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ID1104200200

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    Plenarprotokoll 11/42 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 42. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 25. November 1987 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksachen 11/700, 11/969) Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen (Drucksachen 11/1058, 11/1081) in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld (Drucksache 11/1074) in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung (Drucksache 11/1078) in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof (Drucksachen 11/1068, 11/1081) Dr. Apel SPD 2805 D Carstens (Emstek) CDU/CSU 2811 C Frau Vennegerts GRÜNE 2815 C Dr. Weng (Gerlingen) FDP 2819B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF 2823 A Esters SPD 2831 B Spilker CDU/CSU 2833 C Roth (Gießen) CDU/CSU 2836 A Poß SPD 2838 B Dr. Solms FDP 2841 D Dr. Pfennig CDU/CSU 2843 C Vizepräsident Stücklen 2842B, 2845 B Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft (Drucksachen 11/1059, 11/1081) Frau Simonis SPD 2845 D Glos CDU/CSU 2849 A Stratmann GRÜNE 2852 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 2855 B Roth SPD 2858 B Dr. Sprung CDU/CSU 2862 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 2865 B Namentliche Abstimmung 2868 B Ergebnis 2868 B Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie (Drucksachen 11/1072, 11/1081) Zander SPD 2870 A Austermann CDU/CSU 2873 A Wetzel GRÜNE 2875 B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1987 Zywietz FDP 2877 B Vosen SPD 2879 C Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 2880 A Namentliche Abstimmung 2883 A Ergebnis 2883 A Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksachen 11/1060, 11/1081) Dr. Struck SPD 2884 D Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 2886 C Frau Flinner GRÜNE 2888 C Bredehorn FDP 2890 C Oostergetelo SPD 2892 B Kiechle, Bundesminister BML 2894 B Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft (Drucksachen 11/1073, 11/1081) Diller SPD 2898 A Scheu CDU/CSU 2900 A Frau Hillerich GRÜNE 2902 A Neuhausen FDP 2903 C Kuhlwein SPD 2904 D Möllemann, Bundesminister BMBW 2906 B Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern (Drucksachen 11/1056, 11/1081) in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung (Drucksachen 11/1077, 11/1081) in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung (Drucksache 11/1075) Kühbacher SPD 2909 A Deres CDU/CSU 2913 C Frau Olms GRÜNE 2915 B Frau Seiler-Albring FDP 2917 D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 2919 C Nächste Sitzung 2921 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 2922* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1987 2805 42. Sitzung Bonn, den 25. November 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 27. 11. Frau Beck-Oberdorf 27. 11. Böhm (Melsungen) * 27. 11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Bühler (Bruchsal) * 26. 11. Clemens 25. 11. Dr. Dollinger 27. 11. Duve 27. 11. Ehrbar 27. 11. Dr. Feldmann * 27. 11. Frau Fuchs (Verl) 27. 11. Dr. Geißler 27. 11. Dr. Glotz 26. 11. Dr. Haack 27. 11. Haack (Extertal) 25. 11. Frau Dr. Hartenstein 26. 11. Frau Dr. Hellwig 27. 11. Heyenn 27. 11. Hörster 26. 11. Kirschner 25. 11. Dr. Klejdzinski * 26. 11. Klose 27. 11. Dr. Knabe 26. 11. Kreuzeder 27. 11. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lemmrich * 26. 11. Frau Luuk * 27. 11. Mischnick 27. 11. Dr. Möller 27. 11. Dr. Müller * 27. 11. Dr. Neuling 27. 11. Niegel 26. 11. Frau Pack 27. 11. Paintner 27. 11. Petersen 27. 11. Reddemann * 26. 11. Schäfer (Mainz) 26. 11. Schartz (Trier) 25. 11. Schmidbauer 26. 11. von Schmude 27. 11. Schreiner 27. 11. Dr. Waigel 27. 11. Graf von Waldburg-Zeil 27. 11. Wieczorek (Duisburg) 27. 11. Wischnewski 27. 11. Würtz 27. 11. Zierer * 26. 11. Zink 25. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Dr. Hans Apel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr hat die Koalitionsmehrheit im Deutschen Bundestag den Haushaltsplan 1987 verabschiedet, damals mit einem Defizit von 22,3 Milliarden DM. Jetzt stellt sich heraus, daß die Neuverschuldung voraussichtlich um etwa 7 Milliarden DM höher, bei fast 30 Milliarden DM, liegen wird. Unsere Warnungen vor zwölf Monaten, daß Ihre Haushaltsansätze unrealistisch seien, wurden damals von der Koalition, wurden damals von Ihnen als Horrormeldungen, als Miesmacherei abgetan.
    Heute ist klar: Die Bundesregierung und die Koalitionsmehrheit haben kurz vor den letzten Bundestagswahlen mit ihrer unseriösen Schönfärberei Ende 1986 das Parlament und die Wähler zu täuschen versucht.

    (Beifall bei der SPD) Jetzt wiederholen Sie das Verfahren.

    Bei der ersten Lesung des Haushaltsentwurfs 1988 mußten wir erneut darauf hinweisen, daß das von der Bundesregierung vorgelegte Zahlenwerk weder bei den Einnahmen noch bei den Ausgaben der heute absehbaren Entwicklung entspricht. Wir haben den Finanzminister wiederholt aufgefordert, seine Ansätze so nachzubessern, daß aus seinem Entwurf ein



    Dr. Apel
    verabschiedungsreifer Haushalt wird. Der Finanzminister hat sich erneut der eigentlich selbstverständlichen Pflicht der Vorlage realistischer Zahlen entzogen.
    So stellen wir heute fest: Im Bundeshaushalt 1988 sind immer noch nicht die zusätzlich fälligen Mittel für die EG und für die Bundesanstalt für Arbeit berücksichtigt. Das allein schon bedeutet ein Haushaltsloch von rund 4 Milliarden DM, die nicht gedeckt sind.
    Nun müssen Sie sich entscheiden, meine Damen und Herren von der Koalition:

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das tun wir auch!)

    Sie müssen entweder die Nettokreditaufnahme für das kommende Jahr entsprechend erhöhen oder den Finanzminister auffordern, bereits heute die Wahrheit zu sagen, nämlich daß der Finanzminister 1988 die Steuern erneut erhöhen wird, diesmal die Mineralöl- und die Tabaksteuer.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Wenn Sie oh sagen, so habe ich festgestellt, daß sich der Finanzminister durch seinen Pressesprecher diese Möglichkeit ausdrücklich offengehalten hat. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Aber das kann ja heute hier ausgeräumt werden, wenn Sie an dieser meiner Feststellung Zweifel haben.

    (Dr. Spöri [SPD]: Sehr gut!)

    Außerdem rechnen Sie sich, meine Damen und Herren, unbeeindruckt von allen Erfahrungen des Haushalts 1987 erneut reich.

    (Kolb [CDU/CSU]: Dabei waren Sie aber Weltmeister!)

    Wir haben Sie damals darauf hingewiesen, daß Ihre unrealistischen Wachstumsannahmen falsch waren. Heute fehlen Ihnen mehr als 4 Milliarden DM Steuereinnahmen, weil die Konjunktur sehr viel schlechter gelaufen ist, als vor den Wahlen von Ihnen vorgetäuscht worden war. Aber Sie fahren mit dieser Methode fort.
    Wir fragen Sie: Woher soll eigentlich im nächsten Jahre ein reales Wirtschaftswachstum von 2,2 % kommen? Es kann doch nicht bestritten werden, daß es der Finanzminister war, der den Steuerschätzern diese unrealistische Zahl aufgezwungen hat, damit sie ihm im nächsten Jahr Steuereinnahmen errechnen, die dann allerdings nichts mit der Realität zu tun haben.
    Wie wäre es denn, meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie endlich zur Kenntnis nähmen, daß die turbulenten Kursstürze auf den Aktienmärkten und der dramatische Verfall des Dollars doch nicht ohne Konsequenzen an Konjunktur und Beschäftigung in unserem Lande vorbeigehen werden? Das von Ihnen so hochgepriesene Gutachten des Sachverständigenrates hat Ihnen doch ins Stammbuch geschrieben, daß es im nächsten Jahre allenfalls 1,5 % reales Wachstum geben wird. Die OECD kommt zu demselben Ergebnis. Damit sind Ihre Erwartungen in bezug auf die Steuereinnahmen für das nächste Jahr auf Sand gebaut.
    Sie wissen doch selbst, daß der von Ihnen zur Haushaltsfinanzierung eingesetzte Bundesbankgewinn in Höhe von 6 Milliarden DM angesichts des Dollarverfalls in dieser Höhe nicht zur Verfügung stehen wird. Sie halten die Neuschulden 1988 doch nur auf dem Papier unter 30 Milliarden DM.
    Aber, meine Damen und Herren, was soll denn das eigentlich? Das sind doch nichts weiter als törichte Manipulationen, die die tatsächliche Lage der Bundesfinanzen überhaupt nicht widerspiegeln.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Bei der zweiten Lesung vor einem Jahr hat der Bundesminister der Finanzen als Antwort auf meine Ausführungen folgendes festgestellt — Originalton Stoltenberg —:
    Unsere Finanzpolitik muß kalkulierbar und verläßlich sein und zugleich handlungsfähig sein,
    um neuen Herausforderungen zu begegnen.
    Weiterhin Originalton Dr. Stoltenberg:
    Dazu gehören möglichst realistische Annahmen.
    Sie haben sich damals, vor zwölf Monaten, nicht an diese Prinzipien gehalten, und für 1988 verletzen Sie diese eigentlich selbstverständlichen Vorgaben einer seriösen Finanzpolitik erneut.
    Auch das Verhalten des Bundesfinanzministers beim Verkauf des Bundesanteils an der Volkswagen AG in den letzten Wochen hat doch für letzte Zweifler deutlich gemacht, daß es für den Finanzminister bei der Privatisierung von Bundesvermögen nicht um eine sinnvolle Neuordnung des Bundesbesitzes geht. Er will Kasse machen. Er verscherbelt die Perlen des Bundesvermögens ohne Rücksicht auf Verluste.

    (Beifall bei der SPD)

    Das kann sicherlich den Anstieg der hohen neuen Schulden des Herrn Stoltenberg im Jahre 1988 noch einmal bremsen. Aber was macht er, wenn alles verkauft ist?

    (Heiterkeit bei der SPD)

    „Nach uns die Sintflut" heißt ganz augenscheinlich die Parole.

    (Glos [CDU/CSU]: Das müssen ausgerechnet Sie sagen, Herr Apel! Der Schulden-Apel!)

    Nun wird die politische Grundstruktur des Finanzministers sichtbar. Als ihm riesenhafte Bundesbankgewinne — in fünf Jahren 55 Milliarden DM — ohne eigenes Zutun in den Schoß fielen, hat er sich als Konsolidierer feiern lassen. Als die Zinsen weltweit schnell zurückgingen, stellte er das ebenso als Verdienst seiner Politik dar wie auch die weltweite Beruhigung der Preise. Nun aber sind die Zeiten des schönen Wetters vorüber.

    (Glos [CDU/CSU]: Der Herbst ist da!)

    Die Bundesbankgewinne gehen schnell zurück, die Haushaltsdefizite wachsen schnell, die Zinsen sind real viel zu hoch, die Preise beginnen wieder zu steigen, ein neuer Schub von Massenarbeitslosigkeit steht uns bevor.



    Dr. Apel
    Nun wäre es die Pflicht des Finanzministers, politische Verantwortung zu übernehmen, klare finanzpolitische Vorgaben zu machen,

    (Glos [CDU/CSU]: Wie Sie das immer gemacht haben! Ja?)

    zu handeln. Er dagegen spricht nur — und ich zitiere ihn wörtlich — von seiner Bereitschaft, höhere Defizite passiv hinzunehmen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Aha!)

    Ist das alles, was wir von Ihnen, Herr Dr. Stoltenberg, angesichts der wachsenden Probleme zu erwarten haben? Es ist eben nicht damit getan, daß Sie von den USA einen Abbau der Defizite fordern und sich nun nach eindeutig unzureichender Aktion in Amerika augenscheinlich erleichtert zurücklehnen.
    Damit wir uns nicht mißverstehen: Natürlich waren und sind das amerikanische Haushaltsdefizit, die amerikanische Haushalts- und Finanzpolitik die wesentliche Quelle und Ursache für die weltweiten Turbulenzen und Gefahren. Nur darf dabei nicht übersehen werden, daß die Bundesrepublik über Jahre Nutznießer dieser verfehlten Politik gewesen ist. Ohne sie hätte es nicht einen Exportboom in unserem Lande gegeben, der unserem Land und seinen Arbeitnehmern Beschäftigung gegeben hat. Es war nicht das Ergebnis der deutschen Politik, es waren die Fehler der USA, von denen wir jahrelang profitiert haben. Ohne sie hätten wir heute bereits viele Arbeitslose mehr, wäre die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik der Koalition für jedermann noch schneller und dramatischer sichtbar geworden.
    Sie haben die Chancen der letzten Jahre nicht genutzt, mehr für die Stärkung der binnenwirtschaftlichen Nachfrage zu tun. Sie von der Koalition haben einseitig auf die Stärkung der Unternehmensgewinne gesetzt, ohne daß die privaten Investitionen dadurch wesentlich gesteigert wurden. Die notwendige Steigerung der Binnennachfrage haben Sie durch Ihre Umverteilungspolitik, insbesondere durch Ihre ungerechte Steuerpolitik verhindert. Die öffentlichen Investitionen haben Sie verkommen lassen, die wachsende Massenarbeitslosigkeit haben Sie achselzukkend hingenommen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Er hat keine neuen Ideen mehr!)

    Jetzt wächst der Druck aus dem Ausland auf Sie, und, Herr Kollege Dregger, auch der Druck aus den eigenen Reihen wächst. Die Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft — einzelne ihrer Vertreter befinden sich ja hier in Ihren Reihen im Plenum — hat doch von Ihnen eine Kurskorrektur gefordert: mehr öffentliche Investitionen, den energischen Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit, soziale Gerechtigkeit. Die Kollegen, Herr Dr. Stoltenberg, fordern von Ihnen eine Antwort. Sie aber weichen aus.
    Graf Lambsdorff hat die Forderungen der Arbeitnehmer in der CDU als SPD-Politik de luxe bezeichnet. Doch uns interessieren nicht die Ausführungen eines einzelnen Herrn vom niederen Adel.

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Sie sind von niedrigem Niveau! — Kolb [CDU/CSU]: Sind Sie vom hohen Adel? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Unser Land will wissen, was der Finanzminister tun will, um den drohenden Gefahren, in denen wir uns befinden, zu begegnen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    Der Finanzminister kann handeln, der Finanzminister kann seine Politik verändern. Schließlich trägt der Finanzminister die Verantwortung dafür, daß die Investitionen des Bundes Jahr für Jahr zurückgehen und in den nächsten Jahren weiter verfallen. Es ist der Finanzminister, der den Gemeinden in den nächsten Jahren fast 1 Milliarde DM für kommunale Verkehrsinvestitionen wegnimmt. Es ist der Finanzminister, der durch seine Steuerpolitik die Investitionskraft der Gemeinden schwächt.
    Der Deutsche Städtetag hat — auch mit den Stimmen der Bürgermeister und Oberbürgermeister der Union — am 12. November 1987 folgendes festgestellt — ich zitiere — :
    Auf Grund der Steuerpolitik der Bundesregierung ist ein erneuter Rückgang der kommunalen Investitionen unvermeidlich.
    Wir, die Opposition — aber ich denke, auch die öffentliche Meinung — , fragen uns: Warum hält der Finanzminister eigentlich an den falschen Zahlen für den Haushalt 1988 und vor allem an der fehlerhaften mittelfristigen Finanzplanung fest?

    (Becker [Nienberge] [SPD]: Der steht ganz allein, weil kein Regierungsmitglied außer ihm da ist! Das ist ganz erklärlich! Ich denke, der Finanzminister und diese Koalition halten nur deswegen an den falschen Zahlen fest, weil nur diese falschen Zahlen die heile Welt des Gerhard Stoltenberg und dieser Koalition vortäuschen können und die Rechtfertigung dafür liefern, warum die Bundesregierung ihre Steuerund Finanzpolitik nicht korrigiert und den tatsächlichen Herausforderungen der Weltwirtschaft und der wachsenden Arbeitslosigkeit in unserem Lande anpaßt. Auch in der Finanzpolitik, meine Damen und Herren von der Koalition, haben Lügen kurze Beine. Wem wollen Sie eigentlich weismachen, daß Sie 1988 mit 29,5 Milliarden DM neuen Schulden auskommen — nicht mehr als 1987 — , obwohl die Lohnund die Einkommensteuer um 14 Milliarden DM gesenkt werden und außerdem bereits heute erkennbare riesige Haushaltslöcher klaffen, die mindestens 4 Milliarden DM ausmachen, von den Bundesbankgewinnen und der schlaffen Konjunktur gar nicht zu sprechen? Wem wollen Sie eigentlich weismachen, daß Sie 1990 mit 30,9 Milliarden DM neuen Schulden ausDr. Apel kommen, obwohl Sie dann die Steuern erneut netto um 20 Milliarden DM senken wollen und bereits heute durch Sie beschlossene Mehrbelastungen für 1990 in einer Größenordnung von 6 Milliarden DM feststehen, von den Problemen einer rückläufigen Konjunktur und ihren Auswirkungen auf die Steuereinnahmen gar nicht zu reden? Deshalb fordern wir Sie auf: Stellen Sie endlich ungeschminkt die Lage unserer Staatsfinanzen dar, damit wir beurteilen können, welchen finanziellen Spielraum Bund, Länder und Gemeinden haben, um der drohenden wirtschaftlichen Entwicklung zu begegnen. Kommen Sie uns, Herr Kollege Stoltenberg, bitte nicht mit der Parole, die von Ihnen zu verantwortende Staatsverschuldung sei angesichts der nationalen und internationalen Konjunkturlage geboten. Wir sagen Ihnen: Nur Schuldenmachen — das ist die Konsequenz Ihrer Politik — hat mit aktiver Konjunkturpolitik a priori erst einmal überhaupt nichts zu tun. (Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: Haben Sie das inzwischen gemerkt? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)





    (Dr. Spöri [SPD]: Das ist die berühmte Selbstfinanzierung!)

    Schuldenmachen allein ist eben noch keine Konjunkturpolitik. Sie verschleudern viele Milliarden für Ihre ungerechte Steuer- und Finanzpolitik. Sie schlagen dadurch die Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden leck, ohne konjunkturell viel zu bewegen. Sie verspielen den finanziellen Handlungsspielraum, den wir konjunkturell dringend brauchen werden.
    Meine Damen und Herren von der Koalition, hören Sie endlich auf, in der Steuerpolitik die Wahrheit nur in Raten zu sagen. Vor den Landtagswahlen dieses Jahres haben Sie den Bürgerinnen und Bürgern nur die Entlastungsseite Ihres Steuerpakets 1990 gezeigt. Die war bereits ungerecht genug. Nach den Landtagswahlen haben Sie die Finanzierungsbeschlüsse gefaßt. Die haben die soziale Schieflage Ihres Steuerpakets weiter verstärkt. Jetzt wollen Sie die Mineralölsteuer und die Tabaksteuer erst nach den nächsten Wahlterminen erhöhen.
    Franz Josef Strauß hat doch bereits die nächste Katze aus dem Sack gelassen. Laut Pressemeldungen hat er am 2. November erklärt: Die Mehrwertsteuererhöhung kommt, unter anderem zur Finanzierung der Ausgaben für die Landesverteidigung und die Landwirtschaft.

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: „Unter anderem" sagt er nicht!)

    Ich sage Ihnen: Ihre Steuerpolitik besticht nur durch eins, durch eine kaum noch zu überbietende Ungerechtigkeit.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: Begründen! Was lehnen Sie ab? — Glos [CDU/CSU]: Roß und Reiter nennen!)

    Die konjunkturellen Folgen Ihrer Steuerpolitik sind verheerend. Von der dringend gebotenen Stärkung der Binnennachfrage kaum eine Spur. Selbst die Sachverständigen kommen doch — wenn Sie dieses Gutachten einmal genau lesen, merken Sie das — zu dem Ergebnis, zu dem auch wir kommen. Ihnen fehlt ganz offensichtlich ein geschlossenes und erfolgversprechendes steuer- und finanzpolitisches Konzept

    (Kolb [CDU/CSU]: Das Sie wohl immer hatten?)

    zur Stärkung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung.
    Herr Kollege Dr. Stoltenberg, wagen Sie eigentlich immer noch, unsere Kritik an Ihrer Steuerpolitik als Schwindeleien zu bezeichnen?

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Ja, so ist es! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Oder, Herr Kollege Dregger, wäre es nicht an der Zeit, daß Sie Ihre Schwindeleien einstellen? Die Wähler beeindrucken Sie damit sowieso nicht mehr.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: Sie müssen sagen, was Sie eigentlich wollen!)

    Nun reden wir einfach über die Tatsachen.

    (Glos [CDU/CSU]: Das wäre etwas Neues bei Ihnen! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Die Tatsachen sind die folgenden.
    Tatsache Nummer 1: Sie haben eine Steuersenkung versprochen, bei der jeder 1 000 DM mehr in der Tasche behält.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

    Am 4. November 1987 hat sich allerdings der Bundesminister der Finanzen vorsichtig selbst zurückgenommen. Er hat am 4. November wörtlich gesagt, daß die Steuerreform, abgesehen von ganz wenigen Ausnahmefällen, für die Steuerzahler unter dem Strich insgesamt eine Entlastung bringt. Da wird er schon vorsichtiger. Aber selbst diese Aussage ist falsch. Bei Hunderttausenden von Arbeitnehmern

    (Zuruf von der CDU/CSU: 500 000 zahlen keine Steuern mehr! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    in den Druckereien, in der Automobilindustrie, in den Berufsgruppen, in denen zum Wohl der Allgemeinheit nachts, an Feiertagen und an Sonntagen gearbeitet werden muß, wird unter dem Strich weniger herauskommen, und die große Mehrheit der Arbeitnehmer finden Sie mit einem Trinkgeld ab,

    (Hinsken [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

    das Sie durch weitere Steuererhöhungen verringern werden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Tatsache Nummer 2: Im Rahmen der Steuersenkung zum 1. Januar 1988 — die steht bereits im Gesetzblatt — mit einem Volumen von 14 Milliarden DM



    Dr. Apel
    geben Sie dem verheirateten Durchschnittsverdiener mit einem Monatsgehalt von immerhin 3 300 DM 8 DM Steuerentlastung im Monat, 96 DM für das ganze Jahr. Dem Spitzenverdiener mit 25 000 DM Monatseinkommen geben Sie Steuererleichterungen in Höhe von 519 DM im Monat, 6 228 DM für das ganze Jahr.

    (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Tatsachenverdreher! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Das ist das 66fache. Das verstehen Sie unter Steuergerechtigkeit, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Im übrigen: Glauben Sie doch ja nicht, daß von dieser Steuersenkung in Höhe von 14 Milliarden DM die konjunkturelle Wirkung ausgeht, von der Sie immer reden. Die Krankenversicherungsbeiträge steigen. Sie wollen die Mineralölsteuer und die Tabaksteuer erhöhen. Am Ende bleibt konjunkturell nichts nach. Sie täuschen sich selbst, Sie täuschen auch unsere Partner, wenn Sie von dieser Steuerpolitik konjunkturell irgend etwas erwarten.
    Tatsache Nummer 3: Ab 1990 wird das eine Prozent Spitzenverdiener durchschnittlich eine Steuerentlastung in Höhe von 20 000 DM im Jahr erhalten. Das eine Prozent Spitzenverdiener bekommt insgesamt, in absoluten Zahlen gerechnet, eine ebenso hohe Steuerentlastung wie die untere Hälfte aller Steuerpflichtigen mit einer durchschnittlichen Steuerentlastung in Höhe von rund 400 DM im Jahr.

    (Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört! — Kolb [CDU/ CSU]: Das ist eine abstruse Rechnung!)

    Dabei haben wir, meine Damen und Herren, die massiven Steuererhöhungen, die Sie den Arbeitnehmern, Rentnern und Pensionären zumuten, noch gar nicht gegengerechnet.
    Das ist der Grund dafür, daß wir sagen: Dieses Steuerpaket 1990 bringt konjunkturell nichts. Es zerschlägt die Finanzkraft der Länder und der Gemeinden und des Bundes. Deswegen ist auch ein Vorziehen dieses Steuerpakets ökonomisch sinnlos.
    Tatsache Nummer 4: Die neue Arbeitnehmerpauschale soll verschleiern, daß entgegen Ihren eigenen Versprechungen Arbeitnehmerfreibetrag und Weihnachtsfreibetrag abgeschafft werden. Die Arbeitnehmer sollen das erst nach der nächsten Bundestagswahl merken, beim Weihnachtsgeld und beim Lohnsteuerjahresausgleich. Sie glauben, das hätten Sie besonders schlau eingefädelt. Ich sage Ihnen: Die Bürger fallen auf Ihre Schlaumeiereien nicht mehr herein.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Spöri [SPD]: Gott sei Dank!)

    Tatsache Nummer 5: Sie haben entgegen früheren eigenen Festlegungen die Einführung der Quellensteuer auf Zinseinkünfte beschlossen. Sie nehmen dabei in Kauf, daß viele kleine Sparer, die nach dem
    Gesetz eigentlich von der Steuer befreit werden sollen, aus Unwissenheit und Angst vor den Behörden dennoch die Quellensteuer zahlen.

    (Glos [CDU/CSU]: Das ist ja Unfug! Erzählen Sie doch einmal, was Sie seinerzeit gewollt haben! — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Was ist denn das für ein Unsinn! — Dr. Spöri [SPD]: Sonst käme doch der Einnahmeeffekt von 3 Milliarden gar nicht zustande!)

    Sie geben sich bei den Spitzenverdienern, die ihre Steuern hinterziehen, mit 10 % Steuern zufrieden, obwohl das geltende Recht 56 % Steuern verlangt. Da sagen wir nein.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
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    Rede von Dr. Hans Apel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Natürlich; ich habe ja noch 16 Minuten.