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ID1104208200

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    Plenarprotokoll 11/42 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 42. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 25. November 1987 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksachen 11/700, 11/969) Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen (Drucksachen 11/1058, 11/1081) in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld (Drucksache 11/1074) in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung (Drucksache 11/1078) in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof (Drucksachen 11/1068, 11/1081) Dr. Apel SPD 2805 D Carstens (Emstek) CDU/CSU 2811 C Frau Vennegerts GRÜNE 2815 C Dr. Weng (Gerlingen) FDP 2819B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF 2823 A Esters SPD 2831 B Spilker CDU/CSU 2833 C Roth (Gießen) CDU/CSU 2836 A Poß SPD 2838 B Dr. Solms FDP 2841 D Dr. Pfennig CDU/CSU 2843 C Vizepräsident Stücklen 2842B, 2845 B Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft (Drucksachen 11/1059, 11/1081) Frau Simonis SPD 2845 D Glos CDU/CSU 2849 A Stratmann GRÜNE 2852 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 2855 B Roth SPD 2858 B Dr. Sprung CDU/CSU 2862 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 2865 B Namentliche Abstimmung 2868 B Ergebnis 2868 B Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie (Drucksachen 11/1072, 11/1081) Zander SPD 2870 A Austermann CDU/CSU 2873 A Wetzel GRÜNE 2875 B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1987 Zywietz FDP 2877 B Vosen SPD 2879 C Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 2880 A Namentliche Abstimmung 2883 A Ergebnis 2883 A Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksachen 11/1060, 11/1081) Dr. Struck SPD 2884 D Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 2886 C Frau Flinner GRÜNE 2888 C Bredehorn FDP 2890 C Oostergetelo SPD 2892 B Kiechle, Bundesminister BML 2894 B Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft (Drucksachen 11/1073, 11/1081) Diller SPD 2898 A Scheu CDU/CSU 2900 A Frau Hillerich GRÜNE 2902 A Neuhausen FDP 2903 C Kuhlwein SPD 2904 D Möllemann, Bundesminister BMBW 2906 B Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern (Drucksachen 11/1056, 11/1081) in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung (Drucksachen 11/1077, 11/1081) in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung (Drucksache 11/1075) Kühbacher SPD 2909 A Deres CDU/CSU 2913 C Frau Olms GRÜNE 2915 B Frau Seiler-Albring FDP 2917 D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 2919 C Nächste Sitzung 2921 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 2922* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1987 2805 42. Sitzung Bonn, den 25. November 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 27. 11. Frau Beck-Oberdorf 27. 11. Böhm (Melsungen) * 27. 11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Bühler (Bruchsal) * 26. 11. Clemens 25. 11. Dr. Dollinger 27. 11. Duve 27. 11. Ehrbar 27. 11. Dr. Feldmann * 27. 11. Frau Fuchs (Verl) 27. 11. Dr. Geißler 27. 11. Dr. Glotz 26. 11. Dr. Haack 27. 11. Haack (Extertal) 25. 11. Frau Dr. Hartenstein 26. 11. Frau Dr. Hellwig 27. 11. Heyenn 27. 11. Hörster 26. 11. Kirschner 25. 11. Dr. Klejdzinski * 26. 11. Klose 27. 11. Dr. Knabe 26. 11. Kreuzeder 27. 11. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lemmrich * 26. 11. Frau Luuk * 27. 11. Mischnick 27. 11. Dr. Möller 27. 11. Dr. Müller * 27. 11. Dr. Neuling 27. 11. Niegel 26. 11. Frau Pack 27. 11. Paintner 27. 11. Petersen 27. 11. Reddemann * 26. 11. Schäfer (Mainz) 26. 11. Schartz (Trier) 25. 11. Schmidbauer 26. 11. von Schmude 27. 11. Schreiner 27. 11. Dr. Waigel 27. 11. Graf von Waldburg-Zeil 27. 11. Wieczorek (Duisburg) 27. 11. Wischnewski 27. 11. Würtz 27. 11. Zierer * 26. 11. Zink 25. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist schade, Herr Stratmann, daß man keine Zeit hat, um diesen — mit Verlaub — ökonomischen Nonsens hier wirklich diskutieren zu können. Das ist nicht möglich.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Unruh [GRÜNE]: Ihr Nonsens führt ja auch nicht weiter!)

    Zu der Frage Ludwig-Erhard-Stiftung und namentliche Abstimmung kann ich nur sagen: Sie haben Sorgen, wenn das ein Gegenstand namentlicher Abstimmung ist.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Vielleicht gibt es mal über Sie eine namentliche Abstimmung!)

    Ich füge hinzu: Mir wäre es lieber — ich versuche seit Jahren, sie davon zu überzeugen — , wenn sich die Ludwig-Erhard-Stiftung mit einem Stiftungskapital ausstattete und nicht ein jährlicher Kostgänger des Haushalts wäre. Das sollte die deutsche Wirtschaft eigentlich fertigbringen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Stratmann [GRÜNE]: Aber privat!)

    — Natürlich.
    Ich finde es dankenswert, daß Sie wenigstens auf meine Mitgliedschaft hingewiesen haben; denn es kann ja nicht sein, daß ich Ludwig Erhard allein der CDU/CSU anheimfallen lasse. Daß Sie allerdings von den der Freiheit verpflichteten Grundsätzen Ludwig Erhards nichts verstehen, wundert mich auch nicht.

    (Dr. Vogel [SPD]: So kriegt jeder sein Fett ab!)

    Als ich vor drei Wochen genau an dieser Stelle geraten habe, den Louvre-Akkord formell aufzukündigen und den Dollarkurs sich frei entwickeln zu lassen, hat mir das von dem Kollegen Apel den Kommentar „lebensgefährliche Bemerkung" eingebracht. Damals stand der Dollar bei 1,71 DM, heute steht er bei 1,6724 DM — gegenüber dem gestrigen Stand gefallen — , und überall wird über Louvre II diskutiert. Louvre I ist tot. Die trauernden Hinterbliebenen scheuen sich nur, die Todesanzeige zu unterschreiben. Mit Recht bemerkt der „Economist" zum Plan eines neuen Louvre-Abkommens: Nachdem sich die Finanzminister in einem Hotel in New York und in einem Museum in Paris getroffen haben, sollten sie es jetzt einmal mit einer Kirche in Rom versuchen.
    Jedes neue Abkommen ist in der Tat in erster Linie eine Frage des Vertrauens oder eine Frage des Glaubens. Dieses Vertrauen in die internationale wirtschaftliche Kooperation ist in den letzten Jahren gründlich verspielt worden, weil den schönen Worten der Kommuniqués zu wenig Taten gefolgt sind. Dies gilt nicht für die Leistungen der Bundesrepublik Deutschland.

    (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Sie hat getan, was auf dem Gipfel in Venedig vereinbart worden ist. Wenn Frau Simonis nach der Koordinierung fragt, so sind ihr offensichtlich die letzten Aktionen insbesondere im Europäischen Währungssystem entgangen.
    Die Reaktion der Märkte hat den von mir erwähnten Vertrauensverlust gezeigt. Von den Märkten wird es auch abhängen, ob der Haushaltskompromiß in den Vereinigten Staaten die erwünschte Wirkung haben kann. Bisher haben sowohl die Devisen- als auch die Aktienmärkte deutlich gemacht, daß sie diesem Braten — ein amerikanischer Senator hat von einem mageren Truthahn gesprochen, den man am besten im Backofen verkohlen lassen sollte — nicht trauen.
    Es kommt nicht darauf an, meine Damen und Herren, ob der Finanzminister Baker dem Finanzminister Stoltenberg und der Finanzminister Stoltenberg dem Finanzminister Miyazawa glaubt und vertraut, sondern es kommt darauf an, daß die Finanz- und Kapitalmärkte Vertrauen in die politisch Handelnden haben. Das ist zur Zeit leider nicht erkennbar.

    (Zustimmung bei der FDP)

    Deshalb sollte es nach unserer Ansicht zu einem neuen Treffen auf internationaler Ebene nur dann kommen, wenn dorthin Ergebnisse mitgebracht werden können, nicht nur gute Absichten. In Richtung Washington gesagt, heißt das: Nur wenn der jetzt gefundene Haushaltskompromiß durch Repräsentanten-



    Dr. Graf Lambsdorff
    haus und Senat bestätigt wird, hat eine neue Währungskonferenz Sinn.
    Vorläufig sollten wir uns realistischerweise darauf einstellen, daß der Druck auf den Dollar erhalten bleibt und daß sich in den Vereinigten Staaten eine langsamere wirtschaftliche Entwicklung abzeichnet, die ihre Auswirkungen auf die Handelspartner der USA haben muß und haben wird.
    Es wäre schlimm, wenn die USA den Fehler des Jahres 1930 wiederholten und zu handelspolitischem Protektionismus griffen. Es war ein schlechtes Zeichen, daß das Repräsentantenhaus vor wenigen Tagen das Gephardt Amendment zum Entwurf eines Handelsgesetzes noch einmal mit großer Mehrheit bekräftigt hat.
    Meine Damen und Herren, was kann, was muß die Bundesrepublik Deutschland tun? Es kann unseres Erachtens keinem Zweifel unterliegen, daß eine internationale Vereinbarung nur zustande kommt, wenn auch die Bundesrepublik ihren Beitrag leistet.
    Unabhängig davon, ob eine solche Übereinkunft wirklich zustande kommt, stellt sich die Frage, ob wir nicht aus eigenem Interesse Entscheidungen zur Belebung unserer wirtschaftlichen Entwicklung treffen müssen. Die Frage ist drängender geworden, seit der Sachverständigenrat seine Prognose für die Jahre 1987 und 1988 abgegeben hat. Ich halte die Lagebeschreibung und die Vorausschau auf die Entwicklung für zutreffend. Es kann auch negativer kommen. Der Sachverständigenrat ist von einem Kurs des Dollar von 1,70 DM und von durchgreifenden haushaltspolitischen Entscheidungen der Amerikaner ausgegangen. Was geschieht, wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt werden? Leider hat der Sachverständigenrat die Anregung, Alternativrechnungen aufzustellen, nicht aufgegriffen. Diesmal wäre sie angesichts der unsicheren Lage sehr vonnöten gewesen.
    Die Politikempfehlungen des Rates sind nach Auffassung der FDP wenig konkret. Wir stimmen den Hinweisen zu, die dahin gehen, daß mehr Deregulierung, mehr Subventionsabbau, mehr Privatisierung und mehr Wettbewerb — in diesem Zusammenhang begrüßen wir die Hinweise auf die Bereiche Telekommunikation und Ladenschluß — notwendig sind.

    (Beifall bei der FDP)

    Wir unterstreichen die Bedeutung, die der Sachverständigenrat einer der Lage angemessenen Tarifpolitik zumißt. Leider ist sie zur Zeit nicht zu sehen. Ich zitiere hierzu Hans D. Barbier aus der „FAZ" von gestern:
    Die Gewerkschaft ÖTV hat dieser Tage mehr als das Doppelte des überhaupt zusätzlich Verteilbaren als Einkommenszuwachs gefordert. Gegen solche Tarifpolitik ist die Wirtschaftspolitik machtlos. Sie muß dann eben die Zahl der Arbeitslosen akzeptieren, die die Tarif- und Sozialpolitik produzieren.
    Frau Simonis, wenn Sie fragen, warum im Norden
    Arbeitslosigkeit herrscht und im Süden nicht, sage ich
    Ihnen: Solange es so bleibt, daß in Oberhausen im
    selben Unternehmen der durchschnittliche Effektivlohn eines Metallarbeiters

    (Roth [SPD]: Reden Sie doch über Kiel und Hannover, Sie Held! Wie heißt denn der Wirtschaftsminister in Hannover? — Weitere Zurufe)

    einige hundert DM über dem liegt, was in Augsburg und Nürnberg zu zahlen ist, werden Sie in den Problemgebieten keine Investitionen und keine Beschäftigung bekommen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Das sind die Folgen einer verfehlten Tarifpolitik.

    (Zuruf des Abg. Roth [SPD] — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Da helfen dumme Zwischenrufe nichts, Herr Roth!)

    Die geldpolitischen Vorschläge des Sachverständigenrates sind im Prinzip richtig.

    (Roth [SPD]: Wer hat nun recht, Lambsdorff oder Stoltenberg?)

    — Herr Roth, ich glaube, Sie waren heute morgen nicht da, konnten also wohl das nicht zur Kenntnis nehmen, was Herr Stoltenberg heute zur Richtigstellung der über ihn verbreiteten Meldung gesagt hat.
    Die Halbierung der Geldmengenexpansion dürfte ohne höhere Zinsen und ohne Beeinträchtigung der Wechselkursstabilität allerdings nicht zu erreichen sein. Hier hat der Sachverständigenrat ein äußerst ehrgeiziges Ziel vorgegeben.
    Meine Damen und Herren, es wird viel über mögliche Zinserleichterungen diskutiert. Einen Teil des gegebenen Spielraums hat die Bundesbank gestern genutzt. Ich frage mich allerdings, ob das in der Welt und bei uns benötigte Realkapital dauerhaft wirklich zu niedrigeren Realzinsen zu haben sein wird.
    Vor allem steht doch fest, daß die monetäre Politik in den letzten Monaten ihr Pulver weitgehend verschossen hat. Das ist nun einmal die Folge einer über einen langen Zeitraum betriebenen Interventionspolitik an den Devisenmärkten. Die damit verbundene Geldmengenexpansion stößt seit einiger Zeit an ihre Grenzen. Wenn der Bundesfinanzminister — ich glaube, er ist nicht mehr hier — gesagt hat, er sehe eine Inflationsgefahr überhaupt nicht, sage ich: Dieses Geldmengenpotential enthält ein Inflationsrisiko. Ob und wann es sich manifestiert, ist eine zweite Frage, aber das Potential ist nicht ohne Gefahr.
    Aus dieser Lage ergibt sich, daß die unbequemen Fragen in erster Linie an die Fiskalpolitik gerichtet werden. Was kann die Bundesrepublik tun, entweder als Teil eines internationalen Pakets oder unabhängig von internationaler Kooperation aus eigenem nationalen Interesse? Der Bundeswirtschaftsminister hat in seinem Brief an den Bundesfinanzminister vom 10. November 1987 eine Reihe von Alternativen aufgezeigt. Die wirtschaftspolitische Situation beschäftigt sich, wenn ich es richtig sehe, mit folgenden Hauptfragen:
    Erstens: Vorziehen der Steuerreform vom geplanten Termin auf den 1. Januar 1989. Ich selber habe



    Dr. Graf Lambsdorff
    diesen Termin schon vor den Bundestagswahlen genannt und habe ihn immer für richtig gehalten. Die Forschungsinstitute sind der gleichen Meinung. Gestern hat sich der Zentralverband des Deutschen Handwerks so geäußert.
    Zweitens: Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes. Das hätte den Vorteil, einen schnelle Entscheidung herbeiführen zu können. Es hätte den Nachteil, daß es keinen Ansatz zur Verbesserung der Steuerstruktur bewirken würde.
    Drittens: Der Sachverständigenrat rät zu einer Abschaffung oder Milderung der Belastung mit der Gewerbesteuer und empfiehlt einen Umbau der geplanten Steuerreform hin zu mehr Investitionsförderung. Kurzfristig ist beides nicht zu machen.
    Viertens: Professor Giersch vom Weltwirtschaftsinstitut in Kiel rät nach einer in meinen Augen ausgezeichneten Analyse zur vollen Abschreibungsfreiheit bei Investitionen. Man kann über alles diskutieren, aber die Gefahr der Mitnahmeeffekte ist bei einem solchen Vorschlag sehr groß.
    Hinter all diesen Vorschlägen stehen zwei Elemente: Sie führen zu höheren Defiziten, und sie zielen auf mehr Investitionen ab. Es ist verständlich, daß in einer Haushaltsdebatte das Thema „höhere Staatsverschuldung " eine erhebliche Rolle spielt. Wir, die FDP, sind die letzten, die eine solche Entwicklung auf die leichte Schulter nehmen. Wir haben nicht vergessen, welche Bedeutung eine zunehmende Staatsverschuldung in der deutschen Öffentlichkeit hat.
    Vergleiche zwischen der Bundesrepublik und den USA treffen aber nicht zu. Die Höhe des Haushaltsdefizits der USA ist ja, für sich genommen, nicht besorgniserregend; besorgniserregend ist aber seine Finanzierung, weil das interne private Sparaufkommen dazu nicht ausreicht. Die Vereinigten Staaten leben über ihre Verhältnisse.
    Vergleiche unserer jetzigen Haushaltsenwicklung mit der Entwicklung der Jahre 1981/82 sind auch nicht gerechtfertigt. Es ist irreführend, sich allein mit absoluten Zahlen zu beschäftigen. Die Zahlen müssen in Beziehung zum Bruttosozialprodukt und zur Entwicklung der öffentlichen Haushalte gesetzt werden; dann liegen sie deutlich unter denen von 1981/82.
    Außerdem besteht ein gravierender Unterschied — Herr Glos hat recht — , ob Defizite durch Verzicht auf Steuereinnahmen oder durch staatliche Ausgabenpolitik entstehen, vor allem dann, wenn diese staatlichen Ausgaben zu weiter wachsenden strukturellen Defiziten führen,

    (Zustimmung des Abg. Grünbeck [FDP]) wie es vor 1982 der Fall war.

    Die Haushaltskonsolidierung war richtig, sie war erfolgreich, und sie muß auch fortgesetzt werden. Niemand darf sich dem Irrtun hingeben, daß die notwendige Hinnahme zusätzlicher Defizite von mangelnder Ausgabendisziplin begleitet werden dürfte.
    Die Bundesbank hat uns erklärt, daß sie zusätzliche Staatsverschuldung positiv kommentieren wird. Sie hat aber gleichzeitig darauf aufmerksam gemacht, dies sei kein Grund, die Konsolidierungspolitik auf
    der Ausgabenseite zu beenden. Diese muß nicht nur fortgesetzt, sondern noch verbessert werden. Der neue Subventionsbericht der Bundesregierung macht das mehr als deutlich.

    (Zustimmung des Abg. Dr. Weng [Gerungen] [FDP])

    Meine Damen und Herren, das Ziel allen Bemühens heißt: höhere Investitionen, um mehr Arbeitsplätze zu erreichen. Warum sind die Erwartungen — ich will überhaupt nicht bestreiten, daß das Erwartungen waren, die wir noch in der alten Regierung miteinander hatten — , daß gestiegene Erträge zu mehr Investitionen und mehr Investitionen zu mehr Arbeitsplätzen führen, eigentlich nicht eingetroffen? Liegt es an der mangelnden Risikobereitschaft innerhalb der deutschen Wirtschaft? Sind Unternehmen und Unternehmer defensiver geworden? Sind die Ertragsaussichten für Investitionen in der Bundesrepublik im Vergleich zum Ausland zu gering? Ist unser Land inzwischen mit einem so dichten Netz von Regeln, Vorschriften und Investitionshemmnissen überzogen, daß schon aus rein praktischen Gründen große Investitionen in der Bundesrepublik nicht mehr durchführbar sind?

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Ist die Steuerbelastung, vor allem aber die Abgabenbelastung für Unternehmen und Arbeitgeber so hoch geworden, daß wir zwar den schwarzen Markt, nicht aber die wirklichen privaten Investitionen fördern?

    (Roth [SPD]: Und woher kommen die Milliarden Rücklagen?)

    In der Wirtschaft der Bundesrepublik werden nach einer Berechnung des Kieler Weltwirtschaftsinstituts 50 % der Gesamtleistung nicht unter den Wettbewerbsbedingungen des Marktes, sondern unter vielfältigen Einschränkungen, von Subventionen bis zu handelspolitischem Protektionismus, erzeugt. Diese Wettbewerbsverfälschungen verhindern Investitionen. Staatliche Aktivitäten verfälschen den Wettbewerb. Deshalb hat der Sachverständigenrat vollständig recht, wenn er auf die immer noch viel zu hohe Staatsquote hinweist.

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das ist ja Quatsch!)

    Alle Vorschläge der Opposition führen genau in diese falsche Richtung.
    Wenn Frau Simonis hier sagt, es fehle an Nachfrage, entgegne ich: Genau an privater Nachfrage fehlt es nicht; an Investitionstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland fehlt es.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Bundesregierung und Koalition müssen deshalb energischer und konsequenter den Weg weitergehen, den sie eingeschlagen haben. Das „Wall Street Journal" hat neulich geschrieben: Es geht den Menschen in der Bundesrepublik Deutschland so gut wie niemals in der deutschen Geschichte. Selbst wenn ich Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger nicht übersehe, komme ich zu der Erkenntnis: Diese Feststellung ist richtig.

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das tun Sie gerne! Das glaube ich!)




    Dr. Graf Lambsdorff
    Denken Sie selbst an ihre Eltern und Großeltern. Es ist uns niemals so gut gegangen.
    Aber die Gefahr besteht darin, daß wir nicht sehen, daß andere sich anstrengen, um im Wettbewerb wieder nach vorne zu kommen, daß wir uns auf diesem Zustand ausruhen und daß wir dann in fünf oder zehn Jahren erleben werden, daß es uns keineswegs mehr so gut geht. Die Aufgabe besteht darin, den Menschen heute klar zu machen, daß wir Probleme in den nächsten Jahren auf uns zukommen sehen, die wir nur lösen werden, wenn wir sie heute angehen, auch wenn das nicht jedem auf Anhieb einleuchtet.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir müssen den Weg zu mehr Wettbewerb, zu weniger Abgaben und weniger Bürokratie und den Weg zu mehr Marktwirtschaft gehen. Wenn wir das nicht tun, schaffen wir es nicht. Sind wir aber entschlossen, die Möglichkeiten eines freiheitlichen und offenen Wirtschaftssystems zu nutzen — diese Regierung ist entschlossen dazu, und die FDP ist bereit und entschlossen, sie dabei zu unterstützen —, dann wird die Bundesrepublik Deutschland in der Lage sein, ihre Probleme zu lösen.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Roth.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war bemerkenswert, auf die Zwischentöne zu hören, die gerade bei Graf Lambsdorff am Anfang seiner Rede angeklungen sind. Nicht daß ich die Position teile, aber das Ergebnis teile ich in der Tat: Als diese weltweite Wirtschaftskrise ausgebrochen ist, hat es in der Bundesrepublik Deutschland an politischer und wirtschaftspolitischer Führung, an Antworten auf die Herausforderungen und an Vertrauensbildung durch die Regierungspolitik gefehlt. Das klang in diesen Worten von Graf Lambsdorff durch.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Hellseher! — Weissager! — Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Das habe ich nicht gesagt!)

    Meine Damen und Herren, angesichts der Schockwirkung beim wirtschaftlichen Wettersturz, den wir erlebt haben, war gerade der Wirtschaftsminister gefordert, politische Orientierung zu geben. Doch was geschah in diesen Tagen? Der Bundeswirtschaftsminister hat sich zu den zentralen Herausforderungen der weltwirtschaftlichen Politik überhaupt nicht öffentlich geäußert.

    (Dr. Vogel [SPD]: Er hat Stoltenberg einen Brief geschrieben!)

    — Herr Vogel, er hat Stoltenberg einen Brief geschrieben; er hat „vertraulich" darüber geschrieben. Er hat also versucht, die Verantwortung des Bundeswirtschaftsministers beim Bundesfinanzminister abzuliefern.

    (Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Nein!)

    Er hat über Ladenschluß öffentlich geredet; er hat
    über die Privatisierung der Post öffentlich geredet; er
    hat über Kartellrecht öffentlich geredet. Über die Bedrohung unserer Arbeitsplätze haben wir jedoch vom Bundeswirtschaftsminister in den Tagen kein Wort gehört. Er hat seine Aufgabe verfehlt.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Lammert [CDU/ CSU]: Könnte es denn sein, daß da ein Zusammenhang besteht zwischen Kartellrecht, Ladenschlußgesetz und Arbeitsplätzen?)

    Meine Damen und Herren, ist es nicht wirklich verantwortungslos, wenn, wie wir ja gehört haben, einige Tage die beiden Herren — der eine ist jetzt schon wieder nicht da, der Bundesfinanzminister —,

    (Wissmann [CDU/CSU]: Wo ist der Herr Apel? — Dr. Vogel [SPD]: Der sitzt hier!)

    der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesfinanzminister, gar nicht mehr miteinander reden wollten, mitten in einer kritischen weltwirtschaftlichen Situation?
    Meine Herren, berichten Ihnen eigentlich Ihre Beamten nicht, wie man in internationalen Gremien, beim Weltwährungsfonds, bei der OECD, bei der Europäischen Kommission, die Lage einschätzt und die Bundesrepublik als Hauptverantwortlichen für die Börsenkrise mit in die Ecke gestellt hat?

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Meine Damen und Herren, keiner von uns hat die unverantwortliche amerikanische Wirtschaftspolitik Anfang der 80er Jahre vergessen, die jener Jahre, wo mancher von Ihnen noch mit blanken Augen auf Reaganomics geschaut hat. Wir haben das damals schon als kritisches Potential für die Weltwirtschaft beurteilt. Aber seit dieser Zeit haben Sie keine Möglichkeit ergriffen, zur Stabilisierung der Weltwirtschaft beizutragen. Das ist Ihr Versäumnis. Das wird auch in der gesamten internationalen Presse geschrieben.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sie sind ein Herkules, im Reden!)

    Seit dem Börsenkrach, seit dem Schwarzen Montag, hat sich die wirtschaftliche Stimmung verschlechtert, und zwar grundlegend. Wir erwarten nun in dieser Etatwoche von der Bundesregierung eine klare Analyse, Aussagen über Alternativen, Aussagen im Hinblick auf Ihre Antworten auf die derzeitige Situation, dieses Gewitter der Weltwirtschaft.
    Wir sind uns hier, hoffentlich, alle einig, daß wir jetzt verhindern müssen, daß eine Wirtschaftskatastrophe, vergleichbar der des Jahres 1929, folgt. Wenn wir uns darüber einig sind, müssen wir die Punkte aufzählen, die jetzt anders sein sollen als im Jahre 1929.
    Was waren die Hauptfehler damals? Es war ein geldpolitischer Bremskurs der Notenbanken, es waren rigorose Kürzungen der Staatshaushalte, und es war vor allem Protektionismus. Wir wissen alle gemeinsam, daß das damals in die Katastrophe geführt hat.
    Ich wundere mich, daß angesichts dieses Wissens der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Situation mitten in der Krisenphase zum Herabziehen der Geldversorgung in der



    Roth
    Volkswirtschaft von derzeit eher 9 % auf 4,5 % rät. Das wäre eines der Elemente, die in eine Rezessionsgefahr wie im Jahre 1929 zurückführten.
    Ich bin der Deutschen Bundesbank, gegenüber der ich öfters schon offene Worte formuliert habe, dankbar, daß sie in diesen Tagen bereit ist, diesen verhängnisvollen Kurs nicht mitzutragen, sondern die Wirtschaft ausreichend mit Geld versorgt, das Bankensystem nicht im Stich läßt.
    Meine Damen und Herren, das zweite war das Herunterziehen der Staatsausgaben: Sie betonen in dieser Debatte immer noch die Rückführung der Staatsquote als das zentrale wirtschaftspolitische Ziel im Hinblick auf Ihre zukünftige politische Arbeit. Ich halte das für eine Politik der geplanten Nachfrageschwächung, die auf Grund der unvermeidlichen staatlichen Kürzungsmaßnahmen in Amerika zu einem Zurückgehen der Weltnachfrage führen und bei uns im nächsten Jahr unmittelbar Arbeitslosigkeit mit sich bringen wird.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Stoppen Sie diese Politik, und schauen Sie in Bereiche, wo mehr investiert und wo mehr gemacht werden kann.
    Meine Damen und Herren, ich möchte an der Stelle auch sagen: Versuchen Sie nicht, die nächsten Wochen und Monate so zu tun, als hätte Sie ein Gewitter erreicht, mit dem Sie überhaupt nichts zu tun haben. Sie haben durch Ihr stures Ablehnen einer Expansionspolitik, wie sie die Amerikaner gefordert haben, den Börsenkrach mitverursacht. Das ist die Wahrheit.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie hätten früher auf eine Konzertierung einlenken müssen.

    (Wissmann [CDU/CSU]: Das glauben ja nicht mal die eigenen Genossen! — Zuruf von der CDU/CSU: Sie hat bei diesem Gewitter der Blitz getroffen! — Bohl [CDU/CSU]: Roths Märchenstunde!)

    Meine Damen und Herren, diese großen weltwirtschaftlichen Spannungen sind seit Jahren an einer rasch wachsenden Auslandsverschuldung der USA ablesbar gewesen. In der Phase hätten Sie mehr kooperative Haltung zeigen müssen.
    Weil Graf Lambsdorff die „Financial Times" erwähnt hat: Sie können seit Monaten in der „Financial Times" den Rat nachlesen, daß die Deutschen mehr Verantwortung für die Weltwirtschaft übernehmen sollten. Herr Edzard Reuter hat recht, wenn er dieser Bundesregierung ins Stammbuch schreibt:
    Wenn die Europäer von der amerikanischen Regierung ebenso energische wie verantwortliche Maßnahmen zum Abbau des Haushaltsdefizits erwarten dürfen, haben unsere amerikanischen Freunde umgekehrt genauso das Recht, von den europäischen Regierungen und insbesondere von der Bundesregierung zu verlangen, daß sie nun endlich Abschied nehmen von ihrer überängstlichen wirtschaftspolitischen Deflationsstrategie. Ich halte es nämlich für unverzichtbar, daß sich
    die westlichen Regierungen so bald wie möglich auf ein neues weltwirtschaftliches Wachstumskonzept einigen, wenn die derzeitige Krise nicht in eine politische Krise umschlagen soll.
    Kürzer und zutreffender kann man die Lage und Ihre Verantwortung nach meiner Überzeugung überhaupt nicht beschreiben.
    Meine Damen und Herren, in der Wirtschafts- und Finanzpolitik steht die derzeitige Bundesregierung ohne Führung da. Wirtschafts- und Finanzminister sind sich nicht einig. Unter der Hand verlangt der Wirtschaftsminister, mehr für die Nachfrage zu tun, jedenfalls eine Haushaltspolitik zur Stabilisierung der Nachfrage zu betreiben. Herr Stoltenberg hat exakt dieses heute abgelehnt.

    (Wissmann [CDU/CSU]: Hat er nicht abgelehnt! Sie haben nicht zugehört! — Zander [SPD]: Er macht es nur nicht!)

    Es gibt einen weiteren Konflikt in dieser Bundesregierung bzw. in der Koalition. Meine Damen und Herren, Graf Lambsdorff hat gerade erwähnt, daß er für die Auflösung des Louvre-Abkommens sei und daß er keine Chance sehe, ein neues Louvre-Abkommen zu haben.

    (Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Habe ich nicht gesagt! — Bohl [CDU/CSU]: Das Gegenteil hat er gesagt!)

    Was bedeutet das eigentlich? — Graf Lambsdorff, wenn Sie hier sagen, das nächste Louvre-Abkommen soll nicht im Louvre, sondern soll in irgendeiner römischen Kirche geschlossen werden, dann ist das eine Abwertung der Idee der Koordination der westlichen Weltwirtschaften.

    (Stratmann [GRÜNE]: Was haben Sie gegen Kirchen?)

    Damit werden Sie den freien Fall des Dollar geradezu provozieren.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich werde Ihnen in diesem Zusammenhang noch ein paar Punkte nennen. James Baker hat doch die letzten Wochen das aufgegriffen, was hier an Koordination gefehlt hat. Er ist hergegangen und hat den Dollar öffentlich heruntergeredet. Graf Lambsdorff, haben Sie letzte Woche die „Wirtschaftswoche" gelesen? Da haben ein erzkonservativer amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler namens Friedman und ein ganz progressiver amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler namens Lester Thurow gesagt: Laß den Dollar auf 1,10 DM fallen; das löst unsere Probleme. Ich sage Ihnen: Wenn Sie diese Politik akzeptieren, zerstören Sie die Exportfähigkeit der bundesdeutschen Wirtschaft, und Sie gefährden Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Das ist die Wahrheit.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, wir plädieren für Koordination und gemeinsames Handeln, für ein neues Louvre-Abkommen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie treten durch die offene Tür!)




    Roth
    Ich wäre sogar dankbar, wenn dieses Louvre-Abkommen Palais- Schaumburg-Abkommen heißen würde: wenn die Bundesregierung die Initiative ergriffe. Wir müssen drei Kernforderungen erreichen.
    Erstens. Die USA müssen ihre Anstrengungen zum schrittweisen Abbau der Haushaltsdefizite konsequent fortsetzen.

    (Dr. Lammert [CDU/CSU]: Das ist mal ein neuer Gedanke!)

    Wir kritisieren, daß die 30 Milliarden Dollar für das nächste Jahr vielleicht nicht ausreichen. Aber ich will hier sagen: Bei den Schwierigkeiten, die jedes Parlament beim Kürzen hat: Es ist ein Fortschritt, den man akzeptieren sollte.
    Zweitens. Bundesregierung und Bundesbank müssen expansive Maßnahmen zur Stützung der Binnenkonjunktur und zur Förderung der Beschäftigung ergreifen. Die Partnerländer der Europäischen Gemeinschaft müssen zu gleichgerichteten Maßnahmen in die richtige Richtung bewegt werden. Die Bundesrepublik soll nicht Lokomotive der Weltwirtschaft sein, aber sie soll ihre Führungsverantwortung innerhalb der EG für Expansion und Arbeitsplätze übernehmen. Das ist in der jetzigen Situation gefordert.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Stratmann [GRÜNE]: Die Umwelt muß weiter zerstört werden!)

    Drittens. Das ist übrigens ein Faktor der Börsenkrise, der heute noch keine Rolle gespielt hat: Alle Industrieländer müssen einen ernsthaften Anlauf zur Überwindung der Verschuldungskrise machen. Ich glaube, daß die latente Unsicherheit, wie viele Milliarden inzwischen in der Weltverschuldung nicht mehr rückzahlbar sind, ein dauernder Krisenfaktor dieser Welt ist. Wir als Bundesrepublik Deutschland, als Land mit der größten Reservehaltung, haben hier eine besondere Herausforderung.
    Meine Damen und Herren, diese Vereinbarung, die nun auf der Tagesordnung steht, wird es nur geben, wenn wir bereit sind, einen Beitrag zu liefern. Das heißt eben Stärkung der Kaufkraft in der Bundesrepublik Deutschland, das heißt eben Bereitschaft zum Einsatz der wirtschaftlichen Instrumente. Dann lassen Sie uns darüber streiten, ob die Anwendung des Wachstums- und Stabilitätsgesetzes besser ist, ob eine Verstärkung der Investitionsnachfrage durch Steuerpolitische Instrumente besser ist, wie weit ein öffentliches Investitionsprogramm eine Rolle spielen kann. Alles das können ja Elemente einer derartigen Politik sein. Was mir gespenstisch vorkommt: In dieser Debatte ist etwas, was Herr Bangemann übrigens in seinem Brief an den Finanzminister ausdrücklich erwähnt hat, daß jeder auf den anderen zeigt, ohne daß er selbst etwas zur Lösung dieser weltwirtschaftlichen Krise tut. Das ist die Hauptgefahr.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, heute früh und auch vorher wurde so nachdrücklich gesagt: Wir fühlen uns vom Sachverständigenrat bestätigt. Was ist das eigentlich für eine Regierung, die sich dadurch bestätigt
    fühlt, daß im nächsten Jahr 70 000 Arbeitslose mehr auf der Straße sind?

    (Zustimmung der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Wie grotesk ist diese Verhaltensweise, wie eiskalt im Grunde gegenüber den Betroffenen! Sie fühlen sich bestätigt. In der nächsten Zeit, in den nächsten zwei, drei Jahren werden 37 000 Stahlarbeiter entlassen oder über Sozialpläne arbeitslos, auch 25 000 Bergleute. Wir wissen aus der Zuliefer- und aus der Abnehmerindustrie, daß weitere 120 000 Betroffene arbeitslos werden. Das heißt, 180 000 Menschen sind jetzt absehbar aus strukturpolitischen Entscheidungen heraus in den nächsten Jahren arbeitslos.
    Meine Damen und Herren, ich werfe Ihnen nicht vor, daß wir einen Strukturwandel haben. Ich würde auch sagen: Jeder Sozialdemokrat in der Verantwortung würde zugeben müssen, daß nicht jeder Stahlarbeitsplatz erhalten wird. Das werfe ich Ihnen nicht vor. Ich werfe Ihnen vor, daß Sie als Bundesregierung nur Sozialpianhilfen geben und daß Sie für Ersatzarbeitsplätze an Rhein und Ruhr, im Saarland, in Niedersachsen, in Osnabrück und Salzgitter keine müde Mark in den Bundesetat einstellen. Das heißt, Sie versteinern die Strukturschwäche und die Arbeitslosigkeit in diesen Regionen und machen einen Schaukampf gegen die Landesregierung im Saarland und in Nordrhein-Westfalen. Aber dasselbe Problem haben Sie auch in Niedersachsen.

    (Beifall bei der SPD — Hinsken [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr gewesen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir glauben, daß Anstrengungen unternommen werden müssen gegen die Massenarbeitslosigkeit, gegen die drohenden Gefahren der Weltwirtschaft. Wir Sozialdemokraten fordern keine Wachstumsanstrengungen um des Wachstums willen, wir wollen vielmehr — das ist unser Schwerpunkt in dieser Debatte — , daß dringend notwendige gesellschaftliche Aufgaben wahrgenommen werden. Deshalb fordern wir eine Investitionsoffensive, deshalb fordern wir, daß private und öffentliche Investitionen gefördert werden. Allein bei den Gemeinden gibt es einen großen Investitionsstau, und jetzt wäre es notwendig, diesen Investitionsstau durch Bundeshilfe aufzulösen und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen. Maßnahmen der Verkehrsberuhigung, Wohnumfeldsanierung, Verbesserung der sozialen Dienste, Umweltschutz, Umweltsanierung haben sich zu einer Überlebensfrage dieser Gesellschaft ausgewachsen. Das vor Jahren schon vorgelegte Programm „Arbeit und Umwelt" weist einen finanzierbaren Weg, um diese dringlichsten Probleme im Umweltbereich zu lösen. Es schafft zudem 400 000 Arbeitsplätze.
    Meine Damen und Herren, wenn das Wattenmeer zur toten Lache verkommt, wenn der Wald verschwunden ist, wird es kaum jemand zu schätzen wissen, daß, statt der Natur zu helfen, der Spitzensteuersatz gesenkt wurde oder die Staatsquote reduziert worden ist.

    (Beifall bei der SPD)




    Roth
    Meine Damen und Herren, wenn die reichste Gesellschaft unserer Geschichte nicht das Geld aufbringt, ihre natürlichen Lebensgrundlagen zu sanieren, so erweist sich diese als eine der dümmsten Gesellschaften der Geschichte überhaupt. Dafür muß man kämpfen und nicht für privaten Reichtum, nicht für Spitzensteuersatzsenkung, sondern für die Lösung gesellschaftlicher Probleme. Sie stehen auf der Tagesordnung der Geschichte.

    (Beifall bei der SPD)