Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesarbeitsminister, ich verstehe ja, wenn Sie Menschen an einen Tisch holen, weil Sie mit der Materie nicht vertraut sind,
und wenn Sie Arbeitgeber und Gewerkschaften zusammenholen, damit sie Ihnen mal erläutern, wann bei einem Streik Arbeitslosengeld gezahlt werden muß und wann nicht.
Und wenn Sie solche Sachaufklärung brauchen, dann habe ich gar nichts dagegen.
Ich empfehle Ihnen, auch noch einmal das Urteil des Bundessozialgerichts vom 9. September 1975 nachzulesen. Da steht nämlich eindeutig drin, daß man mehr mit der Nichtzahlung von Kurzarbeiter-
13696 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985
Frau Fuchs
geld in die Neutralität der Bundesanstalt eingreife als mit der Zahlung von Kurzarbeitergeld.
Blicken wir zurück, meine Damen und Herren. Eine Klarstellung, Herr Bundesarbeitsminister —wobei ich immer noch nicht verstanden habe, ob nun Gesetz ja oder nein —, wird doch in dem, was ich jetzt gehört habe, durch einen unbestimmten Rechtsbegriff versucht. Ein unbestimmter Rechtsbegriff, meine Damen und Herren, wird eine Fülle von Prozessen auslösen. Das ist doch ganz klar, wenn Sie einen unbestimmten Rechtsbegriff wählen, der nicht konsensfähig ist.
Aber ich blicke noch einmal zurück. Ich denke nach wie vor, eine Bundesregierung hat eigentlich den Auftrag, Frieden zu stiften. Aber wie war es am Beginn dieses Arbeitskampfes? Der Bundeskanzler sagte: „dumm, absurd und töricht" und hat damit seinerseits die gebotene Neutralität als Bundeskanzler verletzt.
Und dann kam der Franke-Erlaß. Eine bisher akzeptierte Auslegung des Gesetzes und der Verwaltungsvorschriften wurde vom Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit beiseite geschoben. Er hat eine Auslegung gefunden, die einseitig zu Lasten der Gewerkschaften ging, und die Gerichte haben bestätigt, daß er rechtswidrig gehandelt hat.
Herr Bundesarbeitsminister, wenn Sie hier meinen, Sie müßten Brücken bauen, dann sage ich Ihnen, wer sich vorher als Minenleger betätigt, kann sich hinterher nicht als Brückenbauer hinstellen.
Dieses alles, meine Damen und Herren, bei einem Arbeitskampf, der ökonomisch sinnvoll war, bei einem Arbeitskampf, der die Arbeitgeber gelehrt hat, daß wir in dieser wirtschaftlich schwierigen Situation Arbeitszeitverkürzung brauchen, was bewiesen ist durch die Zunahme der Beschäftigung gerade in den Branchen, in denen im letzten Jahr gestreikt worden ist.
Sie, Herr Bundesarbeitsminister, nehmen in Kauf, daß der Geschäftsführer von Gesamtmetall polemisiert, die Gewerkschaften wollten mit diesem Thema die Bundesregierung in Schwierigkeiten bringen. Wir durchschauen dieses Spiel. Ich habe durchschaut, welche Taktik Sie in den Gesprächen mit den Gewerkschaften anwenden. Die Arbeitgeberverbände beharren auf Maximalpositionen,
weil sie damit rechnen, eine Gesetzesänderung zu bekommen. Sie spielen den ehrlichen Vermittler, indem Sie den rechtswidrigen Franke-Erlaß anbieten. Und Sie bilden sich noch ein, die Gewerkschaften durchschauten Ihr Spiel nicht.
Nein, in Wahrheit wollen Sie die Gewerkschaften bei Ihren Gesprächen reinlegen.
Deswegen, meine Damen und Herren, müssen wir alles noch einmal zurückführen auf die Zitate von Herrn Blüm aus dem Jahre 1979. Dort sagte er: „Die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist nicht mehr gesichert, wenn die Kampfmaßnahmen der Arbeitgeber in ein Tarifgebiet gelegt werden, das vom Streik der Arbeitnehmer nicht berührt ist. Dies muß ausgeschlossen werden;" — Herr Blüm 1979 —„unbeteiligte Arbeitnehmer dürfen nicht zum Mittel degradiert werden, den Streikwillen zu brechen." Herr Blüm, halten Sie sich an Ihre früheren Aussagen, dann sind Sie ein Stückchen weiter.