ihrer Finanz- und Wirtschaftspolitik am Ende ist und daß Sie sich mit diesem Brief ein Alibi dafür haben schaffen wollen, um im nächsten Jahr sagen zu können, Sie wären es ja nicht gewesen, Sie hätten schon von Anfang an gewarnt. Dabei sind Sie es sehr wohl doch gewesen. Denn wie läuft normalerweise die Haushaltsaufstellung? Seit Jahren liefern Sie als der zuständige Minister, der Bundeswirtschaftsminister, geschönte Daten über die zu erwartenden Wachstumsraten, raten, weil ja alles von alleine so wunderbar gehe, zur wirtschaftspolitischen Abstinenz. Sie können sich angesichts krisenhafter Zuspitzungen in den Bereichen Werften, Kohle und Stahl lediglich dazu durchringen, alle Beteiligten zu mehr fröhlichem Optimismus für die Zukunft aufzurufen. Auf dieser Grundlage erstellt der Bundesfinanzminister seinen Haushalt, der notgedrungen hinten und vorne nicht stimmen kann.
Da steigt alleine im Jahre 1987 die Nettokreditaufnahme sprunghaft von geplanten 22 Milliarden auf über 29 Milliarden DM. Da wird die Arbeitslosigkeit mitnichten, wie Sie noch angenommen haben, um 85 000 abgebaut — so hatten es auch die fünf wirtschaftswissenschaftlichen Weisen gesagt — , sondern nimmt mit 97 000 deutlich zu. Da fällt das Wachstum mit 1,5 % wiederum deutlich geringer aus als vorausgesagt. Da nehmen die Mindereinnahmen bei den Steuerschätzungen in beängstigendem Maße zu. Da purzeln der Dollar- und der Aktienkurs auf den Börsenmärkten der Welt. Da beklagen sich exportorientierte Unternehmen, daß ihre Investitionen, die sie auf Grund der erhöhten Exporte der Vergangenheit getätigt haben, höchstwahrscheinlich zu Sprengsätzen in ihren Bilanzen werden können. — Sie kann das alles gar nicht erschüttern. Sie haben ja einen Brief geschrieben.
Allerdings möchten Sie in Ihrem Brief doch ein paar Ratschläge festgehalten wissen. Wenn es denn nächstes Jahr schiefgeht und die Risiken tatsächlich alle so
eintreten, wie uns jetzt ja auch die fünf wirtschaftswissenschaftlichen Weisen andeuten

(Walther [SPD]: Seit wann sind die weise?)

— sie bezeichnen sich als Weise, und es steht, glaube ich, irgendwo im Gesetz; deshalb muß man sie so bezeichnen, auch wenn man nicht daran glaubt —,

(Walther [SPD]: Nein, das steht noch nicht einmal im Gesetz!)

fragt man sich, wodurch Ihr zur Schau gestellter Optimismus eigentlich begründet ist.

(Walther [SPD]: Eben!)

Weder teilen die Sachverständigen die Hoffnung, daß die Wirtschaft im nächsten Jahr um 2,5 % wächst, noch glauben sie an einen Abbau der Arbeitslosigkeit. Im Gegenteil: Zahl und Dauer der Arbeitslosigkeit werden zunehmen. Die optimistischen Annahmen über die zu erwartenden Steuereinnahmen im nächsten Jahr können nur als Gesundbeterei verstanden werden. In Ihrem vorhin erwähnten Hintergrundgespräch gehen Sie davon aus, daß mindestens 4 bis 5 Milliarden DM Mindereinnahmen an Steuern zu verzeichnen sein werden.
Sie wissen allerdings sofort Rat, was wir jetzt machen können: Deregulierung und Postliberalisierung sowie weitere Privatisierung. Gestern haben Sie es uns hier noch einmal vorgeführt. Darauf muß man wirklich erst einmal kommen:

(Roth [SPD]: Und der Ladenschluß!)

Dollarverfall und Börsenkrach mit einem flexiblen Ladenschlußgesetz aufhalten, Strukturanpassung bei Werften, Kohle und Stahl mit der Postliberalisierung und den Abbau der Massen- und Dauerarbeitslosigkeit durch den Verkauf von Bundesvermögen bekämpfen. Ich würde mich wirklich nicht wundern, wenn Sie selbst davon überzeugt wären, daß Sie angesichts der ergreifenden Schlichtheit dieses Konzepts fast schon den Wirtschaftsnobelpreis des nächsten Jahres verdient hätten.

(Beifall bei der SPD)

Es ist kein Wunder, daß sich bei Wirtschaftsfachleuten, bei Managern und Bänkern nicht nur leises, sondern in der Zwischenzeit offen geäußertes Unbehagen breit macht.
Ich könnte Ihnen einmal von den Kohlerunden erzählen. Nehmen wir einmal Ihre Deregulierungskampagne und vergleichen damit den Jahrhundertvertrag mit der Kohle. Der Jahrhundertvertrag mit der Kohle ist der Beweis, daß die einzige Energiequelle, über die wir verfügen, bei uns nur deshalb zum Einsatz kommen kann, weil in einem Netz von Regulierungen ermöglicht wird, daß sie die Konkurrenz von außen aushält. Wenn Sie hier mit Ihrer Deregulierung zuschlagen, ist der Jahrhundertvertrag, ist die deutsche Kohle zum Tode verurteilt.

(Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist genau falsch!)

Stahl- und Textilwirtschaft können in Europa nur überleben, weil europäische und internationale Quoten, also Regulierungen, es ermöglichen. Auch hier wäre eine einseitige Deregulierung das geeignetste



Frau Simonis
Mittel, um die Arbeitslosigkeit in diesen Bereichen sofort nachhaltig zu erhöhen.

(Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Auch falsch!)

Dabei gäbe es durchaus Handlungsbedarf. Es gäbe auch Instrumente, um diesen Handlungsbedarf zu erfüllen. Aber unbeirrt halten Sie an dieser gräßlichen sogenannten Steuerreform fest,

(Glos [CDU/CSU]: Na, na, bitte!)

die in Wirklichkeit eine Umverteilung von unten nach oben ist, die Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden plündert, die Verschuldung nach oben treibt, ohne daß damit konkret ein einziger Schritt in Richtung Abbau der Beschäftigungslosigkeit getan wird.
Der Bundesfinanzminister hat stets die negativen Auswirkungen dieser Steuerreform für Länder und Gemeinden verleugnet. Sie haben uns vorgeworfen, daß wir Ihre Steuerreform während des Wahlkampfs im September verdreht und verleumdet hätten. Ja, stimmt es denn nicht, daß in der Zwischenzeit anstatt der von Ihnen vorgegebenen 120 Millionen DM Mindereinnahmen und Steuerausfällen in SchleswigHolstein 240 Millionen DM zu veranschlagen sind und daß damit die Nettokreditaufnahme dieses Landes in der Zwischenzeit eine geradezu atemberaubende und beängstigende Höhe angenommen hat?

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Er weiß, daß er in Schleswig-Holstein verliert!)

Ein Konzept, wie Sie die nächsten schwierigen Jahre mit all den strukturellen und konjunkturellen Einbrüchen überstehen wollen, ist weit und breit nicht zu sehen. Wo bleibt denn der Versuch der Regierung, wenigstens in Europa eine gemeinsame Antwort auf das amerikanische Herunterfahren des Dollars zu finden? Wo bleiben denn Ihre Versuche, mit den Japanern zu Absprachen zu kommen, um aus der Sündenbockrolle, die uns die Amerikaner und Engländer in der Zwischenzeit zu Recht zuweisen, herauszukommen? Wo bleibt der in Ihrem Brief angemahnte gemeinschaftliche Versuch aller für die Wirtschafts- und Finanzpolitik Verantwortlichen, hier bei uns gegen einen weiteren Dollarverfall geeignete Mittel und Instrumente zu finden?
Sie können auf all diese Fragen keine Antworten geben, weil sie keine geben wollen. Ihr ideologisch begründetes Konzept — statt aktiver Wirtschaftspolitik das passive Vertrauen in die Marktkräfte zu setzen, eine strikt angebotsorientierte Ökonomie durchzusetzen, bei Vernächlässigung der Frage, wer denn die auf dem Markt angebotenen Waren kaufen soll, wenn die Nachfrageseite so grob vernachlässig wird — hat durch den Dollarverfall nicht die ersten Risse bekommen, sondern den entscheidenden Schlag. Die Arbeitnehmer haben auf Grund Ihrer Politik inzwischen ein Reallohnniveau, das etwa dem der 60er Jahre entspricht, und obgleich der Anteil der Einkommen aus Kapital und Vermögen von etwas über 33 % auf inzwischen 41 % gestiegen ist, wird dennoch nicht mehr investiert, und wenn investiert wird, wird in Ersatzinvestitionen investiert, womit noch mehr Arbeitslosigkeit produziert wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104206400
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wissmann?

Heide Simonis (SPD):
Rede ID: ID1104206500
Ja, bitte.

Matthias Wissmann (CDU):
Rede ID: ID1104206600
Frau Kollegin Simonis, Sie sprachen gerade eben vom Reallohnniveau. Wir haben am Montag das Sachverständigengutachten vorgelegt bekommen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß in diesem Sachverständigengutachten darauf hingewiesen wird, daß der Zuwachs der verfügbaren Einkommen im Jahre 1987 bei 3,5 % liegt und daß für 1988 ein Zuwachs der verfügbaren Einkommen von 4,5 % erwartet wird, und sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das weit über den Zahlen des Anfangs der 80er Jahre unter der Regierung Schmidt liegt?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104206700
Frau Kollegin, zwei Sachen brauchen Sie nur zur Kenntnis zu nehmen, wenn Sie sie zur Kenntnis nehmen wollen. Eine Frage darf nur zwei Teilfragen enthalten.

Heide Simonis (SPD):
Rede ID: ID1104206800
Ich bin bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, weil ich gar nicht anders kann, denn wenn ich es in die Hand nehme und lese, nehme ich es zur Kenntnis. Aber bei der Treffsicherheit des Sachverständigengutachtens bin ich keineswegs bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das richtig ist. Ich halte es mit dem alten Churchill, daß ich nur den Statistiken glaube und traue, die ich selbst mit zurechtgelogen habe.

(Glos [CDU/CSU]: Das ist Selbstbezichtigung! — Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

Das ist alles nur Statistik, und das wissen Sie natürlich genauso gut wie ich.
Dauer und Ausmaß der Arbeitslosigkeit nehmen zu, das Nord-Süd-Gefälle verstärkt sich, Arbeitnehmer sind im Norden Deutschlands häufiger und länger arbeitslos.

(Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Warum denn?)

— Sicherlich nicht, weil sie fauler sind als andere Arbeitnehmer, sondern weil die Wirtschaftspolitik ihnen überhaupt keine Möglichkeit gibt zu arbeiten, Graf Lambsdorff.

(Glos [CDU/CSU]: Deswegen werden sie krank!)

Sie werden wohl nie begreifen, daß das etwas miteinander zu tun hat: Wirtschaftspolitik und die Fähigkeit der Leute, arbeiten zu können.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Das Lohnniveau ist niedriger als im Süden, und für die Werften in Schleswig-Holstein, aber auch für die anderen Werftstandorte im Norden stehen weitere Entlassungen in ziemlich hoher Größe an.
Beschäftigungsinitiativen zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit, zur Integration Jugendlicher, die zum erstenmal ins Berufsleben wollen, von Frauen, die wieder in den Beruf zurück wollen, finden nicht statt. Umstrukturierungsprogramme für die Regionen, de-



Frau Simonis
ren Produkte national und international nicht mehr abgesetzt werden können, finden nicht oder in so geringem Ausmaß statt, daß die positiven Wirkungen von den negativen aufgefressen werden. Ein Blick in die mittelfristige Finanzplanung des Finanzministers zeigt, daß Sie genau bei dem Instrument, das uns helfen könnte, nämlich die Gemeinschaftsaufgabe „Zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" , 1991 auf 60 % herunterfahren wollen, so daß die Aussichten, Geld zu bekommen und etwas längerfristig anzulegen, für viele Länder sehr schwierig sein werden.

(Hinsken [CDU/CSU]: Das ist doch völlig falsch, was Sie sagen! Gerade die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe werden aufgestockt!)

— Sie haben in die mittelfristige Finanzplanung einfach nicht hineingeguckt, denn sonst müßten Sie wissen, daß diese Mittel in der mittelfristigen Finanzplanung heruntergefahren werden. Gucken Sie mal rein, da brauchen Sie sich nicht aufzuregen! Ich weiß, daß es für manche Leute schwer ist, einen Haushalt zu lesen. Sie können es offensichtlich auch nicht.
Der Dollarverfall, das Zusammenbrechen der amerikanischen Börse, das wie ein Lauffeuer auf andere Börsenplätze übersprang, sind nicht Ursachen für die Probleme, mit denen wir jetzt im Moment zu kämpfen haben, sondern sind die Folgen der total falschen Politik, der verfehlten Wirtschaftspolitik in Amerika und hier. Wenn nicht Arbeitnehmer und ihre Familien den Preis für diese verfehlte Wirtschaftspolitik zu zahlen hätten, könnte man sich die Schadenfreude angesichts der Tatsache nicht verkneifen, daß viele Angebotsökonomiker sich in der Zwischenzeit — nach dem Motto: Was kümmert mich mein Gerede von gestern — aus Ihren Reihen verabschiedet haben. Da erklärt Tyll Necker, daß man sich nicht für ewige Zeiten an seinen einmal festgelegten Grundsätzen des Haushaltkonsolidierens und Sparens festhalten müßte, sondern daß man, wenn es notwendig wäre, durchaus auch ganz anders vorgehen, nämlich mehr Kredite aufnehmen könnte.
Wie ein Schock im kalten Wasser muß all jenen, die das zu hohe Lohnniveau in der Bundesrepublik in einstimmigem Chor mit dem Wirtschafts- und Finanzminister beklagt haben, die Empfehlung von Herrn Dr. Stoltenberg in den Ohren geklungen haben, die Gewerkschaften mögen doch in den kommenden Jahren das Schwergewicht auf hohe Lohnforderungen legen. Die haben natürlich nicht begriffen, daß Sie wollten, daß damit mehr in Ihre Kasse der Staatsfinanzen hineinkommt; denn bei höheren Löhnen fällt selbst bei geringeren Steuern ein bißchen mehr für Sie ab. Das ist der Trick. Sie sind nicht auf einmal in die Reihe der Nachfrageökonomiker getreten.

(Beifall bei der SPD)

Es rächt sich jetzt, daß die Staatskonsolidierung nach Buchhaltermanier betrieben wurde, um die eingesparten Gelder in einer einzigen sogenannten Steuerreform rauszupulvern, und nicht nach dem Motto vorgegangen wurde, daß heute jede Mark sinnvoll ausgegeben ist, die morgen hilft, Probleme auf dem
Arbeitsmarkt in der Sozialpolitik, generell in der Daseinsfürsorge zu mildern.
Das Ende all Ihrer Bemühungen sind immer höher werdende Staatsdefizite. Sie glauben doch selber nicht daran, daß Sie nächstes Jahr mit 30 Milliarden DM Nettokreditaufnahme durchkommen. Wenn sich die Entwicklung dieses Jahres fortsetzt, werden Sie ganz schön weit darüber liegen, wie in der Zwischenzeit auch schon Herr Bangemann in seinem Brief zugibt.
Diese erhöhten Staatsdefizite sind leider nicht geplante Ausgaben, um damit Beschäftigung zu schaffen, sondern sie müssen nachträglich notgedrungen hingenommen werden wegen mangelhafter Konjunkturpolitik, wegen sinkender Steuereinnahmen, wegen zunehmender Arbeitslosigkeit und wegen sich aufreißender Löcher bei den Sozialversicherungen.
Neu ist das für Sie nicht. Denn hätten Sie in den Wirtschaftsbericht der OECD in diesem Jahr hineingeguckt, hätten Sie lesen können, daß das, was für uns vorausgesagt wird, relativ düster ist und daß im Grunde genommen die OECD schon seit Anfang des Jahres davon ausgeht, daß bei uns in der Bundesrepublik eine weitere Abschwächung des Wachstums unvermeidbar ist. Damals war von Börsenkrach und Dollarverfall noch nicht die Rede, aber die Zeichen an der Wand waren unübersehbar.
Der Bundeswirtschaftsminister hat gestern selbst gesagt, daß die Probleme unserer Wirtschaft struktureller Art seien. Richtig, aber strukturelle Probleme löst man nicht so einfach, wie sich das der Herr Wirtschaftsminister vorstellt. Notwendige Anpassungen an neue weltwirtschaftliche Daten sind nicht mit dem Ladenschlußgesetz zu lösen. Sie sind uns nämlich immer noch den Beweis schuldig geblieben, wieso sich eigentlich die Nachfragemacht bei Arbeitslosen, bei Rentnern und bei Sozialhilfeempfängern dann erhöht, wenn sie nicht von 9 bis 18 Uhr einkaufen, sondern nach 18 Uhr. Sie müssen mir wirklich einmal erklären, wieso dann auf einmal mehr Geld in den Taschen derjenigen ist, die sowieso kein Geld haben. Die Yuppies, diese merkwürdige Leitfigur eines Homo oeconomicus, den Sie offensichtlich aus Amerika importiert haben, wissen immer, wie sie ihr Geld ausgeben müssen, egal, ob um 18 Uhr geschlossen wird oder nicht. Für diese brauchen wir das Ladenschlußgesetz nicht zu ändern.
Arbeitslosigkeit, Wechselkurse und Börsen sind nicht Ergebnis göttlichen Waltens des Marktes, sondern Ergebnis politischen Handelns oder Unterlassens. Die konservative Bonner Regierung unterläßt mehr, als sie handelt, und ist damit verantwortlich für die Arbeitslosigkeit, für die Wechselkurse und für das, was auf den Börsen passiert.
Sie unterliegen der Fehleinschätzung, daß der Exportboom der vergangenen Jahre auf die famose Wirtschaftspolitik der Regierung und nicht auf den absurd überhöhten Dollar zurückzuführen sei. Deswegen haben Sie in Jahren relativen wirtschaftlichen Aufschwungs vergessen, die dümpelnde Binnenmarktnachfrage durch rigorose Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit zu stärken, und haben darauf gesetzt, daß die Amerikaner bis in alle Ewigkeiten damit



Frau Simonis
einverstanden sein würden, daß wir ihren Markt überschwemmen und daß ihr Haushaltsdefizit so weiterbesteht.
Sie unterliegen der Fehleinschätzung, daß die hohen Bundesbankgewinne, die auf Grund des hohen Dollarkurses die Sanierungspolitik ein bißchen mit unterstützt haben, auf Ihre Weisheit und auf Ihr Können zurückzuführen seien, und haben sich damit die Möglichkeit verbaut, regionale und sektorale Defizite hier bei uns wahrzunehmen.
Sie sind grundsätzlich unfähig, zu erkennen, daß Sie den finanz- und wirtschaftspolitischen Karren gegen die Wand fahren lassen, was sich spätestens in den nächsten Jahren in Zahlen festmachen lassen wird. Deswegen werden wir Ihrem Haushalt nicht zustimmen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104206900
Das Wort hat der Abgeordnete Glos.

Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1104207000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beratung des Haushalts des Bundesministers für Wirtschaft ist jedes Jahr eine willkommene Gelegenheit, über die wirtschaftspolitischen Konzepte der einzelnen Parteien zu diskutieren und die Vorstellungen von Opposition und Regierungsfraktionen gegeneinanderzustellen.
Ich will das Ergebnis nicht vorwegnehmen, aber ich kann doch feststellen, verehrte Frau Kollegin Simonis: Auch nach Ihrem Beitrag suchen wir immer noch nach geeigneten Rezepten, denn Sie haben überhaupt nichts Zukunftweisendes dazu beitragen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zu dem Thema Defizite möchte ich zwei Sätze sagen: Ich bin nicht der Meinung — so einfach ist die Geschichte nicht — : Rote Defizite sind schlecht, und schwarze Defizite sind automatisch gut.

(Gansel [SPD]: Es gibt also schwarze Defizite! — Weitere Zurufe von der SPD)

Ich möchte einmal versuchen, es ganz kurz so zu erklären, daß vielleicht auch Sie es verstehen können: Wenn wir jetzt vorübergehend ein höheres Defizit in Kauf nehmen müssen, dann deshalb, weil wir massiv die Steuern senken. Der Bundeshaushalt 1988 enthält bereits Auswirkungen dieser massiven Steuersenkung. Wenn bei Ihnen die Defizite angestiegen sind, hatte das damit zu tun, daß die Ausgaben ständig angestiegen waren. Solange wir gleichzeitig bei unserer Politik die Staatsquote zurückführen, so lange ist diese Politik Garantie für ein langes und stetiges Wachstum. Ich gebe zu, daß derzeit für das Wachstum Gefahren bestehen, daß wir natürlich beachten, was im Ausland vor sich geht, daß wir uns aber deswegen von unserem seriösen und soliden Weg nicht abbringen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch vor dem Hintergrund des jüngsten Sachverständigengutachtens fordert die SPD starrsinnig einen Kurswechsel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Ich habe eine ganze Reihe Presseerklärungen von Ihnen
da. Ich kann sie Ihnen zeigen. Die SPD setzt danach weiter auf den punktuellen Aktionismus von Beschäftigungsprogrammen statt auf Konzepte mit Augenmaß. Die SPD will nach wie vor, daß der Staat in wirtschaftliche Abläufe hineinredet, statt durch Steuersenkung, Deregulierung und Privatisierung den Spielraum für die Entfaltungsmöglichkeiten aller am Wirtschaftsprozeß Beteiligten, d. h. auch für die Arbeitnehmer, zu vergrößern.

(Frau Weyel [SPD]: Sagen Sie das einmal den Landwirten!)

Die Kollegen von der SPD unterliegen hier dem Reiz der Oppositionstätigkeit, bei der jeder Abgeordnete gerade seine Vorstellung als den Stein der Weisen anbietet. Das Ergebnis ist ein bunter Strauß in sich widersprüchlicher wirtschaftspolitischer Ideen.

(Roth [SPD]: Ist das ein Stein oder eine Blume?)

— Ein Flickenteppich ist es.

(Roth [SPD]: Das ist ja jetzt eine Inflation der Bilder! — Gansel [SPD]: Der Strauß ist ein Flickenteppich!)

Wenn man da nach einem Konzept sucht, dann sieht man nur einen rot-grünen Schimmer, der da immer wieder herauskommt, Herr Roth.
Die SPD versucht, mit dem Vergrößerungsglas ausfindig gemachte Einzelkritikpunkte im Sachverständigengutachten als Beweis für ihre Behauptung zu nehmen, der Sachverständigenrat unterstütze ihre wesentlichen Positionen. In Wirklichkeit erteilen die Fünf Weisen zum wiederholten Mal jeder Art von Beschäftigungsprogrammen eine klare Absage. Sie schreiben:
Der Staat ist nicht der Motor des Wachstums. Wachstumspolitik ist in ihrem Kern Wirtschaftsordnungspolitik.
Unbeirrt vom Urteil der Fachleute nimmt die SPD jedes in der Sache noch so entfernte Ereignis zum Anlaß, um ihren wirtschaftspolitischen Ladenhüter „Arbeit und Umwelt" — wie es heute morgen auch Herr Apel getan hat — wieder in Umlauf zu bringen.

(Roth [SPD]: Was ist mit Franke?)

Herr Roth, auch Sie haben dies in Ihrem Konzept. Durch die Tüchtigkeit Ihrer Pressestelle habe ich das, was Sie vortragen werden, bereits überfliegen können. Hier steht also auch nur wieder diese neue/alte Wundermedizin „Arbeit und Umwelt" drin, die alle Unzuträglichkeiten von Kopf bis Fuß, gleichsam vom Haarausfall über den Mundgeruch bis zum Fußpilz, alle Krankheiten kurieren soll. „Arbeit und Umwelt" gegen US-Leistungsbilanzdefizit, gegen Dollar-Kursverfall, gegen angeblich absinkende Binnennachfrage, gegen Börsenturbulenzen, nicht zu vergessen selbstverständlich gegen Umweltverschmutzung und vieles andere mehr.
Diese verkürzte Aufzählung, für was Sie dieses Programm alles einsetzen wollen, verdeckt aber natürlich, daß dieses Programm, falls es so verwirklicht würde, auch sehr viele schädliche Wirkungen hätte. Die Redlichkeit gebietet es, sie aufzuzählen. Dieses



Glos
Programm „Arbeit und Umwelt" würde bedeuten: gigantische Staatsverschuldung, Inflation,

(Walther [SPD]: Ist doch alles Quatsch, was Sie da erzählen! — Bohl [CDU/CSU]: Es ist richtig!)

Strangulierung der Wirtschaft, Steuererhöhungen und Verzerrungen im volkswirtschaftlichen Produktionsgefüge und, und, und.

(Walther [SPD]: Wer hat denn den Unsinn aufgeschrieben?)

— Lieber Herr Walther, ich schätze Sie als einen Vorsitzenden, der mit großer Sachkunde und Umsicht den Haushaltsausschuß leitet. Sie sollten der Tatsache, daß Sie sonst ein kooperationsbereiter Mann sind, jetzt hier vor Ihren Parteifreunden nicht mit Unverschämtheiten zu kaschieren suchen, indem Sie dauernd zwischenrufen. Das ist unter Ihrer Würde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, während die SPD noch über ihre veralteten und bereits in den 70er Jahren erfolglosen Programmen nachsinnt, hat die Bundesregierung längst die Weichen für die Aufrechterhaltung günstiger konjunktureller Bedingungen gestellt. Die Maßnahmen zur Steuerentlastung — brutto 70 Milliarden DM jährlich, netto nach der Gegenfinanzierung 50 Milliarden DM jährlich — und gleichzeitig zur Steuervereinfachung verbessern die wirtschaftlichen Bedingungen in der Bundesrepublik Deutschland bei weitem mehr, als öffentliche Investitionsprogramme es je bewirkt haben und es je bewirken könnten.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Die steuerliche Entlastung verbessert die Leistungsanreize sowohl für Arbeitnehmer als auch für Unternehmer. Die Steuerentlastung stärkt die unternehmerische Investitionsfähigkeit. Die Steuerentlastung steigert die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft. Die Steuerentlastung dämpft die Flucht in die Schattenwirtschaft. Die Steuerentlastung verbessert die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen und gleichzeitig die Attraktivität des Standorts Bundesrepublik Deutschland für nationale und internationale Investoren. Die Steuerentlastung liefert vor allem einen entscheidenden Beitrag zur Ankurbelung der Konjunktur in der gesamten westlichen Welt und damit zum Abbau der Defizite, die sich zwischen den Industriestaaten ergeben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In seinem am Montag veröffentlichten Jahresgutachten attestiert der Sachverständigenrat den Koalitionsfraktionen in bezug auf die Steuerreform einen Schritt in die richtige Richtung. Sicher kritisiert er uns auch. Er bemängelt zum Beispiel, daß Behinderungen des Wirtschaftswachstums zugunsten verteilungspolitischer Erwägungen nicht konsequent genug abgebaut würden. An einer anderen Stelle kritisiert der Sachverständigenrat sogar, daß die Spitzenbelastung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer nicht stärker gesenkt wird. Ich kann sagen: Auch ich bedaure dies. Mit meiner Partei, der CSU, wäre über eine stärkere Senkung zu reden gewesen. Wir haben aber mit dieser Operation die Steuerreform sicher
nicht für alle Zeiten abgeschlossen. Auch in der nächsten Legislaturperiode müssen wir uns über Steuern unterhalten. Dabei muß selbstverständlich noch stärker berücksichtigt werden, was sich in unseren Hauptwettbewerberländern auf dem Weltmarkt tut. Wir können nicht die Augen zumachen, wenn diese bedeutend niedrigere Sätze sowohl bei der Einkommen- als auch bei der Körperschaftsteuer haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Walther [SPD]: Die Bemessungsgrundlage ist bei den anderen viel breiter!)

— Wir werden auch die Bemessungsgrundlage verbessern, Herr Walther.

(Walther [SPD]: Wann denn? Wann denn?)

Ich hoffe, daß auch Sie sich dann hinter diese Maßnahmen stellen. Wenn Sie nachlesen, was wir jetzt

(Walther [SPD]: Wann denn?)

zur Finanzierung der 19 Milliarden vorgeschlagen haben, finden Sie eine ganze Reihe von Vorschlägen zur Verbesserung der Bemessungsgrundlage. Nur ein Stichwort: Wir gehen auch an das heikle Kapitel bessere steuerliche Erfassung der Kapitalerträge heran.

(Walther [SPD]: Hahaha!)

Die SPD behauptet, ihr Wunschprogramm „Arbeit und Umwelt" müsse wegen der Dollarschwäche und auf Grund der internationalen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland aufgelegt werden. Ich bin der Meinung: Beide Positionen sind kein überzeugendes Alibi. Zwar ist der Dollarkurs für die deutschen Exporteure einzelner Branchen wichtig. Doch darf nicht außer acht gelassen werden, daß nur 10 bis 15 To der deutschen Exporte in den Dollarraum fließen. Im übrigen haben unsere fernöstlichen Konkurrenten auf dem amerikanischen Markt unter der Dollarentwicklung in gleicher Weise wie wir zu leiden. Wichtiger als die jeweiligen tagesaktuellen Dollarkurse sind aber längerfristige Orientierungen. Wir hoffen, daß sich der Dollarkurs wieder auf einem längerfristig stabilen Niveau einpendelt, damit unsere Unternehmen entsprechend kalkulieren können.
Aber eines ist ganz sicher: Die Lösung dieser Probleme, die uns schmerzen, liegt doch nicht allein in unserer Hand. Wir wissen: Die Bundesrepublik Deutschland ist in das internationale Konzert der westlichen Staaten eingebunden und kann nicht als Solist tätig werden. Wohl aber können wir unsere Interessen auf der Weltbühne deutlich machen. Das ist mit Entschiedenheit getan worden. Das wird auch in Zukunft so geschehen. Wir haben ja auch gestern diese positive Wirkung der konzertrierten Zinssenkungsaktion bemerkt, die zwischen Deutschland, Frankreich und anderen Ländern abgesprochen war. Die Börse war gestern freundlicher. Das setzt sich heute hoffentlich fort. Ich bin überzeugt, daß nach dieser Phase der Verunsicherung wieder eine bessere Phase kommen wird.
Die Bundesrepublik Deutschland hat nach meiner Auffassung und nach Auffassung unserer Fraktion kein Defizit in der Übernahme internationaler Verantwortung. Mit der im kommenden Jahr wirksam werdenden steuerlichen Entlastung um netto 14 Milliarden DM kommt die Bundesrepublik diesen internatio-



Glos
nalen Verpflichtungen in vollem Umfang nach. Die Steuersenkung wirkt ja auf der Angebots- und Nachfrageseite, was immer wieder vergessen wird. Das heißt, Konsum und Investitionen werden gleichermaßen begünstigt. Zieht man in Betracht, daß Konsum- und Investitionsentscheidungen aber auch vom künftig zu erwartenden Einkommen abhängen, so wird die für 1990 vorgesehene Reform bereits auf die Konjunktur der Jahre 1988 und 1989 ausstrahlen. Weil dieser positive Effekt der 1990er-Steuerreform erwünscht ist, werden wir uns auch nicht auf Diskussionen einlassen, in denen etwa der Umfang oder die zeitliche Ausgestaltung dieser Entlastung zur Disposition gestellt wird. Mit dieser Nachfragesteigerung durch die Steuersenkung wirken wir auch daran mit, daß andere Länder ihre Exporte in die Bundesrepublik Deutschland steigern können, vielleicht auch die Vereinigten Staaten von Amerika, was wir uns zum gegenseitigen Abbau der Defizite sicher wünschen würden.
Ein weiterer Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Beseitigung internationaler Handelsungleichheit besteht darin, daß wir für die Offenhaltung unserer Märkte für ausländische Produkte konsequent eintreten und Protektionismus für uns nicht zur Debatte steht. Hier bitten wir auch unseren Hauptpartner, die Vereinigten Staaten von Amerika, die Debatte über mehr Protektionismus wieder zu beenden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Sehr richtig!)

Ich sehe mit einiger Sorge, daß das Herannahen der Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten von Amerika auch solche Debatten belebt und daß man hier möglicherweise für die Zukunft mit falschen Rezepten kochen will. Wir können nur hoffen, daß der Protektionismus international bekämpft wird und die USA nicht der Vorreiter auf einem falschen Weg sind.
Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien kommen ihrer wirtschaftspolitischen Verantwortung selbstverständlich auch im Binnenmarkt — und hier im Detail — nach. Ich möchte ein paar Worte zum Einzelplan 09 sagen,

(Walther [SPD]: Wird langsam Zeit!)

der ja — ich weiß nicht, ob man es als Erfolg bezeichnen soll — gegenüber dem Soll von 1987 um 9,5 ansteigt. Er hat damit die höchste Wachstumsrate aller Einzelhaushalte.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Airbus!) Ich will nur sagen, wer davon profitiert.


(Walther [SPD]: Airbus-Subventionen! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Ich komme noch ganz bestimmt darauf. Wie können sie von mir denken, daß ich den Airbus jemals vergessen werde, da er doch in Hamburg gebaut wird. —

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Von dieser Steigerung profitieren hauptsächlich der Kohlebereich, der Stahlbereich, die Luftfahrttechnik, die Werften und die Regionalpolitik. Zusätzliche Ausgaben für die Kohle in den kommenden Haushaltsjahren werden sich aus der notwendigen Kapazitätsanpassung ergeben. Mit einem gesonderten Titel werden im Stahlbereich Mittel als Beitrag zur sozialen Flankierung von Strukturanpassungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Diese Mittel betreffen hauptsächlich Zahlungen an Arbeitnehmer, deren Freisetzung durch die teilweise oder gänzliche Schließung von Stahlwerksanlagen verursacht wird. Ich begrüße diese Subventionen insofern, als sie nicht nur Erhaltungssubventionen sind und dadurch keine Dauersubventionen werden, sondern auch Subventionen für Umstrukturierungsprozesse sind. Ich glaube, das ist doch ein entscheidender Unterschied.
Ich sage auch gern ein Wort zu den Zuschüssen an die Werften. Auch hier kommen wir unseren Verpflichtungen gegenüber den norddeutschen Küstenländern nach. Es liegt ein Antrag auf dem Tisch, wonach die Verpflichtungsermächtigungen auf Antrag der CDU/CSU und FDP noch einmal erhöht werden. Ich glaube, hier haben wir kein Defizit. Ich bin überzeugt, daß man dies auch dort zu schätzen weiß. Ich will auch nicht verschweigen — das wäre in einer solchen Debatte unredlich —, daß die damit gewährten Hilfen in meinen Augen viele Schattenseiten aufweisen. Sie vergrößern das Volumen der Finanzhilfen, die in keinem Fall Dauerhilfen werden dürfen.
Während wir jetzt im Fall der Steuersubventionen gottlob durch viel Mut aller Koalitionspartner erfolgreiche Arbeit im Subventionsabbau geleistet haben, steht dies beim Abbau offener Subventionen leider noch aus. Wir müssen diesen Bereich auch künftig sehr stark im Auge behalten.

(Beifall des Abg. Dr. Faltlhauser [CDU/ CSU])


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104207100
Eine Subvention, die viele selbständige Unternehmer im Ergebnis fast in eine Kriminalisierung hineintreibt, indem Mitnahmeeffekte brutal ausgenützt werden oder den Unternehmern von Beratern aufgeredet worden sind, ist an sich fragwürdig. Ich möchte hier — auch für das Protokoll — noch einmal die Bitte äußern, daß man hier doch sehr wohl unterscheidet, ob jemand dadurch schuldig geworden ist, daß er einem kriminellen Berater in die Hand gefallen ist und deshalb jetzt vielleicht von den Kadi zitiert wird, obwohl er vorher keinerlei Unrechtsbewußtsein haben konnte, oder ob diese Berater dies, wie gesagt, wissend, kriminell getan haben, um dabei hohe Provisionen zu kassieren.
Bei der Förderung der Luftfahrttechnik — ich mache es ganz kurz — werden die Kabinettsbeschlüsse vom Juni zur Airbus-Finanzierung im Haushalt umgesetzt. Ich sehe hier auch einen wesentlichen Unterschied zu anderen Subventionen, weil es sich dabei um einen Bereich der Zukunftstechnologie handelt und wir wissen, daß ohne staatliche Förderung ein Anschluß der europäischen Industrie an die amerikanischen Wettbewerber, die sehr stark auch aus dem



Glos
Militärhaushalt begünstigt werden, nicht möglich gewesen wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen auch hier darauf achten, daß dies zu keiner Dauersubvention wird. Selbstverständlich muß diese Industrie, wenn der Anschluß erreicht ist, dann aus eigenen Mitteln und aus eigener Kraft den Wettbewerb überstehen.
Im Rahmen der Regionalpolitik wird das 1986 aufgelegte Sonderprogramm für die Werftregionen ergänzt. Es werden andere strukturschwache Regionen gleichbehandelt. Ich nenne als Stichwort die Montanregionen in Nordrhein-Westfalen, in Bayern, im Saarland sowie die Schuhindustrieregion in RheinlandPfalz. Wir wollen mit der Regionalpolitik auch weiter einen Beitrag leisten, daß der Bund mithilft, unterschiedliche Lebensverhältnisse in einzelnen Teilen der Bundesrepublik Deutschland abzumildern. Wir können aber nicht Sünden, die von Landesregierungen gemacht werden, dann aus der Bundeskasse abdecken, wie es sich manche vorstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vor dem Hintergrund einer geordneten und zuverlässigen Wirtschafts- und Finanzpolitik erscheinen mir die Kassandrarufe der SPD von Weltrezession und konjunkturellem Einbruch in demselben Licht wie die gelegentlichen Zeitungsanzeigen der heute schon zitierten Crash-Propheten. Beide wollen nur Kapital daraus schlagen. Die Crash-Propheten möchten für ihre Vorträge Bargeld haben, und Sie möchten mit Ihren Prognosen die Leute verunsichern, um zu helfen, daß sich das dann in Stimmen bei anstehenden Landtagswahlen für Sie umschlägt.

(Dr. Vogel [SPD]: Das schaffen Sie schon allein, die zu verunsichern!)

Ich bin überzeugt, diesen Gefallen wird man Ihnen nicht tun.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch nach dem Kurssturz an den Aktienbörsen und trotz des starken Dollarverfalls hat sich bei der jüngsten Umfrage des Ifo-Instituts gezeigt, daß nach wir vor Zuversicht herrscht. Wir wollen diese Zuversicht in der Bundesrepublik Deutschland mit unserer Wirtschafts- und Haushaltspolitik verstärken. Wir wollen das Unsrige dazu beitragen, daß man auch in Zukunft weiß, daß es solide und seriös finanziert weitergeht. Wir halten diesen Einzelplan des Wirtschaftsministers für einen geeigneten Beitrag dazu.
Ich bedanke mich herzlich für die gute Zusammenarbeit. Es ist jetzt mein achter Etat 09, den ich hier zu vertreten habe; ich habe diese Etats sowohl in der Opposition als auch in der Regierungszeit etwas mitgestalten dürfen. Ich bedanke mich bei allen Ministern, ihren Mitarbeitern, bei meinen Kollegen Mitberichterstattern.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Ein guter Berichterstatter, der Glos! — Walther [SPD]: Den Riedl nicht vergessen!)

— Den Riedl nicht zu vergessen. Er hat es durch diese
Mitarbeit bis zum Parlamentarischen Staatssekretär
gebracht. Wir hoffen, daß er in diesem Amt sehr erfolgreich ist.

(Dr. Vogel [SPD]: Strauß loben!)

Ich bitte Sie insgesamt, daß Sie diesem guten Etat Ihre Zustimmung bei der anschließenden Abstimmung nicht versagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104207200
Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.

Eckhard Stratmann (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104207300
Liebe Mitbürgerinnen! Liebe Mitbürger! Wir GRÜNEN haben am Haushaltsplan des Bundeswirtschaftsministers als auch an seiner Wirtschaftspolitik sowohl im Großen als auch im Kleinen grundsätzliche Kritik.
Ich möchte mit einem Kleinod des Haushaltsplans beginnen, und zwar mit der eigentlich niedlich ausschauenden Ludwig-Erhard-Stiftung e. V.

(Glos [CDU/CSU]: Sie haben aber Probleme!)

Mit dieser Ludwig-Erhard-Stiftung wird der Name Ludwig Erhards in doppelter Weise mißbraucht. Erstens wird mit seinem Namen ein Subventionstatbestand verbunden, wobei die Subventionen steigen. Im laufenden Haushaltsjahr soll diese Stiftung 350 000 DM an Haushaltsmitteln bekommen, 20 000 DM mehr als im vergangenen.

(Dr. Weng [Gerlingen] [CDU/CSU]: Wir haben das gekürzt!)

— Lesen Sie doch den Haushaltsplan. Der Ansatz ist von 330 000 auf 350 000 DM gestiegen.
Zweitens handelt es sich bei dieser Ludwig-ErhardStiftung um eine getarnte zweite parteinahe Stiftung der CDU/CSU. Das wird deutlich, wenn man sich die Zusammensetzung der Vereinsmitglieder anschaut. Dazu gehören so honorige Parteipolitiker wie Hansjörg Häfele aus dem Finanzministerium, Höcherl, Walther Leisler Kiep, Elmar Pieroth — Schatzmeister dieser Stiftung — , Gerhard Stoltenberg, Waigel und Wallmann.

(Glos [CDU/CSU]: Gute Leute!)

Die Parteinähe dieser Stiftung ist damit deutlich. Das ist die zweite parteinahe Stiftung der CDU neben der Konrad-Adenauer-Stiftung. Es ist ein Skandal, daß diese Stiftung das Privileg genießt, aus Haushaltsmitteln gefördert zu werden.
Diese Stiftung wird zu ca. 50 % aus privaten Spenden finanziert. Hier wirft sich folgende Frage auf: Zu den Vereinsmitgliedern gehören als Schatzmeister im Vorstand Elmar Pieroth, der Schatzmeister der CDU Walther Leisler Kiep und neben ihm auch ein in der Beschaffung von Spenden so erfahrener Politiker wie Graf Lambsdorff.

(Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Aber nicht CDU/ CSU! — Gegenruf des Abg. Dr. Vogel [SPD]: Wer weiß!)

Ich frage Sie, Herr Bangemann: Warum sind Sie der
Meinung, daß öffentliche Zuschüsse für diese Stiftung



Stratmann
gezahlt werden sollen, wenn doch so parteispendenerfahrene Mitglieder in dieser Stiftung sind? Trauen Sie ihnen die Akquirierung zukünftiger Spenden nicht mehr zu?
Die Bundesregierung kriegt offensichtlich heiße Füße bei dieser öffentlichen Bezuschussung und sinnt über Pläne nach, wie sie sich der jährlichen Rechenschaftslegung im Haushalts- und Wirtschaftsausschuß entledigen kann. Unsere Konsequenz aus diesen Legitimationsproblemen ist: Streichung der öffentlichen Zuschüsse für diese Stiftung. Wir werden deswegen im Anschluß an diese Debatte eine namentliche Abstimmung zu diesem Punkt herbeiführen. Wir fordern Sie auf, das Erbe Ludwig Erhards vor seinen falschen Freunden zu bewahren.

(Beifall bei den GRÜNEN — Rossmanith [CDU/CSU]: Ihre Sorgen möchte ich haben!)

Der zweite Punkt — ein gewichtiger Punkt — unserer Kritik ist: Die Bundesregierung redet von Subventionsabbau und betreibt das Gegenteil. Die Subventionierung der Luftfahrttechnik, insbesondere des Airbus-Projektes, steigt um ca. 400 Millionen DM auf fast 1 Milliarde DM. Das Skandalöse daran ist, daß der Haushaltsausschuß und — ich fürchte — heute auch der Bundestag in seiner Mehrheit diesem Haushaltsansatz zustimmt, obwohl überhaupt keine durchschaubare und für das Parlament kontrollierbare Finanzierungspraxis der Einzelprojekte beim Airbus vorliegt. Keiner von uns — ich sage: auch niemand von der CDU/CSU-Fraktion, mit Ausnahme solcher Strategen wie Airbus-Staatssekretär Riedl — blickt im Detail durch, was dort eigentlich finanziert werden soll. Aus dem Grunde fordern wie Glasnost und Perestroika auch für MBB und anderswo.

(Bohl [CDU/CSU]: Für Ihre grünen Finanzen brauchen wir mal Glasnost!)

Wir machen die Erfahrung, daß sich — wie in der Sowjetunion — auch bei uns die harte Riege der Bürokraten gegen Glasnost wehrt.

(Hinsken [CDU/CSU]: Sie sitzen im Airbus immer ganz schön vorn in der First Class!)

Die absehbaren Absatzprobleme beim Airbus infolge des Dollarverfalls machen deutlich, was dahintersteckt, wenn Minister Bangemann sich anstrengt, wie im „Spiegel" nachzulesen ist, daß MBB in Zukunft von Daimler-Benz übernommen werden soll. Sollte diese Fusion gelingen, werden wir unter einem Dach, nämlich unter dem Dach von Daimler-Benz, den größten Rüstungskonzern in der Bundesrepublik haben. Dieser Rüstungs-, Auto- und Elektronikkonzern wird der zehntgrößte Konzern auf der ganzen Welt sein. Hinter diesem Konzern steht als Hausbank die „Deutsche Bank".
Wie eine solche Machtagglomeration unter demokratischen Gesichtspunkten einzuschätzen ist, verdeutlichte Herr Kartte, Präsident des Bundeskartellamts, im „Spiegel" vor zwei Jahren. Herr Kartte sieht in solchen Machtanballungen wie Daimler-Benz, Siemens und Deutsche Bank eine Gefahr für unsere demokratische Verfassung, „weil sie nicht mehr regierbar sind, sondern selbst die Regierung übernehmen . . ., weil diese Unternehmen ... mit ihren riesigen Investitionsvolumen die Industriepolitik bestimmen". Wir stimmen Herrn Kartte in dieser Frage auf der ganzen Linie zu und fordern deswegen die Entflechtung und die demokratische Kontrolle solcher Großunternehmen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Da gibt es ja auch tolle Posten — Gegenruf des Abg. Borchert [CDU/CSU]: Bei der Entflechtung?)

In einem Punkt hat Herr Bangemann recht, nämlich wenn er überlegt, die steigende Subventionslast beim Airbus vom Haushalt abzuwenden, denn er weiß, welche riesigen Geldreserven sich bei solchen Konzernen wie Daimler-Benz oder Siemens auftürmen. Die Geldreserven, d. h. die liquiden Mittel beim Daimler-BenzKonzern inklusive AEG beliefen sich 1986 auf 16 Milliarden DM, beim Siemens-Konzern 1985 auf über 20 Milliarden DM. Das sind allein bei diesen beiden Konzernen zusammen 36 Milliarden DM. Wenn wir alleine diese Geldreserven zweier Konzerne zusammenfassen, dann haben wir für wichtige ökologische und soziale Aufgaben in unserer Volkswirtschaft überhaupt keine Finanzierungsprobleme. Aus dem Grunde sagen wir: Durch demokratische Kontrolle solcher Konzerne, ihres Machtgefüges und ihrer Geldreserven ist es möglich, wichtige anstehende ökologische und soziale Reformvorhaben zu finanzieren.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104207400
Herr Stratmann, gestatten Sie ein Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken?

Eckhard Stratmann (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104207500
Bitte.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1104207600
Herr Stratmann, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß in der Bundesrepublik Deutschland über 60 mittelständische Firmen am Airbus-Programm beteiligt sind und in diesen Firmen über 10 000 Arbeitsplätze, vornehmlich im norddeutschen Raum, vorgehalten werden?

Eckhard Stratmann (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104207700
Herr Hinsken — der Sie selbst mittelständischer Unternehmer sind — sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß in die Kritik an der Haushaltssubventionierung, die vornehmlich in die bundesdeutschen Großkonzerne fließt, insbesondere die mittelständischen Wirtschaftsverbände einstimmen? Ich wundere mich, daß Sie nicht mit einstimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Bohl [CDU/ CSU] : Das ist doch keine Antwort!)

Das Problem dieser riesigen Liquiditätsreserven bei den Großkonzernen verweist unmittelbar auf den Börsenkrach und darauf, was mit dem Börsenkrach an weltwirtschaftlichen Ungleichgewichten deutlich geworden ist. Ich stimme Edzard Reuter, dem Chef von Daimler-Benz, zu, wenn er in dieser Woche feststellt, daß die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte erstens zeigen, daß die Mechanismen auf dem Weltmarkt, auch die Deregulierungsstrategien, offensichtlich gescheitert und zusammengebrochen sind, daß deswegen zweitens ein akuter weltwirtschaftlicher Koordinierungs- und Regulierungsbedarf besteht.



Stratmann
Diese Ungleichgewichte zeigen sich erstens darin, daß wir seit zirka 15 Jahren eine zunehmende Abkopplung der Kapitalmärkte von den Gütermärkten haben. So haben sich in der Zeit von 1982 bis 1987 die Aktienkurse in ihrem Wert vervierfacht, während in der gleichen Zeit das nominale OECD-Sozialprodukt nur um die Hälfte der Aktienwertsteigerung gestiegen ist. Das ist ein deutliches Beispiel für die Abkopplung dieser Märkte voneinander.
Zweitens. Der schwarze Montag im Oktober hat zu einer Entwertung von Aktienvermögen in einer Größenordnung von 1 000 Milliarden Dollar bei den Aktieneignern geführt. Nach Aussagen der Bundesregierung drohen von diesen Wertverlusten keine weltwirtschaftlichen und auch keine nationalökonomischen Gefahren in nennenswertem Ausmaß. Geben wir an dieser Stelle einmal der Bundesregierung recht, so folgert daraus etwas äußerst Interessantes, nämlich: Dem Aktienwertverlust von 1 000 Milliarden Dollar entspricht eine Gesamtverschuldung der Dritten Welt in gleicher Größenordnung von über 1 000 Milliarden Dollar. Das heißt, es müßte möglich sein, in kurzer Frist, in ca. einem Monat, die gesamten Dritte-Welt-Schulden — wenn wir nur die Wertseite betrachten — zu Lasten der privaten Banken — nicht zu Lasten der öffentlichen Haushalte —, zu entschulden, ohne daß wir deswegen weltwirtschaftliche und nationalökonomische Probleme bekommen.
Unsere Forderung lautet deswegen: Wenn das von der Wertseite her ökonomisch möglich ist, ist das ein dringender Hinweis darauf, daß wir es sofort tun müssen.
Die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte kommen ebenfalls in der — wenn auch wankenden — Hegemonialmacht USA auf dem Weltmarkt zum Ausdruck. Das zeigt sich daran, daß die Außenverschuldung der USA 1987 400 Milliarden Dollar beträgt und damit die gleiche Größenordnung wie die Gesamtverschuldung der lateinamerikanischen Staaten hat. Die Rolle des Dollars als Leitwährung auf dem Weltmarkt ermöglicht es, daß sich die USA durch eine drastische Dollarabwertung, die vom US-Finanzminister zum Teil bewußt herbeigeredet wird, dieser Schulden durch eine Schuldenentwertung entledigt.
Durch die Hochzinspolitik und eine kombinierte Währungspolitik ist es den USA ebenfalls möglich, ihre Militärpolitik, ihre Aufrüstungspolitik und ihre Haushaltsdefizite durch einen finanzpolitischen Staubsaugereffekt zu finanzieren, indem nämlich internationales Kapital auf den US-Markt strömt. Durch ihre Leitwährungsposition und ihre ökonomische Position auf dem Weltmarkt wird die starke politische und militärpolitische Stellung der USA gestützt.
Das kommt skandalös auch darin zum Ausdruck, daß die USA auf Grund ihrer starken Stellung im Internationalen Währungsfonds Austeritätsprogramme gegenüber der Dritten Welt durchsetzen kann, die mit Militärdiktaturen und viel Blut und Schweiß verbunden sind. Gleichzeitig schotten sich die USA als Schuldennation selbst von solchen Programmen ab und halten sich schadlos.
Aus dem Grunde sagen wir: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß die NATO-Vormachtstellung, die aggressive Militärpolitik der USA gegenüber der Dritten
Welt — aktuell auch im Golf — zusammenhängt mit ihrer ökonomischen Stellung. Aus dem Grunde fordern wir: Wir müssen durch eine neue Weltwirtschaftsordnung auch dieser ökonomischen Hegemonialstellung der USA den Boden entziehen.
Dazu möchte ich drei Grundelemente benennen, die auch zu dem überleiten, was in der Bundesrepublik konjunkturpolitisch geboten ist. Erstes Grundelement einer neuen Weltwirtschaftsordnung ist: Wir brauchen eine wirksame Kontrolle der internationalen Geldmenge. Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Vorschlag aufnehmen, der Anfang der 30er Jahre von Keynes gemacht wurde und seit einigen Jahren von Professor Hankel, einem ehemaligen Mitarbeiter von Karl Schiller, ins Gespräch gebracht wird, nämlich den Vorschlag einer Weltzentralbank, die zweierlei organisiert. Sie organisiert erstens, daß sich die Orientierung der Geldmenge und die Zuteilung an die nationalen Zentralbanken nach den realwirtschaftlichen Möglichkeiten ausrichten.
Zweitens muß durch die Politik der Weltzentralbank verhindert werden, daß die Leitwährung einer nationalen Währung oder den wirtschaftlichen Interessen einer Bankengruppe ökonomische und politische Vorteile verschafft.
Das zweite Grundelement einer neuen Weltwirtschaftsordnung ist die sofortige Entschuldung der Dritten Welt.

(Zuruf von der [CDU/CSU]: Und wie?)

Das dritte Grundelement einer neuen Weltwirtschaftsordnung ist: Leistungsbilanzüberschüsse und Exportüberschüsse müssen bestraft werden. Dies gilt insbesondere für die strukturellen Exportüberschüsse auch der bundesrepublikanischen Wirtschaft. Diesbezüglich kann über mehrere Instrumente diskutiert werden, wozu ich aus Zeitgründen nicht mehr komme.
Es wird unter Verweis auf rezessive Gefahren infolge des Börsenkrachs eigentlich unisono sowohl von der Bundesregierung als auch von der SPD-Opposition gefordert: Wir müssen Wachstumsprogramme starten, entweder angebotsorientiert oder — so mehr bei der SPD und den ihr nahestehenden Instituten — nachfrageorientiert.
Wir halten beide Varianten — eine nachfrage- oder eine angebotsgesteuerte Wachstumspolitik — für falsch, weil sie in eine zerstörerische Wachstumswirtschaft führen und damit in die ökologische Falle hineinlaufen müssen, in die Falle der Umweltzerstörung.
Wir fordern statt dessen eine ökologische Gleichgewichtswirtschaft. Auf die akuten weltwirtschaftlichen und nationalwirtschaftlichen Probleme antworten wir erstens mit der Notwendigkeit einer drastischen Arbeitszeitverkürzung. Sollten der Börsenkrach und die Dollarentwertung beispielsweise in den Exportbranchen wie in der Automobilindustrie, wie im Maschinenbau oder in der Eisen- und Stahlindustrie zu Kapitalexporten und Arbeitsplatzexporten führen, wie auch in der jüngsten Ausgabe der „Wirtschaftswoche " nachzulesen ist, dann fordern wir nicht Investitionsoffensiven im Inland in diesem zum Teil um-



Stratmann
weltschädlichen Branchen, sondern drastische Arbeitszeitverkürzungen. Dann muß der Tarifvertrag in der Metallindustrie — schrittweise Arbeitszeitverkürzung auf 37 Stunden in der Woche bis 1990 — gekündigt werden. Während der Laufzeit bis 1990 muß eine drastischere Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden in der Woche durchgesetzt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir müssen konjunkturpolitisch mit Arbeitszeitverkürzungen und nicht mit Wachstumsoffensiven reagieren.
Das zweite Element der Arbeitszeitverkürzung sind der drastische Überstundenabbau und ein neues Arbeitszeitgesetz, das wesentliche und wirksame Freistellungssansprüche der abhängig Beschäftigten ermöglicht.
Ein weiterer wichtiger wirtschaftlicher Hebel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist ein ökologisches und soziales Umbauprogramm, durchaus auch ein Investitionsprogramm, mit dem wir ca. 300 000 Arbeitsplätze schaffen können.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Das ist ja ganz neu!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104207800
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Eckhard Stratmann (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104207900
Wir wissen: Der ökologische Umbau schafft in bestimmten Mangelbereichen Arbeitsplätze, und in ökologisch schädlichen Branchen werden notwendige Strukturwandlungsprozesse und Schrumpfungsprozesse dadurch begleitet.
Ich danken Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104208000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID1104208100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist schade, Herr Stratmann, daß man keine Zeit hat, um diesen — mit Verlaub — ökonomischen Nonsens hier wirklich diskutieren zu können. Das ist nicht möglich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Unruh [GRÜNE]: Ihr Nonsens führt ja auch nicht weiter!)

Zu der Frage Ludwig-Erhard-Stiftung und namentliche Abstimmung kann ich nur sagen: Sie haben Sorgen, wenn das ein Gegenstand namentlicher Abstimmung ist.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Vielleicht gibt es mal über Sie eine namentliche Abstimmung!)

Ich füge hinzu: Mir wäre es lieber — ich versuche seit Jahren, sie davon zu überzeugen — , wenn sich die Ludwig-Erhard-Stiftung mit einem Stiftungskapital ausstattete und nicht ein jährlicher Kostgänger des Haushalts wäre. Das sollte die deutsche Wirtschaft eigentlich fertigbringen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Stratmann [GRÜNE]: Aber privat!)

— Natürlich.
Ich finde es dankenswert, daß Sie wenigstens auf meine Mitgliedschaft hingewiesen haben; denn es kann ja nicht sein, daß ich Ludwig Erhard allein der CDU/CSU anheimfallen lasse. Daß Sie allerdings von den der Freiheit verpflichteten Grundsätzen Ludwig Erhards nichts verstehen, wundert mich auch nicht.

(Dr. Vogel [SPD]: So kriegt jeder sein Fett ab!)

Als ich vor drei Wochen genau an dieser Stelle geraten habe, den Louvre-Akkord formell aufzukündigen und den Dollarkurs sich frei entwickeln zu lassen, hat mir das von dem Kollegen Apel den Kommentar „lebensgefährliche Bemerkung" eingebracht. Damals stand der Dollar bei 1,71 DM, heute steht er bei 1,6724 DM — gegenüber dem gestrigen Stand gefallen — , und überall wird über Louvre II diskutiert. Louvre I ist tot. Die trauernden Hinterbliebenen scheuen sich nur, die Todesanzeige zu unterschreiben. Mit Recht bemerkt der „Economist" zum Plan eines neuen Louvre-Abkommens: Nachdem sich die Finanzminister in einem Hotel in New York und in einem Museum in Paris getroffen haben, sollten sie es jetzt einmal mit einer Kirche in Rom versuchen.
Jedes neue Abkommen ist in der Tat in erster Linie eine Frage des Vertrauens oder eine Frage des Glaubens. Dieses Vertrauen in die internationale wirtschaftliche Kooperation ist in den letzten Jahren gründlich verspielt worden, weil den schönen Worten der Kommuniqués zu wenig Taten gefolgt sind. Dies gilt nicht für die Leistungen der Bundesrepublik Deutschland.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Sie hat getan, was auf dem Gipfel in Venedig vereinbart worden ist. Wenn Frau Simonis nach der Koordinierung fragt, so sind ihr offensichtlich die letzten Aktionen insbesondere im Europäischen Währungssystem entgangen.
Die Reaktion der Märkte hat den von mir erwähnten Vertrauensverlust gezeigt. Von den Märkten wird es auch abhängen, ob der Haushaltskompromiß in den Vereinigten Staaten die erwünschte Wirkung haben kann. Bisher haben sowohl die Devisen- als auch die Aktienmärkte deutlich gemacht, daß sie diesem Braten — ein amerikanischer Senator hat von einem mageren Truthahn gesprochen, den man am besten im Backofen verkohlen lassen sollte — nicht trauen.
Es kommt nicht darauf an, meine Damen und Herren, ob der Finanzminister Baker dem Finanzminister Stoltenberg und der Finanzminister Stoltenberg dem Finanzminister Miyazawa glaubt und vertraut, sondern es kommt darauf an, daß die Finanz- und Kapitalmärkte Vertrauen in die politisch Handelnden haben. Das ist zur Zeit leider nicht erkennbar.

(Zustimmung bei der FDP)

Deshalb sollte es nach unserer Ansicht zu einem neuen Treffen auf internationaler Ebene nur dann kommen, wenn dorthin Ergebnisse mitgebracht werden können, nicht nur gute Absichten. In Richtung Washington gesagt, heißt das: Nur wenn der jetzt gefundene Haushaltskompromiß durch Repräsentanten-



Dr. Graf Lambsdorff
haus und Senat bestätigt wird, hat eine neue Währungskonferenz Sinn.
Vorläufig sollten wir uns realistischerweise darauf einstellen, daß der Druck auf den Dollar erhalten bleibt und daß sich in den Vereinigten Staaten eine langsamere wirtschaftliche Entwicklung abzeichnet, die ihre Auswirkungen auf die Handelspartner der USA haben muß und haben wird.
Es wäre schlimm, wenn die USA den Fehler des Jahres 1930 wiederholten und zu handelspolitischem Protektionismus griffen. Es war ein schlechtes Zeichen, daß das Repräsentantenhaus vor wenigen Tagen das Gephardt Amendment zum Entwurf eines Handelsgesetzes noch einmal mit großer Mehrheit bekräftigt hat.
Meine Damen und Herren, was kann, was muß die Bundesrepublik Deutschland tun? Es kann unseres Erachtens keinem Zweifel unterliegen, daß eine internationale Vereinbarung nur zustande kommt, wenn auch die Bundesrepublik ihren Beitrag leistet.
Unabhängig davon, ob eine solche Übereinkunft wirklich zustande kommt, stellt sich die Frage, ob wir nicht aus eigenem Interesse Entscheidungen zur Belebung unserer wirtschaftlichen Entwicklung treffen müssen. Die Frage ist drängender geworden, seit der Sachverständigenrat seine Prognose für die Jahre 1987 und 1988 abgegeben hat. Ich halte die Lagebeschreibung und die Vorausschau auf die Entwicklung für zutreffend. Es kann auch negativer kommen. Der Sachverständigenrat ist von einem Kurs des Dollar von 1,70 DM und von durchgreifenden haushaltspolitischen Entscheidungen der Amerikaner ausgegangen. Was geschieht, wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt werden? Leider hat der Sachverständigenrat die Anregung, Alternativrechnungen aufzustellen, nicht aufgegriffen. Diesmal wäre sie angesichts der unsicheren Lage sehr vonnöten gewesen.
Die Politikempfehlungen des Rates sind nach Auffassung der FDP wenig konkret. Wir stimmen den Hinweisen zu, die dahin gehen, daß mehr Deregulierung, mehr Subventionsabbau, mehr Privatisierung und mehr Wettbewerb — in diesem Zusammenhang begrüßen wir die Hinweise auf die Bereiche Telekommunikation und Ladenschluß — notwendig sind.

(Beifall bei der FDP)

Wir unterstreichen die Bedeutung, die der Sachverständigenrat einer der Lage angemessenen Tarifpolitik zumißt. Leider ist sie zur Zeit nicht zu sehen. Ich zitiere hierzu Hans D. Barbier aus der „FAZ" von gestern:
Die Gewerkschaft ÖTV hat dieser Tage mehr als das Doppelte des überhaupt zusätzlich Verteilbaren als Einkommenszuwachs gefordert. Gegen solche Tarifpolitik ist die Wirtschaftspolitik machtlos. Sie muß dann eben die Zahl der Arbeitslosen akzeptieren, die die Tarif- und Sozialpolitik produzieren.
Frau Simonis, wenn Sie fragen, warum im Norden
Arbeitslosigkeit herrscht und im Süden nicht, sage ich
Ihnen: Solange es so bleibt, daß in Oberhausen im
selben Unternehmen der durchschnittliche Effektivlohn eines Metallarbeiters

(Roth [SPD]: Reden Sie doch über Kiel und Hannover, Sie Held! Wie heißt denn der Wirtschaftsminister in Hannover? — Weitere Zurufe)

einige hundert DM über dem liegt, was in Augsburg und Nürnberg zu zahlen ist, werden Sie in den Problemgebieten keine Investitionen und keine Beschäftigung bekommen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das sind die Folgen einer verfehlten Tarifpolitik.

(Zuruf des Abg. Roth [SPD] — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Da helfen dumme Zwischenrufe nichts, Herr Roth!)

Die geldpolitischen Vorschläge des Sachverständigenrates sind im Prinzip richtig.

(Roth [SPD]: Wer hat nun recht, Lambsdorff oder Stoltenberg?)

— Herr Roth, ich glaube, Sie waren heute morgen nicht da, konnten also wohl das nicht zur Kenntnis nehmen, was Herr Stoltenberg heute zur Richtigstellung der über ihn verbreiteten Meldung gesagt hat.
Die Halbierung der Geldmengenexpansion dürfte ohne höhere Zinsen und ohne Beeinträchtigung der Wechselkursstabilität allerdings nicht zu erreichen sein. Hier hat der Sachverständigenrat ein äußerst ehrgeiziges Ziel vorgegeben.
Meine Damen und Herren, es wird viel über mögliche Zinserleichterungen diskutiert. Einen Teil des gegebenen Spielraums hat die Bundesbank gestern genutzt. Ich frage mich allerdings, ob das in der Welt und bei uns benötigte Realkapital dauerhaft wirklich zu niedrigeren Realzinsen zu haben sein wird.
Vor allem steht doch fest, daß die monetäre Politik in den letzten Monaten ihr Pulver weitgehend verschossen hat. Das ist nun einmal die Folge einer über einen langen Zeitraum betriebenen Interventionspolitik an den Devisenmärkten. Die damit verbundene Geldmengenexpansion stößt seit einiger Zeit an ihre Grenzen. Wenn der Bundesfinanzminister — ich glaube, er ist nicht mehr hier — gesagt hat, er sehe eine Inflationsgefahr überhaupt nicht, sage ich: Dieses Geldmengenpotential enthält ein Inflationsrisiko. Ob und wann es sich manifestiert, ist eine zweite Frage, aber das Potential ist nicht ohne Gefahr.
Aus dieser Lage ergibt sich, daß die unbequemen Fragen in erster Linie an die Fiskalpolitik gerichtet werden. Was kann die Bundesrepublik tun, entweder als Teil eines internationalen Pakets oder unabhängig von internationaler Kooperation aus eigenem nationalen Interesse? Der Bundeswirtschaftsminister hat in seinem Brief an den Bundesfinanzminister vom 10. November 1987 eine Reihe von Alternativen aufgezeigt. Die wirtschaftspolitische Situation beschäftigt sich, wenn ich es richtig sehe, mit folgenden Hauptfragen:
Erstens: Vorziehen der Steuerreform vom geplanten Termin auf den 1. Januar 1989. Ich selber habe



Dr. Graf Lambsdorff
diesen Termin schon vor den Bundestagswahlen genannt und habe ihn immer für richtig gehalten. Die Forschungsinstitute sind der gleichen Meinung. Gestern hat sich der Zentralverband des Deutschen Handwerks so geäußert.
Zweitens: Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes. Das hätte den Vorteil, einen schnelle Entscheidung herbeiführen zu können. Es hätte den Nachteil, daß es keinen Ansatz zur Verbesserung der Steuerstruktur bewirken würde.
Drittens: Der Sachverständigenrat rät zu einer Abschaffung oder Milderung der Belastung mit der Gewerbesteuer und empfiehlt einen Umbau der geplanten Steuerreform hin zu mehr Investitionsförderung. Kurzfristig ist beides nicht zu machen.
Viertens: Professor Giersch vom Weltwirtschaftsinstitut in Kiel rät nach einer in meinen Augen ausgezeichneten Analyse zur vollen Abschreibungsfreiheit bei Investitionen. Man kann über alles diskutieren, aber die Gefahr der Mitnahmeeffekte ist bei einem solchen Vorschlag sehr groß.
Hinter all diesen Vorschlägen stehen zwei Elemente: Sie führen zu höheren Defiziten, und sie zielen auf mehr Investitionen ab. Es ist verständlich, daß in einer Haushaltsdebatte das Thema „höhere Staatsverschuldung " eine erhebliche Rolle spielt. Wir, die FDP, sind die letzten, die eine solche Entwicklung auf die leichte Schulter nehmen. Wir haben nicht vergessen, welche Bedeutung eine zunehmende Staatsverschuldung in der deutschen Öffentlichkeit hat.
Vergleiche zwischen der Bundesrepublik und den USA treffen aber nicht zu. Die Höhe des Haushaltsdefizits der USA ist ja, für sich genommen, nicht besorgniserregend; besorgniserregend ist aber seine Finanzierung, weil das interne private Sparaufkommen dazu nicht ausreicht. Die Vereinigten Staaten leben über ihre Verhältnisse.
Vergleiche unserer jetzigen Haushaltsenwicklung mit der Entwicklung der Jahre 1981/82 sind auch nicht gerechtfertigt. Es ist irreführend, sich allein mit absoluten Zahlen zu beschäftigen. Die Zahlen müssen in Beziehung zum Bruttosozialprodukt und zur Entwicklung der öffentlichen Haushalte gesetzt werden; dann liegen sie deutlich unter denen von 1981/82.
Außerdem besteht ein gravierender Unterschied — Herr Glos hat recht — , ob Defizite durch Verzicht auf Steuereinnahmen oder durch staatliche Ausgabenpolitik entstehen, vor allem dann, wenn diese staatlichen Ausgaben zu weiter wachsenden strukturellen Defiziten führen,

(Zustimmung des Abg. Grünbeck [FDP]) wie es vor 1982 der Fall war.

Die Haushaltskonsolidierung war richtig, sie war erfolgreich, und sie muß auch fortgesetzt werden. Niemand darf sich dem Irrtun hingeben, daß die notwendige Hinnahme zusätzlicher Defizite von mangelnder Ausgabendisziplin begleitet werden dürfte.
Die Bundesbank hat uns erklärt, daß sie zusätzliche Staatsverschuldung positiv kommentieren wird. Sie hat aber gleichzeitig darauf aufmerksam gemacht, dies sei kein Grund, die Konsolidierungspolitik auf
der Ausgabenseite zu beenden. Diese muß nicht nur fortgesetzt, sondern noch verbessert werden. Der neue Subventionsbericht der Bundesregierung macht das mehr als deutlich.

(Zustimmung des Abg. Dr. Weng [Gerungen] [FDP])

Meine Damen und Herren, das Ziel allen Bemühens heißt: höhere Investitionen, um mehr Arbeitsplätze zu erreichen. Warum sind die Erwartungen — ich will überhaupt nicht bestreiten, daß das Erwartungen waren, die wir noch in der alten Regierung miteinander hatten — , daß gestiegene Erträge zu mehr Investitionen und mehr Investitionen zu mehr Arbeitsplätzen führen, eigentlich nicht eingetroffen? Liegt es an der mangelnden Risikobereitschaft innerhalb der deutschen Wirtschaft? Sind Unternehmen und Unternehmer defensiver geworden? Sind die Ertragsaussichten für Investitionen in der Bundesrepublik im Vergleich zum Ausland zu gering? Ist unser Land inzwischen mit einem so dichten Netz von Regeln, Vorschriften und Investitionshemmnissen überzogen, daß schon aus rein praktischen Gründen große Investitionen in der Bundesrepublik nicht mehr durchführbar sind?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ist die Steuerbelastung, vor allem aber die Abgabenbelastung für Unternehmen und Arbeitgeber so hoch geworden, daß wir zwar den schwarzen Markt, nicht aber die wirklichen privaten Investitionen fördern?

(Roth [SPD]: Und woher kommen die Milliarden Rücklagen?)

In der Wirtschaft der Bundesrepublik werden nach einer Berechnung des Kieler Weltwirtschaftsinstituts 50 % der Gesamtleistung nicht unter den Wettbewerbsbedingungen des Marktes, sondern unter vielfältigen Einschränkungen, von Subventionen bis zu handelspolitischem Protektionismus, erzeugt. Diese Wettbewerbsverfälschungen verhindern Investitionen. Staatliche Aktivitäten verfälschen den Wettbewerb. Deshalb hat der Sachverständigenrat vollständig recht, wenn er auf die immer noch viel zu hohe Staatsquote hinweist.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das ist ja Quatsch!)

Alle Vorschläge der Opposition führen genau in diese falsche Richtung.
Wenn Frau Simonis hier sagt, es fehle an Nachfrage, entgegne ich: Genau an privater Nachfrage fehlt es nicht; an Investitionstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland fehlt es.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, Bundesregierung und Koalition müssen deshalb energischer und konsequenter den Weg weitergehen, den sie eingeschlagen haben. Das „Wall Street Journal" hat neulich geschrieben: Es geht den Menschen in der Bundesrepublik Deutschland so gut wie niemals in der deutschen Geschichte. Selbst wenn ich Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger nicht übersehe, komme ich zu der Erkenntnis: Diese Feststellung ist richtig.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das tun Sie gerne! Das glaube ich!)




Dr. Graf Lambsdorff
Denken Sie selbst an ihre Eltern und Großeltern. Es ist uns niemals so gut gegangen.
Aber die Gefahr besteht darin, daß wir nicht sehen, daß andere sich anstrengen, um im Wettbewerb wieder nach vorne zu kommen, daß wir uns auf diesem Zustand ausruhen und daß wir dann in fünf oder zehn Jahren erleben werden, daß es uns keineswegs mehr so gut geht. Die Aufgabe besteht darin, den Menschen heute klar zu machen, daß wir Probleme in den nächsten Jahren auf uns zukommen sehen, die wir nur lösen werden, wenn wir sie heute angehen, auch wenn das nicht jedem auf Anhieb einleuchtet.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir müssen den Weg zu mehr Wettbewerb, zu weniger Abgaben und weniger Bürokratie und den Weg zu mehr Marktwirtschaft gehen. Wenn wir das nicht tun, schaffen wir es nicht. Sind wir aber entschlossen, die Möglichkeiten eines freiheitlichen und offenen Wirtschaftssystems zu nutzen — diese Regierung ist entschlossen dazu, und die FDP ist bereit und entschlossen, sie dabei zu unterstützen —, dann wird die Bundesrepublik Deutschland in der Lage sein, ihre Probleme zu lösen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104208200
Das Wort hat der Abgeordnete Roth.

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID1104208300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war bemerkenswert, auf die Zwischentöne zu hören, die gerade bei Graf Lambsdorff am Anfang seiner Rede angeklungen sind. Nicht daß ich die Position teile, aber das Ergebnis teile ich in der Tat: Als diese weltweite Wirtschaftskrise ausgebrochen ist, hat es in der Bundesrepublik Deutschland an politischer und wirtschaftspolitischer Führung, an Antworten auf die Herausforderungen und an Vertrauensbildung durch die Regierungspolitik gefehlt. Das klang in diesen Worten von Graf Lambsdorff durch.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Hellseher! — Weissager! — Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Das habe ich nicht gesagt!)

Meine Damen und Herren, angesichts der Schockwirkung beim wirtschaftlichen Wettersturz, den wir erlebt haben, war gerade der Wirtschaftsminister gefordert, politische Orientierung zu geben. Doch was geschah in diesen Tagen? Der Bundeswirtschaftsminister hat sich zu den zentralen Herausforderungen der weltwirtschaftlichen Politik überhaupt nicht öffentlich geäußert.

(Dr. Vogel [SPD]: Er hat Stoltenberg einen Brief geschrieben!)

— Herr Vogel, er hat Stoltenberg einen Brief geschrieben; er hat „vertraulich" darüber geschrieben. Er hat also versucht, die Verantwortung des Bundeswirtschaftsministers beim Bundesfinanzminister abzuliefern.

(Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Nein!)

Er hat über Ladenschluß öffentlich geredet; er hat
über die Privatisierung der Post öffentlich geredet; er
hat über Kartellrecht öffentlich geredet. Über die Bedrohung unserer Arbeitsplätze haben wir jedoch vom Bundeswirtschaftsminister in den Tagen kein Wort gehört. Er hat seine Aufgabe verfehlt.

(Beifall bei der SPD — Dr. Lammert [CDU/ CSU]: Könnte es denn sein, daß da ein Zusammenhang besteht zwischen Kartellrecht, Ladenschlußgesetz und Arbeitsplätzen?)

Meine Damen und Herren, ist es nicht wirklich verantwortungslos, wenn, wie wir ja gehört haben, einige Tage die beiden Herren — der eine ist jetzt schon wieder nicht da, der Bundesfinanzminister —,

(Wissmann [CDU/CSU]: Wo ist der Herr Apel? — Dr. Vogel [SPD]: Der sitzt hier!)

der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesfinanzminister, gar nicht mehr miteinander reden wollten, mitten in einer kritischen weltwirtschaftlichen Situation?
Meine Herren, berichten Ihnen eigentlich Ihre Beamten nicht, wie man in internationalen Gremien, beim Weltwährungsfonds, bei der OECD, bei der Europäischen Kommission, die Lage einschätzt und die Bundesrepublik als Hauptverantwortlichen für die Börsenkrise mit in die Ecke gestellt hat?

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Meine Damen und Herren, keiner von uns hat die unverantwortliche amerikanische Wirtschaftspolitik Anfang der 80er Jahre vergessen, die jener Jahre, wo mancher von Ihnen noch mit blanken Augen auf Reaganomics geschaut hat. Wir haben das damals schon als kritisches Potential für die Weltwirtschaft beurteilt. Aber seit dieser Zeit haben Sie keine Möglichkeit ergriffen, zur Stabilisierung der Weltwirtschaft beizutragen. Das ist Ihr Versäumnis. Das wird auch in der gesamten internationalen Presse geschrieben.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sie sind ein Herkules, im Reden!)

Seit dem Börsenkrach, seit dem Schwarzen Montag, hat sich die wirtschaftliche Stimmung verschlechtert, und zwar grundlegend. Wir erwarten nun in dieser Etatwoche von der Bundesregierung eine klare Analyse, Aussagen über Alternativen, Aussagen im Hinblick auf Ihre Antworten auf die derzeitige Situation, dieses Gewitter der Weltwirtschaft.
Wir sind uns hier, hoffentlich, alle einig, daß wir jetzt verhindern müssen, daß eine Wirtschaftskatastrophe, vergleichbar der des Jahres 1929, folgt. Wenn wir uns darüber einig sind, müssen wir die Punkte aufzählen, die jetzt anders sein sollen als im Jahre 1929.
Was waren die Hauptfehler damals? Es war ein geldpolitischer Bremskurs der Notenbanken, es waren rigorose Kürzungen der Staatshaushalte, und es war vor allem Protektionismus. Wir wissen alle gemeinsam, daß das damals in die Katastrophe geführt hat.
Ich wundere mich, daß angesichts dieses Wissens der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Situation mitten in der Krisenphase zum Herabziehen der Geldversorgung in der



Roth
Volkswirtschaft von derzeit eher 9 % auf 4,5 % rät. Das wäre eines der Elemente, die in eine Rezessionsgefahr wie im Jahre 1929 zurückführten.
Ich bin der Deutschen Bundesbank, gegenüber der ich öfters schon offene Worte formuliert habe, dankbar, daß sie in diesen Tagen bereit ist, diesen verhängnisvollen Kurs nicht mitzutragen, sondern die Wirtschaft ausreichend mit Geld versorgt, das Bankensystem nicht im Stich läßt.
Meine Damen und Herren, das zweite war das Herunterziehen der Staatsausgaben: Sie betonen in dieser Debatte immer noch die Rückführung der Staatsquote als das zentrale wirtschaftspolitische Ziel im Hinblick auf Ihre zukünftige politische Arbeit. Ich halte das für eine Politik der geplanten Nachfrageschwächung, die auf Grund der unvermeidlichen staatlichen Kürzungsmaßnahmen in Amerika zu einem Zurückgehen der Weltnachfrage führen und bei uns im nächsten Jahr unmittelbar Arbeitslosigkeit mit sich bringen wird.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Stoppen Sie diese Politik, und schauen Sie in Bereiche, wo mehr investiert und wo mehr gemacht werden kann.
Meine Damen und Herren, ich möchte an der Stelle auch sagen: Versuchen Sie nicht, die nächsten Wochen und Monate so zu tun, als hätte Sie ein Gewitter erreicht, mit dem Sie überhaupt nichts zu tun haben. Sie haben durch Ihr stures Ablehnen einer Expansionspolitik, wie sie die Amerikaner gefordert haben, den Börsenkrach mitverursacht. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD)

Sie hätten früher auf eine Konzertierung einlenken müssen.

(Wissmann [CDU/CSU]: Das glauben ja nicht mal die eigenen Genossen! — Zuruf von der CDU/CSU: Sie hat bei diesem Gewitter der Blitz getroffen! — Bohl [CDU/CSU]: Roths Märchenstunde!)

Meine Damen und Herren, diese großen weltwirtschaftlichen Spannungen sind seit Jahren an einer rasch wachsenden Auslandsverschuldung der USA ablesbar gewesen. In der Phase hätten Sie mehr kooperative Haltung zeigen müssen.
Weil Graf Lambsdorff die „Financial Times" erwähnt hat: Sie können seit Monaten in der „Financial Times" den Rat nachlesen, daß die Deutschen mehr Verantwortung für die Weltwirtschaft übernehmen sollten. Herr Edzard Reuter hat recht, wenn er dieser Bundesregierung ins Stammbuch schreibt:
Wenn die Europäer von der amerikanischen Regierung ebenso energische wie verantwortliche Maßnahmen zum Abbau des Haushaltsdefizits erwarten dürfen, haben unsere amerikanischen Freunde umgekehrt genauso das Recht, von den europäischen Regierungen und insbesondere von der Bundesregierung zu verlangen, daß sie nun endlich Abschied nehmen von ihrer überängstlichen wirtschaftspolitischen Deflationsstrategie. Ich halte es nämlich für unverzichtbar, daß sich
die westlichen Regierungen so bald wie möglich auf ein neues weltwirtschaftliches Wachstumskonzept einigen, wenn die derzeitige Krise nicht in eine politische Krise umschlagen soll.
Kürzer und zutreffender kann man die Lage und Ihre Verantwortung nach meiner Überzeugung überhaupt nicht beschreiben.
Meine Damen und Herren, in der Wirtschafts- und Finanzpolitik steht die derzeitige Bundesregierung ohne Führung da. Wirtschafts- und Finanzminister sind sich nicht einig. Unter der Hand verlangt der Wirtschaftsminister, mehr für die Nachfrage zu tun, jedenfalls eine Haushaltspolitik zur Stabilisierung der Nachfrage zu betreiben. Herr Stoltenberg hat exakt dieses heute abgelehnt.

(Wissmann [CDU/CSU]: Hat er nicht abgelehnt! Sie haben nicht zugehört! — Zander [SPD]: Er macht es nur nicht!)

Es gibt einen weiteren Konflikt in dieser Bundesregierung bzw. in der Koalition. Meine Damen und Herren, Graf Lambsdorff hat gerade erwähnt, daß er für die Auflösung des Louvre-Abkommens sei und daß er keine Chance sehe, ein neues Louvre-Abkommen zu haben.

(Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Habe ich nicht gesagt! — Bohl [CDU/CSU]: Das Gegenteil hat er gesagt!)

Was bedeutet das eigentlich? — Graf Lambsdorff, wenn Sie hier sagen, das nächste Louvre-Abkommen soll nicht im Louvre, sondern soll in irgendeiner römischen Kirche geschlossen werden, dann ist das eine Abwertung der Idee der Koordination der westlichen Weltwirtschaften.

(Stratmann [GRÜNE]: Was haben Sie gegen Kirchen?)

Damit werden Sie den freien Fall des Dollar geradezu provozieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich werde Ihnen in diesem Zusammenhang noch ein paar Punkte nennen. James Baker hat doch die letzten Wochen das aufgegriffen, was hier an Koordination gefehlt hat. Er ist hergegangen und hat den Dollar öffentlich heruntergeredet. Graf Lambsdorff, haben Sie letzte Woche die „Wirtschaftswoche" gelesen? Da haben ein erzkonservativer amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler namens Friedman und ein ganz progressiver amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler namens Lester Thurow gesagt: Laß den Dollar auf 1,10 DM fallen; das löst unsere Probleme. Ich sage Ihnen: Wenn Sie diese Politik akzeptieren, zerstören Sie die Exportfähigkeit der bundesdeutschen Wirtschaft, und Sie gefährden Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, wir plädieren für Koordination und gemeinsames Handeln, für ein neues Louvre-Abkommen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie treten durch die offene Tür!)




Roth
Ich wäre sogar dankbar, wenn dieses Louvre-Abkommen Palais- Schaumburg-Abkommen heißen würde: wenn die Bundesregierung die Initiative ergriffe. Wir müssen drei Kernforderungen erreichen.
Erstens. Die USA müssen ihre Anstrengungen zum schrittweisen Abbau der Haushaltsdefizite konsequent fortsetzen.

(Dr. Lammert [CDU/CSU]: Das ist mal ein neuer Gedanke!)

Wir kritisieren, daß die 30 Milliarden Dollar für das nächste Jahr vielleicht nicht ausreichen. Aber ich will hier sagen: Bei den Schwierigkeiten, die jedes Parlament beim Kürzen hat: Es ist ein Fortschritt, den man akzeptieren sollte.
Zweitens. Bundesregierung und Bundesbank müssen expansive Maßnahmen zur Stützung der Binnenkonjunktur und zur Förderung der Beschäftigung ergreifen. Die Partnerländer der Europäischen Gemeinschaft müssen zu gleichgerichteten Maßnahmen in die richtige Richtung bewegt werden. Die Bundesrepublik soll nicht Lokomotive der Weltwirtschaft sein, aber sie soll ihre Führungsverantwortung innerhalb der EG für Expansion und Arbeitsplätze übernehmen. Das ist in der jetzigen Situation gefordert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Stratmann [GRÜNE]: Die Umwelt muß weiter zerstört werden!)

Drittens. Das ist übrigens ein Faktor der Börsenkrise, der heute noch keine Rolle gespielt hat: Alle Industrieländer müssen einen ernsthaften Anlauf zur Überwindung der Verschuldungskrise machen. Ich glaube, daß die latente Unsicherheit, wie viele Milliarden inzwischen in der Weltverschuldung nicht mehr rückzahlbar sind, ein dauernder Krisenfaktor dieser Welt ist. Wir als Bundesrepublik Deutschland, als Land mit der größten Reservehaltung, haben hier eine besondere Herausforderung.
Meine Damen und Herren, diese Vereinbarung, die nun auf der Tagesordnung steht, wird es nur geben, wenn wir bereit sind, einen Beitrag zu liefern. Das heißt eben Stärkung der Kaufkraft in der Bundesrepublik Deutschland, das heißt eben Bereitschaft zum Einsatz der wirtschaftlichen Instrumente. Dann lassen Sie uns darüber streiten, ob die Anwendung des Wachstums- und Stabilitätsgesetzes besser ist, ob eine Verstärkung der Investitionsnachfrage durch Steuerpolitische Instrumente besser ist, wie weit ein öffentliches Investitionsprogramm eine Rolle spielen kann. Alles das können ja Elemente einer derartigen Politik sein. Was mir gespenstisch vorkommt: In dieser Debatte ist etwas, was Herr Bangemann übrigens in seinem Brief an den Finanzminister ausdrücklich erwähnt hat, daß jeder auf den anderen zeigt, ohne daß er selbst etwas zur Lösung dieser weltwirtschaftlichen Krise tut. Das ist die Hauptgefahr.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, heute früh und auch vorher wurde so nachdrücklich gesagt: Wir fühlen uns vom Sachverständigenrat bestätigt. Was ist das eigentlich für eine Regierung, die sich dadurch bestätigt
fühlt, daß im nächsten Jahr 70 000 Arbeitslose mehr auf der Straße sind?

(Zustimmung der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Wie grotesk ist diese Verhaltensweise, wie eiskalt im Grunde gegenüber den Betroffenen! Sie fühlen sich bestätigt. In der nächsten Zeit, in den nächsten zwei, drei Jahren werden 37 000 Stahlarbeiter entlassen oder über Sozialpläne arbeitslos, auch 25 000 Bergleute. Wir wissen aus der Zuliefer- und aus der Abnehmerindustrie, daß weitere 120 000 Betroffene arbeitslos werden. Das heißt, 180 000 Menschen sind jetzt absehbar aus strukturpolitischen Entscheidungen heraus in den nächsten Jahren arbeitslos.
Meine Damen und Herren, ich werfe Ihnen nicht vor, daß wir einen Strukturwandel haben. Ich würde auch sagen: Jeder Sozialdemokrat in der Verantwortung würde zugeben müssen, daß nicht jeder Stahlarbeitsplatz erhalten wird. Das werfe ich Ihnen nicht vor. Ich werfe Ihnen vor, daß Sie als Bundesregierung nur Sozialpianhilfen geben und daß Sie für Ersatzarbeitsplätze an Rhein und Ruhr, im Saarland, in Niedersachsen, in Osnabrück und Salzgitter keine müde Mark in den Bundesetat einstellen. Das heißt, Sie versteinern die Strukturschwäche und die Arbeitslosigkeit in diesen Regionen und machen einen Schaukampf gegen die Landesregierung im Saarland und in Nordrhein-Westfalen. Aber dasselbe Problem haben Sie auch in Niedersachsen.

(Beifall bei der SPD — Hinsken [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr gewesen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wir glauben, daß Anstrengungen unternommen werden müssen gegen die Massenarbeitslosigkeit, gegen die drohenden Gefahren der Weltwirtschaft. Wir Sozialdemokraten fordern keine Wachstumsanstrengungen um des Wachstums willen, wir wollen vielmehr — das ist unser Schwerpunkt in dieser Debatte — , daß dringend notwendige gesellschaftliche Aufgaben wahrgenommen werden. Deshalb fordern wir eine Investitionsoffensive, deshalb fordern wir, daß private und öffentliche Investitionen gefördert werden. Allein bei den Gemeinden gibt es einen großen Investitionsstau, und jetzt wäre es notwendig, diesen Investitionsstau durch Bundeshilfe aufzulösen und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen. Maßnahmen der Verkehrsberuhigung, Wohnumfeldsanierung, Verbesserung der sozialen Dienste, Umweltschutz, Umweltsanierung haben sich zu einer Überlebensfrage dieser Gesellschaft ausgewachsen. Das vor Jahren schon vorgelegte Programm „Arbeit und Umwelt" weist einen finanzierbaren Weg, um diese dringlichsten Probleme im Umweltbereich zu lösen. Es schafft zudem 400 000 Arbeitsplätze.
Meine Damen und Herren, wenn das Wattenmeer zur toten Lache verkommt, wenn der Wald verschwunden ist, wird es kaum jemand zu schätzen wissen, daß, statt der Natur zu helfen, der Spitzensteuersatz gesenkt wurde oder die Staatsquote reduziert worden ist.

(Beifall bei der SPD)




Roth
Meine Damen und Herren, wenn die reichste Gesellschaft unserer Geschichte nicht das Geld aufbringt, ihre natürlichen Lebensgrundlagen zu sanieren, so erweist sich diese als eine der dümmsten Gesellschaften der Geschichte überhaupt. Dafür muß man kämpfen und nicht für privaten Reichtum, nicht für Spitzensteuersatzsenkung, sondern für die Lösung gesellschaftlicher Probleme. Sie stehen auf der Tagesordnung der Geschichte.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104208400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann? — Bitte schön, Herr Stratmann.

Eckhard Stratmann (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104208500
Herr Kollege Roth, wie bringen Sie die von Ihnen mehrfach geforderte Wachstums- und Investitionsoffensive beispielsweise zur Verkehrsberuhigung in Übereinstimmung damit, daß gleichzeitig Investitionsoffensiven in der Automobilindustrie zum Ausbau des Personenverkehrs gestartet und damit ein offensichtlicher ökologischer Widerspruch besteht?

(Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Vorsicht, BadenWürttemberg! )


Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID1104208600
Graf Lambsdorff, Ruhe!

(Heiterkeit)

Herr Stratmann, wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß das öffentliche Verkehrssystem — Nahverkehrssysteme, S-Bahn-Systeme — in der Agglomeration, im großstädtischen Bereich eine vorzügliche Alternative für viele Autofahrten darstellt. Wir sind aber der Meinung, unsere Bürger haben das Recht auf Bewegungsfreiheit in der Fläche. Wir finden, daß eine Verkoppelung eines zukünftigen Verkehrssystems zwischen Individualverkehr und öffentlichem Verkehr möglich ist, wenn man investiert und wenn man die Verkoppelung richtig plant. Wir im Deutschen Bundestag sind nicht dafür da, dem einzelnen Bürger das Auto zu verbieten.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Diese Politik kann man miteinander verknüpfen.

(Dr. Lammert [CDU/CSU]: Hoffentlich war das mit dem Fraktionsvorstand abgestimmt! — Hinsken [CDU/CSU]: Was Sie zuletzt gesagt haben, war gut! — Bohl [CDU/CSU]: Der Chef hat genickt!)

— Ich höre jetzt viele Zwischenrufe von der Union, was dieses Konzept, was die Umweltverbesserungen anbetrifft. Meine Damen und Herren, hören Sie doch ein bißchen dem Herrn Franke zu, Ihrem früheren Fraktionskollegen, was er zu diesem Thema zu sagen hat. Er fordert fast wortgleich mit der SPD ein auf zehn Jahre orientiertes Umweltinvestitionsprogramm. Ich kann nur sagen: Herr Franke hat dazugelernt, als er in Nürnberg näher an die Arbeitslosigkeit herangekommen ist.

(Beifall bei der SPD)

Herr Lammert, das Folgende richtet sich an Sie, weil Sie den Zwischenruf gemacht haben: Warum kommen Sie nicht anschließend hervor, um zu sagen: Ich
vertrete nicht nur auf dem Bundeskongreß der CDA, der Sozialausschüsse, ein Umweltinvestitionsprogramm, sondern ich setze es hier im Deutschen Bundestag zusammen mit den anderen, die daran interessiert sind, gegen Herrn Stoltenberg durch.

(Beifall bei der SPD)

Denn die CDA hat etwas beschlossen, was ich völlig unterstreichen kann. Ich halte es fast für ein Plagiat, aber ich bin stolz auf dieses Plagiat der Sozialausschüsse.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104208700
Sind Sie bereit, Herrn Lammert eine Frage zu beantworten? — Bitte schön, Herr Lammert.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1104208800
Herr Roth, nachdem Sie die gleiche Anfrage bei der letzten Aktuellen Stunde vor drei Wochen schon einmal an mich gerichtet haben und ich damals schon versucht habe, sie zu beantworten, wären Sie denn diesmal bereit, zur Kenntnis zu nehmen, erstens daß ich an diesem Bundeskongreß gar nicht teilgenommen habe, folglich auch an der Beschlußfassung nicht habe mitwirken können, zweitens daß ich mir in früheren Zeiten schon die Freiheit herausgenommen habe, das, was ich für sachlich richtig und geboten gehalten habe, hier im Plenum des Bundestages und in den Ausschüssen vorzutragen und bei jeder anderen sich bietenden Gelegenheit auch, und drittens schließlich, daß ich — —

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104208900
Herr Kollege, dann muß ich Sie unterbrechen; zweifach kann man die Frage teilen, aber nicht dreifach.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1104209000
Ich habe nur eine Frage gestellt bekommen, die zu verdeutlichen ich mit drei Bemerkungen versucht habe, Herr Präsident.

(Heiterkeit)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104209100
Nur kann ich Ihnen das nicht gestatten, Herr Lammert.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1104209200
Herr Präsident, ich wollte nur, um auf den Kern der Nachfrage zurückzukommen, den Kollegen Roth bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich vor drei Wochen schon klargestellt habe, daß es keinen Sinn macht, hier Investitionsprogramme einzufordern, die auf Kosten der notwendigen Konsolidierung der Haushalte gehen, weil sie genau die Rahmenbedingungen wieder beseitigen würden, die Voraussetzung für eine durchgreifende Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt sind.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)


Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID1104209300
Herr Lammert, ich komme zum sachlichen Kern Ihrer Frage — zum Selbstdarstellerischen brauchen wir jetzt keine Zeit zu vergeuden — : Herr Lammert, haben Sie nicht an den ganzen Reden des Herrn Stoltenberg gemerkt, daß er eine höhere Neuverschuldung, weit über 30 Milliarden DM, vorbereitet hat mit der Ausrede, man müsse das eben in einer kritischen Phase hinnehmen. Meine Alternative ist: nicht hinnehmen, sondern investieren, die Umwelt



Roth
verbessern und Arbeitsplätze schaffen. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Ihnen, der Sie eng verbunden sind mit den Sozialausschüssen, mit Herrn Fink, mit Herrn Franke, empfehle ich, auf diese Linie einzuschwenken, uns zuzuhören und, wenn Sie mir nicht zuhören wollen, wenigstens Ihren Parteifreunden zuzuhören und dann mitzumachen im Durchsetzen einer vernünftigen Politik für mehr Arbeitsplätze.

(Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Für mehr Schulden!)

Denn das ist die Schlußfolgerung: Weltweit ist diese einseitige ökonomische Politik, an der Angebotsseite anzusetzen, gescheitert, die Politik Reagans, die Politik Stoltenbergs, schon gar die von Lambsdorff, die er hier wiederholt hat: Privatisierung von VW, Privatisierung der DSL-Bank, Privatisierung der Deutschen Pfandbriefanstalt. Das soll Arbeitsplätze bringen, meine Damen und Herren? Da lachen doch die Hühner. Oder das Ladenschlußgesetz verändern, das soll Arbeitsplätze bringen? Die gesamte wirtschaftspolitische Diskussion auf Seiten der FDP und der Koalition wird doch allmählich zur Farce. Es gibt ja diejenigen Leute, die — nicht durch Zufall in Ihren Reihen Investitionsprogramme und Investitionsförderungsmaßnahmen verlangen. Es ist doch kein Zufall, daß die jetzt allmählich bei uns einschwenken.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104209400
Sind Sie bereit, eine Frage des Grafen Lambsdorff zuzulassen?

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID1104209500
Ja.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104209600
Bitte schön, Herr Graf Lambsdorff.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID1104209700
Herr Kollege Roth, darf ich Sie fragen, ob Sie auf dieser gruseligen Namensliste, die Sie erwähnt haben und bei der ich mich erinnere, daß Sie früher einmal Frau Thatcher drauf hatten, Frau Thatcher vergessen haben, weil da die Arbeitslosigkeit als Folge ihrer Politik so rapide zurückgeht?

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID1104209800
Aber, Graf Lambsdorff, Sie wissen ja, wie hoch die Arbeitslosigkeit in Großbritannien ist und weiter verharrt.

(Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Nicht verharrt!)

Sie wissen auch, daß die englische Situation nun weiß Gott kritischer ist — so weit will ich Sie ja gar nicht kritisieren — als die bundesdeutsche Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage. Daß nach jahrelangem negativem Wachstum, also Schrumpfung der Volkswirtschaft, in Großbritannien ein gewisser Aufholbedarf entstanden ist, wird niemand leugnen. Über den Berg aber ist dort weiß Gott niemand.

(Dr. Vogel [SPD]: Lambsdorff nach Liverpool!)

Meine Damen und Herren, die Schwächung der Massenkaufkraft, die ja der Kern Ihrer Politik war, hat
die Krise verschärft. Sie sollten dies erkennen. Sie sollten auch erkennen, daß Sie mit den Amerikanern zu keinem Konsens kommen, wenn Sie nicht in der Lage sind, Ihren Beitrag für mehr Nachfrage in der Welt zu leisten.
Meine Damen und Herren, Sie haben viel versprochen in den letzten Jahren. Sie haben versprochen, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Sie haben das nicht geschafft. Sie haben versprochen, die Nettokreditaufnahme zu senken. Die Nettokreditaufnahme ist in den letzten Jahren um 133 Milliarden DM gestiegen. Nächstes Jahr kommen Sie wieder weit in die 30 Milliarden DM mehr Kredite hinein. Sie haben den Abbau der Subventionen versprochen. Im nächsten Jahr werden wir über 33 Milliarden DM Subventionen bekommen. Sie haben eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge versprochen. Wir sind jetzt mit 36,8 auf einem Rekordniveau, was unsere Situation anbetrifft.
Meine Damen und Herren, in der Situation wäre ein wenig mehr Bereitschaft, zuzuhören, Ideen aufzunehmen und zusammenzuarbeiten, notwendig, anstatt stur weiter zu sagen: Weiter so! Wir machen so weiter, egal welche Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr ansteht.
Wir haben Alternativen. Wir werden für diese Alternativen weiter kämpfen. Meine Damen und Herren, wenn Sie nicht bereit sind, Alternativen zu diskutieren, werden Sie bald mehr Kräfte in Ihrer Partei haben, die Ihnen widersprechen, die unseren Vorstellungen zustimmen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104209900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Sprung.

Dr. Rudolf Sprung (CDU):
Rede ID: ID1104210000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Roth, wie im letzten Jahr schon: Wieder ein düsteres Gemälde, Widersprüche , zusätzliche Milliardenforderungen auf der einen Seite und Beklagen der Nettokreditaufnahme und der Subventionen auf der anderen Seite. Ich komme darauf gleich zurück.
Sie sagten, für Ersatzarbeitsplätze in der Stahlindustrie werde keine müde Mark zur Verfügung gestellt. Das ist schlicht und einfach falsch.

(Roth [SPD]: Na, her damit!)

— Ich werde gleich noch etwas dazu sagen.
Was wichtiger ist: Die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung wird auch 1988 anhalten. Die verfügbaren Einkommen werden weiter zunehmen; dank der zweiten Stufe der Tarifreform sogar mehr als 1987.

(Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Die Preise bleiben auf Stabilitätskurs. Die Importe werden weiter kräftig steigen. Dies wird zu einer weiteren Entlastung an der außenwirtschaftlichen Front führen. Der Anstieg der Beschäftigungszahlen wird sich fortsetzen. So der Sachverständigenrat.



Dr. Sprung
Der Sachverständigenrat sieht sich zwar gezwungen, wegen der jüngsten Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten seine ursprünglichen Erwartungen für 1988 etwas zurückzunehmen. Doch er sieht keinen Grund, sein positives Gesamturteil zu korrigieren.
Wichtig ist allerdings auch die Feststellung, daß es zu keinen neuen Turbulenzen kommen dürfe. Dies zu verhindern, solche neuen Turbulenzen nicht entstehen zu lassen, darauf müssen das Augenmerk und alle Anstrengungen gerichtet sein.
Über die auslösenden Ursachen der zurückliegenden Turbulenzen kann man lange streiten, und darüber wird ja inzwischen intensiv gestritten.
Worauf es jetzt ankommt, ist zweierlei. Erstens. Der Börsenkrach hat zweifellos zu einer gewissen Verunsicherung geführt. Es geht jetzt darum, diese Verunsicherung so schnell wie möglich zu beseitigen, um Auswirkungen besonders auf die Investitionstätigkeit der Unternehmen und das Nachfrageverhalten der Verbraucher zu verhindern. Zweitens. Die großen Ungleichgewichte im Welthandel und im öffentlichen Haushalt der USA haben zu weltweiten Verspannungen und Verzerrungen geführt, die gelöst werden müssen. Dazu brauchen wir — ich meine, da interpretiere ich die bisherigen Diskussionsbeiträge richtig — nach allgemeiner Auffassung eine verbesserte internationale Koordinierung der nationalen Wirtschafts- und Währungspolitiken. Jedes Land muß prüfen, welchen zusätzlichen Beitrag es zur Stabilisierung der Erwartungen an den internationalen Finanz- und Gütermärkten leisten kann. Die großen Industrienationen sollten sich möglichst bald an einen Tisch setzen, um gemeinsam Maßnahmen zur weiteren Stärkung der Weltkonjunktur und des Wachstums zu beschließen.
Das gibt aber nur dann einen Sinn — auch darüber sollte es keine Meinungsverschiedenheit geben —, wenn tatsächlich Gemeinsamkeiten und ein glaubwürdiges Ergebnis erzielt werden können. Dies muß klar sein, bevor man zusammenkommt.
Wenn gefordert wird, mehr zur Verminderung der Leistungsbilanzüberschüsse zu tun, wird offensichtlich übersehen, daß der Prozeß des Abbaus bereits voll im Gang ist und sich in den entsprechenden Leistungsbilanzzahlen nur deshalb noch nicht niedergeschlagen hat, weil die niedrigeren Importpreise die realen Rückgänge noch kompensieren. Rechnet man zu konstanten Preisen, so hat sich der Leistungsbilanzüberschuß nicht nur bereits um mehr als ein Drittel reduziert; auch sein Anteil am Bruttosozialprodukt hat sich inzwischen merklich verringert. Der Dollarkursrückgang zeigt also bereits deutliche Wirkungen. Dieser Prozeß des Abbaus wird sich im nächsten Jahr fortsetzen. Wichtig ist für Produktion und Beschäftigung besonders in der Bundesrepublik, daß sich die Veränderungen ausschließlich auf der Importseite vollzogen haben.
Auch in Japan und in den USA bilden sich die Leistungsbilanzungleichgewichte zurück. Auch das ist ein wichtiger Punkt: Eine wichtige Ursache für das hohe US-Leistungsbilanzdefizit, nämlich das hohe US-Budgetdefizit, geht ebenfalls weiter zurück. Die grundsätzliche Einigung zwischen Präsident Reagan und dem Kongreß ist jedenfalls ein wichtiges positives
Signal für die internationalen Finanzmärkte, übrigens genauso wie die gestrigen Zinssenkungsaktionen in Frankfurt, Paris und Den Haag.
Die Bundesregierung kann in der Diskussion über einen größeren Beitrag der Bundesrepublik zur Stützung der Weltkonjunktur aber nicht nur auf die Veränderungen in der Leistungsbilanzentwicklung hinweisen. Es gibt auch andere Entwicklungen, die eindeutig expansive Wirkungen haben. Da ist zum einen die zweite Stufe der Tarifreform 1986/88 mit einem Volumen von fast 14 Milliarden DM — gewiß keine Kleinigkeit, immerhin 0,75 % des Bruttosozialprodukts. Da ist aber auch die Zunahme des Defizits in den Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden, die in der Abgrenzung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung 1987 rund 10 Milliarden DM erreicht. Daß die öffentlichen Haushalte auch 1988 nicht kontraktiv sein werden, das steht heute wohl fest.
Zugleich hat die Bundesregierung klargestellt
— und dies ist eine wichtige Entscheidung gewesen —, daß sie nicht bereit ist, außenhandels- und konjunkturbedingte Einnahmeausfälle durch zusätzliche Maßnahmen, d. h. durch entsprechende Maßnahmen auf der Einnahmenseite des Haushalts, auszugleichen, damit die automatischen Stabilisatoren des Haushaltssolls voll wirksam werden können. Das Gerede von einer deflatorischen Politik, Herr Roth
— Sie haben vorhin ein Zitat gebracht — , ist also blanker Unsinn.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Angesichts dieser Situation, meine Damen und Herren, ist es auch nicht verwunderlich, wenn der Sachverständigenrat nicht in den Chor der inzwischen vielen einstimmt, die Steuerreform 1990 vorzuziehen. Rechnen Sie doch einmal zusammen, Herr Roth, was an zusätzlicher Nachfrage schon jetzt zu erwarten ist!
Aber es kommt ja nicht nur auf nachfragestützende Maßnahmen an, um der Weltkonjunktur zusätzliche Impulse zu geben, nicht weniger wichtig ist der Kampf gegen protektionistische Tendenzen, die es überall auf der Welt gibt — auch das ist ja schon von allen Rednern beklagt worden — : in den USA, in Japan, in Europa. Nicht nur die Bundesrepublik als besonders exportorientiertes Land ist auf einen freien Welthandel angewiesen, andere Länder sind es genauso. Was der Welthandel für seine Expansion braucht, ist das genaue Gegenteil von Protektionismus: offene Märkte, weiterer Abbau von Handelshemmnissen und Handelsbarrieren.
Nun, Herr Roth, zu Ihrer Forderung, zu einer von der SPD immer wieder erhobenen Forderung, neue nachfragewirksame Programme zu beschließen, die Massenkaufkraft zu erhöhen — von Ihnen soeben wieder vorgetragen — , kann ich nur feststellen: Dies alles geschieht doch bereits, aber anders, als Sie es mit Ihren untauglichen Rezepten aus den 70er Jahren fordern. Das gilt für die erste Stufe der Tarifreform, das gilt für die Entwicklung der öffentlichen Haushalte in diesem Jahr, und das wird in der zweiten Stufe der Tarifreform

(Glos [CDU/CSU]: Genau!)




Dr. Sprung
und der weiteren Haushaltsentwicklung in einer beachtlichen Größenordnung auch im nächsten Jahr so sein.
Aber dies alles — auch das ist klar — reicht nicht aus, um vermehrtes Wachstum sicherzustellen. Deshalb kommt es darauf an, auch die anderen Bedingungen zu verbessern, die wachstumsrelevant sind. Wir alle beklagen, daß die wachstumsnotwendige Investitionstätigkeit der Unternehmen und damit der Zuwachs des Produktionspotentials unbefriedigend sind.
Nun, meine Damen und Herren, was sind denn diese ursächlichen Bedingungen, von denen Investitionsentscheidungen der Unternehmen ebenso bestimmt werden, ebenso auch abhängen, Herr Roth, wie von der Nachfrage nach ihren Produkten? Das ist ja Ihr Thema: Sie stellen immer nur auf die Nachfrage ab. Aber es ist nicht die Nachfrage allein, die Unternehmen zu Investitionen veranlaßt. Oder umgekehrt: Was beeinträchtigt diese Entscheidungen? Es sind Beschränkungen des Wettbewerbs auf den Märkten, es sind nicht-offene Märkte, es sind zu viele Regelungen und Regulierungen, zu viele Starrheiten und Rigiditäten, es ist zuwenig Flexibilität, zuwenig oder zu später Strukturwandel.
Daraus ergeben sich die Notwendigkeiten, auf die abzuheben ist. Die Notwendigkeiten sind damit klar vorgezeichnet.

(Wissmann [CDU/CSU]: So ist es!)

Wir müssen den Blick künftig noch stärker auf diese Hemmnisse richten.

(Beifall des Abg. Glos [CDU/CSU])

Wir müssen dafür sorgen, daß diese Beeinträchtigungen und Hemmnisse abgebaut werden. Wir müssen darauf achten, daß der Investitionsstandort Bundesrepublik nicht seine Attraktivität dadurch verliert, daß andere Länder niedrigere Unternehmensteuern, niedrigere Lohnnebenkosten und weniger staatliche Regulierungen haben als wir.
Meine Damen und Herren, das Stichwort Strukturwandel führt zum Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums und jenen Wirtschaftsbereichen, die ihn und seine großen Ausgabenblöcke entscheidend bestimmen. Das Dilemma, in dem wir stecken, ist nicht zu übersehen: Auf der einen Seite Feststellungen wie im Gutachten der Sachverständigen, nämlich daß Wachstum immer auch Strukturwandel heißt und umgekehrt nicht stattfindender Strukturwandel oder zu spät stattfindender Strukturwandel das Wachstum entscheidend beeinträchtigt; eine Feststellung, die ganz gewiß niemand bestreiten kann. Auf der anderen Seite die Branchen und Regionen, die den strukturellen Anpassungsprozessen ausgesetzt sind. Wir alle kennen sie, wir alle kennen die Branchen, wir kennen die Regionen. Die Probleme ergeben sich vor allem aus der Konzentration der Strukturanpassungsnotwendigkeiten auf bestimmte Regionen.
Niemand kann sagen, daß die Bundesregierung ihrer Verantwortung für beides nicht gerecht wird. Der Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums ist Ausdruck dafür. Vom Gesamtvolumen von knapp 6,5 Milliarden DM entfallen fast zwei Drittel auf Hilfen für
nur drei Wirtschaftsbereiche. Auch für die regionale Wirtschaftsförderung werden erhebliche zusätzliche Mittel für das nächste Jahr bereitgestellt.
Meine Damen und Herren, nie zuvor gab es einen Bundeshaushalt, in dem insgesamt höhere Mittel für den Steinkohlenbergbau vorgesehen wurden als im vorliegenden Haushalt 1988. Fast 40 % des Gesamtvolumens, 2,4 Milliarden DM, entfallen allein auf die Kokskohlesubvention. Zu diesen Zahlen muß man die Hilfen, die über den Kohlepfennig gewährt werden, das Anpassungsgeld für die Arbeitnehmer des Steinkohlenbergbaus, die Weiterführung der Steinkohlebevorratung und die Hilfen für den EBV hinzurechnen. Angesichts solcher Zahlen davon zu sprechen, daß die Bundesregierung nicht genug für die Kohle tue, ist bösartig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Kein anderer Wirtschaftszweig in der Bundesrepublik erfährt auch nur entfernt eine ähnliche Unterstützung.

(Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr! — Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Leider wahr!)

Die Stahlindustrie erhält zwar seit 1986 keine Subventionen mehr, aber über die begleitenden Anpassungsmaßnahmen bei Stillegungen — jetzt komme ich auf Ihre Bemerkung zurück, keine müde Mark werde zur Verfügung gestellt — für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen, über das Stahlstandorteprogramm und das Sonderprogramm für Montanstandorte, die Vereinbarung vom 2. Oktober 1987 über die soziale Flankierung von Strukturanpassungen wird den von Produktionsstillegungen betroffenen Regionen Hilfe gewährt, die die Auswirkungen dieser Strukturanpassung deutlich mildert.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104210100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jens?

Dr. Rudolf Sprung (CDU):
Rede ID: ID1104210200
Herr Jens! Vizepräsident Westphal: Bitte schön.

Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1104210300
Herr Sprung, ich weiß nicht, was Ihre Philippika immer gegen diese Kohlesubventionen soll. Können Sie mir denn darin zustimmen, daß diese Subventionen schon vor zehn Jahren hätten vorausberechnet werden können, wenn man einen bestimmten Dollarkurs und einen bestimmten Weltmarktpreis für Kohle zugrunde legt?

Dr. Rudolf Sprung (CDU):
Rede ID: ID1104210400
Herr Jens, das hätte man nicht tun können. Aber entscheidend ist doch, daß die Bundesregierung auch trotz der Absenkung des Dollarkurses und trotz der veränderten Verhältnisse ohne Zögern, ohne Diskussionen bereit ist, diese Mittel zur Verfügung zu stellen.

(Dr. Jens [SPD]: Das ist alles vertraglich vereinbart!)

Es ist wichtig, daß damit die gesamte Volkswirtschaft, daß wir alle gemeinsam diese Beträge aufzubringen haben.



Dr. Sprung
Meine Damen und Herren, wir haben hier vor kurzem über die Situation der Stahlindustrie debattiert. Es muß dabei bleiben: Künftig darf es keine Subventionen, in welcher Form auch immer, in Europa mehr geben. Wenn auf dem europäischen Stahlmarkt wieder normale Wettbewerbsbedingungen bestehen, dann kann die deutsche Stahlindustrie auch im Wettbewerb bestehen. Im übrigen ist darauf hinzuweisen: Entscheidungen in diesem Sektor werden heute in erster Linie und fast ausschließlich in Brüssel und nicht mehr in Bonn getroffen.
Zu den Werften wäre noch ein Wort zu sagen. Ich muß das aus Zeitgründen unterlassen.
Ich möchte zum Abschluß folgendes feststellen: Der weitere Abbau von Subventionen bleibt trotz und wegen dieser Ansätze im Haushalt des Wirtschaftsministeriums eine vordringliche Aufgabe. Subventionen verzerren nun einmal das Produktionsgefüge. Sie lenken Investitionen und Arbeitskräfte in nicht mehr wettbewerbsfähige Bereiche und verhindern notwendige strukturelle Anpassungsprozesse. Deshalb ist es erforderlich, daß die Bundesregierung überall dort, wo nicht rechtliche Verpflichtungen oder außergewöhnliche Situationen aus sozialen Gründen, Flankierungsmaßnahmen bei Anpassungsprozessen Hilfen erfordern, den Weg des Subventionsabbaus fortsetzt.
Der Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums zeigt dafür eine Reihe von Beispielen. Die Bundesregierung kann nun nachdrücklich ermuntert werden, diesen Weg auch in Zukunft konsequent fortzusetzen.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104210500
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Martin Bangemann (FDP):
Rede ID: ID1104210600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe vor gut zwei Wochen in einem Brief an den Kollegen und Freund Gerhard Stoltenberg einige Vorschläge gemacht, die sich als die erste wirtschafts- und finanzpolitische Konsequenz aus den Ereignissen an den Börsen geradezu aufdrängten. Ich habe mich sehr gewundert, daß dieser Brief hier heute so falsch und in einem falschen Zusammenhang mehrfach zitiert worden ist; denn dieser Brief ist, auch wenn man ihn jetzt liest, durch all das bestätigt worden, was wir inzwischen zusätzlich erfahren haben, und vor allen Dingen auch durch das, was wir inzwischen beschlossen haben.
Zunächst einmal ist falsch, daß ich in diesem Brief eine mangelnde Übereinstimmung habe festhalten müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Der Brief beginnt mit dem Satz: „Wir stimmen überein, daß die Gefahr rezessiver Entwicklungen in der Welt und bei uns nur verhindert werden kann, wenn es bald wieder zu stabileren Wechselkursen kommt." — Übrigens, über dem Brief steht auch. nicht „Vertraulich",

(Dr. Vogel [SPD]: Ein Pfiffikus!)

und insofern ist auch all das vollkommen unsinnig, was hier dazu gesagt worden ist.
Meine Damen und Herren, der Brief geht weiter mit dem Satz: „Wir sind uns einig, daß eine Bestätigung und Verlängerung von Louvre bei einem neuen Siebener-Treffen nur möglich und erfolgversprechend ist, wenn die USA überzeugende Schritte bei der Verringerung ihres Budgetdefizits vorzeigen können. " — Ich habe schon gestern gesagt — ich wiederhole das — : Natürlich ist ein Schwarzer-Peter-Spiel über den Atlantik hinweg angesichts dieser Situation nicht sinnvoll, aber das kann uns natürlich nicht von der Aufgabe entbinden, nicht nur zu sagen, was wir selber zusätzlich tun müssen, sondern auch, was die anderen tun müssen. Daß das Budgetdefizit in den USA eine wesentliche Rolle bei der Kursentwicklung sowohl der Aktien als auch des Dollars gespielt hat, wird ja wohl von niemandem bestritten.
Ich habe in diesem Brief auch darauf hingewiesen, daß es nicht nur taktisch klüger, sondern vor allen Dingen auch erfolgversprechender ist, offensiv eine baldige neue Vereinbarung unter der Voraussetzung zu fordern, daß alle Hauptverantwortlichen ihren angemessenen Beitrag zur weiteren Verbesserung der realen Grundbedingungen leisten. Dies ist, wie ich meine, eine richtige Beschreibung der Konsequenzen, die wir ziehen müssen. Sie kann nicht bestritten werden, sie wird auch nicht bestritten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104210700
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?

Dr. Martin Bangemann (FDP):
Rede ID: ID1104210800
Ja, bitte sehr.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104210900
Bitte schön, Herr Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1104211000
Herr Minister Bangemann, warum haben Sie denn das Medium des Briefes gewählt, da Ihnen doch der Freund Stoltenberg täglich begegnet?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


Dr. Martin Bangemann (FDP):
Rede ID: ID1104211100
Das Medium des Briefes, Herr Penner, hat den großen Vorteil,

(Dr. Vogel [SPD]: Daß man ihn später zeigen kann!)

daß Sie für die Nachwelt eine Form festhalten, die eigentlich nicht mißdeutet und auch nicht mißverstanden werden kann.

(Dr. Vogel [SPD]: So weit seid ihr schon! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Aber ich gebe zu: Nachdem ich Herrn Roth und Frau Simonis und Sie gehört habe, genügt nicht mal ein Brief, weil Sie selbst ein schriftliches Festhalten von Meinungen nicht respektieren, sondern ständig etwas anderes behaupten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Stürmischer Beifall bei der Union!)

Es wird z. B. behauptet, wir hätten uns in der Frage des möglichen Vorziehens der Steuerreform erst einigen müssen. Das ist überhaupt nicht wahr. Ich habe bei jeder öffentlichen Erklärung und auch in diesem Brief von vornherein darauf hingewiesen, daß ich mit



Bundesminister Dr. Bangemann
dem Bundesfinanzminister der Meinung bin, daß ein weiteres Vorziehen der Steuerreform ausscheidet. Im Brief habe ich geschrieben: jedenfalls solange, als nicht ein kumulativer Abschwung droht. Daß das nicht der Fall ist, habe ich gestern gesagt. Ich will es hier noch einmal zitieren, und zwar sowohl aus dem Gemeinschaftsgutachten als auch aus dem Gutachten der Sachverständigen. Zunächst einmal die Institute:
Sie sind deshalb nach Abwägung aller Argumente zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Fortsetzung der konjunkturellen Aufwärtsbewegung in der Bundesrepublik Deutschland etwa im bisherigen mäßigen Tempo auch nach den Börsenturbulenzen der letzten Zeit wahrscheinlicher ist als ein erhebliches Nachlassen der Expansion oder gar ein Rückschlag.
So das Gemeinschaftsgutachten nach den Entwicklungen an der Börse.
Der Sachverständigenrat hat geschrieben:
Wir sehen keine überzeugenden Gründe, daß es zu einer Rezession kommen wird. Die Baisse an den Aktienmärkten ist keine Krise des Finanzsystems. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich die Kurse stabilisieren oder sogar wieder steigen, ist eher größer geworden.
Professor Biedenkopf hat in einer Aktuellen Stunde mit Recht darauf hingewiesen, daß wir heute eine zunehmende Distanz zwischen den Bewegungen an den Finanzmärkten und den zugrundeliegenden wirtschaftlichen Daten aufzeigen können.

(Stratmann [GRÜNE]: Das ist ja das Problem!)

Wenn diese turbulenten Wochen an der Börse überhaupt einen Sinn haben können, dann wohl den, daß mehr Menschen deutlich wird, daß diese Differenz besteht und daß man darauf in Zukunft auch achten sollte.
Ich habe in diesem Brief dann sechs Vorschläge gemacht. Ich will das jetzt einmal vorlesen, weil das wichtig ist vor dem Hintergrund des Sachverständigengutachtens, das 14 Tage später veröffentlicht worden ist: „ 1. eine rasche gesetzliche Umsetzung der Steuerreform". Die Steuerreform ist der Hauptbestandteil, der Kern unserer Strategie für mehr Beschäftigung und zur Verstetigung von Wirtschaftswachstum.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Daß sich die SPD in dieser Frage schon wieder einmal wendet und dreht, wundert ja niemanden; denn in Wahrheit ist das Problem der SPD nicht, daß sie hier eine in sich logische, zusammenhängende Alternative vorstellen will. Vielmehr will sie aus den jeweiligen aktuellen Daten Kapital für ihre eigene parteipolitische Position schlagen. Das ist natürlich für uns auch nicht gerade ermunternd; denn eigentlich braucht man ja eine gute Opposition.
Ich will nur einmal Herrn Roth, der sich hier immer hinstellt und alle 14 Tage etwas anderes verkündet,
an das erinnern, was er am 16. Dezember 1983 zum Dollar gesagt hat, als der Dollar noch stark war.

(Roth [SPD]: Bei 3,46 DM!)

— Herr Roth, ich weiß, daß Sie das nicht mögen. Das ist ja gerade, Herr Penner, das Schlimme, daß man so etwas auch schriftlich festhalten kann; denn auf diese Weise kann man immer wieder sagen, was die Leute von der Opposition so an Weisheiten verbreitet haben.
Herr Roth hat damals gesagt:
Nichts kann die amtliche Schönfärberei besser widerlegen als der Verfall der Mark gegenüber dem Dollar. Die Markschwäche ist das marktmäßige Mißtrauen des internationalen Finanzkapitals in die Fähigkeit der Regierung Kohl, mit den wirtschaftlichen Problemen in unserem Land fertig zu werden. Deshalb meiden sie die Bundesrepublik. Deshalb bleibt unsere Währung schwach, der Dollar stark.

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD: Und?)

Am 11. November 1987 ist im „ParlamentarischPolitischen Pressedienst" genau das Umgekehrte zu lesen; denn nun ist der Dollar schwach und die D-Mark stark. Das wird dann als Beweis dafür angeführt, daß die angebotsorientierte Politik der Regierung Kohl in sich zusammengebrochen sei.
Meine Damen und Herren, was soll man mit einer solchen Opposition anfangen? Ich frage Sie: Was für einen Sinn macht das?

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich habe in meinem Brief zweitens gesagt, wir sollten uns überlegen, ob wir die Börsenumsatzsteuer und die Gesellschaftsteuer abschaffen. Wir sollten drittens in jedem Fall keine Verbrauchsteuererhöhung vornehmen, jedenfalls so lange nicht, wie das als falsches Signal mißverstanden werden kann. Alles das werden wir tun. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich heute morgen genau in diesem gleichen Sinne geäußert.
Ich habe dann viertens gesagt: Finanzpolitik — jetzt bitte ich einmal Frau Simonis, zuzuhören; ich habe immer noch die geringe Hoffnung, daß sie im Gegensatz zu Herrn Roth vielleicht solche Irrtümer korrigieren kann — —

(Frau Simonis [SPD]: Wenn Sie das sagen, ist das fast schon eine Auszeichnung!)

— Ja, ich weiß, daß es Ihnen möglicherweise in der SPD Schwierigkeiten machen wird, daß ich das gesagt habe.
Ich habe viertens geschrieben: Finanzpolitik im Sinne des Wirkens der automatischen Stabilisatoren, d. h. Festhalten an einer soliden Steigerungsrate der öffentlichen Haushalte zur Reduzierung der Staatsquote.
Ich habe in meinem Brief überhaupt nicht davon gesprochen, daß der Haushalt unsolide finanziert sei, wie Sie hier behauptet haben.

(Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD])




Bundesminister Dr. Bangemann
— Meine Damen und Herren, da stellt sich jemand, der für die Opposition in der Debatte an erster Stelle spricht, hierhin, dann beschäftigt man sich mit seinen Argumenten und Aussagen, dann kann man nachweisen, und zwar an Hand eines geschriebenen Textes, daß die Aussagen falsch waren, und dann tut der Oppositionsführer so, als ob man ihn damit beleidigen würde. Das ist keine Debatte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich verstehe nicht, warum Sie diese Auseinandersetzung nicht suchen.

(Dr. Vogel [SPD]: Zur Sache!)

— Ich rede die ganze Zeit zur Sache.

(Dr. Vogel [SPD]: Das merkt man aber nicht!)

— Daß Sie nicht erkennen, daß ich zur Sache rede, zeigt ja auch, auf welchen Abwegen Sie sich befinden, Herr Vogel.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich habe in diesem Brief geschrieben: Festhalten an einer soliden Steigerungsrate der öffentlichen Haushalte zur Reduzierung der Staatsquote, aber auf Zeit bewußte Hinnahme von höheren Defiziten im Ausmaß geringerer Einnahmesteigerungen, soweit sie vor allem auf exogene Faktoren zurückzuführen sind.

(V o r s i t z: Vizepräsident Cronenberg)

Fünftens. Verstärkte und beschleunigte Anstrengungen bei der Deregulierung und Marktöffnung, verbunden mit der konkreten Ankündigung einer baldigen Post-Liberalisierung.
Sechstens. Baldige Umsetzung der ins Auge gefaßten Privatisierungsschritte.
Meine Damen und Herren, alles das, jeden einzelnen Punkt, finden Sie in dem 14 Tage später veröffentlichten Gutachten des Sachverständigenrats wieder. Wenn wir uns angesichts dieser Sachlage darauf berufen, daß die Grundlinien unserer Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik mit dem übereinstimmen — —

(Unruhe)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104211200
Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die notwendige Ruhe im Hause herstellen würden, damit der Redner zu Ende kommt.

(Zurufe von der SPD: Das stört uns nicht!)


Dr. Martin Bangemann (FDP):
Rede ID: ID1104211300
Daß Sie das nicht stört, das wissen wir ja. Es stört Sie überhaupt nicht, daß die Fakten gegen Sie sprechen. Herr Roth beispielsweise nimmt nicht zur Kenntnis, daß die Zahl der Arbeitslosen in Großbritannien um 400 000 zurückgegangen ist. Das ist für ihn nichts. Er nimmt das nicht zur Kenntnis.
Er nimmt nicht zur Kenntnis, daß Frau Thatcher in ihren vier Hauptlinien ihrer Wirtschaftspolitik, die sie vor kurzem dargelegt hat, exakt die gleiche Politik verfolgt wie wir und andere Staaten, die damit Erfolg haben. Wir haben Erfolg, aber das ist ja gerade der tiefere Grund, warum die Opposition nicht mehr zuhören kann; denn eine Regierung, die Erfolg hat, nervt eine Opposition, die verantwortungslos geworden ist. Eigentlich sollte eine Opposition, die wirklich daran interessiert ist, für Wirtschaftswachstum einzutreten und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, in all dem mit uns und den anderen übereinstimmen, was erfolgsträchtig ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU Daß sie es nicht tut, ist kein Mißtrauen gegenüber der Regierung, sondern das begründet ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Ernsthaftigkeit der Opposition. Daß das in dieser Debatte noch einmal deutlich geworden ist, bestärkt mich noch mehr in der Überzeugung, daß der Kurs, den wir verfolgen, richtig ist und daß wir ihn fortsetzen müssen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Noch einen Brief schreiben!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104211400
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich kann die Aussprache schließen.
Wir kommen zunächst zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/1228. Das Verfahren ist Ihnen bekannt. Ich möchte zunächst einmal feststellen, ob die Urnen entsprechend besetzt sind, bevor ich die Abstimmung eröffne. — Das ist noch nicht der Fall. Dann müssen Sie sich gedulden. Die Geschäftsführer werden gebeten, dafür Sorge zu tragen, daß die Schriftführer möglichst bald an den Urnen erscheinen.
Meine Damen und Herren, ich mache außerdem darauf aufmerksam, daß Sie nach der namentlichen Abstimmung sinnvollerweise hier bleiben, weil noch eine Vielzahl weiterer Abstimmungen erfolgt.
Damit eröffne ich die Abstimmung.
Ich darf die Geschäftsführer fragen, ob wir die Abstimmung schließen können. — Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Die Schriftführer werden gebeten, zum Auszählen zu kommen.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie um die für die weiteren Abstimmungen nötige Ruhe bitten.
Ich rufe jetzt eine Vielzahl von Änderungsanträgen der Fraktion DIE GRÜNEN auf, und zwar nach der Reihenfolge der Drucksachennummern.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1229? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/1230 zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/1231 zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist bei einer Vielzahl von Enthaltungen bei der SPD-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/1232 zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Antrag abgelehnt.



Vizepräsident Cronenberg
Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/1233 zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/1234 zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/1235 zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Antrag abgelehnt.
Jetzt rufe ich den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1236 auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen aus der SPD-Fraktion ist der Antrag abgelehnt.
Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/1237 zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/1238 zu? — Wer stimmt dagegen? — Enhaltungen? — Damit ist auch dieser Antrag abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/1337 ab. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Stimmenthaltung der GRÜNEN ist dieser Antrag angenommen worden.
Ich kann Ihnen nicht zumuten, bereits jetzt über den gesamten Einzelplan abzustimmen, da mir das Ergebnis der namentlichen Abstimmung noch nicht vorliegt. Ich muß also bitten, ein wenig Geduld zu üben, und unterbreche die Sitzung hoffentlich nur für einige Minuten.

(Unterbrechung von 16.16 bis 16.20 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und gebe Ihnen zunächst einmal das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1228 bekannt.
Von den vollstimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 389 ihre Stimme abgegeben, ungültig: keine. Mit Ja haben gestimmt 38, mit Nein haben 351 Mitglieder des Hauses gestimmt. Enthaltungen hat es nicht gegeben. — Von den 16 Berliner Abgeordneten haben alle ihre Stimme abgegeben, davon ungültig: O. Mit Ja haben 2 gestimmt, mit Nein 14. Enthaltungen: keine.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 388 und 16 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 38 und 2 Berliner Abgeordnete
nein: 350 und 14 Berliner Abgeordnete
Ja
DIE GRÜNEN
Frau Beck-Oberdorf Frau Brahmst-Rock Brauer
Dr. Briefs
Dr. Daniels (Regensburg)

Ebermann Frau Eid
Frau Flinner Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich Hoss
Hüser
Kleinert (Marburg)

Frau Krieger
Dr. Lippelt (Hannover) Dr. Mechtersheimer Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Rust
Frau Saibold Frau Schilling Schily
Frau Schmidt-Bott
Frau Schoppe Stratmann
Frau Teubner Frau Trenz
Frau Unruh Frau Vennegerts
Frau Dr. Vollmer Volmer
Weiss (München) Wetzel
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny Wüppesahl
Berliner Abgeordnete
Frau Olms Sellin
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein Austermann Bauer
Bayha
Dr. Becker (Frankfurt) Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Börnsen (Bönstrup)

Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Borchert Breuer
Carstens (Emstek) Carstensen (Nordstrand) Dr. Czaja
Dr. Daniels (Bonn) Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger Dr. Dregger Echternach Eigen
Engelsberger
Dr. Faltlhauser
Dr. Fell
Fellner
Frau Fischer Fischer (Hamburg) Francke (Hamburg)
Dr. Friedmann
Fuchtel
Ganz (St. Wendel)

Frau Geiger Geis
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster (Mainz)

Glos
Dr. Göhner Dr. Götz
Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele
Harries
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser (Esslingen) Hauser (Krefeld)
Hedrich
Freiherr Heereman von Zuydtwyck
Helmrich Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning
Dr. Hüsch
Dr. Jahn (Münster)

Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung (Limburg)

Jung (Lörrach)

Kalb
Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes
Frau Karwatzki
Kiechle
Klein (München)

Dr. Köhler (Wolfsburg) Kolb
Kossendey
Kraus
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz (Weiden) Lamers
Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann
Dr. Laufs
Lenzer
Frau Limbach
Link (Frankfurt) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold (Offenbach) Louven
Maaß
Frau Männle
Magin Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Miltner
Müller (Wadern)

Müller (Wesseling)

Nelle
Neumann (Bremen)

Dr. Olderog
Oswald Frau Pack
Pesch
Pfeffermann
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst
Rauen Rawe
Repnik
Dr. Riedl (München)

Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. Rose
Rossmanith
Roth (Gießen)




Vizepräsident Cronenberg
Rühe
Dr. Rüttgers Ruf
Sauer (Salzgitter)

Sauer (Stuttgart)

Sauter (Epfendorf)

Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schemken Scheu
Schmitz (Baesweiler)

Dr. Schneider (Nürnberg) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder (Freiburg) Schulhoff
Dr. Schulte

(Schwäbisch Gmünd) Schwarz

Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark (Nürtingen)

Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel (Ennepetal)

Vogt (Duren) Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß (Kaiserslautern) Werner (Ulm)
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer (Neuss) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Dr. Wörner Würzbach Zeitlmann Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger (Berlin) Feilcke
Kalisch
Kittelmann
Dr. h. c. Lorenz
Dr. Pfennig Schulze (Berlin)

Straßmeir
SPD
Frau Adler
Amling
Andres
Dr. Apel
Bachmaier
Bamberg
Becker (Nienberge) Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Dr. Böhme (Unna) Börnsen (Ritterhude) Brandt
Büchler (Hof)

Dr. von Bülow
Frau Bulmahn Catenhusen
Frau Conrad
Frau Dr. Däubler-Gmelin Diller
Frau Dr. Dobberthien Dreßler
Erler
Esters
Ewen
Frau Faße
Fischer (Homburg)

Frau Fuchs (Köln)

Frau Ganseforth
Gansel
Dr. Gautier
Gerster (Worms)

Frau Dr. Götte
Graf
Grunenberg
Hasenfratz Dr. Hauchler Heistermann
Dr. Holtz Horn
Huonker Ibrügger Jahn (Marburg)

Jansen
Jaunich Dr. Jens
Jung (Düsseldorf) Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kißlinger Klein (Dieburg)

Kolbow Koltzsch Kretkowski
Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leidinger Lennartz Leonhart Lohmann (Witten)

Lutz
Frau Dr. Martiny-Glotz Meyer
Müller (Düsseldorf) Müller (Schweinfurt) Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier
Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus
Oostergetelo
Paterna Pauli
Dr. Penner Peter (Kassel)

Pfuhl
Porzner Purps
Reimann Frau Renger
Reschke Reuter
Rixe
Schäfer (Offenburg) Schanz
Dr. Scheer Scherrer
Schluckebier
Frau Schmidt (Nürnberg) Schmidt (Salzgitter)
Dr. Schmude Schröer (Mülheim)

Schütz
Seidenthal Frau Seuster Sielaff
Sieler (Amberg)

Frau Simonis Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Stahl (Kempen)

Frau Steinhauer
Stiegler
Dr. Struck Toetemeyer Frau Traupe Vahlberg
Voigt (Frankfurt)

Vosen
Waltemathe Walther
Weiermann Frau Weiler Westphal
Frau Weyel
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer (Neuötting)

Dr. de With Wittich
Zander
Zeitler
Zumkley
Berliner Abgeordnete
Dr. Mitzscherling Stobbe
Dr. Vogel
Wartenberg (Berlin) FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Dr. Bangemann
Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg (Arnsberg) Eimer (Fürth)
Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gattermann Gries
Grünbeck
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Dr. Hitschler Dr. Hoyer Irmer
Kleinert (Hannover) Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Neuhausen
Nolting
Richter
Rind
Ronneburger
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Sohns Dr. Thomae Timm
Dr. Weng (Gerungen) Wolfgramm (Göttingen) Zywietz
Berliner Abgeordnete
Hoppe Lüder
Nachdem nun der Änderungsantrag abgelehnt ist, kann ich zur Abstimmung über den Einzelplan 09 kommen. Wer für den Einzelplan 09 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft — und zwar in der Ausschußfassung, mit der Änderung, der Sie eben zugestimmt haben, ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist auch dieser Einzelplan angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie
— Drucksachen 11/1072, 11/1081 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Rust Austermann
Zander
Zywietz



Vizepräsident Cronenberg
Dazu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN und der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/1290, 11/1311 und 11/1312 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine Vereinbarung getroffen worden, daß der Etat eine Stunde beraten werden soll. — Das Haus scheint damit einverstanden zu sein, so daß ich dies als beschlossen betrachten darf und die Aussprache eröffnen kann. — Zunächst hat Herr Abgeordneter Zander das Wort.

(Unruhe)

— Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auch auf den hinteren Plätzen des Hauses die notwendige Ruhe herstellten. — So, Herr Abgeordneter, ich glaube, wir können beginnen.

Karl Fred Zander (SPD):
Rede ID: ID1104211500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war bisher gemeinsame Auffassung, daß wir eine langfristig angelegte und konzeptionell solide Forschungspolitik brauchen, die natürlich auch finanziell abgesichert sein muß. Ich meine, daß der jetzt vorliegende Haushalt für 1988 leider die Abkehr von dieser Gemeinsamkeit markiert. Der Finanzminister hat die vorjährige, auf Kabinettsbeschluß beruhende Finanzplanung für den Forschungsetat rigoros zusammengestrichen. Damit ist der Stellenwert der Forschungspolitik von der Bundesregierung deutlich herabgestuft worden. Im Vergleich zu den noch im Vorjahr beschlossenen Ansätzen in der mittelfristigen Finanzplanung gehen dem Forschungshaushalt allein 1988 370 Millionen DM verloren. 1989 werden es über 400 Millionen DM und 1990 485 Millionen DM im Vergleich zur letztjährigen Finanzplanung sein.
Das Wachstum des Forschungshaushalts aber ist unserer Meinung nach für die Zukunft der Bundesrepublik wichtig. Der Forschungsminister hat noch in jüngster Zeit die fehlende Dynamik der Bundesrepublik auf dem Gebiet von Forschung und Entwicklung, etwa im Vergleich zu Japan, beklagt. Er muß jetzt leider eingestehen, daß er sich mit einer Verstärkung dieser Dynamik im Kabinett nicht durchsetzen konnte. Der Bundeskanzer hat noch vor wenigen Monaten die Bedeutung der Technik für die Zukunft unseres Landes auf dem diesjährigen Ingenieurkongreß herausgestellt.

(Lenzer [CDU/CSU]: Das stimmt auch heute noch!)

Er kam zurück und ließ anschließend dem Finanzminister freie Hand, den Stellenwert von Forschung und Technik und ihrer Förderung durch überdurchschnittliche Streichungen in den Ansätzen herabzusetzen.
Wir behandeln, meine Damen und Herren, in dieser Woche auch den Finanzplan des Bundes bis 1992. Dieser Finanzplan ist für den Forschungshaushalt von besonderer Bedeutung; denn die notwendigerweise langfristige Anlage großer Forschungsvorhaben verbietet eine Betrachtung, die sich auf das jeweils nächste Haushaltsjahr beschränkt. Das klassische Beispiel dafür ist die Weltraumforschung. Bei den Langzeitprogrammen der Europäischen Weltraumorganisation werden jetzt Mittel bewilligt, die die künftigen Haushalte bis das Jahr 2000 hinein binden werden. Der Einstieg in diese Programme kann also nur verantwortet werden, wenn auch die langfristige Finanzierung dieser Projekte in der Finanzplanung abgesichert ist. Bei den großen ESA-Vorhaben Ariane V, Columbus und Hermes ist diese Absicherung aber eindeutig nicht der Fall.

(Dr. Vogel [SPD]: Sehr wahr!)

An diesem Punkt enden die Gemeinsamkeiten mit uns.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Mehrheit in diesem Hause ist dabei, in das bisher teuerste Forschungsvorhaben einzusteigen, das hier jemals beschlossen worden ist. Die Vorbereitung dieser Entscheidung hat erneut den ganzen Dilettantismus der Regierungsarbeit des Kabinetts Kohl dokumentiert.

(Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Wir können nicht Milliardenausgaben bis in das Jahr 2000 beschließen, über die die beiden zuständigen Minister in den Ausschüssen des Bundestages diametral entgegengesetzte Aussagen machen.
Noch am 16. September hat der Bundesminister Riesenhuber im Haushaltsausschuß versichert — ich zitiere aus dem Protokoll —,
im Januar sei zwischen ihm und dem Bundesfinanzminister vereinbart und anschließend vom Kabinett bestätigt worden, daß für Ariane V und Columbus 50% der Kosten aus dem BMFT-Haushalt mit einem normal wachsenden Plafond bezahlt werden sollten. Die restlichen 50 % der Kosten sollten aus dem Gesamthaushalt bereitgestellt werden.
Ähnliches ist mehrfach an anderer Stelle gesagt und auch protokolliert worden.
Die Zusage — das ist der entscheidende Punkt —, 50 To der nicht in der Finanzplanung des BMFT gedeckten Kosten aus dem Gesamthaushalt zuzuschießen, hat der Bundesfinanzminister mehrfach, zuletzt am 11. November bei der Bereinigungssitzung, dementiert. Er hat erklärt, es gebe keine langfristige Festlegung über den Plafond und zusätzliche Mittel. Auch das ist protokolliert. Wer von beiden Bundesministern hat uns die Wahrheit gesagt?

(Vosen [SPD]: Die wissen doch nie, was wahr ist!)

Wir können es nicht mitverantworten, Verpflichtungen künftiger Haushalte in diesem Ausmaß zu beschließen, über deren Finanzierung zwischen Forschungs- und Finanzminister ein Milliardendissens besteht. Denn das Milliardenloch wird ja gedeckt werden müssen. Wir sind der Überzeugung — das ist unsere Sorge —, daß es in künftigen Jahren zu Lasten vieler anderer wichtiger Forschungsvorhaben gestopft werden muß.
Es geht uns bei diesen Weltraumprojekten nicht darum, sie unter technologischen Gesichtspunkten zu bewerten. Dazu gibt es unter den fachlich anerkannten Autoritäten selbst erhebliche Meinungsverschiedenheiten, auch wenn die Weltraumforschung an sich bejaht wird. Uns im Haushaltsausschuß haben diese



Zander
Vorhaben jedenfalls lange Zeit beschäftigt. Das ist übrigens ein Vorhaben, das mit rund 8,3 Milliarden DM quantifiziert wird und damit viel zu niedrig geschätzt wird, wie wir aus den Erfahrungen mit anderen Vorhaben wissen.
Was die Bundesregierung bei diesen Beratungen getan hat, ist nach meinen Erfahrungen bisher ohne Beispiel. Der Entscheidungsprozeß in der Regierung erinnerte mich sehr an die „Unendliche Geschichte". Mehrfach hatte die Bundesregierung rechtzeitig für die abschließenden Beratungen im Haushaltsausschuß eine Beschlußvorlage zugesagt. Aber wie so oft: Die Regierung war nicht in der Lage, dem Parlament rechtzeitig ihre Entscheidung vorzulegen

(Vosen [SPD]: Wie immer!)

und diese auch zu begründen.

(Beifall bei der SPD)

Erst am Mittwoch, dem 11. 11.

(Vosen [SPD]: Karneval!)

— ein bezeichnender Tag —, also nach der ESA-
Ministerrats-Konferenz, bei der sich die Regierung international zu verpflichten hatte, wurde als Tischvorlage am Abend zu später Stunde eine nicht beratungsreife, auf jeden Fall nicht etatreife Vorlage

(Vosen [SPD]: Karnevalsreif!)

eingebracht. Und das bei dem teuersten Forschungsvorhaben aller Zeiten! Die in dieser Vorlage genannten Zahlen beweisen, daß im Bundeshaushalt allein in dieser Legislaturperiode zwischen den eingegangenen Verpflichtungen gegenüber der ESA einerseits und den in der Finanzplanung ausgewiesenen Mitteln andererseits ein Loch von 1,8 Milliarden DM klafft, es sei denn, Herr Bundesminister, das Forschungsprojekt „Dukatenesel" kann bis dahin abgeschlossen werden.

(Heiterkeit bei der SPD — Lenzer [CDU/ CSU]: Davon können Sie ausgehen, Herr Kollege!)

— Herr Kollege Lenzer, diese Lücke, die Ihnen in den nächsten Jahren noch Sorge bereiten wird, wird übrigens mit zunehmenden Finanzanforderungen beim schrittweisen Einstieg in die Projekte nach 1991 und selbstverständlich auch bei den dann zu erwartenden sicher beträchtlichen Preissteigerungen nicht geringer, sondern größer.
Die genannte Vorlage wurde übrigens vom Haushaltsausschuß auch nicht beschlossen, sondern statt dessen gibt es erneut weitere Vorbereitungsphasen bei Columbus und Hermes. Auch durch diesen Beschluß entstand also ein Dissens zwischen dem was der Bundesminister innerhalb der ESA zugesagt hat, und dem, was der Haushaltsausschuß ihm finanziell bewilligt hat.
Ich glaube nicht, meine Damen und Herren, wie es uns wiederholt versichert wurde, daß es uns nach drei Jahren noch möglich sein wird, aus den beiden letztgenannten Projekten auszusteigen. Wer heute ja sagt, sagt faktisch nach meiner Überzeugung endgültig ja zu diesen Projekten. Aber wer das tut, darf heute nicht die Frage offenlassen, woher noch in dieser Legislaturperiode die fehlenden 1,8 Milliarden DM und in künftigen Jahren die weitere nicht überschaubare Milliardensumme kommen soll. Vielleicht, Herr Bundesminister, werden wir das, was übrigbleibt, eines Tages die Riesenhubersche Erblast nennen müssen.
Viele Forschungsprojekte werden im nächsten Jahrzehnt auf dem Altar dieser Politik und dieser Projekte geopfert werden. Die Verantwortung dafür trägt die Bundesregierung, die sich nicht in der Lage sah, dem Forschungsminister über die bisherige Finanzplanung hinaus die notwendigen Mittel zu bewilligen, die doch die unabdingbare Konsequenz einer Entscheidung für alle drei genannten Projekte wären. Die Folgen werden unsere Forscher ab 1989 bitter zu spüren bekommen.

(Lenzer [CDU/CSU]: Jetzt mal doch den Teufel nicht an die Wand!)

Diese Unklarheit in der Finanzierung ist es auch, die uns in der Forschungspolitik von der Bundesregierung trennt. Wir halten diesen Wechsel ohne Dekkung, den die Bundesregierung hier ausgestellt hat, für ein Dokument zu Lasten der Forschungspolitik in der Bundesrepublik, und zwar über einen Zeitraum von einem Jahrzehnt hinweg. Wir teilen die Sorge, die der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft gerade gestern in einer Pressekonferenz hier vorgetragen hat. Wir als Sozialdemokraten können eine solche Politik nicht mitmachen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Deswegen seid ihr ja auch abgelöst worden!)

Wir werden einen solchen ungedeckten Wechsel, Herr Minister, auf künftige Haushalte unsererseits nicht noch querschreiben.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104211600
Da ist die Rede von verstärkter Grundlagenforschung in der Informationstechnik, bis 1992 soll die Zahl der tätigen Wissenschaftler von derzeit 1 700 auf 4 000 erhöht werden.

(Zuruf des Abg. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU])

— Hier im Zitat steht „4 000", aber vielleicht ist das ein Druckfehler, Kollege Carstensen, und dann kann man das gern korrigieren. Die entscheidende Frage ist nur, wer das bezahlen soll.
Weiter: Auf dem Gebiet der Gesundheitsforschung sollen sowohl die Projektforschung als auch die klinische Forschung verstärkt werden. Bravo!
Ende Dezember legte Bundesminister Riesenhuber das 4. Förderprogramm für Meeresforschung und -technik vor und sagte bis 1990 1,2 Milliarden DM Bundesmittel zu. Das ist in der Sache positiv, aber wo ist das Geld in der Finanzplanung dargestellt?
Am 16. Dezember 1986 sagte Bundesminister Riesenhuber weitere Steigerungen von durchschnittlich 3 % jährlich für Humanisierung der Arbeitswelt zu.



Zander
Diese Zusage ist angesichts der nun bevorstehenden Kürzung durch seine eigene Fraktion besonders peinlich.
Die „FAZ" meldete am 24. März 1987, daß Bundesminister Riesenhuber mehr Geld für die Klimaforschung angekündigt hat. Vielleicht aber, meine ich, wollte er auch nur wieder Wind machen.

(Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Das tut der Herr Riesenhuber nicht!)

Man könnte diese Liste fortsetzen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden diese Versprechungen Makulatur bleiben.
Es ist im übrigen in den letzten Jahren deutlich geworden, daß dem Forschungsminister auf wichtigen Feldern der Forschungspolitik die Führung entglitten ist: Mehr und mehr werden Mittel für Forschungsvorhaben eingesetzt, die nicht aus den Bedürfnissen der deutschen Forschung heraus definiert wurden. Immer häufiger springt der Bundesforschungsminister auf bereits fahrende Züge auf, die im Ausland gestartet wurden und dann auch für deutsche Beteiligung geöffnet werden. Neulich sagte mir einer, der es wissen muß: Das fünfte Rad am Wagen, aber ein Drittel der Kosten, das ist Forschungspolitik à la Riesenhuber.

(Beifall bei der SPD — Lenzer [CDU/CSU]: Das muß aber ein übler Zeitgenosse gewesen sein!)

Eigene forschungspolitische Führung, eigene Konzeption und eigene Zielsetzung sind Mangelware im Hause Riesenhuber. Dementsprechend — das sind die bitteren Folgen — geht natürlich auch die Projektführung und gehen auch die technologisch wichtigen Teile dieser Projekte an die Partner, die diese Forschungsvorhaben initiiert haben.
Sozusagen nebenbei, meine Damen und Herren: Sich mit fremden Federn zu schmücken scheint bei dieser Regierung zur Praxis zu werden. Es war am letzten Wochenende doch schon peinlich, wie sich beispielsweise der Postminister im Erfolg des ArianeStarts und des TV-SAT 1 sonnte, ohne zu sagen, daß die diesen Forschungsvorhaben zugrundeliegenden Entscheidungen von sozialdemokratischen Forschungsministern und sozialdemokratischen Postministern getroffen worden sind. Das ist der entscheidende Punkt.
Wie auch im Vorjahr blieben auch die Ansätze in der Energieforschung kontrovers. Wir haben dazu einen Antrag eingebracht. Wir meinen vor allen Dingen, daß die Regierung die nichtnukleare Energieforschung vernachlässigt.
Bei den Beratungen des Forschungsetats haben sich — wie übrigens in den vergangenen Jahren auch — bei sehr vielen Ansätzen Übereinstimmungen ergeben. Wie könnte das auch anders sein; denn selbstverständlich beurteilen es Sozialdemokraten positiv, wenn die Mittelansätze für Forschungsbereiche angehoben werden, die auch wir für sinnvoll halten, die friedlich sind, die den Menschen nutzen können und die auch finanzierbar sind.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, meine Fraktion hat zur heutigen zweiten Lesung des Einzelplans 30 zwei Anträge vorgelegt, für die ich um Ihre Zustimmung bitten möchte. Es handelt sich zunächst auf Drucksache 11/1302 um einen Antrag, der auf Umschichtungen im Energieforschungstitel abzielt. Der Antrag würde im Falle seiner Annahme keinerlei Erhöhungen des Bundeshaushaltes, sondern im Gegenteil Einsparungen in Höhe von etwa 70 Millionen DM bewirken.

(Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

In einem zweiten Antrag beantragen wir, die Mittel für Projekte zur Humanisierung der Arbeitswelt wieder auf die in der Regierungsvorlage vorgesehene Höhe anzuheben, weil die Mehrheit von CDU/CSU und FDP im Haushaltsausschuß hier eine Kürzung von 11 Millionen DM für erforderlich gehalten hat. Das Programm zur Humanisierung der Arbeitswelt ist für uns jedenfalls eine unverzichtbare Ergänzung zur Forschungsförderung, die letzten Endes auf die Einführung neuer Technologien abzielt. Wir meinen, daß das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes uns alle verpflichtet, die sozialen Konsequenzen neuer Technologien für die arbeitenden Menschen zu beachten, um durch entsprechende Gestaltung der Technik oder der Arbeitsabläufe nachteilige Folgen abzuwenden.
In dieser Sache, der Humanisierung der Arbeit, ist eine Entscheidung des Plenums des Deutschen Bundestages aus folgenden Gründen unumgänglich:
Erstens. Der Deutsche Bundestag hat 1986 einmütig beschlossen, dieses Programm fortzuführen und auszubauen. Auch der Bundesminister hat es mehrfach versprochen. Die Träger entsprechender Projekte haben Anspruch auf Vertrauensschutz. Der Deutsche Bundestag kann meiner Meinung nach nicht in einer Sache positiv, bei den Haushaltsmitteln dann aber negativ entscheiden.

(Lenzer [CDU/CSU]: Nennen Sie ein Projekt, das gefährdet ist!)

— Da gibt es eine ganze Menge. — (Zuruf von der CDU/CSU: Nur eins!)

— Wenn ich Ihnen kein Projekt nennen könnte, dann brauchen wir nicht zu sperren und nicht zu streichen, denn dann werden die Projekte alle weiter laufen. Sie wollen ja gerade an die Projekte heran.
Zweiter Grund, warum wir hier darüber abstimmen müssen: Die Ausschüsse des Deutschen Bundestages haben in dieser Sache unterschiedlich votiert. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat einstimmig empfohlen, den Mittelansatz nicht zu kürzen. Der Ausschuß für Forschung und Technologie hält eine wesentlich geringere Kürzung für angemessen. Im Haushaltsausschuß schließlich wurden 11 Millionen DM gestrichen. Wir halten angesichts dieser ganz verschiedenen Voten von Ausschüssen eine Entscheidung des Plenums für geboten.
Drittens. Ich weiß aus Gesprächen, daß einige Kolleginnen und Kollegen einzelnen Programmen im Rahmen dieses Titels skeptisch gegenüberstehen. Wenn Sie unserem Antrag zustimmen, bleibt eine Sperre von 9 Millionen DM und damit Gelegenheit, Anfang des nächsten Jahres mit großer Sorgfalt die ganze Palette der Programme durchzudiskutieren und darüber nachzudenken, ob Konsequenzen für die För-



Zander
derungskriterien notwendig sind. Dazu bieten wir unsere Mitarbeit an. Eine pauschale Kürzung aber, wie sie von der Mehrheit beschlossen wurde, lehnen wir wegen der verhängnisvollen Folgen für die Fortführung dieser Programme ab.

(Beifall bei der SPD)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, aus den von mir genannten Gründen beantragen wir zu diesem Antrag eine namentliche Abstimmung.
Danke.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104211700
Das Wort hat der Abgeordnete Austermann.

Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1104211800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zur SPD und zu den GRÜNEN stimmen wir natürlich dem Haushaltsentwurf in der geänderten Fassung zu und lehnen die beiden Anträge der SPD-Opposition ab.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind der Auffassung, daß der Haushalt eine gute Grundlage für neue Arbeitsplätze darstellt, nicht nur in der Spitzentechnologie. Der Forschungshaushalt leistet trotz seines geringen Anteils am Gesamthaushalt einen wichtigen Beitrag, um der Bundesrepublik auch weiterhin eine Spitzenstellung als Industriestaat zu sichern. In unserem Land hängt jeder dritte Arbeitsplatz überhaupt und jeder zweite in der Metallindustrie von der Entwicklung gerade auch neuer Technologien, vom Export ab. Deswegen ist es für die Zukunft entscheidend, insbesondere in der Dollar-Krise, daß es gelingt, bis zum Jahre 2000 technische Spitzenprodukte auf den Weltmarkt in Konkurrenz zu Japan und den USA abzusetzen, wobei die Spitzentechnologie weniger als Masse für die Ausfuhren von Bedeutung ist, sondern als Gütesiegel der deutschen Lieferanten wirkt.
Der technische Fortschritt muß genutzt und in den Dienst der Menschen gestellt werden. Dies beweisen folgende Fakten: Die innovationsstarken Branchen des verarbeitenden Gewerbes, die sich erneuert haben, haben die Beschäftigtenzahlen gesteigert, die innovationsschwächeren haben Arbeitsplätze verloren. Forschung und Technologie sind damit eine Aufforderung an schöpferische Kräfte, an junge Leute, die Zukunftsberufe suchen, die Naturwissenschaften neu zu werten.
Im Etat des Forschungsministers sind auch mit klarer finanzieller Konzeption die Akzente deutlich gesetzt. Es zeigt sich ein Wandel in den letzten fünf Jahren, der durch die Beratungen im Haushaltsausschuß noch unterstrichen worden ist.
Schwerpunkt Raumfahrt: Wir werden in den nächsten Jahren sicher 500 Millionen DM zusätzlich brauchen, um die neuen drei Großprojekte zu finanzieren. Wir haben durch eine Haushaltssperre abgesichert, daß keine Entwicklung ins Unverantwortliche erfolgt. Ich sage aber: Mit Horrorzahlen können wir von diesen wichtigen Projekten — Ariane 5, Columbus und Hermes — nicht abgelenkt werden. Allerdings müssen wir auch zugeben, daß uns die Entscheidung
schwergefallen ist, zumal immer mehr Papiere von ESA, DFVLR und dem Ministerium nicht mehr Klarheit gebracht haben. Das Management ist eindeutig verbesserungsbedürftig.
Die Koalition sagt ja zu den drei Weltraum-Großprojekten, ja zur bemannten Raumfahrt in einem finanziell vertretbaren Rahmen. Sie baut die deutsche Position in der Grundlagenforschung aus, die Wettbewerbsfähigkeit wird gestärkt, Wettervorhersage, Klimaforschung, Erderkundung können besser wahrgenommen werden. Die Wahrnehmung der Sicherheit über die Möglichkeit der Abrüstungskontrolle, Telekommunikation, das sind viele Stichworte, die einem zur Raumfahrt einfallen, die offensichtlich von der SPD nicht mitgetragen werden. Es wird in den nächsten Jahren allein durch diese Mehraufwendung im Raumfahrtbereich etwa 5 000 zusätzliche Arbeitsplätze geben.
SPD und GRÜNE waren im Ausschuß gegen die bemannte Raumfahrt. Hier ist der Präsident der MaxPlanck-Gesellschaft zitiert worden. Ich kann dazu nur sagen: Die Max-Planck-Gesellschaft leidet unter der Raumfahrtfinanzierung bisher nicht. Sie erhält 5 % mehr Geld im kommenden Jahr, zusätzliches Personal. Wir sagen allerdings: Eine Vernachlässigung zukunftsträchtiger Förderschwerpunkte wegen der Raumfahrt wird es nicht geben, aber — das gilt auch für die Max-Planck-Gesellschaft — auch keine Oasen für wissenschaftlichen Stillstand. Die Luft- und Raumfahrt ist im übrigen der einzige Bereich, wo Europa funktioniert, trotz der Bürokratie. Darauf sind wir stolz.
Im Rahmen der staatlichen Langzeitprogramme werden daneben Meeres-, Polar- und Kernfusionsforschung gefördert. Wir haben mit Interesse festgestellt, daß die SPD jetzt auch bei der Fusionsforschung aussteigen will. Daß sie gegen den Schnellen Brüter ist, wissen wir seit langem. Dann muß man sich aber auch nicht wundern, wenn Firmen, weil sie feststellen, daß es keine klare Haltung der nordrhein-westfälischen Regierung zu diesen technologischen Projekten gibt, aus Nordrhein-Westfalen abwandern. Dann muß man sich auch nicht wundern, wenn die Bundesregierung sagt: Wir sind nicht bereit, Zukunftsprojekte des Bundes in Nordrhein-Westfalen zu plazieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir fordern die Landesregierung auf, den Weg für die letzten zwei Genehmigungen für den betriebsbereiten Schnellen Brüter freizumachen.

(Zuruf von der SPD: Das ist ein toller Umgang mit Verfassungsorganen! — Weiterer Zuruf von der SPD: Ist doch klar!)

Wie sonst kann man in anderen Fällen unsere Unterstützung erwarten! Daß die SPD aussteigt, zeigen Ihre letzten Entscheidungen. Das bedeutet einen Verzicht auf gut tausend Arbeitsplätze, die heute vorhanden sind.
Neue Akzente setzen wir auch im Bereich erneuerbarer, umweltfreundlicher Energien. Wasserstoff, Wind und Sonne sollen stärker denn je genutzt werden. Ich kann dazu nur sagen: Im Haushaltsausschuß hat dazu keine Fraktion mehr getan als wir in den



Austermann
letzten Wochen, Monaten und Jahren. Jetzt kommt es darauf an, daß die Stromabnahmepreise der Energieversorgungsunternehmen erhöht werden, die Schlechterstellung gegenüber anderen Energiequellen wie der Kohle beendet und die Anwendung forciert wird. Dies dürfte auch ein Beitrag sein, die Situation in Norddeutschland zu verbessern.
Damit bin ich bei dem Stichwort „Norddeutschland". Wir haben in vielen Punkten in Einzelberatungen Projekte aufgenommen, die dazu beitragen sollen, das technologische Nord-Süd-Gefälle auszugleichen, welches das Arbeitsmarktgefälle zur Folge hat. Dazu gehört die Tatsache, daß die Meeresforschung bei uns eine größere Bedeutung erhält, daß wir z. B. die Mikroelektronik, das Vorhaben JESSI fördern und damit der Regionalpolitik Beachtung schenken. Dazu gehört, daß wir bei der Entscheidung über den Standort für eine deutsche Raumfahrtzentrale dem Norden eine faire Chance geben wollen.
Dazu gehört, daß wir Medizin- und Umweltforschung unter extremen Bedingungen, also für die Raumfahrt und die Unterwassertechnik, auch im Norden fördern wollen. Dazu gehört, daß wir beispielhaft an zwei Flüssen zum ersten Mal durch ein Drei-Jahres-Forschungsprogramm Badewasserqualität herstellen wollen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Dazu gehört die Windenergie. 35 Millionen DM stehen für neue Großprojekte bereit. Das Umweltzentrum Wattenmeer und zwei neue Forschungskutter sind ebenfalls vorgesehen. Es ist ein ganzer Katalog von Maßnahmen, die zwar nicht die institutionelle Forschungsüberlegenheit des Südens ausgleichen werden, aber einen spezifischen Aufgabenkreis für uns im Norden schaffen werden.
Wie bei den meisten genannten Schwerpunkten ist auch in der Grundlagenforschung seit 1982 eine Wende in der Forschungspolitik erkennbar. Die Grundlagenforschung ist ständig ausgeweitet worden. Sie hat jetzt eine Größenordnung von 35 % , die nicht überschritten werden sollte, wenn nicht die marktorientierte Technologieförderung Schaden nehmen soll. Zudem besteht der Eindruck — auch durch den jüngsten deutschen Physik-Nobelpreisträger Bednorz bestärkt — , daß bürokratische Grenzen im deutschen Forschungssystem echte Hemmnisse für Kreativität sind. Das muß uns allen zu denken geben. Hier ebenso wie bei der Wirtschaftsförderung mittelständischer Unternehmen werden Kreativität und die Machete des Entbürokratisierens dringend benötigt. Die Deutschen sind exzellente Forscher. Aber es darf doch nicht so sein, daß sie das nur in der Schweiz beweisen können. Das Leibniz-Programm des Forschungsministers ist ein guter Anfang. Wir unterstützen den Minister dabei und bei ähnlichen Initiativen, zu mehr Flexibilität zu kommen und auch die Forschung kleinerer und mittlerer Unternehmen stärker zu unterstützen.
Entbürokratisierung wird nicht erreicht, wenn jetzt statt des Ministeriums eine Erfinderberatung, ein Landesministerium, eine Vorschaltstelle der IHK und schließlich ein skeptischer Projektträger gefragt werden, falls sich ein Erfinder oder Forscher findet, der einen neuen Gedanken hat.
Wir helfen im übrigen den Unternehmen auch durch eine stärkere Auftragsforschung im nächsten Jahr, um den Wissenstransfer zu ermöglichen.
Schlagzeilen — bis zur persönlichen Verunglimpfung — hat während der Haushaltsberatungen die Diskussion über das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" gebracht. Ich verweise nur auf eine der letzten Ausgaben einer, wie ich glaube, kaum gelesenen Zeitung, nämlich des „Vorwärts" vom 14. November 1987.

(Dr. Vogel [SPD]: Sagen Sie doch mal die Abonementbedingungen!)

— Herr Kollege Vogel, Sie haben gestern an die Fairneß appelliert.

(Dr. Vogel [SPD]: Sagen Sie, wo man das Blatt bezieht!)

Aber da lese ich unter der Überschrift „Mit dem Rotstift Rambo gespielt" über mich zur Kritik am HdAProgramm: „Das galt, bis Dietrich Austermann vom inneren Schweinehund übermannt und der kleine Rambo in ihm aktiviert wurde und er gegen das HdAProgramm aufgetreten ist. "

(Dr. Vogel [SPD]: Dann lesen Sie mal den „Bayernkurier", Mann!)

Ob das fair ist, weiß ich nicht.
Ich sage Ihnen dazu eindeutig unsere Haltung. Wir sind für das HdA-Programm.

(Oho!-Rufe bei der SPD)

Wir haben nachher in der namentlichen Abstimmung darüber zu entscheiden. Aber wir haben es satt, daß dieses vom Ziel her gute Programm mißbraucht und damit diskreditiert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist in vielfältiger Form geschehen. Aber wenn wir für bessere Arbeitsbedingungen im Handwerk, im Speditions-, im Hotel- und Gaststättengewerbe sowie im Bergbau sind, müssen wir kein Steuergeld für gewerkschaftliche Selbsterfahrungszirkel und die Einführung der Datenverarbeitung in der Sachbearbeitung bei Nixdorf, der Volksfürsorge, der Bank für Gemeinwirtschaft, der Aachen-Münchener-Versicherung und im Sozialamt auch noch von Kleinkleckersdorf ausgeben. Es kann nicht Aufgabe des Forschungsministeriums sein, das, was die Tarifparteien zusammen zu tun haben, finanziell zu ermöglichen.
Wenn jetzt das Geld für gute Projekte tatsächlich ausgegeben ist, kann man natürlich nicht nachträglich sagen: Diese böse Regierung, diese bösen Abgeordneten wollten euch das Geld nehmen. Sondern es liegt daran, daß offensichtlich über Jahre hin — auch heute noch — Geld für falsche Projekte ausgegeben wurde.

(Vahlberg [SPD]: Und Sie wissen das!)

Wir wollen mit Forschungsgeld keine alten Hüte aufarbeiten. Was dort zum großen Teil passiert ist, hat mit Forschungspolitik nichts zu tun. Im Interesse der Zukunft unserer Arbeitnehmer brauchen wir ein



Austermann
HdA-Programm, daß die echten Gefährdungsbereiche beseitigt und mehr Luft für rasche Ergebnisse schafft.

(Vahlberg [SPD]: Haben Sie schon mal gearbeitet? Sie haben doch noch nie gearbeitet!)

— Ich habe schon Schicht gearbeitet und weiß deshalb, was das bedeutet und wo Schwierigkeiten bestehen, und ich weiß, daß die Schwierigkeiten nicht dort liegen, wo der DGB und die IG-Metall auf ihren Kongressen die Schwierigkeiten sehen wollen.
Mehr Luft für Erneuerung in unseren Forschungsstätten, Instituten und Betrieben, in allen Regionen des Bundesgebiets: Dazu wird dieser modifizierte Haushalt des tüchtigen Bundesforschungsministers einen wesentlichen Beitrag leisten.
Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104211900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wetzel.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104212000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gern ein Bekenntnis aufnehmen,

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ablegen sollen Sie eins!)

das Sie, Herr Minister Riesenhuber, und die Bundesregierung in den vergangenen Jahren immer wieder abgelegt haben, daß nämlich staatliche Forschungs- und Technologiepolitik wesentlich Vorsorgepolitik für die Zukunft sei. Dieses Bekenntnis ist doch wohl so zu verstehen, daß der Staat forschungs- und technologiepolitisch überall dort tätig werden sollte, wo ein gesellschaftlicher Bedarf besteht, der ohne staatliches Handeln nicht befriedigt werden kann.
Gemessen an diesem Ihrem eigenen Grundsatz, Herr Minister, ist der von Ihnen zu verantwortende Haushalt ein Zeugnis der Unterlassungen und des Versagens. Ich will das begründen: Gesellschaftlicher Bedarf an staatlicher Forschungs- und Technologiepolitik ergibt sich doch vor allem aus dem ganz aktuellen und immer stärker werdenden Problemdruck, unter dem wir alle stehen — ich nenne Beispiele —: aus der fortschreitenden Vergiftung von Boden, Wasser und Luft durch Tausende von Chemikalien, aus den täglich wachsenden Müllmassen, aus einem ruinösen Verkehrssystem, aus der drohenden Zerstörung unserer Erdatmosphäre oder auch aus einer auf Atomkraft setzenden Energiepolitik, die meint, das Restrisiko in Kauf nehmen zu dürfen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das schließt das Vorherige aus, das sollten Sie einmal zusammenführen!)

Gemessen hieran läßt dieser Forschungshaushalt die Bereitschaft der Bundesregierung kaum erkennen, sich mit solchen wirklichen Problemlagen aktiv auseinanderzusetzen. Wir GRÜNEN und mit uns wohl auch die nachdenklicheren Teile der Bevölkerung sind schlichtweg entsetzt darüber, welche Aufgaben Sie, Herr Minister, in Ihrem Haushalt als vorrangig
definieren. Weitere 1,9 Milliarden DM sollen für die Atomenergie ausgegeben werden,

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Zur Schonung der klimatischen Bedingungen auf der Erde!)

1,5 Milliarden DM für die Raumfahrt, 650 Millionen DM für die Beschleunigerforschung und 560 Millionen DM für die Kommunikations- und Informationstechnologien. Allein diese vier „Dinosaurier-Projekte" verschlingen insgesamt rund 4,6 Milliarden DM, und das sind beinahe zwei Drittel Ihres gesamten Forschungshaushalts. Und als kleine Anmerkung: Ein Großteil dieser angesetzten Mittel geht quasi in Form von staatlichen Subventionen an Konzerngruppen, die eine derartige Förderung nicht einmal nötig haben.

(Zuruf des Abg. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU])

Der entscheidende Punkt ist: Eine derartige Ausgabenstruktur im Forschungshaushalt schränkt den Handlungsspielraum für wirkliche Zukunftsvorsorge unerträglich ein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das gilt schon für 1988. Hinzu aber kommt, daß sich die Haushaltssituation durch die steigenden Ausgaben für die Raumfahrt in den nächsten Jahren noch erheblich zuspitzen wird. Auf die obskure, in sich widersprüchliche Haushaltspolitik des Kabinetts hat bereits der Kollege Zander hingewiesen

(Zander [SPD]: Zu Recht hingewiesen! — Lenzer [CDU/CSU] — Unverantwortlicherweise hingewiesen! — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Obwohl er es besser weiß!)

— zu Recht hingewiesen, ausdrücklich betone ich: zur Recht — und dieses Parlament sinnvollerweise darauf aufmerksam gemacht: Wenn es diesen Haushalt verabschiedet, weiß es nicht, was es tut.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Aber Zander weiß, was er sagt, bloß diesmal nicht!)

Meine Damen und Herren, ich will das nur ergänzen: Das hat sich doch auch bis zu Ihnen herumgesprochen; aus einer Fülle von Gesprächen, auch mit Kolleginnen und Kollegen von den Unionsparteien, weiß ich, daß Sie da Bauchschmerzen haben, insbesondere Finanzpolitiker. Finanzexperten sagen uns, bezogen auf die Raumfahrt: Heute setzen die ESA und mit ihr der Forschungsminister etwa 25 Milliarden DM bis zum Jahr 2000 an, auf der Basis der Preise von 1986.

(Vosen [SPD]: Die er gern hätte!)

Finanzexperten sagen uns: Wenn wir die notwendigen Preiskorrekturen vornehmen, wenn wir die systematischen Fehleinschätzungen, von denen wir bei großtechnologischen Projekten in der Vergangenheit immer wieder Zeuge wurden, berücksichtigen, dann wird dieser Betrag nicht ausreichen. Herr Minister, dieser Tage mußten Sie dem Schnellen Brüter in Kalkar noch einmal 35 Millionen DM für das nächste



Wetzel
Jahr nachwerfen. Und die sind nicht allein darauf zurückzuführen, daß der Schnelle Brüter nicht in Betrieb kommt. Meine Damen und Herren, Sie können doch selber rechnen:

(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

Wie hoch wäre denn der Kostenersatz für 1988 bei Nichtinbetriebnahme, wenn die Nichtinbetriebnahme monatlich 7 bis 8 Millionen DM kostet? Bitte, sieben mal zwölf. Was ist das?

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Dann bitte ich um eine systematische Zwischenfrage, damit ich sie auch systematisch beantworten kann. Mit derartigen schwachen Zurufen kann ich nichts anfangen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Finanzexperten sagen uns: Das Raumfahrtprogramm bis zum Jahr 2000 kommt uns 50 Milliarden DM zu stehen. Wie bereiten Sie eine entsprechende Finanzierung unter Berücksichtigung gesellschaftspolitisch notwendiger Prioritätensetzung in der Forschungs- und Technologiepolitik vor? Hier in der Raumfahrt ist es wie beim Schnellen Brüter das alte Spiel: Die industriellen Empfänger staatlicher Zuwendungen besorgen nicht nur die Programmgestaltung, sondern auch noch die Kostenabschätzung. Diese in aller Regel viel zu niedrig angesetzten Kalkulationen nimmt die Bundesregierung dann als Grundlage ihrer Haushaltsplanung. Ist der Zug dann einmal in Bewegung, dürfen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler immer neue IC-Zuschläge für eine Reise berappen, die in die Sackgasse der sozialen und ökologischen Unverträglichkeit mündet, weil Vorsorgepolitik nicht mehr finanzierbar ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist völlig zu Recht schon darauf hingewiesen worden: Dies ist das dickste Ei, das uns in diesen Haushalt hineingelegt wurde. Im Zusammenhang mit dieser Raumfahrtpolitik möchte ich Sie, weil das heute die letzte parlamentarische Möglichkeit ist, ehe Sie den Weg in die Irre antreten, noch einmal ausdrücklich
— ich bitte, mir abzunehmen: nicht aus Vorurteilen heraus — auf folgenden Punkt hinweisen. Wenn wir in dieses Raumfahrtprogramm einsteigen, so tun wir das, ohne daß vorher entsprechende Ost-West-Vereinbarungen herbeigeführt worden wären, die eine militärische Verwendung dieses Programms verhindern würden. Die prinzipelle Nichtabgrenzbarkeit von ziviler Nutzung und militärischem Gebrauch ist angesichts des unverhüllten Wettlaufs der Supermächte nach Weltraumwaffen ein Hauptgrund für unsere Ablehnung dieses Raumfahrtprogramms.
Wenn da behauptet wird, das alles sei nur eine Einbildung der GRÜNEN, so möchte ich Sie wenigstens mit einer Stellungnahme der Westeuropäischen Union vom 21. Juni 1984 konfrontieren. Dort heißt es
— ich zitiere wörtlich — :
Die Versammlung vertritt die Ansicht, daß das Raumfahrtpotential in der zukünftigen Kriegsführung
— in der zukünftigen Kriegsführung! —
eine Schlüsselrolle spielen wird, daß militärisch gesehen der Unterschied zwischen den Potentialen der weltraumfähigen Nationen beinahe ebenso groß sein wird wie der derzeitige Machtunterschied zwischen den Kernwaffenstaaten und den Nichtkernwaffenstaaten und daß Europa diese Tatsachen nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch dementsprechend handeln sollte.
Meine Damen und Herren, alle diejenigen unter Ihnen, die es mit Abrüstung in Europa ernst meinen, sollten zur Kenntnis nehmen, daß der Einstieg in das westeuropäische Raumfahrtprogramm unter den gegebenen Voraussetzungen den Friedensprozeß gefährden kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist eine meiner bittersten Enttäuschungen in diesem Parlament, daß das Raumfahrtprogramm, wenn überhaupt, nur absolut technizistisch diskutiert wurde. Wo ist im Auswärtigen Ausschuß über die außenpolitischen Impliktionen dieses Raumfahrtprogramms diskutiert worden? Da liegen so schwierige Probleme, daß ich mir gewünscht hätte, daß sich dieses Parlament nach sorgfältiger Beratung aller Facetten des Programms entschieden hätte und jetzt nicht einfach auf Grund einer Haushaltsvorlage — —

(Vor den Abgeordnetenbänken fliegt ein Insekt)

— Da fliegt eine Motte! Eine der wenigen, die es noch gibt. Selbst Sie erwischen sie nicht, Herr Lenzer.

(Glos [CDU/CSU]: Das ist die grüne Raumfahrtalternative! — Heiterkeit!)

— Konfrontiert mit dieser Alternative gehört meine Vorliebe dann wahrscheinlich doch diesen kleinen Tierchen.

(Lenzer [CDU/CSU]: Sie sollten Ihre Haustiere nicht mit ins Plenum bringen! — Heiterkeit)

— Herr Lenzer, bei Ihnen habe ich noch nicht so genau nachgeschaut.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, diese Debatte hat bekanntlich nicht stattgefunden. Das ist ein schweres Manko, das uns in Zukunft belasten wird. — Ich sehe, ich bin mit der Zeit schon weit vorangeschritten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann hören Sie doch auf! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104212100
Herr Abgeordneter, das ist richtig, aber Ihre Zeit ist noch nicht völlig abgelaufen. Fahren Sie fort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104212200
Ich will auf eines hinweisen: Dieser Haushalt hat sozusagen unter dem Titel auch positive Ansätze. Bloß: Wie steht es mit der entsprechenden Ausstattung? 5,8 Millionen DM für Technikfolgenabschätzung, 2,9 Millionen DM für die Friedens- und Konfliktforschung, 5,7 Millionen DM für die sozialwissenschaftliche Forschung, 5 Millionen DM für die Windenergieforschung und sogar ganze 7 Millio-



Wetzel
nen DM für die Erforschung der Zukunftstechnologie Wasserstoff.

(Zander [SPD]: Das sind Feigenblätter!)

Das sind die stolzen Posten, die das Bundesministerium für Forschung und Technologie für die Zukunftsvorsorge ausweist. Wenn ich diese Kosten einmal addiere und zu den vorhin genannten vier Dinosaurierprojekten, die zwei Drittel des Haushalts auffressen, ins Verhältnis setze, dann erhalte ich als Resultat: Die Zukunftsvorsorge macht ganze 0,6 % dessen aus, was die Bundesregierung für Raumfahrt, Atomenergie, Kernphysik und Computertechnologien auszugeben bereit ist.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Auch Atomenergie ist Zukunftsvorsorge!)

Das ist eine falsche Prioritätensetzung. — Das rote Licht blinkt. Ich hätte hier noch eine Menge zu sagen, aber ich kann es nicht sagen, weil das Wichtige, was kleine Parteien zu sagen haben — im Gegensatz zu dem, was die großen Parteien zu sagen haben — hier zu kurz kommt.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich muß schließen. Ich kann abschließend nur feststellen: In diesem Haushalt — —

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104212300
Herr Abgeordneter, Sie überstrapazieren die Großzügigkeit des Präsidenten; das muß ich Ihnen sagen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104212400
Darf ich einen letzten Satz sagen?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104212500
Ja. Aber bitte, dann muß es wirklich der letzte sein.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104212600
In diesem Haushalt geht es um Maximierung. Uns geht es um Optimierung von Technik im Sinne von Zukunftsvorsorge. Das wäre ein Prinzip vernünftiger Forschungs- und Technologiepolitik. Dieses Prinzip hat keinen Eingang in diesen Haushalt gefunden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104212700
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1104212800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß sich der Minister für Forschung und Technologie im Vergleich zu manch anderem Ressortkollegen in einer relativ faszinierenden und beneidenswerten Lage befindet,

(Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen!)

denn wenn ich seinen Haushalt mit anderen vergleiche, dann kann man viele andere Haushalte mit relativ ebenem Verwaltungshaushalt oder mit dem Stichwort Investivhaushalt überschreiben. Andere wieder werden bei Größenordnungen von 20 Milliarden DM
durch eine Ausgabeposition wie Kindergeld in Höhe von 18 Milliarden DM dominiert.

(Dr. Soell [SPD]: Auch das ist eine Investition!)

Der Etat des Forschungsministers mit sehr vielen kreativen Möglichkeiten hebt sich wohlwollend davon ab. Ich finde, das ist eine beneidenswerte Situation — ich hoffe, das in knappen 10 Minuten etwas skizzieren zu können —; denn mit diesem Etat sind Mittel und Möglichkeiten gegeben, die Forschung und die technologische Entwicklung in vielfältiger Weise zu starten und zu steuern. In einer solchen Aufgabe steckt ein sehr großer Reiz, manchmal sogar ein kleines Abenteuer, wie etwa das Stichwort Raumfahrt hier deutlich gemacht hat. Aber diese Abenteuer können wir, so hoffe ich, bewältigen.
Dieser Etat hat eine gewisse Schlüsselfunktion für einen Staat wie den unsrigen mit 60 Millionen Einwohnern und mit seiner politischen und wirtschaftlichen Einbettung. Es gilt, ihn für die Zukunft wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu halten und damit Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum zu sichern. In diesem Bereich haben Bildung, Forschung und Technologie natürlich einen ungemein hohen Stellenwert; denn mit anderen Voraussetzungen wie Rohstoffen oder einem übermäßig freundlichen Klima sind wir ja nicht sonderlich gesegnet. Wir müssen also durch unsere menschliche Leistung etwas für unseren Wohlstand und für diese Art des Lebens herausarbeiten.
Das geschieht mit Hilfe dieses Etats, den wir hier kurz vorstellen und zu dem wir, die FDP, — das sei schon an dieser Stelle gesagt — unsere Zustimmung geben. Er hilft, im rauhen weltweiten Wettbewerb wirklich unsere Position für die absehbare Zukunft zu erhalten. Es ist eine ganz wichtige Aufgabe in vielerlei Beziehung, die Bundesrepublik Deutschland nicht nur als leistungsfähigen, sondern auch als liberal angenehmen und leistungsfähigen Staat zu erhalten.
Kollege Zander, darum ist es nach meiner Meinung nur in einer gewissen Weise berechtigt und vielleicht doch etwas zu kurz gesprungen, wenn man die Rolle dieses Etats zu sehr an seinem Volumen mißt, ob man nun die absolute Zahl 7,7 Milliarden DM oder einen Zuwachs von 4 % nimmt. Es kommt doch vielmehr darauf an — —

(Zander [SPD]: Herr Zywietz, 190 Millionen DM globale Minderausgabe allein!)

— Ich glaube, ein etwas zu kleinliches Abschmecken des Volumens und die Frage, wie es sich entwickelt hat, sind nicht der entscheidende Punkt. Wichtiger scheinen mir vielmehr drei andere Punkte zu sein, nämlich erstens welche Entwicklungslinien man technologisch und forschungsmäßig startet und steuert, zweitens mit welcher Effizienz man es macht und drittens welches forschungspolitisch anregende, stimulierende Klima man durch diese staatlichen Vorgaben auch für Private und für die Privatwirtschaft in dem Sinne inszenieren kann, daß sie zum Mitmachen angeregt und nicht zum Nichtmitmachen verführt werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)




Zywietz
Das scheint mir über eine quantitative Messung hinaus im qualitativen Bereich von besonderer Bedeutung zu sein. Hier stellt sich dieser Etat deutlich verbessert dar.
Die Stichworte wie Informationstechnologie, Energieforschung, Weltraum-, Meeres- und Transportforschung können wir unterstreichen. Aber einen Gedanken möchte ich schon äußern, Herr Minister. Wenn ich als Haushälter auf diesen Haushalt schaue, dann scheint mir die Strukturierung dieser Stichworte noch nicht klar und gleichgewichtig genug zu sein. Ich meine damit, daß wir Datentechnik wirklich separat ausweisen und mit den entsprechenden Finanzmitteln ausstatten. Aber dann kommt eine Rubrik Raumfahrt, Meeresforschung und Transportsysteme. Mir sind alle drei Bereiche, jeder für sich, zu wichtig, als daß man sie in eine Schatulle werfen sollte. Ich fände es richtig, wenn wir einen Schwerpunkt Raumfahrt hätten. Ich hielte es für richtig, wir hätten einen Schwerpunkt maritime Forschung mit allem, was dazu gehört; denn das Meer und das Wasser sind eine Ressource, die wir noch intensiver und auch optisch hervorgehobener mit den entsprechenden Finanzmitteln angehen können.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das Meer bringt immer noch das gesündeste Nahrungsmittel, den Fisch!)

— So ist es. Ich kenne Ihre Vorliebe für diesen Bereich, die sich auf vielfältige Art äußert, Kollege Carstensen. In Nordfriesland kann das auch gar nicht anders sein.
Ich möchte auch sagen, daß hier noch etwas mehr Klarheit hineinzubringen ist. Ich wünschte mir, daß einige Pauschalansätze noch ein bißchen unterteilt werden. Wir haben Aufwand für nukleare und nichtnukleare Energieforschung. Aber was heißt das? Das heißt Kohle, das heißt rationelle Energieverwendung, das heißt Sonne und Wind. Auch hier könnte man etwas separieren und sich fragen, wieviel für die Kohletechnologie, wieviel für rationelle Energie und wieviel für wirklich additive — von alternativen will ich nicht reden — andere Energien aufgewendet wird. Dann würde, glaube ich, der Fingerzeig für das, was wir wollen, noch ein Stück klarer werden über das hinaus, was der Haushalt im Zahlensystem schon verdeutlicht.

(Zustimmung bei der FDP)

Dann hätten wir neben der Verwendungsrichtung auch eine größere Klarheit darüber, von welcher Institution oder Einrichtung die 7,7 Milliarden DM des Etats verwendet und umgesetzt werden. Ich habe das nur einmal grob überflogen und bin zu einer Liste von zehn Instituten gekommen: vom Max-Planck-Institut über die Fraunhofer-Gesellschaft usw. usw. Diese Institute verwenden 2,6 Milliarden DM, immerhin ein gutes Drittel.
Dieser Aufwand für diese Einrichtungen wird nach meiner Daumenpeilung zu ungefähr 50 % für Personalkosten verwendet. Darin steckt ja wohl die forschungs- und entwicklungspolitische Kreativität. Aber zu wissen, was in diesen Einrichtungen geschieht, wie effizient die Mittel eingesetzt werden, deren Umsetzung zu verfolgen ist, glaube ich, des
Schweißes des Edlen wert. Das wäre vielleicht eine Anregung, eine Empfehlung für die Zukunft.
Denn — damit möchte ich noch auf einen Punkt zu sprechen kommen; damit mag ich mich hier und da auch im Widerspruch zur Regierung befinden — ich habe aus meinem Beurteilungskreis vielfach den Eindruck gewonnen, daß manches in diesen Forschungseinrichtungen nicht gar zu frisch, zu beweglich oder zu flexibel vorgeht. Ich könnte es auch etwas härter ausdrücken: Je größer die Einrichtung und je weiter sie von Bonn entfernt ist, desto großzügiger wird mit mancher D-Mark umgegangen.
Ich empfehle diesen Gesichtspunkt Ihrer gesteigerten Aufmerksamkeit, damit sich in diesen Einrichtungen das Kosten-Nutzen-Denken noch stärker etabliert und damit auch manche Presseveröffentlichung nicht mehr erfolgt, in der allzu selbstverständlich des Steuerzahlers hart erarbeitetes Geld verlangt wird. Vielleicht werden wir dann dazu kommen, daß nicht jeder, der etwas kritisch ist, für einen hinsichtlich dieser Thematik nicht hinreichend Vor- oder Ausgebildeten gehalten wird. Ein elfenbeinturmmäßiger Hochmut aus manchen Bereichen der Forschung ist nicht angemessen, wenn man mit des Bürgers Steuergeld umgeht. Ich will es bei dieser Andeutung belassen.
Mir ist in vielfältiger Weise deutlich geworden, daß auch noch so ehrenwerte Vorhaben nicht so apodiktisch und selbstverständlich vom Steuerzahler abverlangt werden können. Dazu handelt es sich um zu hohe Summen. Dazu ist die Mühsal, Steuern zu erarbeiten, zu groß. Die teilweise anzutreffende Selbstverständlichkeit der Ausgabe von Steuergeldern steht dazu im Widerspruch.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

Mit einem Lob möchte ich das ansprechen, was sich im Zusammenhang mit der deutsch-französischen Zusammenarbeit und daraus folgend aus Eureka entwickelt hat. Das scheint mir von der Idee, von der Inszenierung und von der Ausstattung mit sehr vielen marktwirtschaftlichen Instrumenten her eine sinnvolle Veranstaltung zu sein.

(Vosen [SPD]: Das scheint mir das jetzt aber nicht so zu sein!)

Ich habe eher den Eindruck, daß man manche der internationalen Großeinrichtungen wie ISPRA, das ich ein bißchen kennenlernen konnte, oder auch CERN am Genfer See — Einrichtungen, die 250/270 Millionen DM aus dem Einzelplan 30 bekommen — sehr wohl etwas mehr auf den Pfad der Tugend in Richtung einer etwas höheren Effizienz leiten könnte. Der Anteil an bundesdeutschem Personal sollte mehr dem Anteil entsprechen, den wir an der Finanzierung dieser Organisationen haben. Ich habe einige dieser Organisationen überprüft und überall feststellen müssen, daß wir mehr zahlen, als unserem stellenmäßigen Anteil entspricht. Das wollen wir zwar nicht auf die Briefwaage legen, aber die Adäquanz muß zukünftig mehr gegeben sein, als es feststellbar war.
Ich möchte noch zwei oder drei Gesichtspunkte erwähnen. Forschung und Entwicklung werden mit öffentlichen Mitteln gestartet, inszeniert. Wir müssen



Zywietz
uns aber bei manchen Dingen eher wieder ausklinken, und — salopp gesagt — das Forschungskind muß auf eigenen, auf marktwirtschaftlichen Beinen laufen lernen. Im Bereich der Datentechnik muß man auch einmal abgeben können, auch im Bereich der Energieforschung und der Energietechnik muß man an die Branchen abgeben. Diese müssen es übernehmen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104212900
Herr Abgeordneter, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten.

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1104213000
Ich bitte um etwas Nachsicht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104213100
Etwas Nachsicht ja. Bitte beeilen Sie sich.

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1104213200
Okay. Vielleicht ist das ein Thema, das man auch einmal in den Fraktionen besprechen muß. In zehn Minuten ist ja kein Gedanke zu entwikkeln.

(Zustimmung bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Diese Haushaltsberatungen entarten ja immer mehr zur Selbstdarstellung der Exekutive und einer Einengung, die irgendwo über das Erträgliche hinausgeht. Ich will nicht unhöflich sein, aber als Parlamentarier möchte ich das einmal mit Selbstbewußtsein gesagt haben.
Ich möchte noch auf zwei Punkte zu sprechen kommen. Ich habe es nie verstanden, daß wir in einem so großzügigen Ausmaß Energieforschung betrieben haben; denn die Unternehmen, die Elektrizität verkaufen, sind von uns gut bedient durch die regionalen Märkte, die von Konkurrenz freigehalten werden.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt, sie verdienen mit dem Produkt Energie Geld. Ich habe nie verstanden, warum sich diese Unternehmen nicht auf der Grundlage der Selbstfinanzierung eigene Gedanken machen, welches Produkt sie in der Zukunft eigentlich verkaufen wollen, sondern erwarten, daß der Staat diese Aufgabe finanziert. Ich nehme das einmal als Beispiel, damit die Stafettenübergabe von öffentlicher Förderung zu privatwirtschaftlichem Tun etwas eher und etwas intensiver beginnt.
Ich schenke mir den Hinweis auf HdA und das viele Gute, das — —

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104213300
Herr Abgeordneter, ich muß Sie jetzt ernsthaft bitten, zum Schluß zu kommen; sonst muß ich Ihnen tatsächlich das Mikrofon abschalten. Das wäre mir sehr unangenehm.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Auch uns!)


Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1104213400
Ich will auf das Stichwort HdA, das ich mir notiert hatte, und auf die Raumfahrt nicht weiter eingehen.
Ich möchte als Schlußbemerkung sagen, daß es mich als Neuling und Mitberichterstatter, der das erste Mal bei diesem Etat tätig war, sehr gefreut hat — ich habe drei oder vier Vergleichsmöglichkeiten —, zu sehen, mit welcher Intensität sich gerade dieser Minister zu seinem Haushalt bekannt hat und den kritischen Dialog mit den Berichterstattern geführt hat.
Ich bedanke mich für die Großzügigkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104213500
Das Wort hat der Abgeordnete Vosen.

Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1104213600
Herr Präsident, ich stelle fest, anscheinend ist auch noch diese Redezeit an den Vorredner gegangen. Ich möchte Sie bitten, mir die Redezeit zuzuweisen, die mir eigentlich zusteht.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Dann wäre Ihre Rede schon jetzt zu Ende! — Heiterkeit)

Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, drei Minuten Redezeit verbleiben mir. In dieser Zeit will ich mich auf ein Thema konzentrieren, nämlich auf das Thema Minister Riesenhuber.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Minister Riesenhuber ist ein Mann des Wortes. Er ist verbal sicherlich sehr stark.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das erweckt den Eindruck, daß er ein guter Minister ist,

(Beifall bei der CDU/CSU) was bei diesem Kabinett sehr leicht fällt.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Verlassen wir aber jetzt den Minister des Wortes und kommen zum Minister der Tat. Ich habe nicht den Eindruck, daß er ein Minister ist, der viel zu sagen hat, wenn es um die Tat geht. In dieser Hinsicht hat etwas zu sagen Herr Strauß, wenn es um die Luft- und Raumfahrt geht; da hat etwas zu sagen Herr Genscher; da hat etwas zu sagen der Herr Bangemann, wenn es um SDI und Technologietransfer geht; da hat etwas zu sagen der Herr Stoltenberg als wirklicher Forschungsminister. Neuerdings haben wir noch einen Forschungsminister, den Kollegen Austermann, der in der Lage ist, dem Minister das Programm HdA unter den Händen zusammenzustreichen.
Das heißt, wir haben einen Minister, der viel sagt, aber nichts zu sagen hat. Das ist eine schlimme und traurige Sache. Wenn das dazu führt, daß jetzt im Forschungshaushalt der Anteil der Mittel für die Luft- und Raumfahrt am Gesamtvolumen des Einzelplans von 13 % auf 23 % hochgefahren wird und damit praktisch wie mit einem Riesenbagger in den Forschungshaushalt hineingefahren wird, so zeigt das die Schwäche dieses Ministers, der sich gegenüber Stoltenberg nicht durchsetzen kann.

(Austermann [CDU/CSU]: 15%!)

Meine Damen und Herren, die Luft- und Raumfahrt wird ein dominierender Teil des Haushalts, so dominierend, daß wir demnächst nicht mehr vom Forschungshaushalt, sondern vom Raumfahrthaushalt



Vosen
werden sprechen müssen. Das geht zu Lasten der gesamten übrigen Forschung in der Bundesrepublik.

(Zuruf von der CDU/CSU: Du weißt es doch besser!)

Meine Damen und Herren, wir können Ihnen schon jetzt sagen: Das, was hier im einzelnen ablaufen soll, ist Raubbau an der deutschen Forschung.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Ein völlig überflüssiger Beitrag!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104213700
Das Wort hat der Bundesminister für Forschung und Technologie.

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1104213800
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vergangenen fünf Jahre waren für Forschung und Technikentwicklung in Deutschland sehr gute Jahre.

(Zuruf von der SPD: Teilweise!)

Herr Zander hat darüber gesprochen, daß die Forschung im Haushaltsplanentwurf der Bundesregierung nicht den angemessenen Rang einnehme. Herr Zander, die gleiche Debatte haben wir vor einem Jahr geführt. Damals habe ich Ihnen anhand der Zahlen gezeigt, daß in der Zeit, in der das Volumen des Bundeshaushalts um knapp 10 % zugenommen hat, der Forschungshaushalt um 15 % gewachsen ist. Dabei ist noch nicht berücksichtigt — Sie sprachen von Erblast — , daß wir eine Erblast von 600 Millionen DM in einem Nachtrag zum Haushaltsplan 1982 abdecken mußten, die im Vorgriff auf die Zukunft aufgehäuft worden war, ohne daß der Betrag durch den Haushalt gedeckt war. Das ist die tatsächliche Erblast, wenn man überhaupt von einer solchen sprechen kann.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Wenn man vom Haushalt dieses Jahres spricht — ich gehe einmal vom Regierungsentwurf aus — , so muß man festhalten: Der Regierungsentwurf sieht für den Gesamthaushalt im Durchschnitt eine Steigerung um 2,4 % vor, während die Steigerungsrate beim Forschungshaushalt 5 % beträgt. Damit hat die Regierung Prioritäten gesetzt. Damit im Zusammenhang ist auch das zu sehen, was Sie, Herr Zander, in einen anderen Zusammenhang gebracht haben. Sie sprachen ja darüber, wie der Finanzminister einen Beitrag zu den Großprojekten leisten würde. Ich habe festgestellt, daß wir 1985 vereinbart haben, daß die Hälfte der Beiträge für Columbus und Ariane bis zum Jahre 1988 — und für 1988 kann ich es Ihnen zeigen — aus dem Gesamthaushalt beigebracht wird. Der Zuwachs des Jahres 1988 für die Projekte beträgt 306 Millionen.

(Zurufe des Abg. Zander [SPD])

Entschuldigen Sie, Sie können es doch an den Haushaltszahlen ablesen! Der Haushalt hatte eine Steigerung von 4,96 %.

(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! — Jawohl!)

Von diesen 4,96 % sind 2 % ein zusätzlicher Beitrag des Finanzministers für die Großprojekte.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

Der Finanzminister hat sich ausweislich des Regierungsentwurfs an die Absprachen gehalten. Ich spreche über 1988. Für 1988 ist zu beschließen. Was die Jahre danach anlangt, so ist dem Parlament dann Kenntnis zu geben.

(Widerspruch bei der SPD)

Was in diesen Jahren weiter geschehen ist, war in einer besonderen Weise erfreulich. Die Dynamik, die sich in der Forschungslandschaft entwickelt hat, war nicht vor allem eine Dynamik des Staates; sie war eine Dynamik der Wirtschaft. In der Zeit, in der der Forschungshaushalt um 15 % gestiegen ist, sind die Aufwendungen der Wirtschaft um ca. 50 % gestiegen. Wir sind gegenüber den Konkurrenten dort am stärksten, wo der Beitrag der Wirtschaft am stärksten ist. Vor uns liegt nur noch Japan. Damit haben wir die Ausgangslage für einen Wettbewerb, in dem wir bestehen werden.
Die Frage, ob der Haushalt stimmt, gilt auch für die Strukturen und für die Grundlagenforschung. Es ist gesagt worden, die Max-Planck-Gesellschaft sei um die Grundlagenforschung besorgt; Sie haben sich darauf bezogen. Aber allein der Zuwachs der Ausgaben für Grundlagenforschung im Haushalt des Forschungsministers seit 1982 ist mit 1 Milliarde DM so groß wie der Weltraumhaushalt insgesamt in diesem Jahr. Das sind die wirklichen Relationen, und das zeigt die Prioritäten, die wir für die Grundlagenforschung gesetzt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben im Input durchaus einiges erweitert, und wir haben auch Erfolge von der Wissenschaft bis zu den Märkten. Diese Erfolge haben sich — der Kollege Zywietz hat zu Recht darauf hingewiesen — nicht nur in den Zahlen niedergeschlagen, sondern auch in der Zuversicht und in dem Geist, mit dem man herangegangen ist. 1982 war im Werkzeugmaschinenbau unsere mittelständische Industrie in Schwierigkeiten. 1986 hat kein Land so viele Werkzeugmaschinen verkauft wie Deutschland.

(Zuruf von der SPD: Ja, dank Riesenhuber!)

— Ja, auch!
Der Kollege Roth hat in der ersten Lesung des Haushalts dargelegt, wir täten zuwenig für die Schlüsseltechnologien. Nun, wir streuen nicht über beliebige Bereiche, aber Schlüsseltechniken wie Fertigungstechnik, Informationstechnik, Materialwissenschaften, Biowissenschaften, die physikalischen Technologien bis zu Laser und Supraleitung, das sind Bereiche, in denen wir in diesen Jahren die Mittel von 0,8 Milliarden auf 1,4 Milliarden DM gesteigert haben. Wir setzen die Akzente dort, wo die Schwerpunkte sein müssen, und natürlich trägt dies zur Wettbewerbsfähigkeit auf den Märkten bei. Das Resultat zeigt das eindeutig.
Der Herr Kollege Wetzel hat sich voll Sorge über die Frage der relativen Gewichtung geäußert. Herr Wet-



Bundesminister Dr. Riesenhuber
zel, ich konnte nicht alle Ihre Zahlen mitschreiben, aber ein paar möchte ich einmal unter die Lupe nehmen. Sie sprachen hier von 5 Millionen DM für Windenergie. Die wirkliche Zahl ist 34 Millionen DM. 5 Millionen DM betreffen allein Forschung und Entwicklung. Bei der Windenergie sind jedoch die Investitionen der größere Teil.
Sie sprachen über 5,8 Millionen bei TA. Ich habe hier dargestellt— und in Papieren im einzelnen ausgeführt — , daß wir über eine Vielzahl von Titeln insgesamt 100 Millionen für TA ausgeben, eine Summe, die es noch nie gab. Denn TA ist in den Gesamthaushalt zu integrieren, sie ist nicht als ein isolierter Titel zu betrachten.
Sie sprachen über die Frage der Aufwendungen für Vorsorgeforschung. Unser Haushalt ist hier um 15 gestiegen; die Forschung für Gesundheit, Umwelt und Ökologie ist sogar um das Fünffache gestiegen.
Sie sprachen über Klima. Die Mittel für Klimaforschung haben sich in den Jahren seit 1982 versechsfacht. Wir haben dort, wo wir Verantwortung tragen, die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Staat seine Pflichten erfüllt.
Sie haben hier über die Frage der Humanisierung des Arbeitslebens gesprochen. Ich möchte es einmal ganz klar sagen: Ich halte dieses Programm für ein wichtiges und für ein richtiges Programm. Ich bin bereit, an jeder Stelle, an der Kritik angemeldet werden kann, das mit den Fraktionen und mit den Ausschüssen im einzelnen durchzusprechen. Gerade bei der Dynamik, mit der sich Neues entwickelt, müssen wir hier immer mit den kundigen Kollegen überprüfen, was da ist. Was jetzt an Finanzmitteln vorgesehen ist, ist nicht der Ansatz, den wir eingebracht haben.
Ich habe unseren Ansatz bis zur letzten Entscheidung im Haushaltsausschuß vertreten. Aber der Etat erlaubt nach der von uns angestrebten Entsperrung noch 10 % neue Projekte im nächsten Jahr auf zugreifen. Damit ist dieses Programm offen für die weitere Gestaltung. Genauso werden wir es anlegen.
Wir haben — ich bin da sehr dankbar für den Hinweis des Kollegen Austermann — nicht nur über Geld gesprochen. Wir haben auch über Fragen gesprochen, die sich in Geld nicht darstellen lassen: über die Qualifikation, über den Wandel von Techniken, über Mikroelektronik und Arbeitsplätze, daß der Chip ein Job-Knüller, nicht ein Job-Killer ist, über den verantwortlichen Umgang mit biologischer Sicherheit, über den Umgang mit menschlichem Erbgut. Das sind Themen, die vorher nicht da waren oder nicht bearbeitet worden sind, die aber zu einer umfassenden und verantwortlichen Gestaltung von Forschungspolitik dazugehören, und die wir aufgebaut haben.
Wir haben auch neue und sehr große Projekte aufgegriffen. Herr Zander und Herr Wetzel, Sie haben Sorge über die großen Projekte im Weltraum geäußert. Herr Zander, ich erinnere mich an eine Debatte. Sie liegt etwa drei Jahre zurück. Da haben Sie gesagt: Die Großprojekte, die der Forschungsminister in der Grundlagenforschung angegangen ist, werden in wenigen Jahren den Haushalt erdrücken. Sie haben gesagt, daß diese Kosten immer und überall gestiegen seien und daß es auch hier so sein werde. Wir haben
nach diesen Jahren über die Großprojekte Bilanz gezogen, und zwar über alle, über solche, die wir geerbt haben, wie den Hochtemperaturreaktor und den Schnellen Brüter und über solche, die wir neu angefangen haben, wie die Forschungsschiffe oder die großen Beschleuniger. Wir stehen heute bei diesen Projekten im Rahmen der Voranschläge. Das größte Projekt, der Beschleuniger Hera, ist nach dem heutigen Stand mit 1,360 Milliarden DM veranschlagt. Die Aufträge sind vergeben. Er wird mit 1,360 Milliarden DM geliefert.
Ich garantiere damit nichts.

(Abg. Zander [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Herr Zander, lassen Sie es mich im Zusammenhang darstellen. Ich habe hier nur eine ganz begrenzte Zeit. Ich will mich an die vorgegebene Zeit halten.
8,3 Milliarden DM sind eine große Summe. Ich kann nicht garantieren, daß dies angesichts der Zeitspanne auf Punkt und Komma so bleibt. Aber wir haben bei der ESA unter deutschem Vorsitz Korsettstangen eingezogen, wie es sie bei Großprojekten noch nie gab. Wir haben festgelegt, daß um 15 bis 20 To gekürzt werden soll. Wir haben Phasen von drei Jahren als Zwischenprüfung angelegt. Wir haben die Bedingungen zur Weiterführung festgelegt.
Wenn wir hier große Projekte haben wollen, dann muß sich Europa entscheiden, ob es bereit ist, in den Wettbewerb der Nationen einzutreten oder auf Dauer den USA und der Sowjetunion die großen Felder zu überlassen. Ich glaube, daß das alte Europa seinen Platz hier zu besetzen hat, mit den USA und mit der Sowjetunion in einem friedlichen Wettbewerb über große Ziele und Projekte, die wir anzugehen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104213900
Herr Bundesminister, ich möchte Sie unterbrechen, um die notwendige Ruhe im Hause herzustellen. Ich weiß nicht, ob dieser Versuch hoffnungslos ist, aber ich möchte es wenigstens versuchen. Die Unruhe ist ja auch ein Akt der Unhöflichkeit gegenüber den Kollegen, die zuhören wollen. Ich bitte diejenigen, die sich weiter unterhalten wollen, den Saal zu verlassen. Sie können ja dann zur namentlichen Abstimmung wieder hereinkommen. Versuchen wir es noch einmal!

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1104214000
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte schließlich noch eine Frage aufgreifen, die als grundsätzliche Frage angesprochen worden ist. Herr Zander sagte es in einem Nebensatz. Er hat es, wenn ich es recht verstehe, sowohl politisch als auch technisch angesprochen. Er sagte: In Europa haben wir zu zahlen, aber wir gestalten nicht wirklich.
Ich darf das Gegenteil hier einmal an einigen Beispielen zeigen. Wir haben im letzten Jahr über das Rahmenprogramm zur Technologie in Europa entschieden. Daß es entschieden worden ist, daß es so entschieden worden ist, daß sich alle Nationen trotz schwieriger unterschiedlicher Standpunkte zusammengefunden haben — ich könnte es Ihnen hier an



Bundesminister Dr. Riesenhuber
Beispielen und am Verlauf der Debatte zeigen — , war nicht zuletzt ein Beitrag der deutschen Delegation.
Wir haben über ESA gesprochen. Ich darf es hier einmal salopp sagen: Vor der ESA-Ratstagung war niemand sehr erpicht darauf, die Präsidentschaft zu übernehmen, weil die Wahrscheinlichkeit als nicht groß eingeschätzt wurde, daß man die Nationen, die großen und die kleinen, beisammenhält. Unter deutscher Präsidentschaft ist nicht nur ein Konsens der Großen herausgekommen, wobei wir mit Großbritannien noch reden werden, sondern eine Gemeinschaft mit allen kleinen europäischen Nationen. Europa wird aus allen Nationen, großen und kleinen, wachsen, oder es wird seine Rolle nicht spielen. Deshalb ist es ein wesentlicher Beitrag wenn wir hier etwas tun und erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Zywietz hat auf EUREKA, seine marktwirtschaftliche Kraft, hingewiesen. Es war eine deutschfranzösische Idee, was hier als eine Eigendynamik entstanden ist, die dazu führte, daß bei den letzten Projektbündeln festgestellt werden konnte, daß mehr als die Hälfte ohne staatliche Zuschüsse auskommt. Das ist Eigendynamik aus einem Markt heraus; ein Europa, das auch von den Unternehmern gestaltet wird. Das wollen wir hier als Ansatz haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben eine Reihe von Verträgen abgeschlossen. Wir haben das Abkommen über wissenschaftlichtechnische Zusammenarbeit mit der Sowjetunion geschlossen. Wir haben die Reaktorsicherheit in den Mittelpunkt gestellt. Wir sind zusammen über die Grenzen der Völker hinaus für eine gemeinsame technologische Kultur in einer verletzlichen Welt verantwortlich. Deshalb haben wir dies aufgenommen und durchgebracht, übrigens mit Einbeziehung von Berlin und der Berliner Wissenschaft in vollem Umfang, wie es unserem Verständnis von unserem Land und unserer Wissenschaft entspricht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben das Abkommen mit der DDR abgeschlossen, ein Abkommen, das dem freien Fluß von Wissen, die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern ermöglicht, wiederum unter Einbeziehung von Berlin. Auch dieses Abkommen soll die wissenschaftlichen Gemeinschaften hüben und drüben so zusammenführen, daß wir gemeinsam Aufgaben lösen können. Das ist der Geist, aus dem Zukunft in Europa entsteht — aus gemeinsamen Zielen und nicht nur aus Kompromissen. Und wo zuerst soll das geschehen, wenn nicht in der Zusammenarbeit von Deutschen aus beiden Teilen unseres Landes?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zander [SPD]: Sagen Sie mal was zum Haushaltsloch und zum Geld! — Vosen [SPD]: Sie haben gar kein Geld!)

Wir haben schließlich, bei dem, was wir angegangen haben, die Möglichkeit geschaffen, auf gemeinsame große Ziele dort hinzuarbeiten, wo es die Kraft des einzelnen überschreitet. — Über Weltraum, Technik, Wissenschaft und Nutzung, haben wir viel gesprochen. Aber auch eines soll man sehen: Die Weltraumtechnik ist eine der großen Aufgaben, die europäische Länder allein, einzeln, nicht lösen können. Europa wird dann entstehen, wenn wir gemeinsame Ziele angehen, die die Kraft des einzelnen überschreiten, wenn aus dieser Gemeinsamkeit Gemeinschaft auf Zukunft hin wächst. Europa in einer friedlichen Welt entsteht dann, wenn die Nationen im Hinblick auf große Ziele zusammenarbeiten, in Umweltforschung, in Klimaforschung, in der Bekämpfung der Verunreinigungen der Luft, aber auch in großen technologischen Projekten. Und hier wird Deutschland seinen Beitrag leisten, in dem Anspruch an uns selbst, das Beste zu leisten, in der Gemeinschaft der Wissenschaft, in der Konkurrenz auf den Märkten und in einem Beitrag zur verantwortlichen Gestaltung einer begrenzten und verletzlichen Erde.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104214100
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Zunächst rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1290 auf.
Wer stimmt diesem Änderungsantrag der GRÜNEN zu? — Wer stimmt dagegen? — Damit ist dieser Antrag mit überwiegender Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1311 zur Abstimmung auf. Hier hat die SPD-Fraktion gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung beantragt.
Ich frage, ob die Urnen mit den Schriftführern entsprechend besetzt sind. —

(Zurufe: Ja!)

— In Ordnung. Dann kann ich die Abstimmung eröffnen.
Ich darf die Geschäftsführer fragen, ob wir schließen können. Bei den GRÜNEN? — Bei der SPD? — Bei der Union? — Dann frage ich noch einmal, ob sich ein Mitglied des Hauses im Saale befindet, das die Stimme noch nicht abgegeben hat. — Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte um Verständnis, daß wir für ein paar Minuten unterbrechen müssen, bis wir die Auszählung vorgenommen haben. Dann können wir über den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1312 und über den gesamten Einzelplan abstimmen. Ich bitte die Damen und Herren Abgeordneten, im Hause zu bleiben.
Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung von 17.39 bis 17.46 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und bitte, Platz zu nehmen, damit ich Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekanntgeben kann.
Meine Damen und Herren, das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1311 lautet: Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 387 ihre Stimme abgegeben. Ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben gestimmt: 171, mit Nein haben gestimmt: 215; ein Mitglied dos Hauses hat sich der Stimme enthalten. 15 Berliner Abgeordnete haben



Vizepräsident Cronenberg
ihre Stimme abgegeben. Ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 6, mit Nein 9 Abgeordnete gestimmt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 385 und 15 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 170 und 6 Berliner Abgeordnete
nein: 214 und 9 Berliner Abgeordnete
enthalten: 1
Ja
SPD
Frau Adler Amling
Andres
Dr. Apel Bachmaier Bahr
Bamberg
Becker (Nienberge)

Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Dr. Böhme (Unna) Börnsen (Ritterhude) Brandt
Büchler (Hof)

Frau Bulmahn Catenhusen
Frau Conrad
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Diller
Frau Dr. Dobberthien Dreßler
Dr. Emmerlich
Erler
Esters
Ewen
Frau Faße
Fischer (Homburg)

Frau Ganseforth
Gansel
Dr. Gautier
Gerster (Worms)

Gilges
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Grunenberg
Hasenfratz
Dr. Hauchler
Heistermann
Dr. Holtz Horn
Huonker Ibrügger Jahn (Marburg)

Jansen
Jaunich
Dr. Jens
Jung (Düsseldorf) Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kißlinger Klein (Dieburg)

Kolbow
Koltzsch Kretkowski
Kühbacher Kuhlwein Leidinger Lennartz Leonhart Lohmann (Witten)

Lutz
Frau Dr. Martiny
Meyer
Müller (Düsseldorf) Müller (Schweinfurt) Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier
Dr. Nöbel Frau Odendahl Oesinghaus
Oostergetelo
Paterna Pauli
Dr. Penner
Peter (Kassel)

Pfuhl
Porzner Purps
Reimann Frau Renger
Reschke Reuter
Rixe
Roth
Schäfer (Offenburg) Schanz
Dr. Scheer Scherrer Schluckebier
Frau Schmidt (Nürnberg) Schmidt (Salzgitter)
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schröer (Mülheim) Schütz
Seidenthal Frau Seuster
Sielaff
Sieler (Amberg)

Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Stahl (Kempen)

Frau Steinhauer
Stiegler Dr. Struck
Toetemeyer
Frau Traupe
Vahlberg
Voigt (Frankfurt)

Vosen
Waltemathe
Walther Weiermann
Frau Weiler Westphal
Frau Weyel
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche Wimmer (Neuötting)

Dr. de With Wittich
Zander
Zeitler
Zumkley
Berliner Abgeordnete
Dr. Mitzscherling Stobbe
Dr. Vogel
Wartenberg (Berlin)

DIE GRÜNEN
Frau Beck-Oberdorf
Frau Brahmst-Rock Brauer
Dr. Briefs
Dr. Daniels (Regensburg) Ebermann
Frau Eid
Frau Flinner Frau Garbe
Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich Hoss
Hüser
Kleinert (Marburg)

Frau Krieger
Dr. Lippelt (Hannover) Dr. Mechtersheimer Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Rust
Frau Schilling Schily
Frau Schmidt-Bott
Frau Schoppe Stratmann
Frau Teubner Frau Trenz
Frau Unruh
Frau Vennegerts Frau Dr. Vollmer Weiss (München) Wetzel
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny Wüppesahl
Berliner Abgeordnete
Frau Olms Sellin
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Austermann
Bauer Bayha
Dr. Becker (Frankfurt) Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank
Dr. Blens
Börnsen (Bönstrup)

Dr. Bötsch
Bohl Bohlsen
Borchert
Breuer
Carstens (Emstek)

Carstensen (Nordstrand)

Dr. Czaja
Daweke
Frau Dempwolf
Deres Dörflinger
Dr. Dregger
Echternach
Eigen
Engelsberger
Dr. Faltlhauser
Dr. Fell
Fellner
Frau Fischer
Fischer (Hamburg)

Francke (Hamburg)

Dr. Friedmann
Fuchtel
Ganz (St. Wendel)

Frau Geiger
Geis
Dr. von Geldern
Glos
Dr. Göhner
Dr. Götz
Gröbl
Dr. Grünewald
Günther
Dr. Häfele
Harries
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser (Esslingen)

Hauser (Krefeld)

Hedrich
Freiherr Heereman von Zuydtwyck
Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann (Soltau)

Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning
Dr. Hüsch
Dr. Jahn (Münster)

Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung (Limburg)

Jung (Lörrach)

Kalb
Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes
Frau Karwatzki
Kiechle
Klein (München)

Dr. Köhler (Wolfsburg)

Kolb Kossendey
Kraus Krey Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz (Weiden)

Lamers
Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann
Dr. Laufs
Lenzer
Frau Limbach



Vizepräsident Cronenberg
Link (Frankfurt)

Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold (Offenbach) Louven
Maaß
Frau Männle
Magin Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Miltner
Müller (Wadern)

Müller (Wesseling)

Nelle
Neumann (Bremen)

Dr. Olderog
Oswald Pesch
Pfeffermann
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst
Rauen Rawe
Reddemann
Regenspurger
Repnik
Dr. Riedl (München)

Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. Rose
Rossmanith
Roth (Gießen)

Dr. Rüttgers
Ruf
Sauer (Salzgitter)

Sauer (Stuttgart)

Sauter (Epfendorf)

Sauter (Ichenhausen)

Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schemken
Scheu
Schmitz (Baesweiler)

Dr. Schneider (Nürnberg) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder (Freiburg) Schulhoff
Dr. Schulte

(Schwäbisch Gmünd) Schwarz

Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seehofer Seesing Seiters Spilker Dr. Sprung
Dr. Stark (Nürtingen)

Dr. Stercken
Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann Dr. Uelhoff
Frau Verhülsdonk
Vogel (Ennepetal)

Vogt (Duren)

Dr. Waffenschmidt
Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß (Kaiserslautern) Werner (Ulm)
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer (Neuss) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Dr. Wörner Würzbach Zeitlmann Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger (Berlin) Feilcke
Kalisch Kittelmann
Dr. h. c. Lorenz
Dr. Neuling
Straßmeir
FDP
Dr. Bangemann
Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg (Arnsberg) Eimer (Fürth)
Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gattermann Gries
Grünbeck
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Dr. Hitschler Dr. Hoyer Irmer
Kleinert (Hannover) Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Möllemann Neuhausen
Nolting
Richter
Rind
Ronneburger
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms Timm
Dr. Weng (Gerungen) Wolfgramm (Göttingen) Zywietz
Berliner Abgeordnete
Hoppe Lüder
Enthalten
FDP
Dr. Hirsch
Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1312 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt
dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über den Einzelplan 30 insgesamt ab. Wer dem Einzelplan 30 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Damit ist der Einzelplan 30 angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksachen 11/1060, 11/1081 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schmitz (Baesweiler) Dr. Struck
Frau Vennegerts
Es liegen Ihnen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1239 bis 11/1243 vor.
Meine Damen und Herren, auch zu diesem Punkt ist im Ältestenrat eine Stunde Redezeit für die Fraktionen vereinbart worden. — Widerspruch ergibt sich nicht, so daß ich dies als beschlossen betrachten kann.

(Anhaltende starke Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache, bitte aber vorher das Haus, die notwendige Ruhe herzustellen.

(Kühbacher [SPD]: DIE GRÜNEN da!)

— Es sind nicht nur die Abgeordneten der GRÜNEN, sondern es sind auch Abgeordnete der anderen Fraktionen, die nicht die notwendige Ruhe im Hause halten.

(Zuruf von der SPD: Die Regierungsbank da drüben!)

— Herr Bundesminister Schwarz-Schilling, ich wäre dankbar, wenn auch Sie dem Wunsch des Präsidiums folgten und entweder den Saal verließen oder für die nötige Ruhe sorgten.
Nun, glaube ich, kann ich dem Abgeordneten Dr. Struck das Wort erteilen.

Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1104214200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute morgen haben der Kollege Glos und ihm folgend der Kollege Apel die Landwirtschaftsdebatte schon eröffnet. Der Herr Kollege Glos hat von Äpfeln, Herr Apel von Birnen gesprochen. Ich greife das jetzt auf.
Herr Minister, zunächst einmal möchte ich Ihnen doch noch einmal mein Mitgefühl, auch das der SPD-Bundestagsfraktion, übermitteln: Wie die Regierungsfraktionen mit Ihnen in der Frage des Staatssekretärs und der B-9-Stelle umgegangen sind, war schon unglaublich. Sie haben wirklich unser volles Mitgefühl, obwohl wir Ihnen auch sagen müssen: Diese zusätzliche B- 11-Staatssekretärstelle ist natürlich nicht erforderlich. So aber, wie das der Kollege



Dr. Struck
Schmitz und andere praktiziert haben, geht es nicht.
Wir reden heute über den Einzelplan 10 und müssen darauf aufmerksam machen, daß dieser Haushalt eine über der durchschnittlichen Steigerung liegende Größenordnung ausweist. Insgesamt sind im Einzelplan 10 Ausgaben in Höhe von 8,5 Milliarden DM ausgewiesen. Das sind 2,3 Milliarden DM mehr als 1982. Nun geben diese Zahlen natürlich nur ein relativ unvollständiges Bild von den Kosten, die für den deutschen Steuerzahler entstehen, wenn Agrarpolitik zu finanzieren ist. Die Subventionen des Bundes und der Länder für die Agrarpolitik insgesamt im Jahre 1986 betrugen 25 Milliarden DM bei insgesamt 707 658 Betrieben. Das heißt, wir subventionierten 1986 jeden einzelnen Betrieb in der Landwirtschaft mit 25 760 DM pro Jahr.

(Eigen [CDU/CSU]: Das glauben Sie selbst nicht!)

— Herr Kollege Eigen, davon verstehe ich etwas. Sie sind kein Haushälter. Von Zahlen haben Sie keine Ahnung.
Diese Zahlen zeigen, welche enormen Aufwendungen aus Steuermitteln von den Bundesbürgern aufgebracht werden müssen. Und doch — ich denke, Herr Eigen, wir stimmen wohl in der Analyse der Situation überein — : Es ist noch nie so viel Geld für die Landwirtschaft ausgegeben worden wie jetzt, und noch nie ging es den Landwirten so schlecht wie jetzt. Da stimmen wir überein. Wenn Sie dazu nicken, dann nehme ich an, daß Sie auch dem nächsten Satz, den ich sage, zustimmen werden, nämlich daß Sie die Regierungsverantwortung seit 1982 haben und daß sich in Ihrer Regierungsverantwortung die Lage der Landwirtschaft rapide verschlechtert hat. Das ist auch eine politische Verantwortung, die Sie, Herr Minister Kiechle, zu tragen haben. Viele Betriebe sind in ihrer Existenz gefährdet. Pessimismus und Resignation machen sich vor allen Dingen bei den jüngeren Landwirten breit, eine Erscheinung, die Ihnen ja nicht unbekannt sein dürfte.
Die bisherige Agrarpolitik muß grundlegend reformiert werden. Das liegt im Interesse der Landwirte, der Verbraucher, der Steuerzahler und natürlich auch der Wirtschaft. Es liegt auch im Interesse der Europäischen Gemeinschaft, die an den Kosten der Überschußproduktion zu ersticken droht. Das EG-Haushaltsdefizit von 13 Milliarden DM, von denen ca. 9 Milliarden DM allein durch die Agrarpolitik bedingt sind, berührt natürlich unseren nationalen Agrarhaushalt unmittelbar. Die Zinskosten von 90 Millionen DM für die Umstellung der EG-Agrarfinanzierung vom Vorauszahlungs- auf das Erstattungsverfahren machen dies sehr deutlich. Hier ist ein gefährliches Präjudiz geschaffen worden, das das gesamte System der plafonierten EG-Eigeneinnahmen gefährden kann, wenn es nicht umgehend zu einer durchgehenden und durchgreifenden Agrarreform kommt.
Die Bundesregierung, Herr Minister Kiechle, war ursprünglich leichtfertig bereit, durch eine unbefristete Vorfinanzierung der Marktordnungsausgaben
dieses Risiko einzugehen. Erst auf den Druck der SPD, dem sich dankenswerterweise auch die FDP

(Widerspruch der Abg. Frau Seiler-Albring [FDP])

— Sie nicht, aber Ihr Fachkollege — angeschlossen hat, ist sie bereit gewesen, diese Maßnahme auf zwei Jahre zu befristen. Die Gießkannenpolitik der Bundesregierung in der Agrarpolitik ist gescheitert, daran besteht gar kein Zweifel.

(Beifall bei der SPD)

Mit Geld allein sind die bäuerlichen Existenzen offenkundig nicht zu sichern. 23 Milliarden DM wendet die Bundesregierung 1987 für die Landwirtschaft insgesamt auf.

(Kühbacher [SPD]: Das sind doch keine Subventionen!)

Dagegen beträgt die Nettowertschöpfung der Landwirtschaft laut Agrarbericht knapp 20 Milliarden DM.
Die Ursache für diese Entwicklung liegt in der von der EG und der Bundesregierung betriebenen Politik der Subventionsgießkanne, welche die Großen reicher und die Kleinen ärmer macht. Ein Beispiel dafür ist der berüchtigte pauschale Mehrwertsteuerausgleich, die Vorsteuerpauschale, mit dem bis 1991 fast 20 Milliarden DM umsatzbezogen an die deutsche Landwirtschaft verteilt werden. Diese Vorsteuerpauschale ist im wesentlichen eine staatliche Förderungsmaßnahme für umsatzstarke Betriebe, also wiederum nur für die großen und nicht für die kleinen.

(Eigen [CDU/CSU]: Völliger Unsinn, auch wenn es immer wiederholt wird!)

— Es ist kein Unsinn, Herr Kollege Eigen. Sie können das ja hier richtigstellen, wenn Sie glauben, daß Sie es richtigstellen können. Sie werden das allerdings nicht schaffen.
Der Agrarhaushalt 1988 ist auch eine Bilanz der leeren Versprechungen. Ich spreche jetzt als Niedersachse. Vor der niedersächsischen Landtagswahl 1986 hat die Bundesregierung der Landwirtschaft eine Entlastung von den Sozialbeiträgen in Höhe von jährlich 450 Millionen DM bis einschließlich 1990, also insgesamt 2,25 Milliarden DM, zugesagt. Bereits 1987 sind nur 330 Millionen DM ausgezahlt worden. Im Haushalt 1988 wird der Betrag endgültig wegen angeblich unzureichender Inanspruchnahme auf 335 Millionen DM verringert. Der Grund ist unter anderem die unzureichende soziale Staffelung, die die Bundesregierung angeblich für ein wichtiges Anliegen hält.
Das zweite Beispiel, wie die niedersächsischen Landwirte mit Versprechungen, die nachher nicht eingehalten werden, eingekauft werden sollten, ist der Großversuch Grünbrache. Es wurde zugesagt
— Herr Minister Kiechle, Sie erinnern sich daran —, daß für den Großversuch Grünbrache 100 Millionen DM jährlich mit einer Laufzeit von fünf Jahren in den Haushalt eingestellt werden sollten. Von dieser Zusage sind wegen der schludrigen Organisation und auch wegen unattraktiven Bedingungen im Wahljahr 1986 nur 35 Millionen DM abgeflossen. Auch im



Dr. Struck
Haushalt 1988 hielten Sie 35 Millionen DM für ausreichend. Dieser Betrag ist auf 48 Millionen DM erhöht worden. Zwar ist das immer noch besser als das, was die Bundesregierung veranschlagt hatte. Aber bereits die niedersächsische Landesregierung hat uns Berichterstattern mitgeteilt, daß eigentlich 90 Millionen DM für die Grünbrache ausgezahlt werden könnten. Deshalb bedauere ich sehr, daß die Kollegen der Regierungsfraktionen entgegen ihren Wahlversprechen von 1986 unserem Antrag auf Aufstockung der Mittel für die Grünbrache auf 100 Millionen DM nicht gefolgt sind. Die niedersächsischen Landwirte werden Ihnen das zu danken wissen — spätestens bei der nächsten Wahl.

(Borchert [CDU/CSU]: Machen Sie sich keine Hoffnungen!)

Wir Sozialdemokraten stehen voll hinter den Landwirten,

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie stellen also Anträge nur für die Wahlen?)

die sich mit Recht auf jeder Veranstaltung gegen diese unsoziale Politik dieser Bundesregierung wehren.
Bedauerlich ist weiter — auch das sage ich als Niedersachse — , daß den Anträgen nicht entsprochen worden ist, die wir gestellt haben, um die strukturschwachen Regionen Cuxhaven und Bremerhaven wenigstens insoweit zu fördern, als Maßnahmen in den Bundeshaushalt eingestellt werden, und sei es auch im Weg der Verpflichtungsermächtigung, für Strukturvorhaben für die Seefischerei, für Neubauten, die besonders in Cuxhaven — da gucke ich den Kollegen von Geldern an — wichtig werden. Bedauerlicherweise, Herr Kollege von Geldern, ist im Haushaltsausschuß all das, was wir Sozialdemokraten für die Region Cuxhaven und Bremerhaven beantragt haben, nicht bewilligt worden.

(Kühbacher [SPD]: Unerhört!)

Zu den Anträgen der GRÜNEN sage ich: Die Anträge sind interessant. Sie enthalten teilweise Richtiges. Wir werden einen Antrag insofern passieren lassen, als wir uns der Stimme enthalten. Die übrigen Anträge lehnen wir ab.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Welchen?)

— Ich werde das nachher deutlich machen, ebenso der Kollege Oostergetelo.
Insgesamt stelle ich für die SPD-Bundestagsfraktion fest: Die Bundesregierung zögert in der Agrarpolitik. Wir haben das gestern wieder, Herr Minister Kiechle, bei den Verhandlungen in Brüssel erleben können. Sie sind mit Ihren Forderungen nach Preisgestaltung in der EG aufgelaufen.
Die Vorstellungen der SPD, die mein Kollege Jan Oostergetelo vortragen wird, finden immer breitere Zustimmung — nicht nur im Bundesrat, sondern auch zum Beispiel in der OECD und beim Weltwirtschaftsgipfel.
Wir werden den Agrarhaushalt deshalb ablehnen, weil ihm kein Gesamtkonzept zugrunde liegt, das die unsinnigen Überschüsse abbaut, die Kosten senkt und eine deutsche Landwirtschaft erhält, die zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung und der Kulturlandschaft unverzichtbar ist. Wir erwarten, daß Sie, Herr Minister Kiechle, von dem falschen Weg abgehen, der die Landwirte in noch weitere ruinöse Situationen führen wird.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104214300
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitz (Baesweiler).

Hans Peter Schmitz (CDU):
Rede ID: ID1104214400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Struck, das, was Sie als Einleitung über die Personalfragen gebracht haben, kann ich mit einem Satz beantworten: Sparen wir uns gegenseitig die Krokodilstränen, und machen wir das miteinander selbst aus.
Auch in diesem Jahr hat der Einzelplan 10 gegenüber dem Vorjahr eine deutliche Steigerung erfahren. Er ist auf eine Rekordhöhe von 8,55 Milliarden DM angestiegen. Die Steigerungsrate beträgt gegenüber dem Vorjahr 8,2 % . Dies ist eine deutliche Steigerung gegenüber dem Gesamthaushalt; in Zahlen ausgedrückt: 647,6 Millionen DM. Diese Zahlen belegen eindeutig, daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen bemüht sind, den Problemen und Herausforderungen der Agrarpolitik soweit wie möglich Rechnung zu tragen.
Der größte Ausgabenblock im Einzelplan 10 ist nach wie vor die Agrarsozialpolitik mit 4,85 Milliarden DM, wobei der Zuwachs im letzten Jahr 16,1 betragen hat und in diesem Jahr wiederum ein Plus von 1,5 % erfährt. Hierbei ist hervorzuheben, daß die freiwillige Ausgabe für die Unfallversicherung um 50 Millionen DM aufgestockt worden ist. Innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" ist insbesondere die Erhöhung der Ausgleichszulage hervorzuheben. Wir gehen davon aus, daß dieses nationale Instrument zur Verbesserung der Einkommenssituation innerhalb der benachteiligten Gebiete ein wesentliches Element ist, das zur Stabilisierung der Einkommen innerhalb der Landwirtschaft beiträgt. Die Koalitionsfraktionen gehen auch davon aus, daß diese Ausgleichszulage innerhalb des bestehenden Ansatzes — im Gegensatz zu Ihren Ausführungen, die Sie da gemacht haben — in voller Höhe bedient werden kann.
Im Rahmen der nationalen Marktordnung haben wir eine Steigerungsrate von insgesamt 154 %. Es ist insbesondere hervorzuheben, daß die begleitenden Maßnahmen zur Milcherzeugung mit insgesamt 521 Millionen DM einen Höchststand erreicht haben. Wir halten es für richtig, dieses Geld zur Verfügung zu stellen, damit innerhalb des Milchmarktes noch immer vorhandene Überkapazitäten einigermaßen sozial verträglich abgebaut werden können.

(Kühbacher [SPD]: Die soziale Abfederung einer ruinösen Politik!)

Diese Verpflichtung gegenüber der Europäischen Gemeinschaft wird von uns eingehalten, so daß keine Anlastungsverfahren erforderlich sind. Dies ist notwendig; das wissen Sie auch. Es ist jedoch, bevor weitere haushaltswirksame Beschlüsse gefaßt werden, sorgfältig zu überlegen, welche Maßnahmen innerhalb der Milchmarktordnung eine höhere Flexibilität



Schmitz (Baesweiler)

ermöglichen können. Sie müssen sorgfältig auf einander abgestimmt sein.
Lassen Sie mich auch weiter anführen — Sie sind darauf eingegangen, Herr Kollege Struck — , daß wir als Koalitionsfraktionen den Haushaltsansatz für den Großversuch Grünbrache immerhin um 13 Millionen DM auf 48 Millionen DM erhöht haben.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sehr wahr! — Oostergetelo [SPD]: Und wieviel habt ihr vorher gekürzt? — Weitere Zurufe von der SPD)

— Herr Kollege Oostergetelo, die Krokodilstränen sind auch hier völlig unangebracht. Ausgerechnet diejenigen, die in der Vergangenheit überhaupt gegen diesen Versuch gewesen sind, werfen uns jetzt vor: Es ist zu wenig, es ist zu spät. — Ich finde, da müssen Sie sich schon etwas anderes als das einfallen lassen.

(Zurufe von der SPD)

Und jetzt füge ich gleichzeitig hinzu: Natürlich ist es so, daß die Konditionen, wie sie jetzt gestellt worden sind, mit dazu beigetragen haben, daß hier zusätzliche Anträge gekommen sind. Ich verweise darauf, daß diese Konditionen im Rahmen des gesamten Extensivierungsprogramms, das innerhalb der Europäischen Gemeinschaft obligatorisch durchgeführt werden muß, natürlich nicht unbedingt immer Geltung haben müssen. Deswegen müssen wir uns daraufhin verständigen; deswegen sind diese Krokodilstränen wiederum völlig überflüssig.

(Oostergetelo [SPD]: Ihr habt eure Versprechungen nicht eingehalten!)

Deswegen, Herr Kollege Struck, rechnen Sie auch nicht damit, daß die Bauern dieses Spiel nicht durchschauen würden.
Lassen Sie mich auch hinzufügen, daß die nationalen Instrumente zur Verbesserung der Einkommenssituation in benachteiligten Gebieten immerhin, so meine ich, deutlich gezeigt haben, daß der Wille der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition, hier einzugreifen, eindeutig ist und von niemandem bestritten werden kann.
Lassen Sie mich an dieser Stelle aber auch einige Bemerkungen machen, wie sie z. B. von Ihnen ebenfalls gemacht worden sind, was die Fischerei angeht. Auch hier haben wir stabilisierende Elemente mit eingebaut. Wir haben hier Maßnahmen im Zusammenhang mit der Stillegungsprämie ergriffen, die wie in der Vergangenheit — so soll es auch bleiben — schwerpunktmäßig der Kutterfischerei zugute kommen sollen. Sie sollen auch vernünftig zwischen Ostund Nordsee verteilt werden, Herr Kollege Carstensen. Sie sollen nach unserer Überzeugung nach den Kriterien der Bedürftigkeit verteilt werden. Dies sollte, meine ich, auch in Zukunft nicht dazu führen, daß es darüber Streit gibt.
Herr Kollege Struck, an dieser Stelle sei Ihnen auch gesagt: Wir haben die Verpflichtungsermächtigungen für Schiffsneubauten auf 8,9 Millionen DM erhöht.

(Dr. Struck [SPD]: Aber nicht ausreichend!)

— Das ist für Sie nicht ausreichend, aber damit sind immerhin zwei Neubauten an den entsprechenden von Ihnen genannten Standorten zu finanzieren. Ich halte das für richtig und auch für wichtig. Es ist auch der Wille der Bundesregierung, im Rahmen ihrer Möglichkeiten — Sie als Haushälter wissen, was das bedeutet — hier Vorsorge zu treffen.
An dieser Stelle möchte ich auch einige grundsätzliche Bemerkungen zur Agrarpolitik machen. Sicherlich sind alle Maßnahmen richtig und notwendig, die dazu dienen, die Märkte innerhalb der EG im Überschußbereich zu entlasten. Es muß aber dabei sichergestellt werden, daß diese Maßnahmen nicht einseitig innerhalb der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werden. Das in Brüssel beschlossene und in der Sache von allen Ländern obligatorisch durchzuführende Extensivierungsprogramm hat nur dann einen Sinn, wenn es innerhalb der EG nach gleichen Kriterien durchgeführt werden muß. Auch die anderen Länder müssen hier Bereitschaft zeigen, Flächen aus der Produktion herauszunehmen. Ich warne etwas vor der Vorstellung, daß wir dies in der Bundesrepublik Deutschland durchführen und sich andere an den Notwendigkeiten vorbeidrücken. Dies würde nichts bringen und wäre für unsere Landwirtschaft völlig unverständlich.
Eine Extensivierung kann natürlich nur im Rahmen einer vernünftigen Ordnung des gesamten ländlichen Raumes durchgeführt werden. Die Kosten für solche Maßnahmen — darauf weise ich aus gutem Grund hin — müssen von der Europäischen Gemeinschaft, dem Bund und den Ländern gemeinsam getragen werden. Ich halte es auch für sehr wichtig, daß die Maßnahmen, die zugunsten von einkommensschwachen Betrieben beschlossen werden — so verlangt es die Ehrlichkeit gegenüber unseren Bauern — , nicht dadurch konterkariert werden, daß die Europäische Gemeinschaft ausschließlich über Preissenkungen versucht, die Märkte in Ordnung zu bringen,

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Quatsch ist das!)

denn hier ist der nationale Spielraum für Ausgleichsmaßnahmen auch in unserem Lande begrenzt. Es kann nicht so sein, daß immer mehr landwirtschaftliche Betriebe auf Grund der Entwicklung ihrer Einkommensituation in den Bereich von Einkommensübertragungen hineinwachsen. Kein Finanzminister ist imstande, soviel Geld als Ersatz für am Markt nicht erzielte Einkommen zur Verfügung zu stellen. Es kann eigentlich nicht Sinn der Agrarpolitik sein, daß wir demnächst einen Agraretat in der Größenordnung von 10 Milliarden und trotzdem unzufriedene Bauern haben. Dieser Teufelskreis muß in Brüssel durchbrochen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das kann der Landwirtschaftsminister nicht allein.
Hier ist Hand-in-Hand-Arbeit der Gesamtpolitik notwendig.

(Zuruf von der SPD: Der sitzt doch am Ministerratstisch!)




Schmitz (Baesweiler)

Wer sich wie ich 15 Jahre mit dieser Agrarpolitik beschäftigt, hat sicherlich keinen Grund zum Jubeln.

(Roth [SPD]: Erfolglos!)

Aber wenn Sie meine vergangenen Reden einmal nachlesen, sehr verehrte gnädige Frau, dann darf ich feststellen, daß von Ihrer Seite unter diesen Voraussetzungen jedenfalls bisher kaum ein Beitrag geleistet worden ist. Hätten Sie damals in Ihrer Regierungszeit das ausgeräumt, was wir heute beklagen müssen,

(Frau Adler [SPD]: Fragen Sie einmal Herrn Gallus!)

dann gäbe es in dieser Frage bei den Bauern heute jedenfalls keinen Grund zum Jammern. Das kann ich Ihnen sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Struck [SPD]: Was sagt der Gallus dazu?)

Lassen Sie mich als letztes sagen: Wir unterstützen alle Maßnahmen für ein Konzept zum Abbau der aufgelaufenen Lagerbestände. Wir stützen Maßnahmen, die von der Überlegung getragen werden, daß die Getreidesubstitute in das Abschöpfungssystem einbezogen werden. Wir unterstützen die Maßnahmen, die auf Dauer gesehen durch eine angepaßte Marktpreispolitik das bäuerliche Einkommen auch durch Maßnahmen im Sozial-, Struktur- und im Umweltbereich sichern. Wir unterstützen Maßnahmen zur Durchführung und Extensivierung der Umstellung von Defizitproduktion. Sie muß aber EG-weit erfolgen. Wir unterstützen Marktmaßnahmen, die zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer landwirtschaftlichen Betriebe führen. Die Orientierung der Agrarpolitik darf sich nicht ausschließlich auf defensive Mittel beziehen; sie muß auch die Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben mit berücksichtigen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die finanzielle Absicherung der Agrarsozialpolitik ist deswegen auch sicherzustellen. Hierbei sind die Vollerwerbsbetriebe so zu stellen, daß sie auf Dauer gesehen nicht ausschließlich die Belastungen tragen müssen. Die Nebenerwerbsbetriebe sind in dieses System einzubeziehen.
Die Ausgleichszulage und das Extensivierungsprogramm sind so zu entwickeln, daß die Leistungen der Landwirtschaft für einen geordneten Naturhaushalt und die Umwelt Berücksichtigung finden. Das Extensivierungsprogramm ist so zu gestalten, daß es sich nicht störend auf die Entwicklung des ländlichen Raumes auswirkt. Der Strukturwandel ist durch eine — ich betone — klare und eindeutige Vorruhestandsregelung nicht nur national, sondern auch EG-weit sozial abzusichern, meine Damen und Herren.
Ein Letztes. Das Ziel der gemeinsamen Agrarreform muß es sein, daß am Ende dieses schwierigen Anpassungsprozesses nicht nur für die deutsche Landwirtschaft, sondern auch für die Landwirtschaft innerhalb der EG eine Zukunftsperspektive herauskommt, die realistisch ist. Weil das in den Grundansätzen seinen Niederschlag im Einzelplan 10 findet, stimmen wir diesem Einzelplan zu.
Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP — Abg. Kühbacher [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104214500
Herr Abgeordneter, sind Sie noch bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?

Hans Peter Schmitz (CDU):
Rede ID: ID1104214600
Herr Präsident, bei einem so angenehmen Kollegen bin ich gerne bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104214700
Bitte, Herr Abgeordneter Kühbacher.

Klaus-Dieter Kühbacher (SPD):
Rede ID: ID1104214800
Herr Kollege Schmitz, würden Sie — wie es mein früherer Kollege und Skatfreund Charly, Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein, hier vorgetragen hat — das Modellprojekt in AhausenEversen auch zu einem solchen modellhaften europäischen Projekt zählen?

Hans Peter Schmitz (CDU):
Rede ID: ID1104214900
Nicht nur deswegen, weil unser früherer Kollege und Ihr jetziger Skatfreund Charly von Hammerstein das zu seinem Lebensthema gemacht hat. Ich würde diese Anlage vielmehr auch in der Sache unterstützen, denn es hat keinen Zweck, über Bioäthanol zu reden, ihn aber nachher nicht herzustellen.

(Glos [CDU/CSU]: Aber dann auch Ochsenfurt, Herr Kollege!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104215000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Flinner.

Dora Flinner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1104215100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den deutschen Bauern müßte es eigentlich gutgehen. Der Agrarhaushalt weist eine Steigerung von 540 Millionen DM gegenüber dem letzten Jahr auf. Er umfaßt ein Ausgabenvolumen von etwa 8,5 Milliarden DM. Den meisten deutschen Bauern geht es aber trotz dieser gewaltigen Ausgabensumme nicht gut, denn von dem, was hier beschlossen wird, kommt beim einzelnen Landwirt nicht das an, was zum Leben nötig ist.
Wenn etwa 30 % der Bauern vor dem Ruin stehen und überschuldet sind, wenn immer mehr Bauern ihren Hof aufgeben müssen, weil sich der Betrieb nicht mehr lohnt, dann ist zu fragen, ob die Agrarpolitik dieser Bundesregierung nicht grundsätzlich einen falschen Ansatz hat.

(Beifall bei Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Statt den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft zu fördern, geschieht genau das Gegenteil. Ich muß feststellen, daß hohe Summen nur dazu verwendet werden, die bäuerlichen Arbeitsplätze abzuschaffen, die Zahl der Höfe zu verringern und damit die bäuerliche Landwirtschaft ganz zu vernichten.

(Beifall bei den GRÜNEN — Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Sie waren ja gegen die Schaffung von Arbeitsplätzen auf dem Lande!)

— Jawohl, ein paar Große dürfen übrigbleiben, aber
alles andere muß weg vom Fenster. Mich enttäuscht



Frau Flinner
die Ausschußsitzung genauso wie hier das Plenum meiner Agrarkollegen.
Ich möchte das zuvor Gesagte an einigen Beispielen erläutern. Einzeltitel Milchrente: Hierfür muß sich der Bauer verpflichten, die Milcherzeugung für immer aufzugeben. Dafür sind im Haushalt 134 Millionen DM vorgesehen. Dazu kommen nochmals rund 300 Millionen DM als Vergütung für Aussetzung und Stillegung von Referenzmengen. Hier werden ganz bewußt Gelder eingesetzt, angeblich für die Landwirtschaft, das Ziel aber ist, Betriebe um ihre Existenz zu bringen. Das ist in Wirklichkeit die Landwirtschaftspolitik der jetzigen Regierung.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Kühbacher [SPD])

Bei der Getreideerzeugung sieht es nicht besser aus. Beispiel Grünbrache: 35 Millionen DM werden dafür bereitgestellt, daß Landwirte 20 % ihrer Getreideanbaufläche stillegen, Grünbrache machen, aber den Aufwuchs nicht nutzen dürfen. Dazu kommen noch die Geldbeträge für Forschung und Auswertung des Grünbracheprogramms. Aber was haben wir davon, wenn die Bauern den Aufwuchs der Fläche nur einfach unterpflügen, was auch nach den von der Regierung vorgegebenen Auflagen in der Praxis oft sehr aufwendig oder unmöglich ist? Ein Mulchgerät muß der Landwirt anschaffen, damit er den Aufwuchs mulchen kann; sonst kann er die Auflagen nicht erfüllen.
Tatsache ist doch, daß in der Regel die wenig ertragreichen Flächen stillgelegt werden, daß die restlichen 80 % des Bodens noch intensiver genutzt werden, der Spritzmittel- und Düngerverbrauch dort steigt und daß die Grundwasserbelastung erhöht wird. Dem Abbau der Überschüsse kommt man so nicht bei. Das Grundwasser und den Bodenschutz verbessert man so auch nicht; denn nur durch das Mulchen und Nichtverfüttern des Aufwuches erhöht sich der Stickstoffgehalt im Boden. Es ist abzusehen, daß dann auch größere Mengen von Stickstoff in das Grundwasser gelangen. Sie waren an jenem Abend dabei; Sie haben es ganz genau mitgekriegt.
Wir dagegen fordern ein anderes Programm, ein Leguminosengrünbracheprogramm. Wir fordern insgesamt die flächendeckende Dünger- und Spritzmittelreduzierung. Insbesondere sollten die Bracheflächen mit Leguminosen zum Verfüttern genutzt werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104215200
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Carstensen (Nordstrand)?

Dora Flinner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1104215300
Nein, ich lasse wegen der Zeit keine Zwischenfragen zu. Ich möchte mein Programm durchbringen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104215400
Frau Abgeordnete, ich würde Ihnen die Zeit nicht anrechnen. Das ist nicht das Problem.

Dora Flinner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1104215500
Das macht nichts.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Wir haben genug Möglichkeit zur Aussprache im Ausschuß. Ich denke, das reicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Grünmehl aus Luzerne kann auch in der Schweinehaltung einen wesentlichen Beitrag leisten, Eiweißzukauf zu reduzieren. In einer erweiterten Fruchtfolge verbessert sich die Bodengare. Stickstoff und Pestizide werden eingespart. Zusätzlich verringert sich der Bedarf an Importfuttermitteln, die in der Dritten Welt zu Lasten der dortigen Bevölkerung erzeugt werden.
Zur Bekämpfung der Überschußproblematik wird derzeit nach anderen Wegen gesucht, z. B. durch Anbau nachwachsender Rohstoffe. Eine besondere Rolle spielt dabei die Äthanolgewinnung aus Getreide und Rüben. Die einzelnen Versuchsanlagen hierfür werden im Rahmen des Haushalts mit etwa 10 Millionen DM gefördert, obwohl schon längst nachgewiesen ist — z. B. von Wolffram, Lehrstuhl für Marktforschung der Uni Bonn — , daß die Bioäthanolproduktion keine Perspektive für die Landwirtschaft bietet, weil die Subventionen und Marktordnungskosten noch höher sein werden als auf dem derzeitigen Getreidemarkt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Schließlich ist es auch unter Berücksichtigung des Rohstoffeinsatzes unsinnig; denn um einen Liter Bioäthanol zu produzieren, verbraucht man mindestens einen Liter herkömmlichen Brennstoff.
Es gibt noch eine Menge von Forschungsprojekten, die keinem Bauern nützen, aber deren Förderung mit viel Geld im Haushaltsplan vorgesehen ist.
Ein besonders absurdes Beispiel füge ich noch an: Der Linearbeschleuniger in Leopoldshafen soll überholt werden. Diese Maßnahme soll mit 5 Millionen DM im Agrarhaushalt finanziert werden. Aber welchen Nutzen diese physikalische Anlage für die Landwirtschaft haben soll, hat mir noch niemand erklären können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein weiteres Problem, das besonders die bäuerlichen Kleinbetriebe betrifft, ist in diesem Haushalt wieder nicht berücksichtigt. Ich meine die angemessene soziale Versorgung der Bäuerinnen. Nicht nur in der Altersversorgung, sondern auch beim Mutterschutz sind Bäuerinnen besonders benachteiligt.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Die Gleichstellung von Bäuerinnen mit den in der Landwirtschaft oder anderswo arbeitenden Angestellten im Rahmen des Mutterschutzgesetzes ist längst fällig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir GRÜNEN beantragen deshalb die Einrichtung eines neuen Haushaltstitels „Mutterschutz für Bäuerinnen", der zwar im Einzelplan 11 eingesetzt werden soll, aber unverzichtbarer Bestandteil unserer agrarpolitischen Forderungen bleibt.

(Beifall bei den GRÜNEN)




Frau Flinner
Insgesamt zeigt sich ein trauriges Bild. Während die Experten am grünen Tisch planen — das habe ich hier schon oft erleben müssen — , stirbt die bäuerliche Landwirtschaft. Im Amtsdeutsch heißt das beschleunigter Strukturwandel. Dagegen beantragen wir, das Geld so einzusetzen, daß den Bäuerinnen und Bauern wirklich geholfen wird. Wir GRÜNEN fordern als neuen Haushaltstitel ein sozial-ökologisches Sofortprogramm zur Existenzsicherung und Entschuldung. Wir wollen damit einerseits zur Sanierung gefährdeter Betriebe beitragen, indem wir Zinsentlastung und Entschuldung fordern; andererseits wollen wir langfristig die wirtschaftlichen Grundlagen der Betriebe durch gestaffelte Stützungszulagen, in Form von gestaffelten Erzeugerpreisen und durch Unterstützung der Umstellung auf ökologische Landwirtschaft sichern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wollen nicht, daß immer weniger Bauernhöfe übrigbleiben, sondern unser Programm will erreichen, daß jeder Betrieb seine Existenzberechtigung behält. Wenn wir hier nicht eingreifen, wird sich die Schuldenkrise der Landwirtschaft noch weiter verschärfen. Die Folge wird sein, daß auch die verbliebenen anderen Gewerbebetriebe im ländlichen Raum vollends aufgeben müssen.
Insgesamt ist der vorliegende Haushaltsplan nicht geeignet, die Krise der Landwirtschaft zu beenden.

(Oostergetelo [SPD]: Das stimmt!)

Im Gegenteil, viel Geld soll dafür ausgegeben werden, die bäuerlichen Existenzen zu zerstören, d. h. die Zahl der Arbeitsplätze auf dem Lande zu verringern.

(Zuruf des Abg. Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU])

Was soll, so frage ich Sie, Herr Kiechle, das Gerede um die Erhaltung des ländlichen Raumes, wenn die Grundlage des ländlichen Raumes, nämlich die bäuerliche Landwirtschaft, nicht gefördert, sondern vernichtet wird?

(Zustimmung der Abg. Frau Unruh [GRÜNE]: — Freiherr von Schorlemer [CDU/ CSU]: Sie waren doch gegen die Teststrecke! Sie haben doch die Arbeitsplätze vernichtet!)

Was soll das riesige Ausgabenvolumen des Agrarhaushalts, wenn die Gelder doch nicht den Bauern zugute kommen? Dieser Einzelplan ist unzureichend. Er löst die bestehenden Probleme nicht, sondern er verschärft sie. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, nicht nur Sonntagsreden auf dem Lande zu halten — wie zur Zeit in Baden-Württemberg, weil Landtagswahlen sind — , sondern endlich konkrete Maßnahmen zu ergreifen, wie wir sie mit unseren Änderungsanträgen fordern. Den Bauern nützen keine schönen Worte, sondern Taten. Dazu ist es höchste Zeit.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104215600
Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.

Günther Bredehorn (FDP):
Rede ID: ID1104215700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf den nationalen Haushalt eingehe, gestatten Sie mir einige Bemerkungen zu den aktuellen Brüsseler Beratungen im Agrarministerrat. Minister Kiechle ist wohl gerade von dort zurückgekommen. Diese Verhandlungen haben mit nicht sehr viel Aussicht auf Erfolg begonnen. Im Augenblick scheint es leider so zu sein, daß es kein für uns akzeptables Ergebnis geben wird.
Ich meine, wir können die Absichten der Kommission nicht akzeptieren, die Probleme ausschließlich über Preissenkungen zu lösen. Eine solche brutale Existenzvernichtungspolitik machen wir nicht mit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Unser Weg muß sein — da hat Bundesminister Kiechle unsere volle Unterstützung — , die Produktionsmengen zurückzuführen, damit der Markt wieder funktionieren kann. Wir brauchen im Brüsseler Agrarministerrat einen fairen Kompromiß, indem wir die Vorschläge der Kommission zur Kostendämpfung und unsere Vorschläge zur Begrenzung der Produktionsmengen zu einem vernünftigen Paket zusammenschnüren. Minister Kiechle hat da unsere volle Unterstützung.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sehr gut! Das ist dasselbe!)

Leider müssen wir feststellen, daß sich die Versuche der Kommission, Entscheidungsbefugnisse im Bereich der Agrarpolitik an sich zu ziehen, häufen. Auch der Vorschlag, über Haushaltsstabilisatoren das Übel an der Wurzel zu packen, geht in diese Richtung.
Die Agrarminister sollten sich darüber im klaren sein, daß, wenn sie nicht handeln oder sich nicht einig werden, zwangsläufig eine stärkere Position der EG-Kommission die Folge ist.
Wir brauchen in der EG-Agrarpolitik echte Problemlösungen, statt uns immer mehr in planwirtschaftlichen Lösungen zu verstricken. Das bedeutet, behutsam neue Marktelemente in die gemeinsame Agrarpolitik einzuführen.
Ich habe mich in der Vergangenheit schon mehrfach dafür ausgesprochen, daß das Interventionssystem auf seine ursprüngliche Funktion zurückgeführt wird, nämlich bei Marktungleichgewichten stabilisierend zu wirken und somit Marktzusammenbrüche zu verhindern.
Als Ergänzung zu solchen marktpolitischen Maßnahmen muß landwirtschaftlich genutzte Fläche stillgelegt werden. Leider kommen diese Bemühungen und Bestrebungen, ganz zu schweigen von der dringend notwendigen Vorruhestandsregelung, auf EG-Ebene nur mühsam vorwärts. Ich bin davon überzeugt, daß — das Gespräch mit den Bauern vor Ort beweist es immer wieder — eine Vorruhestandsregelung in der Landwirtschaft auf größtes Interesse stoßen würde.
Zur Flächenstillegung: Es ist uns gelungen, für ein Extensivierungsprogramm nun Verpflichtungsermächtigungen von insgesamt 250 Millionen DM in den Haushalt einzustellen. Es erfüllt mich allerdings mit Sorge, wenn sich die Bundesländer jetzt vehement dagegen wehren, mitzumachen. Die Extensivierungs-



Bredehorn
richtlinie kann meines Erachtens nur über die Gemeinschaftsaufgabe, die die Länder mitfinanzieren müssen, umgesetzt werden. Der Streit um die Finanzierung zeigt ganz deutlich, daß finanzielle Verpflichtungen stärker denn je zwischen den verschiedenen politischen Ebenen — EG, Bund, Länder — hin- und hergeschoben werden, wodurch unsere Landwirte nur verunsichert werden.

(Kuhlwein [SPD]: Es wird immer knapper mit dem Geld!)

Die sich zuspitzenden Finanzierungsberatungen der EG finden ihr Spiegelbild in nationalen Haushaltsdefiziten; schlimmer noch, der Unmut über die gemeinsame Agrarpolitik wird in die Nationalparlamente hineingetragen. Wir Agrarpolitiker können die EG-Agrarpolitik unseren Fraktionskollegen teilweise nur noch schwer vermitteln. Erinnern Sie sich an die Entscheidungen, die wir im Sommer über die nationale Vorfinanzierung der Marktordnungsausgaben durch die BALM treffen mußten und die nun als Bumerang mit 90 Millionen DM im Einzelplan 10 auf uns zurückschlagen.
Eine weitere Aufstockung des Agrarhaushalts ergibt sich durch die Verbesserung der Ausgleichszulage um 85 Millionen DM. Damit stehen rund 460 Millionen DM Bundesmittel für Betriebe in benachteiligten Gebieten zur Verfügung, die noch durch Ländermittel ergänzt werden.
Ich will allerdings nicht verhehlen, daß ich persönlich die im letzten Jahr erfolgte Ausweitung der benachteiligten Gebiete auf inzwischen über 6 Millionen ha — das sind weit über 50 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Bundesrepublik — nicht für einen überzeugenden Weg der Agrarpolitik halte.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Ich warne davor, jetzt in der Gemeinschaftsaufgabe Umschichtungen für die Restfinanzierung der Ausgleichszulage vorzunehmen, die andere, sinnvollere, weil strukturverbessernde Maßnahmen nicht mehr zulassen.
Die Ausgleichszulage ist eine direkte Einkommenshilfe, die wie ein Tropfen auf dem heißen Stein wirkt, die mit der Gießkanne verteilt wird und die weder die Einkommensprobleme oder die Überschußprobleme löst noch den Strukturwandel sinnvoll entwickelt.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß seinerzeit bei der Einführung der Vorsteuerpauschale meine Partei der Meinung war, von den 5 % sollten 3 % über die Vorsteuerpauschale und 2 % gezielt eingesetzt werden. Wir werden uns ja jetzt entscheiden müssen, und ich hoffe, daß wir zu einer klugen Entscheidung kommen, weil wir die 2 % ja nicht mehr über die Vorsteuerpauschale verteilen dürfen.

(Zurufe von der SPD und Gegenrufe von der CDU/CSU)

Ich meine, hier haben wir die Chance, diese Mittel gezielt zum Nutzen unserer Landwirte einzusetzen.
Die beste Agrarpolitik ist eine gute Wirtschaftspolitik. Es ist ganz entscheidend, daß die Wirtschaftsentwicklung weiterhin positiv verläuft, damit im ländlichen Raum Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden können. Diese brauchen wir dringend, um den vielfach notwendigen und sinnvollen Übergang vom Vollerwerb zum Nebenerwerb überhaupt erst zu ermöglichen.
Frau Flinner, Sie sprechen sich hier gegen jeglichen Strukturwandel aus. Ich denke, Sie sind Bäuerin.

(Frau Flinner [GRÜNE]: Ja!)

Dann müßten Sie eigentlich wissen: Ohne Wandel — auch Wandel in der Natur — ist Leben überhaupt nicht möglich.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nichts ist beständiger als der Wandel!)

Wir brauchen und befürworten diesen vernünftigen Strukturwandel.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Kuhlwein [SPD]: Aber nicht mit Genmanipulationen!)

Es hat nämlich keinen Sinn, unsere Landwirtschaft hinter einem staatlichen Schutzwall zu verstecken.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Das diskriminiert den Landwirt als Unternehmer, reduziert seinen Hof zur reizvollen Landschaftsstaffage und setzt ihn im übrigen dem Unmut der Bevölkerung, sprich: des Steuerzahlers, aus.
Ein besonders negatives Beispiel in dieser Hinsicht bieten die jetzt vorliegenden Gesetzentwürfe für ein Strukturgesetz aus den Ländern Bayern und Niedersachsen. Der Zweck dieser Gesetze, die sogenannte Agrarindustrie zu beschränken, wird in keinster Weise erreicht. Beide Gesetze führen allerdings dazu, daß wir sowohl größere, leistungs- und wettbewerbsfähige Vollerwerbsbetriebe als auch kleinere, flächenärmere Betriebe mit einer notwendigerweise starken Veredelungsproduktion noch in Schwierigkeiten oder gar in wirtschaftliche Existenznöte bringen.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Beide Gesetzentwürfe, enthalten ein Bündel dirigistischer Maßnahmen, welches die unternehmerische Freiheit der Landwirte lähmt, eine Strukturverkrustung unter Mißachtung gewachsener Landbewirtschaftungsformen fördert, die Anpasssung landwirtschaftlicher Betriebe an veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen und an den wachsenden internationalen Wettbewerbsdruck behindert, erheblichen Kontrollaufwand erfordert und einer ausufernden Agrarbürokratie Vorschub leistet, durch zu niedrig festgesetzte Bestandsobergrenzen und eine sogenannte Strukturabgabe leistungsfähige und kostengünstig produzierende Betriebe in ihrer Existenz bedroht und sie im gemeinsamen Agrarmarkt ins Abseits bringt. Ein Strukturgesetz mit solchen Folgeerscheinungen ist mit liberalen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen.
Meine Damen und Herren, der Agraretat 1988 hat ein Gesamtvolumen von 8,55 Milliarden DM. Das sind 8,2 % mehr als 1987. Diese Zahlen beweisen eindrucksvoll den Willen der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung, den Landwirten in ihrer augenblicklich schwierigen Situation beizustehen. Zu Recht



Bredehorn
verlangen aber die Landwirte von uns Agrarpolitikern eine Perspektive für die Zukunft.
Für die FDP bekräftige ich noch einmal unsere grundsätzliche Bereitschaft, für eine vernünftige agrarpolitische Weichenstellung vorübergehend mehr Geld zur Verfügung zu stellen.

(Zuruf von der SPD: Wo haben Sie das denn her?)

Dabei müssen öffentliche Mittel dazu dienen, günstige Rahmenbedingungen für wettbewerbs- und leistungsfähige Betriebe zu schaffen sowie die Zukunftsentscheidung von umsteige- und aussteigewilligen Landwirten zu erleichtern.
Die FDP will eine gezielte Agrarpolitik, die den leistungsfähigen bäuerlichen Betrieben die Existenz ermöglicht und sie wettbewerbsfähig erhält, die den Landwirten den Übergang in den Nebenerwerb oder in einen anderen Beruf erleichtert und die den ausscheidenden Landwirten soziale Hilfe bietet und ihnen das Eigentum erhält.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104215800
Das Wort hat der Abgeordnete Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1104215900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt 1988 ist das Spiegelbild der Agrarpolitik dieser Bundesregierung.

(Zuruf von der SPD: Einer miserablen Agrarpolitik!)

Perspektiven, Herr Kollege, für die Zukunft sind leider nicht erkennbar.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

Meine Vorredner haben schon gesagt: Es geht nicht nur um Geld. Wo sind die Perspektiven? Dabei will ich, Herr Minister, die Schwierigkeiten im Agrarbereich überhaupt nicht verkennen. Wer die Zusammenhänge kennt, der weiß, daß es weder einfache noch Königswege gibt. Da Sie aber, Herr Minister, alle Fakten kennen müssen, ist es für mich, ja ist es auch für die Landwirte draußen, die unter der gegenwärtigen, ihnen aufgezwungenen Agrarpolitik keine Zukunftsperspektive mehr sehen können, absolut unbegreiflich, wie Sie einen Haushalt präsentieren können, der die unabweisbaren Reformnotwendigkeiten nahezu vollständig ignoriert.
Dieser Haushaltsentwurf ist letztlich nur ein stupides Abbild Ihrer Agrarpolitik, die da lautet: Verwaltung der Mißstände, nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Aber, Herr Minister, Lösungen für die Zukunft und Ansätze zu neuen überzeugenden und zukunftsfähigen Konzepten müßten doch eigentlich den Haushalt des Bundeslandwirtschaftsministers kennzeichnen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommen sie!)

Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist mit ihrer Agrarpolitik und mit ihren Vorstellungen in Brüssel gescheitert. Seit 1985 haben die Agrarminister die Preise gesenkt. In den laufenden Reformverhandlungen in Brüssel ist Ignaz Kiechle isoliert, auch jetzt wieder. Leider ist das so. Da wirken der Hinweis des Bundeskanzlers auf die Erblast oder eine Aussage wie vorhin eher hilflos. Das gilt auch für die Halbwahrheiten des Kollegen Seiters.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was? Die Rede hat dich getroffen! Das war eine hervorragende Rede!)

— Ja, er hat vom Abbau der Überschüsse geredet. Sie haben das doch immer verhindert.
Seit sich die EG-Kommission mit ihrer Absicht einer stärker marktorientierten Agrarpolitik bei der Mehrheit der Mitgliedstaaten durchgesetzt hat, ist für jedermann erkennbar, daß zur Sicherung der Einkommen die Preispolitik nicht reicht. Dann machen Sie es doch draußen den Bauern auch nicht vor.
Tatsache ist, daß das Einkommen der Bauern auf das Niveau von 1975 gesunken ist. Aus dieser bedrükkenden Einkommenslage, wo ein Viertel der Vollerwerbsbetriebe nur noch von der Substanz lebt, was vor allem die jüngere Generation auf dem Lande in Hoffnungslosigkeit und Resignation verfallen läßt, kann nur ein ergänzendes System der Einkommenssicherung herausführen und heraushelfen. Der Haushalt 1988 sagt zu diesem Thema nichts aus.
Gerade weil Sie nichts dazu sagen, Herr Minister, werde ich noch einmal sagen

(Zuruf von der CDU/CSU)

— übrigens nicht nur heute, Herr Kollege, sondern schon vor Jahren habe ich das von dieser Stelle ausgeführt — , daß wir eine direkte Einkommenshilfe brauchen. Wie können doch nicht einfach zulassen, daß große Teile unserer bäuerlichen Struktur ihre Hoftore dichtmachen müssen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Dann müssen wir auch mal darüber reden, wieviel, welche Abgrenzung!)

Dies wäre doch ein Verrat an unseren nationalen Interessen. Viel mehr müssen aufgeben, als ein vernünftiger Strukturwandel erfordert.
Die bäuerliche Struktur ist wegen der Erhaltung der Sozialfunktion des ländlichen Raumes, wegen des Ausgleichs von Ökonomie und Ökologie und wegen der Ernährungssicherheit auch in Krisenzeiten ohne Alternative.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Unsere Bauern können nicht mehr von Phrasen leben, auch nicht mehr von Versprechungen, die, wenn überhaupt, erst in ferner Zukunft Realität werden können. Die sterben darüber. — Das gilt für nachwachsende Rohstoffe, Ihren „Königsweg", ebenso wie für das Versprechen einer aktiven Preispolitik, wo doch derzeit nur das Gegenteil stattfindet.
Gleichzeitig haben Sie durch die Änderung des Grenzausgleichssystems dafür gesorgt, daß nur noch die Bauern in Abwertungsländern ihre Preise in natio-



Oostergetelo
nalen Währungen erhöhen können, in den letzten Jahren im Schnitt weit über 10 %; bei uns ist das Gegenteil der Fall. Wie sagte doch Herr Dr. Stoltenberg nach der Aufwertung in Ootmarsum? Dieses bringe keine negativen Auswirkungen für die deutschen Bauern.

(Vosen [SPD]: Dr. Schuldenberg!)

Im übrigen führt an einer stärker marktwirtschaftlichen Lösung überhaupt kein Weg vorbei. Wer ewig gegen den Markt regiert, den regiert am Ende der Markt. Deshalb fordern wir begleitende Maßnahmen, begleitende Einkommenshilfen. Wir haben dies in unseren Beschlüssen verbindlich erklärt.

(Susset [CDU/CSU]: Wie sehen sie aus?)

Die Bundesregierung und auch der Berufsstand haben diesen Reformansatz bisher abgelehnt. Die Finanzkrise der EG, wachsende Engpässe in den Haushalten des Bundes und der Länder führen jetzt zum Nachdenken. Schon 1985 und 1987 haben Sie im Bundesrat unsere Vorstellungen grundsätzlich gebilligt.
Die EG-Kommission hat dieser Entwicklung auch Rechnung getragen. Sie hat Vorschläge zur Gewährung von Einkommenshilfen gemacht. Diese sind nach unserer Meinung unzulänglich, aber das Wesentliche ist: Sie sind der entscheidende und richtige Schritt, sie sind ein Einstieg in das System einer Einkommenssicherung. Der zuständige Vizepräsident hat mir noch in der vorigen Woche erklärt, daß er dies ausdrücklich bestätige.
Wie hat die Bundesregierung reagiert? Sie hat in dieser Frage nichts getan oder nur verzögert.

(Vosen [SPD]: Wie immer! — Zuruf des Abg. Eigen [CDU/CSU])

Der Hauptverantwortliche für diese Verweigerungshaltung — Herr Eigen, Sie wissen das — ist der Bundesfinanzminister Stoltenberg, der offensichtlich lieber die Verschleuderung von riesigen Geldern für EG-Lagerbestände vorsieht, als den deutschen Bauern direkt zu helfen.

(Beifall bei der SPD)

Obwohl Hilfe nur in einer Bündelung von Maßnahmen bestehen kann, tut die Bundesregierung nichts, obwohl es im Detail schon möglich wäre.
Sie wissen: Bei der Mutterkuhhaltung ist das möglich. Halbe Produktion vom Hektar, die umweltfreundlichste Bewirtschaftungsform, die es gibt. Hilfen für die, die keine Milchrente bezogen haben. Einstimmiger Beschluß. Der Finanzminister weigert sich. — Sie wissen es doch. Herr Stoltenberg, man muß Ihnen doch mal sagen: Es kostet weniger Geld und nicht mehr, wenn Extensivierung gefordert wird. Auch die Vorruhestandsregelung hätten wir schon haben können. Zur Brache hat der Kollege Struck das Nötige gesagt. Wir mußten sie zum Tragen bringen, damit Sie halbwegs das durchhalten, was Sie versprochen haben.

(Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Du warst doch gegen die Brache! Du bist doch im Ausschuß bei der Einführung dagegen gewesen!)

— Ich habe nicht die Zeit. Melde dich. Dann habe ich die Möglichkeit, zu antworten, ohne daß die Zeit angerechnet wird.
Die vom EG-Ministerrat bereits im März beschlossene Extensivierung bei Getreide, Rindfleisch und beim Wein ist noch nicht in Kraft gesetzt. 1988 sind dafür keine Zahlungen vorgesehen. Dies bedeutet, daß den Bauern wieder einmal 250 Millionen DM vorenthalten werden. Im Gegensatz dazu hat der Minister vor den Wahlen in Niedersachsen erklärt, daß er zur Einführung eines sogenannten sozialen Marktentlastungsprogramms stehe. Aber dann soll er es auch machen. Jetzt hätte er die Ermächtigung Brüssels für eine derartige Maßnahme. Aber er hat sie nicht genutzt.
Meine Damen und Herren, wir sagen die Wahrheit: Auch eine Bündelung von Maßnahmen einschließlich des Abbaus der Überschüsse wäre keine Hilfe jetzt, sondern nur eine mittelfristige Lösung.

(Dr. Struck [SPD]: Richtig!)

Die von der Bundesregierung favorisierten Wege führen unserer Meinung nach zu keiner Lösung. Die Quotenregelung, die produktionsgebundenen Hilfen sind extrem ungerecht, existenzvernichtend. Produktionsgebundene Hilfen, die die Produktion als Vorbedingung zur Förderung haben, sind letztlich produktionstreibend und unfinanzierbar. Deshalb sagen wir: Wir brauchen die Hilfe jetzt. Wo die Landwirtschaft stirbt, da stirbt alles. Das hat sogar Delors gesagt.

(Dr. Struck [SPD]: Das haben die nur nicht verstanden!)

Wir wollen deshalb die Soforthilfe, die direkten Einkommensübertragungen, und zwar — als unverzichtbare Leitlinie — produktionsneutral, damit sie nicht produktionssteigernd wirken können. Wir wollen Bindung an Person oder Fläche, Festlegung von Kriterien für eine Prosperitätsschwelle, Beihilfen gestaffelt und auf Antrag.

(Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Noch mehr Verordnungen!)

— Nein, nicht mehr Bürokratie.
Wir hätten die Möglichkeit durch die zwei Prozentpunkte, auf die Herr Bredehorn hingewiesen hat. Wir müssen nun handeln. Wir wollen, daß diese zwei Prozentpunkte — das ist Beschlußlage — so verwendet werden, daß sie umgestaltet werden.

(Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Sozialistisches Teufelwerk!)

Diese Subventionen dürfen nicht mehr an die Produktion gebunden werden. Sie machen sich das leicht. Aber fragen Sie mal die Bauern draußen. Wir sagen: Es ist der beste Weg, jetzt zu helfen. Das bedeutet nicht noch mehr Milliarden, sondern rettet dadurch die Bauern, daß das Geld nicht nur zu 20 % wie jetzt, sondern zu 100 % bei den Notleidenden ankommt, in den Betrieben, und nicht zwischendurch versackt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das wäre eine Möglichkeit, Freunde, damit die Kaufkraft im ländlichen Raum bleibt, damit der



Oostergetelo
Teufelskreis des Immer-mehr-Produzieren-Müssens durchbrochen wird.

(Vosen [SPD]: Sehr richtig!)

Wir sagen: Das ist auch eine Honorierung der Umweltleistung.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104216000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eigen?

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1104216100
Freunde, laßt uns diese Möglichkeit nutzen. Das ist die einzige Chance. Es ist nicht mehr 5 Minuten vor 12. Sie wissen, was draußen los ist. Was die Banken Wertberichtigung nennen, das nennen wir Bauern Pleite. Und in dieser Situation sind nicht wenige.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Bitte sehr.


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104216200
Sie haben noch eine Minute.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID1104216300
Ich wollte nur einmal ganz bescheiden anfragen, Herr Kollege Oostergetelo, ob Sie wirklich glauben, daß Sie mit der 1 Milliarde DM, die Sie mit der Differenz von 3 % zu 5 % Vorsteuerpauschale anwerben wollen, eine echte Einkommensübertragung durchführen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da brauchen wir 10 Milliarden DM!)


Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1104216400
Herr Kollege, ich habe gesagt, das mit den zwei Prozentpunkten ist ein Einstieg. Die 2 % müssen umgestaltet werden. Das ist Beschlußlage. Herr Bredehorn hat das bestätigt. Wir wollen sie so verwenden, daß sie gezielt dorthin fließen, wo es nicht umsatztreibend ist.

(Kuhlwein [SPD]: Bei 200 ha ist Schluß!)

Wenn Sie die andere Hilfe vorziehen, die den umsatzstarken Betrieben immer mehr Geld gibt und den umsatzarmen immer weniger, so daß am Ende nicht einmal die Mutterkuhhaltung mehr finanzierbar bleibt, so mag das, Herr Eigen, in Ihrem Interesse liegen, aber nicht im Interesse der bäuerlichen Struktur.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Beantwortet ist die Frage nicht!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104216500
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1104216600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die jährliche Haushaltsdebatte bietet eine gute Gelegenheit, um eine politische Bilanz über das vergangene Haushaltsjahr vorzulegen und einen Ausblick auf das kommende Jahr vorzutragen.

(Vosen [SPD]: Offenbarungseid!) Unsere Bilanz kann sich sehen lassen,


(Vosen [SPD]: Offenbarungseid!)

haushaltsmäßig auf jeden Fall. Sie kann sich auch politisch sehen lassen. Denn Politik ist in den Haushalten umgesetzt. Sie ist das Schicksalsbuch der Nation, nicht irgendwelche Reden, hinter denen jegliche Substanz fehlt, die man irgendwo hält. Ich werde mich an diesem Wettbewerb des Durcheinanders an Reden überhaupt nicht beteiligen.

(Vosen [SPD]: Weshalb reden Sie jetzt?)

Der Gesamthaushalt des Bundes steigt im kommenden Jahr immerhin um 21/2 %, der Agrarhaushalt um 8,2 % und damit überproportional. Das heißt, er steigt von 7 900 Millionen auf 8 560 Millionen, und das übrigens trotz all der vielen notwendigen Sparbemühungen. Wenn Sie sich, meine sehr verehrten Damen und Herren, die einzelnen Positionen des Einzelplans 10 anschauen, dann stellen Sie fest: Der Agrarhaushalt ist sehr stark durch die Probleme bestimmt, die wir in der EG-Agrarpolitik haben. Aufstockungen der einzelnen Positionen sind gezielt erfolgt. Das heißt, sie folgen einem Konzept.
Wir brauchen schließlich keine Flucht in einen blinden Aktionismus, sondern eine zukunftgerichtete Perspektive. Wer allerdings wie Herr Oostergetelo blind ist, kann sie natürlich nicht erkennen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Struck [SPD]: Das gehört sich hier aber nicht! — Zuruf von der SPD: Das ist unerhört! — Oostergetelo [SPD]: Das hat Ihnen wohl wehgetan, Herr Minister! — Borchert [CDU/CSU]: Der Minister hat recht!)

— Dann sage ich halt: agrarpolitisch blind.
Diese Perspektive sehen wir u. a. darin, die Märkte zu entlasten und damit den enormen Preis- und Einkommensdruck in den Betrieben zu mildern und sicherzustellen, daß unsere deutschen Bauern auch künftig ihre Aufgaben für die Gesellschaft wahrnehmen können. Dabei geht es nicht nur um die Sicherung einer preiswerten und qualitativ hochwertigen Nahrungsmittelproduktion oder um die Produktion von Rohstoffen für industrielle Zwecke, sondern zunehmend auch um die Sicherung unserer jahrhundertealten Kulturlandschaft, in der wir auch weiterhin arbeiten, wohnen und unsere Freizeit verbringen wollen.
Der Abbau der EG-weiten Überschußproduktion ist zur Zeit unsere vordringlichste Aufgabe. Das spiegelt sich auch in diesem Haushalt 1988 wider: Allein für die Mengenrückführung bei der Milch sind 521 Millionen DM vorgesehen. Ich werde nachher noch darauf zurückkommen, was Sie, verehrte Frau Flinner, dazu sagen. Damit werden die Milchrente sowie Ausgleichszahlungen für Stillegung und Aussetzung von Referenzmengen finanziert. Die Ausgaben haben sich im übrigen gegenüber 1987 verdreifacht, d. h. wir tun etwas, wir reden nicht nur. Dazu gehören Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 250 Millionen DM für Extensivierungsmaßnahmen bei Getreide, Rindfleisch und Wein.
70 Millionen DM haben wir in den Einzelplan 10 eingestellt, um die nicht mehr von der Europäischen Gemeinschaft in voller Höhe finanzierten Kosten für die Lagerung von Überschüssen aufzufangen. Die Finanzierung von Kassenkrediten für EG-Marktord-



Bundesminister Kiechle
nungsausgaben durch die Bundesanstalt erfordert erstmals Ausgaben in Höhe von 90 Millionen DM, und beide Summen, meine Damen und Herren, stützen die Preise unserer Bauern.
Dies alles sind also Haushaltspositionen, mit denen wir bemüht sind, den Preis- und Einkommensdruck, der auf den landwirtschaftlichen Betrieben lastet, zu mildern. Zur Sicherung der Betriebe in den benachteiligten Gebieten haben wir im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Jahr für Jahr die Ausgleichszulage verbessert. In diesem Jahr sind es immerhin 230 000 Betriebe, die im Durchschnitt eine Ausgleichszulage von 2 600 DM je Betrieb erhalten. Wer hierüber negativ urteilt, möge dies tun.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Jeder andere weiß aber, daß die 2 600 DM, die ein Durchschnittsbetrag sind, netto sind und daß sie nicht zuerst über Einsatz von Produktionsmitteln erwirtschaftet werden müssen und daher in Wirklichkeit, kämen sie aus der Produktion, wesentlich höher sein müßten, weil sie aus den Gewinnen stammen müßten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

1988 werden gegenüber der mehrjährigen Finanzplanung für die Gemeinschaftsaufgabe weitere 85 Millionen DM dazugelegt, um noch mehr Betriebe in die Ausgleichszulage einbeziehen zu können, vor allem nicht Rinder oder Rauhfutterfresser haltende Betriebe, also auch viehlose und Schweine haltende Betriebe, und schließlich auch, um bei schwierigen Wirtschaftsbedingungen den Höchstbetrag von 286 DM je Großvieheinheit und Hektar ausschöpfen zu können.
Meine Damen und Herren, der mit Abstand größte Schwerpunkt im Einzelplan 10 ist weiterhin die Agrarsozialpolitik. Es wurde hier schon angedeutet, ich wiederhole die Zahl: Im nächsten Jahr sind es 4 850 Millionen DM.

(Dr. Struck [SPD]: Sagen Sie doch mal was zur Staatssekretärstelle, B 9!)

Auf jeden Landwirt, der 1988 in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung Mitglied ist und damit Beitragsentlastungskosten erhält, entfällt rechnerisch ein Betrag an Bundesmitteln von 8 300 DM im Jahr. Dabei sind die Bundesmittel für das 3. agrarsoziale Ergänzungsgesetz und das Sozialversicherungsbeitragsentlastungsgesetz nicht einmal berücksichtigt. Sie entlasten die betreffenden und betroffenen Gebiete 1988 zusätzlich um bis zu 3 600 DM je antragsberechtigtem Betrieb.
Immerhin — wenn wir einmal das Jahr 1982 mit dem Jahr 1988 vergleichen — waren es damals in der Agrarsozialpolitik 3,7 statt 4,85 Milliarden DM, bei der Ausgleichszulage 62 Millionen statt 415 Millionen DM, bei der Gemeinschaftsaufgabe 1 050 Millionen statt 1 485 Millionen DM und bei der Entlastung der Agrarmärkte 0 statt 521 Millionen DM.
Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, werden diese Zahlen — davon gehe ich wenigstens aus — nicht bestreiten können. Sie sind ja schließlich im Haushalt festgehalten. Sie können sicher auch nicht leugnen, daß es schon 1982 und
davor eine enorme Überschußproduktion auf den Agrarmärkten gab,

(Zuruf von der SPD: Was Sie immer bestritten haben!)

die Sie jahrelang sehenden Auges — Sie waren die Regierenden — einfach hingenommen und zu einer alles niederwalzenden Lawine haben anwachsen lassen.
Da fragt man sich schon: Was sind heute Ihre Rezepte?

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104216700
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo?

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1104216800
Mit dem möchte ich mich gerade beschäftigen. Vielleicht vergeht ihm nachher die Lust an der Frage.

(Oostergetelo [SPD]: Warum will er keine Zwischenfrage zulassen? — Lachen bei der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104216900
Im Moment noch nicht, Herr Kollege. Ich bitte, Platz zu nehmen.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1104217000
Im Moment noch nicht, vielleicht später.

(Zuruf von der SPD: Lesen Sie weiter! — Weitere Zurufe von der SPD)

Was Sie von der SPD wollen, haben wir heute noch einmal etwas eindeutiger erfahren. Herr Dr. Struck, ich möchte Ihnen eine Zahl nennen. Es gibt noch ein Bundesland, das auch agrarpolitisch eine größere Bedeutung hat. Es ist nicht Niedersachsen — dort regieren Sie nicht — , sondern Nordrhein-Westfalen. Ich habe verglichen, was im Jahre 1988 gegenüber 1987 in Taten — nicht in Worten — dort für die Landwirtschaft getan werden soll. Es ist das einzige Bundesland, das 112 Millionen DM der Landwirtschaft wegstreichen will. Alle anderen erhöhen ihre Ausgaben.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Das sind die Worte hier und die Taten dort.
Ansonsten möchte ich mich noch ein wenig zu dem äußern, was Herr Oostergetelo gesagt hat: Herr Oostergetelo, Sie sagten, der Strukturwandel sei überzogen, es müßten zur Zeit mehr Bauern ausscheiden, als der Strukturwandel notwendig mache. Können Sie sich noch erinnern: Von 1970 bis 1976 im Jahr 40 000 Ausgeschiedene, von 1976 bis 1982 im Jahr 30 000 Ausgeschiedene, von 1982 bis 1986 im Jahr 14 000 Ausgeschiedene? Der Strukturwandel hat sich also nicht verstärkt; im Gegenteil: Es sind weniger ausgeschieden.
Ich stehe aber dazu, daß es einen Strukturwandel geben muß. Nur soll man sich nicht hier hinstellen, wobei der eine dies, der andere das Gegenteil behauptet, und das Ganze noch als Konzept bezeichnen.



Bundesminister Kiechle
Oder, was Sie sagten, zu den Finanzhilfen statt Preisen: Ich kenne natürlich das System, das sowohl im EG-Parlament als auch hier mit Umschreibungen, in denen man das Wort Marktwirtschaft mißbraucht, dargestellt wird. Sie sagen, die Preise solle man durchsacken lassen und zum Ausgleich den Landwirten monatlich einen Scheck schicken — das ist jetzt meine Übersetzung dessen, was Sie sonst umschreiben.

(Zuruf von der SPD: Gewagt übersetzt, sehr gewagt!)

Sie sagen: direkte Finanzhilfen statt Preise. Nun gut, dann müssen Sie das Rechnen anfangen. Wir wissen ganz genau, daß 1 % Preis querbeet aller Preise auch heute noch bei schlechten Preisen rund 550 Millionen DM ausmacht, 10 % schon 5,5 Milliarden DM. Wie sollen wir das über Finanzhilfen ausgleichen? Das ist doch völlig ausgeschlossen.
Sie sagen auch, die Finanzhilfen kommen nicht direkt an. Ich empfehle Ihnen, daß Sie gelegentlich das lesen, was in Form von Antworten an das Parlament von seiten der Bundesregierung veröffentlicht wird. Immerhin sind die Finanzhilfen des Jahres 1986 als Ist ausgewiesen; die direkten Finanzhilfen sind also tatsächlich 7,8 Milliarden DM gewesen. Wir wissen auch, daß wir damit nicht die Preisverluste ausgleichen können. Wir haben auch nie behauptet, daß wir das damit tun würden.
Dann haben Sie noch die Vorruhestandsregelung angemahnt. Wir sind bemüht, sie durchzusetzen. Da Sie aber gleichzeitig von mir verlangen, daß sie EG-weit durchgesetzt werden muß, müssen Sie eben abwarten, bis es dort gelungen ist, eine solche Regelung auf den Weg zu bringen. Sollten wir sie dann nicht auf den Weg bringen können und eventuell sogar daran denken, sie national durchzusetzen, dann hoffe ich, auch Sie auf der Seite derer zu haben, die mit entsprechenden Mitteln dafür sorgen, daß sie durchgeführt wird.
Sie haben gesagt, die Extensivierung sei noch nicht beschlossen und man hätte den Bauern wieder 250 Millionen DM vorenthalten. Wenn ich Sie ernst nehmen wollte, dann müßte ich hier auf Bayerisch deutlich sagen, was ich von einer solchen Bemerkung halte, oder ich kann sie nicht ernst nehmen. Letzteres ziehe ich in diesem Fall vor.

(Zuruf von der SPD: Unfair!)

Sie wissen ganz genau, daß die Extensivierungsrichtlinie Mitte letzten Jahres mit der Auflage in Kraft getreten ist, sie national bis Mai durchzusetzen. Gleichzeitig verlangen Sie aber, daß es EG-weit geschieht. Nach unseren Erkundigungen hat noch kaum ein Land der EG die entsprechende Durchsetzung so weit vorbereitet, daß sie am 1. April in Kraft treten kann. Wir sind annähernd so weit, aber wir wollen natürlich nicht unbedingt voranspringen und voranlaufen, sondern möchten schon — auch im Rahmen der jetzigen Verhandlungen geschieht das — , daß dies EG-d'accord läuft; denn ganz allein können wir die Marktentlastung auch nicht schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Man sollte mir hier das Leben nicht mit der billigen Polemik schwermachen, wir hätten 250 Millionen DM nicht angewandt, sozusagen den Bauern vorenthalten, die wir vor 1989 in Form von Geldmitteln sowieso nicht anwenden können, selbst wenn wir das am 1. April dieses Jahres in Kraft gesetzt hätten. Mich machen solche unehrlichen Argumente, ehrlich gesagt, ärgerlich, obwohl ich sonst nicht in diese Richtung argumentiere.

(Dr. Struck [SPD]: Na, na! Vorsichtig!)

Wenn Sie nur etwas machen wollen, das sozusagen wie Kunst am Bau aussieht, wo man an einem agrarpolitischen Gemälde zwar etwas bestaunen kann, wovon aber niemand satt wird, dann sagen Sie es. Dann schalten und blenden Sie sich aus, wenn andere in schwierigen Situationen nach Auswegen suchen, behaupten aber von mir, ich täte das.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104217100
Herr Bundesminister, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1104217200
Ja, ich lasse sie jetzt zu, vorausgesetzt, sie ist kurz und kein Bandwurm, lieber Herr Oostergetelo.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104217300
Zwischenfragen haben immer kurz und präzise zu sein, Herr Bundesminister.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1104217400
Ich habe nicht gewußt, daß Sie auch die Bedingungen stellen.
Herr Bundesminister, ist es wirklich so, daß Sie in Fragen bezüglich der Extensivierung — ich habe die Milchkuhhaltung genannt — , wo Sie schon jetzt etwas tun können, durchgekommen sind, oder sind Sie nicht an dem Finanzminister gescheitert? Ist das wahr, oder ist es nicht wahr?

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1104217500
Die Mutterkuhhaltung gehört gar nicht in die Extensivierungsrichtlinie. Die Dinge könnten längst geregelt werden. Die Frage ist nur: Ist es eine Länder- oder Bundesaufgabe? Ein Land wie Ihres, das 112 Millionen DM streicht, wird ja wohl kaum noch die Mutterkuhhaltung übernehmen wollen.

(Zuruf von der SPD: Der kommt aus einem anderen Land!)

— Sie kommen aus Niedersachsen? Dann nehme ich das zurück. Es ist aber von Ihren Freunden regiert.
Jetzt lassen Sie mich aber noch etwas zu den GRÜNEN sagen, weil hier Frau Flinner einige Bemerkungen gemacht hat. Sehr verehrte Frau Flinner, Sie treten für gestaffelte Preise, für die Verteuerung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln — was das bringen soll, müßten Sie mir einmal erklären — , für eine Verhinderung des verstärkten Anbaus nachwachsender Rohstoffe ein, was ja wohl im Klartext heißt: für das Auf-den-Weg-Bringen einer zweiten Produktionslinie. Das ist Ihr gutes Recht. Erläutern Sie es den Bauern, wie so etwas funktionieren soll. Ich bin anderer Meinung. Sie haben aber die Milchrente als etwas



Bundesminister Kiechle
bezeichnet, mit dem man die bäuerlichen Betriebe — ich habe etwas mitgeschrieben — um ihre Existenz bringen will.

(Frau Flinner [GRÜNE]: Ja, das ist richtig!)

Erstens — da Sie dann auch noch die Frage des Strukturwandels angeschnitten haben — : Bei den 700 000 landwirtschaftlichen Betrieben sind alle von einem Hektar aufwärts gezählt worden. Sollten Sie meinen, daß auch ein Ein-Hektar-Betrieb in Zukunft voll erhalten werden muß, dann müssen Sie dafür die Vorlage liefern. Ich habe noch nie von einem Bauern gehört, daß er mit einem, drei oder sieben Hektar glaubt, seine Zukunft meistern zu können. Immerhin, so sind die Fakten. Sie stellen hier dar, daß jeder von den 700 000 erhalten bleiben muß.
Zweitens. Was haben denn die Bauern — Anfang der 70er 40 000 und 30 000 bis in 1982 — jedes Jahr mit ihren Kühen gemacht? Sie haben die alten Kühe zu Schlachtpreisen verkauft, die niedrig waren. Ein paar von ihren 7 oder 11 Kühen konnten sie vielleicht an den Nachbarn verkaufen. Dann war Sense. Seit wir die Politik machen, bekommen gerade diese Bauern, die aus anderen Gründen aufhören, neben der Entschädigung für das Aufhören auch für ihre Milchkühe, die sie auf dem Markt verkaufen könnten, von seiten des Staates eine Entschädigung, die sich je nach Kilogramm Milch mindestens um eine D-Mark bewegt. Ist das keine Hilfe für kleine Bauern, die ohnehin aufgehört hätten,

(Frau Flinner [GRÜNE]: Nein, die müssen aufhören!)

weil sie z. B. keinen Sohn haben, weil sie sich zu einem Beruf entschließen und anderes? Dann müssen Sie sagen: Man soll sie den Kleinen streichen, und sie müssen ihren Strukturwandel so durchstehen. Das alles ist doch dummes Zeug. Das ist doch keine Perspektive und auch kein Hinweis. Das ist noch nicht einmal eine Kritik. Das ist eine Falscheinschätzung einer guten Maßnahme. Das möchte ich Ihnen einmal sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Was den Mutterschutz betrifft: Darüber können Sie mit uns reden. Aber immerhin sollten Sie dann auch anerkennen, daß es diese Regierung war, die auch für Bäuerinnen das Erziehungsgeld eingeführt hat. Das ist für die jungen Familien eine ganz mächtige Entlastung.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Früher gab es dazu gar nichts. Auch das muß man hinzufügen. Und hier stellt man sich dann hin und hat außer Kritik überhaupt nichs, aber überhaupt nichts zu bieten. Das ist etwas, was mit Agrarpolitik nichts zu tun hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Struck [SPD]: Über wen haben Sie sich so geärgert? — Frau Vennegerts [GRÜNE]: Die Wahrheit tut weh!)

Auch ich habe nicht alles durchsetzen können. Ich weiß, wir müssen wie überall auch hier das wirtschaftspolitische Umfeld betrachten und müssen damit auch erkennen, was machbar ist. Konkret heißt das: Bei allem, was wir für die Landwirtschaft tun, müssen wir berücksichtigen, daß wir nicht mehr ausgeben können, als wir insgesamt einnehmen, daß wir das, was wir ausgeben, gezielt ausgeben, daß wir bei der Lösung von Problemen schrittweise vorgehen und das Wichtigste zuerst tun und daß staatliche Hilfen im Grund nicht über Hilfe zur Selbsthilfe hinausgehen können.
Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen des Parlaments, besonders des Haushaltsausschusses, die verständnisvoll und konstruktiv bei den Beratungen mitgewirkt haben, herzlich bedanken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Vennegerts [GRÜNE]: Ihre eigenen Leute haben Sie im Regen stehengelassen!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104217600
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN. Ich rufe diese Änderungsanträge in der Reihenfolge der Drucksachennummern auf.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1239? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1240? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1241? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1242? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1243? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir stimmen über den Einzelplan 10 ab. Wer dem Einzelplan 10 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 10 ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 31
Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
— Drucksachen 11/1073, 11/1081 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Scheu Diller
Frau Seiler-Albring Frau Rust
Zu diesem Einzelplan liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1340 vor.



Präsident Dr. Jenninger
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. — Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Diller.

Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1104217700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft war in der Regierungszeit von SPD und FDP ein Haushalt, der der Jugend Zukunftschancen eröffnete, ein Haushalt, der Chancengleichheit herstellte, und ein Haushalt, der unserem Land einen Spitzenplatz in der schulischen, in der beruflichen und in der wissenschaftlichen Ausbildung und Bildung sicherte.
Wer mit solchen Erwartungen heute an den Haushalt von Minister Möllemann herangeht, wird bitter enttäuscht.

(Kuhlwein [SPD]: Wo ist er denn überhaupt? — Weitere Zurufe von der SPD: Wo ist der Minister?)

— Wo ist er denn eigentlich? Wahrscheinlich kneift er mal wieder.

(Roth [SPD]: Wahrscheinlich Karnevalsorden einheimsen! — Dr. Struck [SPD]: Das ist ein Affront gegenüber dem Parlament!)

Der Minister versucht ständig, Schlagzeilen zu produzieren.

(Zurufe von der CDU/CSU — Becker [Nienberge] [SPD]: Beim Haushalt kommt der Minister! — Unruhe)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104217800
Bitte, Herr Kollege, fahren Sie fort. Es ist festgestellt worden, daß der Bundesminister nicht anwesend ist. Diese Feststellung genügt zunächst einmal.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das genügt nicht!)


Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1104217900
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre wichtig, daß der Minister da wäre, weil er ja auch im Ausschuß nur an einer einzigen Sitzung teilgenommen hat, die zudem für ihn sehr unglücklich verlief. Es geht darum, daß man sich mit ihm auseinandersetzen kann.

(Bundesminister Möllemann betritt den Plenarsaal)

— Ich begrüße, daß er nun kommt. —

(Zurufe von der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104218000
Bitte, Herr Kollege, fahren Sie fort.

Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1104218100
Offenbar verzehrt seine Sucht, Schlagzeilen zu produzieren, bei ihm so viel Energie, daß ihm zur Bewältigung seiner Aufgaben als Ressortminister und zur Lösung der anstehenden Probleme nichts mehr übrigbleibt.

(Beifall bei der SPD)

Gewogen und vom Finanzminister für zu leicht befunden, sagt ihm Herr Stoltenberg, wo es mit der Bildung
und der Wissenschaft langgeht, nämlich abwärts mit
den Ansätzen, in den Keller, und der Minister schluckt eine Kürzung nach der anderen.

(Zuruf von der SPD: Leider wahr!)

1971 beginnend haben Sozialdemokraten in den 70er Jahren den Jugendlichen durch BAföG geholfen, regionale, finanzielle und geschlechtsspezifische Handikaps zu überwinden. Wir eröffneten ihnen Chancen, ihre Begabungen voll zu entfalten, Berufsfachschule, Fachoberschule, Gymnasium erfolgreich zu absolvieren, ein Studium erfolgreich zu beenden. 1982 brachte der Bund dafür 2 300 Millionen DM auf.
Unsere Erfolge waren eindeutig. Die Anteile der Schulabgänger mit mittlerer Reife und Abitur verdoppelten sich, die Anteile der Mädchen an diesen Schulabschlüssen stiegen enorm. Jeder dritte Studierende wurde in unserer Regierungszeit mittels BAföG gefördert. Seit der Wende zerstören CDU, CSU und FDP BAföG systematisch. Die Ausgaben kürzten sie um 38 %. Studenten-BAföG wurde durch die Umwandlung von Zuschüssen in Darlehen für die Empfänger qualitativ entscheidend verschlechtert, während sich die Einnahmen des Staates in Form von Zins- und BAföG-Rückzahlungen fast vervierfachten. Bald wird, meine sehr verehrten Damen und Herren, jede fünfte Mark, die der Bund für BAföG ausgibt, nicht mehr aus Steuermitteln, sondern aus den Rückzahlungen der BAföG-Darlehen bezahlt,

(Rauen [CDU/CSU]: Das ist auch gut so!)

eine Entwicklung, die wir — ähnlich wie bei der Entwicklungshilfe — beklagen müssen und die deutlich macht: Die BAföG-Korrekturen der Bundesregierung für 1988 sind bloße Kosmetik, die nicht verbergen kann, daß die Regierung an der finanziellen Demontage des BAföG festhält, damit Hochschulbildung wieder ein Privileg für Begüterte wird. Wer Jugendlichen wirklich eine Zukunftschance eröffnen will, muß deshalb mit uns für die Wiederherstellung der von uns geschaffenen Ausbildungsförderung eintreten und dafür kämpfen.

(Beifall bei der SPD)

Eine solide Berufsausbildung, meine Damen und Herren, ist der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit. Nach dieser Devise haben wir in den 70er Jahren in Zusammenarbeit mit den Kammern den Bau überbetrieblicher Ausbildungsstätten durch Bundesmittel gefördert. War die Wirtschaft zunächst sehr zögerlich, bestätigen heute alle: In den strukturschwachen Räumen der Bundesrepublik wäre eine qualifizierte Berufsausbildung ohne überbetriebliche Ausbildungsstätten nicht mehr möglich. Dieser Tage schrieb uns ein Präsident einer Handwerkskammer folgende Zeilen — ich zitiere — :
Wenn heute im Handwerk nahezu jeder zweite Betrieb ausbildet, dann haben gerade diese überbetrieblichen Einrichtungen einen wesentlichen Anteil daran, daß einerseits den Jugendlichen in ausreichendem Maße Ausbildungsmöglichkeiten bereitgestellt werden können und andererseits auch qualifiziert ausgebildet wird.

(Beifall bei der SPD)




Diller
Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit 1973 sind 3 000 Millionen DM in überbetriebliche Ausbildungsstätten investiert worden, für die heute Mittel zur Modernisierung dringend benötigt werden. Der Einzug neuer Technologien in Handwerk und Industrie erfordert neue überbetriebliche Ausbildungsstätten. Auch die Industrie entdeckt — nicht zuletzt durch neue Ausbildungsordnungen für Elektro- und Metallberufe — ihren Wert. Der Antragsstau im Ministerium ist ungeheuer. 93 Anträge mit einem Volumen von 241 Millionen DM

(Kuhlwein [SPD]: Hört! Hört!)

werden auch im nächsten Jahr kein grünes Licht aus Bonn erhalten können. Nichts geht, weil das Ministerium den im Oktober 1986 für die diesjährige Etatberatung angeforderten Bericht nicht vorlegen kann und weil Minister Möllemann im Ringen mit dem Finanzminister auf der Verliererstraße blieb. Statt 80 Millionen DM, wie vom Ausschuß vor Jahresfrist empfohlen, konnte er nur 58 Millionen DM als Baransatz erreichen. Seine Ankündigung vom September, daß rechtzeitig zur Bereinigungssitzung im November der Bericht vorliegt, erwies sich als eine weitere seiner üblichen Sprechblasen. Während Möllemann in der „Handwerkszeitung" vom 8. Oktober 1987 tönte, „Möllemann kämpft für überbetriebliche Ausbildungsstätten! ", blieb es den Berichterstattern überlassen — ich bedanke mich hier ausdrücklich beim Kollegen Scheu — , dafür zu sorgen, daß die Ansätze wenigstens um weitere 15 Millionen DM erhöht wurden. Es werden die Berichterstatter sein, die alles daran setzen werden, Mittel für überbetriebliche Ausbildungsstätten auch in den kommenden Jahren im notwendigen Umfang zu veranschlagen.

(Dr. Struck [SPD]: Sehr gut!)

Es bleibt abzuwarten, bis wann der Minister, um die Mittel entsperrt zu bekommen, seine Hausaufgaben erledigt und den Bericht abliefert. Sie sollten bedenken: Jeder Monat, der ungenutzt verstreicht, ist ein Monat mehr, in dem bereitgestellte Millionen D-Mark an Komplementärmitteln der Länder und der Träger nicht abgerufen, nicht in Investitionen umgesetzt werden können, in denen Firmen auf Aufträge, Arbeiter auf Arbeit und junge Menschen auf ihren Ausbildungsplatz warten müssen. Dies haben Sie, Herr Minister, zu verantworten.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ganz gestrichen wurde aus dem Bundeshaushalt das Benachteiligtenprogramm. Ob die Arbeitsverwaltung auch 407 Millionen DM, wie im laufenden Jahr, oder gar 464 Millionen DM, wie von der SPD für 1988 beantragt, bereitstellen kann — niemand weiß es. Minister Möllemann hat zwar auf einem Kongreß unterstrichen, wie notwendig ein Benachteiligtenprogramm ist, doch wird er sich fragen lassen müssen, ob er nicht leichtfertig die finanzielle Zuständigkeit abgegeben hat. Auf der Strecke bleiben benachteiligte Mädchen und Jungen, denen schon in diesem Herbst viele Träger von Ausbildungsmaßnahmen erklären mußten, daß sie wegen Möllemanns Rückzug keinen neuen Ausbildungsjahrgang aufnehmen können.
Ersatzlos weggefallen ist auch das 83er Sonderprogramm zur Schaffung von Ausbildungsplätzen. Unser Antrag, dafür ein Sonderprogramm zur Ausbildung von Mädchen zu starten, war gut begründet, denn zwei Drittel aller unversorgten Bewerber sind Mädchen. Sie haben die schlechteren Chancen, qualifizierte Ausbildungsgänge zu durchlaufen, sie leiden doppelt und dreifach, wenn sie obendrein in den strukturschwachen Regionen zu Hause sind. Dennoch wurde unser Antrag abgelehnt. Über die Gleichberechtigung reden ist sehr leicht, meine Damen und Herren, doch muß man ihr dort, wo sie beginnt, nämlich bei der beruflichen Bildung, notfalls auch durch finanzielle Hilfen zum Durchbruch verhelfen.

(Beifall bei der SPD)

Verloren hat Minister Möllemann auch im Hochschulbau. Der Ansatz für 1988 bewegt sich selbst nach Einschätzung des Kollegen Scheu an der untersten Grenze. Die Länder werden zur Vorfinanzierung gezwungen sein. Die mittelfristige Finanzplanung verheißt die Handschrift Stoltenbergs und damit nichts Gutes: Kürzungen um weitere 20 % in den nächsten drei Jahren. Mit diesem Minister kann Stoltenberg wohl alles machen.
Der bisher seitens der evangelischen Studentenwerke und katholischen Hochschulgemeinden mit viel Hoffnungen und Erwartungen verknüpfte Leertitel, genannt „Hilfen für unverschuldet in Not geratene ausländische Studenten", ist auf Betreiben der CDU/CSU und mit Billigung der FDP gestrichen worden.

(Kuhlwein [SPD]: Hört! Hört!)

Der Antrag der SPD auf Ausweisung bescheidener 5 Millionen DM wurde abgelehnt, weil man kein neues Leistungsgesetz schaffen wollte bzw. angeblich kein Geld im Haushalt des Ministeriums sei. Welch eine armselige Begründung für diesen herzlosen Schritt!

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte an dieser Stelle ein paar Worte noch zu dem Antrag von seiten der Fraktion der GRÜNEN, der uns eben eingereicht worden ist, sagen. Meine sehr verehrten Damen und Herren von den GRÜNEN, dieser Antrag segelt unter einem völlig falschen Titel. Was Sie hier wollen, ist nämlich, eine entwicklungspolitische Dimension in die Studentenförderung einzubringen. Deswegen meinen wir, sollte dieser Antrag zunächst einmal in einem Fachausschuß besprochen werden, bevor man über ihn hier im Plenum endgültig entscheiden kann.
Die SPD wird diesen Haushalt ablehnen, weil der Haushalt kein angemessener Beitrag zur Förderung der Chancengleichheit ist und unserer Jugend nicht in dem notwendigen Maße zukunftsträchtige Perspektiven eröffnet. Der Haushalt zeigt, wohin es mit Bildung und Wissenschaft, mit Chancengleichheit und Zukunftssicherung unter Minister Möllemann geht: abwärts. Seine Begabung mag zur Produktion von Sprechblasen und Schlagzeilen ausreichen, nicht aber, um in finanzpolitisch schwierigeren Zeiten die



Diller
Zukunft unserer Jugend in Bildung und Ausbildung zu sichern.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104218200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Scheu.

Gerhard Scheu (CSU):
Rede ID: ID1104218300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Regierungsentwurf 1988 sind für das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft 3,458 Milliarden DM vorgesehen. Gegenüber dem verfügbaren Soll 1987 und unter Berücksichtigung der arbeitsförderungsrechtlichen Verankerung des Benachteiligtenprogramms bedeutet dies, daß die Ansätze in den Aufgabenschwerpunkten dieses Einzelplans — Ausbildungsförderung, Hochschulen, berufliche Bildung, Forschung — in etwa auf dem hohen Niveau dieses Jahres gehalten und zum Teil noch gesteigert werden konnten.
Das 17. Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes erfordert mit seinen Verbesserungen 1988 einen Finanzaufwand von 1,445 Milliarden DM, der im Zusammenhang von Ausbildungsförderung und verbessertem Familienlastenausgleich gesehen werden muß. Beides zusammen verbessert in erheblichem Umfang die wirtschaftliche Lage der Familien mit Kindern und damit der Studenten.
Die Bundesregierung hat in ihrem BAföG-Bericht die Situation der Bezieher mittlerer Einkommen gründlich analysiert. Die darin vorgelegten Kreditmodelle erscheinen geeignet, ein Konzept zur Erschließung des sogenannten „Mittelstandslochs" zu entwickeln.

(Kuhlwein [SPD]: Welches?)

Der Bund unterstützt die Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken" mit hohen Fördermitteln. Die Förderung hat das Ziel, ein ausreichendes, regional und fachlich ausgeglichenes Angebot an Forschungs- und Ausbildungsplätzen im Hochschulbereich zu sichern. Der 17. Rahmenplan für den Hochschulbau sieht ein Investitionsvolumen von Bund und Ländern von rund 12 Milliarden DM vor, davon rund 9,3 Milliarden DM für die Jahre 1988 bis 1991.
Der Bund nimmt an, die quantitativen Probleme der Hochschulen würden mit Hilfe der Gemeinschaftsaufgabe bis Anfang der 90er Jahre im wesentlichen überwunden sein. Nach Auffassung der Länder allerdings reichen die im Finanzplan für 1989 bis 1991 vorgesehenen Beträge für eine bedarfsgerechte Mitfinanzierung nicht aus. Ich kann diese Frage nicht abschließend beantworten. Aber gerade weil mit dem 17. Rahmenplan die langfristig vorgesehene Ausbildungskapazität ihrer Vollendung entgegengeht, müssen die Finanzplanansätze und die regionale Verteilung der Bundesmittel einem noch zu erstellenden Bericht über die regionalen Ausbauzustände bei den Hochschulen entsprechen.
Ich begrüße es, das der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft uns diesen Bericht rechtzeitig für die nächstjährigen Beratungen versprochen hat. Erst müssen eventuelle regionale Ausbaurückstände beseitigt sein, bevor neue Aufgabenschwerpunkte gesetzt werden.
Eine ähnliche Lage stellt sich im Bereich der überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Deren Modernisierung und Ausbau zu Technologietransferzentren wird für die mittelständischen Unternehmen und das deutsche Handwerk auch mit Blick auf die berufliche Weiterbildung zu einer Frage von zunehmender Dringlichkeit. Die hohe Ausbildungsquote bei Klein- und Mittelbetrieben von derzeit rund 14 % kann nur gehalten werden, wenn diese auf Dauer in der Lage sind, betriebliche Aus- und Weiterbildung in einer der schnellen technologischen Entwicklung folgenden Qualität anzubieten.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Deshalb und um für die von der Bundesregierung noch vorzulegende Konzeption zur Modernisierung überbetrieblicher Ausbildungsstätten ein Signal zu setzen, hat der Haushaltsausschuß übereinstimmend die für 1988 vorgesehenen Bundesmittel um 5 Millionen DM und die Verpflichtungsermächtigungen für künftige Haushaltsjahre um 10 Millionen DM erhöht.
Die Bundesregierung wird entscheiden, inwieweit die Förderung notwendiger größerer Reinvestitionen auch in Zukunft als Bundesaufgabe angesehen werden kann. Daß das Verfassungsgericht den Begriff „Recht der Wirtschaft" in einem weiten Sinne aufzufassen geneigt ist, sollte hierbei nicht unberücksichtigt bleiben.
Auch im Bereich der beruflichen Bildung wollen wir in Zukunft besondere Begabungen und Leistungen fördern. Wir begrüßen es, daß hierfür erstmals eine besondere Unterziffer für Preise und Wettbewerbe geschaffen werden konnte.
Bildung, Wissenschaft, Forschung und Entwicklung sichern unsere künftige Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit und damit unsere wirtschaftliche Existenz.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Die Anstrengungen deutscher Nachwuchswissenschaftler dürfen nicht nachlassen. Im Rahmen der finanziellen Grenzen streben wir an, die Förderung insbesondere der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Einzelplan 31 in den kommenden Jahren bedarfsgerecht entwickeln zu können.
Meine Damen und Herren, erstmals seit 1981 gibt es — trotz anhaltend hoher Nachfrage im Bundesgebiet — mehr unbesetzte Ausbildungsplätze als unvermittelte Bewerber. Auch die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen unter 20 Jahre ist im Oktober 1987 auf 6 % abgesunken. Diese enorme Anstrengung hat nicht nur die Leistungsfähigkeit der deutschen dualen Berufsausbildung auch in schwieriger Zeit unter Beweis gestellt. Ich glaube, alle, Skeptiker und Optimisten, sollten in der Anerkennung dieser herausragenden Leistung unseres Handwerks und unserer mittelständischen Betriebe übereinstimmen können.
Es gab und es gibt keine Ausbildungslüge, sondern einen — sehen Sie mir diesen Ausdruck nach — Lehrlingsrekord nach dem anderen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Scheu
Wenn ich mich daran erinnere, wie noch vor wenigen Jahren viele Schulabgänger einschließlich ihrer Lehrer und Eltern — auch in meinem Wahlkreis BambergForchheim — bange um ihre Ausbildung waren, und wenn nun meine Heimatzeitung „Fränkischer Tag" berichtet: „Erstmals seit 1980 Überangebot an Lehrstellen", dann sollten wir auch dankbar für diese gute Entwicklung sein können.

(Nelle [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104218400
Herr Abgeordneter Scheu, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Odendahl?

Gerhard Scheu (CSU):
Rede ID: ID1104218500
Wird das auf meine Zeit angerechnet?

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104218600
Nein, ich rechne grundsätzlich keine Zwischenfragen an.

Gerhard Scheu (CSU):
Rede ID: ID1104218700
Bitte sehr.

Doris Odendahl (SPD):
Rede ID: ID1104218800
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß trotz der gefeierten Rekorde die Zahl der unversorgten Bewerberinnen und Bewerber auch in diesem Jahr 34 200 betrug?

(Frau Pack [CDU/CSU]: Das war immer schon so, und das wird auch immer so bleiben!)


Gerhard Scheu (CSU):
Rede ID: ID1104218900
Frau Kollegin, Sie sollten als Tatsache anerkennen, daß wir in den Jahren seit 1983 — 1984, 1985, 1986 und auch im Jahr 1987 — Jahr für Jahr Ausbildungsplatzrekorde erzielt haben. Das ist ein weitaus besserer Zustand, als es ihn in früheren Jahren gegeben hat. Ich hoffe, auch Sie können das begrüßen.
Meine Damen und Herren, es gibt nicht nur regionale, es gibt auch berufssektorale Ungleichgewichte in der Berufsausbildung. Das Überangebot in gewerblich-technischen Berufen muß Anlaß sein, von den Vorzügen dieser Berufe gerade mit Blick auf den vorhersehbaren Rückgang der Nachwuchszahlen ein realistischeres Bild zu vermitteln. Die Zukunft wird nicht nur hochtechnisierte Berufe benötigen. Auch traditionelle Dienstleistungen wird der Konsument, auf den es letztlich ankommt, nach wie vor in Anspruch nehmen. Handwerk hat auch in Zukunft goldenen Boden.
Der Anteil der Lehrstellenbewerber mit Fachhochschul-/Hochschulreife ist inzwischen auf rund 15 gestiegen. Die früher fast selbstverständliche Kopplung von Abitur und Studium hat im Bewußtsein der Abiturienten an Bedeutung verloren. Die sogenannte Bruttostudierquote wird 1988 auf voraussichtlich unter 75 % sinken.

(Frau Odendahl [SPD]: Das ist alles so abgedroschen!)

Das zeigt die wachsende Neigung zu einer mehr praxisorientierten Form des Lernens, wie sie die Verbindung von fachtheoretischem Lernen und praxisbezogener Wissensanwendung — learning by doing — im dualen System kennzeichnet.
Enttäuscht über diesen neuen Realismus können eigentlich nur diejenigen sein, die Anfang der 70er Jahre die Deutschen zu einem Halbakademikervolk machen wollten. Eine wachsende Zahl von Akademikern schafft sich ihren eigenen Arbeitsmarkt eben nicht selbst, wie die Bildungsillusionisten postuliert hatten. Viele arbeitslose junge Akademiker tragen heute bitter an dieser Fehleinschätzung, die glaubte, den Zusammenhang zwischen Bildungssystem, Volkswirtschaft und Arbeitsmarkt vernachlässigen zu können.
Auch heute noch wenden sich die GRÜNEN als späte Opfer der Bildungsreform — wofür ihre Broschüre zur Jugendpolitik eindrucksvoller Beleg ist — gegen die, wie sie sagen, „zunehmende Instrumentalisierung von Schulbildung, Ausbildung und Weiterbildung für ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit", gegen die angeblich „kapitalkonforme Hochschule". Sie fordern eine „Berufsausbildung, die nicht vom Produktionsinteresse der Betriebe abhängig" ist und an die sich — natürlich — ein „Universitätsstudium sinnvoll und ohne Selektion anschließen kann".

(Daweke [CDU/CSU]: Und die Trennung von Schule und Unterricht!)

Die GRÜNEN sehen Lehrlinge unter Fremdbestimmung ihrer Ausbilder, die durch ihre Zensuren angeblich „festlegen, wie klug oder wie dumm man/frau angeblich ist und ob man/frau sich qualifizieren darf " .
Bemerkenswert ist, wie weit sich dieses vom Bundesvorstand der GRÜNEN herausgegebene Pamphlet — so eine Abgeordnete der GRÜNEN selbst — von der wirklichen Haltung der Jugendlichen entfernt. Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat 10 000 Lehrlinge nach Abschluß ihrer Lehre befragt. Mehr als drei Viertel haben ihre Ausbilder positiv beurteilt. Sie seien fast zu jeder Zeit bereit gewesen, Fragen zu beantworten und Tips zu geben. Störend an der Berufsschule empfanden die Lehrlinge, daß im Unterricht oft Themen abgehandelt werden, die nicht zu den Ausbildungsinhalten im Betrieb passen. Auch die Hochschüler bemängelten in der elften Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes, daß die Hochschule beim Übergang in das Beschäftigungssystem zuwenig helfe.
Unsere Lehrlinge und Studenten sind zielstrebig, leistungsbewußt und realistisch. Sie wollen, daß das Bildungssystem die Entwicklungen in der Wirtschaft stärker als in der Vergangenheit kontinuierlich berücksichtigt. Professor Dr. Hans Maier hat hierzu bereits 1965 gesagt:
Eine Bildung ohne soziale und berufliche Dimension ist kein schöner Traum; sie ist ein Alptraum. Gewiß befreit sie, aber doch immer nur im Maße ihres Bezugs zu einer Lebenspraxis.
Hoffen wir im Interesse unserer Jugend, daß dieser Satz in diesem Hause und in unserer Gesellschaft mehr beherzigt wird als in sozialistisch-liberalen Vergangenheiten!
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zum Haushalt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft, dem ich im übrigen, unbeschadet meiner sonstigen Wertschätzung, empfehle,



Scheu
die Publikationen seines Hauses in den Farben des Bundes, statt in denen seiner Partei, nämlich BlauGelb, erscheinen zu lassen.

(Zurufe von der SPD)

Es ist zwar fast unmöglich von der FDP in Bonn nicht mitregiert zu werden, aber die Farben des Bundes sind immer noch Schwarz-Rot-Gold. So soll es bitte auch bleiben.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104219000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hillerich.

Imma Hillerich (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104219100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Möllemann, eine Woche vor der Plenardebatte über den Haushalt sprechen Sie sich vor der Bildungspolitischen Konferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes gegen kurzsichtiges und falsches Sparen im Bildungsbereich aus. Monate vorher lassen Sie als verantwortlicher Minister nicht nur Kürzungen im Bildungsetat von insgesamt 11 % zu — die stärksten Kürzungen in einem Etat — , sondern nehmen auch die katastrophalen Auswirkungen der von Ihnen mitgetragenen Steuerumverteilung dieser Bundesregierung für die Einschränkung dringend notwendiger Bildungsausgaben in Ländern und Gemeinden überhaupt nicht zur Kenntnis. Das ist mindestens doppelzüngig. Ihre politische Unglaubwürdigket haben Sie so ein weiteres Mal deutlich unter Beweis gestellt.
250 000 Jugendliche ohne Ausbildung — das, Herr Minister, ist die Bilanz der letzten Jahre; ein Hohn, wenn man an die vollmundigen Versprechungen des Kanzlers zur Wendezeit denkt. Es gibt für die Jugendlichen auch nach Ihren eigenen Aussagen kaum langfristige Beschäftigungsperspektiven. Was tun Sie wirklich dagegen?
Natürlich — ich will Ihnen nicht unrecht tun, Herr Minister — , Sie sind trotz aller ideologischer und sonstiger Nähe zur Unternehmerseite wirklich nicht einflußreich genug, diese zu überreden, mehr qualifizierte Ausbildungsplätze oder gar Arbeitsplätze zu schaffen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Möllemann nicht einflußreich? Das meinen aber auch nur Sie!)

Wäre es da nicht unabdingbar, die Haushaltsansätze für den Bildungs- und Ausbildungsbereich deutlich zu erhöhen? Um so unverständlicher ist es ja wohl, daß Sie z. B. das einmalige Sonderprogramm zur Gewinnung von über- und außerbetrieblich organisierten Ausbildungsplätzen, ein ohnehin schon lächerlich bescheidenes Programm, jetzt sang- und klanglos auslaufen lassen wollen, und auch, daß Sie das Benachteiligtenprogramm an die Bundesanstalt für Arbeit abschieben.
Meine Damen und Herren, daß das Risiko, zeitweise oder dauerhaft erwerbslos zu werden, immer noch so ungleich, also ungerecht verteilt ist, dafür sind Sie, Herr Minister, durchaus mitverantwortlich durch eine
Bildungspolitik, die Bildungsprivilegien erhält und an Selektivität und Konkurrenz orientiert ist.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Nach wie vor sind es junge und ältere Frauen, denen das Grundrecht auf persönliche Entfaltung im Beruf und ökonomische Unabhängigkeit verweigert wird. In scharfsinnigen Analysen wird immer wieder mit Bedauern festgestellt, daß die Berufschancen von Frauen nicht etwa durch schlechteren Bildungsstand oder mangelnde berufliche Qualifikation, sondern durch ihre Doppelorientierung auf Berufs- und Familienarbeit eingeschränkt seien.
Man braucht doch eigentlich gar nicht so viel Phantasie, Herr Minister, um hier d i e Herausforderung an unser Bildungswesen zu erkennen. Wo sind dann aber die vom Bund geförderten berufsorientierten Modellprogramme für Mädchen und Jungen, die diese einseitige Doppelorientierung von Mädchen thematisieren und zu verändern suchen? Wo werden Jungen und junge Männer in Schulen wirklich darauf vorbereitet, ebenfalls eine ganz normale Doppelorientierung zu entwickeln, also auch ihrerseits die volle Verantwortung für Hausarbeit, Kinderpflege und Erziehung und für die Pflege von Alten und Kranken zu übernehmen?
Haben Sie Angst, Herr Minister, daß durch solche Modelle und langfristigen Programme der selbstbewußte Ruf von Mädchen und jungen Frauen nach qualifizierter zukunftsorientierter Aus- und Weiterbildung lauter werden könnte? Oder befürchten Sie gar, daß die Forderung nach einer deutlichen Verkürzung der täglichen Arbeitszeit von Männern und Frauen entsprechend dem hohen Produktivitätsniveau ihrer Arbeit bald unüberhörbar werden könnte?
Wir, Frauen und Männer der grünen Bundestagsfraktion, fordern hier noch einmal laut und deutlich von der Regierungskoalition: Finanzieren Sie überall da, wo das betriebliche System der Berufsausbildung versagt, außerbetriebliche oder vollschulische Ausbildungsplätze in zukunftsorientierten, sozial und ökologisch sinnvollen Beschäftigungsbereichen! Selbstverständlich müssen hier auch Programme verändert und ausgeweitet werden, um die Fortbildung von Ausbilderinnen und Ausbildern sowie von Lehrerinnen und Lehrern und die Curriculum-Entwicklung und Begleitforschung sicherzustellen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Jetzt gehen Sie entschieden zu weit! — Heiterkeit)

— Ich gehe noch weiter: Finanzieren Sie sozialwissenschaftlich konzipierte berufsorientierende Modellversuche in Schulen im oben angeführten Sinn, und fördern Sie die flächendeckende Einführung der besten Konzepte in allen Bundesländern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister, Sie rühmen sich gelegentlich in der Ihnen eigenen Art öffentlicher Zurschaustellung, die Bildungspolitik wieder zu einem bedeutsamen öffentlichen Thema gemacht zu haben. Es liegt Ihnen offensichtlich viel daran, sich mit allen möglichen — auch falschen — Federn zu schmücken. Aber die Dringlichkeit bildungspolitischer Veränderungen ist ja wohl viel mehr durch die lautstarken Proteste von Schüle-



Frau Hillerich
rinnen und Schülern, von Studentinnen und Studenten deutlich geworden. Weil wir uns ausdrücklich auf deren Seite stellen, haben wir einen Antrag zur Finanzierung der Bundesschülervertretung im Rahmen des Bundesjugendplans eingebracht. Es sollte eine demokratische Selbstverständlichkeit sein, die Vertretung der Schülerinnen und Schüler auf Bundesebene für ihre politische Arbeit auch finanziell auszustatten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, in kaum einem anderen Bereich des Bildungswesens ist die Diskrepanz zwischen dem Anspruch auf Chancengleichheit und der von dieser Regierung zu verantwortenden Realität so offensichtlich wie in der Ausbildungsförderung. Ihre Antwort auf unsere Kleine Anfrage belegt, daß es vor zehn Jahren noch knapp 40 % aller Studierenden BAföG erhalten haben. Bis heute ist der Anteil um fast die Hälfte auf ca. 20% gesunken. Dies ist nichts anderes als eine bildungs- und sozialpolitische Bankrotterklärung.
Auch der dreisten Behauptung der Bundesregierung, die BAföG-Umstellung auf Volldarlehen wirke sich nicht abschreckend auf die Studienwünsche junger Menschen aus, halten wir entgegen: Nach einer Studie des Instituts für Schulentwicklung in Dortmund gaben 25% aller befragten Schülerinnen und Schüler aus Arbeiterfamilien die drohende Verschuldung als Grund für ihren voraussichtlichen Studienverzicht an. Außerdem halten wir es für sozialpolitisch unvertretbar, junge Menschen bei ihrem Start ins Berufsleben mit einem Schuldenberg von bis zu 40 000 DM zu belasten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In unserem Entschließungsantrag zur Ausbildungsförderung fordern wir daher die Umstellung des BAföG vom Darlehens- auf das Zuschußprinzip und die generelle Wiedereinführung des Schüler-BAföG. Außerdem schlagen wir eine Anhebung der Elternfreibeträge vor, um das sogenannte Mittelstandsloch zu schließen.
Weil meine Redezeit zu Ende ist, komme ich noch kurz auf unseren Antrag zum Notfonds, weil wir das, was da passiert, auch unglaublich finden. In der Streichung des Notfonds für ausländische Studierende zeigt sich unserer Meinung nach eine unglaubliche soziale Kälte und Gefühllosigkeit. Aus dem Fonds sollte insbesondere Studierenden aus Entwicklungsländern das Existenzminimum gesichert werden, wenn sie unverschuldet in Not geraten sind, z. B. Studentinnen und Studenten aus dem Iran, die nicht in ihr Land zurückkönnen, ohne dort gefoltert zu werden, die aber auch von ihrer Familie keine Unterstützung mehr erhalten können, weil Khomeini ihnen das Geld gesperrt hat. Um solche Fälle handelt es sich nämlich dabei. Diese Studentinnen und Studenten fallen zwischen alle Stühle unserer Gesetze. BAföG können sie ebensowenig bekommen wie Sozialhilfe; ein Arbeitsverbot kommt häufig noch hinzu. Auch das Schicksal dieser Menschen lastet auf Ihrem Gewissen, Herr Möllemann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, daß unser Antrag hierzu unter einem völlig falschen Titel läuft, wie Sie, Herr Diller, behauptet haben, ist doch
wohl reichlich überzogen. Sicherlich, das in der Erläuterung angeführte Stipendienprogramm bedarf der Beratung, aber es ist richtig, hierfür eine entsprechende Summe bereitzuhalten. Deswegen bleiben wir bei unserem Antrag. Wir werden Ihnen allen durch einen Entschließungsantrag am Freitag Gelegenheit geben, sich Ihre Zustimmung dazu noch einmal zu überlegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104219200
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.

Friedrich Neuhausen (FDP):
Rede ID: ID1104219300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will dem Kollegen Berichterstatter von der SPD ja zugute halten, daß er die vergangene sozialliberale Zeit, der ich angehört habe, in einem etwas verklärten Licht sieht, denn es galt ja gegenüber Finanzpolitikern immer, damals wie heute, ein Vers von Goethe, der lautet:
Willst lustig leben, Geh mit zwei Säcken. Einen zum Geben,
Einen, um einzustecken.
Da gleichst du Prinzen.
Plünderst und beglückst Provinzen.
Das ist eine Haltung, die es schon immer gab, und es kommt darauf an, ob man zu den Geplünderten oder zu den Beglückten gehört. Das ist sehr unterschiedlich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Herr Kollege Scheu, zu Ihrer Schlußbemerkung gibt es auch ein treffliches Wort dieses Altmeisters. Er sagte nämlich — ich will es etwas abwandeln — : Lebst du im Plenum, sei gewohnt, keiner je des andern schont. Das gilt manchmal, wie diese Bemerkung gezeigt hat, auch für Koalitionspartner.

(Zustimmung bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Also, meine Damen und Herren, so gesehen und vor dem Hintergrund solcher Zeiten offenbar überdauernder Zusammenhänge relativiert sich manche fachpolitische Beschwerde, die gänzlich unerwähnt zu lassen aber natürlich nicht ehrlich wäre.
Mir bleibt nicht viel Zeit für ein paar aphoristische Anmerkungen. Deswegen ganz kurz. Die gegenüber 1987 ja festzustellende Reduzierung des Haushaltssolls im Einzelplan 31 hängt hauptsächlich mit der Übertragung des sogenannten Benachteiligtenprogramms auf die Bundesanstalt für Arbeit zusammen. Darüber haben wir kürzlich ausführlich diskutiert.
Uns ist wichtig, daß der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft weiterhin für die inhaltliche Gestaltung des Programms verantwortlich bleibt.

(Zuruf von der SPD: Auch wenn kein Geld da ist?)

Dieses Programm ist ja in einem größeren hier schon angesprochenen Zusammenhang zu sehen. Zwar werden in diesem Jahre zum Stichtag der Berufsbildungsbilanz erstmals, wie gesagt wurde, seit 1981 mehr unbesetzte Ausbildungsstellen als unvermittelte Bewerber registriert. In einigen Berufszweigen ent-



Neuhausen
steht bereits ein Lehrlingsmangel. Doch bleibt die regionale und sektorale Entwicklung sehr unterschiedlich.
Hier greift natürlich dieses Programm vor allem für Mädchen, ebenso wie für Behinderte, für Hauptschulabsolventen ohne Abschluß und für junge Ausländer. Darüber hinaus wird angesichts der zunehmenden qualitativen Anforderungen auch im Hinblick auf benachteiligte junge Menschen die Bedeutung der erwähnten Maßnahmen künftig eher noch zunehmen, weswegen wir auch an dieser Stelle die Bedeutung des Programms noch einmal unterstreichen.
Auf der anderen Seite kommt es in der Berufsbildung gerade für kleine und mittlere Betriebe darauf an, daß das Angebot an überbetrieblichen Ausbildungsstätten zur betriebsergänzenden Ausbildung ausgebaut und ihre Ausstattung mit technischen Einrichtungen verbessert wird. Es hat dazu ja im Haushalt schon Aufstockungen gegeben, aber auch für die nächsten Jahre bleibt die Abrundung dieses Angebotes eine wichtige Aufgabe.
Meine Damen und Herren, der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat — das wurde zitiert — in diesen Tagen zu Recht daran erinnert, daß angesichts des internationalen Wettbewerbs Ausgaben für Bildung und Wissenschaft lebenswichtige Zukunftsinvestitionen seien. Aber eine solche Sicht überschreitet natürlich die Grenzen eines Haushaltsjahres und wird deshalb auch in den Haushalten der nächsten Jahre Berücksichtigung finden müssen.
Was 1988 betrifft, so bleiben z. B. die Ausgaben für den weiteren Ausbau der Hochschulen auf ihrem hohen Niveau von rund 1 Milliarde DM.
Was die Ausbildungsförderung betrifft, so ist der Rahmen durch eine Koalitionsvereinbarung gesteckt. Deswegen berührt es uns etwas merkwürdig, wenn der Herr bayerische Ministerpräsident kürzlich den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft dafür kritisiert hat — in Übereinstimmung mit den Kollegen von SPD — , daß er noch kein konkretes Modell zur Beseitigung des sogenannten Mittelstandslochs empfohlen hat.
Das war es schon; Sie brauchen nicht mehr so scharf aufzupassen, Herr Bötsch.

(Heiterkeit)

Ich begrüße es, daß der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft einen umfassenden Bericht zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung vorgelegt und dabei auch die hier erwähnten Modelle vorgestellt hat.
Er hat zudem den Entwurf eines 11. BAföG-Änderungsgesetzes eingebracht — das war ja auch nicht so ganz unumstritten — , mit dem die Bedarfssätze und Freibeträge an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten angepaßt werden sollen. Außerdem ist der BAföG-Beirat beim BMBW beauftragt, Vorschläge zur Neuordnung und Verbesserung der Ausbildungsförderung zu erarbeiten. So gar nichts ist das ja nun nicht, Herr Kollege Diller, sondern ich finde, daß es sich hier um Ansätze handelt, die unser aller Zustimmung und Unterstützung bedürfen, um in der Zukunft dann auch eine vernünftige Verwirklichung zu finden.
Es ist mir angesichts der Zeit nicht möglich, die vielen anderen erwähnenswerten einzelnen Ansätze z. B. im Bereich der Modellversuche, auch in Zusammenarbeit mit den Ländern, etwa zur musisch-kulturellen Bildung oder zur Aufarbeitung von Umweltthemen hier zeitlich angemessen zu würdigen.
Insgesamt läßt sich aber feststellen, daß die Bildungspolitik des Bundes trotz der bestehenden finanzwirtschaftlichen Probleme wieder eine Perspektive erhalten hat, die über die Zahlen eines Haushaltsplanes weit hinausgeht. Nicht zuletzt durch die Initiativen des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft sind die Themen der Bildungs- und Wissenschaftspolitik auch in der öffentlichen Diskussion wieder zu dem Stellenwert gekommen, der ihrer Bedeutung für die einzelnen Menschen und die Zukunft unserer Gesellschaft entspricht. Die Bund-LänderKommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung hat wieder einen umfassenden Arbeitsauftrag erhalten. Die Diskussion um die Fachhochschulabschlüsse und ihre Anerkennung in der EG ist aufgegriffen worden. Die Weiterbildung als vierte Säule unseres Bildungssystems soll durch eine konzertierte Aktion „Weiterbildung" weiterentwickelt werden. — Meine Damen und Herren, diese Aufzählung könnte fortgesetzt werden.
Ich denke, wer es ernst mit der Bildungspolitik meint, sollte diesen konsequenten, kontinuierlichen Bemühungen die Unterstützung geben, deren sie im Interesse der Zukunftschancen der jungen Generation bedarf.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104219400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1104219500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach acht Monaten Amtszeit muß es jetzt erlaubt sein, den Ausflug des hurtigen Weltpolitikers Jürgen Möllemann in die Bildungspolitik einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Immerhin hörten wir von ihm zum Amtsantritt im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, dies sei für ihn kein Karriereknick, sondern eine Durchgangsstation. Und dies ließ damals Freude aufkommen, kann man doch mit Fug von Aufstiegswilligen in der Leistungsgesellschaft erwarten, daß sie Leistung bringen. Nun stimmt es nicht gerade fröhlich, wenn man heute konstatieren muß, daß der für das Bildungswesen erwirtschaftete Gewinn bisher noch immer im umgekehrten Verhältnis zur Zahl der Presseerklärungen steht.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Neuhausen, sicher, klappern gehört zum Handwerk; aber ohne ein Werkstück als Ende der Produktion nützt auch das ganze Klappern im Handwerk nichts.

(Beifall bei der SPD)

Der Haushalt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft ist in den Jahren der Wende-Regierung bis zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft worden, und dieser Prozeß setzt sich auch 1988 fort. Den verbalen



Kuhlwein
Kraftanstrengungen von Minister Möllemann steht ein Etat gegenüber, der deutliches Desinteresse des Bundes an der Weiterentwicklung der Bildungspolitik signalisiert.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Vorbei sind offenbar die Zeiten, als der Bund über die gemeinsame Bildungsplanung und Forschungsförderung, über die Ausbildungsförderung, über eine breite Palette von Modellversuchen, über das Benachteiligten-Programm den Anstoß für den Ausbau von Quantitäten und Qualitäten im Bildungsbereich auch in den Ländern gegeben hat. Meine Damen und Herren, von dieser Bundesregierung werden keine Impulse für eine neue Phase der Bildungsreform kommen.
Es ist ja richtig, wenn Herr Möllemann am vergangenen Donnerstag auf der DGB-Bildungskonferenz in Köln davor gewarnt hat, die Ausgaben für den Bildungsbereich unter Hinweis auf allgemeine Sparnotwendigkeiten zurückzufahren. Und es ist richtig, wenn er Investitionen in die Qualität von Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und Forschung als „lebensnotwendige Zukunftsinvestitionen" bezeichnet hat, die nicht beliebig herauf- oder heruntergefahren werden könnten. Und wir sind ja auch gerne bereit, Herr Möllemann, uns dem von Ihnen geforderten „großen Konsens" aller gesellschaftlichen und politischen Gruppen anzuschließen, mehr Kräfte und Mittel in Bildung und Wissenschaft zu investieren. Aber wir erwarten dann vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, daß er einen eigenen finanziellen Beitrag leistet, damit diese neue Inititative in Gang kommt.
Ich habe Ihnen, Herr Möllemann, vor einigen Monaten im Ausschuß gesagt, als Sachwalter und Interessenvertreter für die Bildungspolitik auf Bundesebene müßten Sie eigentlich den Seuersenkungsplänen Ihrer Bundesregierung energisch widersprechen. Sie haben dies nicht getan. Sie nehmen damit in Kauf, daß die strukturschwachen Länder und die Kommunen finanziell noch weiter ausgepowert werden. Sie nehmen damit in Kauf, daß Planstellen für Lehrer, wissenschaftliche Mitarbeiter und Hochschulprofessoren gestrichen werden. Sie nehmen in Kauf, daß Kommunen ihre kulturellen Angebote kürzen und auf die notwendige Modernisierung ihrer Schulen verzichten müssen. Sie nehmen in Kauf, daß eine ganze Studentengeneration unter völlig unzureichenden Bedingungen studieren muß. Sie nehmen in Kauf, daß junge Frauen im Bildungswesen erneut benachteiligt werden. Und Sie nehmen in Kauf, daß die interessante Zukunftsforschung immer stärker aus den Hochschulen abwandert.
Ich werde den Verdacht nicht los, Herr Möllemann, daß hinter dieser Erosion der öffentlichen Haushalte Methode steckt, die Methode nämlich, Teile des öffentlich verantworteten Bildungssystems auf dem Altar der neoliberalen Privatisierungsideologie zu opfern.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Im Bildungssystem, meine Damen und Herren, zeigt sich besonders deutlich, was für alle Bereiche der Gesellschaftspolitik gilt: Nur reiche Leute können sich einen armen Staat leisten. Die Mehrheit der Menschen braucht einen Staat, der finanziell in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen. Wer die Ausbildung seiner Kinder nicht selbst finanzieren kann, braucht dafür die Hilfe der Solidargemeinschaft, der braucht BAföG. Nur wenn Schüler und Studenten auch finanziell die Möglichkeit zur Ausbildung erhalten, ist Chancengleichheit gewährleistet. Unter Ihrer Regie, Herr Möllemann, wird für 1988 der BAföG-Plafond weiter ausgetrocknet. Auch die groß verkündete 11. Novelle wird nicht verhindern, daß die Gefördertenquote weiter zurückgeht. Was die Probleme der Familien mit mittlerem Einkommen angeht, brauchen wir von Ihnen keine neuen Modelle, Herr Möllemann, sondern wir brauchen endlich deutliche Verbesserungen der Freibeträge beim BAföG. Wir sehen auch nicht ein, warum wir uns mit Ihrem Spielmaterial zum Mittelstandsloch im Ausschuß beschäftigen sollen, bloß damit Sie bis 1990 — weil Sie bis dahin keine leistungswirksamen Gesetze entwickeln dürfen — unbeschädigt über die Runden kommen.
Sie verlangen von jungen Leuten, Herr Möllemann, die vor Ort keinen Ausbildungsplatz finden, mehr Mobilität. Sie haben gleichzeitig das Benachteiligtenprogramm der Bundesanstalt für Arbeit überantwortet und damit der jeweiligen Finanzlage in Nürnberg ausgeliefert. Sie setzen sich über die Freiheit der jungen Leute hinweg, einen Beruf nach eigener Neigung und in der eigenen Heimat zu wählen, und Sie gefährden die Startchancen für die leistungsschwächeren Jugendlichen, weil sich der Bund dort aus der finanziellen Verantwortung zurückzieht.
In der Weiterbildungspolitik täuschen Sie mit einer sogenannten konzertierten Aktion Initiativen vor, die in Ihrem Haushalt keinerlei Entsprechung finden. Die Vorgaben, die Sie für diese konzertierte Aktion gemacht haben, geben indes zu schlimmen Befürchtungen Anlaß. Wer glaubt, über mehr Markt und Wettbewerb das Problem lösen zu können, wie künftig alle Menschen mit neuen Herausforderungen im Arbeitsleben, in der Familie, in der Gesellschaft fertig werden können, der hat mit Chancengleichheit und mit freier Entfaltung des Individuums wenig im Sinn.
Sie kündigen, Herr Möllemann, den Hochschullehrern mehr Freiheit bei der Auswahl ihrer Studenten in den Verteilungsstudiengängen an. Sie eröffnen damit gleichzeitig den Weg zu mehr Ungleichheit zwischen den Studenten und zwischen den Hochschulen. Sie wollen die Satzungsautonomie der Studenten für ihre Selbstorganisation auf Bundesebene beschränken, weil Sie sich eine botmäßige Studentenvertretung mit Ihnen genehmen Gruppierungen stricken wollen. Sie lassen zu, daß in der Europäischen Gemeinschaft die von uns gemeinsam aufgebauten Fachhochschulen diskriminiert werden

(Frau Pack [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr!)

und daß damit ein Stück Chancengleichheit für den zweiten Bildungsweg wieder aufgehoben wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das Gegenteil ist der Fall!)




Kuhlwein
Man könnte die Reihe der Beispiele beliebig fortsetzen, die diesen Bundesbildungsminister und seine bisherige Tätigkeit kennzeichnen. Aber, Herr Möllemann, wir haben auch nicht mehr erwartet. Der sozialliberale Bildungspolitiker Möllemann der 70er Jahre ist längst vom neoliberalen Technokraten Möllemann abgelöst worden. Wo früher um Freiheit, Chancengleichheit und Solidarität gerungen wurde, wird heute die Bildungspolitik am Markt, an Effektivität und Wettbewerb, an Elite und Wirtschaftswachstum ausgerichtet. In der Logik der Strategie dieses Bundesbildungsministers müßte es eigentlich liegen, daß er sich selbst überflüssig macht. Warum sollte denn nicht auch hier der Markt am besten funktionieren, wenn es keinen mehr gibt, der eingreift?

(Heiterkeit bei der SPD)

Ich bin allerdings skeptisch, ob das der weiteren Karriere von Herrn Möllemann dienlich sein würde. Ich möchte deshalb Herrn Möllemann daran erinnern, daß in seiner eigenen Partei der Slogan „Zukunft durch Leistung" propagiert wird. Wenn das so ist, kann ich mir kaum vorstellen, daß das, was Sie mit diesem Haushalt abgeliefert haben, schon Ihre politische Zukunft sichern kann.

(Beifall bei der SPD — Frau Pack [CDU/ CSU]: Das ist so unsachlich wie nur was!)

Schüler und Studenten, Lehrer und Eltern, Hochschullehrer und wissenschaftliche Mitarbeiter, Auszubildende und Ausbilder finden sich nicht mehr damit ab, daß die Zukunftschancen der jungen Generation in unserer Gesellschaft in Bildung und Ausbildung immer stärker beschnitten werden. Viele von ihnen werden am kommenden Sonnabend hier in Bonn für mehr Chancengleichheit und Bildung für alle,

(Frau Pack [CDU/CSU]: Ich nicht!)

für Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung demonstrieren.

(Geis [CDU/CSU]: Viele nicht!)

Wir stehen am Anfang einer neuen Bildungsbewegung, und es täte uns allen gut, diese Bewegung ernst zu nehmen, das Gespräch mit ihr zu suchen und das, was notwendig ist, in politische Reformschritte umzusetzen.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104219600
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1104219700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei Bemerkungen vorweg.
Zunächst habe ich mich beim Plenum zu entschuldigen, daß ich etwas zu spät gekommen bin. Aber ich hatte ein wichtiges Gespräch über eine bevorstehende Grubenfahrt als nordrhein-westfälischer Landesvorsitzender der FDP zu führen.

(Lachen bei der SPD — Kuhlwein [SPD]: Dafür werden Sie hier nicht bezahlt!)

— Sicher, aber man muß sich um die Sorgen der Bergleute kümmern und Grubenfahrten vornehmen.
Zweitens wollte ich im Blick auf den Kollegen Scheu nur sagen — ich habe das hier im Plenum schon dargestellt — , daß Goethes Farblehre und insbesondere der Ansatz des Popper-Schülers Bliesheimer für die Festlegung einer Farbkombination von Bedeutung gewesen ist.
Drittens. Herr Kollege Kuhlwein, ich bin Ihnen wirklich dankbar, mit welcher Konstanz Sie, seit ich Bundesminister für Bildung und Wissenschaft bin, sich um meine weitere Karriere sorgen. Das ist fast rührend. — Lassen Sie das wirklich meine Angelegenheit sein!
Was die Demonstration am kommenden Samstag angeht, bei der Sie liebenswürdigerweise den Aufruf unterschrieben haben, habe ich heute nachgelesen, daß es dabei um die Sparpolitik des Bundes und der Länder, auch der SPD-regierten Länder, geht. Ich finde es schon erstaunlich, wie Sie sich keiner Anbiederung fernhalten können, selbst nicht bei Protesten gegen eine Politik, die sich gegen Sie selbst richtet. Die GEW in Nordrhein-Westfalen hat gestern erklärt, das Schulwesen des Landes Nordrhein-Westfalen sei jetzt an die letzte Stelle der Entwicklung im Bundesgebiet geraten. Sie demonstrieren am Samstag mit bei einer Demonstration, die sich gegen Sie richtet.

(Kuhlwein [SPD]: Sie wollen doch in die Grube fahren, und da wissen Sie, warum es diesem Land schlechtgeht!)

Man muß schon ein eigenartiges Verständnis von Selbstachtung haben, wenn man sich jeder Protestbewegung anbiedert, selbst wenn sie sich gegen einen selbst richtet. Machen Sie das ruhig weiter, Sie werden damit nichts erreichen!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es gab, ich glaube, ungefähr fünf bis sechs Punkte, die in der Sache wichtig waren, die erwähnt worden waren und die in den nächsten Jahren eine Rolle spielen:
Erstens das System der individuellen Ausbildungsförderung. Hier hat der Beirat für Ausbildungsförderung von mir den Auftrag erhalten, dieses System zu überprüfen. Er hat den Auftrag, bis zum Sommer nächsten Jahres einen Bericht vorzulegen. Es ist richtig: Ich kann keine Gesetzesnovelle vorschlagen, die vor dem Januar 1989 wirksam würde. Das ist die Koalitionsvereinbarung, die von Martin Bangemann, Helmut Kohl und Franz Josef Strauß unterschrieben worden ist; ich halte mich daran, und ich bitte, daß sich alle Koalitionsparteien genauso daran halten. Ich sage das, damit Sie mich nicht auffordern, vorher Gesetze vorzulegen. Was wir dann zur Reform der individuellen Ausbildungsförderung vorlegen können, weiß ich heute noch nicht, ich weiß nur, daß auch sozialdemokratisch regierte Länder die Mittel, die durch Kürzungen beim BAföG im Zuge der Haushaltskonsolidierung frei wurden, nicht ihrerseits zur Förderung der Betroffenen eingesetzt, sondern zum Teil gekürzt haben. Offenkundig gibt es da wohl einen gewissen, gleichermaßen alle Länder betreffenden Druck der leeren Kassen.



Bundesminister Möllemann
Zweiter Punkt: Überbetriebliche Ausbildungsstätten. In der Tat bin auch ich mit dem bisherigen Entscheidungsstand unzufrieden; das muß ich einräumen. Wir haben am 2. Dezember 1987 ein Koalitionsgespräch hierüber; ich will dem nicht vorgreifen. Mein Konzept dafür ist hinreichend bekannt, aber ich brauche dafür auch die Zustimmung anderer. Ich will aber darauf hinweisen, daß ordnungspolitische Gründe gegen einen zu starken Ausbau solcher Einrichtungen in einer Phase seriöserweise durchaus vorgebracht werden können, in der man weiß, daß die Zahl der Nutzer abnimmt. Das muß man sich sehr sorgfältig anschauen. Wir können nicht Einrichtungen an Plätzen schaffen, an denen sie nicht genutzt werden.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Dritter Punkt: Benachteiligtenprogramm. Ich weiß, Sie rechnen es ständig netto aus meinem Haushalt heraus und tun so, als nähme er darum ab. Man kann darüber streiten, ob es an der Stelle jetzt richtig angesiedelt ist.

(Kuhlwein [SPD]: Er nimmt trotzdem ab!)

— Tatsache ist: Er nimmt ohne das Benachteiligtenprogramm um 0,6 % ab. Aber hier hat man aus Gründen, die hier bei der Beratung des AFG vorgetragen worden sind, in den Koalitionsverhandlungen diese Entscheidung getroffen, und auch diese akzeptiere ich.

(Zuruf von der SPD: Dadurch wird es aber nicht richtig!)

Viertens zum Thema Hochschulbau: Lieber Herr Diller, lieber Herr Kuhlwein, ich bin gern bereit, mit Ihnen mal durchzugehen, welche Bundesländer in der Lage sind, die Bundesmittel zu nutzen und welche nicht. Das können wir gern tun. Wenn ich in einer Situation wie der der strukturschwachen Länder des Nordens bei dem bestehenden Süd-Nord-Gefälle — das ist nicht nur eine Parteienausrichtung — darüber nachdenke, ob man diese Strukturschwäche nicht sogar bundespolitisch kompensieren muß, finde ich es nicht gut, wenn Sie jetzt anfangen, wissend, daß wir es geschafft haben, diese Mittel heraufzufahren, die geringer veranschlagt waren, so zu tun, als sei das eine abnehmende Kurve. Wir haben 1 Milliarde DM gehalten, und es gibt Bundesländer, die nicht bürgerlichliberal regiert sind, die Schwierigkeiten haben, das zu bedienen.
Fünfter Punkt: Zum Thema des wissenschaftlichen Nachwuchses. Was ich hier höre, ärgert mich am meisten. Es gibt kein Bundesland wie das Land Nordrhein-Westfalen — da regiert die SPD allein — , das so massiv Stellen von Wissenschaftlern und wissenschaftlichem Nachwuchs kürzt. Sie stellen sich aber hierher und sagen, Sie seien die Vertreter und Verteidiger des wissenschaftlichen Nachwuchses. Der Bund hat dafür nicht die Hoheit, das wissen Sie doch;

(Kuhlwein [SPD]: Aber der Bund kann den Ländern mehr Geld geben!)

— Sie wissen genau, daß die Hochschullehrer und die wissenschaftlichen Nachwuchskräfte bei den Ländern angestellt werden. Wenn Sie dort, wo Sie regieren, weniger Stellen als etwa in Baden-Württemberg
oder in Bayern zur Verfügung stellen, dann stellen Sie sich doch hier nicht als Lehrmeister hin; Sie haben dazu keine Kompetenz.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Hochschulen müssen im Moment eine außerordentlich große Überlast bewältigen — mit 1,37 Millionen Studenten mehr als je zuvor. Wahrscheinlich steigen in diesem Semester die Anfängerzahlen um bis zu 10 %. Wir werden vermutlich entgegen unseren Annahmen — das wird uns alle zum Nachdenken zwingen — keine sinkende Studentenzahl haben, sondern wieder eine steigende. Das hängt damit zusammen, daß viele, die nach dem Abitur erst in eine Berufsausbildung gegangen sind, nach der Lehre ein Studium beginnen.
Wir werden zur Bewältigung dieser Überlast nach meiner Überzeugung den Mittelbau verstärken müssen und damit auch jungen Wissenschaftlern eine Perspektive geben. Wir müssen das auch aus einem anderen Grund tun — das heißt, eigentlich müßten das die Länder tun, aber hier wird der Bund vielleicht in einer Gemeinschaftsaktion etwas tun können; ich hoffe, mich mit den Ländern darüber verständigen zu können — , um nämlich den Folgen der Tatsache vorzubeugen, daß zwischen 1995 und 2005 über 50 % aller heute lehrenden Hochschullehrer in den Ruhestand gehen werden. Wenn wir jetzt nicht junge Nachwuchswissenschaftler an den Hochschulen halten können, werden wir einen riesigen Einbruch erleben.
Sechster Punkt: Die Konzertierte Aktion Weiterbildung. Am 3. Dezember treffen sich Vertreter von Bundesländern und Bundesressorts, des DGB, der DAG, der Arbeitgeberorganisationen und der Träger der Weiterbildung. Ich habe von diesen Vertretern nicht gehört, daß sie eine solche abschätzige Bewertung dieser Aktion vornehmen wie Sie, Herr Kuhlwein. Vielleicht muß man das als Opposition. Ich schätze, unser Problem — Glaubwürdigkeit bei jungen Leuten — hängt damit zusammen, daß wir auch Sachen abschätzig behandeln, die wir eigentlich gut finden. Sie müßten diese Konzertierte Aktion eigentlich gut finden.
Wir arbeiten dabei mit den Bundesländern zusammen. Ich gehe ganz offen in dieses Gespräch, weil ich weiß, daß die Weiterbildung die vierte Säule unseres Bildungswesens werden muß. Ich konnte Mittel dafür nicht vorschlagen. Wir haben das Konzept noch nicht entwickelt; das will ich doch tun. Aber am Anfang der Überlegungen — das wissen Sie doch aus Ihrer Zeit als Parlamentarischer Staatssekretär — kann doch nicht die Forderung nach Mitteln stehen, sondern muß die Entwicklung eines inhaltlichen Konzepts stehen, für das man dann Mittel einfordern kann. Das habe ich mir vorgenommen.
Zwei Schlußbemerkungen: Hier sind die Probleme bei der Anerkennung von Abschlüssen von Fachhochschulen im Zusammenhang mit der Ausarbeitung einer EG-Richtlinie angesprochen worden. Das ist ein Problem, aber nicht ein solches, wie es derzeit in Kampagnen von Studentenorganisationen dargestellt wird. Wir haben in wenigen europäischen Partnerstaaten Einrichtungen wie unsere Fachhoch-



Bundesminister Möllemann
schulen. Wenn nun zur Erlangung der Niederlassungsfreiheit die Hochschulabschlüsse gleichermaßen anerkannt werden sollen, müssen wir uns schon damit auseinandersetzen, daß manche Staaten diese Einrichtungen nicht haben. Ich will hier aber klar sagen, und zwar in Abstimmung mit dem Wirtschaftsminister: Wir werden einer EG-Richtlinie nicht zustimmen, die die deutschen Fachhochschulabsolventen und die deutschen Fachhochschulen diskriminiert. Das sind die Bildungseinrichtungen im Hochschulbereich, die sich in den vergangenen Jahren qualitativ und quantitativ am besten entwickelt haben. Deswegen wird eine Diskriminierung nicht in Frage kommen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104219800
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1104219900
Ja, bitte.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104220000
Bitte sehr, Herr Kollege Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1104220100
Herr Minister Möllemann, darf ich Ihre letzte Äußerung so interpretieren, daß Sie in Brüssel dafür eintreten werden, daß die Fachhochschulabschlüsse auch dann anerkannt werden, wenn sie nicht mit einer zusätzlichen berufspraktischen Erfahrung im Inland verbunden sind?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1104220200
Das wird, wie wir bei der Architektenrichtlinie gesehen haben, Herr Kuhlwein, so abstrakt nicht zu behaupten sein. In der Bundesrepublik Deutschland muß jemand, der in die Architektenrolle eingetragen werden will und damit seine Niederlassungs-
und Wirkungsfreiheit als Architekt haben will, nach seinem Examen an der Fachhochschule eine bestimmte Zahl von berufspraktischen Jahren nachweisen, nicht ein Praktikum.

(Kuhlwein [SPD]: Das gilt aber für Hochschule und Fachhochschule gleichermaßen!)

Ich werde nicht, um es klar zu sagen, einer Richtlinie zustimmen, die die Ausbildungszeit verlängert, weil ich weiß, welche Implikationen das haben würde. Aber die Frage, ob man im Anschluß an sein Examen eine bestimmte Zahl von Jahren etwa als Ingenieur gearbeitet haben muß, um sich auch in einem anderen EG-Land niederlassen zu können, will ich wirklich entsprechend der Realität in anderen EG-Ländern harmonisiert wissen. Eine Benachteiligung, eine Diskriminierung kommt also nicht in Frage.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen wollte, meine Kolleginnen und Kollegen: Hier ist mehrfach gesagt worden, die Möglichkeiten des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft, Zukunftsinvestitionen zu tätigen, Geld vom Finanzminister zu bekommen, würden möglicherweise durch die Steuerreform relativiert. Ja, das ist wohl wahr. Wenn wir uns entscheiden, dem Bürger 40 Milliarden DM weniger Steuern abzunehmen, dann können wir sie als Staat auch weniger ausgeben. Das kann sich keiner anders vorgestellt
haben. Der Verteilungskampf wird dadurch nicht leichter, das ist auch mir klar. Dem simplen Satz aber, den Sie hier vorgetragen haben, der da lautet: „Nur reiche Leute können sich einen armen Staat leisten"

(Kuhlwein [SPD]: Das ist richtig!)

könnte ich genauso platt kontern mit dem Satz: Nur arme Leute haben Spaß daran, wenn der Staat zu ihren Lasten immer reicher wird, immer mehr Geld von ihnen verlangt.

(Widerspruch bei der SPD)

Ich habe die Pressekonferenz Ihres zeitweiligen Kanzlerkandidaten Johannes Rau im Süddeutschen noch genau im Ohr: „Die Bürger zahlen zuviel Steuern!" Wir waren alle dieser Meinung, Sie waren es vor der Wahl auch; es gab ja geradezu einen Wettlauf an Ankündigungen von Steuersenkungen. Nur, wir senken sie jetzt, und Sie lamentieren. Das finde ich nicht in Ordnung.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU Vorsitz:: Vizepräsident Westphal)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104220300
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1340. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt bei einer Reihe von Enthaltungen.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 31 ab. Wer dem Einzelplan 31 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun auf: Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern
— Drucksachen 11/1056, 11/1081 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Deres Kühbacher
Frau Seiler-Albring Kleinert (Marburg)

Einzelplan 36
Zivile Verteidigung
— Drucksachen 11/1077, 11/1081 —
Berichterstatter:
Abgeordnete von Schmude Diller
Frau Seiler-Albring
Kleinert (Marburg)




Vizepräsident Westphal
Einzelplan 33
Versorgung
— Drucksache 11/1075
Berichterstatter:
Abgeordnete Roth (Gießen) Kühbacher
Frau Vennegerts
Hierzu liegen Änderunganträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1221 bis 11/1224 und 11/1260 und ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1348 vor, außerdem ein Änderungsantrag der CDU/CSU- und FDP-Fraktion auf der Drucksache 11/1339.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für eine gemeinsame Beratung dieser Einzelpläne eine Stunde vorgesehen. — Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Dann kann ich die Aussprache eröffnen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kühbacher.

Klaus-Dieter Kühbacher (SPD):
Rede ID: ID1104220400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie zu dieser späten Stunde, an der dunklen Stunde des Bundesinnenministers, noch teilnehmen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Wer heute über den Haushalt des Bundesministers des Innern redet, muß über die innere Sicherheit, über die Frankfurter Mordanschläge, die Diskussion über das Vermummungsverbot und auch über die Hamburger Hafenstraße sprechen. Wir müssen uns aber auch die Frage stellen, was der amtierende Innenminister Friedrich Zimmermann in seiner bisherigen Amtszeit getan hat — nicht was er geredet hat — , um die innere Sicherheit in unserem Lande auszubauen, und was er in Zukunft zu tun gedenkt.
Innenminister Zimmermann ist für viele Versäumnisse in seinem Verantwortungsbereich, für Unterlassungen und Fehlentscheidungen verantwortlich.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Vor allem wohl in der Hafenstraße, ja?)

Dies reicht von der Kulturpolitik bis zum Sport, vom Katastrophenschutz bis zur Stukturreform des öffentlichen Dienstes. Nirgends aber ist sein Versagen so offenkundig wie in dem Bereich, in dem er glaubt, besonders kompetent zu sein: in der inneren Sicherheit.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Herr Kühbacher, die Rede ist doch fünf Jahre alt!)

Obwohl der Bundesinnenminister nach unserer förderalistischen Verfassung für den Bereich der Inneren Sicherheit nur eine Teilverantwortung trägt, ist sein Handeln, sind seine öffentlichen Äußerungen für das Gesamtklima in unserem Staat von zentraler Bedeutung.

(Dr. Nöbel [SPD]: Gefährlich!)

Ein Innenminister kann durch seine Äußerungen und sein Handeln ein Klima von Toleranz, Dialogfähigkeit und Liberalität vermitteln.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Hafenstraße!)

Er kann aber genau das Gegenteil tun. So haben sich mit dem Namen Zimmermann von Anfang an Vorstellungen von Intoleranz, Härte und Uneinsichtigkeit verbunden.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Also, das ist maßlos übertrieben, mein Lieber!)

— Herr Kollege Gerster, lauschen Sie doch mir, und stellen Sie sich doch nachher ausdrücklich vor den Bundesminister des Innern!

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist doch die gleiche Rede wie vor Jahren!)

So hat denn auch im Hochgefühl erster angeblicher Erfolge der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Spranger, am 18. November 1982
— keine zwei Monate nach der Regierungsübernahme — nach der Festnahme von drei gesuchten Terroristen sich zu der Behauptung verstiegen: „Der Regierungswechsel hat die Sicherheitsbehörden positiv motiviert. " Heute, fünf Jahre später, kann hiervon nicht mehr die Rede sein.

(Beifall bei der SPD)

Im Gegenteil, unter der geistigen Ideologie Zimmermanns und Sprangers ist nichts sicherer, nichts friedlicher, nicht besser geworden.
Die Kriminalitätsrate hat von Jahr zu Jahr zugenommen.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: In der Hafenstraße!)

Die Aufklärungsquote geht kontinuierlich zurück. Allein die Zahl der schweren Diebstähle hat sich in den letzten 20 Jahren vervierfacht. Große Zuwachsraten gibt es bei der Wirtschaftskriminalität, bei der Umweltkriminalität, im Rauschgiftbereich, bei der Kriminalität von Heranwachsenden usw., usw.
Terroristische Gewaltanschläge nehmen ständig zu. Allein in diesem Jahr wurden am Stichtag 1. September dem linksextremistischen Bereich über 1 000 und dem linksterroristischen Bereich rund 1 200 Gewalttaten und Gesetzesverletzungen zugerechnet. Was tut der Innenminister, um hier Aufklärung zu schaffen?

(Dr. Nöbel [SPD]: Gar nichts! — Weiß [Kaiserslautern] [CDU/CSU]: Sie müssen mal das Umfeld betrachten!)

Trotz aller Gesundbeterei ist die Spionageabwehr des Bundesamtes für Verfassungsschutz durch die skandalösen Vorgänge, die sich mit dem Namen Tiedge verbinden, aufs schwerste belastet.

(Dr. Struck [SPD]: Das ist wahr!)

Der Bundesgrenzschutz ist orientierungslos und sucht seit Jahren nach einem gefestigtem Berufsbild.

(Fellner [CDU/CSU]: Das wird der Bundesgrenzschutz aber gern hören!)

— Ich diskutiere ja mit denen! — Mit dem Phantasiebegriff „BGS 2000" wird über mangelnde Konzepte und Aufgabenbeschreibungen hinweggetäuscht.

(Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/ CSU]: Schwacher Beifall von den Kollegen der SPD!)




Kühbacher
Die Entwicklung der Haushaltsausgaben der letzten Jahren war tendenziell dadurch gekennzeichnet, daß Bundesregierung und Koalition die Sicherheitsorgane personell und vor allem materiell erheblich verstärken, um zumindest von der Haushaltsseite her die Sicherheitslage oberflächlich in den Griff zu bekommen. Was wir jedoch kritisieren, ist die immer wieder deutlich werdende Sucht, insbesondere für den BGS und die Länderbereitschaftspolizeien zuerst an die Beschaffung von Großgerät und dann erst an den Polizisten zu denken.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist eine Unterstellung!)

Beispielhaft erwähnt seien die Beschaffung von 300 gepanzerten Mannschaftstransportwagen mit Waffenanlagen, die derzeit den Verbänden ja überall zulaufen, sowie die 800 000 DM teuren Wasserwerfer.
An den Polizeibeamten im Einsatz, den Menschen, denkt Innenminister Zimmermann zuletzt.

(Dr. Struck [SPD]: Das ist wahr!)

So ist typisch für ihn, daß erst ab 1987 — auf Druck der Haushaltsberichterstatter — Vorkehrungen zum wirksamen Schutz der Beamten bei Großeinsätzen getroffen werden.

(Frau Seiler-Albring [FDP]: Das stimmt!)

Zum Beispiel wurden bei Hubschraubereinsätzen verbesserte Schutzwesten für fliegendes Personal vorgehalten und wirksamer Kabinenschutz erst nachgebaut. Schutzbekleidung für Wasserwerferbesatzungen wurde eingeführt und eine verbesserte Sanitätsausstattung angeschafft.

(Dr. Struck [SPD]: Hört! Hört!)

Erst ab 1987 wird eine Schutzausrüstung für Polizeibeamte erprobt, die bei gewaltsam verlaufenden Demonstrationen Straftäter herausgreifen und Beweismaterial sichern sollen. Hätte hier nicht sehr viel früher sehr viel schneller sehr viel mehr getan werden müssen, Herr Innenminister?

(Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/ CSU]: Ja, 1972!)

Völlig unverständlich wird diese Entwicklung schließlich, wenn man erfährt, daß aus dem Verstärkungsprogramm für bauliche Sicherungsmaßnahmen des Bundes in letzter Minute noch 60 Millionen in den Haushalt 1987 eingeschoben wurden. Davon sind 12,7 Millionen DM zum zusätzlichen Schutz von BGS-Unterkünften vorgesehen. Ich frage mich als Parlamentarier: Kann diese hochgerüstete und, ich hoffe, gut trainierte Verbandseinheit sich nicht allein schützen? Da müssen im Rahmen eines Ad-hoc-Programms Zaunanlagen mit Stacheldraht verstärkt, Beleuchtungsanlagen verbessert und Streifenwege angelegt werden. Herr Minister, dies zeugt von Aktionismus, aber nicht von geplantem politischem Handeln.
Vom gleichen Aktionismus zeugt auch, was der Innenminister beim BKA zu verantworten hat. Da sind dem Amt im Herbst 1986, nach dem feigen Mord an Gerold von Braunmühl, 210 Planstellen als Reaktion auf diesen Mord bewilligt worden. Da sollten der Terrorismusbekämpfung zusätzlich 94 Beamte zugeführt
werden, und für das erweiterte Personenschutzkonzept sollten 91 zusätzliche Kräfte eingestellt werden. Und was ist geschehen? Im Oktober dieses Jahres mußte der Minister im Haushaltsausschuß gestehen, daß von diesen 185 Planstellen nicht einmal die Hälfte besetzt worden war.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Warum nur? Das würde ich jetzt einmal begründen! Dafür gibt es doch sachliche Gründe! — Fellner [CDU/CSU]: Sollen wir die mit dem Lasso einfangen?)

Dies zeigt: Es werden große Worte gewählt, und wenn es ans Agieren geht, funktioniert das nicht.
Dies sind nur kurze Schlaglichter auf die Arbeit des Bundesinnenministers, der ja für die innere Sicherheit in unserem Land angeblich so viel tut. Nein, Herr Innenminister, wie in anderen Bereichen sind Sie auch bei der inneren Sicherheit nur ein Mann der großen Reden und der kleinen Taten, ein Mann ohne friedensbringende Perspektiven, aber mit polarisierender Wirkung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sprüche!)

Ihr offenkundiges Versagen, Herr Bundesinnenminister, ist aber nicht nur an Statistiken, Zahlen und Tätigkeitsberichten nachzuweisen, sondern auch daran, was Sie am Beginn dieser Wahlperiode — und im übrigen auch schon in der letzten Wahlperiode — an gesetzgeberischen Initiativen versprochen haben.
Wir vermissen bis heute Ihre Vorschläge, Herr Innenminister, für die Novellierung des Bundesgrenzschutzgesetzes und des Gesetzes über das Bundeskriminalamt. Wir warten noch immer auf Ihre Vorschläge für ein einheitliches Polizeirecht für die Polizeien des Bundes und der Länder, das von allen Bundesländern gemeinsam getragen werden kann.
Wir warten noch immer auf Ihre Vorschläge für die rechtliche Absicherung der Arbeit des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes. Sie sind mit Ihren Vorschlägen für eine Verbesserung des Datenschutzes im Bereich der inneren Sicherheit bis heute noch nicht übergekommen.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Jetzt sind Sie schlecht informiert!)

Im Gegenteil: Es mehren sich die Anzeichen dafür, daß Ihr Haus nicht an mehr, sondern an weniger Datenschutz im Sicherheitsbereich arbeitet.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Na, na!)

Sie haben bis heute keine Vorschläge dafür vorgelegt, wie nach Ihrer Ansicht, Herr Innenminister, für die Sicherheit unseres Landes notwendige Personenkontrollen an den Grenzen auch nach dem Abbau der Grenzkontrollen sichergestellt werden können. Im Ankündigen, Herr Minister, sind Sie ein großer Künstler, beim Vollzug hapert's.

(Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Statt dessen haben Sie sich — und dies nicht erst seit kurzem — zu der fixen Idee verstiegen, das Demonstrationsrecht in unserem Land, das unser Kanz-



Kühbacher
lerkandidat Johannes Rau einmal die „Pressefreiheit des kleinen Mannes" genannt hat, einzuengen und auf diese Weise den Ihnen oft so lästigen öffentlichen Widerspruch zu behindern.
Mit Hilfe der Sozialdemokraten werden Sie Ihrem Wunsch keinen Schritt näherkommen.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Jetzt reden wir mal über die Hafenstraße!)

Wir werden das Demonstrationsrecht verteidigen, Herr Kollege Gerster.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Jetzt reden wir mal über die Hafenstraße!)

Wir verteidigen das Demonstrationsrecht gegen diejenigen, die es schamlos mißbrauchen, gegen die schwarz uniformierten Gewalttäter

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie dulden vor allen Dingen den Rechtsbruch in Hamburg! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

genauso wie gegen diejenigen, denen es aus politischen Gründen hinderlich ist, den kalten Kriegern der politischen Rechten.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Ach, komm!)

Um es klar zu sagen: Wer für eine gute Sache, für seine Überzeugung öffentlich demonstrieren will, der braucht sich nicht, ja, der darf sich nicht vermummen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Wer sich vermummt, will nicht demonstrieren, sondern in den meisten Fällen Gewalt ausüben. Deshalb ist die Frage der Vermummung auch keine Frage des Demonstrationsrechts, sondern bei auftretender Gewalt eine Frage des Strafrechts.

(Fellner [CDU/CSU]: Jawohl, darum wollen wir es in das Strafrecht reinnehmen!)

Wir Sozialdemokraten haben mit denjenigen, die sich bei einer Demonstration vermummen, um dann anschließend gegen Sachen oder gegen Menschen, etwa gegen die Polizei, Gewalt zu begehen, nichts gemein.

(Beifall bei der SPD)

Wir verabscheuen diejenigen, die das tun. Wir kritisieren aber auch diejenigen, die als friedliche Demonstranten diesen Chaoten und Kriminellen Schutz und Hilfe gewähren.

(Fellner [CDU/CSU]: Sehr vernünftig!)

Mein persönlicher Aufruf an Demonstrationsteilnehmer ist: Schützt die Polizei vor diesen gewalttätigen Chaoten, stellt euch, wenn es notwendig ist, in einer Menschenkette vor Schaufensterscheiben und vor die Polizei.

(Fellner [CDU/CSU]: Dein Wort in Gottes Gehörgang!)

Es war aber die sozialliberale Koalition, Herr Kollege Fellner, unter Bundeskanzler Helmut Schmidt, Innenminister Gerhart Baum und Justizminister Hans-Jochen Vogel, die die rechtlichen Voraussetzungen für ein Vermummungsverbot geschaffen hat;
wir haben es nämlich. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, die Sie die gegenwärtige Regierung tragen, haben dieses Vermummungsverbot im Juli 1985 noch einmal präzisiert. Dies hat dem Innenminister Zimmermann seinerzeit Anlaß gegeben, in seiner innenpolitischen Leistungsbilanz für dieses Jahr zu verkünden — ich zitiere — :
Jede Vermummung und passive Bewaffnung bei Demonstrationen sind also verboten. Mit dieser Gesetzesänderung sind der Polizei wirksame Rechtsgrundlagen an die Hand gegeben. Sie kann nun lageangemessen und differenziert, vor allem aber erfolgreich reagieren.

(Hört! Hört! bei der FDP)

So Zitat Bundesinnenminister Zimmermann.

(Dr. Nöbel [SPD]: Die sind geistig vermummt! — Weitere Zurufe von der SPD)

Nach den Frankfurter Greueltaten, die auch durch ein strafbewährtes Vermummungsverbot nicht hätten verhindert werden können, wird nun der Eindruck erweckt, als müsse ein dringender Handlungsbedarf befriedigt werden, als sei in der Vergangenheit dieses Gesetzgebungswerk eben nicht geschehen. Der Bundesinnenminister führt die Öffentlichkeit heute in die Irre.
Das Umfallen eines Teils der FDP-Führung in Sachen Vermummungsverbot muß für all diejenigen, die bisher die Meinung vertraten,

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist die größere Einsicht!)

die FDP würde sich schlimmsten konservativen Auswüchsen in der inneren Sicherheit entgegenstellen, eine große Enttäuschung sein.
Die Gewalttaten von Frankfurt haben die deutsche Bevölkerung zutiefst aufgewühlt. Wir empfinden nicht nur tiefes Mitlied mit den Angehörigen der verletzten und getöteten Polizeibeamten. Wir verstehen auch die Erregung der Öffentlichkeit, die Erregung der Polizeibeamten, die vor Ort oft großer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt sind. Verständliche Gefühlsaufwallungen und Emotionen dürfen den Gesetzgeber aber nicht so beeinflussen, daß er sich zu gesetzgeberischen Initiativen verleiten läßt, von denen er genau weiß, daß sie nicht den gewünschten Erfolg bringen können. Ein strafbewehrtes Vermummungsverbot — ich möchte bei dieser Gelegenheit nicht die zahllosen Aussprüche führender FDP-Politiker zitieren — wird nicht zu mehr Rechtssicherheit führen und ist auch nicht dazu geeignet, die Gewalt im Zusammenhang mit Demonstrationen einzudämmen.
Nachdem nun große Teile der FDP-Führung dem Druck von CSU und CDU nachgegeben haben, hoffen wir Sozialdemokraten, daß im weiteren Verlauf der Beratungen in anderen FDP-Gremien der nüchterne Sachverstand wieder die Oberhand gewinnt.
Die Haltung der SPD in Sachen Vermummungsverbot ist bekannt. Ich darf noch einmal wiederholen: Vermummung ist nach dem Gesetz verboten.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Also machen wir nichts dagegen!)




Kühbacher
Die Polizei hat jederzeit das Recht, vermummte Demonstranten festzunehmen und gegen sie ein Verfahren einzuleiten. Die Frage, ob die Polizei beim Auftreten von vermummten Personen bei Demonstrationen einschreitet oder nicht, muß — ich zitiere noch einmal den Bundesinnenminister von 1985 — ,,lageangemessen" und damit flexibel sein.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Die Polizei braucht statt neuer Gesetze eine Verbesserung ihrer personellen und materiellen Ausstattung. Die bayerische Polizei geht mit ihrem Weg zum Überfallkommando endlich in die richtige Richtung. In Nordrhein-Westfalen haben wir das schon seit langer Zeit. Sie braucht eine flexible und wirkungsvolle Polizeitaktik. Sie bedarf des Rückhalts durch die politisch Verantwortlichen, und sie darf nicht zur Durchsetzung gesellschaftlich höchst umstrittener Großbauprojekte mißbraucht werden. Die Polizei ist nicht der Knüppel, mit dem die politisch Herrschenden und die Wirtschaft der Öffentlichkeit ihren Willen aufzwingen dürfen.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist richtig, und das bleibt auch so!)

Die SPD-geführte Landesregierung in NordrheinWestfalen hat durch ihre NRW-Linie in der Polizeitaktik auf vorbildhafte Weise gezeigt, wie man auf seiten des Staates dazu beitragen kann, Gewalt bei Demonstrationen zu verhindern.

(Beifall bei der SPD)

Ich verweise hier auf die Sondereinsatzkommandos, die es in NRW gibt, die in Krefeld anläßlich des BushBesuchs erfolgreich operiert haben

(Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

und wo im Nachgang zu diesen Krawallen in Krefeld höchstrichterliche Beschlüsse unsere Rechtspositionen ausdrücklich noch einmal bestätigt haben.
Mit dieser Strategie sehen wir Sozialdemokraten uns Anfechtungen von beiden Seiten ausgesetzt. Diejenigen, die mit mehr staatlicher Gewalt — wie Sie z. B. — die Macht des Staates demonstrieren wollen, kritisieren unsere Haltung genauso wie sie die Extremisten kritisieren, die nichts sehnlicher wünschen, als daß ihnen die Polizei durch ihr Verhalten weitere Sympathisanten zutreibt.
Das Zusammenspiel beider Gruppen, der einen und der anderen, nämlich Ihnen, ist besonders im Zusammenhang mit der Diskussion um die besetzten Häuser in der Hamburger Hafenstraße offenkundig geworden. Wir Sozialdemokraten danken Bürgermeister Klaus von Dohnanyi für seinen mutigen und erfolgreichen Schritt.

(Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/ CSU]: Ach du lieber Gott!)

— Sie können dazu etwas sagen. — Wir danken ihm dafür, daß er mit der Autorität und der Glaubwürdigkeit seiner Person dazu beigetragen hat, daß die von allen Seiten herbeigeredete gewaltsame Auseinandersetzung vermieden werden konnte.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Und Autos anstecken bleibt straflos!)

Klaus von Dohnanyi hat sich streng an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehalten.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Zerstörung bleibt straffrei in Hamburg!)

— Kollege Gerster! — Bei der Abwägung verschiedenster Rechtsgüter hat er sich für eine Lösung entschieden und diese auch durchgesetzt, die das Auftreten von Gewalt und damit die Gefährdung von Gesundheit und Leben von Bewohnern und Polizisten vermied.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Volksrepublik Hamburg!)

— Herr Kollege Gerster, in Hamburg hat es keine „Fehlsolidarisierung" junger Menschen gegeben.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Hat es Versagen der Politiker gegeben, richtig!)

Wenn es überhaupt noch eines Beweises dafür bedurft hätte, daß man auch ohne Gewalt schwierige staatliche Situationen bereinigen kann, dann hat Klaus von Dohnanyi mit seinen Senatsangehörigen durch seinen persönlichen Einsatz hierfür einen überzeugenden Beweis geliefert, und die Rückkehr der Bewohner zur Vernunft hat dies bestätigt.
Wir leben heute in einer Zeit und in einer Gesellschaft, in der die Repressionsmittel des kaiserlichen Deutschlands, Herr Innenminister, nicht mehr greifen. Es ist zwar Bundesinnenminister Zimmermann und seinen konservativen Zuarbeitern nicht klarzumachen, daß der Landfriedensbruchtatbestand des Jahres 1871 heute nicht zu mehr, sondern zu weniger Sicherheit führen wird. Wir hoffen aber, daß andere Mitglieder der Regierungskoalition, die über eine weniger verengte ideologische Sicht verfügen, die vom Hamburger Bürgermeister herbeigeführte friedliche Lösung der Hafenstraßenproblematik unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Diese friedliche Lösung, Herr Bundesinnenminister, ist von Ihnen in einem „Bild"-Zeitungsinterview beinahe bedauernd kommentiert worden. Sie konnten nur davor warnen zu glauben, daß die Probleme gelöst seien. Das ist richtig so, für Sie gibt es aber keine Politik der Nachdenklichkeit, kein angemessenes Handeln, für sie gibt es nur Einschreiten, Zurückweisen, Eindämmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Mietvertrag durch Terror ist auch keine Lösung!)

Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere viele jugendliche Mitbürgerinnen und Mitbürger, verfügen heute über eine hervorragende Bildung, über ein kritisches Mitdenken über unsere gesellschaftliche Situation, über den Mut, eine eigene Meinung zu äußern, und auch über den Mut, für die eigene Meinung auf die Straße zu gehen, so z. B. zum Thema Bildungspolitik an diesem Wochenende. Politik ist in unserem Land zweifellos schwieriger geworden. Das Durchsetzen politischer Entscheidungen braucht viel Überzeugung, viel Mühe. Wem sage ich das, liebe Kollegen: Auch Sie wenden viel Mühe auf, Ihre politische Überzeugung überzubringen.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Nachgeben als politische Entscheidung! Hamburg!)




Kühbacher
Tausende von Bürgerinitiativen, deren Anhänger sich nicht in Parteien organisieren wollen, wollen Einfluß nehmen und tun dies auch.
Wer aber durch die Einführung eines Landfriedensbruchtatbestandes so etwas wie eine Kollektivschuld von Demonstranten einführen will, wirkt in unserem Land polarisierend, ausgrenzend und damit gewalterhöhend. Deshalb werden wir Sozialdemokraten bei unserem Nein zu einer Wiedereinführung des Landfriedensbruchtatbestandes bleiben. Wir bleiben bei diesem Nein um des Friedens in unserem Lande willen, Herr Innenminister.

(Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/ CSU]: Modell Hafenstraße für ganz Deutschland?)

Die Bürger unseres Landes sollen wissen, daß wir das freie Recht auf Demonstration gegen alle Seiten verteidigen. Wir wollen und wir werden auch dieses Recht gegen die politischen Extremisten verteidigen, die es bewußt dazu mißbrauchen wollen, um den Staat in eine krisenhafte Situation zu treiben.
Alle friedlichen Demonstranten, all diejenigen, die wirklich ein Anliegen haben, sind deshalb aufgefordert, sich von gewalttätigen Chaoten zu trennen. Wer dies nicht fertigbringt, wer dazu nicht bereit ist, der erweist auch der Sache, für die er sich einsetzt, einen schlechten Dienst.

(Sehr gut! bei der SPD)

Ihnen, Herr Bundesinnenminister, sprechen wir Sozialdemokraten unser tiefes Mißtrauen aus.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das überrascht uns aber sehr!)

Sie haben es bisher in Ihrer Amtszeit nicht vermocht, die angebliche „Straße" sicherer zu machen. Die Kriminalität ist gewachsen; der Terrorismus ist nach wie vor eine Gefahr.
Um Ihrer längst vorgefaßten politischen Meinung das Mäntelchen eines angeblichen Sachverstandes umzuhängen, organisieren Sie nichtöffentliche Anhörungen in Ihrem Ministerium, deren Fragwürdigkeit kaum zu überbieten ist.

(Fellner [CDU/CSU]: Beleidigt die Leute nicht!)

Ein gefilterter Kreis von Experten wird zu einem nichtöffentlichen Gespräch eingeladen. Dieses Gespräch soll anschließend ausschlaggebend für eine Gesetzgebung sein, während öffentliche Anhörungen des Deutschen Bundestages, vor allem des Rechtsausschusses zu Fragen des Demonstrationsrechts, ignoriert werden.

(Fellner [CDU/CSU]: Du wirst deine Anhörungen schon noch bekommen!)

Ein solches Handeln führt nicht zu mehr Glaubwürdigkeit.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer [GRÜNE])

Herr Innenminister, wir befürchten, daß Robert Leicht mit seiner Äußerung in der „Zeit" von der letzten Woche recht hat, wenn er feststellt:
Wenn jedoch erst einmal Illusionen und Affekte auf die Gesetze durchschlagen, nimmt die liberale und aufgeklärte Rechtskultur schließlich doch empfindlichen Schaden.
Jedermann weiß, daß die von Innenminister Zimmermann und den konservativen Teilen der CDU und CSU vorgetragenen gesetzgeberischen Lösungen, z. B. ein strafbewehrtes Vermummungsverbot, in der polizeilichen Praxis wirkungslos sein werden.
Deshalb, Herr Innenminister, lehnen wir Sozialdemokraten Ihre Politik schon vom Grundsatz her ab und werden Ihrem Haushalt auch in diesem Jahr nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104220500
Das Wort hat der Abgeordnete Deres.

Karl Deres (CDU):
Rede ID: ID1104220600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, meine Ausführungen mit einem Konterrundumschlag auf dem Niveau rot — oder nachher eventuell noch grün — einzuleiten, schon gar nicht auf dem Niveau der Hafenstraße.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn ich hatte mir vorgenommen, mit allem Ernst einmal darauf hinzuweisen, daß es nahezu zu einer traurigen Pflicht geworden ist, die Debatte zum Etat des Innenministers in unserem Land vor dem Hintergrund blutiger Anschläge zu führen.
Die ebenso empörenden wie für die Betroffenen tragischen Ereignisse an der Startbahn West haben mit erschreckender Deutlichkeit klargemacht, daß alle bisherigen Maßnahmen zum Schutz der inneren Sicherheit gegen verblendete Täter offenbar nicht ausreichen. Die Haushaltsdebatte heute abend über den Einzelplan 06 ist nicht unbedingt der Ort, um eine weitere Grundsatzdebatte zum Thema der inneren Sicherheit zu führen. Wohl ist jetzt aber der Ort und die Zeit, um aufzuzeigen, daß diese Koalition die haushaltsmäßigen Voraussetzungen zum Schutze der Bürger und des Staates gewährleistet. Drei Beispiele mögen das verdeutlichen.
Erstens. Der Haushalt 1988 ermöglicht die Einstellung von 1 600 Bewerbern, Anwärtern im mittleren Polizeivollzugsdienst des Bundesgrenzschutzes. Damit setzen wir die Linie der letzten Jahre fort, den Einsatzwert des BGS zu stärken.
Wir haben gleichzeitig dafür Sorge getragen, daß unsere Beamten mit der Ausstattung ausgerüstet sind, die zu ihrem persönlichen Schutz bei einem Einsatz erforderlich ist. Gegen den feigen Einsatz von Schußwaffen aus dem Hinterhalt kann natürlich eine normale polizeiliche Ausrüstung keinen Schutz gewährleisten. Wir haben jedoch Sorge dafür getragen, daß 1987/88 Mittel für die Entwicklung und Erprobung einer speziellen polizeilichen Schutzausrüstung beim Einsatz gegen gewalttätige Störer bereitstehen.
Durch 290 Planstellenhebungen im mittleren Polizeivollzugsdienst sind schließlich weitere wichtige Voraussetzungen für die Motivation der jungen Beamten geschaffen worden.



Deres
Zweitens. Die Haushalte des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz werden auf dem 1987 erreichten hohen Niveau konsolidiert. Die Mittel für das erweiterte Fahndungs- und Personenschutzkonzept des BKA sowie zur Rauschgiftbekämpfung gewährleisten von der Haushaltsseite her die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Fahndungsarbeit unserer Sicherheitsbehörden.
Drittens. Die wachsende Gewaltbereitschaft zumeist jugendlicher Demonstranten erfordert nicht nur eine repressive Arbeit der Sicherheitsorgane. Gefordert ist auch ein präventives Eingehen der Politik auf die Ursachen von Gewalt in unserer Gesellschaft. Die Koalition hat dazu die Einsetzung einer unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt beschlossen. Im Haushalt des Innenministers stehen allein für 1988 für die Arbeit dieser Kommission Mittel von 1,6 Millionen DM bereit. Wir erwarten, daß die Kommission die Arbeit bald aufnimmt und zügig Ergebnisse vorlegt.
Ich möchte an dieser Stelle auch den Polizisten für ihren aufopferungsvollen Dienst unseren Dank und unsere Anerkennung aussprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Ich komme zu einem überaus erfreulichen Aspekt des Innenetats. Die Entspannungspolitik dieser Regierung hat dazu geführt, daß die Zahl der Aussiedler kräftig angestiegen ist. So sind z. B. aus dem sowjetischen Bereich 1987 — bis heute — ungefähr 11 000 Aussiedler in die Bundesrepublik gekommen. In den letzten Jahren lag diese Zahl stets unter 1 000. Bis zum Jahresende 1987 werden weit über 70 000 Aussiedler und 20 000 Zuwanderer aus der DDR in die Bundesrepublik kommen.
Wir erwarten, daß die positive Entwicklung auch 1988 anhält. Deshalb haben wir im Haushalt Sorge dafür getragen, daß ausreichende Mittel für die Betreuung der Aussiedler bei ihrer Ankunft sowie für ihre Eingliederung in unsere Gesellschaft zur Verfügung stehen.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich einen Appell an alle Bürger im Lande richten, durch menschliche Anteilnahme und tätige Mithilfe diesen Aussiedlern und Zuwanderern, den neuen Bürgern, das Einleben in unsere Gesellschaft zu erleichtern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben nicht nur die Verpflichtung, die Deutschen bei uns aufzunehmen, die als Folge der Ereignisse im Dritten Reich und des Zweiten Weltkriegs ihre angestammte Heimat in Ost- und Südosteuropa verlassen mußten. Wir bekennen uns auch zur Wiedergutmachung, zu Hilfen in konkreten Härtefällen, für die wir ja im Einzelplan 60 weitere 300 Millionen DM zur Verfügung gestellt haben. Ich will das hier nur erwähnen. Es ist und bleibt im Grunde genommen eine innenpolitische Aufgabe.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Es ging um Opfer des Nationalsozialismus, falls Sie das nicht gefunden haben!)

Wir spüren auch die Verantwortung, die kulturhistorischen Leistungen Deutscher in den ehemals deutschen Siedlungsgebieten der Nachwelt auf Dauer zu erhalten. Deswegen haben wir den Ansatz für die ostdeutsche Kulturarbeit gegenüber 1987 noch einmal um 50 % auf nunmehr 15 Millionen DM gesteigert.

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Als diese Koalition die Arbeit im Jahre 1982 aufnahm, betrug der Ansatz 4,2 Millionen DM.

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Daneben verstärken wir unsere Bemühungen, die Darstellung ostdeutscher Kulturleistungen in zeitgemäß gestalteten attraktiven ostdeutschen Landesmuseen zu ermöglichen. Während wir 1987 Mittel für den Ausbau des ostpreußischen Landesmuseums in Lüneburg und des Hauses Schlesien in Heisterbacherrott vorgesehen haben, soll unter Beteiligung des Landes Schleswig-Holstein 1988 mit dem Bau des pommerschen Landesmuseums in Lübeck-Travemünde begonnen werden. Insgesamt sind für diese Maßnahme Bundesmittel in Höhe von 5,5 Millionen DM eingesetzt.
Während somit die museale Bewahrung und Darstellung kulturhistorischer Leistungen Deutscher in den großen ostdeutschen Kulturregionen sich bereits in ihrer Realisierungsphase befinden, schreiten die Planungsarbeiten für die geplanten Geschichtsmuseen in Bonn und Berlin zügig voran. Am 28. Oktober haben der Bundeskanzler und der Regierende Bürgermeister von Berlin im Reichstag die Vereinbarung über die Errichtung des Deutschen Historischen Museums als Jubiläumsgeschenk an das Land Berlin unterzeichnet. Dieses Museum soll wie das in Bonn zu errichtende Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland deutsche Geschichte so objektiv wie möglich darstellen. Deswegen haben wir für beide Museen Vorsorge getroffen, daß unabhängiger wissenschaftlicher Sachverstand Konzeption und Präsentation maßgeblich beeinflussen können.
Daneben werden die Aufbaustäbe beider Einrichtungen planmäßig ausgebaut und die Erwerbungsmittel kräftig angehoben.
Die Entwicklung des Kulturhaushalts des Bundes folgt im übrigen den in den letzten Jahren bereits zur Tradition gewordenen Linien.
Die Ausgaben für Kultur steigen mit 7,8 To überproportional. Die Förderung bewährter kultureller Aktivitäten und Einrichtungen wird sachgerecht fortgesetzt. Neue Entwicklungen und Initiativen werden behutsam aufgegriffen. So ist z. B. im Einzelplan 06 die Förderung von zwei weiteren Fonds haushaltsmäßig abgesichert. Dadurch sollen den Vereinigungen darstellender Künstler sowie der alternativen Kultur ähnliche autonome Fördermaßnahmen ermöglicht werden, wie dies im Rahmen des Literatur- und Kunstfonds sowie der Musikförderungsprogramme möglich ist. Diese neuen Förderprogramme sollen verwirklicht werden über die neu errichtete Kulturstiftung der Länder, an der sich der Bund beteiligt.

(Kühbacher [SPD]: Sehr gut!)

— Ich weiß, warum dieser Zuruf „Sehr gut!" jetzt von Ihnen kommt.



Deres
Gestatten Sie mir zum Abschluß ein Wort zum Sport. Die Entwicklung des Sporthaushalts des BMI wird im wesentlichen durch zwei Faktoren geprägt. Zum einen fallen im Olympischen Jahr 1988 die Olympiaentsendungskosten ins Gewicht. Im Bundeshaushalt sind in Abstimmung mit dem NOK dafür Mittel in Höhe von 6,9 Millionen DM ausgewiesen.

(Kühbacher [SPD]: Ein schöner Happen!)

Wir hoffen und wünschen, daß die deutschen Mannschaften bei den Winterspielen und den Sommerspielen an die früheren großen Erfolge anknüpfen können.
Neben diesem aktuellen Bedarf kommt dem Ausbau der Olympiastützpunkte entscheidende Bedeutung zu.

(Kühbacher [SPD]: Das ist wahr!)

Nachdem 1987 mit der Errichtung dieser neuen Zentren für unsere Spitzensportler begonnen wurde, wird diese Entwicklung auch 1988 planmäßig fortgesetzt. Wir hoffen und wünschen, daß die Siegeschancen unserer jungen Athleten durch diese Trainingszentren entscheidend verbessert werden.
Wir können sicher feststellen, daß der Staat die finanziellen Voraussetzungen für eine optimale Vorbereitung unserer Athleten auf die großen Wettkämpfe des Jahres 1988 geschaffen hat. Ich appelliere an dieser Stelle aber auch an die Verantwortlichen im deutschen Sport: Tragen Sie durch entschlossenes und vor allem geschlossenes Handeln dazu bei, daß die Anstrengungen und Entbehrungen unserer Spitzensportler durch Erfolge gekrönt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Abschließen darf ich mit dem Satz: Ich will die Gelegenheit nicht versäumen, meine Kollegin Frau SeilerAlbring und den Herren Mitberichterstattern, insbesondere Herrn Klaus-Dieter Kühbacher, für die faire Unterstützung zu danken, die sie mir als neuem Berichterstatter entgegengebracht haben. Wir waren nicht immer einer Meinung, aber wir haben uns in einer freundschaftlich-kollegialen Form des Umgangs miteinander auf vieles einigen können.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und sage, daß die CDU/CSU-Fraktion diesem Einzelplan des Bundesinnenministers gern zustimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104220700
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Olms.

Ellen Olms (GRÜNE):
Rede ID: ID1104220800
Meine Damen und Herren! Je später der Abend, desto leerer die Ränge und desto größer die Steigerung der inneren Aufrüstung aller Sicherheitsämter dieser Republik.

(Zurufe von der CDU/CSU: Wie, schimpfen Sie auf Ihre Fraktion? — Bei Ihnen sind nur noch vier da!)

Wenn ich mir das Volumen dieses Etats ansehe, verstärkt sich meine Ansicht, daß dieses Innenministerium auf gesellschaftliche Probleme nur eine autoritäre Antwort hat. Die Antwort lautet: mehr Polizei, mehr Bundesgrenzschutz, mehr Materialaufrüstung, mehr Waffen, mehr Beschnüffelung und mehr Bespitzelung. Es kann auch hier von einer Mehrwertphilosophie gesprochen werden.
Die Auseinandersetzungen über drängende Probleme wie die lebensgefährliche Atomenergie, den zunehmenden Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit oder die zunehmende Verelendung immer größer werdender Bevölkerungsgruppen werden mit weiterer Verschärfung bestehender Gesetze, polizeistaatlichen Taktiken und Maulkörben für die politische Opposition geführt.
Wegen der Kürze der Redezeit werde ich an dieser Stelle die Auseinandersetzung auf wenige Punkte zuspitzen. Unter dem Stichwort Novellierung des Ausländergesetzes — vom Innenministerium selbst treffend als „Begrenzungspolitik" bezeichnet — soll das Ausländergesetz mit dem Ziel der weiteren Be- und Ausgrenzung von Nichtdeutschen weiter verschärft werden. Immigrantinnen, die in der Bundesrepublik leben und arbeiten, werden weiter in ihren Lebensrechten beschnitten. Dies geschieht nicht durch allein für sie gültige Sondergesetze und deren weitere Verschärfung, sondern auch in der Diskussion um diese wird der Rassismus geschürt, und das bewußt. Nur ein Opfer der staatlich geförderten rassistischen Hetze sei hier genannt, der iranische Flüchtling Javadi, der von Angestellten eines deutschen Supermarktes in Tübingen erwürgt wurde.
Ist es nicht Rassismus, wenn der Schutz von Ehe und Familie nur für Deutsche gilt, wenn das Nachzugsalter für Kinder von Nichtdeutschen auf sechs Jahre gesenkt werden soll

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist ein Irrtum! )

und wenn der Nachzug und das Zusammenleben von nichtdeutschen Ehepartnern weiter erschwert bzw. verhindert werden?

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: O heilige Mutter Anna! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Staatssekretär Spranger — er sei nur ein Beispiel — spricht in seinen Reden im Zusammenhang mit dem Aufenthalt von Ausländern vom Freibrief für Schwerkriminelle, für politische Extremisten, die zu Gewalttaten aufrufen oder diese begehen. Zugespitzt formuliert: Ausländer gleich potentieller Terrorist; wenn zudem noch Araber, dann gleich verurteilt und gespeichert in der besonderen Araberkartei. Für alle anderen gibt es ohnehin das allumfassende Ausländerzentralregister.
Flüchtlinge sollen unter dem Stichwort Harmonisierung des Asylrechts auf EG-Ebene gemeinsam abgeschreckt, gemeinsam abgeschottet und gemeinsam ausgewiesen werden. Statt daß den Verfolgten Zuflucht gewährt wird, statt daß eine Politik der offenen Grenzen verfolgt wird, wird Flüchtlingen durch Bedingungen das Hereinreisen in die Bundesrepublik verunmöglicht, und damit wird das Grundrecht auf Asyl faktisch außer Kraft gesetzt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Daß dies das Ziel der Bundesregierung ist, zeigt auch das Beispiel der Flüchtlinge aus dem Iran. Wenn es überhaupt einem Flüchtling gelingt, die BRD zu erreichen, wird er hier mit dem Hinweis auf anderwei-



Frau Olms
tigen Schutz vor Verfolgung abgewiesen. So ist die Iranerin, die schwer gefoltert wurde und deren Abschiebung von Berlin in den Iran in letzter Minute verhindert werden konnte, ebenso wie tausend andere iranische Flüchtlinge in der Türkei Opfer der menschenverachtenden Politik Zimmermanns gegen Flüchtlinge, die Verfolgten das Recht auf Leben abspricht. Aber dies ist ja nur konsequent für eine Bundesregierung, die kriegführenden Ländern und Folterregimen Militärausrüstung und Wirtschaftshilfe in Milliardenhöhe gewährt.
Die Zielsetzung der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik findet ihren Ausdruck in dem uns vorliegenden Haushalt. Statt Gelder für einen Mindeststandard für menschengerechtes Leben, Wohnen und Arbeiten bereitzustellen, findet man in diesem Haushalt z. B. Mittel für Begleitung durch den Bundesgrenzschutz bei Zwangsabschiebungen; das läßt sich die Bundesregierung einiges kosten. Statt kostenloser Rechtsberatung, adäquater Aufklärung über die Kultur- und Lebensbereiche in der Bundesrepublik, Sprachkursen — siehe hierzu auch unseren Antrag — und Ausbildungsmöglichkeiten werden Mittel für die Abschreckung aufgestockt.
Jetzt komme ich zum Beispiel 2. Zur Begründung, warum wir die heute verbunden beratenen Haushaltspläne ablehnen, möchte ich zunächst ein eher harmlos klingendes Beispiel der inneren Aufrüstung aus dem Bereich Zivilverteidigung — hier geht es um den Einzelplan 36 — herausgreifen. Mit diesem Begriff bin ich schon mitten im Thema. Die Akzeptanzforscher einer nach Tschernobyl eingesetzten PR-Arbeitsgruppe zur Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit haben nämlich statt dessen den Wohlklang „Notfallvorsorge" kreiert und die Kriegsplanungsabteilung im BMI entsprechend umbenannt.
Nach Tschernobyl und der Sandoz-Verseuchung sind die berechtigten Ängste der Bevölkerung vor den lebensbedrohenden Auswirkungen der Großtechnologie also gehört worden. Daraus wurde jedoch nicht der naheliegende Schluß gezogen, derartige Gefahrenquellen abzubauen und sich für eine wirksame Bekämpfung des Umweltterrorismus einzusetzen. Nein, nach diesen Anlässen wurde vielmehr die einmalige Gelegenheit erkannt, die Stimmungslage der Menschen zu nutzen. Seither werden alte Projekte aus dem Bereich präventiver und repressiver Kriegsplanung um so lieber in den gleichen Topf „Notfallvorsorge" geschmissen und von einer einheitlichen Hilfeleistungs- und Schutzaufgabe von Staat und Bürger mit zentralem Krisenmanagement schwadroniert. Denn wir sitzen doch alle in einem Boot angesichts mir nichts, dir nichts aufgetretener Gefahren, egal, ob Eisenbahnunglück oder Atomkrieg. Verantwortlichkeit und Urheberschaft sind dann ununterscheidbar und gleichgültig.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Mit Ihnen möchte ich nicht mal in einer Nußschale sitzen!)

— Das kann ich mir vorstellen. Ich mit Ihnen auch nicht.
Nur wer da nicht so genau hingucken mag, kann z. B. den kühnen Versuch unternehmen, den kurzfristigen Trümmer- und Berstschutz von Bunkern auch gegen langandauernde atomare oder chemische Verseuchungen der Umwelt nach entsprechenden Unfällen in Friedenszeiten zu propagieren. Mit diesem PR-Gag soll die Akzeptanz für die geforderte Bunkerbaupflicht erhöht werden und die gedankliche Schlußfolgerung der Bevölkerung Bunker — Bombennächte — Krieg verdrängt werden.
Ich komme jetzt zum dritten Beispiel. Wer nach den Todesschüssen an der Startbahn West die — und das steht außer Frage — politisch und moralisch zu verurteilen sind, jetzt versucht, für seine politischen Positionen Kapital daraus zu schlagen, nimmt das, was sich dort zugetragen hat, nicht ernst

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Na, na, na!)

und setzt jeder Diskussion, bevor sie überhaupt angefangen hat, ein Ende.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen Rückblick. Die bequeme Ideologie der sogenannten Gewaltspirale, die darauf setzt, daß der Staat nur aufrüstet, wenn die Opposition dies tut, ist historisch nicht haltbar.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Jetzt kommt das Ditfurth-Zitat! Viel Vergnügen!)

— Nein, das war ja schon in der Öffentlichkeit.
Alle Aufrüstungsschritte des staatlichen Gewaltapparates sind im Kern unabhängig von der Entwicklung der Demonstrationen vollzogen worden. Bereits in den fünfziger Jahren wurden großangelegte Manöver abgehalten, mit denen die polizeiliche Bekämpfung angeblicher Aufstände in Betrieben oder Streiks geübt wurde. Das war lange vor den großen Streiks der 60er und 70er Jahre. Nicht der Terrorismus Anfang der 70er Jahre ist die Ursache für die innere Aufrüstung des Staates; diese begann schon längst vorher.
Jetzt ein Zitat:
es waren Zeiten der Krise, der Unruhen und des Umbruchs: Die Studentenbewegung, die Schaffung der großen Koalition aus CDU und SPD, die Verabschiedung der Notstandsgesetze, wenig später die Bildung der kleinen Regierungskoalition aus FDP und SPD, dann die sogenannte Ölkrise sind nur die knappen Stichworte der Entwicklung.
Das sagte Horst Herold 1980 in einer Rückbetrachtung. Er sagte weiter:
Ich bin nicht der Auffassung, daß der Terrorismus als solcher eine gesellschaftliche Gefahr bedeutet.
Statt dessen:
Wir
— die Polizei —
müssen mit Situationen kalkulieren, die mir nicht für immer ausgeschlossen scheinen: wirtschaftlich-ökonomische Krisen etwa, depressive Prozesse in denen die Zuwachsrate von 2 % sich auf 0 minimalisiert, was sich dann schlagartig im Bewußtsein der Bevölkerung niederschlagen kann. Staatsverdrossenheit, Autoritätsverfall, Loyalitätskrisen, Erschütterungen der staatlichen Or-



Frau Olms
gane, Umwertungen der Traditionen, die die Staatsapparate in aller Welt tragen:.. .
Vielleicht sollten Sie sich dieses Zitat von Herrn Herold mal zu Gemüte führen.

(Dr. Bötsch CDU/CSU]: Lesen Sie es vielleicht noch mal von rückwärts!)

Ein chinesischer Philosoph und Politiker, der längst aus der Mode gekommen ist,

(Dr. Nöbel [SPD]: Ach, waren Sie in China?)

hat einmal gesagt,

(Dr. Nöbel [SPD]: Das war Mao!)

man habe die Wahrheit in den Tatsachen zu suchen. Das klingt einleuchtend wie simpel, geradezu überflüssig. Dennoch bleibt der Eindruck, als wäre mit diesem Chinesen auch diese Binsenweisheit aus der Mode geraten, ihrem zeitlosen Inhalt zum Trotz. Anstatt pausenlos irgendwelche eilfertigen Statements zu verbreiten, die vorspiegeln, man wisse alles, obgleich man nur äußerst wenig weiß, die mehr der Würze des eigenen Süppchens denn der vorbehaltlosen Aufklärung dienen, sollte das Engagement lieber der Organisierung einer seriösen Untersuchung der Vorgänge an der Startbahn gewidmet werden.
Zurückkommend auf das Mao-Wort „die Wahrheit in den Tatsachen suchen" : Vor genau zehn Jahren bei der Beerdigung der Toten von Stammheim gab es die ersten Demonstranten, die ihr Gesicht verhüllten. Hier wurden zum erstenmal für alle sichtbar Kameras zur Registrierung eingesetzt. Die Methode filmischer Erfassung von Demonstranten wurde im Laufe der Jahre verfeinert, und die Ergebnisse wurden im Anhörungsverfahren zur Einstellung im öffentlichen Dienst und bei anderen diversen Gelegenheiten verwendet.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Nicht in einem einzigen Fall!)

Dazugekommen ist jetzt noch das Einspannen der Medien als Hilfspolizisten.

(Gerster [Mainz] CDU/CSU]: Sie sagen nicht die Wahrheit!)

— Ich habe genug Verfahren miterlebt.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Nennen Sie mal einen Fall, bitte!)

Erst kürzlich segnete das Bundesverfassungsgericht die verordnete Herausgabe von journalistischem Wissen und Bildmaterial höchstrichterlich ab.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Auf der rechtlichen Ebene sollen die seit Jahren geplante Verschärfung des Landfriedensbruchstatbestandes und die geforderte Ausweitung der Strafbarkeit der Vermummung eingeführt werden. Aber dies ist nur ein Teil des geplanten Gesamtwerkes. Präventivhaft für Landfriedensbruchverdächtige ist das nächste Wunschprojekt. Gewollt ist genau die Fassung des Landfriedensbruchparagraphen, die aus gutem Grund 1970 wegen der damit verbundenen Kollektivhaftung und Massenkriminalisierung abgeschafft worden war.
Die Vermummung ist auf der juristischen Ebene ein Verdachtsstrafrecht. Politisch ist sie als Kleiderordnungsparagraph zu bewerten. Sehen wir uns im Vergleich doch einmal die Skandale in diesem Jahr und auch der letzten Jahre, z. B. Barschel/Pfeiffer in Schleswig-Holstein, Flick-Skandal oder auch den Berliner Sumpf, an. Nehmen wir hierzu die Diskussion um die Vermummung, so kann doch nur der Schluß gezogen werden: Wenn es hier einen Vermummungsparagraphen gäbe, so müßten die angeblich weißen Westen und der schwarze Block der dunklen Anzüge unter strafbewehrtes Verbot gestellt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und wenn wir die nicht stattgefundene Aufregung über Barschel/Pfeiffer im Regierungslager mit dem Geschrei um die Hafenstraße vergleichen, so ist doch ganz klar, aus welcher Richtung der Wind bläst: Südweststurm bläst den Leuten aus der Hafenstraße ins Gesicht, da sie der Vertrag täglich unter dem Fallbeil der Räumungsdrohung hält. Selbst gegen diesen Knebelungsvertrag wird weiter von seiten der Rechten in Stadt und Land Stimmung erzeugt.
Es sollen Demonstrationen, nicht angepaßte Wohn- und Lebensformen regierungskonform geschaltet werden.
Das Recht auf Nichtregistrierung muß in Worten und Taten geschützt werden, gerade angesichts der Praxis der „freien Bahn" des Verfassungsschutzes und Polizeiapparates.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104220900
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1104221000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Innenministeriums ist ein ungemein vielfältiger und interessanter Haushalt, weil es hier eine Fülle von Politikbereichen gibt, die es eigentlich wert wären, daß man sich an dieser Stelle mit ihnen etwas näher beschäftigen könnte. Ich nenne hier nur die Sportförderung und die Kulturförderung, die ganzen Dinge, die sich mit dem Datenschutz beschäftigen usw. Es wäre wichtig, sich hier einmal grundsätzlich damit zu beschäftigen, weil hier eine ausgesprochen sinnvolle und sehr bürgernahe Politik betrieben wird.
Aber aus gegebenem Anlaß, meine Damen und Herren, werde ich mich heute dem Schwerpunkt der inneren Sicherheit im Bereich des Einzelplans 06 zuwenden.
Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen.

(Wartenberg [Berlin] [SPD]: Das waren doch bis jetzt nur Vorbemerkungen!)

Es ist schon bemerkenswert, in welchem Maße sich die öffentliche Aufmerksamkeit je nach dem Standpunkt — ob man es befürchtet oder erwartet — mit dem erhofften Vorgehen der FDP im Zusammenhang mit ihrem geplanten außerordentlichen Parteitag beschäftigt und wie sehr das Bedürfnis nach Aufarbei-



Frau Seiler-Albring
tung und Aufklärung der tatsächlichen Geschehnisse

(Dr. Vogel [SPD]: Brüderle!)

in Frankfurt in den Hintergrund rückt.
Lieber Kollege Klaus-Dieter Kühbacher, ich nehme Ihnen ja ab, was Sie eben gesagt haben, als Sie die Demonstranten aufgerufen haben

(Zuruf von der SPD)

— nein, ich mache ihn nicht fertig; ich schätze ihn ausgesprochen, Herr Diller —,

(Diller [SPD]: Ich habe nichts gesagt!)

sich gemeinsam mit der Polizei für befriedete Demonstrationen einzusetzen. Ich frage mich allerdings, ob der große Teil derjenigen, die heute meinen, der FDP leichtfüßige Abkehr von liberalen Prinzipien vorwerfen zu müssen, tatsächlich selbst alles getan hat, diesen mäßigenden Einfluß bei denjenigen Demonstranten geltend zu machen, die meinten, aus einer verheerend falsch verstandenen Solidarität radikale Gewalttäter vor dem Zugriff durch die Polizei schützen zu dürfen. Ich frage mich weiter, ob wiederum andere die ihnen zu Gebote stehenden Mittel eingesetzt haben, einer beunruhigten Öffentlichkeit die Möglichkeiten — wie Sie das hier ja auch getan haben — des bereits geltenden Rechts zu verdeutlichen. Nicht umsonst haben wir Liberale in unseren Veranstaltungen immer wieder den Vorwurf gehört, daß über diese zugegeben komplizierten Zusammenhänge nicht genügend aufgeklärt worden ist.
Wir freien Demokraten machen uns die Diskussion um die Änderung des Demonstrationsstrafrechts nicht leicht. Wir tun uns im Gegenteil außerordentlich schwer damit. Weil das so ist, finde ich den Ausdruck „umfallen", Klaus-Dieter Kühbacher, in diesem Zusammenhang wirklich nicht angemessen

(Wartenberg [Berlin] [SPD]: Das ist historische Kontinuität!)

und glaube auch nicht, daß er Ihrer Meinung entspricht.

(Dr. Nöbel [SPD]: Der steht bereits im Lexikon! — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Die Schwierigkeit eines Prozesses ist noch nie bewertet worden!)

Meine Damen und Herren, wir tun uns schwer mit der Änderung des Demonstrationsstrafrechtes,

(Kühbacher [SPD]: Wofür sind Sie denn?)

und zwar nicht, weil der Einzelaspekt Strafbarkeit der Vermummung schon in einer friedlichen Demonstration einen so hohen Stellenwert hätte, sondern weil wir grundsätzlich empfindlich reagieren, wenn es um das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Demonstration geht.

(Beifall bei der FDP — Kühbacher [SPD]: Was ist denn Ihre Meinung?)

Wir werden uns dieser Diskussion auf einem außerordentlichen Parteitag stellen und sind bereit und offen, neue Argumente zu würdigen. Wir verbitten uns aber auch ganz entschieden den Versuch,

(Dr. Vogel [SPD]: War da nicht etwas mit Stammtisch?)

diesen Parteitag als überflüssige Turnübung herabzuwürdigen. Wir sind keine Einmannpartei, sondern diskutieren Veränderungen mit und in unserer Partei.

(Dr. Nöbel [SPD]: Wir sind doch hier im Bundestag!)

Wenn wir bei der Darlegung des geltenden Rechts und seiner Möglichkeiten etwas mehr publizistische Unterstützung bekommen hätten, wäre es zwei meiner Fraktionskollegen vielleicht erspart geblieben, Adressaten geradzu widerwärtiger, infamer, zumeist anonymer,

(Dr. Vogel [SPD]: Das ist wohl wahr!)

also sozusagen vermummter Zuschriften zu werden.

(Beifall bei der FDP und bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: So geht es Leuten, die eine andere Meinung haben!)

Es ist schon bemerkenswert, wie hier unter dem Vorwand, Gewalttäter endlich dingfest machen zu wollen, Mord und Totschlag angedroht wird, Familien der Betroffenen inbegriffen. Ich glaube, das muß uns alle betroffen machen, ganz gleich, ob wir die Ansichten der beiden Kollegen teilen oder nicht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Da haben wir alle unsere Erfahrungen!)

In der Öffentlichkeit und aus Kreisen der eingesetzten Polizeibeamten wurden im Zusammenhang mit den Ereignissen an der Startbahn West Vorwürfe über die mangelhafte Ausstattung und Ausrüstung der eingesetzten Beamten erhoben. Ich will und kann mir hier kein Urteil anmaßen, ob dies im Einzelfall zugetroffen hat. Es erscheint aber angebracht, einmal aufzuzeigen, was an Steuermitteln in den letzten Jahren in dem Bereich der inneren Sicherheit investiert wurde. Um dies sehr deutlich im voraus zu sagen: Es gibt keinen einzigen Antrag auf Mittelerhöhung für den Bereich der inneren Sicherheit, den die Berichterstatter der Koalition und der SPD im Haushaltsausschuß abgelehnt hätten, von der fragwürdigen Sicherung der Gebäude und Einrichtungen im Bereich der Bundesverwaltung einmal abgesehen.

(Kühbacher [SPD]: Und den gepanzerten Fahrzeugen!)

Die Mittelzuweisungen im Bereich des Bundeskriminalamtes, der Beschaffung der Polizeien der Länder und des Bundesgrenzschutzes steigen seit Jahren kontinuierlich überproportional an.
In der Personalentwicklung wurden diese Bereiche von den üblichen Null-Runden grundsätzlich ausgenommen, wie auch die 1 %ige Kürzung der Stellen im Bundeshaushalt in diesem Jahr diesen Bereich wiederum ausdrücklich ausnimmt. Lassen Sie mich nur zwei, drei Zahlen nennen: Wir konnten beim Bundeskriminalamt 1986 mit 101 und 1987 mit insgesamt 245 zusätzlichen Planstellen eine deutliche Personalvermehrung erreichen. Dem Bundesgrenzschutz wurde



Frau Seiler-Albring
zur Aufrechterhaltung seiner Ist-Stärke im mittleren Polizeivollzugsdienst, mit dem Haushalt 1985 beginnend, auf die Jahre 1988 bis 1991 verteilt, 1 000 zusätzliche Planstellen der Besoldungsgruppe A 6 bewilligt, was die Einstellung einer erhöhten Anzahl von Dienstanwärtern zugelassen hat.
Hier gibt es noch eine ganze Reihe anderer personeller Verbesserungen. Lassen Sie mich aber auch auf die Sachausstattung in diesen Bereichen eingehen. Hier wurde bereits von beiden Berichterstattern gesagt, daß eine ganze Reihe dieser Verbesserungen auf den ausdrücklichen Antrag aller Berichterstatter in diesen Haushalt eingestellt wurden. In der Sachausstattung reicht die Liste der Beschaffung vom Ersatzprogramm der Sonderwagen über die modernen Wasserwerfer zum Stückpreis von 800 000 DM, zu Rettungstransportwagen zur besseren Versorgung verletzter Beamter und schließlich zur Gesamtinvestition von 60 Millionen DM für Transporthubschrauber zum Zweck der größeren Beweglichkeit beim Transport von Einsatzkräften.
Wir haben die Ausstattung, wie gesagt, der eingesetzten Beamten nachhaltig verbessert, Schlagschützer, Langschilde, Schutzmasken eingeführt, die Verbesserung des Sanitätsmaterials eingeleitet, die Beschaffung von Geräten für die Beweissicherung und Dokumentation, schließlich die Verbesserung des Innenschutzes der eingesetzten Kraftfahrzeuge.
Die Beschaffung der genannten Geräte für die Beweissicherung und Dokumentation haben wir mit besonderem Nachdruck gefordert, weil uns immer wieder gesagt wurde, daß die betrüblich kleine Anzahl von Verurteilungen von Gewalttätern nicht zuletzt darauf beruht, daß kein Beweissicherungs- und Dokumentationsmaterial vorliege. Ich halte es deshalb in diesem Zusammenhang auch für ausgesprochen kurzsichtig, zu fordern, daß überhaupt nicht mehr fotografiert werden darf. Es kommt doch darauf an, daß das Beweismaterial, Frau Olms, nicht mißbraucht wird. Wie will ich denn jemanden überführen, wenn ich keine Dokumentation vorlegen kann? Wenn wir Gewalttäter ihrer Strafe zuführen wollen, müssen wir die Polizei und die Einsatzbeamten in die Lage versetzen, hier das Ihre zu tun.
Ich denke, meine Damen und Herren, hieran wird deutlich, daß wir versucht haben, den Gegebenheiten im Bereich der inneren Sicherheit durch eine entsprechende Mittelausstattung Rechnung zu tragen. Verbesserungen sind immer möglich; wir sind bereit, entsprechenden Anträgen unsere Zustimmung zu geben. Aber ich glaube, wir sind uns alle darin einig, daß das Kurieren am Symptom auf die Dauer keine befriedigende politische Haltung ist.
Aus diesem Grunde haben wir Freien Demokraten seit langem die Einsetzung einer Kommission gefordert, die den Ursachen dafür, weshalb es so viel Gewalt in der Gesellschaft gibt, nachgeht, und zwar nicht nur Gewalt auf der Straße, sondern auch in anderen Teilbereichen der Gesellschaft. Wir haben für diesen Zweck für die kommenden zwei Jahre die erforderlichen Finanzmittel in Höhe von 2,7 Millionen DM eingestellt. Wir erwarten, daß die Kommission zügig an ihre Arbeit geht und daß sie Ergebnisse vorlegen wird, die wir dann zur Grundlage weiterer
Überlegungen und weiterer Entscheidungen machen wollen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich möchte schließen mit einem Dank an das Haus. Ich möchte mich dem Dank, den auch mein Kollege Deres bereits geäußert hat, anschließen für den Einsatz, den die Polizisten und Beamten des Bundesgrenzschutzes für die Aufrechterhaltung eines Grundrechtes leisten, nämlich des Rechts auf freie Demonstration. Sie haben hier einen schweren Dienst zu verrichten. Wir sollten alles tun, ihnen diesen Dienst nicht zu erschweren.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104221100
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104221200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kühbacher, seit Sie einmal vor vielen Jahren mich in einer denkwürdigen Rede gelobt haben, müssen Sie offenbar immer wieder Pflichtübungen erfüllen, um das in Ihrer Fraktion ungeschehen zu machen, soweit das überhaupt möglich ist. Ich habe dafür Verständnis, aber der Bußübungen sollte es nach so langer Zeit doch jetzt genug sein.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Man kann vielleicht am Haushalt des Innenministers oder selbstverständlich auch an ihm selbst manches kritisieren, aber man sollte nicht bei der Kulturpolitik sagen, daß es da Versäumnisse gäbe. Man sollte das auch nicht beim Sport tun, denn die Zuwachsraten sind auf diesen beiden Gebieten höher, als sie jemals waren, und die Gesamtansätze sind höher, als sie jemals gewesen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es sind die höchsten Ansätze überhaupt, die es auf diesen beiden Gebieten jemals gegeben hat. Das ist nicht ein Verdienst des Innenministers; es ist ein Verdienst des Parlaments, das die Vorschläge, die wir gemacht haben, in diesem Maße gewürdigt hat, dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken.
Wenn Sie über die Kriminalität sprechen und das Zurückgehen der Aufklärungsrate kritisieren, haben Sie recht. Nur sind für die gesamte allgemeine Kriminalität mit Ausnahme der wenigen Gebiete der Hochkriminalität, die Sie kennen, in der Bundesrepublik Deutschland ihrer Verfassung nach die Länderpolizeien zuständig. Dort haben wir allerdings sehr verschiedene Aufklärungsquoten, je nachdem, in welches Bundesland man blickt. Die höchste Aufklärungsquote hat Bayern, mit am niedrigsten liegt Hamburg — das möchte ich hier einmal nebenbei anmerken.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: In der Hafenstraße: null! — Dr. Vogel [SPD]: Ein unfairer Trick! — Weitere Zurufe von der SPD)

Wenn Sie gesagt haben, an den Polizeibeamten denkt
Zimmermann zuletzt, dann würde ich sagen: Er denkt



Bundesminister Dr. Zimmermann
zuerst an den Polizeibeamten, aber es gibt SPD-Länder — —

(Dr. Vogel [SPD]: Sie können doch nicht ein Bundesland mit einer Großstadt vergleichen! Vergleichen Sie München und Hamburg und nicht Bayern und Hamburg! Das ist abwegig!)

— Herr Vogel, das ist überhaupt nicht abwegig. Das hat nichts mit Großstadt zu tun. Hamburg ist ein Land, das sich aus dem Meldedienst reisender Chaoten ausgeklinkt hat und damit den anderen Ländern Schwierigkeiten macht.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

— Da brauchen Sie nicht so zu schreien; das nützt nämlich gar nichts.
Im übrigen: Alles, was auf dem Gebiet der Ausrüstung der Polizeien geschieht, hat Ihnen die Frau Kollegin Seiler-Albring eindringlich dargelegt. Selbstverständlich wird das alles nicht par ordre des Innenministers, sondern in der Innenministerkonferenz durch den zuständigen Arbeitskreis beschlossen. Alle Versuche mit neuen Ausrüstungsmitteln, alle Pilotaufträge, alle Projekte werden dort gemeinsam behandelt und entschieden.
Ich habe gegen die Pressefeiheit des kleinen Mannes — das ist ein schöner Ausdruck für das Demonstrationsrecht — nichts. Aber wie hat sich diese „Pressefreiheit" entwickelt, Herr Kühbacher? Hin zu uniformierten mit Stahlhelmen bewaffneten Blocks. Das ist eine Entartung, das kann nicht geduldet werden. Wenn wir 1985 der Auffassung waren, daß die Gesetzesänderung, die damals beschlossen worden ist, wirksam sei, so hat sich das als Irrtum erwiesen. Warum sollte man das nicht zugeben? Im übrigen darf die Regierung doch wohl Sachverständige auch in ihrem eigenen Bereich hören. Die Polizeipraktiker jedenfalls waren weit überwiegend einer Meinung, was die Vermummung und die Notwendigkeit ihrer Strafbewehrung betrifft, und zwar auch aus Ländern, denen man sicher nicht nachsagen kann, daß dort eine politische Richtung vorgegeben war.
Eines hätten Sie, Herr Kollege Kühbacher, nicht tun sollen, nämlich die Krefelder Ereignisse um den Vizepräsidenten Bush als positives Beispiel hier anzuführen.

(Kühbacher [SPD]: Der Einsatz der Polizei!)

Das war eine reine Katastrophe, die in den Vereinigten Staaten noch Monate nach diesen Ereignissen eine verheerende Wirkung gehabt hat. Ich glaube, das wissen Sie.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe damals viele Augenzeugen gesprochen, die
das erste Mal in ihrem Leben die ganze Brutalität, die
haßerfüllten Gesichter durch die Scheiben ihrer Autos
— sie waren in unmittelbarer Gefahr — erlebt haben. Seitdem hat sich ja das, was wir erleben mußten, noch gesteigert. Deswegen sprechen wir über Maßnahmen der inneren Sicherheit.

(Zuruf von der SPD: Über Maßnahmen ja, aber welche?)

Der Haushalt 1988 des Innenministeriums trägt den Herausforderungen Rechnung, glaube ich: eine Steigerung um 5,1 % beim Einzelplan 06, beim Einzelplan 36 um 3,5 %. Wir glauben, daß wir damit das erfüllen können, was notwendig ist.
Wir danken an dieser Stelle ausdrücklich den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß und im Innenausschuß für die kooperative Zusammenarbeit. Wir wissen es sehr wohl zu schätzen, daß im Bereich der inneren Sicherheit eine beeindruckende Einigkeit bei all diesen Maßnahmen vorhanden gewesen ist.
Wir wollen auf Grund unserer Erfahrungen bestimmte Gesetzeslücken schließen. Die Bundesregierung wird sich in aller Kürze mit einer Reihe von notwendigen Gesetzesänderungen befassen und ihre Vorschläge für das Gesetzgebungsverfahren einbringen. Damit sollen die notwendigen Konsequenzen gezogen werden aus den Mordanschlägen auf Polizeibeamte, aus dem Auftreten vermummter Gewalttäter in der Hafenstraße, in Brokdorf, in Hanau, in Berlin, in Wackersdorf und anderswo, aus der besorgniserregenden Zunahme von Anschlägen auf Einrichtungen der Energieversorgung, um nur einige Beispiele zu nennen.
Weil hier aber so oft von der Hafenstraße die Rede war, will ich auch meine Meinung dazu sagen. Ich glaube, was dort als eine friedliche Lösung propagiert wurde, ist in Wahrheit nichts anderes als Kapitulation und die Besiegelung eines jahrelangen Rechtsbruchs.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Natürlich ist jeder froh, wenn die Gesundheit und das Leben der Polizeibeamten geschützt werden,

(Vosen [SPD]: Dann reden Sie nicht einen solchen Unsinn!)

die sich immer wieder gewalttätigen Chaoten gegenübersehen

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Auch andere Menschen haben ein schützenswertes Leben!)

und deren Zielscheibe sie sind, wobei in Wahrheit natürlich der Staat und die freiheitliche Ordnung getroffen werden sollen. Von einer friedlichen Lösung aber kann hier nur der sprechen, der es so weit überhaupt hat kommen lassen und es hingenommen hat, den Staat angesichts eines solchen Ausmaßes von Gewalt und Rechtsbruch als handlungsunfähig erscheinen zu lassen.
Zu fragen ist insbesondere, ob „friedliche Lösung" auch bedeuten soll, daß der Mantel des Vergessens ausgebreitet wird über alle im Zeichen einer angeblichen Selbstverwirklichung begangenen Straf- und Gewalttaten, die stattgefunden haben, auch darüber, daß eine Schule zerstört worden ist. Man hat das Mobiliar auf die Straße geschleppt, der Unterricht ist ausgefallen. Die Transparente, die man lesen konnte — „Zwei Tote sind nicht genug" — , sind ja wohl noch in lebhafter Erinnerung.

(Abg. Dr. Penner [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)





Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104221300
Herr Bundesminister, eine Zwischenfrage?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104221400
Nein. Am Tag des allerletzten Ultimatums des Hamburger Bürgermeisters fragte der zwar illegale, aber gleichwohl unbehelligt arbeitende „Sender Hafenstraße" höhnisch die Polizeibeamten, ob sie für das Gehalt, das sie bekommen, weiterhin ihre Gesundheit aufs Spiel setzen wollen.
Das sind die Verhältnisse, wie sie gewesen sind. Es wäre schön, wenn sich die Hoffnungen, die sich mit diesem Frieden erfüllen sollen, wirklich erfüllen sollten. Ich habe die größten Zweifel, daß das geschieht, wenn man das Potential sieht, mit dem dieser Frieden auf der Basis von Unrecht und Gewalt geschlossen worden ist.
Ich habe mich bei meinen Darlegungen auf einige Eckpunkte beschränkt,

(Dr. Nöbel [SPD]: Das waren Schwachpunkte, keine Eckpunkte!)

die deutlich machen, daß sich die innenpolitische Schwerpunktsetzung der Bundesregierung auch in diesem Haushalt 1988 widerspiegelt.
Ich bin sicher, daß wir die Herausforderungen, die die Lage nach wie vor an uns stellt, bewältigen und daß sich die Koalition in den nächsten Wochen und Monaten als handlungsfähig erweisen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104221500
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 06, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN. Sind Sie einverstanden, daß ich sie alle auf einmal zur Abstimmung stelle?

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Nein! Einzeln bitte!)

— Wir stimmen über die Änderungsanträge in der Reihenfolge der Drucksachen-Nummern ab.
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1221 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. —

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ganze vier Abgeordnete! — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/ CSU]: Und die schikanieren das ganze Parlament!)

Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1222? Den bitte ich um das Handzeichen. —

(Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Wieder bloß vier! — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Nur vier! — Frau Vennegerts [GRÜNE]: Sie können ja mitstimmen!)

Wer stimmt dagegen? — Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1223? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1224? Ich bitte um das Handzeichen. —

(Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Wieder bloß vier!)

Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1348 ab. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Dieser Antrag ist bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP auf Drucksache 11/1339 ab. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 06. Wer dem Einzelplan 06 — Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — in der Ausschußfassung mit den beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zum Einzelplan 36. Hierzu liegt auf Drucksache 11/1260 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Wer stimmt für diesen Antrag? —

(Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Vier! — Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Eine kleine radikale Minderheit!)

Wer stimmt dagegen? —

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Eine große irrende Mehrheit!)

Enthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 36 — Zivile Verteidigung. — Wer diesem Einzelplan in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 33 — Versorgung. Wer dem Einzelplan 33 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? —

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Wenn es um die Versorgung geht, sind die Genossen dabei! — Heiterkeit bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

Dieser Einzelplan ist bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Donnerstag, den 26. November 1987, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.