Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksachen 10/4406, 10/4414 —
Wir haben eine Dringliche Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht Herr Minister Dr. Blüm zur Verfügung.
Ich rufe die Dringliche Frage der Frau Abgeordneten Fuchs auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, insbesondere auf Grund des Gesprächs zwischen Vertretern der Bundesregierung und Vertretern von DGB/DAG und BDA vom 2. Dezember 1985, von Vorschlägen zu einer Änderung des § 116 AFG, sowie von Änderungen der einschlägigen Verwaltungsanordnungen der Bundesanstalt für Arbeit abzusehen?
Bitte schön, Herr Minister.
Frau Fuchs, die Bundesregierung sieht nach wie vor ein Klarstellungsbedürfnis in Sachen § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes. Die Neutralität der Bundesanstalt ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Tarifautonomie. Es kam bekanntermaßen im Zusammenhang mit den Metallarbeiterarbeitskämpfen 1984 zu einem Dissens zwischen der Auslegung der Bundesanstalt für Arbeit und der einstweiligen Anordnung der Sozialgerichte in Hessen und Bremen. Wir denken, es dient der Rechtssicherheit, es dient der Tarifautonomie, Zweifelsfragen zu klären.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Fuchs.
Das habe ich nicht ganz verstanden. Deshalb muß ich eine Zusatzfrage stellen. Wieso kommt die Bundesregierung auf die Idee, den 1969 im Arbeitsförderungsgesetz gefundenen Kompromiß durch einen ja möglicherweise weiteren unbestimmten Rechtsbegriff aufgeben zu wollen, obwohl Gerichte dabei sind, die von Ihnen vorgetragenen Streitfälle zu entscheiden? Wieso wartet die Bundesregierung nicht — wie z. B. von Herrn Benda, Herrn Wannagat und Herrn Katzer vorgeschlagen — die Entscheidungen dieser obersten Gerichte ab?
Dr. Blüm, Bundesminister: Frau Kollegin, ich glaube, es liegt nicht im Interesse der Arbeitskampfparteien und damit auch nicht im Interesse der Arbeitnehmer, wenn die Klärung dieser Frage bis zur letzten Instanz aufgeschoben wird. Jeder Arbeitskampf, der in der Zwischenzeit geführt würde, stände unter der Unsicherheit, die jetzt entstanden ist, auch unter dem Risiko, daß ausgezahlte Leistungen zurückgezahlt werden müssen. Es kann nicht im Interesse der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände sein, wenn Arbeitskämpfe durch Gerichtsverfahren begleitet und Leistungen nur unter Vorbehalt ausbezahlt werden. Das ist der Anlaß unseres Klarstellungsbedürfnisses.
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Das ist alles ein bißchen eigenartig, Herr Bundesarbeitsminister. Ich stelle meine Frage etwas anders: Wieso glaubt die Bundesregierung, den 1969 gefundenen Kompromiß ausgerechnet nach einem Streik aufgeben zu müssen, der doch auch ökonomisch sinnvoll war? Denn er hat zu einer beschäftigungsorientierten Arbeitszeitverkürzung geführt.
Dr. Blüm, Bundesminister: Frau Kollegin, Sie arbeiten mit der Unterstellung, wir wollten einen gefundenen Kompromiß aufgeben. Nein, wir wollen die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers dem Zweifel entziehen. Hinsichtlich dieser ursprünglichen Absicht beziehe ich mich auf den Bericht des federführenden Ausschusses. Dort heißt es:
Arbeitnehmer, die durch mittelbare Auswirkungen eines Streiks arbeitslos geworden sind, sollen in Zukunft im allgemeinen Arbeitslosengeld erhalten.
Erste Feststellung, die von der Bundesregierung nicht in Frage gestellt wird.
Zweite Feststellung des Ausschusses, die ich Ihrer besonderen Aufmerksamkeit empfehle:
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Bundesminister Dr. Blüm
Mit Rücksicht auf die Neutralitätspflicht soll das jedoch in zwei Fällen nicht gelten. Wenn der Arbeitskampf auf eine Änderung der Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers abzielt, muß dieser sowohl nach einer natürlichen Betrachtungsweise als auch in wirtschaftlichem Sinne als beteiligt angesehen werden. Die Gewährung von Arbeitslosengeld in solchen Fällen würde Schwerpunktstreiks fördern und wäre daher nicht streikneutral.
Genau darum geht es.
Eine weitere Feststellung des Ausschusses ist die Feststellung, daß die Bundesanstalt den Arbeitskampf mit ihren Mitteln — durch Gewährung und durch Nichtgewährung — nicht beeinflussen soll.
Genau diese beiden Ziele des Gesetzgebers verfolgen wir auch weiterhin.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Minister, wieso kann jeder Streik zu solchen Zweifelsfragen führen, wenn doch die technischen Entwicklungen, die hinter dem gegenwärtigen Streit um § 116 AFG stehen, in den meisten Wirtschaftszweigen gar nicht stattgefunden haben, sondern, wenn ich das richtig sehe, nur in einem Wirtschaftszweig? Müßte man dann nicht geradezu die Entscheidung der Gerichte abwarten, weil es sowieso nur einen sehr engen Ausschnitt unseres Sozial- und Wirtschaftslebens betrifft?
Dr. Blüm, Bundesminister: Herr Sperling, ich möchte auch in der Antwort klarstellen, daß nicht in Frage steht, daß es Leistungen der Bundesanstalt für mittelbar betroffene Arbeitnehmer auch in Zukunft gibt, daß die Leistung nur dann ruht — in Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers —, wenn — jetzt in der Kurzfassung meiner Darstellung — im Arbeitskampfgebiet stellvertretend für mittelbar betroffene Arbeitnehmer gekämpft wird. Bei der Beantwortung der Frage ob stellvertretend gekämpft wird oder nicht, hat die Bundesanstalt für ihre Anordnung als Maßstab zugrunde gelegt, daß auch bei den mittelbar betroffenen Arbeitnehmern nach Art und Umfang gleiche Forderungen gestellt werden.
Nun ist es eine Interpretationsfrage, was „gleich" ist. Wenn die Gerichte „gleich" mit „identisch" übersetzen, dann würde das bedeuten, daß faktisch immer gezahlt wird, weil man durch leichte Modifikationen bei Nebenforderungen die Zahlungspflicht immer herbeiführen könnte. Das kann nicht Sinn der Neutralitätsanordnung sein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Scharrenbroich.
Herr Bundesminister, können Sie bitte erläutern, welchen Sinn die Gespräche mit den Sozialpartnern, die unter Ihrer Leitung begonnen wurden, in diesem Verfahren haben?
Dr. Blüm, Bundesminister: Die Bundesregierung ist der sozialen Partnerschaft verpflichtet. Deshalb ist es ein Gebot der Fairneß, die Sozialpartner an der Regelung, die gefunden werden muß, zu beteiligen, sich ihres Sachverstandes zu bedienen. Eine Regelung ist um so haltbarer, je mehr sie auch auf die Akzeptanz der Beteiligten trifft, und um diese bemühen wir uns.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.
Herr Bundesarbeitsminister, einer der Väter des Arbeitsförderungsgesetzes hat die Formulierungen des § 116 AFG als historischen Kompromiß bezeichnet und vor weiteren Ausnahmen, wie diese Bundesregierung sie offenkundig plane, gewarnt. Teilen Sie meine Auffassung, daß eine Erweiterung der bestehenden Ausnahmen einen Bruch des ILO-Abkommens, das wir ja ratifiziert haben, darstellen würde und möglicherweise sogar völkerrechtswidrig wäre?
Dr. Blüm, Bundesminister: Herr Abgeordneter, auch hierauf muß ich antworten: Die Bundesregierung wird ihre Lösung selbstverständlich in Übereinstimmung mit internationalen Verpflichtungen und ebenso selbstverständlich unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Gebote — hier gelten besonders Art. 9, Art. 14 und Art. 3 des Grundgesetzes finden. Ich wiederhole: Es geht nicht um eine Sammlung neuer Ausnahmen, sondern es geht um Klarstellung von in Zweifel geratenen Auslegungen der Neutralitäts-Anordnung der Bundesanstalt — um Klarstellungen, um nicht mehr und nicht weniger. Ihre Frage gibt mir die Gelegenheit, noch einmal zu betonen, daß es nicht um eine Neuordnung des Streikrechtes, daß es nicht um eine Verschiebung der Kampfparität,
sondern — im Interesse der Tarifautonomie — um die Neutralität des Staates geht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Feilcke.
Herr Bundesminister, ist es, wie von der Opposition unterstellt wird, tatsächlich erklärtes Ziel der Regierung, auf jeden Fall zu einer Gesetzesänderung zu kommen, und liegen gegebenenfalls schon entsprechende Gesetzentwürfe vor?
Dr. Blüm, Bundesminister: Herr Abgeordneter, es ist erklärtes Ziel, erstens ein hohes Maß von Konsens, ein hohes Maß von Übereinstimmung, zumindest Annäherung herzustellen. Ich möchte den Gesprächen nicht vorgreifen, die heute abend fortgesetzt werden. Ich sehe in den Gesprächen bereits ein Zeichen des guten Willens aller Beteiligten, sich der Anstrengung der Suche nach der gemeinsamen Lösung zu unterziehen.
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Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lutz.
Herr Bundesminister, unterstellt, im Trialog tritt man auf der Stelle — ich muß aus Ihren bisherigen Bemerkungen schlußfolgern, daß offenbar noch kein Konsens erreicht ist —: Welchen zeitlichen Rahmen haben Sie sich gesetzt, innerhalb dessen entweder die Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich einigen oder, wenn sie sich eben nicht einigen, die Bundesregierung gesetzgeberisch aktiv wird?
Dr. Blüm, Bundesminister: Das Klarstellungsbedürfnis ist dringend. Wir können mit der Klarstellung nicht — ich sagte es schon einmal — die letzte Instanz von Gerichtsentscheidungen abwarten. Deshalb glaube ich, daß wir unter dem dringenden Bedürfnis der Klarstellung stehen. Es würde den Gesprächen, die wir führen, nicht nützen, Ergebnisse jetzt vorwegzunehmen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Ehrenberg.
Herr Bundesminister, können Sie erklären, warum die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers 16 Jahre lang einwandfrei von beiden Parteien interpretiert werden konnte — letztes Beispiel: der Erlaß des Präsidenten Stingl beim Metallarbeiterstreik Baden-Württemberg 1978 — und erst nach diesem Streik nicht?
Dr. Blüm, Bundesminister: Herr Abgeordneter Ehrenberg, die Frage gibt mir die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß auch 1978, als Sie die Rechtsaufsicht über die Bundesanstalt hatten, für mittelbar betroffene Arbeitnehmer Zahlungen gewährt wurden und für einen anderen Teil der mittelbar betroffenen Arbeitnehmer keine Zahlungen gewährt wurden. Das gibt mir die gute Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß also auch in dieser Zeit Unterschiede in der mittelbaren Betroffenheit gemacht wurden. Das war die erste Antwort.
Die zweite Antwort. Wenn allerdings die Anordnung so ausgelegt wird, wie sie die Sozialgerichte in Hessen und in Bremen ausgelegt haben, nämlich Gleichheit als Identität aufgefaßt wird, hätte wahrscheinlich auch damals an alle gezahlt werden müssen. Also stimmt die jetzige Auslegung des Sozialgerichts nicht mit der Praxis überein, die Sie durch Ihre Rechtsaufsicht gedeckt haben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dreßler.
Herr Blüm, da Sie die Dringlichkeitsfrage der Frau Kollegin Fuchs bisher nicht beantwortet haben, frage ich Sie einerseits, ob Sie bereit sind, den Kern dieser Dringlichkeitsfrage noch zu beantworten, und darüber hinaus, da Sie die Worte „Klarstellungsbedürnis" und „Dissens" hier eingeführt haben, ob Sie endlich bereit sind, zuzugeben, daß es durch Ihre Federführung 1984 zu diesem Dissens überhaupt erst gekommen ist.
Dr. Blüm, Bundesminister: Ich beantworte die Frage mit Nein.
— Ich kann die gern ergänzen. Dieser Erlaß ist in der Selbständigkeit der Bundesanstalt für Arbeit ergangen.
Ich habe keinen Grund gesehen, bei diesem Erlaß von der Rechtsaufsicht Gebrauch zu machen. Sie sollten wissen, daß diese Trennung zwischen Bundesanstalt und ihrer Zuständigkeit und Zuständigkeit der Bundesregierung ihre guten Gründe hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lammert.
Herr Bundesminister, was sagen Sie zu der erstaunlichen Argumentation der IG Metall, daß die Bundesregierung zwar nicht das Streikrecht der Gewerkschaften bestreite, mit den beabsichtigten Regelungen aber die Beseitigung der Streikfähigkeit der Gewerkschaften im Auge habe?
Dr. Blüm, Bundesminister: Das halte ich für eine Phantomdiskussion, die den Realitäten nicht gerecht wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reimann.
Herr Minister, war es in der Geschichte der Arbeitnehmerschaft nicht immer so, daß Arbeitskämpfe dazu gedient haben, irgendwann für die gesamte Arbeitnehmerschaft verbindliche Verträge zustande zu bringen, und ist es nach Ihrer Argumentation in Zukunft nicht so, daß die Neutralitätspflicht umgekehrt wird und damit praktisch zum Parteieninstrument wird?
Dr. Blüm, Bundesminister: Herr Abgeordneter Reimann, ich will wiederholen, daß meine Interpretation die Wiederherstellung der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers ist, die Klarstellung, wie sie in Übereinstimmung mit dem Bericht und mit der Praxis steht, die auch 1978 — dieser Arbeitskampf wurde schon einmal zitiert — gehandhabt wurde. Mit anderen Worten: Unsere Aufgabe ist nicht Neuordnung, sondern die Beseitigung von Zweifelsfragen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Boroffka.
Herr Bundesminister, ist Ihnen die öffentlich geäußerte Ansicht des bekannten Arbeitsrechtlers Professor Rüthers aus Konstanz bekannt, daß sich durch die Rechtsprechung in Bremen und Hessen die Rechtslage grundlegend verändert habe und daß sich bei einem Zuwarten auf endgültige Urteile der obersten Gerichte ein Rechtszustand verfestigen könnte, der dem Willen des Gesetzgebers nicht entsprochen hat?
Dr. Blüm, Bundesminister: Ich teile die Auffassung, daß der in der Anordnung gefundene Maß-
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Bundesminister Dr. Blüm
stab, daß die Leistungsansprüche mittelbar Betroffener im Fachbereich ruhen, wenn nach Art und Umfang gleiche Forderung gestellt werden, anzuwenden ist. Die Interpretation, „gleich" mit „identisch" gleichzusetzen, trifft nicht den Sinn der Anordnung und führt faktisch dazu, daß immer gezahlt werden muß. Das kann auch im Interesse der Arbeitskampfparteien nicht die Neutralität der Bundesanstalt sein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sieler.
Herr Minister, beabsichtigen Sie weiterhin, die Frage der Frau Kollegin Fuchs nicht zu beantworten, und glauben Sie, daß damit auf diesem Gebiet die Rechtssicherheit verbessert wird?
Dr. Blüm, Bundesminister: Herr Abgeordneter, bei aller Zurückhaltung glaube ich, daß es den Gesprächen nicht dient, zu diesem Zeitpunkt die Positionen von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Bundesregierung zu beschreiben, wenn es darum geht, daß diese Positionen angenähert werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Herr Bundesarbeitsminister, darf ich eine konkrete Antwort auf eine präzise Frage erwarten, nämlich auf die Frage, ob Sie für den Fall, daß heute abend zwischen den Tarifparteien kein Konsens hergestellt wird, eine gesetzliche Änderung des § 116 AFG planen, und ob es zutrifft, daß es darüber eine Absprache der Parteien in der Koalition gibt?
Dr. Blüm, Bundesminister: Auch diese Frage halte ich für die Konsensfindung nicht dienlich. Im Gespräch gibt man keine Ergebnisse im Vorfeld bekannt.
— Ich will wiederholen, daß ich es für nicht dienlich halte, mitten im Gespräch hier Gesprächsergebnisse zu formulieren.
Das hilft der Konsensfindung nicht.
Ich denke, alle hier am Arbeitsfrieden und an sozialer Partnerschaft Interessierten sollten jetzt dem Gespräch freien Raum lassen.
Das dient der Klärung am besten.
Augenblick, meine Herren! Kann ich dem nächsten das Wort erteilen? Wenn Sie hier so laut rufen, kann ich mich nicht durchsetzen.
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Faltlhauser.
Herr Minister, halten Sie es für angemessen, daß erstinstanzliche Gerichte, Sozialgerichte, über viele Jahre hinweg die zentrale Frage der Neutralität der Bundesanstalt in ihrem Inhalt bestimmen, ohne daß Gesetzgeber oder höchstinstanzliche Gerichte hierüber ihre endgültige Meinung formuliert haben?
Dr. Blüm, Bundesminister: In der Tat ist das der Fall.
Ich glaube, der Herr Kollege wird das selber merken.
Dr. Blüm, Bundesminister: Herr Abgeordneter, um Ihre Frage dahin gehend zu beantworten, wann und wo der Auslegungsstreit entstanden ist: Er ist durch eine einstweilige Anordnung entstanden, in der offenbar zum erstenmal „Gleichheit" mit „Identität" übersetzt wurde. Dies gab uns Veranlassung, hier auf Klärung unter Beteiligung der Sozialpartner zu drängen.
Im übrigen beantworte ich die Fragen hier so wie draußen. Denn im Zusammenhang mit diesen Fragen hier wurde behauptet, ich würde unterschiedlich agieren. Ich würde draußen wie hier immer das gleiche sagen, weil es immer die gleiche Sache ist. Es geht uns um die Sicherstellung der Neutralität der Bundesanstalt, um nicht mehr und nicht weniger. Ich werde mich immer dagegen wehren, den Eindruck zu erwecken, als sollte das Streikrecht neu geordnet werden.
Zusatzfrage, Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Minister, wenn Sie schon das Fragerecht des Parlaments so behandeln, daß Sie es nicht für dienlich halten zu antworten, darf ich Sie dann fragen: Sehen Sie überhaupt einen Handlungsbedarf gegeben?
Dr. Blüm, Bundesminister: Ich wiederhole: Klarstellung und Handlung. Wenn ich von Klarstellungsbedarf spreche, spreche ich vom Handlungs-
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Bundesminister Dr. Blüm
bedarf im Interesse der Rechtssicherheit der betroffenen Arbeitnehmer.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogelsang.
Herr Minister, warum sehen Sie eine Konsensbildung gefährdet, wenn Sie keine Auskünfte im Parlament geben, aber doch durchaus bereit sind, den Medien Auskünfte zu geben?
Dr. Blüm, Bundesminister: Ich wiederhole: Ich gebe dem Parlament die gleichen Auskünfte, die ich der Öffentlichkeit gebe. In der Tat habe ich — ich werde das auch in Zukunft nicht tun — vor Ende eines Gespräches keine Ergebnisse bekanntgegeben. Sonst braucht man nicht miteinander zu reden.
Der Sinn von Gesprächen ist, aufeinander zu hören; Ergebnisse vorher zu Protokoll zu geben, heißt Gesprächspartner zu disqualifizieren. Das liegt nicht in der Absicht der Bundesregierung.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tatge.
Herr Minister Blüm, wie erklären Sie sich denn den Widerspruch, daß Sie in der Öffentlichkeit Stellungnahmen abgeben, mir aber hier als Abgeordnetem — bzw. dem gesamten Parlament — Antworten verweigern und zum zweiten ...
Sie haben nur eine Zusatzfrage.
In diesem Kontext!
Die erste war eben schon gestellt.
... Ihrer Auskunftspflicht, die Sie vor dem Parlament haben — wenn ich das noch sagen darf —, nicht nachkommen?
Dr. Blüm, Bundesminister: Ich kann keine Auskunft darüber geben, was die Sozialpartner heute abend in der Diskussion vortragen.
Diese prognostische Fähigkeit habe ich nicht. Insofern kann ich das Ergebnis von heute abend nicht heute nachmittag vorwegnehmen.
Ich habe jetzt und früher immer wieder betont —
weil ich das für wichtig halte —, daß unsere Verhandlungen den Sinn haben, daß sich die Positionen annähern, daß, wenn möglich, eine Einigung, ein Konsens hergestellt wird. Deshalb haben die Gespräche eine hohe Bedeutung.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Horn.
Herr Minister, wie beurteilen Sie denn eigentlich die Aussage eines Ihrer Vorgänger, nämlich des früheren Bundesarbeitsministers Katzer , der gesagt hat, es bestünde in dieser Frage überhaupt kein Handlungsbedarf, und der ausdrücklich auf die Gefährlichkeit einer Änderung hingewiesen hat?
Dr. Blüm, Bundesminister: Ich wiederhole das, was ich gesagt habe: Bei allem Respekt vor meinem verehrten Vorgänger sehe ich den Klarstellungsbedarf, und zwar im Interesse der Tarifautonomie. Die Alternative zu unserer Klarstellung wäre, den Gang der Rechtsprechung abzuwarten. So lange können wir aber die Arbeitnehmer nicht warten lassen. Wir können auch von keiner Gewerkschaft verlangen, daß sie bis zur endgültigen Klärung auf jeden Arbeitskampf verzichtet. Das wäre eine Zumutung, die man gegenüber den Gewerkschaften noch nicht einmal aussprechen sollte. Aber die Arbeitnehmer haben ein Recht darauf, zu wissen, unter welchen Bedingungen die Bundesanstalt Leistungen gewährt und unter welchen Bedingungen sie diese Leistungen verweigern kann.
Herr Abgeordneter Pfeffermann, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, teilen Sie meine Empfindung, daß einige der eben gestellten Fragen in bezug auf die Aussagebereitschaft Ihrerseits eigentlich mehr darauf ausgerichtet sind, die vorher angekündigte Aktuelle Stunde zu begründen, als daß tatsächlich angezweifelt werden kann, daß das, was Sie heute zu sagen haben, gesagt worden ist, wenn man nicht tatsächlich offensichtlich Störfeuer für die Besprechung des heutigen Abends geben will?
Dr. Blüm, Bundesminister: Herr Abgeordneter, ich vermag Ihrer Darstellung nicht zu widersprechen.
Es war bei mir eben die Überlegung, ob das nicht eine Dreiecksfrage gewesen ist, die der Minister nicht zu beantworten gehabt hätte.
Zusatzfrage, Abgeordneter Kleinert .
Herr Minister Blüm, wie erklären Sie sich den meines Erachtens zumindest in der Medienberichterstattung doch ziemlich offenkundigen Widerspruch, der darin besteht, daß Sie als Eindruck des Gesprächs vom Montag in der Öffentlichkeit von einer Annäherung
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Kleinert
der Tarifparteien gesprochen haben, während sich doch sowohl Herr Jansen als auch Herr Kirchner ihrerseits in öffentlicher, medienwirksamer Weise gegenteilig erklärt haben?
Dr. Blüm, Bundesminister: Herr Abgeordneter, könnten Sie nicht mit mir der Meinung sein, daß bereits die Fortsetzung der Gespräche ein positives Zeichen ist?
Immerhin wurde doch durch die Fortsetzung der Gespräche sozusagen öffentlich zu Protokoll gegeben, daß die Chance für eine Einigung besteht.
Es gab in der Diskussion Abschnitte, in denen von Teilen der Sozialpartner selbst die Gespräche als aussichtslos eingestuft wurden. Daß wir nicht nur ein Gespräch geführt haben, sondern heute ein weiteres folgen lassen, bezeichne ich bereits als Überwindung der Gesprächsblockade, und das halte ich für positiv.
— Wenn Sie mich eines noch hinzufügen lassen: Ich glaube im übrigen, daß das Gespräch auch deutlich gemacht hat, daß es nicht darum geht, daß die Gewerkschaften für jeden Fall Leistungen erwarten und daß die Arbeitgeber für jeden Fall Leistungen verweigert sehen wollen. Das ist ein Widerspruch zu mancher öffentlichen Darstellung, und ich glaube, daß diese Differenzierung im Blick auf die Sachentscheidung bereits geholfen hat.
Um es zu wiederholen: Auch die Gewerkschaften verlangen nicht für jeden Tatbestand der mittelbaren Betroffenheit Leistungen, und auch die Arbeitgeber verweigern nicht für jeden Tatbestand der mittelbaren Betroffenheit Leistungen. Bereits diese Differenzierung steht im Widerspruch zu einer Schwarzweißdarstellung, wie sie auf öffentlichen Protestkundgebungen geboten wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paterna.
Herr Minister, da Sie uns hier zu erklären versuchen, daß alles das, was Sie in dieser Fragestunde tun oder unterlassen, dem Ziel dient, die Verhandlungen möglichst zu einem positiven Ergebnis zu führen — so habe ich Sie sicher richtig verstanden —, frage ich Sie: Können Sie uns dann bitte erklären, warum es der Konsensbildung förderlich ist, wenn Sie hier eine Antwort auf die Frage verweigern, ob es eine Koalitionsabsprache darüber gibt, für den Fall, daß die Gespräche scheitern, gesetzgeberisch tätig zu werden? Diese Frage
ist hier gestellt, von Ihnen aber nicht beantwortet worden.
Dr. Blüm, Bundesminister: Halten Sie es im Sinne einer Konsensbildung für hilfreich, ein Scheitern vorwegzunehmen, um die Gesprächspartner sozusagen unter einen Druck zu setzen,
der mit Sicherheit bei der Konsensbildung nicht hilfreich ist?
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jagoda.
Herr Minister, teilen Sie meine Auffassung, daß die Diskussion heute im Deutschen Bundestag den Gesprächen nicht besonders förderlich ist?
Dr. Blüm, Bundesminister: Ich möchte mich in der Bewertung zurückhalten, zumal das Recht, Dringlichkeitsfragen zu stellen, ein elementares parlamentarisches Recht ist. Ich überlasse die Bewertung der Öffentlichkeit.
Herr Abgeordneter Bernrath, noch eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Minister, würden Sie mit mir nicht darin übereinstimmen, daß es der Konsensbildung förderlich wäre, wenn die Regierung erklärte, daß es eine Koalitionsabsprache im Sinne unserer Fragen nicht gibt?
Dr. Blüm, Bundesminister: Ich wiederhole mich und sage, daß jede Vorwegnahme positiver oder negativer Entscheidungen
bei einer Konsensbildung nicht hilfreich ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Penner.
Herr Minister, sind Sie denn selbst an einer solchen Koalitionsabsprache beteiligt gewesen?
Dr. Blüm, Bundesminister: Ich bin daran beteiligt, alle Mittel dafür einzusetzen, daß der Konsens gefunden wird.
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Meine Damen und Herren, zu dieser Dringlichkeitsfrage liegen keine weiteren Zusatzfragen vor.
Wir bleiben beim Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Frage 61 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Stiegler, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit ist dieser Geschäftsbereich vorerst erledigt; vielen Dank.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 1 des Herrn Abgeordneten Kuhlwein auf:
Welche Initiativen hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Ministerpräsidentenkonferenz vom 28. November 1985 eingeleitet, um die Empfehlung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung zum Thema Lehrereinstellung/Lehrerarbeitslosigkeit vom September dieses Jahres umzusetzen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Frau Präsident! Herr Kollege Kuhlwein, die Empfehlungen der BundLänder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung vom 27. September 1985 zum Thema „Lehrereinstellung und Lehrerarbeitslosigkeit" wurden gemäß Art. 9 des BLK-Abkommens den Regierungschefs von Bund und Ländern mit der Bitte um Beratung und Beschlußfassung vorgelegt. Unmittelbar nach Verabschiedung dieser Empfehlungen hat Frau Bundesminister Dr. Wilms den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft des Deutschen Bundestages unterrichtet.
Die Maßnahmen zur Einstellung von Lehrern und zum Abbau von Lehrerarbeitslosigkeit sind in erster Linie Sache der Länder. Das mag mit ein Grund dafür gewesen sein, daß die Anregung des Chefs des Bundeskanzleramtes, die BLK-Empfehlungen in der gemeinsamen Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder zu besprechen, von Länderseite nicht aufgegriffen wurde.
Die Bundesregierung begrüßt es, daß sich die Regierungschefs der Länder den Empfehlungen der BLK insoweit angeschlossen haben, als sie unter Berücksichtigung der in den Ländern unterschiedlichen pädagogischen Erfordernisse und finanziellen Gegebenheiten auch weiterhin Lehrer auf frei werdenden Stellen einstellen werden. Dies entspricht im Grundsatz dem von der Bundesregierung nachdrücklich befürworteten Einstellungskorridor für junge Lehrer.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, nachdem Ihr beamteter Kollege Herr Piazolo gegenüber dem
Bundestagsausschuß erklärt hat, die Empfehlung der BLK richte sich nicht nur an die Ministerpräsidenten, sondern auch an den Bundeskanzler, und auch die Bundesregierung habe eine Möglichkeit des Agierens, frage ich Sie, ist von dieser Möglichkeit des Agierens, d. h. der Umsetzung der BLK-Empfehlung in politisches Handeln der Bundesregierung gegenüber den Ländern, in der vergangenen Woche Gebrauch gemacht worden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kuhlwein, im Rahmen der Bund-Länder-Kommission selbstverständlich. Im übrigen, soweit es sich um gesetzgeberische Maßnahmen handelt, wird man das am besten bei der Frage 2, die von Ihnen gestellt worden ist, erörtern können.
Eine Zusatzfrage zur Frage 1.
Herr Staatssekretär, Sie haben an meiner Frage vorbei argumentiert, ich stelle noch einmal die Frage: trifft es zu, daß entgegen der Ankündigung von Herrn Piazolo die Frage der Lehrerbeschäftigung nicht Gegenstand der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten in der vergangenen Woche gewesen ist, oder hat der Bundeskanzler auch außerhalb der Tagesordnung dieses Thema angesprochen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kuhlwein, diese Frage habe ich beantwortet.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Vogelsang.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung den einstimmigen Beschluß des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu diesem Thema?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Vogelsang, Frau Bundesminister Dr. Wilms hat schon im Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft zum Ausdruck gebracht, daß wir die Tendenz dieses Beschlusses für richtig halten und auch entsprechend unterstützen.
Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Kuhlwein auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die den Bundesgesetzgeber betreffenden Vorschläge der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung zum Thema Lehrereinstellung/Lehrerarbeitslosigkeit vom September dieses Jahres unverzüglich zu prüfen und dem Deutschen Bundestag entsprechende Vorschläge zu machen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Soweit durch die Bund-Länder-Kommission gesetzgeberische Maßnahmen wie die nochmalige Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes zur Prüfung vorgeschlagen werden, wird die Bundesregierung zunächst die Erfahrungen mit der letzten Novelle abwarten und dem Deutschen Bundestag Mitte 1986 einen Bericht vorlegen.
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Parl. Staatssekretär Pfeifer
Die Bund-Länder-Kommission hat ferner die Förderung und Ausweitung von Umschulungsmaßnahmen vorgeschlagen. Die Regierungschefs der Länder haben sich am 28. November 1985 diesem Vorschlag angeschlossen.
Auch die Bundesregierung unterstützt die für erforderlich gehaltenen Maßnahmen, mit denen die berufliche Umorientierung ausgebildeter Lehrer in Tätigkeiten außerhalb des Schulbereichs gefördert werden soll. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft wird weiterhin die Entwicklung geeigneter Beschäftigungsmöglichkeiten in Zusammenarbeit mit den Ländern und mit der Wirtschaft im Rahmen von Modellversuchen fördern. Derartige Modellversuche werden künftig dadurch erleichtert, daß die Teilnehmer nach Verabschiedung der 7. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz künftig Unterhaltsgeld erhalten können, sofern sie Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung schon vor dem Termin, der durch den Deutschen Bundestag bei der Verabschiedung der Änderung dienstrechtlicher Vorschriften gesetzt worden ist, Mitte nächsten Jahres, auch die Frage prüfen, ob und inwieweit ein Fortbildungsjahr für Lehrer eingeführt werden kann, das zu zusätzlichen Lehrereinstellungen führen könnte?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Soweit es sich um notwendige gesetzgeberische Maßnahmen handelt, wird das in die Prüfung einbezogen werden müssen. Das ist die Empfehlung, die die BLK gegeben hat. Soweit es sich hier um Maßnahmen der Länder handelt, muß die Prüfung durch die Länder erfolgen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wann ist damit zu rechnen, daß die Bundesregierung im Bereich der Bundeszuständigkeiten, nämlich Beamten- und Besoldungsrecht, konkrete Aussagen macht, welchen Handlungsbedarf und welche Handlungsmöglichkeiten sie sieht, um den BLK-Empfehlungen zu folgen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kuhlwein, wir werden folgendermaßen vorgehen: Wir wollen erstens die Erfahrungen auswerten, die wir mit der letzten Novelle gemacht haben. Wir werden dann zweitens dem Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft beziehungsweise dem Deutschen Bundestag einen Bericht vorlegen. Danach wird es möglich sein, zu entscheiden, welche gesetzgeberischen Maßnahmen gegebenenfalls in Betracht zu ziehen sind; denn es darf nicht übersehen werden, daß wir mit der letzten Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes eine ganze Reihe von zusätzlichen Möglichkeiten geschaffen haben, die sich auch positiv auf die Beschäftigung von Lehrern auswirken können.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Frage 3 des Abgeordneten Stiegler wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rawe steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Frage 4 der Frau Abgeordneten Dann:
Verstoßen nach Auffassung der Bundesregierung Postwurfsendungen ausländerfeindlichen bzw. rassistischen Inhalts gegen „das öffentliche Wohl oder die Sittlichkeit", wie es in § 13 Abs. 1 Ziffer 2 der Postordnung heißt, und wenn nein, warum nicht?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, wenn die Frau Kollegin Dann einverstanden ist, würde ich gerne beide Fragen gemeinsam beantworten.
Sie haben dann vier Zusatzfragen.
Gut, okay.
Dann rufe ich auch Frage 5 der Abgeordneten Frau Dann auf:
Hat nach Auffassung der Bundesregierung eine Briefzustellerin das Recht, die Verteilung einer Postwurfsendung ausländerfeindlichen Inhalts zu verweigern, wenn er/sie die Verteilung nicht mit seinem/ihrem Gewissen vereinbaren kann, und wenn nein, warum nicht?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Dann, Ausschlußtatbestände des § 13 der Postordnung, mit denen in das Grundrecht der freien Meinungsäußerung eingegriffen wird, müssen nach der für jedermann verbindlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung im Lichte dieses Grundrechtes ausgelegt werden. Sendungen, die weder Strafgesetze verletzen noch die Menschenwürde tangieren, können daher regelmäßig nicht unter Berufung auf das öffentliche Wohl von der Beförderung ausgeschlossen werden, da die Meinungsfreiheit hier das höherrangige Rechtsgut bildet.
Ein Beamter oder eine Beamtin im Zustelldienst kann die dienstliche Weisung zur Zustellung einer Postwurfsendung nach Anrufung von Vorgesetzten ablehnen, wenn das aufgetragene Verhalten strafbar ist oder die Würde des Menschen verletzt.
Die Deutsche Bundespost hat im übrigen ihren Beschäftigten kein Verhalten aufgetragen, dessen Ablehnung in Frage zu stellen war.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dann.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in der 116. Sitzung der 9. Wahlperiode vom Postministerium auf die Frage des Abgeordneten Thüsing eine absolut entgegengesetzte Position
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985 13673
Frau Dann
vertreten wurde? Dort mußte ein Plakataushang abgelehnt werden, da — ich zitiere —:
bei einem Aushang des Plakats bei den Postämtern und Poststellen die Gefahr besteht, daß die Deutsche Bundespost ungewollt in die aktuelle öffentliche Diskussion um den Problemkreis „Integration ausländischer Arbeitnehmer — Ausländerfeindlichkeit"
hineingezogen worden wäre.
Frau Kollegin, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche. Wir sprechen von Postwurfsendungen, Sie sprechen jetzt von einem Plakat. Ich glaube, das ist ein großer Unterschied, oder?
Der Inhalt ist aber der gleiche.
Aber es sind doch zwei vollkommen verschiedene Tatbestände.
Es trifft nicht die Frage, die Sie hier gestellt haben. Insofern kann ich sie nicht zulassen. Das ist ein prinzipieller Unterschied. Ich bitte, die nächste Frage zu Ihren Fragen zu stellen.
Ja, gut. Die anderen Zusatzfragen sind eigentlich von Herrn Rawe schon beantwortet worden.
Vielen Dank. — Gibt es Zusatzfragen dazu? — Das ist nicht der Fall.
Ich rufe Frage 6 des Abgeordneten Bernrath auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Einlassung des Sachverständigenrates in seinem jüngsten Jahresgutachten, die Deutsche Bundespost stoße angesichts der Weiterentwicklung der Übermittlungstechnik „an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, so daß eine weitergehende Marktöffnung unausweichlich ist", und es sei deshalb die „Zulassung von Parallelnetzen zu erleichtern"?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, hier gilt das gleiche. Ich hoffe, daß auch der Kollege Bernrath einverstanden ist, wenn ich zusammenhängend antworte.
Ich würde gerne getrennte Beantwortung haben.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Sehr gern.
Herr Kollege Bernrath, die Bundesregierung teilt grundsätzlich das Urteil des Sachverständigenrates über die Rolle des dynamischen Wettbewerbs als Lebenselixier in unserer Wirtschaft. Dennoch meinen wir, daß die Grenzen der technischen Möglichkeiten unseres Telekommunikationssystems bei weitem nicht ausgeschöpft sind. Wie Sie wissen, gibt es heute in aller Welt eine lebhafte Diskussion über Fragen der Netzträgerschaft. Kenner der technischen Systeme und der angebotenen Dienste im In- und Ausland bestätigen aber gerade jetzt an der Schwelle zu umwälzenden Neuerungen die Spitzenstellung der Deutschen Bundespost und der deutschen Fernmeldeindustrie. Dies ist, so meine ich, nicht zuletzt auf die einheitliche Netzträgerschaft in der Bundesrepublik Deutschland zurückzuführen. Wie Sie wissen, hat der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen ein Konzept zur Weiterentwicklung dieser unserer Fernmeldeinfrastruktur und für den Ausbau eines dienstintegrierten Netzes ISDN vorgelegt. Ein derart komplexes System verbietet ineffiziente Doppelinvestitionen in Form von Parallelnetzen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bernrath.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie mit mir darin übereinstimmen, daß die von den Gutachtern gewünschte Qualität des Wettbewerbs im Netz auch dadurch erreicht wird, daß die Deutsche Bundespost Netze ständig oder zeitlich begrenzt und mit unterschiedlichem, auch regional unterschiedlichem Umfang und damit bedarfsorientiert bereitstellt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Jedenfalls glaubt die Bundesregierung nicht, daß durch unsere Netzträgerschaft der Wettbewerb beeinträchtigt wird.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bernrath.
Wie könnten Sie sich denn Erleichterungen vorstellen — „erleichtern" ist ja der Terminus, der hier verwendet worden ist —, die bei der Zulassung von Parallelnetzen wirksam würden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bernrath, die Frage ist zu komplex, und ich möchte auch der Aufgabe nicht vorgreifen, die der Regierungskommission, wie Sie wissen, gestellt worden ist, auch darüber nachzudenken. Ich bitte deswegen um Nachsicht, daß ich diese Frage jetzt nicht beantworten möchte.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paterna.
Herr Staatssekretär, ich darf noch einmal aus der Frage zitieren, in der es heißt, daß die Bundespost „an die Grenzen ihrer Möglichkeiten" gestoßen sei, „so daß eine weitergehende Marktöffnung unausweichlich ist". Können Sie uns bitte sagen, wo im investiven Bereich, also etwa beim Netzausbau oder beim Angebot neuer Dienste, Grenzen der Bundespost erreicht sind, die eine solche Konsequenz, wie sie hier als unausweichlich dargestellt wird, notwendig machen? Oder gibt es an keinem Punkt diese Grenzen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, es gibt ein Gesetz für Wirtschaft und Wachstum in diesem Lande, und nach § 2 dieses Gesetzes hat eigentlich die Bundesregierung Ende Januar ihren Bericht zu diesem Sachverständigengutachten vorzulegen. Ich bitte um Nachsicht, daß ich eine Antwort auf eine solche Einzelfrage hier nicht geben
13674 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985
Parl. Staatssekretär Rawe
möchte, bevor nicht der Gesamtbericht der Bundesregierung vorliegt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, ist die Bemerkung der Sachverständigen über die Grenzen der Möglichkeiten der Post eigentlich so neu, wenn man bedenkt, daß die seinerzeit von der SPD geführte Bundesregierung eine Monopolkommission berief, die ihrerseits 1981 in bezug auf die Breitbandverkabelung feststellte, inwieweit bei der Verkabelung private Initiativen Berücksichtigung finden könnten, müsse untersucht werden, und finden Sie es nicht seltsam, daß damals diese Bundesregierung dazu leider nichts veranlaßt hat, während die gleiche politische Kraft das zumindest heute von Ihnen sehr viel schneller erwartet?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich will die Bewertung der damaligen Bundesregierung hier nicht der Kritik unterziehen. Sie war in der Tat unterschiedlich zu der der heutigen Bundesregierung.
Ich rufe Frage 7 des Abgeordneten Bernrath auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Empfehlung, die „Bundespost als Unternehmen vom Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen" zu trennen, das „Zentralamt für Zulassungen im Fernmeldewesen und das Fernmeldetechnische Zentralamt" zu verselbständigen und bei der Zulassung weiterer Netzgesellschaften „den Fernmeldebereich der Deutschen Bundespost von der gelben Post zu trennen"?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bernrath, die Bundespost ist nach Art. 87 Abs. 1 des Grundgesetzes und nach § 1 des Postverwaltungsgesetzes in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau zu führen. Ob in diesem verfassungsrechtlich abgesteckten Rahmen neue Strukturen für Hoheits- und für Unternehmensaufgaben der Deutschen Bundespost gefunden werden können, wird derzeit von der Regierungskommission Fernmeldewesen geprüft. Ich möchte auch in diesem Fall dem Ergebnis der Regierungskommission nicht vorgreifen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bernrath.
Herr Staatssekretär, zunächst habe ich die Frage, ob Sie in Verbindung mit Ihrer Antwort auf die erste Frage, die ich gestellt habe, nicht einen Widerspruch im Gutachten dahingehend sehen, daß die Gutachter einerseits anregen, zu trennen und zu verselbständigen — im Sinne dieser Frage —, andererseits aber sagen, daß der hohe Leistungsstand der Post eben darauf zurückzuführen ist, daß sie diese Funktionen, insbesondere bei der Zulassung und im Netz, wahrnimmt.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie das als meine Meinung daraus entnehmen wollen, dann können Sie das tun, Herr Kollege Bernrath.
Vizepräsident Frau Renger: Zweite Frage.
Auch meine zweite Frage bezieht sich auf Ihre Antwort: Sind Sie bereit, zu wiederholen, daß die Bundespost den sich auch im Postverwaltungsgesetz widerspiegelnden Verfassungsgrundsatz der Zugehörigkeit des Post- und Fernmeldewesens zu einem Ressort und den in diesem Zusammenhang auch bewährten betrieblichen Verbund des Post- und Fernmeldewesens — mit der Folge der Gemeinwirtschaftlichkeit und der Globaldeckung — einzuhalten gedenkt, und die Garantie somit zu erneuern?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, Herr Kollege Bernrath, ob ich hier eine Garantie erneuern muß, aber Sie kennen die mehrfachen Äußerungen des hierfür zuständigen Bundespostministers, daß er eine einheitliche Führung dieses Unternehmens nach wie vor für erforderlich hält.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paterna.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie hier heute zu einzelnen Kritikpunkten und einzelnen Vorschlägen nicht Stellung nehmen möchten, will ich Sie gerne fragen, woher nach Ihrer Kenntnis der Sachverständigenrat seine Kenntnisse für diese Aussagen bezogen hat, oder um ganz konkret zu fragen: Ist Herr Professor Witte, ist das Wirtschaftsministerium, oder ist das Postministerium vor Erstellung des Gutachtens in irgendeiner Form durch sachliche Zuarbeit tätig gewesen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, ich möchte ungern eine Wertung vornehmen, aber ich darf Ihnen dies sagen: Ich weiß zwar nicht, wo die Sachverständigen ihren Rat suchen, jedenfalls haben sie ihn nicht bei unserem Hause eingeholt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, wäre es denkbar, daß die Sachverständigen in der Fragestellung, die an sie herangetragen wurde, auf eine nun mehr als 30 Jahre währende Diskussion zurückgreifen und in dieser Fragestellung möglicherweise besonders durch die Tatsache angeregt wurden, daß die seinerzeit SPD-geführte Bundesregierung bereits mit Datum vom 20. August 1970, also kurz nach der Regierungsübernahme, eine Gesetzesvorlage zur Umwandlung der Deutschen Bundespost vorgelegt hat, die fünf Jahre später Gott sei Dank eine Beerdigung erster Klasse erfuhr?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, mir ist selbstverständlich bekannt — —
Aber, Herr Kollege, Sie werden dem Herrn Staatssekretär hier doch keine Ratschläge erteilen!
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfeffermann, ich habe die beiden Namen verwechselt. Ich bitte natürlich sehr um Nachsicht, aber da Sie beide in der Frage ja so engagiert sind, kann das sicherlich sehr schnell passieren. — Ich wollte Ihnen antworten, daß die gegenwärtige Bundesregierung die Überlegungen ihrer Amtsvorgänger natürlich sehr wohl kennt, aber ich möchte sehr eindeutig erklären, daß sich die gegenwärtige Unternehmensleitung mit den damaligen Plänen keinesfalls identifiziert.
Ich rufe Frage 8 des Herrn Abgeordneten Paterna auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Kritik des Sachverständigenrates in seinem jüngsten Jahresgutachten an der Deutschen Bundespost , die etwa in den Feststellungen gipfelt, sie sei „immer weniger in der Lage, die Vielfalt der technischen Möglichkeiten in ein marktgängiges Angebot umzusetzen", sie schreite „am Markt nur langsam voran", sie „verlangsamt nicht nur die Entwicklung und Verbreitung neuer Dienste, sondern unterdrückt beim Netz und bei den Endgeräten Entwicklung und Erprobung von Alternativen am Markt"?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, darf ich denn bei Ihnen voraussetzen, daß ich die beiden von Ihnen eingereichten Fragen einmal im Zusammenhang beantworten darf?
— Vielen Dank.
Dann rufe ich auch Frage 9 des Herrn Abgeordneten Paterna auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die vom Sachverständigenrat zitierten Erfahrungen über durchgreifende Neuregulierungen in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten von Amerika vor, und wie beurteilt die Bundesregierung diese Erfahrungen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich müßte zunächst eigentlich wieder einmal auf § 2 des vorhin schon angeführten Gesetzes hinweisen, ich möchte aber trotzdem im Hinblick auf einige Punkte, die Sie in Ihrer Frage ansprechen, schon jetzt in aller Deutlichkeit sagen, daß wir der Auffassung sind, daß die Deutsche Bundespost im Gegenteil im internationalen Vergleich eine technologische Spitzenstellung einnimmt. Sie hat in den vergangenen Jahren sowohl im nationalen Bereich als auch in internationalen Gremien ganz entscheidende Impulse und Weichenstellungen für die Einführung und Standardisierung neuer Fernmeldedienste gegeben.
Eine umfassende Beurteilung der Auswirkungen der durchgreifenden Neuregelung in den genannten beiden Ländern hält die Bundesregierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt für verfrüht. Die durchgreifenden Änderungen im Fernmeldewesen der USA wurden erst Anfang des Jahres 1984 und in Großbritannien Anfang dieses Jahres durchgeführt. Wegen der grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Beurteilung anderer Fernmeldesysteme hat die Deutsche Bundespost aber Mitte dieses Jahres in den USA eine Studie in Auftrag gegeben, die erste Auswirkungen der Neuregelungen vor allen Dingen auf private Haushalte und kleine Unternehmen aufzeigen soll. Die Ergebnisse dieser Studie werden uns Anfang des nächsten Jahres zur Verfügung stehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paterna.
Herr Staatssekretär, indem ich mich für die Erkenntnisquellen des Sachverständigenrates interessiere, möchte ich gern wissen: Gibt es in Ihrem Hause Erkenntnisse darüber, daß Herr Professor Witte um Informationen gebeten worden ist, und wenn j a, welche Stellungnahme hat er gegenüber dem Sachverständigenrat abgegeben?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich denke, ich habe das vorhin schon genügend klargemacht: Uns liegen keine Erkenntnisse darüber vor.
Zweite Frage.
Darf ich dann auf diesem Wege die Anregung geben, meiner Frage noch einmal nachzugehen und mich dann gegebenenfalls von dem Ergebnis schriftlich zu unterrichten?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Aber, Herr Kollege Paterna, bei der liebenswürdigen Art, mit der wir uns hier begegnen, ist das selbstverständlich. Ich sage das zu.
Dritte Zusatzfrage.
Darf ich Sie dann weiter fragen, Herr Staatssekretär, warum der Minister im Rahmen der Haushaltsdebatte nicht Gelegenheit genommen hat, gerade in den Punkten, in denen wir mit ihm übereinstimmen, etwa Festhalten am ausschließlichen Netzmonopol der Post, Einheit von Post und Fernmeldewesen, und in den Punkten, in denen der Sachverständigenrat ganz offensichtlichen Falschinformationen aufgesessen ist, Informationen, die sachlich wirklich unrichtig sind, vor dem Parlament Klarstellungen vorzunehmen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, ich verstehe Ihr dringendes Interesse. Aber Sie waren selber bei der Haushaltsdebatte dabei und haben gesehen, wie wenig Zeit zur Verfügung war. Da muß man natürlich zunächst auf die Fragen, die die Kollegen selber gestellt haben, eingehen. Das hat der Minister, meine ich, in der kurzen Redezeit, die ihm zur Verfügung stand, getan.
Im übrigen haben Sie das Vergnügen, die Presseerklärung nachlesen zu können, die er gestern im Anschluß an die Vorstellung der TKO gegeben hat. Da finden Sie alles das bestätigt, was Sie hier erfragt haben.
13676 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985
Letzte Zusatzfrage.
Da mir dieses Vergnügen noch bevorsteht, möchte ich jetzt nur noch zu einem Punkte fragen, der im Sachverständigenratsgutachten eine Rolle spielt und bei dem auch immer wieder auf die USA verwiesen wird: Gibt es in Ihrem Hause — es wird darauf hingewiesen, daß die Gebührenstruktur, das Verhältnis von Ferntarifen zu Nahtarifen, nicht kostenorientiert sei — Überlegungen, an dieser Gebührenstruktur etwas zu verändern, und wenn ja, in welcher Richtung?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Wir werden die Frage der Gebühren ständig einer Prüfung unterziehen müssen. Sie wissen, daß wir das jüngst in dem Ausschuß, in dem Sie mitwirken, getan haben. Wir haben dort sehr deutlich gesagt, daß in der Tat eine gewisse Verzerrung in den gegenwärtigen Gebührenstrukturen vorliege und daß wir sie kostenorientiert weiterentwickeln wollten.
Zusatzfrage, der Herr Kollege Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, könnte es sein, daß bei Vorlage des Sachverständigengutachtens diese Gruppe zu dieser Ihrer Haltung gegenüber der Post möglicherweise dadurch veranlaßt worden ist, daß sie einen erheblichen Gegensatz gesehen hat zwischen der Art, wie heute einige anstehende Probleme gehandhabt werden, und den Zeitverzögerungen bei politischen Entscheidungen, in den Zeiten der vergangenen Bundesregierung, z. B. beim EWS, beim Autotelefon, beim schnurlosen Telefon oder bei der Breitbandverkabelung, Verzögerungen, die fälschlicherweise jetzt der Deutschen Bundespost angelastet wird, anstatt daß der Sachverständigenrat ihre tatsächliche politische Verursachung untersucht hat?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Wenn es um die Frage der Veranlassung, von Schuldzuweisungen, geht, Herr Kollege Pfeffermann, kann ich Ihnen sicherlich kaum widersprechen. Nur, woher die Herren ihre Informationen genommen haben — das habe ich vorher deutlich gemacht —, ist mir nicht bekannt.
Herr Bernrath zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, müssen wir nicht gemeinsam befürchten, auch nach der aus Ihren Antworten deutlich heraushörbaren Kritik am Gutachten, daß die Oberflächlichkeit der das Post-und Fernmeldewesen betreffenden Einschätzungen und Anregungen Rückschlüsse auf die Qualität des Gutachtens insgesamt zuläßt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich würde diesen vorschnellen Schluß nicht ziehen. Ich würde das Ergebnis der Regierungskommission abwarten. Ich bin sicher, daß dieses Parlament souverän genug ist, zu entscheiden, was aus diesem Unternehmen wird.
Die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten Liedtke werden auf Wunsch des
Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zur Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Jahn zur Verfügung.
Die Fragen 12 und 13 des Herrn Abgeordneten Dr. Rumpf sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Tatge auf:
Inwieweit ist die Bundesregierung über direkte Kostenübernahme bzw. Investitionszuschüsse an der Schaffung eines Zentrums für bildende Kunst in der ehemaligen Blumenhalle in der Stadt Bonn beteiligt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Tatge, nach der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Land Nordrhein-Westfalen und der Stadt Bonn im Hinblick auf die Aufgaben der Stadt Bonn als Bundeshauptstadt vom 18. März 1980 erstattet der Bund nach einem vertraglich festgelegten Prozentsatz bestimmte Aufwendungen der Stadt Bonn. Dazu können im Einvernehmen mit dem Bund auch städtische Aufwendungen für die Förderung der Kunstpflege gehören.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Stadt Bonn beabsichtigt, in der ehemaligen Blumenhalle ein Zentrum für bildende Kunst zu errichten. Das hierfür vertraglich anzustrebende Einvernehmen zwischen Bund und Stadt wird Gegenstand der Dezember-Sitzung des Kuratoriums für Kulturangelegenheiten sein, in dem der Bund, das Land Nordrhein-Westfalen und die Stadt Bonn vertreten sind.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Tatge auf:
Wie erklärt sich die Bundesregierung den Widerspruch, daß zur Planungsvorlage des Zentrums für bildende Kunst in der ehemaligen Blumenhalle folgende Künstler beteiligt waren: Künstlergruppe Bonn e. V., Gedok e. V., Konkret 77/elf, Zet e. V., Klärwerk III, art 7 e. V., jedoch bei der Fertigstellung dieses Projektes alle oben angeführten Gruppen einschließlich des Bundesverbandes bildender Künstler, Bezirk Bonn, beteiligt sind, die Gruppe Klärwerk III aber keine Räume angeboten bekommen hat?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Tatge, die Vergabe von Räumen in der Blumenhalle als Zentrum für die bildende Kunst ist ausschließlich Sache der Stadt Bonn als Träger dieser Einrichtung. Nach Auskunft der Stadt ist vorgesehen, der Künstlergruppe „Klärwerk III" wie auch anderen interessierten Künstlergruppen Räumlichkeiten anzubieten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tatge.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985 13677
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, in dem von Ihnen hier terminierten Gespräch diese Problematik noch einmal anzusprechen und auch in diesem Sinne dafür zu sorgen, daß dies dann auch so realisiert wird, wie Sie es hier gesagt haben?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Tatge, ich habe eben auf die Sitzung des Kuratoriums hingewiesen. Im Kuratorium kann für die Bundesregierung relevant nur die Grundsatzfrage aufgeworfen werden, ob der Bund die Errichtung eines Zentrums für die bildende Kunst billigt oder nicht. Ich kann das Ergebnis der Beratungen hier nicht vorwegnehmen.
Keine Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Ist die Ankündigung von Bundesminister Dr. Schneider zutreffend, die Bundesregierung werde nochmals zusätzliche Mittel für die Städtebauförderung zur Verfügung stellen?
Bitte sehr.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, ich würde gern die beiden Fragen 16 und 17, wenn der Herr Fragesteller einverstanden ist, gemeinsam beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 17 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Wann und mit welchem Umfang soll diese Erhöhung erfolgen'?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, die von Ihnen zitierte Pressemeldung gibt die Haltung von Bundesminister Dr. Schneider zur Frage der Entmischung im Bereich der Städtebauförderung nicht zutreffend wieder. Wie Sie wissen, gehen Bund und Länder davon aus, daß die Mischfinanzierung in der Städtebauförderung ab 1. Januar 1988 entfällt. Das heute vom Bundeskabinett beschlossene Baugesetzbuch trägt dem Wegfall der Mischfinanzierung bereits Rechnung. Die Mischfinanzierungstatbestände des Städtebauförderungsgesetzes sind bei der Übernahme des Gesetzes in das Baugesetzbuch einvernehmlich mit den Ländern ausgegrenzt worden.
Minister Dr. Schneider hat in diesem Zusammenhang festgestellt, daß auch nach 1987 die Städtebauförderung eine Aufgabe der öffentlichen Hand bleiben wird. Die Länder werden im Zuge der Entmischung einen finanziellen Ausgleich erhalten. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Ausgleichsbeträge der Städtebauförderung zugute kommen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, ist der Wortlaut der Äußerungen von Herrn Minister Schneider erhältlich?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, ich habe eben gesagt, daß die Pressemeldung
die Haltung von Bundesminister Dr. Schneider zur Frage der Entmischung nicht zutreffend wiedergibt.
Eine zweite Zusatzfrage.
Das habe ich verstanden, Herr Staatssekretär. Aber das ist eine Behauptung. Möglicherweise hat Herr Minister Schneider seine eigene Auffassung auch nicht zutreffend wiedergegeben und die Presse infolgedessen korrekt berichtet, was er gesagt hat.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, ich gebe noch einmal die Haltung des Bundesministers wieder. Bundesminister Dr. Schneider hat des öfteren darauf hingewiesen, daß auch nach 1987 Städtebauförderung seitens des Bundes rechtlich möglich ist, und zwar auf der Grundlage des Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes in Verbindung mit einer entsprechenden Verwaltungsvereinbarung. Eine Aussage im Sinne einer konkreten Absicht der Bundesregierung war mit diesem Hinweis auf die verfassungsrechtliche Lage nicht verbunden.
Eine dritte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn die Versammlung, in der Herr Schneider gesprochen hat, mehrfach von Mißfallensbekundungen gekennzeichnet war, müssen dann nicht Erörterungen über rein theoretische rechtliche Potentialitäten geradezu mißverständlich erscheinen, weil sie doch zur Besänftigung einer von Mißfallen gekennzeichneten Versammlung von Handwerkern geäußert wurden?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, ich war auf dieser Versammlung selbst nicht anwesend. Demokratie lebt von Zustimmung und Widerspruch. Es ist selbstverständlich, daß in einer Veranstaltung nicht alle Anwesenden die Meinung des Referenten teilen. In bezug auf die Aussagen zur Städtebauförderung hat es meines Wissens keine Kritik gegeben.
Eine vierte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung denn nun vor, weitere Städtebauförderungsmittel zur Verfügung zu stellen, oder nicht?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, Sie wissen, daß sich die Ministerpräsidenten aller Länder, auch der sozialdemokratisch geführten Länder, einvernehmlich — entgegen dem Votum der SPD-Bundestagsfraktion — dafür ausgesprochen haben, die Städtebauförderung mit Wirkung vom 1. Januar 1988 zugunsten der Länder zu entmischen. Ich betone noch einmal: Auch alle sozialdemokratisch regierten Länder haben sich dafür ausgesprochen.
13678 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985
Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
Es war nicht der Bundesbauminister, der diese Diskussion eröffnet hat, sondern es waren die Länder. In einer Abwägung zwischen den Länderinteressen und dem Bundesinteresse hat man einvernehmlich die Regelung gefunden, die Entmischung ab 1. Januar 1988 durchzuführen. Diese Entscheidung wird auch vom Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau mitgetragen.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Probst steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Hettling auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird nicht beantwortet.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Rusche auf:
Trifft es zu, daß das bisherige Forschungsschiff Meteor stillgelegt bzw. verkauft wird und daß das Deutsche Hydrographische Institut nicht mehr der Reeder des ab nächsten Jahres unter diesem Namen fahrenden neuen Schiffes sein wird?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, zu Ihrer Frage 19: Ja, das trifft zu. Der Deutsche Bundestag hat sich mit dieser Frage in seiner 105. Sitzung 29. November 1984 befaßt. Es ist vorgesehen, daß im März 1986 zur Ablieferung gelangende neue Forschungsschiff Meteor durch die RF Reedereigemeinschaft Forschungsschiffahrt GmbH Bremen bereedern zu lassen. Damit soll u. a. ein besonders flexibler und wirtschaftlicher Einsatz des Forschungsschiffes erreicht werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rusche, bitte.
Herr Staatssekretär, ist die Übernahme durch diese neue Reederei einer Privatisierung des Projekt Forschungsschiff Meteor gleichzusetzen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Mit Sicherheit nicht. Der Betrieb, die Bereederung wird privatwirtschaftlich organisiert, weil in den Gutachten, die uns vorliegen, einmal gesagt wird, daß es wesentlich besser und flexibler sei, privatwirtschaftlich bereedern zu lassen. Zweitens ist auf Grund der eingeholten Angebote aber auch zu sagen — das ist alles in den Dokumenten des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages vom letzten Jahr niedergelegt und auch in der genannten Plenardebatte angesprochen worden —, daß damit ein wirtschaftlicher Vorteil verbunden ist.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Gibt es einen Sozialplan für die Belegschaft der alten Meteor?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Der Belegschaft der alten Meteor ist das Angebot gemacht worden, von der Reederei übernommen zu werden. Ob sie das annehmen wird, entzieht sich derzeit meiner Kenntnis.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tatge.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß in den letzten Monaten vor der Stillegung des Forschungsschiffes Meteor mit der Belegschaft nur noch Zeitverträge abgeschlossen wurden?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen das heute nicht bestätigen, kann Ihnen aber diese Frage gern schriftlich beantworten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, Sie haben erklärt, daß es besser sei, das Forschungsschiff Meteor privat bereedern zu lassen. Kann ich daraus schließen, daß dann, wenn der Bund etwas tut, dies qualitativ schlechter ist?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Diesen Beschluß können Sie daraus generell nicht ziehen, Herr Kollege.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogel .
Herr Staatssekretär, die Antwort auf die zweite Frage des Kollegen Rusche kann ich also so deuten, daß alle Mitarbeiter dieses Schiffes Übernahmeverträge angeboten bekommen haben, insofern also Entlassungen weder geplant sind noch stattfinden?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Dem beim Deutschen Hydrographischen Institut beschäftigten Personenkreis, der mit der Bereederung zu tun hat, ist ein Angebot auf Übernahme, wenn das gewünscht wird, gemacht worden. Über die vertragsrechtlichen Dinge vermag ich heute natürlich keine Aussage zu machen.
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Dr. Schroeder auf. — Er ist nicht im Saal. Damit werden diese Frage und auch die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Dr. Schroeder (Freiburg) nicht beantwortet.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 25 der Frau Abgeordneten Hamm-Brücher auf.
Wie beurteilt die Bundesregierung die finanzielle Situation des Deutschen Literatur-Archivs in Marbach angesichts der gewachsenen Aufgaben und Dienstleistungen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985 13679
Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, die Deutsche Schillergesellschaft als Trägerverein des Schiller-Nationalmuseums und des 1955 gegründeten Deutschen Literaturarchivs in Marbach erhält seit 35 Jahren vom Bund und vom Land Baden-Württemberg zur Förderung ihrer Arbeit Zuschüsse, die in diesem Jahr je rund 2,5 Millionen DM betragen. Die Bundesregierung anerkennt mit ihrer Förderung die große Bedeutung, die die Marbacher Institute als Zentrum zur Sammlung und Erschließung der deutschen Literatur von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur unmittelbaren Gegenwart national und international besitzen. Sie hat dies auch mehrfach, zuletzt in einer am 27. September 1985 vom Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Waffenschmidt gehaltenen Rede, öffentlich zum Ausdruck gebracht.
Seit Eröffnung des gleichfalls mit Bundesmitteln nachhaltig geförderten Neubaus für das Deutsche Literaturarchiv im Jahre 1972 sind die Bestände, vor allem Schriftstellernachlässe und andere handschriftliche, Bibliotheks- und Bildsammlungen, in ebenso erfreulichem wie unvorhergesehenem Ausmaß gewachsen. Hierzu trugen auch die aus Sondermitteln des Bundesinnenministeriums wiederholt gegebenen Zuschüsse für den Erwerb besonders wertvoller Handschriften bei.
Die erfolgreiche Arbeit der Marbacher Institute hat zwangsläufig zu räumlichen und personellen Engpässen geführt. Die Baumaßnahmen zur notwendigen Erweiterung des Deutschen Literaturarchivs werden ca. 20 Millionen DM kosten. Hierfür haben der Bund und das Land Baden-Württemberg erste Mittel für 1986 und in der Finanzplanung bereitgestellt. Die Bundesregierung wird außerdem mit Nachdruck bemüht sein — gemeinsam mit Baden-Württemberg —, den allerdringlichsten Bedarf an zusätzlichen Mitarbeiterstellen in den kommenden Jahren schrittweise zu befriedigen.
Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, da ich davon ausgehe, daß Sie die Denkschrift zur Lage des Deutschen Literaturarchivs und des Schiller-Nationalmuseums Marbach am Neckar kennen, möchte ich Sie jetzt gern noch etwas konkreter fragen, und zwar nicht nur danach, wie der Anbau finanziert werden kann, sondern auch danach, wie Sie sich die Überwindung der Mängel hinsichtlich der Überbelegung der Bibliotheken, des Archivs, der Handschriftensammlung — es handelt sich dabei teilweise um sehr kostbare Handschriften aus der deutschen Literatur, aus dem ganzen deutschsprachigen Raum — konkret vorstellen, um zu verhindern, daß dieses Institut seine Aufgaben praktisch nicht mehr wahrnehmen kann.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Mir ist diese Denkschrift, die vor kurzem herausgekommen ist, bekannt. Daß der Innenminister die Situation richtig bewertet, ergibt sich aus der schon von mir zitierten Stellungnahme des Herrn Kollegen Dr. Waffenschmidt vom September.
Es finden — auch in Ausfüllung der Vorschläge oder der Initiativen, die in dieser Denkschrift unterbreitet werden — zur Zeit Gespräche zwischen dem BMI und Baden-Württemberg statt; es ist eine Frage der Finanzierbarkeit. Sie wissen, daß die Konsolidierungspolitik der Bundesrepublik in den letzten Jahren auch in dem Bereich zu Sparmaßnahmen zwang. Aber wir hoffen, daß wir mit den Baden-Württembergern zu Ergebnissen kommen, die die Defizite, die entstanden sind, schrittweise abbauen.
Die zweite Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht vielleicht sinnvoller, wenn das Bundesministerium des Innern sich auch einmal mit den namhaften Verfassern dieser Denkschrift, vor allem mit Herrn Professor Laemmert, in Verbindung setzen würde, weil Ministerien erfahrungsgemäß die Verhältnisse nie so genau kennen wie die unmittelbar Betroffenen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bin gern bereit, die Anregungen weiterzuleiten. Aber die Denkschrift liegt erst seit kurzem vor. Ich bin sicher, daß derartige Überlegungen auch bei den Experten und Beamten unseres Hauses schon angestellt wurden.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte sehr, Herr Kollege Dr. Weng.
Herr Staatssekretär, sind Sie tatsächlich der Auffassung, daß die von Ihnen angedeuteten geplanten Schritte genügen, wenn Sie sich z. B. vor Augen halten, daß die Zahl der Archivbenutzer in Marbach sich seit 1972 verdreifacht hat.
Spranger, Pari. Staatssekretär: Ich darf doch darauf hinweisen, daß allein für Baumaßnahmen in der Planung 20 Millionen veranschlagt sind. Das ist eine ganz beträchtliche Summe. Ich sagte auch, daß darüber hinaus versucht wird, die Mitarbeiterstellen zu vermehren. Daß hier der Finanzminister ein ganz gewichtiges Wort mitzureden hat, ist Ihnen sicher bekannt.
Noch eine Zusatzfrage. Bitte, Herr Abgeordneter Baum.
Herr Kollege Spranger, wann wird mit dem Neubau begonnen? Können Sie das schon sagen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das kann ich nicht sagen, weil hier die Gespräche mit den Baden-Württembergern laufen und Entscheidungen dazu noch nicht getroffen sind.
Ich rufe die Frage 26 der Abgeordneten Frau Hamm-Brücher auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die in der jüngsten Denkschrift des Archivs niedergelegten Besorgnisse über die offenkundigen Engpässe , die zu einer starken Beeinträchtigung seiner Tätigkeit führen?
13680 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat die Besorgnisse, wie sie in der von Ihnen angesprochenen Denkschrift der Deutschen Schil1er-Gesellschaft „Zur Lage des deutschen Literaturarchivs und des Schiller-Nationalmuseums" im einzelnen dargestellt werden, ernst genommen. Sie ist der Überzeugung, daß mit den jetzt gemeinsam mit Baden-Württemberg einzuleitenden Maßnahmen das Literaturarchiv auch in Zukunft erfolgreich wird arbeiten können.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, glauben Sie im Ernst, daß mit den vagen und doch wohl noch weit hinausgeschobenen Maßnahmen, die Sie hier vorgetragen haben, das Ansehen dieser einmaligen Institution und ihr internationaler Rang wirklich gewährleistet werden können?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Vielleicht darf ich noch konkretisieren, daß bereits für den Haushalt 1986 Bauplanungsmittel in Höhe von je 200 000 DM vom Bund und vom Land Baden-Württemberg zur Verfügung gestellt werden und daß wir auch, was die Mitarbeiterstellen anbelangt, im Haushalt 1986 versucht haben, Erweiterungen zu erzielen. Das ist nicht gelungen. Aber wir werden diese Bemühungen natürlich bei den kommenden Haushaltsberatungen fortsetzen.
Eine Zusatzfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, bitte verzeihen Sie mein Insistieren. Der Engpaß besteht ja keineswegs nur im Archivbaubereich, sondern in allen Bereichen der Medien, der Fotokopien, der Nachlaßverwaltung, der Erschließung, der Darstellung und auch der Nutzbarmachung. Man kann doch nun nicht sagen: Wenn wir den Archivbau vorantreiben, lösen sich all die anderen Engpässe in Luft auf.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das ist sicher richtig. Aber es wird eine ganze Reihe von Engpässen mit dieser Baumaßnahme sicher beseitigt werden können. Darüber hinaus habe ich zum Ausdruck gebracht, daß wir bereit sind, die Vorschläge, die in der Studie unterbreitet werden, auch zusammen mit der baden-württembergischen Regierung auf Abhilfemöglichkeiten hin zu überprüfen. Sie können davon ausgehen, daß wir das sehr vordringlich behandeln.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Schreiner auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister des Innern, Spranger, in dessen Antwort auf eine schriftliche Anfrage des Abgeordneten Brück , wonach das „Dogma der Kohlevorrangpolitik" mehr als bisher zu hinterfragen sei'?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die von Ihnen zitierte Beantwortung einer schriftlichen Frage des
Abgeordneten Alwin Brück schließt mit der Bemerkung, daß ich damit meine persönliche Meinung dargelegt habe. Im übrigen wird dort auf die gesamtwirtschaftlichen und energiepolitischen Gründe ebenso wie auf die Umweltschutzargumente hingewiesen, die für die Kernenergie sprechen. Diese sind im einzelnen in meiner Rede ausgeführt, auf die die Frage des Abgeordneten Brück Bezug nimmt. Die Rede ist in der Informationsschrift „Umwelt" Nr. 7/85 des BMI im Wortlaut abgedruckt. Ich kann sie Ihnen gern zur Lektüre übersenden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie meine Frage bislang nicht beantwortet haben, frage ich nochmals, ob diese Auffassung die Auffassung der Bundesregierung ist.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich darf nochmals betonen, daß ich bei allen Antworten mehrfach zum Ausdruck gebracht habe, daß ich meine Meinung artikuliert habe.
Sie haben eine zweite Zusatzfrage.
Ich frage Sie nochmals, ob Ihre Meinung im Widerspruch zu der Meinung der Bundesregierung steht oder ob die Bundesregierung Ihre Meinung teilt und woran die Öffentlichkeit, wenn Sie dort reden, erkennen kann, ob Sie als Privatperson reden oder in Ihrer Funktion als Staatssekretär dieser Bundesregierung.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nachdem ich wiederholt zum Ausdruck gebracht habe, daß das meine persönliche Meinung ist, bestand kein Anlaß, zu diesem Thema die Bundesregierung zu einer Stellungnahme aufzufordern.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wenn Sie reden, sagen Sie: „Ich rede jetzt als Herr Spranger!", oder kann man davon ausgehen, daß Sie, wenn Sie reden, in der Regel als Staatssekretär reden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann doch davon ausgehen, daß die Erklärung, die ich über diese Rede zum Ausdruck gebracht habe, überzeugend ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Staatssekretär, können Sie uns bei dieser Gelegenheit sagen, wel-
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Becker
che Auffassung die Bundesregierung zur Kohlevorrangpolitik hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nachdem ich vom Herrn Kollegen Schreiner gefragt worden bin, wie ich mich zu dieser Auskunft stelle, habe ich die Antwort erteilt. Ich sehe keine Möglichkeit, hier jetzt für die Bundesregierung eine Erklärung abzugeben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, trifft es zu — wenn ich Sie richtig verstanden haben —, daß Sie mit der Politik der Bundesregierung im Energiebereich nicht konform gehen
und dies auch bei öffentlichen Veranstaltungen als Staatssekretär der Bundesregierung verkünden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nein, diese Schlußfolgerung können Sie nicht ziehen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Horn auf:
Trifft ein Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu, der Bundesregierung lägen Erkenntnisse vor, die Internationale Ärztevereinigung zur Verhinderung eines Atomkrieges werde von Moskau aus gesteuert?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Horn, die Ausführungen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 13. November 1985 über die Internationale Ärztevereinigung zur Verhütung eines Atomkrieges — IPPNW — decken sich mit den Erkenntnissen der Bundesregierung. Die IPPNW ist im Vorfeld kommunistischer Frontorganisationen tätig. Rund ein Drittel ihrer bislang bekanntgewordenen Funktionsträger sind zugleich Mitglieder in sowjetisch gesteuerten Frontorganisationen, vor allem des Weltfriedensrates, bzw. in kommunistischen Parteien ihrer Heimatstaaten. Jewgenij Tschasow z. B., der Mitbegründer und Kopräsident der IPPNW, ist Mitglied des Obersten Sowjets und seit 1982 Kandidat der Zentralkomitees der KPdSU. Ohne Zustimmung der sowjetischen Führung dürfte ihm die Mitgründung der Organisation und die Wahrnehmung seiner Funktion kaum möglich gewesen sein. Die von der Ärzteinitiative propagierten Themen und ihre Argumentation liegen auf einer Ebene mit dem Weltfriedensrat und der gleichfalls moskaugesteuerten Weltföderation der Wissenschaftler.
Nach den der Bundesregierung vorliegenden Erkenntnissen wird unter Ausnutzung des hohen moralischen Ansehens der Ärzteschaft mit Hilfe der IPPNW versucht, im Sinne der kommunistischen Bündnisstrategie Einfluß auf die westliche Öffentlichkeit zu gewinnen. Mit der Initiative soll in nichtkommunistischen Personengruppen für die kommunistischen Zielvorstellungen geworben, die Berufspolitik der Ärzteschaft beeinflußt und durch
Darstellung der Atomkriegsfolgen Ängste geschürt und politisch nutzbar gemacht werden.
Die Bundesregierung hofft, daß die Ärzteschaft diese kommunistischen Vereinnahmungsversuche erkennen und ihnen widerstehen wird. Das gilt insbesondere für die deutsche Sektion der IPPNW, die natürlich besonderen Einflußnahmebemühungen der orthodoxen Kommunisten ausgesetzt ist. Bisher gibt es keine Erkenntnisse darüber, daß diese besonderen Einflußnahmebemühungen gegenüber der deutschen Sektion der IPPNW erfolgreich waren.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Horn.
Schönen Dank, Frau Präsidentin.
Wie, Herr Staatssekretär, erklären Sie sich dann den Widerspruch zwischen Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes und Ihrer Stellungnahme, die Sie hier abgeben — das Auswärtige Amt hat auf solche Vorhaltungen hin ganz klar gesagt, für sie lägen keine Erkenntnisse dieser Art vor?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann nur sagen, daß ich hier für die Bundesregierung die Antwort erteilt habe.
Ich weiß nicht, welche Auskünfte das Auswärtige Amt — möglicherweise abweichend — erteilt hat.
Kann ich dann davon ausgehen, daß die Bundesregierung in dieser Hinsicht keine einheitliche Auffassung hat, sondern daß je nach Ministerium eine unterschiedliche Bewertung vorgenommen wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht, daß Sie von dieser Auffassung ausgehen können.
Zusatzfrage, Herr Rusche.
Herr Staatssekretär, teilen Sie mit mir die Auffassung, daß die Internationale Ärztevereinigung zur Verhinderung eines Atomkrieges einen Atomkrieg auf jeden Fall verhindern will, egal auf welcher Seite die Atombomben stehen, und daß die Ärztevereinigung auch die sowjetische Aufrüstung kritisiert hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe nicht irgendwelche Intentionen der Ärzteschaft zu beurteilen, sondern Auskünfte auf eine konkrete Frage zu geben. Ich glaube, daß die Auskunft sehr umfassend ausgefallen ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie Ihre eigene Darstellung als sehr umfas-
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Dr. Klejdzinski
send bezeichnen und gleichzeitig erklären, Sie sprächen für die Bundesregierung, darf ich Sie fragen, ob das Auswärtige Amt oder das Außenministerium auch für die Bundesregierung spricht?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, welche Erklärungen des Auswärtigen Amtes Sie zitieren. Ich kann nur sagen: Die Erklärung, die ich abgegeben habe, ist für die Bundesregierung erfolgt.
Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, können Sie sich im Zeitalter des KSZE-Prozesses und überhaupt nicht vorstellen, daß wissenschaftliche Erkenntnisse und ärztliche Verantwortung hinsichtlich der Folgen eines Atomkrieges tatsächlich über die sonstigen Grenzen unserer Gesellschaftssysteme hinaus gemeinsam vertreten werden können?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann mir das durchaus vorstellen. Das ändert aber nichts an den Fakten, die ich in meiner Antwort mitgeteilt habe.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogel .
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für problematisch, daß der Bundeskanzler die Verleihung des Friedensnobelpreises an den sowjetischen Arzt Tschasow, vermutlich auf Ihren Erkenntnissen basierend, kritisiert hat und daß dies in der Folge dazu geführt hat, daß das Nobelpreiskomitee diese Kritik zurückgewiesen hat und der Direktor des Nobel-Institutes Jakob Sverdrup betonte, Kohl sei der erste Regierungschef, der sich gegen eine Preisvergabe ausspreche, seit 1935 Adolf Hitler die Verleihung an den deutschen Publizisten und Pazifisten Carl von Ossietzky verurteilte?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bitte doch, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich eine konkrete Frage über einen Bericht in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu beantworten habe. Das habe ich getan. Ich habe mich nicht zu Darstellungen zu äußern,
die Sie hier geben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, die Antwort, die Sie Herrn Horn auf seine Frage gegeben haben, ist j a etwas widersprüchlich. Ich darf Sie nochmals fragen: Ist Ihre Antwort mit dem Bundesaußenminister abgestimmt? Falls nicht, muß man doch davon ausgehen, daß der Bundeskanzler in seiner Erklärung und der Generalsekretär der
CDU die Aussagen bezüglich dieser Vereinigung wohl einseitig an die Öffentlichkeit gegeben haben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, Sie können davon ausgehen, daß meine Antwort mit den zuständigen Ressorts der Bundesregierung abgestimmt ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kleinert .
Herr Staatssekretär, da Ihre Antwort allgemeinpolitische Fragen aufgeworfen hat und Sie für die Bundesregierung sprechen, möchte ich Sie fragen: Wie erklärt sich die Bundesregierung denn die Nobelpreisverleihung an eine solche krypto-kommunistische Vereinigung? Welche Auffassung können Sie uns aus Ihrer Sicht der Dinge dazu mitteilen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe keinen Anlaß, hier im Rahmen der gestellten Fragen und ihrer Beantwortung die Entscheidungsmotivationen des entsprechenden Komitees zu analysieren. Daß diese Entscheidung auf Kritik gestoßen ist, ist bekannt und ist j a auch bereits von einem Ihrer Kollegen zitiert worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Emmerlich.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie Ihre Behauptung der angeblichen Steuerung aus Moskau lediglich darauf gestützt haben, daß ein Drittel der Mitglieder dieser Ärztevereinigung bestimmten — von Ihnen so genannten — Vorfeldorganisationen angehört, frage ich Sie: Können Sie mir sagen, ob es darüber hinaus durch die Art der Aktivitäten dieser Ärztevereinigung und durch den Inhalt der Aussagen dieser Ärztevereinigung Hinweise auf eine solche Steuerung gibt, und halten Sie dieses Kriterium nicht für ein wichtigeres und aussagekräftigeres als rein numerische Betrachtungsweisen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Emmerlich, ich habe hier nicht nur diese numerische Analyse angestellt, sondern auch in sehr breitem Umfange die Hinweise geschildert, die ja in der „FAZ" abgedruckt waren. Darüber hinaus habe ich allerdings keine Möglichkeit, öffentlich weitere Fakten zu unterbreiten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tatge.
Herr Staatssekretär Spranger, kann ich Sie in Zukunft in der Öffentlichkeit so interpretieren, daß Sie die deutsche Sektion des Ärztekomitees als kommunistische Frontorganisation und als von Moskau gesteuert bezeichnet haben?
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Spranger, Parl. Staatssekretär: Das ist ausschließlich Ihre Interpretation und zeigt, daß Sie meiner Antwort nicht folgen konnten oder nicht gefolgt sind, denn der letzte Satz besagt eindeutig:
Bisher gibt es keine Erkenntnisse darüber, daß diese besonderen Einflußnahmebemühungen gegenüber der deutschen Sektion der IPPNW erfolgreich waren.
Eine Zusatzfrage, Herr Baum.
Haben wir Sie also dahin gehend richtig verstanden, daß die Demokraten in dieser Organisation nicht moskauhörig sind, und kann man sagen, daß die ganze Organisation irgendwie von Moskau gesteuert ist, wenn Sie gleichzeitig sagen, daß sich die Demokraten, auch die deutschen, einer möglichen Steuerung nicht unterwerfen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Baum, der Begriff der Einflußnahme oder der Steuerung durch bestimmte Extremisten in bestimmten Organisationen ist, glaube ich, im Verfassungsschutzbericht, der Ihnen j a bekannt ist, ausreichend definiert. In diesem Rahmen ist auch diese Organisation einzuordnen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, Sie könnten die Erkenntnisse, die über die in der „Frankfurter Allgemeinen" abgedruckten hinausgehen, nicht öffentlich ausbreiten. Da man daraus schließen muß, daß Ihnen weitere Erkenntnisse vorliegen: Wären Sie bereit, sie dem Innenausschuß vorzutragen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, vielleicht nicht dem Innenausschuß, aber der Parlamentarischen Kontrollkommission.
Ich rufe Frage 29 des Herrn Abgeordneten Stahl auf:
Wie hoch ist das Zuschußvolumen für Investitionen für Lärmschutzmaßnahmen der öffentlichen Hand nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 in der Lärmschutzzone I an Zivil- und Militärflughäfen, und ist eine Erweiterung dieser Maßnahme nicht für den Bereich der Lärmschutzzone II ebenfalls sinnvoll, damit den berechtigten Klagen der Bürger wenigstens ein wenig Rechnung getragen werden kann?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, aus dem Bundeshaushalt sind nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 für bauliche Schallschutzmaßnahmen an Gebäuden in Schutzzone 1 des Lärmschutzbereichs militärischer Flugplätze bisher rund 241 Millionen DM erstattet worden. Erstattungen in Schutzzone 1 von Verkehrsflughäfen sind nicht aus dem Bundeshaushalt geleistet worden, da nach dem Gesetz der freiwillige Flugplatzhalter zahlungspflichtig ist.
Für Erstattungen von baulichen Schallschutzmaßnahmen an militärischen Flugplätzen sind im
Haushaltsplan 1985 DM 5,5 Millionen veranschlagt; in der Finanzplanung für die Jahre 1986 bis 1988 sind insgesamt 8 Millionen DM eingestellt.
Bei Ausdehnung des Erstattungsanspruchs auf die Schutzzone 2 beim Lärmschutzbereich muß mit Kosten von mindestens 2,5 bis 3 Milliarden DM gerechnet werden. Dabei müßten mindestens drei Viertel der aufzubringenden Mittel für Maßnahmen an militärischen Flugplätzen und damit im Bundeshaushalt bereitgestellt werden. Ein so kostenintensives Geschäft ist derzeit nicht realisierbar. Auch die frühere Koalitionsregierung hat eine Novellierung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm nicht vorgelegt. Die Bundesregierung verkennt aber nicht, daß auch in Schutzzone 2 erhebliche Lärmbelästigungen auftreten können und auch auftreten. Sie prüft derzeit, ob hier begrenzte Abhilfe durch weniger kostenintensive Lösungen geschaffen werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, nun ist es j a so, daß auch der Bundeswohnungsbauminister eine ganze Menge an Förderprogrammen laufen hat. Ist es denn nicht möglich, daß die Bundesregierung abgestimmt vorgeht, daß also der Innenminister, in dessen Haushalt Mittel dafür bereitstehen, einmal Kontakt mit dem Wohnungsbauminister aufnimmt, damit tatsächlich Investitionszuschüsse gegeben werden können, um den Ärgernissen abzuhelfen, die für die Bürger in Lärmschutzzone 2 vorhanden sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Solche Kontakte, wie Sie sie empfehlen, fanden und finden statt. Ich sagte schon, daß hier die Prüfung noch läuft, was machbar ist. Daß der finanzielle Rahmen, über 3 Milliarden DM, natürlich nicht ausgeschöpft werden kann, davon müssen wir ausgehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, darf ich nachfragen, wann damit zu rechnen ist, daß diese Überlegungen in Ihrem Hause und die des Wohnungsbauministers so weit gediehen sind, daß für einen beschränkten Teil von Bürgern in Lärmschutzzone 2 derartige Investitionsvergünstigungen gegeben werden können?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, ich gehe davon aus, daß die Prüfung nächstens, auf jeden Fall noch in diesem Jahr abgeschlossen werden kann.
Herr Staatssekretär, die Fragestunde ist damit beendet. Sie wird am Freitag fortgesetzt.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Becker.
13684 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frau Abgeordnete Fuchs hatte heute die Dringliche Frage gestellt:
Beabsichtigt die Bundesregierung, insbesondere auf Grund des Gesprächs zwischen den Vertretern der Bundesregierung und Vertretern von DGB/DAG und BDA vom 2. Dezember 1985, von Vorschlägen zu einer Änderung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes sowie von Änderungen der einschlägigen Verwaltungsanordnungen der Bundesanstalt für Arbeit abzusehen?
Diese Frage ist vom Herrn Bundesarbeitsminister nach unserer Auffassung gar nicht beantwortet worden.
Deswegen beantragt die SPD-Fraktion gemäß Anlage 5 unserer Geschäftsordnung und den Richtlinien für Aussprachen zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse eine Aktuelle Stunde nach I 1 b dieser Richtlinien.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat zu der Antwort der Bundesregierung auf eine Dringlichkeitsfrage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache muß nach Nr. 2 a der Richtlinien unmittelbar nach Schluß der Fragestunde, also jetzt durchgeführt werden.
Wir kommen jetzt also zur
Aktuellen Stunde betr. § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hat die Aktuelle Stunde beantragt, weil sich möglicherweise bereits heute abend entscheidet, ob der soziale Friede in unserem Land gewahrt bleibt oder ob er an einem zentralen Punkt aufs Spiel gesetzt, nein, geradezu aufgekündigt wird.
Bei Ihren Gesprächen, Herr Kollege Blüm, geht es nämlich nicht um die Änderung irgendeines beliebigen Paragraphen, es geht vielmehr darum, daß das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern massiv zuungunsten der Arbeitnehmer verschoben wird.
Denn genau das ist das Ziel derer, die immer ultimativer eine Änderung des geltenden Rechts verlangen.
Das geltende Recht hat sich bewährt. Das geltende Recht hat es den Gewerkschaften ermöglicht, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Es hat bewirkt, daß die Arbeitgeberverbände die Gewerkschaften bei den Tarifverhandlungen ernst nehmen. Es hat bewirkt, daß die Gewerkschaften immer wieder eine gerechte Beteiligung am Sozialprodukt, kürzere Arbeitszeiten und eine Vielzahl sozialer Verbesserungen durchsetzen konnten, und zwar für alle Arbeitnehmer, für die, die keiner Gewerkschaft angehören, ebenso wie für die, die Gewerkschaftsmitglieder sind.
Es geht, meine Damen und Herren, eben nicht um die Interessen einiger Funktionäre, es geht um die Interessen aller Arbeitnehmerinnen und aller Arbeitnehmer. Das ist das Thema.
Sie, die Sie diese Gesetzesänderung fordern, wollen die Arbeitnehmer schwächen. Sie wollen Arbeitnehmern, die an konkreten Arbeitskämpfen überhaupt nicht beteiligt sind, auf Grund von Entscheidungen, die allein die Unternehmensleitungen treffen, in viel weiterem Umfange als bisher den Lohn, das Kurzarbeitergeld und den Versicherungsschutz einschließlich der Krankenversicherung nehmen. Das ist das Ziel Ihrer Aktivität.
Sie erhoffen sich davon, daß sich diese Arbeitnehmer dann aus verständlicher Sorge um ihren Lebensunterhalt gegen gewerkschaftliche Forderungen wenden. Das heißt, Sie wollen die Solidarität der Arbeitnehmer aufbrechen, Sie wollen die Arbeitnehmer spalten. Sie nehmen einmal mehr Partei gegen die Schwächeren in unserem Lande. Das ist der Hintergrund.
Ich frage Sie, Herr Kollege Blüm: Warum tun Sie das eigentlich? Warum rütteln Sie an einem Tarifsystem, um das uns die ganze Welt beneidet? Wem, Herr Kollege Blüm, sind Sie eigentlich diese Beflissenheit in dieser Sache schuldig? Wer fordert diese Beflissenheit ein?
Der § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes, den Sie jetzt ändern wollen, gilt seit 1969. Alle Gerichte haben seine bisherige Auslegung bestätigt. Besonnene warnen Sie, daran etwas zu ändern. Herr Benda, der aus Ihren Reihen hervorgegangene langjährige Präsident des Bundesverfassungsgerichts und andere hohe Richter warnen Sie. Ihr Freund und Förderer Hans Katzer, Herr Kollege Blüm, warnt Sie öffentlich. Abgeordnete aus Ihrer eigenen Fraktion, die Kollegen Müller , Scharrenbroich und Link, erklären öffentlich, sie würden einer solchen Gesetzesänderung nicht zustimmen, sie würden die Zustimmung verweigern.
Ja, sogar Ihr Parteifreund Diepgen, Regierender
Bürgermeister von Berlin, erklärt öffentlich auf Betriebs- und Gewerkschaftsversammlungen, es gebe
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Dr. Vogel
keinerlei Notwendigkeit, § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes zu ändern.
Herr Kollege Blüm, diese Warnungen, den Widerstand der Gewerkschaften, auch unseren Widerstand, den Widerstand aus Ihren eigenen Reihen, können Sie ebensowenig mit ein paar Späßchen beiseite schieben wie Herr Kohl mit seiner oberflächlichen Optimismuskampagne die heute bekanntgewordenen Arbeitslosenzahlen, die erneut einen absoluten Höchststand seit der Währungsreform darstellen.
Herr Kollege Blüm, hier geht es um das Fundament unserer sozialen Ordnung. Deshalb fordere ich Sie als Bundesarbeitsminister ganz persönlich auf: Machen Sie sich nicht länger zum Handlanger derer, die das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen! Nehmen Sie die Androhung der Gesetzesänderung vom Tisch! Wenn Sie aber auf diesem Gebiet weiterhin Wind säen, dann werden Sie Sturm ernten.
Das Wort hat der Abgeordnete Scharrenbroich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen die Aktuelle Stunde, sofern sie der Konsensbildung dient.
Herr Vogel, ich habe den Eindruck, daß es die SPD nicht vertragen kann, wenn das politische Süppchen, das auf diesem Konflikt gekocht werden soll, nicht gar wird.
Ich kann Ihnen sagen, wir werden versuchen, daß diese Aktuelle Stunde eine Hilfe bei der Konsensbildung ist.
Deshalb möchte ich für meine Fraktion noch einmal feststellen: Es gibt Rechtsunsicherheit über die Anwendung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes.
Das ist doch dadurch bewiesen, daß es unterschiedliche Auslegungen durch den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit und durch die Sozialgerichte gibt.
Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!
Wir müssen zweitens feststellen: Durch die neuen Technologien gibt es neue Möglichkeiten des Arbeitskampfes auf seiten der Arbeitnehmer wie auf seiten der Arbeitgeber. Es liegt daher im Interesse der Beitragszahler, auch der Tarifvertragsparteien, daß Klarheit geschaffen wird.
Da Sie anderen so leichtfertig unterstellen, man wolle die Streikfähigkeit mindern,
möchte ich Ihnen einmal sagen, wo Sie früher doch noch sehr viel Kontakte zu den Gewerkschaften hatten: Es ist für eine streik-, arbeitskampfplanende Gewerkschaft geradezu wichtig, daß sie genau weiß, wann gezahlt wird und wann nicht gezahlt wird.
Ich möchte bitten, daß wir wegen der schwierigen Materie die Polemik unterbinden. Wir sollten uns darauf einigen — Herr Vogel, vielleicht können wir uns darauf einigen —, daß es darum geht, „daß das, was im Gesetz steht und ... in den Debatten so gewollt war, in den Kommentaren so zum Ausdruck gebracht worden ist, auch so angewandt und nicht in eine falsche Richtung entwickelt wird". Darauf sollten wir uns einigen. Genau das, was ich gerade gesagt habe, war ein Zitat des FDP-Fraktionsvorsitzenden Mischnick in der Haushaltsdebatte. Ich glaube, das ist eine gute Basis.
Er sagte weiter — ich unterstreiche das —: „Hier geht es weder um eine Benachteiligung der Gewerkschaften noch um eine Bevorzugung der Arbeitgeber." Auch der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Alfred Dregger, hat vor unserer Fraktion mehrmals erklärt: Eine Arbeitgeberlösung scheidet für uns aus.
Helfen Sie bitte mit, daß die Sozialpartner diese Probe bestehen, die jetzt auf sie zukommt. Wenn wir sagen, wir wollen, daß das Anwendung findet, was der Gesetzgeber wollte, dann müssen wir den schriftlichen Bericht des Ausschusses aus dem Jahre 1969, der einmütig verfaßt worden ist, zu Rate ziehen. Da wurde nämlich der Vorschlag der Regierung zurückgewiesen. Der Bundesratsvorschlag wurde einmütig verabschiedet. Dazu heißt es im Bericht: „Dabei wird die Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen nach wie vor allgemein anerkannt ." Es heißt weiter: „Der Ausschuß teilt jedoch nicht die Auffassung der Bundesregierung (also der Großen Koalition), daß die Gewährung von Arbeitslosengeld an Arbeitnehmer, die durch einen Streik, an dem Sie nicht selbst beteiligt sind, arbeitslos geworden sind, im allgemeinen bereits den Arbeitskampf zugunsten der Arbeitnehmer beeinflussen würde und daher als Verletzung der Neutralitätspflicht anzusehen wäre." — Das ist die Basis, auf der wir einen Weg zu finden suchen sollten.
13686 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985
Scharrenbroich
Deswegen steht die Sozialpartnerschaft jetzt vor einer großen Bewährungsprobe. Sie würde sie nicht bestehen, wenn man keine Einigung fände. Aber dazu gehört natürlich auch der Satz — und deswegen ist es keine Keule, wie der Kollege Rappe meinte —: Grundsätzlich besteht natürlich auch die Möglichkeit, daß hier der Gesetzgeber einschreitet.
Meine Damen und Herren, ich mache aber noch einmal deutlich: Es geht nicht darum, die Streikfähigkeit irgendwie einzuschränken. Es geht nicht darum, im Arbeitskampf das Gleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften zu verändern.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Scharrenbroich hat hier von einem politischen Süppchen gesprochen, das an dieser Frage gekocht würde. Herr Scharrenbroich, Ihre politischen Freunde sind es doch, die diese Initiative gestartet haben und die hier an den Kernbestand von Arbeitnehmerrechten heranwollen. Das sind Ihre politischen Freunde, die an dieser Frage ihr politisches Süppchen kochen; das sind die Tatsachen.
Es ist manches schon sehr merkwürdig, was in diesen Tagen abläuft. Da bekennen sich alle möglichen Vertreter der Regierungskoalition treuherzig zum Streikrecht und versichern, niemand wolle dieses verfassungsmäßige Grundrecht in Frage stellen.
Aber was passiert denn in der Praxis? Während Sie das so versichern und es wahrscheinlich heute wieder versichern werden, haben Sie seit Monaten daran gearbeitet, das Streikrecht über die Finanzfrage praktisch auszuhebeln; das haben Sie gemacht.
Ich nenne deshalb das, was Sie hier vortragen, eine Heuchelei, um das hier ganz klar zu sagen.
Um eines auch noch einmal festzustellen: Wenn das Wirklichkeit würde, was im Antrag von Koalitionsabgeordneten seit dem Frühjahr auf dem
Tisch liegt, wenn das Wirklichkeit würde, was die FDP und Herr Bangemann in den letzten Wochen und Monaten immer wieder vorgetragen haben, dann würde sich die soziale Realität der Bundesrepublik grundlegend wandeln. Denn wenn es der Bundesanstalt für Arbeit untersagt würde, Zahlungen an mittelbar vom Streik Betroffene zu leisten, dann stünde das Streikrecht tatsächlich nur noch auf dem Papier. Ich behaupte, Sie wissen das. Ich behaupte weiter, daß manche von Ihnen genau das auch erreichen wollen, meine Damen und Herren.
Wenn sich jetzt möglicherweise abzuzeichnen scheint, daß die ganz harte Lösung nicht durchgezogen werden soll, sondern daß unter dem in diesem Zusammenhang weiß Gott vernebelndem Wort von der Kompromißlösung eine etwas abgeschwächte Form der Neuregelung durchgesetzt werden soll, dann muß auch dazu klipp und klar gesagt werden: Alles, was an sogenannter Kompromißlösung in dieser Frage vorstellbar ist, wird zu Lasten der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften und ihrer Streikfähigkeit gehen, egal, ob eine Neuregelung so aussehen soll, daß nur in branchenfremden Bereichen gezahlt werden darf, oder ob die Gewerkschaften in einem Verhandlungspaket eine Art Verhaltenskodex akzeptieren sollen. Alles, was hier denkbar ist, ist eine erhebliche Verschlechterung der Position der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften. Ich finde, es ist eine erschütternde Tatsache, daß sich die CDU-Sozialausschüsse in dieser Frage von Anfang an lediglich darauf verlegt haben, hier schlimmere Lösungen zu verhindern, die etwas weichere Linie gegen die knallharte Position des Unternehmerflügels bei Ihnen durchzusetzen. Ich finde, das ist eine schlimme Tatsache, und ich finde es erschütternd, welche politische Linie der IG-Metall-Kollege Blüm hier mit durchsetzen will.
Meine Damen und Herren, es stellt sich die Frage, in welchem Zusammenhang diese ganzen Maßnahmen stehen. Dazu sage ich folgendes:
Hintergrund der ganzen Diskussion ist doch nicht die Sorge, daß sich die Arbeitgeberseite in künftigen Streikauseinandersetzungen nicht mehr zur Wehr setzen könnte — das ist angesichts der sozialen Realität in der Bundesrepublik doch ein Aberwitz! —, Hintergrund ist etwas ganz anderes: Nach drei Jahren Kohl-Regierung ist nämlich die Zahl derjenigen angewachsen, die sich von der so- genannten Wende mehr als Umverteilung, als Kürzungsmaßnahmen auf sozialpolitischem Gebiet und eine massive Begünstigung von Wirtschaftsinteressen versprochen hatten.
Jetzt geht es auch darum, in der Gesellschaftspolitik massiv zuzuschlagen. Sie wollen das gesellschaftliche Kräfteverhältnis in der Bundesrepublik zugunsten der Unternehmerseite und der Konservativen verschieben, und Sie wollen alle potentiellen Störenfriede an die Wand drücken. Deshalb
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985 13687
Kleinert
geht es jetzt an den Kernbestand von Arbeitnehmerrechten!
Das hat beim Beschäftigungsförderungsgesetz angefangen; das wird bei den Planungen zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes fortgesetzt. Es findet seinen deutlichsten Ausdruck in der heute diskutierten Frage. Sie nehmen bewußt eine Strategie in Kauf, die zum Ergebnis haben würde, daß die Sozialverfassung der Bundesrepublik auf englische oder amerikanische Vorbilder hinsteuert, meine Damen und Herren. Dagegen ist Widerstand notwendig.
Nicht die Einschränkung gewerkschaftlicher Streikfähigkeit, sondern die Verbesserung von Arbeitnehmerrechten steht auf der Tagesordnung.
Deshalb fordern wir GRÜNE auch an dieser Stelle das gesetzliche Verbot der Aussperrung.
Ich sage zum Schluß: Auf jeden Fall muß eine Verschlechterung durch eine Änderung des § 116 AFG abgewendet werden. Wir GRÜNEN werden uns allen diesen Plänen widersetzen, und wir werden Widerstand und Protest dagegen unterstützen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kleinert, die uns unterstellten Motive sind falsch. Ich kann nur sagen: Irrtum, Euer Ehren! — Niemand kann ernsthaft leugnen, daß im Zusammenhang mit § 116 AFG, nachdem bei den letzten Streiks die Minimax-Methode angewandt worden ist, Handlungsbedarf besteht. § 116 AFG und die entsprechenden Anordnungen der Bundesanstalt sind offensichtlich nicht klar genug gefaßt worden. Insoweit, Kollege Dr. Vogel, hat sich das geltende Recht eben nicht bewährt.
— Die unterschiedlichen Auslegungen, Frau Kollegin Fuchs, sind Ihnen bekannt.
Meine Damen und Herren, wir sind nachhaltig der Meinung, daß die Spielregeln für Arbeitskämpfe und sich aus den Arbeitskämpfen ergebende Folgen im Interesse beider Seiten klar und unmißverständlich geregelt werden müssen.
Verehrte Kollegen, es ist den Tarifvertragsparteien nicht zuzumuten, daß sie im Falle des Streiks oder der Aussperrung nicht genau wissen, in welchem Umfang und an wen Leistungen erbracht werden müssen.
Das ist ein Beitrag zum sozialen Frieden und nicht das Gegenteil, Herr Kollege Vogel.
Wir sind davon ausgegangen, daß das Gesetz und die Anordnungen klar waren. Wir haben uns geirrt.
Der Gesetzgeber ist nunmehr aufgerufen, diese Klarstellung wie auch immer vorzunehmen.
Unsere Positionen, meine Damen und Herren, sind klar. Ich möchte sie stichwortartig wiederholen.
Erstens. Herr Kollege Kleinert, es ist keine Heuchelei, sondern meine ehrliche Überzeugung: Wir wollen nicht an dem Streikrecht und an dem Recht zur Aussperrung irgend etwas ändern.
Alle gegenteiligen Äußerungen sind böswillig.
Zweitens. Wir halten es für unerläßlich, die Neutralität der Bundesanstalt zu gewährleisten. Mit Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern darf weder eine Streikkasse noch ein Solidaritätsfonds der Arbeitgeber finanziert werden. Ich empfehle Ihnen, Herr Kollege Kleinert, gucken Sie mal ins Gesetz, was in § 116 steht; dann würden Sie das erkennen.
Drittens. Wir halten es für unerläßlich, daß der Gesetzgeber seinen Willen in unmißverständlicher Form zum Ausdruck bringt.
Viertens. Wir wünschen, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer die für Streik und Aussperrung festgelegten Spielregeln akzeptieren und respektieren.
So gesehen, verehrte Kollegen von der SPD, fand ich diese Diskussion heute nicht hilfreich. Der sich anbahnende Konsens, die gemeinsame Beurteilung in den Gesprächen kann durch eine solche Debatte gestört werden. Ich meine, daß im Interesse aller diese zunächst durchaus positiv angelaufenen Gespräche gefördert und nicht gestört werden sollten.
Insofern kann ich nur bitten, nicht das zu tun, Kollege Dr. Vogel, was Sie uns unterstellen. Wir wollen keinen Wind säen, ganz im Gegenteil.
13688 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985
Cronenberg
Wer die Situation objektiv beurteilt, der kann damit doch keinen Sturm erzeugen.
Meine Bitte, meine Aufforderung, an Sie ist: Leisten Sie, wo die Gespräche jetzt laufen, einen sinnvollen Beitrag, daß möglichst weitgehender Konsens in diesen Gesprächen erzielt wird. Das ist die beste Voraussetzung, daß beide Seiten die Spielregeln anerkennen können und der Streit, der jetzt vor Gerichten ausgetragen wird, in Zukunft vermieden wird.
Das ist ein unterstützenswertes Anliegen, worum ich auch diese Seite des Hauses sehr ernsthaft bitte.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Scharrenbroich, der nach dieser Rede sicher Ehrenmitglied im Wirtschaftsrat der CDU werden wird,
hat hier auf die ursprüngliche Fassung des Gesetzes hingewiesen.
Herr Kollege Scharrenbroich, es wäre gut gewesen, wenn Sie ein bißchen weiter gelesen, mit Ihrem Zitat nicht so früh aufgehört hätten. In demselben Absatz, den Sie zitiert haben, steht nämlich noch:
Der Ausschuß hat nach eingehender Beratung schließlich eine Lösung gefunden, von der er überzeugt ist, daß sie in einen seiner Ausgewogenheit optimalen Kompromiß zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber darstellt.
Also, wenn das ein optimaler Kompromiß ist: Wo wird jemand so töricht sein, eine optimale Lösung verändern zu wollen?
Herr Kollege Scharrenbroich und Herr Arbeitsminister Blüm: 16 Jahre lang hat diese Lösung gehalten. 16 Jahre lang haben die Bundesanstalt und die Tarifparteien gut damit leben können.
1978 beim Metallarbeiterstreik in Baden-Württemberg hatte Präsident Stingl eindeutig entschieden: In dem Tarifgebiet Baden-Württemberg darf nicht und in den anderen Gebieten müssen Kurzarbeitergeld und Arbeitslosenunterstützung gezahlt werden.
Bei derselben Rechtslage und vergleichbarer Tariflage hat Präsident Franke 1984 anders entschieden. Diese Fehlentscheidung des Präsidenten Franke ist durch Gerichte korrigiert worden. Sie wollen das Gesetz deshalb ändern, weil Herr Franke falsch entschieden hat.
Meine Damen und Herren, daß jetzt Teile der CDU — nach dem Beitrag von Herrn Scharrenbroich kann ich allerdings nicht mehr von Teilen reden, sondern wahrscheinlich ist es die gesamte CDU —
und die FDP die Änderung einer seit 16 Jahren bewährten Regelung anstreben, ist doch nur daraus zu erklären, daß die IG Metall einen Arbeitskonflikt um ein Thema, das der Bundeskanzler für dumm und töricht erklärt hat, gehabt und erfolgreich durchgestanden hat.
Sie hat einen Arbeitskampf geführt, dessen Folgewirkung war, daß mehr als 100 000 Arbeitnehmer eine zusätzliche Beschäftigung gefunden haben.
Und jetzt wollen Sie diese erfolgreiche Arbeitskampfstrategie für die Zukunft unmöglich machen.
Das, meine Damen und Herren, wird Ihnen nicht gelingen.
Ich bitte Sie — nicht Herrn Scharrenbroich, sondern die Kollegen vom CDU-Wirtschaftsrat —, einmal darüber nachzudenken, was geschieht, wenn § 116 AFG so geändert wird, wie es jetzt Ihre Absichten sind, in wie vielen tausend Fällen Sie dann Arbeitsgerichtsprozesse von Arbeitnehmern, die wegen Annahmeverzugs Anspruch auf Lohnzahlung haben, zu gewärtigen haben.
Oder aber — man kann ja bei diesem Arbeitsminister vor nichts sicher sein —:
Gehen Sie schon so weit bei Ihrer Vorliebe für eine Privatisierung der sozialen Risiken, daß Sie in Zukunft die Arbeitnehmer auch für die Lagerhaltung der Unternehmen verantwortlich machen wollen?
Das ist der zweite Schritt, der dem folgen würde, wenn sich Ihre Absichten durchsetzen.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985 13689
Dr. Ehrenberg
Meine Damen und Herren, hier ist der Arbeitsminister gefordert, eine sehr vernünftige, ausgewogene, in der Großen Koalition als optimal angesehene Lösung weiterhin aufrechtzuerhalten.
Herr Bundesminister Blüm, heute und in den nächsten Tagen werden Sie beweisen müssen, ob Sie Bundesminister für oder Bundesminister gegen Arbeit sind. Das steht heute auf dem Prüfstand.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Faltlhauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Vogel hat es für richtig gehalten, zu sagen, daß sich das geltende Recht voll bewährt hat. Herr Vogel: die Feuerprobe von 1984 hat dieses Recht eben nicht bestanden.
Herr Ehrenberg sagte, 16 Jahre sei es wunderbar gegangen. Aber bei einer Überforderung durch eine Minimax-Methode der IG Metall hat dieses Recht eben die Bewährungsprobe nicht mehr bestanden.
Der Arbeitsminister übernimmt heute abend wiederum eine schwere und dankenswerte Aufgabe als Brückenbauer. Er will den sozialen Konsens in dieser Gesellschaft aufrechterhalten und stärken. Sie aber, Herr Vogel und Herr Ehrenberg, haben durch Ihre Reden hier das Brückenbauen an diesem Abend nicht erleichtert.
Sie haben keinerlei Aussagen zur fachlichen Problematik gemacht. Ihr Ziel war es, Gräben zu vertiefen, nicht aber, Gräben zuzuschütten. Sie wollen das Gespräch nicht, und Sie wollen nicht das gute Ergebnis dieses Gesprächs heute abend.
Sie haben sich leider auf die Seite der Falken innerhalb der IG Metall gestellt, nicht auf die Seite derjenigen, auch innerhalb des DGB, die gemeinsam mit dem Bundesarbeitsminister und dem Bundeskanzler eine einvernehmliche Lösung suchen.
Mit derartigen Extrempositionen, Herr Vogel, gehen Sie wieder zurück in die Klassenkampfnische, und aus dieser Nische kommen Sie dann wohl nicht mehr heraus und gewinnen, wie ich meine, auch die Wahlen 1987 nicht.
Die intensiven Bemühungen des Bundesarbeitsministers sind zusätzlich gestört und bedroht durch eine Drohkulisse aus dem DGB.
Der politische Streik ist angedroht und wird geprobt. Die „Süddeutsche Zeitung" schreibt deshalb heute zu Recht — ich zitiere —:
Die politischen Streiks, welche die IG Metall jetzt zu verantworten hat, sind nichts anderes als Nötigungsversuche gegenüber der gewählten Regierung ... In ihrer Kampagne gegen eine Änderung des Arbeitskampfrechts hat die IG Metall jedenfalls ein Ziel schon weit verfehlt: Das Verständnis der Öffentlichkeit für ihre Argumentation konnte sie bisher nicht wecken.
Dieses Verständnis wird nun gesucht durch ein hoffnungsgrün umrandetes Flugblatt, auf dem es heißt:
Auf ein Wort, liebe Mitbürger. Es könnte sein, daß dieses Weihnachtsgeld für viele Jahre Ihr letztes ist.
Ich kann nur sagen: So versucht man, die Arbeitnehmer für dumm zu verkaufen. Das ist gezielte Desinformation und Panikmache.
Diese Bundesregierung hat durch ihre Wirtschaftspolitik erst dafür gesorgt, daß viele Unternehmen wieder Weihnachtsgeld zahlen konnten. Und eine geringe Inflation von 1,8 % sorgt dafür, daß den Bürgern das Geld nicht wieder aus den Taschen gestohlen wird.
Herr Mayr von der IG Metall sagte, daß irgendwelche Reaktionäre das Gesetz ändern wollten.
Will Herr Mayr etwa den ehemaligen Präsidenten
des Bundesarbeitsgerichtes, Herrn Müller, als Reaktionär bezeichnen, wenn er sagt — ich zitiere —:
Um die nach den Entscheidungen der beiden Landessozialgerichte gegenwärtig verstärkt vorliegende und mit einem rechtlich nicht haltbaren Ergebnis gleichsam vorläufig besiegelte Rechtsunsicherheit zu beseitigen, ist festzuhalten, daß der Gesetzgeber unverzüglich § 116 berichtigen muß.
Man muß sich seinen Schlußfolgerungen nicht anschließen, aber man muß gleichzeitig mit ihm sagen: Schnell und deutlich muß eine Klarstellung erfolgen.
Das gilt auch für die Initiative aus den Reihen der Fraktion. Wir wollen keine Änderung des Gesetzes. Wir wollen eine Klarstellung.
Auch wir sind der Auffassung, daß ein absoluter Vorrang der zuständigen Tarifpartner besteht, hier ihrerseits tätig zu werden.
13690 Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985
Dr. Faltlhauser
Auch wir wünschen dem Arbeitsminister für heute abend ausdrücklich Glück.
Wir können den Gewerkschaften nur zurufen: Zieht eure böse Erinnerungen hervorrufenden Mahnwachen vor den Kinderzimmern unserer Abgeordneten ab und intensiviert das Gespräch mit dem Bundesarbeitsminister! Beiden Tarifpartnern können wir nur raten, heute abend einen konstruktiven Beitrag zum inneren Frieden dieses Landes zu leisten.
Vizepräsident.Stücklen: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dreßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Arbeitsminister ist mitverantwortlich dafür, daß es zu dieser Auseinandersetzung um die Haltung des Staates in Tarifauseinandersetzungen gekommen ist. Sie, Herr Blüm, haben im letzten Jahr den bestehenden Konsens über die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit in Arbeitskämpfen aufgekündigt.
Sie haben unsere Warnungen im Jahre 1984 in den Wind geschlagen.
Nun, Herr Blüm, werden Sie die Geister, die Sie gerufen haben, nicht mehr los.
Daran ändert auch Ihre seit langem bekannte Masche nichts, Herr Blüm: andere drei Schritte zurückfordern zu lassen — in diesem Falle Arbeitgeberverbände, FDP und viele ihrer eigenen Fraktion —, dann selbst einen Schritt zurücknehmen zu wollen und das Ganze dann noch als Erfolg zu verkaufen.
Wir stellen erneut fest, daß sich die Bundesregierung gegenüber den Tarifvertragsparteien wieder nicht neutral verhält. Sie redet über eine notwendige Neutralität,
sie will aber die Gewichte in Tarifverhandlungen zugunsten der Arbeitgeberverbände verschieben.
Das ist nicht neu. Das war so bei der Auseinandersetzung um die Arbeitszeitverkürzung. Das war so, als das Beschäftigungsförderungsgesetz verabschiedet wurde. Und das ist so bei Ihren Versuchen, das Betriebsverfassungsgesetz auszuhöhlen.
Sie haben, Herr Kolb, ein gespaltenes Verhältnis zur Tarifautonomie.
Sie reden von Sozialpartnerschaft, schüren aber durch Ihr Handeln die Auseinandersetzung.
Sie tun so, als könne die Neutralität nur durch die Zahlung von Kurzarbeitergeld verletzt werden. Nein, Herr Kolb, auch die Verweigerung von Leistungen an unbeteiligte Arbeitnehmer stellt die Neutralität in Frage.
Hätten die Gerichte, Herr Blüm, Sie und Herrn Franke im letzten Jahr nicht gestoppt,
wären schon damals Hunderttausende unbeteiligter Arbeitnehmer und ihre Familien in die Sozialhilfe getrieben worden. Allein in Bochum, Herr Kolb, wären aus Steuermitteln dieser Stadt rund 18 Millionen DM Sozialhilfe fällig gewesen. Gibt Ihnen das eigentlich nicht zu denken?
Haben Sie jemals zu Ende gedacht,
was Sie mit der Einschränkung der bestehenden Neutralität anrichten? Sie machen nämlich aus der Tariflandschaft einen wahren Flickenteppich.
Leichtfertig setzen Sie den sozialen Frieden und den leichten Anstieg der Beschäftigung aufs Spiel. Ein einziger internationaler Vergleich genügt: Nirgendwo wurde so wenig gestreikt wie bei uns. Das liegt daran, daß wir starke Gewerkschaften haben. Zwischen 1970 und 1982 sind durch Streik pro 1 000 Arbeitnehmer in Italien 1400, in Großbritannien 512, in den USA 443 und in Japan 107 Arbeitstage pro Jahr verlorengegangen. Bei uns waren es ganze 42 Tage, und da machen Sie hier diesen Aufstand. Was wollen Sie eigentlich?
Das ungefähre Gleichgewicht der Kräfte hat es möglich gemacht, daß die Gewerkschaften in der Vergangenheit wichtige Verbesserungen durchsetzen konnten. Ohne Gewerkschaften gäbe es nämlich kein Weihnachtsgeld, ohne Gewerkschaften gäbe es immer noch den minimalen Urlaub von 18 Tagen, wie er im Bundesurlaubsgesetz steht, und ohne den Einsatz der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften für die Arbeitszeitverkürzung im letzten Jahr hätten wir jetzt 100 000 Arbeitsplätze weniger. Die SPD will keine Arbeitnehmerorganisation, die auf Betteln angewiesen ist.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985 13691
Dreßler
Wir wollen starke Gewerkschaften, Herr Scharrenbroich,
die ihren grundgesetzlichen Auftrag wahrnehmen können, nämlich die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu fördern.
Um fünf Tage Aussperrung zu überstehen, meine Damen und Herren, müßte die Industriegewerkschaft Druck und Papier ihre gesamten Überschüsse zehn Jahre lang aufsparen — und dies gegenüber einer Tarifvertragspartei, dem Bundesverband Druck, der in seinem Bereich im Jahr 22 Milliarden DM Umsatz macht, und in einem Industriezweig, in dem allein ein Großkonzern wie Bertelsmann pro Jahr hundertmal so viel Überschüsse macht wie die einzige Gewerkschaft in diesem Bereich.
Einer Ihrer Vorgänger, Herr Blüm, Hans Katzer, hat es auf den Punkt gebracht: Die ganze Welt kann uns darum beneiden, daß wir verantwortungsbewußte Gewerkschaften haben. Wir wollen, daß das auch so bleibt.
Wir fordern jeden einzelnen Abgeordneten der CDU/CSU zu einer ganz persönlichen Entscheidung auf,
nämlich der zwischen Parteigehorsam, Herr Scharrenbroich,
und der Erhaltung des sozialen Rechtsstaats. Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer freien Gesellschaft regeln Gewerkschaften und Arbeitgeber Lohn- und Arbeitsbedingungen auf Grund ihrer Tarifautonomie selbständig.
Diese Errungenschaft steht hier mit keinem Wort, mit keiner Silbe zur Disposition.
Wenn Gewerkschaften und Arbeitgeber Lohn und Arbeitsbedingungen nicht autonom festsetzen, dann müßte der Staat das tun, dann wären wir in der Planwirtschaft. Zur Marktwirtschaft gehört die Tarifautonomie; Soziale Marktwirtschaft und Tarif-
autonomie sind ein Geschwisterpaar. Deshalb können wir, dürfen wir die Diskussion nicht so aufziehen, als sei das Streikrecht oder die Streikfähigkeit hier in Frage gestellt. Das Streikrecht ist ein elementares Freiheitsrecht. Bei uns kann man Gott sei Dank streiken; im Osten wird man zu Maiparaden abkommandiert, oder Arbeitnehmer werden ins Gefängnis geworfen, wenn sie streiken.
Gott sei Dank ist das bei uns nicht so, und dabei soll es auch bleiben: bei diesem Freiheitsrecht für Arbeitnehmer.
— Doch, es ist ganz wichtig, daß ich einige Selbstverständlichkeiten angesichts der Falschmeldungen, angesichts einer Kampagne, in der gegen Buhmänner gekämpft wird, hier klarstelle.
Zu unserer Vorstellung von Tarifautonomie gehört das Gleichgewicht der Kräfte. Wir sind die Bundesregierung, die eine Politik der Mitte vertritt, damit auch eine Politik der Balance.
Wir schlagen uns nicht auf eine Seite,
weder auf die Seite der Arbeitgeber noch auf die der Gewerkschaften. Wir sind für Machtbalance und Gleichgewicht der Kräfte.
— Ich will Ihnen ja gerade erklären, um was es geht, weil ich meine, daß die Diskussion uns sonst aus dem Ruder läuft. Es geht um nichts anderes
als um die Neutralität des Staates, um die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit, um nicht mehr und um nicht weniger.
Sie ist eine unverzichtbare Bedingung des Arbeitskampfes.
Es geht überhaupt nicht — Herr Vogel, gestatten
Sie, daß ich in Ruhe unseren Standpunkt vortrage
— darum, Gewichte zu verschieben. Es geht auch nicht, Herr Kollege Kleinert, um eine harte oder eine weiche Linie. Es geht um Klarstellung, und Klarstellung kann nicht hart oder weich sein.
Klarstellung muß deutlich sein. Darum geht es.
13692 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985
Bundesminister Dr. Blüm
Jetzt will ich mich durch diesen Wust von Verzerrungen und Falschmeldungen durchkämpfen.
Um was geht es? Ganz klar ist: Wer sich am Streik beteiligt, wer an Aussperrungen beteiligt ist, der erhält keine Leistung. Das stellt niemand in Frage. Ebenso klar ist, daß im Kampfgebiet auch an mittelbar Betroffene in der Regel nicht gezahlt wird. Auch das ist klar. Mir scheint sich auch zu verdeutlichen, daß für die mittelbar Betroffenen außerhalb des fachlichen Zuständigkeitsbereichs auch weiter gezahlt werden muß.
Wenn das geklärt werden könnte, wäre das eine sehr wichtige Hilfe für künftige Arbeitskämpfe.
Also konzentriert sich die Diskussion nur auf jenen Bereich von Arbeitnehmern, die nicht am Streik unmittelbar teilnehmen, nicht im Streikgebiet arbeiten, aber in der gleichen Branche beschäftigt sind.
Und jetzt entsteht die Frage: Wenn im Kampfgebiet stellvertretend für andere mitgekämpft wird, also um gleiche Ziele gekämpft wird, so war es der Sinn der bisherigen Neutralitätsanordnung, daß nicht gezahlt wird.
Will das irgend jemand bestreiten? So war das. So gibt es der Gesetzestext her. Ich lese es vor. Lieber Herr Ehrenberg, so haben Sie es gehandhabt. Ich habe es Ihnen vorhin schon gesagt.
— Im Metallarbeiterkampf 1978 unter der Rechtsaufsicht des sozialdemokratischen Arbeitsministers ist im mittelbar betroffenen Gebiet Nord-Württemberg nicht gezahlt worden und im mittelbar betroffenen Gebiet Nordrhein-Westfalen gezahlt worden, und zwar mit der Begründung, daß im einen Fall die Forderungen vergleichbar sind und im anderen nicht.
— Das will ich überhaupt nicht ändern. Lassen Sie mich doch in Ruhe ausreden! Herr Ehrenberg, ich habe 10 Minuten Zeit. Ich werde doch einmal 10 Minuten lang in Ruhe nicht nur Ihnen, sondern der ganzen Öffentlichkeit erklären können, daß Ihre Darstellung eine Falschmeldung war, eine Verdrehung von Tatsachen,
und auch Ihre Darstellung, Herr Vogel, eine Falschmeldung, eine Verdrehung von Tatsachen war. Auch in Zukunft wird in der Regel im allgemeinen an mittelbar betroffene Arbeitnehmer weiterhin Kurzarbeitergeld,
weiterhin Arbeitslosengeld gezahlt.
Wenn im mittelbar betroffenen Gebiet aber gleiche Ziele verfolgt werden, dann ruhen die Ansprüche nach der Neutralitätsanordnung, weil es nicht 1 sein kann und niemand verlangen kann, daß eine Gewerkschaft — ich betone: eine Gewerkschaft — mit zwei Gruppen ein gleiches Ziel verfolgt: mit einer Gruppe, die sie streiken läßt, und mit einer Gruppe, die sich von der Bundesanstalt in Nürnberg bezahlen läßt. So ist der Kompromiß, den Sie als den optimalen, den besten Kompromiß dargestellt haben.
— Herr Ehrenberg, ich bestätige Ihnen ausdrücklich noch einmal, daß ich den Rang des § 116 AFG überhaupt nicht in Abrede stelle und daß ich ihn für einen großen Kompromiß halte.
Der Streit ist entstanden — und deshalb besteht ein Klarstellungsbedürfnis —
weil Herr Franke, der Präsident der Bundesanstalt, die Anordnung, die dem § 116 folgte, anders als die Gerichte ausgelegt hat. Diesen Meinungsstreit können wir nicht über Jahre weiterschleppen. Denn sonst hätten die Arbeitnehmer keine Sicherheit, was denn nun letztlich gilt.
— Ich bitte Sie nochmals darum, eine Erläuterung des Gesetzestextes geben zu können. Ich bin bei der Kommentierung des Gesetzestextes und der Anordnung.
Es bleibt dabei: Wenn in dem Gebiet der mittelbar Betroffenen die gleichen Arbeitskampfziele verfolgt werden,
dann ruht die Leistung. Der Maßstab, den uns dafür die Bundesanstalt mit ihrer Anordnung — selbstverwaltungsgeformt — zur Hand gegeben hat, ist: nach Art und Umfang gleiche Forderungen. Diesen Begriff — das ist der Dreh- und Angelpunkt — haben die Gerichte mit „identische Forderungen" übersetzt. Jetzt appelliere ich an Ihren gesunden Menschenverstand. Wenn das „identisch" heißt, bedeutet das praktisch, es muß immer gezahlt werden. Denn dann braucht eine Gewerkschaft bei der 17. Nebenforderung im anderen Bezirk nur irgend etwas anderes zu fordern, und schon ist die Leistungspflicht gegeben. Ich kenne, sehr verehrter Herr Vogel, überhaupt keinen Kommentar, der „Gleichheit" mit „Identität" übersetzt hat.
Kommen Sie hier nach vorne und nennen Sie mir
einen Kommentar, der „Gleichheit" mit „Identität"
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985 13693
Bundesminister Dr. Blüm
übersetzt hat. Dies klarzustellen dient der Tarifautonomie, dient den Arbeitnehmern.
Denn, meine Damen und Herren, ich bleibe dabei: Es ist ein Klarstellungsbedarf entstanden, nicht mehr als ein Klarstellungsbedarf.
Wir werden uns von niemandem davon abbringen lassen,
zusammen mit den Tarifpartnern
diese Klarstellung zu bewerkstelligen. Ich glaube, daß wir schon einige Schritte weitergekommen sind. Es ist schon etwas gewonnen, wenn sich die Standpunkte angenähert haben.
Ich halte es beispielsweise für durchaus klärungsbedürftig, wann durch Arbeitseinstellungen Ansprüche an die Bundesanstalt entstehen. Die Arbeitseinstellungen müssen durch den Arbeitskampf verursacht sein. Die Unternehmen müssen nachweisen, daß ihre Arbeitseinstellung nicht willkürlich vorgenommen wurde.
Es ist eine Klarstellung, die auch der Tarifautonomie nützt, daß von den Unternehmen die Arbeit nicht willkürlich eingestellt werden darf. Sie sind in Ihren Vorurteilen so gefangen, daß Sie jetzt schon schreien, wenn ich Gewerkschaftsstandpunkte vortrage.
Jetzt habe ich einen erklärten Gewerkschaftsstandpunkt vorgetragen. Trotzdem brüllt die Opposition mich an. Ich werde doch wohl die Meinung der Gewerkschaft wiedergeben können.
Meine Damen und Herren, ich will es kurz machen. Ich lasse mich durch niemanden irritieren, auch nicht durch Demonstrationen, die mit Vogelscheuchen arbeiten, auch nicht durch Verdrehung von Tatsachen.
Ich bleibe dabei: Die Tarifautonomie braucht die Neutralität des Staates — die ist ins Gerede gekommen; wir wollen die Dinge klarstellen —, damit die Arbeitnehmer nicht in eine Situation kommen, wo ihre Arbeitskämpfe fortdauernd von Gerichtsverfahren begleitet werden, wo sie fortdauernd in der Unsicherheit stehen, daß Leistungen unter Vorbehalt ausgezahlt werden, mit dem Risiko der Rückzahlung. Bis jetzt ist die Anordnung des Sozialgerichts nur eine „unter Vorbehalt". Wollen Sie die Arbeitnehmer in den Genuß einer Leistung kommen lassen, die zurückgezahlt werden muß?
Die Klarstellung dient auch den Arbeitnehmern. Meine Aufgabe ist es — dabei bleibe ich und lasse mich von niemandem irritieren —, nicht Gräben aufzureißen. Wir brauchen in dieser Zeit Brückenbauer.
Wir sind gemeinsam der Tarifpartnerschaft, der Tarifautonomie, der Sozialpartnerschaft verpflichtet.
Meine Damen und Herren, ich bitte nochmals, mit den Zwischenrufen etwas zurückhaltender zu sein. Der Redner, der hier bei der Aktuellen Stunde das Wort hat, hat nur fünf Minuten Zeit. Deshalb sollte er möglichst ohne Störung seine fünf Minuten lang sprechen können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lammert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der rhetorische Aufwand dieser Auseinandersetzung und der verbale Dissens, der von einem Teil der Redner der Opposition geradezu lustvoll zelebriert worden ist, steht in einem schwer begreiflichen Mißverhältnis zu den völlig unstreitigen Prinzipien, um die es hier geht: erstens Tarifautonomie, zweitens Streikrecht, in diesem Zusammenhang selbstverständlich auch Streikfähigkeit der Gewerkschaften — weil ansonsten das Streikrecht zu einem nostalgischen Erinnerungsposten verkommen würde — und drittens Neutralitätspflicht des Staates.
Ich denke, daß in diesen drei Prinzipien sämtliche demokratischen Kräfte — nicht nur, aber insbesondere — in diesem Hause völlig miteinander übereinstimmen. Nicht ob es eine Neutralitätspflicht des Staates geben soll, sondern wie diese Neutralitätspflicht des Staates unter den gegebenen Bedingungen und unter den möglichen Ausprägungen von Tarifauseinandersetzungen aufrechterhalten und gesichert werden kann, ist der Gegenstand dieser Debatte.
Die Klärung genau dieser Frage liegt unbestreitbar im unmittelbaren Interesse sowohl der Wirtschaft wie der Arbeitnehmer.
Eigentlich, Herr Kollege Cronenberg, sollte der Wortlaut des § 116 AFG deutlich genug sein, durch die Gewährung von Arbeitslosengeld dürfe nicht in Arbeitskämpfe eingegriffen werden.
Ich teile insofern persönlich die Auffassung des Kollegen Rappe, daß eigentlich nicht der § 116 AFG das Problem sei, sondern daß es eigentlich um die Neutralitätsanordnung der Bundesanstalt für Ar-
13694 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985
Dr. Lammert
beit von 1973 gehe. Dies ist in der Tat meine Einschätzung des Problems.
Aber gerade durch den Verlauf der Tarifauseinandersetzung des letzten Jahres ist genau dies in Streit geraten, und zwar nicht nur in den Streit zwischen den Tarifpartnern, sondern in einen Rechtsstreit. In genau diesem Rechtsstreit ist auch der Staat selbst durch die rechtliche Anfechtung der Verfügung des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit einbezogen worden. Genau dies, Herr Kollege Vogel, markiert den Handlungsbedarf.
Weder den Unternehmen noch den von Streik und Aussperrung betroffenen Arbeitnehmern ist die Rechtsunsicherheit — und damit verbunden auch die Einkommensunsicherheit bei Zahlung unter Vorbehalt — und die bis zu einer letztinstanzlichen Entscheidung sich über Jahre hinwegschleppende Unklarheit darüber zuzumuten, was das eigentlich für mögliche künftige Tarifauseinandersetzungen bedeuten könnte.
Niemand von uns hat ein originäres Interesse an einer Neuregelung, und schon gar nicht an einer gesetzlichen Neuregelung dieses sensiblen Problems.
— Umgekehrt, Herr Ehrenberg: Niemand von uns hat das Recht, der Herausforderung auszuweichen und welchen gesellschaftlichen Gruppen auch immer die Definition der Rechte und Pflichten des Staates zu überlassen.
Wer gegen die notwendigen Aktivitäten der Bundesregierung in diesem Zusammenhang polemisiert, möge über die Bemerkung des stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes Gustav Fehrenbach, nachdenken, die vorgestern in den Zeitungen zu lesen war. Ich zitiere: „Am Ende müssen die Gewerkschaften prüfen, inwieweit sie durch ihre Verhaltensweisen auch zu der Situation beitragen, über die jetzt diskutiert wird."
Ich persönlich akzeptiere weder die Selbstherrlichkeit von Arbeitgeberverbänden, die wochenlang gemeint haben, markige Aufforderungen an den Gesetzgeber, er möge tätig werden,
ersetzten das eigene Bemühen um den notwendigen Konsens, noch akzeptiere ich die bisweilen demagogische Arroganz von Gewerkschaftern, sie könnten an Stelle der Verfassungsorgane die Neutralitätspflicht des Staates definieren.
In einem Kommentar der „Süddeutschen Zeitung" heißt es:
Das ist keine Polemik mehr, sondern schon Demagogie, wenn Mayr seinen Gewerkschaftsmitgliedern und der Öffentlichkeit suggeriert, die
Bundesregierung plane „einen beispiellosen verfassungs- und völkerrechtswidrigen Angriff auf die Existenz der Gewerkschaften" und damit eine „Zerstörung der Demokratie".
Deshalb müsse man sich zur Wehr setzen, gegebenenfalls mit „betrieblichen Aktionen", die der Deutsche Gewerkschaftsbund angedroht hat.
Die „Süddeutsche Zeitung" fährt fort:
Wenn die Feststellung einer Verfassungswidrigkeit nicht mehr dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten bliebe, sondern dem Urteil von Gewerkschaftsvorsitzenden anheimgegeben würde, die umgehend zum politischen Streik aufrufen — dann, und nur dann, müßte man von einem „Anschlag" reden, von einem Kampf gegen den demokratischen Rechtsstaat.
Ich ganz persönlich halte eine gesetzliche Neuregelung des § 116 AFG weder für wünschenswert noch für zweckmäßig.
Wer aber gemeinsame Bemühungen um eine Einigung der Anwendung dieser Gesetzesbestimmung verweigert, provoziert genau diese gesetzliche Regelung, und wer sie — wie ich — gerne vermeiden möchte, ist aufgefordert, sich an den Bemühungen zu beteiligen, wie sie der Arbeitsminister im Sinne eines tragfähigen Kompromisses unternimmt.
Das Wort hat Frau Dr. Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß die SPD diese Aktuelle Stunde gern benutzen möchte, um das Thema hier noch einmal so richtig heiß zu machen,
weil sie hofft, daß heute abend in der Runde bei Minister Blüm nichts herauskommt; denn nur das würde in ihr politisches Konzept passen.
Wir dagegen wünschen, daß heute abend in der Runde tatsächlich eine Interpretation gefunden wird, der beide Seiten zustimmen können, eine Interpretation dessen, was der Gesetzgeber 1969 gemeint hat, als er den geltenden § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes verabschiedet hat. Er hat sich ja auch im Ausschußbericht ganz dezidiert dazu geäußert, in welchen Fällen er die Neutralität des Staates gefährdet sähe, wenn aus den Kassen der Bundesanstalt für Arbeit gezahlt würde.
Wir halten es für wichtig, daß eine solche gemeinsame Interpretation zustande kommt, meine Da-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985 13695
Frau Dr. Adam-Schwaetzer
men und Herren, eine gemeinsame Interpretation von Arbeitgebern und Gewerkschaften, weil nur dann sichergestellt sein kann, daß nicht weitere gerichtliche Auseinandersetzungen zu möglicherweise durchaus überraschenden Ergebnissen führen, und weil nur dann einigermaßen gesichert sein kann, daß beide Seiten diese Interpretation nicht unterlaufen werden; ich betone durchaus die Worte „beide Seiten".
Nur, meine Damen und Herren, wer sich hier noch hinstellt und sagt, das geltende Recht habe sich bewährt,
der will offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen, was letztes Jahr passiert ist.
Herr Ehrenberg, Sie haben nicht weit genug aus dem vorgelesen, was unsere Vorgänger hier im Parlament 1969 in den Ausschußbericht hineingeschrieben haben. Darin steht z. B.:
Die Gewährung von Arbeitslosengeld würde in solchen Fällen
— und „solche Fälle" sind exakt so definiert wie das, was letztes Jahr passiert ist —
Schwerpunktstreiks fördern und wäre daher nicht streikneutral.
Das ist doch genau die neue Qualität der Minimax-Taktik, wie sie letztes Jahr angewandt worden ist:
minimaler Einsatz der Gewerkschaften, maximaler Schaden auf der Seite der Unternehmen, um damit möglichst schnell zu einem Ende zu kommen, das die Forderungen in diesem Falle der IG Metall möglichst weitgehend erfüllt.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt: Es ist j a die Frage, ob die mittelbare Betroffenheit auch in ein anderes Tarifgebiet hinüberreicht. Dabei geht es auch darum, wie eigentlich das interpretiert wird, was unter dem Stichwort „im wesentlichen gleiche Forderungen" läuft.
Meine Damen und Herren, wenn man draußen wirklich einmal herumfragt, sagen einem alle Leute: Es ist doch ganz klar, daß das die gleichen Forderungen waren, denn die IG Metall hat für die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche gestreikt; in Baden-Württemberg wollte sie das genauso durchsetzen wie in Hessen und in Nordrhein-Westfalen.
Daß dann Gerichte herkommen und feinsinnige andere Interpretationen vornehmen, ist uns ja schon
an anderen Stellen passiert. Wir haben viele Beispiele dafür, daß Gerichte den Willen des Gesetzgebers durchaus fehlinterpretieren können.
Das allein ist der Grund dafür, daß es hier einer Klarstellung bedarf. In Zukunft darf es eben nicht dazu kommen, daß die Gewichte nach der einen oder nach der anderen Seite verschoben werden.
Meine Damen und Herren, wer hierherkommt und, wie die Kollegen von der Fraktion der SPD es heute wieder getan haben — und ich bin sicher, Frau Fuchs wird das in der von ihr bekannten Manier gleich noch einmal machen —,
das Schattenboxen anfängt, wer dem parlamentarischen Gegner Dinge unterstellt,
die er seriöserweise nicht unterstellen sollte und sicherlich nicht unterstellen kann, der handelt böswillig. Da gibt es überhaupt keine andere Interpretationsmöglichkeit!
Böswillig ist es, irgendeinem Mitglied dieser Bundesregierung oder irgendeinem Mitglied der Koalitionsfraktionen zu unterstellen, sie wollten das Streikrecht oder das Tarifrecht beeinträchtigen.
Es geht darum, deren Funktionsfähigkeit auch für die Zukunft verläßlich sicherzustellen.
Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Fuchs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesarbeitsminister, ich verstehe ja, wenn Sie Menschen an einen Tisch holen, weil Sie mit der Materie nicht vertraut sind,
und wenn Sie Arbeitgeber und Gewerkschaften zusammenholen, damit sie Ihnen mal erläutern, wann bei einem Streik Arbeitslosengeld gezahlt werden muß und wann nicht.
Und wenn Sie solche Sachaufklärung brauchen, dann habe ich gar nichts dagegen.
Ich empfehle Ihnen, auch noch einmal das Urteil des Bundessozialgerichts vom 9. September 1975 nachzulesen. Da steht nämlich eindeutig drin, daß man mehr mit der Nichtzahlung von Kurzarbeiter-
13696 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985
Frau Fuchs
geld in die Neutralität der Bundesanstalt eingreife als mit der Zahlung von Kurzarbeitergeld.
Blicken wir zurück, meine Damen und Herren. Eine Klarstellung, Herr Bundesarbeitsminister —wobei ich immer noch nicht verstanden habe, ob nun Gesetz ja oder nein —, wird doch in dem, was ich jetzt gehört habe, durch einen unbestimmten Rechtsbegriff versucht. Ein unbestimmter Rechtsbegriff, meine Damen und Herren, wird eine Fülle von Prozessen auslösen. Das ist doch ganz klar, wenn Sie einen unbestimmten Rechtsbegriff wählen, der nicht konsensfähig ist.
Aber ich blicke noch einmal zurück. Ich denke nach wie vor, eine Bundesregierung hat eigentlich den Auftrag, Frieden zu stiften. Aber wie war es am Beginn dieses Arbeitskampfes? Der Bundeskanzler sagte: „dumm, absurd und töricht" und hat damit seinerseits die gebotene Neutralität als Bundeskanzler verletzt.
Und dann kam der Franke-Erlaß. Eine bisher akzeptierte Auslegung des Gesetzes und der Verwaltungsvorschriften wurde vom Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit beiseite geschoben. Er hat eine Auslegung gefunden, die einseitig zu Lasten der Gewerkschaften ging, und die Gerichte haben bestätigt, daß er rechtswidrig gehandelt hat.
Herr Bundesarbeitsminister, wenn Sie hier meinen, Sie müßten Brücken bauen, dann sage ich Ihnen, wer sich vorher als Minenleger betätigt, kann sich hinterher nicht als Brückenbauer hinstellen.
Dieses alles, meine Damen und Herren, bei einem Arbeitskampf, der ökonomisch sinnvoll war, bei einem Arbeitskampf, der die Arbeitgeber gelehrt hat, daß wir in dieser wirtschaftlich schwierigen Situation Arbeitszeitverkürzung brauchen, was bewiesen ist durch die Zunahme der Beschäftigung gerade in den Branchen, in denen im letzten Jahr gestreikt worden ist.
Sie, Herr Bundesarbeitsminister, nehmen in Kauf, daß der Geschäftsführer von Gesamtmetall polemisiert, die Gewerkschaften wollten mit diesem Thema die Bundesregierung in Schwierigkeiten bringen. Wir durchschauen dieses Spiel. Ich habe durchschaut, welche Taktik Sie in den Gesprächen mit den Gewerkschaften anwenden. Die Arbeitgeberverbände beharren auf Maximalpositionen,
weil sie damit rechnen, eine Gesetzesänderung zu bekommen. Sie spielen den ehrlichen Vermittler, indem Sie den rechtswidrigen Franke-Erlaß anbieten. Und Sie bilden sich noch ein, die Gewerkschaften durchschauten Ihr Spiel nicht.
Nein, in Wahrheit wollen Sie die Gewerkschaften bei Ihren Gesprächen reinlegen.
Deswegen, meine Damen und Herren, müssen wir alles noch einmal zurückführen auf die Zitate von Herrn Blüm aus dem Jahre 1979. Dort sagte er: „Die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist nicht mehr gesichert, wenn die Kampfmaßnahmen der Arbeitgeber in ein Tarifgebiet gelegt werden, das vom Streik der Arbeitnehmer nicht berührt ist. Dies muß ausgeschlossen werden;" — Herr Blüm 1979 —„unbeteiligte Arbeitnehmer dürfen nicht zum Mittel degradiert werden, den Streikwillen zu brechen." Herr Blüm, halten Sie sich an Ihre früheren Aussagen, dann sind Sie ein Stückchen weiter.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Feilcke.
Daß wir keine Betriebsratsmitglieder sind, haben wir gemeinsam, Herr Kollege Vogel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Zitat, das der Kollege Lammert aus der „Süddeutschen Zeitung" gebracht hat, ist schon bemerkenswert. Das letzte, was er zitiert hat, war: Es handele sich dann um einen Anschlag auf die Demokratie, wenn man es den Gewerkschaftsführern überlasse, zu entscheiden, was verfassungsgemäß ist und was nicht.
— Ich finde die Argumentation der „Süddeutschen Zeitung" sehr interessant. Sie wissen, daß sie nicht unser Hausblatt ist.
Weiter unten heißt es:
Weniger besonnen als Rappe äußerten sich ... Hans-Jochen Vogel und die übrige SPD-Prominenz. Auch Vogel nennt es einen „Anschlag", wählt dieses böse Wort aus dem Bürgerkriegsarsenal ...
Meine Damen und Herren, tatsächlich ist das Wortgeklingel, das Theater, das Sie heute hier veranstalten, mit Shakespeare zu überschreiben: Much ado about nothing.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985 13697
Feilcke
— Für Humanisten übersetze ich es auch gerne: Viel Lärm um nichts.
Das, was Sie heute hier, Herr Dr. Vogel und insbesondere Frau Fuchs und Herr Dreßler veranstaltet haben, war nichts weiter als das Schwingen eines verbalen Dreschflegels. Die Diskussion um den § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes wird mit derartigem Wortgetöse in der Öffentlichkeit geführt, daß ich nur sagen kann: Würde ein Abgeordneter dieses Hauses eine einzelne Gewerkschaft derartig annehmen, wie die Repräsentanten des DGB und seiner Einzelgewerkschaften das fortwährend gegenüber allen Parteien, die sich mit dieser Frage befassen, und der Regierung tun, würde man ihm dann auch wohl zu Recht einen Anschlag
auf die Gewerkschaften, die Koalitionsfreiheit, ja, die Demokratie vorwerfen.
Tatsächlich, meine Damen und Herren, ist eine weitestgehende Übereinstimmung aller Beteiligten in den grundsätzlichen Fragen zu konstatieren.
Erstens. — Ich wiederhole vieles. — Niemand will ein neues Arbeitskampfrecht. Zweitens. Niemand verfolgt extreme Positionen. Drittens. Niemand will eine Einschränkung des Rechts und der Fähigkeit zum Arbeitskampf.
Viertens. — Es ist sehr interessant, was ich jetzt zu sagen habe. — Alle Beteiligten, auch die Gewerkschaftsvertreter, sehen Interpretationsprobleme beim § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes. Fünftens. Alle Beteiligten führen Gespräche, weil sie Gesprächsmöglichkeiten sehen. Die sollten Sie nicht zu verbauen versuchen.
Es geht ausschließlich um Klarstellung und Abgrenzung, und zwar um die Frage: Wo fängt durch Zahlung der Bundesanstalt für Arbeit eine Beeinflussung des Kampfes an? Wo hört sie auf? Wie sieht es z. B. mit der mittelbaren Betroffenheit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus, die im gleichen fachlichen Bereich, in der gleichen Branche, aber in einem anderen Tarifgebiet arbeiten? Sind die Forderungen der Gewerkschaften tatsächlich nach Art und Umfang gleich, und zwar im Kern der Forderungen?
Meine Damen und Herren, es ist die Regel, daß die Forderungen in den unterschiedlichen Tarifgebieten gleich sind. Beispielsweise: Am 28. Juni 1984 wurde für Nordwürttemberg/Nordbaden der Einigungsvorschlag der Schlichtungskommission im Arbeitskampf der Metallindustrie zum Tarifvertrag. Noch in der gleichen Nacht vereinbarten Spitzenvertreter von Gesamtmetall und IG Metall eine Übernahme des Tarifkompromisses für alle regionalen Tarifgebiete der Metallindustrie. Auch in den Jahren 1982 und 1983 war ein gleiches Verfahren festzustellen.
Nach Abschluß der jeweiligen Pilottarifverträge haben die Vorstände von Gesamtmetall und IG Metall
jeweils noch am gleichen Tage den regionalen Tarifvertragsparteien gleichlautende Tarifabschlüsse empfohlen, die binnen zehn Tagen in allen Tarifgebieten auch abgeschlossen wurden. Das heißt: Die Forderungen der Gewerkschaften werden nicht regional unterschiedlich gestellt, sondern sie werden in allen Tarifgebieten zumindest im Kern gleich formuliert.
— Das ist vernünftig. — Insofern ist die Betroffenheit der Arbeitnehmer auch gegeben, und insofern ist die Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit auch hier angesprochen.
Von wem kommen denn eigentlich die Gelder der Bundesanstalt? Herr Steinkühler meint, die Bundesanstalt für Arbeit werde ausschließlich von Arbeitnehmern finanziert.
Die Beiträge der Arbeitgeber seien schließlich nichts anderes als vorenthaltener Lohn. Der Kommentator der „FAZ" schreibt gestern dazu:
Man sollte über das Groteske dieser Argumentation gar nicht streiten. Schließlich wäre dann jeder Arbeitgeberanteil zu irgendeiner Sozialversicherung „vorenthaltener Lohn" mit der Folge, daß alle paritätisch besetzten Gremien eigentlich aufgelöst werden müßten.
— Auch die der Bundesanstalt für Arbeit.
Die Beiträge werden bestritten von Arbeitnehmern und überwiegend von gewerkschaftlich nicht organisierten Arbeitnehmern, von Arbeitgebern und aus Steuergeldern.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Lassen Sie mich bitte zum Abschluß folgendes sagen. Der Gesetzgeber wollte und will keine Schwerpunktstreiks, auch der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung 1969 nicht. Wir sind der Auffassung — —
Herr Abgeordneter, darf ich bitten, das Mikrophon freizugeben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jagoda.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die ganze Aktuelle Stunde über gelauscht auf den Tatbestand, der von der Opposition vorgetragen wurde, um welches Gesetz, um welche Drucksache des Deutschen Bundestages es sich hier eigentlich handelt. Ich kenne eine derartige Drucksache überhaupt nicht.
13698 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985
Jagoda
Aber anscheinend kann man sich über das, was nicht vorliegt, am allerbesten streiten.
— Ich weiß nicht, was das den Arbeitnehmern draußen helfen soll, wenn Sie hier schreien. Hören Sie doch erst einmal zu. Ich habe aufmerksam Ihnen zugehört, und ich glaube, daß das doch auch ein Stück Kollegialität ist, auch einmal zuzuhören, dann sich zu Wort zu melden und darüber zu reden.
Frau Kollegin Fuchs, es ist natürlich klar, daß die Opposition immer versucht, den Minister anzugreifen. Aber wenn Sie uns hier vorwerfen, daß der Minister die Leute an den Tisch geholt hat, um die Gewerkschaften hereinzulegen,
ja, meine Damen und Herren, dann müssen Sie andere Gewerkschaften kennen als ich. Die Leute sind clever, die sind gut, die haben jahrzehntelang Hervorragendes geleistet; die lassen sich weder von einem Minister noch von einer Partei „hereinlegen", wie Sie das hier formuliert haben.
Das ist doch wirklichkeitsfremd, was Sie uns hier erzählen.
Es steht außer Zweifel, meine Damen und Herren, daß die Entwicklung des Arbeitskampfes 1984 zu einer Rechtsunsicherheit geführt hat.
Es ist doch nicht zu bestreiten, daß in der Schluß-phase des Arbeitskampfes die Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit nur unter Vorbehalt bezahlt werden konnten.
— Meine Damen und Herren, also Herr Ehrenberg, wenn Sie damals im Amt so viel geleistet hätten, wie Sie heute hier schreien — —
Herr Abgeordneter Jagoda, ich möchte Sie gern unterbrechen.
Herr Abgeordneter Ehrenberg, Sie können nicht ununterbrochen in dieser Lautstärke diese Zwischenrufe machen. Das ist eine Störung der Ausführungen des Redners. Ich bitte, einmal den § 38 unserer Geschäftsordnung nachzulesen.
Bitte schön, fahren Sie fort.
Zur Tarifautonomie gehört das Arbeitskampfrecht. Dieses Recht darf nicht nur auf dem Papier stehen; es muß als letzte Möglichkeit eine Waffe bleiben, eine Waffe, mit präventivem Charakter, die wirkungsvoll bleiben muß. Wer jetzt nicht handelt, Klarheit und Rechtssicherheit herstellt und dauerhaft garantiert, mindert die Wirksamkeit dieses Systems. Deshalb können wir
nicht Jahre ins Land gehen lassen, bis höchstrichterliche Entscheidungen vorliegen.
Die CDU/CSU hält an ihrer im Jahre 1969 festgelegten Linie der fördernden Neutralität des Staates im Arbeitskampf fest.
Es geht nicht um das Streikrecht, nicht um neue Maßnahmen und Begriffe, sondern um Klarstellung wegen veränderter Sachlage.
Die Klarstellung ist auch erforderlich, weil höchstrichterliche Rechtsprechung neue Maßstäbe hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit, der Zulässigkeit der Abwehraussperrung gesetzt haben.
Wir begrüßen das Gespräch der Tarifvertragsparteien mit der Bundesregierung. Ja, wir danken für die Bereitschaft der Gewerkschaften und der Arbeitgeber, an den Gesprächstisch zu kommen. Das ist ein Gütesiegel für Verantwortung in einem freien Staat.
Wir möchten deshalb vermeiden, daß der § 116 AFG geändert werden muß. Aber auch in der Vergangenheit war der Wille des Gesetzgebers, die Neutralität im Arbeitskampf zu gewährleisten, nicht nur mit § 116 durchsetzbar. Es bedurfte einer Konkretisierung in einer Neutralitätsanordnung der Bundesanstalt in Nürnberg.
— Herr Kollege Vogel, nehmen Sie bitte einmal zur Kenntnis, daß diese Neutralitätsanordnung im Jahre 1973 und das Gesetz im Jahre 1969 in Kraft gesetzt sind.
Daran sehen Sie, welches langen Prozesses es bedurft hat, um einen derartigen Kompromiß auszuformulieren und durchzuhalten.
Deshalb sagen wir Ihnen, Herr Minister, daß wir Ihnen für die laufenden Gespräche, die heute abend fortgesetzt werden — und wir hoffen, in ruhiger und sachlicher Atmosphäre, daß hier nicht das Plenum Vorbild sein sollte —, wünschen, daß die Gespräche heute abend ganz anders stattfinden
und daß die Kompromißfindung nicht unter Zeitdruck herbeigeführt wird. Dies ist auch nicht erforderlich. Wir bitten die Gesprächsteilnehmer, sich hier nicht irritieren zu lassen. Wir wünschen den Verhandlungen einen großen Erfolg.
Nun zu Ihnen, Herr Kollege Dreßler: Es muß ja schlimm in Ihrer Fraktion bestellt sein, wenn dort
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985 13699
Jagoda
nicht jeder so entscheiden kann, wie er will. Bei uns kann jeder so entscheiden, wie er will.
Bei uns gibt es keinen Fraktionszwang. Wenn wir entscheiden, dann richtig und zum Wohle der Bürger, wie wir das bewiesen haben.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 5. Dezember 1985, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.