Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie alle herzlich zur ersten Plenarsitzung nachder Sommerpause. Ich hoffe, dass Sie alle gut erholt undgut gelaunt nach Berlin zurückgekehrt sind und die nö-tige Energie für die Haushaltsberatungen mitgebrachthaben .Bevor wir diese Debatte eröffnen, möchte ich nocheinige besondere Geburtstage erwähnen, die in der Som-merpause stattgefunden haben: Der Kollege MichaelGroß hat seinen 60 . Geburtstag gefeiert, die KolleginAnita Schäfer und der Kollege Eberhard Gienger ihren65 . Geburtstag – wir arbeiten uns langsam nach vorne –,der Kollege Hans-Peter Uhl seinen 72 ., die KolleginErika Steinbach ihren 73 . Geburtstag . Ihnen allen unse-re herzlichen Glückwünsche und guten Wünsche für dasneue Lebensjahr!
Dann möchte ich Sie davon unterrichten, dass dieKollegin Petra Hinz aus dem Deutschen Bundestag aus-geschieden ist und für sie der Kollege Jürgen Coße alsMitglied des Deutschen Bundestages nachrückt . ImNamen des gesamten Hauses möchte ich ihn herzlich be-grüßen .
Wir wünschen Ihnen einen guten Start und uns eine guteZusammenarbeit .Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:1 . a) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes über die Feststellung des Bundeshaus-haltsplans für das Haushaltsjahr 2017
Drucksache 18/9200Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-desregierungFinanzplan des Bundes 2016 bis 2020Drucksache 18/9201Überweisungsvorschlag: HaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind imRahmen der Haushaltsberatungen für die heutige Aus-sprache im Anschluss an die 40-minütige Einbringungdes Haushalts 6 Stunden und 24 Minuten, für Mittwoch8 Stunden und 32 Minuten, für Donnerstag 8 Stunden und29 Minuten sowie für Freitag 4 Stunden und 48 Minutenvorgesehen – Sie alle bringen hoffentlich Stoppuhrenmit . Gibt es Widerspruch gegen diese Vereinbarungender zeitlichen Dauer der jeweiligen Plenartage? – Das istnicht der Fall . Dann ist das so beschlossen .Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat nun derBundesminister der Finanzen, Dr . Wolfgang Schäuble .
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir lebenin widersprüchlichen Zeiten . Es geht uns in Deutschlandgut;
das ist den Menschen auch bewusst . Wirtschaftlich gehtes uns so gut wie nie zuvor . Die Zahl der Erwerbstäti-gen ist in diesem Jahr mit 43,5 Millionen auf einem er-neuten Rekordhoch . Im August hatten wir die niedrigsteArbeitslosenzahl seit 25 Jahren . Die Preise sind stabil; indiesem Sommer haben sich noch nicht einmal in der Rei-sezeit die Benzinpreise erhöht . Die Reallöhne sind seit2013 deutlich gestiegen, allein im vergangenen Jahr um2,4 Prozent; das ist der höchste Anstieg des Reallohnin-dex seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2008 . Und auch dieRenten sind so stark gestiegen wie lange nicht mehr: zum1 . Juli um 4,25 Prozent im Westen und um 5,95 Prozentim Osten . Wir haben seit 2010 ein gesundes Wirtschafts-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618310
(C)
(D)
wachstum, zuletzt 1,7 Prozent in 2015, und wir könnenauch in diesem und im nächsten Jahr mit einem ordentli-chen Wachstum rechnen .Dennoch und zugleich machen sich viele Menschen inunserem Land Sorgen um die Zukunft . Sie fragen sich,ob es uns auch weiter gut gehen wird . Das ist eine be-rechtigte Frage . Die Liste der Gründe dafür ist lang, undsie ist in letzter Zeit länger geworden . Ich glaube, es sindvor allen Dingen die ungeheuer schnellen Veränderungenin allen Bereichen unserer Gesellschaft und unserer Wirt-schaft, und sie treffen uns – das schwingt immer mit – beiunserer nicht ganz unproblematischen demografischenEntwicklung .Dann erleben wir das Innovationsschwungrad globa-lisierter Märkte . Die neue Welt der Digitalisierung undder sozialen Netzwerke ist Auslöser eben auch von Über-forderung, nicht zuletzt durch die direkte Wahrnehmungvon Geschehnissen in unserer Umwelt, ob in der unmit-telbaren Nachbarschaft oder in weit entfernten Regionenin jedem Teil der Welt. Die öffentliche Kommunikationim Internet und in sozialen Netzwerken hat oft erratischeZüge . Viele dieser Veränderungen sind irgendwie abs-trakt, nicht so richtig greifbar . Aber dann kommt auchnoch sehr Konkretes hinzu . Und so wächst das Gefühlvon Unsicherheit .Es stürmt vieles von außen auf uns ein, Bedrohliches,Bedrückendes, Beunruhigendes, in der Fülle oft schwerzu sortieren: die Angriffe und Attentate dieses Sommers –Nizza, München, Würzburg, Ansbach –, die Konflikte,Krisen und Kriege um Europa herum, der Horror in Sy-rien, in Aleppo, der schwelende, erneut aufflammendeKonflikt in der Ukraine und immer wieder ertrinkendeFlüchtlinge im Mittelmeer . Und dann die Sorge, wie un-sere Gesellschaft sich verändert: durch die Flüchtlinge,durch Zuwanderung, durch zunehmende Ängste vor Ter-ror und Unsicherheit . Dann kommen die instabile Lageund die beunruhigende Politik in der Türkei hinzu mitihren Konsequenzen für das Zusammenleben in Deutsch-land sowie der Propagandakrieg Russlands .So gibt es auch bei uns zunehmend Rufe nach demstarken Mann . Das ist eine Gemengelage, in der die Sehn-sucht nach markigen und einfachen Antworten stärkerwird, eine Zeit für Demagogen . In dieser widersprüchli-chen Lage und Gefühlslage muss demokratische PolitikChancen eröffnen, um die Art und Weise, wie wir leben,um unsere freiheitliche Gesellschaft, um unseren Wohl-stand dauerhaft bewahren zu können . Wir müssen jetztbeweisen, dass die Integration der vielen Flüchtlinge ge-lingen kann, der Flüchtlinge, die hierbleiben werden, seies auch nur für einen gewissen Zeitraum, und wir müssenbeweisen, dass wir die möglichen Sicherheitsrisiken, diemit diesem Zustrom an Menschen auch verbunden sind,erkennen und unter Kontrolle halten .Die Aufgaben an sich sind schon groß genug; aber esgeht um noch mehr . Es hilft alles nichts: Unser Land ver-ändert sich . Es hat sich zwar immer schon verändert, unddas wird es auch weiter tun; aber Ausmaß und Geschwin-digkeit der Veränderungen scheinen zuzunehmen, unddas ängstigt . Wir haben uns in unserer Geschichte immerwieder auch großen Veränderungen gestellt, übrigens ge-rade in den letzten Jahrzehnten mit großem Erfolg . Daskann und das muss uns auch heute gelingen . Wir müssenimmer wieder lernen, mit Risiken zu leben . Aber wir sindeine offene Gesellschaft, und wir sind es geblieben; wirwerden auch jetzt dafür kämpfen . Wir werden unsere An-sprüche an Freiheit, Recht und Gleichheit durchsetzen .
Es geht um Veränderung, aber nicht um Selbstaufgabe .Wir wollen offen bleiben, aber nicht für Veränderungen,die gesellschaftlichen Rückschritt bedeuten würden . Esdarf keine Einschränkung unserer freiheitlichen, offe-nen und toleranten Lebensweise geben . Da gibt es keineKompromisse .
Aber jeder weiß im Grunde auch: Die Fortsetzung der al-ten Wege, immer mehr vom Gleichen, der immer weitereAusbau des in den letzten Jahrzehnten sozial Erreichtenwird nicht so einfach gehen .In diesem Umfeld von Unsicherheiten, Ängsten undberechtigten Sorgen steht unsere Finanz- und Haushalts-politik . Sie steht für Stabilität, für Verlässlichkeit, und siesteht für Zukunftsgestaltung – und das ist das Wesentli-che . Wir bringen heute einen Haushalt ein, der die Linieunserer Politik seit 2009 fortsetzt . Man kann das einenlangen Atem nennen . Wir standen damals vor einem ge-waltigen Defizit als Folge der Finanz- und Wirtschafts-krise . Wir hatten – daran muss man immer wieder erin-nern – für 2010 eine Neuverschuldung von 86 MilliardenEuro geplant . Wir haben seitdem Schritt für Schritt, Jahrfür Jahr die Neuverschuldung gesenkt, bis wir 2014 ganzohne neue Schulden ausgekommen sind – und das ohneSteuererhöhungen .
Das war unser Plan . Bis wir ohne neue Schulden aus-kommen konnten, haben wir die Ausgaben insgesamtnicht erhöht – von 2010 bis 2014 –, und seitdem erhöhenwir sie nur so weit, wie die Einnahmen steigen, orientiertan der Wirtschaftsentwicklung . Der geplante Ausgaben-anstieg bleibt auch in den nächsten Jahren im Einklangmit dem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts . Wir gebenalso vernünftigerweise nur das aus, was wir nachhaltighaben .Natürlich – darüber brauchen wir nicht zu streiten –gehören zu einer so guten Lage auch gute Gesamtum-stände. Aber gute Umstände werden offenbar von man-chen Regierungen besser genutzt als von anderen .
Gute Umstände fallen auch nicht einfach vom Himmel .Die Stetigkeit und die Solidität unserer Finanzpolitik ha-ben wesentlich dazu beigetragen, dass nach der großenKrise Vertrauen zurückgekehrt ist, und das wiederumhat sehr viel zu dem stabilen Wirtschaftswachstum derletzten Jahre beigetragen . Oft wird in der internationa-len Debatte der Ökonomen nur über Zahlen geredet, undes wird unterschätzt, dass Wirtschaft sehr viel mehr mitPsychologie, mit Vertrauen zu tun hat . Das hat schonLudwig Erhard gewusst .Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18311
(C)
(D)
Bei all dem haben wir übrigens alle vorrangigen Vor-haben umgesetzt, auf die wir uns im Koalitionsvertraggeeinigt haben . Wir haben die Ausgaben, insbesonderebei Forschung, Bildung und Verkehrsinfrastruktur, mas-siv erhöht, und wir haben Länder und Kommunen sostark wie nie zuvor entlastet, und wir tun das weiter . Des-wegen können Länder und Kommunen ihre Aufgabenvor allem in den Bereichen Infrastruktur, Bildung undKinderbetreuung verlässlich finanzieren. Schon eine un-vollständige Auswahl wichtiger Entlastungen der Länderund Kommunen durch den Bund in dieser Legislaturperi-ode ergibt zusammengerechnet ein Entlastungsvolumenvon mindestens 65 Milliarden Euro . Da sind die 7 Milli-arden Euro vom letzten Flüchtlingsgipfel noch gar nichtmitgerechnet .Gleichzeitig konnten wir übrigens in diesen Jahrenwie vorgesehen die Schuldenquote zurückführen . Siewird den Maastricht-Kriterien voraussichtlich 2020 wie-der genügen . Man muss gelegentlich daran erinnern:Noch liegen wir weit über der vom Maastricht-Vertragvorgesehenen Schuldenquote . Wir haben uns Spielräumegeschaffen, und wir konnten Rücklagen bilden. So sindwir angesichts neuer drängender Aufgaben handlungsfä-hig geblieben .Vielleicht ist die Flüchtlingssituation nur ein Vorbote .Vielleicht stehen wir eher am Anfang einer Phase, in derEntwicklungen irgendwo auf der Welt immer mehr undspürbarer Einfluss auch auf unser Leben in Europa habenwerden . Wie sich zum Beispiel Afrika entwickeln wird,wird uns in Europa betreffen. Das wird eine der großenHerausforderungen der kommenden Jahre und Jahrzehn-te sein . Wir fangen an, zu spüren, was das heißt . DieseWelt ist voller Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten .Wir erleben in vielerlei Form die Gleichzeitigkeit desUngleichzeitigen. Das schafft Spannungen und Konflik-te, das nährt Radikalismen und Fundamentalismus . Auchwenn es vielen in der Welt immer besser geht, setzenfortdauernde, durch mancherorts rasche Entwicklungenwachsende Unterschiede, nicht enden wollende und im-mer neue Konflikte und der Klimawandel Menschen inBewegung . Da wird Europa keine Insel der Seligen blei-ben, zumal wir immer noch an der Spitze der globalenWohlstandspyramide stehen .In dieser Lage der Welt müssen wir handlungsfähigsein und handlungsfähig bleiben . Deshalb müssen wirPrioritäten setzen . Im Bundeshaushalt nutzen wir dazuunsere Spielräume . Wir erhöhen die Ausgaben, aber wirerhöhen sie verantwortlich dort, wo es unserer Zukunftnutzt, dort, wo Investitionen die Produktivität unseresLandes erhöhen . Wir steigern in diesem Haushalt die In-vestitionen erneut um fast 2 Milliarden Euro .Fast ebenso stark steigen die Ausgaben für Bildungund Forschung . Allein dem Bildungs- und Forschungsmi-nisterium steht 2017 wieder über 1 Milliarde Euro mehrals in diesem Jahr zur Verfügung, insgesamt 17,6 Mil-liarden Euro . Bei meinem Amtsantritt Ende 2009 hatteder Einzelplan noch ein Volumen von rund 10 MilliardenEuro . Es ist leicht zu rechnen, dass das eine Steigerungvon über 70 Prozent ist .
Wir steigern erneut die Investitionen in Straße, Schie-ne, Wasserstraße, auch für den kombinierten Verkehr . DieMittel sind seit Beginn der Legislaturperiode um 25 Pro-zent gestiegen . Sie sind so hoch wie nie zuvor . Mit demneuen Bundesverkehrswegeplan haben wir zudem einenaktuellen Katalog wichtiger Investitionsvorhaben mit ei-nem Gesamtvolumen von rund 270 Milliarden Euro . Wirinvestieren Milliarden in den Breitbandausbau, in dieMarktentwicklung für Elektrofahrzeuge und in die Mi-kroelektronik, um die Digitalisierung der Wirtschaft zuunterstützen .Wir arbeiten zugleich an besseren Rahmenbedingun-gen vor allem für private Investitionen in Innovationen,etwa bei der Wagniskapitalfinanzierung. Wir haben gera-de den Entwurf eines Gesetzes zur Neuausrichtung dersteuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften vor-gelegt . Damit wird vor allem jungen Unternehmen mitinnovativen Geschäftsmodellen das weitere Wachstumerleichtert . In den vergangenen Jahren ist viel dafür ge-tan worden, dass aufstrebende Unternehmen hinreichendEigenkapital finden können. Aber viele junge, innovativeUnternehmen, die den digitalen Wandel vorantreibenund sehr schnell wachsen, bekommen auf herkömmli-chem Wege oft kein Fremdkapital, weil sie erst eine sehrkurze Unternehmensgeschichte haben . Deswegen wollenwir für solche Finanzierungen bei der KfW einen Fondsin Höhe von 10 Milliarden Euro einrichten . Aus diesemFonds sollen junge Unternehmen Fremdkapital erhaltenkönnen, wenn ein privater Kapitalgeber in gleichem Um-fang Eigenkapital zur Verfügung stellt . Mit diesem Leve-rage-Effekt wollen wir die Anreize für private Kapitalge-ber weiter verstärken . Die Kredite sind zu verzinsen undzurückzuzahlen, sodass die Mittel immer wieder neuenUnternehmen offenstehen. Wir schließen damit eine Lü-cke in der Wachstumsfinanzierung, und wir stärken dieGründungskultur in unserem Land .
Die Finanz- und Haushaltspolitik der letzten Jahrehat sich für die Menschen ausgezahlt . Sie hat wesentlichdazu beigetragen, dass es uns heute wirtschaftlich so gutgeht . Deswegen – bei allem Respekt – ist das Gerede inEuropa über eine angebliche Austeritätspolitik wirklichnicht nachvollziehbar . Es ist in Wahrheit ein Ablenkungs-manöver .
Man will davon ablenken, dass man bei Strukturrefor-men, Verwaltungsmodernisierung und Ausgabendiszi-plin in den vergangenen Jahren zu wenig getan hat
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618312
(C)
(D)
und teilweise immer noch zu wenig tut .
Noch einmal: In Deutschland investieren wir . Wirerhöhen die Ausgaben . Löhne und Renten steigen . Wirleisten unseren Beitrag zur Stärkung der globalen Nach-frage, und das tun wir schon seit Jahren . Übrigens – auchdas zum wiederholen Male –: Kein anderes europäischesLand gibt mehr für Investitionen aus als Deutschland,auch nicht für Forschung und Entwicklung .
Wir werden auch künftig die Spielräume des Haushaltsvorrangig für Investitionen nutzen . Das bedeutet natür-lich auch, dass ein weiterer Anstieg der Sozialausgaben,die ohnehin deutlich über 50 Prozent des Bundeshaus-halts ausmachen, vermieden werden muss .Auch ein Zweites muss klar sein: Im Wesentlichenwird unser Wirtschaftswachstum von privaten Investi-tionen getragen. Die öffentlichen Investitionen sind nurdie Rahmenbedingungen für die privaten Investitionen .Im europäischen Vergleich gilt: Nur weil einige Länderin Europa mehr Schulden machen, investieren sie nochlange nicht mehr . Selbst wenn sie investieren, sind längstnicht alle Investitionen mit öffentlichem Geld auch sinn-voll . Es gibt oft intelligentere Wege, wirtschaftlich sinn-volle und wachstumsfördernde Projekte in einer Partner-schaft mit privaten Investoren umzusetzen . Das habenwir in Deutschland in dieser Legislaturperiode mit einerReihe von Projekten erfolgreich bewiesen . Die Beteili-gung privater Investoren fördert die Rentabilität; das istder Sinn von Investitionen und nicht, einfach nur mehrSchulden zu machen .Noch einmal: Wir investieren, und wir sind im Rah-men der europäischen Hilfsprogramme solidarisch; auchda muss uns niemand irgendwelche Ratschläge geben .
Unsere Solidität und unsere Solidarität ermöglichen an-deren Euro-Ländern die Kapitalaufnahme zu guten Kon-ditionen .
Unsere Wirtschaftskraft kommt auch der wirtschaftli-chen Entwicklung unserer europäischen Partner zugute .Deshalb nennt man uns „Lokomotive“ . Wenn man IhrePolitik machen würde, wäre man wahrscheinlich eher imBremserhäuschen .
Im Übrigen: Auf europäischer Ebene fehlt es dochlängst nicht mehr an Geld . Der Juncker-Fonds ist ein in-telligenter europäischer Ansatz, zusammen mit privatemGeld zusätzliche Investitionen zu stärken . Ich bin dafür,den Juncker-Fonds fortzuführen und die Mittel, wennnötig und sinnvoll, auch zu erhöhen . Aber zunächst brau-chen wir eine gründliche Evaluierung seiner Stärken undseiner Schwächen . Wichtig ist, dass der Fonds wirklichProjekte mit europäischem Mehrwert ermöglicht,
die zum Beispiel Beiträge zur Industrie 4 .0 oder zur Di-gitalisierung leisten . Diese bringen ganz Europa voran .Wir haben bei den deutsch-italienischen Regierungs-konsultationen in der vergangenen Woche gerade überkonkrete grenzüberschreitende Projekte gesprochen .Der gute Gedanke hinter dem Fonds ist: Wir wollen mitöffentlichen Mitteln private Investitionen anziehen, umGeld in Projekte zu lenken, die wirtschaftlich wirklichvernünftig sind . Dafür ist das Engagement von Privatenwichtig . Wir sollten schon vermeiden, dass das Ganze amEnde auf den Bau der x-ten kaum befahrenen Autobahnirgendwo in Europa hinausläuft .
Wir müssen Europa für private Investoren attraktivermachen; das ist überall in Europa unser großes Problem .Sonst werden wir international zurückfallen . In diesemZusammenhang sollten wir auch daran denken, dassFreihandelsabkommen, wenn sie denn abgeschlossenwerden, in bedeutendem Umfang private Investitionenfreisetzen – gerade in unserer exportorientierten Wirt-schaft .
Wir sind heute Nacht vom G-20-Gipfel in China zu-rückgekommen . Dort ist auch viel darüber geredet wor-den, und es herrschte übrigens völliges Einvernehmenaller Teilnehmer, dass es natürlich ganz falsch ist, dassder Welthandel eher rückläufig ist und dass Protektionis-mus herrscht, und dass wir stärker auf Freihandel setzensollten . Wir sollten nicht glauben, dass wir recht haben,wenn wir alleine gegen den Rest der Welt sind .
Freihandel bedeutet mehr Güter, mehr Dienstleistun-gen, mehr Aufträge an den deutschen Mittelstand für denExport, leichterer Marktzugang für die kleinen und mitt-leren Unternehmen, mehr produktive Arbeitsplätze undhöhere Löhne . Internationaler Handel ist die Grundlagevon Wachstum – überall in der Welt .Es ist schon merkwürdig: Viele bekommen fast glän-zende Augen, wenn sie von einer Freihandelszone vonBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18313
(C)
(D)
Wladiwostok bis Lissabon reden . Nur mit Amerika wol-len sie sie nicht . Irgendetwas kann hier nicht richtig sein .
Wir dürfen die Bemühungen um TTIP nicht aufgeben .Reformieren, Rahmenbedingungen verbessern, inves-tieren: Das ist die einzige wirklich erfolgversprechendeAntwort auf eine andere große und berechtigte Sorge,nämlich der zu niedrigen Zinsen . Wir werden aus dieserNiedrigzinsphase nur herauskommen, wenn wir in Euro-pa mehr nachhaltiges Wachstum haben . Das bekommenwir nicht, wenn wir alte Wege mit neuem Geld weiter-gehen, sondern nur dann, wenn wir uns verändern . Wirbrauchen mehr Strukturreformen, überall in Europa . Esist nötig, das immer wieder zu sagen .Wir brauchen auch weltweit mehr Strukturreformen;darüber gibt es Einigkeit .
– Ja, ich komme gleich darauf . – Daneben brauchen wirweltweit einen Abbau der viel zu hohen öffentlichen undprivaten Verschuldung . Lesen Sie zwischendurch einmaleinen Bericht der Bank für Internationalen Zahlungs-ausgleich über das Niveau der internationalen Verschul-dung –
Staatsverschuldung, Unternehmensverschuldung, Privat-verschuldung – und die besorgniserregend hohe Liquidi-tät durch die Geldpolitik der großen Zentralbanken . Wirwerden hier nur durch eine vorsichtige Reduzierung dieWiderstandskraft der Volkswirtschaften gegen Schocksund Krisen – das, was wir „Resilienz“ zu nennen gelernthaben – stärken, und das ist dringend notwendig .Deutschland wird im Dezember die Präsidentschaft imG-20-Prozess übernehmen, und wir werden sie – so ha-ben wir das besprochen – auf dem Programm der jetzigenchinesischen Präsidentschaft aufbauen . Unsere chinesi-schen Partner haben sich auf die Förderung nachhaltigenWachstums durch Strukturreformen konzentriert . Auchdas ist schon ein Ergebnis eines langen Lernprozesses,und wir werden das konsequent fortsetzen, indem wir dieWiderstandsfähigkeit der einzelnen Volkswirtschaftenund der Weltwirtschaft insgesamt stärken . Man beginntallmählich weltweit, die Notwendigkeit von Strukturre-formen besser zu begreifen .Nun fragen viele – nicht nur Sie –: Wo sind die Refor-men in Deutschland?
Einfach ist das nicht, das wissen wir alle; sonst gehen Sieeinmal in eine Bundesratssitzung .
Aber, meine Damen und Herren, auch da muss mansich einfach selber klarmachen – es ist ja wahr –: Men-schen, also wir, Gesellschaften, zumal in Demokratien,ändern eigentlich, solange es ihnen gut geht, nur ungernetwas, nämlich nur dann, wenn sie müssen, wenn esnicht anders geht, wenn eine Krise herrscht . Das habe ichmanchmal schon gedacht . Insofern ist es vielleicht, weiles uns immer noch so gut geht, gar keine ganz einfacheZeit für tiefgreifende Reformen in Deutschland . Aber dasdarf nicht das letzte Wort sein .Wir reden viel über unsere föderale Ordnung . Kom-munen, Länder und Bund sind vor allem durch die starkeZuwanderung von Flüchtlingen – jeder für sich und zu-gleich gemeinsam – in einem selten gekannten Ausmaßgefordert . Ich bin überzeugt: Die föderale Ordnung, dieGliederung in Bund, Ländern und Kommunen, ist geradein Zeiten von Globalisierung, von schnellem Wandel undVerunsicherung jeder zentralistischen Ordnung überle-gen . Aber die föderale Ordnung muss sich auch durchschnelle Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit bewäh-ren . Dazu braucht es neben Solidarität auch die richtigenAnreizsysteme .Entscheidungs- und Finanzierungszuständigkeitensollten nicht zu sehr auseinanderfallen . Das ist in derWirtschaft so . Das war in Bezug auf Chancen und Risi-ken bzw . Gewinn und Haftung in der Finanz- und Ban-kenkrise das Problem . Man nennt das in Deutschlandübrigens Ordnungspolitik . Auch darum muss es bei denGesprächen von Bund und Ländern gehen, nicht nur umdie Verschiebung von Finanzmassen .
Ich hoffe, dass wir bei den ab Mitte September verab-redeten Gesprächen rasch gute Ergebnisse erzielen, umdie Zukunftsfähigkeit unseres Landes insgesamt zu stär-ken . Dazu gehört übrigens – da sollten wir ehrlich sein –,dass wir 2020 bei der Überwindung struktureller Schwä-chen in den ostdeutschen Ländern noch nicht am Zielsind . Noch immer sind die Folgen von 40 Jahren Teilungin der wirtschaftlichen Entwicklung stärker spürbar, alswir – jedenfalls einer wie ich – das damals vor 25 Jahrengehofft haben. Wir waren damals optimistischer.Das Statistische Bundesamt hat übrigens vor ein paarWochen über Überschüsse bei Bund, Ländern und Kom-munen und bei der gesetzlichen Sozialversicherung imersten Halbjahr berichtet . Es hat damit natürlich entspre-chende Erwartungen und Diskussionen ausgelöst .Zunächst einmal können Halbjahressalden aus einerReihe von Gründen nicht auf das ganze Jahr hochge-rechnet werden . Seit Aufstellung des HaushaltsentwurfsAnfang Juli gibt es bereits erhebliche zusätzliche Anfor-derungen, insbesondere bei Integration und innerer Si-cherheit . Dennoch ist die Entwicklung auch in diesemJahr erfreulich; das muss man gar nicht bestreiten, dafürmuss man sich auch nicht entschuldigen. Denn sie schafftHandlungsspielraum für steuerpolitische Entscheidun-gen für die kommenden Jahre .Wir haben uns in dieser Legislaturperiode entschie-den – wir haben auch Wort gehalten –, die Ausgaben mitder gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Gleichge-wicht zu halten, aber auch die kalte Progression regel-mäßig auszugleichen . Das soll jetzt wieder zum 1 . Ja-Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618314
(C)
(D)
nuar nächsten Jahres geschehen . Wir werden in Kürzeden Existenzminimumbericht und den Bericht über dieWirkung der kalten Progression vorlegen, so wie es ge-setzlich festgelegt ist . In der Folge dieses Berichts wer-den wir Grundfreibetrag, Tarif, Kindergeld und Kinder-freibetrag anpassen. Das hat bei der geringen Inflationnatürlich nur begrenzte Auswirkungen . Immerhin: Mankommt hier auch für 2017 gesamtstaatlich gesehen aufeine Größenordnung von 2 Milliarden Euro . Auf die Be-geisterung im Bundesrat bin ich schon gespannt .
Im Übrigen: Auch jenseits der kalten Progressionwachsen die Steuereinnahmen aus einer Reihe von Grün-den .
– Sie bekommen demnächst den Bericht und den Ge-setzgebungsvorschlag . Damit können Sie sich dann be-schäftigen; das ist schon klar . Wir haben immer noch eineleichte Inflationsrate, Herr Kollege.Aber ich wollte gerade sagen: Es gibt auch jenseits derkalten Progression einen langsamen Anstieg der Steuer-einnahmen, der höher ist als der der wirtschaftlichen Ge-samtleistungskraft . Deshalb ist die gesamtwirtschaftlicheSteuerquote in den letzten Jahren leicht angestiegen .Wenn wir das korrigieren – wofür ich plädiere, weil ichnicht glaube, dass die gesamtwirtschaftliche Steuerquo-te ansteigen sollte –, dann haben wir nach 2017 in dernächsten Legislaturperiode einen Steuersenkungsspiel-raum von etwa 15 Milliarden Euro . Den können undden sollten wir nutzen bei der Korrektur von Lohn- undEinkommensteuer – insbesondere für kleine und mittlereEinkommen –, aber auch für den Abbau des sogenanntenMittelstandsbauchs .
Wir arbeiten aber auch global und auf europäischerEbene unermüdlich und mit wachsendem Erfolg daran,dass die gesetzlich geschuldeten Steuern auch bezahltwerden . Wir haben den globalen Informationsaustauschfür Einkünfte aus Kapitalvermögen vereinbart, und wirhaben im G-20-Prozess die von uns auf den Weg gebrach-te BEPS-Initiative beschlossen, die wir jetzt in europäi-sches und nationales Recht umsetzen . Wir sind schnellerund weiter vorangekommen, als es von den allermeistennoch vor ein paar Jahren für möglich gehalten wurde .Es bleibt viel zu tun, und die Schwierigkeiten unddie Widerstände sind global ebenso vielfältig wie groß .Deswegen nutzen wir übrigens immer wieder das Mo-mentum, wenn spektakuläre Fälle international öffent-liche Erregung hervorrufen . Das haben wir bei den Lu-xemburg-Leaks gemacht, als wir bei den Tax RulingsTransparenz geschaffen haben. Das haben wir bei denPanama Papers geschafft, wo wir Informationsregisterund den Austausch über die wirtschaftlichen Eigentü-mer vereinbart haben . Und genauso werden wir jetztnach der Entscheidung der Europäischen Kommissionbzw . der Wettbewerbskommissarin im Apple-Fall wiederdas Momentum für die Bemühungen nutzen, BEPS wievereinbart zu implementieren . Denn wäre das, was ver-einbart ist, damals schon in Kraft gewesen, hätte es denFall Apple in Irland so nicht gegeben . Das zeigt, dass wirauf dem richtigen Weg sind . Wir müssen ihn konsequentweitergehen .
Natürlich geht es bei dem Thema eigentlich um eineinternational faire Steuergesetzgebung – und insofernnicht in erster Linie um eine Frage des Wettbewerbs- undBeihilferechts . Ich will aber gleich hinzufügen: Wenn esum die Besteuerung internationaler Konzerne geht – ins-besondere auch solcher, die überwiegend im Netz tätigsind; das wird ja zunehmend die große Herausforderungfür die nationale und die internationale Steuerpolitiksein –, dann werden wir auch Konsequenzen für unsereUnternehmensbesteuerung mit zu bedenken haben .Bei der guten Haushaltslage wird ja immer wiederauch die Frage gestellt: Könnten wir bei Investitionennicht noch mehr tun? Zunächst einmal ist doch der Hin-weis notwendig, dass bereitgestelltes Geld oft nicht ab-gerufen wird . Wir haben 2015 einen Fonds aufgelegt – dawaren die Länder auch bereit, mitzumachen; das war garnicht so ganz leicht am Anfang –, um besonders finanz-schwachen Kommunen zusätzliche Investitionen zu er-möglichen . Das war als schnelle Hilfe gedacht . Wir ha-ben inzwischen – und das schon nach kurzer Zeit – dieFristen für den Abruf dieser Mittel erheblich verlängernmüssen, weil es offenbar vor Ort an schnell realisierbarenVorhaben fehlt .Wir haben den Kitaausbau in den vergangenen Jahrenmit Milliardenbeträgen des Bundes gefördert . Aber auchhier das gleiche Bild: Nach der jüngsten Mittelaufsto-ckung, als die Eckwerte im Frühjahr vorlagen, musstenzunächst einmal die Fristen für die Inanspruchnahme derMittel deutlich verlängert werden, weil sie nicht schnellgenug abgerufen werden . Die Familienministerin hat da-mals darauf hingewiesen, dass die Kommunen zu sehrmit der Flüchtlingsfrage beschäftigt seien . ZusätzlicheKindertagesstätten sind aber gerade wegen der Flücht-linge notwendig . Wir können sie nicht erst bauen, wenndie Kinder das Seniorenalter erreicht haben . Deswegenmüssen wir schneller werden .
Wenn wir uns das im Übrigen genauer ansehen, stellenwir fest, dass wir zunehmend nicht nur einen Mangel anumsetzungsreifen Projekten, sondern auch an Planungs-kapazitäten haben. Offenbar besteht dieses Problem aufallen staatlichen Ebenen .
Es liegt ja nicht an fehlendem Geld, dass der BerlinerFlughafen, der in Brandenburg liegt, nicht fertig wird .Angesichts der Tatsache, dass die Verwirklichung desGesamtprojektes Rheintalbahn jetzt für das Jahr 2035 insAuge gefasst wird, muss man sagen: Wir hatten mal mitBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18315
(C)
(D)
der Schweiz 2016 verabredet . Die Schweiz hat schon indiesem Jahr den Gotthardtunnel in Betrieb genommen .An mangelndem Geld liegt es also nicht . Es muss schondamit zu tun haben, dass wir bei der Umsetzung von In-vestitionsvorhaben schneller werden müssen .
Ich lasse gerade in meinem Haus prüfen, ob wir beiProjekten, bei denen es um Mittel für die Kommunengeht, möglicherweise auch die Kapazitäten für Planungs-verfahren bei den Kommunen miteinbeziehen können .Das ist verfassungsrechtlich nicht ganz einfach, aber wirsuchen jeden Weg, um zu helfen .
Wir müssen jedenfalls – dabei appelliere ich an alle indiesem Haus – in den Verfahren deutlich schneller wer-den . Ich will es noch einmal sagen: Mir leuchtet es im-mer noch nicht ein, warum wir die Geschwindigkeit, mitder wir die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ nachder Wiedervereinigung verwirklichen konnten, nichtauch heute bei großen Infrastrukturprojekten ermögli-chen können .
Meine Damen und Herren, damit bin ich wieder andem Punkt, an dem ich die Diskussion über das Verhält-nis von Bund, Ländern und Kommunen gerne hätte . Esgeht um Handlungsfähigkeit . Es geht um den Willen unddie Fähigkeit zur Übernahme von Verantwortung . Es gehtdarum, dass jede Ebene tatsächlich tut und tun kann, wasjeweils ihre Aufgabe für die Zukunft unseres Landes ist .
Aufgabe des Bundes, der wir nachkommen, ist die Fi-nanzierung weiter Bereiche sozialer Sicherheit in unse-rem Land . Mehr als jeder zweite Euro im Bundeshaushaltgeht in die soziale Sicherung .
Dazu kommt noch die Unterstützung der Kommunenbei ihren sozialen Aufgaben . Im Jahre 2020 werden über100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in dieRentenkasse zu überweisen sein . Das ist der mit Abstandgrößte Einzelposten im Bundeshaushalt .
Übrigens stammt jeder dritte Euro, den ein Rentner heuteerhält – auch das muss man zwischendurch einmal sa-gen –, aus dem Steuerhaushalt .
Wir haben eine klare Drittelfinanzierung. Das wissen dieMenschen zum Teil gar nicht .Wir müssen weiter darauf achten, das Geld für Sozia-les zielgerichtet einzusetzen . Wir haben bei der Rente indieser Legislaturperiode viel getan . Wir haben Renten-steigerungen wie seit langem nicht mehr . Was ich heuteam ehesten für vernünftig halte, ist eine Stärkung der in-dividuellen Vorsorge . Ich glaube, die Förderung der Ries-ter-Rente ist für Geringverdiener und Familien attraktiv .Die Riester-Rente ist gut, und es lohnt sich, daran zu ar-beiten, sie weiter zu verbessern .
Frau Nahles und ich arbeiten an Vorschlägen, wie wirdie betriebliche Altersvorsorge weiter stärken können .Wir wollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mitgeringerem Einkommen steuerliche Anreize zu solcherVorsorge geben, und wir wollen mehr kleinen und mitt-leren Unternehmen ermöglichen, betriebliche Altersver-sorgung anzubieten . Auch dazu sind wir mit den Sozial-partnern im Gespräch .Wir müssen uns jetzt auch darauf konzentrieren, dassdie Alterssicherung der heute Erwerbstätigen – nicht nurder heutigen Rentner – weiter ein solides Fundament hat .
Dabei wäre es bei allem Respekt angezeigt, die Debatteüber den offensichtlichen Zusammenhang von Lebens-zeit und Lebensarbeitszeit zu enttabuisieren .
Gestatten Sie mir – ich habe mich nämlich in mei-nem politischen Leben viel mit der deutschen Einheitbeschäftigt – noch eine Bemerkung zur Ost-West-Ren-tenangleichung . Es geht dabei nicht in erster Linie umFinanzierungsfragen . Es geht um einen fairen Ausgleichzwischen Ost und West, aber es geht auch um einen fai-ren Ausgleich zwischen Jung und Alt . Das Konzept derlohnbezogenen Angleichung hat alles in allem gut funkti-oniert. Die heutigen Rentner im Osten profitieren von derHochwertung ihrer Löhne und von Rentensteigerungenwie zuletzt um fast 6 Prozent . Viele Rentner im Ostenhaben eine sehr auskömmliche Altersversorgung – icherinnere mich noch daran, wie die Altersversorgung vorder Wende war –, und das hat in den vergangenen Jahrenzunehmend zu kritischen Anmerkungen im Westen ge-führt . Auch das muss man im Blick haben .Dass es noch 2016 unterschiedliche Rechengrößenin Ost und West in der Rente gibt, hängt damit zusam-men, dass auch die Jüngeren im Osten eine Chance aufdas Erarbeiten höherer Rentenansprüche haben sollen .Bisher war das Konsens unter allen großen Parteien .Die lohnbezogene Rentenangleichung nun zu beenden,würde bedeuten, manche Gruppen besser, aber mancheGruppen schlechter zu stellen . Es würde nicht „mehr füralle“ bedeuten . Deswegen muss es sorgfältig abgewogenwerden .
Alle damit zusammenhängenden Debatten haben vielmit unserem Bedürfnis nach Sicherheit zu tun . Auch daerleben wir gerade einen Wandel . Die Sorge um Sicher-heit von Leib und Leben, um Freiheit und Eigentum wirdBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618316
(C)
(D)
größer, und immer öfter wird die Frage gestellt, ob wir dagenug tun . Im Bundeshaushalt erhöhen wir die Mittel fürinnere und äußere Sicherheit weiter; das ist ein wichtigerSchwerpunkt . Der Verteidigungshaushalt wird 2017 um1,7 Milliarden Euro angehoben, bis 2020 um mehr als10 Milliarden Euro . Wir wissen schon, dass militärischeInterventionen des Westens in den letzten Jahren nichtimmer Erfolg gebracht haben, jedenfalls nicht den Er-folg, den man sich versprochen hat . Aber wir sehen auch,dass wir in der Welt, wie sie ist, nicht ganz ohne Interven-tionen auskommen .Wir werden zugleich die Ausgaben für die innere Si-cherheit bis 2020 deutlich erhöhen, um mehr als 2,2 Mil-liarden Euro gegenüber der bisherigen Finanzplanung .Bis zu 4 500 neue Stellen sind bei den relevanten Sicher-heitsbehörden vorgesehen: beim Bundeskriminalamt, beider Bundespolizei und beim Bundesamt für Sicherheit inder Informationstechnik .Aus gegebenem Anlass, Herr Kollege Gabriel, willich durch ein paar Zahlen die Erhöhung von Ausgabenund Stellen im Bereich der inneren Sicherheit in der Zeitunionsgeführter Bundesregierungen seit 2005 noch ein-mal verdeutlichen . Das Volumen des Einzelplans desBundesinnenministeriums hat sich von 4,1 MilliardenEuro im Jahr 2005 auf 8,3 Milliarden Euro im Jahr 2017mehr als verdoppelt . Die Ausgaben für die Bundespoli-zei haben sich von 2,2 Milliarden Euro im Jahr 2006 auf4,3 Milliarden im Jahr 2017 ebenfalls fast verdoppelt .Die Ausgaben für die Ausrüstung der Bundespolizei sindvon 148 Millionen Euro im Jahr 2006 auf 253 MillionenEuro im Jahr 2017 gestiegen . Die Zahl der Stellen bei derBundespolizei ist von 38 000 auf gut 40 000 gestiegen .Wir haben in der vergangenen Woche ein weiteres Si-cherheitspaket zur Terrorismusbekämpfung vorgestellt;das muss man, wenn das Parlament dem folgt, einbe-ziehen . Wir werden damit bei den Sicherheitsbehördennoch einmal zusätzlich 4 500 Stellen einrichten . Bei derBundespolizei sollen zwischen 2017 und 2020 zusätzlich3 250 Stellen geschaffen werden. Mehr ist gar nicht mög-lich, weil man die entsprechenden Leute bekommen undausbilden muss . Das verdoppelt den zwischen 2015 und2017 vorgesehenen und bereits realisierten Stellenauf-wuchs . Es gab und gibt keinen Sparkurs in der innerenSicherheit .
Wir können viel tun, und wir tun viel . Aber kein Na-tionalstaat kann allein viel erreichen . Ohne europäischeLösungen werden wir am Ende nicht weit kommen . Lei-der zweifeln immer mehr Menschen – und das nicht nurin Großbritannien – an der Fähigkeit der EuropäischenUnion, übergreifende Probleme gut zu lösen . Man kannsicherlich lange darüber diskutieren, wie berechtigt dieseZweifel sind . Aber viel besser ist es, sie durch Taten zuwiderlegen . Deshalb muss Europa den Beweis antreten,dass es handlungsfähig ist . Die Europäische Union mussbei gemeinsamen, zentralen Problemen zeigen, dass siediese Probleme besser lösen kann . Nur so werden dieMenschen wieder Vertrauen in Europa und zu Europafassen .
Wir sind dabei, in Europa der vielleicht nur noch 27eine neue Dynamik zu entfachen . Es gibt eine Reihevon überzeugenden Ansätzen und Ideen . Mit der Kapi-talmarktunion wird es für Unternehmen mehr Finanzie-rungsmöglichkeiten geben . Es liegt auf der Hand, wel-ches Potenzial in einer europäischen Digitalunion – siewurde von der Europäischen Kommission schon an-gekündigt –, etwa in einer europäischen Cloud, liegenkönnte . Man muss es jetzt nur machen .
Warum machen wir nicht endlich Ernst mit der Ener-gieunion? Das ist in unser aller Interesse . Ich glaubeauch, dass wir auf dem Weg zu einem gemeinsamen eu-ropäischen Arbeitsmarkt weitergehen können . Warumgründen wir auf dem Weg dorthin nicht einen europäi-schen Ausbildungsverbund gegen die immer noch viel zuhohe Jugendarbeitslosigkeit in manchen Teilen Europas?
Wenn man weiß, dass Wettbewerbsfähigkeit und Wachs-tum in der Zukunft vom Potenzial der ausgebildeten Ar-beitskräfte abhängig werden, ist Jugendarbeitslosigkeitin Europa ein Verschleudern unseres künftigen Poten-zials . Das dürfen wir nicht zulassen . Das darf am Geldnicht scheitern .
Wir brauchen eine Mobilitätsoffensive. Ich werbe beiunseren Partnern dafür . Wir haben gerade in Italien dazuGespräche geführt . Es kann doch nicht sein, dass wir aus-bildungssuchende junge Menschen aus Südeuropa nichtzu den Ausbildungsbetrieben bei uns und woanders brin-gen, die junge Menschen als Auszubildende suchen . Dasmuss doch möglich sein in Europa .Um ein letztes Beispiel zu nennen: Warum lassen wires weiterhin geschehen, dass 27 europäische Mitglied-staaten viel Geld relativ ineffektiv für ihre Rüstungsbe-schaffung ausgeben, weil diese immer noch national or-ganisiert ist?
In der Flüchtlingspolitik kommen wir Schritt fürSchritt zu europäischen Lösungen . Nach dem europäi-schen Abkommen mit der Türkei brauchen wir entspre-chende Rücknahmeabkommen mit Ägypten und dennordafrikanischen Staaten . Die Kommission arbeitet da-ran . Es muss schließlich Europa entscheiden können, werzu uns kommt, und nicht die Schlepperbanden .
Die Zahl der bei uns ankommenden Flüchtlinge istinzwischen deutlich zurückgegangen . Aber das Schlep-perunwesen auf dem Mittelmeer hat nicht abgenommen,Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18317
(C)
(D)
sondern es nimmt wieder zu . Wenn man bedenkt, dassin diesem Jahr schon über 100 000 Menschen im Mittel-meer aus Seenot gerettet werden konnten, kann man nurahnen, wie viele ertrunken sein mögen . Aber solange derWeg nach Europa über das Mittelmeer führt und nichtzurück an die südliche Mittelmeerküste in geordnetenVerfahren, so lange wird der Skandal weitergehen . Eswar der Sinn des Abkommens mit der Türkei – und es hatgeklappt –, den Schlepperbanden die Geschäftsgrundla-ge zu nehmen .
Es wäre übrigens fahrlässig, anzunehmen, die Heraus-forderung durch weltweite Migration für Europa und fürDeutschland klinge bald wieder ab . Deswegen stellenwir für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingenund für die Bekämpfung von Fluchtursachen 2017 knapp19 Milliarden Euro im Haushalt bereit, und für den Ge-samtzeitraum bis 2020 sind es über 77 Milliarden Euro .Neben den neuen Mitteln für die Bekämpfung derFluchtursachen haben wir die Aufwendungen für die Ent-wicklungszusammenarbeit in den vergangenen Jahrenerheblich gesteigert . Der Etat des Bundesministeriumsfür wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungwird 2017 erstmals auf rund 8 Milliarden Euro steigen .Die Krisenregionen des Nahen und Mittleren Ostens undAfrikas – Syrien, Irak, Libyen und Subsahara-Afrika –werden sich ohne unsere Mithilfe nicht stabilisieren undwirtschaftlich entwickeln können .
Solange sich die Lebensbedingungen in diesen Regionennicht verbessern, sind die Menschen auf der Flucht vorKrieg, Gewalt, Hunger und Armut und werden sich aufden Weg nach Europa machen . Wir werden in diesen Re-gionen die Bedingungen für mehr Investitionen schaffenmüssen, damit die Menschen eine Perspektive in ihrerHeimat sehen können .Europa hat eine Verantwortung für Afrika im ureige-nen Interesse . Deshalb haben wir verabredet, dass wirim Rahmen unserer G-20-Präsidentschaft auf die Ent-wicklung neuer Märkte und neuer Wachstumspotenzia-le mit unseren afrikanischen Partnern einen besonderenSchwerpunkt setzen werden . Ich sagte, dass wir geradevon dem G-20-Treffen in China kommen. Wir haben dortüber ein Compact with Africa gesprochen – ein deutscherVorstoß für unsere Präsidentschaft . Wir wollen damiteine Einigung auf Standardelemente für Investitionsver-einbarungen erreichen, um private Investitionen in Afri-ka sicherer zu machen, Investitionshemmnisse abzubau-en und Investitionsanreize zu setzen . Europa muss sichmehr für die Stabilisierung unserer Nachbarschaft enga-gieren . Es wird uns nicht gut gehen, wenn um uns herumdie Welt in immer größere Turbulenzen gerät .Hier schließt sich der Kreis zum Bundeshaushalt . Dasalles kostet; aber wir sind fähig und bereit, Mittel dafüraufzuwenden . Von der kommunalen Infrastruktur bis zurBekämpfung von Fluchtursachen in Afrika: Dieser Bun-deshaushalt ist ein politisches Angebot für Zukunftsge-staltung, ein Programm zur Bewahrung und Erneuerungvon Wohlstand und Sicherheit in unserem Land, in einerunsicheren Zeit ein gangbarer Weg, eine Chance dafür,dass wir auch morgen noch so leben können, wie wir unsdas vorstellen .Meine Damen und Herren, wir leben in Deutschlandseit mehr als einem halben Jahrhundert in der glücklichs-ten Phase unserer Geschichte . Die Welt verändert sichrasend schnell . Wenn wir bereit sind, Veränderungen alsChance zu begreifen, Herausforderungen anzunehmenund aus Erfahrungen zu lernen, dann werden wir Stabi-lität, Sicherheit im Wandel bewahren . Wenn wir das tun,ist mir um die Zukunft nicht bange .Herzlichen Dank .
Nach der Einbringung des Haushaltsentwurfs der
Bundesregierung beginnen wir nun mit der Debatte .
Ich erteile als Erster das Wort Gesine Lötzsch für die
Fraktion Die Linke .
Vielen Dank . – Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Wir als Linke meinen, der Haus-
haltsentwurf 2017 fällt bei drei wichtigen Tests durch .
– Eine Massenflucht ist das, glaube ich, nicht. Aber danke
für den Hinweis, Kollege Kahrs . Vor allen Dingen weisen
Sie damit ein bisschen auf mangelnde Disziplin hin .
Einen Augenblick, Frau Kollegin . – Frau Bundeskanz-
lerin und Herr Kollege Kauder, dass Sie sich hier vorne
unterhalten, das muss so jetzt nicht sein, und wenn, dann
muss es jedenfalls nicht hier vorne sein .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Meine sehr geehrtenDamen und Herren, ich darf Sie darauf hinweisen, dassder Haushaltsentwurf 2017 aus der Sicht der Linken dreiwichtige Tests nicht besteht: Er besteht erstens den Ge-rechtigkeitstest nicht, er besteht zweitens den Sicherheits-test nicht, und er besteht drittens den Zukunftstest nicht .Das wollen wir ändern .
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618318
(C)
(D)
Die Regierung spaltet unsere Gesellschaft weiter,statt die Spaltung aufzuheben . Die Vermögenden werdenweiter geschont . Die Erbschaftsteuer, die es in unseremLand gibt, ist doch ein Witz . In jedem Jahr werden bis zu200 Milliarden Euro vererbt, von denen nur ein lächer-licher Betrag versteuert wird . Das muss sich dringendändern .
Auch auf Kapitalerträge werden weiterhin wenigerSteuern gezahlt als auf geleistete Arbeit, und die Fi-nanztransaktionsteuer, die uns Herr Schäuble schon seit2008 versprochen hat, ist bis heute nicht eingeführt . Dasist nicht hinnehmbar .
Die Union hat schon einen Steuersenkungswahlkampfbegonnen . Angeblich wollen Sie kleine und mittlere Ein-kommen entlasten . Das kann man gerne tun . Unser Vor-schlag lautet ganz deutlich: die Vermögenden belasten,um die kleinen und mittleren Einkommen entlasten zukönnen .
Zur Erinnerung: 1 Prozent der Bevölkerung verfügt inunserem Land über ein Drittel des gesamten Eigentums,und dieses 1 Prozent verfügt über die Macht, Steuererhö-hungen für sich selbst zu verhindern .
Da können sich – ich höre das ja auch schon in den Zwi-schenrufen – die Vermögenden auf die Union immer ver-lassen. Aber ich finde, das geht so nicht.
Die Bundesregierung hat in dieser Wahlperiode nichtsunternommen, um das Steuersystem gerecht zu gestalten .Sie fällt eindeutig durch den Gerechtigkeitstest .Meine Damen und Herren, die Bundesregierung –Herr Schäuble hat das ja ausgeführt – will mehr Geld fürdie Bundeswehr ausgeben . Ich sage Ihnen: Dafür gibt esnicht eine sinnvolle Begründung .
Sie müssen sich doch die Frage stellen, ob die Bundes-wehr in den vergangenen Jahren einen Beitrag dazu ge-leistet hat, dass diese Welt sicherer wird . Die militärischeBeteiligung Deutschlands am Afghanistankrieg hat we-der in Afghanistan noch in Deutschland die Sicherheiterhöht .
Der Kampf gegen den Terror hat den Terror auch nachDeutschland geholt .Meine Damen und Herren, wenn Sie jetzt noch mehrGeld für die Bundeswehr ausgeben, schafft das mehr Si-cherheit für die Besitzer von Aktien von Rüstungskon-zernen, aber weniger Sicherheit für die Menschen hierin Deutschland, in Afghanistan und Syrien und wenigerSicherheit für die Millionen Menschen, die vor Kriegenfliehen, und das können wir uns nicht mehr leisten.
Wir sagen: Mehr Sicherheit gibt es nur ohne Kriegsbe-teiligung und ohne Waffenexporte. Also: Schluss mit denWaffenexporten!
Wenn Sie mit den Menschen in unserem Land spre-chen, dann erfahren Sie: Die Menschen haben Ängste,die Sie ihnen nicht mit militärischen Mitteln nehmenkönnen . Sie haben Angst vor Altersarmut . Sie habenAngst vor steigenden Mieten . Sie haben Angst vor demVerlust ihres Arbeitsplatzes und Angst vor steigendenGesundheitskosten . Wir als Linke wollen den Menschendiese Angst nehmen,
indem wir in Solidarität investieren: in eine solidarischeRente, in ein solidarisches Gesundheitssystem und in ei-nen solidarischen Wohnungsbau . Das wäre der richtigeWeg .
Meine Damen und Herren, die Regierung hat einen„Nach mir die Sintflut“-Haushalt vorgelegt. Seit nun dreiJahren lässt sich Herr Schäuble für die schwarze Null fei-ern . Er erinnert mich ein bisschen an den Hans in demMärchen Hans im Glück. Hans hält einen Goldklumpenin den Händen und weiß damit nichts anzufangen . ZumSchluss hat er nichts. Dem Finanzminister fliegt das Geldvon selbst zu; er muss gar nichts tun . Niedrige Zinsen,niedriger Wechselkurs, billiges Öl – das wären dochgroßartige Voraussetzungen, um eine wirkliche Gerech-tigkeitsoffensive zu starten.
Seit 2008 haben wir wegen sinkender Zinsen rund100 Milliarden Euro Zinszahlungen eingespart . Warumwird aus diesen guten Rahmenbedingungen nichts Ver-nünftiges gemacht? Mit Herrn Schäuble verbindet sichkein Zukunftsprogramm, keine gerechte Reform desSteuersystems, sondern nur die schwarze Null, und dasist wirklich ein mageres Ergebnis .
Wir brauchen ein starkes, ein wirksames Programmfür bessere Arbeit und bessere Infrastruktur . Das Frei-handelsabkommen TTIP, das Sie genannt haben, HerrSchäuble, ist ein solches Programm wirklich nicht; esist genau das Gegenteil . Nicht umsonst haben sich Men-schen in allen Ländern versammelt, um dagegen zu pro-testieren . Das Freihandelsabkommen TTIP wird nichtdafür sorgen, dass Arbeitsplätze sicherer werden . Eswird die Reichen reicher machen und die Armen ärmer .Darum werden sich am Sonnabend, dem 17 . September,Dr. Gesine Lötzsch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18319
(C)
(D)
viele Menschen mit guten Argumenten dagegen versam-meln . Ich kann Ihnen nur empfehlen, Herr Schäuble:Hören Sie diesen Argumenten zu, und ändern Sie IhrePosition zum Freihandelsabkommen!
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung mussendlich aufhören, sich nur für die schwarze Null zu fei-ern . Jetzt ist es höchste Zeit, gerechte Steuern zu erheben,Sicherheit durch mehr Solidarität zu erreichen und wirk-lich und wirksam in die Zukunft zu investieren .Herzlichen Dank .
Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Carsten
Schneider das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dasist jetzt der vierte Haushalt, den die SPD in der GroßenKoalition mit zu verantworten hat . Es ist der vierte Haus-halt, in dem es keine neuen Schulden mehr gibt . Das istein Ergebnis, auf das wir Sozialdemokraten stolz sind,weil es uns zuverlässigen Spielraum auch für Zukunftsin-vestitionen gibt; der Finanzminister hat es angesprochen .Aber ich will hier noch einmal kurz darauf rekurrie-ren: Warum haben wir eigentlich keine neuen Schulden?Weil wir uns schon im Jahr 2009 einer soliden Finanzpo-litik verpflichtet haben.
Es gab damals die Föderalismusreform, die Einführungder Schuldenbremse unter dem damaligen Finanzminis-ter Peer Steinbrück, der im September den Bundestagverlassen wird . Heute sind die Ergebnisse da: Wir habenkeine neuen Schulden mehr . Das ist auch ein Verdienstvon Peer Steinbrück . Vielen Dank dafür!
Dieser Haushalt 2017 ist alles andere als ein Wahl-kampfhaushalt, er ist eher solide, bringt aber auch dieunterschiedlichen politischen Schwerpunkte der beidenParteien, die diese Koalition tragen, zum Ausdruck . Ei-ner der Unterschiede, Herr Minister, die ich schon einmaldeutlich machen möchte, ist, dass für uns als Sozialde-mokraten das Wort „Soziales“ kein Fremdwort ist undSoziales auch keine Kostenbelastung darstellt .
Sie haben 50 Minuten intensiv und ausführlich ge-sprochen – es war auch sehr vieles sehr richtig –, aberder Punkt „Soziales, sozialer Zusammenhalt in diesemLand“ kam nur im Zusammenhang mit den Bund-Län-der-Finanzbeziehungen und der Kostenbelastung für denBundeshaushalt vor . Liebe Kolleginnen und Kollegen,ich sage: Das reicht nicht . Denn der soziale Zusammen-halt, der auch durch den Bundeshaushalt gewährleistetwird, sichert die Zukunft in unserem Land . Er sichert,dass wir hier in Frieden leben können, dass es den Men-schen gut geht und wir einen Ausgleich zwischen Armund Reich haben . Uns Sozialdemokraten ist das sehrwichtig .
Ganz klar ist: Die Grundlage dafür ist das Wirtschafts-wachstum . Dafür haben wir viel getan . Sicherlich könn-ten wir auch, was Strukturreformen betrifft, in Deutsch-land noch mehr tun . Ich habe aber die Unionsfraktion inden letzten Jahren in der Dampflok nicht so weit vorngesehen, sondern eher hinten bei den Bremsklötzen .
Dasselbe sage ich auch bei der Steuerpolitik . Das An-gebot, in der nächsten Legislaturperiode eine Steuerent-lastung in Höhe von 15 Milliarden Euro vorzunehmen,mag sonor klingen, es kommt aber zumindest etwas spät .Ich hätte mir gewünscht, wir hätten in dieser Legislatur-periode bereits gestaltende Steuerpolitik machen können,die zu etwas mehr Gerechtigkeit geführt hätte, nämlichim Tarif den Mittelstandsbauch, aber auch die Frage einerHöherbesteuerung der Spitzeneinkommen anzugehen .Das war mit Ihnen leider nicht möglich . Sie haben sich jaselbst gegeißelt . Von daher sind es in diesem Punkt vierverlorene Jahre .
Wir werden sehen, wie die Bürger dann bei der Bundes-tagswahl entscheiden . Wir jedenfalls stellen uns einerEntlastung nicht entgegen, aber diese muss schon sehrgezielt sein .Es gibt ganz klare Prioritäten: erstens Haushaltsaus-gleich – das ist klar –, zweitens: Eine Nettobelastungder kommunalen und der Landeshaushalte ist nicht drin .Kommunen und Länder haben enorme Aufgaben im Bil-dungsbereich und in der sozialen Infrastruktur . Das heißt:Es ist beim Bund . Man muss sich sehr genau anschauen:Wer benötigt tatsächlich eine Entlastung? Insbesonderediejenigen, die überhaupt keine Einkommensteuer zah-len, da sie so geringe Einkommen haben, würden voneiner Senkung der Einkommensteuer gar nicht profitie-ren . Das sind die unteren 50 Prozent derjenigen, die inDeutschland Einkommen haben . Diese brauchen eineEntlastung . Das kann ich aber nur sehr, sehr schwer überdas Steuersystem machen, wenn sie überhaupt keineSteuern zahlen . Aus diesem Grund müssen wir den Blickweiten, insbesondere auf die Dinge, die sofort regressivwirken; ich meine die Sozialabgaben . Dort müssen wirschauen, ob wir nicht eine Möglichkeit finden, zu einerEntlastung zu kommen .
Dr. Gesine Lötzsch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618320
(C)
(D)
Da wären wir auch sofort dabei, wenn es denn ernst ge-meint ist .Kollegin Lötzsch warf die Frage auf: Ist dieses Landgerecht? Es ist, verglichen mit vielen anderen Ländernder Welt, schon gerecht . Wir können es uns aber nochgerechter vorstellen und werben auch dafür . Ich will zweiPunkte nennen, die im Dissens zu dem stehen, was derFinanzminister sagte – aber das ist auch klar; denn essind zwei unterschiedliche Parteien in der Koalition .Das Erste ist: Sind die Sozialausgaben in Deutschlandeigentlich zu hoch? Ich habe es mir eben noch einmal an-geschaut: Die Sozialleistungsquote am Bruttoinlandspro-dukt, also dem, was hier in Deutschland erarbeitet wird,ist seit 1996 konstant und liegt in etwa bei 29 Prozent .Wir haben es also nicht mit einem überbordenden Sozial-staat zu tun . Es ist konstant, es gibt keine Kürzungen, esgibt Umverteilung .Nun muss man schauen: Wo gibt es im System unserersozialen Sicherung noch Lücken? Dabei lohnt ein Blickin den Armuts- und Reichtumsbericht und auf die, die esbesonders schwer haben. Entgegen der öffentlichen Dis-kussion, die darauf hinausläuft, dass wir es derzeit mitdem großen Problem der Altersarmut zu tun haben, ha-ben wir es vielmehr mit Kinderarmut zu tun .
Das größte Armutsrisiko, das man haben kann, ist, allein-erziehend zu sein und Kinder zu haben .
Alleinerziehend zu sein und mehrere Kinder im Haushaltzu haben, ist das größte Armutsrisiko, und ich finde, dasswir genau an dieser Stelle ansetzen müssen . Das geht mitrelativ wenig Geld . Die Situation von 4 Millionen Men-schen – 2,3 Millionen Kindern und 1,6 Millionen Frau-en; 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen – istin dem Fall prekär, dass zum Beispiel der Unterhaltsvor-schuss nach dem zwölften Lebensjahr nicht mehr gezahltwird . Es ist absurd: Er wird bis zum zwölften Lebensjahrgezahlt, weil der Expartner nicht zahlt . Man hat natürlichtrotzdem Ausgaben für das Kind . Man ist im Zweifel be-rufstätig und hat alles zu organisieren . Das ist wahnsin-nig schwer; denn alles ruht auf den Schultern der Allein-erziehenden . Und dann sagt der Staat: Mit zwölf Jahrengibt es nichts mehr . – Was sagt das eigentlich dem Kind?
Und das zu Beginn der Pubertät, wo es eigentlich erstrichtig teuer wird! Ich finde, das ist ein nicht hinnehmba-rer Zustand . Dass der korrigiert wird, möchten wir Sozi-aldemokraten in diesem Jahr noch durchsetzen .
Zum Zweiten: die Unterschiede bei den Renten in Ostund West . Diese haben in der Tat auch wir Sozialdemo-kraten lange Zeit, bis zum Jahr 2013, so begründet, wieSie es gesagt haben: Der langsame Anstieg der Löhne zogeinen dementsprechenden Anstieg auch der Renten nachsich . – Wir gehen mittlerweile, wenn wir das Jahr 2019bzw . 2020 in den Blick nehmen, auf das 30 . Jahr nach derdeutschen Einheit zu . Und im 30 . Jahr nach der deutschenEinheit – und bis dahin streben wir die Angleichung an –ist es aus meiner Sicht nicht mehr vermittelbar, dass wirzwei unterschiedliche Rentenrechte in Ost und West ha-ben . Das ist nicht mehr vermittelbar!
Es ist auch dem jungen Arbeitnehmer in Schleswig-Hol-stein nicht mehr vermittelbar, dass er, obwohl er dengleichen Bruttolohn wie jemand in Erfurt erhält, wenigerRentenanwartschaftspunkte bekommt .
Das ist nicht vermittelbar . Von daher wollen wir sowohlbei den Rentnern als auch bei den Arbeitnehmern zu ei-ner Gleichbehandlung kommen .
Zur Altersarmut bzw . zur Frage der Verteilung will icheines sagen: Altersarmut entsteht vor allen Dingen da-raus, dass es Lohnarmut in der Erwerbszeit gibt .
Deswegen ist der entscheidende Punkt, dass wir zu hö-heren Löhnen in Deutschland kommen . Wir haben einenersten Schritt mit dem Mindestlohn gemacht . Aber daswird nicht reichen . Von daher ist eine Unterstützung derGewerkschaften und der Arbeitnehmer dabei, höhere Ab-schlüsse insbesondere auch im Dienstleistungssektor zuerzielen, unabdingbar . Auch das gehört zu einer Finanz-debatte dazu .
Eine letzte Bemerkung noch zur Steuer- und Euro-papolitik . Wir haben im letzten halben Jahr viele Ver-öffentlichungen zu den Panama Papers lesen können; inder letzten Woche gab es die Entscheidung der EU-Kom-mission dazu, dass Apple in Irland quasi überhaupt keineSteuern zahlt . Also das reichste, wertvollste Unterneh-men der Welt zahlt einen Steuersatz von null Kommanullnull irgendwas Prozent in Irland . Die Leute fragensich: Ist das eigentlich gerecht? Es ist natürlich überhauptnicht gerecht, dass sich global agierende Konzerne vomAcker machen . Der Buchhändler bei mir in Weimar zahltseine Einkommensteuer bzw . seine Körperschaft- undGewerbesteuern, während Amazon das nicht tun muss .Das stellt eine Wettbewerbsverzerrung dar .Die EU-Kommission hat eine sehr, sehr kluge undweitreichende Entscheidung getroffen, indem sie ent-schieden hat, dass es sich dabei um eine unerlaubte Bei-hilfe handelt, diesem Steuerdumping Einhalt gebotenwerden und Apple 13 Milliarden Euro an Steuern aufdie Gewinne nachzahlen muss, die sie letztendlich hierin Europa erwirtschaftet haben. Ich finde das sehr gut.Es zeigt aber nur, welch weiten Weg wir noch zu gehenhaben . Zwei Reaktionen darauf haben mich da allerdingsirritiert .Carsten Schneider
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18321
(C)
(D)
Die erste war, dass Irland sich gegen diese Beglückungwehrt – es ist ja eine Durchsetzung des Rechts, weil Ir-land einen Körperschaftsteuersatz von 12,5 Prozent hat,aber aufgrund einer Absprache mit den Finanzbehördenreal nur null Komma irgendwas gezahlt wurden – unddieses Geld nicht annehmen will . Ich sage, liebe Kol-leginnen und Kollegen: Da hört die Solidarität auch inDeutschland irgendwann auf .
Wenn ein Land nicht einmal bereit ist, einen Mindestkör-perschaftsteuersatz – Irland hat ja den niedrigsten in derEU – auch tatsächlich durchzusetzen, dann können auchwir Irland nicht weiterhin in diesem Umfang unterstüt-zen, was Stützungsmaßnahmen sowohl über den ESMals auch über Investitionen aus EU-Fonds betrifft. Ich fin-de, im europäischen Verteilungsmechanismus – hier gehtes ja darum, wer davon profitiert – muss ein Mindestmaßan Steueraufkommen aus der Körperschaftsteuer erreichtwerden .
Die zweite Reaktion kam vom bayerischen Finanzmi-nister Söder, der ja normalerweise für jeden Populismuszu haben ist .
Er hat sich in diesem Fall allerdings hingestellt und ge-sagt – Apple hat ja seinen deutschen Firmensitz in Mün-chen, also in Bayern –, dass er nicht einmal eine Prü-fung vornehmen will . Dabei hat doch die EuropäischeKommission gesagt: Guckt doch einmal, liebe Staaten,ob nicht auch ihr etwas von diesem Kuchen bekommenkönnt; es steht euch eigentlich zu . – Er aber, der die Ver-antwortung dafür hat, hat gesagt: Nein, ich prüfe da garnicht . – Das zeigt doch nur, dass auch in Deutschland,ähnlich wie in Irland, eine Form von Standortpolitikbetrieben wird, insbesondere in Bayern, bei der die Fi-nanzbehörden quasi weggucken, nicht prüfen und nichtfür die Durchsetzung des Rechts sorgen . Das ist ein nichthinzunehmender Zustand. Ich finde, der Bund muss dortein Prüfungsrecht bekommen .
Sven-Christian Kindler ist der nächste Redner für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Unsere Gesellschaft steht vor großen Aufga-ben, vor großen Herausforderungen . Das merken wir indiesen Tagen wie in einem Brennglas – das haben Siein Ihrer Rede auch erwähnt, Herr Schäuble –: Der so-ziale Zusammenhalt in Deutschland ist gefährdet, dieMenschen sorgen sich um den Zusammenhalt in Euro-pa . Weiter sind zu nennen: die Krisen in der Welt, dieverschärfende Klimakrise weltweit, die Integration mussjetzt angepackt werden, wenn es eine Erfolgsgeschichtewerden soll . All das ist richtig gewesen . Aber wenn ichmir diese großen Aufgaben, diese großen Herausforde-rungen ansehe und das mit Ihrem Haushaltsentwurf ver-gleiche, Herr Schäuble, dann muss ich leider feststellen:Das ist deutlich zu wenig, das reicht nicht aus, das istleider ein Haushalt der verpassten Chancen .
Das ist deswegen so fatal, weil die Ausgangslage aufder anderen Seite so gut aussieht: Der Arbeitsmarkt istrobust, die Konjunktur läuft, die Steuereinnahmen sindgut, die Zinsen sind historisch niedrig . Seit 2008 hat derBundeshaushalt Zinskosten in Höhe von 122 MilliardenEuro gespart . Bei diesen historisch niedrigen Zinsen unddieser guten Konjunktur, Herr Schäuble, einen Haushaltohne Neuverschuldung vorzulegen, ist wahrlich keinegroße Kunst, meine ich . Bei allem Respekt: Das hättenauch Theo Waigel oder Hans Eichel geschafft.
Also: Wir haben super Voraussetzungen für den Bun-deshaushalt . Aber was machen Sie? Im Kern verwaltenSie als große Koalition weiter den Status quo . Sie ver-teilen Geld mit der Gießkanne: ohne Plan, ohne Fokus .Dabei hätten Sie doch alle Möglichkeiten, jetzt wirklichetwas für die Zukunft zu machen . Ich frage mich, warumangesichts dieser Mehreinnahmen, dieser Überschüssedie Infrastruktur weiter vernachlässigt wird, die Inves-titionen weiter so gering sind – die Investitionsquotestagniert bei 10 Prozent –, der soziale Frieden in diesemLand, der soziale Zusammenhalt in diesem Land weitergefährdet ist, Integration von der großen Koalition ver-schleppt wird und damit die Zukunftsfähigkeit unsererGesellschaft aufs Spiel gesetzt wird . Das halte ich ange-sichts dieser guten Rahmenbedingungen für eine verant-wortungslose Politik. Ich finde es nicht akzeptabel, wasSie mit diesem Haushalt vorlegen .
Wir haben jetzt noch ein Jahr Zeit im Bundestag,dies zu ändern, Zeit, um den Haushalt neu aufzustellen .Und das ist keine Zeit, wo man ständig Wahlkampf ma-chen kann . Damit hat die Union – und auch Sie, HerrSchäuble – in dieser Debatte schon längst angefangen:Sie machen Wahlkampf mit der Finanzpolitik . Sie habengesagt, Sie wollen den Einkommensteuertarif verändern .Nur ist es so, dass dort, wo Entlastung für kleine undmittlere Einkommen draufsteht, nicht unbedingt Entlas-tung drin ist; Carsten Schneider hat schon darauf hinge-wiesen . Der Chefarzt hat von einer Senkung des Einkom-mensteuertarifes aufgrund der Progression deutlich mehrals die Krankenschwester oder die Reinigungskraft imKrankenhaus. Ich sage Ihnen: Das finde ich nicht gerecht.
Carsten Schneider
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618322
(C)
(D)
Und das weiß übrigens auch die große Mehrheit indiesem Land . Deswegen frage ich mich, ob dieser Wahl-kampfschlager so gut funktionieren wird . ARD-Deutsch-landTrend hat gefragt: Was soll mit dem Überschuss, mitden Mehreinnahmen gemacht werden? Nur 16 Prozenthaben gesagt, sie wollen eine Steuersenkung . Knapp60 Prozent haben gesagt: Damit sollen Investitionengerecht und nachhaltig finanziert werden. – Das kanneine Lehre aus der Landtagswahl in Mecklenburg-Vor-pommern sein . Wenn man ehrlich ist, wird man sagenmüssen: Es gibt dort relativ wenige Flüchtlinge, 6 000 .Deswegen sollte man jetzt keine rechtsgerichteten De-batten über die Flüchtlingspolitik führen . Wenn man sichaber das drängende Problem in Mecklenburg-Vorpom-mern ansieht – das haben wir aber auch in anderen Regi-onen in Deutschland –, dann erkennt man, dass sich dieMenschen und Regionen abgehängt fühlen, dass sich dieöffentliche Hand, der Staat, aus vielen Bereichen zurück-gezogen hat, dass zu viele Lebensbereiche dem freienMarkt überlassen wurden und dass zu wenig in die Zu-kunft investiert wurde, zu wenig in die Köpfe investiertwurde und es zu wenig Chancen gibt. Ich finde, das musssich dringend ändern . Wir brauchen eine große Investi-tionsoffensive im Bundeshaushalt. Das muss man jetztanpacken .
Aber es ist auch richtig – das sagen wir Grüne klar –:Menschen mit kleinen Einkommen brauchen eine Ent-lastung, sie brauchen eine Unterstützung . Nur muss mandies zielgerichtet machen und nicht mit der Gießkanne .Wir sagen: Alleinerziehende brauchen eine Unterstüt-zung, sie brauchen eine bessere finanzielle Förderung,sie brauchen auch bessere Angebote für die Kinderbe-treuung . Das Problem der armen Rentner ist nicht dieEinkommensteuer, sie brauchen vielmehr Unterstützunggegen Altersarmut, zum Beispiel durch die grüne Garan-tierente . Wenn man mit Angehörigen der Mittelschichtin den Städten und Ballungszentren redet, wenn ich mitmeinen Freunden in Hannover, in Berlin oder in Mün-chen rede, dann zeigt sich: Sie treibt nicht die Einkom-mensteuer um, sondern sie treibt die Frage um: Finde icheine bezahlbare Wohnung in der Innenstadt? Oder mussich an den Stadtrand ziehen, weil die Mieten in den Städ-ten so explodieren? – Insofern ist es sinnvoll, die öffent-liche Förderung für den sozialen Wohnungsbau deutlichzu erhöhen . Wir fordern die Verdopplung der Mittel fürden sozialen Wohnungsbau .
So kann man gezielt Menschen mit kleinen und mittlerenEinkommen unterstützen .Das muss man dann natürlich gerecht und nachhaltigüber den Wahltag hinaus finanzieren. Dafür muss manam Haushalt arbeiten, da darf man sich nicht auf der gu-ten Konjunktur und den niedrigen Zinsen ausruhen . Manmuss schauen: Welche Ausgaben, die sinnlos sind, gehö-ren auf den Prüfstand? Wie kann man dafür sorgen, dassder Staat nicht so viel Geld verschwendet, zum Beispielbei Rüstungsdesastern, aber auch bei großen Verkehrs-projekten wie Stuttgart 21 oder dem Berliner FlughafenBER? Sie haben es angesprochen, Herr Schäuble . Sie ha-ben gesagt, das Problem sei nicht das mangelnde Geld .Da haben Sie völlig recht: Das Problem ist, dass so vielGeld ausgegeben wurde . Aber es ist ein politisches Ver-sagen von SPD und CDU, das da stattgefunden hat . IhrStaatssekretär aus dem Bundesfinanzministerium sitzt imAufsichtsrat. Deswegen finde ich, es gehört zur Verant-wortung dazu, einzugestehen, dass auch die Bundesre-gierung im Zusammenhang mit dem Berliner Flughafenversagt hat, weil es kein effektives Controlling gab; dasgehört zur Wahrheit dazu .
Man muss sich auch an Subventionen im Bundeshaus-halt herantrauen . Man kann ja niemandem erklären, dassdie Bundeskanzlerin in Paris oder beim G-20-Gipfel inChina große Sonntagsreden für den Klimaschutz hält undgleichzeitig in ihrer Amtszeit die klimaschädlichen Sub-ventionen um 10 Milliarden Euro gestiegen sind . Mittler-weile betragen sie über 50 Milliarden Euro . Wir sagen:12 Milliarden Euro davon kann man schnell abbauen –12 Milliarden, die wir für gute Krippen, für gute Kitas,für schnelles Internet, für Klimaschutz hätten . Das sindSubventionen, an die man jetzt rangehen muss – beimDiesel, bei der Flugindustrie, bei Kohle und Öl . Da mussman jetzt rangehen . Das ist gut für den Haushalt, gut fürdas Klima . Packen Sie das endlich an!
Aber auch auf der Einnahmeseite ist es ein Haushaltder verpassten Chancen . Ich will Ihnen ein Beispiel ge-ben: das Vorgehen der Großen Koalition von CDU/CSUund SPD bei der Erbschaftsteuer . Sie haben die Rege-lungen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerich-tes noch komplizierter gemacht, und weiter sind großeMillionenerbschaften massiv begünstigt . Sie wissen:Das ist ungerecht . Und Sie wissen auch: Das ist verfas-sungswidrig . – Deswegen war es gut und richtig, dass dieMehrheit im Bundesrat das gestoppt hat, dass es jetzt inden Vermittlungsausschuss geht und es dort hoffentlichauch zu klaren Änderungen kommt . Wir sagen klar: Star-ke Schultern müssen in dieser Gesellschaft wieder mehrtragen als schwache . Das muss gerade bei der Erbschaft-steuer gelten .
Wir haben jetzt den letzten Haushalt in dieser Legisla-turperiode . Zum Schluss muss man natürlich fragen: Wasbleibt eigentlich nach vier Jahren Haushalts- und Finanz-politik von der Großen Koalition, von Herrn Schäuble,übrig, was ist nachher das Ergebnis? Und bleibt mehr alsdiese eine Zahl übrig? Ich finde, da bleibt nachher nichtviel; denn eine Zahl alleine kann ja nicht das Ziel vonFinanzpolitik sein . Es geht im Haushalt um viel mehr:Es geht um Prioritätensetzung, es geht um Investitionen,es geht darum, den Haushalt mit Leben zu füllen . WeilSie das als Große Koalition in den drei Jahren, die wirbisher erlebt haben, so wenig gemacht haben, produziertSven-Christian Kindler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18323
(C)
(D)
dieser Haushalt jede Menge Verliererinnen und Verlierer .Deswegen ist es ein Haushalt der verpassten Chancen .
Wer verliert bei diesem Haushalt? Es verlieren dieje-nigen Menschen in Städten und Ballungszentren, die aufgünstigen Wohnraum angewiesen sind, weil die Mittelfür den sozialen Wohnungsbau zu gering sind . Es ver-lieren arme Kinder, weil zu wenig gegen Kinderarmutgemacht wird . Es verlieren arme Rentnerinnen und Rent-ner . Es verlieren all die Bürgerinnen und Bürger, die Län-der und Kommunen, die Ehrenamtlichen, die Betriebe,die dringend auf wichtige Investitionen in die Zukunftangewiesen sind . Und es verlieren unsere Kinder, Enkelund Urenkel, weil der Klimaschutz bei dieser Koalitionauf der Strecke bleibt, und das trotz solch guter Möglich-keiten . Das ist Ihre Verantwortung in der Haushaltspo-litik . Es ist leider ein Haushalt der verpassten Chancen,den wir ablehnen .Vielen Dank .
Ralph Brinkhaus ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Meine Damen undHerren! Normalerweise müsste ich jetzt sagen: 2014Haushaltsausgleich, 2015 erfolgreich abgeschlossen,2016 erfolgreich abgeschlossen, 2017 die schwarze Null,im Finanzplanungszeitraum bis 2020 die schwarze Null .Normalerweise müsste ich jetzt sagen: Da können wiruns alle zusammen ein Loch in den Bauch freuen, weildas, glaube ich, kein Finanzminister in der jüngeren undauch etwas weiter zurückliegenden Geschichte erreichthat .Normalerweise würde ich jetzt auch sagen: Das habenwir erreicht, ohne die Steuern erhöht bzw . neue Steuern –die Grünen haben ja gerade ein Bekenntnis hierzu ab-gegeben – eingeführt zu haben . Wir haben das erreicht,ohne bei den Investitionen zu kürzen . Im Gegenteil: Wirhaben mehr investiert . Wir haben mehr Geld für For-schung ausgegeben . Wir haben 120, 150, 170 MilliardenEuro – je nachdem, wie man es rechnet – für die Kom-munen und die Länder gegeben . Wir haben mit dem Geldwichtige Herausforderungen gemeistert, beispielsweisedie Integration und die Aufnahme von Flüchtlingen undMigranten . – All das müsste ich normalerweise sagen .Normalerweise müsste ich jetzt mahnend den Fingererheben und all denjenigen, die meinen, dass jetzt ge-nügend Geld vorhanden sei, sagen, dass das Ganze nuraufgrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung funk-tioniert und dass diese wirtschaftliche Entwicklung mor-gen vorbei sein kann und dass in diesem Fall der Bun-deshaushalt dreifach bestraft würde: Wir hätten wenigerSteuereinnahmen, wir müssten mehr in die Sozialversi-cherungssysteme geben, und
wir müssten Geld ausgeben, um die Konjunktur wiederanzuheizen .Normalerweise müsste ich auch sagen: Es gibt nochandere Herausforderungen: innere Sicherheit, äuße-re Sicherheit, Migration, der demografische Wandel inden Sozialversicherungssystemen . All das sollte für unsAnlass sein, vorsichtig zu sein und behutsam und ver-antwortungsvoll mit den Mitteln in diesem Haushaltumzugehen . Deswegen müsste ich normalerweise sa-gen: Liebe Fachpolitiker, tut uns Haushältern bitte einenGefallen und kommt jetzt nicht noch mit irgendwelchenSonderwünschen mit der Begründung: Das ist wichtig,und das Geld dafür ist doch da . – Kommt doch vielleichtauch einmal und sagt: Diese oder jene Ausgabe ist nichtmehr notwendig . – Das ist ein Mechanismus, der uns ir-gendwie fremd geworden ist .Normalerweise müsste ich jetzt auch sagen, dass sichdie gute Situation auch auf den Steuerzahler auswirkenwird, und zwar durch höhere Freibeträge – Grundfrei-betrag, Kinderfreibetrag –, durch die Bekämpfung derkalten Progression, aber auch dadurch, dass wir – damitmüssen wir spätestens in der nächsten Legislaturperiodedringend beginnen – den Solidaritätszuschlag abschmel-zen .Meine Damen und Herren, das alles müsste ich nor-malerweise sagen .
Aber momentan ist dafür nicht die Zeit; denn momentanerleben wir, dass eine sachliche Diskussion in der politi-schen Debatte nicht mehr stattfindet. Ein besonders be-eindruckendes Beispiel hat Frau Lötzsch geliefert . FrauLötzsch, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Falls dieMenschen von der rechten Seite ins Parlament einzie-hen sollten, dann setzen wir sie zu Ihnen; denn das, wasSie an Aufhetzung und Angstmache geboten haben, dasmacht der AfD alle Ehre .
Meine Damen und Herren, wie gehen wir mit der Situ-ation um, dass wir keine Sachdiskussionen mehr führenund dass alles emotional ist? Wir könnten darauf hinwei-sen, was alles erreicht worden ist, und zwar im demokra-tischen Konsens in dieser Großen Koalition, auch in derKoalition vorher, in der die Liberalen mit dabei waren .Wir könnten sagen: Deutschland steht so gut da wie niezuvor, nicht nur in Bezug auf die Beschäftigungssituati-on, nicht nur in Bezug auf höhere Rentenzahlungen undnicht nur in Bezug auf die Stärkung des sozialen Zusam-menhalts durch zugegebenermaßen umstrittene Maßnah-men wie die Einführung des Mindestlohns oder die Ren-Sven-Christian Kindler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618324
(C)
(D)
tenpakete . Das könnte man jetzt eigentlich sagen, aberdas wird wahrscheinlich nicht mehr ziehen .Man könnte auch sagen, dass Deutschland eine Posi-tion in der Welt hat, die es zuvor noch nie hatte; denn beiallen Konflikten in der Welt sind wir, unser Bundesau-ßenminister, unsere Bundeskanzlerin, diejenigen, die ge-fragt werden: Wie können wir diese Konflikte lösen? Obes in der Ukraine ist, im Mittleren Osten oder in Afrika:Die Welt hört auf unseren Rat . Die Welt braucht unserenRat und unsere Vermittlung . Das ist toll .Der Bundesfinanzminister hat es gerade angedeutet:Wir leben eigentlich in den möglicherweise glücklichs-ten Jahren unserer Geschichte . Irgendwann einmal wer-den wir uns, wenn wir von der Geschichte beurteilt wer-den, fragen müssen: Was haben wir daraus gemacht?
Dementsprechend sollten wir diese Haushaltsberatungennutzen, um aufzuzeigen, was wir machen . Im Bundes-haushalt ist vieles enthalten, das sehr zukunftsweisendist . Wir können jedes Ministerium durchgehen .Das Wirtschaftsministerium hat versucht, die Be-kämpfung des Klimawandels in einen vernünftigen Rah-men zu bringen . Es hat viel Energie investiert, damit wirwirtschaftliche Notwendigkeiten und die Notwendigkei-ten des Klimaschutzes – zwei ganz wichtige Fragen – zu-sammenbringen .Das Außenministerium gibt viel Geld für Krisenprä-vention aus . Frank-Walter Steinmeier ist überall auf derWelt unterwegs und versucht, Krisen in Libyen und an-derswo einzudämmen, damit die Menschen nicht mehrzu uns kommen .Wir können das Innenministerium nehmen und dabeinicht nur auf die Mittel für die innere Sicherheit und fürIntegration verweisen, sondern auch auf Projekte, die indie Zukunft gerichtet sind, zum Beispiel im Bereich derInformationstechnik .Unser Bundesverkehrsminister ist momentan nichtanwesend, weil er Förderbescheide für den Bereich Di-gitalisierung und Breitbandausbau übergibt . Das ist einSchwerpunkt unserer Politik . Das ist gut, und davonprofitieren alle in unseren Wahlkreisen. Wir haben ge-meinsam einen Bundesverkehrswegeplan aufgestellt,durch den Verkehrsprojekte finanziert werden, von derenUmsetzung unsere Kolleginnen und Kollegen 30 oder40 Jahre geträumt haben .
Wir können uns auch darüber unterhalten – ich geheweiter zum Zuständigkeitsbereich des Finanzministers –,wie viel Geld wir den Kommunen in die Hand gegebenhaben, damit sie wichtige Aufgaben erfüllen können, da-mit sie in Bildungseinrichtungen und Infrastruktur inves-tieren können .Blicken wir auf das Bundesministerium für Arbeit undSoziales . Auch da gibt es gute Konzepte . Die Frage lau-tet: Was machen wir mit den Langzeitarbeitslosen, diewir trotz der guten Beschäftigungssituation noch haben?Wir gehen diese Probleme an . Wir werden etwas dagegenmachen .Schauen wir auf die Landwirtschaft . Auch hier packenwir die Themen an, ob es um Tierwohl, gesunde Ernäh-rung oder die Restrukturierung der Landwirtschaft geht .Schauen wir zum Verteidigungsministerium . Auch indiesem Bereich gehen wir die Zukunftsfragen an . Wirstellen uns mit unserer Bundeswehr den Aufgaben des21 . Jahrhunderts, ob es um Cyberkrieg oder anderes geht .Wir können das für alle Ministerien weiter durchde-klinieren . Wir stehen für Innovation . Unter Führung desBundesministeriums für Bildung und Forschung machenwir die beste Innovations- und Forschungspolitik, diediese Republik je gehabt hat . Die Welt beneidet uns umunsere Spitzenforschungsinstitute . Wir haben Exzellenz-initiativen gestartet . Forscherteams kommen wieder nachDeutschland zurück, und der Bundeswirtschaftsministerlegt Fazilitäten auf, damit diese Forschungsergebnisseauch in Wachstumsunternehmen genutzt werden kön-nen, damit in dieser Republik Wachstum entstehen kann .Auch das läuft in diesem Land .Meine Damen und Herren, das große Versprechen derPopulisten, die wir innerhalb und außerhalb der Parla-mente haben, lautet: Die Zukunft ist bedrohlich; wir neh-men diese Ängste der Menschen wahr und bringen euchdie Vergangenheit zurück . – Auf diesen Algorithmussollten wir nicht reinfallen, weil wir die Vergangenheitnicht zurückbringen können .
Gute Politik bedeutet, den Menschen die Wahrheit zusagen, ihnen zu sagen, wie die Welt aussieht, und Kon-zepte anzubieten, die diese Wahrheiten anerkennen, undsie im Sinne der Menschen umzusetzen . Das müssen wirin diesen Haushaltsberatungen machen . Lassen Sie unsweniger über einzelne Zahlen, weniger über Einzelpos-ten reden! Lassen Sie uns Lust auf Zukunft machen, las-sen Sie uns an jedem Einzelplan zeigen, dass wir die Zu-kunft gestalten wollen, dass wir nach vorne schauen undAntworten für die Menschen haben! Lassen Sie uns aberauch sagen, dass diese Antworten nicht schnell kommen,dass wir manchmal dicke Bretter bohren müssen! Aberwenn wir die zukünftige Geschichte dieses Landes nichterzählen, wenn wir nicht sagen, wo wir hinwollen, son-dern uns in Nörgeln, Aufhetzen und ähnlichen Sachenergehen, dann werden wir in diesem Land keine Zukunfthaben . Dann wird uns die Geschichte bezüglich der Fra-ge, was wir aus diesen glücklichsten Jahren gemacht ha-ben, so beurteilen: Ihr habt immer nur versucht, den Sta-tus quo zu erhalten, ihr habt versucht, die Vergangenheitwiederherzustellen, aber ihr habt euch nicht der Zukunftzugewandt .Noch eine letzte Bemerkung: Uns geht es gut . Das istmehrfach gesagt worden . Wenn Sie sich das Leben allerMenschen, die je auf dieser Welt gelebt haben, und dasLeben aller Menschen, die momentan auf dieser Welt le-Ralph Brinkhaus
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18325
(C)
(D)
ben, anschauen, dann erscheint es wie ein Lottogewinn,dass man heute in Deutschland leben darf .
Es geht Einzelnen schlecht – das ist überhaupt keine Fra-ge, Herr Bartsch –; aber im Schnitt geht es uns so gutwie nie .
Wir haben tolle Beschäftigungszahlen, wir haben Sozi-alversicherungssysteme, die immer noch gut funktionie-ren, wir haben eine medizinische Versorgung für die brei-te Masse, die ihresgleichen sucht, wir haben eine längereLebenserwartung, und wir haben vor allem eines – imSchnitt, Herr Bartsch; Einzelfälle, bei denen das andersaussieht, gibt es immer –: Wir haben in diesem Land einsoziales Miteinander . Herr Schneider, das zum Stichwort„Soziales“ . Wir zeigen uns solidarisch mit den Schwa-chen und gehen achtsam miteinander um . Ich frage Siealle: Wann hat es das in der Geschichte auf deutschemBoden je gegeben? Und ich frage Sie auch: In welchemLand ist das besser? Ich habe nur eine Bitte: dass wiruns in der aufgeheizten Diskussion, die wir in diesemLand momentan führen, vielleicht einmal fünf MinutenZeit nehmen, um dankbar zu sein für das, was wir haben .Vielleicht können wir das in der Haushaltsdebatte einbisschen klarmachen .Danke schön .
Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Sitte das
Wort .
Herr Brinkhaus, das, was Sie vorhin gesagt haben, die
Art und Weise, in der Sie mit der Position, die die Linke
hier vertritt, umgegangen sind, kann natürlich nicht so
stehen bleiben .
Normalerweise müssten Sie sich bei meiner Kollegin
Gesine Lötzsch entschuldigen .
Normalerweise müssten Sie sich gerade in der gegen-
wärtigen Situation mit den Inhalten, mit den Positionen
der anderen Redner und Rednerinnen hier auseinander-
setzen .
Das entspräche dem normalen Umgang unter Demokra-
ten in einem Parlament . Wenn Sie hier Schuldzuweisun-
gen vornehmen, die genauso populistisch sind wie man-
che Position, die jetzt gewählt worden ist, dann kommen
wir keinen Schritt weiter .
Normalerweise müssten Demokraten aller Partei-
en über ihre inhaltlichen Unterschiede diskutieren . Bei
allen Unterschieden der Inhalte wäre es, wenn Sie hier
schon immer von Normalität oder Nichtnormalität reden,
notwendig, dass Sie sich auch einmal damit auseinan-
dersetzen, was denn das Rezept wäre, um gegen diese
Stimmungen anzugehen, um dagegen anzugehen, dass
sich die Leute zutiefst verunsichert fühlen . Dazu gibt es
eine lange Vorgeschichte, die nicht erst gestern angefan-
gen hat . Sie müssten sich mit den Botschaften der letzten
Wahlen auseinandersetzen . Sie müssten sich mit der Tat-
sache auseinandersetzen, dass die Politik, so wie wir sie
bisher betrieben haben, eben genau nicht ankommt .
Man mag es als Glücksfall empfinden, in Deutsch-
land zu leben . Aber es gibt sehr viele Menschen, die in
den letzten Jahrzehnten genau dieses Glück nicht hatten .
Auch damit muss man sich auseinandersetzen .
Bei allem Reichtum in diesem Land gibt es Menschen,
die abgekoppelt sind . Es gibt Kinderarmut in diesem
Land . Sie wissen das genauso gut wie ich . Das strahlt
natürlich aus . Diese Abkopplung führt gerade zu dieser
Verunsicherung . Darauf einzugehen, darüber in einer
Haushaltsdebatte zu diskutieren, das ist aus meiner Sicht
der Normalfall .
Demzufolge ist Ihre Schuldzuweisung uns gegenüber
nicht nur unnormal, sondern auch völlig destruktiv im
politischen Umgang mit den Ergebnissen vom Wochen-
ende .
Zur Erwiderung, Herr Kollege Brinkhaus .
Frau Kollegin Sitte, das ist ja teilweise sogar richtig;aber der Duktus und der Ton der Rede Ihrer KolleginLötzsch waren ungut . Schauen Sie sich an, welche Phra-sen da genannt worden sind . Da wurde nur von Unge-rechtigkeit, Arm und Reich und was auch immer gespro-chen . Das kann man ja so sachlich ansprechen, wie Siees getan haben . Man kann sachlich darüber reden . Aberder Eindruck, den Sie hier permanent erwecken, ist, dassDeutschland ein Land der Ungerechtigkeit ist, ein Landder Ungleichheiten und Ähnliches .
Ralph Brinkhaus
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618326
(C)
(D)
Ich hatte mich ja während der Rede mit dem KollegenBartsch darüber ausgetauscht . Ich denke, im Schnitt gehtes uns verdammt gut . Ich glaube auch, dass wir das in ir-gendeiner Art und Weise in der Diskussion entsprechenddifferenziert bewerten sollten.Ich wollte nur darauf hinweisen – ich glaube, das ha-ben meine Kolleginnen und Kollegen hier genauso emp-funden –, dass diese Rede von Frau Lötzsch nicht dazuangetan war, in irgendeiner Art und Weise eine sachlicheDiskussion hervorzurufen .Danke schön .
– Einen Satz noch .
– Nein, nein . Entschuldigung, Herr Bartsch, ich habenicht gesagt, dass es eine rechtsradikale Rede war . Ichhabe gesagt, dass der Duktus der Rede von Frau Lötzschdazu angetan war, dass man im Prinzip die AfD in genaudie gleiche Ecke stellen könnte, weil der Duktus – es gehtnur um den Duktus, nicht um den Inhalt – nicht dazu an-getan war, eine sachliche Diskussion zu führen .
Jetzt gebe ich Frau Lötzsch die Möglichkeit, eine
persönliche Klarstellung vorzunehmen. Dann, finde ich,
sollten wir wieder in die übliche Form der sachlichen
Auseinandersetzung eintreten, die auch in Haushaltsde-
batten sicher möglich und nötig ist . – Bitte schön .
Herzlichen Dank, Herr Präsident . – Ich bin sehr
verwundert und betroffen über das, was der Kollege
Brinkhaus hier über mich gesagt hat .
Er hat mir vorgeworfen, ich würde die Menschen ver-
hetzen . Ich halte das, ehrlich gesagt, für eine ungeheure
Entgleisung mir gegenüber .
Ich erwarte von Ihnen, Herr Brinkhaus, dass Sie sich jetzt
nicht mit „Das war ja nicht so gemeint“, es gehe nur um
den Duktus, über den Inhalt könne man ja reden, heraus-
reden .
Das kann ich nicht akzeptieren . Ich kann nur wiederho-
len: Es ist eine ungeheure Entgleisung mir gegenüber .
Ich gehöre zu den Abgeordneten, die seit vielen Jah-
ren Mitglied des Bundestages sind und vorher Mitglied
des Abgeordnetenhauses von Berlin waren . Ich bin im-
mer direkt von den Menschen gewählt worden, und zwar
weil ich mich mit ihren Problemen konkret und direkt
auseinandersetze und auch keiner Diskussion aus dem
Weg gehe . Ich nehme die Probleme ernst . Ich spreche
die Wahrheiten an, und ich setze mich damit auseinan-
der . Mir vorzuwerfen, ich würde hier rechtes Potenzial
bedienen und Menschen verhetzen, ist etwas, das ich als
zutiefst beleidigend empfinde und mit aller Deutlichkeit
zurückweise . Ich bin davon überzeugt, dass ein großer
Anteil Ihrer Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich
eng, gut und konstruktiv im Haushaltsausschuss zusam-
menarbeite, das auf keinen Fall teilt .
Das Wort hat nun der Kollege Berghegger für die
CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der vor-liegende Regierungsentwurf für den Haushalt 2017 unddie Finanzplanung bis 2020 bieten naturgemäß die Ge-legenheit, die Situation in Deutschland zu beschreiben .Haushaltspolitisch, würde ich sagen, setzen wir auf Kon-tinuität . Die Rahmenbedingungen in Deutschland sindausgezeichnet . Herr Bartsch, im Grundsatz geht es denMenschen besser als vor vier Jahren .
Die unionsgeführte Große Koalition hat einiges auf denWeg gebracht . Herausforderungen bleiben naturgemäß .Ich wiederhole gerne einige Rahmenbedingungen, diewir heute schon hören konnten: Wir haben die niedrigsteArbeitslosigkeit seit 25 Jahren, auch in der EU; beson-ders möchte ich die niedrige Jugendarbeitslosigkeit be-tonen . Wir haben mit über 43 Millionen Erwerbstätigeneine Rekordbeschäftigung . Über 400 000 neue Jobs sindallein im letzten Jahr entstanden . Die wirtschaftliche Ent-wicklung, die Leistungen kommen bei den Menschen an .Wir haben wahrgenommen: Es gibt steigende Reallöhneund Renten, wir haben nahezu Preisstabilität, der Kon-sum steigt weiter, und die Steuereinnahmen verzeichnenein Rekordniveau . Das alles sind doch positive Nachrich-ten, die wir auch vertreten können .An dieser Stelle eine Erklärung, weil das in der öffent-lichen Diskussion manchmal, höflich formuliert, in denHintergrund tritt: Diese Rekordeinnahmen verzeichnenwir auch bei den Ländern; denn die Steuerverteilung siehtderzeit vor, dass rund 56 Prozent der Steuereinnahmenbeim Bund verbleiben und 44 Prozent auf die Länder undKommunen aufgeteilt werden . Bei den Steuermehrein-Ralph Brinkhaus
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18327
(C)
(D)
nahmen, die wir in den letzten Monaten verzeichnenkonnten, ist das Verhältnis sogar umgekehrt: dass mehrbei Ländern und Kommunen verbleibt als beim Bund .Das sollten wir nicht vergessen .Dieser Haushalt kommt weiterhin ohne neue Schuldenaus; auch das haben wir schon gehört . Das war im Voll-zug 2014 so, das war im Jahr 2015 mit dem historischenÜberschuss so, und das Jahr 2016 läuft auch sehr gut,wie wir vernommen haben . Ich persönlich bin gespannt,in welcher Höhe am Ende des Jahres ein Rückgriff aufdie angelegte Rücklage erforderlich ist . Auch der Finanz-planungszeitraum bis 2020 sieht positiv aus . Wir habenin den letzten Jahren also unser haushaltspolitisches Zielohne Wenn und Aber umgesetzt, und das ist auch gut so .Wir haben Wort gehalten .Frau Lötzsch, an Sie gerichtet sage ich: Der ausgegli-chene Haushalt ohne neue Schulden ist kein Selbstzweck .Ich wiederhole das gerne – das haben meine Kolleginnenund Kollegen schon gesagt –: Er ist kein Selbstzweck,sondern ein Zeichen von Stabilität, Verlässlichkeit undHandlungsfähigkeit . Das ist ein Erfolg, den unsere Re-gierung erzielt hat .
Durch eine solche Haushaltspolitik wird der Haushaltnatürlich robuster, generationengerechter . Es ist dochsachgerecht und logisch, dass wir in guten wirtschaft-lichen Zeiten mit dem auskommen müssen, was wireinnehmen, und eben keine neuen Schulden machen .Wir brauchen Spielräume für schwierigere Zeiten . DieSchulden von heute sind die Steuern von morgen; daswollen wir vermeiden . Dadurch sind wir mit Blick aufdie Zukunft besser gewappnet für eine mögliche Kon-junktureintrübung – irgendwann wird sie kommen – undfür die finanziellen Herausforderungen durch eine älterwerdende Gesellschaft; auch das klang schon an .Ein weiteres Kennzeichen dieses Haushaltes ist: Diegesamtstaatliche Schuldenstandsquote geht weiter zu-rück . Noch ist das die Planung; aber im Jahr 2020 er-reichen wir wieder die 60-Prozent-Marke . Damit wäredas Maastricht-Kriterium für den Schuldenstand das ers-te Mal seit 2002 wieder erreicht . All das sind doch guteNachrichten .Ein Kritikpunkt, den ich im Vorfeld häufiger gehörthabe und der auch hier durchklingt, lautet: Es wird zuviel gespart . – Das ist aus meiner Sicht nicht nachvoll-ziehbar . Das Volumen des Haushalts steigt – wir habenallerdings vernommen: im Einklang mit den Einnah-men – auf knapp 329 Milliarden Euro in diesem Jahr undin der Planung bis 2020 auf 350 Milliarden Euro . Dassind rückgerechnet rund 100 Milliarden Euro mehr als2005 .Der zweite Kritikpunkt lautet: Die Länder und Kom-munen brauchen mehr Geld; sie müssen weiter entlastetwerden. – Das ist, höflich formuliert, etwas zu einfachund nicht ganz vollständig . Die Entlastung der Länderund Kommunen in den letzten Jahren, insbesondere beiden Sozialausgaben, zu denen der Bund nicht verpflich-tet gewesen wäre, beläuft sich in dieser Legislaturperio-de auf 65 Milliarden Euro . Ich würde sagen: Das ist diekommunalfreundlichste Bundesregierung, die wir seitlanger, langer Zeit gesehen haben .
Bei allen regionalen Unterschieden – viele Städ-te und Gemeinden insbesondere im Ruhrgebiet habenmit dem Strukturwandel zu kämpfen – kann ich grund-sätzlich feststellen – Ausnahmen gibt es immer –: Daskommunale Investitionsförderprogramm, das wir in derGrößenordnung von 3,5 Milliarden Euro auf den Weggebracht haben, mussten wir verlängern – das haben wirgerne getan –, da nur 20 Millionen Euro abgeflossen und1,8 Milliarden Euro gebunden sind . Das Kitaförderpro-gramm durch den Bund haben wir ebenfalls verlängert,da die Mittel nicht abgeflossen sind. Bevor also von denKommunen und den Ländern reflexartig immer wiederdie Forderung nach neuem Geld vom Bund kommt, las-sen Sie uns bitte an die Länder appellieren, zu liefern undzu gewährleisten, dass die von uns vorgesehenen Mittelfür die Kommunen auch durchgeleitet werden . Die Län-der müssen sich auch an ihre Absprachen halten . AlsBeispiel nenne ich hier nur die Schaffung von sozialemWohnungsbau und seine Gegenfinanzierung. In vielenLändern wird hier noch nicht genügend gehandelt .Natürlich helfen dem Bundeshaushalt die niedrigenZinsen und die hohen Steuereinnahmen, aber eben nichtnur . Der Haushalt hat auch etwas mit klugen politischenEntscheidungen, mit der Schaffung von Rahmenbedin-gungen und mit Strukturreformen zu tun, um für dieZukunft vorzusorgen . Wir brauchen mehr nachhaltigesWachstum, und das auch international . Mit diesem Haus-halt und mit der Finanzplanung versuchen wir unserenBeitrag dazu zu leisten .In diesem Zusammenhang nenne ich nur einigeSchwerpunkte des kommenden Haushaltes, um wichtigePolitikbereiche zu stärken und unser Land zu moderni-sieren:Erstens . Mit 19 Milliarden Euro setzen wir einendeutlichen Schwerpunkt bei den Aufwendungen für dieFlüchtlinge und der Bekämpfung von Fluchtursachen .Zweitens . Wir setzen ein deutliches Zeichen für dieinnere Sicherheit, also die Stärkung der Sicherheitsbe-hörden, insbesondere bei der Bundespolizei, durch Stel-len- und Mittelaufwuchs .Drittens . Wir erhöhen die Verkehrsinvestitionen indieser Legislaturperiode um 25 Prozent . Die Maßnah-men des Bundes in diesem Bereich scheitern nicht an derFinanzierung; das Nadelöhr sind die Planungen . Auchdas haben wir immer wieder betont . Hier müssen wir allenachsteuern und uns anstrengen . Insbesondere sind hierdie Länder mit ihren Kapazitäten gefordert . Wir sehenan diesem Beispiel aber, dass wir keine neuen Schuldenmachen müssen, um Investitionen anzustoßen; denn dieFinanzierung der Bundesmaßnahmen ist – salopp ge-sagt – im Wesentlichen gesichert . Wir müssen hier eherInvestitionen von Privaten anreizen und nicht nur im Ver-kehrsbereich, sondern allgemein zusehen, dass wir einfreundliches Klima schaffen.Dr. André Berghegger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618328
(C)
(D)
Viertens . Die Breitbandversorgung wird ausgebaut .Dafür geben wir bis 2020 4 Milliarden Euro aus . AlsVertreter des ländlichen Raumes aus Niedersachsen, demLandkreis Osnabrück, weiß ich, dass es elementar wich-tig ist, diese Infrastrukturleistungen vor Ort in den dün-ner besiedelten Gebieten zu unterstützen . Alleine schaf-fen wir es vor Ort nicht .Fünftens . Angesichts der sich wandelnden Aufgabenbei der Bündnis- und Landesverteidigung erhöhen wirnatürlich auch den Verteidigungsetat .Sechstens . Wir setzen weiterhin einen Schwerpunktbei Forschung und Bildung: 60 Prozent mehr Mittel seit2009 . Wir haben nun einmal nicht viele Bodenschätze .Deswegen müssen wir in die Köpfe investieren . Dadurchsichern wir Wachstum und Wohlstand .Ich glaube, zusammenfassend können wir in Bezugauf die Ausgabepositionen des Haushaltsentwurfs sagen:Die sozialen Ausgaben – hier noch einmal einige Stich-worte: „Wohngeld“, „Elterngeld Plus“, „Rente mit 63“,„Mütterrente“ – und die Investitionen sind so gut berück-sichtigt wie noch nie .Nur eines macht mich bei diesem Haushaltsentwurfnachdenklich, nämlich die Sozialquote . Zurzeit werden52 Prozent des Haushaltes für Sozialleistungen ausgege-ben – Tendenz steigend . In der Finanzplanung sind es biszu 57 Prozent . Das ist keine nackte Zahl, sondern eineHerausforderung, weil die Grundlagen für diese sozialenLeistungen jedes Mal neu erwirtschaftet werden müssen .Das wird unsere Herausforderung sein .Ich glaube, die Handschrift der Union ist in diesemEntwurf des Haushaltsplanes deutlich zu erkennen, unddas ist gut so . Der Haushalt wird bis zur Bereinigungssit-zung natürlich diskutiert, angepasst und weiterentwickeltwerden . Ich würde mich freuen, wenn mögliche Spiel-räume zur steuerlichen Entlastung von Familien und Be-ziehern von kleinen und mittleren Einkommen genutztwerden könnten; denn wir wollen alle mitnehmen . Daswürde den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft för-dern . Darüber sollten wir nachdenken .Der Regierungsentwurf des Bundeshaushaltes ist einegute Diskussionsgrundlage . Wir wollen Wohlstand undSicherheit bewahren . Dann gewinnen wir Vertrauen . Vie-len Dank an unseren Finanzminister Wolfgang Schäubleund an sein Haus . Lassen Sie uns in den kommenden Be-ratungen das Beste daraus machen für die Menschen inunserem Land .Vielen Dank fürs freundliche Zuhören .
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Axel Troost für
die Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Kollege Brinkhaus, lieber Ralph, ich möchte vomRednerpult aus noch einmal sagen, dass ich deine dochsehr unqualifizierten Äußerungen zu Gesine Lötzschwirklich zurückweisen muss . Das ist unter deinem Ni-veau . Das sollten wir uns hier im Bundestag wirklichnicht leisten .
Der Bundesfinanzminister hat in seiner Einbrin-gungsrede auch einiges zur Frage der innerdeutschenBund-Länder-Finanzbeziehungen gesagt . Ich möchtedarauf intensiver eingehen . Zur Erinnerung: Die gegen-wärtigen Regelungen des Länderfinanzausgleichs laufen2019 aus . Deswegen hat die Koalition in ihrer Koaliti-onsvereinbarung festgelegt, bis zur Mitte der Legislatureine Neuregelung vorzuschlagen . Jetzt sind drei Viertelder Legislatur herum; aber es ist überhaupt noch nichtsin Sicht, alles dümpelt so vor sich hin .Im Dezember letzten Jahres haben sich alle 16 Bun-desländer auf einen gemeinsamen Vorschlag geeinigt .Ostländer und Westländer, finanzstarke und finanz-schwache, hochverschuldete und weniger verschuldeteLänder, Stadtstaaten und Flächenländer haben sich aufeinen gemeinsamen Vorschlag geeinigt, zu dem sie heutenoch stehen. Der Bund hat es geschafft, die Verhandlun-gen nach einem Dreivierteljahr entweder ganz zu stoppenoder eben mit unqualifizierten – dazu sage ich gleich et-was – und zusätzlichen Bedingungen zu erschweren oderunmöglich zu machen . Vier Punkte sind dabei zentral:Erstens . In der Tat ist es so, dass die Länder nach demLändervorschlag zusätzlich zu den vom Bund vorgese-henen 8,5 Milliarden Euro 1,4 Milliarden Euro mehr be-kommen sollen . Das hört sich jetzt viel an, ist es abernicht, wenn man berücksichtigt, was im Wahlkampf be-reits wieder an Steuersenkungen versprochen wird .
Jetzt wird es aber interessant . Minister Schäuble hatam Schluss in Bezug auf den Länderfinanzausgleich vonder Ordnungspolitik geredet . Ich nenne jetzt drei Punkte,die in die Ordnungspolitik fallen:Erstens . Dem Bund schwebt vor, den Stabilitätsrat soweiterzuentwickeln, dass er quasi eine Troika für Bun-desländer wird, sodass man letztlich Bundesländer vordem Bundesverfassungsgericht verklagen und bestimmteMaßnahmen erzwingen kann .
Zweitens . Da das vielleicht immer noch nicht reicht,will man den Ländern die Kompetenz geben, bei Leis-tungsgesetzen für Behinderte, Kinder und Jugendlicheeigenständig Leistungsabsenkungen zu beschließen,
so nach dem Motto: Wenn nicht genug Geld da ist, dannbeschließt doch bitte in Bremen oder einem ostdeutschenLand geringere Sozialausgaben .Dr. André Berghegger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18329
(C)
(D)
Drittens. Völlig unabhängig vom Länderfinanzaus-gleich will man durchsetzen, dass es eine Bundesfern-straßen AG beim Bund gibt . Man will die Länder dazuzwingen, eine Grundgesetzänderung durchzuführen undalles auf den Bund zu verlagern,
damit man anschließend Bundesfernstraßen und Bundes-autobahnen über Ausschreibungen privatisieren kann .
Das alles ist aus unserer Sicht völlig inakzeptabel .
Ich kann nur hoffen, dass die Bundesländer da nicht ein-knicken, sondern bei ihrer Position bleiben . Diese Artvon Ordnungspolitik hat mit Finanzausgleich überhauptnichts zu tun .Bisher gibt es auch noch gar keinen Termin . Man war-tet erst einmal die Wahlen in Berlin ab . Die gebildeteArbeitsgruppe wird dann einen Termin vorschlagen . DerBundesfinanzminister war überzeugt, man werde schnelleine Lösung finden. Aber die Lösung kann nur heißen:Entweder er gibt nach, oder die Bundesländer lassen sichüber den Tisch ziehen .Während auf der einen Seite gesagt wird, 1,6 Milli-arden Euro zusätzlich im Rahmen des Länderfinanzaus-gleichs seien nicht drin – das haben wir hier mehrfachgehört –, redet man auf der anderen Seite schon wiedervon Steuersenkungen, die vorgenommen werden sollen .Erst einmal ist wichtig: Wir reden von einer Senkung derEinkommensteuer .
Das ist nun einmal logischerweise eine Gemeinschafts-steuer. Über 50 Prozent des gesamten Aufkommens flie-ßen gar nicht dem Bund zu, sondern den Ländern undKommunen . Beim Bund mögen die Steuereinnahmen jaso sprudeln; für eine große Zahl der Länder und insbe-sondere der Kommunen sieht das aber ganz anders aus .Insofern ist unsere klare Position: Wir sind ebenfalls fürSteuersenkungen im unteren und mittleren Einkommens-bereich . Das Ganze muss aber aufkommensneutral, dasheißt so gestaltet sein, dass wir am Schluss genauso vieleMittel haben . Das, was wir im unteren Einkommensbe-reich an Steuersenkungen hinbekommen, zum Beispieldurch eine deutliche Ausweitung des Grundfreibetrages,muss im oberen Einkommensbereich über Steuererhö-hungen wieder hereinkommen . Dann ist das eine ver-nünftige Reform .
Ich kann nur sagen: Sehen Sie sich unser Einkom-mensteuerkonzept an . Danach würden alle, die unter6 000 Euro im Monat verdienen, davon profitieren, undalle, die deutlich mehr verdienen, entsprechend mehrbezahlen, und das Ganze eben aufkommensneutral . Ichglaube, das ist, insgesamt gesehen, wichtig .Hier ist gesagt worden, was alles den Kommunen bzw .den Ländern in den letzten Jahren zur Verfügung gestelltwurde . Es ist aber nicht erwähnt worden, welche zusätz-lichen Finanzanforderungen in diesen Gebietskörper-schaften entstanden sind . Da gibt es keine Überschüsse .Auch sogenannte reiche Länder wie Baden-Württembergwissen gar nicht, wie sie die Einlaufkurve bezüglich derSchuldenbremse im Jahr 2019 hinbekommen sollen . In-sofern brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Steuer-einnahmen – nicht nur bei der Einkommensteuer, sonderneben auch bei der Erbschaftsteuer, der Vermögensteuerund der Finanztransaktionsteuer . Dafür müssen wir unseinsetzen; wir dürfen nicht alles nur gesundreden .Danke schön .
Johannes Kahrs ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir haben hier heute lange Ausführungen ge-hört über das, was gelaufen ist und was man vielleichtin der nächsten Legislaturperiode machen möchte . HerrSchäuble hat gesagt, dass er zu Beginn der nächstenLegislaturperiode gerne eine Steuerentlastung vorneh-men möchte bzw . eine Steuerreform durchsetzen würde .Ernsthaft: Das kann man, finde ich, noch in dieser Legis-laturperiode machen .Ich glaube, dass die Zusammenarbeit in der GroßenKoalition sehr gut ist . In Bezug auf die Haushalts- undFinanzpolitiker weiß ich das . Mit Eckhardt Rehberg kannman immer gut zusammenarbeiten . Wer ihn kennt, weiß,dass das so ist . Bei den Finanzpolitikern dürfte das auchkein Problem sein . Wir haben noch ein gutes Jahr voruns . Man muss ja nicht zwölf Monate vor der Bundes-tagswahl ins Wahlkampffieber verfallen. Nutzen würdees allen. Also kann man, finde ich, hier doch einmal sa-gen, dass wir gerne gemeinschaftlich eine solche Steuer-reform hinbekommen wollen .
Herr Schäuble, Sie haben gesagt, dass Sie die Bezie-her kleiner und mittlerer Einkommen entlasten wollen .Willkommen im Klub! Das können wir gemeinsam ma-chen . Wir können uns darüber unterhalten, ob man dasüber Freibeträge bei Sozialabgaben macht oder wie auchimmer . Ich glaube, da sind wir uns schnell einig . Ich habeauch kein Problem damit, wenn gesagt wird, dass einSpitzensteuersatz, der bei 53 000 Euro im Jahr ansetzt,unsinnig ist . Natürlich muss die Grenze deutlich erhöhtwerden; das kann man stufenweise machen . Aber dannkann man auch den Spitzensteuersatz erhöhen . Das ist,glaube ich, durchaus akzeptabel .Ich verstehe gar nicht, warum man immer wartenmuss, bis die Legislaturperiode vorbei ist . Wir habenDr. Axel Troost
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618330
(C)
(D)
das ja bei der Union erlebt: In den letzten Jahren wurdevor der Wahl immer eine Steuerreform versprochen . Ichglaube, in den letzten vier Jahren von Schwarz-Gelb wardas auch ab und zu ein Thema . Soweit ich das verfolgthabe, ist außer einer Entlastung für Hotels und einer Be-lastung für die Luftfahrtindustrie nichts passiert . – DasAngebot liegt also auf dem Tisch . Wir können das gernegemeinsam machen . Ich persönlich fände das gut .
Herr Schäuble, zum anderen haben Sie gesagt, dasswir mehr Geld für Investitionen ausgeben müssen . Dabin ich ganz Ihrer Meinung . Das Problem, welches wirzurzeit aber haben, ist, dass das viele Geld, das wir zurVerfügung stellen, gar nicht richtig abfließt. Das liegtnicht daran, dass keiner will, sondern das liegt auch einbisschen an den Strukturen . Ich glaube, dass in den letz-ten Jahren an den entscheidenden Stellen im öffentlichenDienst häufig zu viel gespart worden ist. Das heißt: Eswird dort mehr Personal gebraucht . Dieses muss auch an-gemessen bezahlt werden, damit man die richtigen Leutebekommt .Ich glaube, wir müssen uns auch über die Strukturenunterhalten . Es wird hin und wieder geklagt, dass wiralles mit europaweiten Ausschreibungen sowie dem ge-samten Planungs- und Baurecht viel zu kompliziert ma-chen . Dazu muss man ehrlicherweise sagen, dass wir –also wir hier – einen großen Teil dieser Maßnahmenbeschlossen haben . Das würde aber bedeuten, dass wirselber sagen: Wir wollen nicht nur mehr Geld investierenund das Personal dafür haben, sondern es geht auch umfestangestelltes Personal . Man muss sich nämlich fragen,ob es sinnvoll ist, wenn das Personal auf befristeten Stel-len sitzt . Das Personal muss aber auch arbeiten können .Dabei haben wir uns, was die entsprechenden Regelun-gen angeht, viel Gutes vorgestellt, haben aber teilweisedie Schrauben überdreht . Es gibt Vorschriften, die fürsich genommen vernünftig sind, ob zum Brandschutz, zuden Fluchtwegen oder in der gesamten Frage der Däm-mung . Dazu gibt es wunderbare Vorschriften . Aber allezusammen, in der Kombination, bedeuten: Es wird allesteurer und dauert immer länger .Wenn Herr Schäuble davon redet, dass es bei derRheintalbahn, die durch seinen Wahlkreis führt, schwie-rig wird, dann hat er recht . Aber ich glaube und befürch-te, dass ein Großteil der Probleme dadurch entstandenist, dass wir selber die Vorschriften zu schwierig gestaltethaben .Wenn wir das angehen wollen, sollten wir das tun .Wir haben noch ein gutes Jahr . Die Bürger haben keineLust darauf, dass wir ein Jahr Wahlkampf führen . Daslangweilt auch nach wenigen Wochen . Deswegen wärees vielleicht gut, wenn man das jetzt anginge . Wenn mandas beklagt, sollte man ehrlicherweise darauf hinweisen,dass wir regieren. Sie sind der Bundesfinanzminister.
Ich kenne niemanden in der Bundesregierung, der mäch-tiger ist als der Bundesfinanzminister. Deswegen istEckhardt Rehberg auch im Haushaltsausschuss .Das heißt also: Dann muss man das auch angehen . Wirhaben zwölf Monate . Glückauf!Wenn wir darüber reden, was wir im Haushalt gemachthaben, dann gibt es vieles, das man jetzt loben muss . Ichglaube, dass all das, was wir an Geld mobilisiert haben,um bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise aus dem„Wir schaffen das“ ein „Wir zeigen, wie man das schafft“oder „Wir geben den Menschen die Mittel in die Hand,dass sie es schaffen“ hinzubekommen, an vielen Stellenin diesem Haushalt sichtbar wird .Wir haben zum Beispiel nicht nur gesagt, dass esmehr Sprach- und Integrationskurse geben muss, sondernwir haben im Haushaltsausschuss auch durchgesetzt –Eckhardt Rehberg wird sich lebhaft daran erinnern –,dass die Lehrer in diesen Kursen auch angemessen be-zahlt werden und deren Vergütung auf 35 Euro pro Lehr-einheit angehoben wird . Das mag im Moment als Klei-nigkeit erscheinen, aber das ist notwendig, wenn Sie dasPersonal gewinnen wollen, das am Ende die Sprach- undIntegrationskurse durchführt .Das heißt, „Wir schaffen das“ muss damit unterlegtwerden, wie wir das schaffen und mit wem wir dasschaffen und wie wir diejenigen, die das schaffen sollen,entsprechend unterstützen, damit sie es auch schaffenkönnen . Dieser Haushalt zeigt das in weiten Phasen . Des-wegen ist es, finde ich, ein guter Haushalt.Man kann vielleicht etwas kritisch anmerken, dasszum Beispiel im Bereich der Jugendmigrationsdienstedie Gelder vom Finanzministerium auf den Stand von2014 zurückgeführt worden sind . Das ist nicht so toll;denn sie werden gebraucht .
Die C1-Sprachkurse kennt kaum jemand . Aber dassind die Sprachkurse, die die Flüchtlinge brauchen, diein der Lage sind, zu studieren, und die hochqualifiziertsind . Sie brauchen entsprechende Deutschkurse . In die-sem Bereich sind die Mittel von insgesamt 22 MillionenEuro auf 7 Millionen Euro zurückgeführt worden . Ehr-licherweise muss man aber sagen: Wir brauchen diese .Wenn man davon ausgeht, dass es unter den FlüchtlingenQualifizierte und Hochqualifizierte gibt, dann brauchtman für sie auch die entsprechenden Sprachkurse, unddann kann man nicht die Mittel für diese Sprachkurse ab-senken, obwohl der Haushaltsausschuss sie in den letztendrei Jahren jährlich hochgesetzt hat . Das ist falsch . Dawerden wir noch einmal tätig werden müssen .
Da wir das in den letzten Jahren immer hinbekommenhaben, hoffe ich, dass wir es auch wieder hinbekommen.Aber es wäre schön gewesen, wenn es einfach schon ent-sprechend eingeplant worden wäre .Beim Personal der Bundespolizei haben wir im Haus-haltsausschuss in den letzten Jahren sehr viel getan: Tau-sende von Stellen und viel Geld für die Ausrüstung . Ichglaube aber auch, dass es wichtig ist, dass man bei derBundespolizei für noch mehr Stellen sorgt . Denn dieKolleginnen und Kollegen dort gehen wirklich auf demZahnfleisch, und sie haben einen Wahnsinnsjob. Das zei-Johannes Kahrs
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18331
(C)
(D)
gen auch die Wochenenden, wenn sie kaum noch aus denStiefeln herauskommen .Deswegen ist es wichtig, dass wir neue Stellenbeschließen . Aber es ist genauso wichtig, EckhardtRehberg, dass wir dafür sorgen, dass die Bundespolizeiangemessen ausgestattet wird und dass deren Unterkünf-te in einem Zustand sind, dass man sich als Bundestags-abgeordneter dort hineintraut, ohne sich zu schämen .Ich finde – auch das gehört zur Wahrheit –, dass die, dieetwas schaffen sollen, auch in die Lage versetzt werdenmüssen, es zu schaffen und es auch gerne tun. Ich finde,auch das muss ein Bundeshaushalt hergeben . Man kannsich gerne einige Kasernen der Bundespolizei und derBundeswehr ansehen . Da haben wir ein Problem . Wenngerade bei der Bundeswehr Geld zurückgegeben undnicht verbaut wird, dann liegt das nicht an mangelndemWillen, sondern am Unvermögen, das umzusetzen . Da-mit bin ich wieder am Ausgangspunkt meiner Rede . Manmuss sich hier die Abläufe und die Vorschriften genauanschauen . Wir reden im Haushaltsausschuss sehr vieldarüber . Aber es muss auch etwas passieren .Der vorliegende Haushaltsentwurf enthält noch5 Milliarden Euro für den Solidarpakt, der im Kabinettbeschlossen wurde, insbesondere im Bereich des Woh-nungsbaus . Der Kollege von den Grünen hat gefordert,die Summe für den sozialen Wohnungsbau zu verdop-peln . Das haben wir gemacht . Das wird weiter ausgebaut .Ich finde es gut, dass wir darauf noch einmal hingewie-sen wurden . Auch in den Bereichen Integration und Kitassowie für die Langzeitarbeitslosen wird etwas getan . Wirmüssen zeigen, dass wir die Probleme, die es überall inDeutschland gibt – auch im sozialen Bereich –, angehenund Geld in die Hand nehmen . Aber man darf nicht nurdarüber reden . Vielmehr müssen die Menschen vor Ortsehen, dass etwas passiert . Das gilt insbesondere für diesolidarische Lebensleistungsrente . Es ist vernünftig, et-was für Menschen zu tun, deren Rente nicht ausreicht,obwohl sie 40 Jahre gearbeitet haben .Ich habe noch eine Bitte im Zusammenhang mit demBundesteilhabegesetz . Wir alle haben versprochen, die-ses Gesetz auf den Weg zu bringen . Das Bundesteilhabe-gesetz ist wirklich wichtig . Wir haben nun die dafür vor-gesehene Summe bei 700 Millionen Euro gedeckelt . DerProtest bei den Betroffenen ist groß. Vielleicht sollten wiruns noch einmal zusammensetzen und darüber nachden-ken, inwieweit sich noch mehr ermöglichen lässt, damitdie Akzeptanz steigt . Es macht jedenfalls relativ wenigSinn, ein Gesetz zu beschließen, wenn die Betroffenensagen, dass sie es nicht wollen .Vielen Dank .
Vielen Dank, Johannes Kahrs . – Schönen guten Tag,
liebe Kolleginnen und Kollegen, von meiner Seite .
Nächste Rednerin in der Debatte: Anja Hajduk für
Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Sehr geehrter Herr Minister Schäuble, Sie haben in IhrerHaushaltseinbringungsrede sehr viel Wert darauf gelegt,zu betonen, wie wichtig es ist, Vertrauen wiederherzu-stellen, und haben auch Widersprüche aufgezeigt . Ichwill Ihnen einen weiteren Widerspruch nennen, der not-wendigerweise zu beseitigen ist . Wir haben es in der Tatmit einer relativ entspannten Haushaltssituation wegender guten Beschäftigungslage, des demografischen Um-standes, dass viele Menschen aktiv arbeiten, guter Steu-ereinnahmen und einer robusten Konjunktur zu tun . Wirhaben Überschüsse zu verzeichnen, und zwar in den So-zialversicherungen und im Bundeshaushalt, wenn auchnicht so sehr bei den Landes- und Kommunalhaushalten .Viele Menschen erleben: Eigentlich haben wir Über-schüsse, eigentlich ist der Haushalt in Ordnung, aberwarum ist in meiner Kommune so viel kaputt und nichtin Ordnung? Warum gibt es dann so viele geschlosseneSchwimmbäder und marode öffentliche Gebäude? DieserWiderspruch treibt die Menschen um .
Meine Damen und Herren von der Großen Koali-tion, Sie sind bei der Beseitigung dieses Widerspruchsnicht vorangekommen . Es ist doch sehr vernünftig, dass60 Prozent der Menschen wollen, dass die vorhandenenÜberschüsse in die Infrastruktur investiert werden .
Nur 16 Prozent wollen Steuererleichterungen . Das isteine sehr vernünftige Haltung . Ich könnte durchaus ver-stehen, wenn die Menschen eine steuerliche Erleichte-rung haben wollten . Aber die Mehrheit der Menschen hateinen Blick für die Notwendigkeiten, wenn es um Zu-kunftsgestaltung und Nachhaltigkeit geht .Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koali-tion, bleiben aber auf der Handlungsebene weit zurück .Ich will nicht verhehlen, dass Sie selber darüber gespro-chen haben, wie schwierig es ist, Investitionen umzuset-zen . Sie haben darauf hingewiesen, wie toll die GroßeKoalition die Kommunen unterstützt . Aber eines kannich Ihnen nicht ersparen: Es ist Ihnen nicht gelungen, diewirklichen Bremsen für öffentliche Investitionen in die-sem Land zu lösen .
Sie haben keine Einigung über die Zukunft der Entflech-tungsmittel erzielt . Es gibt keinen Verzicht auf das Ko-operationsverbot .Herr Schäuble, Sie haben etwas in Ihrer Rede vergessen .Sie haben gesagt – wortwörtlich, glaube ich –, Sie hättenalle großen Projekte der Großen Koalition abgearbeitet .Nein, Sie sind an dem Großprojekt, die Bund-Länder-Fi-nanzbeziehungen neu zu gestalten, bisher vollständig ge-scheitert .
Johannes Kahrs
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618332
(C)
(D)
Eine Einigung bei den Bund-Länder-Finanzbezie-hungen ist Voraussetzung, um zum Beispiel Investiti-onsbremsen zu verhindern oder – sagen wir es etwas ge-nauer – die Probleme der Kommunen beim Mittelabflussanzugehen .
Wo kann man auf Kofinanzierung verzichten? Wokann man auch die Länder in die Pflicht nehmen? DassSie es noch nicht einmal geschafft haben, Gespräche zuführen, sondern über dieses Thema quasi keine Gesprä-che stattfinden, ist ein Armutszeugnis. Das verantwortenSie nicht alleine, aber federführend . Da sind natürlichauch die Länder gefordert . Das will ich gar nicht leugnen .
Abschließend möchte ich etwas zur Steuerpolitik sa-gen . Die CDU kommt jetzt schon um die Ecke – auch derFinanzminister hat es getan – und stellt Steuerentlastun-gen in Aussicht .
Frau Kollegin, bevor Sie das jetzt ausführen: Gestatten
Sie Herrn Kollegen Mattfeldt von der CDU/CSU-Frakti-
on eine Zwischenfrage oder -bemerkung?
Na ja, er soll es mal machen .
Das war ein Ja .
Frau Kollegin Hajduk, Sie haben eben darüber gespro-
chen, dass Milliarden für die Infrastruktur fehlen . Ich
war kürzlich bei der Leiterin eines Straßenbauamtes . Die
sagte mir etwas ganz anderes . Sie sagte mir, der Bund
habe Milliarden zur Verfügung gestellt, gerade für Stra-
ßenbaumaßnahmen, aber das Straßenbauamt habe keine
Möglichkeit, die Projekte abzuarbeiten . Sie habe des-
halb keine Möglichkeit, diese abzuarbeiten, weil überall
Infrastrukturprojekte gerade von Ihrer Partei blockiert
würden und gerade Ihre Partei Bürgerinitiativen gegen
solche Projekte unterstützen würde .
Sie könne die Projekte planungsrechtlich nicht umsetzen,
weil dies immer schwieriger geworden sei .
Wie gehen Sie denn damit um? Was darf ich dieser
Dame sagen? Wollen Sie eine Veränderung Ihrer Poli-
tik herbeiführen, damit das Baurecht leichter umgesetzt
werden kann, oder wollen Sie Infrastrukturmaßnahmen
weiter vor Ort bekämpfen?
Sehr geehrter Herr Mattfeldt, es ist richtig, dass wirhinsichtlich der Planungskapazitäten besser werden müs-sen . Ich würde nicht beanspruchen, dass meine Partei dieeinzige Partei ist, die Bürgerproteste und Bürgerinitiati-ven unterstützt . Diese Unterstützung geht quer durch dieParteien . Man muss Konsensgespräche führen und daranarbeiten, dass Infrastrukturprojekte durchgeführt werdenkönnen . Das ist eine anstrengende Sache . Das sollten wiraber als Vertreter der repräsentativen Demokratie nichteinzelnen Parteien zuweisen . Das ist die Aufgabe vonuns allen .Aber wenn Sie schon von Verkehrspolitik und Inves-titionen sprechen, kann ich Ihnen die Bemerkung nichtersparen, dass dazu auch gehört, Planungssicherheit fürdie Gemeinden herzustellen und ihnen für die ZukunftMittel zuzusagen .
Deswegen habe ich die Entflechtungsmittel genannt.Es ist notwendig, bei Verkehrsinfrastrukturprojekten,von mir aus auch schon bei der Planung, mit den Bür-gerinnen und Bürgern zu reden . Man muss aber auchdie strukturellen Voraussetzungen dafür schaffen, dassBund und Länder Einigkeit erzielen, damit die LänderPlanungssicherheit bei Investitionen in die Verkehrs-infrastruktur haben . Das ist eines der Beispiele, die ichgemeint habe. Ich hoffe, Sie nehmen sich das zu Herzen;denn da ist die Große Koalition wirklich gescheitert . Dorthat sie dringenden Handlungsbedarf .
Ich möchte zum Schluss meiner Rede auf die Steuer-politik kommen . Es ist hier Steuerentlastung versprochenworden . In der Vergangenheit waren es leere Versprechender CDU/CSU, wenn es um Steuerreformen ging . Ichmuss sagen: Ich habe meine Zweifel an der Handlungsfä-higkeit der Union, weil ihr vieles nicht gelingt . So hat dieEU-Kommission die wichtige Entscheidung getroffen,dass ein internationaler Großkonzern nicht durch Steuer-vergünstigungen unzulässig begünstigt werden darf . Dasist vorhin schon angesprochen worden . Herr Söder sagtdazu, er sehe das ganz anders . Er wolle dazu keine Un-terstützung leisten .Es regt die Leute auf, wenn wir es nicht schaffen,Steuergerechtigkeit herzustellen und wenn internationaleKonzerne keine Steuern zahlen . Dieses Geld muss in denöffentlichen Kassen ankommen.
Herr Schäuble hat sich auf den Weg gemacht, aber dieCSU darf jetzt nicht bremsen .Mein letzter Punkt ist die Erbschaftsteuer . Sie habenversucht, in dieser Legislaturperiode eine Erbschaft-steuerreform vorzulegen . Das Ergebnis: Es ist ein ver-fassungswidriger Vorschlag . Er wird unserer VerfassungAnja Hajduk
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18333
(C)
(D)
nicht gerecht . Auch dort hat die Union unter Beweis ge-stellt, dass sie handlungsunfähig ist . Ich wäre an IhrerStelle bei Steuerreformversprechen sehr vorsichtig . Odergehen Sie in sich: Zeigen Sie uns ab übermorgen im Ver-mittlungsausschuss, dass Sie es besser machen können .Danke schön .
Vielen Dank, Kollegin Hajduk . – Der nächste Redner:
Bartholomäus Kalb für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ja, es ist richtig: Die Menschen in unseremLand sorgen sich um ihre persönliche Zukunft . Sie sor-gen sich auch um die Zukunft Europas . Sie sorgen sichum die Sicherheit, die innere Sicherheit, die äußere Si-cherheit . Sie sorgen sich wegen der Gefahren, die vonden internationalen Krisenherden ausgehen, und nichtzuletzt wegen der rasanten gesellschaftlichen und tech-nologischen Veränderungen . Das ist das eine .Das andere ist aber: Objektiv betrachtet ist es uns inDeutschland selten, ich behaupte: fast nie so gut gegan-gen wie jetzt . Die Wirtschaft läuft gut . Wir haben eineHöchstzahl von Erwerbstätigen: 43,5 Millionen Er-werbstätige – ein absoluter Spitzenwert . Wir haben eineHöchstzahl an sozialversicherungspflichtigen Beschäfti-gungsverhältnissen: über 31,4 Millionen . Die aufgezeig-te Situation der Entwicklung der Reallöhne und der Ent-wicklung der Renten hat es nie vorher gegeben .Insbesondere ist die Jugendarbeitslosigkeit – es ist mirwichtig, darauf hinzuweisen – Gott sei Dank so niedrigwie nie zuvor . Es gibt so viele Chancen für unsere jungenMenschen, die einen Ausbildungsplatz suchen . So vieleAlternativen auf dem Ausbildungsstellenmarkt, wie siesich derzeit unseren jungen Menschen bieten, hat es niegegeben .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der vor-gelegte Haushalt, den wir jetzt beraten werden, ist einErgebnis dieser guten, hervorragenden Entwicklung . Wirkönnen zum vierten Mal einen schuldenfreien Haushaltvorlegen . Das ist für den gesamten Finanzplanungszeit-raum ebenfalls so vorgesehen, und das obwohl wir dieInvestitionen erheblich verstärken, etwa die Ausgabenfür Bildung und Forschung . Die Verkehrsinvestitionenund die Bildungsinvestitionen sind – es ist schon gesagtworden – allein in dieser Legislaturperiode um jeweilsrund 25 Prozent gesteigert worden . Das ist eine echte In-vestition in die Zukunft unseres Landes .
Das ist Zukunftssicherung für unser Land .Auch das will ich von meiner Seite aus sagen: Wirstärken die Kommunen . Wir stärken die Länder, wie essonst nie der Fall war, mit den vom Finanzminister be-reits genannten Entlastungen in diesem Jahr in Höhe von22 Milliarden Euro und im Zeitraum bis 2020 in Höhevon rund 170 Milliarden Euro .Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir reagie-ren auch auf die Sorgen der Menschen . Gerade wenn ichmir die Entwicklung des Innenetats anschaue, stelle ichfest: Das ist bereits eine Antwort auf die Fragen: Wirddie Sicherheit in unserem Lande gewährleistet? Kann siegewährleistet werden? Wir werden auch in den Haus-haltsberatungen dafür sorgen, dass nicht nur Geld zurVerfügung gestellt wird, sondern auch dafür, dass Ein-richtungen personell gestärkt werden .Vielleicht darf ich auch das sagen: Wir haben inDeutschland trotz der Anschläge in Würzburg, Ansbachund München insgesamt gesehen bisher viel Glück ge-habt, dass nicht noch Schlimmeres passiert ist . Wir habenaber nicht nur Glück gehabt; vielmehr haben wir es unse-ren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Bundespo-lizei, bei allen Sicherheitsbehörden, bei allen Polizeien,auch der Länder, zu verdanken, dass dort so gute, hervor-ragende, tüchtige Arbeit geleistet wird . Dafür dürfen wirein großes Dankeschön sagen .
Natürlich will ich zumindest am Rande das Thema„äußere Sicherheit/Verteidigungsetat“ ansprechen; wirwerden morgen darüber diskutieren . Auch da leisten wirwesentlich mehr, weil wir uns einfach nicht abkoppelnkönnen, weil wir uns nicht aus der Verantwortung stehlenkönnen, sondern weil wir Verantwortung tragen, auch iminternationalen Umfeld .Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist aberauch Zeit – wir haben davon gesprochen, dass es uns jetztgut geht –, dass man in guten Zeiten vorsorgt . Dazu ge-hört, dass wir haushälterisch mit dem Geld umgehen . Ichsage: Es muss Schluss sein damit, dass immer noch mehrKreativität darauf verwendet wird, wie man noch mehrGeld unter die Leute bringen kann, wie man noch mehrGeld ausgeben kann . Ich bin auch nicht der Überzeu-gung, dass immer mehr Umverteilung immer mehr Ge-rechtigkeit bedeutet . Wir sollten uns schon darauf besin-nen, dass der Staat, die öffentlichen Hände nur das Geldvom Bürger nehmen dürfen, das sie zur Finanzierung derGemeinschaftsaufgaben insgesamt brauchen .Damit sind wir bei einem anderen Thema . JohannesKahrs hat das Thema Steuerpolitik angesprochen . Auchdas ist Vorsorge für die Zukunft . Da geht es um die Ent-lastung der Bürger . In der Zukunft wird die Wettbewerbs-fähigkeit Deutschlands nicht nur davon abhängen, wieunsere Unternehmen steuerlich und sonst belastet sind,sondern die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands wirdauch davon abhängen, wie unsere qualifizierten Mitar-beiter mit Steuern und Abgaben belastet sein werden .Auch das ist Zukunftsvorsorge . Der Wettbewerb um dieguten Kräfte wird zunehmen . Eine Vertreterin eines gro-ßen internationalen Personaldienstleisters hat uns einmalgesagt: Das größte Problem aller westlichen Volkswirt-schaften, aller modernen Volkswirtschaften wird sein, inAnja Hajduk
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618334
(C)
(D)
der Zukunft noch ausreichend gut qualifizierte Mitarbei-ter zu bekommen .Deswegen glaube ich, dass es gut ist – so hat es derFinanzminister auch vorgetragen –, dass wir uns daraufkonzentrieren, eine Steuerreform in der nächsten Legis-laturperiode anzugehen . Ich wäre sehr froh, wenn es soeinfach wäre, wie es mein lieber Kollege Johannes Kahrsdargestellt hat, nämlich dass die SPD auch jetzt nochmitmachen würde . Ich weiß nicht, ob die SPD-geführtenBundesländer da so gern mitmachen würden; ich glaubees nicht . Bleiben wir also bei den Realitäten!
Aber wir müssen das angehen, und wir sollten unsdarauf konzentrieren, dass wir eine Steuerreform hin-bekommen, die den Namen verdient . Vor allen Dingensollten wir uns auf den Tarifverlauf bei der Einkommen-steuer konzentrieren, uns nämlich insbesondere dem Ab-bau des Mittelstandsbauchs widmen . Es macht keinenSinn, dass wir einen Eingangssteuersatz von 14 Prozenthaben, aber bei 5 000 Euro mehr Jahreseinkommen derSteuersatz bereits bis in die Nähe von 24 Prozent steigt .Das sind die qualifizierten jungen Leute. Es sind nicht dieSpitzenverdiener, die davon betroffen sind, sondern es istder breite qualifizierte Mittelstand, nicht im Sinne vonmittelständischen Unternehmen, sondern von mittelstän-dischen Verdienern; so will ich das einmal sagen . Natür-lich hat Johannes Kahrs recht, dass es nicht ganz sinnvollist, zu meinen, mit 53 000 Euro brutto sei man schon einSpitzenverdiener; auch das muss geändert werden .Meine sehr verehrten Damen und Herren, darauf soll-ten wir uns konzentrieren . Regelmäßige Anpassung auchim Hinblick auf die kalte Progression, das ist bereits ge-sagt worden . Über alles, was man nach 2020 noch tunmuss, auch nach Auslaufen des Solidarpakts, Abbau desSolidaritätszuschlags usw . – das ist jetzt kein unmittelba-rer Zusammenhang –, hat man sich weitestgehend ver-ständigt .Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir ist eswichtig, dass wir in unserer Haushaltspolitik Kurs halten,dass wir dafür sorgen, dass wir die Aufgaben, die wir zubewältigen haben, ohne neue Schulden erfüllen können,so wie wir es uns zu Beginn der Legislaturperiode vor-genommen haben . Ohne neue Schulden, ohne Steuerer-höhungen, sondern mit Entlastungen wollen wir in derZukunft die wichtigen Aufgaben erfüllen .Für uns muss der ausgeglichene Haushalt natürlichimmer oberste Priorität haben . Wir haben bewiesen, dasswir uns in der Vergangenheit nicht kaputtgespart haben .Wir haben in die Zukunft investiert, haben die richtigenAkzente gesetzt, haben Impulse gegeben, die letztlichauch dazu geführt haben, dass die Wirtschaft so gut läuft,dass wir so viele Menschen in Beschäftigung, in Lohnund Brot, haben . So sollten wir weiterarbeiten .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Kollege Kalb . – Nächster Redner: Lothar
Binding für die SPD-Fraktion .
Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich möchte zunächst den Bürgerinnen undBürgern danken, zum Beispiel Ihnen auf der Tribüne;denn das Geld, mit dem wir umgehen, kommt auch vonIhnen . Wir gehen damit so um, als ob es unser eigeneswäre – ich meine, genauso vorsichtig –, aber eigentlichkommt es von Ihnen oder von Ihren Eltern oder von de-nen, die jetzt am Fernseher zuschauen . Wir gehen also mitIhrem Geld um, machen das Beste daraus . Zugegeben, esgibt immer mal kleine Fehler; es funktioniert nicht alles,aber im Wesentlichen funktioniert das sehr gut .
Bundesminister Schäuble hat gesagt: Uns geht es gutin Deutschland . Zum Beispiel ist die Arbeitslosigkeitniedrig . Das Wirtschaftswachstum ist hoch . Die Re-allöhne steigen . Dem könnte man vieles hinzufügen – ei-gentlich alles gut . Ralph Brinkhaus hat gesagt – und dasstimmt auch –: im Schnitt . Dieser Durchschnitt ist natür-lich mit einer gewissen Gefahr belastet; denn wir müssenschon sagen: Obwohl es uns im Durchschnitt so gut geht,machen sich viele Leute Sorgen . Diese Sorgen ernst zunehmen und herauszufinden, warum so viele Leute Sor-gen haben, obwohl es uns doch im Durchschnitt gut geht,ist, denke ich, wichtig .Carsten Schneider hat vorhin Schlüsselbegriffe ge-nannt: sozialer Ausgleich und sozialer Zusammenhalt .Wenn man dies genauer in den Blick nimmt, kommt manschnell zu Fragen der Vermögensverteilung, der Einkom-mensunterschiede und der ungleichen Bildungschancen .Aber im Durchschnitt geht es uns allen gut, wobei mandann noch sagen muss: Wie schlecht es vielen geht, er-kennt man daran, dass die Hälfte aller Menschen über-haupt keine Steuern bezahlt . Ich meine aber nicht jene,die Steuern hinterziehen, sondern jene, die so wenig ha-ben, dass sie keine bezahlen müssen – und das ist auchgerecht . Deshalb müssen wir schauen, ob sie nicht zuhohe Abgaben haben . Sie sagen nämlich immer: Ich habeso hohe Abgaben . Darauf sage ich immer: Sie zahlendoch überhaupt keine Steuern . Darauf antworten sie wie-der: Aber ich habe trotzdem hohe Abgaben .Diesen Unterschied und die damit verbundene Unge-rechtigkeit müssen wir uns nochmals genauer anschauen,auch mit Blick auf die gefühlte und reale Belastung derBürger .Vor allem müssen wir schauen: Ist der Haushalt ei-gentlich zukunftsfähig? Wir wissen ja: Heute sprudelndie Steuereinnahmen; das ist schon richtig . Aber wirmüssen schauen: Was tun wir eigentlich in der Vorsorgefür den Fall, dass das Wachstum nachlässt, dass die Zin-sen steigen – in unserem Haushalt fehlen sofort einigeMilliarden, wenn die Reallöhne vielleicht wieder sin-Bartholomäus Kalb
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18335
(C)
(D)
ken –, wenn der Leistungsbilanzüberschuss unter Druckkommt? Haben wir diese Haushaltsrisiken wirklich imGriff? Haben wir dafür die entsprechende Zukunftsvor-sorge?Ein Zukunftsrisiko im Haushalt ist auch die Mittel-standsvereinigung der CDU . Diese sagte nämlich, wirhätten im Moment hohe, sprudelnde Steuereinnahmen –vergleichen Sie dazu mein Glas mit Sprudel –
und diese könnten wir ausgeben .Nun sieht man aber: Die Steuereinnahmen in jedemJahr sind endlich, sie könnten auch sinken . Jetzt machtdie Mittelstandsvereinigung den Vorschlag, die Steuernzu senken . Übrigens macht die SPD diesen Vorschlagebenfalls . Wir wollen es aber an der richtigen Stelle ma-chen . Der kleine Nachteil an dem Vorschlag der Mittel-standsvereinigung ist, dass sie sagt, wir sollen die Steu-ern senken, sie aber nicht sagt, wie das finanziert werdensoll . Ausgaben, von denen man nicht weiß, wie sie zufinanzieren sind, sind keine gute Idee. Und jeder hierglaubt mir – aber in acht Minuten schaffe ich es nicht –,dass das Sprudelglas in acht Minuten leer sein wird .
Möglicherweise hat man, wenn man die Steuern senkt,im richtigen Moment nicht mehr genug, um auf Krisensi-tuationen gut zu reagieren .
Deshalb ist es wichtig, über Steuerentlastungen zusprechen. Aber wer allein über die Abflachung des Mit-telstandsbauchs spricht, der muss uns noch verraten, wieer vermeiden will, dass damit die Allerreichsten auchentlastet werden, wenn er am Spitzensteuersatz nichtsändern will . Johannes Kahrs sagte vorhin, bereits dasEinkommen, das auch nur 1 Euro über dem doppeltenDurchschnittseinkommen von 53 000 Euro liegt, unter-liegt dem Spitzensteuersatz . Diese Grenze müssen wirverschieben .
Der Spitzensteuersatz muss vielleicht erst bei 80 000 oder100 000 Euro beginnen . Aber ich kann den Mittelstands-bauch nur für die niedrigeren Einkommen abflachen,wenn ich den Spitzensteuersatz entsprechend anhebe .Bei Einkommen von 20 000, 30 000 oder 40 000 Europro Tag kann man doch darüber nachdenken, ob wirdiese nicht ein wenig mehr belasten . Jeder im Saal soll-te einmal darüber nachdenken, ob er auch 30 000 oder40 000 Euro am Tag verdient . Falls nicht: Haben Sie kei-ne Angst vor dieser Reform . Falls doch, nehme ich Ihnengern davon vielleicht sogar mehr als 50 Prozent ab .
Aber diesen Vorschlag darf ich offiziell nicht machen;denn das ist eine psychologische Schallmauer, die mannicht durchbrechen darf . Ich denke aber, über so etwas –Steuersenkungen, Steuergerechtigkeit und viele andereAspekte – muss man mit Blick auf einen zukunftsfähigenHaushalt wirklich nachdenken .Bundesminister Schäuble sagte einen weiteren wich-tigen Satz – und der ist auch richtig –: Wir sind uner-müdlich dabei, dafür zu sorgen, dass die gesetzlich de-finierten Steuern auch gezahlt werden. Dabei ziehen wirziemlich an einem Strang, die Finanzpolitiker und dieHaushälter . Dieses Bemühen möchte ich keinem abspre-chen . Aber wir müssen auch zugeben, dass mit dem Blickauf Betrug, Steuerhinterziehung und -gestaltung bis hinvielleicht auch zu kassenfreien Geschäften – ich erwähneeinmal die Stichworte Kassen- und Belegpflicht sowieBelegausgabepflicht – noch sehr viel zu tun bleibt. Dasgilt auch für eine faire Erbschaftsteuer .
Wir kommen jetzt zu der Frage, Herr Binding, ob Herr
Kollege Michelbach Ihnen eine Frage stellen oder eine
Bemerkung machen darf .
Ach so . Das überrascht mich . Ich war jetzt gerade so
begeistert dabei . Hans, du darfst gerne .
Sie haben gedacht, er stehe schon vor lauter Begeis-
terung .
Nein, nein, das hatte schon einen Grund .
Ich dachte, er bereitet seine stehende Ovation vor .
Nein, das hatte schon einen Grund . Gut .
Frau Präsidentin, Sie werden es nicht glauben: MeineBegeisterung über die Rede von Herrn Binding hält sichin Grenzen . Beifall ist also nicht gegeben .Lieber Kollege Binding, es ist für mich schon einaußergewöhnlicher Fall, dass Sie sich so mit den Steu-ervorschlägen der CDU/CSU-Mittelstands- und Wirt-schaftsvereinigung beschäftigen . Das heißt ja, im Grundegenommen machen wir alles richtig, wenn Sie sich sodamit beschäftigen .Ich finde nur, Sie sollten sich dann auch damit beschäf-tigen, dass es beim Spitzensteuersatz nicht nur um deneinzelnen reichen Verdiener geht – dazu hätte ich gerneeine Stellungnahme von Ihnen –, sondern auch darum,dass dadurch, dass die Mittel, die im Unternehmen ver-bleiben, investiert werden, auch Arbeitsplätze geschaffenwerden können . Sehen Sie diese Möglichkeit nicht? SindSie nicht auch der Auffassung, dass dann, wenn Sie denSpitzensteuersatz so stark anheben, die Möglichkeiten inden Unternehmen geringer werden, durch neue Investiti-onen Arbeitsplätze zu sichern?Lothar Binding
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618336
(C)
(D)
Herr Binding .
Zunächst einmal möchte ich sagen: Ich beschäftige
mich mit allen Übeln dieser Welt, insbesondere natürlich
deshalb, um sie zu überwinden .
Sie haben allerdings recht: Das Einkommensteuer-
aufkommen beinhaltet sehr viele unternehmerische Ge-
winne; denn die Personengesellschaften zahlen nur in
der Weise Steuern, dass die Gewinne einer Person zuge-
rechnet werden und dann in Form der Einkommensteuer
versteuert werden . Natürlich muss man achtgeben, dass
man bei der Besteuerung die Unternehmen nicht aus-
zehrt . Wenn ich mich allerdings in der Welt ein wenig
umgucke, stelle ich fest, dass es bis zur Auszehrung der
Unternehmen noch ein weiter Weg ist .
Insbesondere haben die Unternehmen natürlich die Mög-
lichkeit, den Gewinn durch Betriebsausgaben usw . so zu
gestalten, dass er fair ausfällt, also der Eigentümer fair
besteuert wird und trotzdem die Investitionskraft des Un-
ternehmens erhalten bleibt .
Wenn wir heute über ganz bestimmte Gestaltungs-
möglichkeiten reden, muss man fairerweise sagen, dass
wir da nicht an die kleineren Personengesellschaften
denken, sondern mehr an Konzerne, mehr an Großunter-
nehmen, die sich da völlig anders einbringen . Diese habe
ich allerdings nicht gemeint; denn sie zahlen ja nicht
Einkommensteuer, sondern Körperschaft- und Gewerbe-
steuer . Insofern sind wir da gar nicht so weit auseinander,
wenn du mir zustimmen würdest, dass wir die, die rich-
tig viel verdienen, mit einem höheren Spitzensteuersatz
belasten sollten – wobei es ja so ist, dass niemand den
Spitzensteuersatz auf alle seine Einkünfte zahlt .
Sie sind jetzt wieder in Ihrer Rede, nicht wahr?
Letzter Satz .
Na ja, er hat sich vor lauter Begeisterung wieder hin-
gesetzt .
Er stand schon voreilig auf, dann darf er sich auch vor-
eilig wieder setzen .
Nein, er hat jetzt wirklich lange gestanden . Ich bitte
Sie, kommen Sie wieder zur Rede zurück .
Ich komme wieder zurück zu meiner Rede, aber ichwill es doch wiederholen: Den Spitzensteuersatz zahltauch der Milliardär nicht auf alle seine Einkünfte, denbezahlt er nur auf die Euros, die er über 53 000 Eurohinweg einnimmt . Es ist eine ganz wichtige Sache, dassman weiß: Auch der Milliardär hat einen Steuerfreibe-trag, auch der Milliardär muss auf seine unterhalb von53 000 Euro liegenden Einkünfte weniger bezahlen . Des-halb keine Panik vor der von uns geforderten Steuer . Allewerden damit gut leben können .Ich komme zurück zu meiner Rede und zu einemkomplizierten Wort, nämlich BEPS, Base Erosion andProfit Shifting. Das heißt, man zerstört die Bemessungs-grundlage, auf die man Steuern bezahlen muss, indemman Gewinne verlagert. Ich finde, wir müssen noch ein-mal darüber nachdenken, ob wir uns da, auch in IhremSinne, schon genug engagieren .Es gibt einen ersten Entwurf zum BEPS-Umsetzungs-gesetz, also zur Umsetzung in nationales Recht . Darinsind leider nur zwei Regulierungen enthalten – weil mei-ne Redezeit abläuft, mache ich es kurz –, nämlich TaxRulings und Country-by-Country Reporting . Wir glau-ben, das ist ein bisschen wenig . Wir müssen an dieserStelle mehr tun . Wir haben ja 15 dicke Bücher zu BEPSerhalten, im Moment nehmen wir aber nur sehr selektivzwei Dinge heraus . Wir glauben, wir müssen uns da sehrviel breiter aufstellen . Auch in der gesetzgeberischenUmsetzung harren noch viele andere Maßnahmen ihrerErledigung .Dass wir da noch ein bisschen mehr tun müssen, zeigtauch der aktuelle Fall aus Irland . Es ist doch absurd, dasses dort Tax Rulings gibt – Tax steht für Steuer, und Ru-ling ist einfach eine Verabredung –, also dass ein Unter-nehmen mit der dortigen Steuerbehörde verabredet, wieviele Steuern es in Zukunft zu bezahlen hat . In Irlandwar es nun so, dass die Gewinne auf eine Verwaltungs-gesellschaft in den USA verlagert werden durften, wo siesteuerfrei sind, und sie in Irland ebenfalls nicht besteuertwurden, weil sie ja dieser Verwaltungsgesellschaft zuge-rechnet wurden . Das ist eine doppelte Nichtbesteuerung .Da muss man natürlich ran, das ist unmöglich .
Deswegen sind wir der Kommission auch für den beihil-ferechtlichen Aspekt dankbar – das ist auch eine Wett-bewerbsfrage –, damit es hier keine ungerechte Bevor-zugung zum Nachteil aller anderen gibt . Das ist eineFrage, über die wir im internationalen Kontext noch sehrintensiv diskutieren müssen . Uns hat es sehr gewundert –Carsten Schneider hat darauf hingewiesen –, dass derMinister Schröder
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18337
(C)
(D)
– Söder –, wenige Stunden nachdem ihm das aufgefallenist, schon wusste – – Schröder hätte es wirklich gewusst,aber Söder?
– Ja .
Söder wusste, schon wenige Stunden nachdem es bekanntwurde, dass Bayern davon überhaupt nicht betroffen ist.
Ich möchte den Bundesfinanzminister bitten, zuschauen, ob in diesem Kontext in Deutschland Besteu-erungsrechte verloren gegangen sein könnten . Es kannsein, dass wir Betriebsstättenanknüpfungspunkte vonder Firma Apple in Deutschland haben könnten . Sie istja ziemlich aktiv bei uns . Wir müssen schauen, ob nichtdoch Besteuerungsrechte verloren gehen, die letztendlichdazu führten, dass von den vielen Milliarden, die Irlandaus den USA zustehen, Deutschland einen Teil abbekom-men würde . Das wäre doch ganz gut . Das ist aber zu prü-fen . Das können wir jetzt noch nicht wissen . Aber dieseAktivität müssen wir vornehmen .
Wir sehen, dass sich der Haushalt gut darstellt . Wirkönnen ihn in Richtung Gerechtigkeit aber noch deutlichverstärken .Schönen Dank .
Danke, Lothar Binding . – Nächste Rednerin: Antje
Tillmann für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich mit einerBlinddarmentzündung zum Arzt gehe, dann erwarte ich,dass der Arzt die Blinddarmentzündung heilt . Wenn ichmeine Kinder in den Kindergarten schicke, dann erwarteich von den Erzieherinnen und Erziehern, dass sie mei-ne Kinder ordentlich betreuen . Die Krankenschwestermacht ihren Job, der Hausmeister macht seinen Job mitVerantwortung . Ganz viele Menschen machen nach ei-nem langen Berufsleben ehrenamtlich weiter . All dieseBürgerinnen und Bürger erfüllen ihre Aufgaben verant-wortungsbewusst und tragen damit zum Wohlstand indiesem Land bei . Die gleichen Bürgerinnen und Bürgerkönnen das nur tun, weil sie davon ausgehen, dass wirunseren Job erfüllen . Wir als Abgeordnete des DeutschenBundestages haben die Aufgabe, Probleme in diesemLand zu erkennen, sie anzugehen und zu lösen .Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, Siesind im Darstellen der Probleme ausgesprochen gut . Dashaben Sie hinreichend getan .
Wenn man Ihnen glaubt, geht morgen die Welt unter . Siesteigen aber bei der Problemlösung aus . Sie steigen auchdabei aus, anzuerkennen, dass wir viele Probleme derVergangenheit schon gelöst haben . Ich fange an mit derSteuerentlastung der Bürgerinnen und Bürger im letztenJahr . 5,5 Milliarden Euro haben wir den Bürgerinnen undBürgern von den Steuern, die sie gezahlt haben, wieder-gegeben .
Wir haben insbesondere Familien entlastet . Kinderfrei-betrag, Kindergeld und der Entlastungsbetrag für Allein-erziehende sind erhöht worden . Den Kinderzuschlag fürGeringverdiener haben wir im Juli wieder angehoben .Wir haben den Grundfreibetrag erhöht . Die Bürgerinnenund Bürgern werden pro Jahr – im nächsten Jahr wie-der – um 5,5 Milliarden Euro entlastet . Das sind Gelder,die die Menschen für sich ausgeben können, zum Bei-spiel für Investitionen; denn nicht nur Investitionen deröffentlichen Hand sind sinnvoll, sondern auch private In-vestitionen, die die Bürgerinnen und Bürger jetzt leichtertätigen können .
Wir werden weitermachen . Am Ende des Jahres wirddie Bundesregierung den Zweiten Steuerprogressions-bericht und den 11 . Existenzminimumbericht vorlegen .Das ist für uns ein Anlass, wieder über Entlastungen zudiskutieren . Ich bin froh, dass Finanzminister Schäubleschon eine Zahl in den Raum gestellt hat . Mit weiteren2 Milliarden Euro sind wir schon bei 7 Milliarden Europro Jahr, sodass wir im nächsten Jahr über eine Entlas-tung in Höhe von 15 Milliarden Euro sprechen . Es ist einProblem erkannt und gelöst worden .Wir haben im Mittelstand – Gott sei Dank ist die deut-sche Wirtschaft sehr mittelständisch aufgestellt – Proble-me erkannt . Die Mittelständler haben uns darauf hinge-wiesen, dass trotz der guten wirtschaftlichen Situationfehlendes Eigenkapital nach wie vor ein Problem seinkann . Wir haben über den Investitionsabzugsbetrag fürUnternehmen Erleichterungen herbeigeführt . Wir habenVerlustverrechnungen in den Unternehmen verbessert .Wir haben auch bei den Unternehmen, die neue innova-tive Ideen haben, über Wagniskapital und Investitionszu-schuss Verbesserungen herbeigeführt . Wir stellen sicher,dass auch die künftigen Generationen, die gute Ideenhaben – schlaue Köpfe hat Deutschland –, ihre Ideenin Deutschland umsetzen können, indem wir sie bei derFinanzierung unterstützen . Auch da gab es ein Problem .Wir haben es erkannt und gelöst . Gott sei Dank geht esim Herbst weiter: Wir werden beim Wagniskapital wei-tere Erleichterungen für die Unternehmen durchsetzen .Die Unternehmen haben uns dann gesagt, ein Pro-blem neben der Steuerhöhe sei auch die Bürokratie . ImBereich der Steuerverwaltung sind wir auf einem gutenLothar Binding
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618338
(C)
(D)
Weg, die Besteuerung zu vereinfachen, indem wir dem-nächst digitale Möglichkeiten nutzen . Sie können dem-nächst vom vorausgefüllten Steuerformular über dieAbgabe der Steuererklärung, die eingescannten Belege,den Steuerbescheid bis hin zum Einspruch und zur Ein-spruchsentscheidung alles am Computer, von zu Hauseaus, machen . Dadurch wird das Verfahren in den Finanz-behörden erleichtert, dadurch wird es erleichtert, derSteuerpflicht nachzukommen. Auch da sind wir auf demWeg, die Probleme, die an uns herangetragen wordensind, zu lösen . Für Unternehmen heißt dies, dass es sehrbald zeitnahe Betriebsprüfungen geben wird, damit sienicht erst Jahre, nachdem sie den Gewinn erwirtschaftethaben, tatsächlich wissen, in welcher Höhe sie Steuernzahlen müssen .In dem Zusammenhang gibt es das Problem – es istallgemein bekannt und wurde heute auch schon mehrfachangesprochen –, dass Unternehmen international versu-chen, sich ihrer Steuerpflicht zu entziehen; BEPS wurdeschon angesprochen . Wir haben mittlerweile den automa-tischen Informationsaustausch und gehen internationalgegen Steuerhinterziehung vor . Frau Kollegin Hajduk,Sie haben eben den Finanzminister dafür kritisiert, dasser in der Bund-Länder-Kommission keine Erfolge erzielt .Aber gerade das Problem, das Sie angesprochen haben,nämlich dass der Bund mehr Kompetenzen in der inter-nationalen Steuerhinterziehungsbekämpfung braucht, istja nicht gelöst . Dann wäre es doch folgerichtig, dass wirals Abgeordnete den Finanzminister unterstützen .
– Das werden wir tun . Ich glaube, dass wir da gemeinsamauf den richtigen Weg kommen und die Probleme lösenwerden .
Die Kommunen haben uns schon vor einigen Jahrengesagt, dass sie finanzielle Probleme haben. Nun glau-be ich nicht, dass es so ist, wie Sie es dargestellt haben,nämlich dass jede Schließung eines Schwimmbads aufkommunaler Ebene ein Problem des Bundes ist . Aber wirhaben erkannt, dass die finanzielle Ausstattung der Kom-munen zu gering ist . Wir sind dabei, auch dieses Problemzu lösen . Ich zitiere aus dem Bericht der Bundesverei-nigung der kommunalen Spitzenverbände zur aktuellenFinanzlage der Kommunen:Im Jahr 2017 sind … nicht zuletzt aufgrund der auf2,5 Milliarden Euro erhöhten Soforthilfe des Bun-des für Kommunen … Überschüsse zu erwarten . Fürdie Jahre 2018 und 2019 sind Überschüsse ebenfallszu erwarten, wenn es in voller Höhe zu der von derBundesregierung zugesagten dauerhaften finanziel-len Besserstellung der Kommunen … kommt …Ja, diese finanzielle Besserstellung wird kommen. Wirhaben nicht nur den Anteil der Kommunen an den Kos-ten der Grundsicherung in Höhe von 7,1 Milliarden Euroübernommen; wir fördern auch Sprachkitas, damit auchKinder aus schwierigeren Verhältnissen mit ordentlichenDeutschkenntnissen in die Schule kommen . Wir habendie Eingliederungshilfe auf den Weg gebracht . Wir zah-len jetzt schon, im Vorgriff auf die Entlastung um 5 Mil-liarden Euro, jedes Jahr 1 Milliarde Euro . Ich könnte die-se Aufzählung fortsetzen . – Die Kommunen werden amEnde dieser Legislaturperiode gut aufgestellt sein . Auchhier ist ein Problem erkannt und gelöst .Wohnungsbau . Es ist eben zu Recht darauf hingewie-sen worden, dass im Bereich des Wohnungsbaus Pro-bleme bestehen . Noch mehr als unter Steuerbelastungenleiden die Menschen unter sich immer weiter erhöhen-den Mieten . Das Problem haben wir schon vor Jahrenerkannt . Der Bund stellt den Ländern seit Jahren Milliar-denbeträge für den Wohnungsbau zur Verfügung . Leiderverwenden die Länder dieses Geld nicht immer zweck-gemäß . Man muss, wenn man nach einer Problemlösungsucht, auch schauen, wo die Schuld liegt . Herr Kindler,Sie haben eine Verdopplung der Mittel für den sozialenWohnungsbau gefordert . Leider haben Sie gar nicht inden Haushalt reingeschaut . Sonst wüssten Sie, dass wirgenau diese Verdopplung vorgenommen haben . Wir ha-ben 2,5 Milliarden Euro zusätzlich für den Wohnungsbauzur Verfügung gestellt .Jetzt kommt ein kleiner Wermutstropfen für den Ko-alitionspartner .
Offensichtlich komme ich mit dem Haushälter JohannesKahrs inhaltlich besser zusammen als mit dem Finanz-politiker Lothar Binding; denn wir hätten uns auchvorstellen können, die privaten Häuslebauer mit einersteuerlichen Förderung zu unterstützen, damit sie selberWohnungen schaffen.
Die Familie, die in ein selbstgebautes Haus zieht, machtnatürlich eine Mietwohnung frei . Wir hätten uns vorstel-len können, weitere 2 Milliarden Euro in den Wohnungs-bau zu investieren . Aber zur Politik gehört es dazu, dassman manchmal keinen Kompromiss findet und sich nichteinigt . In der nächsten Legislaturperiode werden wir dasmit Sicherheit wieder auf die Tagesordnung nehmen .Auch die Probleme beim Wohnungsbau haben wir er-kannt; sie werden massiv mit Bundesmitteln angegangen .Nun weiß ich, dass es auch andere Sorgen gibt . Lie-be Kolleginnen und Kollegen der Opposition, von Lö-sungen habe ich nichts gehört . Ganz im Gegenteil: Siewollen der künftigen Generation ein zusätzliches Pro-blem aufdrücken – insofern ist es sehr gut, dass hier vielejunge Leute sitzen . Wenn zusätzliche Milliarden für allemöglichen Projekte bereitgestellt würden, so wie Sie esfordern, würde man es der künftigen Generation durchmangelnden Spielraum im Haushalt erschweren, ihreProbleme zu lösen . Auch die nächste Generation wirdHerausforderungen zu lösen haben, und dafür braucht sieAntje Tillmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18339
(C)
(D)
finanziellen Spielraum. Das ist der Grund, warum dieserHaushalt mit einer schwarzen Null ein guter Haushalt ist .
Er macht es auch künftigen Generationen möglich, dieanstehenden Herausforderungen zu meistern, und daswollen wir für die jüngeren Generationen . Steuerentlas-tungen sind hier ein Teil, aber noch wichtiger ist, dasswir den künftigen Generationen nicht zusätzliche Proble-me aufbürden, indem wir ihren finanziellen Spielraumbegrenzen .Der vorliegende Haushalt ist ein guter Haushalt . Mitihm können wir viele Probleme angehen und lösen . DiePunkte, die noch übrig bleiben, sollten wir gemeinsamin den nächsten Wochen beraten . Ich kann Sie nur auf-fordern: Mitmachen statt Miesmachen! Aber das war beiIhnen heute nicht der Fall .Ich danke Ihnen .
Vielen Dank, Kollegin Tillmann . – Letzter Redner in
dieser Debatte: Carsten Körber für die CDU/CSU-Frak-
tion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Indieser Woche beginnen die Beratungen zum Bundes-etat 2017 .
Dieser Etat wird der vierte in Folge sein, in dem wir dieschwarze Null erreichen . Das ist ein immenser Erfolg .Seit 2014 decken unsere Einnahmen die Ausgaben .Was im Kleinen für jeden Haushalt gilt – und ich binnicht einmal Schwabe, sondern Sachse –, das gilt nunendlich auch im Großen für unseren Bundeshaushalt .
Doch dieses Ergebnis kommt nicht von ungefähr . Es istdas Ergebnis langer, konsequenter und harter Arbeit derunionsgeführten Bundesregierung .Aber der Erfolg ist in Wahrheit dieses Mal noch sehrviel größer, als er auf den ersten Blick scheint . Warumist das so? Der Erfolg ist noch viel größer, weil das ver-gangene Jahr kein normales Jahr gewesen ist . Im ver-gangenen Jahr kamen über 1 Million Menschen zu uns,die größtenteils vor Krieg, Zerstörung, Verfolgung undTod geflohen sind. Wir nehmen sie bei uns auf und bie-ten ihnen Sicherheit und Frieden; dazu verpflichten unsunser christliches Menschenbild und unser humanitärerAnspruch . Aber man muss auch ganz klar sagen, dassall dies viel Geld kostet . Versorgung, Unterbringung,Betreuung und Integration sind nicht für Kleingeld zuhaben . All das kostet Milliarden, und unter diesen Be-dingungen dennoch die schwarze Null zu halten, meinesehr geehrten Damen und Herren, das ist doch ein vielgrößerer Erfolg .
Welcher Staat Europas wäre denn in der Lage gewesen,über 1 Million Menschen aufzunehmen und mit allemNötigen zu versorgen, ohne dafür neue Schulden aufneh-men zu müssen?Zur Bundestagswahl 2013 ist die Union im Bereichder Haushalts- und Finanzpolitik mit zwei zentralen Ver-sprechen gestartet . Erstens . Mit der Union gibt es keineSteuererhöhungen . Zweitens . Wir erreichen die schwarzeNull .
Beides haben wir geschafft, und das alles, ohne dass es inunserem Land irgendjemandem schlechter geht als vor-her .
Im Gegenteil: Deutschland ist die mit Abstand stärks-te Volkswirtschaft Europas . Deutschland ist der MotorEuropas . Das war nicht immer so . Unter Rot-Grün galtDeutschland noch als der kranke Mann Europas .
Doch seitdem die CDU mit Angela Merkel regiert,
lieber Johannes Kahrs, hat sich das grundlegend geän-dert, und das wissen wir alle .
Die Arbeitslosenzahlen sinken seit Jahren . Noch nie seitder Wiedervereinigung hatten so viele Menschen Arbeit,gab es so wenige Arbeitslose . Zum 1 . Juli ist das Renten-niveau im Osten um nahezu 6 Prozent gestiegen – dasist der größte Anstieg seit 23 Jahren –, und auch die Re-allöhne sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen .
In den nächsten Jahren werden wir weitere Früchteunserer Arbeit ernten können, da bin ich mir sicher . Las-sen Sie mich als Beispiel – es wurde schon angespro-chen – Steuerentlastungen nennen . Wir reden darüber,endlich die Steuerlast senken zu können . Das könnenwir nur, weil wir uns die Spielräume dafür erwirtschaf-tet haben . So sind die Träumereien des vornehmlich lin-ken politischen Spektrums zerplatzt, das einst forderte,Steuersenkungen auf Pump zu finanzieren, weil es hoff-te, dass der dadurch generierte Aufschwung das nötigeGeld in die Kassen spülen würde . Gerade als jüngsterHaushälter der Unionsfraktion freut es mich besonders,dass wir endlich damit aufhören, Politik zulasten und aufAntje Tillmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618340
(C)
(D)
Kosten der jungen Generation zu machen . Es freut mich,dass wir endlich damit aufgehört haben, Schulden anzu-häufen, die irgendwann irgendjemand abbezahlen muss .Im Gegenteil: In den letzten Jahren haben wir endlichbegonnen, die Investitionen in den entscheidenden Berei-chen massiv zu steigern . Wissenschaft, Bildung, Verkehr,Infrastruktur, das sind die Bereiche, in denen sich dieZukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft entscheidet . Alldiese Investitionen können wir stemmen, ohne auch nureinen Cent neue Schulden aufnehmen zu müssen . Das istes, was mich glücklich stimmt . Das ist die Leistung derunionsgeführten Bundesregierung und die Leistung desFinanzministers Wolfgang Schäuble .Unser Weg ist Vorbild . Letztes Jahr haben bereits 10von 16 Bundesländern ebenfalls Überschüsse erwirt-schaftet . Steuererleichterungen sind nun die richtigeFortsetzung des begonnenen Weges; aber eben nur indem Rahmen, den uns der Haushalt und die schwarzeNull erlauben .Sie sehen also: Wir haben unser Versprechen gehalten .Vor Jahren wurden wir noch ausgelacht und beschimpftfür unseren Ansatz, der nun Vorbild ist . Erst den Haushaltin Ordnung bringen und dann die erwirtschafteten Spiel-räume verantwortungsvoll nutzen – so geht Haushaltspo-litik, die die Zukunft im Blick hat und nicht den nächstenWahltermin . An der schwarzen Null werden sich auchzukünftige Regierungen messen lassen müssen .Ich möchte, dass wir uns auch im letzten Jahr dieserLegislaturperiode auf unsere Arbeit und unsere Aufgabenkonzentrieren . Von daher ist es mir unerklärlich, wie manbereits ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl schonwieder in den Wahlkampfmodus schalten kann .
Damit wird man seiner Verantwortung nicht gerecht . Esist wirklich bedauerlich, dass der Vizekanzler und Wirt-schaftsminister Gabriel heute nicht anwesend ist; dennauch er trägt bis zur Wahl noch eine ganz entscheidendeVerantwortung für das Wohl dieses Landes .
Es ist ein Irrglaube, anzunehmen, dass die Wählerinnenund Wähler solches Verhalten bei der nächsten Wahl ho-norieren würden .Meine sehr geehrten Damen und Herren, lieberJohannes Kahrs, auf das Erreichte können wir stolz sein .
Diese Arbeit werden wir fortsetzen, indem wir alles tun,was heute gut und erforderlich ist, und zugleich die be-rechtigten Interessen der künftigen Generationen endlichnicht mehr aus dem Auge verlieren .
Für uns Haushälter heißt das für 2017: Die schwarzeNull bleibt stehen; keine weiteren Belastungen für diezukünftigen Generationen . Stattdessen sprechen wir überweitere Investitionen in wichtigen Zukunftsbereichenund notwendige Steuererleichterungen in den nächstenJahren .
Lassen Sie uns gemeinsam ans Werk gehen .Vielen Dank .
Vielen Dank, Carsten Körber . – Weitere Wortmeldun-gen zur allgemeinen Finanzdebatte liegen nicht vor .Während Sie die Plätze tauschen, wird mein Stuhl aus-getauscht, weil er hinüber ist . Daran bin nicht ich schuld .Er ging immer runter, und das finde ich nicht so gut.
– Nein, Herr von Stetten, das war schon vorher so .Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums des Innern, Einzelplan 06.Ich gebe als erstem Redner in der Debatte Dr . Thomasde Maizière für die Bundesregierung das Wort . – HerrMinister, bitte .
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Knapp ein Jahr ist es her, dass ich den Einzelplan 06 für2016, also den Einzelplan meines Geschäftsbereichs, indieses Haus eingebracht habe . Wie wohl nie zuvor warunser Land damals mit der Flüchtlingspolitik gefordert .Die Flüchtlingszahlen stiegen immens an . Grenzen inEuropa wurden überrannt . Bei unseren Nachbarn in Eu-ropa und bei den Nachbarn Europas bahnte sich eine hu-manitäre Katastrophe an .Seitdem ist viel geschehen . Was wurde nicht alles pro-phezeit? Was wurde nicht alles diskutiert? Dies geschahoft sehr streitig, häufig emotional aufgeladen und manch-mal im falschen Ton . Aus unterschiedlichen Richtungenwurde in den vergangenen Tagen der Eindruck erweckt,als sei seit dem September 2015 wenig passiert . Ich fra-Carsten Körber
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18341
(C)
(D)
ge mich ernsthaft, wo diejenigen, die das behaupten, dieletzten zwölf Monate waren .
Besonders verwunderlich finde ich es, wenn diejenigen,die das behaupten, mit am Kabinettstisch oder im Koa-litionsausschuss saßen, als Woche für Woche die Dingevorangebracht wurden,
Schritt für Schritt in großem Tempo .Gemeinsam haben viele in diesem Land viel bewegt –verantwortungsbewusst, zügig und mit großem Einsatz .Wir haben humanitäre Hilfe für eine enorme Zahl vonMenschen geleistet . Wir haben mit den Grenzkontrollendie Dinge geordnet . Wir haben das Bundesamt für Migra-tion und Flüchtlinge für diese Herausforderung massivaufgestockt, so schnell wie wohl noch nie eine Behördein Deutschland . Das Bundesamt entscheidet pro Monatso viele Einzelfälle wie nie zuvor . Bis Ende August hatdas Bundesamt in diesem Jahr fast 393 000 Entscheidun-gen getroffen.
Wir haben das Asylsystem umfassend erneuert und ver-schärft und binnen kurzer Zeit ein integriertes Identitäts-management mit biometriegestützter Registrierung undAnkunftsnachweis geschaffen. Zentrale Registrierungfür alle zuständigen Behörden – einer für alle – war voreinem Jahr technisch unmöglich und rechtlich unzuläs-sig . Jetzt haben wir sie .Wir haben unsere finanzielle Unterstützung an dieKommunen und Länder massiv erhöht, um die großeLast der Kommunen abzufedern . Wir haben das erste In-tegrationsgesetz für Deutschland geschaffen mit klarenRegeln nach dem Prinzip „Fördern und Fordern“ . In Eu-ropa verhandeln wir so zügig wie selten ein neues eu-ropäisches Asylsystem sowie ein europäisches Ein- undAusreiseregister . Die Sicherung der Außengrenzen gehtvoran . Frontex wird eine europäische Küstenwache .Mittlerweile ist der Migrationsdruck spürbar geringergeworden . Natürlich hat auch die Schließung der Bal-kanroute dazu beigetragen . Aber nachhaltig ist das nurgemeinsam mit dem EU-Türkei-Abkommen erreichtworden . Waren es im August vor einem Jahr noch etwa100 000 erfasste Menschen in einem Monat, zählenwir für den jüngst abgelaufenen August nur noch cir-ca 18 000 . Das ist ein Rückgang um 80 Prozent in einemJahr . Das alles sind Leistungen, die mancher vor einemJahr für nicht erreichbar gehalten hätte .Ja, vieles ist noch zu tun . Niemand kann das bestreiten .Mitnichten sind alle Probleme gelöst . So etwas wie imletzten Jahr darf und wird sich in Europa und in Deutsch-land nicht wiederholen . Was geleistet wurde, damit sichdas nicht wiederholt, ist enorm . Darauf können wir stolzund dafür sollten wir dankbar sein .
All das ging und geht natürlich nicht ohne zusätzlicheMittel, ohne die Unterstützung des Bundesfinanzminis-ters und des Haushaltsgesetzgebers, also von Ihnen allen .Diese Unterstützung gab es, und zwar gemeinsam in derKoalition; da muss sich heute niemand abseilen . Damalswie heute ist Haushaltspolitik Kompass für Aufgabenund Ziele . Sie sagt etwas darüber aus, wie wir in Zukunftleben wollen .Schaut man sich den Aufgabenbereich des Bundesin-nenministeriums, also meines Geschäftsbereichs, an, sosieht man, dass sehr viel dazu gehört: innere Sicherheit,Integration und Rückführung, Zivil- und Katastrophen-schutz, digitale Sicherheit, Sport, Religion, Ehrenamt,Statistik, Dienstrecht, Tarifverhandlungen, Aussiedler,nationale Minderheiten, Geodäsie und vieles anderemehr . Alle Facetten sind wichtig . Sie greifen ineinan-der, um unsere Gesellschaft zusammenzuhalten . Denndas ist das gemeinsame Band des Innenministeriums: derZusammenhalt unseres Landes durch Freiheit, Ordnungund Sicherheit . Aus Zeitgründen kann ich heute natürlichnur wenige Bereiche herausgreifen .Ich beginne mit dem Kampf gegen den Terrorismusund mit der öffentlichen Sicherheit. Auch hier haben wirin dieser Legislaturperiode sehr viel verändert und dieSicherheitsbehörden gut aufgestellt . Ich erinnere nur andie Antiterrorgesetze, die vor kurzem verabschiedet wur-den, an die Verlängerung der entsprechenden – ich nennesie einmal so – Otto-Schily-Gesetze, an die Vorratsdaten-speicherung und vieles andere mehr .Am 11 . August dieses Jahres habe ich nach den An-schlägen von Würzburg und Ansbach und nach derAmoktat von München eine Reihe von zusätzlichen Vor-schlägen unterbreitet, die für uns konsensfähig sein kön-nen und sein sollten, die schnell und absehbar zu mehrSicherheit in Deutschland führen . Ich habe dafür in derÖffentlichkeit viel Zustimmung erfahren, auch von un-serem Koalitionspartner . Wenn ich dies nun Schritt fürSchritt umsetze, dann freue ich mich – ich erwarte sieauch – auf die Zustimmung zu den einzelnen konkretenMaßnahmen . Das werden wir dann sehen .
– Doch . Ich spreche mit allen, gerne auch mit der Oppo-sition, und jetzt spreche ich mit meinem Koalitionspart-ner . So einfach ist das .
– Sie sind manchmal konstruktiv; ob überwiegend, dahabe ich manchmal Zweifel .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618342
(C)
(D)
Meine Damen und Herren, Sicherheit setzt starke undhandlungsfähige Sicherheitsbehörden voraus . Eine Ta-geszeitung schrieb neulich – ich gebe das einmal wie-der –: Von kaum einer Institution erwartet das Land derartviel Einsatz wie von der Polizei . Sie soll vor Terroristenschützen, blitzschnell an jedem Tatort sein, flüchtige Ver-brecher schnell ergreifen und zügig Ermittlungserfolgepräsentieren .Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, unseren Polizis-tinnen und Polizisten, den Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern unserer Sicherheitsbehörden den Rücken zu stär-ken, und zwar nicht abstrakt, sondern konkret . Sicherheitbraucht die notwendigen Stellen, gutes Personal und mo-derne Ausstattung . Da sind wir uns, Herr von Notz, bisin die Opposition hinein einig – das habe jedenfalls ichimmer so wahrgenommen –, sogar mit der Linken .
Bereits in diesem Jahr setzen wir ein großes Sicherheits-paket um . Wir stärken damit das Bundeskriminalamt, dieBundespolizei und den Verfassungsschutz mit 750 neuenStellen . Mit dem vorliegenden Regierungsentwurf fürden Haushalt 2017 gehen wir diesen Schritt konsequentweiter . Insgesamt stärken wir den Einzelplan 06 im kom-menden Jahr mit 2 230 zusätzlichen Stellen . Allein für dieBundespolizei schaffen wir nach bisheriger Beschlussla-ge für die Jahre 2016 bis 2018 3 000 zusätzliche Stellen .Die ernste Sicherheitslage verlangt aber mehr . Deswegenbin ich mir mit dem Bundesfinanzminister einig – er hatdas heute Morgen auch vorgetragen –, dass wir ein nochdeutlicheres Signal für mehr Sicherheit und mehr Stellenin diesen Haushaltsberatungen setzen wollen .
Gemeinsam schlagen wir dem Deutschen Bundestagein weiteres Sicherheitspaket für die Jahre 2017 bis 2020vor . 4 500 neue Stellen sollen zu einem erheblichen Teilder Bundespolizei, aber auch dem Bundeskriminalamt,dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Bundesver-waltungsamt, zum Beispiel für die Umsetzung des Flug-gastdatenabkommens, und der neuen Stelle ZITiS, aufdie ich gleich noch komme, zugutekommen .
Für die Bundespolizei bedeutet das allein in den Jah-ren 2016 bis 2020, also in fünf Jahren, über 7 000 neueStellen . Das ist sehr viel, das ist nötig . Das dient der Si-cherheit unseres Landes .Meine Damen und Herren, Sicherheit braucht starkeMenschen, gute Polizisten, aber auch intelligente Instru-mente . Täter kommunizieren oft verschlüsselt und überanonymisierende Netzwerke . Die Gewalttaten vom Julidieses Jahres wurden im Wesentlichen im Internet vor-bereitet und bis kurz vor dem Anschlagszeitpunkt dortgesteuert . Der Amokläufer von München besorgte sichseine Waffe im sogenannten Darknet.Ich begrüße die Verschlüsselungstechnik; dass dakein Missverständnis aufkommt, Herr von Notz . Wirbrauchen sichere Kommunikation im Internet, die freivon Angriffen Krimineller und auch frei von Angriffenausländischer Staaten ist . Auch das Darknet ist für sichgenommen kein ausschließlicher Hort von Kriminalität,aber romantisch verklärt kann man dem Darknet nunwirklich auch nicht begegnen . Ein ganz beträchtlicherTeil der Angebote auf den dortigen Marktplätzen sindDrogen, Waffen, gefälschte Pässe, gestohlene Kreditkar-tendaten, und manche Zahlungen mit Bitcoins sind sicherauch Umsatzsteuerbetrug .Wer Verantwortung für die Sicherheitspolitik trägt,muss dafür eintreten, dass die Sicherheitsbehörden unterrechtsstaatlichen Voraussetzungen auch im Internet dastechnisch können, was sie außerhalb des Internets recht-lich dürfen . Das ist eine zwingende Voraussetzung .
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, und Technik darfes nicht dazu machen .Deshalb setze ich mich für eine Technologieoffensi-ve von Bund und Ländern ein – vieles davon geht nurgemeinsam –: Zur Strafverfolgung im Internet und imDarknet brauchen wir IT-Spezialisten und mehr verdeck-te Ermittler, die ganz gezielt illegalen Waffenhandel oderdie Kommunikation zwischen den Tätern und möglichenUnterstützern aufklären . Internetbasierte Kommunika-tionsdienste wie Skype, WhatsApp oder Telegram dür-fen kein sicheres Kommunikationsmittel für Gefährder,Straftäter und Terroristen sein, ohne die Verschlüsselungals solche anzugehen .Deswegen errichten wir mit dem Haushalt 2017 eineStelle, die für alle Sicherheitsbehörden des Innenmi-nisteriums forscht und entwickelt, wie man das bessererreicht . Die Umsetzung erfolgt dann durch die jeweilszuständigen Behörden auf der Basis ihrer jeweiligenrechtlichen Grundlage .Wir brauchen also Sicherheit mit Verschlüsselung, ge-nauso brauchen wir aber auch Sicherheit und Strafverfol-gung trotz Verschlüsselung .Meine Damen und Herren, vor wenigen Wochen istin Deutschland das erste Integrationsgesetz in Kraft ge-treten . Damit haben wir den Grundstein für eine neue er-folgreiche Integrationspolitik gelegt . Die Bedeutung desSpracherwerbs und die Bedeutung der Wertevermittlungmuss ich heute nicht noch einmal herausstellen . Darüberhaben wir ausführlich diskutiert . Worüber wir aber auchsprechen müssen, sind die Folgen gescheiterter Integrati-on, die Vorbeugung eines Scheiterns der Integration unddie mitunter bewusste Integrationsverweigerung – auchvon Menschen, die schon lange hier leben .Beim Umgang mit ausländischen Straftätern, mit Ge-fährdern und Personen, die andere radikalisieren, mussder Rechtsstaat entschlossen auftreten . Dazu gehört, dasszulässige und erforderliche Abschiebungen nicht durchGesetzeslücken erschwert werden . Wir haben dort mitdem Asylpaket I und dem Asylpaket II viel gemacht .Auch im Verhältnis zu Drittstaaten haben wir einige Er-Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18343
(C)
(D)
folge erreicht . Die Zahl der freiwilligen Rückreisen undder Abschiebungen steigt .Aber auch hier schlage ich vor, noch mehr zu tun . Dazugehört auch, dass wir bei Duldungen genauer hinschau-en . Gefährden Menschen, die in unserem Land Schutzsuchen, die Sicherheit unseres Gemeinwesens, muss ihreAbschiebung durch Anordnung einer Abschiebungshaftgelingen. Verweigern Ausreisepflichtige die Mitwirkung,müssen sie anders behandelt werden als Geduldete, diehier ihre Berufsausbildung machen .Schließlich gehört dazu – nach meiner Meinung je-denfalls – der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeitfür Mehrfachstaatler, die sich als dschihadistische Kämp-fer für eine Terrormiliz betätigen . Wer sich derart vonDeutschland und unseren Werten abwendet und mehrereStaatsangehörigkeiten hat, hat seinen staatsbürgerlichenPlatz in unserer Gesellschaft verwirkt . Das ist meine Auf-fassung .
Das alles ist nicht hartherzig, sondern konsequent . In-tegration der Bleibeberechtigten und Ausweisung derje-nigen, die nicht bleiben dürfen, gehören zusammen . Dassind zwei Seiten derselben Medaille . Nur so bleiben wirals Aufnahmegesellschaft prinzipientreu und glaubwür-dig . Das kommt vor allem auch den vielen ausländischenMenschen zugute, die hier friedliebend und gesetzestreuleben und nicht durch Teile ihrer Landsleute in Misskre-dit gebracht werden wollen und sollen .Meine Damen und Herren, die Herausforderungen,vor denen wir stehen, sind groß . Das verändert das ge-sellschaftliche Klima; das erleben wir gerade alle . Streitund Debatte sind gut . Vielleicht haben wir sie auch einbisschen verlernt . Hass und Gewalt aber spalten unserLand . Das dürfen und werden wir nicht hinnehmen .
Einem Gefühl der Verunsicherung wollen wir Argumen-te, Nüchternheit, Stärke, Entschlossenheit und Stolz aufunser Land entgegensetzen . Leugnen von Problemenhilft nicht, Übertreiben von Problemen auch nicht . DasLösen von Problemen, Schritt für Schritt, das ist der rich-tige Weg .Vom vorliegenden Einzelplan des Bundesministeri-ums des Innern geht eine klare Botschaft aus: Sicher-heit, Integration und Zusammenhalt jeweils nach klarenRegeln sind essenziell für die Zukunft unseres Landes .Investieren wir in eine gute gemeinsame Zukunft! Inves-tieren wir in ein sicheres Deutschland! Es ist unser Land,und das bleibt so .
Vielen Dank, Dr . de Maizière . – Nächste Rednerin:
Ulla Jelpke für die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich den-ke, die Wahlerfolge der AfD müssen allen demokrati-schen Parteien zu denken geben . Unter den AfD-Wählerngab es Rechte, Rassisten, aber auch viele mit ihrer sozia-len Situation Unzufriedene . Sie fühlen sich von Linken,aber auch von allen anderen Parteien nicht mehr vertre-ten . Ich denke, daran müssen wir arbeiten .Gerade deswegen, Herr Minister, muss ich sagen: Ichbin wirklich sehr enttäuscht, dass Sie hier eigentlich nurein Weiter-so verkünden . Das ist wirklich beschämendvor dem Hintergrund, dass Sie selber immer wieder Sym-boldebatten mit befördert haben, beispielsweise die Bur-kadebatte, und dass Sie im Grunde genommen die Stim-mung in diesem Lande mit herbeigeführt haben .
In den letzten Monaten hat die Union immer versucht,sich als Hardliner-Partei für die innere Sicherheit zu pro-filieren; wir haben es heute wieder gehört. Sie zeichnetdabei das Feindbild eines islamischen Gefährders, dersich als Flüchtling unerkannt ins Land schleicht, mög-lichst noch mit einer Burka getarnt, um sich eine doppel-te Staatsbürgerschaft zu erschleichen und hier am Endeein Selbstmordattentat zu begehen .Sie haben in den letzten Monaten mit diesen Diskus-sionen eine Angstpolitik betrieben, die unverantwortlichund brandgefährlich ist .
Damit schüren Sie die Ressentiments gegen Muslime .Mit dem Anschleimen an die AfD – ich sage noch ein-mal: die Burkadebatte war genau das – haben Sie denBoden für diese Partei mit bereitet .
Meine Damen und Herren, zu den wichtigsten Anfor-derungen in der Innenpolitik gehört zweifellos die Inte-gration der Flüchtlinge . Im Haushaltsentwurf ist davonnicht allzu viel zu spüren . Die Mittelerhöhung für dasAsylpaket von 900 Millionen Euro auf knapp 1 MilliardeEuro steht nur auf dem Papier; denn in dem Asylpaketwerden Ausgaben angegeben, die weder etwas mit Asylnoch mit Integration zu tun haben, wie etwa die Migra-tionsforschung und die Modernisierung und Aufrüstungder Bundespolizei .Das zurzeit herrschende Chaos beim BAMF, das Sienicht angesprochen haben, führt zu folgender Situation:Die Asylverfahren dauern wieder länger . Die Zahl vonMenschen, die mehr als ein Jahr auf ihren Bescheid war-ten, steigt weiter . Anstatt den Flüchtlingen eine rasche In-tegration zu ermöglichen, werden sie auf die Wartebankgesetzt . Das ist beschämend und integrationspolitischkontraproduktiv .
Zum Teil sind die Probleme hausgemacht . Für syri-sche Flüchtlinge gibt es keine einfachen schriftlichenVerfahren mehr . Stattdessen werden sie zu mündlichenAnhörungen bestellt, wodurch die Verfahren wieder viellänger dauern . Hier vertrödelt das BAMF Zeit und Res-Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618344
(C)
(D)
sourcen . Zudem erhalten die syrischen Flüchtlinge nurnoch den zweitrangigen, subsidiären Schutz – das heißt„vorübergehender Schutz“ –,
womit das Recht auf den Familiennachzug bis 2018 aus-gesetzt wird .Herr Veit, Sie haben im Namen der SPD erklärt, eswerde gerade diese Gruppe nicht treffen. Ich frage Sie:Wieso wird hier nicht etwas unternommen? 18 000 Sy-rer haben bislang subsidiären Schutz erhalten, 60 Prozentaller anerkannten syrischen Flüchtlinge . Ihre Familienwarten darauf, nach Deutschland nachziehen zu können .Ich glaube, ich muss hier nicht noch einmal sagen, was esbedeutet, jahrelang ohne Familie in einem Land zu leben .Das ist für die Integration dieser Menschen einfach er-schwerend . Deswegen muss hier endlich etwas passieren .Die Mittel für Integrationskurse bleiben praktischgleich hoch, obwohl viel mehr Menschen hierhergekom-men sind .
Stattdessen wird die Kursgröße auf 25 Personen erhöht .Es gibt nicht einmal genügend Kursangebote für alle Be-rechtigten . Die Migranten wollen sich integrieren undwerden durch politische Vorgaben des Bundesinnenmi-nisteriums daran gehindert . Das ganze Gerede über an-gebliche Integrationsverweigerer, das wir immer gehörthaben, ist einfach nur fadenscheinig .Meine Damen und Herren, im Haushaltsentwurf – wirhaben das eben hier gehört – finden auch die nächsten ge-planten Überwachungsgesetze ihren Niederschlag . Dabeigeht es insbesondere um das europäische Passagierdaten-abkommen und die lückenlose Erfassung von Ein- undAusreisen in die EU . Diese Gesetze sind im Übrigen vomBundestag noch gar nicht beschlossen, aber es sind schoneinmal 116 Stellen für diesen Zweck eingefordert wor-den .Besonders groß fällt der Geldsegen ausgerechnet fürden Verfassungsschutz aus . Dessen Etat ist seit 2012 umsage und schreibe 61,7 Prozent gestiegen . Jetzt sollenschon wieder 100 neue Stellen dazukommen . Obwohlsich der Verfassungsschutz im NSU-Skandal als unfähigund unwillig erwiesen hat, kriminelle Nazis zu bekämp-fen, werden seine Befugnisse immer weiter ausgebaut .Er kann in Zukunft gemeinsam mit ausländischen Ge-heimdiensten Datenbanken aufbauen . Der Innenministerwill künftig einen europäischen Verbund von Polizeida-ten . Zudem soll die Videoüberwachung – inklusive einerSoftware zur Gesichtserkennung – ausgebaut werden .Das sind wirklich Albträume für Datenschützer, meineDamen und Herren .
Solche Maßnahmen dienen nicht der Sicherheit, sonderneinzig und allein der Überwachung unserer Bevölkerung .Gespart wird übrigens dort, wo es wirklich um Sicher-heit für die Bevölkerung geht, nämlich beim THW undbeim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastro-phenhilfe . Statt sich ernsthaft auf Risiken wie beispiels-weise Stromausfälle, Wasserprobleme und Ähnlicheseinzustellen, präsentiert der Innenminister ein Zivilver-teidigungskonzept, das absurde Kriegsszenarien an dieWand malt und den Einsatz der Bundeswehr im Innerenimmer weiter vorbereitet . Das ist eine Politik der Angstund nicht wirklich eine Politik der Sicherheit, meine Da-men und Herren . Solch einen Haushalt kann man nichtmittragen .Danke schön .
Vielen Dank, Ulla Jelpke . – Nächste Rednerin in der
Debatte: Dr . Eva Högl für die SPD .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Deutschland ist ein sicheres Land . Ich stelle fest, dasses ein großes Glück ist, dass wir das so sagen können;denn wir leben alles in allem in einem sicheren Land .Dazu tragen, meine Damen und Herren, viele an ganzvielen unterschiedlichen Stellen jeden Tag bei: die Po-lizistinnen und Polizisten in Bund und Land, die Justiz,die Nachrichtendienste, die Rettungsdienste sowie auchVerbände, Vereine, Organisationen und Projekte, die einsicheres Umfeld schaffen und sich um unsere Demokra-tie kümmern. Ich finde, am Anfang unserer Arbeit hierwieder im Deutschen Bundestag und zu Beginn unsererHaushaltsdebatte kann man dafür einfach einmal ganzherzlich Danke schön sagen .
Sicherheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, bewegt –das ist schon erwähnt worden – alle Bürgerinnen undBürger . Das haben nicht nur die Wahlen in Mecklen-burg-Vorpommern gezeigt . Dass dies das Topthema war,wissen wir aus allen Umfragen und Untersuchungen derletzten Zeit .
Es gibt in unserer Bevölkerung ein ganz subjektives,manchmal auf konkreten Gegebenheiten – manchmalauch nicht – beruhendes Unsicherheitsgefühl ganz un-terschiedlicher Art und mit ganz unterschiedlichen Aus-prägungen . Aber es gibt auch objektiv Unsicherheit undÄngste, weil die Diebstahlszahlen steigen, weil es zuneh-mend Wohnungseinbrüche gibt, weil auch Gewaltdeliktevorkommen und weil bestimmte Orte nicht sicher sind .Auch die Amokläufe und die Terrorgefahr produzierenUnsicherheit .Ulla Jelpke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18345
(C)
(D)
Wir alle hier gemeinsam – ich sage „gemeinsam“, weildas in solch einer Debatte auch eine wichtige Botschaftist – setzen mit unseren Gesetzen – die wir gemeinsamberaten, aber nicht immer gemeinsam beschließen – allesdaran, dass Deutschland ein sicheres Land bleibt . Wir le-gen die Grundlagen im Haushalt .Eines ist mir auch ganz wichtig, liebe Kolleginnenund Kollegen, nämlich die Botschaften, die wir in einerDebatte über die öffentliche Sicherheit transportieren.Die Große Koalition hat schon viel auf den Weg ge-bracht – das können wir in dieser Debatte auch sehrselbstbewusst sagen –: Gesetze zur Terrorbekämpfung,zur grundlegenden Reform des Asylrechts und zur In-tegration, und dieser Haushalt des Bundesministeriumsdes Innern ist im Vergleich zum Jahr 2015 um 30 Prozentgestiegen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das sei hier ein-mal erwähnt. Das heißt, wir sorgen uns um die öffentli-che Sicherheit .
Ich habe die Demokratieförderung eben schon er-wähnt . Auch dafür haben wir die Mittel verdoppelt . Auchdas ist eine ganz wichtige Botschaft und eine wichtigeGrundlage, die wir legen .Herr Minister, Sie haben eben schon die Sache mitden Botschaften angesprochen . Ich will das noch einmalverstärken . Es ist nicht gut, wenn wir Ängste herbeire-den; auf der anderen Seite dürfen wir keine Problemeverschweigen . Sie haben das auch gesagt . Es hilft nichts,wenn wir selbst darüber sprechen, dass es in Deutsch-land flächendeckend No-go-Areas gibt. Die gibt es inDeutschland nicht flächendeckend. Trotzdem müssenauch wir im Deutschen Bundestag über Kriminalitäts-schwerpunkte reden . Es muss darum gehen, dass allePlätze und Orte in Deutschland sicher sind und die Men-schen sich sicher fühlen und sich gerne dort aufhaltenoder gerne dort entlanggehen .In der Debatte über die öffentliche Sicherheit – das hatder Sommer gezeigt, in dem uns vieles beschäftigt hat –ist eines auf jeden Fall fehl am Platz, liebe Kolleginnenund Kollegen, nämlich Symbolpolitik und Aktionismus .
Sie haben das auch gesagt, Herr Minister: besonnen undruhig .Im Sommer hat mich durchaus das eine oder anderegestört . Denn wir haben die Aufgabe, Ängste zu nehmen,statt sie zu schüren .
Ich sage es ganz deutlich, liebe Kolleginnen und Kolle-gen: Das Verbot der Burka schafft nicht mehr Sicherheit.
Auch wenn wir alle – ich glaube, das gilt für alle in die-sem Raum und auch für diejenigen, die uns zuhören –gegen Vollverschleierung sind, dürfen wir nicht denEindruck erwecken, dass wir mit solchen Diskussionenund Maßnahmen mehr Sicherheit schaffen. Denn dannwerden wir unglaubwürdig .
Wir haben in Berlin mit unserem Neutralitätsgesetzeinen ganz guten Weg gewählt, und ich glaube – so habeich Sie und auch die Debatte bei unserem geschätztenKoalitionspartner wahrgenommen –, dass wir einen Weggehen könnten, wo wir Bereiche definieren, in denen eineVollverschleierung untersagt wird . Aber mir sind, wie ge-sagt, die Ernsthaftigkeit und Besonnenheit in dieser De-batte sehr wichtig .Ich will noch etwas erwähnen, das mich im Sommergeärgert hat – auch das gehört in eine solche Debatte –:Es gibt keinen einzigen Zusammenhang zwischen Terrorund doppelter Staatsangehörigkeit .
Wir gehen gemeinsam in der Koalition einen gutenWeg in der Integration und in der Frage, wie wir Men-schen mit einer unterschiedlichen Biografie, die aus ande-ren Ländern zu uns gekommen sind, aber jetzt Deutschesind oder Deutsche sein wollen, Möglichkeiten geben –auch mit einer doppelten Staatsangehörigkeit –, um sichzugehörig zu fühlen . Das sollten wir nicht kaputtmachenund kleinreden, sondern gegebenenfalls noch ausbauen;denn das stärkt unseren gesellschaftlichen Zusammen-halt und ist ein wichtiger Beitrag zu guter Integration .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin immer nochbei den Botschaften und verbinde das gleich mit ein paarkonkreten Forderungen . Mir ist auch eines ganz wichtig,nämlich dass wir deutlich machen, dass wir in der Sicher-heit einen starken Staat brauchen .
Wir dürfen die Sicherheit nicht privatisieren . Sicherheitist keine Privatsache, und Sicherheit darf in keinem Fallvom Geldbeutel abhängen .
Deswegen sind wir gefordert, mit dem Bundeshaushaltdie Grundlagen dafür zu legen, dass wir unseren Staatstärken . Es darf also keine Einsparungen und auch keinePrivatisierungen in diesem Bereich geben . Es ist, glau-be ich, sehr wichtig, dass wir das noch einmal deutlichmachen .Ich will ein paar konkrete Punkte im Haushalt her-ausgreifen . Herr Minister, Sie haben schon die Bundes-polizei und die kräftige Aufstockung in diesem Bereichangesprochen . Wir haben in der Vergangenheit ein ganzgewaltiges Defizit bei der Bundespolizei gehabt. Es gibtBerechnungen, denen zufolge uns immer noch insgesamtDr. Eva Högl
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618346
(C)
(D)
14 000 Stellen fehlen . Sie kennen die Berechnungen; wirhaben sie in der Diskussion . Wir müssen uns auch garnicht über die eine oder andere Stelle streiten . Klar istaber: Die Aufgaben bei der Bundespolizei nehmen zu,und wir müssen die Grundlagen schaffen, die Bundespo-lizei ausreichend auszustatten .
Wir haben – darauf sind wir als SPD auch stolz – imletzten Haushalt 3 000 zusätzliche Stellen bei der Bun-despolizei durchgesetzt . Jetzt wollen wir noch draufsat-teln – Sie haben es gesagt –: weitere 4 000 2017 bis2020 . Ich würde sagen, wir stocken so lange auf, bis wirdas Defizit bei der Bundespolizei ausgeglichen habenund bis wir dort ausreichend Stellen haben, um die ge-wachsenen Aufgaben zu bewältigen .Wir dürfen nicht vergessen, liebe Kolleginnen undKollegen, dass wir die Bundespolizistinnen und Bun-despolizisten auch fortlaufend gut bezahlen müssen – esgeht nicht nur um die Stellen, sondern auch um die Be-zahlung – und dass wir sie gut ausstatten müssen . Auchdas ist sehr wichtig .
Ich habe schon die gestiegenen Zahlen bei der Ein-bruchskriminalität angesprochen . Ich glaube, ich musses nicht weiter betonen: Alle wissen – das besorgt dieBürgerinnen und Bürger auch –, wie wichtig es ist, dasswir bei der Einbruchskriminalität mit guten Maßnahmenversuchen, die Zahlen zu senken und schnell und gut zuermitteln . Wir brauchen also mehr Polizei in Bund undLändern . Über die Bundespolizei habe ich schon gespro-chen; auch sie kann einen Beitrag leisten . Aber wir brau-chen vor allen Dingen eine Stärkung des Bundeskrimi-nalamtes in diesem Bereich . Dort, wo es um organisierteKriminalität und Bandenkriminalität geht, muss das Bun-deskriminalamt konsequent gegen die Täter vorgehen .Zugleich fördern wir die Einbruchssicherung bzw . dieEigensicherung der Bürgerinnen und Bürger durch öf-fentliche Zuschüsse . Das ist eine sehr gute Kombination .Ich habe mich gefreut, dass wir Geld für eine Kam-pagne gegen Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisteneingestellt haben . Uns alle besorgt, dass Polizistinnenund Polizisten, aber auch Rettungskräfte, also engagierteMenschen, die anderen helfen wollen, zunehmend an-gegriffen werden. Es ist ein guter Weg, hier Geld in dieHand zu nehmen und für Respekt und Achtung vor denEinsatzkräften zu werben . Das ist eine gute Nachricht .Noch ein paar Sätze, liebe Kolleginnen und Kollegen,zu einem anderen Thema, das ich auch unter Aktionis-mus und Symbolpolitik abhake .
Es geht um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren . Eshilft nicht weiter, dies immer wieder zu fordern; das istein ziemlich alter Hut . Die Bundeswehr kann im Innereneingesetzt werden und wird es auch, zum Beispiel beiNaturkatastrophen wie der Flut .
– Nicht nervös werden! – Bei der Flüchtlingshilfe hatdie Bundeswehr Grandioses geleistet . Dafür können wiruns nur bedanken . Das Grundgesetz gibt den Rahmen fürden Einsatz der Bundeswehr im Inneren vor . Unsere Po-sition als SPD ist: Dabei wollen wir es belassen . Das istein guter Rahmen . Wir sehen keine Notwendigkeit, denEinsatz der Bundeswehr im Inneren auf militärische Ein-sätze auszuweiten . Wir begrüßen durchaus eine gemein-same Übung mit der Polizei; das ist genau der richtigeWeg . Aber für eine solche Übung und für den Zivilschutzinsgesamt müssen wir entsprechende Voraussetzungenschaffen und gegebenenfalls mehr Personal und eine bes-sere Ausstattung zur Verfügung stellen . Dann haben wireinen guten Rahmen geschaffen.Wir legen mit dem Haushalt eine gute Grundlage da-für, dass Deutschland ein sicheres Land bleibt . Die Kom-bination aus mehr Polizei und konsequenter Präventionals Schwerpunkte des Haushalts ist wichtig . Ich freuemich auf die weiteren Beratungen . An der einen oderanderen Stelle kann man sicherlich noch ein bisschendraufsatteln . Dafür werden wir Parlamentarierinnen undParlamentarier sorgen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Eva Högl . – Nächster Redner:Dr . Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! In dieser Sommerpause war so viel Innenpo-litik wie vielleicht noch nie . Es gab den schrecklichenAnschlag von Nizza, die in unmittelbar zeitlichem Zu-sammenhang stehenden Anschläge von Würzburg undAnsbach sowie den Amoklauf von München . Die Opferdieser schrecklichen Straftaten und ihre Angehörigen ha-ben unser volles Mitgefühl und unsere volle Solidarität,und wir danken den Polizeibeamtinnen und Polizeibeam-ten, die mit hoher Professionalität mit diesen schwierigenHerausforderungen umgegangen sind .
Nach diesen Taten überschlugen sich Innenpolitikerder Union – hiervon nehme ich den Minister ausdrück-lich aus – mit populistischen Forderungen: Einsatz derBundeswehr im Inneren, massive Verschärfung der Vor-ratsdatenspeicherung, pauschaler Ausbau der Geheim-dienste und vollautomatisierte Gesichtserkennung allerReisenden . Sie waren sich in diesem Sommer noch nichteinmal zu schade, unter Verweis auf die Sicherheit dieBurka, die doppelte Staatsbürgerschaft und die Bevor-ratung von über 80 Millionen Menschen für den Kata-strophenfall zu thematisieren . Ob verfassungskonform,Dr. Eva Högl
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18347
(C)
(D)
umsetzbar, verhältnismäßig oder zielführend, war völligegal, Hauptsache, schön hart rechts . Je abwegiger, je ver-fassungskritischer, desto besser, das war Ihre Devise . DieQuittung hierfür haben Sie am letzten Sonntag bekom-men . Sie haben der AfD das Wasser nicht abgegraben .
Ihre Kampagne war Wasser auf die Mühlen der Rechts-extremisten .
Herr Minister, es gibt in Ihrem Haushalt Ansätze, diewir ausdrücklich unterstützen . Die zusätzlichen Mittelfür die Bundespolizei beispielsweise, die zu einer Auf-stockung des Personals und hoffentlich auch zu besse-rer Ausrüstung führen, begrüßen wir; sie sind überfällig .Das waren Versäumnisse in den letzten Jahren, in denenSie auch schon Verantwortung getragen haben . Aber dieMaßnahmen sind richtig .Aber es gab und gibt andere wichtige Baustellen, dieSie eben bis heute nicht angehen . Es fehlen weiterhin eu-ropaweit gemeinsame Definitionen und rechtliche Stan-dards für den zwingend erforderlichen Informationsaus-tausch zum Beispiel über Gefährder. Es fehlen effektiveMaßnahmen zur Unterbindung des Handels mit illegalenWaffen außerhalb und innerhalb des Internets. Es fehltweiterhin die Umsetzung der erforderlichen Maßnahmenals Konsequenz aus dem NSU-Skandal . Wir brauchenendlich effektive und effiziente Strukturen der Sicher-heitsbehörden .
All das gibt es bis heute nicht . Nicht nur das, sinnvolleVorschläge – das sage ich in Richtung der CSU – derEU-Ebene – Stichwort „Waffenrichtlinie“ – haben Siesogar proaktiv hintertrieben . Der Druck im Sommer waroffensichtlich so groß, dass die Kanzlerin extra ihren Ur-laub unterbrochen hat, um einen Neun-Punkte-Plan vor-zustellen . In diesem Neun-Punkte-Plan gab es aber nichteine neue Idee; alles war aus der Mottenkiste, und das isteinfach zu wenig für eine so wichtige Debatte .
Wo sind eigentlich Ihre Antworten auf das Problemdes wachsenden militanten Rechtsextremismus? Rassis-ten greifen in Deutschland Männer, Frauen und Kinderauf offener Straße an, Flüchtlingsheime werden mit Mo-lotowcocktails beworfen, Menschen, die Flüchtlingenhelfen, werden bedroht . Das ist ein dramatisches Problemfür die innere Sicherheit. Dagegen haben Sie offenbar garkeine Konzepte . In dieser Richtung ist bisher überhauptkein Wort gefallen . Das ist ein unhaltbarer Zustand .
Weiterhin fehlt es nicht nur an konkreten Maßnahmenund tatsächlichen Konzepten für mehr innere Sicherheit,Sie haben die Verunsicherung mit geschürt, beispielswei-se durch die Debatte über den Bundeswehreinsatz im In-nern . Wir reden hier nicht über den Katastrophenschutz,der möglich ist . Dazu gibt es eine gefestigte Rechtspre-chung des Bundesverfassungsgerichts . Darum geht esnicht . Sie wollen mehr .Wollen Sie Schützenpanzer in deutschen Straßen ha-ben? Wollen Sie das Kommando Spezialkräfte in derFußgängerzone haben?
– Das ist aber die Diskussion . Das sind die Bilder, die Siemit Ihrer Diskussion erzeugt haben . Jetzt schütteln Sieden Kopf und wollen damit nichts zu tun haben .
Aber das ist das Gefühl, das bei den Menschen ent-steht: Unsicherheit . Das atmet das Gefühl der Staatskrise .Was ist das eigentlich für ein Zeichen an die Polizei undan die Streitkräfte, deren Vertreter explizit den Vorschlagzum Einsatz der Bundeswehr im Inneren ablehnen? Wirweisen diesen geschichtsvergessenen Einsatz, den Siefordern, ganz klar zurück. Die Forderung ist ein Affront,ein Misstrauensantrag gegen die Polizei, von der wir sa-gen, dass sie den Herausforderungen gerecht wird .
Zum Bereich „Flüchtlinge und Integration“: Herr Mi-nister – Sie haben es gesagt –, das ist derzeit zweifellosdie zentrale politische Frage .
Herr von Notz, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung des Kollegen Binninger?
Immer gern .
Herr Kollege von Notz, ich habe Ihnen jetzt aufmerk-sam zugehört, was Sie über unsere angebliche Debattezum Bundeswehreinsatz gesagt haben . Ich muss schonsagen: Die Art und Weise, wie Sie hier vorgetragen ha-ben – Schützenpanzer in Fußgängerzonen –, trägt zurVerunsicherung der Bevölkerung bei, nichts anderes .
Wären Sie bereit, der Öffentlichkeit zu erklären, dassder Einsatz der Bundeswehr zur Abwehr einer außeror-dentlichen Terrorlage – sicher kein Alltag – vom Bun-desverfassungsgericht für zulässig erklärt wurde? Wirbefinden uns keinesfalls außerhalb der Verfassung, undDr. Konstantin von Notz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618348
(C)
(D)
niemand von der CDU hat gesagt, wir wollten Schützen-panzer .
– Das muss man nicht . Schauen Sie in die Urteile desBundesverfassungsgerichts .
Weil Sie danach fragen, was wir damit meinen, willich es Ihnen gerne sagen . Wenn wir eine Terrorlage wiein Paris und Brüssel hätten,
mit flüchtenden Tätern, und wir innerhalb kürzester Zeitfür ganz Deutschland einen Objektschutz garantierenmüssten, dann wäre die Polizei dazu nicht in der Lage,weil sie die Täter verfolgen muss . Das sind Situationen,die uns veranlassen, zu fragen: Wollen wir in diesemMoment die Bevölkerung schutzlos zurücklassen, oderwollen wir sagen: „In diesem eng begrenzten Fall undnur dann kann der Einsatz der Bundeswehr notwendigsein“? Dann ist er im Rahmen der Rechtsprechung desVerfassungsgerichtes .
Das wollen wir; doch Sie tragen zur Verunsicherung bei .
Lieber Herr Clemens Binninger, zunächst einmal:Wenn Sie mir zugehört hätten –
– nein, das haben Sie nicht –, dann hätten Sie gehört, dassich explizit gesagt habe, dass es eine gefestigte Recht-sprechung gibt und dass der Einsatz der Bundeswehr beibestimmten Situationen möglich ist .
Sie haben aber eine Debatte geführt, die darauf ab-zielt, dass das nicht reicht, und Sie wollen eine Grund-gesetzänderung .
Das mag Ihnen ja alles megapeinlich sein, HerrBinninger – das glaube ich sogar –; deswegen streitenSie das hier ab . Aber damit kommen Sie nicht aus derVerantwortung heraus, die Sie zusammen mit Ihren Kol-leginnen und Kollegen haben .
Diese Nummer – „Wir brauchen die Streitkräfte imInnern, weil die Bedrohung so groß ist, weil die Polizeinicht zurechtkommt“ – haben Sie forciert . So bringt mandie AfD über 20 Prozent . Damit müssen Sie leben .
Noch einen Satz zu der grundsätzlichen Problematik .Ich sage Ihnen einmal Folgendes, einfach nur, weil Sie sokonstruiert haben: In München
– Herr Binninger, Sie haben gerade erst eine lange Fragegestellt; jetzt seien sie geduldig – hieß es stundenlang,es seien noch zwei zusätzliche Täter mit Langwaffenunterwegs, obwohl es sich offensichtlich um Polizeibe-amte handelte. Das Chaos mit bewaffneten Feldjägern,die zusätzlich zu mehreren Tausend Polizisten im Ein-satz sind, sollte niemand verantworten . Deswegen sinddie Standesorganisationen von Bundeswehr und Polizeigegen diese Forderung . Sie ist nämlich populistisch undunsachlich .
Nun zum Bereich der Flüchtlinge und der Integration .Herr Minister, Sie haben es gesagt: Es ist zweifellos eineder ganz zentralen politischen Aufgaben . Aber wenn manin den Haushalt schaut, fragt man sich: Wo ist eigentlichdas große, mutige Bildungs- und Integrationsprogramm?Es gibt gravierende Differenzen zwischen dem Artiku-lieren des Bedürfnisses nach Integration, dem, was manalles von Flüchtlingen erwartet, und dem, was Sie danneben in den Haushalt schreiben . Das ist zu dünn .Sie hatten zugesagt, die Asylverfahren zu verkürzen .Tatsächlich dauern sie immer länger . Deswegen sage ichIhnen: Ich persönlich gehöre zu denen, die glauben, dassdas, was die Kanzlerin gesagt hat, in Erfüllung gehenkönnte, nämlich dass wir das schaffen. Aber Sie versäu-men es als zuständiger Minister, hier zu sagen, wie wir esschaffen. Das ist im Spätsommer 2016 einfach zu wenig.
Wir befinden uns an einem Zeitpunkt, an dem dieRechtsextremen in Europa und auch in Deutschland auf-steigen . Das ist eine historisch wirklich kritische Situati-on . Die Innenpolitik trägt ganz wesentliche Verantwor-tung für unseren Rechtsstaat und für unsere Demokratie .Wenn man sich das Agieren der CSU in den letzten Wo-chen anschaut, dann muss man sich wirklich sorgen . DieReaktionen der Seehofers, Söders und Scheuers
auf die Wahlergebnisse erwecken den Eindruck: Sieversuchen das zu betreiben, was auf den Plakaten vonPegida und AfD steht, Frau Steinbach: Merkel muss weg .
Clemens Binninger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18349
(C)
(D)
Denken Sie bitte an die Redezeit .
Das tue ich, Frau Präsidentin .
Ich komme zum Schluss . Die Verantwortung für all
das, was in der Innenpolitik die letzten zehn Jahre pas-
siert ist, tragen Sie zusammen . Da kann sich die CSU
nicht herausstehlen . Deswegen fordere ich Sie dazu auf,
zu einer sachbezogenen, zu einer fundierten Diskussion
in dieser kritischen Zeit zurückzukehren . Wir schulden es
der inneren Sicherheit in diesem Land, den Bürgerinnen
und Bürgern, diesem Hohen Haus und unserer Geschich-
te .
Ganz herzlichen Dank .
Vielen Dank, Konstantin von Notz . – Der nächste
Redner kommt aus Bayern: Stephan Mayer für die CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kol-
leginnen! Sehr geehrte Kollegen! Der Einzelplan des
Bundesinnenministeriums erfährt einen deutlichen Auf-
wuchs von diesem Jahr auf das nächste Jahr: von der-
zeit 7,8 Milliarden Euro auf 8,34 Milliarden Euro . Das
ist eine Steigerung um knapp 7 Prozent . Das kann sich
aus meiner Sicht wirklich sehen lassen, und das wird den
gestiegenen Herausforderungen im Bereich der Innenpo-
litik auf jeden Fall gerecht . Der Löwenanteil im Haushalt
des Bundesinnenministeriums entfällt auf die innere Si-
cherheit, insgesamt 4,67 Milliarden Euro, davon allein
rund 3,1 Milliarden Euro für die Bundespolizei . Auch
das ist ein klares Signal, dass das Bundesinnenministeri-
um die innere Sicherheit stärkt und weiß, was wir an der
Bundespolizei haben .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass
ein schwarzer Juli hinter uns liegt . Wir hatten eine An-
schlagserie – ich darf es noch einmal kurz darstellen –:
am 14 . Juli der Anschlag in Nizza mit 84 Toten, über
300 Verletzten, nur vier Tage später in Würzburg in ei-
nem Regionalzug ein Anschlag mit einer Axt – fünf Ver-
letzte, davon vier Schwerverletzte –, wiederum nur vier
Tage später der schon erwähnte schreckliche Amoklauf
in München mit neun Toten, die meisten davon Jugend-
liche oder Kinder, und wiederum nur zwei Tage später,
am 24 . Juli, der Anschlag eines Islamisten in Ansbach
mit 15 Verletzten . Und – nicht zu vergessen –: Nur zwei
Tage später, am 26 . Juli, wurde ein katholischer Pfarrer
in Rouen in der Normandie auf bestialische Weise von
Islamisten umgebracht .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind na-
türlich nicht die ersten Anschläge, die wir in Deutschland
und in Europa erleben, aber ich bin der festen Überzeu-
gung, dass insbesondere diese Serie von Anschlägen in
so kurzer Zeit der Bevölkerung in Deutschland deutlich
ins Bewusstsein gebracht hat, wie fragil auch innere Si-
cherheit sein kann . Ich möchte betonen: Deutschland ist
ein sicheres Land . Deutschland gehört zu den sichersten
Ländern auf der Welt . Aber wir können nicht umhin, ein-
zugestehen, dass insbesondere diese jüngste Anschlag-
serie Auswirkungen auf unser tagtägliches Leben hat . Es
gibt erhöhte Sicherheitsanforderungen bei öffentlichen
Veranstaltungen . Bei Konzerten, bei Volksfesten werden
Zäune errichtet, werden Rucksackkontrollen durchge-
führt, werden teilweise Rucksackverbote ausgesprochen .
Wir erleben sehr wohl, dass es allein schon durch diese
Anschlagserie im Juli konkrete Auswirkungen auf das
subjektive Sicherheitsgefühl bei uns im Lande gibt .
Ich bin dem Bundesinnenminister sehr dankbar, dass
er sehr besonnen und verantwortungsbewusst auf die-
se Anschlagserie reagiert hat . Ich möchte eines in aller
Deutlichkeit sagen: Ich verwahre mich für die CDU/CSU
mit Entschiedenheit gegen den Vorwurf, dass wir hier Pa-
nikmache betreiben würden, dass wir hier Angstmacherei
betreiben würden und dass wir hier dem Populismus Vor-
schub leisten würden .
Es haben einige Kollegen darüber gesprochen, was
sie im Sommer beschwert hat; es ist eine gewisse Auf-
arbeitung von einigen Traumata . Ich könnte jetzt auch
lange dazu ausführen, wie mich manche Einlassung ver-
stört hat, zum Beispiel die Einlassung der Vorsitzenden
des Rechtausschusses im Deutschen Bundestag nach der
Amoktat in Würzburg, als Sie, Frau Kollegin Künast,
hier wohlfeil und naseweis doziert haben, warum man
den Attentäter denn nicht kampfunfähig gemacht hat,
warum er erschossen wurde . Mit solchen Einlassungen
verstören Sie vor allem die Bevölkerung und vor allem
die Sicherheitsbehörden und die Polizeibeamten .
Das war in jeder Weise unqualifiziert.
Herr Mayer, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Herrn Tempel?
Ja, selbstverständlich . Sehr gern .
Gut . Danke schön .
Danke schön, Herr Kollege Mayer . – Wir arbeiten imInnenausschuss recht kommunikativ zusammen . Deswe-gen möchte ich eine Bemerkung, die Sie gerade gemacht
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618350
(C)
(D)
haben, gern einmal genauer hinterfragen . Sie haben ge-sagt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Sie verwahr-ten sich gegen den Vorwurf, dass CDU/CSU an einer Un-sicherheitsdebatte teilgenommen hätten, diese verschärfthätten .Wir haben in der Sommerpause unter anderemHamsterkäufe thematisiert, als ein Zivilverteidigungs-konzept vorgestellt wurde, ein Konzept, das eigentlichmehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben hat,etwa zu den Hausaufgaben der Bundesregierung imZusammenhang mit Lebensmittelbevorratung und Ähn-lichem . Etwas, das beim Katastrophenschutz eigentlichein alter Hut ist, die Bevorratung mit Lebensmitteln inden privaten Haushalten, wurde also angesprochen .Wenn Sie die Debatte mitbekommen haben, dann wis-sen Sie, in welchen Zeitraum das Ganze gesetzt wurde .Es geht einfach um die Reaktionen, darum, welche Re-aktionen in der Bevölkerung durch öffentliche Verlaut-barungen hervorgerufen wurden . Es wurde nicht überHochwassersituationen gesprochen . Es wurde nicht übereinen Stromausfall gesprochen . Die Bevölkerung hat invielen Diskussionen – das hat man bei Radio-Livesen-dungen durchaus mitbekommen – über Angriffsszenariengesprochen .
Es hat eine Unsicherheitsdebatte ausgelöst . BekommenSie solche normalen Reaktionen der Bevölkerung – beivielen Zuschauerfragen und Ähnlichem in Onlinemedi-en, im Rundfunk hat man das immer wieder mitbekom-men – eigentlich noch mit? Das muss ich fragen, wennSie sagen, dass Sie zum Unsicherheitsgefühl der Bevöl-kerung im Sommer nicht beigetragen haben .
Herr Mayer .
Ich danke Ihnen, sehr geehrter Herr Kollege Tempel,für die Frage, weil sie mir Gelegenheit gibt, anhand desThemas Zivilschutzkonzept exemplarisch einmal dar-zulegen, wie es eben auch der Kollege Binninger getanhat, wie eine vollkommen normale sachliche Debatte vonIhnen als Oppositionspolitiker völlig unnötig überhöhtwird .
Das letzte Zivilschutzkonzept stammte aus demJahr 1995 . Es war richtig und sachgerecht, dass diesesveraltete Zivilschutzkonzept fortgeschrieben wurde .Dieses Zivilschutzkonzept, das die Bundesregierungjetzt vorgelegt hat, umfasst über 80 Seiten, und dannsteht da unter anderem – neben vielen anderen Punk-ten – drin, dass es durchaus sachgerecht sei, dass jederPrivathaushalt, jeder Einzelne auch eine gewisse Eigen-vorsorge betreibt . Natürlich ist der Staat in der Verant-wortung, vor allem im Katastrophenfall der Bevölkerungzu Hilfe zu eilen . Aber letzten Endes hat jeder Einzelne,hat jeder einzelne Privathaushalt die Verpflichtung, einegewisse Eigenvorsorge, auch eine Eigenbevorratung vor-zunehmen . – Also eine vollkommen normale, sachlicheDebatte .
Diese wurde von Oppositionspolitikern auf perfide undnicht verantwortungsbewusste Weise unnötigerweiseüberhöht, indem über das Erfordernis von Hamsterkäu-fen philosophiert wurde .
Das ist in keiner Weise sachgerecht, und es ist dochvöllig richtig, dass sich die Bundesregierung in regel-mäßigen Abständen mit der Frage auseinandersetzt: Womüssen wir an der einen oder anderen Stelle im Bevölke-rungs- und Katastrophenschutz nachjustieren?
Ich sage ganz offen: Ich würde als jemand, der sich lei-denschaftlich für die Belange des Technischen Hilfswer-kes einsetzt, gern in der Öffentlichkeit, gern auch in denSommermonaten intensiver darüber debattieren, was wirin Deutschland noch tun müssen, um das ehrenamtlicheEngagement im Bevölkerungs- und Katastrophenschutzbei den Feuerwehren, beim THW und bei den Rettungs-diensten zu verbessern .
Aber leider, meine lieben Kollegen von der Opposition,haben Sie nicht das Thema Bevölkerungs- und Katastro-phenschutz gewählt,
sondern Sie haben sich in Elogen über das Erfordernisvon Hamsterkäufen eingelassen, und das war aus meinerSicht unverantwortlich und völlig überzogen .
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, wirhaben auch deshalb besonnen und verantwortungsbe-wusst auf die durchaus zugespitzte Bedrohungssituationreagiert, weil wir in der Vergangenheit nicht untätig wa-ren . Es wäre aus meiner Sicht falsch, den Eindruck zuvermitteln, wir würden erst jetzt mit dem Kampf gegenden islamistischen Terrorismus beginnen .Es ist in dieser Legislaturperiode außerordentlich vielgeschehen, gerade jüngst durch die Verabschiedung desAntiterrorpakets, aber auch schon davor, indem die Straf-Frank Tempel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18351
(C)
(D)
barkeit für geplante Ausreisen von Dschihadisten schonwesentlich frühzeitiger unter Strafe gestellt wurde, in-dem wir die Terrorismusfinanzierung stärker unter Strafestellen und indem wir die Möglichkeit schaffen, dass aus-reisewilligen Dschihadisten der Pass bzw . Personalaus-weis entzogen wird . Wir haben die Zusammenarbeit derVerfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länderverbessert . Wir haben die Geltung des Terrorismusbe-kämpfungsgesetzes um weitere fünf Jahre verlängert, uminsbesondere auch die Kommunikationswege potenziel-ler Terroristen besser aufspüren zu können .Wir haben – zumindest in einer kleinen Form – dieVorratsdatenspeicherung wieder eingeführt . Auch dies istsachgerecht, und ich sage an dieser Stelle: Wir müssenuns gerade auch im Lichte der aktuellen Bedrohungssitu-ation intensiv Gedanken machen, ob wir nicht auch denVerfassungsschutzbehörden in bestimmten Fällen denZugriff auf die Verbindungsdaten ermöglichen solltenund müssen .
Ich bin dem Bundesinnenminister vor allem auch dafürsehr dankbar, dass er mit einem großen Aufschlag deut-lich gemacht hat, dass es der CDU-Bundesinnenministerist, der für eine deutliche personell bessere Ausstattungder Sicherheitsbehörden steht . Ich bin Ihnen, sehr geehr-ter Herr Bundesinnenminister, dankbar, dass Sie am ver-gangenen Donnerstag angekündigt haben, dass es zu denohnehin schon sehr ansehnlichen personellen Aufsto-ckungen bei den Sicherheitsbehörden weitere 3 250 Stel-len bei der Bundespolizei gibt – das ist ein Signal, ichdarf das an dieser Stelle sagen; auch diese Rückmeldunghabe ich bekommen –, die von der Bundespolizei außer-ordentlich dankbar und erfreut angenommen werden .Meine sehr verehrten Damen und Herren, es kann sichschon sehen lassen, dass wir allein zwischen 2016 und2020 über 7 000 zusätzliche Stellen bei der Bundespoli-zei schaffen. Es sind immerhin 20 Prozent der gesamtenBelegschaft der Bundespolizei, die noch einmal oben-drauf kommt, und ich sage das ohne Aktionismus undohne mit dem Finger auf andere zu deuten: Davon könn-ten sich manche Bundesländer eine Scheibe abschneiden .Wir brauchen – das darf ich an dieser Stelle auch sagen –keinen Nachhilfeunterricht von Oppositionsfraktionen
und auch nicht von unserem Koalitionspartner . Taktgeberim Bereich der inneren Sicherheit ist die CDU/CSU .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch dieWohnungseinbruchskriminalität – das wurde ja schon er-wähnt – ist natürlich gerade, was das subjektive Sicher-heitsgefühl anbelangt, ein Thema, das die Menschen inaußerordentlicher Weise beschwert . Alle drei Minutenwird im Durchschnitt in Deutschland in eine Wohnungoder in ein Haus eingebrochen . Ich bin sehr dankbar, dasses ermöglicht wurde, das Präventionsprogramm, das überdie Kreditanstalt für Wiederaufbau abgewickelt wird,vom Volumen her deutlich zu erweitern, dass hierfür vonnun an 50 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung stehen .Ich bin auch der Auffassung, dass es dringend erforder-lich ist, Wohnungseinbruchsdiebstahl zu einem Verbre-chen zu erheben, um damit die Möglichkeit zu eröffnen,in diesem Fall auf die Verbindungsdaten zuzugreifenoder Telekommunikationsüberwachung anzuordnen .Meine sehr verehrten Damen und Herren, aber natür-lich ist das dominierende Thema in Deutschland – dashat nicht zuletzt der vergangene Sonntag gezeigt – dieFlüchtlingskrise . Auch hier möchte ich noch einmal beto-nen: Wir haben bereits sehr vieles getan . Wir haben sehrvieles erfolgreich ins Werk gesetzt, um den massenhaftenZustrom von Flüchtlingen nach Deutschland deutlich zu-rückzufahren . Es kommen täglich nur noch zwischen 100und 200 Flüchtlinge in unser Land . Diese werden um-gehend und umfassend registriert . Sie bekommen einenFlüchtlingsausweis ausgereicht . Wir haben ein Integrati-onsgesetz verabschiedet, das den Duktus des Förderns,aber auch des Forderns beinhaltet .Ich darf an dieser Stelle auch noch einmal sagen, weilSie, Frau Kollegin Jelpke, so kritisch angemerkt haben,es gebe zu wenig Geld für Integrationskurse: Wir habenallein vom letzten Jahr zu diesem Jahr die Mittel im Bun-deshaushalt für Integrations- und Sprachkurse mehr alsverdoppelt . Auf den ohnehin jetzt schon sehr ansehnli-chen Titel in Höhe von 560 Millionen Euro kommen imHaushaltsentwurf 2017 noch einmal 10 Prozent oben-drauf . Ich glaube, das kann sich wirklich sehen lassen .
Ich bin auch dem Bundesinnenminister sehr dankbar,dass er in seinem Vorschlagskatalog von August diesesJahres deutlich gemacht hat, dass wir in Zukunft bei denausreisepflichtigen Ausländern noch stärker differenzie-ren müssen zwischen denen, deren Ausreise aus selbst-verschuldeten Gründen nicht möglich ist, und denen, dieaus unverschuldeten Gründen unser Land nicht verlassenkönnen . Es ist deshalb richtig, dass wir den Duldungs-tatbestand nur auf die Personen erstrecken, die aus nichteigenverschuldeten Gründen nicht abgeschoben werdenkönnen . Auch hier bedarf es aus meiner Sicht einer ent-sprechenden Änderung des Aufenthaltsgesetzes .Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, zumAbschluss nur noch eine kurze Bemerkung zu einemThema, das gerade auch im Kontext mit der CSU hierimmer wieder vorgetragen wurde: das Thema Vollver-schleierung . Niemand in der Union hat behauptet, dassdas Verbot einer Vollverschleierung im Kontext mit einerErhöhung der Sicherheit in Deutschland stehe .
Aber – eben das muss man an der Stelle dazusagen –:Es geht schon auch um den Umgang mit uns selbst,und es geht auch darum, welche Ansprüche wir an nachDeutschland kommende Ausländer richten . Wenn sichjemand im öffentlichen Raum vollverschleiert, vor Ge-richt, in der Schule, im Straßenverkehr, dann entsprichtdies aus meiner Sicht nicht den Anforderungen einer frei-heitlich-demokratischen Grundordnung . Da heißt es, Ge-Stephan Mayer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618352
(C)
(D)
sicht zu zeigen . Ich bin der festen Überzeugung, dass dieVollverschleierung der Frau ein Integrationshemmnis ist,
dass sie der Bildung von Parallelgesellschaften Vorschubleistet und dass sie deshalb aus meiner Sicht auch abzu-lehnen ist, zumindest im öffentlichen Raum.
Wir werden nachdrücklich dafür eintreten und dies jetztauch entsprechend ins Werk setzen . Aus meiner Sicht istdies ein ganz entscheidender Punkt, –
Herr Mayer .
– nicht in sicherheitspolitischer Hinsicht, sondern in
gesellschaftspolitischer Hinsicht .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Stephan Mayer . – Nächster Redner:
Roland Claus für die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Bundesminister! Weil es eben auch mein Land ist, will
ich zunächst bekennen, dass es mir ziemlich schwerfällt,
hier zur Tagesordnung, also zur Befassung mit dem Bun-
deshaushaltsplan, überzugehen . Hier redet ein Bundes-
minister über seinen Haushalt, und zeitgleich sagt Minis-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Die Menschen wollen diese Berliner Politik nicht .“ Ermeint auch Ihre Politik, Herr de Maizière . Ich glaube, erhat den Koalitionsvertrag auch mit unterschrieben .
Das ist voll Pegida-anschlussfähig .
Ich muss hier nicht die SPD verteidigen . Aber wer überGabriel und dessen mangelnde Kabinettsdisziplin redet,der darf über Horst Seehofer nicht schweigen . Das müs-sen Sie sich sagen lassen .
Dieser Etatentwurf, Herr Minister, ist in der Tat dasAbbild eines innenpolitischen Weiter-so . Genau das istdas Problem dieses Etats . Ihre innenpolitische Zustands-beschreibung kennt immer nur drei Aggregatzustände:Deutschland geht es gut . Wir sind auf einem guten Weg .Und wenn es einmal nicht so klappt: Es ist alternativlos .Etwas mehr Demut hätte ich mir erwartet . Immerhin isthier die ganze bisherige – man kann auch sagen: eta-blierte – Parteiendemokratie gefährdet und nicht nur einTeil davon .Der Haushalt sieht an vielen Stellen mehr Geld fürPolizei und Behörden vor . Das war schon beim Haus-halt 2016 der Fall, häufig mit Zustimmung einer sicher-heitspolitisch verantwortungsvollen Opposition . Für2017 haben Sie erneut eine halbe Milliarde Euro mehrvorgesehen . Allerdings muss man Ihnen auch sagen, dassSie in Ihrem eigenen Entwurf Haushaltsreste für 2016 ineiner Höhe von einer halben Milliarde Euro ausweisen .Sie weisen einen Zuwachs beim sogenannten Asylpaketaus, aber beim zuständigen Bundesamt für Migration undFlüchtlinge kommen Sie beim Stellenaufbau nicht voran,wie dessen Chef Weise vor kurzem kundgetan hat . Des-halb sagen wir Ihnen: Mehr Geld im Haushalt ist nochkein Beleg für bessere Politik .
Gemessen, Herr Bundesminister, wurden die Bienennicht an ihren Flugkilometern, sondern an dem Honig,den sie nach Hause brachten .Nun fordert die Bundesregierung bekanntlich überallauf, Geflüchteten Zugang zu Ausbildung und Arbeit zuermöglichen . Ich habe mir gedacht, dass ich einmal derBundesregierung eine Anfrage stelle, wie sie selbst mitgutem Beispiel vorangeht . Meine Anfrage an das Bun-desministerium lautete: Wie viele geflüchtete Menschensind seit 2015 in allen Bundesbehörden zusammenge-nommen in Ausbildung oder Arbeit gebracht worden?Die Antwort des BMI lautet: Fünf. In Ziffern: 5. Ich findedas beschämend . Natürlich weiß ich, dass die Aufgabeder Bundesregierung nicht darin besteht, Geflüchtete ein-zustellen; aber ein Stückchen mehr mit gutem Beispielvoranzugehen, habe ich schon erwartet . Wirklich etwasleisten geht anders, meine Damen und Herren .
Deshalb sagen wir Ihnen: Ihren sicherheitspolitischenAnkündigungen folgen keine Taten . Wenn man in derSackgasse ist, ist ein Weiter-so eine gefährliche Fahrt-richtung . Wir werden in Ihrem Etat an vielen einzelnenStellen Änderungen vorschlagen .Die IT-Netze des Bundes sollen konsolidiert werden .Nach dem, was ich jetzt wahrnehme, läuft es ein biss-chen Gefahr, Installation von veralteter Technik getarntals Modernisierung auszugeben . Das Bundesamt für Ver-fassungsschutz soll 20 Prozent mehr bekommen . Nochmehr Geld für diese Versagertruppe . Oder sollte man fra-gen: War das Versagen der Plan? Bei der Sportförderunghaben sich Bundesinnenministerium und OlympischerSportbund auf eine Art Geheimverhandlung beschränkt .Bei der Behindertensportförderung kommen wir nichtwirklich voran . Dann noch das sogenannte Zivilschutz-konzept . Zu den Lebensmittelvorräten ist schon etwasgesagt worden .Ich will noch etwas anfügen, was noch nicht gesagtwurde . Ich fühlte mich an Mao Tse-tung erinnert, der vormehreren Jahrzehnten einen Aufruf in die Worte geklei-Stephan Mayer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18353
(C)
(D)
det hat: Grabt die Gräben tief und legt Reisvorräte an . –Wem Sie so alles nacheifern, Herr Bundesminister!
Das Ergebnis in der Öffentlichkeit, diese Verunsiche-rung, Herr Mayer, hat ihnen doch nicht die Oppositioneingeredet . Da überschätzen Sie uns aber ein Stückchen,muss ich Ihnen sagen .
Deshalb ist es leider so, Herr Bundesminister: IhreStichwortgeber sind die Jungs von der Fraktion „Angstfür Deutschland“ oder auch AfD . Sie bedienen de-ren Ressentiments, Sie verschärfen das Asylrecht undschränken Freiheitsrechte ein . Dafür werden Sie von derAngst-Fraktion gelobt, aber Sie werden nicht gewählt .In der Mitte zwischen Angst und Mut ist auf Dauer keinStaat zu machen . Sie müssen sich entscheiden: Angstoder soziale und humanistische Erneuerung der Gesell-schaft .
Der politische Hauptfehler seit dem 11 . September 2001war, Krieg als Mittel der Außenpolitik und Freiheits-beschränkung als Mittel der Innenpolitik zu etablieren .Da, Herr Minister, hilft kein Weiter-so . Da geht es umUmdenken jetzt, Umsteuern jetzt . Und wir sagen Ihnen:Dafür ist es wirklich allerhöchste Zeit .
Vielen Dank, Roland Claus . – Nächster Redner in der
Debatte: Burkhard Lischka für die SPD .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! KeinZweifel, wir stehen im Augenblick, wenn wir heute denHaushalt des Bundesinnenministeriums debattieren, vorgroßen Herausforderungen . Die Terrorgefahr in Deutsch-land beispielsweise ist real . Wer das bisher ignoriert hat,wurde vor wenigen Wochen durch die Attentate in Würz-burg und in Ansbach eines Besseren belehrt . Man weißaber auch: Terroristen haben in der Vergangenheit immerwieder versucht – auch hier in Deutschland –, unserefreien Gesellschaften herauszufordern . Sie haben gegenunsere Gesellschaften gebombt und geschossen . Aberrückblickend können wir auch sagen: Freie Gesellschaf-ten haben gelernt, mit diesen Risiken umzugehen, solcheKrisen zu lösen und sich dabei ihre Freiheit zu bewahren .So wird es auch diesmal sein .Nein, dieser Staat ist alles andere als machtlos . Erwird auch den derzeitigen Bedrohungen mit der nötigenKonsequenz, aber auch dem richtigen Augenmaß entge-gentreten . Mehr Sicherheit, aber mit Maß und Ziel – dasist das Gebot der Stunde . Das bedeutet zunächst einmal:mehr Investitionen in die Ermittlungsarbeit, mehr Poli-zisten, eine optimale technische Ausstattung unserer Si-cherheitsbehörden, eine engere Kooperation der Polizei-behörden in Europa und mehr Professionalität und Geldim Bereich der präventiven Maßnahmen gegen Radika-lisierung .Es ist und bleibt eine Binsenweisheit: Mehr und besserausgerüstete Polizisten bedeuten mehr Sicherheit und da-mit mehr Schutz unserer Freiheit . Herr Claus, das gilt füralle unsere Sicherheitsbehörden . Wenn Sie davon reden,dass das Bundesamt für Verfassungsschutz, das derzeiteinen sehr wichtigen Job in diesem Bereich macht, eine„Versagertruppe“ ist, dann halte ich das für unpassend,und ich weise das zurück .
Genügend Polizei auf den Straßen und in den dunk-len Weiten des Internets, wo Kriminelle und Terroristenihre Geschäfte machen – dass wir dafür sorgen, dürfendie Bürger zu Recht von uns erwarten . Lieber StephanMayer, du hast, was den Personalaufwuchs angeht, ge-sagt: In diesem Bereich sind wir als Union der Taktge-ber . – Wenn man sich mal an die Vorgängerregierungzurückerinnert, als die Union noch mit der FDP regierenmusste, fällt einem ein: Da ist genau das Gegenteil pas-siert, da ist nämlich Personalabbau bei den Sicherheits-behörden betrieben worden .
Ich sage jetzt mal als SPD-Innenpolitiker: Allein, dasswir hier die Weichen jetzt anders gestellt haben, war die-se Koalition schon wert .
Meine Damen und Herren, die Bürger dürfen nochetwas anderes von uns erwarten, nämlich Besonnenheitstatt hektischem Aktionismus. Sicherheit schafft mannicht mit Scheindebatten . Wer sich, wie in den letztenWochen erlebt, mit Ideen und Vorschlägen im Stun-dentakt förmlich überschlägt, der muss aufpassen, dasser nicht genau das Gegenteil von dem erreicht, was ereigentlich will, nämlich, statt für mehr Sicherheit zusorgen, nur Unsicherheiten zu verstärken . Da wurdenscheinbare Lösungen für Probleme präsentiert, die mitunserer Sicherheit wenig oder – sagen wir besser – über-haupt nichts zu tun hatten; es ist ein paarmal angespro-chen worden . Man kann über den Sinn und Unsinn vonBurkas debattieren; das ist okay. Ich finde, jeder Freundeiner offenen und gleichberechtigten Gesellschaft musses begrüßen, wenn Frauen hier in Deutschland keineBurka tragen; auch das ist selbstverständlich . Aber dasProblem entsteht, wenn man das Thema in eine Erklä-rung aufnimmt, in der es als Teil eines Antiterrorpaketsbetrachtet wird . Da habe ich mir schon die Frage gestellt:Hat denn irgendeiner der Attentäter in Paris, in Brüssel,in Ansbach oder in Würzburg eine Burka getragen? Nein .Was also hat diese Diskussion mit der Verhinderung vonTerroranschlägen zu tun?
Rein gar nichts .
Roland Claus
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618354
(C)
(D)
Aber einfache Antworten – diesen Eindruck habe ichmanchmal in diesem Sommer – haben wirklich Hoch-konjunktur in diesen Tagen .Lassen Sie uns das tun, wofür wir als Haushaltsgesetz-geber gewählt wurden, nämlich unsere Polizeibehördenpersonell und technisch optimal auszustatten, sodass sieihre Arbeit gut machen können . Aber Nebelkerzen soll-ten wir in dieser ernsten Situation nicht zünden; denn diebrauchen wir nicht für unsere innere Sicherheit .Herzlichen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Irene Mihalic für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Nazis, die Flüchtlingseinrichtungen undhier lebende Menschen angreifen, Islamisten, die mitihren Anschlägen Angst und Schrecken verbreiten – dieMenschen erwarten selbstverständlich völlig zu Recht,dass die Politik sich dieser realen Gefahren annimmt unddie Risiken auch auf rechtsstaatlichem Wege so gut esgeht minimiert . Aber statt dieser Erwartung zu entspre-chen und das Sicherheitsgefühl der Menschen zu stärken,betreiben die Bundesregierung und Sie, Herr Innenminis-ter de Maizière, eine Politik der Verunsicherung . Das istschlicht verantwortungslos und pure Regierungsverwei-gerung, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Unmittelbar nach den Anschlägen von Würzburg,München und Ansbach in diesem Sommer, während dieFamilien und Freunde der Opfer noch getrauert und dieSicherheitsbehörden die Ereignisse noch aufgearbeitethaben, waren sich die Innenminister der Union nicht zuschade, sich in Berliner Erklärungen zu ergehen, um denBerliner Wahlkampf mit abstrusen Debatten zum Burka-verbot und zur doppelten Staatsbürgerschaft zu befeuern;Rucksackverbote, Gesichtserkennung – ich kann das garnicht alles aufzählen . Aber nach elf Jahren CDU-Regie-rungsverantwortung im Bund fragen die Menschen völ-lig zu Recht: Wo sind denn, abgesehen von der Symbol-politik, die Berliner Taten?
Sie sind verantwortlich für die Stellenstreichungen beiden Sicherheitsbehörden in den letzten zehn Jahren .Nun pumpen Sie hektisch und ohne Konzept Geld inden Innenhaushalt in der Hoffnung, dass überall etwashängen bleibt. Offen gestanden: Ich weiß gar nicht, wieviele Tausend Polizisten Sie aktuell fordern; da scheintsich zwischen den Koalitionspartnern ein regelrechterWettbewerb entwickelt zu haben . Neue Stellen bei derBundespolizei und beim BKA unterstützen wir selbstver-ständlich – wobei eine Entlastung bei den Aufgaben auchganz gut wäre –,
aber der Raubbau der letzten zehn Jahre wird nachwir-ken . Wer Sicherheitsbehörden jahrelang als Steinbruchder Sparpolitik behandelt hat,
kann nicht erwarten, dass die volle Leistungsfähigkeitvon heute auf morgen wiederhergestellt sein wird .
Sie versuchen – wie so oft – den Missstand mit schril-ler Symbolpolitik zu übertünchen . Die neueste Sau, dieSie durchs Dorf jagen – das ist schon mehrfach ange-sprochen worden –, ist der Bundeswehreinsatz im Inne-ren . Trotz erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenkenwollen Sie nun gemeinsame Übungen von Bundeswehrund Polizei zelebrieren – ein Riesentheater mit viel Tam-tam für ein unrealistisches Szenario, aber dafür mit bun-ten Bildern . Ich kenne keinen einzigen Polizeiexperten,der solche Übungen tatsächlich für nötig hält . Ganz imGegenteil: Sie belasten damit die Polizei zusätzlich, diesowieso schon am Limit ist, und veranstalten eine Rie-senshow einzig mit dem Ziel, die Innenpolitik zu mili-tarisieren . Aber das werden wir Ihnen nicht durchgehenlassen .
– Sie sagen jetzt: „So ein Quatsch!“ Aber warum üben Siestattdessen nicht einmal etwas, was wirklich nötig ist?Wie wäre es denn zum Beispiel mit Bund-Länder-über-greifenden Polizeieinsätzen bei einem Terroranschlag anmehreren Orten zusammen mit Spezialeinheiten, Feuer-wehren und Rettungskräften? Davon ist weder etwas zusehen noch etwas zu hören .
Deshalb sage ich Ihnen: Es geht Ihnen eben nicht um dieSicherheit, sondern nur um die Bilder .
Kommen wir auch in diesem Zusammenhang vommilitärischen zum zivilen Engagement . Auch das ist einPunkt, bei dem ich bei Ihnen keinen Gestaltungswillenerkennen kann. Ich finde es ja richtig und wichtig, dassnach 20 Jahren ein neues Zivilschutzkonzept vorgelegtwird . Auch dazu ist schon viel gesagt worden . Es wardringend nötig, das Konzept zu überarbeiten .
Doch darin erklären Sie fast beiläufig das Wegbrechendes Ehrenamtes, also der tragenden Säule des Zivilschut-zes, Herr Mayer; beim THW ist das ganz besonders gra-vierend . Anstatt Konzepte zur Stärkung des Ehrenamtesund damit des Zivilschutzes vorzulegen, fordern Siedie Menschen lieber auf, sich für den Fall eines Terror-anschlags zehn Dosen Ravioli in den Keller zu stellen .Auch hier bleibt wieder nur pure Verunsicherung, undBurkhard Lischka
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18355
(C)
(D)
das ist schlicht verantwortungslos, liebe Kolleginnen undKollegen .
Genau wie in der Flüchtlingspolitik haben Sie, anstattsich an die mühsame Detailarbeit der Integration heran-zuwagen, Stimmungen geschürt, die pures Gift für dieIntegration sind . Getrieben von der AfD verschärfenSie in diesem Jahr gleich dreimal das Aufenthaltsrecht,ohne jeglichen sachlichen Bezug, aber immer mit derBotschaft – das möchte ich noch einmal betonen –, dassmehr Zuwanderung auch mehr Kriminalität bedeutenwürde und man deswegen in diesem Zusammenhangdringend etwas tun müsse . Dabei hatten Sie mit demBKA-Lagebild „Kriminalität im Kontext von Zuwande-rung“ einen wirklich richtig guten Ansatz, um ebendie-ser Stimmung effektiv entgegenzuwirken; denn diesesLagebild zeigt deutlich, dass Einwanderung eben nichtzu einem Anstieg von Kriminalität führt . Herr Innenmi-nister, Sie nannten eben als Stichwort: Argumente undNüchternheit gegen Hass und Gewalt . Doch anstatt sol-che Lagebilder zur Versachlichung der Debatte zu nutzenund zu veröffentlichen, machen Sie lieber einen Stempel„Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ draufund sperren sie weg. Veröffentlichen Sie solche Lagebil-der endlich, zum Beispiel in regelmäßigen, periodischenSicherheitsberichten . Das wäre einmal ein sinnvollerHaushaltstitel . Das würde zu mehr Aufklärung, wenigerPopulismus und damit zu einem stärkeren Sicherheitsge-fühl führen .
Oder glauben Sie, die Menschen fühlen sich sicherer,wenn Sie ihnen sagen, dass Soldaten in unseren Städtenzu ihrem Schutz nötig sind oder dass sie im Falle einesTerroranschlags auf Lebensmittelvorräte angewiesensein werden, weil es leider zu wenig ehrenamtliche Hel-fer beim Zivilschutz gibt? Oder glauben Sie, dass dasSicherheitsgefühl dadurch gestärkt wird, dass Sie ver-schleierte Frauen oder Menschen mit zwei Pässen alsSicherheitsrisiko darstellen?
All das hat mit seriöser Innenpolitik nichts zu tun . Dasist entweder wahltaktisches Kalkül oder eine völlig ver-nebelte Wahrnehmung Ihrer Rolle . Für die innere Sicher-heit in diesem Land ist beides gleichermaßen schlecht .
Das Wort hat der Kollege Armin Schuster für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Frau Mihalic, „vernebelt“ ist allenfalls IhrBlick auf dieses Land . Das ist jedem klar, der diese Redegehört hat .
Wissen Sie, das ist ungefähr so unfachmännisch wie dieirrwitzige Annahme, man dürfe in Deutschland keineDeutschlandfahne schwenken, wenn Fußballweltmeis-terschaft ist .
Das ist das Zerrbild, das in Ihnen drinsteckt . Deswegenhaben Sie eine komplett falsche Einschätzung dessen,was in diesem Land läuft .Sie haben gesagt, wir hätten keine Idee für diesesLand . Wir haben gut ein halbes Dutzend Antiterrormaß-nahmen beschlossen .
Sie haben gegen alle gestimmt . Sie haben dagegenge-stimmt, als beschlossen wurde, dass das Reisen in ter-roristischer Absicht jetzt strafbar ist . Sie haben dage-gengestimmt, als beschlossen wurde, Dschihadisten denReisepass und den Personalausweis zu entziehen . Sie ha-ben auch gegen die Strafbarkeit der Terrorismusfinanzie-rung gestimmt . Ich könnte so weitermachen . Wir wissennicht, was Sie wollen . Wir sind froh, dass wir regieren .Das tut dem Land unglaublich gut; glauben Sie es mir .
Meine Damen und Herren, nicht ganz unbescheidensage ich – Sie kennen mich ja –:
Ich habe seit Beginn dieser Legislaturperiode in meinerersten Periode als Obmann des Innenausschusses ver-sucht, meine Möglichkeiten zu nutzen
und alles dafür zu tun, dass der Haushalt des Innenres-sorts einen mächtigen Schub erfährt .
Frau Mihalic, Sie kennen jetzt auch einen Polizeiex-perten – als solchen bezeichne ich mich; da bin ich schonwieder unbescheiden –, der es gut findet, dass Bundes-wehr und Polizei zusammen üben, um dann zu evaluie-Irene Mihalic
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618356
(C)
(D)
ren, was notwendig ist . Ich weiß nicht, was daran falschist .
Frau Dr . Högl, da sind wir, glaube ich, einer Meinung . Esist eine gute Idee, dass wir das forcieren und Erfahrungensammeln .
Der Plan der CDU- und CSU-Innenpolitiker unterStephan Mayer war 2014
– ja, unter Führung von Stephan Mayer; bei uns gibt esnoch Hierarchie –,
den Haushalt des Innenressorts mit einem echten Auf-wuchs zu versehen . Das war gemeinsam mit dem Bun-desinnenminister unsere Überzeugung . Das war einMehrjahresplan . Ich bedanke mich an dieser Stelle ein-mal, da er anwesend ist, beim Ex-Haushaltsstaatsse-kretär Norbert Barthle und dem neuen Staatssekretär,Jens Spahn, bei Bundesfinanzminister Schäuble, beiDr . André Berghegger und bei Dr . Reinhard Brandl . Ichbedanke mich auch beim Koalitionspartner,
dass wir das vier Jahre lang nicht aktionistisch, nicht po-pulistisch, sondern konzentriert und
geduldig durchgezogen haben .Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freun-de der SPD, bei meiner beruflichen Historie können Siesich sicher vorstellen, wie genau ich aufgepasst habe, alsdarüber gesprochen wurde, wer die Verantwortung fürPersonalaufwuchs und Haushaltsverbesserungen bei derBundespolizei hat .
Es passt überhaupt nicht zu Ihnen und Ihrem ansonstenfeinen Charakter, dass Sie jetzt hin und wieder subtil ver-suchen, zu unterstellen, das sei alles die SPD gewesen .
Das ist einfach nicht in Ordnung . Ich bleibe dabei: Es isteine Vierjahresleistung .
Es ist etwas merkwürdig, dass sich der SPD-Chef imvierten Jahr hinstellt und sagt, wir hätten die Bundespoli-zei kaputtgespart . Seien Sie doch auch ein bisschen stolzauf das, was wir in dieser Legislaturperiode geschafft ha-ben . Es ist die Legislaturperiode der Bundessicherheits-behörden .
Sie erfahren einen einzigartigen Aufwuchs . Ich kannmich nicht daran erinnern, dass solch ein Aufwuchs inder Vergangenheit jemals stattgefunden hat .
Da sitzt der dafür zuständige Minister .
Warum tun wir das?
Wir planen 7 000 Stellen mehr bei der Bundespolizei .Das Bundeskriminalamt macht hervorragende Arbeit .Das BfV ist zurzeit unheimlich wichtig . Das BSI wirdmir zu wenig genannt . Das Thema IT-Kriminalität isthochwichtig . Eine Behörde, über die wir hier eigentlichnie sprechen, die aber im Bereich Sicherheit einen im-mensen Beitrag leistet, ist das Bundesverwaltungsamt .Auch da werden wir – die haben das verdient – maßgeb-lich Stellen aufbauen . Vielleicht bauen wir sogar nochmehr auf; darüber sollten wir noch einmal reden . DasTHW erfährt einen Aufwuchs .Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir inves-tieren vorausschauend seit vier Jahren – ohne dafür einenAnschlag zu brauchen . Unsere Idee geht auf eine Zeitzurück, in der es solche Anschläge, wie wir sie in letzterZeit erlebt haben, noch gar nicht gab . Die Idee für dieBFE+ bei der Bundespolizei gab es bereits vor dem An-schlag in Nizza und anderen . Das alles ist präventive undkonzeptionelle Haushaltspolitik über mehrere Jahre . Dasist die Handschrift der Union . So macht man kreativ undverantwortlich Politik für ein Land . Nicht umsonst den-ken die Deutschen: Wenn einer innere Sicherheit kann,dann die Union . Die Menschen haben recht damit .
Ich bin davon überzeugt, dass wir in dieser Legislatur-periode vieles getan haben und mit dem Haushalt 2017letztlich vollenden . Wir stärken das Thema objektiveSicherheit . Die Ermittler beim BKA werden uns dank-bar sein . Die Fahnder bei der Bundespolizei werden unsdankbar sein . Das sind Themen für Experten . Wir habenaber auch viel vor für die subjektive Sicherheit der Be-völkerung . Das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevöl-kerung hängt an dem Thema Polizeidichte, Polizeiprä-Armin Schuster
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18357
(C)
(D)
senz an Brennpunkten und Hotspots . Deshalb soll es7 000 Stellen mehr bei der Bundespolizei geben . Ich hof-fe, dass viele Länder uns nachahmen . Wir brauchen das .Einbruchdiebstahl, reisende Terroristen, internationalagierende Banden, illegale Grenzübertritte und Schleuser
bekämpfst du am besten mit einer polizeilichen Maßnah-me, die sich Fahndung nennt . Dies geschieht an Brenn-punkten, Hotspots und in Schwerpunktregionen . DerBundesinnenminister ist verantwortlich für die deutscheFahndungspolizei . Das ist die Bundespolizei . Deswegenist jeder dort investierte Euro Gold wert . Einbruchdieb-stahlsbanden fängst du weniger mit der Frage, wie wirdas Haus schützen – das muss natürlich auch getan wer-den –, sondern am besten fängst du sie auf dem Weg zurTat . Da sie grenzüberschreitend agieren, müssen wir dorthinschauen .
Wir dürfen an der bayerisch-österreichischen Gren-ze nicht nachlassen, Grenzkontrollen durchzuführen .Genauso wird die Lage an der deutsch-schweizerischenGrenze – ich gehe stark davon aus, Herr Bundesinnenmi-nister; denn hier gibt es immer mehr illegale Grenzüber-tritte –
über kurz oder lang dazu führen – das kündige ich schoneinmal an; deswegen braucht die Bundespolizei diesePower –, dass wir auch dort zu Grenzkontrollen zurück-müssen . Das kann ich mir nicht anders vorstellen . Dennschon heute finden über die deutsch-schweizerischeGrenze mehr illegale Grenzübertritte statt als über diedeutsch-österreichische Grenze . Wenn die Bundespolizeiin Bayern und in Baden-Württemberg derart präsent seinsoll – das meine ich mit Grenzkontrollen –, dann brauchtes Personal . Dafür sorgen wir .Die Balance dieses Haushalts besteht darin, dass wirobjektiv und subjektiv für Sicherheit sorgen und gleich-zeitig beim Thema Integration gewährleisten, dass dieAsylverfahren schneller und besser abgewickelt werden,dass die Integration der Asylbewerber, die bleiben sollen,deutlich intensiviert und auch mit Geld unterfüttert wirdund dass auch das Rückkehrmanagement für diejenigen,die nicht bleiben sollen, deutlich intensiviert wird . Die-se Balance sollten wir übrigens auch in unserer Rhetorikmehr beachten . Deswegen habe ich davon gesprochen,dass dieses Land eine Kultur des Willkommens braucht,die wir sehr überbetont haben, und dass es jetzt aucheine Kultur des Verabschiedens braucht . Die vielen Men-schen, die wir rückführen müssen, müssen wir genausokonzentriert zurückführen, wie wir es uns gesetzlich vor-genommen haben .
In den Ländern braucht es auch einmal Mut, dies zu tun .
Wir begnügen uns jedenfalls nicht mit dem einfachenRuf nach mehr Geld und besserer Ausstattung . Wir habendie nötigen Ideen und eine Vielzahl von Gesetzen auf denWeg gebracht .
Dies ist die Innendebatte . Wo, wenn nicht hier, sollenwir über das Thema Burkaverbot eigentlich besser redenkönnen? Dies ist in erster Linie eine Wertedebatte
und nicht, wie hier gerne behauptet wird, eine Sicher-heitsdebatte . Wenn ein politisches Ressort dieses Themabehandeln muss, dann, glaube ich, ist es das Innenressort .
Ich sage Ihnen jetzt meine ganz persönliche Meinung .Ohne Wenn und Aber: Die Burka ist für mich kein religi-öses Symbol . Sie ist etwas, was nicht – –
Kollege Schuster, ich sehe da etwas, was Sie noch
nicht sehen .
Einen Moment, ich bringe den Satz eben noch zu
Ende .
Sie hätten die Chance, Ihre Redezeit nicht zu überzie-
hen, wenn Sie diese Frage zulassen .
Ja, gut .
Die Kollegin Künast möchte eine Frage stellen oder
eine Meinung äußern .
Herr Kollege Schuster, Sie haben gesagt, bei der Bur-ka gehe es um eine Wertedebatte . Ich möchte gerne wis-sen, ob Sie diese Wertedebatte nur mit uns oder auch mitArmin Schuster
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618358
(C)
(D)
den großen Krankenhäusern und Gesundheitszentren inBayern führen, in denen sich viele Araber und Araberin-nen operieren lassen . Nach meinem Kenntnisstand hatdas nämlich zur Folge, dass auch einmal Frauen mit einerBurka durch München laufen und angeblich sogar in sehrteuren Geschäften einkaufen .
– In der Maximilianstraße; danke, Herr Kollege Flisek .Ich bin da so selten zum Einkaufen .
Für mich stellt sich die Frage: Diskutieren Sie über dieBurka nur mit uns, oder diskutieren Sie darüber auch mitdem Einzelhandel in der Maximilianstraße und mit allden Krankenhäusern und Kliniken,
die im Hinblick auf ihre Einnahmen genau darauf ab-zielen, ihr Fachwissen für diese finanziell sehr potenteKlientel anzubieten? Wenn Sie darüber auch mit denendiskutieren, zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?Nach Ihrem Vortrag muss man ja davon ausgehen, dassbeide Gruppen für ein Burkaverbot sind . Das würde michwundern; denn das wäre für sie ein negatives Wirtschafts-programm . Also: Mit wem führen Sie diese Wertedebat-te, und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Frau Künast, ich unterstelle jetzt einfach, dass Sie
mich entweder nicht richtig kennen oder mich nicht ernst
nehmen . Aber Ihre Frage ist wirklich unterirdisch . Un-
terirdisch!
– Ja, aber manchmal reicht das schon .
– Nein, das war sie noch nicht . Ich mache weiter . – Frau
Künast, ich diskutiere über das Burkaverbot mit vielen
Menschen in diesem Land . Ich habe noch keinen gefun-
den – noch nicht einen! –, der es gut findet, wenn Frauen
hier vollverschleiert herumlaufen .
Was ich am allerwenigsten verstehe, ist, dass sich grüne
Politikerinnen ausgerechnet bei diesem Thema, bei dem
es um Frauenunterdrückung in schlimmster Form geht,
aufschwingen
und sich auch noch dafür einsetzen, dass das so bleibt .
Ich spreche mit unendlich vielen Menschen in diesem
Land, die mir sagen – das sage ich Ihnen, gerade weil
Sie von den Grünen sind; denn auch Sie diskutieren ja
darüber –: Ich möchte, dass der Weihnachtsmarkt weiter
Weihnachtsmarkt, der Nikolaus Nikolaus und der Tan-
nenbaum Tannenbaum heißt, und die Burka möchte ich
in diesem Land nicht .
Das ist eine ganz einfache Wertedebatte, und da wähne
ich mich an der Seite von Millionen Deutschen, die das
auch denken .
Dabei geht es nicht um Sicherheit, sondern darum, was in
diesem Land Kultur ist .
Ich möchte nicht, dass in meinem Schwimmbad zu
Hause jemand vollverschleiert im Becken ist, wie ich es
jetzt geschrieben bekommen habe . Über diese Dinge re-
gen sich die Menschen auf, und darüber rege auch ich
mich auf .
Das muss nicht sein .
– Frau Präsidentin, lassen Sie sie ruhig zu .
Kollege von Notz, Sie haben das Wort .Renate Künast
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18359
(C)
(D)
Herr Kollege Schuster, wer fordert, dass in Deutsch-land der Tannenbaum nicht mehr Tannenbaum heißt?Das würde mich wirklich interessieren .
Ich gebe zu, dass ich nicht genau weiß, ob bei den
Grünen nun über Nikolaus, Tannenbaum oder Weih-
nachtsmarkt diskutiert wurde .
Jedenfalls war es eine quälend lange Liste von Punkten,
zu denen die Grünen meinten, dass man das heute so
nicht mehr nennen könne – der Sankt-Martins-Zug war
dabei –, weil sich unter Umständen Islamisch-Gläubige
daran stören könnten .
Wissen Sie: An Ihrer Auffassung stören sich Millionen
Deutsche .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind in
einer Innendebatte . Lassen Sie mich diesen einen Satz
sagen: Vielleicht braucht das Land auch an dieser Stelle
mehr gesunden Menschenverstand und weniger Political
Correctness .
Dann hätten wir hier auch die klare Kante, die viele drau-
ßen von uns erwarten . Ich stehe dafür .
Ich bin dankbar, dass wir im ersten Wurf einen so tol-
len Haushalt hinbekommen haben, und ich traue mich,
zu behaupten, dass wir mit unseren Haushaltspolitikern
noch Verbesserungspotenziale verwirklichen werden .
Eines kann ich aber jetzt schon sagen: Das, was wir im
November hier zum Abschluss einer vierjährigen Legis-
laturperiode verabschieden werden, ist einzigartig gut,
eine hervorragende Jahresstrategie, auf die wir stolz
sind – wenigstens wir in der Union, aber ich glaube, auch
die SPD. Ich finde, wir haben es zusammen gut gemacht,
und das sollte auch so stehen bleiben .
Ich danke Ihnen .
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Frank
Tempel das Wort .
Herr Schuster, wir sind es ja gewohnt, dass Sie ein
Drittel Ihrer Redezeit darauf verwenden, Ihre Kompetenz
zu unterstreichen . Trotzdem wäre es ganz gut, wenn Sie,
da Sie hier schon Debatten einfordern – dazu ist das Haus
tatsächlich da –, auch auf Fragestellungen reagieren wür-
den .
Deswegen muss ich noch einmal grundsätzlich fragen . In
dieser Debatte wurde nicht von einem einzigen Teilneh-
mer gesagt, dass er die Burka will oder nicht will . Darum
ging es nicht,
sondern es geht um den Sinn und Zweck von Verbots-
forderungen . Wenn Sie so viel mit den Bürgern darüber
diskutieren, dann haben Sie sich vielleicht auch einmal
angeguckt, welche Wirkung mit einem solchen Verbot in
anderen Ländern erreicht wurde . Islamistische Organisa-
tionen nehmen das zum Beispiel zum Anlass, die Strafe
für diese Ordnungswidrigkeit zu übernehmen, wodurch
sie praktisch erst recht Zugriff auf Menschen bekommen,
die eigentlich weit weg von Radikalisierung sind . Das
wirkt also eher kontraproduktiv .
Wenn gerade Innenpolitiker ein solches Thema dis-
kutieren, dann sollten sie auch ein Stück weit die Kom-
petenz nutzen, die Sie hier immer versuchen darzustel-
len, und mit Fachleuten sprechen. Sie sind definitiv kein
Fachmann . Deswegen frage ich: Haben Sie den Unter-
schied zwischen der Frage, ob man die Burka gut oder
nicht gut findet, und der Frage, wie ein Verbot wirkt, so-
wie den Sinn, der hinter dieser Fragestellung steht, über-
haupt begriffen?
Der Kollege Schuster hat das Wort .
Herr Kollege Tempel, ich habe den Eindruck, dass wirPolitiker objektiv darüber diskutieren müssen – das istunsere Aufgabe –, welche Wirkung ein Burkaverbot hatoder nicht hat, ob in kultureller Hinsicht oder mit Blickauf die innere Sicherheit . Und ich habe den Eindruck,dass die deutsche Bevölkerung das Recht hat – und sienimmt es sich auch –, dieses Thema subjektiv zu beur-teilen .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618360
(C)
(D)
Es geht um die subjektive Frage: Will die deutscheBevölkerung eine Vollverschleierung als Normalzustand,als Freiheitsrecht, als Recht von Männern, gegenüberFrauen so etwas einzufordern, akzeptieren? Ich habedie klare Ansicht, dass die deutsche Bevölkerung sagt:Das wollen wir nicht . Meine ganz persönliche Meinungist – auf meine persönliche Meinung kommt es hier zwarnicht an, aber ich bin Mitglied eines repräsentativen Par-laments und vertrete die Meinung des Volkes, was ichwahrnehme –: Da gibt es kein Wenn und Aber . Dasswir hier objektiv darüber diskutieren könnten, ob das inFrankreich oder in der Schweiz, wo dieses Verbot bereitsgilt – ich lebe ja in der Nachbarschaft –, eine Wirkungzeigt oder nicht, ist doch klar . Aber das ist eine typischpolitische Diskussion .Während wir darüber diskutieren: „Könnte das eineWirkung haben? Hat das eine Auswirkung auf die Sicher-heit oder nicht?“ – das könnte auch eine Vorlesung anirgendeiner Universität sein –, hat sich das deutsche Volklängst entschieden . Das deutsche Volk hat sich nicht nurentschieden, dass ein Verbot der Vollverschleierung be-grüßenswert wäre, wenn es denn eines gäbe, sondern eshat sich entschieden, zu sagen: Macht es!
– Den kenne ich sehr gut .
Deswegen wiederhole ich zum Schluss noch einmal:
vielleicht mehr Sensibilität für gesunden Menschenver-stand und weniger für Political Correctness .
Wir fahren in der Debatte fort . – Das Wort hat die Kol-
legin Gabriele Fograscher für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Ich spreche jetzt wieder zum Haushalt, Einzelplan 06 .
Der Haushalt des Bundesinnenministeriums und sei-ner Behörden ist im Verhältnis zum Gesamthaushalt einkleiner Etat . Trotz einer Steigerung um knapp 7 Pro-zent auf jetzt 8,34 Milliarden Euro hat er einen Anteilvon 2,5 Prozent an den geplanten Gesamtausgaben für2017 . Der Bereich innere Sicherheit erhält hiervon rund4,3 Milliarden Euro . In diesen Bereich fällt auch der Zi-vil- und Katastrophenschutz .Ende vergangenen Monats hat der Bundesinnenminis-ter die vom Bundeskabinett verabschiedete KonzeptionZivile Verteidigung vorgestellt . Diese Neukonzeptiondes Bevölkerungsschutzes und der Katastrophenhilfe istlängst überfällig; denn das alte Konzept ist von 1995 .
Die Fortentwicklung und die Anpassung an neue Ge-gebenheiten waren dringend geboten . Nach dem Kon-zept soll die Notvorsorge verbessert, das Risiko mögli-cher Gefahren minimiert, der Bevölkerungsschutz imBedarfsfall optimiert werden . Wir müssen angemessenauf Naturkatastrophen, wie sie auch in diesem Sommerden Süden Deutschlands heimgesucht haben, aber auchauf Terrorangriffe reagieren können. Mit dem KonzeptZivile Verteidigung wird auf den Klimawandel, auf dieveränderte weltweite Sicherheitslage, auf die Verände-rungen in der Gesellschaft reagiert . Zudem hat es die zu-nehmende Abhängigkeit der Gesellschaft von kritischenInfrastrukturen wie zum Beispiel der Stromversorgungerforderlich gemacht, das Konzept fortzuentwickeln .Ich halte dieses Konzept für ausgewogen, für um-fassend . Es befasst sich unter anderem mit der Auf-rechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionenim Spannungs- und Verteidigungsfall und geht über dieTrinkwassernotversorgung und den Massenanfall vonVerletzten bis hin zu Brandschutz und Evakuierung . Diedarin enthaltenen Maßnahmen werden nun durch weitereRahmenkonzepte konkretisiert werden müssen und wer-den sich dann erst in zukünftigen Haushalten niederschla-gen . Unverzichtbar – das ist heute schon klar – ist einegute Vernetzung der Bundesbehörden, der Feuerwehren,der großen Hilfsorganisationen aus Bund und Ländern .Dieses Konzept ist richtig, und es ist wichtig . DieKommunikation darüber ist allerdings völlig misslungen .Sie hat zu Schlagzeilen wie „Aktion Eichhörnchen“ oder„Bund trifft Vorsorge für Krieg im Land“ geführt. Einesachliche Diskussion ist das nicht .Allerdings – das muss man sagen, bevor es Forde-rungen nach Selbstschutz der Bevölkerung gibt – wärees glaubhafter, wenn der Bundesinnenminister und derFinanzminister den für den Zivilschutz zuständigenBehörden die notwendige personelle und materielleAusstattung zukommen ließen . Das Bundesamt für Be-völkerungsschutz und Katastrophenhilfe ist seit Jahrenunterfinanziert. Es bekommt zwar zusätzliche Aufgaben,soll aber laut Regierungsentwurf 4,5 Millionen Euroweniger als im Vorjahr bekommen . Gleiches gilt für dieBundesanstalt Technisches Hilfswerk . Auch bei ihr sol-len die Mittel gekürzt werden . An diesem Punkt werdenwir in den Haushaltsberatungen wie in den vergangenenJahren über Verbesserungen verhandeln .Den Sommer über haben sich in den Ländern die In-nenminister und -senatoren von CDU und CSU mit For-derungen nach Gesetzesverschärfungen und Verbotenüberboten . Darüber haben wir hier schon gesprochen .Armin Schuster
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18361
(C)
(D)
Herr Schuster, die Wirkung eines Verbotes, das nichtumgesetzt werden kann, ist doch das Problem, vor demwir hier stehen . Deswegen hat der Bundesinnenministerdazu den Kompromissvorschlag gemacht, in bestimmtenBereichen die Burka zu verbieten . Wenn man solch eineDiskussion anzettelt, muss man auch eine Lösung bieten .Wenn man diese Lösung nicht bietet, dann schürt maneben weiterhin Ängste und Verunsicherungen in der Be-völkerung . Die Quittung für diese Diskussion haben Siein Mecklenburg-Vorpommern bekommen .
Die Forderung nach dem Einsatz der Bundeswehr imInneren ist auch wieder gestellt worden . Ich will das jetztfür mich und meine Fraktion noch einmal klarstellen:Wir wollen keine Ausweitung des Einsatzes der Bun-deswehr im Inneren oder gar die Wiedereinführung derWehrpflicht. Für die innere Sicherheit sind die Polizeienzuständig, die Bundeswehr ist für die äußere Sicherheitzuständig . Dieses System hat sich bewährt . Die Bundes-wehr kann in besonders schweren Unglücksfällen – dazugehören auch terroristische Großlagen – im Rahmender Amtshilfe eingesetzt werden . Dazu bedarf es keinerGrundgesetzänderung . Die geltende Rechtslage ist völligausreichend .Die Bevölkerung ist zweifellos für Fragen der öffentli-chen Sicherheit sensibilisiert . Täglich neue Forderungenund Aktionismus aber fördern weder das Zusammenle-ben noch die Integration . Sie wirken Ängsten auch nichtentgegen . Im Gegenteil: Solche Vorschläge schürenVorurteile und Ängste . Und sie spielen rechtsextremen,rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Parteien indie Hände .Informieren, aufklären und Politik erklären – das istdas Gebot der Stunde . Dabei hilft es ganz bestimmt nicht,die Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildungzu kürzen . Das Gegenteil ist notwendig .
Der Haushaltsentwurf zum Einzelplan 06 stellt sichden Herausforderungen . Dort, wo er Schwachstellenhat – im Bereich der Vorsorge und der Prävention – wol-len und werden wir in den anstehenden Beratungen Ver-besserungen erreichen .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Das Wort hat der Kollege Dr . Reinhard Brandl für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Der Entwurf des Haushalts für den Bundesinnenminis-ter umfasst 8,34 Milliarden Euro . 2014 haben wir mit5,89 Milliarden Euro begonnen . Meine Damen und Her-ren, das ist eine Steigerung um 41 Prozent .
Dazu kommen – bereits beschlossen – in dieser Legisla-turperiode 4 600 neue Stellen bei den Sicherheitsbehör-den . Und wir werden in den kommenden Wochen mit derSPD darüber reden, diese Zahl substanziell zu erhöhen .Bundesminister Schäuble hat heute in der Debatte eineweitere Zahl ins Spiel gebracht: Es soll in den nächstenJahren 4 500 zusätzliche Stellen für die Sicherheitsbe-hörden geben . Das ist eine gute Grundlage, auf der wirberaten werden .
Meine Damen und Herren, innere und äußere Sicher-heit sind ein Herzensanliegen der CDU/CSU – genau-so wie solide Haushalte . Wir haben beides zusammen-gebracht und zum vierten Mal einen Haushalt ohneneue Schulden und ohne Steuererhöhungen aufgestellt .Gleichzeitig haben wir massiv bei den Behörden, die fürdie innere Sicherheit zuständig sind, investiert . Das istdie Handschrift der Union, insbesondere auch die vonWolfgang Schäuble und Thomas de Maizière . HerzlichenDank für deren Arbeit .
Wer die Debatte heute verfolgt hat, hat gemerkt, dassplötzlich alle für mehr Polizisten sind . Es freut mich,dass wir hier keine Überzeugungsarbeit mehr leistenmüssen . Meine Damen und Herren, wenn Sie aber mehrfür innere Sicherheit tun wollen, dann reicht es nicht, nurmehr Polizisten zu fordern . Dazu gehört dann zum Bei-spiel auch, unseren Sicherheitskräften Rückendeckungbei ihrer Arbeit zu geben . Zu den Sicherheitskräften ge-hören Polizisten und Soldaten . Dazu gehören aber auchdie Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes und desBundesamtes für Verfassungsschutz .Ich habe die Debatten hier und auch die Diskussionenim NSA-Untersuchungsausschuss verfolgt . Insofern ma-che ich mir an der Stelle echte Sorgen . Glauben Sie denn,dass ein junger Mitarbeiter des BND, der in Bad Aiblingarbeitet und zum ersten Mal bei seinen Schwiegerelternzum Kaffee eingeladen ist, gerne und stolz davon erzählt,wo er arbeitet?
Ich glaube, selbst dann, wenn er es dürfte, würde er daszurzeit nicht tun . Dabei ist seine Arbeit angesichts derWelt- und Sicherheitslage für unser Land so wichtig wienie zuvor .Meine Damen und Herren, er braucht klare Regeln fürseine Arbeit .
Dafür sorgen wir . Aber er braucht auch die Rückende-ckung der Politik . Wir als CDU/CSU stehen hinter unse-ren Sicherheitskräften . Wir stehen hinter unseren Polizis-Gabriele Fograscher
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618362
(C)
(D)
ten . Wir stehen hinter unseren Soldaten, und wir stehenauch hinter den Mitarbeitern unserer Nachrichtendiensteund danken ihnen für ihre Arbeit .
Wer mehr für die Sicherheit in unserem Land tunmöchte, muss auch den Sicherheitsbehörden die Befug-nisse geben, um ihre Aufgaben tatsächlich zu bewältigen .Nehmen wir das Beispiel Wohnungseinbrüche . Ich habeerst gestern mit einer jungen Frau gesprochen, die mirberichtet hat, dass sie vor 20 Jahren als Kind in ihremHaus einen Einbrecher ertappt hat . Es ist nichts passiert .Er war sofort weg, und es ist auch nichts gestohlen wor-den . Dennoch fühlt sie sich bis heute unwohl, wenn siedort alleine übernachten muss .Alle von uns kennen diese Geschichten . Aber demsteht eine Aufklärungsquote von 15 Prozent gegenüber .
Das ist doch nicht hinnehmbar . Wenn die Polizei sagt,sie brauche zum Beispiel mehr Möglichkeiten, auf dieKommunikationsdaten der Einbrecher zuzugreifen, uminternationale Banden, die dahinterstehen, aufzudecken,dann müssen wir das doch ermöglichen, meine Damenund Herren .Die Innenminister der Union haben gemeinsam mitdem Bundesinnenminister im Sommer eine Reihe vonVorschlägen dazu gemacht . Ich kann nur jeden bitten, deres mit der inneren Sicherheit ernst meint, diese Vorschlä-ge in den kommenden Wochen zu berücksichtigen . Dennes wäre ein Armutszeugnis für diese Koalition, wenn wiruns nur darauf verständigen könnten, dass wir plötzlichverstärkt einbruchssichere Fenster fördern . Auch das istwichtig, aber das ist nicht mein Verständnis von innererSicherheit, und ich glaube, es ist auch nicht das Verständ-nis der Mehrzahl der Bevölkerung davon .Die Statistiken über die Wohnungseinbrüche habenauch noch eine andere Aussage, nämlich dass es einenUnterschied macht, wo man wohnt . In Nordrhein-West-falen ist die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Einbruchs-diebstahls zu werden, sechsmal höher als in Bayern . Dasliegt aber nicht daran, dass es in Bayern weniger zu holengibt . Die Antwort kann auch nicht sein, dass wir jedem,der Angst vor Einbrechern hat, plötzlich empfehlen, nachBayern zu ziehen . Auch in Bayern ist die Zahl der Ein-brüche noch zu hoch . Deswegen braucht die Polizei inganz Deutschland die Möglichkeit, effektiv gegen Woh-nungseinbrüche vorzugehen .
Bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen im In-nenbereich haben wir in dieser Legislaturperiode be-reits einiges erreicht . Ich denke an die Verschärfung desAsylrechts, die Erleichterung von Abschiebungen unddie klare Unterscheidung zwischen Flüchtlingen aus si-cheren Herkunftsländern und Flüchtlingen aus Bürger-kriegsgebieten . Ich könnte jetzt die ganzen Asylpaketeund alle Maßnahmen aufzählen .Für viele Probleme haben wir eine Antwort gefunden .Aber das Kernproblem in Deutschland ist und bleibt:Es muss immer zuerst etwas passieren, bevor gehandeltwird, meine Damen und Herren . Das ist unser Problem .
– So bitter es ist, Kollege von Notz: Es muss erst nocheinmal so etwas wie in Köln passieren, bevor die Grünenim Bundesrat bereit sein werden, leichtere Abschiebun-gen nach Nordafrika zu ermöglichen .
Ich nenne ein anderes Beispiel, das in dieser Debat-te auch schon eine Rolle gespielt hat: den Einsatz derBundeswehr im Inneren . Ich sage Ihnen voraus: Wennheute ein großangelegter Terrorangriff oder eine Kata-strophe passiert und die Bundeswehr helfen kann – seies beim Objektschutz oder bei der sanitätsdienstlichenVersorgung von Verletzten –, dann wird es plötzlich indiesem Haus einen ganz großen Konsens über einen Ein-satz der Bundeswehr geben . Wenn dieser Einsatz dannnicht funktioniert, wird das Geschrei – das sage ich Ihnenvoraus – groß sein, und es wird gefragt werden, warum ernicht funktioniert und wer die Verantwortung dafür trägt .Wenn man weiß, dass so etwas passieren kann, dannmuss man sich darauf vorbereiten . Deswegen sind ge-meinsame Übungen von Bundeswehr und Polizei unterklarer Führung der Polizei natürlich sinnvoll .
Wenn Sie einen Unterschied zwischen der Union undden anderen Parteien feststellen wollen, dann brauchenSie in diesen Tagen nur Zeitung zu lesen . In Baden-Würt-temberg lehnen SPD und Grüne – mit Ausnahme des Mi-nisterpräsidenten – gemeinsame Übungen von Polizeiund Bundeswehr ab .
Kollege Brandl, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung des Kollegen Reichenbach?
Gerne .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Damit die Debatte nichtjeglicher sachlicher Grundlage entbehrt, habe ich folgen-de Frage: Können Sie mir angesichts der Situation, dieSie eben geschildert haben – Hilfe der Bundeswehr beisanitätsdienstlichen Versorgungen und Katastrophen –,erklären, an welcher Stelle wir eine Grundgesetzände-rung brauchen, um solche Hilfen zu ermöglichen?
Die Bundeswehr war übrigens regelmäßig – auch bei denÜbungen – bei den Vorbereitungen zur Weltmeisterschaftin Deutschland eingeplant . Damals hat niemand übereine Grundgesetzänderung diskutiert .Dr. Reinhard Brandl
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18363
(C)
(D)
Gestehen Sie mir zu, dass die Bundeswehr in vielenBereichen gar nicht mehr in der Lage ist, in großem Um-fang im Inneren tätig zu werden, weil sie zum Beispielgar nicht mehr über die notwendigen Lazarettreservenverfügt? Sollten Sie nicht viel eher das Bundesverteidi-gungsministerium auffordern, solche Reserven zu schaf-fen, bevor Sie über die Bundeswehr sozusagen als innen-politisches Polizeiersatzinstrument diskutieren?
Das ist die Taktik der SPD . Ich habe an keiner Stelle
meiner Rede eine Grundgesetzänderung gefordert . Das
war überhaupt nicht Gegenstand der Debatte . Keiner
meiner Vorredner hat eine Grundgesetzänderung gefor-
dert .
Es geht allein um gemeinsame Übungen . Das Ergebnis
einer gemeinsamen Übung kann natürlich sein – darin
stimme ich Ihnen gerne zu, Herr Reichenbach –, dass die
Polizei oder die Bundeswehr an bestimmten Stellen bes-
ser ausgestattet werden muss. Aber um Defizite festzu-
stellen, muss es zuerst einmal eine gemeinsame Übung
geben .
Der Unterschied ist: Die SPD und die Grünen in Ba-
den-Württemberg lehnen gemeinsame Übungen ab . In
Bayern nimmt momentan Landesinnenminister Joachim
Herrmann an einer Wehrübung teil . Noch bis Donnerstag
ist er als Oberstleutnant der Reserve im Landeskomman-
do Bayern aktiv, um gemeinsam mit der Bundeswehr die
Zusammenarbeit im Katastrophen- bzw . Krisenfall zu
üben . Das ist der Unterschied . Dass Bayern seit Jahren
das sicherste Bundesland ist, liegt nicht in erster Linie
daran, dass die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr so
gut klappt, sondern daran, dass sich die Sicherheitskräfte
in Bayern darauf verlassen können, dass die Politik hin-
ter ihnen steht, und zwar bevor etwas passiert .
Wenn ich all das resümiere, dann kann ich nur dafür
plädieren, dass wir im Bereich der inneren Sicherheit
wieder vor die Lage kommen und handeln, bevor etwas
passiert . Hier haben wir großen Nachholbedarf . Eine
Antwort darauf ist der vorliegende Haushalt . Thomas de
Maizière hat exzellente Vorarbeit geleistet . Nichtsdesto-
trotz stehen uns in den nächsten Wochen intensive Bera-
tungen ins Haus .
Trotz aller politischen Unterschiede darf ich mich als
Hauptberichterstatter für den Einzelplan 06 für die gute
und kollegiale Zusammenarbeit – auch über die Frakti-
onsgrenzen hinweg – bedanken . Wir sind uns zwar in der
Sache nicht immer einig, finden aber meistens persön-
lich zueinander und dann auch eine Lösung . Herzlichen
Dank, Roland Claus, Anja Hajduk und Martin Gerster,
der heute aufgrund der anstehenden Geburt eines Kin-
des verhindert ist . Wir werden das bei den anstehenden
Verhandlungen berücksichtigen und dafür sorgen, dass er
weiterhin gut eingebunden ist .
In diesem Sinne wünsche ich uns allen weiterhin viel
Erfolg für die kommenden Wochen und bedanke mich
für Ihre Aufmerksamkeit .
Das Wort hat der Kollege Matthias Schmidt für die
SPD-Fraktion .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine sehr geehrtenDamen und Herren auf den Zuschauertribünen! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich möchte jetzt gerne zumSporthaushalt sprechen . Ich denke, wir sind uns im Hauseinig: Der Sport ist gut für den gesellschaftlichen Zusam-menhalt, die Sportvereine sind gut für die Demokratie,und Sporttreiben ist gut für die Integration .Wer dieser Tage eine Bestandsaufnahme des deutschenSports macht, der kommt um eine Nachlese zu Rio 2016nicht herum . Rio 2016 ist noch gar nicht Geschichte . Essind nur die Olympischen Spiele Geschichte . Die Para-lympics stehen noch an . Sie beginnen morgen, und siewerden hoffentlich auch in der deutschen Öffentlichkeitdie gebührende Aufmerksamkeit finden.Schauen wir trotzdem auf die Olympischen Spiele . InRio hat der deutsche Sport sehr gut abgeschnitten . NurOptimisten hatten erwartet, dass die deutsche Mannschaftden fünften Platz im Medaillenspiegel belegen wird . Siehat 42 Medaillen geholt . Insgesamt sind deutsche Sport-lerinnen und Sportler in 105 Finals angetreten – eine Bi-lanz, die sich tatsächlich sehen lassen kann .Schaut man allerdings etwas genauer hin, so stellt manfest: Der Erfolg ruht auf breiten, starken Balken . Da fal-len uns die Kanuten ein, die Schützen, die Fußballer –endlich einmal wieder die Männer mit einer Silberme-daille und die Frauen mit der Goldmedaille . Aber es gibtzwischen diesen starken Balken auch zahlreiche Lücken .7 von 27 olympischen Verbänden haben keine Medailleerreicht, 2 Verbände hatten sich erst gar nicht qualifiziert.Darum ist es gut, dass das Bundesinnenministeriumrechtzeitig, schon lange vor den Olympischen Spielen,begonnen hat, die Spitzensportförderung neu zu orientie-ren . Es gab allerdings leider bisher nur Gespräche zwi-schen dem DOSB und dem BMI, was wir als Sportaus-schuss, als Parlamentarier immer wieder kritisiert haben .Es geht um wichtige gesellschaftliche Fragen . WelcheSportarten fördern wir – nur noch erfolgreiche Sportar-ten oder medaillenträchtige? Wie definieren wir den Er-folg – nach Medaillen oder nach Ergebnissen des Nach-wuchses? Welche Wirkung hat der Spitzensport auf denBreitensport und damit auf unsere Gesellschaft? All die-se Fragen gehören tatsächlich hierher ins Parlament . Ichhabe die Bitte an das BMI, dass wir diese Diskussion nunschleunigst nachholen .Lassen Sie mich auch etwas zum vorgelegten Haus-haltsentwurf für den Bereich des Sports sagen . Der vor-Gerold Reichenbach
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618364
(C)
(D)
gelegte Entwurf ist eine sehr gute Diskussionsgrundlage .Er ist ein kleines bisschen abgesenkt im Vergleich zumletzten Jahr . Die Absenkung lässt sich aber sehr leicht er-klären, da die Olympiabewerbung Hamburgs mit 10 Mil-lionen Euro weniger zu Buche schlägt, und Entsendekos-ten sind eben auch nur in den olympischen Jahren sehrhoch . In den Jahren dazwischen sind sie deutlich gerin-ger .Für mich ist aber eine Sache schon jetzt wichtig, dieich gerne benennen möchte, bevor wir sie im Ausschussbesprechen . Ich möchte, dass wir den Deutschen Behin-dertensportverband stärker fördern . Seine Fördersummeist ganz leicht um 6 000 Euro abgesenkt worden . Die-se 6 000 Euro sind sicherlich nicht der Diskussion wert,aber ich finde, wir sollten uns Gedanken machen, denSport für Menschen mit Behinderung stärker zu fördern .Denn für Menschen ohne Behinderung kann es sein,dass sie nicht zu den Olympischen Spielen kommen, weilsie sich sportlich nicht qualifiziert haben, aber für Men-schen mit Behinderung kann es sein, dass sie nicht zu denParalympics fahren können, weil es in Deutschland fürgewisse Sportarten überhaupt keine Förderung gibt . Ichfinde, das sollte so nicht bleiben.Ich nenne ein Beispiel . Eine sehr populäre Sportartist Football Five-a-Side . Es ist ein Fußballspiel mit fünfMitspielern und leicht veränderten Regeln . Dafür gibt esin Deutschland überhaupt keine Förderung, ausgerechnetin Deutschland, dem Land mit der größten Fußballtradi-tion .Ich finde, wir sollten eine kleine Schippe beim DBSdrauflegen und könnten dann in jeder Sportart Sportle-rinnen und Sportler zu den Paralympics entsenden . Wirhaben jetzt vier Jahre Zeit, bis die nächsten Sommerpara-lympics anstehen . Diese Zeit sollte genutzt werden . Denndie Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Paralympicssind nicht nur sportliche, sondern allesamt auch mensch-liche Vorbilder . Sie haben von daher eine überragendeBedeutung für unsere Gesellschaft .
Zum Ende mein Appell: Lassen Sie uns gemeinsamden Sport von Menschen mit Behinderung stärker för-dern . Ich freue mich auf die Beratungen in den Ausschüs-sen .Vielen herzlichen Dank .
Danke . – Wir sind damit am Ende dieses Geschäfts-bereichs .Wir kommen zu dem Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz,Einzelplan 07.Das Wort hat der Bundesminister Heiko Maas .Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Als der Deutsche Bundestag AnfangJuli in die Sommerpause ging, da haben wir uns wohlalle auf eine geruhsame, erholsame und vor allen Dingenfriedliche Ferienzeit gefreut . Nicht nur die terroristischenAnschläge in Würzburg und Ansbach haben diese Hoff-nung von uns allen schon nach wenigen Tagen enttäuscht .Keine Frage, wir werden in Zukunft wachsamer seinmüssen, um solche Taten zu verhindern . Aber in demZusammenhang ist mir wichtig, auch einmal die Erfol-ge unserer Justiz zu betonen . Gestern hat in Stuttgart derProzess gegen einen mutmaßlichen Kämpfer des „Isla-mischen Staates“ begonnen . Zur Stunde beginnt in Düs-seldorf der Prozess gegen den Salafistenprediger, der mitseiner selbsternannten Scharia-Polizei für Aufsehen ge-sorgt hat . Am Freitag steht in München ein Mann vor Ge-richt, der beim IS eine militärische Ausbildung erhaltenhat . All das zeigt: Unsere Justiz ist durchaus in der Lage,mit den rechtsstaatlichen Mitteln, die wir haben, effizientund engagiert gegen die Feinde der Freiheit vorzugehen .
Das ist auch deshalb möglich, weil der Deutsche Bun-destag die gesetzlichen Grundlagen geschaffen hat. Wirhaben im vergangenen Jahr das Gesetz gegen Reisen inTerrorcamps reformiert, und wir haben die UN-Resolu-tion gegen Foreign Fighters umgesetzt und damit auchdie Finanzierung von Terrorismus unter Strafe gestellt .Das waren angesichts einer veränderten Bedrohungslageauch ganz wichtige Schritte für ein effektives Strafrecht.Wir haben vor der Sommerpause innerhalb der Bundes-regierung uns auf ein Antiterrorpaket verständigt . Daszeigt auch eins: Die Bundesregierung handelt nicht im-mer erst, wenn etwas passiert ist . Deshalb müssen wirauch nicht immer reflexartig reagieren, wenn dann etwaspassiert ist .
Meine Damen und Herren, mein Dank gilt auch demGeneralbundesanwalt und seiner ganzen Behörde fürdie erfolgreiche Ermittlungsarbeit in vielen Fällen aufder Grundlage dieser Gesetze . Mit dem Bundeshaus-halt 2017 werden wir das Personal beim Generalbundes-anwalt weiter maßvoll aufstocken .Ich sage aber auch: Die besten Gesetze nützen nichts,wenn die Sicherheitsbehörden personell oder organisato-risch nicht in der Lage sind, sie auch umzusetzen . Des-halb ist es richtig, dass der Bund – das ist eben schondiskutiert worden – bei der Polizei deutlich mehr Stellenschafft. Es ist wichtig und richtig, dass viele Länder diesauch tun .Ich sage aber auch ganz deutlich: Wenn wir über Si-cherheit und Sicherheitsbehörden und über deren perso-nelle Ausstattung reden, dann muss das auch für die Jus-tiz gelten . Denn wenn wir Straftäter, die von der Polizeiermittelt worden sind, auch einer Verurteilung zuführenwollen, brauchen wir ausreichend Staatsanwältinnen undStaatsanwälte und Richterinnen und Richter . Auch da binMatthias Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18365
(C)
(D)
ich froh, dass viele Bundesländer in den letzten Monatendafür die Voraussetzungen geschaffen haben.Meine Damen und Herren, der rechtspolitische Aus-gleich von Freiheit und Sicherheit beschränkt sich nichtnur auf die innere Sicherheit in unserem Land; es gehtauch um soziale Sicherheit in unserem Land . Wir müssenauch dafür sorgen, dass die Freiheit des Marktes dort, wosie ausfranst, nicht zu einer Gefahr für die soziale Ge-rechtigkeit wird . Auch das haben wir getan, etwa beimThema „Wohnen und Miete“ . Wir haben beim sozialenMietrecht schon einiges erreicht . Mit der Einführung desBestellerprinzips haben wir die meisten Mieter von denMaklerkosten entlastet und damit die Mieterinnen undMieter, wenn sie eine neue Wohnung suchen, nicht un-wesentlich entlastet; auch das ist bitter nötig gewesen .
Wir haben einen weiteren wichtigen Schritt getan: Mitder Mietpreisbremse haben wir uns auch der Höhe derMieten und deren Weiterentwicklung bei Neuvermietungangenommen und sie gesetzlich beschränkt . Nun sageneinige: Das reicht nicht aus . – Es gibt mittlerweile auchErhebungen, aus denen das deutlich wird, auch wenn dieErgebnisse zur Wirkung der Mietpreisbremse ganz un-terschiedlich sind, wenn man sich Städte wie Hamburganschaut – dort sind die Mieten nicht mehr gestiegen –oder etwa Berlin .Deshalb bin ich sehr offen dafür, dass wir uns weitermit der Preisbremse beschäftigen, etwa mit der Frage,ob dem Vermieter nicht auferlegt wird, die Vormiete vonsich aus offenzulegen, ohne dass dies erst eingefordertwerden muss; denn bisher ist es so, dass viele Mieterin-nen und Mieter von diesem Recht überhaupt keinen Ge-brauch gemacht haben . Auch dafür gibt es Unterstützung .Der Berliner Senat hat dazu eine Bundesratsinitiative aufden Weg gebracht . Ich bin gern bereit, über dieses Themaauch in diesem Hause zu diskutieren .
Meine Damen und Herren, wir haben, wie verabredet,zum Mietrecht auch ein zweites Reformgesetz in Arbeit .Bislang berücksichtigt der Mietspiegel nur die Vertrags-abschlüsse der letzten vier Jahre . Wir wollen diesen Zeit-raum ausdehnen, um auch die Jahre vor den großen Miet-erhöhungen mit einzubeziehen . Außerdem wollen wirdie Mieterhöhung nach einer Modernisierung begrenzen,weil wir nicht zulassen wollen, dass Modernisierung undMieterhöhung genutzt werden, um langjährige Mieteraus ihren Wohnungen zu verdrängen . Wenn ich darandenke, dass die Umlage von 11 Prozent zu einem Zeit-punkt ins Gesetz geschrieben wurde, als die Zinsen fürdie Finanzierung solcher Investitionen dreimal so hochgewesen sind, wie das heute auf dem Finanzmarkt derFall ist, ist es, finde ich, nur eine Frage der Gerechtigkeit,dies auch an die Mieterinnen und Mieter weiterzugeben .
Alles dies waren und sind wichtige Maßnahmen, umMieterinnen und Mieter besser zu schützen und um dort,wo es notwendig ist, etwa in den Großstädten – das istbeileibe nicht überall in Deutschland der Fall –, den ra-santen Anstieg der Mieten besser in den Griff zu bekom-men .Mit diesem Haushalt werden wir die Bundesmittel fürden sozialen Wohnungsbau auf 1,5 Milliarden Euro aus-weiten . Das ist ein wichtiger Schritt, um mehr Wohnun-gen zu schaffen. Aber ich meine, wir sollten das sozialeMietrecht nutzen, um für einen fairen Ausgleich zu sor-gen zwischen den Kapital- und Finanzinteressen – werinvestiert, hat Anspruch darauf, eine Rendite zu erhal-ten – und dem berechtigten Verlangen nach bezahlbaremWohnraum .Meine Damen und Herren, Rechtspolitik ist darüberhinaus aber auch Gesellschaftspolitik . Wir werden des-halb noch im Oktober einen Gesetzentwurf vorlegen,um Männer, die wegen einvernehmlicher homosexuellerHandlungen verurteilt worden sind, endlich zu rehabili-tieren .
Die Strafurteile sollen aufgehoben werden, und wir wol-len auch eine finanzielle Entschädigung verankern.Diese Männer wurden einzig und allein wegen ihrersexuellen Identität von der Justiz verfolgt und bestraft .Diese Verurteilungen sind aus heutiger Sicht ein Ver-stoß gegen die Menschenwürde und damit auch verfas-sungswidrig. Trotzdem müssen die Betroffenen bis heutemit diesem Strafmakel leben. Ich finde, es steht einemRechtsstaat gut zu Gesicht, diese Urteile endlich aufzu-heben .
Meine Damen und Herren, es steht in der Rechtspo-litik aber noch Weiteres auf dem Programm . Unser Vor-schlag für eine bessere Vermögensabschöpfung bei Straf-taten – das ist etwas, was ganz wesentlich dazu beitragenwird, organisierte Kriminalität effektiver zu bekämpfen –liegt dem Bundestag bereits vor . Den Entwurf für mehrMedienöffentlichkeit in den Gerichtssälen – zeitgemäßund sehr zurückhaltend – hat die Bundesregierung in derletzten Woche beschlossen .Wir werden noch weitere Themen in Angriff nehmenmüssen . Wir werden eine Reform der Strafprozessord-nung vorlegen, um die Verfahren noch effizienter zu ma-chen. Wir wollen mehr Möglichkeiten schaffen, ein Fahr-verbot als Sanktion zu verhängen . Wir werden ein Gesetzzur Unternehmensverantwortlichkeit im Ordnungswid-rigkeitenrecht vorlegen, weil wir meinen: Wenn auseinem Unternehmen heraus Rechtsverstöße begangenwerden, dann muss unser Recht auch angemessene Sank-tionen vorsehen, um so etwas zu ahnden .Meine Damen und Herren, auch in der Verbraucherpo-litik werden wir nicht nur mit neuen Gesetzen arbeiten .Eine Verbraucherpolitik, die nur auf staatliche Vorschrif-ten und Verbote setzt, würde der Selbstbestimmung derMenschen gerade dort nicht gerecht werden . Oft sindBundesminister Heiko Maas
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618366
(C)
(D)
eine bessere Information und Aufklärung viel wichtigerals der staatliche Zwang .Zu diesem Zweck haben wir die Marktwächter gestar-tet . Wenn es um die digitale Welt oder um die Finanzengeht, dann beobachten mittlerweile die Verbraucherzent-ralen das Marktgeschehen und können bei Fehlentwick-lungen rechtzeitig Alarm schlagen . Das ist eine wichtigeHilfe für Verbraucherinnen und Verbraucher, schlechteGeschäfte zu vermeiden und davor bewahrt zu werden .
Gerade die Verbraucherzentralen sind eine sehr wich-tige Institution, und sie werden auch in Zukunft nochwichtiger werden, um die Kunden auf Augenhöhe zuden Unternehmen, mit denen sie Verträge abschließen,zu bringen . Deshalb wollen wir auch die Verbraucher-zentralen künftig weiter stärken . Wir wollen das auch mitdiesem Haushalt tun und schlagen vor, dass die Verbrau-cherzentralen neue Projektdauerstellen für neue Aufga-ben bekommen .Meine Damen und Herren, unsere Gesellschaft wirdimmer älter . Das ist eine Herausforderung für alle Poli-tikbereiche sowie für den Verbraucherschutz im Pflege-bereich. Dieses Thema betrifft auch das Zivil- und dasStrafrecht . Wir wollen sicherstellen, dass Menschen, dieeinen Pflegevertrag abschließen, die beste Entscheidungfür sich oder ihre Angehörigen treffen können. Wie wol-len wir einen Beitrag dazu leisten? Wie sorgen wir dafür,dass verschiedene Angebote miteinander vergleichbarsind und die schwierige Situation, in der solche Verträgeabgeschlossen werden, nicht zum Nachteil der Verbrau-cher und der Pflegebedürftigen ausgenutzt wird? Dassind Fragen, die uns im Zivilrecht beschäftigen und beidenen wir ein Projekt der Verbraucherzentralen unterstüt-zen .Im Strafrecht geht es unter anderem um die Frage, wiewir verhindern – leider gibt es dafür immer mehr Bei-spiele –, dass alte Menschen Opfer von Gewalt werden –in Pflegeeinrichtungen, aber auch im häuslichen Umfeld.Auch hierzu sind wir mit den Kolleginnen und Kollegenin den Ressorts in guten Gesprächen . Beide Themen wer-den uns weiterhin stark beschäftigen. Alter und Pflege-bedürftigkeit machen Menschen verletzlich, aber geradedeshalb müssen wir Sicherheit und Selbstbestimmung indiesem Bereich ganz besonders schützen .Das sind nur einige Themen; es gibt noch viele weite-re, die auf unserer Agenda stehen. Wir schaffen das allesmit dem kleinsten Etat aller Bundesressorts – nicht nurmit dem kleinsten Etat, sondern auch mit einem Haus-halt, bei dem wir weniger ausgeben, aber mehr einneh-men, als es im Vorjahr der Fall war . Wir tragen damitunseren Teil zur Haushaltskonsolidierung bei .Herzlichen Dank .
Das Wort hat der Kollege Harald Petzold für die Frak-
tion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Die Debatte um den Einzelplan des Bun-desministers für Recht und Verbraucherschutz ist nienur eine Debatte um Einnahmen und Ausgaben . Sie isteigentlich immer auch eine Diskussion über grundsätz-liche Entwicklungslinien in der Rechts- und Verbrau-cherschutzpolitik, und ich finde, das ist auch notwendig,da zum einen von den Gesetzen, die in diesem Bereichverabschiedet werden, die Menschen in besonderer Wei-se betroffen sind, und zum anderen – das ist zumindestmeine Überzeugung – dieser Politikbereich zu jenengehört, in denen der Widerspruch zwischen Schein undSein, zwischen Anspruch und Wirklichkeit am deutlichs-ten auch nach außen sichtbar ist . Denn es vergeht meinerMeinung nach kaum eine Woche, in der der Bundesjus-tizminister Heiko Maas nicht wenigstens eine Ankündi-gung in die Welt setzt, mit der er den Eindruck erweckt,den Menschen doch Gutes tun zu wollen .Dies nützt möglicherweise seinem Image, und dieLeute denken: Mensch, was für ein dynamischer Ma-cher! Aber wenn man genauer hinschaut, sieht man: Esbringt den Menschen in diesem Land tatsächlich nur sel-ten Verbesserungen; denn in den meisten Fällen passiertdann bestenfalls gar nichts – wenn ich an das Verspre-chen der zeitnahen Abschaffung des sogenannten Majes-tätsbeleidigungsparagrafen denke, und dabei kann mannoch sagen: „Bestenfalls“ ist da gar nichts passiert; werweiß, was bei einem Gesetz herausgekommen wäre .Aber ganz oft kommen Gesetze dabei heraus, die entwe-der das Gegenteil der Ankündigung zur Konsequenz ha-ben – Stichwort „Vorratsdatenspeicherung“ –, oder aberes sind derart halbgewalkte Kompromisse, dass es mirmit den Gesetzen dann geht wie Clara Peller in der Wer-bung einer amerikanischen Fast-Food-Kette, die, über ei-nen übergroßen Hamburger gebeugt, ständig fragt: „Butwhere’s the beef?“
Erst in der vergangenen Woche kündigte der Ministervollmundig an, dass es mehr Rechtssicherheit beim so-genannten Scheinvaterregress geben soll . Das ist wahr-lich eine gesetzliche Regelung, auf die unsere Nationaufgrund ihrer Dringlichkeit seit Jahren förmlich mit an-gehaltenem Atem wartet . Der Minister beruft sich dabeiauf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts .Dieses hatte vor allem festgestellt, dass für einen soge-nannten Scheinvater, also einen sozialen Vater, der in derÜberzeugung lebt, auch der biologische Vater eines Kin-des zu sein, es aber möglicherweise nicht wirklich ist,dagegen oft aber der rechtliche Vater des Kindes, keinrechtlich ausdrücklich geregelter Auskunftsanspruchgegen die Mutter vorhanden wäre, zu erfahren, wer dermutmaßliche Vater ist .Bundesminister Heiko Maas
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18367
(C)
(D)
Aber anstatt nun das Unterhaltsrecht neu zu regeln,wofür es gute Gründe gäbe, legt Herr Minister Maaseinen Gesetzentwurf vor, der allen Ernstes vorschreibt,dass die Mutter eines Kindes künftig dazu verpflichtetsein soll – Frau Präsidentin, ich bitte Sie, mir das Zitierenzu gestatten –,dem Dritten, der dem Kind als Vater Unterhaltgewährt hat, auf Verlangen Auskunft darüber zuerteilen, wer ihr während der Empfängniszeit bei-gewohnt hat, soweit dies zur Feststellung des über-gegangenen Unterhaltsanspruchs erforderlich ist .
Ich frage mich ganz ernsthaft, Herr Minister – ichkann noch nicht wirklich glauben, was Sie da vorschla-gen –: Was hat Sie geritten, allen Ernstes zu verlangen,dass die Mutter eines Kindes künftig preisgeben soll, mitwem sie zwischen dem 300 . und dem 181 . Tag vor derGeburt eines Kindes Sex gehabt hat, und das, obwohldas Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung desBeschlusses im Leitsatz 1 eindeutig festgestellt hat – ichzitiere erneut –:Das aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Arti-kel 1 Absatz 1 GG folgende allgemeine Persönlich-keitsrecht schützt mit der Privat- und Intimsphäreauch das Recht, selbst darüber zu befinden, ob, inwelcher Form und wem Einblick in die Intimsphä-re und das eigene Geschlechtsleben gewährt wird .Dies umschließt das Recht, geschlechtliche Bezie-hungen zu einem bestimmten Partner nicht offenba-ren zu müssen .
Wie gesagt, das steht in Leitsatz 1 der Entscheidung desBundesverfassungsgerichtes .In Ihrer Pressemitteilung schreiben Sie dann, dass Sieeine Regelung schaffen würden, die einen Auskunfts-anspruch des Scheinvaters gegenüber der Mutter aufPreisgabe des Namens des mutmaßlichen leiblichen Va-ters des Kindes zur Folge hat . Das haben Sie aber nichtin das Gesetz geschrieben . Herausgekommen ist etwasvöllig anderes . Und das nenne ich „Irreführung der Öf-fentlichkeit“ oder „Vortäuschung falscher Tatsachen“ .Das ist leider in Ihrem Verantwortungsbereich die Re-gel . Mal davon abgesehen, dass in vergleichbaren um-gekehrten Fällen niemand auf die Idee kommen würde,einen Mann zu derartigen Offenlegungen zu zwingen, istdieser Gesetzentwurf ein typisches Beispiel für „Themaverfehlt“ vom Bundesministerium für Recht und Ver-braucherschutz . Es geht nämlich gar nicht mehr um dieVerbesserung der Rechtssituation von Betroffenen, hiervon Scheinvätern, sondern es geht um Aktionismus, derrechtsstaatliches Engagement vortäuscht und dabei ver-schleiern soll, dass mit unwürdigen Methoden in der Pri-vatsphäre von Menschen herumgeschnüffelt wird.
Die Liste ließe sich fortsetzen: große Ankündigungen,wenig Substanz, wenig Rückgrat, wenig bis kein Beef .Ich habe den Majestätsbeleidigungsparagrafen bereitsgenannt, die Vorratsdatenspeicherung könnte hinzuge-fügt werden . „Ich lehne sie entschieden ab“, „sie verstößtgegen das Recht auf Privatheit und Datenschutz“, undwas Sie sonst noch getwittert haben: Das Ergebnis istbekannt . Nach wie vor ist das Strafrecht sprachlich nichtvon NS-Normen befreit, wie Sie es versprochen haben .Zur groß angekündigten sogenannten Mietpreisbremsewird meine Kollegin Caren Lay nachher noch das Not-wendige sagen .Und so sehr ich mich über die Ankündigung freue,dass Sie die Opfer nach § 175 jetzt endlich entschädi-gen und rehabilitieren wollen, so wenig kann ich es Ih-nen ersparen, Ihnen immer wieder deutlich zu machen,dass das Versprechen, die Diskriminierung von gleich-geschlechtlichen Lebenspartnerschaften und Menschenaufgrund ihrer sexuellen Identität vollständig abschaffenzu wollen, nicht eingehalten wird, dass die Arbeit derBundesstiftung Magnus Hirschfeld nach wie vor auf un-sicheren Füßen steht und aufgrund der Lage auf den Fi-nanzmärkten fast völlig unmöglich wird, dass beim Per-sonenstandsrecht für intersexuelle Menschen, bei demSie evaluieren wollten, welche Verbesserungen durch dieÄnderung erzielt wurden, wo Sie schauen wollten, wieSie es gegebenenfalls ausbauen und dabei die besonde-re Situation von trans- und intersexuellen Menschen inden Fokus nehmen könnten, bis heute nichts umgesetztwurde .Wir haben keinen Opferentschädigungsfonds für dieWiedergutmachung von Menschen, die offensichtlichJustizopfer geworden sind . Wir haben keine Gesetze, diedie Menschen tatsächlich verstehen . TTIP und CETA, fürdie Sie sich besonders einsetzen, werden unsere Rechts-staatlichkeit weiter untergraben . Gegen all das tun Sienichts . Wenn Sie nicht als Ankündigungsminister in dieGeschichte eingehen wollen, dann ändern Sie endlichIhre Politik . Ein Umsteuern im Einzelplan 07 des Haus-haltsgesetzes wäre dazu ein guter Anfang .Danke schön .
Das Wort hat der Kollege Dr . Stephan Harbarth für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über dieQualität eines Haushalts entscheiden Zahlen . Die Zahlendieses Haushalts, vorgelegt unter einer unionsgeführtenBundesregierung, vorgelegt unter unserem Bundesfi-nanzminister Wolfgang Schäuble, sind wahrlich be-eindruckend . Wir haben im vierten Jahr in Folge einenausgeglichenen Haushalt . Das setzt Maßstäbe, auch imHinblick auf die Folgejahre .
Harald Petzold
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618368
(C)
(D)
Über die Qualität von Rechtspolitik entscheiden nichtZahlen, sondern Inhalte . Deshalb stehen heute auch In-halte im Mittelpunkt meiner rechtspolitischen Bestands-aufnahme . Was ist die zentrale Herausforderung derRechtspolitik im Jahre 2016? Es ist ohne jede Frage derUmgang unseres Staates, unseres Rechtsstaates mit derBedrohung durch den islamistischen Terrorismus, dernicht nur Deutschland, sondern Europa insgesamt mitseinen Vorstellungen von gesellschaftlicher Freiheit fun-damental herausfordert . Unsere Demokratie ist seit jehereine wehrhafte Demokratie . Deshalb gilt heute mehrdenn je: Wer gegen unsere freiheitlich-demokratischeGrundordnung arbeitet, wer die Grundrechte als Deck-mantel für den Kampf gegen Freiheit und Rechtsstaatmissbraucht, der wird mit allen Mitteln dieses Rechts-staats konfrontiert und bekämpft . Dies war seit jeher dieLinie von CDU und CSU, und dies setzen wir auch in derheutigen Zeit mit aller Konsequenz durch .
Für uns ist klar: Ohne Sicherheit ist Freiheit undenk-bar . Sicherheit ist dabei nicht lediglich die Abwesenheitvon existenzieller Gefahr . Vielmehr dreht sich die Sicher-heit, die wir schützen, die wir stärken wollen, auch umdas Gefühl der Unbeschwertheit, um die Gewissheit, inDeutschland in einem sicheren und guten Land zu leben .Wir meinen deshalb, wenn wir über innere Sicherheit,wenn wir über Freiheit und Sicherheit sprechen, auch dennervösen Blick über die Schulter, wenn jemand nachtsdurch einen Park läuft, das ungute Gefühl, das eine Fami-lie bei einem Aufenthalt in einem Kaufhaus beschleichenmag, oder die Sorge, ob die Wohnung ausreichend ver-schlossen ist, wenn wir in den Urlaub fahren .Wir haben in der Frage, wie wir Sicherheit in diesemLand gewährleisten, ganz unterschiedliche Auffassun-gen. Die Linkspartei ist der Auffassung: Wir gewähr-leisten Sicherheit, indem wir die Nachrichtendiensteabschaffen. Die Grünen sind der Auffassung: Wir ge-währleisten Sicherheit, indem wir alle Maßnahmen, dieauf mehr Sicherheit abzielen, ablehnen und bekämpfen .
Für uns als Union ist das Verständnis klar: Uns geht esdarum, dass wir einen starken Staat, einen handlungsfä-higen Staat haben zum Schutz der Schwachen unsererGesellschaft, völlig egal, ob das die Opfer von islamisti-schem Terror sind oder Flüchtlinge, gegen die der brauneMob wütet .
Wir haben in dieser Legislaturperiode viel erreicht,damit wir in Deutschland frei und sicher leben können .Ja, Deutschland ist eines der sichersten Länder über-haupt . Dennoch nehmen die Bedrohungen zu, und des-halb brauchen wir weitere Maßnahmen . Was sind dieSchlüssel für mehr Sicherheit in Deutschland? Es istein Dreiklang: mehr Polizisten, bessere Ausrüstung undbessere gesetzliche Möglichkeiten . Die besseren gesetz-lichen Möglichkeiten zu schaffen, ist eine Kernaufgabeder Rechtspolitik . Hier haben wir in dieser Legislaturpe-riode viel erreicht .Wir haben allein im Kernbereich der inneren Sicher-heit mehr als ein halbes Dutzend Gesetze verabschiedet .Die Opposition hat in jedem dieser Gesetze nur einenAnschlag auf die Freiheitsrechte der Bürger erkennenwollen und gegen jede einzelne Maßnahme gestimmt .Wir haben das Reisen in terroristischer Absicht unterStrafe gestellt – die Opposition war dagegen . Wir habendas Terrorismusbekämpfungsgesetz verlängert – die Op-position war dagegen . Wir haben für einen besseren In-formationsaustausch unter den europäischen Sicherheits-behörden gesorgt – die Opposition war dagegen .
Wer so handelt wie die Opposition, wird seiner Verant-wortung für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürgerin Deutschland gewiss nicht gerecht .
Die Terroristen werden leider immer besser, perfek-tionieren ihre Strukturen, werden enthemmter und radi-kaler . Darauf muss der Rechtsstaat immer wieder Ant-worten finden, und er muss mit Vernunft, Augenmaß undVerantwortung dort nachjustieren, wo dies nötig undmöglich ist . Da hilft keine Vogel-Strauß-Taktik – einfachnur den Kopf in den Sand zu stecken und sonst nichtszu tun, bringt unser Land nicht weiter . Insofern brauchenwir weitere gesetzliche Verbesserungen . Ich will Ihnendies an wenigen Beispielen deutlich machen .Für uns als Union ist klar: Terrorwerbung ist keinGrundrecht, sondern strafwürdig . Wer für Terrorvereini-gungen oder andere extremistische Organisationen Sym-pathie äußert und für sie wirbt, muss bestraft werden . Umpotenzielle Anhänger gerade auch in unserem Land an-zusprechen, sind Terrororganisationen zunehmend auchauf Twitter, auf Facebook, auf Instagram und andernortsaktiv . Die Werbung für solche Organisationen ist mitunserer Werteordnung so absolut unvereinbar, dass sieaus sich heraus strafbar sein muss, auch ohne kompli-zierte vereinsrechtliche Verbote . Dies gilt nicht nur fürislamistischen Terror, sondern auch für rechtsextremis-tische Gruppen, die über das Internet Werbung für ihreunseligen Positionen machen . Insofern möchten wir Sie,Herr Bundesminister Maas, bitten, in diesem Punkt Ihreablehnende Haltung noch einmal zu überdenken, damitwir zu einer besseren Regelung kommen .
Ich nenne andere Bereiche, etwa die Ermittlungsmög-lichkeiten unserer Sicherheitsbehörden im digitalen Be-reich, ich nenne auch den Verlust der Staatsbürgerschaftbei Doppelstaatern, wenn diese im Ausland für eine Ter-rororganisation kämpfen und sich von unserer Werteord-nung fundamental und abschließend verabschieden . HerrBundesinnenminister Thomas de Maizière hat im Augusteine ganze Reihe von fachlich gebotenen Vorschlägengemacht, die für unseren Koalitionspartner politisch zu-mutbar sein sollten – sie überfordern niemanden .Wir müssen – neben diesen gesetzlichen Maßnah-men – in der Rechtspolitik auch die richtigen Signaleaussenden, was den Stellenwert der Polizistinnen undDr. Stephan Harbarth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18369
(C)
(D)
Polizisten anbelangt, die mit ihrer hervorragenden Arbeitund ihrem großen Einsatz entscheidend zur inneren Si-cherheit in Deutschland beitragen . Dies beginnt mit demRespekt, den wir ihnen entgegenbringen .
Dies gilt auch – ich muss es leider ansprechen – für dieFrage, wie die Vorsitzende des Rechtsausschusses sichüber Polizisten äußert . Im Anschluss an die schlimme Tatin Würzburg galt ihre Sorge dem Täter, der mit einer Axtdurch den Regionalzug lief, um möglichst viele Men-schen zu töten oder zu verletzen .
Ihre erste vorwurfsvolle Frage war, ob die Polizei denTäter nicht lediglich angriffsunfähig hätte machen kön-nen, statt ihn in einer Nothilfesituation zu erschießen . Ichglaube, wir tun als Politiker gut daran, wenn wir nicht nuraus unseren gewärmten Sesseln heraus solche Materienbeurteilen,
sondern uns einmal einen Moment in die Situation ei-ner Polizistin oder eines Polizisten hineinversetzen, derim Bruchteil einer Sekunde eine solche Entscheidung zutreffen hat.
Die Polizei hat Anspruch auf die Solidarität der Politikauch dann, wenn es ernst wird . Unsere Polizistinnen undPolizisten, die uns und unsere Gesellschaft jeden Tag mitMut und Courage und unter Inkaufnahme persönlicherRisiken für ihr Leben, für ihre Gesundheit schützen, ver-dienen Rückhalt statt unterschwelliger Unterstellungen .Ich möchte Ihnen, Herr Bundesjustizminister, sagen,dass es unsere Fraktion in der Sommerpause irritiert hat,wie Sie oder Ihr Team Lob für eine Musikband ausge-sprochen haben, die sich ansonsten durch Hass auf undAblehnung von Polizisten auszeichnet . Sie haben dassehr schnell korrigiert . Das war aus unserer Sicht richtigund auch deshalb wichtig, weil wir in der Großen Koa-lition gemeinsam seit vielen Jahren viel für den Stellen-wert der Polizistinnen und Polizisten in unserem Landtun . Wir müssen aber auch in diesem Bereich noch ein-mal zu gesetzlichen Verbesserungen kommen .Wir beobachten seit Jahren mit großer Sorge, wie sichunsere Einsatzkräfte – das gilt nicht nur für die Polizei,das gilt auch für das Rote Kreuz, das gilt für die Feuer-wehr – einer wachsenden Welle der Gewalt ausgesetztsehen . Die Union hat hier klare Vorstellungen, wie mandie Einsatzkräfte auch durch Änderungen im Strafrechtbesser schützt . Wir möchten Sie und auch die Kollegin-nen und Kollegen der SPD sehr herzlich bitten, in denverbleibenden Monaten der Legislaturperiode mit unsgemeinsam an einem Strang zu ziehen . Die Polizei hättees wahrlich verdient .Lassen Sie mich kurz zwei andere Themen anspre-chen, die für die Rechtspolitik des Jahres 2016 vongroßer Bedeutung waren oder sind . Auf die Reform desSexualstrafrechts, die wir vor wenigen Wochen beschlos-sen haben, können wir stolz sein . Der Referentenentwurfdes Bundesjustizministeriums war noch relativ weit voneinem modernen Sexualstrafrecht entfernt . Dass wir einsolches gemeinsam umsetzen konnten, ist in besonde-rer Weise das Verdienst der Kolleginnen aus den beidenFraktionen von CDU/CSU und SPD . Ihnen gilt dafürmein herzlicher Dank .
Noch nicht gelöst haben wir die Frage, wie wir inDeutschland mit Kinderehen umgehen . Wir müssen da-von ausgehen, dass es in Deutschland über 1 000 verhei-ratete minderjährige Mädchen gibt, denen das Recht aufSelbstbestimmung und das Recht, über ihren Ehepartnerselbst zu entscheiden, vorenthalten wird, und dies kannunsere Rechtsordnung nicht hinnehmen . Wir als Unionhaben deshalb schon Anfang August erste Vorschlägeunterbreitet . Wir haben in der vergangenen Woche einEckpunktepapier beschlossen . Sie haben im Bundesjus-tizministerium eine Expertenkommission etabliert, die indieser Woche zusammengekommen ist . Wir haben gegeneine solche Arbeitsgruppe keine Einwendungen, aberwir haben die Sorge, dass die Arbeit nicht schnell genuggeht . Für uns ist es wichtig, dass wir zügig zu Lösungenkommen im Sinne dessen, was wir vorgeschlagen haben .Denn wir sind der festen Überzeugung: Ein zwölfjähri-ges Mädchen gehört nicht in die Ehe, es gehört in dieSchule . Für ein zwölfjähriges Mädchen, das in einer ihmaufgezwungenen Ehe gefangen ist, ist jeder Tag in dieserEhe ein Tag zu viel . Deshalb sollten wir als Fraktionenvon CDU/CSU und SPD zusehen, dass wir gemeinsamrasch zu einer Lösung kommen .
Wir sollten dies auch deshalb tun, weil wir anhand diesesBeispiels die Frage, nach welchen Spielregeln wir un-sere Gesellschaft organisieren, konkret zu beantwortenhaben . Organisieren wir unsere Gesellschaft nach denSpielregeln, die wir hier haben, oder nach den Spielre-geln, die jedermann in unser Land mitbringen kann? Un-sere Antwort als Union ist klar: Wir wollen, dass Integra-tion stattfindet auf Basis unserer Werteordnung, auf Basisdes Grundgesetzes . Das wird in diesem Fall sehr konkret .Wir sind der Auffassung – Sie haben es angesprochen,Herr Bundesjustizminister, und ich teile Ihre Einschät-zung –: In der Rechtspolitik geht es auch immer um Ge-sellschaftspolitik . Deshalb ist es wichtig, dass wir überdie Frage diskutieren und entscheiden, wie wir mit Män-nern umgehen, die aufgrund ihrer Homosexualität ver-folgt und verurteilt wurden. Ich bin aber auch der Auffas-sung, dass wir Gesellschaftspolitik nicht auf diese Fragereduzieren können . Es geht in der Gesellschaftspolitikund deshalb auch in der Rechtspolitik um die Frage, wiewir mit den großen Herausforderungen der Integrationumgehen .Es ist heute vielfach zu Recht gesagt worden: Die Bur-ka ist keine Frage der inneren Sicherheit, die Burka isteine Frage der Integration, der Werteordnung . Ich wür-de mir wünschen, dass wir uns auch in der Rechtspolitikund im Bundesjustizministerium der Verantwortung, dieDr. Stephan Harbarth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618370
(C)
(D)
Frage der Integration auch im Rahmen der Gesellschafts-politik zu beantworten, verstärkt stellen . Ich glaube, dannhaben wir die Chance, gemeinsam einiges erfolgreichhinzubekommen . Wir als Union stehen dafür gerne be-reit .Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Mi-nister Maas, Sie haben Ihre Rede beendet mit dem Satz:„Wir schaffen das alles mit dem kleinsten Etat“. Ich glau-be, es ist klar, dass wir in der Haushaltsdebatte immerüber zwei Ebenen sprechen, zum einen über den Etat imengsten Sinne und zum anderen darüber, was in diesemFeld materiell getan worden ist und was für die nächsteZeit vorbereitet wird . Herr Minister Maas, ich will Ih-nen eines sagen: Ich glaube, dass Sie in den vergangenendrei Jahren viel öffentlichen Erfolg hatten. Respekt, dashaben Sie gut gemacht! Wahrscheinlich war kaum einer,außer der Kanzlerin, so oft in der Presse; aber das ist fürmeine Begriffe noch lange nicht identisch mit seriöser,guter und liberaler Justiz- und Verbraucherpolitik .
Sie haben in die Gesetzgebungsverfahren einen Mei-lenstein eingeführt, den viele von uns noch gar nichtkannten: Vor dem Referentenentwurf wird ein Eckpunk-tepapier vorgelegt, mit dem suggeriert wird, der Inhaltwürde schon nächste Woche im Bundesgesetzblatt ste-hen . Wir führen im Ausschuss sogar schon Anhörungenzu Eckpunktepapieren durch, und zwar in der Hoffnung,dass später nicht noch eine Anhörung kommt . Sie entfal-ten damit eine gewisse mediale Wucht . Das ist eine ArtÖffentlichkeitsarbeit; daraus ist aber noch keine liberaleRechtspolitik hervorgegangen, daraus ist noch nicht Re-alität geworden . Es geht nicht um das Ankündigen vonGesetzen, sondern darum, dass sich real etwas ändert,dass neue Regeln gelten . Ich will ein paar Beispiele nen-nen, bei denen mir das einfach zu wenig ist:Es geht um Schutz und Respekt vor Menschen . Siehaben mit einer gewissen Wucht eine Facebook-Initia-tive gestartet: Den Hass stoppen . – Das wollen wir hiereigentlich alle, denke ich . Aber was ist diesbezüglichpassiert? Es muss ja dringend etwas passieren . Vielleichthalten wir diese Shitstorms von AfD-, Pegida- und an-deren Leuten aus . Aber wie sollen andere Menschen, diesich irgendwo ehrenamtlich engagieren, zum Beispiel fürFlüchtlinge, das aushalten? Da war viel PR, aber es istgar nichts passiert . Zumindest erhalte ich auf mein mo-natelanges Nachfragen bei Facebook, ob ich in das Büro,in dem diese Kontrollen durchgeführt werden, gehenkönne, bis heute ein Nein . Auch wenn ich bei Facebookreinschaue, habe ich das Gefühl, dass nicht viel passiertist . Das sind alles nur Ankündigungen .Schauen wir uns die Mietpreisbremse an, die der Kol-lege Petzold hier schon angesprochen hat . Das war eineIdee der Grünen und des Mieterbundes . Sie haben da-raus im gemeinsamen Vorgehen mit der CDU, speziellmit Herrn Luczak – ich denke, die ganze CDU steht da-hinter –, ein untaugliches Gesetz gemacht . Ich sage esIhnen ganz ehrlich: Den Änderungsantrag, in dem wiralle Fehler, die wir schon identifiziert hatten, aufgeführthaben, haben Sie damals mit Verve abgewiesen . Sie ha-ben gesagt: „Nein, das ist ein gutes Gesetz; ab sofort gibtes bezahlbare Mieten“, und uns ein bisschen gedisst . Siehaben sogar in einem Interview mit der Neuen Juristi-schen Wochenzeitung, Ausgabe vom 2 . September 2016,noch gesagt:Warten wir doch erst einmal ab, wie sich die Miet-preisbremse entwickelt .Es folgt aber, weil Wahlkampf ist, sogleich eine an-dere Initiative nach dem Motto: Ich, Herr Maas, bin derEinzige, der bereit ist, hier Änderungen vorzunehmen . –Ich hoffe, das ist nicht wieder nur eine Eintagsfliege, nureine Ankündigung. Ich hatte gehofft, dass Sie die CDUan dieser Stelle zum sozialen Handeln bewegen . Es wäregut gewesen, wenn Sie die Geschichte schon vor einemJahr zu Ende ausgefochten hätten .
Ein Werkzeug, das keiner benutzen kann – ich habe alsMieter kein Auskunftsrecht, kann die Rüge also nichtformulieren –, macht keinen Sinn .Mir fehlt der rote Faden in Ihrer Rechtspolitik . DieVorratsdatenspeicherung bezeichneten Sie zunächst alsgrundrechtswidrig, aber dann haben Sie doch mitge-macht . Bei TTIP und CETA frage ich mich: Wo sind Sieeigentlich? Hier wird Ordnungspolitik, die Aufgabe derParlamente und der Exekutive ist, durch Handelsverein-barungen ersetzt .
So ist es doch in Wahrheit . Lesen Sie einmal, was HerrGrillo dazu noch letzte Woche gesagt hat . Er hat gesagt:Wir können die ganze Welt mit unseren Werten beglü-cken . – Das macht man doch nicht mittels bilateralerHandelsabkommen zwischen den USA bzw . Kanada undEuropa . Das ist nicht demokratisch . Das ist auch materi-ell bezüglich der Verbraucherrechte nicht demokratisch .Was ist diesbezüglich eigentlich Ihre Position?
– Nein, das hat gar nichts mit „antieuropäisch“ zu tun . Ichglaube, ich bin im Zweifelsfall europäischer als Sie . DasVorsorgeprinzip – Transparenz demokratischer Entschei-dungsprozesse und Transparenz für die Kunden – musshochgehalten werden . Das tun TTIP und CETA nicht . Dalassen wir uns nicht hinter die Fichte führen .
Dr. Stephan Harbarth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18371
(C)
(D)
Es geht um einen Straftatbestand nach dem anderen,zum Beispiel um das Doping . Bei all den Millionen bisMilliarden, die da fließen, sollen wir jetzt für die Integri-tät des Sportes noch die knappen Ressourcen von Polizei,Staatsanwaltschaften usw . nutzen . Es gibt immer mehrIdeen, zum Beispiel beim Einbruchdiebstahl, Strafen fürVerbrechen zu erhöhen, um Zugang zu Ermittlungsme-thoden zu haben . Wir bitten Sie, Herr Minister: ErhebenSie das Wort an dieser Stelle! Stehen Sie für eine gewisserechtliche Liberalität, und schützen Sie die Grundrechte!
Wir müssen an dieser Stelle auch darauf hinweisen,dass Sie im Verbraucherbereich über viel gesprochen,aber wenig umgesetzt haben . Wissen Sie, es ist gut, dasswir die Marktwächter und die Sachverständigenräte ha-ben . Aber wir müssen zum Beispiel auch die Dispozin-sen regeln . Die Stiftung Warentest spricht von fehlendennennenswerten Auswirkungen für die Kunden . Das Ver-bandsklagerecht hat viel zu viele und viel zu hohe Hür-den . Zur Umsetzung der CSR-Richtlinie sage ich: Im Re-ferentenentwurf ist bisher alles Wischiwaschi, und es giltnur für wenige Unternehmen . Wie soll sich der Kundedenn da informieren? Musterfeststellungsklagen werdenangeboten . Wir haben immer gesagt, dass es an der Stel-le eine Sammelklage geben muss . Was, wenn nicht derVW-Skandal, hat uns dies deutlich gemacht?Manchmal denke ich, Ihre Ankündigungen, HerrMaas, verschwinden in schwarzen Löchern in IhremMinisterium . Da wird ja gemeinhin Materie aufgesogen .Sie haben sich auch zu vielen anderen Dingen nicht ge-äußert, bei denen wir die Stimme eines Verbrauchermi-nisters, der Sie nun einmal auch sind, erwarten würden .Zum Beispiel sollten Sie etwas zum Bereich Bekleidungsagen . Verbraucher und Kunden sind Wirtschaftsteilneh-mer, die mit Rechten ausgestattet sind . Herr Maas, wokämpfen Sie dafür?
Frau Kollegin .
Ich sage Ihnen – Schlusssatz –: In Zeiten von
Leutheusser-Schnarrenberger, Herta Däubler-Gmelin
oder Hans-Jochen Vogel war mehr Liberalität . Ich bitte
Sie: Erheben Sie die Stimme für das Recht! Ich bin si-
cher, man darf – das erlaubt auch die Polizei – 24 Stun-
den am Tag die Stimme erheben . Ein Minister der Justiz
wird nicht an der Anzahl seiner Gesetzentwürfe gemes-
sen, sondern an ihrer Qualität . Ihr Motto sollte heißen:
Klasse statt Masse .
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dennis Rohde
das Wort .
Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! In den letzten Haushaltsverhandlungenmussten wir viel und intensiv über das Deutsche Patent-und Markenamt sprechen . Dazu ist heute noch nichts ge-sagt worden, und ich finde es gut, dass wir nicht mehrdarüber reden müssen . Wir haben viel getan . Wir habeneine hohe Zahl zusätzlicher Patentprüfer eingestellt .Wenn wir uns den Haushalt heute genauer ansehen, dannsehen wir, dass die Anzahl der Anträge weiterhin steigt .Deutschland bleibt das Land der Innovationen . Auch dieEinnahmen steigen . Dies stelle ich an den Beginn meinerHaushaltsrede, weil die Einnahmen, die wir im DPMAerzielen, dafür sorgen, dass die Deckungsquote im Justiz-haushalt mittlerweile bei 74 Prozent liegt, und uns Spiel-räume für andere Dinge schaffen.Ich bin froh, dass sich – der Justizminister hat es ge-rade gesagt – das Finanzministerium und das Justizmi-nisterium bereits im Vorfeld auf eine Stärkung der Gene-ralbundesanwaltschaft verständigen konnten . Wir redenviel über innere Sicherheit, aber oft unter der Maßgabeder Polizei . Wie Heiko Maas gerade gesagt hat: Am Endegeht es auch um die Justiz . Es reicht nicht aus, nur überdie Polizei zu sprechen . Wir müssen auch die Justiz stär-ken, damit die Sprache des Rechtsstaates deutlich wird:Wer sich nicht an Recht und Gesetz hält, der muss zwei-fellos wissen, dass er verfolgt und am Ende für seineStraftat haftbar gemacht wird . Dafür setzen wir uns auchin diesen Haushaltsverhandlungen ein .
Dass Strafverfolgung auch fehllaufen kann, habenwir hier heute schon thematisiert . Ich bin froh, dass derMinister noch einmal angekündigt hat, dass wir eineRegelung für diejenigen finden müssen, die nach § 175StGB verurteilt wurden. Ich finde, das ist ein Beispielfür einen strafrechtlichen Unrechtstatbestand, den wir imGesetz hatten . Eine Strafe für einvernehmliche gleichge-schlechtliche sexuelle Handlungen – die Urteile geltenbis heute – ist für einen Rechtsstaat völlig inakzeptabel .Ich bin froh, dass wir das Thema angehen und dass wirdiese Menschen endlich rehabilitieren . Dies geschieht ei-gentlich viel zu spät . Wir sind gerne bereit, das auch inden Haushaltsverhandlungen zu flankieren.Wenn wir schon bei dem Thema sind, vielleicht nocheinen Satz, der auch dazu gehört: Wir als SPD würdenuns wünschen, dass die große Mehrheit, die es, glaubeich, über alle Fraktionen hier im Hause dazu gibt, endlichgenutzt wird, um Schluss zu machen mit der Diskrimi-nierung von sich liebenden Menschen und sich für dieEhe zu öffnen. Das müssen wir endlich angehen. Ich fin-de, es ist nicht mehr ertragbar, dass wir hier immer nochkeine Regelung gefunden haben .
Renate Künast
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618372
(C)
(D)
Wir haben beim Verbraucherschutz einen Paradig-menwechsel eingeleitet: von einer reagierenden hin zueiner agierenden Verbraucherpolitik, die die Problemeim Vorfeld erkennt, bevor sie skandalisiert werden . Umdieses Thema anzugehen, haben wir die Marktwächterauf den Weg gebracht; sie sind heute schon angesprochenworden. Ich finde, die Zwischenbilanz der Marktwäch-ter kann sich sehen lassen . Seit März 2015 gab es 6 800auffällige Verbraucherbeschwerden. Es wurden in zwölfFällen rechtliche Schritte eingeleitet, es wurden sechsVerbraucherwarnungen ausgesprochen, und es wurdensiebenmal umfassende Untersuchungen, zum Beispielbei Graumarktprodukten im Lebensversicherungsbereichoder bei Vergleichsportalen, auf den Weg gebracht . DieMarktwächter führen dazu, dass Verbraucher früher undumfassender informiert werden . Die Marktwächter sindheute schon eine Erfolgsgeschichte . Ich würde mir wün-schen, dass wir sie auf weitere Bereiche ausdehnen .
Ein Thema, das die Verbraucherpolitik, aber gleich-zeitig auch die Sozialpolitik betrifft, ist schon mehrfachangesprochen worden, und zwar das Mietrecht . Ich binimmer noch der festen Überzeugung: Gute mietrechtli-che Regelungen sind auch Sozialpolitik . Im Kern gehtes doch um die Frage: Können Menschen in ihrer Hei-mat wohnen bleiben, oder werden Städte, die heute füralle offen sind, nur noch zu einem Ort für Wohlsituierte,während die arbeitende Mitte der Gesellschaft außen vorbleibt? Wenn wir heute feststellen müssen – wir haben jaschon direkt vor der Sommerpause darüber gesprochen –,dass die Gesetze, die wir auf den Weg gebracht haben,um Mieterinnen und Mieter zu schützen, nicht so greifen,wie wir es uns wünschen würden, dann – das möchte ichhier noch einmal für die SPD-Fraktion deutlich machen –müssen wir die Gesetze nachschärfen; denn es geht ummehr als nur um das Mietrecht . Es geht um eine sozialeKernfrage . Wir müssen uns diesen Fragen stellen, liebeKolleginnen und Kollegen .
Der Einzelplan 07 hat eine enorme Tragweite . Wir re-den über das Patentwesen, über die Sicherheitslage, überdie Herausforderungen für die Justiz, über die Freiheitder sexuellen Selbstbestimmung, über Marktwächter,über das Mietrecht und damit letztlich auch über Sozi-alpolitik . Das ist eine Riesenspannbreite . Vor uns liegenspannende Verhandlungen . Ich möchte für die SPD an-kündigen: Wir werden versuchen, in den gerade von mirskizzierten Themenbereichen die bestmöglichen Ergeb-nisse für die Menschen in unserem Land zu erzielen .Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion
Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Verbraucherschutz war noch nie eine Herzens-angelegenheit dieser Koalition . Deswegen ist Ihnen derVerbraucherschutz leider auch nicht viel wert . Schauenwir in den Haushalt: In diesem Jahr setzen Sie noch einsdrauf . Im letzten Jahr gab es immerhin noch 46 Millio-nen Euro . Dieses Jahr sind es gerade einmal 37 MillionenEuro, die diese Bundesregierung für den Verbraucher-schutz ausgeben will . Das ist gerade einmal ein Siebtelder Summe, die der Wirtschaftsminister auf Kosten derVerbraucherinnen und Verbraucher einstreicht; denn dasGeld für die Kartellstrafen, das Unternehmen zahlenmüssen, wenn sie auf Kosten der Verbraucherinnen undVerbraucher illegale Preisabsprachen getroffen haben,bekommen die Verbraucherinnen und Verbraucher kei-neswegs zurück . Nein, es versackt im Haushalt des Wirt-schaftsministers . Wir sagen: Wenn dieses Geld in denVerbraucherhaushalt fließen würde und es somit wenigs-tens indirekt den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu-gutekäme, dann wäre das ein erster Schritt .
Noch schlimmer ist, dass sich die finanzielle Gering-schätzung des Verbraucherschutzes auch in Ihrer Politikniederschlägt, auch da, wo es nichts kosten würde . ZuAbzocke durch Telefonwerbung kommt es weiterhin .Unseriöse Inkassodienste dürfen weiter überzogene Ge-bühren einstreichen . Auch von einer Verbesserung derKlagerechte, die Ihr Ministerium nach dem Betrug vonTausenden Autofahrern durch VW angekündigt hat, fehltjede Spur . Die geprellten Verbraucher in den USA erhal-ten Schadensersatz; in Deutschland stehen sie weiterhinim Regen . Sie fühlen sich als Kunden zweiter Klasse .Das ist wirklich nicht hinnehmbar .
Diese Koalition macht nicht nur keine gute Verbraucher-politik; sie macht gar keine Verbraucherpolitik . Das kön-nen wir nicht akzeptieren .
Dinge vollmundig ankündigen, die nachher nichtkommen, das kennen wir auch von Ihrer Politik für Mie-terinnen und Mieter . Das ist besonders dramatisch; denndie Mietenexplosion treibt nicht nur die armen Menschenaus den Innenstädten, sondern führt inzwischen auch zurVerarmung der städtischen Mittelschichten . Die Miet-preisbremse wirkt leider nicht so, wie sie soll . Das zeigenalle Studien; Sie selbst haben eine davon zitiert . Selbsthier in Berlin, dort, wo die Mietpreisbremse eingeführtwurde, gibt es Mietsteigerungen von 17 Prozent in nureinem einzigen Jahr .Ich weiß, dass viele der Fehler in diesem vermurkstenGesetz von der CDU durchgesetzt wurden . Wirklich dra-matisch finde ich aber, dass nicht nur ich, sondern auchalle anderen Rednerinnen und Redner der Opposition hiervor eineinhalb Jahren im Vorfeld der Beschlussfassunggesagt haben, dass dieses Gesetz so nicht funktionierenwird, und Sie all unseren Argumenten mit einer unglaub-lichen Arroganz begegnet sind . Sie haben mir persönlichund Frau Künast vorgeworfen, wir wären frustriert undDennis Rohde
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18373
(C)
(D)
hätten selber kein besseres Gesetz gemacht . Falsch, HerrMaas! Das, was wir als Linke damals kritisiert haben,ist leider eingetreten . Hätten Sie damals nicht alle unse-re Warnungen in den Wind geschlagen, dann würden dieMieterinnen und Mieter Ihnen das heute danken .
Sie haben damals gesagt – Zitat –, das wirklichschrägste Argument sei, dass die Mietpreisbremse um-gangen werden wird . Man muss nur einmal die Süddeut-sche Zeitung vom letzten Wochenende aufschlagen . EineÜberschrift lautete: „Vermieter umgehen Preisbremsemit möblierten Wohnungen“ . Das ist übrigens nur einevon vielen Ideen, die die Vermieter entwickelt haben, umdie Mietpreisbremse zu umgehen . In diesem Fall stellensie einfach ein paar Möbel in die Wohnung .Die SPD-Fraktion hat jetzt gefordert, die Mietpreis-bremse nachzubessern . Sie haben sich vorhin und auchin der Presse offen dafür gezeigt, Ihr eigenes vermurkstesGesetz nachzubessern . Das alles geschah zufällig zweiWochen vor den Wahlen in Berlin . Glauben Sie eigent-lich ernsthaft, dass das den Bürgerinnen und Bürgernnicht auffällt?
Das gilt genauso für die Bundesratsinitiative aus Berlin .Das ist ja schön und gut, aber im Bundesrat wurde sie indie Ausschüsse verwiesen; böse Geister sagen: Sie wurdeversenkt . Hauptsache, es hat in allen Zeitungen gestan-den!Ich sehe, ehrlich gesagt, auch keinerlei Anzeichen da-für, dass Ihr Koalitionspartner, die CDU/CSU, bereit ist,Ihnen hier irgendwo entgegenzukommen . Ich habe heutehier noch nichts von „Mietern“ gehört; es wurde nur überso weltbewegende Sachen wie das Burkaverbot disku-tiert . Das ist doch gerade das Kernproblem: Die CDU/CSU macht keine Politik für Mieterinnen und Mieter,sondern Politik für Kapitalanleger . Das muss sich end-lich ändern .
Es soll nun auch mehr Auskunftsrechte für Mieter ge-ben . Das alles ist schön und gut, einmal abgesehen da-von, dass Sie bei Ihrer ersten Rede darüber vor andert-halb Jahren gesagt haben, die Auskunftsrechte würdenausreichen . Ich habe das extra noch einmal nachgelesen .Auch damit wälzt man die Verantwortung am Ende aufdie Mieterinnen und Mieter ab . Ich sage ganz klar: Wenndiese sogenannte Mietpreisbremse wirken soll, dannmüssen Sie die Löcher stopfen, dann müssen Sie endlichall die Ausnahmen abschaffen. Nur dann kann die Miet-preisbremse wirken .
Auch die Verbesserung der Mieterrechte künden Sie,ehrlich gesagt, seit November letzten Jahres an . Vorhinhaben Sie das schon wieder getan . Seitdem rennt dieCDU/CSU aber Sturm dagegen . Zur Strafe blockiert dieSPD ein Gesetz aus dem Hause Schäuble, ein zugege-benermaßen sinnloses Gesetz, mit dem der Neubau vonMietwohnungen steuerlich beschenkt werden sollte .Kein Mensch weiß, ob auch nur eines dieser Gesetze je-mals das Licht der Welt erblicken wird . Ich fürchte: lei-der nein .Meine Damen und Herren, die Leidtragenden diesesKoalitionsknatsches sind die Mieterinnen und Mieter .Die Spekulanten können weiter ungestört die Lückenim Mietrecht nutzen . Sie modernisieren am Ende näm-lich nicht die Wohnungen, sondern sanieren ihre eigenenKonten. Ich finde das völlig unakzeptabel.
Kollegin Lay, Sie müssen zum Schluss kommen .
Ich komme zum Schluss . – Herr Minister Maas hat
eine gute Presseabteilung, aber leider nur wenig Durch-
setzungskraft . Das kommt mir bekannt vor . Ihre Vorgän-
gerin, Verbraucherministerin Aigner, hatte sich den Titel
„Ankündigungsministerin“ redlich verdient . Ich erlaube
mir, auch Ihnen diesen Titel heute feierlich zu überrei-
chen .
Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Mechthild Heil für die
CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Mit 735 Millionen Euro ist der Etat des Minis-teriums der Justiz und für Verbraucherschutz mit Abstandder kleinste, und, Frau Lay, da haben Sie vollkommenrecht: Der Etat ist gegenüber dem Jahr 2016 sogar um10 Millionen Euro gesunken . Sie sagen, das sei ein Dra-ma . Bei Ihnen gilt ja: immer mehr, immer größer, immerweiter – Hauptsache, viel Geld ausgeben . Für uns ist dasüberhaupt kein Drama; denn wir wissen: Geld ist nichtdas Wichtigste . Verbesserungen für Verbraucher undVerbraucherinnen erreicht man auf unterschiedlichenWegen . Wir haben in den letzten drei Jahren in vielen Be-reichen gezeigt, wie das geht, sei es im Finanzmarkt oderim Bereich der Rechtsdurchsetzung, sei es bei der außer-gerichtlichen Streitbeilegung oder beispielsweise beimOnlinekauf . Verbraucherschutz – das zeigt sich auch indiesem Haushaltsplan – findet eben nicht nur im BMJVstatt . Auch andere Ministerien setzen verbraucherpoliti-sche Schwerpunkte . Ich möchte einige Beispiele nennen:Im Verkehrsministerium werden jetzt 1,3 MilliardenEuro für den Breitbandausbau bereitgestellt . Ich selberbin aus einem ländlichen Raum, meine Heimat ist weit-Caren Lay
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618374
(C)
(D)
gehend ländlich geprägt . Ich weiß, dass schnelles Internetein Standortfaktor ist, für die Menschen, die dort woh-nen, aber auch für die Industrie und die Gewerbebetriebe .Ein weiteres Beispiel: Auch im Landwirtschaftsminis-terium wird viel für Verbraucherinnen und Verbrauchergetan . Viele Menschen sind bereit, für tierfreundlich er-zeugte Produkte mehr Geld auszugeben . Für bessere In-formationen und eine schnelle und einfache Orientierungarbeitet das BMEL an einem staatlichen Tierwohllabel .Im Finanzministerium wurde das Zahlungskonten-gesetz erarbeitet, das am 1 . September dieses Jahres inKraft getreten ist . Damit hat jeder einen Anspruch auf einBasiskonto . Dafür haben wir ganz lange gekämpft . Auchder Kontowechsel wird deutlich erleichtert . So könnenjetzt Daueraufträge und auch Lastschriftverfahren in ei-nem Schritt innerhalb von 14 Tagen von einer Bank aufeine andere Bank transferiert werden .Gute Verbraucherpolitik muss nicht immer viel Geldkosten . Das zeigt sich zum Beispiel – Frau Künast hates angesprochen – an der Internetseite Siegelklarheit .de .Dort können Sie sehen, was hinter den Siegeln in IhrerKleidung steckt, ob Ihre Kleidung also nachhaltig produ-ziert wurde oder eben nicht .
Diese Liste ließe sich unendlich fortführen . Das zeigteindrucksvoll: Verbraucherpolitik ist eine Querschnitts-aufgabe, die wir sehr ernst nehmen . Das spiegelt sich inden verschiedenen Haushaltsplänen wider .
Die Menschen erkennen das an . Das EU-Verbrau-cherbarometer zeigt eine positive Entwicklung . Die Zu-friedenheit der Verbraucher ist seit der Einführung desBarometers im Jahre 2008 deutlich gestiegen, und dasist gut so . Das ist der Lohn unserer Anstrengungen, derAnstrengungen der Unternehmer, der Verbände und auchvon uns aus der Politik . In dem Barometer wird aber auchaufgezeigt, dass es hier und da noch Handlungsbedarfgibt, zum Beispiel auf dem Gebrauchtwagen- und demElektronikmarkt . Uns auf dem Erreichten auszuruhen, istfür uns keine Option . Das wollen wir nicht .Wir sehen überall neue Erfindungen und neue Ideen.Gerade im Bereich der Digitalisierung entstehen neueMöglichkeiten für den Verbraucher, aber daneben na-türlich auch immer viele Risiken . Deswegen haben wiruns gefragt: Reicht der bisherige Rechtsrahmen? Gibtes Nebenwirkungen, die nicht erwünscht sind? KönnenVerbraucher ihre Interessen wirklich durchsetzen, odermüssen wir nachsteuern? – Vorab möchte ich ganz klarsagen: Dort, wo Verbraucher nicht auf Augenhöhe ent-scheiden können, muss und soll die Politik eingreifen .Aber es gibt eben auch Tendenzen, die mir Sorgen be-reiten: weg von dem „Wir trauen den Bürgern etwas zu“,hin zu dem „Der Staat weiß es besser“ . Es gibt jene, dieauf der einen Seite mehr Mitentscheidung für alle Bür-ger fordern, aber auf der anderen Seite den Bürgern nochnicht einmal zutrauen, zu entscheiden, was auf ihrem ei-genen Teller ist oder wie sie ihr eigenes Geld anlegen .Ideen gibt es genug: Verbot bestimmter Finanzproduk-te für den privaten Konsum oder die Einführung einerFett- oder Zuckersteuer auf Lebensmittel . Es gibt dieVersuche, in immer mehr Bereiche einzugreifen, in de-nen bisher jeder Bürger für sich entscheiden konnte . Daspreche ich nicht nur die Opposition an, sondern genausounseren Koalitionspartner . Wir sollten uns als Gesetzge-ber nicht anmaßen, Verbrauchern vorzuschreiben, wassie zu wollen haben . Die Grünen haben das einmal mitdem Veggieday versucht und sind damit untergegangen .Aber auch die SPD denkt laut über Zwangsabgaben aufvermeintlich ungesunde Lebensmittel nach .Ideen, die schnell ihren Weg in die Medien finden,meist aber leider wenig durchdacht sind, gibt es nichtnur bei unseren politischen Mitbewerbern. Wir finden sieheute – keine Frage – auch bei vielen NGOs . Die nicht-staatlichen Organisationen erfüllen eine wichtige Aufga-be für unsere Gesellschaft; aber leider werden manchedieser Verantwortung nicht gerecht . Die Frage nach denGründen mag jeder für sich selbst beantworten .Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Foodwatch . Foodwatchhat – wohl mit Spendengeldern finanziert; auch das ist,man kann das nicht wissen, intransparent – eine Studieerstellt . Bei der Studie wurden über 400 zuckerhaltigeErfrischungsgetränke getestet . Foodwatch ist sehr gutin den Medien vernetzt . Über alle Kanäle werden solcheStudien verbreitet . Man könnte aus der Politik heraus sa-gen, dass das beneidenswert ist . Wenn man sich dann aberdie Aussage der Studie ansieht, reibt man sich die Augenund kann sich nur wundern . Die Aussage ist: Limonadebeinhaltet zu viel Zucker . Liebe Freunde von Foodwatch,dafür braucht man keine Studie . Es ist gerade das Wesenvon Limonade, dass sie ein zuckerhaltiges Getränk ist .Es steht sogar auf jeder Flasche, wie viel Zucker drin ist .Also, was soll das? Studien mit dem Ergebnis „Wasser istzu nass“ oder „Butter ist zu fett“ brauchen wir nicht . ImGegensatz dazu brauchen wir NGOs, die Verantwortungfür die Gesellschaft übernehmen, Themen und Vorgängekritisch bewerten, dabei aber nicht das eigene Profil unddie Verunsicherung der Menschen in den Mittelpunktstellen, sondern ganz einfach einen Erkenntnisgewinn .Ob der Verbraucher eine große Menge an Schokoladeisst, vegan lebt, Limonade oder Milch trinkt, das machter aus freien Stücken . Unsere Aufgabe ist es, den Men-schen zu sagen: Hey, pass auf, übertreibe es nicht . Wenndu mehr wissen willst: Hier sind die richtigen und wich-tigen Informationen in möglichst kurzer und einfacherForm .
Schaue es dir an, denke nach und treffe dann deine Ent-scheidung . – Wir wollen eben nicht den besserwisseri-schen Staat, sondern den Verbraucher auf Augenhöhe .
Wir haben uns intensiv mit der Frage auseinanderge-setzt, wie sich unsere Gesellschaft verändert, wie sichWirtschaft und Verbraucher verändern und was das fürunser Leitbild in der Verbraucherpolitik bedeutet . UnsereIdeen haben wir in einem Grundsatzpapier zusammen-gefasst . Ich kann Ihnen sagen: Die Grundsätze unsererPolitik werden sich nicht ändern . Sie haben Bestand, weilMechthild Heil
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18375
(C)
(D)
sie gut und richtig sind und sich auch bei den neuen He-rausforderungen bewährt haben .Es ist eine einfache Tatsache: Verbraucher sind ver-schieden . Es gibt nicht den einen Verbraucher, der allesweiß und versteht . So kann jemand in Gesundheitsfragenfit sein, aber vielleicht nicht im Internet.
Er muss sich dennoch im Netz sicher bewegen können,egal wie viel er davon versteht . Und wenn er sich nichtgut in Medizin auskennt, muss er natürlich vom Arzt gutbehandelt werden . Das ist unser Anspruch, und darauf istunsere Verbraucherpolitik ausgerichtet .Schauen wir uns die fortschreitende Digitalisierungan . Verbraucher müssen auch in diesem Bereich freientscheiden können, ob sie ihre Daten für eine Dienst-leistung preisgeben wollen oder nicht . Es gibt viele neueEntwicklungen . Sehen Sie sich die Fitness-Apps an, dievielleicht zu günstigen Tarifen bei Krankenkassen oderVersicherungen führen . Es gibt den kostenlosen Face-book-Account . Viele Daten werden im vernetzten Autooder bei Gewinnspielen gesammelt . Die EU-Daten-schutz-Grundverordnung bietet sicherlich eine gute Ba-sis dafür, damit weiter umzugehen .Bei der Themenvielfalt, die ich hier angesprochenhabe, wird deutlich, wie sehr die Verbraucherpolitik eineQuerschnittsaufgabe ist . Die Themen des Verbraucher-schutzes sind in vielen Ministerien und auch Behördenverankert . So haben wir das Aufsichtsziel des kollektivenVerbraucherschutzes auch bei der BaFin verankert . Daszeigt: Der Verbraucherschutz rückt immer weiter in denFokus der staatlichen Aufsicht .Insofern ist es für die Ver-braucherpolitik nicht so wichtig, wie viel Geld es gibt:Gute Verbraucherpolitik macht man mit einfachen undklaren Informationen, mit sauber erarbeiteten Erkennt-nissen aus der Forschung, mit guten Gesetzen und einerfunktionierenden Rechtsdurchsetzung .Herr Maas, Ihr Etat für Öffentlichkeitsarbeit ist imletzten Jahr sehr angewachsen und wird auch in diesemJahr nicht gekürzt. Sie wollen in die Öffentlichkeit, unddas sieht man . Aber das darf nicht dazu führen, dass Siesich in laufende Verfahren einmischen . Politiker – gera-de auch Minister – sollten während eines Strafverfahrenskeine vorschnellen Vorverurteilungen abgeben, sonderndies immer den Gerichten überlassen .
Ihre Kollegin Frau Schwesig hatte mit ihren Äuße-rungen zum Fall Gina-Lisa Lohfink eindeutig Parteiergriffen und genauso eindeutig Grenzen überschritten.In Deutschland gibt es gute Gründe für die Gewaltentei-lung . Es ist Sache der unabhängigen Justiz, Personen zuverurteilen oder freizusprechen . Politiker sind nicht diebesseren Richter .
Noch ein Wunsch zum Ende: Wenn Sie, Herr MinisterMaas, jetzt noch bei der anstehenden Umstrukturierungin Ihrem Haus den Bereich Verbraucherpolitik wirklichstärken und nicht nur eine parteipolitische Strategie ver-folgen, dann könnte es ein gutes Jahr für den Verbrau-cherschutz und die Justiz werden .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Christian Ströbele für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuschauer! Ich wollte eigentlich mit dem Ministeranfangen, aber es ist so viel über die Abwehr des interna-tionalen Terrorismus gesprochen worden, dass ich dafüreine oder zwei Minuten opfern will .Herr Harbarth hat sich dazu verstiegen, zu sagen: Un-sere Aufgabe als Rechtspolitiker ist es, im Kampf gegenden internationalen Terrorismus Gesetze zu schaffen.
Muss nicht der erste Schritt sein, dass wir angesichts derschrecklichen Anschläge in der Sommerpause oder davorin Brüssel und Paris wenigstens im Nachhinein erst ein-mal versuchen, zu analysieren, woran es lag, dass dieseschrecklichen Verbrechen nicht verhindert werden konn-ten? Fehlte damals ein Gesetz, und werden neue Geset-ze – Sie haben vorhin auf Ihre ruhmreiche Gesetzgebunghingewiesen – solche Anschläge wie in Paris verhindern?
Wenn Sie das gemacht haben, dann werden Sie zudem Ergebnis kommen – denn das sind inzwischen dieErkenntnisse aller Sicherheitsbehörden –, dass die An-schläge in Paris und Brüssel vor allen Dingen deshalbpassieren konnten, weil es – in Deutschland ist es einbisschen anders – am Vollzug von bestehenden Geset-zen – Terrorismusabwehrgesetzen – und Zusammenar-beitsverpflichtungen der Sicherheitsbehörden, und zwarnicht der Geheimdienste, sondern vor allen Dingen derPolizeien der Länder, gemangelt hat .Insofern müssen wir fragen: Was können wir ma-chen? Warum ist es heute noch so, dass die Daten überVerdächtige oder wegen terroristischer Taten Verurteil-te zum Beispiel bei Europol nicht eingespeist werdenund dass sich noch mehr als die Hälfte der europäischenStaaten weigern, die Daten in die bei Europol extra da-für geschaffenen Dateien einzugeben? Wäre es nicht vielbesser, dass man sich um den Vollzug kümmert und eineKonferenz aller Minister oder Fachleute einberuft, um zubesprechen, wie wir diese ganz konkreten Mängel, dieerkannt wurden, beseitigen können?
Mechthild Heil
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618376
(C)
(D)
Dann wären wir bei der Bekämpfung des internationalenTerrorismus einen Schritt weiter .
Noch eine kleine Anmerkung zur doppelten Staats-bürgerschaft und der Aberkennung oder Verwirkung derStaatsbürgerschaft: Wie kommen Sie eigentlich dazu,den 4,2 Millionen Mehrfachstaatlern in Deutschland –sie sind in allen Fällen, die ich kenne, in Deutschlandgeboren oder zumindest zur Schule gegangen und aus-gebildet worden und damit hier sozialisiert worden – zusagen, wenn sie unter Terrorismusverdacht stehen: „Ihrhabt eure deutsche Staatsbürgerschaft verwirkt, und ihrmüsst jetzt in ein anderes Land abgeschoben werden“?Wenn jemand zu vertreten hat, dass die Betreffen-den so geworden sind, dann ist es die Gesellschaft inDeutschland und sind es nicht die Länder, aus denen dieVorfahren der Betreffenden stammen oder in denen dieBetreffenden geboren wurden, bevor sie während derSchulzeit nach Deutschland gekommen sind . Für dieseMenschen sind wir verantwortlich . Wir müssen sehen,wie wir uns und andere Länder vor solchen Menschenschützen können .Ich komme nun zu Ihnen, Herr Maas . Auch ich konze-diere Ihnen: Sie sind auf hervorragende Weise medienaf-fin und medienpräsent.
Aber genügt das? Manchmal ist das sogar schädlich . Esist schädlich, wenn Sie etwa in den Medien die Notwen-digkeit einer Reform im Bereich der Tötungsdelikte im-mer wieder hervorheben, einzelne Vorschläge machen,Sachverständigenanhörungen durchführen und Kommis-sionen einberufen und wenn dann nichts geschieht .
Ich sage Ihnen voraus: § 211 Strafgesetzbuch, in dem esunter anderem um Mord aus Heimtücke geht und der si-cherlich geändert werden müsste, wird so bleiben, auchwenn Sie nicht mehr Minister sind . So scheint es jeden-falls zu sein .Sie und die Kanzlerin haben gesagt: Die Vorschriftüber Majestätsbeleidigung ist überflüssig; diese werdenwir abschaffen. Wir werden den Zeitpunkt festlegen, andem die Abschaffung in Kraft tritt. – Tatsächlich kommtnichts . Aus Ihrem Haus gibt es einen Referentenentwurfdazu, sonst nichts . Still ruht der See! Niemand erinnertsich mehr an § 103 Strafgesetzbuch, über den lange Zeitdiskutiert wurde .Ein anderes Beispiel ist das Whistleblower-Schutz-gesetz . Sogar die Koalitionsvereinbarung enthält dazueine Passage . Auch Sie selber haben ein solches Gesetzgefordert . Warum kommt von Ihnen nichts? Ein weite-res Beispiel ist die Landesverratsaffäre. Hier haben Sieeinige Probleme, die nun wieder aufgetaucht sind . Siehaben gesagt: Wir müssen darüber nachdenken, wie wirin Zukunft Journalisten vor dem Vorwurf des Landesver-rats besser schützen können . Wir müssen möglicherwei-se § 93 Strafgesetzbuch – Begriff des Staatsgeheimnis-ses – anders formulieren . – Was ist seitdem geschehen?Nichts! Ich könnte diese Liste beliebig fortsetzen . Aberleider läuft mir die Zeit davon .Ich möchte Ihnen meinen letzten Gedanken, den ichfür sehr wichtig halte, mit auf den Weg geben . Warumsagen Sie als Minister, der für die Einhaltung der Verfas-sung, des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutsch-land, zuständig ist, und als mediengewandter Mann inden Medien nichts zu dem, was die Datenschutzbeauf-tragte in einem Gutachten über den BND niedergelegthat, das in der Zeitung und auf netzpolitik .org zu lesenwar?
Dort werden schwerste Gesetzesverletzungen, die überJahre begangen wurden, und Grundrechtsverletzungen,die Tausende Menschen betreffen, angeprangert. DasSchlimmste ist, dass das weitergeht, obwohl die Daten-schutzbeauftragte das festgestellt und den zuständigenBehörden mitgeteilt hat .
Herr Kollege Ströbele .
Ein Satz .
Das ist aber der letzte Satz .
Sagen Sie der Öffentlichkeit, was Sie davon halten
und welche Konsequenzen dringend erforderlich sind .
Als Nächster hat jetzt der Kollege Dr . Johannes
Fechner, SPD-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Wennwir heute in die Beratungen über den Justizhaushalt ein-steigen, dann sprechen wir in der Tat im Vergleich zu an-deren Ministerien über viel geringere Summen . Dass wirals Rechtspolitiker dennoch viel bewegen können, habenwir und insbesondere unser Justizminister in den letztendrei Jahren dieser Legislaturperiode gezeigt .
Mit der Mietpreisbremse haben wir im Mietrechteine Lücke geschlossen, damit Mieterhöhungen nichtHans-Christian Ströbele
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18377
(C)
(D)
nur während eines laufenden Mietverhältnisses, sondernauch bei Mieterwechsel gedeckelt sind; das war richtigund überfällig . Wir haben zudem die Mieter in den meis-ten Fällen von Maklergebühren befreit . Da die Wirkungder Mietpreisbremse immer wieder in Zweifel gezogenwird: Lesen Sie doch einmal, was über die Mietpreis-bremse geschrieben wird .Die FAZ schreibt schon im Dezember 2014: Miet-preisbremse wirkt flächendeckend. Die Berliner Zeitungschreibt: „Wohnen in Berlin: Die Mietpreisbremse wirkt…“ Die Münchener Abendzeitung schreibt: „Mietpreis-bremse wirkt: Münchens Mieten bleiben stabil .“ Auch imHamburger Abendblatt ist davon zu lesen, dass in Ham-burg die Mietpreisbremse wirkt . Ohne zu behaupten, dasswir hier nichts verbessern könnten, kann man, glaube ich,sagen: Das war eine richtige und wichtige Maßnahme .
Wir haben mit dem Gesetz gegen Doping ein wich-tiges Instrument zur Bekämpfung von Doping im Sportgeschaffen. Wir haben Verbraucherinnen und Verbrau-chern mehr Rechte bei Bankgeschäften und Kreditver-trägen gegeben . Wir haben die strafrechtlichen Lückenbei der Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswe-sen geschlossen . Wir haben die Frauenquote in den Auf-sichtsräten geschaffen.
Wir haben den strafrechtlichen Schutz von Kindernvor sexuellem Missbrauch verbessert, wir haben einmodernes Sexualstrafrecht geschaffen und Strafrechtslü-cken auch hier geschlossen . Sexueller Missbrauch wirdzukünftig lückenlos strafrechtlich verfolgt werden . Kurz-um: All das sind große Erfolge der SPD-Fraktion undvon Minister Maas .
Wir haben die Verbesserungen für die Bürger durch-gesetzt, gelegentlich gegen den Widerstand unserer po-litischen Lebensabschnittsgefährten . Aber wir haben dasgemacht, weil das alles richtige Maßnahmen waren . Des-halb waren wir rechtspolitisch auf einem sehr guten Wegin dieser Legislaturperiode .
Wir, jedenfalls in der SPD, haben rechtspolitisch auchnoch eine ganze Menge vor . Wir wollen, dass der Mie-ter Auskunft darüber bekommt, was sein Vorgänger oderseine Vorgängerin an Miete gezahlt hat . Wir wollen einebreitere Basis für den Mietspiegel schaffen, und wir wol-len gegen die schwarzen Schafe unter den Vermietern,die die Mieter abzocken, so wie allzu oft auch in Berlin,vorgehen, indem wir das Wirtschaftsstrafgesetzbuch zueinem effektiven Instrument gegen Mietwucher umge-stalten .Ich hoffe, dass wir die Kolleginnen und Kollegenvon der Union bald überzeugen, dass wir nicht nur imWahlkampf von Herrn Heilmann Konzepte vorgelegtbekommen, sondern dass insbesondere die BerlinerBundestagskollegen der Union dem zustimmen . Geradein Berlin sind die Verbesserungen im Mietrecht für dieMieterinnen und Mieter ganz besonders wichtig .
Rechtspolitik ist in der Tat immer auch Gesellschafts-politik . Wenn die Gerichte in der Vergangenheit Men-schen wegen abstruser Gesetze wie dem § 175 StGB inseiner alten Fassung verurteilt haben, dann ist es Aufgabedes heutigen Gesetzgebers, also von uns, hier Abhilfe zuschaffen, diese extremen Unrechtsurteile aufzuheben unddamit die Menschen zu rehabilitieren, die oft ein Lebenlang unter den Verurteilungen nach diesem unsäglichenParagrafen gelitten haben . Ich freue mich, dass MinisterMaas im Oktober einen entsprechenden Gesetzentwurfvorlegen wird . Unser Job als Parlament wird es sein, imHaushalt Gelder vorzusehen, damit wir diese Menschenentschädigen können, wie wir es uns vorgenommen ha-ben .Die Rechtspolitik findet sich dabei immer im Span-nungsfeld zwischen den bürgerlichen Freiheitsrechtenauf der einen Seite und der öffentlichen Sicherheit aufder anderen Seite . Wir in der SPD-Fraktion wollen, dassdie Menschen in Freiheit und in Sicherheit leben können .Es stimmt, dass die Sorgen und Befürchtungen der Bür-ger vor Kriminalität zugenommen haben . Wir nehmendiese Sorgen sehr ernst . Aber die Antwort auf diese Ver-unsicherung können nicht Scheinlösungen oder Schnell-schüsse oder der immer wieder geäußerte Ruf nach här-teren Strafen sein . Nein, wir müssen die Kriminalitäteffektiv bekämpfen.Wir brauchen deshalb nicht den Straftatbestand derSympathiewerbung . Schon heute ist es strafbar, für Ter-rororganisationen zu werben . Natürlich ist es schlimm,wenn in Wohnungen eingebrochen wird, aber der ef-fektivste Schutz ist, dass wir Investitionen in die Si-cherungstechnik stärker fördern, wie wir es im letztenHaushalt durchgesetzt haben . Wir meinen, dass wir imHaushalt 2017 diese Beträge deutlich erhöhen sollten .Wir alle waren sicherlich von den Anschlägen in Mün-chen geschockt . Aber um unsere Bevölkerung vor Terrorzu schützen, brauchen wir nicht mehr Befugnisse für dieBundeswehr im Innern, sondern wir brauchen unter ande-rem mehr Polizei, und zwar noch einmal 3 000 Polizistenzusätzlich zu den von uns im letzten Jahr durchgesetzten3 000 Polizisten für die Bundespolizei . Wenn es nach unsginge, würden wir noch einmal 6 000 Stellen für Polizis-ten bei den Länderpolizeien schaffen. Das wäre effektiveSicherheitspolitik .
Wir dürfen natürlich auch nicht den Aspekt der Prä-vention vernachlässigen . Auch das ist ein wichtiger As-pekt, wenn wir für mehr öffentliche Sicherheit sorgenwollen . Wir sollten deshalb Projekte wie etwa hier inBerlin das vorbildliche Projekt „Kein Täter werden“ mitweiteren Bundesmitteln unterstützen, damit dort die Ar-beit fortgeführt werden kann .
Dr. Johannes Fechner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618378
(C)
(D)
Sie sehen, meine Damen und Herren, wir kümmernuns effektiv um die öffentliche Sicherheit, statt mitschlagzeilenträchtigen Forderungen die Bevölkerung zuverunsichern . Dass sich das auszahlt, hat die SPD durchden Wahlsieg in Mecklenburg-Vorpommern gezeigt, unddas werden wir auch in Berlin zeigen .
Genau dort haben wir mit dieser besonnenen, aber effek-tiven Politik die Wahl gewonnen .Ich halte fest: Die Bundestagsfraktion der SPD hatsehr viel im rechtspolitischen Bereich durchgesetzt . Wirhaben einen aktiven Justizminister Maas . Er ist schnell,wirkungsvoll und erfolgreich . Er hat zusammen mit uns80 Gesetze durchgesetzt . Er ist ein anständiger Minister .Deswegen gibt es für die Rücktrittsforderung von HerrnSchäuble, die absolut absurd war, überhaupt keinenGrund .
Kommen Sie bitte zum Schluss .
Ich komme zum Schluss . – Sie sehen, dass wir schon
einiges geleistet haben, dass wir noch viel vorhaben . Ich
hoffe, dass wir die Themen, die in der Rechtspolitik noch
anstehen – ich habe sie beschrieben –, in dieser Legisla-
turperiode noch behandeln . Wir werden uns jedenfalls im
Sinne der Bürgerinnen und Bürger dafür einsetzen .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
der Kollege Dr . Volker Ullrich das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! In Zeiten der Unsicherheit muss ein starker undwehrhafter Rechtsstaat den Menschen Halt geben . DieMenschen müssen sich darauf verlassen können, dassPolizei und Justiz sie effektiv schützen und dass Polizeiund Justiz ordentlich ausgestattet sind . Für uns ist wich-tig, dass sich die Menschen sicher fühlen und dass siesicher sind . Voraussetzung dafür ist ein wertegebundener,grundrechtsgebundener Rechtsstaat, der die Menschenschützt und der den Kampf gegen Extremismus jeglicherCouleur aufnimmt . Wir dulden weder rechtsextreme Pa-rolen und rechtsextremes Vorgehen gegen Flüchtlings-heime noch linksextreme Gewalt auf den Straßen, undwir bekämpfen auch islamistischen Terror . Wir sind aufkeinem Auge blind . Das sind Voraussetzungen für denRechtsstaat .
Eine Voraussetzung ist auch Vertrauen in die Wirkungdes Rechts und seiner Institutionen . In diesem Zusam-menhang war es richtig, dass sich der Herr Bundesjustiz-minister von seinem Lob für eine extremistische Band,die Gewalt und Hass gegen Polizeibeamte gefördert hat,distanziert hat . Ich hätte mir die gleiche Einsicht auchbei unserer Familienministerin Manuela Schwesig ge-wünscht, die sich in Unkenntnis der Gewaltenteilungund der Unabhängigkeit der Justiz sehr unzutreffend zueinem Gerichtsverfahren geäußert hat .
Wir haben in den letzten Jahren sehr viele gute undrichtige Gesetze im Bereich der Innen- und Justizpolitikauf den Weg gebracht . Es ist eben nicht richtig, dass al-lein der richtige Gesetzesvollzug notwendig ist, um un-sere Ziele zu erreichen . Dort, wo Lücken bestehen, dort,wo unsere Freiheit gefährdet ist, muss der wehrhafteRechtsstaat auch mit klugen und besonnenen Gesetzengegensteuern, und das haben wir gemacht . Ich bin froh,dass wir das Gesetz zur Speicherung von Verbindungsda-ten auf den Weg gebracht haben .
Das ist ein richtiges Gesetz, das es ermöglicht, dass derRechtsstaat auf Augenhöhe mit Kriminellen und Terro-risten agiert . Wir müssen uns ehrlicherweise auch fragen,ob wir in manchen Bereichen nicht noch nachjustierenmüssen, etwa bei den Fristen oder auch bei der Frage derentsprechenden Straftaten .Ein Thema, das uns sehr stark beschäftigt, ist die Frageder Wohnungseinbruchskriminalität . Das ist ein Thema,das wir nicht kleinreden dürfen, bei dem wir auch nichtvon vornherein sagen dürfen, Herr Kollege Fechner,dort gebe es keinen gesetzgeberischen Handlungsbe-darf . Wenn in eine Wohnung, in ein Haus eingebrochenwird, verletzt das die Menschen in ihrer unmittelbarenIntimsphäre . Sie sind verunsichert . Sie haben in den ei-genen vier Wänden, die ihnen Schutz geben sollten, be-sonders Angst und fühlen sich unsicher . Deswegen stehtein Wohnungseinbruchsdiebstahl in seiner kriminellenEnergie einem Raub oder einem Meineid in nichts nach .Deswegen bitten wir darum, dass wir gemeinsam denWohnungseinbruchsdiebstahl zum Verbrechen erklären .Es darf in diesem Bereich keinen minderschweren Fallgeben; vielmehr muss der Rechtsstaat deutlich sagen:Wer in eine Wohnung einbricht, begeht eine schwereStraftat .
Das ist auch wichtig, damit wir den Ermittlungsbehör-den die richtigen Instrumente an die Hand geben können:einen Zugriff auf Verbindungsdaten auch bei Wohnungs-einbruchsdiebstahl . Wir müssen uns ebenfalls überlegen,ob wir Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmenim Falle der Wohnungseinbruchskriminalität einführen,um die Menschen effektiv zu schützen, die Aufklärungs-Dr. Johannes Fechner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18379
(C)
(D)
quoten zu erhöhen und damit diesem Phänomen endgül-tig den Kampf anzusagen .Wenn wir über Wohnen sprechen, dann fällt auch einBlick auf die Frage: Wie gehen wir mit Mieten und mitder angesprochenen Mietpreisbremse um? Für uns isteines entscheidend – das hat heute niemand angespro-chen –: Der Kampf gegen Wohnungsnot in den Großstäd-ten wird nicht allein über die Regulierung der Mietpreis-höhe zu gewinnen sein, sondern das geht nur über denNeubau von Wohnungen .
Der Neubau von Wohnungen hat auch stets eine steuer-liche Komponente . Sie, liebe Kollegen der SPD, könnennicht hier eine Verschärfung der Mietpreisbremse einfor-dern, aber dann, wenn es darum geht, steuerliche Verbes-serungen für den Wohnungsbau herbeizuführen, blockie-ren . Das passt nicht zusammen .
Für uns ist klar, dass Wohneigentum eine sehr trag-fähige Komponente der Altersvorsorge ist . Deswegenwerden wir auch genau hinsehen, ob die jetzt stärkerauftretenden Berichte über eine mögliche Altersdiskrimi-nierung im Bereich der Kreditvergabe nach der Wohn-immobilienkreditrichtlinie zutreffen oder nicht. Wir wer-den uns gegen eine Altersdiskriminierung einsetzen, unddeswegen müssen wir, wenn diese Berichte zutreffen unddurch Fakten untermauert sind, gesetzgeberisch oder aufdem Verordnungswege gegensteuern .Sie haben auch angesprochen, Herr Minister Maas,dass wir im Bereich der Strafprozessordnung Videoüber-tragungen aus dem Gericht in sehr begrenztem Umfangzulassen . Wir müssen bei dieser Frage sehr genau hin-sehen, dass wir durch diese Maßnahme Richter, Staats-anwälte, aber vor allen Dingen auch Zeugen nicht untereinen Druck setzen, der einem sachgerechten Strafver-fahren nicht dienlich ist . Wir müssen aufpassen, dass dasGerichtsverfahren nicht zu einer Show wird . Deswegenwerden wir in diesem Bereich sehr zurückhaltend agie-ren .Wir brauchen, wenn es um die Frage geht: „Wie gehtes bei Gericht zu?“, ein klares, deutliches Signal für dieweltanschauliche Neutralität der Justiz . Deswegen stelltsich die Frage, ob wir nicht im Gerichtsverfassungsge-setz ganz klar regeln, dass Zeugen vor Gericht ihr Ge-sicht zeigen müssen und sich nicht verhüllen dürfen unddass auch Richterinnen und Staatsanwältinnen als Zei-chen der weltanschaulichen Neutralität vor Gericht keinKopftuch tragen dürfen . Auch das wird im Gerichtsver-fassungsgesetz zu regeln sein .
Meine Damen und Herren, wir leben in einer freiheit-lichen, offenen Gesellschaft. Wir leben in einem Rechts-staat, der die Voraussetzungen für eine wehrhafte De-mokratie liefert . Deswegen müssen wir diese Werte klarund deutlich verteidigen . Das bedeutet auch, dass wir dieToleranz nicht so weit ausdehnen dürfen, dass letztenEndes die Intoleranten gewinnen . Toleranz bedeutet füruns auch immer Toleranz für unsere Werte, für Freiheit,für Rechtsstaatlichkeit und für Demokratie . Das ist dieRichtschnur unserer Rechtspolitik . Daran werden wir unsmessen lassen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat die Kollegin Elvira
Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Heute diskutieren wir über das letzte Haushaltsjahr der18 . Legislaturperiode . Das ist für uns besonders wichtig;denn am Ende der Legislatur steht die Frage: Was habenwir mit der Einbindung der Verbraucherpolitik in denAufgabenbereich des früheren Bundesjustizministeriumserreicht? Waren die ergriffenen Maßnahmen richtig? Vorallem: Sind die geschaffenen Strukturen schlagkräftig?Das Ziel – ich zitiere: „ein verbraucherfreundlicher,transparenter Markt, auf dem sichere und gute Produkteunter fairen und nachhaltigen Bedingungen hergestelltund angeboten werden“ – war klar so im Koalitionsver-trag vorgegeben .Zugegeben, für den Einzelnen ist es oft schwierig, denÜberblick über verabschiedete Gesetze und auch überneu geschaffene bzw. veränderte Strukturen zu behal-ten . Daher begrüße ich, dass die Bundesregierung auchin diesem Jahr einen Verbraucherpolitischen Berichtveröffentlicht hat – ein gutes Zeugnis für unsere Arbeit,wie ich im Gegensatz zur Kollegin Lay finde. Für alleInteressierten ist dies nun übersichtlich nachzulesen, bei-spielsweise die Einsetzung des Sachverständigenrates fürVerbraucherfragen . Die Einbeziehung der Kompetenzvon Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis istein wichtiger Baustein, um Verbraucherpolitik stärker anden Bedürfnissen der Verbraucher und ihren Lebenswel-ten ausrichten zu können .Der erfolgreiche Aufbau des Finanzmarktwächtersund des Marktwächters Digitale Welt ist bereits einemgrößeren Teil der Bevölkerung bekannt . Die Marktwäch-ter – so wissen Sie – sollen ja der Politik aussagekräftigeErkenntnisse zur tatsächlichen Lage der Konsumentenam Finanzmarkt und im Bereich digitale Welt weiter-geben und strukturelle Fehlentwicklungen sowie Miss-stände an die zuständigen Behörden melden . Der Kol-lege Rohde hat diese Erfolgsgeschichte bereits zitiert,sodass ich das nicht mehr ausführlich darlegen muss . Wirwollen natürlich angesichts dieses Erfolgsmodells auchDr. Volker Ullrich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618380
(C)
(D)
weitere Marktwächter für andere Bereiche aufbauen undverstetigen .Nachzulesen ist im Bericht auch, dass die außerge-richtliche Streitbeilegung in Verbraucherangelegen-heiten im April 2016 in Kraft getreten ist . Verbraucherkönnen jetzt im Falle eines Streites ein niederschwelli-ges Angebot zur außergerichtlichen Konfliktschlichtungnutzen, ohne dass der Rechtsweg beschränkt ist . Soweitdas Angebot privater VerbraucherschlichtungsstellenLücken aufweist, fördert der Bund auch im Rahmen ei-nes Pilotprojektes unter Einbindung der Länder in denJahren 2016 bis 2019 eine privat organisierte allgemeineVerbraucherschlichtungsstelle .Die fortschreitende Digitalisierung, die wirtschaftlichunbestritten viele Vorteile bringt, stellt den Verbraucher-schutz bei den Themen Datenschutz und Transparenzvor große Herausforderungen . Unternehmen erheben,verarbeiten und nutzen in immer größerem Umfang Da-ten von Verbrauchern. Viele Betroffene erkennen kaumdie Rechtsverletzungen, noch sind sie in der Lage, ihreRechte durchzusetzen . Die Erweiterung des Unterlas-sungsklagengesetzes, das heißt, dass Verbände künftiggegen Datenschutzverstöße klagen können, ist doch einMeilenstein .
Die Verbraucherpolitik ist, so finde ich, im BMJV an-gekommen, und wir haben bereits viel für die Konsumen-ten erreicht . Weitere Punkte, die der Minister angespro-chen hat, gibt es beispielsweise beim Thema nachhaltigerKonsum . Hierfür ist das entsprechende Programm be-schlossen worden, und ich begrüße das Engagement desMinisters Maas, auch den Gedanken „Gebrauchen, abernicht verbrauchen“ voranzubringen, und wünsche unsdazu ein gutes gemeinsames Gelingen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun
der Kollege Klaus-Dieter Gröhler das Wort .
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nachhaltigkeitist nicht nur wichtig für den Umgang mit den Ressourcenunseres Planeten, sondern auch für den Umgang mit denSteuermitteln der Bürgerinnen und Bürger . 2014, 2015und 2016 leben wir nicht über unsere Verhältnisse, unddiesen guten Ansatz haben wir uns auch für 2017 vor-genommen . Keine Schulden, keine neuen Steuern, keineSteuererhöhungen – das war ein ganz klares Wahlver-sprechen der Union, und wir lösen es ein . Dies ist, denkeich, wichtig, um die Glaubwürdigkeit der Politik und derInstitutionen zu stärken und das Vertrauen der Menschenin diese herzustellen .Ich möchte später noch auf das Stichwort „Vertrau-en“ zurückkommen, mich jedoch erst einmal mit einigenZahlen im Haushalt des Justizministers beschäftigen . Ichkönnte sagen: stabil auf hohem Niveau . Das gilt für denEtat für 2017 im Vergleich zu dem von 2016 . Ich möchteaber auch einiges Positive anmerken . Es gibt Themen,die uns Parlamentariern am Herzen gelegen haben undsich nach den letzten Beratungen im Haushaltsentwurfwiederfinden. So stehen dort zum Beispiel wieder fast600 000 Euro für das Präventionsprojekt Dunkelfeld, umschon im Vorfeld die Begehung von Straftaten durch pä-dophile Männer zu bekämpfen .Richtig ist auch, dass der Verein Deutsche Stiftung fürinternationale rechtliche Zusammenarbeit mit 5,65 Mil-lionen Euro eine höhere Förderung erhält . Er unterstütztund gestaltet rechtsstaatliche Reformen in anderen Län-dern . Damit besteht die Möglichkeit, dass er einen ganzkleinen Beitrag zur Beseitigung von Fluchtursachen leis-tet und die Lebensqualität von Menschen in anderen Län-dern verbessert .Ebenso richtig ist es, dass im Personalhaushalt nun-mehr acht neue Planstellen für die Ermittlungsarbeit desGeneralbundesanwalts gegen Terrorismus und Cyber-spionage eingerichtet wurden – in Anbetracht der Be-drohungsszenarien durch Islamisten auf der einen Sei-te, durch ausländische Spionage und Sabotage mittelsIT-Technik auf der anderen Seite wirklich ein zwingenderund dringender Schritt . Die Erfolge einer verbessertenPersonalausstattung beim Generalbundesanwalt lassensich auch ablesen: Aktuell werden in Karlsruhe 130 Ver-fahren gegen 190 Beschuldigte im Zusammenhang mitStraftaten im Bereich Syrien/Irak geführt .Ich will an der Stelle auch sagen, dass allein der Ein-satz des Bundes hier nicht ausreicht . Es hat mich heuteverunsichert, als ich in der Welt lesen musste, dass ange-sichts der steigenden Zahl Staatsschutzverfahren in meh-reren Bundesländern nicht ausreichend geführt werdenkönnen, weil es an sachkundigen Richtern und Staatsan-wälten fehlt oder gar an Büroräumen und Verhandlungs-sälen . Das kann und darf nicht sein, meine Damen undHerren! Die Länder sind hier in der Verantwortung, unddie Bürgerinnen und Bürger haben, glaube ich, gerade indiesem sensiblen Bereich eine hohe Erwartungshaltungan Strafverfolgung . Da müssen auch die Bundesländerihrer Verantwortung nachkommen und eine entsprechen-de Ausstattung der Justiz vornehmen . Da wir alle immervon sprudelnden Steuereinnahmequellen beim Bund re-den: Die gibt es genauso bei den Ländern . Ich glaube,die Länder dürfen sich an dieser Stelle nicht wegducken .
Lassen Sie mich aber noch einmal auf den Etatentwurfvon Minister Maas zurückkommen . Der Ansatz für Öf-fentlichkeitsarbeit des Ministers – damit hatte ich michja im letzten Jahr schon beschäftigt – wird 2017 nichtweiter erhöht, sondern verbleibt auf dem hohen Niveaudes Vorjahres . Das heißt, ich muss meinen Vergleich hiernicht wiederholen . Sie können sich vielleicht erinnern:Ich hatte damals gesagt, dass der Ansatz für 2016 im Ver-gleich zu dem von 2013 um 519 Prozent gestiegen ist .Eine weitere Steigerung gibt es jetzt also nicht mehr . IchElvira Drobinski-Weiß
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18381
(C)
(D)
sage auch ganz offen, Herr Minister: Wenn in den weite-ren Berichterstattergesprächen die Notwendigkeit deut-lich wird, dass eine personelle Verstärkung im Bereichder Öffentlichkeitsarbeit, etwa zur Aufsicht über twit-ternde Mitarbeiter, benötigt wird, soll es an der Union andieser Stelle nicht scheitern .
Eine kritische Anmerkung kann ich mir aber für denBereich Verbraucherschutz nicht ganz ersparen . DerKollege Dennis Rohde, den ich ja sonst sehr schätze, hatvorhin gesagt, es handle sich um eine Erfolgsgeschichte .
Das mag man politisch so sehen, ich bin mir aber nochnicht ganz so sicher, ob man das einfach so sagen kann,oder ob man diese Frage nicht doch ein ganz klein wenigverstärkt untersuchen müsste . Wir haben uns im Koaliti-onsvertrag darauf verständigt, den Schutz der Verbrau-cherinnen und Verbraucher zu verstärken . Das ist richtig;daran will ich auch gar nicht rütteln . Konsequenterweisegibt es jetzt auch ein neues Kapitel im Haushalt mit demTitel „Verbraucherpolitik“, das mit 38 Millionen Euroausgestattet ist .Eines will ich an der Stelle aber auch sehr deutlichmachen: Dazu, dass wir Verpflichtungsermächtigungenin Höhe von weiteren 41 Millionen Euro für die kom-menden Jahre einfach so herausreichen, ohne dass wiruns den Bereich Verbraucherschutz einmal genauer an-schauen, bin ich noch nicht so ganz bereit . Wir solltenschauen, was bisher mit dem Geld geschehen ist, wie wires eingesetzt haben und was wir wirklich erreicht haben .Das Ausgeben von Millionen für den Verbraucherschutzist per se ja noch kein politischer Erfolg, meine Damenund Herren . Vielmehr müssen wir uns wirklich anschau-en, was im Einzelnen tatsächlich erreicht worden ist . Wirbrauchen belastbare Aussagen darüber, ob wir das Geldsinnvoll eingesetzt haben . Ohne diesen Nachweis – dassage ich ganz offen – bin ich nicht dafür, dass wir immerweitere Versprechen finanzieller Art in die Zukunft vor-nehmen .
Eine andere Kritik, Herr Maas, kann ich Ihrem Hausauch nicht ganz ersparen – Stichwort „Haushaltsreste“ –:Das Bundesjustizministerium hat im Haushaltsjahr 2014 44 Millionen Euro nicht ausgegeben und nach 2015 über-tragen . Nun kann man sagen: Ja, das Haushaltsjahr 2014war ein ganz besonderes. Wir hatten dort eine vorläufi-ge Haushaltswirtschaft, weil der Bundestag ja erst denHaushalt beschließen musste . – Okay, das verstehe ich .Dass aber im Haushaltsjahr 2015 63 Millionen Euronicht ausgegeben wurden und nach 2016 übertragen wur-den, und von diesen 63 Millionen Euro mehr als 50 Pro-zent im Bereich der IT-Technik nicht ausgegeben wordensind, dazu habe ich schon kritische Fragen .63 Millionen Euro aus dem Haushalt 2015, die indas Haushaltsjahr 2016 übertragen werden, machen fast10 Prozent des Haushaltsansatzes aus . Ich frage mich,meine Damen und Herren: Warum machen wir als Par-lament Haushaltsberatungen im Ausschuss und hier imPlenum
– nein, das hat mit Sparsamkeit nichts zu tun, Herr Kol-lege –, wenn anschließend das Ministerium im Rahmender Haushaltswirtschaft über 60 Millionen Euro einfachin das nächste Jahr überträgt und wenn insbesondere imBereich der IT-Technik das Geld nicht ausgegeben wird?Die Gerichte und Behörden sagen uns doch immer wie-der: Hier haben wir Nachholbedarf, hier sind wir nichtmodern genug . Ich sage das deshalb so kritisch, weil esimmer dann, wenn man im Berichterstattergespräch imMinisterium nachfragt, ob man nicht an dem einen Haus-haltsansatz vielleicht mal 100 000 Euro oder an dem an-deren mal 200 000 Euro kürzen könne, weil es an eineranderen Stelle noch etwas zu finanzieren gibt, aus demMinisterium unisono heißt: Das ist alles überhaupt nichtverzichtbar . Wir sind schon so knapp ausgestattet . – Alsohier scheinen mir Realität und Aussage nicht ganz imEinklang zu stehen. Ich will ganz offen sagen: Ich werdein Zukunft vierteljährlich das Ministerium nach der Aus-schöpfung aller Titelansätze abfragen müssen . Das magzwar eine hohe bürokratische Belastung sein, aber esmuss einfach einmal sein, um an dieser Stelle Haushalts-klarheit und Haushaltswahrheit tatsächlich umzusetzen .
Ich möchte aber noch eine andere Frage aufwerfen,meine Damen und Herren, nämlich: Wie gelingt es uns,die Bürgerinnen und Bürger von der Qualität unseresRechtsstaates zu überzeugen? Was müssen wir machen,um eine erkennbare Distanz der Menschen zum Rechts-staat und seinen Einrichtungen zu überwinden? Es gibtdas schöne Zitat: „Wir wollten Gerechtigkeit und beka-men den Rechtsstaat .“ Dieses stammt von Bärbel Bohleyund ist schon einige Jahre alt, aber es drückt Kritik undDistanz aus . Aktuell wachsen diese Kritik und Distanz,weil immer mehr Menschen Zweifel an der Qualität un-seres Rechtssystems haben . Viele glauben inzwischen,dass der Satz „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zuweichen“ so nicht mehr besteht . Ralph Brinkhaus hatheute Morgen hier gesagt: Heute in Deutschland zu lebenist so etwas wie ein Sechser im Lotto . – Das ist so . Ichunterschreibe den Satz, aber er kommt bei vielen Men-schen draußen offensichtlich nicht mehr an.Auf die Frage „Wie sehr vertrauen Sie der Justiz bzw .dem deutschen Rechtssystem?“ antworteten in einer Er-hebung von Infratest im Mai 2016 58 Prozent mit „Ja, ichvertraue“ . 38 Prozent haben gesagt: „Ich vertraue nicht .“Diese Zahlen müssen uns alarmieren . Für einen Staat wieDeutschland ist eine Zustimmungsquote von nur 60 Pro-zent zu wenig . Laut EU-Justizbarometer vom April 2016halten nur zwei Drittel der deutschen Öffentlichkeit Ge-richte und Richter für unabhängig, und ein Drittel meint,sie seien abhängig . Damit liegt unser Land im Vergleichzu den anderen EU-Ländern nur im Mittelfeld .Kein anderes Land in der Europäischen Union gibt soviel Geld für die Justiz aus wie Deutschland in Bund undLändern . Dennoch dauert es in Deutschland durchschnitt-Klaus-Dieter Gröhler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618382
(C)
(D)
lich 192 Tage, bis in der ersten Instanz ein zivilrechtlicherStreit abgeschlossen ist, in Österreich nur 135 Tage . Ichglaube, sowohl das Ministerium als auch das Parlamentmüssen sich mit diesem Thema befassen . Vielleicht ist eswichtiger, dass wir uns darum kümmern, als den einenoder anderen Strafrechtsparagrafen, mit dem wir jetzt60 Jahre in der bundesrepublikanischen Rechtsprechunggut ausgekommen sind, zu überarbeiten . Ich glaube, wirmüssen aufpassen, dass das Vertrauen in Effizienz undQualität unseres Rechtssystems nicht verloren geht . Wirdiskutieren häufig darüber, dass es Bevölkerungsgrup-pen gibt, die sich in einer Paralleljustiz wohler fühlen .Dagegen müssen wir vorgehen . Wir müssen aber auchaufpassen, dass unsere bisherige deutsche Bevölkerungnicht immer mehr Zweifel am Rechtssystem ausdrücktund möglicherweise mit Bürgerwehr oder Verweigerung,sich rechtsstaatlichen Institutionen zu stellen, reagiert .Es gibt im Berliner Wahlkampf eine Partei, auf derenPlakaten die Parole steht: „Was helfen die besten Polizis-ten, wenn die Richter nicht funktionieren?“ Ich glaube,Sie können sich vorstellen, welche ich meine . Es ist einePartei, die ich nicht gut finde. Es ist die gleiche Partei,deren Protagonist in Brandenburg nach 70 Parkverstößenöffentlich erklärte, dass er sich nicht an die Straßenver-kehrsordnung halten muss, das seien Nickeligkeiten . Soviel zum Thema „Law and Order“ und eigenes Rechts-verständnis . Ich will auch gar keine funktionierendenRichter, meine Damen und Herren . FunktionierendeRichter hatten wir schon zweimal in Deutschland . Daswar nicht die beste Zeit für Recht und Gerechtigkeit .
Wir müssen aufpassen, dass solche Forderungen da drau-ßen nicht verfangen, weil wir vielleicht nicht früh genughinschauen .
Wenn mangelnde Effizienz der Justiz dazu führt, dass je-mand, der Opfer einer Straftat geworden ist, erst nachüber einem Jahr zum ersten Mal eine Ladung zu einerGerichtsverhandlung erhält, dann zweifelt er an derKompetenz des Staates, das Recht durchzusetzen, undder Straftäter wird in dem Falle wahrscheinlich glauben:So schlimm war meine Tat gar nicht; denn wenn der Staatein Jahr braucht, um mich überhaupt zur Rechenschaftzu ziehen, dann scheint das ja nicht das Allerschlimmstegewesen zu sein . – Ich glaube, da müssen wir in Zukunftbesser werden, da ist noch Luft nach oben . Dementspre-chend sollten wir diese Aufgabe annehmen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Weitere Wortmeldungen zu diesemEinzelplan liegen hier nicht vor .Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums für Bildung und Forschung, Einzelplan 30.Das Wort hat die Bundesministerin ProfessorDr . Johanna Wanka .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir alle kehren aus einer Sommerpause zurück,die uns nicht wirklich ruhen ließ – ökonomisch, sicher-heitspolitisch und gesellschaftlich gibt es große Heraus-forderungen . Ich denke, es ist ganz entscheidend undaußerordentlich wichtig – wichtiger als je zuvor –, dasswir die Grundlagen für unsere gesellschaftliche Stabi-lität und für unseren Wohlstand sichern . Meine Damenund Herren, nichts ist für Demokratie und für Wohlstandschädlicher als ein schlechtes Bildungssystem und einezu schwach ausgeprägte Forschung .
Sie kennen das Zitat: Nichts ist für eine Gesellschaftteurer als geringe Bildungs- und Forschungsausgaben . –Deshalb haben Bildung und Forschung Priorität, auch indiesem Haushalt, über den wir heute hier diskutieren .Der Bundesfinanzminister hat es heute schon mit Zah-len belegt . In Haushaltsreden nennt man natürlich dieZahlen – das mache ich auch –, weil sie so schön sind .Der Mittelansatz im Haushalt für Bildung und Forschungist im nächsten Jahr um 1,2 Milliarden Euro höher als2016 . Das entspricht einer Steigerung von über 7 Pro-zent .
Was aber viel bemerkenswerter ist: Seit 2005 kam es je-des Jahr zu einer Steigerung des Etats des Bundesminis-teriums für Bildung und Forschung . Wir geben im Ver-gleich zu den doch recht bescheidenen Mitteln für 2005jetzt 10 Milliarden Euro mehr für diesen Bereich, fürdieses Ressort aus .
Nun hat man ja, wenn es seit 2005 jedes Jahr mehrgibt, die Sorge, dass die Steigerungen irgendwann gerin-ger werden . Das war auch etwas, was mich bewegt hat .Insofern bin ich sehr froh, dass wir gemeinsam – das sageich jetzt auch in Richtung der Koalitionäre und des Bun-desfinanzministers – in dieser Legislaturperiode, mit demHaushalt, so wie er jetzt vorliegt – es könnte noch mehrwerden –, eine Steigerung des Etats um 26,7 Prozent al-lein in dieser Legislaturperiode erreichen .
Das ist eine Menge Geld . Nun kann man natürlichfragen: Was macht man damit? Man kann zum Beispielallen Bereichen etwas mehr geben . Das freut alle und istpolitisch sicherlich sehr angenehm . Man kann neue För-derprogramme schaffen. Das haben wir natürlich auchKlaus-Dieter Gröhler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18383
(C)
(D)
gemacht . Aber wir haben auch Richtungsentscheidungengetroffen und dabei weit in die Zukunft gedacht. Wir ver-ändern Strukturen, und das wirkt weit über diese und dienächste Legislaturperiode hinaus . Wir stellen das deut-sche Wissenschafts- und Hochschulsystem für den inter-nationalen Wettbewerb in den nächsten Jahren gut auf .
Es sind also Maßnahmen mit großer Nachhaltig-keit . Das erkennt man zum Beispiel daran, wie wir dieWeichen für die Hochschulen gestellt haben . Im Haus-haltsentwurf für 2017 stehen über 1 Milliarde Euro, diewir als Bund für BAföG zahlen . Alle Bundesländer hattendafür natürlich Mittel in ihren Haushaltsplänen – das warja eine gesetzliche Verpflichtung – und auch in ihren mit-telfristigen Finanzplanungen vorgesehen . Für das BAföGmüssen sie jetzt kein Geld ausgeben . In den Etats allerBundesländer ist das jetzt freies Geld, das – so war esgedacht – für die entsprechenden Weichenstellungen imBereich der Hochschulen eingesetzt werden kann . DasGeld kann beispielsweise in unbefristete – ich sage deut-lich: unbefristete – Arbeitsverhältnisse investiert werden .Man kann es für den Mittelbau verwenden; wenn man esdenn will .Wenn man sich die Gesamtsumme einmal anschautund nachrechnet, stellt man fest, dass so über 10 000 un-befristete Stellen im Hochschulbereich finanziert werdenkönnten; denn dieses Geld steht nicht nur nächstes Jahrim Haushalt, das steht auch noch in zehn Jahren im Haus-halt . Wenn die Verwendung der Mittel in den Ländernbisher unterschiedlich gehandhabt wurde, dann sollteman bei den entsprechenden Landesministern oder Mi-nisterpräsidenten nachfragen, warum sie die Prioritätenanders setzen oder ob sie das Problem nicht sehen .
Es ist jedenfalls keine Aufgabe des Bundes, aber derBund hat definitiv Mittel zur Verfügung gestellt. Fürmich ist die Konsequenz – ich denke, auch für viele hierim Raum –, nach Möglichkeit nie wieder Mittel ohnekonkrete Zweckbindung zur Verfügung zu stellen; dennich betrachte es als meine Aufgabe, die Rahmenbedin-gungen für Wissenschaft und Forschung zu verbessern .
Noch eine Bemerkung dazu . Jetzt werden alle mög-lichen Papiere geschrieben, in denen es um die Grund-finanzierung der Hochschulen geht. Hier geht es umeine Erhöhung der Mittel für die Grundfinanzierungaller Hochschulen um 5 Prozent . Das ist ein wichtigesProgramm . Es geht um Grundsatzentscheidungen, dieweit über die Legislatur hinauswirken, Stichwort „Tenu-re-Track-Programm“ . Das heißt, bei uns in Deutschlandwird durch dieses Programm angeregt, junge Menschenzu berufen . Das heißt, man hat, wenn man gut ist, mit 31oder 32 Jahren oder wie auch immer und nicht erst mit45 Jahren Klarheit, ob man eine unbefristete Professurbekommt oder nicht . Man hat Rechtssicherheit . Wir sor-gen für 1 000 zusätzliche unbefristete Professorenstellen .Es geht auch um die Vergewisserung, dass Tenure Trackjedes Jahr erneuert und ausgeschrieben wird . Das ist einZugmittel für sich im internationalen Umfeld bewegendeWissenschaftler, aber auch für diejenigen, die in der Bun-desrepublik Deutschland arbeiten . Das ist eine Chancefür die Besten in unserem System . Ich glaube, das ist et-was, das lange wirkt und eine Strukturveränderung be-deutet .
Mit der Exzellenzstrategie kommt der neue Arti-kel 91b Grundgesetz zum ersten Mal zum Einsatz . Dasheißt, neben allen Details wissen die Hochschulen: DieseStrategie ist für unbefristete Zeit als Bund-Länder-Ver-einbarung geschlossen . Das bedeutet Planungssicherheit,und zwar nicht nur für die Hochschulen, die jetzt einenZuschlag bekommen, die zum Beispiel ein Cluster ein-werben und damit den Strategiezuschlag von 1 MillionEuro jährlich erhalten; denn es ist – wie der Imboden-Be-richt gezeigt hatte – etwas, das das Hochschulsystem ins-gesamt wettbewerbsfähig macht . Wenn wir dann in eini-gen Jahren wirklich vier oder fünf international reputierteHochschulen haben, die in den Rankings ganz vorne lie-gen, dann können wir sagen: Das war genau die richtigeEntscheidung, die wir jetzt getroffen haben.
Die letzten zwei Punkte waren Bund-Länder-Verein-barungen . Ich kenne Bund-Länder-Vereinbarungen vonbeiden Seiten . Sie sind nicht einfach, aber ich denke, dieTatsache, dass wir uns in kurzer Zeit zusammengeraufthaben, zeigt, dass der Föderalismus, bei vieler Kritik, diesicherlich berechtigt ist, sehr gut funktionieren kann . Dasist für die gesamte politische Debatte in Bezug auf dasVerhältnis von Bund und Ländern ein positives Signal .Zur Hightech-Strategie . Wir haben die Vorreiterrollein einer Reihe von Zukunftstechnologien . So eine Vorrei-terrolle kann man allerdings schneller verlieren, als mansie errungen hat . Deswegen ist es wichtig, dass wir indie Gebiete, in denen wir gut sind, in denen wir Vorrei-ter sind, auch weiterhin investieren, zum Beispiel in dieBereiche Bioökonomie, Klimaforschung, Robotik, In-dustrie 4 .0 und Energieforschung für die Energiewende,Stichwort „Kopernikus-Projekte“ .Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das Ihnen im Haus-halt eventuell noch nicht aufgefallen ist . Das ist das The-mengebiet Mikroelektronik . Die Mikroelektronik ist fürdie gesamte Digitalisierung in der Wirtschaft – Sensorik,Leistungselektronik – zentral . Wir sind in diesem Bereichin Deutschland, aber auch in Europa und internationalwettbewerbsfähig . Wenn wir das bleiben wollen, dannmüssen wir organisieren, dass hier Innovationssprüngemöglich sind, also nicht einfach nur kontinuierlich wei-terforschen . Das heißt, auf diesem Feld müssen wir dieGrundlagenforschung im Bereich Mikroelektronik stär-ken und ausrichten, um in den nächsten Innovationszy-klen in diesen Bereichen wieder ganz vorne zu sein . ImHaushalt des nächsten Jahres stehen 50 Millionen Eurodafür . Interessanter sind die weiteren 350 MillionenEuro . Das heißt, es steht ein 400-Millionen-Euro-Paketfür den Bereich Mikroelektronik bereit . Das ist nicht nurfür unsere Großen, für Fahrzeugindustrie und Maschi-Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618384
(C)
(D)
nenbau, wichtig . Gerade für die Zulieferer, bei denen esum Systeme und Komponenten geht, ist es ganz wichtig,dass so geforscht wird, dass auch sie davon profitieren.
Noch eine Anmerkung zur Mikroelektronik: Dadurch,dass die Beihilferegelung für die Bereiche, in denenMarktverzerrungen zu befürchten sind, geändert wurde,haben wir die Chance, auch die Produktion nach Europazu holen . Eine zentrale Voraussetzung dafür ist, dass wirtechnologisch in der ersten Liga spielen . Deswegen ist esauch industriepolitisch ganz zentral, dass wir das jetzt imHaushalt verankert haben .Zu den KMUs, den kleinen und mittleren Unterneh-men . Man kann es sich einfach machen . Wenn wir unsdie Zahlen zur KMU-Förderung anschauen, stellen wirfest, dass die Fördermittel jedes Jahr gestiegen sind,dass es eine große Antragsflut und hohe Abflusszahlengibt . Man sollte aber nicht selbstgefällig sein, sondernauch die kritischen Signale sehen . Deswegen war dieEinschätzung von führenden Ökonomen, dass die Inno-vationskraft unserer kleinen und mittleren Unternehmennicht steigt, sondern zum Teil stagniert oder sogar sinkt,wichtig . Das kann man nicht reparieren, indem man jedesJahr mehr Geld gibt . Die Aussage, dass die Innovations-kraft nicht steigt, obwohl seitens der Bundesregierungmehr Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden, betrifftübrigens nicht nur unser Ressort . Wir haben die Konse-quenz gezogen und versucht, gemeinsam mit Expertenzu analysieren, welche Hemmnisse bestehen, was mananders machen müsste . Wir standen über ein Jahr im Di-alog, auch mit vielen Praktikern . Daraufhin haben wir dieFördermechanismen total verändert . Es gab auch mehrGeldmittel; wichtig war aber, dass die Mechanismen derFörderung so verändert wurden, dass auch die kleinenund mittleren Betriebe profitieren. Deswegen haben wirdas Programm „Vorfahrt für den Mittelstand“ aufgelegt .Auch die Initiative von Bund und Ländern mit dem Titel„Innovative Hochschule“ wirkt sich diesbezüglich posi-tiv aus .
Ein letzter Punkt . Man kann viel Geld ausgeben, undman kann darüber reden . Man kann das alles machen,aber wir werden unsere Ziele hinsichtlich der Stabilitätdes Gesellschaftssystems und hinsichtlich Produktivi-tät und Spitzenforschung in Deutschland nur erreichen,wenn wir Menschen haben, die sich engagieren, die daswirklich wollen . Sie müssen sehen, dass wir in diesemLand Chancen bieten, und zwar für alle . Es geht umChancengerechtigkeit . Deswegen ist das Thema Bil-dungsgerechtigkeit ein zentrales Thema . Die Erhöhungdes BAföGs sind wir gerade angegangen . Schauen wirbeim Aufstiegs-BAföG einmal genau hin: höhere Förder-sätze, höhere Freibeträge, höhere Zuschussbeteiligungen,weniger Bürokratie, mehr Familienfreundlichkeit . Dassind eindeutige Maßnahmen zur Steigerung der Attrakti-vität des Aufstiegs im beruflichen System. Weil uns allenin diesem Raum, wie ich glaube, an der Gleichwertigkeitvon beruflicher und akademischer Bildung gelegen ist,sage ich: Das sind Signale, die weit über die finanzielleFörderung des einzelnen Meisters und der einzelnen Er-zieherin hinaus wirken .
Wenn man über Gerechtigkeit spricht, neigt man dazu,zu betonen, dass es vor allem darum geht, die Schwä-cheren besonders zu fördern . Das ist richtig; das mussgemacht werden . Wir haben einen umfangreichen Kata-log an Möglichkeiten zur Förderung in den unterschiedli-chen Ressorts entwickelt . Gerechtigkeit heißt aber auch,dass man die, die leistungsstark sind, die begabt sind, be-sonders fördert . Das gehört mit dazu . Deswegen ist dasThema Begabtenförderung – ich weiß, dass es die Ko-alitionsfraktionen besonders interessiert und dass dafürimmer mehr Geld gewünscht wird – ein zentrales Thema .Begabtenförderung bezieht sich aber nicht nur auf dieBegabtenförderwerke, sondern auch auf mein Lieblings-thema, das Deutschlandstipendium .
– Genau, Herr Schulz . – Wir haben mittlerweile – ichsage es noch einmal – im Rahmen des Deutschlandsti-pendiums im Schnitt so viele Förderfälle wie im Rahmenaller Begabtenförderwerke, die zum Teil schon 50 Jahreexistieren und ihre eigenen Mechanismen haben .
Es geht um Chancen für jeden . Man möchte selbst-bestimmt seine Zukunft gestalten . Viele haben Ängste,zum Beispiel vor der Digitalisierung, vor Industrie 4 .0 .Bei aller Förderung von Technologien ist es wichtig, zuschauen, was mit den Menschen passiert . Wir könnenalle immer wieder sagen, dass sich durch die Digitali-sierung alle Berufe verändern usw .; aber man muss kon-kret werden . Wir haben jetzt im April zusammen mit derWirtschaft ein großes Projekt gestartet, die Initiative Be-rufsbildung 4 .0 . Dabei werden wir nicht nur darüber re-den, dass sich alles ändern wird, sondern wir werden füreine bestimmte Zahl von Berufen Curricula entwickeln,die zeigen, wie man 2025 in diesen Berufen auf jedenFall ausgerüstet und ausgebildet sein muss . Ich glaube,das ist eine konkrete Initiative . Ebenso stärken wir dieüberbetrieblichen Ausbildungsstätten im Bereich Digita-lisierung und machen Kampagnen, um dafür zu sorgen,dass die Medien in der beruflichen Ausbildung bei denBerufsbildnern, in den Betrieben, in der Wirtschaft bes-ser ankommen .Eine letzte ganz kleine Bemerkung – ich glaube, dasmuss ich hier nicht ausführen –: Natürlich gehört auchdazu, dass wir denjenigen Chancen bieten, die jetzt alsFlüchtlinge zu uns gekommen sind, und zwar Chancenfür die, die bleiben werden, und Chancen für die, diewieder gehen müssen . Wir haben hier über die Aktivi-täten des BMBF berichtet . Ich bin besonders stolz aufdas 10 000-Stellen-Programm für Auszubildende, daswir zusammen mit den Handwerkskammern und der BAaufgelegt haben . Ich glaube, das ist eine große Leistungfür den Einzelnen und nicht nur für die Volkswirtschaft inDeutschland oder vielleicht in anderen Ländern .
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18385
(C)
(D)
Über ein Jahrzehnt Kontinuität in der Bildungs- undForschungspolitik vonseiten der Bundesregierung – daszeigt Erfolge . Deutschland steht auch dank dieser Prio-ritätensetzung hervorragend da . Aber wir müssen uns fürdie Zukunft ambitionierte Ziele setzen . Wir müssen al-les daransetzen, diese zu erreichen, aber gleichzeitig dieschwarze Null im Auge behalten . Denn wir wollen nicht,dass wir die Chancen für die zukünftigen Generationenverstellen . Deswegen, glaube ich, ist die Summe, die wirin unserem Haushalt haben, bei gleichzeitiger Haushalts-konsolidierung ein sehr, sehr gutes, aus meiner Sicht eingroßartiges Ergebnis .Danke schön .
Vielen Dank . – Nächster Redner für die Fraktion Die
Linke ist der Kollege Roland Claus .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! BereitsBundesminister Schäuble ist wie soeben auch Bundesmi-nisterin Wanka auf die bemerkenswerte Langzeitbilanzdieses Etats eingegangen . Es ist in der Tat einzigartig,dass ein einzelner Etat innerhalb von zehn Jahren einenZuwachs um 130 Prozent, also weit mehr als eine Ver-doppelung, erfahren hat .
Das ist einmalig und spricht für eine gute Absicht . Dazukommt – viele wissen das nicht –, dass dieser Etat vor-wiegend ein Programmetat ist . Die Ministerin muss mitihrem Team also relativ wenig verwalten . Sie kann sehrviel verteilen . Sie hat auch noch Verteilungshelfer, die ihrdabei zur Seite stehen . Das sind die sogenannten Projekt-träger .
– Ja, ja, wenn Sie weiter mitdenken, bleibt es auch fürSie gut .Jetzt müssen wir uns natürlich die Frage stellen: Wennsich eine Regierung entscheidet, einen Etat innerhalb vonzehn Jahren so kolossal aufwachsen zu lassen,
ziehen dann auch die Ergebnisse in Bildung, Forschungund Wissenschaft ebenso mit? Haben die sich auch ver-doppelt?
Ist das so in der Wahrnehmung? Es wird einige im Plenumgeben, die laut Ja rufen, es wird auch ein paar Zuwen-dungsempfänger geben, die das bejahen werden, aber dieMehrheit der Bevölkerung wird genau dies kritisch se-hen . Eltern, die gegen Schulschließungen angehen, Aka-demiker in Bildungsträgern in ständiger Konkurrenz umneue Aufträge – das alles sind keine von mir frei erfunde-nen Beispiele –, Hochschulangehörige mit auslaufendenZeitverträgen, sie alle sehen das etwas anders . Deswegensagen wir Ihnen hier nochmals: Viel Geld allein garan-tiert den Erfolg noch nicht . Es muss mehr dazukommen .
Nun haben wir die Kritik nicht zum ersten Mal ange-sprochen, aber wir sind auch nicht die Einzigen, die Din-ge wiederholen . Man merkt Frau Wanka schon an, dasssie sehr bemüht ist, hier eine Ergebnisanalyse einzubrin-gen . Aber wenn ich mir dann anschaue, welche Unterlagedas Bundesministerium für Bildung und Forschung demHaushaltsausschuss vorgelegt hat, muss ich Ihnen sagen:Das ist, wenn ich das so salopp sagen darf, wirklich grot-tenaltes Denken . Neun Seiten ausschließlich Eigenlob,
und dieses Eigenlob ist nicht an einem einzigen Ergebnisfestgemacht, sondern lediglich an den steigenden Ausga-ben . Dieses Denken müssen Sie noch überwinden .
– Das kann man fünfmal genau lesen; es wird davonwirklich nicht besser . Beim zweiten Mal wird es auch Ih-nen langweilig vorkommen .Gerade von einem Bildungs- und Forschungsminis-terium hätte ich ein bisschen mehr intellektuellen An-spruch und auch selbstkritische Reflexion erwartet.
Einige Aspekte will ich dabei herausgreifen .Sie schreiben in Ihrem Haushalt: Ziel der Bundesre-gierung ist es, für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sor-gen . – Fakt ist aber – ich sage: leider –: Die soziale Aus-lese nimmt weiter zu .
Von 100 Akademikerkindern studieren 77 und 23 nicht .
Von 100 Nicht-Akademikerkindern – da ist es genau um-gedreht – studieren 23, obwohl 46 die Hochschulreifeerreicht haben, und 77 nicht .
Das ist nicht nur eine soziale Selektion, die wir für un-gerechtfertigt halten, sondern wahrscheinlich auch einBundesministerin Dr. Johanna Wanka
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618386
(C)
(D)
gigantisches Verschenken von Talenten, denen wir denWeg zu diesem Bildungsgang versperren .
Die Initiative „ArbeiterKind .de“ macht auf diese Proble-me seit 2008 aufmerksam .Natürlich ist das eine Ungerechtigkeit in Bildung undQualifizierung, die die Linke so nicht hinnehmen wird.Deswegen werden wir Ihnen erneut Vorschläge für einegroße BAföG-Reform auf den Tisch legen, die diesenNamen verdient und dann auch das Deutschlandstipen-dium überflüssig macht.
Diese BAföG-Reform – das müssen wir zugeben – isteine teure Reform .
Sie ist aus dem Bestand des BMBF nicht zu bezahlen .Deshalb verlangt eine solche Reform auch eine andereEinnahmepolitik des Bundes . Mit einem gerechten Steu-erkonzept wären wir in der Lage, einen gerechten Zu-gang zu Bildung und Qualifizierung zu finanzieren, mei-ne Damen und Herren .
Wir werden uns in den Haushaltsberatungen – daswissen Sie, Frau Ministerin – wieder mit den Kritikpunk-ten befassen, die von der Opposition, von Teilen der Koa-lition und vom Bundesrechnungshof zur Zielgenauigkeitund zur Abrechenbarkeit der Förderung von Wissen-schaftseinrichtungen nach wie vor vorgetragen werden .Wir kritisieren insbesondere die von uns so genanntenZuwendungen an ausgewählte staatsnahe Monopolisten,inzwischen auch im Zusammenwirken mit anderen Mi-nisterien . Die Sache wird ein bisschen dreist . Im Etat desBundeswirtschaftsministeriums gibt es inzwischen einenVermerk, in dem ein Zuwendungsempfänger, den wir allegut kennen, explizit als solcher hervorgehoben wird . Ichfinde, das hat mit Vergaberecht nichts mehr zu tun. Wirlassen das gerade prüfen . Auch das Projektträgergebarendes BMBF lässt da einiges zu wünschen übrig .Wir halten die Kritik aufrecht, dass trotz der Änderungdes Teilzeit- und Befristungsgesetzes befristete Arbeits-verhältnisse im Wissenschafts- und Hochschulbereichein ungeheuer großes Problem sind, das wir nach wie vornicht gelöst haben .
Dieses Problem haben Sie mit Ihrer kleinen Gesetzes-novelle nicht im Kern angepackt . Ich glaube, das habenSie inzwischen selber verstanden .
Es ist ja nicht so, dass man den Leuten nur die Frei-heit, ihre Zukunft zu planen, raubt, sondern wir verschen-ken wahrscheinlich auch wissenschaftliche Leistungen .Wenn man immer an ein bestimmtes Datum denken mussund sich mitten in der Forschung befindet, wo sich nichtalles planen lässt, man aber genau weiß: „In drei Mo-naten läuft die Befristung meines Arbeitsvertrages aus“,dann ist das kreativitätsfeindlich, meine Damen und Her-ren . Diese Kritik müssen Sie sich gefallen lassen .
Ein positives Beispiel will ich allerdings auch erwäh-nen .
Aber bitte nur ein ganz kurzes, Herr Kollege Claus;
denn Ihre Redezeit ist schon lange abgelaufen .
Gut, dann höre ich mit einem positiven Beispiel auf –
man soll ja lobend beginnen, kritisch ausführen und op-
timistisch enden –:
Ich halte es für sehr bemerkenswert, was von der Arbeits-
gemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen
Jahr für Jahr geleistet wird . Dort ist zum ersten Mal eine
wirklich sinnvolle Kooperation verschiedener Ministeri-
en bei der Förderung anzutreffen. Davon profitiert auch
Ostdeutschland in erheblichem Maße . Von den besten
Initiativen können wir noch einiges lernen . Aber natür-
lich müssen wir auch sehr viel Murks, der noch gemacht
wird, beenden .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Hubertus Heil .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es istdas Wesen von Haushaltsdebatten, dass die Regierungs-fraktionen alles sehr positiv sehen und die Oppositionalles sehr negativ sieht . Vielleicht versuchen wir in die-ser Debatte, miteinander einen realistischen Blick auf dieDinge zu werfen . Es gibt Licht – sehr viel Licht, auchwenn noch einiges zu tun ist –, aber es ist auch Schat-ten da . Ich will über einen gigantischen Fortschritt, denwir erzielt haben, reden – da hat die Ministerin vollkom-men recht –: Die Mittel des Bildungshaushalts steigenauf 17,6 Milliarden Euro; das entspricht einem Plus von7 Prozent allein in diesem Jahr . Das ist kein Versprechen,sondern die Umsetzung von Versprechen . Diese Koaliti-Roland Claus
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18387
(C)
(D)
on hat das, was sie im Bereich Bildung und Forschungim Koalitionsvertrag zugesagt hat, weitestgehend umge-setzt: 6 Milliarden Euro mehr für Bildung und 3 Milliar-den Euro mehr für Forschung . Darauf können wir stolzsein, und das ist wichtig für die Zukunft dieses Landes .
Diese Koalition kann vor allen Dingen im BereichWissenschaftspolitik und Forschung sehr stolz auf eineFülle von Maßnahmen sein . Frau Ministerin, ich sagesogar: Ich glaube, dass wir in dieser Legislaturperiodegemeinsam mehr bewegt haben als andere Regierungendavor in mehreren Legislaturperioden .Wir haben die drei Wissenschaftspakte verlängert –den Hochschulpakt, den Pakt für Forschung und Inno-vation, und aus der Exzellenzinitiative ist die Exzellenz-strategie geworden –, wir haben das Befristungsrecht inder Wissenschaft reformiert, um einen, wie ich finde,überzogenen Missbrauch von Befristungen zurückzu-drängen, wir haben die Hightech-Strategie zu einer ge-samtgesellschaftlichen Innovationsstrategie weiterent-wickelt, wir haben Geld in die Hand genommen, um zuforschen, was Arbeit von morgen ist – 1 Milliarde Euromehr für Arbeitsforschung –, der Bund hat das BAföGübernommen, was ich ordnungspolitisch für richtig halte,damit wir uns nicht immer zwischen Bund und Ländernüber Finanzierungsanteile streiten, sondern dafür sorgen,dass dieses Instrument der Chancengleichheit effektiverwird, und gleichzeitig, Herr Claus, haben wir das BAföGauch reformiert . 100 000 Studierende zusätzlich habenjetzt die Chance, BAföG zu bekommen, und das BAföGist um 10 Prozent gestiegen . Das ist ein Wort und ganzkonkrete Politik für Chancengleichheit .
Wir haben es auch geschafft, das Grundgesetz – Ar-tikel 91b – zu reformieren . Wir haben für die ZukunftKooperationsmöglichkeiten im Bereich der Wissenschaftund Forschung geschaffen, die es vorher noch nie gab.Das ist auch wichtig, weil wir wissen, dass vieles, waswir bisher auf den Weg gebracht haben, in der nächstenLegislaturperiode enden wird, weil die Programme unddie Bund-Länder-Vereinbarungen bisher befristet waren .Wir haben nun die Chance, dauerhaft einzusteigen, undprobieren das jetzt bei der Exzellenzinitiative, wie be-schrieben, aus . Wir werden dieses Instrument noch brau-chen . Das geht über diese Legislaturperiode hinaus .Daneben haben wir als SPD-Bundestagsfraktion einenPakt für wissenschaftlichen Nachwuchs angeregt und mitdem Koalitionspartner und der Ministerin durchgesetzt,um die Karrierechancen von jungen Wissenschaftlerin-nen und Wissenschaftlern zu stärken . Darauf, dass wirhier wirklich vorangekommen sind, sind wir in dieserKoalition gemeinsam stolz .
Zu einer realistischen Bilanz gehört aber auch, dasswir bei aller Freude über das, was wir im Bereich vonWissenschaft und Forschung geschafft haben, im Bereichder Bildung noch viel zu tun haben .
Ich sage das auch deshalb, weil das die erste Lesung desmöglicherweise letzten Haushalts dieser Legislaturperi-ode ist . Das heißt aber nicht, dass wir schon jetzt in denWahlkampf verfallen sollten, sondern es gibt im Bereichder Bildung noch eine ganze Menge zu tun, was wir ge-meinsam angehen können .Ich will sagen, was ich damit meine: Wir haben – dieMinisterin hat es gesagt – auch im Bereich der berufli-chen Bildung etwas getan, weil uns die Gleichwertigkeitder akademischen und der beruflichen Bildung am Her-zen liegt – Stichwort: Aufstiegs-BAföG/Meister-BAföG .Ich finde, das ist ein gigantischer Schritt, den wir mitei-nander gemacht haben . Ich sage aber auch: Ich wünschemir, dass wir in Zukunft nicht nur Gebührenfreiheit imBereich der Schulen – das haben wir seit Jahrzehnten –und im Bereich der Hochschulen – wir haben es mühsamerkämpft, dass dies in jedem Bundesland so ist – haben,sondern dass langfristig auch die frühkindliche Bildungbeitragsfrei gestellt wird .
Bei aller Freude darüber, dass die akademische Aus-bildung – zumindest das Erststudium – beitragsfrei ist,gibt es leider Gottes auch immer noch Beiträge für Meis-terkurse und vieles andere mehr . Der Fortschritt, den wirerreicht haben, ist groß, und das war auch richtig so . Daslangfristige Ziel im Sinne von Gleichwertigkeit mussaber sein, sowohl die akademische als auch die beruflicheAusbildung und die Aufstiegsmöglichkeiten beitragsfreizu stellen, damit finanzielle Hürden beiseitegeräumt wer-den .
Im Bereich der beruflichen Bildung haben wir in dieserLegislaturperiode gesetzgeberisch allerdings noch etwasvor uns. Das steht im Koalitionsvertrag, und wir hoffenhier auf eine gute Zusammenarbeit mit dem Koalitions-partner . Ich meine die Reform des Berufsbildungsgeset-zes . Hier sollten wir nicht die Hände in den Schoß legen,sondern wir müssen deutlich machen – das ist auch dieBitte an die Kolleginnen und Kollegen in der Union –,dass wir auch in diesem Bereich bei allem Stolz auf dieberufliche Bildung die Zeichen der Zeit erkannt haben.Wir müssen offen darüber reden – Herr Claus, ichwende mich an Sie –, dass wir tiefer gehende Proble-me in unserem Bildungswesen haben, die wir nach wievor nicht überwunden haben . Was meine ich? Diese Re-publik, die Bundesrepublik Deutschland, hat durch dieBildungsreformen der 60er- und 70er-Jahre eine riesigeDynamik für den Aufstieg durch Bildung entfaltet . Kin-der und Jugendliche dieser Generation hatten als Erstedie Chance, durch Leistung und Talent über den zweiten,den dritten oder auch den ersten Bildungsweg auf höhereund höchste Schulen zu kommen . Das war der Bildungs-aufbruch der 60er- und 70er-Jahre . Ganz viele, die auf-gestiegen sind – das ist von Ihnen zu Recht beschriebenHubertus Heil
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618388
(C)
(D)
worden –, erleben, dass wiederum ihre Kinder die Chan-ce haben, in der Bildung ein hohes Niveau zu erreichen .Aber wir müssen auch feststellen – das besagen leideralle OECD-Studien –, dass die Bildungsdynamik in die-sem Land nicht gut genug ist . Das heißt, diejenigen, dieaufgestiegen sind, und die Kinder derjenigen, die aufge-stiegen sind, haben beste Chancen . Andere erleben, dasssoziale Herkunft nach wie vor stärker über die Bildungs-und Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen indiesem Land entscheidet als Talent, dass also Herkunftstärker zählt als Leistung . Das, meine Damen und Her-ren, ist für eine soziale Marktwirtschaft, für einen sozia-len Rechtsstaat, für unser Land nicht akzeptabel . Deshalbdürfen wir nicht nachlassen, in diesem Bereich ganz kon-kret etwas zu tun .
Daher, Frau Ministerin, schlagen wir Ihnen etwas vor .Wir haben neben der Abarbeitung des Koalitionsvertra-ges auch Dinge miteinander hinbekommen, die nicht imKoalitionsvertrag standen, aber vernünftig und richtigwaren, zum Beispiel die Grundgesetzänderung .
Deshalb reichen wir Ihnen und der Koalitionsfraktion dieHand, um etwas auf den Weg zu bringen, was ich Ihnenkurz skizzieren will, nämlich das, was wir eine „Nationa-le Bildungsallianz“ nennen . Wir sind der festen Überzeu-gung: Die Kernkompetenz der Länder bleibt im Bereichder Schule; gar keine Frage . Sie haben das ja anlässlichder Einführung des Kooperationsverbotes vor zehn Jah-ren – ein Jubiläum will ich das nicht nennen,
ich finde, es ist ein trauriger Jahrestag – unterstrichen; dasind wir einer Meinung . Es ist Kernkompetenz der deut-schen Bundesländer, im Bereich der Schule die Inhaltezu bestimmen und dafür zu sorgen, dass das Schulsystemfunktioniert .
Aber angesichts der Herausforderungen, vor denenwir jetzt in mehrerlei Hinsicht stehen, muss es dochmöglich sein, dass Bund, Länder und Kommunen nichtnur bei der Hochschule, sondern auch bei den Schulen aneinem Strang ziehen, meine Damen und Herren . Warumeigentlich nicht?
Ich will es anhand der praktischen Notwendigkeitenbeschreiben . Der Zustand unserer Lernorte, meine Da-men und Herren, ist nicht befriedigend . Der Städte- undGemeindebund sagt uns, dass die Hälfte aller Schulen inDeutschland sanierungsbedürftig ist .
Wenn wir das Thema Digitalisierung hinzunehmen, dannsind sie auch modernisierungsbedürftig . Wir wissen,dass das zu einer Verzerrung von Lebenschancen führt,je nachdem, in welcher Gemeinde man geboren ist, einerfinanzstarken oder einer finanzschwachen in Deutsch-land . Wir wissen auch, dass vor allen Dingen in sozialenBrennpunkten in vielen Bereichen, unabhängig davon,welcher Couleur die Kommunalpolitiker sind, aus rei-ner Finanznot ein Riesenmodernisierungsbedarf besteht .Deshalb schlagen wir Ihnen erstens vor, dass sich Bund,Länder und Kommunen zusammensetzen und über einSchulmodernisierungs- und Schulsanierungsprogrammreden .
Warum ist das notwendig? Weil es nicht ausreicht, überdie Bildungsrepublik Deutschland zu sprechen und zusagen: Wir schaffen das. – Vielmehr müssen wir deutlichmachen: Wir machen das . – Das fängt mit den Lernortenan .Zweitens .
– Nein, ich nenne Ihnen einmal die Zahlen zur Auflösungdes Sanierungsstaus nach Angaben des Städte- und Ge-meindebundes .
Sie wissen, da sitzen Kommunalpolitikerinnen und Kom-munalpolitiker aller hier im Haus vertretenen Parteien .Sie sprechen von einer Summe von 34 Milliarden Eurozur Auflösung des Sanierungsstaus. Das kann der Bundnicht alleine schultern . Aber wir müssen den Kommunendabei helfen . Sie sind in der Regel der Schulträger .
– Ganz ruhig, Herr Schipanski . Sie haben vielleicht nochdie Gelegenheit, etwas zu sagen .
Herr Kollege Heil, ich muss Sie, da Sie schon „zwei-
tens“ genannt haben, daran erinnern, dass Sie keine lange
Auflistung mehr machen können. Ihre Redezeit ist abge-
laufen .
Gut . Dann will ich Ihnen nur noch die beiden Stich-worte nennen . Frau Präsidentin, ganz herzlichen Dank . –Das Ganztagsschulangebot und das Thema „Integrationund Teilhabe“ sind nur zu stemmen, wenn wir eine ge-meinsame Kraftanstrengung machen .Deshalb: Dieser Haushalt ist ein gutes Signal für dieWissenschaft in diesem Land, für die Forschung in die-sem Land, auch im Bereich der beruflichen Bildung.Aber gemeinsam können wir mehr . Frau Ministerin, dasMinisterium heißt Bundesministerium für Bildung undForschung – nicht nur Wissenschaft .Hubertus Heil
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18389
(C)
(D)
In diesem Sinne hoffen wir, dass wir uns in diesemJahr noch anstrengen, um gemeinsam mit Kommunenund Ländern auch im Bereich der schulischen BildungFortschritte zu erzielen . Die Kinder und Jugendlichen indiesem Land würden es uns danken .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt hat die Kollegin Ekin Deligöz für
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Wanka, der Bildungsetat ist seit 2005 tatsäch-lich kontinuierlich gestiegen, auch in dieser Wahlperio-de . Auch jetzt gibt es wieder 1 Milliarde Euro mehr . Ja, esstimmt: Insgesamt nehmen Sie Geld in die Hand; das istauch richtig und wichtig so . Man kann Ihnen nicht vor-werfen, dass Sie das nicht tun . Aber es geht ja nicht nurdarum, dass Sie Geld ausgeben, sondern es muss auchdarum gehen, wofür Sie das Geld ausgeben und ob Siedieses Geld verantwortlich verwalten können .
Frau Wanka, da gibt es noch vieles, zu dem Sie sichin Ihrer Rede hätten äußern können, worüber wir redenmüssen . Ich gebe Ihnen ein Beispiel . Der Bundesrech-nungshof gibt uns jedes Jahr von neuem eine Vorlage,in der es heißt, dass das BMBF, Ihr Haus, besser darinwerden muss, die Wirkung der Förderprogramme anhandvon konkreten Zielen zu messen . Die Antwort aus IhremHaus dazu steht irgendwie noch aus . Wir können immerwieder nachfragen, erhalten aber keine Antworten vonIhnen . Hier müssen Sie Ihre Hausaufgaben noch machen .Oder: Großprojekte wie zum Beispiel der Beschleuniger-komplex FAIR oder die Stilllegung der Forschungsreak-toren . Da können wir gar nicht oft genug hinterherfragen,um herauszufinden, was Sie da eigentlich machen, wasIhre Pläne sind . Ihre Unterlagen geben uns nicht unbe-dingt Antworten darauf, die Besprechungen in IhremHause leider auch nicht . Es gibt aber sehr große Zwei-fel in Bezug auf Wirtschaftlichkeit, Verlässlichkeit undSachgerechtigkeit . Das geht bis hin zum Vorwurf vonManagementfehlern . Dazu brauchen wir von Ihnen nochAntworten . Es geht nämlich auch um verantwortungsvol-len Umgang mit Steuergeldern .
Die Rechnungsprüferin in mir ist da hellwach undwird da weiter nachfragen . Aber auch die Politikerin inmir ist nicht zufrieden; denn Sie geben das Geld zwaraus, aber nicht unbedingt immer an der richtigen Stelle .Vor allem vernachlässigen Sie wichtige Bausteine für dasZiel, das Sie selber nennen, nämlich der Bildungsgerech-tigkeit .Ich will Ihnen dazu ein paar Beispiele geben . NehmenSie BAföG: Jahrelang waren die BAföG-Sätze – auchdurch die Anrechnung der Elternbeiträge – so niedrig,dass immer mehr junge Menschen aus dem BAföG he-rausgefallen sind . Jetzt sind wir bald im Wahljahr, undSie machen Ihr Geschenk . Jetzt soll etwas verändertwerden . Das, was Sie verändern, ruft jetzt schon danach,nachgerechnet und korrigiert zu werden, weil es nichtausreichend ist . Bildungsgerechtigkeit in diesem Landgeht anders, Frau Ministerin .
Nehmen Sie den Bereich des wissenschaftlichenNachwuchses: Es ist gut, wichtig und überfällig, dass wirdort etwas tun . Wir Grüne fordern schon sehr lange, dassda etwas gemacht wird . Aber wenn Sie es schon machen,warum finanzieren Sie es dann nicht einfach zuverlässigaus? Und warum umfasst Ihr Nachwuchspakt nicht auchandere Personalkategorien? Warum bleiben Sie da aufder halben Strecke stehen?Oder nehmen Sie den Bereich der Integration von Flücht-lingen ins Bildungssystem . Es ist gut, dass Sie da ein Pro-gramm gemeinsam mit dem Handwerk und der Bundes-agentur für Arbeit auflegen. Der große Wurf in diesemBereich steht aber noch aus . Da sind die Hausaufgabennoch lange nicht gemacht .
Ich gebe Ihnen noch ein anderes Beispiel . Sie gebenGeld für Dinge aus, die einfach nicht angenommen wer-den und überfinanziert sind. Ich nenne zum Beispiel dasDeutschlandstipendium und die Qualitätsoffensive Leh-rerbildung . Sie wollen die Ausgaben dafür jedes Jahrerhöhen . Das Deutschlandstipendium kommt aber nichtan, es wird nicht genug in Anspruch genommen . Haus-haltswahrheit und Haushaltsklarheit würden jetzt bedeu-ten, ehrlich zu sein, dieses Programm einzustellen oderzu kürzen und nach Programmen zu suchen, die in dieserGesellschaft auch ankommen . Das tun Sie nicht, weil Sieda von irrigen Annahmen – und nichts anderem – geleitetsind .
Dramatisch aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, istdas, was mit diesem Haushalt überhaupt nicht finanziertwird – weil Sie es nicht finanzieren dürfen. Da hat derKollege Hubertus Heil vollkommen recht . Ich frage:Was ist eigentlich mit den Schulen in diesem Land? Wiekönnen wir sie sanieren? Wie können wir sie zuverlässigmachen? Wie können wir mehr Lehrer, kleine Klassenund gute Integration finanzieren? Das ist doch ein Auf-trag an uns . Es war ein historischer Fehler, dass Sie dasKooperationsverbot nicht auch für den Bereich Bildungund Schulsysteme aufgehoben haben .
Das wird uns einholen . Es ist eine verpasste Chance fürdie Bildung .Sie haben vorhin dazwischengerufen, als der KollegeClaus hier die Zahlen in Bezug auf die Abhängigkeit vonElternhaus und Bildungsstatus genannt hat: Das DramaHubertus Heil
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618390
(C)
(D)
ist nicht, dass Herr Claus Ihnen nicht die Quellen genannthat .
Das Drama ist, dass Sie die Quellen überhaupt nicht ken-nen . Das ist ein Skandal .
Ich kann Ihnen auf Anhieb mindestens zwei Quellennennen . Den nationalen Bildungsbericht sollten Sie alsBildungspolitiker kennen . Auch die Sozialerhebung desDeutschen Studentenwerkes sollten Sie kennen .
Oder aber Sie sollten einfach nur vernünftig mit denMenschen reden . Auch das sollten Sie tun . Denn dannwüssten Sie, dass diese Investitionen für unser Land not-wendig sind . Sie verhindern das . Gehen Sie darauf ein .Unsere grünen Vorschläge zum Bildungsetat liegen hierbald auf dem Tisch . Wir werden sie zur Abstimmungstellen . Wir werden Sie dann daran messen, ob Sie auchwirklich für die Bildungsgerechtigkeit in diesem Landeinstehen .
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weil
alle vier Fraktionen die Gelegenheit hatten, die Redezeit
zu überschreiten, bitte ich jetzt alle weiteren Rednerin-
nen oder Redner, sich an die Redezeit zu halten .
Nächster Redner ist der Kollege Michael Kretschmer,
CDU/CSU-Fraktion, der das jetzt vorbildlich erledigen
wird . Danke schön .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Inves-titionen in Bildung und Wissenschaft verlangen einenlangen Atem . Aber sie sind die erfolgreichsten Inves-titionen, wenn es darum geht, Wohlstand zu schaffen,Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und den Menschen eingutes Leben zu bringen . Deswegen sind die 17 Milliar-den Euro, die wir jetzt für Bildung, Wissenschaft undForschung ausgeben können, im Vergleich zu 2005, alses 7 Milliarden Euro waren, eine sehr gute Nachricht . Siesind das Beste, was wir für dieses Land tun können, da-mit es auch den nächsten Generationen gut gehen kann .Meine Damen und Herren, wenn man sieht, was wirerreicht haben, nämlich dass die Erwerbslosenquote dieniedrigste in der Europäischen Union ist, dass wir dieniedrigste Jugendarbeitslosigkeit auf unserem Kontinenthaben und dass Unternehmen immer mehr in Forschungund Entwicklung investieren – auf diesem Weg sind wirin die Top Ten der weltweit stärksten Volkswirtschaftengekommen und gehören zu den innovativsten Regionender Welt –, dann können wir darauf ein Stück weit stolzsein .
Denn das, was wir geschafft haben, ist Ergebnis einerzehnjährigen Politik, die nicht kurzatmig von heute aufmorgen gemacht wird, sondern die eine große Verläss-lichkeit und Kontinuität bietet, die Vertrauen und Ver-antwortung gegenüber der Wissenschaft hat, die auf Ex-zellenz und Internationalität setzt und die klar für eineZusammenarbeit mit den Bundesländern ist und deswe-gen das Ganze im Blick hat: die gesamte Wissenschaftund die gesamte Bildung .Nur wenn die Welt der Wissenschaft mit der Welt derWirtschaft zusammenkommt, entsteht wirkliche Wettbe-werbsfähigkeit . Die Union bekennt sich deswegen aus-drücklich zu einer engen Kooperation von Hochschulenund Forschungseinrichtungen mit den Unternehmen inunserem Land .Technologietransfer ist für uns eine ganz zentrale Auf-gabe der Wissenschaft . Deswegen sehen wir die Karrie-rewege, die jetzt durch die Exzellenzinitiative ermöglichtwerden, der vielen jungen Leute, die jetzt in den deut-schen Hochschulen ausgebildet werden und promovie-ren, nicht auf die Wissenschaft beschränkt, sondern wirsehen die Karriere auch in der Gesellschaft und in derWirtschaft . Wir brauchen die jungen Leute in den Unter-nehmen, damit sie erfolgreich sind und damit wir wettbe-werbsfähige Produkte herstellen können .
Der Bund übernimmt Verantwortung für das Ganze .Wir haben den Hochschulpakt initiiert und werden biszum Ende des Jahrzehnts insgesamt 1,5 Millionen zu-sätzliche Studienplätze geschaffen haben. Was für einegroßartige Sache: 1,5 Millionen zusätzliche Studienplät-ze!
Wir haben den Qualitätspakt Lehre ausgerufen, umgerade auch etwas im Bereich der Lehre an den Hoch-schulen zu tun . Wir haben in einer Parlamentsinitiativemit dem Tenure-Track-Programm 1 000 zusätzliche Pro-fessuren ermöglicht . Man muss Bundesministerin Wankaausdrücklich danken, dass sie es in harten Verhandlungenmit den Ländern erreicht hat, dass diese 1 000 zusätzli-chen Stellen in den deutschen Hochschulen geschaffenwerden .
Denn wir sind der festen Überzeugung, dass das, waswir im Bereich der außeruniversitären Forschung erreichthaben, nämlich dass das Wissenschaftssystem wächst –auch dabei gibt es Verlässlichkeit; das ist über mehrereJahre geplant –, auch im Bereich der Hochschulen not-wendig ist . Das Hochschulsystem muss wachsen . Das istAufgabe der Länder . Wir können dabei helfen, aber es istzunächst einmal Aufgabe der Länder . Das Te nure-Track-Programm hat eine ganz großartige Wirkung .Ekin Deligöz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18391
(C)
(D)
Wir unterstützen die Fachhochschulen, und wir enga-gieren uns natürlich auch im Bereich der Bildung, aberauf eine intelligente und verantwortliche Art und Wei-se . Denn es ist richtig, was Bundesminister WolfgangSchäuble heute Morgen gesagt hat: Verantwortung undFinanzen müssen immer zusammenkommen .
Es ist niemandem geholfen, wenn wir Geld zur Verfü-gung stellen und an einer anderen Stelle jemand das Geldwegnimmt und sich zurückzieht . Nein, zu dem Ganzengehört auch Verantwortung . Deswegen ist die Qualitäts-offensive Lehrerbildung eine ganz wichtige Initiative ge-wesen . Wir haben nach Jahrzehnten, in denen die Länderuntereinander die Lehrerbildung nicht anerkannt haben,erreicht, dass dies jetzt ein Ende hat . In Zukunft werdendie Lehrer gegenseitig anerkannt . Das ist eine ganz wich-tige Maßnahme .Wir haben mit diesem Wettbewerb auch deutlich ge-macht, wo Lehrerbildung gut funktioniert und an wel-chen Hochschulen eine hohe Kompetenz vorhanden ist .Es gab welche, die in diesem Wettbewerb durchgefallensind und die heute hoffentlich intensiv darüber nachden-ken, was sie in Zukunft anders machen müssen . Die Leh-rerausbildung ist eine zentrale Aufgabe der Hochschulen .Hier werden diejenigen ausgebildet, die in Zukunft denjungen Leuten etwas beibringen sollen . Deswegen ist esrichtig gewesen, sich an dieser Stelle zu engagieren .
Wer weiß, dass wir in dieser Legislaturperiode Län-der und Kommunen um insgesamt 64 Milliarden Euroentlasten, kann kein Zerrbild malen und nicht behaupten,wir engagierten uns bei der Schulsanierung nicht . Die da-für vorgesehenen Gelder müssen dort ankommen, wohinsie gehören . Wenn sie nicht ankommen, muss man mitden betreffenden Bürgermeistern, Ministerpräsidentenund Ministern reden und den Streit vor Ort führen . Dafürist nicht der Bundestag, sondern das Landesparlamentoder das Kommunalparlament der richtige Ort .
Notwendig ist ohne Zweifel ein weiterer Schulter-schluss mit den Bundesländern, der Wirtschaft und denTarifvertragsparteien, um in Zukunft im Bereich der Bil-dung etwas zu erreichen . Wir stehen vor der großen He-rausforderung, dass zunehmend mehr junge Leute eineHochschule besuchen und dass zunehmend weniger eineduale Ausbildung absolvieren . Hier sind wir alle gefor-dert . Der Bund wird seinen Beitrag leisten . Wir müssenfür eine ordentliche, qualitativ hochwertige und überallangebotene Berufsberatung und Berufsorientierung sor-gen, und zwar sowohl an den Oberschulen als auch anden Gymnasien . Wir müssen den jungen Leuten ihre Per-spektiven richtig aufzeigen, damit weniger als bisher eineduale Ausbildung als Plan B absolvieren, nachdem sie ander Hochschule gescheitert sind . Wir müssen den jungenLeuten ein richtiges Bild von den Chancen vermitteln,die die duale und die betriebliche Ausbildung eröffnen.
Wir müssen uns für eine Reduzierung der 16 000 Stu-diengänge – für diese große Anzahl gibt es weder eineplausible Erklärung noch eine hinreichende Begrün-dung – auf ein vernünftiges Maß engagieren . Die jungenLeute, aber auch die Unternehmer müssen wissen, wassich hinter einem Studiengang tatsächlich verbirgt . DieseVielzahl an Studiengängen kann uns nicht zufriedenstel-len . Hier muss etwas passieren .
Wir haben bei der Lehrerausbildung schon einen wichti-gen Schwerpunkt gesetzt .Zu den großen Herausforderungen, vor denen wir ste-hen und die wir mit diesem Haushalt angehen – das mussin der nächsten Legislaturperiode fortgesetzt werden –,gehört ohne Frage die Digitalisierung . Es geht darum, dieKompetenzen in Unternehmen, bei jungen Leuten, Aus-zubildenden und den Fachkräften, die heutzutage ihrenMann in den Unternehmen stehen, zu stärken . Es gehtdarum, neue Lehr- und Lernkonzepte an den Universi-täten zu fördern, damit diese im internationalen Wettbe-werb wieder eine stärkere Rolle spielen . Es geht darum,Big Data – ein großes Thema – in allen Bereichen zumDurchbruch zu verhelfen, beispielsweise in der Medizin .Viele Krankheiten wären klarer zu erkennen und zu be-handeln, wenn wir in diesem Bereich schon weiter wä-ren . In diesem Zusammenhang müssen wir über die Fra-ge diskutieren, ob die Form des Datenschutzes, die wirheute praktizieren, dem Einzelnen wirklich nutzt oderob sie nicht im Zweifel schadet . Das ist sicherlich strei-tig, aber die Diskussion darüber muss zwingend geführtwerden . Es geht um die erfolgreiche Behandlung großerVolkskrankheiten wie Krebs, Demenz und psychischeErkrankungen .Der vorliegende Haushalt bietet eine gute Möglich-keit, den Menschen im Land zu zeigen, dass konkretetwas zur Befriedigung der individuellen Bedürfnisseund gegen die Sorgen, die wir uns alle machen, getanwird . Natürlich muss es auch darum gehen, im Rahmender Energieforschung die großen Herausforderungen derEnergiewende zu meistern .Wenn es um Aufstieg durch Bildung geht, dann habenwir in dieser Legislaturperiode sehr viel bewegt. Ich fin-de es daher nicht in Ordnung, wie über das Deutschland-stipendium gesprochen wird . Die große Anzahl an Un-ternehmen und Privatpersonen, die sich jedes Jahr aufsNeue engagieren – Tendenz steigend –, stellt doch einezutiefst erfreuliche Entwicklung dar .
Ich verstehe nicht, wie man einen solchen ideologischenKampf führen kann, der dermaßen rückwärtsgewandt er-scheint . Hier engagieren sich Menschen, die helfen wol-len . Das ist eine erfreuliche Entwicklung .Michael Kretschmer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618392
(C)
(D)
Die BAföG-Reform und die Erhöhung der Sätze habenwir schwer erkämpft. Das ist ein großer finanzieller Bei-trag, der nun bei den jungen Leuten im Land ankommt .Auf das Meister-BAföG und die Begabtenförderungs-werke wurde schon hingewiesen . Wir haben wirklichetwas dafür getan, dass Aufstieg durch Bildung möglichwird . Ich glaube, das ist ein positives Signal .
Zum Schluss möchte ich noch auf die Forschung inden neuen Bundesländern zurückkommen . Ich bin frohdarüber, dass wir in der Haushaltsperiode, die jetzt zuEnde geht, 2016, die Mittel für die Programmfamilie„Unternehmen Region“ aufgestockt haben . Wir, das Par-lament, haben den Beschluss gefasst, dass dieser erfolg-reiche Förderansatz, durch den so viel Positives in denneuen Bundesländern entstanden ist, auf ganz Deutsch-land ausgeweitet wird . Ich bin aus eigenem Erleben tiefbeeindruckt, wie das Bundesministerium für Bildungund Forschung als ein wirkliches Aufbau-Ost-Ministeri-um Dinge initiiert, Unternehmen zusammengebracht undWachstum erzeugt hat . Das ist eine wirkliche Erfolgs-geschichte, auf die wir ebenfalls gemeinsam stolz seinkönnen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Das war vorbildlich .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr . Rosemarie
Hein, Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin! Herr Kretschmer, das mit dem Deutsch-landstipendium haben Sie jetzt selber nicht so richtig ge-glaubt . Aber gut, ich komme darauf vielleicht noch kurzzu sprechen .Ein Jahr vor der Bundestagswahl ist es natürlich an-gemessen, die Koalition beim letzten Haushalt in dieserWahlperiode an ihren Zielen zu messen . Ja, der Bildungs-haushalt hat über die Jahre deutliche Auswüchse –
– Aufwüchse erfahren – ja, manchmal auch Auswüch-se –, aber ich muss das relativieren . So sollte zum Bei-spiel Ende des vergangenen Jahres die von der Bundes-kanzlerin ausgerufene Bildungsrepublik Wirklichkeitgeworden sein .Danach sollten unter anderem 10 Prozent, nicht 9 Pro-zent, des Bruttoinlandsproduktes in Bildung und For-schung fließen. Bei der Forschung haben Sie Ihr Zielerreicht, bei der Bildung nicht; denn nach den Zahlendes Jahres 2014 – jüngere Zahlen stehen nicht zur Ver-fügung; deshalb müssen wir diese nehmen – fehlten andiesem 10-Prozent-Ziel allein im Bereich der Bildungfast 27 Milliarden Euro . Natürlich ist das nicht allein imBundeshaushalt zu schultern . Das weiß auch ich, aberdas macht die Defizite deutlich. Was hätten wir mit die-sem Geld alles finanzieren können!Dann kommen noch einige Milliarden Euro drauf;denn das Wirtschaftswachstum ist erfolgreich gewesen .Es gibt ein größeres Bruttoinlandsprodukt, also gibt esnoch mehr Milliarden . Da sind wir aber noch lange nicht .Die Länder können dank der Schuldenbremse, die Sie ih-nen auferlegt haben, die Bildungsausgaben nicht in demerforderlichen Maße steigern . Darum läuft die Regierungständig ihren eigenen Zielen hinterher . Das kann nichtbefriedigen .
Natürlich haben Sie auch in diesem Haushalt wiederdeutlich mehr Geld für Bildung und Forschung einge-plant . Seit 2014, also Anfang der Legislatur, sind es ins-gesamt 3,5 Milliarden Euro mehr . Das ist nicht wenig,aber wesentliche Bildungsausgaben können damit nichtin Angriff genommen werden. Das Geld im Bildungs-haushalt wird vor allem für die Leistungsfähigkeit desBildungswesens, für das Wissenschaftssystem und dieForschungspolitik ausgegeben .
Aber nur 4,7 Milliarden Euro – das sind etwa 27 Pro-zent des ganzen Bildungshaushalts – stehen für den ge-samten Bereich der Leistungsfähigkeit des Bildungswe-sens und der Nachwuchsförderung zur Verfügung . Dassind neben der allgemeinen und beruflichen Bildungauch die Weiterbildung, die Begabtenförderungswerke,alle Fördersysteme, die wir haben, und die Qualitätsof-fensive Lehrerbildung außerdem noch .
Wenn man diese Zahl nimmt, dann stellt man fest: Esist deutlich zu wenig, was für diesen Bereich auch vonBundesseite ausgegeben wird .
Hier liegt nämlich die Basis für eine erfolgreiche Bil-dungsrepublik . Hier entsteht eine gebildete Gesellschaft,die wir dringend brauchen . Hier muss geklotzt werden,nicht gekleckert . Da helfen noch so viele befristete För-derprogramme nicht weiter . Wir brauchen eine deutlichbessere Grundfinanzierung, und zwar im Rahmen der öf-fentlichen Daseinsvorsorge und nicht über ein Deutsch-landstipendium, das weder sozial noch gerecht ist .
Deutlich mehr Mittel gibt es für die Hochschulen,nämlich etwa 7 Milliarden Euro . Darin ist unter ande-rem der Hochschulpakt und der Qualitätspakt Lehreeingeschlossen, aber eben auch die Exzellenzinitiative .Eines wird deutlich: Der Bund fördert vor allem pres-tigeträchtige Objekte . Bei der Finanzierung zusätzlicherStudienplätze wird geknausert, obwohl sich die SummeMichael Kretschmer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18393
(C)
(D)
gut anhört . Aber es ist noch lange nicht so, dass jeder jun-ge Mensch, der studieren will, auch einen Studienplatzerhält, selbst wenn er gute Abiturnoten hat .Auch mit der kompletten Übernahme der BAföG-Fi-nanzierung haben Sie die Grundfinanzierung der Hoch-schulen auf keine soliden Füße gestellt. Die Unterfi-nanzierung des Hochschulsystems ist noch lange nichtbeendet . Nun klagen Sie nicht wieder, dass die Länderdie entsprechenden Mittel nicht richtig ausgegeben, son-dern andere Dinge finanziert hätten. Das ist nun einmalso – das wissen Sie auch –: Die Länder entscheiden, wo-für sie ihr Geld ausgeben .
Wenn sie es für frühkindliche Bildung ausgeben wollen,dann ist auch das in Ordnung; denn auch frühkindlicheBildung ist Bildung – auch wenn das nicht in jeden Koa-litionskopf hineingeht .
In der Konsequenz der permanenten Unterfinanzie-rung werden dringende Bildungsaufgaben überhauptnicht erst angefasst, zum Beispiel die Förderung von Pro-filschulen IT, die sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung an-gesprochen haben . Dieses Vorhaben ist sang- und klang-los eingegangen, scheint mir . NaturwissenschaftlicheBildung, auch ein Profilierungspunkt, ist in den „Häusernder kleinen Forscher“ stecken geblieben . Von Inklusionfindet man im ganzen Haushalt nichts.Was also tun? Es reicht nicht, dass Sie das Verbot derKooperation zwischen Bund und Ländern für die Wis-senschaft aufgehoben haben . Wir brauchen wieder eineZusammenarbeit im gesamten Bildungsbereich zwischenBund, Ländern und Kommunen . Dazu wäre es sinnvoll,ein bundesweites Bildungsrahmengesetz zu verabschie-den, das alle Bildungsbereiche, auch die Weiterbildung,umfasst .
Wenn Ihnen das zu schnell geht, dann gehen Sie dochden kleinen Schritt – auch das kann man machen –, näm-lich die Anwendung der in Artikel 91a des Grundgesetzesverankerten Möglichkeit einer Gemeinschaftsaufgabeoder einer Verwaltungszusammenarbeit . Diese Möglich-keit gibt es, wenn es sich um wichtige Aufgaben han-delt, die die Gesamtheit des Landes betreffen; Bildungist eine solche . Die Verbesserung der regionalen Wirt-schaftsstruktur wird dort zum Beispiel als eine solcheMöglichkeit der Zusammenarbeit genannt . Es verstehtdoch niemand, warum das bei der Bildung nicht möglichsein soll .
Darum wäre es doch sinnvoll, Artikel 91a Absatz 1des Grundgesetzes um eine Nummer 3 zu erweitern .Dort könnte es zum Beispiel heißen: Sicherung einerleistungsfähigen Bildungsinfrastruktur . – Schon könntender Bund und die Länder Vereinbarungen treffen, wie diewichtigsten und drängendsten Finanzierungsaufgaben inBildungsfragen verbessert werden können . Den Ländernwürde nichts von ihrer Kompetenz genommen, und derBund wüsste außerdem noch, wohin das Geld geht, HerrHeil .
Das wäre doch etwas: Man könnte Ganztagsschulenschaffen, Schulen könnten saniert werden, Schulen könn-ten für das digitale Zeitalter ausgerüstet werden, und mankönnte auch noch die Voraussetzungen für eine erfolgrei-che Inklusion schaffen.Das ist jetzt der dritte Vorschlag, den wir Ihnen indieser Richtung machen . Machen Sie von mir aus nocheinen vierten oder fünften; aber tun Sie endlich etwas da-für, dass die Zusammenarbeit in der Bildung zwischenBund und Ländern Wirklichkeit wird .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Swen
Schulz, SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bun-desregierung legt uns hier in ihrem Entwurf einen Re-kordhaushalt vor – schon wieder, muss man sagen –:17,5 Milliarden Euro; über 1 Milliarde Euro mehr . Manmuss sehen: Die Finanzplanung von Schwarz-Gelb sahfür dieses Jahr, 2017, lediglich 13,5 Milliarden Euro vor .Jetzt sind es 4 Milliarden Euro mehr . Das ist eine starkeGemeinschaftsleistung dieser Koalition, an der die SPDentsprechend mitgewirkt hat .
Es ist völlig klar: Die gute Entwicklung, die Deutsch-land genommen hat, seine wirtschaftliche Stärke sindauch und gerade auf die enormen Investitionen in Bil-dung und Wissenschaft zurückzuführen . Wie würdenwir denn dastehen ohne Forschungsförderung, ohne dieAusbildung an den Hochschulen, ohne die berufliche Bil-dung und, und, und? Wir wären im wahrsten Sinne desWortes ein armes Land . Ja, Bildung und Forschung sindteuer, aber eben die beste Zukunftsinvestition . Deswegenlassen wir nicht nach und beschließen einen Rekordhaus-halt nach dem anderen .
Selbstverständlich müssen wir im Einzelnen überle-gen, wie wir das viele Geld optimal einsetzen . Da sindunterschiedliche Auffassungen, gelegentlich auch inner-halb der Regierungskoalition, nur normal . Natürlich istes die Aufgabe des Haushaltsausschusses, genau überdie Verwendung der Steuermittel zu wachen, das allesselbstverständlich unter fachlicher Anleitung der Kolle-Dr. Rosemarie Hein
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618394
(C)
(D)
ginnen und Kollegen des Ausschusses für Bildung undForschung .
Wir werden schauen, ob alle entsprechenden Titelvom Ministerium richtig veranschlagt wurden .
Der Bundesrechnungshof hat aktuell Kritik an einigenStellen geäußert, wo es regelmäßig zu deutlichen Min-derausgaben kommt . Auch Großprojekte, teilweise voninternationalem Zuschnitt, machen Schwierigkeiten . Wirwerden uns das genauer anschauen . Die meisten Ansätzesind aber gut und richtig so .Für das BAföG geben wir über 2,6 Milliarden Euroaus . Wir steigern die Ausgaben um fast 300 MillionenEuro . Ich bin besonders stolz darauf, dass wir das ge-schafft haben; denn in der Koalitionsvereinbarung ist dieBAföG-Erhöhung nicht enthalten . Aber wir sind darüberhinausgegangen . Das ist schon eine starke Leistung, fürdie ich mich bei allen Mitstreitern herzlich bedanke .
Einfach einmal ein paar Zahlen aus dem Haushalt:Begabtenförderung: 320 Millionen Euro, Studenten-und Wissenschaftleraustausch: fast 150 Millionen Euro,Hochschulpakt: 2,8 Milliarden Euro, Qualitätspakt Leh-re: 200 Millionen Euro, Exzellenzstrategie: 350 Millio-nen Euro . Die Fachhochschulen sind uns sehr wichtig .
Für deren Forschungsförderung sind 55 Millionen Eurovorgesehen – ein deutliches Plus . Förderung der außer-universitären Forschung – halten Sie sich fest! –: 5,8 Mil-liarden Euro, ein Plus von 250 Millionen Euro .Wir setzen neue Akzente, starten ein Programm fürNachwuchswissenschaftler: 1 Milliarde Euro in dennächsten Jahren . Für Mikroelektronik sieht der Regie-rungsentwurf erstmals 50 Millionen Euro vor . Auch derdigitale Wandel wird adressiert, mit 70 Millionen Euro .Die Projektförderung in der Forschung insgesamt ist mitüber 7,7 Milliarden Euro, einem Plus von fast 700 Milli-onen Euro und vielen wichtigen Einzelmaßnahmen – dasgeht von Energie über Sicherheit bis zur Polar- und Ar-beitsforschung –, ein zentraler Bereich des Haushalts .Und: Wir fördern auch die berufliche Bildung. Die istuns genauso wichtig wie die akademische Bildung, mei-ne sehr verehrten Damen und Herren .
Darum – das ist bereits angesprochen worden; ich betonees noch einmal – haben wir deutliche Steigerungen fürdas Meister-BAföG vorgesehen . Insgesamt sind es mehrals eine halbe Milliarde Euro für die berufliche Bildung.Ich will noch einmal unterstreichen, was Hubertus Heilvorhin gesagt hat: Mit einer Novelle des Berufsbildungs-gesetzes könnte die berufliche Bildung weiter gestärktwerden . Das sollte die Koalition hinbekommen . DieSPD-Fraktion ist bereit dazu .
Die Erwachsenenbildung ist mit 250 Millionen Eurodabei . Besonders am Herzen liegen mir die Alphabeti-sierung und Grundbildung . Wir hatten die Mittel in denletzten Haushaltsberatungen heraufgesetzt . Aber inzwi-schen hat das Plenum des Deutschen Bundestages einenganzen Handlungskatalog beschlossen . Nun müssen wirschauen, ob die im Entwurf veranschlagten Mittel dafürausreichen. Ich habe viele Leute getroffen, die durch Al-phabetisierung und Grundbildung nachgerade ein neuesLeben mit ungeahnter Freiheit und Möglichkeit bekom-men haben . Wir erreichen aber bei weitem nicht alle, unddarum müssen wir weitere Angebote zur Verfügung stel-len .
Selbstverständlich haben wir im laufenden Haushalt,also im Haushalt dieses Jahres, schon Maßnahmen fürdie Bildung von Geflüchteten ergriffen. Nun müssen wirunsere Planung aktualisieren, schauen, was gut gelaufenist und was wir vielleicht anders machen müssen . Wirwissen, Bildung ist zentral für die Integration . Ich habeviele Geflüchtete kennengelernt, und alle, wirklich allewollten vor allem eines: lernen – lernen, damit sie sichalleine zurechtfinden und arbeiten, anpacken, etwas leis-ten können .
Lassen Sie uns ihnen keine Hürden in den Weg stellen,sondern sie fördern und unterstützen .
Ich weiß schon heute, was für Zuschriften ich deswe-gen bekommen werde . Tenor: Ihr kümmert euch nur umdie Flüchtlinge; für uns macht ihr nichts . – Das ist falsch .Richtig ist: Wir kümmern uns auch um diese Menschen .Ja, das kostet Geld . Für den Bereich Bildung rechnen wirmit gut 100 Millionen Euro . Aber – ich wiederhole es –insgesamt sind es im Bereich Bildung und Forschung17,5 Milliarden Euro, ein Plus von über 1 Milliarde Eurofür Forschungsförderung, BAföG, Meister-BAföG usw .Liebe Leute, bei aller Kritik und bei allen Sorgen, sagtbitte nicht, wir würden kürzen oder sonst nichts tun . Dasglatte Gegenteil ist der Fall .
Nun ist mir natürlich bewusst, dass es Probleme gibt .Bildungsangebote allein sind nicht die Antwort auf al-les . Wir brauchen darum auch die Wissenschaft, ummehr Informationen, einen geschärften Blick und auchHandlungsvorschläge zu bekommen . Wir haben da beiden letzten Beratungen schon etwas gemacht . Lassen SieSwen Schulz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18395
(C)
(D)
uns aber darüber sprechen, wie wir die Integrations- undMigrationsforschung substanziell stärken können .
Wir werden diese und viele weitere einzelne Fragen be-raten .Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen speziellenPunkt, der mir wichtig ist, ansprechen: die Forschungs-museen der Leibniz-Gemeinschaft . Sie sind etwas ganzBesonderes, sozusagen Perlen der Wissenschaft, weil siezum einen hervorragende Forschungsergebnisse liefernund zum anderen Wissen und die Bedeutung von Wissen-schaft fabelhaft vermitteln .Ich muss nur an das Naturkundemuseum hier in Berlinum die Ecke denken – fantastisch, wie mit dem großar-tigen Erbe heute Forschung gemacht und den Menschennahegebracht wird –, aber auch an das Deutsche Muse-um in München und andere . Wir sollten schauen, wiewir diese herausragende Arbeit noch stärker unterstützenkönnen .
Ich freue mich auf die Beratungen mit dem Fachaus-schuss im Haushaltsausschuss . Wir haben es in den letz-ten Jahren immer geschafft, die verschiedenen Akzenteder Koalitionsparteien in Einklang zu bringen und diegute Vorlage des Ministeriums noch ein kleines Stück zuverbessern . Ich bin sicher, dass es auch diesmal gelingt .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Herr Gehring,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Opposition hat viel gelobt; denn es ist schön, dassder Bildungs- und Forschungsetat steigt . Dieser Auf-wuchs steht in einer langen Tradition von anderthalb De-kaden hier im Deutschen Bundestag, und das ist gut .Aber mehr Geld hilft nicht, solange Sie keine passen-den Antworten auf zentrale Fragen geben . Was tun Siedagegen, dass Schulen, Berufsschulen und Universitäts-gebäude vielerorts vor sich hinbröckeln oder Kinder inländlichen Räumen zwei Stunden im Schulbus hocken,um zur Grundschule zu kommen, oder Flüchtlinge ewigauf ihre Deutschkurse warten müssen?
Was tun Sie dagegen, dass die Lehre an den Hochschulenvielfach von Lehrbeauftragten auf Mindestlohnniveaugeschultert wird? Was tun Sie dagegen, dass Bildungs-chancen von der Postleitzahl oder dem Namen der Kin-der abhängen?
All das fragen die Menschen in unserem Land, und aufall das erwarten sie Antworten, nicht nur von Ihnen alsBundesforschungsministerin, sondern auch von Ihnen alsBundesbildungsministerin, Frau Wanka .
Denn gewaltige Steuerüberschüsse und marode Bil-dungsinstitutionen passen einfach nicht zusammen ineinem Land der Dichter und Denker, und wir brauchendeshalb auch weiterhin mehr Geld für Bildung und ge-zielte Investitionen in Forschung und Entwicklung, sonstverpassen wir Zukunftschancen .
Wer unser Land sozial, ökologisch und digital moder-nisieren will – und das muss ja unser Anspruch sein –,der muss anders wirtschaften und auch anders forschen .Es ist unglaublich wichtig, Pioniere des Wandels zu un-terstützen; denn nur mit nachhaltiger und transformativerWissenschaft lassen sich zum Beispiel die Klimakata-strophe und die Energiekrise abmildern . Wir Grüne wol-len mehr soziale und ökologische Innovationen entfa-chen – die Bundesregierung wohl nicht, und das ist eineverpasste Chance .
Unverständlich ist mir, dass Sie die kleinen und mitt-leren Unternehmen nicht entlasten . Diesen oft sehr in-novativen und kreativen Mittelständlern wollen wir alsGrüne im Bundestag einen Steuerbonus auf Forschungs-und Entwicklungsausgaben gewähren – so wie Ihre re-gierungseigene Expertenkommission für Forschung undInnovation . Hören Sie doch endlich einmal auf sie – oderwenigstens auf Herrn Riesenhuber und mich .
Dass Sie sich für die Bildungspolitik im Grunde nichtzuständig erklären, geht einfach völlig an den Menschenin unserem Land vorbei . Wenn die Eltern von Flensburgbis Füssen nach mehr guten Ganztagsschulen für ihreKinder rufen, dann sollten Sie, Frau Wanka, sich nichtmit beiden Händen die Ohren zuhalten,
sondern anpacken, damit es endlich eine neue Ganztags-schuloffensive gibt. Es versteht doch kein Mensch, dassSwen Schulz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618396
(C)
(D)
der Bund die Nachmittagsbetreuung von Kindergarten-kindern bezahlen darf, aber die für Schulkinder nicht .
Dieses groteske Kooperationsverbot in der Bildung mussendlich weg . Hubertus Heils Aussage war ja nun strengnach Verursacherprinzip: SPD und Union haben das Ko-operationsverbot vor zehn Jahren eingeführt, und es wirdhöchste Zeit, es endlich abzuschaffen.
Es geht nicht um den Wettbewerb zwischen 16 Bun-desländern, sondern wir als Bildungsnation stehen inKonkurrenz und im Leistungsfähigkeitswettbewerb mitChina, mit Nordamerika . Darauf müssen wir schauen,und wir dürfen kein Kind in unserem Land zurücklassen .
Sie haben die Bund-Länder-Wissenschaftspakte ange-sprochen . Was aber fehlt, sind die großen Weichenstel-lungen . Seit fast zwei Jahren können Bund und Länderdauerhaft Geld in die Hochschulen geben . Dann soll dieBundesregierung auch endlich das Problem der stagnie-renden Grundfinanzierung unserer Hochschulen adressie-ren und angehen, damit wirklich mehr dauerhafte Stellenfür wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterentstehen, damit es bessere Studienbedingungen für alleStudierenden gibt und Hochschulbauten und -ausstattungendlich auch auf der Höhe der Zeit sind . Nicht zu han-deln, bedeutete hier einen weiteren Substanzverlust . Des-wegen fordern wir ein Modernisierungsprogramm für dieInfrastruktur des Wissens . Das ist dringend notwendig .
Herr Kollege Gehring, kommen Sie bitte auch zum
Schluss .
Sie haben sich vorhin für das BAföG abgefeiert . Sie
haben mit der Erhöhung jetzt im Herbst so gerade eben
die Teuerungsraten der letzten Jahre kompensiert . Sechs
BAföG-Nullrunden hat es in diesem Land gegeben . Mit
dieser Regierungswillkür muss Schluss sein . Deshalb
wollen wir Grüne eine automatische und regelmäßige
Anpassung des BAföG .
Ihr Haushalt für Bildung und Forschung, der muss In-
tegration durch Bildung wuppen, der muss der klaffen-
den sozialen Spaltung in unserem Land durch ein neues
Wohlstands- und Aufstiegsversprechen entgegenwirken;
denn die Menschen spüren, dass Ihnen dieses trotz der
hohen Steuermehreinnahmen und des Ausgabenauf-
wuchses misslingt . Deshalb: Mehr für Bildungsgerech-
tigkeit tun!
Als Nächstes hat die Kollegin Katrin Albsteiger, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Ja, Bildungs- und Forschungs-politik macht in Deutschland nicht die großen Schlagzei-len . Aus meiner Sicht völlig zu Unrecht; denn es gäbe soviel Positives zu berichten . Das sieht man ja auch an derheutigen Debatte . Ich wage aber einmal die Behauptung:Viele der Probleme, die die großen Schlagzeilen verursa-chen, könnten und können mit einer zukunftsorientiertenBildungs- und Forschungspolitik gelöst werden .
Ich möchte hierfür drei Beispiele nennen .Erstes Beispiel, Stichwort „Generationengerechtig-keit“ . Wenn in der Jungen Union der Satz fällt: „Bil-dungspolitik ist die Sozialpolitik des 21 . Jahrhunderts“,dann muss man normalerweise 5 Euro ins Phrasen-schwein geben .
Aber Tatsache ist, dass es doch wohl stimmt – und dasind wir uns einig –, dass das Geld, das in Bildung undForschung fließt, in der Regel immer eine gute Investi-tion, eine Zukunftsinvestition ist und damit natürlichdenjenigen Generationen zugutekommt, die noch folgen .Gerade als junge Generation fordern wir natürlich auch,dass wir nicht über Gebühr und schon gar nicht mehr alsandere Generationen belastet werden . Wenn wir diesesCredo zugrunde legen und dann eine kurze Haushaltsbi-lanz ziehen, dann stellen wir durchaus fest, dass es einigeThemen wie beispielsweise die sozialen Sicherungssys-teme gibt, bei denen es noch Nachholbedarf gibt .Beim Thema Verschuldung beispielsweise haben wirmit der schwarzen Null schon einen großen Meilensteingeschafft, wenngleich es auch da noch einiges zu tungibt . Schließlich ist der viertgrößte Haushaltsposten nachwie vor der Schuldendienst .Beim Thema „Bildung und Forschung“ kann ich aberauch aus Sicht der jungen Generation sagen: Da könnenwir rundum zufrieden sein . Warum ist das so? Die Zah-len sind heute mehrfach genannt worden: Wir haben vonBundesseite aus vor, 2017 mehr als 17 Milliarden Euroin Bildung und Forschung zu investieren . Wir habennoch einmal etwas draufgelegt, mehr als 7 Prozent imVergleich zum Vorjahr . Wenn man das im Vergleich zuden Gesamtausgaben des Haushaltes sieht, die „nur“ umKai Gehring
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18397
(C)
(D)
3,4 Prozent steigen, dann sieht man schon, dass es sichbei dem, was wir hier präsentiert haben, nicht um leereWorte handelt, sondern dass sich der klare Schwerpunktfür Bildung und Forschung in diesem Haushalt auch tat-sächlich abzeichnet .
Jetzt ist es ja so, dass wir wollen, dass nicht nur ent-sprechende Zahlen auf dem Papier stehen – das ist jaauch in den letzten Jahren nie so gewesen –, sondern diesozusagen auch Fleisch haben .
Das heißt, wir hinterlegen das mit Programmen, mitneuen wegweisenden Pakten, die wir auf den Weg ge-bracht und in den vergangenen Jahren auch ausgebautund weiterentwickelt haben . Exemplarisch wäre da zusprechen vom Hochschulpakt, vom Pakt für Forschungund Innovation, vom Qualitätspakt Lehre, von der High-tech-Strategie, von der Exzellenzinitiative . All das sindPakte, die in den vergangenen Jahren in diesem Landviel bewirkt haben . Wir hören damit auch nicht auf, wieman beispielsweise am Bund-Länder-Programm für denwissenschaftlichen Nachwuchs sieht, das ja schließlichnächstes Jahr zu laufen beginnt und mit dem in einemZeitraum von 15 Jahren 1 Milliarde Euro investiert wird .Nichtstun kann man uns also wirklich nicht vorwerfenund vor allem auch nicht, dass wir nicht neue Akzentesetzen würden .
Ja, wir investieren in die Köpfe, hauptsächlich bei Bil-dung und Forschung, und viel in junge Menschen . Dasist klar . Da fällt mir immer so ein bisschen das Credoder Wirtschaftswundergeneration ein . Die haben gesagt:„Meinen Kindern soll es einmal besser gehen, als es unsgeht .“
Das ist wohl wahr . Es ist ein Geschenk der früheren Ge-neration an die jüngere Generation . Die haben gesagt:Wir investieren in Bildung, wir investieren in Forschung,wir investieren in eure Zukunft, dann geht es euch einmalbesser . Zugegebenermaßen muss ich sagen, dass die heu-tige Erwerbsgeneration manchmal nicht so viel Power indiesen Satz legt und sagt: Uns geht es doch eigentlichsuper . Es reicht doch, wenn es unseren Kindern genausogeht wie uns . – Aber es wird oft vergessen, dass wir in dieZukunft investieren müssen, dass wir weiter an diesemWohlstand arbeiten müssen, weil wir sonst zurückfallenwürden . Dass wir weiter in die Zukunft investieren, zeigtsich auch in diesem Haushalt . Zum Glück zeigt dieserHaushalt mehr Weitblick und eine größere Verantwor-tung, als in diesem erwähnten Satz liegt .Beispiel Nummer zwei: Ich ziele auf den europäischenKontext ab . Nie war es wichtiger als in diesen Zeiten,dass wir in allen Ebenen den europäischen Zusammen-halt fordern. Der Hoffnungsträger für die europäischeIdee, der auch die Europäische Union tragen soll, ist diejunge Generation . Das ist die Generation, die eine Schuleoder Hochschule besucht, die gerade eine Berufsausbil-dung macht . An welcher Stelle kann man mehr für diesesgemeinsame Europa werben als im gegenseitigen Aus-tausch, als dort, wo junge Menschen in andere Ländergehen? Unser Haushalt zeigt, dass wir an dieser Stelleauch Akzente setzen . Beim Programm Erasmus+ geht esdarum, dass man in andere Länder geht, dass man sichkennenlernt, dass man gemeinsam forscht, gemeinsamarbeitet, dass man gemeinsam Projekte bearbeitet . Alldas schweißt zusammen . Genau an dieser Stelle kann ichsagen: Internationalität von Bildung und Forschung wirddaher konsequenterweise in diesem Haushalt abgebil-det . So stärken wir zum Beispiel die internationale For-schungspolitik mit einem Zuwachs von insgesamt 6 Mil-lionen Euro . Das ist eine Steigerung um 11 Prozent . Anallen wegweisenden Stellen legen wir etwas obendrauf .
Ein drittes Beispiel aus dem Bereich Wirtschaft undArbeitsplätze . Deutschland als weltweit führender Wirt-schaftsstandort wäre kaum so weit gekommen, wenn esdie Investitionen in Bildung und Forschung nicht gegebenhätte . Kern des Ganzen ist unser vielfältiges Bildungs-und Forschungsangebot . Auch der Haushaltsentwurf bil-det das durchaus gut ab . Eine Säule ist beispielsweise dieInvestition in die Spitzenforschung . Ein Programm wiedie Exzellenzinitiative, das jahrelang dazu beigetragenhat, dass unser Wissenschafts- und Forschungsstandortinternational sichtbar wurde, läuft im kommenden Jahraus . Aber wir denken über den Haushalt 2017 hinaus undwerden ab 2018 eine neue Exzellenzstrategie auf denWeg bringen . Darin steckt so viel Geld, allein 400 Milli-onen Euro vom Bund ab dem Jahr 2018 . Aber das ist, wiegesagt, nur eine Säule .Eine andere Säule sind die Investitionen in kleine undmittlere Universitäten und in Fachhochschulen mit derFörderinitiative „Innovative Hochschule“ . Der Haus-haltstitel „Forschung an Fachhochschulen“ wächst um7 Millionen Euro . Das ist eine Steigerung um 15 Prozent .Wenn ich an Bayern denke, kann ich sagen: Fachhoch-schulen sind in den ländlichen Räumen . Sie sind da,wo die jungen Leute zu Hause sind . Dort hat man kurzeWege . Auch für die Unternehmen vor Ort sind die Wegekurz . Es gibt Kooperationen regionaler Art von Arbeit-gebern zu Fachhochschulen . Es werden Arbeitsplätzegeschaffen. Die Wirtschaft wird miteinander verknüpft,Innovation findet statt, Transfer und vor allem auch An-wendungsorientierung . Das heißt, dieser Haushalt istnicht nur ein Bildungs- und Forschungshaushalt, wirmachen mit ihm auch Strukturpolitik, Wirtschaftspolitik,Politik für mehr Arbeitsplätze .
Eine weitere Säule ist die berufliche Bildung. Mit51 Millionen Euro mehr für das Meister-BAföG und20 Millionen Euro für die Verbesserung der Maßnahmenfür die Berufsorientierung haben wir einen relativ starkenBrocken auf dem Tisch .
Katrin Albsteiger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618398
(C)
(D)
Damit machen wir Ernst mit der Stärkung der beruflichenBildung; denn ohne starke Fachkräfte gibt es keine starkeWirtschaft .Letztlich kann ich an dieser Stelle nur sagen: Mit dendrei Beispielen, die ich genannt habe, und allem, wasvorher genannt worden ist, gibt es Grund zu wenig Sorgeund Hoffnung auf sehr spannende und trotzdem relativharmonische weitere Haushaltsberatungen, auf die ichmich schon sehr freue; denn in diesem Haushalt gibt esnicht mehr allzu viel zum Positiven zu wenden . Er istschon ziemlich gut, so wie er ist .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat die Kollegin Beate
Walter-Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Wir alle
wissen ja, Frau Albsteiger und Kolleginnen und Kolle-
gen, dass die Regierungskoalition traditionell die Haus-
haltsdebatte gern nutzt, um ein bisschen Selbstbeweih-
räucherung zu betreiben . Es überrascht mich deswegen
auch nicht, dass Sie uns den Regierungsentwurf heute
hier als bildungspolitisches Feuerwerk verkaufen . Aber
wie bei jedem Feuerwerk bleibt immer auch viel Rauch
und Schall .
Ob der knappen Redezeit muss ich mich heute auf drei
Beispiele aus der beruflichen Bildung beschränken. Sie
predigen ja immer, wie wichtig die berufliche Bildung
ist, und da haben Sie auch recht . Nur, wo ist dann Ihre
Unterstützung zum Beispiel für die beruflichen Schulen?
Die Berufsschulen in diesem Land leisten hervorragende
Arbeit . Ich glaube, da sind wir uns einig . Sie haben auch
das Potenzial, zu echten Integrationszentren zu werden .
Von allein wird es aber nicht gehen .
Ducken Sie sich da nicht länger weg, wenn es um hand-
feste finanzielle Unterstützung geht. Integration in die
berufliche Bildung, sehr geehrte Frau Ministerin, unter-
stützt man halt nicht nur mit Pressemitteilungen und war-
men Worten . Was die Flüchtlinge, die Fachlehrerinnen,
die Sozialpädagogen und -pädagoginnen brauchen, ist
ein echtes Finanzierungsprogramm .
Der Bund darf die Länder und Kommunen hier nicht al-
leinlassen . Auch ich sage deswegen: Verstecken Sie sich
nicht länger hinter dem Kooperationsverbot!
Ihre Parteikollegin Elke Hannack hat es vergangene
Woche mit ihrer Kritik schon treffend auf den Punkt ge-
bracht . Sie hat gesagt:
Der Bund darf … zu Recht in Indonesien den Auf-
bau von Schulen finanzieren – in der Lausitz oder
Lüneburger Heide aber … nicht .
Auch in Ihrer Partei gibt es also vernünftige Stimmen
dazu . Hören Sie doch darauf!
Dann das Thema der Gleichwertigkeit von akade-
mischer und beruflicher Bildung. Sie sind es doch, die
das oft wie ein Mantra vor sich hertragen – zu Recht,
finde ich. Auch Kollege Schulz hat das angesprochen.
Aber warum tun Sie dann so wenig dafür? Wo bleibt
denn die Gleichwertigkeit, wenn ein Studierender mit
Begabtenstipendium Anspruch auf 300 Euro Büchergeld
im Monat hat, ein hochbegabter Auszubildender aber nur
auf 80 Euro? Liebe Kolleginnen und Kollegen gerade der
SPD, können Sie einem jungen Azubi erklären, warum
das so ist oder was daran gerecht ist? Ich kann es nicht .
Deshalb stellen wir auch in diesem Jahr wieder einen Än-
derungsantrag, der diese Ungerechtigkeit beseitigen soll .
Sie können ihm sehr gern zustimmen – für mehr Gerech-
tigkeit .
Nächstes Thema: die Berufsorientierung . Sie haben
bereits vor zwei Jahren angekündigt, dass Sie die Schü-
ler der Klassen 7 und 8 flächendeckend damit beglücken
wollen . Von den 1,6 Millionen Jugendlichen, die das be-
trifft, haben Sie 2015 knapp 200 000 erreicht. Das ist ge-
rade mal ein Achtel .
Ich weiß nicht, was Sie unter „flächendeckend“ verste-
hen, aber wenn es nur ein Achtel erreicht, dann ist es
nicht flächendeckend.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist jetzt der letz-
te Haushaltsentwurf dieser Koalition . Nehmen Sie Ihre
Verantwortung wahr! Denn, wie meine Fachreferentin
immer so schön sagt, nur wer jetzt den Aprikosenbaum
pflanzt, kann in fünf Jahren anfangen, zu ernten.
Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Saskia Esken,
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin, vielen Dank . – Frau Ministerin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehr-Katrin Albsteiger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18399
(C)
(D)
ten Damen und Herren! Ich komme gerade von einerFachtagung der SPD-Fraktion zur digitalen Bildung . DieResonanz der über 250 Teilnehmer war überwältigend .Der Tenor der meisten Fachleute: Sie erwarten von derPolitik, von uns, dass wir den digitalen Wandel im Bil-dungswesen so gestalten, dass alle an den Chancen derDigitalisierung teilhaben können .
Und sie erwarten natürlich auch, dass die Bildungsein-richtungen in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnenund Schüler ankommen . Das ist eine große Aufgabe füruns .Mit der Ausrichtung des IT-Gipfel-Prozesses an derDigitalen Agenda der Bundesregierung haben wir der Be-deutung des digitalen Wandels für alle gesellschaftlichenBereiche und alle politischen Ressorts Rechnung getra-gen . Unter der Federführung von Ihnen, Frau MinisterinWanka, wurde beim Bundesministerium für Bildung undForschung die Plattform „Digitalisierung in Bildung undWissenschaft“ eingerichtet . Das ist auch ein Leitthemades Nationalen IT-Gipfels im November in Saarbrücken .Erste Vorhaben, die sich aus dem Koalitionsvertragund der Digitalen Agenda ergaben, konnten schon inden vergangenen Jahren und in diesem Jahr angegangenwerden . Dazu gehören beispielsweise die Studien zumEinsatz frei lizenzierter Lehr- und Lernmaterialien, soge-nannter OER, die jetzt unter anderem in der Einrichtungeiner zentralen Infostelle münden . Dazu gehört auch dieEinrichtung eines interdisziplinären Internetinstituts, dassich wissenschaftlich mit den Auswirkungen der Digita-lisierung auf unsere Gesellschaft befassen soll .Was bei allen guten Ansätzen im Bund und auch inden Bundesländern bisher fehlt, das ist ein konzertiertesund in der Fläche wirksames Vorgehen . Deshalb hat esuns besonders gefreut, dass sich die Kultusministerkon-ferenz unter der Präsidentschaft von Bremens Schulse-natorin Claudia Bogedan in diesem Jahr vorgenommenhat, eine gemeinsame Strategie der Bundesländer für dieBildung in einer digitalen Welt zu erarbeiten .Auch im Bund kommen wir mit dem vorliegendenHaushalt einen großen Schritt voran . Es gehört zu denNeuerungen des Haushaltsentwurfs, den wir heute in ers-ter Lesung beraten, dass er die bisher etwas verstreutenVorhaben zur digitalen Bildung unter einem Dach zu-sammenfasst, und es ist ein großes, ein weites Dach ge-worden . Entstanden ist ein Haushaltstitel, der dem The-ma einer strategischen Gestaltung des digitalen Wandelsmehr als bisher gerecht wird . 70 Millionen Euro für dendigitalen Wandel in Bildung und Wissenschaft sind eindeutliches Zeichen . Dennoch hat der Kollege Heil natür-lich recht, wenn er auf den Investitionsbedarf hinweist,der mit diesen 70 Millionen Euro nicht bewältigt werdenkann . Vielen Dank noch einmal für den Vorschlag zur Er-richtung einer nationalen Bildungsallianz . Hier müssenwir uns nach vorne bewegen .
Zu den Vorhaben, die unter dem von mir angesproche-nen Dach finanziert werden sollen, gehören Maßnahmeneiner Bildungsoffensive für die digitale Gesellschaft.Ich sehe darin – auch vielen Dank dafür –, dass dieBundesregierung jetzt dem Beschluss des BundestagesRechnung trägt, den wir im vergangenen Juni – gemein-sam mit dem Kollegen Volmering sehr schön vorberei-tet – hier verabschiedet haben. Die Bildungsoffensivesoll dazu beitragen – und das ist auch richtig so –, jungeMenschen zur Selbstbestimmung in der digitalen Gesell-schaft zu befähigen, sie auf veränderte Anforderungen inder Arbeitswelt vorzubereiten und insgesamt eine digita-le Spaltung zu verhindern, die zur durchaus bestehendensozialen Spaltung im Bildungswesen hinzuzukommendroht . Es sollen Impulse für neue Bildungsinhalte, für di-gitale Qualifikation, für notwendige Infrastruktur und fürbessere Rahmenbedingungen entlang der gesamten Bil-dungskette entstehen; das ist sehr wichtig . Es freut michsehr, dass dieses Vorhaben nun in guter Abstimmung undim Austausch mit den Bundesländern und weiteren Ak-teuren umgesetzt werden soll . Darüber hinaus stärkenwir mit dem Geld Ansätze, die die Wissenschaft transpa-renter machen. Insbesondere wenn es sich um öffentlichfinanzierte Forschung handelt, soll die Öffentlichkeit aufdieses Wissen Zugriff haben. Zur exzellenten Wissen-schaft im internationalen Wettbewerb gehört ein offenerAustausch ohnehin dazu .Das Ministerium will im zweiten Halbjahr 2016 –endlich, muss man sagen – eine umfassende Strategie fürsolche Open-Access-Publikationen vorlegen . In Bezugauf die Umsetzung ist es wichtig und richtig, dass fürmoderne, offene und vernetzte Informationsinfrastruk-turen, Forschungsdatenbanken und Repositorien dienotwendigen Haushaltsmittel vorgesehen sind . Auch dieschulischen und außerschulischen Bildungseinrichtun-gen sowie das freie Lernen würden von modernen, of-fenen und vernetzten Infrastrukturen profitieren, damitLehr- und Lernmaterialien frei verfügbar sind, Lehren-de und Lernende sich besser austauschen und vernetzenkönnen und persönliche Daten gut geschützt sind .Sie werden von mir hier und heute kein Plädoyer füreine nationale Bildungscloud hören . Das wäre Groß-mannssucht, sich so etwas auszudenken . Vielmehr solltenwir den bestehenden Stand der digitalen Infrastrukturenvon Bildungseinrichtungen erheben, Best-Practice-Bei-spiele fördern und dafür sorgen, dass diese auch Verbrei-tung finden. Durch die Definition von Schnittstellen undStandards müssen wir die Vernetzung – über kommuna-le und Ländergrenzen, im Idealfall auch über nationaleGrenzen hinaus – dieser bestehenden und verbessertenInfrastrukturen ermöglichen .
Insgesamt – das muss man wirklich deutlich machen –ist durch die Zusammenführung und die wesentliche Er-höhung der Haushaltsmittel an dieser Stelle ein großerSchritt gelungen . Die Politik entspricht damit den Bedar-fen und auch den berechtigten Erwartungen der Gesell-schaft und übernimmt eine führende Rolle bei der Gestal-tung des digitalen Wandels in der Bildung .An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich beiallen Mitstreitern bedanken, insbesondere natürlich beiden Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss,namentlich bei unserem Kollegen Swen Schulz, unseremSaskia Esken
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618400
(C)
(D)
Vertreter im Haushaltsausschuss . Gemeinsam sind wirauf einem guten Weg . Wir reden nicht mehr nur über di-gitale Bildung, wir packen sie an .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt hat Anette Hübinger, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! In der Debatte wurde bereits einiges ange-sprochen . Ich möchte vorab auf einige Punkte eingehen,insbesondere auf vier Punkte, die Kollegin Deligöz ge-nannt hat .Sie sprach die Evaluierungen an, die im BMBF nichtso gut laufen . Mittlerweile wurde ein neuer Evaluie-rungsleitfaden aufgelegt, der auch dir, liebe Ekin, zuge-stellt wurde . Er wurde am 6 . Juli 2016 an die Haushälterversandt . In diesem Evaluierungsleitfaden ist dargestellt,wie das BMBF die Evaluierung vornimmt . Die Evaluie-rung ist in vielen Bereichen nicht so einfach, weil schlichtund ergreifend die Ergebnisse von geförderten Projektenoft erst fünf, sechs oder sieben Jahre nach Förderungsen-de eintreten und nicht im Förderungszeitraum . Insofernist ein kritisches Auge natürlich immer sehr wichtig; hierhat das BMBF seine Hausaufgaben aber gemacht . Auchdie Anregungen des Bundesrechnungshofs sind mit ein-geflossen.Beim Großprojekt FAIR hakt es ein bisschen .
Damit haben wir uns auch im Berichterstattergesprächbefasst . Das ist bei großen internationalen Projekten lei-der oft der Fall . Wir müssen als Haushälter darauf ach-ten, dass das Projekt haushalterisch und wirtschaftlichordnungsgemäß abläuft; aber eine rein wirtschaftlicheAusrichtung bzw . rein wirtschaftliche Handhabung desProjekts reicht nicht aus . In Großprojekte, in denen in-ternational geforscht wird, sind mittlerweile auch Natio-nen eingebunden – das gilt auch für das Projekt FAIR –,mit denen wir vielleicht diplomatisch momentan nichtauf gutem Fuß stehen . Insofern ist die Wissenschaft eineMöglichkeit, gemeinsam voranzukommen und im Ge-spräch zu bleiben . Deswegen muss man es akzeptieren,wenn sich ein Projekt ein bisschen verzögert . BezüglichFAIR muss man sagen, dass es im Finanzrahmen ist; aberwir werden das kritisch begleiten .
Ein weiteres Projekt, das kritisch begleitet werdenmuss – da fließen die Mittel nicht wie gewünscht ab –, istder Rückbau der atomaren Forschungsanlagen . Hier sindwir gesetzlich verpflichtet, Mittel einzustellen. Bei die-sem Rückbau soll insbesondere Jülich geräumt werden .
Der atomare Abfall soll in Zwischenlager geräumt wer-den . Nordrhein-Westfalen hat die sofortige, unverzüg-liche Räumung angeordnet; bislang hakt es aber beimTransport in ein Zwischenlager . Diesbezüglich ist Nord-rhein-Westfalen noch nicht zu Potte gekommen, um eseinmal lässig auszudrücken .Die Qualitätsoffensive Lehrerbildung haben wir Fach-politiker auf den Weg gebracht – damals war ich nochFachpolitikerin –, weil wir gesagt haben: Eine Lehrer-ausbildung muss heute anders betrachtet werden als vor20, 30 Jahren, weil auf den Lehrerberuf neue Herausfor-derungen zukommen,
insbesondere durch die Inklusion, und zwar nicht nurin Bezug auf behinderte Kinder und Jugendliche . DieKlassen sind nicht mehr homogen . Es stellt sich auch dieFrage: Wie gehe ich mit Schülerinnen und Schülern ausverschiedenen Kulturkreisen um? Diesbezüglich müssenwir qualifizieren. Einige Länder haben gute Projekte ein-gereicht, andere nicht . Letztere müssen noch nacharbei-ten . Diese Chance wird ihnen eingeräumt . Deswegen istder Mittelabfluss im Moment leider nicht so hoch. Wenndie Länder ihre Hausaufgaben machen, was zwingendnotwendig ist, werden wir auch dort einen guten Mittel-abfluss haben.
Zum Hochschulbau . Der Hochschulbau war einmaleine Gemeinschaftsaufgabe. Infolge der Entflechtung ha-ben wir jetzt 695 Millionen Euro im Jahr für den Hoch-schulbau eingestellt . Das zahlt der Bund . Nur, nicht je-des Land nutzt diese Gelder auch für den Hochschulbau;denn die Länder haben dafür gesorgt – da haben sie denBund vielleicht ein bisschen über den Tisch gezogen –,dass die Gelder keine Zweckbindung mehr haben . Siemüssen nicht einmal mehr nachweisen, wofür genau siedas Geld ausgegeben haben . Also steht nicht der Bundin der Verantwortung, sondern jedes einzelne Land hatdafür zu sorgen, dass die Mittel, die der Bund zur Ver-fügung stellt, dort ankommen, wo sie ankommen sollen .
Jetzt komme ich wieder zu unserem Haushalt . Es warwunderschön, mit anzuhören, wie jeder diese 17,6 Milli-arden Euro – ich habe es gerundet – gelobt hat . Das isteine tolle Steigerung um 10 Milliarden Euro . Ich weißnoch: Als ich hier 2005 als Fachpolitikerin zum erstenMal eine Rede hielt, hatte der Etat ein Volumen von7,6 Milliarden Euro . Mit 10 Milliarden Euro mehr kannman viel anfangen . Das ist auch gut so; denn dieser Be-trag stellt die Zukunft Deutschlands dar . Wie kann mandas Geld besser verwenden, als es in die Bildung vonKindern, in die Ausbildung von Jugendlichen und in dieSaskia Esken
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18401
(C)
(D)
Stärkung des Forschungsstandortes Deutschland zu in-vestieren?Dieser Rekordhaushalt – auch das wurde erwähnt –geht nicht zulasten der kommenden Generationen, son-dern wir schaffen dies durch unsere guten Steuereinnah-men und durch unsere gute Haushaltsstruktur . Ich weiß,dass viele Kolleginnen und Kollegen, insbesondere vonden Linken, eine schwarze Null nicht als erstrebenswertund zeitgemäß ansehen,
aber ich selbst betrachte es als einen fundamentalenSchritt zur Zukunftsvorsorge und Nachhaltigkeit in Be-zug auf unsere nachfolgenden Generationen . Das sindwir ihnen auch schuldig .
Die Zeitschrift Spiegel hat erst kürzlich in einem Ar-tikel erwähnt – ich zitiere –, dass der jetzige Zustand,ein Haushalt, der seit zwei Jahren ohne Neuverschuldungauskommt, „über Jahrzehnte so wahrscheinlich war wieSchneegestöber in der Sahara“ . Also, wir haben es ge-schafft. Wir haben womöglich sogar das Schneegestöber,aber ein positives .
Wir sind in einer haushalterischen Situation, die Mög-lichkeiten zum kontinuierlichen Ausbau von langfristi-gen Forschungsprojekten und neuen Akzenten eröffnet.Zugleich ist es aber auch eine fundierte Basis, um aktu-elle gesellschaftliche und bildungspolitische Herausfor-derungen zu bewältigen . Dafür hat die CDU gesorgt, undzwar durch eine vorausschauende, langfristige Finanz-,Arbeits- und Wirtschaftspolitik .
– Ich korrigiere mich: unter der Führung der CDU/CSU .
Dieser Haushalt strahlt Kontinuität aus – das ist eingutes Markenzeichen; das ist eine gute Botschaft –, undzwar nicht nur in der Beständigkeit des Aufwuchses, son-dern auch in der Realisierung unserer Koalitionsverein-barung . Dafür danke ich der Ministerin ganz herzlich . Siehat hier auch die Akzente, die wir Haushaltspolitiker unddie Fachpolitiker im Haushaltsverfahren gesetzt haben,auf dem Niveau weitergeschrieben, wie 2016 vorgese-hen .
Von den in dieser Legislaturperiode vorgesehenen23 Milliarden Euro gehen 9 Milliarden Euro in For-schung und Bildung . Das können wir sehr gut gebrau-chen . Wir kommen unseren Aufgaben damit nach . Unse-ren Aufgaben gegenüber den Ländern kommen wir sogarübermäßig nach . Das muss man hier wiederholen: Wirhaben die Länder durch den Hochschulpakt über Jahrehinweg entlastet . Wir tragen die Finanzierung der Erhö-hungen für die außeruniversitären Forschungseinrichtun-gen mittlerweile selbst . Wir haben das BAföG übernom-men . Wir haben dadurch gezeigt, dass wir verantwortlichmit dem Thema umgehen .Auch hinsichtlich der Flüchtlinge sind wir den Län-dern entgegengekommen und haben Programme weiter-entwickelt und ausgebaut,
zum Beispiel BOP, das Berufsorientierungsprogramm,wurde auf Flüchtlinge ausgeweitet, ebenso das Pro-gramm „Kultur macht stark“ und Programme im univer-sitären Bereich . All das wäre eigentlich Landesaufgabegewesen, aber wir sagen aus unserer Verantwortung he-raus: Diese große Aufgabe kann nicht allein gestemmtwerden . Wir stehen den Ländern dabei zur Seite .
Man muss auch einmal sehen – ich habe nicht mehr vielRedezeit –, dass die Länder in diesen letzten zwei Jahrenin großem Umfang – es schwankt zwischen 65 und über70 Milliarden Euro – entlastet werden .Wir haben viel erledigt . Eigentlich wurde alles an-gesprochen . Leider kann ich aufgrund meiner Redezeitnicht mehr darauf eingehen . Wir sind mit diesem Haus-halt auf einem guten Weg . Wir werden mit Sicherheitgute Haushaltsberatungen haben, in denen wir das einoder andere noch verbessern . Ich freue mich auf die guteZusammenarbeit .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als Letzter hat jetzt der Kollege René
Röspel, SPD-Fraktion, zu diesem Einzelplan das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Bei uns in Westfalen ist das höchste Lob, dasman verteilen kann: „Nicht schlecht gemacht“ oder „Dakannste nicht meckern“ . Insofern gerate ich geradezu inEkstase, wenn ich zum Abschluss dieser Debatte sage:Dieser Haushalt ist ein richtig guter. Wir hoffen, dasssich die wirtschaftliche Situation in Deutschland weiterso entwickelt, dass wir auch in den nächsten Jahren soviel Geld – und noch viel mehr – in Bildung und For-schung investieren können; denn da ist es wirklich gutaufgehoben .
Allerdings, Frau Wanka und liebe Kolleginnen undKollegen von der Union: Wenn Sie versuchen, nebenAnette Hübinger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 201618402
(C)
(D)
dem gregorianischen Kalender einen weiteren Kalenderzu etablieren, der das Leben erst 2005 beginnen lässt,darf ich daran erinnern, dass das goldene Zeitalter fürBildung und Forschung, verbunden mit einem neuenStellenwert für Bildung und Forschung, auf Bundesebe-ne 1998 begonnen hat
und es glücklicherweise von allen Fraktionen in diesemHaus – mit einer Ausnahme – fortgesetzt worden ist .Wesentliche Pakte, nämlich der Qualitätspakt Lehre,der Hochschulpakt, in dessen Rahmen wir mehr Studien-plätze schaffen und sie bundesseitig finanzieren, die Ex-zellenzinitiative, die einen großartigen Impuls gegebenhat, und der Pakt für Forschung und Innovation stammenaus SPD-Feder; das muss man, was die Kalenderwahr-heit betrifft, dazusagen. Wie gesagt, ich glaube, wir allekönnen zufrieden sein, wenn es darum geht, was wir inden letzten Jahren für Bildung und Forschung getan ha-ben .
Der Pakt für Forschung und Innovation war für michals Forschungspolitiker ein wesentliches Element . 2005haben wir all den Forscherinnen und Forschern bei derMax-Planck-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft,dem Fraunhofer-Institut und vielen anderen Forschungs-einrichtungen zugesagt: Ihr werdet euch darauf verlas-sen können, dass ihr in den nächsten Jahren jedes Jahrmindestens 3 Prozent mehr Geld bekommt . – Wir woll-ten mehr Investitionen in die Forschung und mehr fürdie Köpfe, die in der Wissenschaft arbeiten, tun . Es istdas Verdienst vieler, dass wir dieses Versprechen habeneinhalten können . Dies hat wesentlich dazu beigetra-gen, dass Deutschland im Bereich von Wissenschaft undForschung besser dasteht als viele andere Länder, dassDeutschland auch international wieder nachgefragt wirdund gute Köpfe zu uns kommen .Mich freut an diesem Haushalt ganz besonders, dasswir – anders als beim Pakt für Forschung und Innovation,in dessen Rahmen wir das Geld an die Forschungsorgani-sationen geben, auch verbunden mit dem Hinweis, dassim Hinblick auf die großen Herausforderungen für dieGesellschaft, nämlich Gesundheit, Klimawandel, Ener-gie und Arbeit, mehr getan werden muss – diesmal mehrMöglichkeiten haben, gezielt Schwerpunkte zu setzen .Denn auch die Mittel für die Programmförderung beimBundesministerium für Bildung und Forschung wachsenin den unterschiedlichen Bereichen deutlich an, sodasswir hier Akzente setzen können .
Mein Dank gilt dem Bildungsministerium, und zwardafür, dass wir gerade in dem Bereich, der die Generati-onengerechtigkeit trägt und der von vielen immer nochunterschätzt wird, ein großes Stück vorankommen wer-den, indem wir den Etat von 449 auf 511 Millionen Euroerhöhen . Ich meine den gesamten Bereich Klima, Nach-haltigkeit und Energie . Das, was uns die Wissenschaftheute sagt, bedeutet, dass, wenn diese Generation nichttatsächlich etwas gegen den Klimawandel unternimmt,die nächste Generation immer weniger Optionen habenwird, darauf zu reagieren . Das ist eine Verantwortung,die wir als Politik heute wahrnehmen müssen . Das wirdauch an diesem Haushalt deutlich .
Herzlichen Dank dafür! Das ist der richtige Weg . Wirwerden diese Maßnahmen noch verstärken müssen . Alldiese Programme, das Projekt „Zukunftsstadt“, das so-lare Bauen, die Forderung nach mehr Photovoltaik unddas Thema „Effiziente Städte“ sind Bestandteile genaudes Weges, den wir, auch als Vorbild für andere Länder,beschreiten müssen, um den Klimawandel beherrschbarzu machen .Ich freue mich darüber, dass es auch im Bereich vonEnergieforschung und Energieeffizienz – hierzu habendie Grünen erst kürzlich einen Antrag vorgelegt – einendeutlichen Zuwachs gibt . Das ist auch richtig; denn Ener-gie ist viel zu schade, um sie nichtgenutzt irgendwo ver-puffen zu lassen.
Hierzu zählt auch ein Bereich, der in den letzten Jah-ren leider unterschätzt und finanziell nicht immer ange-messen ausgestattet worden ist, der jetzt aber ebenfallseinen Zuwachs von 5 Millionen Euro erfährt: die neu-en Werkstoffe und Materialien. Ich will diesen Aspektausdrücklich erwähnen . In diesem Zusammenhang wirdnicht nur über neue Werkstoffe wie Graphen oder Karbondiskutiert, sondern auch darüber, wie man bestehendeWerkstoffe verbessern kann. Einen will ich ausdrücklichnennen, nämlich Stahl . Er ist hochinnovativ . Ich freuemich, dass entgegen der Einschätzung einiger politischerInitiativen wieder Ruhe eingekehrt ist, was die Situati-on beim Stahl anbelangt . Vielleicht ist es die besondereAufgabe der SPD – das kann ich hier einmal sagen –,in dieser schwierigen Gemengenlage aus dem Erhalt vonArbeitsplätzen in der Stahlindustrie, einem hochinnova-tiven Bereich, der Effizienzsteigerung beim Energiever-brauch und dem Klimawandel immer einen Mittelweg zufinden, der es zulässt, dass Deutschland ein Industrielandbleibt und solche Bereiche eben nicht verloren gehen .Damit komme ich zu einem letzten Bereich, der unsebenso sehr am Herzen liegt und bei dem wir uns auchüber einen Zuwachs freuen, nämlich dem Bereich Ar-beits-, Dienstleistungs- und Produktionsforschung . Wiewettbewerbsfähig wir international sind, wird wesentlichdavon abhängen, welche neuen Dienstleistungen, aberauch, welche neuen Produktionsmethoden wir entwi-ckeln . Uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-kraten interessiert natürlich besonders die Frage, wie wirkünftig arbeiten werden .Wir werden uns diesen Bereich noch einmal genaueranschauen, weil es nicht nur darum geht, den Arbeits- undGesundheitsschutz voranzubringen, sondern auch um dieFrage, mit welchen Modellen wir zukünftig arbeiten wer-den . Es geht hier nicht nur darum, dass Frau und Mannin der digitalisierten Welt einen Arbeitsplatz finden, son-dern wir wollen auch stärker die Frage beleuchten, wieRené Röspel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 185 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 6 . September 2016 18403
(C)
(D)
Frau und Mann in der digitalisierten Welt Arbeit findenund gleichzeitig eine Familie gründen können .
Das wollen wir entwickeln, und deswegen wollen wirdiesen Ansatz breiter gestalten .Am Ende der Redezeit sei mir folgender Hinweis ge-stattet: Wir werden in den nächsten Monaten und Jahrendarüber reden, wie mit hoffentlich weiteren Überschüs-sen umgegangen wird . Die Wähler können dann, wie ichfinde, sehr gut entscheiden, ob wir den einzelnen Fami-lien über eine Steuersenkung 20 Euro zurückgeben soll-ten oder ob wir das Geld nicht viel besser dafür nutzensollten, in frühkindliche Bildung, in die Infrastruktur undin die Zukunft des Landes, nämlich in Bildung und For-schung, zu investieren . Ich glaube, der letzte Weg ist dernachhaltigere und erfolgreichere .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Wir sind damit am Schluss der heuti-
gen Tagesordnung angelangt .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Mittwoch, den 7 . September 2016,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen jetzt
einen angenehmen und hoffentlich nicht zu arbeitsrei-
chen Abend .