Gesamtes Protokol
Guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Jahr 1995, die Ihnen auf Drucksache 13/1400 vorliegt, erweitert werden. Besteht damit Einverständnis? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 11 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995)
- Drucksachen 13/50, 13/414, 13/528, 13/966,
13/529, 13/1030, 13/1255, 13/1400 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Bitte, Herr Kollege.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei Vermittlungsvorschlägen ist es in der Regel so, daß sie zustande kommen durch einen Kompromiß zwischen der politischen Mehrheit des Bundesrates und der politischen Mehrheit des Bundestages, so wie sie im Vermittlungsausschuß vertreten sind. Kompromisse kommen durch gegenseitiges Nachgeben zustande und finden in der Regel im Vermittlungsausschuß eine sehr breite Mehrheit. Das ist der Regelfall. In diesem Fall ist es anders. Es gibt eine Mehrheitsentscheidung der Mehrheit des Vermittlungsausschusses. Diese Mehrheitsentscheidung ist das, was Ihnen heute als Vermittlungsvorschlag vorliegt.
Ich will nicht auf die Einzelheiten eingehen, sondern Ihnen nur kurz die Eckdaten nennen. Der Vermittlungsvorschlag sieht vor, daß die Ausgaben des Haushalts um 1,419 Milliarden DM angehoben werden. Dazu gibt es einen Gegenfinanzierungsvorschlag in Höhe von 1,7 Milliarden DM.
Im wesentlichen bezieht sich dieser Gegenfinanzierungsvorschlag auf drei Haushaltspositionen, die man nicht berechnen kann, sondern die im wesentlichen auf Schätzungen beruhen. Hier hat die Mehrheit des Vermittlungsausschusses anders geschätzt als der Bundesfinanzminister und der Haushaltsausschuß des Bundestages.
Im wesentlichen geht es um drei Positionen. Zum einen handelt es sich um Personalverstärkungsmittel, also Personalausgaben; sie werden um eine halbe Millarde DM geringer geschätzt. Dasselbe gilt für die Zinsausgaben des Bundes. Auch die werden um eine halbe Milliarde DM geringer geschätzt. Die Erlöse aus den Grundstücksverkäufen werden um 400 Millionen DM höher geschätzt. Das ist der wesentliche Teil der Gegenfinanzierung.
Ich habe als Berichterstatter einen Auftrag des Vermittlungsausschusses zu erfüllen. Der Vermittlungsausschuß kann zu den Gegenständen seiner Beratungen keine Entschließungen fassen. Das ist nicht seine Aufgabe. Aber natürlich können diejenigen, die Entscheidungen treffen und die Mehrheit haben, eine politische Meinung zu bestimmten Fragen haben. Ich habe den Auftrag, Ihnen die Meinung der Mehrheit des Vermittlungsausschusses zum BAföG mitzuteilen. Damit ich keinen Fehler mache, will ich Ihnen das wörtlich vorlesen - ich bin hier ein bißchen in der Situation der englischen Königin bei der Verlesung der Regierungserklärung -:
- Ich sehe nicht so aus, Herr Schily. Das gebe ich zu.
- Ich werde Ihnen das jetzt wörtlich vorlesen:
Die Bedarfssätze und Freibeträge nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz werden zum 1. Oktober 1995 bedarfsgerecht erhöht. Die Erhöhung kann aus dem bestehenden Ansatz im Einzelplan 30 des Bundeshaushaltsplanes für das Haushaltsjahr 1995 finanziert werden. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts
Dr. Heribert Blens
Deutschlands dauerhaft zu stärken, muß ein hohes Bildungsniveau gesichert werden. Dazu bedarf es einer gerechten Ausbildungsförderung. Die Bundesregierung wird deshalb gebeten, das Bundesausbildungsförderungsgesetz den gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen und die Voraussetzungen für eine bedarfsgerechte Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge ab Herbst 1995 zu schaffen.
Soweit das Zitat, das ich Ihnen hier auftragsgemäß vorzutragen hatte.
Ich habe keinen Auftrag des Vermittlungsausschusses, Ihnen zu empfehlen, den Vermittlungsvorschlag anzunehmen. Und da ich mich an die Aufträge des Ausschusses halte, tue ich das auch nicht. Aber ich denke, es stimmt mit der Meinung aller Mitglieder des Vermittlungsausschusses überein, wenn ich Ihnen empfehle, heute nach bestem Wissen und Gewissen über den Vorschlag zu entscheiden.
Zur Abgabe einer Erklärung erteile ich dem Kollegen Joachim Hörster das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat am 31. März 1995 das Haushaltsgesetz mit der gesetzlichen Mehrheit seiner Mitglieder verabschiedet. Und obwohl der Bundesrat genau weiß, daß ohne Zustimmung der Regierungskoalition an diesem Bundeshaushalt nichts zu ändern ist, hat er den Vermittlungsausschuß angerufen. Dies ist ein sehr seltener Vorgang in der Parlamentsgeschichte und in der Geschichte der Zusammenarbeit zwischen Bundesrat und Bundestag.
Eine solche Anrufung wäre ja noch zu vertreten gewesen, wenn sie mit einigen sachlichen Gründen untermauert worden wäre. Allerdings sind die Änderungsvorschläge des Bundesrates in Höhe von 1,7 Milliarden DM bei einem Haushaltsvolumen von 477 Milliarden DM, dazu noch in vielfältiger Weise auf Verpflichtungsermächtigungen gegründet, die in diesem Haushaltsjahr überhaupt nicht mehr zum Zuge kommen, nicht gerechtfertigt. Wenn man sich dann noch die Gegenbuchungen anschaut, mit denen der Bundesrat seine Mehranforderungen an den Bundeshaushalt begründet hat - der Kollege Blens hat vorhin darauf hingewiesen, daß man im Bereich der Personalhaushalte mid der Zinsausgaben des Bundes einfach Schätzungen verändert hat -, dann wird überdeutlich, daß dies ein unseriöser Vorschlag ist.
Er riecht sehr nach Oskar Lafontaine. Jeder ordentliche Gemeinderat würde sich eines solchen Gegenfinanzierungsvorschlags schämen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, daß es sich um reine Obstruktions- und Wahlkampfpolitik handelt,
wird besonders am Beispiel der Werftenhilfen deutlich.
Es ist unglaublich, daß der Bundesrat zwei Tage vor der Landtagswahl in Bremen einen Vorschlag einbringt, in dem gefordert wird, daß die Komplementärmittel für die Werftenhilfe für das Bundesland Bremen auch aus dem Bundeshaushalt zu bezahlen sind. An diesem Donnerstag - nachdem die Wahlen in Bremen und Nordrhein-Westfalen gelaufen sind - ändert der Bundesrat exakt diesen Vorschlag und sagt jetzt, die Bremer müßten die Komplementärhilfen selbst aufbringen.
Das macht doch überdeutlich, was hinter diesem Vorgang steckt.
Wenn ich dann noch in den Medien lesen darf, innerhalb des Bundesrates wisse man zwar, daß man an den Entscheidungen des Bundestages nichts ändern könne, aber man wolle die Abstimmungsfähigkeit der Koalition testen, dann komme ich zu der Auffassung: Im Zusammenwirken von Bundesorganen bei der Gesetzgebung kann man so nicht miteinander umgehen.
Ich rate dringend, daß der Bundesrat solche Mätzchen unterläßt, wenn wir demnächst über den Bundeshaushalt 1996 zu beraten haben.
Im übrigen tut der Bundesrat der Opposition auch überhaupt keinen Gefallen, wenn sie zum wiederholten Mal in diesem Hause bewiesen bekommt, daß die Mehrheiten, die der Wähler für den Deutschen Bundestag entschieden hat, hier auch Geltung finden.
Kollege Dr. Peter Struck, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine wahre Freude, jetzt Mitglied des Vermittlungsausschusses zu sein und heute solche Ergebnisse vortragen und bewerten zu können.
Wir haben lange darauf gewartet, und das wird jetzt oft so sein. Herr Kollege Hörster, Sie haben vergessen zu erwähnen, daß die Beschlüsse des Vermittlungsausschusses gestern nicht mit einer sehr knappen, sondern mit einer sehr deutlichen Mehrheit zustande gekommen sind. Das entspricht übrigens auch der Verfassungslage, denn jedes Mitglied des
Dr. Peter Struck
Vermittlungsausschusses ist, wie Sie wissen, nicht irgendwelchen Parteiweisungen oder Fraktionsbeschlüssen unterworfen, sondern nur seinem Gewissen.
Der Vermittlungsausschuß hat hervorragende Beschlüsse gefaßt, die von der SPD-Bundestagsfraktion außerordentlich begrüßt werden, weil sie eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem von den Regierungsfraktionen beschlossenen Bundeshaushalt bedeuten. Diese Vorschläge des Vermittlungsausschusses sind die notwendige Korrektur einer falschen Regierungspolitik; sie führen zu einer Stärkung des Standorts Deutschland und dienen der Sicherung des sozialen Friedens.
Im Bundeshaushalt werden durch diese Entscheidungen die Mittel für Forschung und Wissenschaft verstärkt - Herr Kollege Rüttgers müßte uns dafür eigentlich auf Knien dankbar sein -
und deutliche Hinweise für die Erhöhung des BAföG-Satzes geben. Der soziale Wohnungsbau wird verbessert und das Wohngeld den gestiegenen Kosten angepaßt - Maßnahmen, die dringend erforderlich waren und zu denen diese Koalition leider nicht bereit war. Der wichtigste Standortfaktor unseres Landes, nämlich die Intelligenz und die Leistungsbereitschaft unserer Menschen, wird durch den Ausbau der Hochschulen und die angemessene Erhöhung der BAföG-Sätze gestärkt. Das Studium - auch das ist die Entscheidung des Vermittlungsausschusses gewesen - darf nicht wieder vom Geldbeutel der Eltern abhängig werden.
Ebenso wichtig ist, daß der Vermittlungsausschuß einen neuen Haushaltsansatz für einen Konversionsfonds des Bundes in Höhe von 100 Millionen DM eingestellt hat. Das ist endlich die Erfüllung einer Zusage der Bundesregierung von vor Jahren, Herr Kollege Waigel, zum Ausgleich der durch den Abbau der Bundeswehr entstandenen schweren regionalen Benachteiligungen eine entsprechende Verpflichtung des Bundes anzuerkennen.
Die Bemühungen des Landes Rheinland-Pfalz sind hier sehr hervorzuheben und haben zu dieser positiven Entscheidung des Vermittlungsausschusses geführt.
Die Bundesregierung ist durch den Vermittlungsausschuß gezwungen worden, ihre Zusagen endlich einmal einzuhalten.
Das gleiche gilt für die Wettbewerbshilfen für die deutschen Werften, die durch die Entscheidung des Vermittlungsausschusses erhöht werden sollen. Hier wird den fortbestehenden Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der deutschen Werften durch eine zusätzliche Leistung des Bundes endlich entgegengetreten - Maßnahmen übrigens, Herr Kollege Hörster, die sowohl Herr Kohl als auch Herr Kinkel in Bremen persönlich mehrfach zugesagt, aber dann hier nie eingehalten haben.
Besonders bedeutsam sind die klaren Hinweise des Vermittlungsausschusses darauf, daß nicht zugelassen wird, die Arbeitslosenhilfe nach einem Zeitraum von zwei Jahren zu beenden und die Menschen in die Sozialhilfe abzuschieben.
Im Interesse der Menschen und im Interesse der Gemeinden darf und wird das nicht passieren.
Besonders erfreulich ist, daß der Vermittlungsausschuß mit seiner Entscheidung, 583 Millionen DM im Bundeshaushalt für die Finanzierung von Kindergartenplätzen vorzusehen, endlich die Verpflichtung des Bundes anerkannt hat, ein Aktionsprogramm zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz mit zu fördern, weil wir hier ein solches Bundesgesetz beschlossen haben.
Der Vermittlungsausschuß hat die Verpflichtung des Bundes anerkannt. Dies ist eine deutliche Hilfe für die Länder, eine deutliche Hilfe für die Gemeinden und eine deutliche Hilfe für alle Eltern, deren Kinder auf einen Kindergartenplatz warten.
Diese zusätzlichen Ausgaben - Herr Kollege Blens hat das dankenswerterweise sehr deutlich vorgetragen - werden, wie sich aus den Beschlüssen des Vermittlungsausschusses ergibt, seriös finanziert und führen nicht zu Mehrbelastungen. Im Gegenteil, Herr Kollege Waigel, wenn Sie unseren Vorschlägen folgen, sparen Sie noch 300 Millionen DM.
- Da brauchen Sie gar nicht zu lachen, Herr Kollege
Waigel. Wir können rechnen. Sie können nicht rechnen, wie die Vergangenheit zeigt.
Ich erwähne von den Finanzierungsvorschlägen nur die erhöhten Einnahmen aus Kapitalherabsetzung, Veräußerung von unbeweglichen Sachen sowie Minderausgaben für Verzinsung. Mit besonderer Freude, meine Damen und Herren, nenne ich als Finanzierungsvorschlag die Kürzung der Mittel für Öffentlichkeitsarbeit im Bundeshaushalt um insgesamt 28%.
Dr. Peter Struck
Meiner Ansicht nach war der Vermittlungsausschuß - aber wir sind alle auch staatstragend - da sehr zögerlich und zurückhaltend. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte man die Mittel noch mehr kürzen können, denn diese Regierung verdient gar keine Öffentlichkeitsarbeitsmittel.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Kristin Heyne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich den Kollegen Fischer als Mitglied des Vermittlungsausschusses entschuldigen. Er ist heute einer offiziellen Einladung nach Israel anläßlich des Jahrestages des Kriegsendes gefolgt.
Der Vermittlungsausschuß wurde angerufen, weil die Mehrheit in diesem Hause einen Haushaltsplan verabschiedet hat, der Wesentliches schuldig bleibt, der die Länder und Kommunen im Regen stehen läßt und der die gesellschaftliche und die wirtschaftliche Entwicklung in eine falsche Richtung lenkt.
Die gravierenden Defizite besonders im sozialen Bereich hat der Kollege Struck genannt. Es geht im wesentlichen um die Schaffung von Kindergartenplätzen, um den Wohnungsbau und um die Arbeitslosenhilfe. Auch beim Hochschulbau und beim BAföG gibt es wesentliche Mängel.
Ich möchte ergänzen, daß wir schwere Mängel auch im aktiven Klimaschutz sehen. Investitionshilfen für Wärmedämmung, für erneuerbare Energien und für rationelle Energieverwendung wie auch finanzielle Anreize für umweltverträgliche Produktionsweisen sind völlig unzureichend oder fehlen ganz.
Eine der größten Fahrlässigkeiten dieses Haushalts verschweigen der Bundesrat und damit auch die Empfehlung. Das ist die sogenannte Privatfinanzierung von Straßen. Tatsächlich ist dieser Ratenkauf von Straßen eine gut versteckte zusätzliche Verschuldung des Bundes, und sie wird auf Jahrzehnte Gelder blockieren, die wir dringend für eine umwelt-
und klimafreundliche Verkehrspolitik brauchen.
Diese haushaltspolitische Piraterie macht auch die SPD mit - im Kniefall vor dem freien Bürger mit seinem Auto.
Die Finanzpolitik dieser Koalition führt zu untragbaren Einschnitten bei den grundlegenden Bedürfnissen Wohnung und Beschäftigung, und sie verfehlt die Aufgabe der Zukunftsgestaltung.
Die sozialen und ökologischen Probleme werden sich weiter verschärfen, wenn Sie Ihre Finanzpolitik nicht grundlegend ändern. Mit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zur Freistellung des Existenzminimums wurde die kontinuierlich steigende steuerliche Belastung der Löhne gestoppt. Doch statt diesen richterlichen Hinweis zu beherzigen und eine Entlastung der Löhne konsequent umzusetzen, wird im Finanzministerium jetzt schon erwogen, die Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit gänzlich zu streichen und damit die Löhne noch weiter zu belasten. Dies ist ein Schritt in die falsche Richtung.
Die Löhne als tragende Säule der Staatsfinanzen sind übermäßig belastet.
Herr Waigel, Ihr Finanzhaus ist schon reichlich windschief geworden. Es schreit nach Umverteilung der Gewichte. Der Verbrauch an Umwelt und an Ressourcen muß zu einer weiteren Säule der Staatseinnahmen werden. Wir brauchen den Einstieg in eine ökologisch-soziale Steuerreform.
Diese Bundesregierung erweist sich als unfähig, den ökologischen und sozialen Erfordernissen dieser Gesellschaft noch gerecht zu werden. Schon die Freistellung des Existenzminimums überfordert ihre Reformfähigkeit offenkundig. Die ängstlichen und hausbackenen Versuche des Finanzministers, sich aus der Situation zu winden, lassen finanziellen Weitblick vermissen.
Diese Regierung ist nicht einmal fähig, das aus ökologischer Sicht fatale Sinken der Strompreise, das infolge des Verfassungsgerichtsbeschlusses entsteht, zu verhindern. Sie ist ausgebremst durch einen Profil- und konzeptlosen Koalitionspartner. So verschleppt die Union den dringend nötigen Einstieg in die Energiesteuer.
Meine Damen und Herren von der Union, reden Sie nicht nur von ökologisch-sozialem Wirtschaften; fangen Sie endlich damit an!
Ich überrasche Sie nicht, wenn ich feststelle, daß die Änderungswünsche meiner Fraktion bezüglich des Haushalts 1995 weit über die Empfehlung des Vermittlungsausschusses hinausgehen. Da diese Empfehlung aber in die richtige Richtung weist, werden wir sie unterstützen.
Herr Kollege Dr. Wolfgang Weng, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für viele Menschen ist es eine Traumvorstellung, mit anderer Leute Geld gute Werke zu tun.
Nach dieser Methode hat die Bundesratsmehrheit bei ihrer Beratung des Bundeshaushalts 1995 agiert.
Zustimmung, wenn Ablehnung sicher ist, ist die andere Seite. Wir haben eben den Vortrag des Kollegen Struck gehört, der das deutlich dokumentiert hat.
Ich stelle fest, daß die Ländervertretung in parteipolitischer Manier dafür eingesetzt wurde, praktisch wieder Oppositionsanträge zu bringen, die im Deutschen Bundestag keine Mehrheit gefunden hatten. Dabei handelt es sich natürlich um lauter populäre Mehrausgaben - Vortrag des Kollegen Struck - ohne realistische Finanzierung - Vortrag des Kollegen Blens, der das aus der Sicht des Vermittlungsausschußvorsitzenden hier verdeutlicht hat. Meine Damen und Herren, ist das die Aufgabe der Länderkammer? Ausgaben fordern und Schulden beklagen, das ist das typische SPD-Verhalten.
Der Vermittlungsausschuß mit seiner SPD-Mehrheit hat uns gestern mit einem vergleichbaren Ergebnis beglückt. Die ihm angehörenden oppositionellen Bundestagsabgeordneten waren sich nicht zu schade, diesen Ausschuß als Instrument gegen die Interessen des Bundes und damit gegen die Interessen unserer Bürger einzusetzen. Sie sollten sich schämen.
Durch die Bundestagswahl hat sich das Inkrafttreten des Haushalts 1995 schon sehr verzögert. Daß der Haushalt auch jetzt nicht in Kraft tritt, geht zu Lasten vieler Menschen im Land. Sie von der Opposition sind daran schuld; denn jetzt verzögern Sie mit allen Tricks der Geschäftsordnung die abschließende Beratung, und das nur, um draußen wohlfeil erzählen zu können, was Sie noch alles an zusätzlichen Ausgaben getätigt hätten. Ein ärmliches Rollenspiel!
Es ist übrigens nicht uninteressant - wenn ich das richtig gehört habe -, daß der Wirtschaftsausschuß gestern einstimmig, d. h. auch mit den Stimmen der SPD-Kollegen, davor gewarnt hat, daß diese Blokkade den Bürgern schadet, und zwar im Interesse von Ausgaben, die Ihre eigene Fraktion will. Auch das zeigt, wie engstirnig parteipolitisch hier gehandelt wird.
Meine Damen und Herren, wer diese Abläufe kennt, der muß wirklich feststellen: Die Äußerungen von Oskar Lafontaine, der Deutsche Bundestag solle seine Blockadehaltung aufgeben, ist der Gipfel der Unverfrorenheit.
Man stelle sich einmal vor, wir würden uns hier in gleicher Weise verhalten und versuchen, die Haushalte der Bundesländer zu gestalten und in die Haushalte der Bundesländer in dieser Weise einzugreifen
nach dem Motto: Wir geben euer Geld aus, wir loben uns dafür, und ihr bezahlt die Schulden und die Zinsen.
Eine solche Verhaltensweise liefert Nägel für den Sarg des Föderalismus; denn wer den Bund ständig schädigt, der fördert Kleinstaaterei, und das in einem Moment, in dem ein starker Bund politisch besonders dringend notwendig ist.
Es ist meines Wissens das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, daß der Bundesrat - in der Konsequenz dann auch die parteipolitisch geführte Mehrheit des Vermittlungsausschusses - den Haushalt des Bundes zu verändern versucht. Dies zeigt, wie schlecht die Sitten bei der SPD geworden sind.
Ich bin allerdings sicher, meine Damen und Herren, und ich sage es mit großer Deutlichkeit auch nach den Wahlergebnissen vom vergangenen Sonntag: Parteipolitisch motiviertes Verhalten zu Lasten der Bürger wird sich für Sie auch weiterhin nicht auszahlen.
Die Freien Demokraten in der Koalition mit der Union werden solches Verhalten abwehren, wo immer die Mehrheit des Deutschen Bundestages dies abwehren kann.
Meine Damen und Herren, wir bedauern es, wenn der Bundesrat zum parteipolitischen Instrument der SPD degeneriert. Wir bedauern es, wenn SPD-Kollegen des Deutschen Bundestages den Vermittlungsausschuß gegen die Interessen des Bundes benutzen und damit Parlamentsrechte aushöhlen.
Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei lehnt deswegen die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses von gestern zum Bundeshaushalt 1995 ab.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren! Vor der Abstimmung haben es die Redner immer schwerer, weil sich der Saal langsam füllt. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die oben am Rand des Plenarsaals stehen: Die Gespräche, die Sie führen, können Sie ebensogut außerhalb des Saales führen, ohne die Abstimmung zu versäumen.
Offenbar kommt meine Stimme dort oben nicht an. Ich will unsere Beratungen nicht weiter verzögern. Es wird für die letzte Rednerin ganz schwer. Ich rufe Frau Kollegin Dr. Christa Luft auf.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Partei des Demokratischen Sozialismus ist bislang durch willkürliche Anwendung der Zählverfahren die Mitarbeit im Vermittlungsausschuß von Bundesrat und Bundestag versagt. Wir haben also im Unterschied zu allen anderen Parteien, deren Redner hier schon gesprochen haben, kein Insiderwissen über den dortigen Diskussionsverlauf. Wir sind auf Presseverlautbarungen angewiesen.
Wir meinen, das ist eine eklatante Benachteiligung unserer parlamentarischen Arbeit, und wenden uns ganz entschieden dagegen.
Den Ende März in diesem Hause beratenen Haushalt haben wir abgelehnt, vor allem wegen der völlig unzureichenden Signale, die von ihm für die Lösung der Zukunftsprobleme in diesem Lande, für Beschäftigung, für Wohnen, für Bildung, für Innovation und Forschung ausgehen.
Gestern am späten Abend hat uns das Ergebnis des Vermittlungsausschusses, die Beschlußempfehlung, erreicht. Sie bleibt bei den Nachbesserungen und Gegenfinanzierungsvorschlägen weithin erheblich unter dem, was wir im Haushaltsausschuß beantragt hatten. Aber die Empfehlungen gehen in die richtige Richtung.
Wir können uns Nachbesserungen, die für Wohngeldempfänger, für BAföG-Empfänger, für die Werftindustrie, für die Kulturförderung in Berlin, für den Hochschulbau vorgeschlagen werden, selbstverständlich nicht verschließen und werden daher dieser Beschlußempfehlung zustimmen, auch wenn das nichts an unserer prinzipiellen Haltung zum Haushalt ändert.
Lassen Sie mich an dieser Stelle aber noch folgendes mit Befremden zum Ausdruck bringen. Man konnte in den letzten Wochen den Eindruck gewinnen, die Anrufung des Vermittlungsausschusses sei eine Art Partisanenaktion, etwas Illegales. Aber die Anrufung des Vermittlungsausschusses ist doch durch das Grundgesetz legitimiert.
Dies als Verzögerungstaktik, als Verschleppungsmanöver der Opposition abzuqualifizieren ist ein eigenartiges Verständnis vom Föderalismusprinzip.
Wenn bereits vor einem Vermittlungsergebnis Koalitionsabgeordnete lauthals verkünden, man werde den Änderungen am Haushalt, die vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagen werden, in keinem Fall zustimmen, ist das grotesk.
Herr Kollege Weng, wäre es dann nicht konsequent gewesen, Sie hätten vorgeschlagen, man solle den Vermittlungsausschuß abschaffen, wenn er ohnehin zu keinen Ergebnissen führen kann? Dann würden wir auch noch Kosten sparen!
Demokratische Spielregeln laufen in diesem Lande Gefahr, zu einer optischen Garnierung ohne substantielle Wirkung zu werden. Mehrheiten neigen offenbar zur Selbstherrlichkeit, und gerade wir aus dem Osten wissen, welche fatalen Folgen das haben kann.
- Jawohl, genau das ist es. Wir haben die Lernprozesse schon hinter uns, die Sie noch vor sich haben.
Wenn die Koalition mit ihrer Mehrheit das Ergebnis der Beratungen im Vermittlungsausschuß ablehnt, dann bleiben Forschung, Bildung, Innovation nicht nur Stiefkinder, sondern sie werden im internationalen Rahmen in die Drittrangigkeit abgedrängt.
Studium in Deutschland bedeutet inzwischen längst überfüllte Hörsäle, überlange Studienzeiten, mangelnde Betreuung, Wohnungsnot. Dies alles wird sich verschärfen. Aber der Zukunftsminister - das ist heute schon einmal angemerkt worden - schreibt auf teuren Hochglanzseiten z. B. in der April-Ausgabe der Regierungspublikation „Journal für Deutschland" salbungsvoll von neuen Kräften, die das Land braucht. Zukunft scheint aber mehr auf dem Papier stattzufinden, als in Hörsälen und Labors vorbereitet zu werden.
Stures Sparen ist doch kein Ersatz für Politik. Der Haushalt 1995 soll offenbar die Weiche sein, über die Regierung und Koalitionsfraktionen das über fünf Jahrzehnte hier gewachsene Gemeinwesen endgültig auf ein anderes Gleis schieben wollen. Wird der Ansatz für Arbeitslosenhilfe im Bundesetat nicht aufgestockt, bedeutet das letztlich nichts anderes als eine Lastenverschiebung hin zur Sozialhilfe auf Kosten der Kommunen. Bleibt es bei der Ablehnung des Bundes, sich an den Investitionskosten für Kindergartenplätze zu beteiligen, dann wird bis in den letzten Winkel dieses Landes klar, daß die von den Christdemokraten beschworene kinderfreundliche Gesellschaft eine Fata Morgana ist. An den von der Koalition angekündigten Entscheidungen zu den Wohngeldleistungen wird deutlich, daß die Abschiednahme von der Wohnung als Sozialobjekt in die Endphase geht.
Dr. Christa Luft
Wer nun angenommen hat, die Regierung hätte die letzten Wochen, in denen der Vermittlungsausschuß tätig war, genutzt, um die ärgsten Schwachstellen dieses Haushaltes anzugehen, der sieht sich hinters Licht geführt. Statt Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu ergreifen oder Beschäftigungsabnahme zu verhindern, können sich Wirtschafts- und Arbeitsminister z. B. nicht darüber einigen, wie man mit den Arbeitskräften aus den Ländern der Europäischen Union, die sich auf deutschen Baustellen zu Billigtarifen anbieten, -
Ihre Redezeit! Dr. Christa Luft : - umgehen wird.
Meine Damen und Herren, die Regierung aber sieht keinen Handlungsbedarf, -
Frau Kollegin, die Redezeit ist abgelaufen.
- z. B. die Wirtschaftsförderung an die Beschäftigungsentwicklung zu binden.
Sie beschränken sich auf Branchendialoge und Selbstverpflichtungen der Unternehmen. Wenn nicht endlich eine steuernde Hand -
Frau Kollegin!
- von der Regierung sichtbar wird, dann werden die haushaltspolitischen Probleme in diesem Land nicht gelöst werden.
Danke.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/1400. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. verlangen namentliche Abstimmung. - Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekanntgegeben. *)
Meine Damen und Herren, damit wir die Beratung fortsetzen können, bitte ich Sie, Platz zu nehmen.
*) Seite 3083 C
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans Martin Bury, Dr. Uwe Jens, Anke Fuchs , weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung von Transparenz und Beschränkung von Machtkonzentrationen in der deutschen Wirtschaft (Transparenz- und Wettbewerbsgesetz)
- Drucksache 13/367 -
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Bury.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor fast genau einem Jahr, am 27. Mai 1994, haben wir hier im Deutschen Bundestag über die Macht der Banken debattiert. Damals wie heute war der Anlaß die erste Lesung eines Gesetzentwurfs der SPD-Bundestagsfraktion zur Beschränkung der Macht der Banken und zur Verbesserung von Transparenz und Wettbewerb in der deutschen Wirtschaft.
Sie werden sich erinnern, daß die Redner der Bundesregierung in der damaligen Debatte schlichtweg jeglichen Handlungsbedarf abgestritten haben.
Seit dem 16. Oktober des letzten Jahres beobachten wir nun eine erstaunliche Neuorientierung, die zeigt, daß sich diese Regierungskoalition trotz ihrer allgemeinen Erstarrung doch noch zu bewegen vermag, zumindest dann, wenn sie massiv unter Druck gesetzt wird.
„Tatsache ist doch, daß die Banken Macht in einem Ausmaß haben, das ich unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit und des Wettbewerbs für fragwürdig halte. "
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, hier können Sie ruhig mitklatschen: Die Worte stammen schließlich von Ihrem Wirtschaftsminister Günter Rexrodt, und so häufig sagt er so vernünftige Sätze wie diesen ja nicht.
Bislang haben sich die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien jedoch außer zu vollmundigen Worten noch zu keinerlei konkreten Vorschlägen, Maßnahmen oder Initiativen durchringen können - ganz im Sinne der Strategie des Grafen Lambsdorff beim Thema Bankenmacht: Viel reden, nichts tun.
Hans Martin Bury
Zur Zeit bewegt sich die Bundesregierung nur noch im Kreis, genauer gesagt: im Arbeitskreis. Denn zur Prüfung dessen, was eventuell genauer geprüft werden soll, hat sie erst einmal ein paar Kommissionen ins Leben gerufen.
Vor gut einer Woche hat eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Finanz- und der Rechtspolitiker der Regierungskoalition unter der Leitung von Frau Leutheusser-Schnarrenberger und Günter Rexrodt die Arbeit aufgenommen. Konkrete Ergebnisse hatte das Treffen nicht, aber immerhin wurde einmal mehr erklärt, was man alles für prüfenswert erachtet.
Meine Damen und Herren, ich habe vollstes Verständnis dafür, daß Sie Zeit brauchen. Schließlich müssen Sie Ihre Entwürfe nicht nur innerhalb der Regierungskoalition abstimmen, sondern Sie müssen auch noch mit den Führungsgremien großer deutscher Banken abstimmen, was Sie überhaupt prüfen dürfen.
Das kostet Zeit, zumal die Frankfurter Banker noch ganz andere Sorgen haben. Da taucht doch nun der untergetauchte Bankrotteur Schneider zunächst per Tonband und dann persönlich wieder auf und beschuldigt die Deutsche Bank, für den Ruin seiner Immobilienfirma verantwortlich zu sein. Dabei hatte sich die Bank bislang überzeugend als Opfer eines gerissenen Immobilienhais präsentiert: Mit raffiniert fingierten Gutachten habe Schneider jahrelang die gutgläubigen Banker hinters Licht geführt und immer neue Kredite in Millionen-, schließlich sogar in Milliardenhöhe erschlichen. Vertrauen ist halt der Anfang von allem, manchmal auch von Pleiten.
Auch wenn die Tonbandverteidigung des Herrn Dr. Schneider alles andere als überzeugend war und er die Rolle des armen, von der mächtigen Deutschen Bank übers Ohr gehauenen Privatkunden nicht sonderlich glaubhaft spielt, so darf man doch gespannt sein, wie sich die Deutsche Bank mit den Vorwürfen auseinandersetzen wird.
Allgemein scheint es mir nicht ratsam, weiterhin mit dieser eigentümlichen Mischung aus Beleidigtsein und Arroganz auf Kritik zu reagieren.
Zu der mit großem Aufwand angekündigten Kommunikationsoffensive der privaten Banken gehört doch mehr als bunte Bilder von edlen Bankern und dankbaren Kunden, nämlich auch die Bereitschaft zu Transparenz und Offenheit.
- Das sind sie noch lange nicht.
Auf die Verbesserung von Transparenz und die Beschränkung von wettbewerbsfeindlichen Machtkonzentrationen in der deutschen Wirtschaft zielt der von der SPD-Fraktion vorgelegte Entwurf eines Transparenz- und Wettbewerbsgesetzes. In den letzten Jahren wurde unermüdlich über den Standort
Deutschland und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft debattiert - eine Debatte, die sich hauptsächlich auf Faktorkosten, Steuern und Infrastruktur konzentrierte.
Dabei leidet die deutsche Wirtschaft heute nicht primär unter angeblich zu hohen Löhnen oder Lohnnebenkosten, sondern sie leidet unter einer wettbewerbs- und innovationsfeindlichen Verflechtung und Verkrustung.
Die Strukturprobleme der deutschen Wirtschaft, die sich in der Innovationskrise manifestieren, werden durch den Strukturkonservatismus einer geschlossenen Gesellschaft angestellter Manager geschaffen und gefördert. Durch ein dichtes Netz von wechselseitigem Anteilsbesitz haben sich die Unternehmensverwaltungen der führenden deutschen Wirtschaftsunternehmen vor Wettbewerb, Kontrolle und Haftung wirkungsvoll abgeschottet.
Ein Herrenklub nur mittelfristig orientierter Manager kontrolliert die Kerngesellschaften des deutschen Finanzsektors und die meisten börsennotierten Großunternehmen.
Potentielle Wettbewerber, die nicht zum Club gehören, vor allem kleine und mittlere Unternehmen, müssen sich mit systematischen Wettbewerbsbeschränkungen auseinandersetzen. Im Frühjahrsgutachten 1994 der sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute kritisieren die Wirtschaftsweisen wörtlich „vom Staat geschaffene oder geduldete Monopole und Kartelle in Teilen der Finanzwirtschaft". Nach Auffassung der Institute liegen hier „dringend zu lösende Aufgaben für die Wettbewerbspolitik. "
Ein Beispiel aus der Praxis: Die Allianz ist an der Münchener Rückversicherung AG mit 25 %) beteiligt. Die Münchener Rück ist umgekehrt an der Allianz ebenfalls mit 25 % beteiligt. In das gegenseitige Einflußgeflecht wird beispielsweise die Dresdner Bank eingewoben, die zu rund 40 % direkt oder indirekt von der Allianz und von der Münchener Rückversicherung kontrolliert wird und selbst jeweils 10 % an diesen Gesellschaften hält. Daneben ist die Allianz direkt mit 10 % an der Deutschen Bank beteiligt, während die Deutsche Bank 10 % an der Allianz und 10 % an der Münchener Rückversicherung hält. Gleichzeitig besitzt die Allianz 25 % an der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank, die wiederum an der Allianz und an der Münchener Rückversicherung beteiligt ist usw.
In den wechselseitig verflochtenen Unternehmen findet ein Wettbewerb um Führungspositionen kaum noch statt. Die Unternehmensverwaltungen haben sich vor Kontrolle durch die Eigentümer und Haftung für Fehler fast vollständig abgeschottet. Aktionäre
Hans Martin Bury
gelten als lästig und müssen in den Hauptversammlungen ertragen werden. Zur Entlastung braucht man sie nicht. Die Verwaltungen entlasten sich jeweils gegenseitig.
Im Mittelpunkt dieses Netzwerks befinden sich die deutschen Großbanken, bei denen es durch die Kombination ihrer Funktionen als Kreditgeber, Anteilseigner, Aufsichtsratsmitglieder und schließlich als Stimmrechtsvertreter der Aktionäre durch das sogenannte Depotstimmrecht zu einer erheblichen Einflußkumulation kommt.
Die Hauptversammlungen fast aller großen Publikumsgesellschaften in Deutschland werden heute von den Großbanken dominiert. So bestimmten im Jahr 1992 die Banken auf Grund ihrer eigenen Beteiligungen, der Stimmen von bankabhängigen Tochtergesellschaften wie Investmentunternehmen und der von ihnen durch das Depotstimmrecht vertretenen Aktionäre in den Hauptversammlungen der 24 größten deutschen Publikumsgesellschaften mit durchschnittlich 84,09 % die Geschicke der Unternehmen.
Noch deutlicher wird die Verselbständigung der Unternehmensverwaltungen, wenn man sich die Hauptversammlungen der fünf größten deutschen Aktienbanken - Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank, Bayerische Vereinsbank und Bayerische Hypo-Bank - betrachtet. Bei den Hauptversammlungen dieser fünf Banken im Jahr 1992 verfügten diese jeweils gemeinsam über die Mehrheit der vertretenen Stimmen. Die Stimmrechtsanteile bewegten sich zwischen 55 % in der Hauptversammlung der Deutschen Bank und 64 % in der Hauptversammlung der Dresdner Bank.
Das „old boys' network" funktioniert wie geschmiert.
- Schauen Sie sich die Untersuchungen der Universität Osnabrück an, Herr Hinsken. Wir können gerne über die Zahlen diskutieren. Diese Abschottung ist jedenfalls innovationsfeindlich und schadet dem Standort Deutschland. Wo Wettbewerb um Führungspositionen, Kontrolle und Haftung für Fehler praktisch ausgeschlossen sind, werden Kreativität und Innovationen nicht gefördert.
Selbstblockade!)
In der von der SPD-Fraktion beantragten Anhörung des Wirtschaftsausschusses des Bundestages am 8. Dezember 1993 zur Macht von Banken und Versicherungen bestätigte im übrigen der Präsident des Bundeskartellamtes wörtlich, daß der starke Einfluß der Banken auf die deutsche Wirtschaft „tendenziell innovationsfeindlich" sei.
Eine im letzten Herbst vorgelegte empirische Studie der Universität Mannheim - Herr Hinsken, Sie bekommen noch eine Menge Zahlen -
hat zudem bestätigt, daß Wirtschaftsunternehmen, die in erheblichem Maße von Kreditinstituten dominiert werden, weniger erfolgreich sind als bankenunabhängige Unternehmen - so das Ergebnis der Studie von Professor Perlitz. Sie wachsen langsamer, verdienen weniger und haben höhere Finanzierungskosten als bankenunabhängige Unternehmen.
Die Studie hat für viel Aufsehen gesorgt. Vertreter des Bundesverbandes Deutscher Banken reagieren allergisch und ungewohnt emotional, wenn sie auf die Perlitz-Studie angesprochen werden; sonderbar nur, daß den hochdotierten Research-Abteilungen der Banken und ihrer Verbände noch keine sachliche Widerlegung der Perlitzschen Ergebnisse eingefallen ist, so daß sich die Banker, ebenso wie manche Politiker, bislang auf Polemik beschränken müssen.
Kein Wunder, daß ausländische Beobachter und potentielle Investoren spöttisch von der „Deutschland AG " sprechen und lieber in einen anderen, transparenteren Finanzmarkt investieren. In kaum einer anderen Marktwirtschaft herrscht eine derartige wechselseitige Verflechtung wie bei uns. Nirgends sonst herrscht eine solche Intransparenz. Kaum sonst würden Manager einer Aktiengesellschaft auch nach Fehlleistungen oder regelrechtem Mißmanagement in den Hauptversammlungen mit einem Ergebnis von fast 100 % entlastet werden.
Wie sagte schon Hermann Josef Abs von der Deutschen Bank treffend: Es ist schwieriger, ein Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied haften zu lassen, als eine Sau am eingeseiften Schwanz festzuhalten.
In Deutschland kann ein Manager auch nach einer Aneinanderreihung verschiedener Pleiten und Pannen mit einem beeindruckenden Entlastungsergebnis rechnen - gut für die Betroffenen, schlecht für den Finanzmarkt Deutschland und die deutsche Wirtschaft.
Es ist kein Wunder, daß der Finanzplatz Deutschland im Vergleich zur wirtschaftlichen Stärke unseres Landes unterentwickelt ist. Setzt man den Marktwert des an der Börse gehandelten Kapitals in Relation zum Bruttosozialprodukt, so ergibt sich für Deutschland eine Kennzahl von 0,24, d. h., die Börsenkapitalisierung beträgt 24 % des Bruttosozialprodukts. Damit liegt Deutschland nach Einschätzung von Fachleuten außerhalb des Bereichs, in dem sich die Länder des zivilisierten Teils der Welt bewegen. Für Großbritannien, die Schweiz, Japan oder die USA ergeben sich Werte, die mindestens dreimal, teilweise sogar fast fünfmal so hoch sind.
Natürlich haben Banken Macht. Wer das leugnet, sagt nicht die Wahrheit.
Hans Martin Bury
So Alfred Herrhausen bereits 1979. Heute reagieren die Banker sensibel, wenn es um den Begriff Bankenmacht geht. Die Banken und ihre Interessenverbände sprechen lieber von Verantwortung. Das Wort Macht klinge zu sehr nach Mißbrauch, so Hilmar Kopper in seiner Festrede zum 125jährigen Jubiläum der Deutschen Bank. Die Banker sind empfindlich geworden bei einem Thema, das sie vor kurzem noch als eine Art Ungeheuer von Loch Ness verspotteten, das immer wieder einmal auftauche und ebenso schnell wieder verschwinde.
Wenn eine Bank aber zugleich Anteilseigner und Kreditgeber einer Aktiengesellschaft ist, diese Bank auf Grund ihres eigenen Anteils und der von ihr durch das Vollmachtsstimmrecht vertretenen Stimmen in der Hauptversammlung dieser AG eine dominierende Rolle spielt und dann ein Vorstandsmitglied dieser Bank auch noch im Aufsichtsrat der AG sitzt, vielleicht sogar als Aufsichtsratsvorsitzender - Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und tatsächlichen Begebenheiten wären nicht ganz zufällig, sondern durchaus beabsichtigt -, dann ist der Einfluß dieser Bank auf die Aktiengesellschaft so groß, daß wir hier von Macht sprechen.
Vertreter der Banken und ihrer Verbände verweisen dann gebetsmühlenhaft darauf, daß eine konkreter Mißbrauch nicht nachgewiesen werden könne. Der Versuch, die Frage von Einfluß und Macht der Banken in eine Diskussion um einen möglichen Mißbrauch umzuwandeln, führt allerdings in die Irre. Hier geht es um die Frage der Legitimität, der ordnungspolitischen und gesellschaftspolitischen Zielsetzung.
Otto Schlecht, lange Jahre Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und heute Vorsitzender der nicht übermäßig SPD-nahen Ludwig-Erhard-Stiftung, betonte am 6. April 1995 in einem Kommentar in der „Wirtschaftswoche", daß im Gesellschaftsrecht das Wettbewerbsprinzip gefördert werden müsse, einerseits durch verstärkte Kontrolle der Vorstände von Kapitalgesellschaften durch die Anteilseigner, andererseits durch Begrenzung des übermäßigen und wechselseitigen Einflusses weniger. Schlecht weiter:
Bei unvoreingenommenem Urteil ist einerseits evident, daß Großbanken in unserer Wirtschaftsordnung wichtige Funktionen erfüllen und vor allem bei Unternehmenssanierungen eine entscheidende Rolle spielen. Andererseits gehört der industrielle Anteilsbesitz im Zusammenhang mit der universalen Geschäftskumulation auf den ordnungspolitischen Prüfstand.
Aus Sicht der Unternehmensverwaltungen und der Großbanken hat es natürlich noch keinen Mißbrauch der dominierenden Position der Banken auf die deutsche Wirtschaft gegeben. Aber fragen Sie doch einmal die Aktionäre von Daimler-Benz, denen durch das Abstimmungsverhalten der Banken in der Hauptversammlung im Dezember 1993 bei der Entscheidung über die Sonderausschüttung der EK-56-
Rücklagen ein Betrag von rund 300 DM pro Aktie vorenthalten wurde.
Oder fragen Sie die Aktionäre der Metallgesellschaft und deren als Folge des Beinahe-Zusammenbruchs entlassene Arbeitnehmer, wie sie die Versäumnisse der Aufsichtsorgane empfinden. Die Banken versuchen sich gerade im Fall Metallgesellschaft gerne als noble Retter in Szene zu setzen. Im nachhinein wurde viel getan, um den angeschlagenen Konzern zu retten. Dafür gebührt all denen, die dazu beigetragen haben, auch den großen deutschen Banken, Dank. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß zuvor Fehler gemacht wurden. Immerhin hat der amerikanische Nobelpreisträger und Chicagoer Wirtschaftsprofessor Merton Miller in einem vielbeachteten Gutachten die Auffassung vertreten, daß das Desaster der Metallgesellschaft erst durch eine „Panikreaktion" des Aufsichtsrats der Metallgesellschaft verursacht worden sei.
Erst dadurch seien Buchverluste in echte Verluste umgewandelt worden.
Oder fragen sie mittelständische Unternehmen. Sie sollten nicht immer nur mit den angestellten Funktionären des Bundesverbandes der Deutschen Industrie reden, der sich selber als befreundeter Verband des Bankenverbandes bezeichnet. Fragen Sie einmal mittelständische Unternehmer, was diese von der Macht der Banken halten.
Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft hat unsere Gesetzesinitiative ausdrücklich begrüßt. Ich zitiere:
Der Mittelstand begrüßt insbesondere die SPD-Forderung nach einer Beschränkung des Beteiligungsbesitzes der Banken an branchenfremden Unternehmen.
So heißt es wörtlich in einer Pressemitteilung des Verbandes vom 27. Januar dieses Jahres. - Der BVMW-Hauptgeschäftsführer Dieter Härthe schreibt weiter:
Für die Volkswirtschaft insgesamt, aber gerade auch für die Wettbewerbssituation kleiner und mittlerer Unternehmen wirkt sich die enge Verquickung von Großbanken und Konzernen eindeutig negativ aus.
Andere Mittelstandsvereinigungen sehen das genauso. Der Europaverband der Selbständigen argumentiert in die gleiche Richtung.
Selbst Herr Bregger, Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung von CDU und CSU, teilt unsere Positionen.
Er fordert u. a. eine „weitgehende Abschaffung" des Depotstimmrechts, eine Beschränkung des Einflusses der Banken auf die Unternehmen, die Reduzierung der Aufsichtsratsposten pro Person und eine Verschärfung von deren Haftung.
Hans Martin Bury
Herr Hinsken, liebe Kolleginnen und Kollegen, diejenigen unter Ihnen, die der Mittelstandsvereinigung von CDU und CSU angehören oder nahestehen, müssen nicht warten, bis ihre Parteispitze von den Frankfurter Bankern endlich gesagt bekommt, was sie eventuell verändern darf. Wenn Sie Maßnahmen zur Beschränkung der Bankenmacht in der deutschen Wirtschaft und damit auch eine Stärkung der Finanzierungsmöglichkeiten des Mittelstands wollen, dann stimmen Sie einfach unserem Gesetzentwurf zu.
Meine Damen und Herren, mit dem Transparenz- und Wettbewerbsgesetz, über das wir hier in erster Lesung beraten, will die SPD die Einflußkumulation bei den Banken und - was nicht nur Herr Lambsdorff immer gerne übersieht - auch bei den eng mit den Banken verbundenen Versicherungsunternehmen wirksam beschränken,
Transparenz, Kontrolle und Haftung entscheidend verbessern und damit die wettbewerbs- und innovationsfeindliche Verflechtung der deutschen Wirtschaft verringern.
Die Beteiligungsmöglichkeiten der Banken und Versicherungen an branchenfremden Unternehmen werden auf maximal 5 % beschränkt. Ausnahmen gelten ausdrücklich für Beteiligungen zum Zwecke von Sanierung und Wagnisfinanzierung; denn natürlich brauchen Unternehmen in Sanierungsfällen auch die Unterstützung von Kreditinstituten. Darüber gibt es keinen Dissens.
Dank der jüngsten Veröffentlichung des Bundesverbandes deutscher Banken, der Studie „Erhebungen zu Anteilsbesitz und Aufsichtsratsmandaten", die vor wenigen Tagen veröffentlicht worden ist, wissen wir nun allerdings aus berufenem Munde, daß Sanierungsfälle bei neu eingegangenen Bankenbeteiligungen seltene Ausnahmen darstellen.
Unter den vom Bundesverband deutscher Banken untersuchten 73 Fällen, in denen Kreditinstitute zwischen 1989 und 1994 eine Beteiligung von mehr als 10 % an einem branchenfremden Unternehmen eingegangen sind, war nach Aussage des Bankenverbandes gerade mal ein einziger Sanierungserwerb. Unter den zwischen 1993 und 1994 vermeldeten 17 Käufen von Unternehmensanteilen zwischen 5 % und 10 % waren immerhin zwei Fälle von Sanierungserwerb.
Wer hier also davon spricht, daß die Beschränkung der Beteiligungsmöglichkeiten negative Auswirkungen auf die Bereitschaft der Banken zu Sanierungserwerb hätte, der hat ein rührendes Bild von der helfenden Hand der Banken, das allerdings von deren eigenen Zahlen leider nicht bestätigt wird.
Nach meiner Auffassung bestätigt diese Studie unsere Einschätzung, daß Banken gerade deshalb so zurückhaltend bei der Bereitstellung von Sanierungs- und Wagniskapital sind, weil sie ihr Geld lieber bei einigen Großunternehmen parken.
Herr Lambsdorff wird nachher sicher wieder auf die Beteiligungspolitik der Westdeutschen Landesbank verweisen, obwohl die F.D.P. jetzt auch in Nordrhein-Westfalen gar nicht mehr gefragt ist. Ihnen wird nicht entgangen sein, daß Herr Neuber die Begrenzung des Beteiligungsbesitzes von Banken und Versicherungen nicht gerade begeistert zur Kenntnis genommen hat.
Unser Gesetzentwurf, Herr Lambsdorff, ist im Gegensatz zu Ihren üblichen Vorschlägen nicht nur auf bestimmte Gruppierungen gemünzt, sondern gilt für alle.
Im übrigen hat Herr Neuber unsere Vorschläge zur Verbesserung von Transparenz und Haftung u. a. in einem Interview mit dem „Manager-Magazin" ausdrücklich begrüßt. Ich zitiere:
Ich bin entschieden für mehr Offenheit. Beteiligungen und Aufsichtsratsmandate sind keine Geheimnisse ... Insoweit kann ich mich mit dem von der SPD vorgelegten Gesetzentwurf für mehr Transparenz und Wettbewerb in der Wirtschaft durchaus anfreunden.
In demselben Interview sagte er, daß die Macht der Banken nicht isoliert betrachtet werden dürfe. Zitat:
Dann müßte beispielsweise auch die Macht der Versicherungen auf den Prüfstand.
Wir kommen dem nach.
Nun wird in der Diskussion, auch von Gerhard Schröder, immer wieder auf industriepolitische Aspekte verwiesen. Wir sind hier gesprächsbereit. Wenn die anderen Teile des Pakets umgesetzt werden, gibt es an dieser Stelle möglicherweise eher Spielraum.
Die Beteiligung von Banken und Versicherungen an Kapitalanlagegesellschaften wollen wir wegen der erheblichen immanenten Interessenkonflikte jedoch generell untersagen. Die Fonds der in Deutschland überwiegend bankeigenen Investmentgesellschaften beteiligen sich - das belegt erstmals eine an der Universität Osnabrück erarbeitete empirische Untersuchung - besonders dort, wo es den Interessen der Mutterbank dient. Gilt es eine Aktienemission der Mutterbank zu forcieren oder eine in Not geratene Unternehmensbeteiligung der Mutterbank zu stützen, ist die bankeigene Investmentgesellschaft zur Stelle. Daß dabei die Interessen der Kapitalanle-
Hans Martin Bury
ger schon einmal zu kurz kommen - die naiv davon ausgehen, daß die Fonds dort investieren, wo es sich am meisten lohnt, und nicht dort, wo es den Interessen der Mutterbank zugute kommt -, liegt auf der Hand.
Es ist interessant, daß die Deutsche DirektanlageBank, eine hundertprozentige Tochter der Bayerischen Hypo-Bank, in ihrem Werbeprospekt herausstreicht, daß die Direktanlage-Bank „einzig und allein Kundeninteressen verfolgt", weil die Direktanlage-Bank „keine eigenen Wertpapierbestände" unterhält. Herzliche Grüße an Herrn Martini!
Außerdem müssen wechselseitige Verflechtungen abgebaut werden; die Stimmrechte aus solchen Beteiligungen dürfen nicht mehr ausgeübt werden.
Zudem wollen wir die Aktionärsrechte entscheidend stärken. Hierzu gehören vor allem Maßnahmen zur Verbesserung der Transparenz und eine Verschärfung der Haftung von Organmitgliedern. Ein Bezugsrechtsausschluß ist nur noch höchstens einmal innerhalb von fünf Jahren zulässig. Die Gefahr einer Übervorteilung von Aktionären bei der Obernahme einer börsennotierten Gesellschaft durch ein anderes Unternehmen wird durch die Verpflichtung zu einem öffentlichen Übernahmeangebot an alle Aktionäre reduziert. Wenn ein Bieter 25 % oder mehr der stimmberechtigten Aktien einer börsennotierten Gesellschaft erwerben will, ist er verpflichtet, allen Aktionären ein Kaufangebot für ihre Aktien zu unterbreiten.
Das bisherige Vollmachtstimmrecht für Kreditinstitute wird durch die Einführung einer neuen, professionellen und unabhängigen Aktionärsvertretung ersetzt. Wirtschaftsprüfer und besonders qualifizierte andere Personen sollen in Zukunft in den Hauptversammlungen die Interessen der Aktionäre vertreten. Damit werden der immanente Interessenkonflikt der bisherigen Praxis einer Stimmrechtsvertretung durch Kreditinstitute und die daraus resultierende Einflußkumulation beseitigt, ohne daß die Gefahr sinkender Hauptversammlungspräsenzen besteht. In Zukunft kann damit jeder Aktionär frei darüber entscheiden, wem er die Vertretung seiner Interessen in der Hauptversammlung anvertraut.
Mit dieser vollkommen neuen Regelung haben wir die Ergebnisse der Anhörung des Wirtschaftsausschusses und der Gespräche auch mit Bankenvertretern aufgenommen. Die Vertreter der Banken hatten ja immer wieder betont, die Banken „kleben nicht am Vollmachtstimmrecht". Es müsse jedoch eine vernünftige Alternative zu der bisherigen Regelung geben.
Gut, diese vernünftige Alternative liegt jetzt vor.
Die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre hat die im SPD-Gesetzentwurf vorgesehenen Schritte zur Stärkung der Aktionärsdemokratie ausdrücklich begrüßt.
In Frankfurter Bankzentralen und im Bonner Justizministerium wird nun offenbar darüber nachgedacht, ob man die Stimmrechtsausübung innerhalb der Bank auf ganz besondere - „von Weisungen unabhängige" - Mitarbeiter, sogenannte Stimmrechtsmandatare, übertragen soll. Herr Funke nickt.
Das ist keine überzeugende Vorstellung. Sie ist bestenfalls zur Beruhigung der kritischen Öffentlichkeit gedacht. Stellen Sie sich vor, wie unabhängig ein solcher Stimmrechtsmandatar in der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft über die Entlastung des Aufsichtsratsvorsitzenden entscheiden würde, wenn dieser zufällig auch Vorsitzender seines Kreditinstituts und damit der eigene Chef ist. An den bestehenden Interessenkonflikten würde sich durch eine solche Regelung nichts ändern. Das ist reine Kosmetik, Augenwischerei.
Wir wollen die Zahl der Aufsichtsratsmandate auf maximal fünf pro Person begrenzen, wobei das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden doppelt zählt. Die Ausübung von Aufsichtsratsmandaten in untereinander konkurrierenden Unternehmen wird untersagt.
Die Haftung von Wirtschaftsprüfern soll verschärft und ihre Unabhängigkeit von dem zu prüfenden Unternehmen verbessert werden. Die dauerhafte Tätigkeit von Wirtschaftsprüfern bei ein und demselben Unternehmen wird auf maximal fünf Jahre begrenzt.
Schließlich soll die Rechtsform des wirtschaftlichen Vereins abgeschafft werden. Der Status eines wirtschaftlichen Vereins diente bislang in der Praxis oftmals zur Tarnung für profitable Wirtschaftsunternehmen oder sogar totalitäre Sekten, die sich so den allgemeinen Transparenz- und Bilanzierungspflichten zu entziehen vermochten. Für einen derartigen Sonderstatus besteht keine Rechtfertigung. Wer in der Praxis als Wirtschaftsunternehmen agiert, hat sich in Zukunft auch den dafür geltenden Vorschriften zu unterwerfen.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Entwurf eines Transparenz- und Wettbewerbsgesetzes beseitigt Mißstände des aktuellen Wirtschaftsrechts. Der Finanzmarkt Deutschland wird internationalem Standard angeglichen, und damit werden die Voraussetzungen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Das Netz wechselseitiger Verflechtungen wird abgebaut, der Wirtschaftsstandort Deutschland dadurch gestärkt und nicht geschwächt. Von einer Schwächung reden nur diejenigen, die an der Bewahrung des Status quo ein erhebliches Interesse haben,
die Mitglieder des Herrenclubs, der die Deutschland
AG verwaltet. Wir wollen dieses Kartell abbauen.
Wettbewerbshemmnisse, mit denen sich vor allem
Hans Martin Bury
kleine und mittlere Unternehmen tagtäglich in Deutschland auseinandersetzen, werden abgebaut. Die Voraussetzungen für die Risikokapitalversorgung werden verbessert.
Wenn die Wirtschaftsordnung unseres Landes tatsächlich der optimalen Bedürfnisbefriedigung der Menschen dienen soll, bedarf sie neben staatlicher Zielvorgaben und entsprechender Rahmenbedingungen auch der Wiederherstellung ihrer Funktionsfähigkeit.
Das setzt voraus, daß die Vermachtung der deutschen Wirtschaft überwunden wird und strukturelle Hindernisse für Innovation und Wettbewerb beseitigt werden. Dazu bedarf es einer Zurückführung der Aktivitäten der Kreditinstitute auf ihre originären Geschäfte.
„Die Banken haben sich einfach zuviel zugetraut", kommentierte „Die Welt" - wahrhaftig kein Blatt, dem man sozialdemokratische Ansichten nachsagen kann - am 28. Januar 1995 geradezu mitfühlend. Weiter heißt es:
An der Aufgabe, eine komplette Volkswirtschaft zu lenken, sind schon ganze Staaten gescheitert. Das Geschäft, das Kreditinstitute beherrschen sollen, ist die Vergabe von Krediten. Doch sie wollen auch die Immobilienbranche durchschauen, im Ölgeschäft mitmischen und ganze Industriekonzerne sanieren. Viele Banker haben inzwischen eingesehen, daß sie damit überfordert sind.
Zumindest gab es einsichtige Banker. Alfred Herrhausen formulierte einst:
Jede Machtposition, sei sie auch akzeptabel, begrenzt und gefährdet, kann mißbraucht werden. Gehen die Banken mit der ihnen zur Verfügung stehenden Macht denn wirklich verantwortungsbewußt um? Mit dieser zweifelnden Frage meldet sich eine sensible Öffentlichkeit zu Wort. Die Frage ist zu Recht gestellt und sollte auch nicht verstummen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist an der Zeit, diese Frage zu beantworten und entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Die Regierungskoalition ist entweder unwillig oder unfähig, die offenkundigen und inzwischen eingestandenen Herausforderungen anzugehen.
Wenn Sie es nicht wollen, sagen Sie es hier offen. Wenn Sie es nicht schaffen, stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu. Er bringt uns bei der Wiederherstellung von Transparenz und Wettbewerb ein erhebliches Stück weiter, zum Nutzen des Industriestandortes und Finanzplatzes Deutschland und der Menschen, die hier leben und arbeiten.
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 - Haushaltsgesetz 1995 - auf der Drucksache 13/1400 bekanntgeben. Es wurden 639 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt: 307. Mit Nein haben gestimmt: 332. Enthaltungen: keine. Die Beschlußempfehlung ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 639; davon
j a: 307
nein: 332
Ja
CDU/CSU
Joachim Gres Ronald Pofalla
SPD
Gerd Andres Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Lilo Blunck
Dr. Ulrich Böhme Arne Börnsen (Ritterhude) Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag Anke Fuchs
Katrin Fuchs
Arne Fuhrmann Monika Ganseforth
Norbert Gansel Konrad Gilges Iris Gleicke
Günter Gloser Dr. Peter Glotz
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Karl-Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann
Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Maria Anna Hovermann Lothar Ibrügger
Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert
Vizepräsident Hans Klein Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Kruger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß Winfried Mante Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Jutta Müller Christian Müller (Zittau) Kurt Neumann (Berlin) Volker Neumann
Gerhard Neumann Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Wilfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig
Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto SChily
Dieter Schloten
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer
Ursula Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Reinhard Schultz (Everswinkel)
Volkmar Schultz Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller
Antje-Marie Steen Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Dietmar Thieser
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt Josef Vosen
Hans Georg Wagner Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen
Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Verena Wohlleben Hanna Wolf Heide Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer
Rita Grießhaber Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Kerstin Müller Christa Nickels Gerd Poppe
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe Rainder Steenblock Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Helmut Wilhelm
Margareta Wolf
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Uwe-Jens Heuer Stefan Heym
Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller
Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk
Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter H. Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger
Hansjürgen Doss
Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Kurt Faltlhauser Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Claus-Peter Grotz
Manfred Grund
Horst Günther
Vizepräsident Hans Klein Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt Rainer Haungs
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Heinz-Adolf Hörsken Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst
Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Werner Lensing
Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost
Eduard Oswald Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Harald Rauen Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr
von Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze
Clemens Schwalbe Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr
von Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann
Simon Georg Wittmann
Dagmar Wöhrl
Michael Wonneberger Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Heinz Lanfermann
Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Wir fahren in unseren Beratungen fort. Als nächster hat der Kollege Friedhelm Ost das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer den Gesetzentwurf der SPD
Friedhelm Ost
durchliest und auch das, was Kollege Bury heute morgen erläuternd hinzugefügt hat, gehört hat, der gewinnt den Eindruck, daß die Autoren
- hören Sie erst einmal zu; Sie kommentieren meine Rede, bevor ich etwas sage, lieber Herr Kollege - die Daten und Fakten einfach nicht zur Kenntnis genommen haben und uns durchweg falsche Rezepte empfehlen.
Lieber Herr Kollege Bury, es ist schon eigenartig, daß Sie selbst von dem Tonband des Herrn Schneider zitieren müssen, um Argumente gegen die Banken und zur Begründung Ihrer Position zu finden.
Studien von einzelnen Professoren - die Wissenschaft ist frei - sagen doch überhaupt nichts aus. Es gibt viele andere Studien, die das Gegenteil behaupten.
Ich will einmal sehr deutlich sagen: Richtig ist, daß wir für die Zukunftssicherung des Standortes Deutschland, für den Strukturwandel, für die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen viel Kapital brauchen. Deswegen wollen wir auch die Gewerbekapitalsteuer abschaffen. Sie hätten sagen sollen: Zunächst einmal muß man das tun, bevor man andere Reformen in Angriff nimmt.
Richtig ist auch, daß wir dafür ein gut funktionierendes Bankensystem brauchen. Im internationalen Vergleich gesehen, bezogen auf die Vorkommnisse in den USA mit seinem Trennbankensystem, in Großbritannien und Frankreich, haben wir eines der besten Bankensysteme der Welt. Unser Universalbankensystem hat sich bewährt; das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
Ich füge hinzu, daß zur Selbstzufriedenheit und Selbstgefälligkeit in der Tat weder Banken noch Bankiers in Deutschland einen Grund haben.
Sie sind herausgefordert, manches Mißtrauen durch eigene vertrauensbildende Maßnahmen abzubauen und auch durch ihre Wirkung nach außen Erklärungs- und Aufklärungsdefizite zu verringern.
Aber auch politisch bleibt zur Stärkung des Finanzplatzes Deutschland noch einiges zu tun, etwa mit Blick auf das Geschäft mit Derivaten, auf die Fortführung des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes, auf die Schaffung von mehr Wagniskapital usw.
Lieber Herr Kollege Bury, Sie haben über den Wettbewerb gesprochen. Dazu ist zu sagen: Es gibt in Deutschland 3 700 Kreditinstitute. Ich denke, Sie waren einmal in diesem Gewerbe tätig.
Vielleicht haben Sie da sanft schlafen können.
Der Bundeswirtschaftsminister weiß das auch. Aber manchen Schlagzeilen nach zu urteilen hat er den Wettbewerb nie gespürt. Wir haben im deutschen Kreditgewerbe einen scharfen Wettbewerb. Wenn Sie mit den Vertretern von Sparkassen, Volksbanken, Raiffeisenbanken, Genossenschaftsbanken - denen bin ich sehr zugetan - und privaten Banken sprechen, werden Sie hören, daß wir einen scharfen Wettbewerb haben. Ich denke, dieser Wettbewerb sollte weiter gut funktionieren. Man muß allerdings immer darauf achten, wo es noch Hemmnisse für diesen Wettbewerb gibt.
Natürlich ist es sehr populistisch - das weiß ich -, immer die drei größten Banken zu nennen, vor allem die Deutsche Bank, aber auch die Dresdner Bank und die Commerzbank. Die drei größten Banken haben insgesamt einen Anteil am Geschäftsvolumen von 10 %. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen: Die drei größten deutschen Banken liegen am schärfsten im Wettbewerb miteinander, vor allem im Wettbewerb um gute Geschäfte. Der Wettbewerb funktioniert. Es gibt eine harte Konkurrenz.
Sie haben verschwiegen, daß rund 40 % des Bankgeschäftsvolumens auf öffentlich-rechtliche Institute entfallen, auf Sparkassen und Landesbanken.
- Sie hätten einmal den Wettbewerb schildern sollen. Er ist nämlich ganz heftig. Herr Neuber in Düsseldorf spürt ihn; er beklagt sich manchmal sogar über den Wettbewerb.
Ich denke, der Bundeskanzler hat auf dem jüngsten Sparkassentag zu Recht darauf hingewiesen, daß die Sparkassen ein belebendes Wettbewerbselement innerhalb der Kreditwirtschaft sind. Ich glaube, wir sollten alles tun, diese Wettbewerbsstruktur zu verteidigen und zu verstärken.
Solange ich mich mit diesem Thema beschäftige, gibt es das Schlagwort von der Macht der Banken. Sie können Alfred Herrhausen und andere zitieren. Macht ist weder gut noch böse, es kommt darauf an, wie man sie einsetzt. Ich habe das Gefühl, daß die Banken bei einigen Dingen, auch bei Herrn Schneider, eher ohnmächtig und nicht mächtig genug waren oder zumindest nicht mächtig genug operiert haben. Das kann man ihnen sicherlich vorwerfen.
Ich wehre mich allerdings gegen eine populistische Kritik; so etwas kommt natürlich immer gut an. Den einen erscheinen die Sparzinsen immer zu nied-
Friedhelm Ost
rig und, wenn sie Kredite benötigen, die Kreditzinsen zu hoch. Die einen haben nicht genügend Sicherheiten und bekommen keinen Kredit, andere beschweren sich darüber - solche Briefe bekommen wir ebenfalls, auch aus den neuen Bundesländern -, daß die Banken ihnen vor Jahren einen Kredit aufgedrängt haben, der nun zurückzuzahlen ist. Das wird dann kritisiert. Manchen sind auch die Gebühren zu hoch, manche Bankdienstleistungen sind zu teuer. Das alles wird subsumiert unter dem Schlagwort von der Macht der Banken.
Ich halte wenig davon, daraus pauschal abzuleiten: Das ist die Macht der Banken, die müssen wir brechen.
Natürlich sind auch Fehler gemacht worden; das habe ich vorhin gesagt. Zur Selbstgefälligkeit besteht überhaupt kein Anlaß. Im Kreditgewerbe sind Fehler gemacht worden bei der Kreditvergabe, in den Aufsichtsräten, bei Devisen- und anderen Geschäften.
Ich meine: Man muß aus konkreten Beispielen lernen, die man aus dem Abstand heraus studieren kann. Studieren Sie einmal ganz genau, welche Fehler bei der Bank für Gemeinwirtschaft auf Grund mangelnder Transparenz und intensiver Verflechtung bei coop und Neuer Heimat gemacht worden sind - das können Sie jetzt aus der Distanz heraus studieren -, weil man im eigenen Saft schmorte und die Kontrollen nicht funktioniert haben!
Studieren Sie einmal mit Abstand das, was in den 70er und 80er Jahren bei den Landesbanken, von der Hessischen Landesbank über die Westdeutsche Landesbank bis zur Norddeutschen Landesbank, passiert ist, weil die Kontrolle der Macht nicht so funktionierte wie in privatrechtlichen und - ich sage sogar - in genossenschaftlichen Instituten!
Sie wissen doch ganz genau: Wir haben uns auch im Wirtschaftsausschuß intensiv mit dem Thema beschäftigt. Vor dem Hintergrund der Fälle Schneider, Balsam/Procedo und Metallgesellschaft haben wir uns einen ausführlichen Bericht von den Fachleuten aus dem Bundeswirtschaftsministerium, dem Bundesfinanzministerium und auch dem Justizministerium machen lassen. In der Analyse heißt es - ich zitiere -:
Auf der Basis der vorliegenden Informationen lassen die Unternehmenszusammenbrüche in den Fällen Schneider, Balsam/Procedo und der vorübergehend existenzbedrohenden Lage der Metallgesellschaft keine gemeinsamen Ursachen erkennen, die auf einen Systemfehler des geltenden Wirtschaftsrechts zurückgeführt werden könnten.
- Ich habe jetzt die Fachleute zitiert. Ich habe nicht einzelne Professoren - wen immer Sie da ausgraben, Wenger aus Würzburg oder wen auch immer - zitiert. Ich zitiere die Fachleute aus drei Ministerien, vor denen auch ich Respekt habe.
Herr 'Kollege Ost, der Kollege Bury möchte eine Zwischenfrage stellen.
Nein, ich möchte jetzt fortfahren.
Es sind vielmehr verschiedene Ursachen: Manipulationen, Versäumnisse in der Sorgfaltspflicht von Mitarbeitern, bei Prüfungsanforderungen, Defizite im Risiko-Controlling oder Risiko-Management und auch fehlende interne Kontrollmechanismen, Täuschungen und Betrügereien. Das ist richtig. Dies alles veranlaßt uns nicht zu unproduktivem Aktionismus, sondern zu einer sorgfältigen Prüfung einiger Dinge, die man möglicherweise verbessern kann.
Nun komme ich zum Anteilsbesitz, der Ihnen in besonderer Weise ein Dorn im Auge ist. Sie müssen sich da ein bißchen intern abstimmen; das geht bei Ihnen durcheinander, nicht nur bei diesem Thema, sondern auch bei anderen Themen. Nicht nur der Bundeskanzler war auf dem Sparkassentag in Hannover, sondern auch Ihr Ministerpräsident aus Niedersachsen, Schröder.
Der hat aus eigener Erfahrung gesagt, er wisse, wie notwendig es sei, Banken bei einer Unternehmenskrise dazu zu bewegen, Beteiligungen zu erhalten oder auch zu erwerben. Nur so könne vielfach die Stabilität des betroffenen Unternehmens gewährleistet werden.
- Ich habe das genau nachgelesen. Ich liefere Ihnen das Originalzitat. -
Ich denke, dem ist auch nichts hinzuzufügen. Diese Forderung und diese Aussage stehen voll im Gegensatz zu dem, was Sie fordern.
Wieso soll das auf 5 % reduziert werden?
- Ja, das ist ganz gut. - Die Realitäten sehen jedoch ganz anders aus. Die Banken werden doch oft in Beteiligungen gedrängt. Das wissen Sie doch. Nehmen Sie einmal KHD, nehmen Sie Nino, nehmen Sie die Metallgesellschaft. Wären die denn gerettet worden, wenn die Banken nicht die Beteiligungen übernom-
Friedhelm Ost
men hätten? Ich sage Ihnen: Sind Sie nicht wie wir massiv unterwegs und drängen die Banken dazu, etwa in den neuen Bundesländern in noch stärkerem Umfang Beteiligungen zu übernehmen? Stichwort Bankenmilliarde.
Tatsache ist: Der Anteilsbesitz der Banken ist in den letzten 20 Jahren um gut zwei Drittel abgebaut worden. Wenn Sie das alles zusammenrechnen - Fachleute haben das getan -: Am Nominalkapital der börsennotierten Gesellschaften, die im DAX zusammengefaßt werden, halten die privaten Banken ganze 4,1 %. Da können Sie doch nicht von einer übermächtigen Beteiligungspolitik reden.
Ich sage Ihnen auch etwas zu den Aufsichtsratsmandaten, die Ihnen auch ein Dorn im Auge sind. Ich gestehe Ihnen zu: Manche sind in der Tat mit ein oder zwei Aufsichtsratsmandaten überfordert.
Manche haben auch zehn. Ganz gut. Wenn ich mir das ganz genau ansehe, muß ich aber feststellen: Von 1 561 Aufsichtsratsmandaten bei den 100 größten Unternehmen nehmen Personen aus privaten Banken gerade 99 wahr. Allein auf externe Gewerkschaftsmitglieder entfallen 211 Mandate. Über diese Dinge müssen wir einmal genau reden.
Ich sage Ihnen auch etwas zum Vollmachtstimmrecht: Ich bin dafür, alles zu verbessern, wenn es möglich ist. Nur führt das, was Sie vorschlagen, zu Zufallsmehrheiten und zu weniger Präsenz auf den Hauptversammlungen und nicht zu mehr. Wir haben doch die Konkurrenz. Ich kann mich selbst vertreten; die Bank fordert mich auf. Ich kann mich durch die Bank, durch die Sparkasse, durch die Genossenschaftsbank oder auch durch den Klub unseres Kollegen Graf Lambsdorff vertreten lassen. Nur, ich bin auch nicht bereit, Graf Lambsdorff, Ihnen die Mitglieder per Gesetz zuzutreiben. Das wollen Sie, glaube ich, auch nicht. Lassen Sie uns überlegen, was wir da verbessern können!
Ich bin allerdings dezidiert der Meinung, daß wir Dinge, wie sie bei Herrn Steinkühler vorgekommen sind, verbieten sollten, auch per Gesetz: Man darf nicht gleichzeitig bei VW und bei Daimler-Benz, vielleicht demnächst auch noch bei Opel - also bei konkurrierenden Unternehmen - im Aufsichtsrat sitzen. Aber ich sage auch: Das durchzusetzen wird sehr schwer sein. Wir müssen uns gemeinsam anstrengen, abzugrenzen, was „konkurrierende Unternehmen" sind.
Ein letzter Punkt. Wir sollten unser Augenmerk darauf richten, Verbesserungen der Regelungen für die Wirtschaftsprüfer - bei der Beteiligung der Wirtschaftsprüfer, bei der Haftungssumme der Wirtschaftsprüfer - anzustreben.
Es gibt einiges zu tun. Ich habe ja angeboten, darüber zu sprechen. Aber ich bin nicht bereit, die Punkte, die Sie populistisch unter „Macht der Banken" in die Öffentlichkeit tragen und für die Sie billigen Beifall erhaschen wollen,
ernsthaft weiterzuverfolgen.
Vielen herzlichen Dank.
Frau Kollegin Margareta Wolf, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ost, daß selbst Sie dem Herrn Rexrodt nicht mehr zur Seite stehen, stimmt mich tatsächlich ein bißchen nachdenklich. Er hat doch die Kumulation der Einflußmöglichkeiten der Banken erkannt und spricht von „wettbewerblichem Gefahrenpotential". Wie anders wäre sonst die Einrichtung der Arbeitsgruppe zu erklären? Aber Sie nehmen ja an ihr auch nicht teil; mir hat sich heute erklärt, warum nicht.
Wenn wir in der Bundesrepublik über die Machtkonzentration in der Wirtschaft reden, so buchstabiert sich diese als Macht der Banken. In keinem anderen Land dieser Welt konzentrieren sich in der Hand der Banken so viele Einflußfaktoren. Der Kollege Bury hat darauf hingewiesen.
- Wieso „Quatsch"? Auch Herr Köhler unterstützt diese These in toto. - Transparenz, Wettbewerb und Verbraucherschutz bleiben dabei auf der Strecke.
Wenn wir den Banken Glauben schenken dürfen, beruht die nun seit 20 Jahren geführte Diskussion über die Macht der Banken allein auf - Zitat - „Mißverständnissen, Fehlinformationen und Vorurteilen", wie erst gestern wieder der Präsident des BdB im „Handelsblatt" gesagt hat. Die privaten Banken versuchen, dem vermeintlichen Wahrnehmungsproblem mit ihrer sogenannten Kommunikationsoffensive „Banken im Gespräch" Abhilfe zu verschaffen. Nichts gegen Kommunikationsinitiativen, aber die Macht der Banken ist nicht vornehmlich ein Kommunikationsproblem, das von Werbeagenturen - auch
Margareta Wolf
sie nennen sich heute übrigens neudeutsch schon Kommunikationsagenturen - gelöst werden kann. Die Macht der Banken ist ein reales Problem, sonst würden wir uns hier nicht damit beschäftigen.
Banken sind keine normalen Unternehmen wie andere auch, auch wenn insbesondere die privaten Banken nicht müde werden, dies an anderer Stelle zu betonen, und zwar vor allem dann, wenn der Staat an ihre besondere gesellschaftliche Verantwortung appelliert. Wir haben darüber letzte Woche geredet. Ein Grund hierfür liegt natürlich darin, daß Geld in der Tat ein besonderes Produkt ist und Banken somit eine Sonderstellung zugebilligt werden muß, um z. B. die Stabilität der Währung, die Sicherung der Spareinlagen und die reibungslose Versorgung mit liquiden Mitteln zu sichern.
Aber im Bankenbereich haben wir es mit einer Fülle gesetzlicher Ausnahmeregelungen zu tun, die sachlich längst nicht mehr gerechtfertigt sind - wenn sie überhaupt einmal gerechtfertigt waren - und die in Verbindung mit unserem Universalbankensystem, in dem die Gefahr von Interessenkonflikten von vornherein angelegt ist, Transparenz und Wettbewerb in weiten Bereichen außer Kraft setzen. Im Zeichen der voranschreitenden Internationalisierung der Finanzmärkte ist dies inzwischen zum Wettbewerbsnachteil für den Finanzplatz Deutschland geworden.
Um hier nicht falsch verstanden zu werden, Herr Ost: Vorteil unseres Bankensystems ist, daß es darauf verweisen die Banken immer zu Recht, und auch Sie haben darauf verwiesen - als Universalbankensystem im Gegensatz zinn angelsächsischen .Trennbankensystem durch den internen Risikoausgleich wesentlich weniger krisenanfällig ist und spektakuläre Finanzkrisen wie zuletzt die durch die Spekulation mit Derivaten ausgelöste Pleite des Bankhauses Barings in der Bundesrepublik kaum vorstellbar sind. Trotzdem müssen wir überlegen, wie wir im Rahmen dessen den offenkundigen Mißständen im Kreditwesen Abhilfe schaffen können.
In keinem anderen Land konzentrieren sich in der Hand der Banken so viele Einflußfaktoren: Sie sind gleichzeitig Kreditgeber, Anteilseigner, Aufsichtsratsmitglieder und vertreten über das Depotstimmrecht auch noch die Aktionäre. Es ist ein inzwischen häufig zitiertes Beispiel, daß es den sieben Kerngesellschaften des privaten Finanzsektors in der Bundesrepublik gelungen ist, sich durch wechselseitige Beteiligungen und Depotstimmrechte gegenüber den Kontrollmechanismen des Kapitalmarktes vollständig abzuschirmen. Das heutige Aktienrecht ermöglicht es den Banken, Fremdbestimmung zu minimieren, dabei aber die eigene Präsenz in fremden Unternehmen zu maximieren.
Die Macht der Banken geht zu Lasten der Kleinanleger. Um mit Professor Wolfram Engels, dem kürzlich verstorbenen Herausgeber der „ Wirtschaftswoche", der sicherlich nicht in Gefahr stand, den GRÜNEN nahezustehen, zu sprechen: Der Aktienmarkt steht statt unter dem Prinzip des Anlegerschutzes unter dem Prinzip des Managerschutzes. Wir brauchen in der Tat mehr Transparenz und Wettbewerb im Bankenbereich, und das dringend. Insofern unterstützt meine Fraktion den Gesetzentwurf der SPD.
Da Sie, Herr Bury, die entsprechenden Forderungen Ihrer Fraktion bereits eingehend dargelegt haben, werde ich an dieser Stelle auf die Punkte eingehen, bei denen die Vorstellungen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN über die der SPD hinausgehen bzw. wir die von Ihnen gemachten Lösungsvorschläge kritisch beurteilen.
Ich wundere mich, meine Herren von der SPD, weshalb die grundsätzliche Frage der gesetzlichen Privilegierung der Banken gegenüber anderen Wirtschaftsuntemehmen für die SPD offensichtlich kein Thema mehr ist. Ich denke da insbesondere an § 102 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen,
der für Banken und Versicherungen weitreichende Ausnahmen vom Kartellverbot zuläßt. Ich weiß, Sie hatten ihn im vorherigen Gesetzentwurf.
Die praktische Bedeutung des § 102 GWB liegt vor allem in der Freistellung der Habenzinsempfehlungen und der Freistellung der Empfehlungen zur Regelung des Massengeschäfts in der Kreditwirtschaft vom Kartellverbot sowie in den Absprachen oder Empfehlungen über allgemeine Geschäftsbedingungen, was bedeutet, daß Zinssenkungen bei der Kreditvergabe nur verzögert weitergegeben werden und sich die Gebühren und Konditionen zwischen den Instituten kaum noch unterscheiden.
Diese Tatsache trägt entscheidend dazu bei, daß sich Verbraucherinnen und Verbraucher in der Bundesrepbulik strukturell einer vereinigten Bankenmacht gegenübersehen. Auch die Verbraucherverbände sehen dies so. Wenn aber die Banken Wirtschaftsunternehmen wie andere auch sind - was sie nicht müde werden zu betonen -, dann ist nicht einzusehen, warum ausgerechnet sie untereinander Kartellabsprachen treffen dürfen, andere Unternehmen jedoch nicht bzw. nur in engumrissenen Ausnahmefällen.
Die Ausnahme von Banken und Versicherungen vom Kartellverbot wurde ursprünglich mit den besonderen Eigenschaften der Kredit- und Versicherungswirtschaft gerechtfertigt; ich bin bereits darauf eingegangen. Diese rechtfertigen aber nach Ansicht von Wissenschaftlern, auf die ich mich beziehe, bestenfalls eine besondere staatliche Aufsicht, niemals aber die generelle Erlaubnis privater Wettbewerbsbeschränkungen. Auf jeden Fall läßt sich feststellen, daß die Kartelle im Zahlungsverkehr und im Börsenwesen dem Finanzplatz Deutschland jedenfalls inzwischen mehr schaden, als sie nutzen, und dies gerade im Kontext der Globalisierung der Finanzmärkte. Deshalb tendieren wir dazu, bei der Streichung des § 102 GWB zu bleiben.
Margareta Wolf
Zweiter Punkt: die Vorstellungen der SPD zur Reform des Depotstimmrechtes. Es ist unstrittig, daß im Zusammenhang mit der Macht der Banken das Depotstimmrecht ein Kernproblem darstellt - Herr Bury hat es ausgeführt -, da es die im Universalbankensystem angelegten Interessenkonflikte noch verstärkt. Ihre Fraktion schlägt daher vor, das bisherige Vollmachtstimmrecht für Kreditinstitute durch eine professionelle und unabhängige Aktionärsvertretung zu ersetzen, und hat hierfür den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer auserkoren.
Unabhängig von den praktischen Problemen, die wir darin sehen, wird hier meiner Ansicht nach tatsächlich der Bock zum Gärtner gemacht und lediglich ein Interessenkonflikt durch einen anderen ersetzt. Daß sich für die zu vertretenden Aktionäre dadurch eine Verbesserung ergibt, wagen wir zu bezweifeln. Es gibt sogar Stimmen, die meinen, daß die von Ihnen vorgeschlagene Regelung gegenüber dem Status quo sogar noch eine Verschlechterung bedeuten würde. Darüber sollte man noch einmal reden.
Eine organisierte Vertretung von Interessen wird sich immer an den Interessen des Managements, nicht aber an denen der Aktionäre orientieren, da es für den Kleinanleger nicht rational ist, seine Interessen auf Hauptversammlungen zu vertreten oder seine Interessenvertreter zu kontrollieren. Wir halten es daher für sinnvoller, auf eine professionelle Vollmachtvertretung ganz zu verzichten, d. h. das Depotstimmrecht ersatzlos abzuschaffen. Wir haben das Für und Wider abgwogen.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich verstehe Ihre Argumentation nicht. Was nützen uns formal hohe Hauptversammlungspräsenzen, wenn die Interessen der Kleinanleger durch die Vertretung der Bank nur formal, nicht aber inhaltlich vertreten werden? Die meisten anderen Länder haben deutlich niedrigere durchschnittliche Hauptversammlungspräsenzen. Maßstab muß doch sein, ob die Willensbildung in den Hauptversammlungen möglichst unverzerrt erfolgt. Das Depotstimmrecht, aber auch die professionelle Aktionärsvertretung führen hier zu verfälschten Ergebnissen.
Erlauben Sie mir als letzten Punkt noch ein paar kritische Anmerkungen zum Stichwort Risikokapital. Die SPD verspricht sich von dem Abbau der bisherigen Beteiligungen, daß die Banken endlich mehr Risikokapital bereitstellen, dessen Fehlen heute Innovationen in Deutschland massiv behindert. Daß Risikokapital in Deutschland dringend benötigt wird, steht, denke ich, in diesem Hause fraktionsübergreifend außer Frage.
Der Markt ist tatsächlich, was das Risikokapital angeht, in einem bemitleidenswerten Zustand. In Deutschland beträgt der Marktwert des an der Aktienbörse gehandelten Risikokapitals nur 24 % des Bruttosozialprodukts. Im internationalen Vergleich ist dies ein verschwindend geringer Wert. In den USA, in Japan, in Großbritannien oder aber in der Schweiz haben wir Werte, meine Damen und Herren, die drei- bis fünfmal so hoch liegen wie in der Bundesrepublik. Am stärksten macht sich dieser Mangel - das ist bekannt - beim wirtschaftlichen Aufbau in den fünf neuen Bundesländern, aber auch bei der Existenzgründung bemerkbar.
Der Mangel an Risikokapital ist jedoch kein Problem, das dadurch verursacht wird, daß die Banken nicht über die notwendigen Mittel verfügen. Die Ursache liegt vielmehr darin, daß das bundesdeutsche Universalbankensystem zur Bereitstellung von Risikokapital grundsätzlich wenig geeignet ist. Da wir dennoch endlich einen funktionsfähigen und internationalen Maßstäben standhaltenden Markt für Risikokapital herstellen wollen, müssen wir dafür sorgen, daß die Bereitstellung von Risikokapital zu einer profitablen Angelegenheit wird. Dies bedeutet vor allem, daß die steuerlichen Rahmenbedingungen für Risikokapitalgesellschaften zu verbessern sind. Das heißt, es sind bessere Abschreibungsmöglichkeiten zu schaffen. Dieser Bereich des Steuerrechts ist entsprechend zu ändern.
- Ich bedanke mich, Herr Schwanhold.
Mit der Begrenzung des Beteiligungsbesitzes von Banken allein, so begrüßenswert sie unter Wettbewerbs- und Transparenzgesichtspunkten auch sein mag, kann ein funktionsfähiger Markt für Risikokapital nicht hergestellt werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend zusammenfassen, was die zentralen Vorstellungen meiner Fraktion in Ergänzung zu den bereits mehrfach positiv hervorgehobenen Vorstellungen der Kolleginnen und Kollegen von der SPD sind:
Erstens. Um Transparenz und Wettbewerb im Bankenbereich zu verbessern, ist die Streichung des § 102 GWB für uns eine elementare Voraussetzung.
Zweitens. Das Depotstimmrecht sollte abgeschafft werden, da es zu einer Verzerrung der Willensbildung in den Hauptversammlungen der Aktiengesellschaften führt. Die sinkenden Hauptversammlungspräsenzen sollten in Kauf genommen werden.
Drittens. Im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher sind wir für die Schaffung eines ordentlichen Kundinnen- und Kundenbeirates nach dem Vorbild Frankreichs.
Viertens. Es ist unabdingbar, daß das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, das personell unterbesetzt ist und bislang ein Schattendasein fristet, umgestaltet wird und seine Kompetenzen um echte Kundenschutzfunktionen erweitert werden.
Fünftens. Die steuerlichen Rahmenbedingungen für Risikokapitalgesellschaften müssen dringend verbessert werden. Das heißt, wir müssen bessere Abschreibungsmöglichkeiten schaffen.
Ich bedanke mich.
Ich erteile dem Kollegen Dr. Otto Graf Lambsdorff das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich muß wirklich gestehen: Frau Wolf, was Sie hier zum Schluß gesagt haben - dem einen oder anderen kann ich ja durchaus zustimmen; darauf komme ich nachher noch zurück -, zieht mir wirklich die Schuhe aus. Während Sie hier erzählen, daß Sie Ihre Steuerpolitik den Kapitalmarktbedingungen anpassen und insbesondere die Risikokapitalbedingungen verbessern wollen, lese ich in einem Kommentar zu der gestern von Ihrer Fraktion vorgestellten Steuerpolitik folgenden Satz:
Wenn sich solche unbedachte Experimentierfreude im Gesetzesblatt austoben darf, dann sind alle ökonomischen Feinheiten einer Debatte über die Wettbewerbskraft des Standorts Deutschland obsolet.
Das ist die Wahrheit. Das ist eben das, meine Damen und Herren, was ich beanstande: Sie reden bei jeder Gelegenheit das, was Ihnen gerade paßt; ob es mit dem anderen zusammenpaßt oder nicht, ist Ihnen völlig gleichgültig.
Sie widersprechen sich innerhalb von 24 Stunden, und das halte ich für schlichte Wählertäuschung.
Herr Bury, wir haben - Sie haben mit Recht darauf hingewiesen - schon vor einem Jahr hier diskutiert, und ich will gern bestätigen: Der zweite Entwurf, den Sie jetzt angefertigt haben, ist besser als der erste. Gut ist er trotzdem noch nicht. Noch immer enthält er die Forderung nach einer Offenlegung der Einkünfte von Organmitgliedern, was eine massive Verletzung des Persönlichkeitsschutzes der Betroffenen darstellt. Wozu eigentlich? Das macht überhaupt keinen Sinn.
Noch immer werfen Sie Banken und Versicherungen in einen Topf, was vom Geschäftszweck her völlig falsch ist. Sie eröffnen die Mißbrauchsmöglichkeiten der Aktionärsklage. Sie wissen ganz genau, welche Erpressungsmanöver sich auf diesem Feld in der Vergangenheit abgespielt haben. Sie sind da viel zu unvorsichtig.
Was ich besser finde: Sie sind nicht mehr für die Abschaffung des Vollmachtstimmrechts. Das hat Frau Wolf aufgegriffen: schlichte Abschaffung des Vollmachtstimmrechts.
Dann kommen Sie zu Präsenzen, die jammervoll sind, zu Präsenzen, wie es sie bei amerikanischen Gesellschaften gibt. Gelegentlich werden Zahlen vorgebracht, wie schön es dort sei. In Wirklichkeit nehmen dort aber die Verwaltungen der betroffenen Gesellschaften selber die Depotstimmrechte wahr. Das ist noch viel schlimmer, als wenn es durch die Banken gemacht wird. Diese „proxy rights" wollen wir bei uns doch wohl nicht einführen.
Die Abschaffung des Vollmachtstimmrechts ist ein Ausschluß der Aktionäre von der Aktionärsdemokratie. Der einzelne Aktionär, der ein paar Aktien von Siemens hat und in Hamburg wohnt, kann doch nicht nach München fahren und seine Dividende verreisen, nur weil er gezwungen ist, sein Stimmrecht auf der Hauptversammlung selber wahrzunehmen.
Außerdem haben Sie - Herr Bury, ich bedanke mich, Sie haben die Anregungen, die ich hier in der Debatte gemacht habe, zum Teil aufgegriffen - die Position und Aufgabe des Wirtschaftsprüfers in Ihren Gesetzentwurf einbezogen. Das war damals ein erhebliches Manko.
Wir führen diese Diskussion seit Jahren. Ich beteilige mich mindestens seit zehn oder zwölf Jahren an ihr. Ich bin deswegen über den jetzt erreichten Diskussionsstand ganz vergnügt. Sie beklagen, daß er zu spät erreicht wurde. Aber Sie gehören auch zu denen, die ich und andere hierhergetrieben haben, damit Sie endlich tätig werden.
- Die Tatsache, daß der Kollege Duve uns heute von seiner hohen literarischen Warte aus in dieser niederträchtigen Debatte mit seinen Zwischenrufen erfreut, ist auch ein Zeichen dafür, wie weit wir es gebracht haben. Herzlich willkommen, Herr Duve.
In den letzten Koalitionsverhandlungen haben wir es geschafft, das Stichwort in die Koalitionsvereinbarung einzubringen. Ich muß den Kollegen Ost erinnern, daß das Stichwort Beteiligungsbesitz der Banken darin ausdrücklich erwähnt wird. Da der Kollege Ost ein außerordentlich getreuer Koalitionspartner ist, erinnert er sich dessen und wird sich natürlich auch daran halten.
Herr Bury, wir sind im Koalitionsgespräch ohne Herrn Ost - aber er hätte das genauso behandelt, gerade bei diesem Thema - ein gutes Stück weitergekommen. Aber Sie haben recht: Es wird Zeit, daß Ihrem Gesetzentwurf ein Entwurf der Koalition gegenübergestellt wird, damit wir gemeinsam, wie ich hoffe, zu vernünftigen Ergebnissen kommen. Ich habe Ihnen das schon vor einigen Wochen gesagt.
Das Stichwort Bankenmacht ist natürlich leicht polemisch. Aber eine demagogische und etwas überzeichnete Formulierung erregt auch das Interesse der Öffentlichkeit, das komischerweise durch die Fälle Schneider, Metallgesellschaft, Procedo Balsam ausgelöst und verschärft worden ist, die mit dem Ursprungsthema Beteiligungsbesitz eigentlich nichts zu tun haben; Sie haben in dieser Hinsicht recht.
Es besteht hier eine Konstellation, die Mißbrauch möglich macht. Ich behaupte nicht und habe nie behauptet, daß es Mißbrauch nachweisbar gegeben hat. Die Fälle EK 56 bei Daimler-Benz und Metallgesellschaft, Herr Bury, eignen sich dafür nicht; denn
Dr. Otto Graf Lambsdorff
die Banken haben z. B. im Fall EK 56 gegen ihr eigenes Portemonnaie gestimmt. Das geschah aus Gründen, die mit der Kapitalisierung des Unternehmens zu tun hatten.
Ich will hinzufügen, daß wir uns, glaube ich, darüber einig sind: Das Universalbankensystem in Deutschland hat sich bewährt. Das stimmt, Herr Ost; wir wollen kein Trennbankensystem. Das Universalbankensystem sollte bleiben.
Herr Bury, die SPD hat ihren Gesetzentwurf folgendermaßen überschrieben: für mehr Transparenz und Wettbewerb. Das finde ich fein. Aber, Herr Bury, lesen Sie sich doch einmal durch, was Sie vor drei Tagen zu den Telekommunikationsmärkten gesagt haben - nichts von Transparenz und Wettbewerb.
Nein, nein: Monopole, Regulierungen - von wegen Wettbewerb. Im Mobilfunkbereich sind Sie schlicht gegen Wettbewerb.
Sehen Sie sich doch einmal an, Herr Bury, was Sie zur öffentlichen Bankenmacht gesagt haben. Sie reden immer über die private Bankenmacht. Ich finde, wir sollten ungeteilt über die private und die öffentliche Bankenmacht reden.
Zitieren Sie den niedersächsischen Ministerpräsidenten doch korrekt: Natürlich hat er auf dem Sparkassentag davon gesprochen, daß er Banken für Sanierungsfälle braucht. Er hat von Landesbanken gesprochen; das verstehe ich auch: Er hat eine vor seiner Haustür und packt jeden faulen Hund, der in Niedersachsen Pleite macht, schnell in die Norddeutsche Landesbank. Die muß das dann schlucken. Im übrigen hat er sich über Ihren Gesetzentwurf keineswegs begeistert geäußert. Auch Herrn Neuber haben Sie nur teilweise zitiert. Genau zu dem Punkt, den Sie hier breit behandelt haben, nämlich zum Beteiligungsbesitz der Banken, hat Herr Neuber Ihnen gesagt, der SPD-Gesetzentwurf sei wirklichkeitsfremd - so nachzulesen in seinem Interview.
Frau Wolf hat das Thema angesprochen, daß der § 102 des Kartellgesetzes abgeschafft werden soll. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß das notwendig und richtig ist. Bei den Versicherungen brauchen wir ihn nach der Deregulierung und Liberalisierung, die aus Europa gekommen ist, ohnehin nicht mehr. Im Bankenbereich kann er verschwinden. Er hat keine Wirkung mehr. Seit der Aufhebung der Zinsverordnung geht es allenfalls noch um die Habenzinsseite.
Aber ich frage Sie: Wenn Sie § 102 abschaffen wollen, sind Sie dann auch bereit, § 103 abzuschaffen? Denn dann wollen wir gleich alle Ausnahmebereiche beseitigen. Mich finden Sie dabei auf Ihrer Seite. Wettbewerb sollte möglich sein, auch im Energieversorgungsbereich.
Meine Damen und Herren, zum Stichwort „Beteiligungsbesitz der Banken" möchte ich versuchen, mit dem einen oder anderen Urteil aufzuräumen. Es
wurde gesagt, das sei verfassungswidrig. Natürlich ist es nicht verfassungswidrig, es sei denn, wir wollten die Veräußerungsgewinne auch noch besteuern. Selbstverständlich müssen wir eine steuerneutrale Lösung finden, wie etwa beim Umwandlungsgesetz und beim Umwandlungssteuerrecht.
Manche sagen, das sei nicht marktwirtschaftlich. Der frühere Präsident der Federal Reserve in Amerika hat mir neulich gesagt: Ich wundere mich, daß das bei euch überhaupt erlaubt ist. Bei uns ist das nicht erlaubt. Ich hätte das bei euch schon langst abgeschafft. - Daß Amerika ein nicht marktwirtschaftliches Land sei, wird man nicht gut behaupten können.
Selbstredend müssen wir diesen Bereich für Sanierung offenhalten. Das haben Sie ja auch getan. Aber ich bin nicht so schrecklich davon überzeugt, wenn ich von einigen Großbanken höre, daß ihnen Karstadt- und Kaufhof-Beteiligungen in den 20er Jahren aus Sanierungsfällen zugewachsen seien, und nun haben sie sie unglückseligerweise heute noch und können sie gar nicht loswerden, selbst wenn sie wollten.
Also: Sanierung ja, für einen bestimmten Zeitraum. Das ist übrigens im amerikanischen Bankenrecht genauso.
- Diese Dinge hat es schon immer gegeben. Der Konzentrationsprozeß im Handel spielt sich auf ganz anderer Ebene ab, verehrter Herr Schwanhold. Darüber können wir bei Gelegenheit auch reden.
Die Beteiligungsbegrenzung ist auch deswegen wünschenswert - ich wiederhole es noch einmal -, weil die Kumulation von Beteiligungsbesitz, Aufsichtsratsmandaten, Vollmachtstimmrecht, Emissionskonsortium, Kreditkonsortium eine Machtposition schafft, die Mißbrauchsmöglichkeiten eröffnet. Ordnungspolitik heißt, etwas vorsorglich zu verhindern, ohne daß man erst wartet, bis es eingetreten ist, um dann als Reparaturbetrieb hinterherzulaufen.
Meine Damen und Herren, es ist auch richtig, daß der Beteiligungsbesitz der Banken tendenziell innovationshindernd ist. Der Präsident des Bundeskartellamtes hat da recht. Auch die Studie aus Mannheim hat in meinen Augen in der Tendenz recht. Man kann das nicht bestreiten.
Es liegt auch ein wenig daran - das wird bei der Eigenkapitalfrage deutlich -, daß es nicht in allen, aber in vielen Fällen durchaus auch im Interesse kreditgebender Banken liegen kann, die Eigenkapitalquote des kreditempfangenden Unternehmens nicht allzu hoch werden zu lassen, damit der Kreditkunde nicht verlorengeht. Das muß nicht so sein, kann aber so sein.
Daß im übrigen in der Konstruktion, die wir in Deutschland haben, ein Schutz des Managements
Dr. Otto Graf Lambsdorff
vor Übernahmeangeboten liegt, ist zweifellos richtig. Detlev Rohwedder hat einmal gesagt, die größte Sperre gegen feindliche Übernahmeangebote in Deutschland sei die Mitbestimmung. Das stimmt auch.
Aber in diesem Bereich funktioniert dann - ich bin ganz erstaunt, so etwas aus Ihrem grünen Munde zu hören, aber Sie haben recht - wegen der Konstruktion, die wir bei uns haben, ein Kontrollmechanismus des Kapitalmarktes nicht. Ich wünschte mir schon, daß es in Deutschland gelegentlich erfolgreiche feindliche Übernahmeangebote gäbe, wenn sie sauber finanziert sind. Junk-bond-Finanzierungen bitte nicht in Deutschland! Sie führen anschließend, wie wir gesehen haben, zu großen Problemen.
Aber so sind die Konstruktionen ein Schutz für das Management. Hinter diesem Schutzzaun kann man sich sehr gut verbergen. Das gilt in gleicher Weise - vielleicht sollte in dem Zusammenhang auch darüber nachgedacht werden - hinsichtlich Mehrfachstimmrechten und Stimmrechtsbeschränkungen, die wir im deutschen Aktiengesetz immer noch haben und die ich persönlich für falsch halte.
Man muß, wenn man über den Beteiligungsbesitz redet, selbstverständlich auch daran denken, welche Auswirkungen eine solche Auflage für vorhandenen Beteiligungsbesitz und sein Abschmelzen auf die Börsen, auf die Kapitalmärkte und damit auf die Vermögenswerte unbeteiligter Dritter hätte. Das kann man nicht einfach beiseite schieben und so tun, als ob ein Kursverfall einen gar nicht interessiere.
Was macht es in diesem Zusammenhang für Sinn, über den Beteiligungsbesitz der Versicherungen in gleicher Weise zu sprechen, Herr Bury? Es macht eben keinen Sinn. Es ist die Aufgabe von Versicherungen, insbesondere von Lebensversicherungen, das Kapital der Versicherten zu sammeln, den Prozeß der Transformation von Geld in Kapital in die Kapitalmärkte umzusetzen. Dazu müssen sie selbstverständlich Beteiligungen haben und bilden können. Wir klagen doch darüber, daß der Aktienbesitz deutscher Versicherungen im internationalen Vergleich viel zu niedrig sei. Bei deutschen Sachversicherungen liegt er bei 14 % des Gesamtportefeuilles; bei deutschen Lebensversicherungen liegt er noch weit darunter. Es müßte mehr sein. Es müßte mehr Initiative an den Aktienbörsen geben.
Bei der wechselseitigen Beteiligung von Banken und Versicherungen untereinander entstehen allerdings Finanzinstitute, bei denen man nachdenken muß, ob das sinnvoll ist. Die Kooperationsmöglichkeit beider Institute darf man nicht beschränken; das ist im Markt frei zu entscheiden. Aber ob das durch wechselseitige Beteiligungen unterlegt werden darf, ist, meine ich, durchaus prüfenswert.
Für völlig - entschuldigen Sie - sinnlos halte ich nun Ihren Vorschlag, den ich jetzt in dem Gesetzentwurf finde, daß man Banken und Versicherungen verbieten will, Kapitalanlagegesellschaften zu halten. Du liebe Zeit, wozu ist denn das KAGG, das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften, seinerzeit geschaffen worden? Doch genau, um hier über das Investmentsparen, ausgegliedert aus den Banken, mit größeren Auflagen, Kontrollvorschriften, Aufsicht, Anlagevorschriften ein Instrument zu schaffen, mit dem man den Kleinaktionär an das Sparen in Risikopapieren heranführen kann.
Ihr Vorschlag macht überhaupt keinen Sinn. Da fängt es nun wirklich an, ideologisch zu werden. Das sollten wir bleibenlassen. Die Kapitalanlagegesellschaften sollten so bleiben, wie sie sind.
Vielleicht kann man über einen Stimmrechtsbeirat reden, damit die Übernahme der Stimmrechte aus den Anlagen der Kapitalanlagegesellschaften etwas von den Banken entfernt wird, denen sie gehören. Bei den Versicherungen ist das sowieso ein anderes Problem.
Sie müssen im übrigen bei dem Beteiligungsbesitz - das ist lästig; ich weiß das, aber es ist nun einmal so; wir leben nun einmal in der Welt, wie sie ist - auch über die europarechtlichen Auswirkungen und Beschränkungen, die Diskriminierungsgefahren im Vergleich zu anderen Banken, die daraus entstehen können, nachdenken. So einfach kommen wir über diese Hürde nämlich nicht hinweg.
Ich komme zu dem Problem der Aufsichtsräte. Sie wollen die Aufsichtsratsmandate auf fünf begrenzen und arbeiten dann noch mit der Doppelanrechnung. Auch die Doppelanrechnung haben Sie von mir übernommen; ich hatte sie in der erwähnten Rede hier vorgebracht, ebenso wie den Wirtschaftsprüferwechsel. Nachahmung ist die höchste Form des Lobes. Ich bin insofern sehr zufrieden. Die Begrenzung auf fünf Aufsichtsratsmandate ist eine Vorschrift zugunsten der Großbanken; ich kann es Ihnen nur noch einmal sagen. Die sind selbstverständlich in der Lage, alle ihre Mandate durch die zweite Reihe besetzen zu lassen. Ich frage: Wen wollen Sie eigentlich damit treffen? Wir sollten es bei zehn belassen - das scheint mir vernünftiger zu sein - und die Doppelanrechnung von Vorsitz und stellvertretendem Vorsitz vornehmen. Wir sollten im übrigen die Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrates erweitern bzw. verschärfen. Die Diskussion darüber läuft ja in aller Breite. Dann verbietet sich die Vollausschöpfung einer übergroßen Zahl von Aufsichtsratsmandaten sowieso.
- Ich habe zur Zeit neun; das reicht gerade. Mehr will ich auch nicht.
Dr. Otto Graf Lambsdorff
- Es ist ja immer ganz verderblich, wenn jemand hier steht und aus der eigenen Erfahrung im täglichen Leben spricht. Das ist von Übel; ich weiß. Man redet besser ungetrübt von Sachkenntnissen; dann läßt sich auch viel besser argumentieren.
- Herr Duve, ich habe Sie ja schon herzlich willkommen geheißen.
Sie wollen die Konzernklausel streichen, Herr Bury. Dann müssen Sie z. B. die Spartentrennung bei den Versicherungen streichen. Es ist die Aufgabe eines Vorstandes, in den Tochtergesellschaften, die er hat, den Aufsichtsratsvorsitz oder eine andere Aufsichtsratstätigkeit wahrzunehmen, um die Gesellschaft zu kontrollieren. Wenn die Obergesellschaft einer Versicherungsgesellschaft unter sich, gesetzlich vorgeschrieben, eine Lebensversicherung, eine Sachversicherung und eine Krankenversicherung getrennt haben muß, dann muß man dem Vorstand doch erlauben, in diesen Gesellschaften tätig zu werden. Das kann er eben nicht, wenn Sie die Konzernklausel streichen. Sie muß also erhalten bleiben. Mit Verlaub gesagt: Dies geht so nicht. Ich will mich zurückhaltend ausdrücken. Ich möchte ja, daß wir zusammenkommen. Deswegen will ich Ihnen hier nicht allzusehr auf das Fell rücken.
Ich komme zur Transparenz bei Aufsichtsratsmandaten in konkurrierenden Unternehmen. Ich babe immer gedacht: Man muß das gesetzlich verbieten. Es stellt sich heraus, daß das rechtlich sehr schwierig ist. Wir haben neulich darüber diskutiert, ob man das über das Kartellgesetz regeln kann oder wie man es sonst griffig machen könnte. Herr Zwickel ist der letzte, der das jetzt aufgibt. Ich kenne sonst keinen anderen. Er hat es aber geerbt. Ich habe den Eindruck, daß die öffentliche Diskussion dazu geführt hat, daß sich das von selbst bereinigt und daß man hier vermutlich gesetzgeberisch nicht mehr tätig werden muß.
Zur Haftung des Aufsichtsrates, die Sie ebenfalls angesprochen haben: Man braucht nicht die materielle Basis der Haftung zu verschärfen. Aber die Schwelle für die Geltendmachung eines Haftungsanspruchs ist so hoch, daß man sie vermutlich heruntersetzen muß. Insofern stimmt Ihr Zitat von Hermann Josef Abs. Ich wundere mich, daß Sie mit so alten Witzen Ihre Kollegen noch erfreuen können.
Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfer: Ich bin der Meinung, daß nach dem, was wir bei Procedo, Balsam und anderen erlebt haben, die Wirtschaftsprüfertätigkeit unter die Lupe genommen werden muß. Ich bin dafür, daß es eine engere Verbindung zwischen dem Aufsichtsrat und den Wirtschaftsprüfern gibt und nicht nur die enge Verbindung zwischen Vorstand und Wirtschaftsprüfer, daß der Prüfbericht des Abschlußprüfers nicht über den Vorstand und dann erst bereinigt in dritter Fassung an den Aufsichtsrat geleitet wird, sondern daß der Aufsichtsrat den Wirtschaftsprüfer beauftragt, einen Vertrag mit ihm abschließt - die Hauptversammlung muß ihn natürlich wählen - und daß dann dessen erster Bericht, der Management Letter oder der erste Entwurf eines Prüfberichts beim Aufsichtsrat landet.
Daß die Haftungsgrenze für Wirtschaftsprüfer erhöht werden muß, ist klar. Man sollte auch, wenn man schon dabei ist, vorschreiben, daß der Wirtschaftsprüfer an der Bilanzsitzung teilzunehmen hat. Das war bisher keineswegs die Regel. Ich sehe aber schon in der Wirklichkeit, was diese Diskussion bedeutet. Zur Zeit finden die Bilanzsitzungen statt, und überall dort, wohin ich komme, sitzt der Wirtschaftsprüfer mit freundlichem Gesicht am Tisch. Es macht sich also schon. Auch dafür ist eine solche Diskussion gut.
Ich habe den Wechsel der Abschlußprüfer, Herr Bury, vorgeschlagen. Sie haben das in den Gesetzentwurf aufgenommen, nachdem Herr Jens zugerufen hat, das sei vielleicht eine brauchbare Idee. Ich habe das im Protokoll nachgelesen.
Natürlich hat es eine lebhafte Diskussion mit den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gegeben. Mir scheint, daß die Schwierigkeiten und die wirtschaftlichen Konsequenzen, die daraus entstehen, zu kompliziert sind. Ich denke aber, daß wir mindestens den Wechsel der Führungsgruppe der Prüfer - nicht der Firma, sondern nur des Abschlußteams - vorschreiben sollten. Das würde auch von den Wirtschaftsprüfern akzeptiert werden.
Sie haben heute Prüfer in Großunternehmen, die das ganze Jahr im Hause sind. Diese alle wechseln zu lassen ist vermutlich doch zu schwierig.
Schließlich das Vollmachtstimmrecht und die Hauptversammlung: Die Regelung, die Sie vorgeschlagen haben, ist an Bürokratie und Regulierung nicht zu überbieten. Ich halte es wirklich nicht für nötig, daß man den Aktionärsvereinigungen etwas zutreibt, lieber Herr Ost. Das ist nicht der Sinn der Veranstaltung.
Mein Wunsch ist, daß die Formulare für die Vollmachtstimmrechte, die die Banken für die nächsten 15 Monate versenden, den Hinweis enthalten, daß man sich durch Aktionärsvereinigungen vertreten lassen kann, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Die Abschaffung des Vollmachtstimmrechts, Frau Wolf - das habe ich schon einmal gesagt -, kommt meiner Meinung nach nicht in Betracht. Wie unabhängig ist der Stimmrechtsbeauftragte? Er ist genauso unabhängig wie der Datenschutzbeauftragte, der Umweltschutzbeauftragte und der Frauenbeauftragte im Unternehmen. Er bleibt ein abhängiger Beschäftigter des Unternehmens, ist aber in dieser Funktion unkündbar. Ich weiß, daß das keine Riesenauswirkungen hat.
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Sie sind doch sonst immer so für diese Beauftragtendemokratie und auch für die Räterepublik. Ich habe damit nicht so schrecklich viel im Sinn.
Wenn es etwas dazu beitragen kann, einen gewissen Abstand zwischen der Ausübung des Vollmachtstimmrechts und der Depotverwaltung zu erreichen, wäre es gut. Ich bin strikt dafür, daß wir in Zukunft verhindern, daß sich die Banken mit den von ihnen in ihrem Depot gehaltenen Aktien ihrer Kunden selber entlasten können. Da hört es doch auf. Das muß abgeschafft werden.
Meine Damen und Herren, ich begrüße, daß die Diskussion stattfindet. Ich bin guten Mutes, daß wir, wenn wir vernünftig und mit Augenmaß auf diesem Gebiet zusammenarbeiten, etwas zur Verbesserung der Finanzplätze und des Kapitalmarktes, zur Verbesserung der Situation des Streubesitzes und auch dazu, daß deutsche Aktiengesellschaften wettbewerbsfähiger werden, daß sich deutsche Banken in den Bereichen, die wir angesprochen haben, etwas mehr zurückhalten, und daß wir insgesamt etwas Vernünftiges für den Standort Deutschland tun können.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Uwe-Jens Heuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fälle Metallgesellschaft, Schneider und Balsam/Procedo - das ist heute bereits von anderen gesagt worden - haben aus unterschiedlichen Blickwinkeln einige Aspekte der strukturellen Probleme der deutschen Wirtschaft beleuchtet: Aufsichtsräte, die nicht in der Lage oder willens sind, die Geschäftsleitungen zu kontrollieren, Vorstände, die monatelang hasardieren, gewaltige Schäden anhäufen, Arbeitsplätze im eigenen Unternehmen und bei zahlreichen Geschäftspartnern vernichten und sie in den Untergang hineinreißen und dann persönlich, schlimmstenfalls unter Zurücklassung eines Scherbenhaufens, in den wohldotierten Ruhestand gehen.
Man denkt an Tucholsky, der daran erinnerte, daß früher die Häuptlinge gefressen wurden, wenn sie eine Schlacht verloren hatten, während sie heute sagen - wenn sie es denn sagen -: „Ich übernehme die Verantwortung" und in den Ruhestand gehen.
Die Drucksache 13/367 gibt ein eindrucksvolles Bild - und die verfügbaren Untersuchungen zur Kapital- und Personalverflechtung bestätigen dieses Bild - von den entstandenen oligarchischen Verhältnissen: Die Spitzen der deutschen Banken und der deutschen Industrie haben die Tür hinter sich geschlossen. Sie haben sich nicht nur der Kontrolle durch die privaten Aktionäre entzogen. Durch die Kapital- und Personalverflechtung von Unternehmen, die theoretisch im gleichen Markt konkurrieren, schränken sie auch den Wettbewerb ein. Sie predigen öffentlich das Wasser der Kontrolle durch den Markt und trinken heimlich den Wein der ausgeschalteten Kontrolle durch die Oligarchie der über Kreuz und im Ring verflochtenen Unternehmen.
Von welchem Wettbewerb kann denn die Rede sein, wenn auf den Hauptversammlungen der großen Kaufhauskonzerne die drei größten deutschen Banken jeweils zwischen 56 und 90 % der vertretenen Stimmrechte repräsentieren? Das gleiche gilt für die drei großen Chemiekonzerne.
Die Spitze der deutschen Banken- und der Industriewelt hat auch insofern die Tür hinter sich geschlossen, als sie sich auch persönlich nicht mehr dem kalten Wind des Wettbewerbs am sogenannten Arbeitsmarkt aussetzt, sondern sich durch Kooptation aus den eigenen Reihen ergänzt.
Im Ergebnis ist zumindest in der großen Industrie ein Unternehmertyp dominierend geworden, der weniger unternimmt und mehr verwaltet und dem wir nicht zuletzt die strukturellen Schwächen der bundesrepublikanischen Wirtschaft, ihren schon seit zwei Jahrzehnten anhaltenden Positionsverlust bei Zukunftstechnologien zu verdanken haben.
Angesichts der erheblichen Machtzusammenballung - ich verwende auch nach den Ausführungen von Herrn Lambsdorff das Wort „Macht"; ich halte das für wahr: Ökonomische Macht ist ebenso wie politische Macht eine Macht -, die die hier in Rede stehenden Unternehmen und Kreditinstitute repräsentieren, stellt sich natürlich die Frage, ob eine solche unkontrollierte Macht noch systemkonform ist.
Der vorliegende Gesetzentwurf will nun durch ein ganzes Bündel von Maßnahmen die Rechte der Privataktionäre verbessern, die Transparenz der Verflechtungsbeziehungen erhöhen, die Möglichkeiten von Interessenkonflikten der in den Aufsichtsräten von offiziell konkurrierenden Unternehmen vertretenen Kreditinstitute mindern, den Mißbrauch der Rechtsform des Idealvereins für wirtschaftliche Zwecke beseitigen, die Einflußkumulation bei einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern bzw. den von ihnen vertretenen Banken einschränken, den Wettbewerb erhöhen und schließlich auch noch strukturelle Innovationshindernisse beseitigen.
Das Anliegen dieses Entwurfs, die Refugien unkontrollierter Machtzusammenballung wenigstens etwas besser auszuleuchten und die oligarchische Machtausübung aufzubrechen, verdient zweifellos Unterstützung. Manches scheint mir allerdings ein wenig blauäugig, anderes inkonsequent. Die Innovationshemmnisse, die sich aus der langjährigen Auslese in Richtung auf einen bestimmten Managertyp ergeben, können nicht durch ein Dekret, daß die Banken oder die Manager mutiger zu sein haben, beseitigt werden.
Das Versagen des Aufsichtsrates im Falle Metallgesellschaft legt den Gedanken nahe, der in Art. 2
Dr. Uwe-Jens Heuer
ausgeführt wird, nämlich die Zahl der Aufsichtsratsmandate, die eine Person wahrnehmen darf, weiter zu begrenzen.
Diese sicher mögliche und wünschenswerte Maßnahme könnte aber in meinen Augen deutlich an Wirksamkeit gewinnen, wenn die Haftung der Aufsichtsräte und ihrer Mitglieder deutlich verschärft würde.
Dagegen wird nun eingewandt, daß die Milliardenschäden, wie sie etwa bei der Metallgesellschaft entstanden sind, nicht durch das Vermögen einer Handvoll von Aufsichtsratsmitgliedern kompensiert werden könnten. Das ist natürlich richtig. Für die geschädigten Aktionäre und Gläubiger - von den entlassenen Arbeitnehmern ganz zu schweigen - wäre eine stärkere persönliche Haftung der Vorstände und Aufsichtsräte wenig tröstlich. Aber sie zwänge die Aufsichtsräte zu dem, was der eigentliche Sinn ihrer Bestellung ist: zu genauem Hinsehen.
Eine solche verschärfte Haftung, die tatsächliche Abhängigkeit des eigenen Vermögens von der peniblen Ausübung des Mandats, könnte unter Umständen wirksamer zu einer Begrenzung der Zahl der wahrgenommenen Aufsichtsratsmandate zwingen als die formelle Begrenzung durch den jetzigen Vorschlag.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein persönliches Wort aus meiner eigenen Erfahrung sagen: Ich mußte 1959 die Humboldt-Universität Berlin verlassen und wurde von der SED zur Erziehung in die Praxis an das staatliche Vertragsgericht geschickt. Ich habe dort sehr interessante Erfahrungen gemacht; ich möchte nur eine nennen.
Die Vertragsgerichte entschieden bekanntlich über Streitigkeiten zwischen volkseigenen und Privatbetrieben sowie den sogenannten halbstaatlichen Betrieben. Auffällig war nach meiner Erfahrung, daß durch Geldzahlungen eigentlich nur die halbstaatlichen Betriebe betroffen waren, weil dort der private Komplementär tatsächlich persönlich bezahlen mußte, während die volkseigenen Betriebe nicht ernsthaft betroffen waren, wenn sie 50 000 oder 80 000 Mark Schadensersatz oder Vertragsstrafe zahlten. Bei den halbstaatlichen Betrieben wirkte die Strafe direkt auf das persönliche Vermögen, und das war sehr wirksam. Aus diesem Grunde waren die halbstaatlichen Betriebe übrigens gar nicht so schlecht. Ihre Beseitigung im Jahre 1972 halte ich für eine der Unsinnigkeiten der damaligen Wirtschaftspolitik.
Das hier Geforderte setzt allerdings auf der anderen Seite voraus, daß den Aufsichtsräten die Informationen zur Verfügung stehen, die sie wirklich in die Lage versetzen, die Vorstände zu kontrollieren. Gegenwärtig sind die Kontrolleure doch wohl fast ausschließlich von den Informationen abhängig, die ihnen die Kontrollierten zur Verfügung stellen.
Die vorgeschlagene Begrenzung auf fünf Mandate pro Person würde übrigens die Zahl der von Vertretern eines Unternehmens in anderen Unternehmen wahrgenommenen Aufsichtsratsmandate nicht verringern oder begrenzen.
Nicht länger hinzunehmen ist die Wettbewerbsverschränkung, die sich einfach dadurch ergibt, daß die großen Kreditinstitute bei Unternehmen, die sich theoretisch im Wettbewerb zueinander befinden, die Mehrheit der Stimmrechte in den Hauptversammlungen repräsentieren und in den Aufsichtsräten vertreten sind. Hier bietet sich eine kartellrechtliche Untersagung von Aufsichtsratsmandaten in konkurrierenden Unternehmen an, wie sie in Art. 5 des vorliegenden Entwurfs angestrebt wird.
Dabei sollte allerdings nach meiner Auffassung die Lösung konsequenterweise nicht primär auf Personen, sondern auf die Unternehmen bezogen sein. So wie es Rechtsanwälten selbstverständlich verboten ist, gegnerische Parteien gleichzeitig zu vertreten, weil Interessenkollisionen unvermeidlich sind, sollte es auch untersagt sein, daß Unternehmen und Personen gleichzeitig in den Organen konkurrierender Unternehmen vertreten sind.
Insofern erscheint mir die in Art. 5 Nr. 3 vorgeschlagene personenbezogene Lösung inkonsequent. Herr Lambsdorff hat gesagt, daß die Großbanken durch diese Lösung bevorzugt werden, weil sie mit unterschiedlichen Personen arbeiten können. Deswegen, meine ich, wäre es sinnvoll, das nicht nur hinsichtlich der Personen, sondern auch hinsichtlich der Unternehmen zu regeln.
Das in Art. 2 Nr. 8 angesteuerte Ziel, den Privataktionären die Chance einer von den Banken unabhängigen Vertretung zu eröffnen, wird von mir unterstützt. Wir stellen empirisch fest - das ist hier von vielen gesagt worden -, daß die Beteiligung der Privataktionäre an den Hauptversammlungen kontinuierlich zurückgeht. Ein wesentlicher Grund dafür besteht zweifellos darin, daß die Kosten der Teilnahme an den Hauptversammlungen für Kleinaktionäre prohibitiv sind.
Das Depotstimmrecht der Banken ist seit langem umstritten. Seine Befürworter sind fast ausschließlich die Banken selbst. Bei der relativ dünnen Eigenkapitaldecke vieler deutscher Unternehmen bringt gerade das Depotstimmrecht einen überproportionalen Einfluß für die Banken mit sich. Der Konflikt zwischen Eigeninteressen, Interessen des Unternehmens, seiner Verwaltung und Interessen der Aktionäre könnte durch das Angebot des Art. 2 Nr. 8 aufgelöst werden. Ob dies die Demokratie in den Aktiengesellschaften im Sinne eines Abbaus der Apathie der Privataktionäre und ihres zunehmenden wirklichen Einflusses auf die Entscheidungen der Hauptversammlungen beleben wird, muß allerdings die Zukunft zeigen.
Sosehr ich das Gesamtanliegen des vorliegenden Entwurfs unterstütze, bin ich hinsichtlich der zu erwartenden Wirkungen doch skeptisch. Diese Skepsis speist sich sowohl aus den bereits genannten In-
Dr. Uwe -Jens Heuer
konsequenzen als auch aus Untersuchungen, die z. B. Albach/Kless über die Auswirkungen der Aktienrechtsreform von 1965 und der Einführung der Mitbestimmung 1976 auf die personellen Verflechtungen zwischen großen Unternehmen und den drei Großbanken angestellt haben.
Nach diesen Untersuchungen ist zwar der Anteil der Aufsichtsratsmandate, die von Bankenvertretern gehalten wurden, zwischen 1964 und 1978 um 40 % zurückgegangen, der Anteil ihrer Kontrollmöglichkeiten aber nur um 5 %, weil sie durch entsprechende Gegenmaßnahmen die Auswirkungen der Gesetzgebung auf ihre Kontrollmacht zu mindern wußten.
Ich befürchte, daß die Auswirkung des vorliegenden Gesetzentwurfs, wenn er denn je in Kraft treten sollte, in ähnlicher Größenordung zu sehen sein wird. Trotzdem meinen wir, daß es sinnvoll ist, in dieser Richtung zu arbeiten. Möglicherweise bewegt sich auch die Koalition etwas, was ich ihr dringend wünsche.
Danke schön.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Joachim Gres.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bury, Sie haben zu Beginn in die Debatte den Bankrotteur Jürgen Schneider eingeführt. Lassen Sie mich zunächst sagen, daß ich es außerordentlich begrüße und daß es mich mit Genugtuung erfüllt, daß dieser Herr in der Nacht von gestern auf heute in den USA festgenommen worden ist.
Vor zwei Tagen hat das ZDF ein Statement des Herrn Schneider ausgestrahlt, aus dem ich kurz zitiere. Er sagt:
Genauso wie in all den Jahren vorher sind auch meine Frau und ich nur ein privater Bankkunde und stehen der ungeheuren Macht der Banken gegenüber.
Herr Bury, daß Sie ausgerechnet diesen Herrn, dem verschiedene Banken insgesamt ca. 6 Milliarden DM zur Verfügung gestellt haben, als Zeugen für Ihren Kampf gegen die Bankenmacht anführen,
ist wohl eher in das Reich des Bizarren zu verweisen.
Ausgangspunkt der Überlegung der SPD für ihren Gesetzentwurf ist ihr Befund, daß sich die großen deutschen Geschäftsbanken und Versicherungsgesellschaften durch Ring- und Überkreuzbeteiligungen sowie durch personelle und kapitalmäßige Verflechtungen im Sinne einer gezielten Verschwörungsstrategie zu einer Art „Deutschland-AG" verbunden haben, die sich jeder Kontrolle durch außenstehende Aktionäre oder durch Dritte entziehe, und daß diese „Deutschland-AG" das eigentliche Machtzentrum bilde. Die eigentlich Mächtigen in unserem Lande seien der „Herrenklub", wie Sie es gerade genannt haben. Daß die SPD bei ihrer Beschreibung dieses Horrorszenarios wenigstens noch vor dem Vorwurf mafioser Strukturen zurückschreckt, müssen wir schon fast dankbar vermelden.
In den 70er Jahren geisterte einmal der Kampfbegriff des staatsmonopolistischen Kapitalismus, kurz Stamokap, durch die Diskussionszirkel der sogenannten Neuen Linken, insbesondere der Jungsozialisten. Diese Theorie ist dann mit der zunehmenden Bedeutungslosigkeit dieser Gruppen erfreulicherweise von der politischen Bühne verschwunden. Wenn man sich allerdings anschaut, mit welcher Intensität von der SPD mit ihrem Gesetzentwurf und mit welcher publizistischen Begleitmusik an diesem Bild einer angeblich unangreifbaren „DeutschlandAG" aus Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen gemalt wird, dann könnte man wirklich meinen, daß die alte Stamokap-Theorie als „Bamokap"-Theorie, also als Theorie vom bankmonopolistischen Kapitalismus, fröhliche Urständ feiert.
Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich mich dieser neuen Verschwörungstheorie der SPD nicht anschließen kann. Friedhelm Ost hat dazu das Notwendige gesagt. Wenn Sie, Herr Bury, Friedhelm Ost schon nicht glauben, dann glauben Sie doch bitte den Mitgliedern des Forums Wirtschaft, das sich in ein paar Tagen mit Herrn Scharping treffen soll. Wenn ich es recht sehe, wird dann die personifizierte „Deutschland-AG" bei Herrn Scharping sein, angefangen mit dem Vorstandsvorsitzenden der VEBA, Ulrich Hartmann, mit seinen zahlreichen Aufsichtsratsvorsitzmandaten über Herrn Ulrich Weiß von der Deutschen Bank mit seinen diversen Aufsichtsratsmandaten und den so viel geschmähten Beteiligungen der Deutschen Bank bis hin zu Karl Otto Pöhl und Edzard Reuter, bei denen die Aufzählung der Aufsichtsrats- und Beiratsmandate selbst dem Munzinger-Archiv nicht mehr gelingt.
Nach SPD-Presseerklärungen will sich Herr Scharping, wenn ich es recht verstanden habe, von diesen hochkarätigen Wirtschaftsvertretern Rat holen. Das ist eine gute Idee. Es ist nur sehr schade, daß die Initiatoren des SPD-Gesetzentwurfs zu diesem Treffen von Herrn Scharping offenbar nicht eingeladen worden sind. Sie könnten da, Herr Bury, über die tatsächlichen Abläufe in der freien Wirtschaft viel lernen.
Wie Sozialdemokraten im bewußten und gewollten Zusammenwirken zur Sache gehen können, wenn sie die Macht dazu tatsächlich einmal haben, wie Sozialdemokraten personelle und kapitalmäßige Verflechtungen zwischen Unternehmen nutzen und politische Möglichkeiten einsetzen, läßt sich an vielen Beispielen aufzeigen. Ich will Ihnen nur ein Beispiel aus der „FAZ" von gestern für die Situation in Nordrhein-Westfalen zitieren:
Welche Auswirkungen eine solche konsequente
Sozialdemokratisierung haben kann, zeigte sich
Joachim Gres
bei dem Vorhaben, in Oberhausen ein neues Stadtviertel auf einem riesigen Brachgelände zu errichten. Veräußerer des Grundstücks waren Gesellschaften des Thyssen-Konzerns. Mitglied des Aufsichtsrats der Thyssen AG: Finanzminister Schleußer. Erwerber war das Land Nordrhein-Westfalen. Zuständiger Minister: Schleußer. Das Land verkaufte das Grundstück wiederum an die Gesellschaft GEG. Im Aufsichtsrat der GEG: Schleußer. An der GEG war die Westdeutsche Landesbank über ein Tochterunternehmen beteiligt. Vorsitzender des Verwaltungsrats der Landesbank zu dieser Zeit: Schleußer. Abgeordneter des Wahlkreises Oberhausen I: Schleußer.
Und Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wollen als Saubermann in Sachen Verbesserung von Transparenz und Beschränkungen von Machtkonzentration in der deutschen Wirtschaft auftreten? Das nimmt Ihnen doch keiner ab.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heuer?
Ich bitte herzlich um Nachsicht; aber ich habe wenig Zeit. Lassen Sie mich bitte zu Ende kommen.
Ich stoppe die Zeit bei Zwischenfragen.
Gut, dann bitte schön. Legen Sie los.
Gestatten Sie folgende Frage: Spricht das, was Sie eben gesagt haben, in irgendeiner Weise gegen die Macht der Banken?
Nein, das spricht dagegen, daß ausgerechnet Sozialdemokraten hier den Saubermann in Sachen Transparenz in Unternehmensbeziehungen spielen. Wenn sie es faktisch können, verfahren Sozialdemokraten in ganz anderer Weise, als sie hier Anträge einbringen. Das Verfahren in Nordrhein-Westfalen mit Herrn Schleußer ist ein typisches Beispiel, wie Verquickung zwischen Politik, Banken und Industrieunternehmen funktioniert, wenn Sozialdemokraten selber die Macht haben. Darum geht es.
Meine Damen und Herren, das gegliederte Rankensystem in Deutschland ist überaus leistungsfähig. Die Beteiligung der Großbanken an börsennotierten Industrieunternehmen ist seit Jahren tendenziell rückläufig, und zwar sowohl vom Beteiligungsvolumen als auch von der Zahl der Beteiligungen her. Die zehn größten Privatbanken hielten 1994 nur noch an ca. 30 börsennotierten Unternehmen eine Beteiligung von mehr als 10 %; demgegenüber waren es im Jahre 1986 noch 46 Unternehmen.
Die Beteiligungen von Vertretern privater Großbanken in den Aufsichtsräten von Nichtbanken ist
ebenfalls rückläufig; Friedhelm Ost hat das schon gesagt. Auch hierzu nenne ich eine Zahl: In den Aufsichtsräten der 100 größten deutschen Unternehmen gibt es zur Zeit ca. 1 450 Aufsichtsratssitze. Von diesen Aufsichtsratssitzen besetzen Vertreter privater Banken zur Zeit 99 Sitze, während es 1986 noch 114 waren - das, obwohl die Zahl der Unternehmen mit Aufsichtsräten zugenommen hat. Daß Gewerkschafts- und Arbeitnehmervertreter in diesen Unternehmen ca. 750 der Aufsichtsratsposten bekleiden, will ich hier nur am Rande erwähnen.
Den Banken und insbesondere den Versicherungen generell zu untersagen, sich an Drittunternehmen zu beteiligen, ist angesichts des Kapitalbedarfs der deutschen Wirtschaft geradezu widersinnig. Wenn wir beispielsweise wollen, daß die Versicherungsunternehmen mit ihrem hohen Kapitalanlagebedarf ins Ausland getrieben werden, wenn wir wollen, daß die Banken für Sanierungen insolventer Unternehmen durch Übernahme von Teilen des Aktienkapitals nicht mehr zur Verfügung stehen, dann müssen wir diesem Gesetzentwurf insgesamt zustimmen. Den Schaden hätten die gesamte deutsche Volkswirtschaft und damit wir alle.
Das alles ändert jedoch nichts daran, daß im Aktien-, im Gesellschafts- und auch im Steuerrecht das eine oder andere gemacht werden kann und auch gemacht werden sollte, was die Attraktivität des deutschen Aktienmarktes erhöht und für mehr Effizienz der Kontrolle in Großunternehmen, insbesondere in Publikumsgesellschaften, sorgt.
Sie wissen, daß die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und F.D.P. entsprechende Festlegungen enthält. Die Koalition wird in den nächsten Wochen die Eckpunkte eines Gesetzentwurfs mit vernünftigen Regelungen vorlegen, der die Grundkonzeption unserer erfolgreichen Wirtschafts-, Finanz- und Unternehmensordnung unangetastet läßt, aber dort, wo neue Regelungen geboten sind, diese auch vorsieht.
Ich will Ihnen das kurz an zwei Bereichen darstellen; für mehr reicht die Zeit nicht.
Erstens: beim Aufsichtsrat. Wichtig scheint mir zu sein, den Aufsichtsrat großer Publikumsgesellschaften, hier insbesondere den Aufsichtsratsvorsitz, zu professionalisieren. Hierzu ist vorgeschlagen worden, die Zahl der pro Person zulässigen Aufsichtsratsmandate zu verringern.
Mir persönlich wäre eine weitere gesetzliche Reduzierung der Zahl der pro Person zulässigen Aufsichtsratsmandate zu schematisch und zu pauschal. Es gibt Aufsichtsratsmitglieder, die schon mit zwei Mandaten überlastet sind, andere können ohne Probleme sieben oder acht Mandate übernehmen. Schließlich stellt die Aufgabe eines Aufsichtsrats ganz unterschiedliche Anforderungen, je nach Unternehmensbranche, Unternehmensgröße, Qualität der Unternehmensführung usw.
Eine pauschale Absenkung der zulässigen Höchstzahl auf fünf Aufsichtsratsmandate würde auch für sogenannte Berufsaufsichtsräte gelten, was im Sinne
Joachim Gres
der Professionalisierung, insbesondere des Aufsichtsratsvorsitzes, nicht gewünscht werden kann.
Schließlich wäre eine solche Regelung auch mittelstandsfeindlich, weil sich namhafte Persönlichkeiten des Wirtschaftslebens auf die Großmandate konzentrieren würden und den mittelgroßen Unternehmen nicht mehr zur Verfügung stünden.
Gänzlich unsinnig wäre es - das ist schon gesagt worden -, die Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten innerhalb eines Konzerns weiter einzuschränken. Diese Tätigkeiten gehören zum typischen Tätigkeitsbereich eines Konzernvorstandes.
Andererseits ist der Zeitaufwand der Aufsichtsratsvorsitzenden erheblich höher als derjenige anderer Aufsichtsratsmitglieder. Ich könnte mir daher als Mittelweg bei der Frage der Zahl der zulässigen Mandate in Aufsichtsräten durchaus vorstellen, den Aufsichtsratsvorsitz und den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitz doppelt zu zählen. Dies trägt zu einer Professionalisierung des Aufsichtsratsvorsitzes bei; denn der Aufsichtsratsvorsitzende hat eine wichtige Scharnierfunktion zwischen Vorstand und Hauptversammlung des Unternehmens, die wir weiter stärken wollen.
Wir sind im übrigen durchaus offen für die Diskussion über eine Änderung des Aktienrechtes, um die Übernahme von Aufsichtsratsmandaten von einer Person in miteinander konkurrierenden Unternehmen zu unterbinden. Daß es nicht vorkommen kann und darf, daß eine Person im Aufsichtsrat zweier miteinander im Kernbereich konkurrierender Unternehmen sitzt, scheint mir klar zu sein. Ich kenne aber aus der Praxis in Deutschland keinen Fall, wo eine solche Konkurrenzlage gegeben wäre. Einmal war ein solcher Fall auf seiten eines wichtigen Vertreters einer Industriegewerkschaft gegeben. Dieser Fall ist mittlerweile bereinigt.
Möglicherweise aber gibt es in Einzelfällen die Situation, daß sich in zwei Konzernen oder Unternehmensgruppen kleinere Nebenbereiche der Geschäftstätigkeit wettbewerbsmäßig relevant überlappen. Um auch diese Fälle in den Griff zu bekommen und auch nur denkbare Interessenkonflikte zu vermeiden, wäre eine weitgehende Offenlegung aller wesentlichen Mandate und Beteiligungen einer Person, die für eine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat vorgeschlagen wird, einschließlich der Zugehörigkeit zu einem Unternehmen oder Konzern mit allen Untergesellschaften und Tätigkeitsfeldern ratsam. Auf diese Art und Weise würde durch Offenlegung transparent, inwieweit ein Interessenkonflikt bestehen kann. Es liegt dann in der Autonomie der Aktionäre, über die vorgeschlagene Person in der Hauptversammlung zu entscheiden oder diese Frage gegebenenfalls auch durch das Gericht entscheiden zu lassen. Möglicherweise müßte der Zugang zu dem Gerichtsverfahren ein wenig erleichtert werden.
Ich plädiere ferner dafür, dem Aufsichtsrat die Beauftragung der von der Hauptversammlung gewählten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu übertragen. Dies gibt dem Aufsichtsrat, insbesondere dessen Vorsitzenden, die Möglichkeit, bei der Auftragserteilung
Prüfungsschwerpunkte so zu setzen, wie sie der Aufsichtsrat für richtig hält. Ich meine auch, daß die Teilnahme des Abschlußprüfers an der Bilanzsitzung des Aufsichtsrates oder des Bilanzausschusses zwingend werden sollte, um sicherzustellen, daß der Abschlußprüfer über die wesentlichen Ergebenisse seiner Prüfung dem Aufsichtsrat tatsächlich in toto berichtet.
Ich könnte mir auch andere Dinge vorstellen, beispielsweise eine Erhöhung der Frequenz der Aufsichtsratssitzungen. Ob wir als Gesetzgeber das allerdings vorschreiben sollten - denn das ist im Rahmen der Autonomie der Gesellschaft ja jetzt sowieso schon möglich -, halte ich für fraglich.
Lassen Sie mich zweitens noch ein Wort zum Bereich Wirtschaftsprüfer sagen. Ich sehe durchaus Probleme - Graf Lambsdorff hat das gerade angesprochen -, zwingend vorzuschreiben, daß die Wirtschaftsprüfer alle fünf Jahre wechseln müssen. Die Forderung nach einem Zwangswechsel der Wirtschaftsprüfer ist durch keine empirischen Untersuchungen auf ihre Sinnhaftigkeit unterlegt. Es gibt keinen einzigen wichtigen Industriestaat, der einen derart obligatorischen Prüferwechsel kennt. Weder die USA, noch England, noch Frankreich sehen dies vor.
Im Gegenteil sprechen gegen diese Idee wichtige Gesichtspunkte. Ein obligatorischer Wechsel erfordert von dem neuen Wirtschaftsprüfer eine erhebliche Einarbeitungszeit, ganz unabhängig von der Unternehmensgröße. Gerade bei Großunternehmen kann aber aus Zeit- und Kostengründen die Abschlußprüfung regelmäßig nur auf der Basis mittel-
bzw. langfristiger Prüfungspläne erfolgen, wobei die Schwerpunkte jährlich wechseln müssen. Sie wissen das alle. Sie wissen auch, daß gerade nach einem Prüferwechsel statistisch am häufigsten Unregelmäßigkeiten in einem Unternehmen stattfinden. Ich glaube, wir sollten dem keinen Vorschub leisten.
Ich will am Rande noch auf die Probleme des Prüferwechsels im Sparkassen- und Genossenschaftsbereich hinweisen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist leider vorbei.
Wollte man wegen der notwendigen Gleichbehandlung auch in diesem Bereich einen obligatorischen Prüferwechsel vorsehen, müßten die Prüfverbände im Sparkassenbereich völlig neu strukturiert werden. Wie das gehen soll, ist mir unklar. Sie haben es nicht angesprochen.
Ein abschließendes Wort, meine Damen und Herren. Mir ist die ganze Diskussion viel zu negativ besetzt. Ich komme zeitlich nicht mehr dazu, das auszuführen. Es wäre außerordentlich nützlich für uns alle, wenn wir die Aktiengesellschaft als solche attraktiver machen würden, wenn es uns gelänge, mehr Unternehmen aus dem mittelständischen Bereich über die Rechtsform der Aktiengesellschaft an die Börse zu bringen. Wir haben zuwenig Eigenkapital im mittelständischen Bereich,
Joachim Gres
und wir haben zuwenig Unternehmer, die den Gang an die Börse wagen. Hier flankierend zu helfen, das sollten wir gemeinsam probieren. Dazu lade ich Sie herzlich.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Uwe Jens.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal feststellen: Auch wir Sozialdemokraten freuen uns natürlich, daß Herr Schneider in Florida festgenommen worden ist. Aber ich glaube, es gibt noch eine lange und ausführliche Debatte darüber, wer was zu verantworten hat.
Das wird noch relativ spannend werden, vermute ich einmal.
Ich freue mich im übrigen auch, daß der Graf Lambsdorff manches hinzugelernt hat, was auf unserer Linie liegt. Das habe ich der heutigen Debatte entnommen. Das ist positiv zu bewerten. Ich freue mich, daß auch die Vertreter der Koalitionsparteien im großen und ganzen der Ansicht sind, daß der Beteiligungsbesitz der Banken an Nichtbanken ein Problem ist und reduziert werden muß.
Ich freue mich auch darüber, daß die große Zahl der Aufsichtsratsmandate von allen als Problem angesprochen wurde, wenn auch bei der CDU/CSU nur Nuancen beim Handlungsbedarf gesehen werden. Aber alles in allem besteht für alle in der Tat Handlungsbedarf.
Das haben wir im Bundestag einvernehmlich festgestellt. Das muß man unterstreichen dürfen.
Ich glaube, auch beim Vollmachtstimmrecht der Banken - früher nannte man das Depotstimmrecht - muß etwas passieren. Ich füge gerne hinzu: meinetwegen auch bei § 102 GWB. Darüber können wir durchaus noch einmal diskutieren. Das ist aber kein Dollpunkt. Aber es besteht zwischen den relevanten Rednern der Koalitionsfraktionen und den Sozialdemokraten auf Grund des Gesetzentwurfes, den wir heute hier wieder einmal vorgelegt haben, ganz zweifellos ein breiter Konsens.
Ich habe leider das Gefühl, Graf Lambsdorff, Sie müssen in die Reihen der Koalition noch ein bißchen Ordnung hineinbringen. Was soeben der Rechtsanwalt aus Frankfurt und was vorher unser werter Kollege Ost - ehemals Mitarbeiter des Bankenverbandes, wenn ich das richtig in Erinnerung habe -
zum besten gegeben haben, das weicht doch ein bißchen von dem ab, was Sie in der Koalitionsvereinbarung festgelegt haben.
Bitte passen Sie darauf auf, daß zumindest das, was in der Koalitionsvereinbarung steht - das ist ja verflucht dürftig -, in dieser Legislaturperiode ins Gesetzblatt kommt.
Wir unterstützen Sie zumindest.
Bei den Regierungsfraktionen sagt jeder ein bißchen etwas anderes. Das ist bedauerlich; da muß Ordnung hineinkommen. Ich erwarte, daß Sie in Kürze einen Entwurf vorlegen und nicht etwa eine Arbeitsgruppe bilden, die dafür sorgt, daß das auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird. Ich erwarte, daß Sie einen Entwurf vorlegen, daß wir uns dann zusammensetzen und unter Fachleuten ohne Zorn und Eifer über diese Sache diskutieren und daß in einem Jahr das Gesetz im Gesetzblatt steht.
Ich möchte aus gesamtwirtschaftlicher Sicht festhalten - wen soll man eigentlich noch überzeugen? -: Ich habe hier eine Grafik aus der „Süddeutschen Zeitung", die einmal mehr deutlich macht, wie schlimm die Verflechtung in unserer Wirtschaft zwischen Banken und Nichtbanken, also einerseits zwischen Banken und Versicherungen und andererseits zwischen Banken und Industrieunternehmen, ist. Das ist ein Skandal. Da müssen wir ran, meine Damen und Herren.
Wenn es richtig ist, was Sie in der Öffentlichkeit dauernd predigen, daß nämlich die Bürokratisierung mit dazu beiträgt, daß die Innovationskraft in der deutschen Wirtschaft abgenommen hat, dann ist auch richtig, daß die Verflechtungen, die Verkrustungen in der Wirtschaft selber mit dazu beitragen, daß die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft fast auf den Nullpunkt gesunken ist.
Das ist das eigentliche Problem; darüber haben wir nachzudenken: Wie sind wir in der Lage, die Innovationstätigkeit in der deutschen Wirtschaft erneut zu stärken?
Es ist zuwenig, wenn wir nur an die Banken denken. Wir müssen auch die Verflechtungen der Versicherungen mit der Industrie sehen. Auch hier muß etwas passieren. Davon bin ich zutiefst überzeugt.
Dr. Uwe Jens
Graf Lambsdorff, Sie sind immer ein bißchen in Gefahr, als ein Versicherungsvertreter angesehen zu werden. Bitte passen Sie auf, daß das am Ende nicht Wirklichkeit wird! Sie, Herr Ost, sind in Gefahr, als Bankenvertreter angesehen zu werden! Passen Sie auf, daß Sie sich im Deutschen Bundestag nicht als Lobbyist gerieren, sondern beachten Sie die gesamtwirtschaftlich notwendigen Verpflichtungen, die wir als Abgeordnete haben!
Es ist völlig falsch, was im „Economist" stand, daß nämlich die Bedeutung der Banken bei der Finanzierung der Unternehmen geringer werden soll. Das ist falsch; sie soll eine andere werden. Die direkten Beteiligungen müssen abgebaut werden. Ich habe sehr wohl gesehen, daß einige Banken ihre Beteiligungen bereits ein wenig reduziert haben. Das ist gut so, aber das hat auch mit unserem Gesetzentwurf zu tun.
Die Finanzierungen müssen andere werden. Wir brauchen mehr Kapital für kleine und mittlere Unternehmen. Wir brauchen mehr für wirkliche Newcomer. Wir brauchen mehr für wirkliche Erneuerungen und Innovationen. Darum geht es vor allem.
Ich glaube, daß Professor Perlitz und Frank Seger von der Universität Mannheim ihre Untersuchung sehr sorgfältig gemacht haben. Daran können wir nicht vorbeigehen. Sie stellen darin fest - auch mein Kollege Martin Bury hat das gesagt -, daß die Unternehmen mit Bankeneinfluß signifikant schlechtere Renditeergebnisse auszuweisen haben als die Unternehmen, die nicht so stark unter dem Einfluß der Banken stehen. Deshalb besteht dringender Handlungsbedarf. Deshalb müssen diese Verflechtungen, die ich hier eben angedeutet habe, vor allem zerrissen werden.
Es geht nicht darum, meine Damen und Herren, daß wir das Universalbankensystem generell abschaffen wollen. Das will überhaupt keiner, aber eine Reduzierung auf 5 %, wie sie die Monopolkommission vorgeschlagen hat, wäre eine sinnvolle und richtige Maßnahme. Es geht auch überhaupt nicht darum, daß wir verlangen, daß diese Reduzierung von heute auf morgen passieren soll. Das kann man nicht erwarten; dann würden die Kurse total in den Keller gehen. Vielmehr muß es in Form eines Stufenplans erfolgen.
Es geht auch nicht generell darum, daß man ihnen das verbietet. In Fällen der Sanierung und in den Fällen, wo Plazierungen notwendig sind, müssen die Banken aber die Möglichkeit haben, unter Umständen auch einmal wieder 100 % zu übernehmen. Das ist keine Frage.
Ich füge gerne hinzu: Auch ich bin bereit, darüber nachzudenken, ob wir nicht eine steuerrechtliche Lösung brauchen - Herr Graf Lambsdorff, Sie hatten früher einmal davon gesprochen. Ich möchte nicht, daß Herr Kopper das wahrmacht, was er angekündigt hat, nämlich daß er bei einem Gesetzentwurf, der die Beteiligung deutlich auf 5 % reduziert, sofort zum Verfassungsgericht nach Karlsruhe läuft und möglicherweise die Chance hat, dort auch noch recht zu bekommen. Das darf nicht sein. In diesem Punkt müssen wir aufpassen.
Ich finde es nett - davon hat noch gar keiner gesprochen -, daß in unserem Gesetzentwurf steht, daß die Vorstände der Banken nicht mehr ohne weiteres großzügig Spenden an die politischen Parteien verteilen dürfen.
1993 haben vor allem die CDU, die CSU und die F.D.P. Spenden in der Höhe von einigen 100 000 DM bekommen, aber die SPD hat von der Deutschen Bank überhaupt nichts bekommen.
Ich gehe einmal davon aus, daß das jetzt anders wird. Wenn Sie sich jetzt endlich auf unserem Trip befinden und mit uns jetzt endlich etwas tun, dann werden bei Ihnen die Spenden demnächst möglicherweise auch ein bißchen geringer und bei uns vielleicht ein bißchen höher.
Wir müßten also dafür sorgen, daß in unserem Gesetzentwurf steht, daß die Spenden, die gezahlt werden, von der Hauptversammlung genehmigt werden und daß alle Parteien - wenn man zahlen will, dann soll man zahlen - gleichmäßig berücksichtigt werden.
Herr Kollege Jens, gestatten Sie Ihrem Kollegen eine Zwischenfrage?
Ja.
Bitte.
Verehrter Kollege Jens, wenn Sie hier die Spendenpraxis der Deutschen Bank ansprechen, werden Sie uns auch sagen, welche Spendenpraxis bei der BfG, der Bank für Gemeinwirtschaft, bzw. der Westdeutschen Landesbank gegenüber der SPD angewandt wurde und wird?
Die BfG gehört jetzt zur Crédit Lyonnais, wenn ich richtig informiert bin. Von denen haben wir in der letzten Zeit nach meinen Kenntnissen überhaupt nichts mehr bekommen.
Was die WestLB betrifft, habe ich diesbezüglich keine neuen Daten. Ich habe sehr wohl in Erinnerung: Diese Veröffentlichungen sind allgemein über Großspenden erfolgt. Aber Großspenden in dem Sinne kann es eigentlich gar nicht gegeben haben;
Dr. Uwe Jens
denn alle Banken waren in dieser Veröffentlichung ausgewiesen. Ich verweise ausdrücklich auf diese Veröffentlichung, bei der die Deutsche Bank als Großspenderin für die CDU/CSU und die F.D.P. und für sonst keinen dargestellt worden war.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen, wenn Sie einverstanden sind. Ich wollte vor allem sagen: Wenn wir mehr Innovation wollen, müssen wir die Verkrustungen aufbrechen und müssen die Verflechtungen beseitigen, meine Damen und Herren. Um Innovationen voranzubringen, brauchen wir eine Fülle von Maßnahmen. Ich gebe als Sozialdemokrat gerne zu: Auch das Klima für Innovationen muß verbessert werden. Wir brauchen mehr Innovateure. Wir brauchen mehr helle Köpfe. Das ist gar keine Frage. Wir brauchen vor allem mehr Risikokapital.
Aber - und das ist sozialdemokratisch, meine Damen und Herren wenn wir neue Produkte auf den Markt bringen wollen, dann müssen wir sehr wohl auch darüber nachdenken, ob die Bürger das Zeug, was neu produziert werden soll, überhaupt haben wollen,
ob wir einen Bedarf dafür haben, ob es eigentlich Menschen gibt, die das wollen. Das wird von dieser Regierung leider völlig vernachlässigt. Das MITI hat jetzt wieder eine Untersuchung über Knappheitsfelder angeordnet, um zu sehen, wo in Zukunft möglicherweise etwas wachsen kann. Dies muß stärker gemacht werden, als es in der Vergangenheit geschehen ist. Wir brauchen mehr Risikokapital.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lambsdorff?
Bitte sehr.
Herr Jens, darf ich Sie fragen, wer die Entscheidungen über einen solchen Bedarf der Bürger trifft? Die Bürger selber oder eine sozialdemokratisch eingerichtete Lenkungsbehörde?
Die Frage kenne ich schon. Die haben Sie schon vor 20 Jahren gestellt. Sie sollten davon Abstand nehmen. Das, mit der Lenkungsbehörde ist doch alles Quatsch! Wenn wir einmal nachsehen, wo es Knappheitsfelder gibt, dann stellen wir fest, daß selbstverständlich die einzelnen Bürger die Entscheidungen über den Nachfragebedarf treffen. So soll es auch bleiben. Ich hoffe, ich habe Sie beruhigt.
Meine Damen und Herren, mehr Risikokapital ist dringend notwendig. Hier besteht ein Engpaß. Wenn wir die Banken und Versicherungen zwingen, diese Beteiligungen zu reduzieren, dann zwingen wir sie auch, über Alternativen nachzudenken. Dann denken sie auch verstärkt darüber nach, ob sie nicht hier oder dort im Bereich des Risikokapitals in der Vergangenheit zuwenig getan haben und in der Zukunft mehr tun könnten. Auch das ist unser Anliegen, meine Damen und Herren.
Ich halte es immer noch für falsch, daß diese Regierung dauernd Programme auflegt und glaubt, damit seien die Probleme im Zusammenhang mit Innovationskrediten gelöst: Voraussetzung, damit ein Innovator einen Kredit bekommt, ist eine sogenannte bankübliche Sicherheit. Es ist für einen jungen Menschen aber nicht möglich, bankübliche Sicherheiten zu erbringen, wenn er Geld haben will. Auch hier müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Banken, aber auch die Versicherungen dazu zwingen können, Graf Lambsdorff, mehr Risikokapital zur Verfügung zu stellen.
Ich will zum Schluß noch folgendes sagen, meine Damen und Herren: Wir müssen uns noch stärker als bisher mit dem Thema Finanzen befassen. Ich finde, es ist schlimm, daß jetzt im Bundesbankbericht wieder festgestellt wurde, daß auch seitens der Industrieunternehmen vor allem Geld in Finanzanlagen angelegt worden ist und nicht in Sachanlagen zur Schaffung von Arbeitsplätzen, weil auf diese Art und Weise leichter Rendite zu erwirtschaften ist. Das ist ein elementarer Fehler unserer zur Zeit bestehenden Wirtschaftsordnung. Hier besteht dringender Korrekturbedarf. Wer glaubt, wir können die Bundesrepublik Deutschland und die Menschen in diesem Lande etwa mit dem Handel von Finanzanlagen oder mit dem Handel von Derivaten ernähren, irrt sich gewaltig.
Wir brauchen dringend mehr Kapital in Sachanlagen. Wir brauchen mehr Geld für die Schaffung neuer Waren und neuer Produkte, für mehr Innovation. Das ist die Aufgabe unserer Zeit. In diese Richtung zielt auch unser Gesetzentwurf.
Schönen Dank.
Jetzt erteile ich dem Kollegen Ernst Hinsken das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich Ihnen, Herr Kollege Professor Jens, gratulieren, daß Sie wieder voll und ganz genesen sind. Das haben Sie gerade mit Ihrer engagierten Rede zum Ausdruck gebracht.
Wir freuen uns, daß wir in Zukunft Ihren großen Sachverstand im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages verzeichnen können. Ich bitte gerade auf dem Gebiet um gute Zusammenarbeit, die wir dringend brauchen, um die Probleme, die zum Teil tatsächlich vorhanden sind, bewältigen zu können.
Meine Damen und Herren, fast jeden Morgen mache ich im Ausschuß oder auch im Bundestag - je
Ernst Hinsken
nachdem, wo ich mich befinde - eine interessante Feststellung, daß nämlich viele Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion die „Börsen-Zeitung" lesen bzw. die Börsenseiten verschiedener Zeitungen besonders unter die Lupe nehmen. Wenn ich dann den einen oder anderen frage, was ihn besonders interessiert, stelle ich fest, daß es meistens Bankenwerte sind. Darum interessiert es mich natürlich sehr wohl, was Sie gerade heute dazu zu sagen hatten und wie Sie sich in Zukunft einlassen. Dabei verhehle ich nicht, daß es sich mit meinen Kollegen genauso verhält. Aber wenn Sie hier eine Debatte über die Begrenzung der Macht der Banken fordern und sich so ins Zeug legen, dann ist das in gewisser Hinsicht ein Widerspruch zu Ihrem gerade geschilderten Verhalten, den ich nicht ganz nachvollziehen kann. Das wollte ich zunächst sagen.
Ich glaube, eine Meldung von heute hat uns alle sehr gefreut - sie wurde bereits mehrmals genannt, aber auf Grund der Aktualität möchte auch ich sie noch einmal erwähnen -: Schneider ist gefaßt.
Aber damit ist nicht sichergestellt, daß alle diejenigen, die in Mitleidenschaft gezogen wurden, auch zu ihrem Recht und ihrem Geld kommen.
: Aber was heißt
das?)
Deshalb hoffe und wünsche ich, daß gerade für diejenigen Mitbürger, die in Mitleidenschaft gezogen wurden, das notwendige Verständnis aufgebracht wird.
Herr Kollege Bury, Sie haben als Eingangsredner der SPD hier ein Horrorszenario geschildert, das schlimmer nicht hätte ausfallen können. Sie haben bei mir den Eindruck erweckt, als seien Sie größer als der Papst. Der nämlich ist nur in Glaubensfragen unfehlbar, Sie sind es scheinbar überall, auch auf dem Gebiet. Ich bin der Meinung, dieses Thema ist gerade nicht geeignet, Horrorgebilde aufzuzeigen. Das Thema fordert von uns allen, sach- und fachgerecht an diese Sache heranzugehen.
Lassen Sie mich einige Schlagzeilen über Banken in Erinnerung bringen, die gerade in den letzten Wochen und Monaten, aber auch in den letzten zwei Jahren die Szenerie beherrscht haben: „Banken-macht lähmt Wettbewerb", „Zu hohe Gewinne, zu viel Macht" oder „Schwachstelle Aktionärsdemokratie" oder „Dem Machtmißbrauch vorbeugen" oder „Allmacht der Banken - Ohnmacht der Mittelständler" oder „Die Last der zehn Aufsichtsratsposten", aber auch „Banken ein positiver Standortfaktor". Ich meine, das sind wichtige Schlagzeilen, die in einigen Zeitungen, die sich dieses Themas besonders angenommen haben, zum Teil in ganzen Serien zu lesen waren.
Aber, meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, lieber eine Debatte unter solchen Schlagzeilen als eine über einen Bankenzusammenbruch in Deutschland, mit vielen davon betroffenen Mitbürgern.
Der letzte Bankenzusammenbruch liegt Gott sei Dank mehr als 20 Jahre zurück; er war im Jahre 1974. Aus den Schlagzeilen werden Forderungen nach Reduzierung des Beteiligungsbesitzes der Banken, der Beschränkung der Aufsichtsratsmandate und der Reform des Auftragsstimmrechts abgeleitet, die auch in dem vorliegenden Gesetzentwurf ihren Niederschlag gefunden haben. Übrigens, eine Befragung des Instituts Allensbach bei Führungskräften, darunter 135 Vorstandsmitglieder von Unternehmen mit mehr als 1 000 Beschäftigten, ergab, daß die Befragten wünschen, die Macht der Banken zu beschneiden.
- Wir machen schon etwas.
Allerdings bin ich mir auch dessen bewußt, daß wir hier und heute über ein Thema debattieren müssen, das u. a. wegen der spektakulären Firmenzusammenbrüche wie im Falle Schneider oder Balsam/Procedo bzw. wegen der Vorgänge um die Metallgesellschaft von äußerster Brisanz ist. Natürlich wissen auch wir, daß die genannten Fälle in der Bevölkerung und in den Medien einigen Staub aufwirbeln. Und selbstverständlich kenne ich als Wirtschaftspolitiker die vielfältigen Klagen des Mittelstandes über die Kreditvergabepraxis gegenüber kleinen und mittelständischen Unternehmen.
Der Bundesvorsitzende der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU, Bregger, sagte kürzlich:
Viele Banken legen eine Vollkaskomentalität an den Tag und strafen dabei vor allem den Mittelstand, der dringend Kapital benötigt, um Arbeitsplätze zu sichern und neu zu schaffen.
- Wo er recht hat, hat er recht, Kollege Weng. -
Ich kann Ihnen versichern, daß wir diese Sorgen und Klagen ernst nehmen. Auch die Koalition sieht hier durchaus Handlungsbedarf. Sie alle kennen die Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und F.D.P., die hierzu Aussagen trifft. Schließlich hat sich in der letzten Woche eine Arbeitsgruppe konstituiert,
unter Leiturig des Bundeswirtschaftsministers und der Bundesjustizministerin,
Ernst Hinsken
um Vorschläge zur Verbesserung der Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich zu erarbeiten und eine Begrenzung des Beteiligungsbesitzes der Kreditinstitute zu prüfen.
Jede Medaille hat aber zwei Seiten, Frau Kollegin Fuchs. So ist doch zu fragen: Wären Fälle wie Schneider, Balsam/Procedo oder Metallgesellschaft zu verhindern gewesen, wenn Instrumentarien, wie sie in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen sind, vorhanden gewesen wären.? - Ich meine, nein. Gegen kriminelle Machenschaften kann es nämlich keinen umfassenden Schutz geben.
Ich habe Verständnis für die Klagen mittelständischer Unternehmer, die sich darüber beschweren, daß sie sich bei Beantragung eines Kredits bis auf das Hemd ausziehen und ihre finanziellen Verhältnisse bis auf die x-te Stelle hinter dem Komma darlegen müssen, während Kredite an große Unternehmen sehr viel lockerer bewilligt werden.
Ich weiß auch, daß - nach einer jüngst erfolgten Befragung - mehr Mittelständler schlechte Erfahrungen als gute Erfahrungen mit Kreditinstituten gemacht haben und daß sie sich eher schlecht als gut beraten fühlen. Daß man von kleinen und mittleren Betrieben bei Überziehung des vereinbarten Kontokorrentkredits „Strafzinsen" zwischen 10 und 18 % verlangt, ist für mich nicht ganz nachvollziehbar. Auch dies ist sicherlich ein Grund dafür, daß das Image der Banken derzeit als angekratzt angesehen werden muß. Andererseits muß man aber auch sehen, daß die Banken oder Sparkassen ihre Forderungen absichern müssen. Dazu sind sie schon gegenüber den Eigentümern, Anlegern und Sparern verpflichtet. Außerdem ist die Gestaltung der Kreditbedingungen in der Regel Ausdruck der individuellen Bonität des Unternehmens bzw. des Kunden.
Meine Damen und Herren, in der letzten Zeit wurde der Beteiligungsbesitz oftmals geradezu dämonisiert. Auch heute ist dies wieder geschehen. Was ist die Wirklichkeit? Hierzu sollte man zunächst einmal auf die Fakten sehen. Nach Auskunft des Bundesverbandes Deutscher Banken hielten Ende 1994 die zehn größten privaten Banken an allen Kapitalgesellschaften in Deutschland einen Anteil von nur noch 0,4 % gegenüber 1,3 % im Jahre 1976.
Und noch eines: Sind es oft nicht gerade wir, die Politiker, die die Banken geradezu auffordern, sich an Unternehmen zu beteiligen, die in Schwierigkeiten geraten, damit die Betriebe und damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben können? Ich denke, es ist ein Gebot der Fairneß, dies hier zu betonen. Ich sehe sehr wohl, daß auch Sie von der SPD diese Sanierungsbeteiligung der Banken in gewissem Umfang zulassen wollen, allerdings mit der Einschränkung, daß Banken - und nur diese - ihre Beteiligung nach fünf Jahren wieder abstoßen müssen.
Ich frage mich: Warum sollen eigentlich nur die Banken die Verluste tragen müssen, ohne später von den Gewinnen profitieren zu können? Anderen muten Sie dies auch nicht zu. Da muß doch die Frage erlaubt sein, welches Verständnis von dem unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zugrunde liegenden Recht auf die Freiheit wirtschaftlicher Betätigung Sie eigentlich haben.
Meine Damen und Herren, ich finde es nicht richtig, wenn öffentlich-rechtliche Banken wie die Westdeutsche Landesbank Anteile an der Köln-Düsseldorfer Deutschen Rheinschiffahrt oder an der TUI halten bzw. bei Maschinenbauunternehmen einsteigen und damit Einfluß auf die Industriepolitik nehmen. Das gehört einmal überprüft, da sollten wir den Finger auf die offene Wunde legen.
Eines sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, weil es immer wieder in die Debatte eingeführt wird. Von den 1 561 Mandaten gegenüber 1 466 im Jahr 1986 in den Aufsichtsräten der 100 größten deutschen Unternehmen wurden Ende 1993 nur noch 99 - im Jahr 1986 waren es noch 114 - von Angehörigen privater Banken gehalten. Besonders interessant ist - meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, passen Sie gut auf! -, daß demgegenüber die Arbeitnehmerseite 760 Mandate wahrnahm, davon entfielen allein 211 auf externe Gewerkschafter.
- Frau Kollegin Fuchs, für Sie besonders interessant.
Wie bereits vorher gesagt, geht es mir darum, darzustellen, daß jede Medaille zwei Seiten hat. Ich leugne nicht, daß es Probleme gibt und daß wir sorgfältig prüfen müssen, wo Handlungsbedarf besteht. Ich stelle aber auch gern fest, daß die Koalition bereit ist, bei einer Vielzahl der auch in dem vorliegenden Gesetzentwurf aufgegriffenen Themenkomplexe in eine sorgfältige - vor allem vorurteils- und ideologiefreie - Prüfung einzutreten. Allerdings darf nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden. Damit ist niemandem gedient.
Ohne Frage können die Kreditinstitute einiges auch selbst tun, um ihr angekratztes Image wieder aufzupolieren. Eine hervorragende Möglichkeit bietet sich hierzu, wenn z. B. Rationalisierungsgewinne durch den Einsatz modernster Technik bei den Dienstleistungen in Form niedriger Gebühren an die Kunden weitergegeben würden. Mich besorgt immer wieder, wenn ich feststelle, daß den Bankkunden allein an Gebühren für Dienstleistungen ca. 12 Milliarden DM abverlangt werden. Hier ist ein Ansatz gegeben, in verstärkten Wettbewerb zu treten und die Rationalisierungsgewinne an die Kunden weiterzugeben.
Ernst Hinsken
Meine Damen und Herren, um Wiederholungen der Ausführungen meiner Vorredner zu vermeiden, die bereits einiges zu Fragen des Depotstimmrechts, der Einführung eines Verbots für die Mitgliedschaft in Organen miteinander konkurrierender Unternehmen oder zur Frage der Begrenzung der Zahl der Aufsichtsratsmandate gesagt haben, möchte ich noch kurz auf einen Aspekt des Gesetzentwurfs eingehen, der sicherlich auch nähere Betrachtung verdient.
Mit Art. 4 Ihres Gesetzentwurfes beabsichtigen Sie weitreichende Änderungen des Vereinsrechtes. In der Begründung beklagen Sie die fehlende Kontrolle der Vereinsorgane. Als Beispiel hierfür führen Sie das „von seinen vielen Millionen Vereinsmitgliedern faktisch nicht kontrollierte ADAC-Management" an.
Das verstehe ich nicht. Ich bitte Sie, hierüber nochmals nachzudenken, sich einmal mit den Betroffenen in Verbindung zu setzen und sich bei ihnen zu informieren, wie dort vorgegangen wird und wie sie die Interessen ihrer Vereinsmitglieder vertreten. Auch hätte Ihnen ein Blick in die Satzung darüber Klarheit verschafft, daß der Club Einfluß auf die Verkehrspolitik nehmen will. Damit er dies auch im Einklang mit seinen Mitgliedern tut,
betreibt der ADAC ständig Motiv- und Imageanalysen.
Meine Damen und Herren, ich möchte die Gelegenheit nutzen, Banken und Unternehmen aufzufordern, aufeinander zuzugehen, um das angespannte Verhältnis zu entkrampfen. Das Liquiditätsproblem ist für viele Betriebe, insbesondere in den neuen Bundesländern, ein Kernproblem geworden.
An vielen Insolvenzen sind auch Banken schuld.
Zwar stehen in den alten Bundesländern zwei Drittel der Unternehmen den Banken positiv gegenüber, in den neuen Bundesländern ist das Verhältnis hingegen angespannt und nicht zufriedenstellend. Vielleicht mangelt es auch an wechselseitigem Verständnis.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist leider abgelaufen.
Ich komme gleich zum Ende, Frau Präsidentin.
Es nutzt dem Bankkunden aber nichts, über die Kreditvergabe zu jammern; er sollte vielmehr versuchen, die Position im Kreditgespräch zu verbessern. Deshalb möchte ich den Banken empfehlen, eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und die Unternehmen in Form von Veranstaltungen aufzuklären, anstatt millionenschwere Anzeigen und Werbespots zu schalten.
Ich meine, wir sind auf dem richtigen Weg, wenn wir dieses Thema aufgreifen. Wir werden unseren
Beitrag so leisten, daß, unter dem Strich gesehen, etwas Vernünftiges herauskommt, und versuchen, zu verhindern, daß das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.
Für die Aufmerksamkeit bedanke ich mich herzlich.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Otto Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht; aber so geht es einem, wenn man nur mit ein paar Stichworten spricht. Ich habe einen Punkt vergessen, den ich für wichtig halte.
Ich bin dafür, daß wir darüber nachdenken, wie wir die Größe der Aufsichtsräte verringern. Jedenfalls sollten wir keine Zwangsvorschriften haben, die besagen, daß bei einer bestimmten Belegschaftszahl der Aufsichtsrat mindestens 20 Mitglieder umfassen muß. Man kann in einem Gremium von 20 Mitgliedern plus acht Vorstandsmitgliedern und Zuarbeitern nicht mehr vernünftig diskutieren und keine Ergebnisse erzielen. - Dies ist kein Angriff auf die Mitbestimmung. Die IG Metall hat das erst einmal falsch verstanden; ich bin aber jetzt in einer recht vernünftigen Diskussion mit der IG Metall. An der Mitbestimmung soll nichts geändert werden. Sie wissen, daß ich an der 1976er Mitbestimmung mitgearbeitet habe. - Man sollte den Gesellschaften also freistellen, daß sie bei der Größe des Aufsichtsrats bis auf 12 oder 16 - ich möchte einmal mit zwölf anfangen - Mitglieder heruntergehen können. Ich wäre dankbar, wenn Sie darüber nachdächten; denn die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats ist so nicht gewährleistet.
Ein Nachtrag noch zum Kollegen Jens: Ich finde es besonders amüsant, daß Sie vorschreiben wollen, welche Partei welche Spenden bekommt. Wir haben im Parteienfinanzierungsgesetz Regelungen getroffen.
- Ich bin auch für die Gleichbehandlung aller Parteien. Das ist eine hervorragende Idee. Aber wohin wollen Sie eigentlich noch mit Ihren Vorschriften den Vorstandsmitgliedern gegenüber kommen? Sie werden denen auch noch vorschreiben wollen, ob sie Borussia Dortmund oder Schalke 04 eine Spende geben. Irgendwo hört es mit der Vorschreiberei auf.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Susanne Tiemann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema, über das wir uns heute so hitzig und emotionsgeladen unterhalten, ist ja wahrlich kein neues Thema. Ich erinnere Sie daran, daß wir dieses Thema seit 15 Jahren aus den verschiedensten Anlässen heraus und mit den verschiedensten Akzenten diskutieren. Der willkommene Anlaß ist nun wieder der Fall dieses Spekulanten Schneider, bei dem die Deutsche Bank ein wirkliches Fehlverhalten ihrer Kreditvergabe gezeigt hat, ein Fall, der mit Ihrem Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von der Opposition, aber wohl kaum hätte verhindert werden können. Hier müssen andere Maßnahmen ergriffen werden, hier muß die Verantwortung der Banken anders gepolt werden.
Mir erscheint es vor allem wichtig, daß sich die Banken auf ihre Verantwortung besinnen, die Kreditvergabe neu auszurichten - gerade auch auf kleine und mittlere Unternehmen. Ich möchte die Banken auffordern, aus eigener Kraft und in ihrem eigenen Interesse ein Kreditvergabeprogramm für die mittelständische Wirtschaft neu aufzulegen, das den spezifischen Gegebenheiten dieser Wirtschaft Rechnung trägt.
Ich meine, daß diese Debatte um das Schlagwort Bankenmacht für unser Wettbewerbs- und Kartellrecht ordnungspolitisch von überragender Bedeutung ist. Meine Damen und Herren, ich denke, es gibt keinen in diesem Hause, der die Mißstände, die wir beklagen, nicht erkannt hat und der nicht bereit wäre, alles zu tun, um sie mit geeigneten Mitteln abzustellen. Aber bei aller berechtigten Verärgerung über diese Mißstände dürfen wir uns keineswegs dazu hinreißen lassen - hiervor möchte ich wirklich warnen -, das ausgewogene System unseres Kartellrechts in Richtung eines staatlichen Dirigismus zu verfremden.
Ich meine, daß Korrekturen an diesem Kartellrecht jederzeit möglich sein müssen und gerade diese Diskussion Anlaß sein muß, darüber nachzudenken, es in Einzelheiten zu verändern. Aber Ihr Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von der SPD, ist mir einfach zu dirigistisch
und läuft Gefahr, unser bewährtes System des Kartellrechts mit planwirtschaftlichen Tendenzen zu verfremden - hiergegen wehre ich mich -,
gerade auf einem Schlüsselsektor für den Wirtschaftsstandort und den Finanzplatz Bundesrepublik Deutschland.
Hier müssen wir gemeinsam ganz andere Lösungen suchen und finden, um Transparenz und Kontrolle neu zu schaffen und möglich zu machen, so wie es auch in der Koalitionsvereinbarung steht. Diese Koalitionsvereinbarung - davon können Sie ausgehen - wird ernstgenommen und mit aller Akribie umgesetzt, aber eben unter den ordnungspolitischen Prämissen einer Sozialen Marktwirtschaft und nicht eines Dirigismus mit planwirtschaftlichen Elementen.
- Ich rede von Ihrem Gesetzentwurf und möchte uns alle dazu aufrufen, gerade auf diesem Sektor Verhältnismäßigkeit und Augenmaß als Leitlinie der Gesetzgebung zu beachten und zu beherzigen.
Und es ist keine Frage des Nichtwollens oder des Nichtkönnens, meine Damen und Herren von der Opposition, wie Sie verschiedentlich gesagt haben, sondern Ihr Gesetzentwurf ist einfach nicht dazu geeignet, diese Mißstände abzustellen. Das Ziel wird eben nicht durch neue bürokratische Belastungen für die Unternehmen erreicht,
sondern durch emotionsfreie Auflistung der Fakten und emotionsfreie Überlegungen, die wir gegenwärtig in unserer Arbeitsgruppe anstellen. Ausfluß davon wird der Gesetzentwurf sein, den wir noch vor der Sommerpause vorlegen werden.
Lassen Sie mich einige wenige Punkte ganz kurz aufgreifen. Da ist vor allem die Beschränkung der Beteiligung von Banken, die Sie vorsehen wollen. Wir alle wollen wirksame Maßnahmen gegen Verflechtungen und gegen Kartelle, die den Wettbewerb auf den Kapitalmärkten lahmlegen und die Kontrolle verhindern. Wir nehmen die ordnungspolitische Rolle des Staates sehr ernst, der Rahmenbedingungen dafür schaffen muß, daß der Wettbewerb wirklich funktionieren kann. Lassen Sie uns die Rolle der Banken bei Unternehmensbeteiligungen aber so sehen, wie sie wirklich ist. Mein Kollege Hinsken hat schon darauf hingewiesen, daß diese Unternehmensbeteiligungen seit vielen Jahren ständig zurückgehen und nur mehr 0,4 % betragen.
Ich möchte es mir nicht versagen, im Gegensatz dazu noch einmal die Beteiligungen der West-LB in Erinnerung zu rufen, die meines Wissens immer noch groß sind: im Bereich Maschinenbau die Mehrheit bei Gildemeister und Autania, im Bereich Touristik 30 % bei TUI, 90 % bei Thomas Cook, auf dem Kaufhaussektor 25 % bei Horten, 10 % bei Asko und im Stahl- und Anlagenbau 33 % bei der Preussag. So geht das fröhlich weiter: Köln-Düsseldorfer Rheinschiffahrt, Mauser, VEW, Babcock, Hoesch-Krupp, Harpener, Fuchs Petrolub, LTU, Accu-Hoppecke usw. - eine Fusion nach der anderen.
Ich bitte Sie, einmal mit Ihrem Finanzminister Schleußer darüber zu sprechen, ob er mit dem Programm, das Sie jetzt vorlegen, übereinstimmt.
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 39. Sitzung. Borin, Freitag, den 19. Mai 1995 3107
Dr. Susanne Tiemann
Meine Damen und Herren, unterschätzen wir es nicht, daß eine aktive Kooperation nötig ist, um Kredite abzusichern oder Finanzanlagen zu tätigen. Die Prosperität des Unternehmens, des Bankengeschäfts im Sinne der Aktionäre und Kreditnehmer ist ein Gut, das wir wahren und fördern müssen. Die Funktion der Anteilsbeteiligung für den Ertragsausgleich und das Risikopolster, das sich Banken schaffen müssen, ist nicht zu unterschätzen. Wir sollten das nicht generell verteufeln, sondern auf Ringbeteiligungen und tatsächliche Wechselbeteiligungen, die den Wettbewerb im Einzelfall nachgewiesenermaßen und wirklich beeinträchtigen, beschränken, alle kartellrechtlichen Möglichkeiten hiergegen ausschöpfen.
Sie haben die Rolle der Banken bei der Unternehmenssanierung bestritten. Meine Damen und Herren, reden wir doch nicht nur von den Großbanken und den Großunternehmen. Reden wir doch von den kleinen und mittelständischen Banken und von den kleinen und mittleren Unternehmen! Hier kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, daß gerade solche mittelständischen Banken bei der Unternehmenssanierung eine überragend wichtige Rolle spielen. Manches kleine Unternehmen würde nicht mehr leben, wenn nicht die Banken mit aktiver Beteiligung, die auch auf Jahre angelegt sein kann, einspringen würden.
- Wenn Sie sich darüber so aufregen, möchte ich Sie mit einer Bemerkung Ihres Kollegen Schröder beruhigen.
- Ich bin ganz ruhig, aber hören Sie doch noch einmal die weisen Worte des Ministerpräsidenten Schröder vor dem Sparkassentag in Hannover vor einigen Tagen. Er hat ganz klar gesagt: Es ist inkonsequent, die Banken immer zu rufen, wenn sie sich an Sanierungsfällen beteiligen sollen, ihnen aber andererseits das Recht auf profitables Engagement zu bestreiten. - Vielleicht sollten Sie mit Herrn Schröder noch einmal ein Wort wechseln, um seine Meinung mit Ihrem Gesetzentwurf abzustimmen. Das wäre meine Empfehlung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Debatte eignet sich weniger als jede andere dazu, emotional geführt zu werden. Hier geht es nicht darum, heilige Kühe zu bewahren. Auf der anderen Seite geht es aber auch nicht darum, einen Unternehmensbereich zu verteufeln, eine Hexenjagd auf einen Unternehmensbereich zu starten.
Hier geht es um eine verantwortungsvolle Aufgabe des Gesetzgebers, nämlich darum, das Vertrauen, das Banken und Versicherungen an unserem Finanzplatz und Wirtschaftsstandort Deutschland entgegengebracht wird, zu stärken und zu sichern. Hier geht es nicht um eine Diskussion, die das Vertrauen noch weiter untergräbt. Wir als Gesetzgeber haben die Verantwortung, uns auf Grund sicher festgestellter
Fakten zusammenzutun und nach Lösungen zu suchen, wie wir solche Rahmenbedingungen schaffen können. Das werden wir nach der Vorlage unseres Gesetzentwurfs tun.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Damit schließe ich die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/367 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Zusätzlich wird vorgeschlagen, den Entwurf auch an den Sportausschuß als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. wünschen, daß die Federführung beim Rechtsausschuß liegen soll, die Fraktion der SPD dagegen hat beantragt, daß die Vorlage zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen wird.
Das müssen wir jetzt abstimmen. Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Fraktion der SPD? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag der Fraktion der SPD ist damit mit der Mehrheit des Hauses abgelehnt worden.Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Koalitionsfraktionen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist damit angenommen worden.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis c und Zusatzpunkt 10 auf:12 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michaele Hustedt, Ursula Schönberger, Werner Schulz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDurchsetzung der Einhaltung des Stromeinspeisungsgesetzes- Drucksache 13/1303 -Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
RechtsausschußAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Köhne, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDSBürgschaftsverpflichtung der Bundesregierung zur Umsetzung des Stromeinspeisungsgesetzes- Drucksache 13/1309 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
RechtsausschußAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Metadaten/Kopzeile:
3108 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Mai 1995
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmerc) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU und F.D.P.Einhaltung des Stromeinspeisungsgesetzes - Drucksache 13/1397 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
RechtsausschußAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitZP10 Beratung des Antrags der Fraktion der SPDRespektierung des Stromeinspeisungsgesetzes - Für erneuerbare Energien- Drucksache 13/1384 -Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
RechtsausschußAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Peter Ramsauer.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen nun zu einem Tagesordnungspunkt, der nach den Diskussionen der letzten 14 Tage in diesem Hause sehr einheitlich behandelt werden dürfte.
Ich muß allerdings hinzufügen, daß der Anlaß, warum wir darüber diskutieren, eigentlich kein sonderlich erfreulicher ist.
Mit dem Stromeinspeisungsgesetz, das seit dem 1. Januar 1991 in Kraft ist, wurde in den vergangenen Jahren ein regelrechter Aufbruch bei der Verbreiterung der Basis regenerativer Energien erreicht. Das Gesetz verpflichtet die Elektrizitätsversorgungsunternehmen, die Einspeisung von Strom aus regenerativen Energieträgern in ihr Netz nach einem festgelegten Preis zu vergüten. Dieses Gesetz ist seither zu einem wichtigen Meilenstein in den Bemühungen und Anstrengungen von Bundestag und Bundesregierung geworden, die von uns selbst gesetzten CO2-Reduktionsziele mittel- und langfristig zu erreichen.
Daß die EVUs seit jeher, wohl aus ihrer Monopolstellung heraus, gegen das Stromeinspeisungsgesetz waren und es nach wie vor sind, ist hinlänglich bekannt. Denn schon heute hat sich das Stromeinspeisungsgesetz, wie gesagt, in hervorragender Weise bewährt. So hat sich die Stromerzeugung aus Anlagen im Wirkungsbereich des Stromeinspeisungsgesetzes nach plausiblen Schätzungen des Bundesverbandes für erneuerbare Energien von jährlich einer Milliarde Kilowattstunden vor Inkrafttreten des Gesetzes auf schon 3,5 Milliarden Kilowattstunden im
Jahr 1994 erhöht. Diese Steigerung um 2,5 Milliarden Kilowattstunden vermindert den jährlichen CO2-Ausstoß in Deutschland immerhin um 2,5 Millionen Tonnen.
Offensichtlich ist es aber den EVUs geradezu ein Dorn im Auge, daß ihnen, initiiert durch das Stromeinspeisungsgesetz, von den ungeliebten privaten, dezentralen und umweltgerechten Stromerzeugern immer mehr Konkurrenz erwächst.
Deshalb haben sie nun zur offenen Feldschlacht gegen das Stromeinspeisungsgesetz geblasen. Auf Grund eines Gutachtens sowie unter Hinweis auf das Verfassungsgerichtsurteil zum Kohlepfennig verweigern immer mehr EVUs die Einspeisevergütungen, die gesetzlich von ihnen zu bezahlen sind, bzw. leisten solche Einspeisevergütungen nur noch unter Vorbehalt.
Die Hinweise sowohl auf das von den EVUs bemühte Gutachten als auch auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Kohlepfennig erscheinen mir aber äußerst fadenscheinig. So schreibt beispielsweise der Gutachter Professor Arndt aus Mannheim:
Das „Finanzierungsmodell" des StrEG ist verfassungsrechtlich nicht unproblematisch ... Um keine „schlafenden Hunde" zu wecken, könnte daher der Stromwirtschaft empfohlen werden, die „Kröte" des Stromeinspeisungsgesetzes „zu schlucken" in der Hoffnung, man werde fürderhin in Frieden gelassen.
Meine Damen und Herren, diese Formulierung des Gutachters ist windelweich. Von dieser Formulierung die Verfassungswidrigkeit des Stromeinspeisungsgesetzes ableiten zu wollen, wie VDEW und immer mehr EVU es tun, ist eine absolute Fehlinterpretation.
Wir sollten uns die zwei Schlüsselsätze noch einmal auf der Zunge zergehen lassen: „Das Finanzierungsmodell", schreibt der Gutachter, also nicht das ganze Gesetz - er redet nur vom Finanzierungsmodell -, „ist verfassungsrechtlich nicht unproblematisch" . Das ist eine ganz weiche Formulierung.
Dann folgt des Gutachters Ratschlag, „um keine schlafenden Hunde zu wecken, soll die Stromwirtschaft diese Kröte lieber schlucken". Das ist doch eine eindeutige Empfehlung. Solch schlafende Hunde vermutet die Stromwirtschaft in großer Menge.
Ich erinnere beispielsweise an den Antrag des Landes Brandenburg zur Einbeziehung der KraftWärme-Kopplungen in das Stromeinspeisungsgesetz oder die immer lauter werdenden Forderungen der
Dr. Peter Ramsauer
Photovoltaikbtereiber auf kostendeckende Einspeisevergütungen und anderes mehr.
Dazu haben sich in den vergangenen Wochen die beiden Verfassungsressorts der Bundesregierung, das BMI und das BMJ, die sich erneut mit der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes befaßt haben, eindeutig geäußert. Sie sagen in allen Stellungnahmen sinngemäß: Sowohl bei grundsätzlicher Prüfung als auch im Lichte des Karlsruher Urteils zum Kohlepfennig ist das Stromeinspeisungsgesetz als verfassungskonform einzustufen.
Dennoch verweigern - angestiftet vom Dachverband der EVU, des VDEW - immer mehr EVU ihre Verpflichtungen nach dem Stromeinspeisungsgesetz. So werden derzeit an immer mehr Erzeuger regenerativer Energien Briefe mit folgendem Inhalt verschickt. Ich lese Ihnen beispielsweise aus einem Schreiben der Badenwerk AG in Karlsruhe vor.
- Ja, sie sind aber nicht die einzigen.
Ich darf aus dem Brief zitieren:
Sehr geehrter Herr ... Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kohlepfennig und ein Rechtsgutachten von Herrn Prof. Arndt, Mannheim, zur Einspeisevergütung haben deutlich gemacht, daß die Regelungen des Stromeinspeisungsgesetzes als unzulässige Sonderabgabe und als EU-widrige Subventionierung zu beurteilen sind. Damit entfällt der gesetzliche Grund für die Zahlung der Einspeisevergütung. Wir sind lediglich vertragsrechtlich zur Zahlung der Sätze gemäß Verbändevereinbarung verpflichtet.
In feudalherrschaftlicher Herablassung folgt dann der Ratschlag:
Sie haben es dann in der Hand, die Berechtigung unseres Vorgehens durch Einklagen überprüfen zu lassen.
Wie gnädig.
Ich betone deshalb noch einmal: Diese überzogene Interpretation, daß man wegen eines solchen Urteils von Recht und Gesetz entbunden sei, gibt das Gutachten nicht einmal im entferntesten her.
Es geht noch weiter: Das Badenwerk ging sogar so weit, sich unter dem Namen des diskriminierten Einspeisers selbst eine Rechnung zu niedrigeren Vergütungssätzen auszustellen, um das Vorgehen nach außen hin formal korrekt aussehen zu lassen.
- Es wird zur Zeit überprüft, Herr Kollege Scheer, ob das Urkundenfälschung oder ein anderer Straftatbestand ist.
Gnädigerweise hat der diskriminierte Einspeiser wenigstens eine Ablichtung dieser fingierten Rechnung zur Kenntnisnahme bekommen. Geradezu hinterfotzig ist es auch, daß solche Schreiben an Banken gingen, die regenerative Energieinvestitionen finanzieren.
Die Folgen sind fatal: Zum einen wurden daraufhin von den Banken bereits gegebene Finanzierungszusagen wieder zurückgezogen, und in vielen Fällen wurden potentielle Investoren derartig verunsichert, daß sie zunächst, bis die Dinge von uns in Bonn geklärt sind, von ihren Investitionsvorhaben ablassen. Sie wollen natürlich Rechtssicherheit haben. Dadurch unterlaufen die EVU ganz gezielt die Politik für regenerative Energien des Bundestags und der Bundesregierung.
Die EVU sollten sich auch an die umgekehrten Fälle der 80er Jahre erinnern, als ein paar Haushalte ihre privaten Stromrechnungen aus Protest gegen neue Kernkraftwerke nicht direkt an die EVU, sondern nur noch auf ein Treuhandkonto bezahlten. Die Stromwirtschaft protestierte damals - zu Recht, muß ich sagen - mit dem Vorwurf der Selbstjustiz. Heute, zehn Jahre später, leistet sich die gleiche Stromwirtschaft nichts anderes als diese Selbstjustiz.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion verurteilt deshalb das Vorgehen der EVUs, mit dem versucht wird, durch Rechtsbruch Fakten zu schaffen. Auch die Energiewirtschaft erwartet zu Recht langfristig belastbare Rahmenbedingungen für ihre Investitionstätigkeit.
Um so unverständlicher ist das eigenwillige und gesetzwidrige Vorgehen von immer mehr EVUs. Die Union ist weder bereit noch willens, diesen fortgesetzten Gesetzesbruch von seiten mancher EVUs weiterhin zu tolerieren.
Wir fordern deshalb die beteiligten Unternehmer auf, unverzüglich zu einem gesetzeskonformen Verhalten zurückzukehren, das Stromeinspeisungsgesetz voll anzuwenden und die Einspeisevergütungen weiterhin in voller Höhe und ohne Vorbehalt zu leisten.
Wir mißbilligen es auch ausdrücklich, wenn - wie es VDEW darstellt - nur einzelnen, mehr oder minder willkürlich ausgesuchten Einspeisern die Einspeisevergütung verweigert wird, um damit einen Musterprozeß bis hin zum Bundesverfassungsgericht in Gang zu setzen.
Beinahe unglaublich klingt der Rechtfertigungsversuch für dieses Vorgehen durch den Vorsitzenden von VDEW, der dies laut einer Agenturmeldung als
Dr. Peter Ramsauer
die - ich zitiere - „sanfteste mögliche Rechtsverletzung" beschönigt hat.
- In der Tat ein Skandal. - Ob sanft oder nicht: Wir verurteilen solches Handeln klipp und klar. Wir verlangen ein ausnahmsloses Befolgen der gesetzlichen Vorschriften ohne Wenn und Aber.
Wir dulden - um noch deutlicher zu werden - auch keinen exemplarischen oder ausnahmsweisen Rechtsbruch zur Ingangsetzung eines Musterprozesses. Deshalb verurteilen wir jeden Einzelfall, in dem von der Stromwirtschaft ein Einspeiser als Opfer herausgegriffen wird. Würden solche Ausnahmen zugelassen, so ließen wir als Gesetzgeber unkalkulierbar viele Einspeiser regenerativen Stroms an unserem langen Arm sozusagen verhungern. Denn diejenigen, die bereits heute diskriminiert werden, haben nach ihrem eigenen Bekunden im Vertrauen auf das Gesetz hohe Kapitalbeträge investiert, und denen fehlen jetzt die notwendigen Rückflüsse zur Bedienung ihrer Investitionen und der dafür gemachten Schulden.
Wir dürfen diese Leute nicht im Regen stehenlassen. Wir müssen ihnen als Gesetzgeber Schutz bieten; sonst werden sie von den EVUs in den Ruin getrieben.
Wir fordern aber auch die zuständigen Verbände auf, namentlich VDEW und seine Landesverbände, darauf hinzuwirken, daß die beteiligten Mitgliedsunternehmen wieder zu einem gesetzeskonformen Verhalten zurückkehren.
Dies heißt im Klartext, daß die bisherigen Empfehlungen zur Rechtsverweigerung in entsprechenden Rundschreiben schlicht und einfach rückgängig gemacht werden müssen.
Im übrigen ist die Front der Stromwirtschaft interessanterweise gar nicht so geschlossen: VEW hat sich vom Verhalten der VDEW distanziert und gesagt, die Beträge, die im Rahmen des Stromeinspeisungsgesetzes aufgewendet werden müßten, würden die EVUs nicht gerade ins Armenhaus bringen.
Ich glaube, dies ist wahr, wenn man bedenkt, was die EVUs alles so zusammenkaufen, vor allem aber, daß das von VDEW behauptete Subventionsvolumen durch das Stromeinspeisungsgesetz beim Strompreis nur ganze 0,03 Pf/kWh ausmacht. Im Vergleich dazu betragen die ganzen anderen politischen Sonderlasten im Strompreis, beispielsweise durch Kohlesubventionierung oder bei der Kernkraft, 6,0 Pf/kWh. Da kann man wirklich sagen, daß 0,03 Pf/kWh für die Förderung regenerativer Energien im Vergleich zu 6,0 Pf/kWh eine vollkommen marginale Größe ist.
Da kann ich nur zitieren, was vorgestern die „Husumer Nachrichten" geschrieben haben - ich zitiere hier aus einem Artikel unter der Überschrift „Monopol und Prinzip" -:
Bei dem Streit um das Stromeinspeisungsgesetz geht es nicht ums Geld. Es geht vor allem um die Sicherung der Macht und Monopolstellung der Stromkonzerne.
Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Wie wahr!
Ich fordere auch die Bundesregierung auf, alle ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen zu ergreifen, die in Frage stehenden EVUs wieder zu einem rechtmäßigen und gesetzeskonformen Handeln zu verpflichten. Die Aufsichtsbehörden der Länder müssen tätig werden.
Sollte all dies nichts fruchten, müssen wir darangehen, bei einer Novellierung des Stromeinspeisungsgesetzes einen Straftatbestand einzuführen; denn ich sehe nicht ein, daß wir mit unserem scharfen Umweltstrafrecht jeden kleinen Umweltsünder zu Recht an die Kandare nehmen. Wenn sich EVUs bei der Förderung regenerativer Energien gesetzeswidrig verhalten, müssen auch sie mit dem Staatsanwalt rechnen.
Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsausschuß des Bundestags hat bereits vorgestern einstimmig eine Entschließung verabschiedet, in der das Vorgehen der EVUs verurteilt wird und diese aufgefordert werden, den Verpflichtungen aus dem Stromeinspeisungsgesetz zu entsprechen und die gesetzlich vorgeschriebenen Einspeisevergütungen in voller Höhe und ohne Vorbehalt zu leisten.
Wenn ich mir nun die Inhalte der heute vorliegenden Anträge - gerade auch von SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - durchsehe, kann ich sagen, daß sich das meiste davon auch mit den Auffassungen meiner Fraktion deckt.
Ich sehe hier gute Chancen, daß wir in den Ausschußberatungen zu einem gemeinschaftlichen Vorgehen kommen. Es stünde uns als Gesetzgeber deshalb auch gut an, hier dann in der Endberatung mit einer Sprache gegen die Gesetzesbrecher zu reden.
Meine Damen und Herren, ich fordere deshalb die EVUs und ihre Verbände nochmals eindringlich auf, ihren Boykott des Stromeinspeisungsgesetzes sowie ihren Feldzug gegen regenerative Energien unver-
Dr. Peter Ramsauer
züglich zu beenden. In dieser Beurteilung, meine Damen und Herren, dürfte wohl auch ein wichtiger kleiner Energiekonsens aller in diesem Hause vertretenen Parteien liegen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hermann Scheer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte auch im Namen der SPD-Fraktion jedes Wort unterstreichen, das der Kollege Ramsauer hier gesagt hat. Es trifft meine volle Zustimmung.
Ich glaube, es ist wichtig für das Selbstverständnis des Parlaments, daß es sich hier gemeinsam gegen den Versuch der Vereinigung der deutschen Elektrizitätswirtschaft wehrt, Staat im Staat zu spielen. Hier geht es um mehr als nur um ein Gesetz. Hier geht es um die Prinzipien einer parlamentarischen Demokratie, die jeder einhalten muß, wenn wir die Zukunft friedlich gestalten wollen.
Die unverfrorenen Rechtsbrüche von Unternehmen, die ihre Monopolstellung nicht eigenen Leistungen, sondern dem Energiewirtschaftsrecht verdanken, erinnern uns daran, daß es in der Zukunft im wesentlichen darum gehen muß, genau diese Monopolstellungen zu andern, denn das ist der Kern des Übels und auch der Kern des falschen Selbstverständnisses, das hinter dem Vorgehen der VDEW steht, was das Verhalten in keiner Weise entschuldigt.
Die von dem Kollegen Ramsauer beschriebenen Vorgänge sind Teil einer drehbuchartig angelegten Kampagne, die sich schon länger hinzieht. All die Rechtsbrüche gegen das Stromeinspeisungsgesetz, gegen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb sind hier aufgeworfen. Sie sind nur ein Element in einer schon lange wirkenden Kette, die z. B. mit der Weigerung der Stadtwerke Aachen begonnen hat, die mehrfachen Stadtratsbeschlüsse für eine kostengerechte Vergütung umzusetzen.
Dazu gehört auch die Ignorierung des BGH-Ur, teils durch die VDEW, wonach das sogenannte VDEW-Modell der Stromeinspeisungsvergütung für
erneuerbare Energien für rechtswidrig erklärt worden ist.
Das Argument, der Rechtsbruch sei Voraussetzung für eine von der VDEW gewünschte gerichtliche Auseinandersetzung, ist dabei gleichzeitig eine Entstellung und eine Beleidigung des demokratischen Rechtsstaats, denn in diesem kann man den Gerichtsweg auch ohne vorhergehenden Rechtsbruch gehen. Das ist das normale Vorgehen, nicht aber das der VDEW.
Der Versuch, dieses mit dem Satz zu umkleiden, es handele sich - wie der Kollege Ramsauer schon zitiert hat; man muß das jedoch noch einmal zitieren, damit das allen in Erinnerung bleibt - um den „sanftestmöglichen Rechtsbruch", ist im Grunde genommen gleichbedeutend damit, daß einer nach einem bewaffneten Bankeinbruch Straffreiheit verlangt,
weil er nachweisen kann, daß er eine Wasserpistole hatte statt einer echten Pistole.
Das sind Vorgänge, die wirklich alles auf den Kopf stellen, was eigentlich normal sein sollte.
Die Stromwirtschaft betreibt einen Feldzug gegen erneuerbare Energien. Sie lehnt faktisch alles ab, was zu deren breiter Markteinführung beitragen kann. Das Stromeinspeisungsgesetz will sie außer Kraft setzen, eine Energiesteuer will sie verhindern, die erneuerbaren Energien sollen sich auf dem Markt, wie es heißt, durchsetzen; aber gleichzeitig versperrt sie mit ihrer Monopolstellung den Zugang.
Die VDEW begeht nicht nur einen Rechtsbruch, sondern sie verbreitet auch unseriöse Behauptungen. Die angeblichen Mehrbelastungen durch das Stromeinspeisungsgesetz sind unbewiesen. Sie sind in jedem Fall weit übertrieben. Die Behauptung ist falsch, damit würden die erneuerbaren Energien in marktwirtschaftswidriger Weise subventioniert. Es ist keine Subvention, um die es hier geht. Die Wahrheit ist, daß erst das Stromeinspeisungsgesetz für erneuerbare Energien einen fairen Marktzugang sichergestellt hat, der von der Stromwirtschaft und ihrer Monopolstellung zuvor verhindert wurde und jetzt wieder verhindert werden soll.
Das Stromeinspeisungsgesetz für erneuerbare Energien führt zu mehr und nicht zu weniger Marktwirtschaft. Das ist es, was hier festgestellt werden muß.
Dr. Hermann Scheer
Das Ziel der VDEW ist, über jahrelange Auseinandersetzungen vor Gericht die Betreiber von Anlagen erneuerbarer Energien so zu verunsichern und zu zermürben, daß deren gerade begonnener zügiger Ausbau zum Erliegen kommt. Wenn die Bundesregierung und die zuständigen Länderregierungen hier nicht die Wiederherstellung des Rechts versuchten, wenn sie die Herstellung des Rechts allein den privaten Betreibern überließen, dann hätte sich die VDEW durchgesetzt; denn dann könnte ihre Zermürbungstaktik tatsächlich erfolgreich ausgehen.
Wenn die Stromwirtschaft zur Beachtung des Atomgesetzes den Einsatz von Staatsanwaltschaft und Polizei verlangt und Landesregierungen angewiesen werden, das Atomgesetz einzuhalten, dann muß auch die Beachtung des Stromeinspeisungsgesetzes durch Verfügungen, durch Einsatz notfalls von Staatsanwaltschaft und damit auch der Polizei erzwungen werden.
Auch Vorstandsmitglieder von EVU können in Beugehaft genommen werden. Sie sind nicht davon ausgenommen, nur weil sie zufällig eine Million DM im Jahr verdienen.
Wenn Minister als Vertreter öffentlicher Anteilseigner in Aufsichtsräten von rechtsbrechenden Energieversorgungsunternehmen sitzen, wie etwa der baden-württembergische Finanzminister MayerVorfelder als Aufsichtsratsvorsitzender der Badenwerk AG, dann gebietet es ihr Amtseid, den Rechtsbruch ihres Unternehmens zu unterbinden, die verantwortlichen Vorstandsmitglieder abzumahnen und im Falle fortgesetzter Weigerung zu entlassen.
Der Rechtsbruch gegen das Stromeinspeisungsgesetz ist eine Provokation gegen die demokratischen Verfassungsorgane. Die Exekutivorgane müssen den von der VDEW eingeleiteten Rückfall in ein Faustrecht und die Entstehung libanesischer Verhältnisse verhindern. Darauf muß der Bundestag bestehen.
Die Redezeit des Kollegen war leider abgelaufen; deswegen konnte ich keine Zwischenfrage mehr zulassen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Michaele Hustedt.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte ist bemerkenswert, und ich muß sagen: Ich finde es sehr, sehr gut, daß sich die bisherigen Redner - ich selbst komme gleich dazu - in den
Aussagen einig sind, und ich hoffe, es bleibt auch bei meinen nachfolgenden Rednern so.
Die Praxis der EVUs ist ein eindeutiger Gesetzesbruch. Dieses Verhalten ist eine eklatante Mißachtung des Deutschen Bundestages, des Bundesrates und der rechtsstaatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland.
Das dürfen wir uns als Parlament, als gesetzgebendes Organ, nicht gefallen lassen. Das darf sich auch eine Regierung nicht gefallen lassen, wenn man nicht den Weg in die Bananenrepublik Deutschland eröffnen will.
Deswegen - da schließe ich mich meinen Vorrednern ausdrücklich an - sollten wir hier als Bundestag mit einer einzigen und lauten Stimme antworten.
Lassen Sie uns ein einmütiges Zeichen setzen! Lassen Sie uns das Verhalten der Energieversorger scharf verurteilen! Lassen Sie uns die EVU auffordern, diesen Rechtsbruch unverzüglich zu beenden!
Der Antrag der Regierungskoalition ist von der F.D.P., wie ich hörte, auch zur Enttäuschung von CDU/CSU, leider etwas verwässert worden. Mich wundert das nicht: Mitverhandelt hat Herr Graf Lambsdorff, und er hat es ja selber in der Vergangenheit nicht so ernst genommen.
Die Vereinigten Elektrizitätswerke fordern offen zu einem schweren Rechtsbruch auf. Wenn der Wirtschaftsminister andeutet, daß ein bißchen Rechtsbruch akzeptiert werden kann - ich möchte das einmal zitieren: „mit der sanftesten Möglichkeit eines Rechtsbruchs" -, dann ist das absolut skandalös. In dieser Frage kann es keine Relativierung geben.
Dieses Verhalten der EVU ist aus meiner Sicht keine Kleinigkeit, sondern eine offene und bewußte Machtprobe - Hermann Scheer hat schon darauf hingewiesen - mit Politik und Staat. Hier müssen wir ohne Zaudern gegenhalten.
Meine Damen und Herren, die F.D.P. sollte doch einmal die Lehre aus den Wahlen ziehen. Der Wähler belohnt es nicht, wenn sich eine Partei zum blinden Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft degradiert.
Michaele Hustedt
- Wir werden auch einen gemeinsamen Antrag machen.
Mir geht es um folgenden Punkt: Wenn man von Marktwirtschaft redet, darf man sich nicht als Lobbyistenvertreter für die Monopole verstehen. Man muß in diesem Zusammenhang eindeutige Worte finden; man darf das nicht relativieren.
- Selbstverständlich. Ich rede hier nicht gegen die Union; weil ich genau weiß, daß sie auch meine Position vertritt. Ich halte die Position der Union für vollständig richtig. Ich kann wie auch Hermann Scheer jedes Wort der Rede von Herrn Ramsauer unterstützen.
- Das war nicht nur schwarz-grün, sondern schwarzrot-grün.
Man braucht nicht viel Geld in die Hand zu nehmen, um erneuerbare Energien zu fördern. Dieses Instrument - auch darin sind wir uns einig - hat sich als sehr erfolgreich zur Förderung erneuerbarer Energien erwiesen. Davon hat in der Vergangenheit besonders die Windenergie in der Bundesrepublik profitiert. Zuwachsraten von jeweils über 100 % sind zu verzeichnen gewesen. Heute haben wir bereits über 640 Megawatt elektrische Leistung durch Windenergie bereitgestellt. Das ist halb so viel, wie von einem Atomkraftwerk der Klasse Biblis bereitgestellt wird.
Mit gutem Willen sind aber noch viel größere Erfolge möglich. Zum Beispiel im bayerischen Hammelburg wurde durch die Einführung kostendeckender Vergütung für Photovoltaikanlagen ein wahrer Boom ausgelöst. In einem Jahr wurden Anlagen mit einer Leistung von insgesamt 6,2 Kilowatt installiert. Damit liegt das bayerische Hammelburg bei der ProKopf-Stromerzeugung aus Photovoltaikanlagen um das 18fache über dem von der bayerischen Landesregierung prognostizierten maximalen Durchschnittswert.
Wenn Kohls Wort von der Klimakonferenz gilt, heißt das, daß die Bundesrepublik diesen Weg konsequent so weitergehen muß.
- Ja, Bayern ist vorn.
Das allerdings sehen die Energieversorgungsmonopole anders. Der Grund dafür liegt weniger in der Furcht vor den erhöhten Ausgaben durch die Einspeisung des umweltverträglich produzierten Stroms. Die Kosten bewegen sich im Bereich von 1 Promille, sind also „peanuts". Die Tatsache, daß die Härtefallregelung bislang von keinem EVU in Anspruch genommen wurde, beweist doch wohl, daß diese Ausgaben keine besondere Härte darstellen. Regionale Unterschiede könnten bei gutem Willen beispielsweise durch einen Fonds der EVU ausgeglichen werden.
Auch für die Stromkunden bedeutet das keine unzumutbare Belastung. Selbst wenn man das Gesetz auf Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen und auf eine kostendeckende Vergütung der Photovoltaik ausweitete, würde der Strompreis nach dem Wegfall des Kohlepfennigs immer noch beträchtlich sinken.
Die Ursache für die harte Konflikthaltung der EVU liegt woanders. Es geht hier um das Prinzip. Durch das Stromeinspeisungsgesetz wird der Markt für Privatinvestoren und für Kleinanbieter geöffnet. Noch ist der Anteil an erneuerbaren Energieträgern dabei zwar gering. Aber ganz nüchtern: Die Praxis zeigt, es kann erfolgreich werden, und das wollen die Monopole verhindern. Ohne Kampf geben sie ihren Marktanteil an althergebrachten Energieträgern und ihre Monopolstellung nicht auf.
Wenn es aber nicht mit den EVUs geht, muß es eben gegen sie gehen. Der Vorstoß der EVUs geht eindeutig nach hinten los, wenn man diese Debatte betrachtet. Das sollte ihnen meiner Meinung nach eine Lehre sein. Der Wille, das Stromeinspeisungsgesetz zu novellieren und zu verschärfen, ist eher stärker geworden. Das heißt, die EVUs haben genau das Gegenteil dessen erreicht, was sie erreichen wollten.
Ich glaube auch, daß wir den richtigen Weg gehen, gerade hinsichtlich Deregulierung und Förderung des Marktes. Denn dafür ist das Stromeinspeisungsgesetz genau das richtige Instrument: Es ist erfolgreich, belastet den Haushalt nicht, schafft einen Markt und baut keinen Verwaltungsdschungel auf.
Für uns geht es darum, übergeordnet über die Gewinnansprüche der Monopole das Gesamtwohl der Gesellschaft in den Mittelpunkt zu stellen, d. h. zu den effektivsten Mitteln zu greifen, um schnellstmöglich den Anteil an regenerativen Energieträgern auszubauen.
Darüber, wie es weitergehen soll, sind wir uns vielleicht nicht ganz einig. Aber speziell in diesem Punkt hat sich deutlich gezeigt, wie ich meine, daß meine Vorredner und ich dieselbe Position haben.
Deswegen sage ich zum Schluß: Ich unterstütze die Aussage von Herrn Ramsauer - dieses Gesetz wurde im Bundesrat und im Bundestag einstimmig verabschiedet -, daß es sich hier um die Basis für einen Energiekonsens handelt. Ich hoffe genau wie meine Vorredner in dieser Debatte, daß es in den Ausschüssen zu einer gemeinsamen scharfen Verurteilung des Gesetzesbruches kommt. Denn hier geht es um das Verhältnis von Politik und Staat zur Wirtschaft. Hier geht es um die Demokratie. Hier geht es um das Selbstverständnis des Deutschen Bundesta-
Michaele Hustedt
ges. Wir sollten uns durch die Monopole nicht zum Kasper der Nation machen lassen.
Jetzt hat der Abgeordnete Paul Friedhoff das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Gesetz über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz ist 1990 vom Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit verabschiedet worden. Fünf Jahre nach seinem Inkrafttreten rückt es zunehmend in das Interesse der Öffentlichkeit. Die Wogen der Diskussion gehen hoch. Denn das Stromeinspeisungsgesetz kennt nicht nur Befürworter, auch wenn das hier anders aussieht. Die aus meiner Sicht zum Teil unverständlich aufgeregte Diskussion heute hier und auch am Mittwoch im Wirtschaftsausschuß hat dies deutlich gemacht.
- Sie brauchen sich doch gar nicht aufzuregen. Hören Sie einmal zu!
Meine Damen und Herren, ich möchte deshalb als erstes und unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß die F.D.P. zum Stromeinspeisungsgesetz steht; denn es zählt zu den wichtigen Förderinstrumenten für die erneuerbaren Energieträger.
- Manchmal generiert man Masse dadurch, daß man etwas klasse macht.
Mit diesem Gesetz, das auf eine Initiative der Koalitionsfraktionen zurückgeht, haben wir in den vergangenen Jahren den Ausbau der erneuerbaren Energieträger maßgeblich beeinflussen und steigern können.
Das ist gut so. Denn der nachhaltige Ausbau des Anteils erneuerbarer Energieträger am Energiemix gehört zu den wesentlichen energiepolitischen Zielen der F.D.P. Das haben wir auch im Parlament mehrfach unter Beweis gestellt.
Als im vergangenen Jahr das Energieartikelgesetz verabschiedet werden sollte, das in einem ersten Entwurf nur die Regelung der Finanzierung der westdeutschen Steinkohle und die Novellierung des Atomgesetzes vorsah, haben die Koalitionsfraktionen deutlich gemacht, daß das nicht ausreicht.
Wir haben es erfolgreich nachbessern können und es auf drei Säulen gestellt: Neben der Steinkohlefinanzierung, der Ermöglichung der direkten Endlagerung und der Festschreibung von erhöhten Sicherheitskriterien für den Bau möglicher zukünftiger
Kernkraftwerke haben wir eine Änderung des Stromeinspeisungsgesetzes durchgesetzt. Einspeisevergütungen sind erheblich verbessert worden. Biomasse ist als regenerativer Energieträger dazugekommen. Damit ist die Basis für den Ausbau der regenerativen Energien wesentlich erweitert worden.
Meine Damen und Herren, das klingt alles wie eine Erfolgsstory.
Ein Gesetz also, das die Nutzung erneuerbarer Energieträger fördert und damit dazu beiträgt, die anstehenden Klimaschutzprobleme zu lösen? Ohne Zweifel ist dies richtig. Aber werden wir mit dem Stromeinspeisungsgesetz auch unseren energiepolitischen Zielen gerecht, die wir in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben haben:
Die stärkere wirtschaftliche Nutzung erneuerbarer Energien ist ... notwendig. Deshalb werden die rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen weiter verbessert und die Markteinführung und Nutzung der erneuerbaren Energien verstärkt gefördert.
Die Antwort ist klar: Das Stromeinspeisungsgesetz ist nur eine Maßnahme unter vielen. Eine gezielte Markteinführungshilfe im Sinne einer Anschubfinanzierung mit zeitlicher Begrenzung ist es mit Sicherheit nicht. Vielmehr werden Einspeisepreise vorgeschrieben, die, auch wenn Sie das, Herr Kollege Scheer, anders sehen, als Dauersubventionen angelegt sind und über den wirtschaftlichen Wert des eingespeisten Stroms deutlich hinausgehen.
- Es gehört zur Ehrlichkeit, das hier feststellen zu dürfen, auch wenn es Ihnen nicht paßt.
Meine Damen und Herren, einzelne Regionen - darin liegt das Problem -, insbesondere in Norddeutschland, sind davon besonders betroffen. So sind zur Zeit im IHK-Bezirk Emden etwa 300 Windenergieanlagen errichtet, weitere 150 bereits genehmigt, aber noch nicht aufgestellt, und für weitere 756 liegen Genehmigungsanträge vor. Man sieht, daß das Gesetz wirkt und daß eine entsprechende Lenkung erfolgt, die ja auch gewünscht ist.
Die niedersächsische Landesregierung plant, bis zum Jahre 2000 ein 1 000-Megawatt-Programm zu realisieren. 600 Megawatt davon sollen auf das WeserEms-Gebiet entfallen.
Dies ist nur ein Beispiel für die aus dem Stromeinspeisungsgesetz resultierende Sonderbelastung einer Region, die sich im Strompreis widerspiegelt, auch wenn Sie das verneint haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt und des Kollegen Scheer?
Ja.
Ich halte die Uhr an. - Bitte.
Ich habe eine Frage: Verurteilen Sie den Rechtsbruch der EVUs eindeutig und ohne Wenn und Aber?
Ja, natürlich. Das ist gar keine Frage. Im Wirtschaftsausschuß habe ich dazu Stellung bezogen. Wir haben hier einen entsprechenden Antrag. Ich weiß nicht, was diese Frage soll. Wenn Sie den Antrag lesen würden, würden Sie das feststellen. Das ist so.
Ich habe soeben für die F.D.P.-Fraktion erklärt, daß wir zu dem, was wir beschlossen haben, eindeutig stehen. Wenn Gesetze mißachtet werden, wenn jemand einen Rechtsbruch begeht, ist es für meine Partei selbstverständlich, daß wir das verurteilen. Aber die Frage kann ich auch ein bißchen anders interpretieren.
Herr Kollege, es geht mir nur um die Klarstellung, daß all dies, wieviele Widersprüche oder Unzulänglichkeiten der eine oder der andere dabei sehen mag oder nicht sehen mag, einen Rechtsbruch in keiner Weise legitimiert.
Ja, das ist völlig klar. Ich halte das für selbstverständlich. Daß Sie nachfragen und daß man darüber lange diskutieren muß, macht mich etwas nachdenklich.
Wir fühlen uns nicht nur als eine Rechtsstaatspartei, sondern wir sind eine Rechtsstaatspartei. Aus diesem Grunde ist das für uns wirklich selbstverständlich.
Ich möchte zu einem Beispiel kommen, das sehr drastisch ist und das mir meine Kollegin mit auf den Weg gegeben hat. Auf den Buxtehuder Stromverbraucher würden zusätzliche Kosten von ca. 500 DM pro Haushalt zukommen, wenn die örtliche Planung der Stadtwerke, 50 Anlagen mit je 1,5 Megawatt und einer Jahresstromleistung von 110 Millionen Kilowattstunden zu installieren, greift. Ist das noch gerechtfertigt?
Meine Damen und Herren, Dreh- und Angelpunkt unserer Überlegungen zur Förderung erneuerbarer Energien muß daher die Art der Finanzierung sein. Durch die Regelungen im Stromeinspeisungsgesetz wird der Beihilfecharakter des Gesetzes verwischt. Die Erstattung der über die vermiedenen Kosten hinausgehenden Kosten sind Subventionen für die begünstigten Energieträger, die auf Dauer angelegt
sind. Im Sinne der Klarheit wäre eine wettbewerbsneutrale Finanzierung die bessere Alternative; denn die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland und hier insbesondere einzelner Regionen darf nicht durch eine einseitig ausgerichtete Energiepolitik gefährdet werden. Zu Recht hat die Bundesregierung bei Verabschiedung des Gesetzes erklärt - ich zitiere -:
Ein derartiger Förderweg in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nur ausnahmsweise und in eng begrenzten Fällen vertretbar.
Vor diesem Hintergrund ist die Einstellung der Zahlungen von drei EVUs an jeweils einen Einspeiser zu verstehen. Sie basiert auf der Überzeugung, gestützt auf ein Rechtsgutachten von Professor Arndt, Universität Mannheim, daß das Stromeinspeisungsgesetz nicht verfassungsgemäß sei. Die F.D.P. respektiert diese Sicht der Dinge. Die F.D.P. ist jedoch davon überzeugt, daß die Verfassungsmäßigkeit des Stromeinspeisungsgesetzes gegeben ist. Dies hat die Bundesregierung zuletzt auf Anfrage des Kollegen Ramsauer vor 14 Tagen in der Fragestunde des Deutschen Bundestags bestätigt. Deshalb fordern wir die EVUs auf, schnellstmöglich zu einem gesetzeskonformen Verhalten zurückzukehren und die Zahlungen in voller Höhe sicherzustellen.
Ich hoffe, Sie sind nun zufrieden. Ich habe das jetzt noch einmal erklärt; ich wollte vorher einige Dinge im Zusammenhang klarstellen, um dann zu diesem Schluß zu kommen. Denn im Gegensatz zu vielen anderen sehe ich mir erst die Fakten an und ziehe dann die Schlußfolgerungen, anstatt mit Schlußfolgerungen anzufangen und dann die entsprechenden Fakten zusammenzusuchen.
Auf der Basis des Berichts der Bundesregierung zum Stromeinspeisungsgesetz, den der Bundeswirtschaftsminister noch vor der Sommerpause vorlegen wird, werden wir über notwendige und auch über zusätzliche Schritte zur Förderung erneuerbarer Energieträger beraten. Dabei ist unser Handlungsrahmen durch die energiepolitischen Ziele einer kostengünstigen, ressourcen- und umweltschonenden Energieversorgung vorgegeben.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Rolf Köhne.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben heute den historischen Moment, daß es von der CSU bis zur PDS in einem wesentlichen Punkt Einigkeit gibt.
Deswegen habe ich mein Redemanuskript auch
gleich auf dem Platz liegenlassen. Ich habe den Aus-
Rolf Köhne
führungen des Kollegen Ramsauer, des Kollegen Scheer und der Kollegin Hustedt nichts hinzuzufügen.
Das möchte ich unterstreichen. Wir werden sowohl dem Antrag der CDU wie auch dem Antrag der SPD zustimmen.
Ich möchte nur noch kurz erläutern, was wir uns bei unserem Antrag gedacht haben.
Wenn jetzt seitens der EVUs Klagen gegen einzelne erhoben werden, so kommen die Beklagten dadurch eventuell in Schwierigkeiten, weil die Banken möglicherweise sagen, da fließe kein Geld mehr oder das sei unsicher, und deshalb keine Kredite mehr bewilligen. Deswegen sind wir der Ansicht, die Regierung müsse in diesem Fall mit einer Bürgschaft in dieses Geschäft eintreten und sagen: Das ist sowieso alles verfassungskonform; es wird später gezahlt, wenn der Prozeß zu Ende ist. Dann kämen die davon betroffenen Unternehmen nicht in Schwierigkeiten.
Ich denke, das ist eine einfache und unbürokratische Maßnahme, damit die ja willkürlich herausgegriffenen Unternehmen keinen Schaden erleiden.
Das war's. Vielen Dank.
Es ist tatsächlich eine erstaunliche Debatte.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dietmar Schütz.
Ja, ich weiß.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat eine erstaunliche Debatte. Es ist nicht häufig, daß wir hier im Parlament, in den Fachausschüssen und auch im politischen Vorfeld - auf Podiumsdiskussionen - so einhellig und geschlossen eine Position vertreten. In Fragen des Stromeinspeisungsgesetzes werden wir uns gegen die Attacken der VDEW wenden und diese zurückweisen.
Ob auch die Bundesregierung das so eindeutig sieht und die Kampagne der Stromwirtschaft ablehnt, ist allerdings zweifelhaft. Herr Kolb, ich hake noch einmal nach. Das im Wirtschaftsausschuß vorgelegte Papier des F.D.P.-gelenkten Bundeswirtschaftsministeriums deutet in dem Passus, „daß die Kürzungen nur bis zur Klageerhebung vorgenommen werden" eher darauf hin, daß der Rechtsbruch insoweit akzeptiert wird. Sie haben die Gelegenheit, das noch einmal klarzustellen.
Die EVUs und die VDEW haben es lange Zeit versäumt, Verfassungsbeschwerde innerhalb der Frist des Art. 93 des Grundgesetzes zu erheben. Nun wird durch die Zahlungsverweigerung je eines Stadtwerkes, eines Regionalversorgers und eines Verbundunternehmens in dieser Kampagne versucht, über den Klageweg bei einem ordentlichen Gericht eine Verfassungsgerichtsentscheidung zu erzwingen.
Ich halte die gezielte Provokation der Ausreizung und Überreizung des Rechtsstaates durch Zahlungsverweigerung - nach dem Motto: Jeder kann dann doch klagen, um sein Recht zu erhalten! - politisch und rechtsstaatlich für bodenlos unanständig.
Der kalkulierte Rechtsbruch im Wege der Selbstjustiz eines derartigen Unternehmens hat Signalwirkung auf die Rechtskultur insgesamt.
Wie hat die VDEW denn auf die Boykottmaßnahmen der Stromkunden bei den Antiatomstromkampagnen reagiert? Wie kann sie glaubwürdig die Ausreizung des Rechtsstaats bei Sitzstreiks und anderen Demonstrationsformen kommentieren, wenn sie mit der Arroganz des Monopols - so hat es der Kollege Carstensen gesagt - ihre Wirtschaftsmacht in Rechtsmacht umzusetzen sucht?
Wenn Strommonopole eine derartig massive Kampagne gegen ein von diesem Hohen Hause einstimmig verabschiedetes Gesetz vorbereiten, sollten sie das Sprichwort beherzigen: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen. Was wäre denn, wenn im Rechtsstaat durch den Bürger oder den Gesetzgeber, also auch durch uns, die rechtlichen Freundlichkeiten für die Stromwirtschaft auf den Prüfstand kämen, etwa die problemlose Weitergabe der Vollkosten an die Kunden, die wegen der Gebietsmonopole nicht dem Wettbewerb unterliegen? Sie erhalten problemlos die Kosten, die sie den Einspeisern verweigern. Oder die steuerfreien Rückstellungen in Milliardenhöhe, die der Entsorgung der KKW dienen sollen. Oder die Nichtversicherung der KKWs, während etwa die Wasserkraftwerke in Bayern und Baden-Württemberg hohe Versicherungspolicen zu tragen haben. Das sind Monopolvorsprünge.
Die Vorstellung, daß der gesetzliche Abnahmezwang für Strom aus erneuerbaren Energiequellen aus kartellrechtlicher Sicht als Gegengewicht zum Leitungsmonopol gerechtfertigt ist, war doch einer der Gründe für die Verabschiedung des Stromeinspeisungsgesetzes. Um es kürzer zu sagen: Monopolist sein verpflichtet. Das sollten die Stromunternehmen an dieser Stelle beherzigen.
Meine Damen und Herren, ich will allerdings nicht verhehlen, daß es einen Konstruktionsmangel des Gesetzes gibt - den haben Sie schon angesprochen -,
Dietmar Schütz
der die Stromverteiler an der Küste und auch im Gebirge über Gebühr belastet. Es gibt eine klar erkennbare regionale Schieflage der Kostenbelastung.
Das für mich zuständige Unternehmen, die EWE, macht für 1994 eine regionale Mehrbelastung von 16,8 Millionen DM geltend und prognostiziert für 1995 33 Millionen DM Mehrkosten. Die Schleswag liegt mit ihren Angaben noch darüber. Ob diese Zahlen allerdings einer belastbaren Analyse voll standhalten, will ich hier nicht untersuchen. Die regionale Ungleichgewichtigkeit ist aber wie immer eine Tatsache und erfordert einen bundesweiten Ausgleich.
Ursprünglich hatte meine Fraktion die Vorstellung, dies durch einen bundesweiten Ausgleichsfonds zu schaffen, der im Stromeinspeisungsgesetz zu fixieren ist. Angesichts des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Kohlepfennig verfolge ich diesen Weg nicht weiter. Ein solcher Fonds wäre heute angreifbarer als das Stromeinspeisungsgesetz selbst, das nicht angreifbar ist.
Selbstverständlich ist aber ein Ausgleich im Wege einer freiwilligen Verbändevereinbarung zwischen allen EVUs möglich. Ich halte diesen Weg für den jetzt sinnvollsten. Deshalb bin ich mehr als verwundert, daß er noch nicht beschritten worden ist. Wenn die Solidarität der VDEW mit den in der Tat ungleich belasteten Stromverteilern an der Küste und im Gebirge glaubwürdig sein soll, kann dieses Burden-sharing sofort nachgeholt werden. Das sollte sofort erfolgen.
Das von Herrn Grave für die VDEW vorgestellte Konzept zur Unterstützung der regenerativen Energien sieht leider nur eine Kostenbelastung der öffentlichen Hand vor. Die Stromunternehmen wollen lediglich die in der sogenannten Verbändevereinbahrung fixierten vermiedenen Kosten zahlen. Diese Art des Burden-sharing meine ich nicht. Die Stromindustrie ist in der Lage, einen eigenen finanziellen Anteil an der Erzeugung regenerativer Energien durch Dritte zu leisten. Das fordern wir von ihr. Dies zu tun ist besser und glaubwürdiger als alle provozierten Klagen, die nicht notwendigerweise beim Verfassungsgericht enden sollten.
Wir müssen jetzt zusammenstehen und nach der lateinischen Sentenz „principiis obsta" den Anfängen dieser Attacken wehren. Ich bin mit Herrn Ramsauer der Meinung, daß wir diesen kleinen Energiekonsens durch die Ausschußberatungen retten sowie gebündelt und einig der Atomwirtschaft Paroli bieten sollten. Das wird die Aufgabe der nächsten Wochen sein.
Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Schauerte, Sie haben das Wort zu einer Kurzintervention.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verurteile das Verhalten der Energiekonzerne ohne jede Einschränkung. Das habe ich im Wirtschaftsausschuß sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Es ist ein schwerer politischer Fehler, und ich halte es auch für rechtswidrig. Einige Formulierungen hier passen mir trotzdem nicht.
Wir können auf ein solches Verhalten, so sehr es uns ärgert, nicht ungesetzlich reagieren. Das klingt z. B. bei Ihnen, Herr Scheer, durch, wenn Sie in so uneingeschränkter Form hier den Staatsanwalt einsetzen wollen. Das geht so nicht. Wenn ein Unternehmen, für das es keine Lex specialis, sondern nur ein generelles Gesetz gibt, mit dem Recht nicht einverstanden ist und sich weigert, dann gibt es ein ganz normales verwaltungsgerichtliches Verfahren. Dieses muß betrieben werden, bis hin zu einer verfassungsgerichtlichen Klärung. An dieser werden wir nicht vorbeikommen.
Völlig unabhängig davon sind wir als Parlament berechtigt, politisch zu reagieren. Einige Bemerkungen gingen mir allerdings zu weit. Bei allem Ärger über diese Gesetzesverletzungen, die ich genauso wie Sie analysiere, bin ich bei einer solchen emotionalen Lage nicht bereit, wichtige rechtstaatliche Prinzipien über Bord zu werfen.
Das eine oder andere schien in diese Richtung zu deuten. Als gelernter Jurist wollte ich mich dazu noch geäußert haben.
Herr Kollege Scheer, wollen Sie sich zu einer Kurzintervention melden? Ich gebe Ihnen die zwei Minuten. - Bitte.
Ich möchte nur noch einmal ganz kurz betonen: Es ist doch nicht bestritten, daß jeder in diesem Staat, wenn er sich durch ein Gesetz beschwert fühlt, vor Gericht gehen kann. Aber hier handelt es sich um einen völlig anderen Vorgang; das muß immer wieder betont werden. Hier nimmt sich jemand heraus, zunächst einmal Selbstjustiz zu üben, also einen Rechtsbruch vorzunehmen,
um damit durch den anderen, der geschädigt ist, angeblich ein Gerichtsverfahren erzwingen zu wollen. Dies ist eine neue Qualität, und deshalb kann das nicht so herausgestellt werden, als handele es sich um eine völlig normale Einbeziehung des Gerichts.
Ich unterscheide mich in meiner Auffassung überhaupt nicht von der des Kollegen Ramsauer, der auch ganz bewußt das Stichwort einer staatsanwaltschaftlichen Untersuchung genannt hat. Denn das ist in der Tat eine ganz naheliegende Überlegung. Ich verstehe nicht, wie Sie, Herr Kollege, jetzt dazu kommen - wahrscheinlich sind Sie von der Ausbildung
Dr. Hermann Scheer
her Jurist -, den Ruf nach dem Staatsanwalt selbst als gesetzeswidrig hinzustellen. Das vermag ich leider nicht nachzuvollziehen. Ich vermute, Sie vertreten nicht die Auffassung der Gesamtfraktion.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Kolb.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich - ich sage das, um Ungeduldige gleich zu stoppen - im zweiten Teil meiner Rede natürlich auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit eingehe, möchte ich vorab gerne die Gelegenheit nutzen - ähnlich wie es der Kollege Friedhoff getan hat -, zunächst einiges über die Wirkung, über die Erfolge des Stromeinspeisungsgesetzes zu berichten.
Das Gesetz ist ja 1990 auf Initiative der Bundesregierung mit der großen Mehrheit dieses Hauses beschlossen worden. Es soll den Anteil erneuerbarer Energieträger steigern. Begünstigt ist die Stromerzeugung aus Wasserkraft, Wind, Sonne, Biomasse. Mit diesem Gesetz soll eine besondere Begünstigung dieser erneuerbaren Energieträger angestoßen werden.
Dazu möchte ich folgende Zahlen nennen: Bei Inkrafttreten des Gesetzes sollte die Mehrbelastung der Elektrizitätswirtschaft, damit letztlich auch der Stromverbraucher, so wurde geschätzt, rund 50 Millionen DM pro Jahr betragen, die im wesentlichen der Wasserkraft zugute kommen sollten. Für 1994 nennt die Elektrizitätswirtschaft Mehrleistungen von 125 bis 150 Millionen DM. Hier schlägt sich der von uns gewollte kräftige Ausbau der Windenergie nieder, für die - auch das ist gesagt worden - weiterhin mit einem deutlichen Wachstum zu rechnen ist. Allein die Schleswag, die den höchsten Windenergieanteil zu erwarten hat, beziffert ihren Mehraufwand für 1994 mit rund 40 Millionen DM.
Herr Kollege Scheer, bevor Sie Ihre Frage stellen, möchte ich noch darauf hinweisen: Es ist damit zu rechnen, daß im Jahre 2000, nach Realisierung der weiteren Ausbauplanungen - der Ausbau auf 1 000 MW ist angeklungen -, im Rahmen des Stromeinspeisungsgesetzes ein Mehraufwand, und damit entsprechende Finanzvergütungen, von rund 250 Millionen DM für das Unternehmen auflaufen wird. Das sind keine kumulierten Werte, sondern das ist der in jedem Jahr anfallende Mehraufwand. Das heißt im Klartext: Das Stromeinspeisungsgesetz zeigt seine Wirkung. Das ist gut so.
Bitte, Herr Kollege Scheer.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Zahlen, die als angebliche
Mehrbelastung genannt werden, nicht belastbar sind? Sie werden von denjenigen angegeben, die die Einspeisegebühr zu zahlen haben, und nicht gegengeprüft. Ist Ihnen bekannt, daß es auch pauschale überschlägige Rechnungen gibt - leider kann nichts anderes gemacht werden -, die nur 10 % der angegebenen Summen als Mehrbelastung ausweisen? Mir geht es nur darum, daß man diese Zahlen nicht einfach ungeprüft übernimmt.
Herr Kollege Scheer, es ist überhaupt nicht meine Absicht, dem Hause nicht belastbare Zahlen vorzutragen. Nachdem Sie jetzt Zweifel anmelden, werde ich dies gern zum Anlaß nehmen, noch einmal eine Überprüfung vornehmen zu lassen. Wenn Sie erlauben, werde ich Sie über das Ergebnis auch schriftlich informieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Zwischenbemerkung. Die Bundesregierung hatte bereits bei der Verabschiedung dieses Gesetzes einen Erfahrungsbericht zum Gesetz angekündigt.
Der Bericht ist derzeit in Arbeit. Die aktuellen Daten, insbesondere zur Nutzung der Wasserkraft, Herr Kollege Schütz, fehlen allerdings noch. Eine möglichst umfassende Darstellung erweist sich aufwendiger, als zunächst angenommen.
Inhaltliche Schlußfolgerungen zum Stromeinspeisungsgesetz wird die Bundesregierung erst dann ziehen, wenn sämtliche Daten vorliegen und mit den Beteiligten, also den Einspeisern, der Stromwirtschaft, aber auch den Ländern, erörtert worden sind. Wir hoffen gleichwohl - ich will das hier ankündigen -, den Bericht noch Mitte 1995, also in Kürze, vorlegen zu können.
Zur aktuellen Diskussion zum Stromeinspeisungsgesetz. Sie konzentriert sich auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des Kohlepfennigs vertritt die Elektrizitätswirtschaft in Übereinstimmung mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie und der Vereinigung Industrieller Kraftwirtschaft die Auffassung, auch das Stromeinspeisungsgesetz sei verfassungswidrig. Ich will darauf hinweisen, daß sich der Standpunkt der Stromwirtschaft offensichtlich verändert hat. Es besteht, Herr Kollege Scheer, auch nicht mehr die Möglichkeit, Verfassungsbeschwerde zu erheben, die nur binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes möglich gewesen wäre.
Die Stromwirtschaft will eine Überprüfung dieses Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht erreichen. Verschiedene Versorgungsunternehmen haben deshalb bei jeweils einem Einspeiser die Einspeisevergütung gekürzt. Die Kürzungen betreffen überwiegend Wasserkraftanlagen, die auch schon vor Inkrafttreten dieses Gesetzes betrieben worden sind.
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
Wichtig erscheint mir - ich weiß nicht, Herr Schütz, ob Sie sich deswegen zu einer Zwischenfrage melden -, daß damit keine Billigung etwa eines Rechtsbruchs verbunden ist. Wichtig erscheint mir, daß die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke zugesichert hat, daß eine Kürzung der Einspeisungsvergütung generell oder auch nur in einer größeren Zahl von Fällen nicht beabsichtigt ist. Auch dies schafft gegenüber dem befürchteten Ausufern dieser Entwicklung eine gewisse Rechtssicherheit.
Ich will noch einmal sagen: Damit ist keinerlei Verständnis der Bundesregierung für diese Kürzungen ausgedrückt. Aber es ist auch wichtig, daß die VDEW diese Zusicherung gegeben hat.
Ich nehme an, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Kollegen Schütz?
Ja, bitte sehr.
Bitte, Herr Kollege Schütz.
Herr Staatssekretär, meine konkrete Frage war - die Vorlage war, um es vorsichtig auszudrücken, sehr mißverständlich -: Halten Sie die Zahlungsverweigerung für rechtswidrig? Ist das, was die Unternehmen machen, eine tolerable Form der Reaktion, oder ist das rechtswidrig?
An meiner Auffassung habe ich schon im Wirtschaftsausschuß keinen Zweifel gelassen. Ich komme gleich darauf zurück, Herr Kollege. Wenn es dann noch offene Fragen gibt, bitte ich Sie, sich erneut zu Wort zu melden.
Es kann kein Zweifel bestehen, daß der vorgetragene Zustand zu einer erheblichen Verunsicherung bei den Investoren und auch bei den Banken geführt hat. Mit dazu beigetragen hat die Tatsache, daß mehrere Versorgungsunternehmen - ein Brief ist vorgelesen worden - die vorgeschriebenen Einspeisungsvergütungen in letzter Zeit nur unter Vorbehalt gezahlt haben. Dadurch wollen sich diese Unternehmen offensichtlich die Möglichkeit offenhalten, den erhöhten Teil der Einspeisungsvergütungen zurückzufordern, wenn das Stromeinspeisungsgesetz für verfassungswidrig erklärt werden sollte. Ich weise allerdings darauf hin, daß das Bundesverfassungsgerichtsgesetz für einen solchen Fall, wenn er denn so käme, im Grundsatz keine Rückabwicklung abgeschlossener Lebenssachverhalte vorsieht.
Zur Kernfrage selbst: Die Bundesregierung hat, Herr Kollege Schütz, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eingehend geprüft
- dann fragen Sie gleich noch einmal nach; ich will dies aber erst noch vortragen - und in Beantwortung der Fragen des Kollegen Ramsauer und von Ihnen, Herr Kollege Scheer, dargelegt, daß sie von der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes überzeugt ist. Die Gründe, die das Bundesverfassungsgericht für die Verfassungswidrigkeit des Kohlepfennigs angeführt hat, greifen beim Stromeinspeisungsgesetz nicht. Die Entscheidung zum Kohlepfennig ist finanzverfassungsrechtlich begründet. Das Stromeinspeisungsgesetz enthält eben keine Verpflichtung zur Zahlung einer Abgabe, sondern es handelt sich um eine Preisregelung, verbunden mit einer Abnahmepflicht.
- Lassen Sie mich gerade noch den Gedanken zu Ende bringen! - Das Stromeinspeisungsgesetz begründet auch keinen Fonds außerhalb des Bundeshaushalts. Deshalb ist nicht die Finanzverfassung die Meßlatte für die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, sondern allenfalls die Art. 12 und 14 des Grundgesetzes.
Sie gestatten die Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Bitte, Herr Kollege Schütz.
Herr Staatssekretär, ich möchte noch einmal nachhaken. Wir wissen, daß Sie das Gesetz nicht für verfassungswidrig halten; darüber besteht kein Streit. Die Frage ist, ob sich die Unternehmen rechtswidrig verhalten, die die Klagefrist nach Art. 93 GG versäumt haben und jetzt die Zahlung verweigern, obwohl ein Gesetz vorliegt, das sie zur Zahlung verpflichtet und das niemand von uns als rechtswidrig ansieht.
Herr Kollege Schütz, ich persönlich glaube, daß ihr Verhalten nicht rechtmäßig ist. Aber wir haben in diesem Staat eine Gewaltenteilung: eine Legislative, eine Exekutive und eine Judikative.
Das Stromeinspeisungsgesetz ist ein Gesetz ohne
Exekution. Ich habe eben gesagt: eine Preisregelung
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
mit einer Abnahmeverpflichtung. Insofern ist es jetzt an den Gerichten - wir begrüßen es ja, daß jetzt eine Entscheidung kommt, und hoffen, daß sie möglichst bald kommt -, hierüber zu entscheiden.
Selbst wenn ich mich hier für die Bundesregierung eindeutig äußerte, änderte dies nichts daran, daß hier die Gerichte entscheiden müssen, Herr Kollege Schütz.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ja.
Bitte, Frau Caspers-Merk.
Herr Staatssekretär Kolb, wie beurteilen Sie dann das Verhalten des Wirtschaftsministers von Baden-Württemberg, Dr. Dieter Spöri, der ja eine kartellrechtliche Mißbrauchsverfügung erlassen hat, weil er die Durchsetzung des Rechts über die Möglichkeiten des Kartellrechts erzwingen will? Halten Sie sein Vorgehen für rechtmäßig?
Mir ist bekannt, daß in einem Fall, in dem jetzt auch Klage erhoben werden soll, parallel das Landeskartellamt Baden-Württemberg ein kartellrechtliches Verfahren eingeleitet hat. Dies ist im Rahmen dieses Falles in Ordnung. Ich kann daran nichts Unrechtmäßiges feststellen.
- Bitte.
Eine weitere Zwischenfrage.
Eine kurze Frage, Herr Staatssekretär.
Die allerletzte.
Ja, die allerletzte.
Hat das Bundeswirtschaftsministerium geprüft, welche Möglichkeiten es nach Energiewirtschaftsgesetz oder Kartellrecht im Rahmen seiner Aufsichtsfunktionen über die Energiewirtschaft hat, um als Exekutive gegen den Gesetzesbruch vorzugehen und Rechtssicherheit wiederherzustellen?
Herr Kollege Scheer, dies ist natürlich geprüft worden; aber ich habe ja vorgetragen, wie das Verfahren zu sehen ist.
- Ja, Ihre Frage ist beantwortet.
Ich habe gesagt: Wir haben das geprüft. Ich habe Sie
auch auf die Gewaltenteilung sowie darauf hingewiesen, wie das Verfahren jetzt laufen muß und wird.
Damit ist auch klar zum Ausdruck gebracht - ich habe das hier gesagt und werde das gleich auch noch für die Zahlungen unter Vorbehalt sagen -, daß wir dieses Verhalten der Energieversorger in keinster Weise billigen. Wir wollen, daß dieses Gesetz praktiziert und durchgesetzt wird, und haben überhaupt keinen Grund, von der Mehrheitsmeinung in diesem Hause abzurücken.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir sehen keinen Anlaß für eine Zahlung unter Vorbehalt und sind auch der Meinung, daß Investoren und Banken den sich abzeichnenden Gerichtsverfahren gelassen entgegensehen sollten. Rein vorsorglich hat die Bundesregierung auch darauf hingewiesen, daß das Verfassungsgericht, wenn es ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt, durch Fristsetzung und Übergangsregelungen das berechtigte Interesse der Betroffenen in aller Regel berücksichtigt, wie es ja auch bei der Entscheidung zum Kohlepfennig geschehen ist.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß mit diesen Klarstellungen sowie mit der Diskussion im Wirtschaftsausschuß am letzten Mittwoch und der heutigen Diskussion hier im Plenum die eingetretene Verunsicherung rasch wieder abklingen wird. Hierzu würde auch eine stärkere Versachlichung der Diskussion beitragen. Falls sich ein Abbau der Verunsicherung nicht kurzfristig abzeichnen sollte, sind weitere Gespräche mit den Beteiligten vorgesehen. Dabei ist es das erklärte Ziel der Bundesregierung - ich sage es noch einmal, damit kein Zweifel aufkommt -, die volle Wirksamkeit des Gesetzes auch sicherzustellen.
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
Eine endgültige, definitive Klärung wird sich nur auf zwei Wegen erreichen lassen: Entweder akzeptiert die Stromwirtschaft dieses Gesetz aus eigener Einsicht als verfassungsgemäß und nimmt die Kürzung bzw. die Vorbehalte zurück, oder die Stromwirtschaft beharrt unabhängig von allen politischen Appellen - auch der Bundesregierung - auf ihrem Rechtsstandpunkt. Darm muß - das habe ich hier schon gesagt - möglichst rasch eine gerichtliche Klärung herbeigeführt werden. Von daher ist es zu begrüßen, daß in einem Fall bereits Klage erhoben worden ist.
Ich halte es für selbstverständlich, daß die Stromwirtschaft, wenn sie Kürzungen und Vorbehalte nicht doch zurücknimmt, zumindest - das war der Passus, der vorhin angefragt wurde - alles tut, um ein weiteres Unterlaufen des Willens des Gesetzgebers durch Maßnahmen außerhalb der Musterverfahren zu vermeiden.
Dazu gehört auch ein Verzicht darauf, Zahlungen generell nur unter Vorbehalt zu leisten, wodurch Investoren und auch Kreditgeber gezielt verunsichert werden.
Zum Schluß darf ich sagen: Im übrigen besteht - die aktuelle Auseinandersetzung um die Handhabung des Stromeinspeisungsgesetzes sollte dies nicht verdecken - Einvernehmen darüber, daß erneuerbare Energien einen weiter wachsenden Anteil an der Stromerzeugung erhalten sollten. Ich darf Ihnen versichern, daß die Bundesregierung ihre Bemühungen zugunsten des verstärkten Einsatzes erneuerbarer Energien mit Nachdruck fortsetzen wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Marion Caspers-Merk, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fand den Beginn der Debatte sehr beeindruckend, weil ich in der Tat den Eindruck hatte, daß es in diesem Haus eine ganz breite, geschlossene Front von CDU/CSU über Grüne und SPD bis hin zur PDS gibt, dieses rechtswidrige Verhalten, den Rechtsbruch zu geißeln. Man ist nicht bereit, dies hinzunehmen; denn es gibt eine Frontstellung: das Parlament gegen die Energiewirtschaftsverbände.
Nach den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Kolb bin ich mir nicht mehr so sicher, ob wir noch eine gemeinsame Ablehnungsfront haben, weil das Ganze doch etwas weich formuliert war.
Herr Kolb, Ihre Ausführungen bewegen sich auch in der Tendenz Ihrer Einlassungen im Wirtschaftsausschuß; denn Sie haben auch dort ein Stück weit Verständnis dafür geäußert, daß die Energieversorgungsunternehmen diesen Schritt jetzt gehen müssen, um die Verfassungswidrigkeit festzustellen.
Ich will noch einmal sagen: Erstens sind wir alle der Auffassung, daß das Gesetz verfassungsgemäß ist.
Zweitens. Wenn die Unternehmen der Meinung gewesen wären, es sei verfassungswidrig, hätten sie im ersten Jahr klagen können.
Drittens. Es gibt andere Möglichkeiten, z. B. innerhalb Ihrer Berichterstattung über das Stromeinspeisungsgesetz, diese Probleme der regionalen Ungleichgewichtigkeit zu klären. Außerdem gibt es im Moment Gespräche, die auch die Förderung der regenerativen Energien zum Thema haben.
Ich frage mich: Wie dialogfähig ist eigentlich noch eine Gruppierung, die auf der einen Seite einen Rechtsbruch begeht und auf der anderen Seite sagt Wir wollen mit euch in einen Dialog treten, mit uns kann man über alles reden"? Das gefährdet die Dialogfähigkeit der Energiewirtschaft. Ich meine, das Haus sollte sich einig sein, daß wir den Rechtsbruch auf keinen Fall tolerieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Summen, die genannt wurden, muß man zur Realität zurückkehren. Es ist nicht so, daß regenerative Energien einen Riesenanteil am gesamten Energieverbrauch hätten. Derzeit hat die Wasserkraft einen Anteil von 2 % und die Windkraft einen Anteil von 0,4 % am gesamten Energieverbrauch in der Bundesrepublik. Es ist erklärte Absicht des ganzen Hauses, daß wir die CO2-Minderungsziele - 25 % weniger - umsetzen wollen. Wir von der SPD fordern sogar eine Vervierfachung des Anteils regenerativer Energien.
Wie soll es überhaupt anders gehen, als daß man angemessene Preise zahlt, daß die Investoren Sicherheit haben? Denn sie genießen unseren Vertrauensschutz. Deswegen ist diese Praxis so schlimm: Es geht überhaupt nicht darum, daß man ein Exempel statuiert. Ich will Ihnen sagen, wer der erste ist, den man herausgepickt hat.
Es handelt sich beim ersten Fall um den Betreiber Südstrom Lörrach. Man hat sich mit dem Herrn Lüttke jemanden herausgesucht, der eine Symbolfigur für den ganzen Bereich der regenerativen Energien ist.
Man hat ihm vom 1. Januar bis heute 60 000 DM verweigert.
Er ist Vorsitzender des Verbandes der Kleinwasserkraftwerke und im Vorstand des Bundesverbandes Erneuerbare Energien. Man hat sich also denjenigen herausgesucht, der die Kleinen immer in Prozessen
Marion Caspers-Merk
gegen die Großen verteidigt und der innerhalb des Verbandes eine herausgehobene Position hat, weil man den ganzen Bereich und nicht nur einzelne treffen will. Das ist der entscheidende Punkt.
Die Einschüchterungskampagne, die dahintersteht, läuft insgesamt gegen die regenerativen Energien. Man befolgt die Strategien, daß man erstens sagt: Bezahlt wird nicht. Zweitens sagt man: Ihr könnt ja klagen. Dann hat der eine einen Anwalt, die anderen haben eine Rechtsabteilung - das ist in diesem Fall die „Waffengleichheit."Drittens hofft man, daß es lange dauert. In der Regel dauert es fünf Jahre, bis das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht landet.
Inzwischen ist es für die Investoren nicht mehr interessant, in diesem Bereich zu investieren. Darüber informiert man auch noch die Banken. So trifft man den ganzen Bereich, der gerade angefangen hat zu blühen, an dieser zentralen Stelle. Es sind eben nicht mehr einige Ökos oder Müslis, die in diesem Bereich investieren, sondern seriöse Unternehmer, die mit ihren Investitionen ein Stück dazu beitragen wollen, daß ökoloigisch sinnvoll investiert wird.
In Baden-Württemberg hat es ein Programm der Landesregierung gegeben, das insgesamt die Wasserkraft stützt und fördert. In den letzten fünf Jahren sind über 300 neue Wasserkraftwerke mit einer Leistung von etwa 200 Megawatt gebaut worden. Das Land hat einen Anteil am Badenwerk - das muß man sich einmal vorstellen - von 50 %. Nun hat Spöri angewiesen,
daß diese rechtswidrige Praxis eingestellt wird - mit dem Ergebnis, daß man zurückgeschrieben hat, die Politik möge sich nicht einmischen.
Das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Das Land hat eine Beteiligung, und der Vorstandsvorsitzende, Herr Stoyer, hat in einem Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geschrieben: Das Land und die Kommunen haben in den beiden Landesversorgungsunternehmen das Sagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das stellt doch wirklich alles auf den Kopf; denn offensichtlich hält man sich nicht an die Anweisungen des Wirtschaftsministers. Und derjenige, der im Aufsichtsrat sitzt, Herr Mayer-Vorfelder, behauptet dann noch, dieses rechtswidrige Verhalten sei ein Teil des operativen Geschäfts. Das halte ich für ausgesprochen zynisch.
Man muß Herrn Mayer-Vorfelder endlich dazu auffordern, seinen Pflichten als Aufsichtsrat in diesem Falle nachzukommen.
Insgesamt wird durch diese Strategie versucht, wieder rückgängig zu machen, was wir alle wollen: eine Energiewende herbeiführen. Deswegen, meine ich, ist es richtig, daß Baden-Württemberg mit aller Schärfe reagiert. Dasselbe fordere ich vom Bundeswirtschaftsministerium.
Herr Kolb, es ist nicht ausreichend, was Sie hier vorgetragen haben: Sie hätten ein wenig Verständnis; es sei zwar rechtswidrig, aber man prüfe noch. Sie machen damit ein wenig das Tor dafür auf, daß dieses Verhalten nach außen so dargestellt wird, als werde es augenzwinkernd geduldet. Es muß hier klargestellt werden, daß es kein augenzwinkerndes Dulden eines Rechtsbruchs gibt.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Klinkert.
Herr Peräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus Zeitgründen muß ich meinen Vortrag etwas straffen. Das kann ich aber auch, denn in dieser im wesentlichen einvernehmlichen Debatte - das ist in Fragen der Wirtschaft und der Ökologie in diesem Hause nicht immer der Fall - ist ja bereits zum Ausdruck gebracht worden, daß wir einen an sich ungeheuerlichen Vorgang behandeln müssen: Ein Gesetz, das einvernehmlich von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages verabschiedet wurde, wird von einigen Menschen, von einigen Unternehmen dieses Landes einfach nicht beachtet.
Einzelne Energieversorgungsunternehmen verstoßen offen und, wie ich meine, provozierend gegen Geist und Buchstaben eines geltenden Gesetzes.
Meine Damen und Herren, stellen Sie sich vor, dieses Beispiel würde Schule machen. Man könnte mit der Berufung auf eine vielleicht mögliche Verfassungswidrigkeit als Steuerzahler seine Steuerschuld mindern; ein Autofahrer könnte das Ampelrot als Eingriff in seine persönliche Freiheit betrachten,
und unsere Kinder und Jugendlichen könnten die
Schulpflicht als Bevormundung ansehen. So kurios
dies klingen mag, ich halte das für durchaus ver-
Parl. Staatssekretär Ulrich Klinkert
gleichbar. Besonders delikat ist es, da es sich bei den Energieversorgungsunternehmen um Unternehmen handelt, an denen die öffentliche Hand erheblich beteiligt ist.
Die gesetzlich festgelegte Mindestvergütung für Windstrom nicht zu zahlen ist ein klarer Verstoß gegen die Buchstaben des Gesetzes. Es ist, wie die Energieversorgungsunternehmen selbst formulieren, die „sanfteste Form" des Rechtsbruchs. Für mich gibt es dabei keine sanften Formen.
Damit nicht genug: Einige - wirklich nur einige - Energieversorgungsunternehmen unterlaufen das Gesetz, indem sie mögliche Kreditgeber verunsichern. Dies empfinde ich persönlich als sittenwidrig, weil es gegen den Geist des Gesetzes gerichtet ist,
genauso wie ich den ausstiegsorientierten Vollzug des Atomgesetzes als sittenwidrig empfinde.
Wer für sich Unterstützung für den gesetzestreuen Vollzug des Atomgesetzes verlangt, sollte selber bei anderen Gesetzen ebenfalls keinen ausstiegsorientierten Vollzug praktizieren.
Ich möchte und kann dem Bundesverfassungsgericht nicht in der Bewertung vorgreifen. Aber ich sage: Die Bundesregierung ist von der Verfassungsmäßigkeit des Stromeinspeisungsgesetzes überzeugt. Möglicherweise wird der neu eingefügte § 20 a des Grundgesetzes, der den Schutz der Umwelt beinhaltet, diese Beurteilung auch noch erleichtern.
Im übrigen, glaube ich, sollten die Enrgieversorgungsunternehmen diesen Bogen nicht überspannen und auch in ihrem eigenen Interesse ihre Position nicht mißbrauchen; denn der Bundestag ist ja nicht nur gesetz-, sondern auch verfassunggebendes Organ.
In Deutschland führt kein Weg an der Nutzung regenerativer und alternativer Energien vorbei. Die bisherigen Prozentzahlen sind uns allen noch zu wenig. Darin sind wir uns sicherlich einig. Wir wissen, daß hier in den nächsten Jahren keine Wunder zu erwarten sein werden und daß wir noch lange Zeit, über Jahre und Jahrzehnte, Strom aus Wärmekraftwerken und aus Kernkraftwerken werden beziehen müssen. Daß uns aber das Stromeinspeisungsgesetz auf einen richtigen Weg führt, zeigt die Tatsache, daß bis Ende vergangenen Jahres mehr als 2 600 Anlagen mit einer Gesamtkapazität von weit über 600 MW errichtet waren, und das bei insgesamt sinkenden Investitionskosten von um oder mehr als 50 %.
Die Bundesregierung hat sich aus Sorge um den Klimaschutz und aus Verantwortung für künftige Generationen zu einer 25 %igen CO2-Reduktion bis zum Jahre 2005 bekannt. Dankenswerterweise hat die deutsche Wirtschaft dies durch eine freiwillige Selbstverpflichtung unterstützt. Aber am Verhalten zum Stromeinspeisungsgesetz wird man ablesen können, wie ernst es die deutsche Wirtschaft damit meint.
Die Bundesregierung ist in bezug auf die Ausgestaltung des Stromeinspeisungsgesetzes gesprächsbereit, in jeder Richtung. Sie akzeptiert, daß es Härteregelungen gibt, die man ausbauen kann, vielleicht auch ausbauen muß. Aber die Bundesregierung wird sich nicht erpressen lassen.
Vielen Dank.
Das Wort zu seiner ersten Rede im Plenum des Bundestages hat der Kollege Reinhard Schultz, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei einer ersten Rede ist es natürlich schon erhebend, insbesondere für einen sozialdemokratischen Alt-68er und Alt-Juso, ein so breites antimonopolistisches Bündnis in Sachen Energiewirtschaft noch einmal leibhaftig erleben zu können.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Kolb, hätte mir dieses Vergnügen zwar fast etwas verwässert, aber das ist eben in erheblichem Umfang durch Herrn Klinkert wiedergutgemacht worden.
Ich hätte es nicht schlecht gefunden, wenn für die heutige Diskussion der eigentlich ja schon für Anfang des Jahres angekündigte Erfahrungsbericht über das Stromeinspeisungsgesetz oder die Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegen hätten, weil man dann auf etwas gesicherterer Grundlage hätte reden debattieren können. Herr Kolb hat ja offensichtlich schon viele Momente seines eigentlich noch vorzulegenden Berichts in Zahlen gefaßt und heute eingeführt, Daten, die wir auch hätten gut gebrauchen können.
Tatsache ist, daß die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke drei Unternehmen aufgefordert hat, drei Erzeuger von Wind- oder Wasserstrom stellvertretend für die gesamte deutsche Energiepolitik in Geiselhaft zu nehmen, um dadurch eine Welle der Resignation, was weitere Investitionen angeht, und
Reinhard Schultz
der Verunsicherung hinsichtlich der weiteren Finanzierung in der Kreditwirtschaft loszutreten und ein Erpressungspotential im Hinblick auf weitere Energiekonsensgespräche und auf das, was sonst noch ansteht, aufzubauen.
Damit hat sich die Elektrizitätswirtschaft keinen Gefallen getan; denn wer solche tiefen Gräben aufreißt, muß sie letztlich selbst zuschütten, will man zu einer vernünftigen Zukunft der Energie kommen.
Betrachten wir die Zahlen: 1993 gab es einen Zuschußbedarf von etwa 150 Millionen DM, bis 1996 wird er auf 500 Millionen DM ansteigen, und das ausschließlich im Wasser- und Windbereich. Hier entwickelt sich etwas dynamisch, was wir politisch begrüßen, was jedoch ein Bilanzbuchhalter in einem regionalen Versorgungsunternehmen zweifellos mit Argusaugen beobachtet.
Nehmen wir einen mittleren Zuwachspfad, den das Wirtschaftsministerium in seinen internen Überlegungen selbst aufgezeigt hat: Schließt man Wind, Wasser, Photovoltaik und alle möglichen biologischen Abfälle, die einer energetischen Nutzung zuzuführen sind, ein, dann kommen wir um das Jahr 2010 umgerechnet auf einen Zuschußbedarf für Einspeisevergütungen allein für Wind und Wasser von 1,5 Milliarden DM. Nimmt man die Photovoltaik ohne kostendeckende Vergütung, also auf dem Niveau, auf dem sie jetzt ist, hinzu, dann landen wir insgesamt bei 4 bis 5 Milliarden DM.
Man muß darüber reden, ob das nur über den Strompreis zu regeln ist oder ob dort nicht die nationale Energiepolitik insgesamt gefordert wäre, indem man z. B. im Rahmen einer Energiesteuer etwas abfedert, um den Time-lag zu schließen. Ich denke, bei diesen Größenordnungen müssen wir uns darüber Gedanken machen.
Die - durchaus anerkennenswerten - umweltpolitischen Ziele des Staatssekretärs aus dem Umweltministerium, nämlich in einem wirklich ordentlichen Tempo 25 % des Kohlendioxids auf der Basis von 1990 zu sparen, setzen voraus, daß das Szenario eintritt, das ich soeben geschildert habe, nämlich, daß der Zuwachs regenerativer Energiequellen - das geht weit über den Faktor 2 oder 4 hinaus - neben allen Anstrengungen beim Energiesparen auch tatsächlich erreicht wird. Ansonsten werden wir im Jahre 2005 oder 2010 dastehen und sagen: Wir haben es zwar versucht, aber nicht geschafft. Für die Wirtschaft ist es das schlechteste Zeugnis, das man ausstellen kann, wenn man sagt: Er hat sich redlich bemüht.
Deswegen appelliere ich dringend an die Energiewirtschaft, zunächst einmal die kurzfristigen Disparitäten in der Preisgestaltung durch einen freiwilligen Ausgleichsfonds auszugleichen und dadurch den politischen Spielraum zu schaffen, darüber nachzudenken, wie wir Investitionskosten, insbesondere im Photovoltaikbereich, abfedern und zu großen Stückzahlen kommen, die dann dazu beitragen werden, daß die spezifischen Kosten kleiner werden, als sie heute sind; Stichwort: 100 000-Dächer-Programm.
Ich bitte auch darum, wirklich ohne jeden falschen Vorbehalt ernsthaft über eine allgemeine Energiesteuer zu reden, weil ohne diese, denke ich, der ökologische Umbau der Energiewirtschaft mit mehr Wind, Wasser und Sonne nicht möglich ist.
Als Alt-Juso sage ich deshalb: In diesem Sinne gewinnt das Lied „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" eine praktische Bedeutung für die gesamte Politik.
Es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/1303, 13/1309, 13/1397 und 13/1384 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13a bis c auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerd Poppe, Dr. Helmut Lippelt, Angelika Beer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENEinladung nach Europa - Drucksache 13/806 -Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Mai 1995 3125
Vizepräsident Hans-Ulrich Kloseb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck , Angelika Beer, Dr. Helmut Lippelt, Gerd Poppe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENSicherstellung der Humanitären Hilfe für Bosnien-Herzegowina- Drucksache 13/1015 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß Haushaltsausschußc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Beer, Dr. Helmut Lippelt, Gerd Poppe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENStärkeres politisches Engagement der Bundesrepublik Deutschland in Bosnien-Herzegowina- Drucksache 13/1252 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß HaushaltsausschußNach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei auf die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zehn Minuten entfallen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Dann erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Lippelt, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratung erfolgt zu später Stunde; aber das Thema ist ja sehr, sehr wichtig.
Das Antragspaket, das wir hier heute vorlegen, ist Mitte März von meiner Fraktion verabschiedet und in die öffentliche Debatte eingebracht worden. Damals stand uns allen drohend vor Augen, was jetzt eingetreten ist: der Ausbruch der dritten Runde des Kriegs in Jugoslawien. Damals wurde befürchtet, was jetzt geschieht: Sarajevo unter verschärfter Belagerung, die Lebensmittelversorgung über den Flugplatz seit mehr als sechs Wochen erneut unterbrochen, die heimtückischen Angriffe auf die Zivilbevölkerung durch Heckenschützen, die erneute Beschießung der offenen Stadt durch Mörser.
Vor Tagen wurden zehn Menschen durch Mörserbeschuß umgebracht, täglich weitere durch Heckenschützen. Die Blauhelme rufen nach entlastender Luftunterstützung, die gelähmte UN-Vermittlung verhindert sie, und der Einsatz der Blauhelme wird von Tag zu Tag schwieriger. Dabei sind wir uns doch fast alle einig, daß ohne UNPROFOR der UNHCR nicht arbeiten kann, daß die Logistik des Überlebens nach wie vor bei den so vielfach gedemütigten Blauhelmen liegt.
Weniger Rücksicht auf diplomatische Opportunität muß glücklicherweise der Internationale Strafgerichtshof walten lassen. Wir begrüßen, daß die Mörder nicht nur, von der internationalen Öffentlichkeit unbemerkt, vor bosnischen Gerichten angeklagt werden, sondern daß endlich auch der Strafgerichtshof sie benannt hat: Karadzic, Mladic, Stanisic.
Wir stellen trotz der Entwicklung der letzten Wochen unseren Antrag hier zur Debatte, weil wir eine Perspektive für den zukünftigen Friedensprozeß vorschlagen, die in den bisherigen Verhandlungen, so finden wir, zu kurz gekommen ist.
Dazu zählt erstens: Es ist notwendig, zu politisch klaren moralischen Bewertungen zu kommen, Täter zu benennen und Täter und Opfer nicht zu verwechseln, weil sonst Diplomatie, weil sonst Politik unglaubwürdig wird. Deshalb gibt es die politischen Feststellungen in Teil 1 des Antrages.
Aber wir müssen auch zwischen dem Gang des Rechts, der abgesichert sein muß, und den Notwendigkeiten eines politisch- diplomatischen Prozesses unterscheiden, der das Überleben der Bevölkerung sichern muß und der sich auf die Nationalitäten in gleicher Weise beziehen muß.
Zweitens: Wenn aber die Auseinandersetzung der Nationalitäten, zugespitzt in der Politik der Repräsentanten, die für sie zu sprechen meinen, nur noch um den Gedanken von Sieg und Niederlage kreist - ausgedrückt in territorialem Gewinn und Verlust -, wenn in Sarajevo der Chef der zivilen Administration der UNPROFOR, der Spanier Aguilar, sagt: „Ich höre viele militärische Begriffe, das einzige Wort, das ich nie höre" - egal von welcher Partei -, „ist das Wort Verständigung", so bedarf es des Versuchs, eine andere lebenswerte Perspektive von außen zu entwikkeln und an den Prozeß heranzubringen.
Nachdem die Fünfergruppe praktisch im Frühjahr gescheitert ist, nachdem auch die Juppé-Initiative, d. h. der Vorschlag, diejenigen, die die Fünfervorschläge akzeptiert hatten, dazu zu bewegen, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und sich damit anzuerkennen, zu keinem Erfolg führte, sind wir mit unserem Vorschlag den kleinen logischen Schritt weitergegangen.
Wir haben uns gefragt: Weshalb soll jemand den anderen anerkennen, wenn er nur im Ringen um Sieg und Niederlage mit ihm verbunden ist und die Perspektive einzig Sieg oder Niederlage heißt? Können wir nicht eine andere Perspektive setzen? Da kommt dann die Frage: Wohin gehören diese Länder eigentlich?
In Essen hat es sich die deutsche EU-Präsidentschaft hoch angerechnet, daß sie den beitrittswilligen Ländern Osteuropas, die in den nächsten Jahren noch nicht beitreten können, weil sie die wirtschaftlichen Kriterien noch nicht erfüllen, den strukturierten Dialog anbietet und ihnen Stühle am Rande des Europäischen Rats aufstellt.
Wir haben uns gefragt: Warum nur diesen sechs? Warum selbst ein rumänischer und ein bulgarischer Stuhl? Wohin gehört eigentlich dieser westlich von Rumänien, westlich von Bulgarien liegende Raum
Dr. Helmut Lippelt
des ehemaligen Jugoslawien? Muß ihnen, den Nachfolgevölkern Jugoslawiens, nicht deutlich gesagt werden, auch sie gehören zu Europa und werden den Zugang zur EU haben?
Wenn wir alle davon überzeugt sind, daß selbst für Polen und Tschechien bis zum Ende des Jahrtausends der Vollzug des Beitritts noch nicht möglich sein wird, warum dann nicht auch Stühle für jene Nachfolgestaaten mit der klaren Bedingung, daß sie zunächst einen Friedensprozeß einzuleiten haben? So muß die Forderung gegenseitiger Anerkennung, die Forderung nach einem Friedensprozeß verbunden werden mit der Perspektive: Ihr gehört zu Europa.
Ich denke, eine der großen Schwierigkeiten der diplomatischen Behandlung der Vorgänge im ehemaligen Jugoslawien ist, daß die westeuropäischen Nationen unterschiedliche geographisch-historische Interessen eingebracht haben. Für Deutschland und Österreich lag es nah, den Abmarsch der Nordregionen Slowenien und Kroatien in Richtung Europa zu unterstützen. Aber wovor liefen diese dann weg?
- Darüber werden wir sehr streiten, und dazu hätte ich gern einmal einen Untersuchungsausschuß. Da würden wir anders streiten.
Aber was wird dann die künftige Bestimmung von Serbien und von Belgrad - ganz unabhängig von Milosevic oder anderen Staatsmännern - sein? Beginnt dort etwa die Barbarei?
Wir waren der Meinung, für einen Friedensprozeß ist Voraussetzung, daß über die Zukunft der Nationalitäten als Gleichberechtigte nachgedacht werden muß, daß die Fragen der Gerechtigkeit nicht zurückgestellt werden, sondern dem Internationalen Strafgerichtshof überantwortet werden, daß aber die Einleitung eines Friedensprozesses nur in dem gleichen Appell an die Nationalitäten geschehen kann und daß es auch nicht so sein darf, daß sich Franzosen und Engländer, wie zu Beginn des Konfliktes, eher der alten Freundschaft zu Serbien entsinnen, die Deutschen und Österreicher eher der alten Verbindung zu Kroatien. Das ist schädlich gewesen.
Drittens. Man konnte schon vor Jahren oft von der Opposition, die es ja trotz allem gab, in Belgrad hören: Sie - damit waren die früheren Vermittlungskommissionen Carringtons und Owens sowie dann die Expertenkommission wie die von Badinter gemeint - sprechen nur mit den Regierenden, Sie sprechen mit den Mördern, Sie sprechen mit den Funktionären des alten Regimes, Sie sprechen aber nicht mit uns.
Klar ist, daß die Regimes ihre Kraft aus dem totalitären Zugriff auf die Gesellschaften über die Beherrschung der Medien bezogen. Sträflich vernachlässigt haben wir den Durchbruch dieser Medienblockade durch Funkstationen, durch Funkschiffe, durch die
vielfachen Möglichkeiten, wie sie doch bereits im Zweiten Weltkrieg entwickelt worden sind. Ich jedenfalls habe als Kind mehr BBC gehört als das deutsche Radio.
Deshalb sehen wir als ein weiteres Element in diesem Antrag vor: Bringen wir diese „Einladung nach Europa" nicht nur den Regierenden zur Kenntnis, bringen wir sie den Völkern, den Nationalitäten zur Kenntnis, damit sie nicht mehr der Propaganda folgen, die ihnen weismachen will, daß es für sie nur den Weg heroischen Widerstands gegen eine Welt von Feinden gibt.
Viertens. Wunden, so tief wie sie geschlagen sind, bedürfen zum Ausheilen einer ganzen Generation. Deshalb müssen für den Friedensprozeß Forderungen durchgehalten werden, auch wenn sie nicht sofort umgesetzt werden können. Deshalb ist es uns wichtig, die Prinzipien der Londoner Konferenz, vor allem das vornehmste Prinzip, das Recht auf Rückkehr eines jeden Vertriebenen in seine frühere Heimat, aufrechtzuerhalten und im Rahmen eines langen Friedensprozesses durchzusetzen. Es wird deshalb versucht, in dem Antrag angemessen mit der Notwendigkeit einer zeitlichen Perspektive umzugehen.
Meine Damen und Herren, ich habe die Grundelemente einer solchen „Einladung nach Europa" hier dargelegt. Wir begleiten den Antrag mit entschiedenen Forderungen zur Aufrechterhaltung der humanitären Hilfe für die Opfer dieses Krieges. Dafür nur ein bedrückendes Beispiel: Der deutsche Konvoi, diese 40 Lkws - nur halb so viele, wie sie das kleine Dänemark in Bosnien stellt -, ist nicht nur im Streit zwischen Auswärtigem Amt und Finanzministerium zur Verbilligung auf einen neuen Kontraktnehmer umgestellt worden, sondern auch nur noch bis Ende Juni finanziell abgesichert.
Ich bin sicher, daß alle Fraktionen dieses Hauses mit uns einig sind, daß wir alles tun wollen, um dem bosnischen Volk sein schwieriges Los zu erleichtern. Ich bin sicher, daß wir hier eine gemeinsame Lösung finden werden, die den Hilfsorganisationen endlich die notwendige zeitliche Perspektive für ihre Arbeit absichert.
Ich habe nur diesen einen Punkt exemplarisch hervorgehoben. Ich hoffe aber, daß wir uns über diesen und über die anderen Punkte unserer Anträge, über humanitäre Hilfe und über stärkeres Engagement, in den Ausschüssen verständigen können.
Das Wort hat der Kollege Heinrich Lummer, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden über drei Anträge in Sachen des ehemaligen Jugoslawien. Wir reden zum Ende der Tagesordnung und vor nicht ganz vollem Hause, mit Verlaub gesagt. Die Frage ist erlaubt, ob das nicht drei weitere Anträge sind, die zu einem Dokument unserer Hilflosigkeit werden.
Heinrich Lummer
Sicher, wenn man die bisherige Erfolglosigkeit mancher Dokumente sieht, dann ist man geneigt, jeden Strohhalm zu ergreifen, um überhaupt etwas in Bewegung zu bringen. Man ist vielleicht auch geneigt, das Selbstverständliche zu wiederholen. Aber langsam bekommt man Verständnis für denjenigen, der sagt, es bringe alles nichts, und Anflüge von Resignation bekommt.
Wer hat die Anträge, die wir im Europaparlament und in den Vereinten Nationen schon beschlossen haben, sowie die Ultimaten und die Drohungen, die ausgesprochen worden sind, alle gezählt? Folgenlos sind sie gewesen. Und wer hat das Lachen der Aggressoren wegen der folgenlosen Drohungen gehört?
Man kann wirklich verzweifeln, wenn man die Lage sieht, und das ist bedauerlich. Dennoch soll das nicht heißen, daß wir diese drei Anträge nicht ernsthaft diskutieren wollen. Wir wollen das, und wir stellen fest, daß eine hochgradige Übereinstimmung existiert. Aber wir sollten nicht allzu große Hoffnungen damit verbinden.
Da ist zunächst die Einladung an diese Länder nach Europa. Herr Lippelt, als gäbe es sie nicht längst! Diese Einladung ist doch vorhanden, und alle dort wissen das. Sie wissen, daß sie in der Europäischen Union willkommen wären, wenn sie nur die Bedingungen erfüllten. Diese Bedingungen sind nicht nur, wie Sie meinen, politischer Natur - das sind sie natürlich auch -, sondern sie sind irgendwann auch ökonomischer Natur. Wenn Sie noch nicht wissen, daß diese Einladung existiert, können Sie am Beispiel Slowenien sehen, was der Frieden für Früchte tragen kann; denn mit Slowenien wird bereits über den Einstieg in die Europäische Union verhandelt.
Die Einladung besteht also, Jeder dort kann das sehen. Ich denke, daß wir mit diesem Wink mit dem Wohlstand zeigen sollten, daß wir nach wie vor dazu stehen. Aber nach Lage der Dinge wird der Wink mit dem Wohlstand vermutlich nur eine begrenzte Wirkung haben. Aber die Einladung steht. Auch wenn wir sie nicht alleine aussprechen können, gehe ich davon aus, daß die anderen Mitglieder der EU bereit sind, so etwas mitzutragen und mitzuverhandeln.
Dann gibt es in den Anträgen die Forderung nach einem stärkeren politischen Engagement gerade der Deutschen in Bosnien-Herzegowina. Sie fordern das insbesondere deshalb, weil es dort eine multiethnische Gesellschaft gebe.
- Vorzugsweise deshalb. - Eine solche Gesellschaft ist per se eine konfliktreichere Gesellschaft. Das sehen wir an der Situation. Dort, wo ein hohes Maß an Homogenität ist wie in Slowenien, sind auf der einen Seite die Konflikte geringer. Das heißt aber auf der anderen Seite: Die Probleme dort werden nur lösbar sein, wenn die Betroffenen mitmachen oder - was nicht zur Diskussion steht - wenn eine äußere Ordnungsmacht die Probleme überdeckt, die Konflikte überlagert. Jedenfalls macht die Struktur der Konflikte deutlich, daß sie mit Geld und mit dem Wink mit Wohlstand nicht einfach lösbar sein werden.
Von daher sehe ich es in der Natur der Sache liegend, daß das politische Engagement, wie Sie es ausdrücken, in der Regel hinter den objektiven Möglichkeiten zurückbleibt. Das wird sich in der Praxis kaum vermeiden lassen. Der Krieg dort und natürlich auch die begrenzten finanziellen Mittel setzen dem Engagement Grenzen.
Heute morgen haben wir gehört, daß Sie einen Sanktionshilfefonds fordern. Zudem fordern Sie, daß die Grenzen zusätzlich bewacht werden. Sollen wir das alles alleine zahlen? Sehen Sie bei den anderen Ländern eine Bereitschaft, das zu bezahlen? Am deutschen Gelde kann nicht alles genesen, auch wenn es sich urn Jugoslawien handelt,
Der Konvoi, Herr Lippelt, ist, so denke ich, Sache der Regierung. Wenn sie für diesen Konvoi weniger Geld aufbringen kann, dann soll sie das um Gottes willen tun. Wir sollten hier nicht auf Grund Ihres Antrages monatlich 700 000 DM zur Verfügung stellen. Für die gute Sache so wenig wie möglich auszugeben ist selbstverständlich. Das aber ist Sache der Regierung; der sollten wir es weiterhin überlassen.
- Ja, ich weiß. Wir haben das aber immer hingekriegt; das wird auch in Zukunft der Fall sein. Machen Sie sich nicht allzu viele Sorgen über das Verhalten der Regierung! Die Deutschen haben sich großzügig erwiesen. Dafür verdient die Regierung im Grunde genommen sogar erhebliche Anerkennung.
Unbeschadet dieser kritischen Anmerkungen stimmen wir natürlich mit den Zielen dieser Anträge überein. Ich denke, wir sollten in den Beratungen gemeinsame, tragfähige Formulierungen finden.
Im Grunde aber liegen die Lösungsansätze woanders, Herr Lippelt. Gerade jetzt hat ein kroatischer Autor festgestellt:
Die andauernde Tragödie auf dem Balkan liegt auch begründet im andauernden Mangel an Konsens unter den Großmächten.
Just nach dem Treffen der Kontaktgruppe in Frankfurt hat der russische Sonderbevollmächtigte Sotow gesagt:
Das Problem liegt darin, daß die Kontaktgruppe keine Einigung darüber erzielen kann, was reale, vernünftige und ernsthafte Vorschläge sein würden.
Da liegt der Hund begraben.
Die unterschiedlichen Interessen der Kontrahenten im ehemaligen Jugoslawien werden ergänzt durch die unterschiedlichen Interessen der Friedensstifter. Da liegt das Problem. Wenn das so bleibt, dann wird man wohl warten müssen, his die Helden müde sind. Das ist verdammt traurig und tut weh.
Herr Kollege Lummer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Dr. Lippelt, bitte.
Herr Lummer, Sie sprechen davon, daß die Einladung nach Europa längst ausgesprochen worden sei. Indirekt ist dies ganz gewiß der Fall. Warum aber ergreifen wir nicht die Möglichkeit zum strukturierten Dialog?
Ich habe vorhin über eine sehr klare Prozedur gesprochen und mich dabei auf Polen bezogen. Wir wissen natürlich, daß die Konvergenzkriterien nicht erfüllt werden können und es noch zehn Jahre dauern wird, bis ein Beitritt erfolgen kann. Warum aber nutzen wir nicht diese zehn Jahre, um, eingebunden in einen strukturierten Dialog, die Hauptforderung „Eintritt in den Friedensprozeß" zu stellen? Das können wir doch auch im Rahmen der EU; im Rahmen der UN-Vermittlungen ist es ja mißlungen. Hier kann doch ein zweiter Schritt unternommen werden.
Herr Lippelt, ich habe nicht gesagt, daß wir Ihren Antrag gewissermaßen in Bausch und Bogen ablehnen. Ich habe nur darauf hingewiesen, daß er nicht von vornherein erfolgversprechend sein wird. Wir können die Einladung nach Europa wiederholen. Wir können sie auch modifizieren und verbessern. All das ist möglich; das wollen wir im Ausschuß auch ernsthaft beraten. insofern sehen Sie hier einen Widerspruch, obwohl keiner vorhanden ist.
Das Bedauerliche an der Gesamtsituation liegt darin, daß unsere Möglichkeiten hier relativ begrenzt sind. Unser Engagement in dieser Region ist im Vergleich zu anderen Ländern beachtlich. Ich sage noch einmal: Dafür verdient die Regierung Anerkennung.
Es bleibt irgendwie unbefriedigend, weil alles unter dem Motto „Ut desint vires, tarnen est laudanda voluntas" zu werten ist: Zwar ist der gute Wille da, doch reichen die objektiven Fähigkeiten in der Praxis nicht aus. Insofern hat man manchmal das Gefühl, man dürfe es den Betroffenen nicht verübeln, wenn sie eigene Lösungsmöglichkeiten suchen. Die jüngste kroatische Aktion ist doch nur so zu verstehen. Sie wird mit dem Versagen der Großmächte erklärt. Wir sagen anschließend: Zieht euch aus dem zurück, was euch gehört, aus Teilen von Kroatien!
Ich denke, wir sollten versuchen, aus der Entwicklung Lehren zu ziehen. Eine der Lehren ist für mich, daß dem Aggressionsopfer die Mittel zur Selbstverteidigung nicht verweigert werden dürfen. Obwohl das Recht der Vereinten Nationen das vorsieht, haben wir mit dem Gesamtembargo den Bosniaken und den Kroaten das verweigert. Sie haben sich in Jahren Mittel beschafft, um dem Gleichgewicht der Kräfte ein wenig näher zu kommen. Sie haben das gegen
einen UNO-Beschluß getan. Ich sage trotzdem: Sie mußten es tun; sie konnten gar nicht anders. Es ist schon eine komische Feststellung, die man da treffen muß.
Diese Lehre finde ich, muß man ziehen und künftig vielleicht auch danach handeln. Ich denke auch, die vielen verstrichenen Ultimaten und Drohungen machen deutlich: Erfolgreich verhandeln kann nur der, der letztendlich zu Eskalationen bereit ist. Wenn der Aggressor weiß, nach einer Drohung kommt nichts mehr, dann kann er lustig weitermachen, und es passiert nichts.
Überdies schadet man dadurch seiner eigenen Position, die von Abschreckungsstrategie gekennzeichnet war. Denn Abschreckungsstrategie bedeutet glaubwürdige Politik. Aber Glaubwürdigkeit geht in die Binsen, wenn Sie drohen und dann nichts nachkommen lassen.
In dieser Situation befinden wir uns. Hier müssen wir uns wieder auf den alten Satz verlegen - Kästner hat ihn gesagt, glaube ich -: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Mit bloßem Reden ist nichts zu machen, auch nicht mit humanitärer Hilfe alleine. Vielmehr müssen in diesen zentralen Fragen die Großmächte, muß die Kontaktgruppe übereinstimmend handeln. Wir brauchen die Bereitschaft, den anderen die Möglichkeit zu geben, ein Gleichgewicht der Kräfte herzustellen, damit Verteidigungsfähigkeit überhaupt gegeben ist.
Das, denke ich, sind Punkte, die wir im Gesamtzusammenhang nicht übersehen dürfen. In diesem Sinne hoffe ich, daß Übereinstimmung bestehenbleibt.
Das Wort hat der Kollege Freimut Duve .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat so, daß wir uns fast eine ganze Legislaturperiode, nämlich die vorige, mit diesem Drama befaßt und manchmal vor vollem, manchmal vor leerem Hause darüber debattiert haben. Ich will das, was die Kollegen eben gesagt haben, aufgreifen, da wir in weiten Punkten übereinstimmen.
Zur Frage Einladung nach Europa, Herr Lippelt. Ich finde das gut, und ich finde die Überlegung, einen Sondermechanismus wirksam werden zu lassen, richtig. Was mich bei der Einladung nach Europa beschäftigt, ist ein sehr grundsätzlicher Gedanke. Da sehe ich zur Zeit nicht, daß wir alle einladen können.
Europa hat nach 1945 jede Form von rassistischer Vertreibung, von Apartheid-Philosophie, von Konstruktionen von Bantustans im Grundsatz gemeinsam verurteilt. Man kann in dieser modernen Welt nicht zusammenleben, wenn man sagt: Die Menschen der anderen Religionen, die im selben Haus oder in derselben Straße leben, müssen verschwinden, sei es durch Vertreibung oder durch Ermordung.
Freimut Duve
Da wir eine solche Bantustans-Philosophie in Wort und in Tat, in Mord und in Tod haben, müssen wir die Einladung nach Europa qualifizieren. Solange jemand vertreibt und sich bisher noch nicht klar erklärt hat, wie die Zukunft etwa der Muslime im Sandschak aussehen wird, wie die Zukunft der ungarischen Minderheit in der Vojvodina aussehen wird - ich spreche jetzt nur von Serbien -, wie auch die Zukunft der serbischen Minderheit in Kroatien aussehen kann, über die Badinter-Kommission hinaus, also wie man die Ängste des Künftig-vertrieben-Werdens reduzieren kann, so lange müssen wir die Einladung nach Europa mit diesen Elementen qualifizieren, auch um unserer selbst willen, auch um Europa willen.
Zweite Bemerkung. Herr Dr. Lippelt, ich möchte das ganz deutlich sagen, weil wir in diesem Punkt auseinander sind. Das Motiv für die Anerkennung Sloweniens und vor allem Kroatiens lag nicht in dem, was Sie gekennzeichnet haben: den Norden nach Europa sozusagen abschnüren und das andere sich selbst überlassen. Es gab vielmehr ein einziges Motiv - ich kann das für meine Fraktion sagen, und ich möchte das auch für Herrn Genscher sagen; denn das geistert überall herum -: Hat Europa nach der Zerstörung von Vukovar, nach dem Beginn des Zerschießens von Dubrovnik ein ziviles Mittel, den Kroatienkrieg, bei dem schon Tausende umgekommen und Zehntausende vertrieben waren, zu einem friedlichen Ende zu führen?
Das einzige zivile Mittel, das wir uns damals überlegten, war die Internationalisierung des Konflikts durch Anerkennung. Es war vielleicht das erste Mal, daß man in diese Richtung überlegt hat.
Ich kann ein solches politisches Interesse, wie Sie es angedeutet haben, an dem Auflösen Jugoslawiens und an dem Ende des Versuchs, die vielen Völker des Balkans zu einem Staat zusammenzubringen, in der deutschen Politik, wenn ich mich an unsere Diskussionen erinnere, nicht erkennen. Ich sehe einmal von wenigen Ausnahmen ab. Ausnahmen sind vielleicht Journalisten und auch einzelne Politiker, die meinten, das sei ein richtiger Weg, den Kroatien aus religiösen oder anderen Gründen gegangen ist.
Ich bitte sehr darum, daß vom Deutschen Bundestag nicht das unterstützt wird, was in den serbischen Medien fast jeden Tag gesagt wird, nämlich Genscher sei ein Kriegsverbrecher, und was so weit geht, daß gefordert wird - z. B. von Johan Galtung -, Genscher gehöre in Den Haag vor Gericht gestellt. Das ist Wahnsinn. Sie haben das eben so überhaupt nicht gemeint, Herr Dr. Lippelt. Das will ich nicht sagen. Das ist ein anderes Motiv als das, was Sie vorhin genannt haben.
Herr Kollege Duve, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Dr. Lippelt, bitte.
Herr Duve, stimmen Sie mir darin zu, daß weder in unseren Anträgen noch in meiner Rede auf diese Frage überhaupt eingegangen worden ist? Stimmen wir darin überein, daß es lediglich um die Frage ging: Wie kann man auf der einen Seite den notwendigen Gang der Gerechtigkeit - die Mörder zur Rechenschaft ziehen - und auf der anderen Seite einen Friedensprozeß gestalten, der nicht den Regimen zugute kommt, sondern den Gesellschaften? Würden Sie mir zustimmen, daß es für Adam von Trott zu Solz 1940/41, als er sich dringend um diplomatische Zeichen aus England bemühte, die den Deutschen Hoffnung schenken sollten und damit der Opposition eine Chance geben sollten, sehr hilfreich gewesen wäre, wenn solche Zeichen gekommen wären - und das in einem Lande, das ethnische Säuberungen in mindestens so starkem Maße betrieben hat? Wir sind in diesem Punkt doch derselben Meinung.
Warum tun Sie jetzt also, wenn Sie den Antrag würdigen, so, als bezöge sich der Antrag auf das Überleben von Regimen? Davon ist keine Rede. Vielmehr geht es um einen diplomatisch-politisch sehr wichtigen Friedensprozeß, der von der moralischen Frage freigehalten werden sollte.
Herr Kollege Lippelt, ich muß Ihnen zugestehen: Davon steht in Ihrem Antrag nichts. Davon haben Sie auch in Ihrer Rede nichts gesagt. Ich habe Ihre Bemerkungen zu Slowenien lediglich dazu benutzt - wenn Sie so wollen: dazu mißbraucht -, um einen ganz anderen Gegenstand, nämlich die Vorwürfe gegen uns als Land insgesamt als originär mitschuldig, einmal aus meiner Position darzustellen. Insofern haben Sie völlig recht. Ich habe Ihre Rede ein bißchen zu etwas mißbraucht, was dort so nicht enthalten war.
Ich möchte eine dritte Bemerkung machen, weil Herr Lummer auf die Waffengleichheit hingewiesen hat. Herr Lummer, wir sind uns gewiß darüber einig, daß die Frage der Waffen bei dem, was an Ungleichgewicht da ist, nur ein einzelner Aspekt ist. Ich halte das Ungleichgewicht, das sich durch die derzeitige territoriale Situation ergibt, für viel dramatischer als das Ungleichgewicht der Waffen. Die Bosnier wissen: Falls die Föderation mit den Kroaten nicht funktioniert, haben sie keinen Zugang nach und von außen. Sie sind eingeschlossen. Alle anderen sind nicht eingeschlossen, sondern haben eigene Zugänge nach außen. Das ist der dramatische Unterschied.
Ein noch dramatischerer Unterschied ist - er hat etwas mit meiner ersten Bemerkung zu tun -, daß die Bosnier, vornehmlich die Muslime, wissen, daß bisher die Philosophie und die Praxis vorherrscht, zu sagen: Falls wir gewinnen, soll es euch so nicht mehr geben. Wir haben in Banja Luka, in Brčko und in anderen Gegenden zur Zeit keine Überlebensgarantie für die dort noch verbliebenen 10 % der muslimischen oder kroatischen Bevölkerung, die vorher 100 % ausmachte.
Solange diese Situation andauert, ist das psychische Ungleichgewicht dramatisch. Es hat ja niemand gesagt, er wolle, daß keine Serben mehr im Balkan
Freimut Duwe
leben. Aber es haben viele gesagt, sie wollen, daß keine Muslime mehr im Balkan leben. Diese Bedrohungssituation halte ich in psychologischer Hinsicht für das Dramatischste bei diesem Ungleichgewicht.
Dazu kommt, daß mit der heutigen Technik - damit komme ich wieder zu Ihrer Bemerkung - jede Stadt, jede Straße, jede Fabrik, die versucht, mit der Produktion zu beginnen, und jedes Krankenhaus durch serbische Raketen erreichbar sind.
Umgekehrt besteht diese Möglichkeit nirgends. Bisher hat es noch keinen Terroranschlag in Belgrad gegeben; bisher hat es noch kein Beschießen serbischer Städte gegeben, abgesehen von einem Ausnahmefall, wo über die Grenze geschossen wurde. Die bosnische Regierung hat aber an keiner Stelle die technische Möglichkeit, einfach einmal eine Stadt zu beschießen, so wie das auf der anderen Seite eine Gruppe vor 14 Tagen in Zagreb - was vielleicht sogar als „retaliation" verständlich und nachvollziehbar ist - gemacht hat.
Deshalb müssen wir weiterhin mit der humanitären Hilfe arbeiten. Ich hoffe, daß wir zu einem gemeinsamen Antrag kommen.
Bezüglich des deutschen Konvois bin ich anderer Auffassung. Ich glaube, wir können mit der Lösung leben, jedoch werden wir sehr kritisch beobachten, ob sie sich bewähren wird.
Herr Präsident, ich werde mir die drei Minuten, die ich jetzt noch habe, sparen. Ich möchte gerne noch hören, was die Bundesregierung sagt. Vielleicht kann ich dann noch das eine oder andere hinzufügen.
Danke für die Aufmerksamkeit.
Da sage man noch einmal, es ginge im Deutschen Bundestag nicht nett zu.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern hatte ich Gelegenheit, mit einer Gruppe von Politikern und Journalisten aus Bosnien-Herzegowina zu sprechen, die sich für eine Woche in der Bundesrepublik Deutschland aufhält. Das Wichtigste - so habe ich ein weiteres Mal feststellen können - ist, ihnen zuzuhören.
Sie sprachen nicht direkt vom Krieg. Krieg ist nicht überall und nicht überall gleich spürbar. Aber seine Folgen sind da, und sie verschlimmern sich täglich. Wie ein roter Faden zog sich die Furcht um die Zukunft ihres Landes, um die Zukunft der Kinder durch diese Gespräche.
Die Menschen fürchten um ihr Land. Sie fürchten, von Europa und dem Rest der Welt abgekoppelt und vergessen zu werden. Insofern, Herr Kollege Lippelt, sind wir uns sicherlich über den Auftrag, den wir haben, einig, nämlich diesem entgegenzuwirken und dafür zu sorgen, daß deutlich wird: Europa sieht dort eine Aufgabe und eine Verpflichtung zu politischem Handeln, zu wirtschaftlicher und natürlich zu humanitärer Hilfe.
Ich möchte an dieser Stelle aber noch einmal eine Selbstverständlichkeit aussprechen, weil sie uns doch immer wieder ins Gedächtnis ruft, daß dieser Konflikt eben nicht leicht lösbar ist, obwohl wir alle verzweifelt nach Lösungen suchen. Diese Selbstverständlichkeit ist, daß Frieden in einer multikulturellen Gesellschaft nur dann möglich ist, wenn der Wille zur Toleranz auf allen Seiten vorhanden ist. Das ist nicht der Fall.
Aus dieser Erkenntnis heraus glaube ich jedoch, daß die beiden eingesetzten Streitschlichter - ich möchte dem Kollegen Schwarz-Schilling ausdrücklich dafür danken, daß er diese schwierige, harte Aufgabe angenommen hat -
vor Ort eine wichtige Aufgabe zu erfüllen haben.
Meine Damen und Herren, sicherlich sind wir uns in der Analyse einig. Was uns allerdings von den Antragstellern unterscheidet, ist die Suche nach dem Weg, wie diesem Land in seiner verzweifelten Situation geholfen werden kann, und die Bewertung desselben. Die Anträge der GRÜNEN spiegeln aber auch ein wenig ihre eigene Ratlosigkeit wider, wie denn mehr getan werden könnte, als die Bundesregierung mit der Unterstützung des Parlamentes heute schon tut.
Zu den Vorschlägen der Kontaktgruppe gibt es keine Alternative. Solange sie noch eine Chance haben, von serbischer Seite akzeptiert zu werden, muß weiter beharrlich Druck ausgeübt werden in der Hoffnung, einen Durchbruch zu erreichen.
Ich freue mich, daß Sie die Leistung des EU-Verwalters für Mostar, Hans Koschnick, ein weiteres Mal würdigen. Ich freue mich auch über Ihre Würdigung der deutschen Unterstützung des Krankenhauses in Sarajevo, weil dies eine Initiative von Bundesaußenminister Klaus Kinkel ist, die nicht nur wegen ihrer Symbolwirkung mit Recht - auch in der Region - besonders hervorgehoben wird. Was die übrigen Forderungen anbelangt, so trennen uns die Einsicht in die Begrenztheit der Mittel und die notwendigen Prioritäten. Auch der Antrag zur Sicherstellung der humanitären Hilfe ist in wesentlichen Passagen eine Bestätigung der Politik der Bundesregierung und des Auswärtigen Amtes.
Was den Antrag betreffend Einladung nach Europa angeht, so ist mit den Verfassern, wie ich finde, vielleicht ihr Idealismus ein wenig durchgegangen. Den Beitritt zur Europäischen Union als Konfliktlösungsstrategie hinzustellen hieße, den Weg vom Ziel her zu gehen. Ich vermisse: Sie geben keinen Hinweis, warum die Konfliktparteien, deren eine zumindest heute noch an Sieg glaubt, darauf eingehen soll-
Irmgard Schwaetzer
ten. Der Versuch, einen behandlungsresistenten Konflikt, der getragen ist von archaischem Haß und kaltem Politkalkül, durch Aussicht auf baldigen EU-Beitritt zu lösen, ist auch mit den Überzeugungen der Europäischen Union nicht in Übereinstimmung zu bringen. Darin stimme ich dem Kollegen Duve ausdrücklich zu. Patentlösungen gibt es sicherlich nicht.
Ich möchte den Grundgedanken in Gesprächen mit Politikern aller Konfliktparteien - zu diesen gehört auch Herr Tudjman -, die Perspektive eines größeren Europa als langfristigen Anreiz zu benutzen, unterstützen. Damit sind wir einverstanden.
Wenn, meine Damen und Herren, zur Kriegsmüdigkeit vielleicht doch noch ein Quentchen Einsicht hinzukommt, welchem sich selbst ein Milosevic nicht mehr verschließt, können wir bei einer der nächsten Bosniendebatten vielleicht eine positivere Entwicklung erörtern.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Herr Staatsminister Dr. Hoyer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn meines Beitrages ein paar Worte zu dieser Debatte sagen, die geprägt ist von einer grundsätzlichen breiten Übereinstimmung. Allerdings gibt es auch eine breite Übereinstimmung in der Hinsicht, daß wir im Hinblick auf die eigentliche Lösung des Problems in der Substanz keine Rezepte anzubieten haben. Das ist das, was uns alle so bedrückt. Wenn wir diese Anträge heute behandeln, dann sicherlich nicht - so verstehe ich die Anträge auch nicht -, weil wir uns damit gewissermaßen ein besseres Gewissen im Hinblick auf einen Konflikt, auf einen Krieg verschaffen wollten, bei dem wir eigentlich alle ein schlechtes Gewissen haben und haben müssen.
Die zweite Anmerkung: Einladung nach Europa - was ist das eigentlich für ein bitteres Wort? Wenn wir das Gefühl haben, wir müßten gegenüber einem Land, das mitten in Europa liegt, eine Einladung aussprechen, zu uns zu kommen, so zeigt das doch, wie weit wir in diesem Land Bosnien-Herzegowina und überhaupt im früheren Jugoslawien von dem großartigen politischen, historischen und kulturellen Fortschritt, der im größten Teil Europas in den letzten 50 Jahren erreicht worden ist und den wir in den letzten Wochen auch gefeiert und gewürdigt haben, entfernt sind. Es zeigt natürlich auch, welches die konstitutiven Elemente dieses europäischen Friedenswerkes in der Europäischen Union sind. In diesem Zusammenhang ist z. B. auch die Notwendigkeit zu nennen, bilaterale Konflikte unter neu hinzukommenden Mitgliedern im Vorfeld eines Beitritts auszuschließen. Der große Fortschritt des Stabilitätspaktes, den wir vor wenigen Wochen in Paris unterzeichnet haben, besteht darin, daß Länder wie z. B. Ungarn und die Slowakei in der Lage waren, bilaterale Konflikte, die sehr gefährlich hätten werden können, auszuräumen, bevor sie in die Europäische Union bzw. in die Phase der Konkretisierung des Beitritts zur Europäischen Union hätten hineingetragen werden können.
All diese Dinge, die sich im Stabilitätspakt für Europa finden, werden wir einfordern müssen, wenn es darum geht, die langfristige Perspektive für die Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawiens zu konkretisieren. Wir werden das nicht außer acht lassen können. Wir werden diese Probleme vorher lösen müssen und gleichwohl die große europäische Perspektive auch den Ländern anbieten müssen, die bisher nicht haben teilnehmen können.
Die Bundesregierung begrüßt die heutige Debatte. Wir haben einen breiten Konsens über die wichtigsten Ziele gefunden. Um die praktische Umsetzung der deutschen Bosnienpolitik gibt es Gott sei Dank keinen Streit. Das haben die positiven Reaktionen auf den Besuch von Präsident Izetbegovic in Deutschland und auch die Reaktionen auf den Besuch von Außenminister Klaus Kinkel in Sarajevo am 1. Februar gezeigt. Es bleibt natürlich dabei: Die Bundesregierung konzentriert ihre politischen Bemühungen darauf, das Aufflammen eines größeren Balkankrieges zu verhindern. Jeder Ansatz zur Kooperation und Versöhnung wird von uns nachdrücklich und ohne Vorbehalt unterstützt. Seit Beginn des Krieges im früheren Jugoslawien ist humanitäre Hilfe für die Menschen eine wesentliche Konstante unserer Politik.
Die Überschrift des Antrages „Einladung nach Europa" zeigt ja, wie groß das Vertrauen der Antragsteller in die Möglichkeiten der EU ist, die Konflikte quasi im Rahmen europäischer Innenpolitik zu lösen oder eine Lösung in diesem Rahmen zumindest anzugehen. Bisweilen allerdings frage ich mich, ob wir es uns nicht ein bißchen zu einfach machen. Deshalb sollten wir es, wenn wir in den Ausschüssen konkret beraten und an den Details feilen, vermeiden, uns zu sehr ins Emotionale tragen zu lassen, obwohl sich das Thema zur Emotionalisierung natürlich gut eignet. Ich habe einige Vorbemerkungen dazu gemacht.
Zum Beispiel stellt sich die Frage, ob es nicht ein Zeichen unserer Bequemlichkeit ist, wenn wir andere großzügig in unsere Wohlstandszone einladen, selbst aber möglicherweise nicht bereit sind, uns vor Ort zu engagieren. Es gibt nur einen Bereich, in dem Deutschland in Bosnien-Herzegowina nicht engagiert ist: Zu den Blauhelmen dort zählen keine deutschen Soldaten. Die Gründe sind uns wohlbekannt. Aber dennoch möchte ich nicht ausschließen, daß wir uns in diesem Hause eines Tages mit großem Ernst fragen müssen, ob das von den Antragstellern geforderte stärkere politische Engagement nicht auch bedeutet, konkrete Solidarität mit den UNO-Blauhelmtruppen, wenigstens in der kritischen Situation ihres Herauslösens aus dem Krisengebiet, zeigen zu müssen.
Ich füge hinzu: Wenn wir uns dazu entschließen sollen, werden wir uns dann auch die Frage gefallen lassen müssen, ob es nicht doch merkwürdig ist, daß wir zu diesem Engagement bereit sind, wenn es
Dr. Werner Hoyer
darum geht, die Soldaten anderer Länder dort wieder herauszuholen, nicht aber, wenn es darum geht, z. B. humanitäre Hilfslieferungen zu sichern und damit den Menschen das Überleben zu ermöglichen. Wir sollten angesichts dieser Dimension der von den Antragstellern erhobenen Forderung nach einem stärkeren politischen Engagement Deutschlands die Augen nicht verschließen.
Ich habe den Eindruck, grundsätzlich liegen die drei vor uns liegenden Anträge auf der Linie, die auch die Bundesregierung vertritt. Für den Fall, daß sie den Vorwurf enthalten, unser politisches Engagement würde hinter den objektiven Möglichkeiten zurückbleiben, möchte ich die Antragsteller bitten, die Sachverhalte noch einmal sorgfältig zu prüfen.
Wir haben, nicht zuletzt auf Grund unserer Initiative, in der letzten Woche in Frankfurt die Sitzung der Kontaktgruppe auf der Ebene der Politischen Direktoren durchgeführt und uns gemeinsam auf den Paketvorschlag verständigt, der es Milosevic ermöglichen sollte, eine Regelung zu akzeptieren, die es wiederum der bosnischen Regierung ermöglichen könnte, den Waffenstillstand zu verlängern. Wir bemühen uns um den Aufbau der bosniakisch-kroatischen Föderation. Ich habe die Petersberger Vereinbarung zu nennen, die Außenminister Kinkel am 10. März gemeinsam mit Föderationspräsident Zubak und Vizepräsident Ganic der Öffentlichkeit vorgestellt hat.
Es ist erfreulicherweise an die großartige Leistung erinnert worden, die Hans Koschnick in Mostar erbringt. Wir wünschen Herrn Kollegen Schwarz-Schilling für seine Bemühungen ebenfalls Glück und Erfolg.
Der bisher so erfolgreich durchgeführte deutsche Konvoi nach Bosnien rollt weiter. Allein für den Zeitraum von Januar 1994 bis Juni 1995 hat die Bundesregierung dafür fast 10 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Bringen wir jetzt bitte nicht die Haushaltsprobleme, die wir dadurch haben, daß die Verabschiedung des Haushalts immer weiter hinausgezögert wird, mit dieser Frage in Verbindung! Wir wollen doch, daß dieses Erfolgswerk fortgesetzt werden kann.
Deutsche NichtRegierungsorganisationen können weiter mit unserer Unterstützung rechnen. Das Verbindungsbüro für die deutsche humanitäre Hilfe in Zagreb hat sich als sehr gute Koordinationsstelle erwiesen.
Ich könnte diese Liste lange fortsetzen. Wir können in den Ausschußberatungen auch darüber sprechen. Vielleicht wäre es gut, wenn wir für die deutsche Öffentlichkeit einmal aufarbeiten würden, was auf diesem Gebiet tatsächlich geschieht, denn Deutschland kann sich in dieser Beziehung im internationalen Kontext wirklich sehen lassen.
Die Menschen in Bosnien-Herzegowina leiden nicht nur unter dem Krieg und unter einer Hungerblockade, sie leiden auch unter einer Informationsblockade. Wie sollen sie einer Einladung nach Europa folgen, wenn die Kommunikationswege zur Übermittlung dieser Botschaft verschlossen sind? Deshalb wollen wir unsere humanitäre Hilfe kurzfristig und gezielt ergänzend auch auf den Bereich der Kultur- und Informationspolitik für Bosnien erstrekken. Ich würde mich freuen, wenn die Bundesregierung bei diesen Bemühungen mit derselben breiten Unterstützung in diesem Haus wie - bis auf wenige Ausnahmen - hinsichtlich unserer gesamten Bosnienpolitik rechnen könnte.
Herzlichen Dank.
Eine letzte Wortmeldung. Ich werte sie als Zwischenbemerkung.
Herr Staatsminister, ich wußte nicht, daß Sie meine Redezeit verbraucht haben. Aber es war eine gute Rede.
Ich wollte nur zwei Bemerkungen machen. Alle Gesprächspartner, mit denen Sie und auch wir geredet haben, haben gesagt, daß ein Abzug von UNPROFOR eine Katastrophe für die Lage in Sarajevo, die Lage in Tuzla und die Lage in Bosnien wäre. Trotzdem gebe ich Ihnen recht: Wenn es zu einem solchen Abzug kommt, kann der Staat, der bei der Arbeit von UNPROFOR außen vor war, bei der Erfüllung einer Bitte, beim Abzug zu helfen, nicht zurückstehen. Ich sage das für mich, aber auch für viele meiner Kollegen.
Dies ist keine Erklärung der SPD-Bundestagsfraktion. Wir werden uns mit diesem Thema befassen. Es ist zur Zeit nicht aktuell.
Ich will eine zweite Bemerkung machen. Dr. Schwarz-Schilling und ich sind vor kurzem noch einmal durch Bosnien gefahren. Es war meine vierte Reise. Wir sind mit einer gemeinsamen Beobachtung zurückgekommen, die wir in unseren Beratungen vielleicht stärker berücksichtigen müssen. Die Menschen haben dort drei Jahre Überlebensarbeit geleistet. Wir haben zum erstenmal das Wort „brain drain", das wir eigentlich nur aus Amerika kennen, gehört. Hochqualifizierte Fachleute, Leute aus der Industrie, Ärzte, Ingenieure und Techniker können nach drei Jahren einfach nicht mehr, obwohl es irgendwie weitergeht und obwohl humanitäre Hilfe geleistet wird. Sie sagen: Nein, dann gehen wir lieber nach Kanada oder Australien, weil wir da gute Jobs angeboten bekommen. - Deshalb müssen wir die humanitäre Hilfe hin in Richtung auf Hoffnungselemente verändern. Das, was die GTZ und andere tun, darf also nicht nur die Grundversorgung, die Hungerhilfe betreffen, sondern sollte auch andere Elemente - Sie haben die Kultur genannt - enthalten. Wenn Deutschland in Sarajevo ein Kulturinstitut eröffnen würde, wäre das ein solcher Hoffnungsschimmer, daß die Leute sagen: Es gibt auch Zukunft, obwohl der Krieg weiterläuft. - Wir werden
Freimut Duve
bei der Beratung, glaube ich, zu einem gemeinsamen Antrag kommen.
Danke schön.
Keine weiteren Wortmeldungen mehr. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/806, 13/1015 und 13/ 1252 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind, verehrte Kolleginnen und Kollegen, am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 31. Mai 1995, 13 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.