Rede von
Hubert
Kleinert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Scharrenbroich hat hier von einem politischen Süppchen gesprochen, das an dieser Frage gekocht würde. Herr Scharrenbroich, Ihre politischen Freunde sind es doch, die diese Initiative gestartet haben und die hier an den Kernbestand von Arbeitnehmerrechten heranwollen. Das sind Ihre politischen Freunde, die an dieser Frage ihr politisches Süppchen kochen; das sind die Tatsachen.
Es ist manches schon sehr merkwürdig, was in diesen Tagen abläuft. Da bekennen sich alle möglichen Vertreter der Regierungskoalition treuherzig zum Streikrecht und versichern, niemand wolle dieses verfassungsmäßige Grundrecht in Frage stellen.
Aber was passiert denn in der Praxis? Während Sie das so versichern und es wahrscheinlich heute wieder versichern werden, haben Sie seit Monaten daran gearbeitet, das Streikrecht über die Finanzfrage praktisch auszuhebeln; das haben Sie gemacht.
Ich nenne deshalb das, was Sie hier vortragen, eine Heuchelei, um das hier ganz klar zu sagen.
Um eines auch noch einmal festzustellen: Wenn das Wirklichkeit würde, was im Antrag von Koalitionsabgeordneten seit dem Frühjahr auf dem
Tisch liegt, wenn das Wirklichkeit würde, was die FDP und Herr Bangemann in den letzten Wochen und Monaten immer wieder vorgetragen haben, dann würde sich die soziale Realität der Bundesrepublik grundlegend wandeln. Denn wenn es der Bundesanstalt für Arbeit untersagt würde, Zahlungen an mittelbar vom Streik Betroffene zu leisten, dann stünde das Streikrecht tatsächlich nur noch auf dem Papier. Ich behaupte, Sie wissen das. Ich behaupte weiter, daß manche von Ihnen genau das auch erreichen wollen, meine Damen und Herren.
Wenn sich jetzt möglicherweise abzuzeichnen scheint, daß die ganz harte Lösung nicht durchgezogen werden soll, sondern daß unter dem in diesem Zusammenhang weiß Gott vernebelndem Wort von der Kompromißlösung eine etwas abgeschwächte Form der Neuregelung durchgesetzt werden soll, dann muß auch dazu klipp und klar gesagt werden: Alles, was an sogenannter Kompromißlösung in dieser Frage vorstellbar ist, wird zu Lasten der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften und ihrer Streikfähigkeit gehen, egal, ob eine Neuregelung so aussehen soll, daß nur in branchenfremden Bereichen gezahlt werden darf, oder ob die Gewerkschaften in einem Verhandlungspaket eine Art Verhaltenskodex akzeptieren sollen. Alles, was hier denkbar ist, ist eine erhebliche Verschlechterung der Position der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften. Ich finde, es ist eine erschütternde Tatsache, daß sich die CDU-Sozialausschüsse in dieser Frage von Anfang an lediglich darauf verlegt haben, hier schlimmere Lösungen zu verhindern, die etwas weichere Linie gegen die knallharte Position des Unternehmerflügels bei Ihnen durchzusetzen. Ich finde, das ist eine schlimme Tatsache, und ich finde es erschütternd, welche politische Linie der IG-Metall-Kollege Blüm hier mit durchsetzen will.
Meine Damen und Herren, es stellt sich die Frage, in welchem Zusammenhang diese ganzen Maßnahmen stehen. Dazu sage ich folgendes:
Hintergrund der ganzen Diskussion ist doch nicht die Sorge, daß sich die Arbeitgeberseite in künftigen Streikauseinandersetzungen nicht mehr zur Wehr setzen könnte — das ist angesichts der sozialen Realität in der Bundesrepublik doch ein Aberwitz! —, Hintergrund ist etwas ganz anderes: Nach drei Jahren Kohl-Regierung ist nämlich die Zahl derjenigen angewachsen, die sich von der so- genannten Wende mehr als Umverteilung, als Kürzungsmaßnahmen auf sozialpolitischem Gebiet und eine massive Begünstigung von Wirtschaftsinteressen versprochen hatten.
Jetzt geht es auch darum, in der Gesellschaftspolitik massiv zuzuschlagen. Sie wollen das gesellschaftliche Kräfteverhältnis in der Bundesrepublik zugunsten der Unternehmerseite und der Konservativen verschieben, und Sie wollen alle potentiellen Störenfriede an die Wand drücken. Deshalb
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1985 13687
Kleinert
geht es jetzt an den Kernbestand von Arbeitnehmerrechten!
Das hat beim Beschäftigungsförderungsgesetz angefangen; das wird bei den Planungen zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes fortgesetzt. Es findet seinen deutlichsten Ausdruck in der heute diskutierten Frage. Sie nehmen bewußt eine Strategie in Kauf, die zum Ergebnis haben würde, daß die Sozialverfassung der Bundesrepublik auf englische oder amerikanische Vorbilder hinsteuert, meine Damen und Herren. Dagegen ist Widerstand notwendig.
Nicht die Einschränkung gewerkschaftlicher Streikfähigkeit, sondern die Verbesserung von Arbeitnehmerrechten steht auf der Tagesordnung.
Deshalb fordern wir GRÜNE auch an dieser Stelle das gesetzliche Verbot der Aussperrung.
Ich sage zum Schluß: Auf jeden Fall muß eine Verschlechterung durch eine Änderung des § 116 AFG abgewendet werden. Wir GRÜNEN werden uns allen diesen Plänen widersetzen, und wir werden Widerstand und Protest dagegen unterstützen.
Ich danke Ihnen.